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German Pages 1696 [1692] Year 2008
Festschrift für Harm Peter Westermann
FESTSCH Rl FT FÜR HARM PETER
WESTERMANN ZUM 70. GEBURTSTAG herausgegeben von
Lutz Aderhold Barbara Grunewald Dietgard Klingberg Walter G. Paefgen
2008
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Dr.OiloSchmidt Köln
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Verlag Dr. Otto Schntidt KG Gustav-Hcinemaon-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-sclnnidt.de
ISBN 978-3-504-06037-4 ©2008 by Verlag Dr. Otto Schntidt KG, Köin
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Vorwort Am 8.1.2008 begeht Harm Peter Westermann seinen siebzigsten Geburtstag. Schüler und Freunde des Jubilars haben sich aus diesem Anlass zusammengefunden, um die Person und das Lebenswerk eines der führenden deutschen Rechtsgelehrten der Nachkriegszeit zu würdigen. Wie nur wenige seiner Zeitgenossen vereinbart der Jubilar wissenschaftliches Wirken auf höchstem Niveau mit einem engen Bezug zur Praxis als gefragter Schiedsrichter und Gutachter. Seine Interessen gehen dabei weit über die deutschen Grenzen hinaus. Der Autorenkreis dieser Festschrift, von Lehrstuhlinhabern aus dem In- und Ausland, Vertretern der Richterschaft aller Instanzen, führenden Praktikern des Handels- und Gesellschaftsrechts bis zu Juristen aus großen und mittelständischen Unternehmen und Verbänden, belegt dies eindrucksvoll. Die Juristerei und die internationale Ausrichtung wurden Harm Peter Westermann in die Wiege gelegt. Als Sohn der aus den Niederlanden stammenden Pauline Westermann, geb. Schilt, und des Rechtsprofessors Harry Westermann wurde er in Göttingen am 8.1.1938 geboren. Bedingt durch die Kriegswirren verbrachte er einen Teil seiner Kindheit in Prag (1940 bis 1945), in Huizen in den Niederlanden (1945 bis 1947) und in Leer/Ostfriesland (1947 bis 1949). Dem Abitur in Münster/Westfalen (1957) folgten das Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Münster, Paris und Wien (1957 bis 1961), das 1. Staatsexamen am OLG Hamm (1961), der Referendardienst im OLGBezirk Hamm, im KG-Bezirk Berlin sowie in Den Haag (1961 bis 1965) und das 2. Staatsexamen in Düsseldorf (1965). Während der Referendarzeit entstand die von Gerhard Kegel betreute Dissertation zum Thema „Die causa im französischen und deutschen Recht“ (1964), noch heute ein Standardwerk. Von 1966 bis 1969 arbeitete Westermann an der von Walter Erman betreuten, für die weitere Entwicklung des Rechts der Personengesellschaften grundlegenden Habilitationsschrift „Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften“ (1970). Der Habilitation an der Universität zu Köln (1969) folgten Lehrstuhlvertretungen in Göttingen und Köln, im Sommer 1970 Rufe an die Universitäten Lausanne und Bielefeld und Ende 1970 die Ernennung zum ordentlichen Professor für Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bielefeld. Während seiner vierzehnjährigen Tätigkeit an der Universität Bielefeld nahm der Jubilar zusammen mit anderen herausragenden Vertretern der rechtswissenschaftlichen Zunft – u. a. Mestmäcker und Papier, um nur zwei Namen herauszugreifen – regen Anteil am Aufbau dieser damals noch ganz jungen Rechtsfakultät, davon drei Semester als Dekan (1972 bis 1974). Einen Ruf an die Universität Münster lehnte Westermann ab (1978). Einen Ruf an die Freie Universität Berlin nahm er dagegen – wohl nicht zuletzt auch wegen der musikalischen Attraktivität der Stadt – im Jahr 1984 an. Westermann lehrte dort Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, bis er kurz vor der „Wende“ 1989 einen Ruf an die Universität Tübingen als Nachfolger von Joachim Gernhuber auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und V
Vorwort
Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung annahm, am 1.10.1989 erfolgte die Ernennung. Der Jubilar war dort siebzehn Jahre bis zu seiner Emeritierung im Wintersemester 2006 als Ordinarius tätig und findet auch weiter an der Universität Tübingen seine wissenschaftliche Heimat. Harm Peter Westermann gehört zu der heute nur noch äußerst selten anzutreffenden Spezies der „Vollprivatrechtler“, wie Wolfgang Zöllner ihn in der Laudatio auf dem Tübinger Symposium anlässlich seiner Emeritierung im Februar 2006 treffend bezeichnet hat. Sein Schriftenverzeichnis ist schlichtweg beeindruckend. Zu zahlreichen Publikationen zum Schuldrecht, Sachenrecht und Allgemeinen Teil des BGB gesellen sich Veröffentlichungen in allen Bereichen des Gesellschaftsrechts. Eckpfeiler des Westermann’schen Oeuvres sind die Kommentierungen in dem von ihm herausgegebenen, von seinem Lehrer Erman begründeten Kommentar zum BGB, seine Kommentierung des Kaufrechts im Münchener Kommentar zum BGB, das von seinem Vater begründete, zusammen mit Gursky und Eickmann bearbeitete große Lehrbuch des Sachenrechts, wesentliche Teile in dem von Scholz begründeten Kommentar zum GmbHG, und last not least das von ihm herausgegebene und in weiten Teilen bearbeitete Handbuch der Personengesellschaften. Hinzu kommt eine gemessen am Normalstandard geradezu gigantisch anmutende Zahl von Aufsätzen in Fachzeitschriften, Beiträgen zu Festschriften und Sammelwerken und Rezensionen, insgesamt gut über zweihundertfünfzig Veröffentlichungen. Als Autor zeichnet sich Harm Peter Westermann durch vorbildliche wissenschaftliche Gründlichkeit und einen zurückhaltenden Stil aus. Verallgemeinerungen und Pauschalurteile vermeidet er, wohl nicht zuletzt, weil ihn schon früh und stetig zunehmend die praktische Fallanschauung gelehrt hat, dass damit vorsichtig umzugehen ist. Als Dozent pflegt Harm Peter Westermann einen zugleich freien und konzentrierten Vortragsstil. Seine Vorlesungen sind nicht selten mit anekdotischen Einlagen gespickt. Auch diese entspringen seiner reichhaltigen praktischen Erfahrung mit Rechtsfällen. Dabei fließt nicht selten eine verschmitzte Ironie ein. Als Doktorvater hat der Jubilar über hundertunddreißig Dissertationen betreut und noch viele mehr stehen zur Begutachtung an. WestermannDoktoranden finden sich in allen Bereichen des juristischen Wirkens in großer Zahl, von der Richterschaft über die großen Wirtschaftskanzleien, mittelgroße und kleinere Anwaltspraxen, bis hin zu den Rechtsabteilungen von bedeutenden Familienunternehmen und großen Aktiengesellschaften. Die Zahl seiner habilitierten Schüler wird sich in Kürze auf vier belaufen. Von seinem Vater hat der Jubilar die Neigung und Fähigkeit geerbt, eng mit der Praxis zusammenzuarbeiten. Als Mitglied des Arbeitskreises Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft hat er dabei zahlreiche Kontakte zu Unternehmen und zur beratenden Rechtspraxis aufgebaut, die nicht zuletzt auch sein Wirken als Dozent und Autor befruchtet und Hinweise auf viele interessante Themen für Dissertationen erbracht haben. Er ist DFG-Gutachter für Handels- und Gesellschaftsrecht und war sechs Jahre lang 1. Vorsitzender der Zivilrechtslehrervereinigung.
VI
Vorwort
Harm Peter Westermann zeichnet sich durch respektvolle Distanz ebenso aus wie durch seine immer freundliche, offene und gegenüber den ihm anvertrauten jungen Menschen fürsorgliche Art. Im Mittelpunkt stehen für ihn immer seine Frau Hannelore, seine beiden Töchter und die Enkelkinder, von denen er stets gerne und stolz erzählt. Arroganz und das bei dem einen oder anderen Ordinarius anzutreffende Statusgehabe gehen dem Jubilar ebenso ab wie oberflächliches Fraternisieren. Den intensiven Meinungsaustausch mit Freunden und Schülern pflegt Westermann gerne gemeinsam mit seiner Frau, die dabei für Habilitanden, Doktoranden und Assistenten zuweilen auch die Rolle einer mater academica eingenommen hat. Nicht zuletzt die gewinnende Art, die der Jubilar sich trotz seines bis heute extrem harten Arbeitsprogramms stets bewahrt hat, bringt eine Vielzahl von Freunden, Kollegen und Schülern aus der juristischen Fachwelt in dieser nach Inhalt und Aufmachung gleichsam stattlichen Festschrift als Gratulanten zusammen. Allen Autoren sei an dieser Stelle recht herzlich gedankt. Besonderer Dank gilt auch der Rechtsanwaltsgesellschaft Aderhold v. Dalwigk Knüppel, der ARAG-Gruppe und der Juristischen Studiengesellschaft Tübingen für großzügige finanzielle Beiträge, die das Erscheinen der Festschrift möglich gemacht haben. Ihnen, lieber Herr Westermann, wünschen wir im Namen aller Autoren, dass Ihre bewundernswerte Schaffenskraft als Rechtswissenschaftler, Schiedsrichter, Gutachter und Berater der Praxis Ihnen und uns allen noch lange erhalten bleiben möge. Vor allem aber wünschen wir Ihnen Gesundheit und vielleicht auch ein klein wenig mehr Zeit bei der geliebten Musik, als Ihnen bislang vergönnt war. Ad multos annos! Im Oktober 2007 Lutz Aderhold, Barbara Grunewald, Dietgard Klingberg, Walter G. Paefgen
VII
Inhalt Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
Bürgerliches Recht Lutz Aderhold „Widersprüche“ im Einzugsermächtigungsverfahren und in der Dogmatik des Bereicherungsausgleiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Klaus Adomeit Der Nicht-Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages und seine Rechtswidrigkeit als Diskriminierung nach dem AGG . . . . . . . . . . . . .
19
Klaus Jochen Albiez Dohrmann Einbeziehungsvoraussetzungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern – Eine Übersicht im europäischen Zusammenhang . . .
31
Christian Armbrüster Verjährbarkeit der Vindikation? – Zugleich ein Beitrag zu den Zwecken der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
Heinz-Dieter Assmann/Rolf Sethe Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten gegenüber Kunden am Beispiel kundenschädigender Wertpapier- und Depotgeschäfte bankexterner Vermögensverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
Robert Battes Prolegomena zu einer grundlegenden Reform des deutschen Namensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Klaus Peter Berger Besteht eine Kreditversorgungspflicht der Banken? . . . . . . . . . . . . . . . .
109
Peter Bydlinski Interzessionsschutz für den Alleinkreditnehmer? Eine Untersuchung zum deutschen und zum österreichischen Recht . .
125
Claus-Wilhelm Canaris Der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung als eigenständige Rechtsfigur und die Zentralprobleme seiner Ausgestaltung . . . . . . . . .
137
Georg Crezelius Schiedsgerichte und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161
IX
Inhalt Seite
Dieter Eickmann Gefährliche Grundschuld? Oder: Wie man Heuschrecken züchtet . . . .
175
Thomas Finkenauer Zur Renaissance der laesio enormis beim Kaufvertrag . . . . . . . . . . . . . .
183
Apostolos Georgiades Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im griechischen Recht und seine Bedeutung für das Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
Stefan Grundmann Vertragsnetz und Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . .
227
Barbara Grunewald Die allgemeine Mängeleinrede des Käufers, ein Auslaufmodell oder eine Rechtsfigur mit Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
Wolfgang Grunsky Letztwillige Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255
Beate Gsell Beweislastrechtliche Schwäche durch Formzwang: Die Schenkung als causa minor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
267
Johannes Hager Die Forderungszuständigkeit als absolutes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287
Gerhard Hohloch Sponsoring-Vertrag – zur Struktur eines „atypischen Vertrags“ . . . . . .
299
Heinrich Honsell Der Strafgedanke im Zivilrecht – ein juristischer Atavismus . . . . . . . .
315
Peter Huber Internationale Kaufverträge im Spannungsfeld von UN-Kaufrecht, Unidroit-Principles und Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
337
Dagmar Kaiser Schadensersatz neben oder statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351
Antonis Karampatzos Pressefreiheit und Figuren des öffentlichen Lebens: Eine Konkretisierung des berechtigten Informationsinteresses der Allgemeinheit aufgrund des Gedankens „Practise what you preach“ . . . . . . . . . . . . . .
365
Nikolaos K. Klamaris Die Prozessvollmacht nach dem griechischen Zivilprozessrecht . . . . .
389
Katja Langenbucher Zinshöhe und Äquivalenzverhältnis beim gewerblichen Darlehensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
399
X
Inhalt Seite
Stephan Lorenz Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Umgehungsverbot im Verbrauchsgüterkaufrecht bei Agentur- und Strohmanngeschäften . . .
415
Wolfgang Marotzke Die vorzeitige Darlehensrückforderung wegen Insolvenz des Darlehensgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
427
Dieter Medicus Informationspflichten der finanzierenden Bank über Risiken aus dem finanzierten Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
447
Lutz Michalski/Carolina Boxberger Gestaltungsformen und Zulässigkeitsschranken bei Ersetzungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
459
Peter O. Mülbert Vertragliche Dauerschuldverhältnisse im Allgemeinen Schuldrecht . .
491
Hans-Friedrich Müller Gewährleistung beim Tierkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
517
Gerhard Otte Zur Erbfähigkeit der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
535
Dimitra Papadopoulou-Klamaris Erlöschen des Amtes des Testamentsvollstreckers nach dem griechischen Bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
553
Panagiotis Papanikolaou Konstitutionalisierung des Zivilrechts in Griechenland . . . . . . . . . . . .
563
Eduard Picker Nachlieferung beim Stückkauf – Zu Grund, Gegenstand und Umfang der Leistungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
583
Franz Jürgen Säcker Die Anpassung von langfristigen Verträgen an bei Vertragsschluss unvorhergesehene und unvorhersehbare Umstände im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
617
Gottfried Schiemann Testamentarische Vorsorge für die persönlichen Belange pflegebedürftiger Angehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
637
Dennis Solomon Die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung beim Vertrag zugunsten Dritter in rechtsvergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
655
Michael Stathopoulos Der rechtliche Grund im griechischen Bereicherungsrecht . . . . . . . . . .
681 XI
Inhalt Seite
Johannes Wertenbruch Leistungsstörungen bei Export- und Kompensationsgeschäften im Außenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
695
Friedrich Graf von Westphalen Preisänderungsklauseln gegenüber Verbrauchern – grenzenlose Aporie in der Praxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
707
Wolfgang Wiegand Sachenrechtsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
731
Rüdiger Wilhelmi Der Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche. Unterschiede im deutschen, englischen und US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
745
Wirtschaftsrecht Holger Altmeppen Zur Formbedürftigkeit der Veräußerung künftiger GmbH-Anteile . . . .
771
Walter Bayer Die gerichtliche Kontrolle der Bewertung der Sacheinlage bei der gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
787
Ulrich Bälz Konzernbildung und Umwandlung unter kirchlichen Dienstleistern – Eine verbandsrechtliche Problemskizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
797
Uwe Blaurock Die Limited & Still – Bemerkungen zur Stillen Gesellschaft im deutschen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
821
Petra Buck-Heeb Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht – Corporate GovernanceRegeln für die GmbH? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
845
Carsten P. Claussen Gedanken und Erinnerungen an das Kapitalersatzrecht . . . . . . . . . . . . .
861
Werner F. Ebke Die Europäische Union und die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers: Eine unendliche Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
873
Volker Emmerich Die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . .
899
Mathias Habersack Wandelbare Vorzugsaktien, insbesondere aus genehmigtem Kapital . . .
913
XII
Inhalt Seite
Walther Hadding Vom konzessionierten Wirtschaftsverein zur Aktiengesellschaft – Wege des Umwandlungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
933
Peter Hanau H. P. Westermann, Holzmüller & Co . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
951
Hans Hanau/Christoph Ann Unbeschränkte Haftung des eintretenden Gesellschafters für Altverbindlichkeiten der GbR? Zur Notwendigkeit und Begründbarkeit einer „Kommanditgesellschaft bürgerlichen Rechts“ . . . . . . . .
955
Wilhelm Happ Vom besonderen Vertreter zur actio pro socio – Das Klagezulassungsverfahren des § 148 AktG auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . .
971
Heribert Heckschen Die SE als Option für den Mittelstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
999
Martin Henssler Freiwillige Vereinbarungen über die Unternehmensmitbestimmung . . 1019 Klaus J. Hopt Modernisierung der Unternehmensleitung und -kontrolle . . . . . . . . . . 1039 Norbert Horn Unternehmerisches Ermessen und Vorstandshaftung nach § 93 AktG . 1053 Konstantinos D. Kerameus International Arbitration and Investment Protection . . . . . . . . . . . . . . . 1067 Detlef Kleindiek Modalitäten ordnungsgemäßer Bareinlageleistung bei Gründung einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073 Dietgard Klingberg GmbH-Organzuständigkeiten bei Mezzanine-Finanzierungen . . . . . . . 1087 Horst Konzen Fehlerhafte stille Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften . . . . . . 1133 Hans-Georg Koppensteiner Zum Gläubigerschutz bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1157 Marcus Lutter Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern in Gesellschaft und Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1171 Klaus-Peter Martens Die Zukunft der Anerkennungsprämie nach „Mannesmann“ . . . . . . . . 1191
XIII
Inhalt Seite
Ulrich Noack Die Aktionärsrechte-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1203 Walter G. Paefgen Der neue übernahmerechtliche Squeeze-out – die bessere Alternative?
1221
Martin Peltzer Die deutsche D&O Versicherung und ihr (noch operabler) Geburtsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1257 Hans-Joachim Priester „Holzmüller“ im GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1281 Thomas Raiser Gestaltungsfreiheit im Mitbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1295 Hermann Reichold/Martin Heinrich Zum Diskriminierungsschutz des GmbH-Geschäftsführers . . . . . . . . . 1315 Bodo Riegger Zweifelsfragen zum Dividendenverlust nach § 28 WpHG . . . . . . . . . . . 1331 Günter H. Roth Die deutsche Initiative zur Kodifizierung der Gründungstheorie . . . . . 1345 Wulf-Henning Roth Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355 Ingo Saenger Gegenwart und Zukunft des Cash Pooling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1381 Georg Sandberger Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1401 Karsten Schmidt Zur Einheits-GmbH & Co. KG. Kautelarjurisprudenz an ihren Grenzen oder Triumph der Typizität des Atypischen? . . . . . . . . . . . . . . 1425 Uwe H. Schneider/Michael Nietsch Die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1447 Wolfgang Schön GmbH-Geschäftsführerhaftung für Steuerschulden – zur Konkurrenz zwischen dem Fiskus und den privatrechtlichen Gläubigern einer GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1469 Joachim Schulze-Osterloh Erneuter Beginn der Verjährung von Ansprüchen gegen Gesellschafter durch Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1487 XIV
Inhalt Seite
Ulrich Seibert Gute Aktionäre – schlechte Aktionäre – „Aktive Finanzinvestoren“ und Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1505 Susanne Sieker Die Funktion des Gesellschaftsrechts für den Ausweis des Eigenkapitals in der Handelsbilanz der Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . 1519 Tobias Tröger Kollektive Einheit, Haftungsverfassung und ökonomische Theorie des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1533 Peter Ulmer Die Voreinzahlung auf Barkapitalerhöhungen im GmbH-Recht – Von Fallstricken und Fußangeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1567 Eberhard Vetter Auskünfte des Aufsichtsrates in der Hauptversammlung – Gedanken de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1589 Kathrin Westermann Das privatrechtliche Sanktionssystem bei Kartellverstößen . . . . . . . . . 1605 Wolfgang Zöllner Evaluation des Freigabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1631 Schriftenverzeichnis Professor Dr. Harm Peter Westermann . . . . . . . . . . 1649
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Verzeichnis der Autoren Aderhold, Lutz Dr., Rechtsanwalt und Notar, Aderhold v. Dalwigk Knüppel, Dortmund, Lehrbeauftragter der Universität Münster Adomeit, Klaus Dr., Universitätsprofessor (a. D.), Freie Universität Berlin Albiez Dohrmann, Klaus Jochen Dr., Profesor Titular, Universität Granada Altmeppen, Holger Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht I, Universität Passau Ann, Christoph Dr., LL. M. (Duke Univ.), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht und Geistiges Eigentum, Technische Universität München, Munich Intellectual Property Law Center (MIPLC) Armbrüster, Christian Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Privatversicherungsrecht und Internationales Privatrecht, Freie Universität Berlin, Richter am Kammergericht Assmann, Heinz-Dieter Dr., LL. M., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Bälz, Ulrich Dr., Universitätsprofessor (em.), Eberhard-Karls-Universität Tübingen Battes, Robert Dr. jur., Universitätsprofessor (em.) für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Privatrechtsvergleichung, Rheinische FriedrichWilhelms-Universität Bonn Bayer, Walter Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Privatversicherungsrecht und Internationales Privatrecht, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Direktor des Instituts für Rechtstatsachenforschung zum deutschen und europäischen Unternehmensrecht, Richter am Thüringer OLG und am Thüringer VerfGH XVII
Verzeichnis der Autoren
Berger, Klaus Peter Dr., LL. M. (Virginia), Universitätsprofessor an der Universität zu Köln, Direktor des Center for Transnational Law (CENTRAL) und des Instituts für Bankrecht Blaurock, Uwe Dr., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Boxberger, Carolina Doktorandin von Prof. Dr. Lutz Michalski, Universität Bayreuth Buck-Heeb, Petra Dr., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Zivilrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht, Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover Bydlinski, Peter Dr., Universitätsprofessor, Karl-Franzens-Universität Graz, Leiter des Instituts für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht Canaris, Claus-Wilhelm Dr. Dr. h. c. mult., Universitätsprofessor (em.), Ludwig-Maximilians-Universität München Claussen, Carsten Peter Dr. Dr. h. c., Rechtsanwalt in der Kanzlei Hoffmann, Liebs, Fritsch & Partner in Düsseldorf, Honorarprofessor an der Universität Hamburg Crezelius, Georg Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Steuerrecht, Universität Bamberg Ebke, Werner F. Dr. Dr. h. c., LL. M. (Berkeley), Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Attorney-at-Law, New York, USA Eickmann, Dieter Professor a. D., Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Berlin Emmerich, Volker Dr., Universitätsprofessor (em.), Universität Bayreuth, Richter am OLG Nürnberg a. D. Finkenauer, Thomas Dr., M. A., Universitätsprofessor, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Georgiades, Apostolos Dr. Dr. h. c., Professor an der Universität Athen, Mitglied der Akademie von Athen XVIII
Verzeichnis der Autoren
Grundmann, Stefan Dr. Dr., LL. M. (Berkeley), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht, Humboldt-Universität zu Berlin Grunewald, Barbara Dr., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsund Anwaltsrecht an der Universität zu Köln Grunsky, Wolfgang Dr., Universitätsprofessor (em.), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Prozessrecht und Arbeitsrecht an der Universität Bielefeld, Rechtsanwalt in der Kanzlei Nörr, Stiefenhofer, Lutz in Frankfurt Gsell, Beate Dr., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Europäisches Privatrecht und Internationales Privatrecht, Universität Augsburg Habersack, Mathias Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Rechtsvergleichung, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Hadding, Walther Dr., Universitätsprofessor (em.), Johannes Gutenberg-Universität Mainz Hager, Johannes Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Medienrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München Hanau, Hans Dr., Privatdozent an der Universität Tübingen, Professurvertreter, Professur für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg Hanau, Peter Dr. Dres. h. c., Universitätsprofessor (em.), Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität zu Köln Happ, Wilhelm Dr., Rechtsanwalt, Happ Luther und Partner, Hamburg Heckschen, Heribert Dr., Notar in Dresden, Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Dresden Heinrich, Martin Wissenschaftlicher Assistent (bis 1.10.2007) am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht, Eberhard-Karls-Universität Tübingen XIX
Verzeichnis der Autoren
Henssler, Martin Dr., Universitätsprofessor, Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Universität zu Köln Hohloch, Gerhard Dr., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., Richter am OLG Stuttgart Honsell, Heinrich Dr., Universitätsprofessor (em.), Universität Zürich, Honorarprofessor Universität Salzburg Hopt, Klaus J. Dr. Dr. Dr. h. c. mult., Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg, Professor an der Universität Hamburg, vormals Richter am OLG Stuttgart Horn, Norbert Dr., Universitätsprofessor (em.), Direktor des Instituts für Bankrecht, Universität zu Köln, und des ADIC Arbitration Documentation and Information Center, Köln Huber, Peter Dr., LL. M. (London), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Kaiser, Dagmar Dr., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Handelsrecht, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Karampatzos, Antonis Dr., LL. M. (Universität Tübingen), „Postdoc“ am „Institute of Advanced Legal Studies“ (University College of London), Rechtsanwalt in Athen, Lektor an der Universität Athen Kerameus, Konstantinos D. Dr. iur. Dr. h. c. mult., Prof. emer. of Civil Procedure, Athens University, Director of the Hellenic Institute of International and Foreign Law, former President of the International Academy of Comparative Law Klamaris, Nikolaos K. Dr., Universitätsprofessor, Juristische Fakultät der National und Kapodistria Universität Athen, Zivilprozessrecht, Stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts für prozessrechtliche Studien, Rechtsanwalt beim Areopag, Rechtsberater des Ministerpräsidenten der Hellenischen Republik XX
Verzeichnis der Autoren
Kleindiek, Detlef Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, deutsches und europäisches Wirtschaftsrecht, Universität Bielefeld Klingberg, Dietgard Dr., Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Schwalbach/Ts. Konzen, Horst Dr. Dr. h. c. Dr. h. c., Universitätsprofessor (em.) für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handelsrecht, Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Koppensteiner, Hans-Georg Dr. iur., LL. M. (Berkeley), Universitätsprofessor (em.), Institut für Österreichisches und Internationales Handels- und Wirtschaftsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg, Österreich Langenbucher, Katja Dr., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Bankrecht, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Lorenz, Stephan Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Institut für Internationales Recht der Ludwig-Maximilians-Universität München Lutter, Marcus Dr. Dres. h. c., Universitätsprofessor (em.), Sprecher des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn, Rechtsanwalt in Berlin Marotzke, Wolfgang Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Insolvenzrecht, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Martens, Klaus-Peter Dr., Universitätsprofessor (em.), Universität Hamburg, Richter am OLG Hamburg a. D. Medicus, Dieter Dr. Dr. h. c., Universitätsprofessor (em.), Ludwig-Maximilians-Universität München Michalski, Lutz Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Universität Bayreuth
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Verzeichnis der Autoren
Mülbert, Peter O. Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht, Universität Mainz, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Müller, Hans-Friedrich Dr., LL. M. (University of Bristol), Universitätsprofessor, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungsprofessur für deutsches und internationales Zivil- und Wirtschaftsrecht, Universität Erfurt Nietsch, Michael Dr., Wissenschaftlicher Assistent, Institut des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Noack, Ulrich Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Direktor des Instituts für Unternehmensrecht, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Otte, Gerhard Dr., Universitätsprofessor (em.), Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und juristische Methodenlehre, Universität Bielefeld Paefgen, Walter G. Dr., Universitätsprofessor, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Papadopoulou-Klamaris, Dimitra Dr., außerplanmäßige Professorin für Zivilrecht, Universität Athen, Rechtsanwältin beim Areopag Papanikolaou, Panagiotis Dr., Universitätsprofessor, Universität Athen Peltzer, Martin Dr., Rechtsanwalt, CMS Hasche Sigle, Frankfurt am Main Picker, Eduard Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Priester, Hans-Joachim Dr., Notar a. D., Honorarprofessor an der Universität Hamburg Raiser, Thomas Dr., Universitätsprofessor (em.), Lehrstuhl für deutsches und europäisches Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, Rechtssoziologie und Bürgerliches Recht der Humboldt-Universität Berlin, Richter am Kartellsenat des OLG Frankfurt a. D. XXII
Verzeichnis der Autoren
Reichold, Hermann Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Riegger, Bodo Dr., Rechtsanwalt, Gleiss Lutz, Stuttgart Roth, Günter H. Dr., Universitätsprofessor, Leiter des Instituts für Unternehmens- und Steuerrecht der Universität Innsbruck Roth, Wulf-Henning Dr., LL. M. (Harvard), Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung und des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn Säcker, Franz Jürgen Dr. iur. Dr. rer. pol. Dr. h. c., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht der Freien Universität Berlin, Richter am Kartellsenat des Kammergerichts a. D. Saenger, Ingo Dr., Universitätsprofessor, Institut für Internationales Wirtschaftsrecht, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Sandberger, Georg Dr. Dr. h. c., Universitätskanzler a. D., Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Schiemann, Gottfried Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäische Rechtsgeschichte, Versicherungsrecht, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Schmidt, Karsten Dr. Dres. h. c., Universitätsprofessor (em.), Universität Bonn, Präsident der Bucerius Law School, Hamburg Schneider, Uwe H. Dr., Universitätsprofessor, Technische Universität Darmstadt, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Schön, Wolfgang Dr., Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München, Honorarprofessor an der LudwigMaximilians-Universität München Schulze-Osterloh, Joachim Dr., Universitätsprofessor (em.), Freie Universität Berlin XXIII
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Seibert, Ulrich Dr., Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz, Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Düsseldorf Sethe, Rolf Dr., LL.M. (London), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht Sieker, Susanne Dr., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Steuer- und Wirtschaftsrecht, Martin-Luther-Universität HalleWittenberg Solomon, Dennis Dr., LL. M. (Berkeley), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Eberhard-KarlsUniversität Tübingen Stathopoulos, Michael Dr. Dres. h. c., Universitätsprofessor (em.), Universität Athen Tröger, Tobias Dr., LL. M. (Harvard), Akademischer Rat, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Ulmer, Peter Dr. Dr. h. c. mult., Universitätsprofessor (em.), Institut für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Universität Heidelberg Vetter, Eberhard Dr., Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln Wertenbruch, Johannes Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Philipps-Universität Marburg Westermann, Kathrin Dr., Rechtsanwältin, Nörr Stiefenhofer Lutz, Berlin Westphalen, Friedrich Graf von Dr., Rechtsanwalt, Köln, Honorarprofessor an der Universität Bielefeld Wiegand, Wolfgang Dr., Rechtsanwalt, Professor (em.) für Zivil-, Wirtschafts- und Bankrecht, Universität Bern XXIV
Verzeichnis der Autoren
Wilhelmi, Rüdiger Dr., Privatdozent, Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäische Rechtsgeschichte, Versicherungsrecht, EberhardKarls-Universität Tübingen Zöllner, Wolfgang Dr. Dr. h. c., Universitätsprofessor (em.), Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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„Widersprüche“ im Einzugsermächtigungsverfahren und in der Dogmatik des Bereicherungsausgleiches Inhaltsübersicht I. Zu den generellen Rechtsverhältnissen im Einzugsermächtigungsverfahren II. Widerspruchsmöglichkeit im Insolvenzverfahren des Schuldners
III. Keine Durchgriffskondiktion der Schuldnerbank IV. Zusammenfassung
Der Jubilar hat der Problematik des Bereicherungsausgleichs im Lastschriftverfahren einen eigenen Abschnitt in seiner Kommentierung des § 812 BGB im „Erman“ gewidmet1 und es kann sicherlich ohne Übertreibung betont werden, dass der Jubilar die Dogmatik des Bereicherungsausgleichs im Dreipersonenverhältnis in den letzten Jahrzehnten maßgeblich mitbeeinflusst hat. Infolgedessen erscheint es nicht unangebracht und ist für den Verfasser eine große Ehre, wenn er seinem akademischen Lehrer die nachfolgende Untersuchung in diesem Themenbereich widmen darf, bei der aufzuzeigen sein wird, dass die aktuelle Rechtsprechung der IX. und XI. Senate des BGH zu Widersprüchen innerhalb bislang geltender und bewährter Grundsätze führt, die im Interesse der unbelasteten Funktionsfähigkeit des Einzugsermächtigungsverfahrens und der widerspruchsfreien Handhabung des Bereicherungsausgleichs im Dreipersonenverhältnis aufgelöst werden sollten. Das Einzugsermächtigungsverfahren spielt – anders als das viel weniger verbreitete Abbuchungsverfahren – in der Praxis der Abwicklung des massenhaften Zahlungsverkehrs eine sehr große praktische Rolle als effizientes und kostengünstiges Zahlungsverkehrsverfahren. Es bietet Vorteile sowohl für Schuldner als auch für Gläubiger. Die Schuldner werden der Mühewaltung entbunden, sich um die jeweils fristgerechte Zahlung ihrer Verbindlichkeiten durch Vornahme konkreter Überweisungsaufträge kümmern zu müssen. Die Gläubiger können den fristgerechten Eingang der geschuldeten Zahlungen durch eigene Veranlassung bewirken. Sie haben dadurch Liquiditätsvorteile und ihre eigene Buchhaltung und Mahnabteilung wird entlastet. Dies wird inzwischen auch von den Rating-Agenturen durch eine günstige Bonitätseinschätzung anerkannt, weil die Forderungen von Lastschrifteinreicher-Unternehmen einen zügigen Forderungseingang versprechen2. Es überrascht daher, dass es in der Dogmatik dieses seit Jahrzehnten massenhaft praktizierten und wirtschaftlich bedeutungsvollen Verfahrens in jüngster Zeit durch mehrere
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1 H. P. Westermann in Erman, 11. Aufl. 2004, § 812 BGB Rz. 24. 2 Hey, BKR 2006, 387.
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BGH-Entscheidungen zu einer Verunsicherung gekommen ist, die anerkannte Praktiker zu der Frage veranlassen, ob ein Paradigmenwechsel notwendig sei, um das deutsche Lastschriftverfahren zu retten und vollkommen unhaltbare Ergebnisse zu vermeiden3. Mit Urteil vom 4.11.2004 hat der IX. Senat des BGH entschieden, der Insolvenzverwalter – selbst der nur vorläufige – sei berechtigt, die Genehmigung von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu verhindern, auch wenn sachliche Einwendungen gegen die eingezogene Forderung nicht erhoben werden können und wenn eine wirksame Einzugsermächtigung vorhanden war4. Bis auf die Berufsgruppe der Insolvenzverwalter5 dürften alle am Lastschriftverfahren Beteiligten ihre wirtschaftlichen Interessen durch dieses Urteil nicht beachtet sehen6. Zur Vermeidung eventuell eigener Haftung fühlen sich die Insolvenzverwalter veranlasst, geradezu automatisch von der ihnen zugebilligten erweiterten Widerspruchsmöglichkeit pauschal Gebrauch zu machen7, so dass sich bereits eine Prozesswelle größeren Ausmaßes entwickelt8. Ein weiteres Urteil des XI. Zivilsenats vom 11.4.20069, wonach der Schuldnerbank im Einzugsermächtigungsverfahren ein unmittelbarer Bereicherungsanspruch aus Eingriffskondiktion gegen den Gläubiger zugebilligt wird, wenn die Schuldnerbank den Lastschriftbetrag zunächst dem Konto des Schuldners belastet hatte, dann auf dessen Widerspruch aber wieder gutschreiben musste, wird als endgültiger Anlass zu einem „Paradigmenwechsel“ in der Dogmatik des Einzugsermächtigungsverfahrens beurteilt10. Angesichts dieser aktuellen „Verunsicherungen“ in der dogmatischen Beurteilung der Möglichkeiten und Konsequenzen eines Schuldnerwiderspruchs im Einzugsermächtigungsverfahren, die zu einer starken Polarisierung der verschiedenen Ansichten geführt haben, erscheint die Überprüfung lohnenswert, ob es nicht vielleicht doch einen Weg gibt, der einerseits dogmatisch anerkannten Denkfiguren entspricht und andererseits dem funktionalen Ablauf und dem allseits anerkannten Interessenausgleich im Rahmen des Einzugsermächtigungsverfahrens entspricht, so dass dieses effektive und kostengünstige Zahlungsverfahren nicht erst durch Veränderungen der Banken-AGB oder im Rahmen europäischer Lastschriftregeln „gerettet“ werden muss.
__________ 3 Burghardt, WM 2006, 1892; von einer „Belastungsprobe“ spricht Böhm, BKR 2005, 372, von einer „Bewährungsprobe“ Jungmann, NZI 2005, 84. 4 BGHZ 161, 49 ff. = WM 2004, 2482 = NJW 2005, 675. 5 Zustimmend z. B. Dahl, NZI 2005, 102 m. w. N. 6 Ablehnend z. B. Bork, ZIP 2004, 2446 („lebensfremd“); Böhm, BKR 2005, 366 („Belastungsprobe“); Hadding, WM 2005, 1549. 7 Jungmann, NZI 2005, 84. 8 Burghardt, WM 2006, 1892, 1893. 9 BGHZ 167, 171 ff. = WM 2006, 1001 = NJW 2006, 1965. 10 Burghardt, WM 2006, 1892.
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„Widersprüche“ in Einzugsermächtigungsverfahren und Bereicherungsausgleich
I. Zu den generellen Rechtsverhältnissen im Einzugsermächtigungsverfahren Die Beurteilung der Rechtsverhältnisse der am Einzugsermächtigungsverfahren Beteiligten ist im Prinzip ganz weitgehend anerkannt: 1. Das Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger (Valutaverhältnis) wird dadurch geschaffen, dass der Schuldner dem Gläubiger zumeist aufgrund eines Dauerschuldverhältnisses (z. B. regelmäßige Belieferung durch den Gläubiger) stetig wiederkehrende Zahlungen in unterschiedlicher Höhe schuldet. Im beiderseitigen Interesse vereinbaren sie als Nebenabrede die Erteilung einer Einzugsermächtigung zugunsten des Gläubigers, was den Schuldner davon entbindet, sich um die jeweils pünktliche Bezahlung seiner Schulden kümmern zu müssen. Der Gläubiger muss daher selbst die Initiative ergreifen. Die Geldschuld wird zur Holschuld11. Der Schuldner schuldet dem Gläubiger aufgrund der Vereinbarung des Einzugsermächtigungsverfahrens nunmehr, das er ausreichend Deckung bzw. eine freie Kreditlinie auf seinem Girokonto vorhält und die Belastung in Höhe des jeweils geschuldeten Betrages hinnimmt12. 2. Bei Fälligkeit einer Zahlungspflicht des Schuldners gibt der Gläubiger seiner Bank (Gläubigerbank bzw. Inkassobank), die ihn aufgrund einer generellen Inkassovereinbarung zur Teilnahme am Einzugsermächtigungsverfahren zugelassen haben muss, den Auftrag zur Einziehung der Lastschrift bei der Bank des Schuldners (Zahlstelle). Daraufhin wird ihm auf seinem Konto der Lastschriftbetrag gutgeschrieben und zwar zunächst unter Vorbehalt der Einlösung der Lastschrift durch die Schuldnerbank13. 3. Die Gläubigerbank leitet die Lastschrift anschließend an die Schuldnerbank weiter, wobei es für die rechtliche Beurteilung im Prinzip keine Rolle spielt, ob noch eine oder mehrere Banken zwischengeschaltet werden. Das Rechtsverhältnis zwischen den Banken bestimmt sich nach dem Lastschriftabkommen (LSA)14. Die Schuldnerbank prüft, ob das Schuldnerkonto ausreichende Deckung oder eine ausreichende Kreditlinie aufweist und belastet dann das Schuldnerkonto mit dem Lastschriftbetrag. Die Gläubigerbank erhält davon keine besondere Mitteilung. Nur wenn die Schuldnerbank die Lastschrift z. B. wegen fehlender Deckung auf dem Schuldnerkonto nicht einlöst, hat sie die Gläubigerbank spätestens am nächsten Tag zu informieren (Abschnitt II Nr. 2 LSA). Erhält die Gläubigerbank keine derartige Nachricht, wird sie im Verhältnis zum Gläubiger auch nichts unternehmen und es bei der Gutschrift auf dessen Konto belassen. Nach Ziff. 9 Abs. 2 Satz 1 AGB-Banken (ebenso Ziff. 9 Abs. 2 Satz 1 AGB-Sparkassen) ist die Lastschrift auch im Verhältnis zum Gläubiger vorbe-
__________ 11 BGHZ 69, 361, 366. 12 Vgl. zu Details im Einzelnen: van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. I, 2. Aufl. 2001, § 58 Rz. 148 ff. m. w. N. 13 BGHZ 72, 343, 345; van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 12), § 58 Rz. 13. 14 Abgedr. z. B. bei Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, S. 1813 ff.
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haltlos eingelöst, wenn die Belastungsbuchung nicht spätestens am 2. Bankarbeitstag nach ihrer Vornahme rückgängig gemacht wird15. 4. Da der Gläubiger aufgrund des vorstehend skizzierten Verfahrens die Möglichkeit hat, auf das Schuldnerkonto Zugriff zu nehmen, ohne dass den beteiligten Banken eine Prüfungspflicht oder überhaupt nur eine Prüfungsmöglichkeit zusteht, ob die Belastung im Valutaverhältnis gerechtfertigt ist, steht dem Schuldner eine grundsätzliche unbefristete Widerspruchsmöglichkeit der Belastungsbuchung seines Kontos zu. Die Schuldnerbank muss den Widerspruch des Schuldners, der keiner Begründung bedarf, in jedem Fall beachten, selbst wenn sie überzeugt sein sollte, dass die Buchung im Valutaverhältnis gerechtfertigt ist. Sie muss dem Schuldner den belasteten Betrag mit rückwirkender Wertstellung gutschreiben16. Wann diese Verpflichtung der Schuldnerbank zur rückwirkenden Berichtigung der Belastungsbuchung bei Widerspruch des Schuldners zeitlich endet, wird von der h. M. dahingehend beantwortet, dass dies dann der Fall sei, wenn das Verhalten des Schuldners als Genehmigung der Belastungsbuchung zu verstehen ist17. Nach dieser von Hadding18 entwickelten sog. Genehmigungstheorie bedarf die Belastungsbuchung der Schuldnerbank zu ihrer Wirksamkeit im Verhältnis zwischen Schuldner und Bank der Genehmigung im Sinne von §§ 684 Satz 2, 185 Abs. 2 BGB. Nach anderer Ansicht stellt die Erteilung der Einzugsermächtigung durch den Schuldner an den Gläubiger eine Ermächtigung im Sinne von § 185 Abs. 1 BGB dar, so dass der Gläubiger ggf. im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung die Befugnis erhalte, die Zahlstelle wirksam anzuweisen, das Schuldnerkonto zu belasten19. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt die Vollmachtstheorie, die davon ausgeht, dass der Schuldner dem Gläubiger mit Erteilung der Einzugsermächtigung eine Vollmacht einräume, die es dem Gläubiger gestatte, im Namen des Schuldners und im Rahmen des Einzugsermächtigungsverfahrens die Schuldnerbank zur Belastungsbuchung des Schuldnerkontos zu beauftragen20. Gegen die beiden letzten Theorien wird insbesondere geltend gemacht, sie könnten das auch nach ihrer Ansicht wünschenswerte Widerspruchsrecht nicht dogmatisch überzeugend begründen. Ein materielles Widerspruchsrecht könne der Schuldner nach diesen Theorien eigentlich gar nicht haben, da die Schuldnerbank sich im Rahmen der ihr erteilten Weisung (aufgrund von Ermächtigung oder Vollmacht) gehalten habe21. Die Vertreter der Ermächtigungs- bzw. der Vollmachtstheorie billigen dem Schuldner jedoch trotzdem ein Widerspruchsrecht zu und stützen sich dabei auf die eigentlich nur banken-
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15 Jungmann, NZI 2005, 87. 16 BGHZ 74, 300, 304; BGHZ 161, 49, 53; van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 12), § 58 Rz. 57 m. w. N. 17 BGHZ 144, 349, 353; BGHZ 162, 294, 303; BGH, WM 2003, 524, 526. 18 FS Bärmann, 1975, S. 388 ff. 19 Vgl. z. B. Canaris, Bankvertragsrecht, 4. Aufl. 2005, Rz. 532 m. w. N. 20 Vgl. z. B. Fallscheer/Schlegel, Das Lastschriftverfahren, 1977, S. 13 ff.; Sandberger, JZ 1977, 285. 21 Vgl. zur Kritik z. B. van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 12), § 57 Rz. 29.
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„Widersprüche“ in Einzugsermächtigungsverfahren und Bereicherungsausgleich
intern geltende sechswöchige Widerspruchsmöglichkeit nach Abschnitt III Nr. 2 LSA22. Diese Lösung hat im Ergebnis den Vorteil, dass sie die Widerspruchsmöglichkeit des Schuldners auf die kongruente bankinterne Rückgabemöglichkeit begrenzt, so dass die Lastschrift in jedem Fall wieder komplett und störungsfrei „rückabgewickelt“ werden kann. Diese Theorien haben jedoch den dogmatischen „Schönheitsfehler“, dass die Anwendung einer Regelung aus dem Lastschriftabkommen, das lediglich die Rechtsverhältnisse zwischen den am Lastschriftverfahren beteiligten Kreditinstituten regelt, auf das Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Bank nicht recht überzeugend wirkt23. Die in Literatur und Rechtsprechung herrschende Genehmigungstheorie vermeidet zwar diesen Nachteil und lässt sich damit widerspruchsfrei dogmatisch in die Gesamtabwicklung des Einzugsermächtigungsverfahrens einordnen. Sie hat aber den Nachteil, dass sie den Widerspruch des Schuldners bis zu dessen Genehmigung und damit praktisch unbefristet zulassen muss, so dass es darum geht, hier Grenzen der Widerspruchsmöglichkeit zu finden: Ein bloßes Schweigen des Schuldners auf Tageskontoauszüge kann nach allgemeiner Ansicht noch nicht als eine derartige Genehmigung gewertet werden24. Eine konkludente Genehmigung wird allerdings weitgehend schon dann angenommen, wenn der Schuldner in Kenntnis der unwidersprochenen Belastungsbuchung nach Ablauf einer angemessenen Prüfungs- und Überlegungsfrist weitere Dispositionen über sein Konto erteilt und dabei die vorausgegangene Belastungsbuchung in aller Regel berücksichtigt hat25. Nach der Regelung in Ziff. 7 Abs. 3 AGB-Banken (Ziff. 7 Abs. 4 AGB-Sparkassen), die ab 1.4.2002 eingefügt worden ist, gilt die Genehmigung des Schuldners endgültig als erteilt, wenn der Schuldner der Belastungsbuchung nicht vor Ablauf von sechs Wochen nach Zugang des nächsten Rechnungsabschlusses widerspricht. Diese Klausel begegnet auch im nichtkaufmännischen Bereich keinen AGB-rechtlichen Wirksamkeitsbedenken, da die Voraussetzungen des § 308 Nr. 5 BGB eingehalten sind26. 5. Bei einem Widerspruch des Schuldners innerhalb der ersten sechs Wochen nach der Belastungsbuchung ergeben sich für die Schuldnerbank keine Schwierigkeiten, da sie die Lastschrift nach Abschnitt III Nr. 2 LSA an die Gläubigerbank zurückbelasten kann. Für die Gläubigerbank ergeben sich im Prinzip auch keine Schwierigkeiten, da sie nach Nr. 7 der Inkassovereinbarung ohnehin unbefristet27 die Möglichkeit hat, das Konto des Gläubigers rückzubelas-
__________ 22 Burghardt, WM 2006, 1892, 1894. 23 van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 12), § 57 Rz. 29. 24 BGHZ 161, 49, 53; BGHZ 144, 349, 354; BGHZ 61, 49, 53; OLG München, ZIP 2006, 2122, 2124. 25 OLG München, ZIP 2005, 2102; LG Siegen, ZIP 2006, 1459, 1460; Casper in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2003, § 3 Rz. 35, 37; Weber, Recht des Zahlungsverkehrs, 4. Aufl. 2004, S. 184. 26 OLG München, ZIP 2006, 2122. 27 Vgl. Werner in Langenbucher/Gößmann/Werner, Zahlungsverkehr, 2004, § 2 Rz. 138.
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ten. Sie trägt allerdings das Insolvenzrisiko des Gläubigers. Dies ist aber auch nicht unbillig, denn sie hat es in der Hand, durch entsprechende Auswahl und Kontrolle nur solvente und seriöse Kunden am Einzugsermächtigungsverfahren teilhaben zu lassen. Bei regelmäßigem vierteljährlichem Rechnungsabschluss der Bank erlischt die Widerspruchsmöglichkeit des Schuldners durch die Genehmigungsfiktion nach Ziff. 7 Abs. 3 AGB-Banken im Extremfall erst rund 4,5 Monate nach Vornahme der Belastungsbuchung. Es verbleibt daher ein bis zu drei Monate langer zeitlicher Zwischenraum zwischen dem Ablauf der ersten sechs Wochen und dem Eintritt der endgültigen Genehmigungsfiktion. In diesem Zeitraum kann die Schuldnerbank die Lastschrift nicht mehr an die Gläubigerbank nach dem LSA zurückgeben28. Ein Schadensersatzanspruch gegen die Gläubigerbank steht ihr nach Abschnitt I Nr. 5 LSA nur zu, wenn dem Gläubiger keine Einzugsermächtigung erteilt war29. Es verbleibt die theoretische Möglichkeit, dass die Gläubigerbank zugunsten der Schuldnerbank von ihrem unbefristeten Stornorecht Gebrauch macht oder ihren Stornoanspruch an die Schuldnerbank abtritt30. Dazu wird sie jedoch in den seltensten Fällen schon aus Rücksichtnahme auf ihren eigenen Kunden (Gläubiger) bereit sein. Eine Verpflichtung zur Abtretung ihres Stornoanspruches aus der Inkassovereinbarung an die Schuldnerbank ergibt sich weder aus dem Lastschriftabkommen noch aus einem anderen nachvollziehbaren Rechtsgrund31. Nur ausnahmsweise hat die redliche Schuldnerbank einen Schadensersatzanspruch gegen den widersprechenden Schuldner, den sie seinem Anspruch auf Kontogutschrift entgegenhalten kann. Aus dem Kontokorrentvertrag erwächst für den Schuldner nämlich auch die Mitwirkungs- und Sorgfaltspflicht gegenüber seiner Bank, insbesondere gemäß Ziff. 11 Abs. 4 ABG-Banken, Kontoauszüge unverzüglich auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Wenn der Kunde dies unterlässt und erst nach Ablauf der 6-Wochen-Frist des LSA widerspricht, kann dem Widerspruch ein Schadensersatzanspruch der Schuldnerbank entgegengehalten werden32. Dennoch droht die Schuldnerbank im Regelfall auf der Belastungsbuchung sitzen zu bleiben. Diese Situation veranlasst geradezu zum Missbrauch bzw. zur Manipulation. Im Verhältnis zum Gläubiger darf der Schuldner eigentlich nur widersprechen, wenn er keine Einzugsermächtigung erteilt hat, oder wenn ihm im Zeitpunkt der Belastungsbuchung ein Leistungsverweigerungs-, ein Zurückbehaltungs- oder ein Aufrechnungsrecht zusteht33. Im Verhältnis zu seiner Bank besteht seine Widerspruchsmöglichkeit jedoch bis zur (fiktiven) Genehmigung unbeschränkt fort. Der Schuldner könnte seine Widerspruchs-
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Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Aufl. 2003, § 8 Rz. 88. Vgl. Kuder, ZInSO 2004, 1356, 1359. Vgl. van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 12), § 58 Rz. 141. A. A. Jungmann, NZI 2005, 88; Böhm, BKR 2005, 369 (ohne Begründung). LG München, WM 2004, 926. BGHZ 74, 300, 305; OLG Hamm, ZIP 2004, 814.
„Widersprüche“ in Einzugsermächtigungsverfahren und Bereicherungsausgleich
möglichkeit daher theoretisch nutzen, um seine Bank oder einen anderen Gläubiger zu Lasten des Lastschriftgläubigers zu begünstigen, in dem er das Risiko der Schuldnerinsolvenz auf diesen abwälzt. Zum Teil kann innerhalb der ersten sechs Wochen sogar die Initiative von der Schuldnerbank kommen, den Schuldner zu einem im Verhältnis zum Gläubiger unberechtigten Widerspruch zu verleiten. Motiv dafür kann z. B. sein, eine durch die Belastungsbuchung vorgenommene Kreditgewährung an den Schuldner wieder zu Lasten der Gläubigerbank und damit des Gläubigers rückgängig machen zu können. In derartigen Fällen wird ein Widerspruch ohne anerkennenswerte Gründe allgemein jedoch als sittenwidriger Missbrauch angesehen und dem Gläubiger gegen den Schuldner und ggf. auch gegen die Schuldnerbank ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB und aus § 280 Abs. 1 BGB zuerkannt34.
II. Widerspruchsmöglichkeit im Insolvenzverfahren des Schuldners 1. Die vorstehend skizzierten Rechtsverhältnisse bei Widerspruch des Schuldners im Einzugsermächtigungsverfahren machen deutlich, dass ein wohl austariertes System vorliegt, bei dem die Vorteile der massenhaften und effizienten Abwicklung ohne Prüfungspflicht der beteiligten Banken mit den Interessen der Beteiligten in Einklang zu bringen sind. Dieses zumindest einigermaßen stabile Gleichgewicht hat sich mit der bereits zitierten Entscheidung des BGH vom 4.11.2004 geändert35, wonach nicht nur der endgültige Insolvenzverwalter, sondern auch schon der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 22 Abs. 2 Satz 2 InsO) bis zum Eintritt der Genehmigung (Genehmigungsfiktion) der Belastungsbuchung frei widersprechen könne, auch wenn es im Verhältnis zum Gläubiger keine anerkennenswerten Gründe gibt. Wenn also der Schuldner bei einem Widerspruch noch einen Tag vor Insolvenzantragstellung sich wegen Missbrauch der Widerspruchsmöglichkeit schadensersatzpflichtig gemacht hätte, so soll dies einen Tag nach dem Insolvenzantrag nicht mehr gelten. Auch die Schuldnerbank, die den vorläufigen Insolvenzverwalter zum unberechtigten Widerspruch anstiftet, würde nicht mehr gegenüber dem Gläubiger auf Schadensersatz haften, weil es schon an einer rechtswidrigen „Haupttat“ fehlt36. Mit dieser Ansicht widerspricht der BGH der bislang h. M.37, so dass es nicht verwundert, wenn die Entscheidung
__________ 34 BGHZ 101, 153, 159; BGH, WM 2001, 1458, 1460; van Gelder in Schimansky/Bunte/ Lwowski (Fn. 12), § 58 Rz. 94 ff.; Hadding/Häuser in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2001, Zahlungsverkehr, Rz. C 53 ff. 35 Vgl. Fn. 4. 36 Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1885, 1887. 37 Z. B.: OLG Hamm, ZIP 2004, 814; LG Erfurt, WM 2003, 1857; H. P. Westermann in FS Hübner, 1984, S. 697, 704 ff.; Baumbach/Hopt (Fn. 14), BankGesch Rz. D 8; Bork in FS Gerhardt, 2004, S. 69; Canaris, WM 1980, 354, 363; ders. (Fn. 19), Rz. 666; Obermüller, ZInsO 1998, 252, 258; van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 12), § 59 Rz. 11.
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neben der zu erwartenden Zustimmung aus Kreisen der Insolvenzverwaltergruppe38 auf teilweise energische Ablehnung im Schrifttum gestoßen ist39. 2. Die Kritik entzündet sich vor allem an den praktischen Folgen des BGHUrteils: Zumindest innerhalb des vorerwähnten Zeitraums von 4,5 Monaten bis zum Eintritt der (fiktiven) Genehmigung gemäß Ziff. 7 Abs. 3 AGB-Banken kann sogar schon der vorläufige Insolvenzverwalter praktisch pauschal allen in diesen Zeitraum fallenden Belastungsbuchungen aufgrund von Einzugsermächtigungen widersprechen. Dies dürfte sogar die Regel sein40. In Konsequenz dieser Rechtsprechung hat das LG München in einem unveröffentlichten Urteil sogar schon die Auffassung vertreten, dem Insolvenzverwalter könne die Genehmigungsfiktion nach Ziff. 7 Abs. 3 AGB-Banken nicht entgegen gehalten werden41. Wenn diese Rechtsprechung Bestand hätte, dann könnte der Insolvenzverwalter praktisch unbefristet den Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren widersprechen und Lastschriftgläubiger, die ihre berechtigten Forderungen schon seit mehreren Monaten als bezahlt angesehen haben, würden sich überraschenden Rückzahlungsansprüchen ausgesetzt sehen. Dabei können sie auch nicht auf eine „Abfederung“ durch die 6-wöchige Beschränkung des bankinternen Rückgriffs nach dem Lastschriftabkommen vertrauen. In allerdings offensichtlich unbeabsichtigter Hilfestellung zum vorzitierten Urteil des IX. Senats hat der XI. Senat des BGH, dessen Vorsitzender selbst das vorzitierte Urteil des IX. Senat in aller Deutlichkeit ablehnt42, in seinem Urteil vom 11.4.200643 entschieden, dass die Schuldnerbank nach Widerspruch des Schuldners (Insolvenzverwalters) im Wege der Nichtleistungskondiktion beim Gläubiger Rückgriff nehmen kann, ohne dass es darauf ankommt, ob der Gläubiger eine berechtigte Forderung gegen den Schuldner hat und davon ausgehend durfte und musste, dass aufgrund wirksam erteilter Einzugsermächtigung eine Leistung des Schuldners an ihn vorliegt. Der Gläubiger könne der Schuldnerbank auch seine Ansprüche gegen den Schuldner nicht entgegen halten. In der Konsequenz dieser beiden Urteile würde der Lastschriftgläubiger daher über einen möglicherweise unbegrenzten Zeitraum – jedenfalls wenn die Rechtsprechung des LG München Bestand hätte –, zumindest aber bis zur Genehmigungsfiktion nach rund 4,5 Monaten, mit dem Insolvenzrisiko seines Schuldners belastet werden.
__________ 38 Z. B. Feuerborn, ZIP 2005, 604; Ringstmeier/Homann, NZI 2005, 492; Dahl, NZI 2005, 102. 39 Jungmann, NZI 2005, 84, 86; Bork, ZIP 2004, 2446; Hadding, WM 2005, 1549, 1555; Böhm, BKR 2005, 366; Peschke, ZInsO 2006, 470; Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1885 ff. m. w. N.; Meder, NJW 2005, 637. 40 Hey, BKR 2006, 387; warnend: Bork, ZIP 2004, 2447. 41 LG München v. 26.1.2006 – 22 O 14187/05, unveröffentlicht; zu Recht ablehnend: Burghardt, WM 2006, 1893. 42 Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1892. 43 S. Fn. 9.
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Diese Konsequenzen werden von den Kritikern der beiden vorzitierten BGHUrteile zu Recht als „lebensfremd“ und als Gefahr für das reibungslose Funktionieren des an sich bewährten Einzugsermächtigungsverfahrens angesehen44. Es werden bereits Überlegungen laut, ob die Banken nicht die gestiegenen Risiken (z. B. für die Schuldnerbank das Insolvenzrisiko des Gläubigers) bilanziell erfassen müssen oder ob nicht die Zeitspanne bis zur Genehmigungsfiktion nach Ziff. 7 Abs. 3 AGB-Banken drastisch verkürzt werden müsse45; zum Teil werden die Hoffnungen auf eine Korrektur durch die Vereinheitlichung der Lastschriftregeln im Rahmen der zu schaffenden europäischen Lastschrift („SEPA-Lastschrift“) gestützt46. In rechtlicher Hinsicht halten die Kritiker dem Urteil des BGH vom 4.11.2004 entgegen, bislang habe es einem „common sense“ entsprochen, dass der Insolvenzverwalter in die Rechtsposition des Schuldners eintritt47. Es sei daher nicht gerechtfertigt, dass sich zwar der Schuldner aufgrund eines unberechtigten Widerspruchs schadensersatzpflichtig mache, nicht aber der Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 60 Abs. 1 InsO48. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass der Widerspruch gegenüber der erfolgten Belastungsbuchung keine Verfügung im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO darstelle49, so dass ein weitergehendes Widerspruchsrecht mit einer Einschränkung der Verfügungsbefugnis jedenfalls nicht gerechtfertigt werden könne. Die zentrale Begründung des BGH-Urteils vom 4.11.2004 besteht denn auch in der Aussage, dass der Anspruch des Gläubigers bis zur Genehmigung der Belastungsbuchung durch den Schuldner nicht erfüllt sei. Der Insolvenzverwalter könne daher sein Wahlrecht nach § 103 InsO wahrnehmen und sich gegenüber dem Gläubiger trotz Fälligkeit einer berechtigten Forderung nicht schadensersatzpflichtig machen, wenn er durch den Widerspruch die endgültige Genehmigung der Belastungsbuchung verweigere. Im Ergebnis sei der Insolvenzverwalter praktisch zum Widerspruch veranlasst, um nicht die insolvenzzweckwidrige Erfüllung einer ungesicherten Insolvenzforderung zu bewirken50. 3. Diese Ansicht scheint sich auf den ersten Blick auf die Anwendung der von der ganz h. M. befürworteten Genehmigungstheorie stützen zu können, so dass sich Kritiker der Entscheidung teilweise auch veranlasst sahen, nun doch wieder von der Genehmigungstheorie zugunsten der Ermächtigungs- bzw. Vollmachtstheorie abzurücken51. Dies ist jedoch im Ergebnis gar nicht nötig, wenn die Aussagen der Genehmigungstheorie, die sich auf das Deckungsverhältnis zwischen Schuldner und Schuldnerbank beschränken, korrekt und lediglich ihrer beabsichtigten Reich-
__________ 44 45 46 47 48 49 50 51
Vgl. Fn 3. Bork, ZIP 2004, 2448; Jungmann, NZI 2005, 89. Burghardt, WM 2006, 1895; Hey, BKR 2006, 388. Vgl. Jungmann, WuB I D 2 – 1.05. Vgl. Fn. 35. Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1887; Bork, ZIP 2004, 2447. Vgl. BGHZ 161, 49, 54 f. Vgl. z. B. Burghardt, WM 2006, 1895.
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weite nach angewendet werden. Die Genehmigungstheorie trifft nämlich nur die Aussage, dass der Schuldner dem Gläubiger im Zusammenhang mit der Erteilung der Einzugsermächtigung keine Dispositionsbefugnis über sein Konto eingeräumt hat, so dass die Belastungsbuchung der Schuldnerbank und damit deren Aufwendungsersatzanspruch gegen ihn seiner Genehmigung bedarf. Die Erklärungsfunktion der Genehmigungstheorie beschränkt sich damit auf das Deckungsverhältnis, was ebenso für die Vollmachts- bzw. Ermächtigungstheorie gilt52. Die Frage der Erfüllung bestimmt sich aber nach dem davon strikt zu trennenden Valutaverhältnis, so dass die Berufung auf die Genehmigungstheorie oder deren gewünschte Aufrechterhaltung noch kein Argument dafür sein kann, dass die Erfüllung im Valutaverhältnis Schuldner-Gläubiger angeblich erst mit Genehmigung (bzw. Genehmigungsfiktion) eintreten soll53. Die Auffassung, zwischen Schuldner und Gläubiger sei im Zusammenhang mit der Erteilung der Einzugsermächtigung vereinbart worden, die Erfüllung der Forderung aus dem Valutaverhältnis sei bis zur Genehmigung der Belastungsbuchung durch den Schuldner aufgeschoben, ist zum einen eine bloße Fiktion und zum anderen lebensfremd54. Kein Gläubiger würde sich darauf einlassen, über Monate hinweg die Erfüllung seiner Forderung in der Schwebe zu lassen, zumal er auch gar nicht erfahren würde, ob und wann die in der Regel ohnehin nur fiktiv oder konkludent erteilte Genehmigung erfolgen wird55. Ob die Erfüllung eingetreten ist, bestimmt sich bei unverkrampfter Beurteilung des Valutaverhältnisses danach, was beide Parteien als Leistungserfolg vereinbart haben: Ziel der Zahlungsabwicklung über den Lastschrifteinzug im Einzugsermächtigungsverfahren ist der vorbehaltlose Eingang des geschuldeten Betrags auf dem Konto des Gläubigers zu dessen freier Verfügung. Hierzu kann der Gläubiger verlangen, dass der Schuldner bei Fälligkeit der Gläubigerforderung auf seinem Girokonto ausreichende Deckung oder eine offene Kreditlinie bereit hält und der Belastungsbuchung bei Einrede- und Einwendungsfreiheit der zu bezahlenden Forderung nicht widerspricht. Nach der Belastungsbuchung wird daher vom Schuldner nur noch ein Unterlassen geschuldet56. Wie bereits ausgeführt, wird die Gutschriftbuchung der Gläubigerbank für den Gläubiger aber bereits nach Ablauf von maximal zwei Bankarbeitstagen vorbehaltlos (vgl. oben Ziffer I. 3), so dass der Gläubiger ab diesem Zeitpunkt unbeeinträchtigt über den Gutschriftsbetrag verfügen kann und er daher alles erlangt hat, was er nach den Vorstellungen der Parteien erhalten sollte. Der Leistungserfolg und damit auch die Erfüllung im Sinne von § 362 BGB sind also bereits mit Einlösung der Lastschrift durch die Schuldnerbank
__________ 52 Hadding/Häuser in MünchKomm.HGB (Fn. 34), Rz. C 122 m. w. N.; Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1889. 53 Vgl. Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1889. 54 Vgl. Bork, ZIP 2004, 2447. 55 Vgl. Meder, NJW 2005, 638. 56 Vgl. Peschke, ZInsO 2006, 472.
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eingetreten57, jedes andere Ergebnis würde sowohl den Parteien des Einzugsermächtigungsverfahrens als auch einem Außenstehenden kaum zu vermitteln sein58. Der Annahme der Erfüllungswirkung bereits zu diesem Zeitpunkt kann auch nicht entgegen gehalten werden, der Gläubiger habe noch keine irreversible Rechtsposition erhalten, weil und solange der Schuldner der Belastungsbuchung noch widersprechen könne. Den Kritikern59 ist insoweit Recht zu geben, als eine auflösend (oder aufschiebend) bedingte Erfüllung als Widersprüchlichkeit nicht anerkannt werden sollte. Diese liegt aber auch nicht vor. Weder ist die Gutschriftsbuchung der Gläubigerbank unter der auflösenden oder aufschiebenden Bedingung eines Schuldnerwiderspruchs oder der Schuldnergenehmigung vorgenommen worden, noch haben Schuldner und Gläubiger die Erfüllungswirkung vereinbarungsgemäß unter derartige Bedingungen gestellt. Eine gegenteilige Annahme wäre eine reine Fiktion und würde den jeweiligen Parteiwillen der Beteiligten verkennen60. Der für die Erfüllung einer Geldschuld geschuldete Leistungserfolg tritt ein, wenn der Gläubiger den Geldbetrag, der ihm zusteht, endgültig zur freien Verfügung erhält61. Dies ist für den Gläubiger mit Einlösung der Lastschrift und damit vorbehaltloser Gutschrift auf seinem Konto der Fall. Der Gläubiger hat damit eine Rechtsposition erreicht, die anderen Formen bargeldloser Zahlung durchaus vergleichbar ist62. Auswirkungen im Deckungsverhältnis, wie der Widerspruch des Schuldners, haben auf diese Erfüllungswirkung ebenso wenig Einfluss wie andere Fehler im Deckungsverhältnis, z. B. eine Anfechtung63. Die Behauptung, die Erfüllung sei nicht gegeben, solange nicht die Rechtsposition des Gläubigers irreversibel sei, ist damit letztlich ein Zirkelschluss64. Wenn der Schuldner widerspricht, bleibt dies auf die Erfüllung der Gläubigerforderung ohne Einfluss. Hatte der Schuldner keine anerkennenswerten Gründe für den Widerspruch und wird der Gläubiger letztlich im Rahmen des 6-wöchigen Rückgriffszeitraums nach den Regeln des Lastschriftabkommens und der Inkassovereinbarung von der Gläubigerbank auf Rückzahlung in Anspruch genommen, so hat er nach § 280 Abs. 1 BGB gegen den Schuldner einen Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe. Ein Rückgriff auf die (erfüllte und damit erloschene) Ausgangsforderung ist nicht nötig, um zu einem interessengerechten Ergebnis zu kommen. 4. Nachdem festgestellt wurde, dass der Insolvenzverwalter sich zur Begründung einer weitergehenden Widerspruchsmöglichkeit jedenfalls nicht auf § 103
__________
57 Ebenso Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1888; Bork in FS Gerhardt (Fn. 37), S. 76; ders., ZIP 2004, 2446; Meder, NJW 2005, 638; Peschke, ZInsO 2006, 471; Werner in Langenbucher/Gößmann/Werner (Fn. 27), § 2 Rz. 66. 58 Jungmann, NZI 2005, 87. 59 Vgl. z. B. Hadding/Häuser in MünchKomm.HGB (Fn. 34), Rz. C 129 m. w. N. 60 Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1889, 1891. 61 BGH, WM 1996, 438, 439; BGH, WM 1999, 11. 62 Vgl. Meder, NJW 2005, 638. 63 Nobbe/Ellenberger, WM 2006, 1891. 64 Bork in FS Gerhardt (Fn. 37), S. 69, 75.
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InsO berufen kann, bleibt zu prüfen, ob die Möglichkeiten der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO Einfluss auf das Widerspruchsrecht haben. Wenn die Widerspruchsmöglichkeit durch Eintritt der (fiktiven) Genehmigung erloschen ist, kann die Genehmigung bei Vorliegen eines insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestandes angefochten werden65. Nichts anderes kann vor Eintritt der Genehmigung gelten, wenn mit der vorstehend vertretenen Auffassung bereits von der Erfüllung der Gläubigerforderung ausgegangen wird. Der maßgebliche insolvenzrechtliche Anknüpfungszeitpunkt muss dann aber auch der Erfüllungszeitpunkt sein, so dass die Anfechtungsfristen nicht erst mit Eintritt der (fiktiven) Genehmigung beginnen, sondern bereits im Zeitpunkt der vorbehaltlosen Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers (§ 140 Abs. 1 InsO). Im Ergebnis gelten für die Anwendung der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln letztlich keine lastschriftspezifischen Besonderheiten. Es verbleibt bei der Erkenntnis, dass es allein die Anfechtungsregeln sind, die dem Insolvenzverwalter die begrenzte Möglichkeit von Rückabwicklungen geben, nicht aber gesteigerte Widerspruchsmöglichkeiten des Einzugsermächtigungsverfahrens.
III. Keine Durchgriffskondiktion der Schuldnerbank 1. Auf der Grundlage dieser Ansicht ist das Risiko des Lastschriftgläubigers, noch nach Monaten wegen späterer Insolvenz seines Schuldners und aufgrund eines sanktionslosen Widerspruchsrechts des Insolvenzverwalters auf Rückzahlung in Anspruch genommen zu werden, erheblich verringert. Es bleibt aber außerhalb der unproblematischen 6-wöchigen Rückgriffsmöglichkeit nach dem Lastschriftabkommen immerhin in der Regel noch ein mindestens rund 3-monatiger Zeitraum, innerhalb dessen sich der Gläubiger nach dem BGH-Urteil vom 11.4.200666 darauf einstellen muss, auch bei einem Schuldnerwiderspruch aus nicht anerkennenswerten Gründen von der Schuldnerbank im Wege der Nichtleistungskondiktion (auch Durchgriffskondiktion genannt) auf Rückzahlung in Anspruch genommen zu werden. Der Gläubiger trägt daher auch nach diesem Urteil zumindest für einen rund 4,5-monatigen Zeitraum das Insolvenzrisiko seines Schuldners, was die praktische Brauchbarkeit des Einzugsermächtigungsverfahrens ungeheuer belastet67. Zur Begründung seiner Ansicht vertritt der BGH die Auffassung, dass allein die Erteilung der Einzugsermächtigung nicht ausreiche, um die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto als Leistung des Schuldners zuzurechnen; diese sei erst mit der Genehmigung der Belastungsbuchung durch den Schuldner gegeben. Widerspreche der Schuldner vorher und komme es daher gar nicht mehr zur Genehmigung, so liege kein vorrangiges Leistungsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger vor und der Schuldnerbank stünde ungehindert die Nichtleistungs-
__________ 65 Vgl. BGH, WM 2003, 524, 525 ff. 66 Vgl. BGHZ 167, 171 ff. 67 Vgl. Burghardt, WM 2006, 1892.
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kondiktion gegen den Gläubiger zu, wobei dieser der Bank nicht entgegen halten könne, dass er einen berechtigten Zahlungsanspruch gegen den Schuldner hat (oder hatte)68. Obwohl diese Entscheidung vom XI. und nicht vom IX. Senat stammt, wird auch hier wieder übersehen, dass die Genehmigungstheorie sich allein auf das Deckungsverhältnis bezieht und daher nicht dazu dienen kann, die Frage eines Leistungsverhältnisses im Valutaverhältnis zu beurteilen. 2. Im Ausgangspunkt richtig prüft der BGH für das Vorliegen einer vorrangigen Leistungsbeziehung, die eine Nichtleistungskondiktion ausschließen würde, ob dem Schuldner die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto zurechenbar ist. Dem liegt der im Bereicherungsrecht inzwischen zu Recht anerkannte Grundsatz zugrunde, dass die „Lehre vom Empfängerhorizont“69, wonach sich das Vorliegen eines Leistungsverhältnisses ausschließlich nach den Vorstellungen des Leistungsempfängers bestimmt, durch die Lehre von der „Zurechenbarkeit“ der Leistung unter zusätzlicher Berücksichtigung subjektiver Momente beim Leistungsempfänger ergänzt wird70. Bei den sog. Anweisungsfällen (z. B. Zahlung durch Überweisung oder Scheck) bedeutet dies, dass dem Schuldner eine Zahlung der angewiesenen Bank als Leistung zuzurechnen ist, wenn die Schuld des Anweisenden bestand und der Schuldner eine Anweisung getätigt hat, mag er sie auch später widerrufen oder angefochten haben. Derartige Mängel im Deckungsverhältnis führen nur zu einem Leistungskondiktionsanspruch der angewiesenen Bank gegen den Schuldner. Die Bank hat wegen des Vorrangs der Leistungsbeziehung hingegen kein Recht zur Nichtleistungskondiktion gegen den Zahlungsempfänger71. Dies ist nur dann anders, wenn eine Anweisung von vornherein fehlt oder unwirksam ist72, da die Zahlung dann nicht zurechenbar durch den Schuldner veranlasst wurde. Die generellen Grundsätze der bereicherungsrechtlichen Abwicklung in Anweisungsfällen sollen nach dem vorzitierten Urteil des BGH vom 11.4.2006 auch beim Einzugsermächtigungsverfahren gelten, wenngleich sich jede schematische Betrachtung verbiete. Das Einzugsermächtigungsverfahren bietet nun die Besonderheit, dass bei der Beurteilung der Zurechenbarkeit der Leistung sowohl auf die Erteilung der Einzugsermächtigung als auch auf die (fiktive) Genehmigung abgestellt werden kann. Offenbar in der Vorstellung, dass die Genehmigungstheorie strikt befolgt werden müsse, kam für den BGH nur ein Abstellen auf die Genehmigung in Frage. Es erschien ihm wohl theoriegefährdend zu sein, sich näher mit der Frage zu beschäftigen, ob nicht vielleicht doch auch die Erteilung der Einzugsermächtigung von Bedeutung sein
__________ 68 Zustimmend z. B. Ch. Müller, EWiR § 812 BGB 2/06. 69 Vgl. z. B. BGHZ 61, 289; BGHZ 87, 246; BGHZ 89, 376. 70 Vgl. BGHZ 111, 382; BGHZ 147, 145; BGH, NJW 2004, 1315; H. P. Westermann in Erman (Fn. 1), § 812 BGB Rz. 22. 71 Vgl. nur H. P. Westermann in Erman (Fn. 1), § 812 BGB Rz. 20 m. w. N. 72 Vgl. nur H. P. Westermann in Erman (Fn. 1), § 812 BGB Rz. 21 m. w. N.
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könne. Dabei hätte dies mehr als nahe gelegen73. Im Prinzip können hier die gleichen Erwägungen gelten wie oben bei der Prüfung der Erfüllungswirkung. Der Lastschriftgläubiger, der vom Schuldner eine Einzugsermächtigung erhalten hat und dem eine berechtigte Forderung gegen den Schuldner zusteht, wird die vorbehaltlose Gutschrift auf seinem Konto nach Einlösung der Lastschrift durch die Schuldnerbank und damit die Erfüllung seiner Forderung mit absoluter Sicherheit dem Schuldner zuordnen. Der Schuldner wird ebenso sicher die Erfüllung beim Gläubiger als seine Leistung aufgrund der erteilten Einzugsermächtigung wollen. Alles andere wäre praktisch im Zeitpunkt der Erteilung der Einzugsermächtigung gleichsam ein geheimer (und damit unwirksamer) Vorbehalt des Schuldners. Der Gläubiger würde sich niemals darauf einlassen, die Frage nach dem Zeitpunkt der Leistung des Schuldners und damit nach dem Vorliegen einer Leistungsbeziehung im Verhältnis zu diesem von dem zeitlich unsicheren Eintritt der zumeist nur konkludenten oder fiktiven Genehmigung abhängig zu machen. Im Übrigen ist es durchaus anerkannt, dass es Fälle gibt, in denen auch eine Zahlung ohne wirksame Anweisung, aber aufgrund eines vom Schuldner gesetzten Rechtsscheins zur Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners führt74. Es kommt nicht darauf an, ob im Deckungsverhältnis eine wirksame Anweisung vorliegt, d. h. im Einzugsermächtigungsverfahren eine Genehmigung erteilt ist. Entscheidend ist, ob der Schuldner einen zurechenbaren Rechtsschein eigener Leistung gesetzt hat. Dies kann nicht mehr geleugnet werden, wenn man richtigerweise bereits die Erfüllung mit (vorbehaltloser) Gutschrift auf dem Gläubigerkonto bei wirksam erteilter Einzugsermächtigung annimmt. In diesem Fall hat der Schuldner etwas durch die Leistung der Schuldnerbank erlangt, nämlich die Befreiung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger. Im Falle seines Widerspruchs kann die Schuldnerbank diese Bereicherung bei ihm kondizieren bzw. seinem Anspruch auf Rückgängigmachung der Belastungsbuchung entgegen halten. Dieses Recht tritt jedenfalls während der sechswöchigen Frist nach Abschnitt III Nr. 2 LSA neben die Rückbelastungsmöglichkeit der Schuldnerbank gegenüber der Gläubigerbank. Macht die Schuldnerbank von ihrem Rückbelastungsrecht Gebrauch und belastet die Gläubigerbank sodann den Betrag wieder dem Konto des Gläubigers, führt dies keinesfalls zu einem rückwirkenden Entfall der Erfüllungswirkung der ursprünglichen Gutschrift im Valutaverhältnis. Vielmehr entsteht dem Gläubiger bei unberechtigtem Widerspruch durch den Schuldner ein Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung der Einzugsermächtigungsvereinbarung. Aufgrund des regelmäßig anzunehmenden Informationsdefizits der Schuldnerbank hinsichtlich der Berechtigung des Schuldners zum Widerspruch wird es allerdings wohl nur in den Fällen praktische Bedeutung erlangen, in denen der Widerspruch nach Ablauf der Sechs-WochenFrist erfolgt.
__________ 73 Vgl. auch Hey, BKR 2006, 387 f. 74 Vgl. Lieb in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 547, 554.
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Der Gläubiger hingegen hat die Erfüllung durch Leistung des Schuldners erhalten; der Schuldnerbank steht wegen der Vorrangigkeit des Leistungsverhältnisses gegen ihn kein Anspruch aus Nichtleistungskondiktion zu75. Dieses Ergebnis entspricht auch der h. M. in Rechtsprechung und Schrifttum vor dem BGH-Urteil vom 11.4.2006. Bei Vorliegen einer Einzugsermächtigung und berechtigter Forderung des Gläubigers wurde die Abbuchung vom Schuldnerkonto und die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto als Leistung des Schuldners an den Gläubiger gesehen, so dass der Schuldnerbank kein unmittelbarer Bereicherungsanspruch gegen den Gläubiger zugebilligt wurde76. Im Ergebnis besteht daher dieselbe Rechtslage, wie bei einem rechtzeitig erteilten Widerspruch einer Überweisung, der von der Schuldnerbank versehentlich übersehen wurde oder wie bei einer nachträglichen Schecksperre, von der der Gläubiger bei Einreichung des Schecks noch nichts wusste77. Der dogmatische Gleichlauf der bereicherungsrechtlichen Beurteilung im Einzugsermächtigungsverfahren und den Anweisungsfällen ist daher gerade bei Anwendung der hier vertretenen Ansicht gewahrt und nicht erst speziell durch die Grundsätze der vorstehend zitierten BGH-Entscheidung. Der einzige Unterschied liegt eben darin, dass für die Frage nach der Zurechenbarkeit des Leistungserfolges nicht erst auf die Genehmigung abgestellt wird, die nur für das Deckungsverhältnis maßgeblich ist, sondern bereits auf die Erteilung der Einzugsermächtigung im Valutaverhältnis. Mit der hier vertretenen Ansicht wird der Widerspruch vermieden, eine Erfüllung durch Gutschrift auf dem Gläubigerkonto anzunehmen, aber diese Erfüllung nicht als Leistung des Schuldners zu qualifizieren. Nur um Missverständnisse zu vermeiden sei betont, dass dabei die Genehmigungstheorie keinesfalls aufgegeben werden muss oder soll. Sie wird lediglich auf ihren beabsichtigten Anwendungsbereich – die Erklärung des Deckungsverhältnisses – beschränkt. Da der Vorsitzende des XI. Senats, von dem das Bereicherungsurteil vom 11.4.2006 stammt, zu den entschiedenen Befürwortern der hier vertretenen Erfüllungswirkung im Einzugsermächtigungsverfahren gehört, bleibt mit Spannung abzuwarten, ob der XI. Senat demnächst den konsequenten Schritt vollzieht und sein Urteil vom 11.4.2006 korrigiert.
IV. Zusammenfassung Die dogmatische und praktische Verunsicherung im Einzugsermächtigungsverfahren, die durch die BGH-Urteile vom 4.11.2004 und 11.4.2006 eingetreten ist, lässt sich im Rahmen dogmatisch anerkannter Denkfiguren auflösen. Es
__________ 75 Vgl. Langenbucher in FS Heldrich, 2005, S. 285, 290. 76 Vgl. LG Bonn, ZIP 2004, 2183, 2185; H. P. Westermann in Erman (Fn. 1), § 812 BGB Rz. 24; Baumbach/Hopt (Fn. 14), BankGesch Rz. D 20; van Gelder in Schimansky/ Bunte/Lwowski (Fn. 12), § 58 Rz. 193; Schwintowski/Schäfer (Fn. 28), § 8 Rz. 97; M. Schmidt in Barleon/Beyer u. a., Kontoführung & Zahlungsverkehr, 2. Aufl. 2005, S. 418. 77 Vgl. BGH, NJW 1990, 3194.
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bedarf keiner Änderung der AGB-Banken und auch keiner gesetzgeberischen oder sonstigen Eingriffe, um die bewährte Abwicklung des Einzugsermächtigungsverfahrens im Ergebnis aufrechterhalten zu können. Weder der vorläufige noch der endgültige Insolvenzverwalter haben weitergehende Widerspruchsmöglichkeiten als der Schuldner. Auch der Insolvenzverwalter macht sich bei einem Widerspruch ohne anerkennenswerte Gründe gegenüber dem Gläubiger und/oder der Schuldnerbank schadensersatzpflichtig. Anfechtungsmöglichkeiten nach den §§ 129 ff. InsO bleiben unberührt und unterliegen keinen lastschriftspezifischen Einschränkungen oder Erweiterungen. Die Schuldnerbank hat gegen den Gläubiger, dem eine Einzugsermächtigung erteilt worden ist, und der eine berechtigte Forderung gegen den Schuldner hatte, auch dann keinen Nichtleistungskondiktionsanpruch, wenn der Schuldner zwischenzeitlich der Abbuchung im Einzugsermächtigungsverfahren widersprochen hat. Die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto durch die Gläubigerbank ist dem Schuldner dann als Leistung an den Gläubiger zuzurechnen, wenn dem eine wirksame Einzugsermächtigung und eine durchsetzbare Forderung zugrunde lag. Im Falle eines Schuldnerwiderspruchs trotz Bestehens einer fälligen Forderung im Valutaverhältnis kann die Schuldnerbank dem Anspruch des Schuldners auf Rückgängigmachung der Belastungsbuchung mangels erteilter Genehmigung einen Bereicherungsanspruch wegen eigener Leistung an den Schuldner entgegen halten. Denn der Schuldner hat durch die Leistung der Bank Befreiung von seiner Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger erlangt. Außerdem hat die Schuldnerbank unter Umständen gegen den Schuldner Schadenersatzansprüche wegen verzögertem Widerspruch. Sollte der Gläubiger im Rahmen der Rückgriffsregelung nach dem Lastschriftabkommen letztlich von seiner Bank auf Rückzahlung in Anspruch genommen werden, hat er gegen den Schuldner einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Einzugsermächtigungsvereinbarung. In diesem Fall hat die Schuldnerbank gegen den Schuldner keinen Bereicherungsanspruch, denn dieser ist nicht (mehr) bereichert. Er hat zwar durch Leistung der Schuldnerbank Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt, aber er ist nunmehr dem Schadensersatzanspruch des Gläubigers ausgesetzt. Die Schuldnerbank benötigt den Bereicherungsanspruch gegen den Schuldner in diesem Fall auch nicht, denn sie hat ihre Belastungsbuchung durch den Rückgriff im Rahmen des Lastschriftabkommens glattgestellt.
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Klaus Adomeit
Der Nicht-Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages und seine Rechtswidrigkeit als Diskriminierung nach dem AGG Inhaltsübersicht I. Vertrauens- und Misstrauensprinzip II. Die RL 76/207: Vertragsgleichheit gegen Vertragsfreiheit 1. Missverständnisse über den Zugang zur Beschäftigung 2. Fehlende Rechtsbeziehungen unter Bewerbern 3. Ausblenden von Motiven
III. Das „verbotene“ Verhalten beim Nicht-Abschluss des Vertrages IV. Aus der Vielfalt von Motiven zum Nicht-Abschluss V. Konsequenzen
„Verträge gibt es überall da, wo Privatautonomie besteht. … Sie ist das dem Menschenbild und dem Freiheitsprinzip des Grundgesetzes angepasste Mittel der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch die Person.“ H. P. Westermann, Grundbegriffe des BGB, 16. Aufl. 2004, S. 57
I. Vertrauens- und Misstrauensprinzip Wer sich auf eine Zeitungsanzeige hin z. B. für eine Mietwohnung oder eine Arbeitsstelle als Interessent meldete, dann nach einigem Zeitablauf – mit oder ohne Kontaktaufnahme, evtl. Verhandlungen – die Mitteilung erhielt oder sonst erfuhr, der Vertrag werde (oder sei schon) mit jemand anderem geschlossen, hatte – so unser begrenztes juristisches Verständnis noch in unserer ersten Professorenzeit! – keinen Rechtsnachteil erlitten, sondern nur Pech gehabt. Ein Rechtsfall war das nicht oder noch nicht, in Ermangelung besonderer hinzutretender Umstände. Das Geschehene hatte sich vorjuristisch im rechtsfreien Raum abgespielt. 2000 Jahre Zivilrechtsgeschichte, acht Jahrzehnte Geschichte des BGB (1980: Einführung von § 611a) hatten keinen Anlass gesehen, das frustrierte Interesse eines solchen Bewerbers auch nur ansatzweise als Rechtsproblem zu sehen. Hier waltete Vertragsfreiheit, Privatautonomie, Abschlussfreiheit, Freiheit in der Wahl des Vertragspartners. Das war eben die (zweiseitige, aber letzten Endes einseitige) ja/nein-Entscheidung über den Abschluss des Vertrages nach § 145 BGB, unerbittlich wie bei der Ziehung der Lottozahlen das Greifen oder Fallenlassen einer Kugel durch die Maschine. 19
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Zum Trost konnte allenfalls ein Goethe-Spruch verhelfen: „Gut verloren [bzw. nicht gewonnen]: wenig verloren, musst schnell dich besinnen und neues gewinnen!“ (Ein robustes Nervenkostüm wird vom Dichter leider nicht mitgeliefert!) Also muss der Abgewiesene sich in neue Bewerbungsverfahren begeben, vielleicht einmal doch mit Erfolg. Das Bestehen eines Marktes (Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt) ist unausgesprochene Voraussetzung für neue Möglichkeiten und Chancen. Bei Nebenpflichten war schon nach altem Recht seit 1861 durch den Unruhestifter Rudolf von Ihering die ja/nein-Dissoziation beim Vertragsschluss durch das Zwischenstadium „in contrahendo“ abgelöst worden1. Dies war bei nachträglicher unbefangener Sicht weniger eine „juristische Entdeckung“2 als das geniale Aufspüren sich langsam anbahnender rechtspolitischer Tendenzen, die erst jetzt im 21. Jahrhundert voll durchschlagen. In meiner kleinen Rechtstheorie von 1979 (S. 14) hatte ich über Iherings Erfindung/Entdeckung gesagt: „Wenn es damals einen Widerpart gegeben hätte, mit gleichem Temperament und ähnlichen literarischen Einflussmöglichkeiten, der rechtzeitig darauf hinweisen konnte, wie sehr dieser Gedanke nicht nur systemwidrig, sondern wertungsmäßig zweifelhaft war (ob ich einen Vertrag schließe, ist meine Sache – Vertragsverhandlungen kann mir ein anderer leicht aufzwingen3; von einem durch Irrtum oder Täuschung herbeigeführten Vertrag kann ich mich später rückwirkend befreien, durch Anfechtung – nicht aber von einem Kontrahierungsverhältnis), so wäre die neue Lehre wohl nach einigem Disput in der Versenkung verschwunden.“
Die „culpa in contrahendo“-Idee hat Canaris4 später als Vertrauenshaftung verstanden und in das zivilrechtliche Haftungssystem eingeordnet, jedoch zu einem Zeitpunkt, als das Antidiskriminierungsrecht sich schon auf den genau entgegengesetzten Ausgangspunkt festlegte: ein Misstrauen, zu dem der Bewerber geradezu ermuntert wird, ob etwa die Ablehnung ihn/sie in der menschlichen Würde beeinträchtigen könne. Haftungsgrund war sozusagen ein als gerechtfertigt bestätigtes Misstrauen. Es ist aber ein fundamentaler Unterschied, ob der Interessent in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden soll oder einen Ausgleich für das Zerschlagen aller Hoffnungen auf Abschluss dieses Vertrages begehrt5. Die Entscheidung gegen ihn kann keine „positive“ Vertragsverletzung sein. Das AGG (wie der Vorgänger § 611a BGB) bringt eine neuartige Pflicht in das Vertragsrecht hinein und sanktioniert ein Verhalten, das nach Tatbestand und Rechtswidrigkeit schwer identifizierbar ist.
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Jahrbücher Bd. IV, 1861, S. 1–111. Dölle in Verhandlungen des 42. Dt. Juristentags, 1957, Bd. II. Problem der Bewerbung aus eigener Initiative, wohl kein Fall des § 6 AGG. Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971 und JZ 1965, 475. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999. Dies zeigt sich auch bei Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 177: „In Wahrheit ist die c.i.c. nichts anderes als die positive Forderungsverletzung im Schuldverhältnis aus Vertragsanbahnung.“ Vgl. auch Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 288 ff.
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Mit Gleichbehandlung oder gerechter Verteilung soll diese Haftung zu tun haben. Es waren aktuelle Fragen zu den Grenzen des Mutterschutzes, die Canaris zu seinem Vortrag von 1993 über die „iustitia distributiva“ im deutschen Vertragsrecht gedrängt hatten6, also in einer Phase schon unter der Geltung von § 611a BGB und der Rechtsprechung des EuGH. Nach seinem Fazit (S. 119) dürfen mit dem Ziel der „Integration von besonders schutzbedürftigen Personen“ auch Privatrechtssubjekte zur „Verwirklichung distributiver Zwecke“ belastet werden, aber erörtert werden vor allem Zahlungspflichten des Arbeitgebers bei Krankheit und Mutterschaft. Ein gesetzlicher Eingriff in die Verteilung von Arbeitsplätzen, das Verbot der Zurücksetzung eines Bewerbers gegenüber einem anderen, das Manövrieren des Gesetzes knapp vor dem Kontrahierungszwang wurde dem Autor nicht zum Thema, war in ganzer Schärfe offenbar immer noch nicht in das juristische Bewusstsein gedrungen. Die erste Gleichbehandlungs-Richtlinie der EWG von 1976 (76/207 v. 9.2.) hatte eine ausreichende theoretische Vorbereitung vermissen lassen, deshalb ringt unsere Dogmatik bis heute um ungelöste Rätsel. Bei dieser Richtlinie (RL) war rätselhaft: Was heißt Zugang zur Beschäftigung? Woher die Pflicht zur Gleichbehandlung? Pflicht worauf gerichtet?
II. Die RL 76/207: Vertragsgleichheit gegen Vertragsfreiheit 1. Missverständnisse über den Zugang zur Beschäftigung Ein Tätigwerden der Gemeinschaft, so hieß es in der Vorerwägung, erschien notwendig, um „den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung … zu verwirklichen“. „Männer“ waren bestimmt kein geeignetes Schutzobjekt für Egalisierung, sondern eher Vergleichsobjekt für den erstrebten Frauenschutz. Wie früher den Vätern des Grundgesetzes bei Art. 3 Abs. 2 GG erschien dem Richtliniengeber eine gleichgewichtige Schutzzuweisung besser dem Gleichheitsansatz zu entsprechen, ungeachtet der damit hervorgerufenen Auslegungsverwirrungen. Dem Zeitgeist der 70er Jahre gemäß – 1976 war auch das Gründungsjahr von „Emma“! – lag ein Engagement für den weiblichen Teil der Menschheit an. Diesem war aber in den 6 Gründungsstaaten der EWG nirgendwo der Zugang zur Beschäftigung verwehrt oder auch nur, rechtlich gesehen, ernsthaft behindert. Die Beschäftigungsquote für Frauen unter den Erwerbspersonen lag z. B. in (West-)Deutschland 1980 bei 37 %7, bei einer EWG-Gesamtbevölkerung von 182 Mio., der Hälfte davon Erwerbspersonen, werden also gegen 30 Mio. Frauen im Arbeitsleben aktiv gewesen sein, manche Industrien waren ohne Frauenarbeit undenkbar. Versperrter Zugang zur Beschäftigung für Frauen war also ein Gerücht, die Vertragsfreiheit bewies sich täglich als große Pforte. Woran die feministische Bewegung mit gutem Recht Anstoß nahm, war die Verteilung von einfacher, mittlerer und höherer Arbeit mit ungleicher Zuwei-
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6 Publiziert 1997; dazu Adomeit, NJW 1998, 3259. 7 Zöllner, Gutachten zum 52. Dt. Juristentag Wiesbaden, 1978, D 1-115.
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sung von Geld und Ansehen: in den Fabriken (Textil, Fischkonserven) Frauen in großer Zahl, auch noch bei Pflege- und Serviceleistungen, dagegen die Entscheidungspositionen männlich besetzt. Auch wir – Jubilar und Gratulant – hatten noch in den 60er Jahren einen Berufseinstieg fast ohne weibliche Konkurrenz, ohne – Hand aufs Herz! – etwas zu vermissen. Die tapfere Hildegard Krüger hatte gute Gründe für ihre Gardinenpredigt in der Einleitung zum Gleichberechtigungsgesetz (1958). Dieses Gesetz hatte unser Familienrecht den sich wandelnden gesellschaftlichen Vorstellungen angepasst, für eine veränderte Gestaltung der Arbeitswelt war ein effektiver Ansatz dagegen offenbar schwer zu finden. Für die Gesetzgebung der EWG-Staaten ergab sich aus der Richtlinie nicht, welche „mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ man aufheben, sogar „beseitigen“ sollte (Art. 3 Abs. 2a der RL). Den Grundsatz der Vertragsfreiheit doch wohl nicht! Das Verbot der Nachtarbeit, der Arbeit im Bergbau unter Tage, die Sperre vor dem Wehrdienst mit der Waffe ließen sich sachlich begründen, deren Aufhebung passte in kein Schema vielversprechender Emanzipation. Frauenquoten für Hochbesoldete ließen sich im Öffentlichen Dienst einrichten, schwerlich der Privatwirtschaft vorschreiben. Diese Unentschiedenheit zieht sich bis in das AGG hinein. Man will politisch etwas, was man juristisch nicht kann. 2. Fehlende Rechtsbeziehungen unter Bewerbern Der „Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht“8 passt auf Vertragsverhältnisse mit Ansätzen zu kollektivrechtlichen Strukturen, auf Arbeits- und Gesellschaftsverhältnisse, in denen das Nebeneinander von Rechtsbeziehungen schon Elemente des Miteinander9 gewonnen hat und Vergleichung zum Rechtsprinzip werden kann. Insofern entsprach Art. 119 EWGVertrag über Lohngleichheit für Frauen in den Betrieben auch der privatrechtlichen Dogmatik, hatte sich in der Rechtsprechung des BAG auch durchgesetzt10. Anders steht es mit der Bewerbungssituation. Jeder Bewerber steht für sich, muss von anderen Bewerbern gar nichts wissen, soziale Kontakte sind nicht vorgesehen, mit Gleichbehandlung ist nicht zu rechnen, im Gegenteil mit Selektion: einer (eine) wird gewinnen! Die ausgeschriebene Stelle (Mietwohnung) ist nicht teilbar, auch nicht technisch vermehrbar. Es handelt sich sozusagen um ein Stück-Angebot, im Gegensatz zum Gattungs-Angebot der E-Werke für anschlusswillige Stromkunden, daher dort der mögliche Kontrahierungszwang (auch der Aufnahmeanspruch in eine Koalition, vgl. § 18 Abs. 2 AGG). Der Übergang von der betrieblichen Lohngleichheit zur gewünschten Einstellungsgleichheit war keineswegs eine bloße Fortschreibung, sondern ein neuer Sprung ohne Landeplatz. Der Versuch des AGG-Gebers, hier terminolo-
__________ 8 Götz Hueck, 1957. 9 Adomeit, Gesellschaftsrechtliche Elemente im Arbeitsverhältnis, 1986. 10 Im Anschluss an Nipperdey, Gutachten, 1951.
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gisch zu helfen, die Bewerber bereits „Beschäftigte“ zu nennen, den ausschreibenden Unternehmer bereits „Arbeitgeber“ (§ 6 AGG), ist nicht solide und verdeutlicht nur die Schwierigkeit, die behoben werden soll. Ein Gesetz, das die vom Unternehmer getroffene Auswahl zugunsten des einen Kandidaten, notwendig unter Zurücksetzung aller anderen, missbilligt, kann aus logischen Gründen nicht Gleichbehandlung, nur Andersbehandlung fordern, nämlich eine andere Auswahl zu treffen, mit der Konsequenz, die Vertrauens- oder sogar schon Vertragsbeziehung zum positiv ausgewählten Bewerber zu zerstören. Ein solches Ansinnen ginge weit über alles hinaus, was bisher als Kontrahierungszwang diskutiert wurde und müsste die Vertragsinstitution lebensgefährlich schädigen. Durch Ausschluss des Anspruchs auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses (§ 15 Abs. 6 AGG) ist das Problem für das Arbeitsrecht entschärft aber nicht beseitigt, denn es fragt sich, welcher Pflichtverstoß durch § 15 Abs. 1, 2 AGG sanktioniert wird, ebenfalls wann und mit welchem Antrag „Beseitigung der Beeinträchtigung“ im „Zivilrechtsverkehr“ nach § 21 Abs. 1 AGG verlangt werden kann. 3. Ausblenden von Motiven Tragendes Element in den Ziel- und Begriffsbestimmungen des Gesetzes ist die Motivation im Auswahlverfahren, mit „aus Gründen (aus einem Grund)“ oder „wegen“ bezeichnet, verbunden mit einem vor Diskriminierung geschützten personellen Merkmal. Dieses Element gehört also zum subjektiven Tatbestand der Verbotsnorm (§ 7 Abs. 1, § 19 Abs. 1 AGG) – dazu mehr unter III. Das Ideal des Gesetzgebers wäre eine blind getroffene Auswahl ohne jede Kenntnis über Rasse/Herkunft, Geschlecht usf. der Bewerber. Dafür gibt es sogar ein praktisches Beispiel, das dem Jubilar gefallen wird: bei den Berliner Philharmonikern, so wird erzählt, muss ein Aspirant auf den begehrten Platz am Pult den kritischen Kollegen hinter einem Vorhang spielend seine Kunst beweisen. Nur auf solchen Höhen eines reinen Dienstes an der Musik, fern aller Erdenschwere, lässt sich eine über jeden Verdacht erhabene Auswahl denken. Sonst aber wird ein Chef oder die Personalleitung wissen wollen, mit wem man es zu tun hat, einschließlich auch von Umständen, die § 1 AGG gern ignoriert hätte. Ein solcher Umstand wird zwar selten den Ausschlag geben (§ 8 AGG: „entscheidende berufliche Anforderung“), aber kann oft zur Beurteilung beitragen, wie jemand mit der sachlichen Aufgabe, mit den Kollegen, mit Untergebenen und Vorgesetzten klar kommen wird. Die gesetzlich angeordnete Ausblendung der Gründe von § 1 AGG kann aus vielen Gründen praktisch nicht gelingen, deren Berücksichtigung wird nur verdrängt, heimlich vollzogen und weggeschwindelt: kein Fortschritt, für keine der beiden Seiten, kein Zugewinn an Kultur, auch nicht an Moral.
III. Das „verbotene“ Verhalten beim Nicht-Abschluss des Vertrages „Benachteiligung“ heißt das verbotene Verhalten, an das im AGG die Sanktion der Schadensersatzpflicht geknüpft wird (§§ 1, 15, 21 AGG), um Gleich23
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behandlung zu erreichen, und damit erschöpft sich der objektive Tatbestand. Das Haftungssystem unseres bisherigen Schadensersatzrechts weiß damit wenig anzufangen. Ein Schaden – um einen Blick auf den Ausgleichszweck der Sanktion zu werfen! – im klassischen Sinne von § 249 BGB, als Merkmal einer Anspruchsgrundlage, kann jedenfalls nicht gemeint sein: das hätte zur elementaren Voraussetzung eine „Einbuße, die jemand infolge eines bestimmten Ereignisses an seinen Lebensgütern, wie Gesundheit, Ehre, Eigentum oder Vermögen erleidet“11. Ehre oder auch Vermögen können betroffen sein, füllen aber nur einen kleineren Teil des neuen stark vergrößerten Haftungsrahmens aus. Enttäuschungen, die man im Wettbewerb erleidet, führen gerade nicht zu Schadensersatzansprüchen, und das hätte an sich auch für den Wettbewerb um Arbeitsplätze (Mietverträge) zu gelten. Die Benachteiligung wird vom AGG auch nicht als Schädigung, sondern als Ungleichbehandlung verboten und mit Sanktionen ausgerüstet. An die Stelle des „neminem laedere“ ist ein „non discriminare“12 getreten, aber wozu dient ein Auswahlverfahren, wenn nicht dazu, eine richtige Ent- und Unterscheidung zu treffen! Eine (unmittelbare – nur das kommt hier in Frage!) Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, „wenn eine Person … eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person …“. Das ist beim abgewiesenen Bewerber im Verhältnis zum erfolgreichen Bewerber eklatant der Fall, aber als natürliches Ergebnis eines jeden Auswahlverfahrens. Dessen Spielregeln sind jedem Beteiligten bekannt, Nipperdey hätte vielleicht „sozialadäquat“13 gesagt: Ziel einer jeden Auswahl ist die Ungleichbehandlung. Das Gesetz kann unmöglich verlangen, den abgewiesenen Bewerber gleichzustellen (denn es ist nur eine Wohnung bzw. ein Arbeitsplatz zu vergeben!), sondern allenfalls mit ihm statt mit der „anderen Person“ zu kontrahieren. Damit wären wir aber doch bei einem Kontrahierungszwang14, der von § 15 Abs. 6 AGG für das Arbeitsrecht ausgeschlossen wird, der für das Zivilrecht in § 21 Abs. 1 und 2 AGG nicht mehr (entgegen dem Vorentwurf 2001) zu finden ist. Die nicht begünstigte Person wird in der Praxis zumeist eine Mehrheit von Personen mit geschützten Merkmalen sein (evtl. mehrfach geschützt: § 4 AGG!), womit jede Möglichkeit der klaren Zuordnung eines Rechtswidrigkeitsurteils dahinschwindet. Es gibt keine klar umrissene Pflicht des Umworbenen, seine Gunst einem anderen zuzuwenden als dem Bewerber seiner Wahl. Diese Pflicht könnte nur aus dem AGG (mit dem Hintergrund der umgesetzten europäischen Gleichbehandlungs-Richtlinien) folgen. Nach § 3 Abs. 1 AGG liegt es aber so, dass die Freiheit zur personellen Auswahl als Teil der Vertragsfreiheit bestehen bleibt, dass mit der bevorzugten Person kontrahiert werden darf, konsequenterweise die anderen Bewerber abgewiesen („weniger günstig behandelt“) wer-
__________ 11 H. P. Westermann, Grundbegriffe des BGB, 16. Aufl. 2004, S. 86 ff.; Heinrichs in Palandt, 66. Aufl. 2007, Vorbem. § 249 BGB Rz. 7. 12 Adomeit, Diskriminierung – Inflation eines Begriffs, NJW 2002, 1622. 13 Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil Bd. II, 15. Aufl. 1960, § 209 V = S. 1299. 14 Besonders genau analysiert von Elke Herrmann, Die Abschlussfreiheit – ein gefährdetes Prinzip, ZfA 1996, 19 ff.
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den dürfen, nur dann nicht, wenn diese Abweisung „wegen“ eines § 1-Grundes erfolgt (es sind sinnvoll geordnet deren sechs: Rasse/ethnische Herkunft, Geschlecht [eigentlich: Frauen], Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität [Richtlinie: Orientierung]). An dem kleinen Wörtchen „wegen“, womit das Motiv der Auswahl bezeichnet ist, hängt also die ganze Kette der Subsumtionsmerkmale. Eine gewisse Erleichterung bietet, dass dieses tatbestandsmäßige „wegen“ mit der negativen Auswahl, der „weniger günstigen Behandlung“ verbunden ist. Die positive Entscheidung zugunsten des am ehesten wünschenswerten Kandidaten (ein hohes Einkommen beim künftigen Mieter, beste Zeugnisse beim künftigen Mitarbeiter) – mit der Folge der Bedeutungslosigkeit aller übrigen Bewerbungen – braucht sich von § 3 Abs. 1 AGG nichts vorwerfen zu lassen. Es bleibt ein Axiom des Auswahlverfahrens, dass der am besten geeignete Bewerber bevorzugt werden darf15, daran zu rütteln müsste das ganze Personalwesen lahm legen (ein Argument für dieses Axiom: § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG über den Diskriminierten, der dennoch nicht eingestellt worden wäre, z. B. ein als solcher zurückgewiesener Ausländer mit schlechten Zeugnissen). Bevorzugungen, die nicht sachlich begründet waren (Verwandtschaftsbeziehungen, parteipolitische Einflüsse, leider aktuell: Schmiergelder), sind unerfreulich, aber kein Problem das AGG. Der in Anspruch genommene Vermieter/Arbeitgeber kann die erste Verteidigungslinie einnehmen: ich habe überhaupt nicht differenziert, sondern den am besten geeigneten Interessenten genommen. Am ehesten überzeugend wird dies sein bei einem objektivierenden Punkte- oder Test-System, und dazu wird das AGG wohl allerlei Hokuspokus herbeirufen. Auch noch kein Anwendungsfall für dieses Gesetz ist die negative Vor-Auswahl (Aussonderung) völlig ungeeigneter Bewerber, bei denen keinerlei Aussicht oder Gewähr besteht, dass sie die vorausgesehenen Vertragspflichten erfüllen werden. Deutsch zu sprechen und zu verstehen ist auch bei einem Mitarbeiter auf einfacher Stufe unerlässlich, schon aus Sicherheitsgründen, der Migrationshintergrund kompensiert das nicht. Nach einem regelmäßigen Einkommen wird man immer noch den künftigen Mieter fragen, aber was heißt heute schon regelmäßig? Die zweite Verteidigungslinie wird eingenommen, wenn man sagt: ich habe zwar differenziert, aber ich durfte das. Es hat sich eingebürgert, hier von Rechtfertigung zu sprechen – obwohl weder Tatbestand noch Rechtswidrigkeit bis hierher genau feststehen. Der Vermieter (mehr als 50 Einheiten) kann sich auf § 19 Abs. 3 AGG berufen, mit den unklaren Zielen bestimmter „Bewohnerstrukturen“ und ausgeglichener Verhältnisse, die nach Picker16 eher zu Subventionsregeln für den sozialen Wohnungsbau passen. Bei den Schutzmerkmalen Rasse/ethnische Herkunft ist das schon alles an gesetzlicher Konzession, bei den übrigen Merkmalen von „Religion“ bis „sexuelle Identität“
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15 So auch Riesenhuber (Fn. 5). 16 Picker, JZ 2002, 880; vgl. auch dens., JZ 2003, 540; dens., ZfA 2005, 167; auch schon Karlsruher Forum 2004: Haftung wegen Diskriminierung nach derzeitigem und zukünftigem Recht.
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kann ein sachlicher Grund zur Differenzierung vorliegen, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–4 AGG enthält Beispiele. Die Verfechter des Diskriminiertenschutzes wollen für diese Konzession gelobt werden, aber man lebt in einer ganz anderen Welt, wenn man jetzt zu rechtfertigen hat, weshalb man einen Vertrag mit irgend jemanden geschlossen hat. Das Arbeitsrecht verlangt vom Unternehmer mehr, zwar nicht mehr so viel wie der früher 1980–2006 geltende § 611a BGB („unverzichtbar“), aber nach § 8 die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“. Die bisher akzeptierten Fallgruppen, von Opernsängern bis zum koscheren Schlachter17 liegen fern vom Normalbereich des Arbeitslebens, helfen also nicht viel. Religions- und Weltanschauungs-Gemeinschaften haben eigene Zulässigkeitsgründe in § 9 AGG, deren analoge Erstreckung auf andere Tendenzbetriebe naheliegt18. Das Alter ist auch arbeitsrechtlich eine Last, in § 10 AGG musste das Gesetz vielen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Bei § 8 AGG wird es zweckmäßig sein, die „wesentliche“ Anforderung eher objektiv, berufsbezogen zu interpretieren, das Attribut „entscheidend“ subjektiv, unter Hinnahme von Präferenzen des Entscheidenden.
IV. Aus der Vielfalt von Motiven zum Nicht-Abschluss Wer als Bewerber nicht genommen worden war „wegen“ eines § 1-Grundes, der hat als Anspruchsteller die Hürde des § 3 Abs. 1 AGG genommen, eine Benachteiligung liegt an sich vor, kann aber bei Licht betrachtet nicht ausreichen, es muss eine Art böser Wille dazukommen, wenn der schwere Vorwurf eines diskriminierenden Verhaltens nicht nur dahergeredet sein soll. Der Zivilrechtler operiert hier auf ungewohntem Terrain, im schwer fassbaren Bereich von Absichten und Gesinnungen. Es ist nun einmal unsere Art, uns an objektive Tatsachen zu halten, mit einem „moralischen Minimum“ zufrieden zu sein, und „niedrige Beweggründe“ überlassen wir gern dem psychologisch geschulten Blick der Strafrechtskollegen. Wenn man ein simile sucht, dann ist es § 826 BGB. Eine Vorsatztat ist bei einem motivgesteuerten Verhalten immer gegeben, auch wenn Kommentatoren des AGG dies nur zögerlich einräumen19. Ein Verstoß gegen die neu eingeführten guten Sitten muss aber dabeisein, ein Handeln gegen den Tugendkanon der Anti-DiskriminierungsBewegung20. Klar feststellbar liegt eine verbotene Benachteiligung vor, wenn unverhohlene Ausländerfeindlichkeit oder Frauenfeindlichkeit, religiöse Intoleranz (aber wohl nicht gegenüber intoleranten Religiösen!), ein hässliches Zurücksetzen von Behinderten oder Alten, das unzivilisierte Hervortreten
__________ 17 Vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2006, § 8 AGG Rz. 42. 18 Adomeit/Mohr, NZA 2007, 179. 19 Thüsing in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 3 AGG Rz. 4; Bauer/Göpfert/Krieger (Fn. 17), § 3 AGG Rz. 10. Strikt gegen ein Absichtserfordernis Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, 2007, § 2 AGG Rz. 38, ohne Begründung. 20 Vgl. schon die Kritik von Säcker, ZRP 2002, 286.
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einer Aversion gegenüber Homos zu konstatieren ist, neuerdings – sprachlich missglückt! – „Homophobie“ genannt. Über Grad und Schwere der Verwerflichkeit lässt sich streiten, aber ohne ein Moment der Herabwürdigung und entsprechend eingetretener Kränkung ist nicht auszukommen, wenn ein Unwerturteil plausibel begründet werden soll. Es war daher richtig, wenn das BAG zum früheren § 611a BGB21 auf die Persönlichkeitsrechtsverletzung zurückgegriffen hatte und noch nicht einmal Thomas Blanke22 denkt ganz falsch, wenn er beklagt, dass der abgewiesene Bewerber seine personelle Freiheit negiert finde – nur müsste er dies nicht als pauschale Folge einer jeden Abweisung, sondern als gesondert zu prüfende Voraussetzung für eine rechtlich relevante Benachteiligung sehen. Dem muss genauer nachgegangen werden, es zeichnet sich hier eine dritte Verteidigungslinie ab. Nicht verwerflich sind typischerweise Schutzmotive. Wenn der Gesetzgeber den Frauen Nachtarbeit, die Arbeit im Bergbau unter Tage, den Kriegsdienst mit der Waffe verboten hatte, so entspricht das wohl nicht mehr den heutigen etwas schematisch egalisierenden Anschauungen, hatte aber nichts Herabwürdigendes. So kann der Vertragsschluss mit einer Frau oder einem sexuell noch ungefestigten Jugendlichen auf eine Stelle kontraindiziert sein, wenn der Vorgesetzte immer noch nicht begriffen hat, dass die Zeiten unbedenklicher erotischer Annäherungen im Betrieb vorbei sind (§ 3 Abs. 4 AGG: sexuelle Belästigung), dies zu vermeiden wäre eine vorbeugende Maßnahme im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 AGG. Nicht ratsam kann die Beschäftigung eines Ausländers sein, wenn in der vorgesehenen Betriebsabteilung eine mit der seinigen verfeindete Ethnie durch mehrere Mitarbeiter stark vertreten ist, somit Anfeindungen drohen (vgl. „Mobbing“, § 3 Abs. 3 AGG). Ähnliche Erwägungen kann ein Wohnungsunternehmen (mit mehr als 50 Einheiten: § 19 Abs. 5 Satz 3 AGG) von der Vermietung an einen Ausländer abhalten. Die Zulässigkeitsklausel von § 19 Abs. 3 AGG kommt reichlich gespreizt daher: „Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen“23. Schutzbedingt ist auch der vorzeitige Ruhestand bei gefährlichen Berufen, Feuerwehrleuten, Wachmännern24, Piloten. Nicht diskriminierend sind bestimmt Sicherheitserwägungen, wie sie für das Zivilrecht in § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 („persönliche Sicherheit“) als Beispiel für sachliche Differenzierungsgründe genannt werden, für das Arbeitsrecht vernünftigerweise zur umfassend verstandenen „beruflichen Anforderung“ gehören25. Die Richtlinien des Jahres 2000 stammten noch aus einer Welt der Arglosigkeit, die am 11.9.2001 mit den Türmen des World Trade Center zusammenbrach. Der seither dominierende Sicherheitsaspekt verlangt äußerste
__________ 21 BAG v. 14.3.1989, AG Nr. 5 zu § 611a BGB – Spätdienststelle im Tierheim – mit Anm. Scholz. 22 Dynamik und Konturen des europäischen Sozialmodells, NZA 2006, 1304. 23 Vgl. dazu Picker (Fn. 16). 24 Vgl. Thüsing in MünchKomm.BGB (Fn. 19), § 8 AGG Rz. 30. 25 Abweichend für private Arbeitgeber Brors in Däubler/Bertzbach (Fn. 19), § 8 AGG, Rz. 9.
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Sorgfalt bei der Auswahl von Mitarbeitern in einschlägigen Bereichen, aber auch die kritische Überprüfung von Mietinteressenten, wobei gewisse Fälle von „Rasse/ethnische Herkunft“ ebenso wie bei „Religion/Weltanschauung“ entgegen der Naivität mancher Gesetzesverfasser nicht Vertrauensseligkeit und mitmenschliches Wohlwollen, sondern eher professionellen Argwohn auslösen müssen oder dürfen. Einen praktisch wichtigen, wertungsmäßig problematischen Bereich kann man als Bestreben nach Arbeitsrechtsvermeidung bezeichnen. Keineswegs sind der Rechtsordnung Phänomene dieser Art unbekannt, Steuervermeidung durch aufwendige Beratung und ausgeklügelte Verfahren ernährt eine ganze Industrie. Das Arbeitsrecht kommt mit einer Reihe von Gesetzen solchen offenbar nicht zu unterdrückenden und wohl schon hinzunehmenden Tendenzen entgegen und versucht nur noch wenigstens Mindeststandards durchzusetzen, so für Befristungen im TzBfG, für Arbeitnehmerüberlassung im entsprechenden Spezialgesetz, für Schwerbehinderte durch Beibehaltung der Ausgleichsabgabe. So geht es bei professionell getätigten Personalentscheidungen – natürlich! – immer darum, das Wirksamwerden besonders kostspieliger Regelungen des Arbeitsrechts möglichst zu verhindern. Dies kann dazu führen, dass Bewerberinnen unter dem Gesichtspunkt Schwangerschaft eher kritisch gesehen werden (jetzt können sogar männliche Bewerber mit der Frage nach Schwangerschaft der Ehefrau überrascht werden, im Hinblick auf vollen Elternurlaub). Für Promotoren der Gleichbehandlungsidee ist damit eindeutig empörende Diskriminierung gegeben, was bedürfen wir weiteres Zeugnis! Wenn aber ein frei und allein praktizierender Orthopäde (Name und Person bekannt!) bei seinen 3 Arzthelferinnen 2 Schwangerschaftsausfälle hat, er also, während die Kredite für die Praxiserneuerung weiterzubedienen sind, die Schutzzeiten zahlen und für den Elternurlaub die Arbeitsplätze jeweils 1 Jahr freihalten muss, ohne Gewähr für gegebenen Rückkehrwillen, dann wird man verstehen, dass er jedenfalls die Vertreterinnen wirklich einmal als voll einsatzfähig wünscht und entsprechend auswählt. Es ist ein Unterschied, ob man sich mit fremdem Geld oder mit eigenem als Menschenfreund zeigen soll, das erstere ist leicht, empört zu sein ist dann allzu billig. Die stärkste Berechtigung zu Differenzierungen ist gegeben, wenn der Vertragspartner (Unternehmer) bei der Vergabe des Arbeitsplatzes/der Mietwohnung eine grundrechtlich geschützte Position verteidigt. Dies wird befürwortet, wenn Organisationen der in Deutschland anerkannten nationalen Minderheiten oder von Regional- oder Minderheitensprachen Vertreter dieser Gruppen bevorzugt einstellen26. Das Religionsprivileg §§ 9, 20 Abs. 1 Nr. 4 AGG ist nicht unmittelbar gegeben. Aber wenn das Recht auf freie Auswahl der Mitarbeiter den jüdischen Gemeinden zusteht, warum nicht auch der Vereinigung der Juden in Deutschland, und entsprechend anderen Vereinen (die Begründung der Mitgliedschaft ist frei von der Geltung der AGG, es sei denn § 18). Auch werden Gewerkschaften für ihre Verbandspresse Vertreter
__________ 26 BT-Drucks. 16/1780, S. 35; Thüsing in MünchKomm.BGB (Fn. 19), § 8 AGG Rz. 22.
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Der Nicht-Abschluss eines Schuldvertrages und seine Rechtswidrigkeit
(neo-)liberaler Auffassungen, Frauenverbände Kritiker der Anti-Diskriminierungs-Idee, Homo-Verbände traditionell denkende Katholiken nicht mögen und abweisen. Ein topos für die Argumentation ist hier Tendenzschutz (Thüsing). Aber eine vorsichtige Öffnung hin zur Liberalität erscheint nicht nur zugunsten von Verbänden/Betrieben, sondern auch für Einzelpersonen angebracht, dies läge in der Konsequenz eines drittwirkenden Art. 3 Abs. 3 GG. Der türkische Obsthändler in Kreuzberg (Türke vom Ursprung her, der Pass ist oft nur Zufall) arbeitet lieber mit Stammesbrüdern zusammen. Es wird sich ein arbeitsloser Vollgermane ihm als Verkäufer wohl nicht aufdrängen, aber für unsere Dogmatik ist wichtig, ob diesem der Schutz des AGG zukäme. Der Herrgottschnitzer in Oberammergau kann sich umgekehrt nur einen christlich getauften Gehilfen aus bayerischem Stamme vorstellen. Es lässt sich auch ein passioniert abendländischer Unternehmer denken, der aus Europa eine Weltanschauung macht und für seinen Betrieb jeden Bewerber aus Zonen östlich des Bosporus oder südlich der Meerenge von Gibraltar zurückweist (zum Begriff der Weltanschauung gehört keineswegs die nachgewiesene Rationalität!). Die mitbedienende Ehefrau eines Gastwirts (das ist kein ausgedachter Fall!) war in früher DDR-Zeit fast noch als Kind von sowjetrussischen Soldaten vergewaltigt worden und reagiert auf Bestellungen in russischer Sprache mit Rauswurf – der Entschädigungsanspruch soll nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG von Verschulden unabhängig sein! In einem weniger schlimmen Fall ist eine Unternehmerin, aus bitteren Erfahrungen in ihrem Leben, männerfeindlich und möchte entschieden keinen Mann in ihrem Betrieb, sie sagt das sei nun einmal ihre „sexuelle Identität“. Mit diesen absichtsvoll zusammengestellten Beispielen wird beleuchtet, dass die Gründe des § 1 AGG, als Grundrechtspositionen aus Art. 3 Abs. 3 GG wohlbekannt und dort bei jedermann geschützt („niemand“ soll deswegen benachteiligt werden!), in den Richtlinien wie im AGG völlig einseitig die Nachfrager (Abnehmer) von Arbeitsplätzen, Gütern und Dienstleistungen schützen, die Anbieter (Unternehmer) nur als Adressaten entsprechender Verbots- und Sanktionsnormen kennen. Politisch kann man hier die Stoßrichtung der 68er-Bewegung wiedererkennen, deren Vertreter in den Bahnen des Herbert Marcuse dachten, der allen Ernstes größten zivilisatorischen Fortschritt durch Abschaffung der Unternehmerfreiheit seinen damals zahlreichen Jüngern versprach27, eine Ungleich-Behandlung der beiden Seiten des Arbeitsvertragsverhältnisses jedenfalls für richtig befunden hätte. Grundrechte sind gerade dazu geschaffen, gegenüber kurz- oder auch mittelfristig einflussreichen Modeströmungen im Recht die von Pendelschlägen unberührte langfristig wirkende Vernunft hochzuhalten und durchzusetzen. Sie finden ihren historisch approbierten Wert darin, dass weder die Nazi-Herrschaft noch der Stalinismus unter ihrer effektiven Geltung hätten aufkommen
__________ 27 Adomeit/Mohr, Kommentar zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, 2007, Einl. Rz. 71.
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können. Auch die jetzt mit ihren Auswirkungen voll in Erscheinung tretende emanzipativ-gleichstellende Bewegung übt zwar keinen Staats-Terror aus (noch nicht: die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nach § 25 AGG wird alsbald gebildet), aber will den Wert vieler Grundrechte nicht anerkennen (man denke an die Liberalisierung der Abtreibung), sieht darin nur Behinderung menschheitsbeglückender Aktivitäten28, und dem ist entgegenzutreten.
V. Konsequenzen Die Idee, das Prinzip der Lohngleichheit und der sonstigen Gleichheit von Vertragsbedingungen bei Vertragspartnern auf eine Gleichheit bei Einstellungen und sonstigen Vertragsabschlüssen von Bewerbern zu übertragen, muss als gescheitet bezeichnet werden. Das Zivilrecht verträgt manche Neuerung, hat immer neue rechtspolitische Wellen der Veränderung über sich ergehen lassen, mit dem Verbraucherschutz sogar eine Rückbewegung „from contract to status“29, aber hier zeigt sich ein harter Kern, der keineswegs nur aus rechtspolitischen Erwägungen, vielmehr von der Substanz her unwandelbar ist. Es ging nicht an, den Nicht-Abschluss eines Arbeitsvertrages als dessen Verletzung zu werten (§ 7 Abs. 3 AGG), dem stehen – nun einmal doch! – die Denkgesetzes entgegen. Der Satz „impossibilium nulla (est) obligatio“ (Dig. 50, 17, 158 – Celsus) gilt nicht nur für den Schuldner nach § 275 BGB, sondern auch für den nationalen Zivilgesetzgeber im Hinblick auf unerfüllbare europäische Vorgaben. Erweiterungen vorvertraglicher Pflichten wären hinzunehmen gewesen und vom Gedanken der „culpa in contrahendo“ getragen, aber nicht die Neueinführung einer mit der Kontrahierungspflicht gleichzusetzenden Pflichtverletzung durch Nicht-Abschluss30. Es ist dann so, dass es – welche Anspruchsgrundlage man auch immer zitiert! – bei der Rechtslage vor 1976 bleiben muss: diskriminierende Begleitumstände können als Verletzung vorvertraglicher Pflichten zu werten sein mit der Folge einer Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 BGB, außerdem steht das Deliktsrecht mit den §§ 823, 826 BGB bereit, sowie das Strafrecht. Gesetzesgehorsam wird geleistet, indem bei den zu treffenden Wertungen und Abwägungen das Schutzinteresse der durch Diskriminierung gefährdeten Personen schwerer ins Gewicht fällt.
__________ 28 Dagmar Schiek, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, Einl. Rz. 50 ff. 29 Bruns, Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen in Europa und den USA – Movement from Contract to Status?, JZ 2007, 385. 30 Vgl. auch über das die verfassungsrechtlichen Grenzen wahrende spanische Gleichbehandlungsgesetz von 2007 Adomeit in FS Rolf Birk, 2008.
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Einbeziehungsvoraussetzungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern – Eine Übersicht im europäischen Zusammenhang Inhaltsübersicht I. Art. 5.1 LCGC: Ein Hindernis beim schriftlichen Vertragsschluss im Unternehmensverkehr 1. Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB beim schriftlichen Vertragsschluss a) Formelle Erfordernisse b) Die spanische Gesetzgebung über Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB: Ausnahme auf dem innereuropäischen Markt c) Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung des Art. 5.1 im Unternehmensverkehr aa) Bestätigungsklauseln bb) AGB-Verweisungsklauseln cc) Die vertragliche Verbindlichkeit beim laufenden Geschäftsverkehr
dd) AGB in Rahmenvereinbarungen ee) Verweisung auf die von Unternehmerverbänden ausgearbeiteten AGB 2. Mögliche Lösungen angesichts der Unabdingbarkeit von Art. 5.1 II. Flexibilität beim mündlichen Vertragsschluss III. Telefonischer, elektronischer und telematischer Vertragsschluss IV. Formelle Transparenz der Allgemeinen Geschäftsbedingungen V. Kollidierende Allgemeine Geschäftsbedingungen VI. Schlussbemerkungen
In der EU war das spanische Gesetz vom 7.4.1998 (LCGC) das vorläufig letzte Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Es ist ein Gesetz, das in seiner Struktur allen übrigen Gesetzen ähnelt, die AGB beim Vertragsschluss regeln. Das spanische Gesetz enthält einige Novellierungen. Unter den wichtigsten befindet sich die spezifische Regelung in Art. 5 über Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB beim Vertragsschluss. Die in ihm aufgestellten Voraussetzungen gelten für beliebige schriftliche oder mündliche Verträge mit AGB. Das bedeutet, dass die Einbeziehungsvoraussetzungen gleichermaßen für Verbraucherverträge wie für Verträge im Unternehmensverkehr gelten. Bei schriftlichen Verträgen sind die Voraussetzungen besonders streng. Mit den Einbeziehungsvoraussetzungen strebt man an, jene zu schützen, denen als einzige Möglichkeit die Heranziehung der AGB eines Vertrages zur Verfügung steht. Den besonderen Schutz will man zuteil werden lassen, wenn es sich um Verbraucher handelt. Man muss sich jedoch fragen, ob ein besonderer Schutz nötig ist, wenn es sich um Unternehmer handelt. Der spanische Ge31
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setzgeber ist dieser Meinung, zumindest wenn es sich um einen schriftlichen Vertragsschluss handelt. Andererseits hat er entschieden, die gleichen Einbeziehungsvoraussetzungsregeln für den mündlichen Vertragsschluss gelten zu lassen. Diese Arbeit soll zeigen, dass sich die Einbeziehungsvoraussetzungen der AGB beim Vertragsschluss im Unternehmensverkehr besonders bei schriftlichen Verträgen nach flexibleren Kriterien richten müssten (I.). Besondere Aufmerksamkeit ist den Einbeziehungsvoraussetzungen beim mündlichen Vertragsschluss gewidmet (II.) sowie dem telefonischen und elektronischen Vertragsschluss (III.). Der formellen Transparenz der AGB gilt ein gesondertes Kapitel (IV.). Der Kollision von AGB sind ein paar Zeilen gewidmet (V.). Nach diesem Durchgang folgen einige Schlussbemerkungen (VI.).
I. Art. 5.1 LCGC: Ein Hindernis beim schriftlichen Vertragsschluss im Unternehmensverkehr 1. Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB beim schriftlichen Vertragsschluss a) Formelle Erfordernisse Art. 5.1 LCGC verlangt bei einem schriftlichen Vertragsschluss mit AGB die Zustimmung zu den Einbeziehungsvoraussetzungen der AGB und die Unterzeichnung durch den anderen Vertragspartner. Die herrschende Lehre in Spanien spricht von einem doppelten Einverständnis. Diese Erfordernisse sind unabhängig davon gültig, wer der andere Vertragspartner ist (Verbraucher oder Unternehmer)1. Die Nichterfüllung dieser Erfordernisse hat hauptsächlich zur Folge, dass die AGB keinen Teil des Vertragsschlusses bilden (Art. 7 Buchst. a) LCGC). Im Falle der Nichterfüllung der Einbeziehungsvoraussetzungen kann die andere Vertragspartei die Gültigkeit der AGB durch richterliche Nichteinbeziehungserklärung verweigern (Art. 9.1 LCGC). Art. 5.1 stellt eine Sonderregel dar, die sich ausschließlich auf den schriftlichen Vertragsschluss bezieht. Jedoch ist die herrschende Lehre der Meinung, dass es sich um eine allgemeine Regel handelt, die – ausgenommen beim
__________ 1 Die herrschende Lehre in Spanien behandelt das Thema der Einbeziehung generell. U. a. González Pacanowska in Bercovitz Rodríguez-Cano, R., (Hrsg.), Comentarios a la Ley de Condiciones Generales de la Contratación, 1999, S. 153 ff.; Durany Pich in Menéndez Menéndez/Díez-Picazo (Hrsg.) Comentarios a la Ley sobre Condiciones Generales de la Contratación, 2002, S. 281 ff.; Pagador López, Condiciones generales y cláusulas contractuales predispuestas, 1999, S. 431 ff.; ders. in Nieto Carol (Hrsg.), Requisitos de incorporación de las condiciones generales y consecuencias negociales, en Condiciones Generales de la Contratación y Cláusulas Abusivas, 2000, S. 250 ff.; Feliú Rey, zus.gest.von Arroyo Martínez/Miquel Rodríguez, Comentarios a la Ley sobre Condiciones Generales de la Contratación, 1999, S. 54 ff.; Guilarte Gutiérrez, El control de inclusión de las condiciones generales de la contratación y la ineficacia derivada de su no incorporación (Crónica de lo incomprensible), ADC, S. 1105 ff. Vor der LCGC: Für alle, Alfaro Águila-Real, Las condiciones generales de la contratación, 1991, S. 214 ff.
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AGB im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern
mündlichen Vertragsschluss2 – jeweils bei allen anderen Vertragsschlüssen mit AGB Anwendung findet. Diese Bewertung ist von ziemlicher Bedeutung für den Vertragsschluss zwischen Unternehmern, vor allem wenn es sich um einen elektronischen Vertragsschluss handelt (obgleich für ihn nicht das doppelte Einverständnis nötig ist, wie wir später noch sehen werden). Prinzipiell muss die Annahmeerklärung schriftlich erfolgen, weil nur auf diese Weise sicher gestellt ist, dass die andere Vertragspartei die AGB zur Kenntnis nehmen konnte. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Annahmeerklärung abgegeben worden ist, wenn der Verwender gemäß Abs. 2 des Art. 5.1 die andere Vertragspartei ausdrücklich über die Existenz der AGB in Kenntnis setzte und ihr ein Exemplar zur Verfügung stellte. Sollte jedoch Ungewissheit über eine schriftliche Annahmeerklärung bestehen, muss der Verwender direkt beim Vertragsschlusses (oder vorher) auf die AGB hinweisen und ein Exemplar des Schriftstücks übergeben, das die AGB enthält. Es handelt sich also um zwei Formalitäten, die der Verwender erfüllen muss, wenn die Annahmeerklärung nicht ausdrücklich vorliegt. Die Bezugnahme (der Hinweis) auf die AGB hat jedenfalls ausdrücklich zu erfolgen. Manchmal können die AGB bereits im Angebot enthalten sein. Es scheint jedoch erforderlich zu sein, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausdrücklich auf die AGB hinzuweisen. Grundsätzlich hat die Übergabe des Exemplars an die andere Vertragspartei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erfolgen. Irgendwelche nachträglichen Handlungen – wie der Hinweis auf die Existenz von AGB, die Unterschrift der anderen Vertragspartei, die Übergabe des Exemplars – machen die Mängel hinsichtlich der Erfordernisse des Art. 5.1 nicht wieder gut. Diese dem Verwender gemäß Art. 5.1 vorgeschriebenen Erfordernisse sind Garantie dafür, dass die andere Vertragspartei Kenntnis über die AGB erlangt. b) Die spanische Gesetzgebung über Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB: Ausnahme auf dem innereuropäischen Markt Bei einigen Gesetzgebern hat sich das Verständnis von AGB beim Massengeschäftvertragsschluss in der Mitte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer grundlegenden Forderung zum Schutz der Verbraucher geändert. Das deutsche Gesetz vom 9.12.1976 (AGBG) über AGB beim Vertragsschluss widmete den Einbeziehungsvoraussetzungen nur einen Paragraphen (§ 2; jetzt nach der Schuldrechtsmodernisierung 2002 sind es zwei: §§ 305 u. 305a BGB). Seitdem unterscheidet man zwischen der formellen Kontrolle und der Inhaltskontrolle der AGB. Die formelle Kontrolle war jedoch fast nie von besonderer Relevanz. Selbst wenn man über die Transparenz bei einem Vertragsschluss mit AGB spricht, ist vor allem in letzter Zeit nur wirklich wichtig, dass die Transparenz materiell, nicht formell ist. Obwohl die formelle Transparenz wichtig ist, reicht sie nicht aus. Der echte Schutz der schwachen Vertragspartner wurde immer mit der Inhaltskontrolle der AGB erreicht. Bei diesen Kon-
__________ 2 U. a. Durany Pich, op. cit., S. 303.
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trollen muss unterschieden werden, ob es sich bei der anderen Vertragspartei um Verbraucher oder Unternehmer handelt. So haben es alle Gesetzgeber bei der spezifischen Regelung von AGB verstanden. Wieder kann das deutsche Recht ein gutes Beispiel sein, das bei der Behandlung der Einbeziehungsvoraussetzungen nicht ihre Erfüllung bei einem Vertragsschluss mit AGB zwischen Unternehmern fordert (§ 24 AGBG, jetzt § 310 Abs. 1 BGB). Das bedeutet nicht, dass AGB im Unternehmensverkehr frei jeglicher Einbeziehungsvoraussetzungen3 sind. Nur im Rahmen von § 305 Abs. 2 BGB ist es dem kaufmännischen Geschäftsverkehr überlassen, selbst zu bestimmen, wie AGB einbezogen werden sollen. Viele Rechtsgebote sehen eine spezifische formelle Kontrolle nur vor, wenn es sich bei dem Vertragsschluss mit AGB um Verbraucher handelt. In den Ländern der EU ist diese Kontrolle über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen gemäß der Richtlinie 93/13/EWG vom 13.4.1993 vorgeschrieben, obwohl die Richtlinie – in Art. 5, erster Satz – lediglich fordert, dass die zuvor nicht vereinbarten Klauseln stets klar und verständlich formuliert sein müssen. Das bedeutet, dass die Richtlinie sich bei der Beurteilung der Einbeziehung vorher nicht vereinbarter Klauseln mit einer formellen Transparenz zufrieden gibt, ohne die Übergabe eines Exemplars aller Klauseln oder eine Annahmeerklärung und Unterzeichnung zu verlangen. Die meisten Länder der Gemeinschaft haben sich darauf beschränkt, dem Gebot in Art. 5 zu entsprechen. Hingegen haben Deutschland und Portugal sich entschieden, die Erfordernisse beizubehalten, die zum Zeitpunkt der Richtlinie 93/13/EWG in ihrer geltenden Gesetzgebung enthalten waren. Spanien schließt sich nun diesen zwei Ländern an. Im Unterschied zu Deutschland, verlangen Portugal und Spanien dieselben Einbeziehungsvoraussetzungen beim Vertragsschluss mit einbezogenen AGB sowohl mit Verbrauchern als auch im Unternehmensverkehr, wobei das portugiesische Recht jedoch flexibler ist (DecretoLey v. 31.8.1995, Art. 4 ff. über die Gesetzgebung zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Vertragsschluss – welches das Decreto-Ley 446/85 v. 25.10. ersetzt). Die spanische Entscheidung, die AGB im Unternehmensverkehr von Einbeziehungsvoraussetzungen abhängig zu machen, die noch dazu beim schriftlichen wie mündlichen Vertragsschluss dieselben sind, stellt eine Eigenart in der Rechtsvergleichung dar. Wenn wenigstens die Einbeziehungsvoraussetzungen der AGB im kaufmännischen Geschäftsverkehr flexibler wären, würde die spanische Regel, vor allem die des Art. 5.1 nicht so große Überraschung hervorrufen. Wie ist es möglich, dass der spanische Gesetzgeber sich für ein solch starres Einbeziehungssystem beim schriftlichen Vertragsschluss entschieden hat?
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3 Zum Thema, speziell in der deutschen Literatur, u. a. Reh, Einbeziehung und Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen im kaufmännischen Verkehr, 1990; Schroeder, Paragraph 2 AGB-Gesetz und die Rechtsgeschäftslehre, 1983, S. 93 ff.; Müller-Graff in FS Klemens Pleyer, AGB Einbeziehung bei kaufmännischer Geschäftsübung und AGB-Gesetz, 1986, S. 401 ff.; Rüffert, Einbeziehung von AGB im kaufmännischen Geschäftsverkehr, MDR 1992, 922 ff.; Vorderobermeier, Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im kaufmännischen Geschäftsverkehr, 1982.
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AGB im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern
Information ist nicht alles bei Massenverträgen. Obwohl die Vertragsabschlussfreiheit bei Massenverträgen formell nicht infrage gestellt wird, steht fest, dass Verhandlungen nicht stattfinden. Die einzige Freiheit besteht im Vertragsschluss unter Verwendung von AGB. Das Fehlen von Verhandlungen soll durch die Kenntnisnahme der AGB kompensiert werden. Die Vertragspartei, die nicht verhandeln kann, muss die AGB kennen, wenn sie ihnen zustimmt. Diese Pflicht wird derjenigen Vertragspartei auferlegt, die die AGB stellt, das heißt dem Verwenderunternehmen. Auf diese Weise ist die Kenntnis der AGB eine gewisse Garantie dafür, dass die andere Vertragspartei sie vor ihrer Annahmeerklärung beurteilen kann. Und mit der Kenntnisnahme und der nachfolgenden Annahmeerklärung gelten die AGB als einbezogen. Das Fehlen von Verhandlungen über die AGB wird ersetzt durch die Kenntnisnahme, womit die Wirkung die Gleiche ist: ihre Einbeziehung in den Vertragsschluss, sobald sie angenommen worden sind. Dieser Ansatz, den nicht verhandelten Verträgen zur Wirksamkeit zu verhelfen, ist vertretbar, unabhängig davon, welche die anderen Vertragspartner sind (Verbraucher oder Unternehmer). Soweit so gut. Ist es nun nötig, konkrete Erfordernisse vorzuschreiben? Müssen es starre Erfordernisse sein? Oder soll man eine gewisse Flexibilität zulassen? Falls ja, wie müssen die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB beim Vertragsschluss im Unternehmensverkehr aussehen? Der Gesetzgeber hat ein paar sehr konkrete Erfordernisse für den schriftlichen Vertragsschluss aufgestellt, die bei ihrer Anwendung sehr wenig oder keine Flexibilität erlauben und die auf beliebige Verträge anwendbar sind, die unter das LCGC fallen. Warum fordert das spanische Gesetz eine spezifische formelle Kontrolle auch für die AGB beim Vertragsschluss im Unternehmensverkehr? Reichen etwa nicht die formellen Kontrollen aus, die sonst im Unternehmensverkehr Anwendung finden? Und ist nicht das Vertrauen zwischen den Unternehmern ausreichend, obwohl nicht alle die gleichen Verhandlungsbefugnisse haben? Es ist bedeutsam, dass das LCGC die Kontrolle der missbräuchlichen Klauseln von AGB im Unternehmensverkehr hingegen nicht zulässt. Hier weicht das spanische Recht klar von Rechtsordnungen ab, die mittels AGB-Gesetzen die Unternehmer gegen missbräuchliche Klauseln schützen (Deutschland, Portugal). Ich glaube nicht, dass man genügend darüber nachgedacht hat, wie die formelle Kontrolle aussehen soll, wenn es um den Schutz für Unternehmer geht. Außerdem sind die Unternehmer in ihrem laufenden Geschäftsverkehr weniger an der formellen Kontrolle interessiert. Man hat es allerdings für zweckmäßig gehalten, den Vertragspartnern statt des größeren Schutzes gegen missbräuchliche Klauseln zumindest einen formellen Schutz anzubieten. Tatsächlich hat man aus neoliberaler Sicht, wie Vertragskontrolle aussehen solle, einem minimalen Einschreiten den Vorzug gegeben, wenn es sich um Unternehmerverträge handelt. Wie die Darstellung der Gründe der LCGC besagt, hat man es vorgezogen, die Inhaltskontrolle nur in Übereinstimmung mit den allgemeinen Rechtsregeln gelten zu lassen (hauptsächlich gemäß Art. 1255 CC). Es bleibt jedoch dabei, dass es nicht widersprüchlich ist, nur eine formelle 35
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Kontrolle zu wollen und dass man ausdrücklich eine Inhaltskontrolle ausschlägt. Einige könnten denken, dass bei größerer Einbeziehungskontrolle es weniger Bedarf für eine Inhaltskontrolle gebe. Ich glaube rundweg nicht, dass die Einbeziehungskontrolle die Einführung von missbräuchlichen Klauseln abbremst. Der spanische Gesetzgeber hätte zumindest ein flexibleres System, wie das in Portugal, wählen sollen, als ihm klar wurde, dass die Einbeziehungsvoraussetzungen auch für die AGB im Unternehmensverkehr gelten sollen. Das portugiesische wie das spanische Recht machen bei den Einbeziehungsvoraussetzungen keine Unterscheidung, ob es sich bei der anderen Vertragspartei um einen Verbraucher oder Unternehmer handelt. Es verlangt indessen weniger Erfordernisse, und deshalb müssen wir denken, dass es der anderen Vertragspartei weniger Schutz bietet. Es erweist sich als ausreichend für die Verbraucher (das portugiesische Gesetz erfüllt ganz genau die Richtlinie 93/13/ EWG). Art. 5.1 des portugiesischen Gesetzes bestimmt: Die AGB müssen den anderen Vertragspartnern, die sich darauf beschränken sie zu unterschreiben oder anzunehmen, vollständig mitgeteilt werden. Der folgende Absatz verfügt: Die Mitteilung muss in angemessener Weise und mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgen, damit in Anbetracht der Wichtigkeit des Vertragsschlusses und des Ausmaßes und der Komplexität der Klauseln mit durchschnittlicher Sorgfalt eine vollständige und wirksame Kenntnisnahme möglich ist. Und schließlich wird in dem folgenden Absatz bestimmt: Die Beweislast einer angemessenen und wirksamen Mitteilung wird jenem Vertragspartner auferlegt, der die AGB gegenüber dem anderen Vertragspartner verwendet. Letzten Endes verlangt das portugiesische Recht, dass die AGB in angemessener und wirksamer Weise den anderen Vertragsparteien zur Kenntnis gebracht werden. Man lässt dem Verwender also vollständige Freiheit, auf welche Weise er die AGB zur Kenntnis bringt. Die Form der Mitteilung hängt von der Wichtigkeit des Vertragsschlusses und seiner Komplexität ab. Jedenfalls kann der Verwender bei Ablehnung der Einbeziehung der AGB durch die andere Vertragspartei immer noch beweisen, dass er die angemessenen Schritte zur Kenntnisnahme der AGB unternommen habe. Die vom portugiesischen Recht gewählte Einbeziehungsregelung passt sich viel besser an den kaufmännischen Geschäftsverkehr an als das spanische Recht und schützt zudem die Verbraucher ausreichend. Die AGB sind, wie es nicht anders sein kann, Gegenstand der Betrachtung in den europäischen Texten über ein Vertragsrecht für die Europäische Gemeinschaft. Es erstaunt deshalb nicht, dass der Text über die Principles of European Contract Law (PECL) sich auch mit den AGB befasst. Der Text unterscheidet nicht zwischen Vertragsschlüssen im Unternehmensverkehr und Vertragsschlüssen mit Verbrauchern. Art. 2.104 sagt in seinem ersten Absatz: Die Klauseln, die nicht einzeln verhandelt wurden, können nur gegen die Partei geltend gemacht werden, die sie nicht kannte, wenn die Partei, die sie geltend macht, vernünftige Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, vorher oder zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Aufmerksamkeit der anderen Partei auf sie zu lenken. Der folgende Absatz präzisiert: Der reine Tatbestand, dass ein Hinweis auf jene Klauseln in dem Vertragsdokument existiert, reicht, obwohl die 36
AGB im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern
Parteien es unterschrieben hatten, nicht aus, die Bestimmungen des vorhergehenden Absatz zu erfüllen. Der PECL-Text, der sich von der Richtlinie 93/13/EWG hier klar unterscheidet, ist etwas fordernder als das portugiesische Recht, aber sehr viel flexibler als das spanische Recht. Art. 2.104 ist der Überlegung wert. Die Lando-Kommission, die Verfasserin des Textes, sieht es nicht als nachteilig an, Einbeziehungsvoraussetzungen auch dann festzulegen, wenn es sich um zwischen den Unternehmern nicht verhandelte Klauseln handelt. Man darf nicht vergessen, dass die PECL anstreben, ein alternativer Text für den Vertragsschluss auf dem Binnenmarkt zu sein. Das Gebot des guten Glaubens, das im Vordergrund eines jeden Vertragsschlusses steht, wird durch die Einhaltung einiger – ziemlich allgemeiner – Voraussetzungen zur Bekanntmachung der AGB bei Vertragsschluss erfüllt. Beim kaufmännischen Geschäftsverkehr auf dem Binnenmarkt ist deshalb eine gewisse formelle Transparenz erforderlich. Das, was immer charakteristisch für den Verbrauchervertragsschluss war, soll gemäß den PECL auch für den Vertragsschluss zwischen Unternehmern Gültigkeit haben. Damit will man mit dem Schutz derjenigen Unternehmer vorwärts kommen, die keine Verhandlungsmöglichkeiten haben, also einen möglichen Schutz erreichen, wie er im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern besteht. Die Wahl der PECL als Rahmenwerk beim Vertragsschluss verlangt, dass der Verwender die AGB zur Kenntnis bringen muss, auch wenn es sich bei dem anderen Vertragspartner um einen Unternehmer handelte. Ein anderer europäischer Text, der Kodex der Europäischen Verträge (CEC), legt in Art. 33 fest, dass AGB nur gegenüber der anderen Vertragspartei Gültigkeit erhalten, wenn sie aufgrund üblicher Sorgfalt Kenntnis von ihr gehabt hat oder hätte haben können. Beim CEC ist also wesentlich, dass die andere Vertragspartei Kenntnis von den AGB hat, damit sie einen Teil des Vertragsschlusses bilden können. Das CEC präzisiert nicht, wie die AGB der anderen Vertragspartei zur Kenntnis zu bringen sind. Wir haben es hier mit einem anderen europäischen Alternativvorschlag zu tun, der davon ausgeht, dass, wie bei den PECL, sicher gestellt sein muss, dass der andere Vertragspartner die AGB kennt. c) Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung des Art. 5.1 im Unternehmensverkehr Wir wissen nicht, wie weit der spanische Gesetzgeber die Reichweite des Art. 5.1. ausgedehnt hat. Die durch diese Auflage gestellten Forderungen behindern den Geschäftsverkehr zwischen den Unternehmern, bremsen die Beweglichkeit bei Unternehmenskontakten und führen einen Misstrauensfaktor ein. Es scheint, dass der spanische Gesetzgeber die Marktfunktion, den kaufmännischen Geschäftsverkehr und die Besonderheiten des Warenhandels ignoriert. Geläufige Praktiken wie die kaufmännische Bestätigungsklausel, die Verweisung auf die AGB in Lieferscheinen oder Rechnungen, die Aufrechterhaltung von AGB im laufenden Geschäftsverkehr, die Verweisung auf AGB in einem Rahmenvertrag oder die Verweisungsklausel auf durch Unternehmerverbände ausgearbeitete AGB stoßen wegen der Unabdingbarkeit des 37
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Art. 5.1 auf gewisse Schwierigkeiten im täglichen Umgang. Man muss sich entweder für eine flexiblere Interpretation von Art. 5.1 entscheiden oder die Wirksamkeit von AGB bei mehr als einer Gelegenheit wegen Nichterfüllung der Einbeziehungsvoraussetzungen in Frage stellen. aa) Bestätigungsklauseln Stellt die Bestätigungsklausel die Kenntnisnahme der AGB sicher? Reicht sie aus, ohne die Vorschriften des Art. 5.1 zu verletzen? Falls es sich bei der anderen Vertragspartei um einen Unternehmer handelt, ist anzunehmen, dass er Kenntnis von den AGB hat, wenn er das Bestätigungsschreiben unterschreibt. Bei Verneinung hätte gemäß Art. 5.1 der Verwender zu beweisen, dass er auf die AGB hingewiesen hat, denn bei fehlendem Hinweis reicht die Unterschrift unter der Bestätigungsklausel als Beweis nicht aus. Es darf sich nicht nur um einen bloßen Hinweis oder einen allgemeinen Bezug handeln, sondern es muss Punkt für Punkt auf jede einzelne Bedingung der AGB eingegangen werden. Der fehlende Hinweis lässt sich noch nicht einmal dadurch wieder gut machen, dass der Verwender beweist, der anderen Vertragspartei ein Exemplar übergeben zu haben. Die Unternehmer wollen oftmals genau diese Erfordernisse wegen der größeren Beweglichkeit mit der Bestätigungsklausel überspringen. Die Bestätigungsklausel umgeht den vorherigen Hinweis auf die AGB. Sie ersetzt die ausdrückliche Annahmeerklärung und die Unterschrift unter das Klauselwerk. Mit ihr wird also offensichtlich der laufende Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern beschleunigt. Es handelt sich um eine im Geschäftsverkehr übliche Klausel. Und obwohl man ihre Rechtsgültigkeit infragestellt, verteidigt die herrschende Lehre in der Mehrheit der Fälle diese Klausel im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern. bb) AGB-Verweisungsklauseln Art. 5.1 stellt ein Hindernis bei der Verweisung auf AGB auf Lieferscheinen oder Rechnungen dar. Es ist häufig so, dass man nach dem AGB-Vertragsschluss bei nachfolgenden Leistungen nicht jedes Mal wieder alle Klauseln vereinbaren muss, sondern es ausreicht, auf sie in allgemeiner Form zu verweisen oder nur die wichtigsten zu nennen. Es wäre eine übertriebene Forderung, bei jeder Geschäftshandlung den Vorschriften in Art. 5.1 entsprechen zu müssen. Zu Gunsten des Verwenders muss man argumentieren, dass ein Vertrag, der die AGB einschließt, immer dann existiert, wenn man zuvor den Vorschriften in Art. 5.1 entsprochen hatte, und dass sie dann für alle zukünftigen geschäftlichen Leistungen Gültigkeit haben. Es ist dem Verwender keinesfalls möglich, auf Lieferscheinen oder Rechnungsformularen auf AGB zu verweisen, die ursprünglich nicht einbezogen waren, von deren Annahme der Verwender wegen Stillschweigens der anderen Vertragspartei jedoch ausgeht. In diesem Fall verhindert Art. 5.1 die Einbeziehung der AGB.
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AGB im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern
cc) Die vertragliche Verbindlichkeit beim laufenden Geschäftsverkehr Im laufenden Geschäftsverkehr wünscht der Verwender zuweilen, dass die AGB bis zum tatsächlichen Ende der Geschäftsbeziehung4 einbezogen bleiben. Nach der deutschen herrschenden Lehre ist es möglich, AGB bis zum Ende der Geschäftsbeziehung zu vereinbaren, das heißt während der gesamten Zeit, in der aufeinanderfolgende Vertragsschlüsse zwischen den Unternehmern stattfinden. Die stillschweigende Einbeziehung von AGB ist erlaubt, obgleich der Wille des Verwenders für jeden einzelnen Fall klar ersichtlich sein muss. Um die Wirksamkeit von AGB sicherzustellen, wird manchmal eine Klausel benutzt, die festlegt, dass dieselben AGB für die zukünftigen Geschäfte zwischen den Parteien gültig sind. Wenn man ständig nacheinander auf die AGB des ersten Vertragsschlusses verweist, ist ihre Kenntnis sicher gestellt. Um die Voraussetzungen in Art. 5.1 als erfüllt anzusehen, muss man, wie beim vorherigen Geschäftsverkehr, diese Verweisung dann als ausreichend ansehen, wenn zuvor den Erfordernissen dieses Gebots entsprochen worden war. Es kann jedoch vorkommen, dass eine nachträgliche Verweisung nicht jedes Mal bei Unterzeichnung eines Vertrages erfolgt, weil der Unternehmer über die zweckmäßige Klausel, dass die AGB in Zukunft und bis zum Ende der Geschäftsverbindung dieselben seien, unterrichtet ist. Die stillschweigende Einbeziehung von AGB findet schwerlich Platz in der spanischen Gesetzgebung. Somit ist Art. 5.1 ein ernsthaftes Hindernis, um in diesen Fällen – beim schriftlichen Vertragsschluss – zu wissen, dass die AGB Teil der späteren Verträge sind. Dasselbe gilt für den telefonischen und elektronischen Vertragsschluss, der ebenfalls die ausdrückliche Annahmeerklärung zu den AGB erfordert. dd) AGB in Rahmenvereinbarungen Der Verwender hat noch die Möglichkeit, eine Rahmenvereinbarung mit AGB zu wählen, die ihm für spätere Vereinbarungen als Grundlage dient. Bei jedem Abschluss eines Vertrages auf der Basis einer Rahmenvereinbarung gilt, dass dessen AGB Teil des anderen Vertragsschlusses werden. Man müsste dann nicht jedes Mal die Erfordernisse von Art. 5.1 erfüllen, wenn nach der Rahmenvereinbarung ein weiterer Vertrag unterzeichnet wird. Die einfache Tatsache, dass ein Vertragsschluss in Übereinstimmung mit den Grundlagen der Rahmenvereinbarung erfolgt, dürfte genügen, davon auszugehen, dass die andere Vertragspartei die AGB kennt. Jedoch verlangt Art. 5.1, dass der Verwender zumindest auf die Existenz der AGB in der Rahmenvereinbarung hingewiesen und der anderen Vertragspartei ein Exemplar überreicht hat, sollte sie diese nicht angenommen und unterzeichnet haben. ee) Verweisung auf die von Unternehmerverbänden ausgearbeiteten AGB Es gibt Klauseln, die auf AGB verweisen, die von Unternehmerverbänden formuliert sind, denen die Vertragsunternehmen angehören. Als Mitglieder des
__________ 4 U. a. Fischer, Praktische Probleme der Einbeziehung von AGB unter Kaufleuten, insbesondere bei laufenden Geschäftsbedingungen, BB 1995, 2491 ff.
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Unternehmerverbandes müssen die Vertragsunternehmen die AGB kennen. Die in Art. 5.1 verlangte Verweisung wird nur teilweise erfüllt, weil die Verweisung eines Unternehmers auf die von einem Dritten (einem Unternehmerverband) ausgearbeiteten AGB nicht sicher stellt, dass die andere Vertragspartei sie kennt, wenn sie diese nicht vor sich liegen hat. Um Einbeziehungsprobleme zu vermeiden, ist es ratsam, dass der Unternehmerverband jedem einzelnen Unternehmer vorher ein Exemplar der ausgearbeiteten Bedingungen übergibt (der Verband kann seinerseits bescheinigen, dass er die AGB für einen bestimmten Vertragstyp zuschickte oder übergab). Die fehlende Unterschrift unter die AGB stellt jedoch ein ernsthaftes Hindernis dar, das nicht durch die Zugehörigkeit zum Unternehmerverband beseitigt wird. 2. Mögliche Lösungen angesichts der Unabdingbarkeit von Art. 5.1 Art. 5.1 behandelt ziemlich genau die Einbeziehungsvoraussetzungen, die jeder Vertragsschluss mit AGB erfüllen muss. Es ist keine offene Regel wie Art. 5.1 des portugiesischen Gesetzes oder Art. 2.104 PECL, die so formuliert sind, dass, wenn man einen Prozess wegen Einbeziehung anstrengen will, es genügend Spielraum gibt, zu beweisen, dass die AGB Teil des Vertragsschlusses sind. Tatsächlich ist nur wirklich entscheidend, dass die andere Vertragspartei von den AGB, denen sie zustimmen soll, Kenntnis haben konnte. Wenn sie erst einmal Kenntnis erhalten hat, müssen die Klauseln zusätzlich so formuliert sein, dass sie für einen durchschnittlichen Vertragspartner (Verbraucher oder Unternehmer) verständlich sind. Der spanische Gesetzgeber wollte die Kenntnisnahme durch eine meiner Ansicht nach übermäßig strenge Regel herbeiführen, ohne zu bedenken, dass es viele Formen und Praktiken gibt, die AGB zur Kenntnis zu bringen. Die spanische Regel versucht, den Schutz der anderen Vertragspartei auf ein Höchstmaß anzuheben. Der zu gewährende Schutz ist eher vertretbar, wenn es sich bei der anderen Vertragspartei um einen Verbraucher handelt, doch ist es nicht erforderlich, dass er gleichermaßen hoch ist, wenn die andere Vertragspartei ein Unternehmer ist. Zumindest im Unternehmensverkehr sollte man dem Verwender immer die Möglichkeit geben zu beweisen, dass er der anderen Vertragspartei die AGB zur Kenntnis gebracht hat. Art. 5.1 verlangt jedoch, dass der Verwender bestimmte Voraussetzungen erfüllt, damit die AGB Teil des Vertragsschlusses werden. Die in Spanien herrschende Lehre hat festgestellt, dass der Art. 5.1, zumindest im Geschäftsverkehr, kaum realistisch ist. Um aus dem Einflussbereich des Art. 5.1 herauszukommen, wird argumentiert, dass diese Vorschrift nur für Vertragsschlüsse gedacht ist, die der Schriftform bedürfen, womit sie hauptsächlich bei Vertragsschlüssen mit Verbrauchern zur Anwendung kommt, die – in vielen Fällen – schriftlich erfolgen müssen (gemäß gewisser Regeln im Verbrauchervertragsrecht ist die Schriftform zwingend vorgeschrieben, wie zum Beispiel beim Verbraucherkreditvertrag – Art. 6.1 Ley de Crédito al Consumo –)5. Nach dieser Auslegung fallen alle anderen Vertragsschlüsse – vor
__________ 5 Vertreten von Durany Pich, op. cit., S. 273, 274 und 293.
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allem jene, die zwischen Unternehmern stattfinden – unter Art. 5.3, der die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB für Vertragsschlüsse regelt, die keiner Schriftform bedürfen. Art. 5.3 ist, wie wir noch sehen werden, eine offenere, flexiblere Norm, um den anderen Vertragsparteien die AGB zur Kenntnis zu bringen. Der dritte Absatz in Art. 5 fängt an mit den Worten: Wenn der Vertragsschluss nicht schriftlich erfolgen muss … Zieht man die Worte nicht … muss in Betracht, könnte man grundsätzlich meinen, dass dieses Gebot Vertragsschlüsse umfasst, die nicht der Schriftform bedürfen, um gültig zu sein. Das heißt, jene Vertragsschlüsse, die keiner Formvorschrift unterliegen, werden mittels der Einbeziehungsvoraussetzungen kontrolliert, die in Art. 5.3 festgeschrieben sind. Folglich wäre die allgemeine Regel über Einbeziehungsvoraussetzungen das hier gültige Gebot statt jenem in Art. 5.1, das dann ausschließlich den Vertragsschlüssen vorbehalten bliebe, die notwendigerweise der Schriftform bedürfen. Jedoch ist die herrschende Lehre mehrheitlich der Meinung, dass die Einbeziehungsvoraussetzungen in Art. 5.3 für den mündlichen Vertragsschluss vorgesehen seien. Selbstverständlich ist der Wortlaut des Art. 5.3 wenig glücklich gewählt, wenn er mit den Worten beginnt: Wenn der Vertragsschluss nicht schriftlich erfolgen muss. Art. 5.1 bezieht sich an keiner Stelle auf schriftliche Vertragsschlüsse. Jedoch erwähnt Art. 5.3 die Schriftform im negativen Sinn. Es ist also anzunehmen, dass sich Art. 5.3 ausschließlich auf den mündlichen Vertragsschluss bezieht, wenn es heißt: der Vertragsschluss, der nicht schriftlich erfolgen muss. Das Fehlen jeglichen Hinweises auf die Schriftform in Art. 5.1 muss den Schluss zulassen, dass, wenn Art. 5.3 sich auf Vertragsschlüsse ohne Schriftform bezieht, sodann Art. 5.1 notwendigerweise allgemein für alle schriftlichen Vertragsschlüsse vorgesehen ist. Soweit bisher bekannt ist, gibt es kaum Klagefälle6 oder Schiedsverfahren7 wegen Einbeziehung von AGB in den Vertragsschluss zwischen Unternehmern.
__________ 6 Nur sehr allgemein behandelt das Urteil des Landesgerichts (SAP) Granada v. 7.3.2005 die Einbeziehung der AGB im Unternehmensverkehr, wobei die mögliche Missbräuchlichkeit einer Klausel zur Einschränkung der Verantwortlichkeit in einem Transportvertrag das zentrale Thema ist (Aranzadi civil 2005, Nr. 1006). Das eigentümliche spanische System hat zur Konsequenz, dass das Klauselwerk dem LCGC unterworfen ist, aber eine Inhaltskontrolle sich nicht auf die Klauseln auswirken kann, weil es sich bei der vertragsschließenden Partei nicht um einen Verbraucher handelt. Die Mehrheit der Entscheidungen befassen sich mit den Einbeziehungsvoraussetzungen bei Verbraucherverträgen (z. B. SAP Barcelona v. 20.3.2002, in welcher die Verbraucher de facto amtierende Anwälte sind – Aranzadi civil 2002, Nr. 925; SAP Asturien v. 20.12.2002, bezieht sich auf einen Fall von fehlender formeller Transparenz bei einem Verbraucherkreditvertrag – Aranzadi civil 2003, Nr. 258; SAP Malaga v. 13.7.2005 zu einem Mobilienfinanzierungsvertrag – Aranzadi civil 2005, Nr. 1634; SAP Barcelona v. 22.12.2004 bezieht sich auf einen E-Commerce-Vertrag – Aranzadi civil 2005, Nr. 90). Häufiger sind Fälle, die die Einbeziehung von Klauseln in Versicherungsverträge betreffen (SAP Salamanca v. 21.7.1999 – Aranzadi civil 1999, Nr. 2216; SAP Lleida v. 7.7.2000 – Aranzadi civil 2000, Nr. 1617; SAP Valencia v. 30.1.2003 – Aranzadi civil 2003, Nr. 821). 7 Z. B. das Jurado de Publicidad (Organ der Selbstkontrolle der Werbung) behandelt häufig die (formelle und materielle) Transparenz von AGB unter Berücksichtigung des
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Vielleicht aus Unkenntnis der Einbeziehungsvoraussetzungen, vielleicht aus Trägheit oder auch, weil zwischen Unternehmern andere Probleme aufgeworfen werden. Das besagt aber nicht, dass uns Art. 5.1 gleichgültig sein darf. Es ist eine Tatsache, dass Art. 5.1 sehr fern von dem liegt, wie man im Unternehmensgeschäftsverkehr die AGB bei Vertragsschluss zur Kenntnis bringt. Vielleicht müssen die Gerichte, wo sie können, die Härte des Art. 5.1, zumindest was den laufenden Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern betrifft, abschwächen, wenn auch unter der Gefahr, dass ihre Entscheidungen praeter legem oder auch contra legem wären.
II. Flexibilität beim mündlichen Vertragsschluss Trotz des Wortlauts von Art. 5.3, der die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen verlangt, ist es entscheidend, dass der Verwender der anderen Vertragspartei die Möglichkeit gegeben hat, die AGB zur Kenntnis zu nehmen, damit sie in den Vertrag einbezogen werden können. Diese Möglichkeit, die AGB bei Vertragsschluss zur Kenntnis zu bringen, erfordert eine größere Beweislast, wenn die andere Vertragspartei die Einbeziehung der AGB bestreitet. Art. 5.3 bezieht sich auf den mündlichen Vertragsschluss, bei dem eine belegte Quittung, auf der die AGB angegeben sind, zum Beweis der erbrachten Gegenleistung überreicht wird – in der Mehrzahl der Fälle handelt es sich dabei um Sofortverträge. Die AGB auf der Quittung müssen gut sichtbar angebracht sein. Man kann sie jedoch in beliebig anderer Form bekannt machen. Tatsächlich endet Art. 5.3 mit einer allgemeinen Klausel – einer Abschlussklausel – zur Einbeziehung der AGB in den mündlichen Vertragsschluss: Man kann auf die AGB hinweisen in beliebig anderer Form, wenn sie es der anderen Vertragspartei erlaubt, sich von Existenz und Inhalt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu überzeugen. Diese allgemeine Klausel gilt beim mündlichem Vertragsschluss, für den die Formen der Kenntnisnahme von AGB flexibel sein müssen, und zwar sowohl bei Sofortverträgen wie bei Fernabsatzverträgen. Kenntnisnahme und Bekanntmachung sind Grundvoraussetzung für die Einbeziehung der AGB in den Vertragsschluss, speziell wenn der Vertrag mündlich erfolgt. Eine Bekanntmachung bei der Erfüllung ist ausreichend, um die Kenntnisnahme der AGB durch die andere Vertragspartei sicher zu stellen. Diese Vorschrift gibt den Gerichten Spielraum, in jedem einzelnen Fall zu beurteilen, ob die Einbeziehungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Gerichte können bei Verbraucherverträgen strenger sein und flexibler bei Unternehmensvertragsschlüssen. Logischerweise steht die Flexibilität des Art. 5.3 im Widerspruch zur Unabdingbarkeit von Art. 5.1.
__________ Código de Conducta Publicitaria, aber fast immer nur aufgrund von Anzeigen durch die Verbraucher. Als unlautere Werbung werden Sonderangebote wie Angebot gültig, solange der Vorrat reicht zur Anzeige gebracht, da es in diesem Fall erforderlich ist, exakt die Anzahl der verfügbaren Einheiten oder wenigstens ein Zeitlimit anzugeben, bis zu dem das Sonderangebot gültig ist (Entscheidungen v. 18.12.2001 und 28.1.2002).
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III. Telefonischer, elektronischer und telematischer Vertragsschluss Man kann nicht sagen, dass wir uns in Spanien vor einer transparenten Gesetzgebung befänden, wenn man sich über die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB beim telefonischen, elektronischen und telematischen Vertragsschluss informieren möchte. Es existiert ein ganzes Bündel von Normen, die peinlich genau untersucht werden müssen, um zu klaren Schlussfolgerungen über die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB bei diesen immer häufiger werdenden Vertragsschlüssen zu gelangen. Es gibt ein weiteres Hindernis: fehlende Klarheit darüber, ob diese Regeln auf Vertragsschlüsse zwischen Unternehmen anwendbar seien. Als Grundregel ist die Königliche Verordnung, Real Decreto 1906/1999 v. 17.12.1999, zu nennen, aus der Art. 5.4 LCGC8, 9 hergeleitet wird. Sie regelt die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB beim Vertragsabschluss im Fernabsatz auf telefonischem, elektronischem und telematischem Wege (Art. 1.1). Der Verwender muss im Voraus, mindestens drei volle Tage vorher (gemäß einiger ist diese Frist stillschweigend abgeschafft und für andere de facto per Gesetz modifiziert, Ley de los Servicios de la Sociedad de Información y de Comercio Electrónico – LSSICE –10 Nr. 34/2002 v. 11.7.2002), über die AGB, die Teil des Vertrages sein sollen, in Kenntnis setzen, und er muss gleichzeitig, egal mittels welcher dem Vertragsschluss angemessenen Techniken den kompletten Text der AGB übermitteln (Art. 2). Der Verwender muss der anderen Vertragspartei zusichern, den bewirkten Vertragsschluss zu bestätigen, wobei er dafür bestimmte Vorschriften erfüllen muss (Art. 3). Damit löst man sich vom Art. 5.4 LCGC, gemäß dem die Annahmeerklärung zu den AGB seitens der anderen Vertragspartei notwendig ist. Es wird keine spezielle Form der Annahme gefordert, wenn man sich an die bestehenden unterschiedlichen Techniken beim elektronischen Vertragsschluss hält. Zugunsten der anderen Ver-
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8 Die herrschende Lehre stellt ihre Gültigkeit in Frage. So García Rubio La absoluta invalidez del RD 1906/1999, de 17 de diciembre, por el que se regula la contratación telefónica y electrónica con condiciones generales in Gómez Segade (Hrsg.), AAVV, Comercio Electrónico en Internet, 2001, S. 325 ff. Gemäß der Disposición Final Primera de la Ley de Servicios de la Sociedad de la Información y de Comercio Electrónico v. 11.7.2002, gibt es einen Auftrag, nach dem die Regierung die Frist des zitierten Real Decreto innerhalb eines Jahres modifizieren müsse. Bis jetzt hat diese Modifizierung jedoch nicht stattgefunden. 9 Die herrschende Lehre kritisiert das Fortbestehen des Real Decreto gegenüber der Richtlinie 97/7/EG v. 20.5.1997 über den Schutz der Verbraucher bei Fernabsatzverträge. U. a. Arroyo Aparicio, Los Contratos a Distancia en la Ley de Ordenación del Comercio Minorista, mit einem Vorwort von A. Bercovitz Rodríguez-Cano, 2003, S. 264. Dieses, weil das Real Decreto über das hinausgeht, was eine einfache vorgeschriebene Weiterentwicklung der Regelung des Art. s 5.4 LCGC ist. So Pagador López, op. cit., S. 248 und Arroyo Aparicio, op. cit., S. 265. 10 Es handele sich um eine de facto-Modifizierung gemäß Alonso Ureba und Viera González (Hrsg.), Derecho de Internet. La Ley de Servicios de la Sociedad de la Información y de Comercio Electrónico, mit einem Vorwort von López Blanco, 2003, S. 334. Für Ramos Herranz muss die spätere und höhere Regel den Vorrang haben, das heißt der Art. 27.4 LSSICE in RCE, Obligaciones previas al inicio de la contratación electrónica (Comentario al art. 27 LSSICE), 2004, Nr. 50, S. 61.
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tragspartei, aber auch des Verwenders selbst, ist der Hinweis auf die Existenz der AGB11 ratsam. Genau genommen, handelt es sich dabei aber nicht um eine Einbeziehungsvoraussetzung, wie sie gemäß Art. 5.4 zu verstehen ist. Die Beweislast für die Kenntnisnahme der AGB durch die andere Vertragspartei obliegt dem Verwender. Gemeinsam mit dem genannten Real Decreto muss man auch die LSSICE in Betracht ziehen (speziell Abs. 4 von Art. 27, der vom Dienstleistungsanbieter verlangt, die AGB zur Verfügung zu stellen, damit sie vom Empfänger gespeichert und reproduziert werden können), ferner das Gesetz Ley 47/2002 v. 19.12.2002, das das Ley de Ordenación del Comercio Minorista modifiziert und die spanische Norm auf die Richtlinie über Fernabsatzverträge anpasst, sowie das Gesetz Ley 59/2003 v. 19.12.2003 über elektronische Unterzeichnung. Die Hauptvorschrift über die Einbeziehungsvoraussetzungen beim telefonischen, elektronischen und telematischen Vertragsabschluss bleibt weiterhin das Real Decreto12. Die vorherrschende Lehre in Spanien fragt sich, ob das Real Decreto auch auf Vertragsabschlüsse zwischen Unternehmern13 angewendet werden müsse. Das Real Decreto macht keine Unterschiede, wann diese Vorschrift Gegenstand der Vertragsabschlüsse ist, obwohl Art. 1 klar den Geltungsbereich bestimmt. Man muss jedoch sehr wohl wissen, dass das Real Decreto eine aus Art. 5.4 LCGC (dem früheren Art. 5.3) hergeleitete Entwicklung ist. Der erste Satz des Art. 5.4 bezieht sich ganz allgemein auf den telefonischen, elektronischen und telematischen Vertragsabschluss und gibt die Notwendigkeit vor, bekannt zu geben, dass in den gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen die Annahme aller Klauseln (und jeder einzelnen Klausel) des Vertragsabschlusses ohne herkömmliche Unterschriftsleistung erklärt wird (also kein doppeltes Einverständnis erforderlich ist). Aber im folgenden Satz wird hinzugefügt, dass für diese Annahme dem Verbraucher sofort eine schriftliche Bestätigung des getätigten Vertragsabschlusses zuzusenden ist, in dem alle Bedingungen desselben stehen. Art. 5.4 ist etwas verwirrend formuliert. Er enthält ein allgemeines Gebot, demzufolge die Einbeziehungsvoraussetzungen der AGB bei einem telefonischen oder elektronischen Vertragsabschluss durch diese Vorschrift geregelt werden. Wegen der gleich darauf folgenden Bezugnahme auf den Verbraucher, ist jedoch die vorherrschende Lehre weit-
__________ 11 Alonso Ureba und Viera González, op. cit., S. 327–328. 12 In einigen autonomen Gemeinschaften (CC.AA) existieren Sonderregeln. So gibt es in Castilla-La Mancha eine Verordnung v. 16.12.2003 zum Rechtsschutz von Verbrauchern im mobilen Fernsprechwesen (Protección de los Derechos de los Consumidores en materia de telefonía móvil), die in Art. 12 den Dienstleistungsvertrag im mobilen Fernsprechwesen regelt. Art. 12 enthält die Einbeziehungsvoraussetzungen von Klauseln, die in solchen Verträgen vorkommen können. 13 Zu Gunsten: Pardo Gato, Las Páginas Web como soporte de Condiciones Generales de la Contratación, 2003, S. 79; Pinochet Olave in Contratos electrónicos y defensa del consumidor, 2001, S. 183, sagt, dass die Regulierung allgemeinen Charakter habe. Dagegen: Guisado Moreno, Formación y perfección del contrato en Internet, mit einem Vorwort von Porfirio Carpio, 2004, S. 191; Arroyo Aparicio zeigt die Verwirrung an, die die Vorschrift mit Bezug auf den subjektiven Geltungsbereich verursachen würde, op. cit. S. 267.
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gehend der Meinung, dass die Regelung nur für den telefonischen und elektronischen Vertragsabschluss mit Verbrauchern Gültigkeit hat. Was den subjektiven Geltungsbereich des Real Decreto 1906/1999 betrifft, sind beide Auslegungen vertretbar. Es liegt ein Fall fehlender Regelungstransparenz vor, was auf einem so wichtigen Gebiet, wie dem Vertragsschluss mit AGB, mit denen der anderen Vertragspartei Schutzmechanismen angeboten werden sollen, schwerwiegend ist. Es stimmt, dass das LCGC unterscheidet, ob es sich bei der anderen Vertragspartei um Verbraucher oder Unternehmer handelt, wenn es darum geht, sie vor missbräuchlichen Klauseln zu schützen. Aber das LCGC will mittels der Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB gleichermaßen auch alle anderen Vertragsparteien schützen. Nach der Verabschiedung des LCGC haben die Professoren Carrasco Perera und Martínez Espín einen Vorschlag zur Weiterentwicklung der Vorschriften des ehemaligen Art. 5.3 formuliert, mit dem sie eine Regel verteidigen, die gleichermaßen auf Unternehmer wie Verbraucher anwendbar ist, um zu zeigen, dass die Einbeziehungsvoraussetzungen die gleichen14 sein müssen. Um jede Verwirrung bezüglich des Art. 5.3 zu vermeiden, enthält der Vorschlag eine Regel zum subjektiven Geltungsbereich, in der es heißt, dass die Vorschrift angewendet werden wird, obwohl die die AGB verwendende Partei eine Einzelperson ist, die Güter oder Dienstleistungen für berufliche oder unternehmerische Aktivitäten erwirbt. Das Real Decreto 1906/1999 enthält keine Regel für den subjektiven Geltungsbereich, weswegen es die hier dargelegte Auseinandersetzung gibt, vor allem wenn man berücksichtigt, dass der zweite Satz von Art. 5.4 sich ausdrücklich auf den Verbraucher bezieht. Verteidigt man die Anwendung des Real Decreto 1906/1999 auf Vertragsschlüsse zwischen Unternehmern, wäre diese Auslegung vollkommen im Einklang mit dem LCGC, das, was die Einbeziehungsvoraussetzungen der AGB bei schriftlichen Vertragsschlüssen angeht, wie schon ausgeführt, ziemlich streng ist. Der Verwender ist verpflichtet, bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, wie z. B. vorherige Information, die Verweisung auf die AGB und die Bestätigung des wirksamen Vertragsschlusses. Unter den Erfordernissen des Art. 2 gibt es eines, das sehr problematisch ist. Gemäß Art. 2 muss der Verwender der anderen Vertragspartei die AGB wenigstens drei volle Tage im Voraus bekannt geben (falls man diese Frist seit der LSSICE15 für rechtskräftig hält). Wenn sich diese Frist im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern als hinderlich erweist, wie es die herrschende Lehre ins Feld führt, wird diese Frist mit noch größerer Wahrscheinlichkeit den Unternehmensverkehr erschweren.
__________ 14 Propuesta de desarrollo reglamentario del artículo 5.3 de la Ley de Condiciones Generales de la Contratación, EC, Nr. 48, 1999, insbesondere, S. 125–126. 15 Die Entscheidung der Dirección General de los Registros y del Notariado (DGRN) v. 29.3.2000 verlangt die Einhaltung von drei vollen Tagen im Voraus, auch in Fällen von Verträgen über Website. Diese Entscheidung wurde auf Nachfrage der Asociación Española de Comercio Electrónico erteilt. Es handelt sich jedoch nicht um eine verbindliche Auskunft. Sie wurde – nicht ohne Grund – von der herrschenden Lehre kritisiert. Man darf zudem nicht übersehen, dass es sich um eine Entscheidung vor dem Inkrafttreten der LSSICE handelt.
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Man wird versuchen, dieses gewichtige Hindernis zu umgehen, indem man das erwähnte Real Decreto beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern ablehnt. Wenn man der Meinung ist, dass das Real Decreto nur beim Vertragsschluss mit Verbrauchern Gültigkeit hat, treten Zweifel auf, welche der Regeln des Art. 5 anzuwenden sind. Beim telefonischen Vertragsschluss wäre offensichtlich Art. 5.3 zutreffend, weil es sich um einen mündlichen Vertragsschluss handelt. Diese Auslegung erlaubt zumindest eine größere Flexibilität bei der Bewertung der Einbeziehungsvoraussetzungen. Beim elektronischen Vertragsschluss, der direkt oder indirekt sein kann, gibt es sehr unterschiedliche Voraussetzungen, die mit voranschreitender Technologie immer spitzfindiger werden (neben dem Internet gibt es Videotext, TVShopping und Kauf per CD-Rom), weshalb die Vorschriften, die die Einbeziehungsvoraussetzungen regeln, nicht für alle Handelstechniken16 voraussehbar sind. Der Art. 5.4 und das Real Decreto 1906/1999 beziehen sich auf den elektronischen Vertragsschluss im Allgemeinen. Bei ihrer Anwendung muss man die Besonderheiten jeder einzelnen Technologie in Betracht ziehen. Demzufolge muss, sollen die Regeln in Art. 5.4 und die des Real Decreto beim Unternehmensvertragsschluss Gültigkeit haben, sicher sein, dass der Unternehmer der anderen Vertragspartei die Möglichkeit der Kenntnisnahme der AGB verschafft, da von ihr sämtliche Klauseln und jede Klausel für sich angenommen werden müssen. Statt des Art. 5.4 kann der Art. 5.3 herangezogen werden, der verlangt – wenn man erneut dem letzten Satz der Vorschrift Beachtung schenkt –, dass der Unternehmer der anderen Vertragspartei tatsächlich die Möglichkeit eröffnet hat, die AGB und ihren Inhalt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Kenntnis zu nehmen. Wenn man aber im Gegensatz dazu der Meinung ist, dass Art. 5.1 angewendet werden solle, weil es sich um eine Generalvorschrift handelt, dann sind die Einbeziehungsvoraussetzungen enger. Und was gilt bei einem Vertragsschluss über das Internet? Zieht man die Anwendung des Real Decreto 1906/1999 in Betracht, ist es herrschende Meinung, dass die Frist von drei Tagen (stillschweigend aufgehoben durch die LSSICE gemäß einer herrschenden Ansicht, und folgend einer anderen, dass schon eine de facto-Modifizierung des Art. 2 RD 1906/1999 stattgefunden habe) erfüllt sei, wenn der Diensteanbieter die AGB auf seine Website stellt, so dass sie jeder interessierte Vertragspartner erfahren kann, wenn er eine Verbindung zu der besagten Site herstellt. Gemäß dem Real Decreto muss der Verwender der anderen Vertragspartei auch den kompletten Text der AGB übersenden. Wenn das Real Decreto nicht auf den elektronischen Vertragsschluss zwischen Unternehmern anzuwenden ist, was wäre dann die anzuwendende Vorschrift?
__________ 16 José Manuel Pérez bestätigt, dass, solange das Recht sich nicht ausführlich mit den gesetzlichen Gesichtspunkten der AGB von schriftlichen Vertragsschlüssen beschäftigt hat, nicht klar feststellbar ist, ob deren Regeln und Standards für elektronische Vorgänge als Muster dienen. In: Vino añejo en botellas nuevas: Algunas consideraciones sobre la autonomía de la voluntad y las condiciones generales de contratación en el ciberespacio, RCE, Nr. 49, 2004, S. 7.
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Erneut haben wir es mit Art. 5.1 zu tun, wenn wir meinen, dass er eine Generalregel darstellt. Wenn Art. 5.1 jedoch eine Sondervorschrift darstellt, ist die Gesetzeslücke offensichtlich. Gesetzt den Fall, dass die Philosophie des LCGC die Kenntnisnahme der AGB durch die Unternehmer sicherstellen soll, könnte man von denselben Erfordernissen ausgehen, die Art. 27.4 LSSICE aufstellt und die besagen, dass der Erbringer der Dienstleistung vor Beginn der Vertragsverhandlung dem Empfänger die AGB, die dem Vertrag gegebenenfalls zugrunde liegen sollen, zur Verfügung stellen muss, damit sie vom Empfänger gespeichert und vervielfältigt werden können17. Diese dem Diensteanbieter obliegende Pflicht müsste ebenfalls gelten, wenn der Verwender ein Unternehmer ist. Es ist jedoch nuancierend darauf hinzuweisen, dass für den Verwender die Bereitstellung der AGB – bei einem denkbaren Vertragsschluss via Internet, wie bei browsewrap-, clickwrap- oder shrinkwrap-Vertragsschlüssen – nicht nur eine Pflicht ist, sondern eine Beweislast18 bedeutet. Damit die AGB Teil des Vertrages werden, genügt es nicht, dass die andere Vertragspartei den Button Annehmen drückt, wenn sie nicht über die AGB verfügen kann. Die Verfügbarkeit der AGB muss auch dann garantiert sein, wenn die andere Vertragspartei auf einen Hyperlink verwiesen wird. Das Surfen im Internet macht die Gültigkeit der Präsentationsmethoden der AGB zweifelhaft. Art. 27.4 LSSICE besagt, dass der Verwender statt die AGB der anderen Vertragspartei zuzusenden, sie ihr gemäß des Real Decreto 1906/1999 zur Verfügung stellen muss. Um dieses Gebot zu erfüllen, reicht es aus, wenn die andere Vertragspartei die AGB, nach vorherigem Hinweis auf ihre Existenz auf jene Seite, auf welcher der Verwender sie veröffentlicht, aus dem Internet herunterladen und ausdrucken19 kann (das heißt, die andere Vertragspartei kann durch Klicken auf den Code AGB des Vertragsschlusses die AGB herunterladen). Bei analoger Anwendung kann man auch Art. 5.3 in Betracht ziehen, der ausschließlich für den mündlichen Vertragsschluss vorgesehen ist. Oder an seiner Stelle Art. 5.1. Bei einer Untersuchung, wie die Praxis aussieht, kann man mit Pinochet Olave bestätigen, dass beim E-Commerce via Website in den meisten Fällen die Informationspflicht nur unzureichend erfüllt wird. Die Information über die AGB ist im Allgemeinen nicht auf dem ersten Fenster einer Website zu finden, wo sich die für den Kundenfang wichtigste und attraktivste Information befindet. Man findet sie hingegen häufig nur indirekt über einen Link, der den Nutzer zu einem anderen Ort des Netzes leitet20. Die Visualisierung der
__________ 17 Die Vorschrift folgt inhaltlich dem Art. 10.3 der Richtlinie 2000/31/EG v. 8.6.2000 über bestimmte juristische Gesichtspunkte der Dienste der Informationsgesellschaft, speziell im E-Commerce auf dem Binnenmarkt. 18 So Alonso Ureba und Vera González, op. cit., S. 335. 19 So ist die Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs v. 14.6.2006 in Sachen eines mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrags mit AGB zu verstehen, NJW 2006, 2976–2978. 20 Op. cit., S. 189.
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AGB im Internet ist bedingt durch die Art der elektronischen Techniken, die in vielen Fällen die Erfüllung der Einbeziehungsvoraussetzungen erschweren.
IV. Formelle Transparenz der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Art. 5.5 LCGC schreibt vor, dass der Wortlaut der AGB sich nach den Kriterien von Transparenz, Klarheit, Genauigkeit und Einfachheit richten muss. In Verbindung mit dieser Vorschrift muss man Art. 7 Buchst. b desselben Gesetzes zitieren, nach dem jene AGB nicht in den Vertrag einbezogen werden, die unlesbar, doppeldeutig, verdunkelnd oder unverständlich sind, es sei denn, was die Letzteren betrifft, dass sie ausdrücklich schriftlich von der anderen Vertragspartei angenommen sind und sich nach der Sondernorm richten, die in ihrem Umfeld die notwendige Transparenz regelt. Das Ley General de la Defensa de los Consumidores y Usuarios (LGDCU) bezieht sich auch auf die notwendige formelle Transparenz in Art. 10.1a in nicht ausgehandelten Verbraucherverträgen. Die zitierten Art. sollen das letzte Bindeglied zu den Einbeziehungsvoraussetzungen sein. Es genügt nicht, Kenntnis von den AGB zu haben, sondern es ist ebenfalls wichtig, dass man sie verstehen kann. Verständlichkeit und Transparenz der AGB sind also zwei sich ergänzende Elemente zur wirksamen Einbeziehung der AGB in den Vertragsabschluss. Die Art. 5.5, 7b und 10.1a sind Generalnormen, die – glücklicherweise – nicht genauer präzisieren, was unter formeller Transparenz zu verstehen ist. Die Norm gebietet, dass die Klauseln transparent sein müssen, obwohl der Gesetzgeber – gemäß Art. 5.5 – verlangt, dass die Klauseln transparent, klar, genau und einfach sein sollen und sodann hinzufügt, dass sie lesbar sein und dass sie nicht unterschiedliche – gegensätzlich bis doppeldeutige – Auslegungen zulassen dürfen, und gemäß Art. 7b wird noch einmal gefordert, dass sie klar und auch verständlich sein müssen. Im zweiten Teil enthält Art. 7b eine einzigartige Ausnahme. Es kann Klauseln geben, die aus technischen Gründen in sich schwer zu verstehen sind, erst recht für einen Durchschnittsverbraucher, -unternehmer. Für diesen Fall akzeptiert Art. 7b die Einbeziehung immer dann, wenn die Klausel ausdrücklich schriftlich durch die andere Vertragspartei angenommen worden waren und sie sich nach der Sondernorm richtet, die in ihrem Umfeld die notwendige Transparenz der Vertragsklauseln regelt. Diese Ausnahme überwindet die technisch komplizierten Hindernisse bei den Einbeziehungsvoraussetzungen – nicht nur aus juristischer Sicht. Man muss jedoch differenzieren, ob die Klauseln an Verbraucher oder Unternehmer gerichtet sind. Es kommt dazu, dass der Unternehmer in der besseren Lage ist, die schwierigen Klauseln zu verstehen und der Verbraucher sich zum Verständnis deshalb seinerseits um die Hilfe Dritter bemühen muss. Die Transparenz, auf die sich diese Vorschriften beziehen, ist auf ihre formellen Gesichtspunkte hin zu bewerten. Eine durchschnittliche Verständlichkeit der AGB reicht für ihre Einbeziehung in den Vertrag aus. Dies beseitigt weder eventuelle Zweifel, die die AGB aufkommen lassen (in einem solchen Fall wären sie zu interpretieren – Art. 6.2 LCGC –), noch überraschende Klauseln, 48
AGB im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern
noch den formellen Missbrauch wegen fehlender Transparenz21, 22, 23 (Situationen, die nicht speziell in der LCGC und der LGDCU in Betracht gezogen werden). Beim Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern muss gleichermaßen Transparenz bezüglich Geltung und Inhalt herrschen. Das verlangte Standardverständnis von AGB ist schon nicht mehr das eines Durchschnittsbürgers, sondern das eines Durchschnittsunternehmers. Die Unternehmen – zumindest die großen und mittleren – werden angemessen von Juristen beraten, weswegen man kaum von fehlender Transparenz im Zusammenhang mit den Art. 5.5 und 7b sprechen kann. Es geht um die kleinen Unternehmen, für die die Transparenz von AGB zu gewährleisten ist. Das generelle Wesen der Art. 5.5 und 7b verlangt nicht, wie andere Vorschriften, spezielle Unterscheidungen bei den Einbeziehungsvoraussetzungen, wie es bei Vertragsschlüssen mit AGB für Verbraucher oder zwischen Unternehmern der Fall ist.
V. Kollidierende Allgemeine Geschäftsbedingungen In Spanien wird kaum über die Kollision von AGB diskutiert. Zum Beispiel bespricht Alfaro Águila-Real die kollidierende AGB aus deutscher Sicht24, wo man, vor allem seit Raiser, mit diesem Phänomen25 sehr ernsthaft umgeht.
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21 In Spanien ist die materielle Transparenz Gegenstand einer interessanten Studie von Pertíñez Vílchez: Las Cláusulas Abusivas por un Defecto de Transparencia, mit einem Vorwort von Pasquau Liaño, 2004. 22 Der hier Geehrte, Harm Peter Westermann schrieb in FS Steindorff zu diesem Thema einen interessanten Art. unter dem Titel: Das Transparenzgebot – Ein neuer Oberbegriff der AGB-Inhaltskontrolle, 1990, S. 817 ff. 23 Kürzlich hat der deutsche Bundesgerichtshof in der Entscheidung v. 27.7.2005 bei einem Vertragsschluss mit AGB im Unternehmensverkehr eine Klausel wegen fehlender Transparenz als missbräuchlich bezeichnet. Die Ausschließlichkeitsklausel oder die Beschränkungsklausel bei Verschulden wird durch Verletzung der Kardinalpflichten (der wesentlichen Pflichten) wegen fehlender Transparenz als im Widerspruch zu § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB stehend und deshalb als missbräuchlich angesehen. Gemäß dieser Gerichtsentscheidung kann man von einem im Recht nicht bewanderten Unternehmer nicht verlangen, dass er die Bedeutung des Ausdrucks Kardinalpflichten – eine von der deutschen Jurisprudenz geschaffene Figur – kennt. Der Ausdruck Kardinalpflichten steht für fehlende Transparenz, die die andere Vertragspartei schädigt. In deutschen Rechtskreisen hat diese Entscheidung eine wirkliche Überraschung hervorgerufen, denn der Missbrauch von Beschränkungs- und Ausschließlichkeitsklauseln bei den Kardinalpflichten ist sehr verbreitet in der Vertragsspraxis. Graf von Westphalen kritisiert diese Entscheidung in AGB-Recht im Jahr 2005, NJW 2006, 2232. S. auch Kappus, BGH succurit ignorante – Transparenz des Kardinalpflichten-Begriffs im Unternehmensverkehr, NJW 2006, 15 ff. 24 Op.cit, S. 275 ff. 25 In der herrschenden deutschen Lehre u. a.: Striewe, Kollidierende Allgemeine Geschäftsbedingungen: Vertragsschluss und Vertragsinhalt, JuS 1982, 728 ff.; Graf von Westphalen, Kollision von Einkaufs- u. Verkaufsbedingungen beim Vertragsschluss, DB 1976, 1317 ff.; Ebel, Die Kollision von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, NJW 1978, 1033 ff.; Schlechtriem in FS E. Wahl, Die Kollision von Standardbedingungen beim Vertragsschluss, 1973, S. 67 ff.
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Zum AGB-Krieg äußert sich auch Pagador López, immer mit Bezug auf die in Deutschland herrschende Lehre26. Jeder Unternehmer gibt den eigenen AGB den Vorzug, weil jeder der Verwender sein will. Man spricht daher von einer Kollision oder einem Krieg der AGB. Dadurch, dass jede einzelne Partei – jeder Unternehmer – die eigenen AGB durchsetzen will, berührt dies direkt deren Einbeziehung in den Vertragsschluss, wenn genügend Elemente der Übereinstimmung existieren, um davon auszugehen, dass über den wesentlichen Inhalt des Vertrags Konsens besteht. In diesem Fall müssen die kollidierenden AGB nicht notwendigerweise eine negative Auswirkung auf die Vertragsbildung haben. Im Besonderen hat die deutsche Jurisprudenz eine Antwort auf dieses Phänomen gesucht. Anfangs setzte sich die Theorie des letzten Wortes durch. Später formulierte man die Dissenstheorie. Einen juristischen Fortschritt stellen jene rechtlichen Lösungen dar, die übereinstimmende AGB als in den Vertrag integriert erachten, und die anderen wegen offensichtlicher Kollision außerhalb des Vertrags sehen wollen. Auf der Ebene juristischer Texte kann man Lösungen für die kollidierenden AGB finden. Eine sehr klare Antwort gibt Art. 2.22 der UNIDROIT-Grundregeln über internationale Handelsverträge: Wenn beide Parteien Standardklauseln benutzen und zu einer Übereinkunft kommen, ausgenommen bei dem, worauf sich die besagten Klauseln beziehen, so wird der Vertrag auf der Grundlage der übereingekommenen Bestimmungen und mit dem, was jene im wesentlichen gemeinsamen Standardklauseln vorschreiben, perfekt, es sei denn eine der Parteien erklärt der Gegenpartei klar im Vorhinein oder im Nachhinein, ohne ungerechtfertigten Verzug, dass sie sich dem besagten Vertrag nicht mehr verpflichtet fühle. Eine so klare Formulierung findet sich weder in der Wiener Konvention von 1980 (CISG) noch im Abschnitt 2-207 der Additional Terms in Acceptance or Confirmation (UCC), die sich mit einem Gegenangebot27 befassen. Art. 2:209 PECL betont ebenfalls ausdrücklich die kollidierenden AGB und hält sich an die gleichen Kriterien wie die UNIDROIT-Grundregeln. Gemäß PECL ist der Vertrag geschlossen, wenn die Parteien zu einer Übereinkunft gekommen sind, obwohl Angebot und Annahme widersprüchliche Hinweise auf die AGB enthalten, wobei präzisiert wird, dass die AGB, soweit sie im wesentlichen übereinstimmen, Teil des Vertrages sind. Die PECL fügen der gleichen Vorschrift hinzu, dass der Vertrag als nicht geschlossen gilt, wenn eine der Parteien a) im Voraus ausdrücklich und nicht unter Berufung auf ihre AGB darauf hingewiesen hat, dass sie sich durch einen gemäß dem vorherigen Abschnitt abgeschlossenen Vertrag nicht gebunden fühlt oder b) ohne Verzug der anderen Partei mitteilt, dass sie sich an jenen Vertrag nicht mehr gebunden fühlen will.
__________ 26 Pagador López (Fn 1), S. 265 ff. mit ausführlicher Bezugnahme auf die deutsche herrschende Lehre. 27 In Spanien s. Perales Viscosillas, La batalla de formularios en la Convención de Viena de 1980 sobre compraventa internacional de mercaderías: una comparación con la Sección 2-207 y los principios de Unidroit, La Ley 1996-6, 1498 ff.
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AGB im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern
Wie könnte die Antwort des spanischen Gesetzgebers lauten? Die Lösung hängt grundsätzlich von der Form des Vertragsschlusses mit AGB ab (ob er schriftlich, mündlich, telefonisch oder elektronisch erfolgt). Wenn eine der Parteien mit den AGB der anderen nicht einverstanden ist, muss sie dies die andere Partei wissen lassen, indem sie diese Klauseln ablehnt, wodurch sie dann nicht einbezogen bleiben (beim schriftlichen, telefonischen oder elektronischen Vertragsschluss muss die Annahmeerklärung ausdrücklich erfolgen). Das Nichtvorhandensein irgendeiner Einbeziehungsvoraussetzung verhindert die Kollision. Die Kollision von AGB findet nur statt, wenn der Vertrag von beiden Verwendern formulierte AGB einbezieht. In einem solchen Fall wäre die korrekteste Lösung, diejenigen AGB als verbindlich anzusehen, die übereinstimmen oder die übereinstimmend interpretiert werden können (es ist eine der möglichen Lösungen, für die die deutsche Jurisprudenz eintritt und es ist auch die These der zuvor zitierten juristischen Texte). Die übrigen AGB wären nicht Teil des Vertrags. Falls man die AGB der anderen Partei ablehnen oder ausschließen will, kann das zuvor durch Formulierung einer Klausel erfolgen (Abwehrklausel oder Ausschließlichkeitsklausel der AGB der Gegenpartei). Der andere Vertragspartner weiß, dass seine AGB im Voraus abgewehrt wurden. Wenn er jedoch das Klauselwerk von jenem annimmt, richtet sich der Vertrag nach den Klauseln des ersten Verwenders. Wenn er das Klauselwerk nicht annimmt, würde der Vertrag keine AGB haben und er könnte nur schwerlich bestehen, es sei denn er würde unter Anwendung der diesen Fall regelnden Normenvorschriften rekonstruiert (dieses Problem haben viele Handelsverträge, da sie kaum Vorschriften unterworfen sind, weshalb man die AGB der Verträge in Betracht ziehen muss sowie den Grundsatz von Treu und Glauben). In den beiden zitierten internationalen Texten wird die Meinung vertreten, dass, wenn eine Abwehrklausel oder Ausschließlichkeitsklausel von AGB vorhanden ist oder wenn man ausdrücklich vorher oder nachher die AGB des anderen Verwenders ablehnt, der Vertrag nicht abgeschlossen werden kann. Es kann jedoch vorkommen, dass der Vertrag ausgeführt wird. Wenn es keine Abwehrklausel gibt, muss man mit Hilfe der Auslegung wenigstens die Klauseln beider Parteien retten, die übereinstimmen. Dasselbe ist zu sagen, wenn beide Parteien in ihr Klauselwerk eine Abwehrklausel oder Ausschließlichkeitsklausel einführen. In diesem Fall kann man von einer Neutralisierung sprechen. Wenn später einer der Verwender von seinen AGB Gebrauch machen will, wären die Bedingungen gültig, die mit denen der Gegenpartei übereinstimmen.
VI. Schlussbemerkungen Man fragt sich, ob es notwendig ist, die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB mit solcher Genauigkeit, wie im spanischen Recht vorgesehen, zu regeln. Nicht einmal die Richtlinie 93/13/EWG erachtet es für erforderlich, ein paar Mindestregeln aufzustellen, gemäß denen die andere Vertragspartei die nicht verhandelten Klauseln zur Kenntnis nehmen kann. Sie fordert lediglich eine formelle Transparenz, damit sie vom Verbraucher verstanden werden können. 51
Klaus Jochen Albiez Dohrmann
Der große Schutz, den das spanische System den Verbrauchern gewährt, steht im Gegensatz zu den anderen Gesetzgebungen in der EU. Aber am meisten überrascht, dass das gleiche Maß an Schutz auch den Unternehmern bewilligt wird. Die Gesetzgebung zur Einbeziehung von AGB – die andererseits nicht durch Klarheit gekennzeichnet ist – stellt ein ernsthaftes Hindernis für den internen und grenzüberschreitenden (in und außerhalb der EU) laufenden Geschäftsverkehr dar. Kenntnis und Verständlichkeit der AGB ist ein Grundgebot beim Vertragsschluss. Der Verwender ist derjenige, der die Beweislast trägt, die AGB zur Kenntnis gebracht zu haben. Er hat außerdem die Pflicht, die AGB so zu formulieren, dass sie verständlich sind. Nur aus einem sehr protektionistischen Streben des Gesetzgebers heraus ist es verständlich, dass derart bestimmte Einbeziehungsvoraussetzungen, vor allem zur Sicherstellung der Kenntnisnahme der AGB, aufgestellt sind. Man könnte eine stärkere Regelung der Einbeziehungsvoraussetzungen verstehen, wenn es sich bei der anderen Vertragspartei um einen Verbraucher handelt. Aber im laufenden Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern muss es eine größere Freiheit geben zu entscheiden, wann die AGB Teil des Vertragsschlusses sind. Aus meiner Sicht reichen die im portugiesischen Recht formulierten Regelungen, diejenigen in den Prinzipien des UNIDROIT oder die der PECL aus, um sicherzustellen, dass die AGB – auch bei Verbraucherverträgen – einbezogen sind. Die andere Vertragspartei – Verbraucher oder Unternehmer – kann die Kenntnisnahme der vom Verwender geltend gemachten AGB bestreiten. Es obliegt dem Verwender darzulegen, dass die AGB der sie ablehnenden Partei zur Kenntnis gebracht wurden. Um den Ausschluss wegen fehlender Kenntnisnahme der AGB zu vermeiden und um nicht beweisen zu müssen, dass er sie zur Kenntnis brachte, wird der Verwender je nach Art des Vertragsschlusses geeignete Maßnahmen ergreifen, die Kenntnisnahme der AGB sicher zu stellen. Gemäß dem zweiten Gebot müssen die AGB verständlich sein. Beide Gebote – Kenntnisnahme und Verständlichkeit der AGB – kann man in offenen und flexiblen Generalnormen deutlich aussprechen. Der spanische Gesetzgeber ist den entgegengesetzten Weg gegangen. Der Markt darf nicht übermäßig kontrolliert werden, wenn es sich um generelle Gesichtspunkte beim Vertragsschluss handelt. Es ist zweckmäßig, zuvor mittels einer Norm festzulegen, dass die Vertragspartei über die Klauseln informiert wird und dass die AGB in verständlicher Weise formuliert sein sollen. Es ist jedoch nicht notwendig, konkrete Voraussetzungen für jede Art von Vertragsschluss festzulegen. Der Verwender weiß aufgrund der Hauptvorschrift, dass die fehlende Kenntnisnahme und fehlende Verständlichkeit der AGB für ihn mit wirtschaftlichen Aufwand verbunden sind, weil er die notwendigen Schritte tun muss, damit die AGB die andere Vertragspartei erreichen und von ihr verstanden werden.
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Verjährbarkeit der Vindikation? – Zugleich ein Beitrag zu den Zwecken der Verjährung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Meinungsstand III. Verjährung und Ersitzung IV. Zwecke der Verjährung 1. Überblick 2. Individualinteressen a) Interessen des Nichtschuldners b) Interessen des Schuldners
c) Interessen des Gläubigers 3. Allgemeininteressen V. Folgerungen für die Verjährbarkeit der Vindikation 1. Individualinteressen von Besitzer und Eigentümer 2. Allgemeininteresse VI. Fazit
I. Einleitung Es geschieht nicht alle Tage, dass sich die Bundesrepublik Deutschland vor einem ausländischen Gericht als Prozesspartei von ihrer eigenen Rechtsordnung distanziert, indem sie sich darauf beruft, eine Regel des BGB widerspreche dem ausländischen ordre public. So ist es geschehen in einem Rechtsstreit, in dem die Bundesrepublik gemeinsam mit der Stadt Gotha vor dem Londoner High Court of Justice die Rückgabe eines Gemäldes verlangt hat1. Jenes Gemälde, ein Werk des Niederländers Wtewael aus dem Jahre 1603, befand sich bis zum Zweiten Weltkrieg im Vermögen einer Kunststiftung in Gotha. Bei Kriegsende ist es auf verschlungenen Wegen in die damalige Sowjetunion und von dort über Berlin in den Londoner Auktionshandel gelangt. Die Vorschriften, deren Anwendbarkeit die Bundesrepublik in dem Prozess verhindern wollte, sind die §§ 194 Abs. 1, 195 BGB a. F., genauer gesagt: Die aus jenen Grundregeln folgende dreißigjährige Verjährungsfrist für den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB2. Um diese Thematik, die Fragen des Allgemeinen Teils und des Sachenrechts – und damit zwei bedeutsame Arbeitsgebiete des Jubilars – verbindet, soll es im Folgenden gehen. Die Rechtslage hat sich nämlich insoweit trotz der grundlegenden Umgestaltung des Verjährungsrechts im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung 2002 nicht geändert. Vielmehr ist jene Regelung, die der
__________ 1 City of Gotha and Federal Republic of Germany v. Sotheby’s and Cobert Finance S.A., Queens Bench Division Case No. 1993, C. 3428 and Case No. 1997 G 185, abgedr. in Originalfassung und deutscher Übersetzung in Carl/Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, S. 78 ff. S. dazu auch Remien, AcP 201 (2001), 730, 752. 2 So auch die Anwendung des alten Verjährungsrechts durch LG München, IPRspr. 1993 Nr. 52.
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Bundesrepublik vor dem Londoner Gericht so anstößig erschien, mittlerweile in § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB sogar expressis verbis normiert, indem es dort heißt: „In 30 Jahren verjähren, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, … Herausgabeansprüche aus Eigentum …“. Damit sind letzte Zweifel an der maßgeblichen Rechtslage, wie sie zum vor 2002 geltenden Recht bisweilen geäußert worden waren3, beseitigt. Allerdings hat gerade jene Regelung im Gesetzgebungsverfahren von 2001 gewisse Bedenken des Bundesrates ausgelöst. Diese haben sogar in einer Entschließung4 ihren Ausdruck gefunden, die der Bundesrat zeitgleich mit dem Beschluss gefasst hat, im Hinblick auf die Schuldrechtsmodernisierung nicht den Vermittlungsausschuss anzurufen. Darin drückt der Bundesrat gegenüber der Bundesregierung die Erwartung aus, dass diese „zu der Frage, ob und in welcher Weise die Verjährung von Herausgabeansprüchen in Bezug auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes und kriegsbedingt verlagertes Kulturgut einer Sonderregelung bedarf, baldmöglichst Stellung nimmt und ggf. einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt“5. Der darin zum Ausdruck kommende Vorbehalt gegen die Sachgerechtigkeit der Regelung in § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB bezieht sich zwar allein auf die Konsequenzen für die Rückführung in der NS-Zeit entzogener und verlagerter Kulturgüter. Hierzu ist festzustellen, dass die Frage nach der Verjährbarkeit der Vindikation in diesem Bereich derzeit in der Praxis ihr Hauptanwendungsfeld hat6. Indessen handelt es sich um eine allgemeine, von konkreten Eigenschaften der betreffenden Sache und dem historischen Kontext des Besitzwechsels durchaus unabhängige Frage, die nur angesichts der herausragenden Bedeutung von Kulturgütern für letztere eine größere Rolle spielt als etwa für Verbrauchsgüter. Die Entschließung des Bundesrates gibt damit erneut7 Anlass, die Überzeugungskraft der gegenwärtigen gesetzlichen Lösung ganz generell zu überdenken. Dass die derzeitige deutsche Rechtslage sich keineswegs von selbst versteht, zeigt im internationalen Vergleich nicht allein der Umstand, dass der High Court of Justice in dem oben angeführten Fall der Argumentation der Bundesrepublik gefolgt ist und festgestellt hat, dass ein Verjährungseintritt nach deutschem Recht gegen den englischen ordre public verstoßen würde. Auch etwa das französische8, das italienische9 und das schweizerische10 Recht unterwerfen die Vindikation nicht der Verjährung; das schweizerische Bundesgericht hat die deutsche Rechtslage als „sonderbare und künstliche Lösung“11
__________ 3 S. namentlich K. Müller, Sachenrecht, 4. Aufl. 1997, Rz. 455, und dazu unten bei Fn. 18. 4 BR-Drucks. 819/01 (Beschluss). 5 BR-Drucks. 819/01, S. 2. 6 Baldus in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 937 BGB Rz. 5; s. auch die bei Remien, AcP 201 (2001), 730 ff. und Siehr, ZRP 2001, 346 f. angeführten Beispielsfälle. 7 S. aus der Zeit vor der Schuldrechtsmodernisierung bereits insbesondere Remien, AcP 201 (2001), 730 ff., ferner die weiteren in Fn. 23 Genannten. 8 Cour de cass. (1re civ.) 2.6.1993, Bull.civ.I no. 197, D. 1993 Sommaires 306. 9 Art. 948 Abs. 3 CC. 10 BGE 48 II, 38, 45 f. 11 BGE 48 II, 38, 45 f.: „strana et artificiosa solutione“; s. auch Stark in BK.ZGB, 3. Aufl. 2001, Art. 936 Rz. 16; ferner Jayme, IPRax 1995, 43.
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Verjährbarkeit der Vindikation?
kritisiert. Andere Rechtsordnungen untersagen es dem Dieb, sich gegenüber dem Herausgabeverlangen auf Zeitablauf zu berufen12, oder machen den Beginn der Verjährungsfrist zumindest davon abhängig, dass der Besitzer die Herausgabe der gestohlenen Sache verweigert13. Eine weitere Lösung besteht darin, auch dem bösgläubigen Besitzer die Ersitzung zu ermöglichen; diesen Weg beschreitet etwa das niederländische Recht14. Im Folgenden soll nach einem Überblick über den Meinungsstand (II.) zunächst aufgezeigt werden, welche Wirkungen der Zeitablauf für die sachenrechtliche Lage haben kann. Hierbei ist der Verjährung die Ersitzung gegenüberzustellen (III.). Sodann geht es um die – im Einzelnen umstrittenen – Zwecke, die der Gesetzgeber verfolgt, wenn er Ansprüche der Verjährung unterwirft (IV.). Die Folgerungen hieraus auf die Verjährbarkeit der Vindikation (V.) münden in ein zusammenfassendes Fazit (VI.).
II. Meinungsstand Die Frage, ob die Vindikation der Verjährung unterliegen soll, war bereits im Gesetzgebungsverfahren des BGB von 1900 umstritten. Als Alternative ist eine Verjährung mit der Wirkung des Rechtserwerbs erwogen worden15. Die Verfasser des BGB sind schließlich jedoch aus Gründen der Systematik und der Rechtssicherheit davon ausgegangen, dass die Vindikation durch § 194 Abs. 1 BGB a. F. erfasst werde16; zu der geplanten neuerlichen Diskussion der Frage bei den Beratungen zum Sachenrecht kam es anschließend nicht mehr. Den Vorschlag einer „erwerbenden Verjährung“ hat freilich später Kegel17 aufgegriffen, wenngleich mit einer besonderen Konstruktion: die Sache werde mit Ablauf der Verjährungsfrist herrenlos, und der Besitzer könne sie sich aneignen. Für die Rechtslage vor Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung 2002, bei der die Vindikation in den Verjährungsvorschriften keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hatte, ist K. Müller davon ausgegangen, dass dingliche Herausgabeansprüche von der Verjährung ausgenommen seien. Dabei hat er darauf verwiesen, dass die Verjährbarkeit „groteske Ergebnisse“18 zeitige. Auch andere Autoren haben sich unter Geltung des alten Verjährungsrechts gegen die Verjährbarkeit der Vindikation gewandt19. Rechtspolitisch hatten
__________ 12 So das englische Recht; Limitation Act (1980), sect. 4, c.58; anders noch Limitation Act (1939), ch. 21. 13 So der Staat New York, s. Salomon R. Guggenheim Foundation v. Lubell, 567 N.Y. Supplement 2d 623 (C.A. 1991). 14 Art. 3:105 BW. 15 Motive I, S. 293. 16 Motive I, S. 292 ff.; Prot. I, S. 390 ff. 17 Kegel in FS von Caemmerer, 1978, S. 149, 176. 18 K. Müller (Fn. 3), Rz. 455. 19 Henckel, AcP 174 (1974), 97, 130; Müller-Katzenburg, NJW 1999, 2551, 2558; Peters in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1995, Vor §§ 194 ff. BGB Rz. 51.
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sich Peters/Zimmermann20 in ihrem 1981 publizierten Gutachten zur Überarbeitung des Schuldrechts energisch für einen Ausschluss der Verjährbarkeit der Vindikation ausgesprochen. Die Gegenansicht hat namentlich Plambeck in ihrer Hamburger Dissertation21 vertreten. Sie verweist insbesondere auf das Interesse an Rechtsfrieden und auf den Schutz des Besitzers vor Beweisschwierigkeiten. Auch eine erwerbende Verjährung lehnt sie ab22. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung 2002 hat den Ruf von Peters/Zimmermann und der anderen Kritiker aus der früheren Diskussion nicht erhört. Gleiches gilt für auch in diesem Gesetzgebungsverfahren erhobenen kritischen Stimmen23. Vielmehr hat er die nach ganz überwiegendem Verständnis der §§ 194 Abs. 2, 195 a. F. BGB auch für die Vindikation geltende 30jährige Verjährungsfrist in § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB festgeschrieben. Die ausdrückliche Erwähnung von Herausgabeansprüchen aus Eigentum im Katalog des § 197 BGB erklärt sich rechtstechnisch dadurch, dass die alte Regelverjährungsfrist von 30 Jahren abgeschafft worden ist. In der Begründung zu der Neuregelung finden sich nur wenige Aussagen zu den Gründen dafür, dass die Verjährbarkeit angenommen wird. So heißt es, demjenigen, der gutgläubig Eigentum erworben hat, müsse nach 30 Jahren die Sorge genommen werden, dass ihm trotz der §§ 932, 937 BGB Bösgläubigkeit entgegengehalten werde24. Ansonsten wird lediglich begründet, wieso anstelle der neuen Regelverjährung von drei Jahren die alte Frist von 30 Jahren beibehalten werden soll. Hierzu heißt es: „Die Verjährung dieser Ansprüche (d. h. Herausgabeansprüche aus Eigentum und beschränkt dinglichen Rechten) in kürzeren Fristen würde die Verwirklichung des Stammrechts in Frage stellen“25. In der Kommentarliteratur hat die Neuregelung von 2002 bereits deutliche rechtspolitische Kritik erfahren26.
III. Verjährung und Ersitzung Der schlichte Zeitablauf kann im deutschen Sachenrecht dazu führen, dass das Eigentum kraft Gesetzes, nämlich im Wege der Ersitzung gem. § 937 Abs. 1 BGB, auf den Besitzer übergeht. Dieser Erwerbstatbestand setzt Eigenbesitz während eines Zeitraums von zehn Jahren voraus. Überdies ist er an die Voraussetzung geknüpft, dass der Erwerber beim Erwerb des Eigenbesitzes nicht
__________ 20 Peters/Zimmermann in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I, 1981, S. 77, 186. Die damalige Reformkommission hat im Abschlussbericht von 1992, S. 42, jene Position mit dem Hinweis abgetan, die Bedenken gegenüber einer Verjährbarkeit seien „eher theoretisch“. 21 Plambeck, Die Verjährung der Vindikation, 1996, S. 20, 232 ff. 22 Plambeck (Fn. 21), S. 233 ff. 23 Mansel in Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S. 333, 423 ff.; Remien, AcP 201 (2001), 730, 740 ff., 754; Siehr, ZRP 2001, 346 f.; s. auch bereits Armbrüster, NJW 2001, 3581, 3586. 24 BT-Drucks. 14/7052, S. 179 (Rechtsausschuss). 25 BT-Drucks. 14/6040, S. 105. 26 Prägnant Baldus in MünchKomm.BGB (Fn. 6), § 937 BGB Rz. 43 mit Fn. 80.
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zumindest wissen musste, dass die Sache ihm nicht gehört, und dass er von dieser Tatsache während der Ersitzungszeit nicht positive Kenntnis erlangt. Wie eng diese Art des Eigentumserwerbs durch Zeitablauf mit der Verjährung verwandt ist, wird bereits anhand der Struktur etwa des französischen Rechts deutlich. Dieses bezeichnet die Ersitzung als „prescription acquisitive“27 (wörtlich: erwerbende Verjährung). Auch in anderen Rechtsordnungen werden Ersitzung und Verjährung zumindest terminologisch nicht immer klar getrennt28. Parallelen bestehen auch im Hinblick auf die Zwecke von Ersitzung und Verjährung: Die Ersitzung dient der „Befriedung, Beruhigung und Vereinfachung“29 der sachenrechtlichen Rechtslage. Es soll also nach Ablauf einer gewissen Frist gleichsam Ruhe in die Rechtsbeziehungen einkehren, wenngleich diese Ruhe bei der Ersitzung nicht stets eine endgültige ist, sondern durch einen bereicherungsrechtlichen Rückübereignungsanspruch gestört werden kann30. Allerdings ist zu beachten, dass die Ersitzung im heutigen Recht anders als nach römischem Recht lediglich als Auffanglösung für den Fall vorgesehen ist, dass ein sofortiger rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb nach den §§ 932 ff. BGB scheitert. Die Gründe für ein solches Scheitern können mannigfaltig sein. Zu nennen sind etwa ein fehlerhaftes Zustandekommen oder die Unwirksamkeit des Übereignungsgeschäfts. Besondere Bedeutung hat die Ersitzung jedoch für Fälle, in denen nach § 935 Abs. 1 BGB ein gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb daran scheitert, dass die Sache ihrem Eigentümer abhanden gekommen ist. Die Ersitzung kann in solchen Fällen dem gutgläubigen Eigenbesitzer dennoch zum Eigentumserwerb verhelfen, mit dem Unterschied, dass dieser Erwerb kraft Gesetzes und nicht aufgrund der Übereignung erfolgt. Vom rechtlichen Ausgangspunkt her stellt sich die Lage für den Besitzer deutlich anders dar, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Ersitzung nicht erfüllt, aber 30 Jahre verstrichen sind. Im praktischen Ergebnis verringern sich die Unterschiede freilich deutlich. Mit dem Eintritt der Verjährung gem. § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann der Besitzer dem fortbestehenden Herausgabeanspruch aus § 985 BGB eine peremptorische Einrede entgegenhalten. Eigentümer wird er freilich nicht. Mithin wird das Eigentum dauerhaft vom Besitz getrennt; es wird zum nudum ius31, zum dominium sine re32, zu einer „Hülse ohne Kern“. Dieser Zustand kann auch durchaus auf Dauer bestehen. Der Besitzer ist nämlich seinerseits dann, wenn sein eigener rechtsgeschäftlicher Erwerb daran
__________ 27 Gleichbedeutend existiert der Ausdruck „usucaption“, der vom römisch-rechtlichen Institut der usucapio hergeleitet ist. 28 Baldus in MünchKomm.BGB (Fn. 6), § 937 BGB Rz. 1. 29 Baldus in MünchKomm.BGB (Fn. 6), § 937 BGB Rz. 2. 30 Zum Streitstand s. Baldus in MünchKomm.BGB (Fn. 6), § 937 BGB Rz. 35; Wiegand in Staudinger, BGB, 2004, § 937 BGB Rz. 18 ff. Die Frage ist seit der Neuregelung des Verjährungsrechts im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung freilich nur noch von geringer praktischer Bedeutung. 31 Baldus in MünchKomm.BGB (Fn. 6), § 937 BGB Rz. 43. 32 So bereits Planck/Knoke, BGB, 4. Aufl. 1913, § 194 BGB Anm. 3.
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scheiterte, dass die Sache abhanden gekommen war, nicht in der Lage, einem gutgläubigen Dritten Eigentum zu verschaffen. Umstritten ist es allerdings, ob dem Besitzer der Herausgabeanspruch gem. § 861 BGB zusteht, wenn der Eigentümer ihm den Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen hat33. Dafür, dies zu bejahen, lässt sich das mit den §§ 858 ff. BGB verfolgte Regelungsanliegen anführen, keine Anreize für eigenmächtige Besitzverschaffung zu bieten. Indessen sprechen angesichts der Bösgläubigkeit des Besitzers die besseren Argumente dafür, dass aufgrund der Rückgabe ein neuer Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985 BGB entsteht. Der Eigentümer kann dann mit der petitorischen Widerklage bereits gegen den possessorischen Anspruch des Besitzers vorgehen34. Auch für den Fall, dass der rechtsgeschäftliche Eigentumserwerb wegen fehlerhaften Zustandekommens oder mangelnder Wirksamkeit gescheitert ist, können durch eine weitere Übereignung an einen Dritten Eigentum und Besitz wieder dauerhaft vereint werden. Die Sachnutzung vermag der Besitzer nach Verjährungseintritt umfassend auszuüben. Es erscheint konsequent, ihm dann auch die Nutzungen i. S. von §§ 987, 990 BGB zu belassen (arg. § 217 BGB)35, wenngleich der Anspruch auf Nutzungsersatz erst mit der tatsächlichen Nutzung entsteht36. Andere Dispositionsmöglichkeiten, die typischerweise mit dem Eigentum verbunden sind, bleiben dem Besitzer freilich verschlossen. Dies gilt – wiederum bei abhanden gekommenen Sachen – etwa für die wirtschaftliche Nutzung der Sache als Sicherungsmittel im Rahmen einer Sicherungsübereignung. Diese eigenartige Rechtsposition – der Eigentümer hat ein dominium sine re, der Besitzer die aus dem Eigentum fließenden Möglichkeiten nur zum Teil – bewirkt in sachen- und bereicherungsrechtlicher Hinsicht eine Fülle von Widersprüchen. So kommt dem Rechtsnachfolger des Besitzers die bereits abgelaufene Zeit gem. § 198 BGB in einigen, aber nicht in allen Fällen zugute; zudem soll der Eigentümer noch nach Verjährungseintritt eine Verfügung des Besitzers genehmigen und gem. § 816 BGB den Erlös herausverlangen können; schließlich kommen weitere mit dem Eigentum verbundene Rechte wie insbesondere Unterlassungsansprüche des Eigentümers nach § 1004 BGB in Betracht. Auf diese umstrittenen Fragen soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden37. Es sei jedoch vermerkt, dass man zur Lösung der Fragen entweder die Stellung des Eigentümers oder diejenige des Besitzers „verbiegen“ muss und dennoch kaum zu stimmigen Ergebnissen gelangt. Orientiert man sich – was vom verjährungsrechtlichen Blickwinkel her noch am ehesten konsequent erscheint – daran, dass der Schuldner sich infolge des Verjährungseintritts faktisch von der Leistungspflicht befreien kann, so erscheint es konsequent, dem Eigentümer jegliche Zugriffsmöglichkeit auf den Besitz oder auf
__________ 33 34 35 36
Näher zum Streitstand Remien, AcP 201 (2001), 730, 742. Gursky in Staudinger, BGB, 2006, § 985 BGB Rz. 100. Remien, AcP 201 (2001), 730, 744. Die Frage ist daher umstritten; s. nur Gursky in Staudinger (Fn. 34), § 985 BGB Rz. 99. 37 Ausführlich hierzu Remien, AcP 201 (2001), 730, 740 ff.
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Nutzungen ebenso wie Unterlassungsansprüche zu verwehren. Dann aber ist im wirtschaftlichen Ergebnis das erreicht, was die §§ 937 ff. BGB nicht zulassen wollen, nämlich die (Quasi-)Eigentümerstellung des bösgläubigen Besitzers. Der Widerspruch zu jener gesetzgeberischen Wertung ist offenkundig. Dieser Befund führt zu der Frage, wieso der Herausgabeanspruch überhaupt der Verjährung unterworfen wird. Dies wiederum lässt sich nur klären, wenn man sich die verschiedenen Zwecke der Verjährung vor Augen führt. Über sie besteht im Einzelnen einiger Streit.
IV. Zwecke der Verjährung 1. Überblick Vielfach ist zu lesen, die Verjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit38. Diese Aussage ist insofern konkretisierungsbedürftig, als sie noch nicht erkennen lässt, ob es sich um ein Individual- oder ein Allgemeininteresse oder um beides handelt39. Unstreitig ist, dass es jedenfalls auch um den Schutz des Schuldners, also eines Individualinteresses geht. Dabei wird das Gebot der Rücksichtnahme angeführt, ferner das Bedürfnis, den Schuldner vor Beweisnöten zu schützen40. Weniger eindeutig ist es, ob die Verjährung daneben auch ein öffentliches Interesse an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit schützt41. Angenommen hatte dies schon das Reichsgericht42; auch der BGH43 geht davon aus, ebenso wie das ganz überwiegende Schrifttum44. Als ein Allgemeininteresse kommt auch das Interesse daran in Betracht, dass die Gerichte nicht mit Rechtsstreitigkeiten belastet werden sollen, deren Ausfechtung dem Gläubiger offenbar nicht wichtig genug war, um sie frühzeitiger einzuleiten. Im Folgenden sollen die einzelnen Interessen näher betrachtet werden.
__________ 38 BGHZ 59, 73, 74 (unter Betonung des Schuldnerschutzes); BGH, NJW-RR 1993, 1059, 1060; Heinrichs in Karlsruher Forum, 1991, S. 3, 7; Heinrichs in Palandt, 66. Aufl. 2007, Vor § 194 BGB Rz. 9; BT-Drucks. 14/7052, S. 179 (Rechtsausschuss; zu § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB). 39 Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs, Verwirkungs- und Fatalfristen, Band I, 1975, S. 23 (zum Aspekt der „Wahrung öffentlicher Interessen“). 40 BGH, BB 1993, 1395 (1396); Grothe in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, Vor § 194 BGB Rz. 6. 41 Vgl. die Diskussion bei Kunig/Nagata (Hrsg.), Deutschland und Japan im rechtswissenschaftlichen Dialog, 2006, S. 267 ff.; eingehend (und das Gewicht der Rechtssicherheit relativierend) Oetker, Die Verjährung. Strukturen eines allgemeinen Rechtsinstituts, 1994, S. 41 ff. 42 RGZ 120, 355, 358; RGZ 145, 239, 244. 43 BGH, NJW 1983, 388, 389 f.; NJW 1986, 1608, 1609; NJW-RR 1993, 1059, 1060. 44 S. nur Heinrichs in Palandt (Fn. 38), Vor § 194 BGB Rz. 9 (dort als wichtig hervorgehoben; abw. noch Heinrichs in Karlsruher Forum (Fn. 38), S. 3, 7, sub 4 c); Leenen, § 477 BGB: Verjährung oder Risikoverlagerung?, 1997, S. 12, 22.
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2. Individualinteressen a) Interessen des Nichtschuldners Ein wesentliches Interesse an der Verjährung hat derjenige, der in Anspruch genommen wird, ohne dass er (noch) Schuldner ist45. Je länger die für den behaupteten Anspruch maßgeblichen Vorgänge zurückliegen, umso aufwendiger und langwieriger wird auch für den in Anspruch Genommenen die Beweisführung. Dies gilt bereits im Hinblick auf die anspruchsbegründenden Tatsachen. Von besonderer praktischer Bedeutung sind darüber hinaus auch Erlöschensgründe wie die Erfüllung oder ihre Surrogate. Sehr deutlich wird dies, wenn man sich die Schwierigkeiten vergegenwärtigt, die mit dem Nachweis einer Erfüllungsleistung nach geraumer Zeit verbunden sind. Insoweit trägt der Schuldner die Beweislast, und es wird ihm oft nicht leicht fallen, etwa die zum Erlöschen eines Anspruchs führende Übereignung einer Sache nach längerer Zeit nachzuweisen46. b) Interessen des Schuldners Auch der (wahre) Schuldner wird durch die Verjährung davor geschützt, sich nach längerer Zeit gegen einen Anspruch verteidigen zu müssen. Sein Schutzbedürfnis kann sich daraus ergeben, dass der Anspruch ihm unbekannt ist oder jedenfalls die Inanspruchnahme unerwartet erfolgt47. Daneben kann auch hier der Aspekt zum Tragen kommen, dass sich die Beweislage verschlechtert hat. Dies gilt hinsichtlich solcher Einwendungen i. w. S., die nicht den Bestand des Anspruchs betreffen (anderenfalls würde es sich zumindest jetzt um einen Nichtschuldner handeln), sondern seine Durchsetzbarkeit, etwa im Hinblick auf Zurückbehaltungsrechte. Darüber hinaus werden zugunsten des wahren Schuldners zwei weitere Aspekte angeführt. Zum einen wird darauf verwiesen, dass durch die Nichtgeltendmachung eines bestehenden Anspruchs seine Dispositionsfreiheit eingeschränkt werde; er müsse Rücklagen bilden, um sich dauerhaft erfüllungsbereit zu halten48. Diesem Interesse kann freilich im Hinblick darauf kein großes Gewicht beigemessen werden, dass es dem Schuldner frei steht, die Leistung auch ohne Aufforderung durch den Gläubiger zu erbringen; er kann die Wirkungen des Annahmeverzugs herbeiführen und das Geschuldete in bestimmten Fällen sogar gem. §§ 372 ff. BGB hinterlegen. Zwar setzt die Ausübung dieser Befugnisse voraus, dass der Schuldner sich der Existenz des ihm gegenüber bestehenden Anspruchs bewusst ist. Besteht jedoch ein Anspruch tatsächlich, so obliegt es grundsätzlich dem Schuldner, sich leistungsbereit zu halten.
__________ 45 Dies betonen etwa BT-Drucks. 14/6040, S. 96; Heinrichs in Karlsruher Forum (Fn. 38), S. 3, 6. 46 Spiro (Fn. 39), S. 9 ff. 47 Spiro (Fn. 39), S. 11 ff. 48 Heinrichs in Palandt (Fn. 38), Vor § 194 BGB Rz. 8; Heinrichs in Karlsruher Forum (Fn. 38), S. 3, 6.
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Gewichtiger erscheint ein weiteres Interesse des Schuldners, nämlich dasjenige am Regress gegenüber Dritten49. Je länger der Gläubiger den Anspruch geltend machen kann, umso größer ist nämlich für den Schuldner die Gefahr, dass etwaige Regressansprüche weggefallen oder nicht mehr durchsetzbar sind50. c) Interessen des Gläubigers Stellt man den genannten Individualinteressen von in Anspruch genommenem Nichtschuldner oder Schuldner dasjenige des Gläubigers gegenüber, so wird man häufig, aber keineswegs zwangsläufig zu dem Befund gelangen, dass das Schutzbedürfnis des Gläubigers mit zunehmendem Zeitablauf gesunken ist: Er hatte lange Zeit jedenfalls rechtlich die Möglichkeit, den Anspruch geltend zu machen. Unterlässt er dies, so kann das darauf hindeuten, dass sein Interesse an der Durchsetzung über einen größeren Zeitraum nicht bestand oder jedenfalls nicht ins Gewicht fiel. Der BGH geht im Anschluss an die Motive51 noch einen Schritt weiter und stellt fest: „Ansprüche, die jahrelang nicht geltend gemacht werden, sind vermutlich nicht oder nicht mehr gerechtfertigt“52. 3. Allgemeininteressen Als Allgemeininteressen, die für eine Verjährbarkeit von Ansprüchen sprechen, lassen sich das überindividuelle Interesse an Rechtsfrieden und dasjenige an Rechtssicherheit identifizieren53. Freilich bedarf es insoweit einer Konkretisierung. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass umgekehrt auch ein gegenläufiges Allgemeininteresse daran besteht, dass berechtigte Ansprüche durchsetzbar sind, und zwar – nicht zuletzt angesichts der Gefahr, dass der Gläubiger den Anspruch aus tatsächlichen Gründen zunächst nicht geltend machen kann – auch noch nach längerer Zeit. Dabei handelt es sich um eine Ausprägung des Allgemeininteresses daran, dass überhaupt ein wirkungsvolles Verfahren für die Durchsetzung von Ansprüchen zur Verfügung gestellt wird. Konkretisieren lässt sich das Allgemeininteresse an der Verjährbarkeit in mehrerlei Hinsicht. Zum einen geht es darum, dem Rechtsverkehr klare Verhältnisse zu bieten und der durch eine späte Geltendmachung von Ansprüchen drohenden „Verdunkelung der Rechtslage“54 entgegenzuwirken. Damit in Zusammenhang steht ein überindividuelles Interesse daran, dass die Gerichte möglichst über festgestellte und nicht allein über vermutete Sachverhalte ent-
__________ 49 Heinrichs in Karlsruher Forum (Fn. 38), S. 3, 6; Peters in Staudinger, BGB, Neubearb. 2004, Vor §§ 194 ff. BGB Rz. 5. 50 Heinrichs in Palandt (Fn. 38), Vor § 194 BGB Rz. 9. 51 Motive I, S. 291. 52 BGHZ 59, 73, 74; s. auch BGHZ 122, 241, 244; BGH, ZIP 2003, 524, 526. 53 BT-Drucks. 14/6040, S. 100; BGHZ 59, 73, 74 = NJW 1972, 1460; Grothe in MünchKomm.BGB (Fn. 40), Vor § 194 BGB Rz. 7; Oetker (Fn. 41), S. 38 ff. 54 Grothe in MünchKomm.BGB (Fn. 40), Vor § 194 BGB Rz. 7, grundlegend zu diesem Aspekt Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 9. Aufl. 1906, S. 544.
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scheiden55. Zum anderen lässt sich ein öffentliches Interesse nach freilich umstrittener Ansicht aber auch ausmachen, indem man die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen in den Blick nimmt. Bei dieser Sichtweise lässt sich ein vom Individualinteresse des Schuldners zu trennendes Allgemeininteresse daran, dass Ansprüche nicht unbefristet durchgesetzt werden können, in der Belastung der Gerichte erblicken56. Der Staat stellt privaten Prozessparteien den ordentlichen Zivilrechtsweg zur Verfügung, um den Streit über den Anspruch auszutragen. Die geschilderten, mit zunehmendem Zeitablauf steigenden Schwierigkeiten einer Beweisaufnahme treffen nicht allein den Schuldner, sondern belasten auch die mit der Sache befassten Gerichte. Dagegen, ein Allgemeininteresse an der Verjährung anzunehmen, ließe sich freilich der Umstand anführen, dass sie gem. § 214 Abs. 1 BGB als Einrede geltend gemacht werden muss. Teils wird daraus der Schluss gezogen, der Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses dürfe nicht zu sehr in den Vordergrund gestellt werden, da es anderenfalls dem Richter auch gestattet sein müsse, den Schuldner auf den Verjährungseintritt hinzuweisen57. Man müsste darüber hinaus wohl sogar, wenn die Verjährung wesentlich auch der Entlastung der Gerichte diente, noch einen Schritt weiter gehen und annehmen, dass das Gericht sie von Amts wegen zu berücksichtigen hätte58. Dieser Einwand führt indessen nicht dazu, dass dem Allgemeininteresse im Rahmen der Schutzzwecke der Verjährung keine Bedeutung zukäme. Vielmehr bewirkt er lediglich, dass das Allgemeininteresse gegenüber dem Individualinteresse des Schuldners weniger gewichtig ist59, so dass es zurücktritt, wenn der Schuldner die Verjährungseinrede nicht erhebt. Zu demselben die Bedeutung des Allgemeininteresses lediglich relativierenden, nicht aber negierenden Ergebnis führen die Einwände, dass der Verjährungseintritt eine gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs nicht hindert und dass sich gem. § 204 BGB auf recht einfache Weise eine Hemmung der Verjährung erreichen lässt. Die hier vertretene Sichtweise, wonach nicht allein Individualinteressen die Verjährbarkeit begründen, wird überdies bestätigt durch § 202 Abs. 2 BGB, wonach die Ver-
__________ 55 S. zu diesem Aspekt Peters, VersR 1979, 103, 105 mit Fn. 32. 56 Mansel/Budzikiewicz, Das neue Verjährungsrecht, 2002, § 1 Rz. 43; Peters/Zimmermann (Fn. 20), S. 77, 193 (sub b); in dieser Richtung wohl auch Bruggner-Wolter, Verjährung bei Schadensersatz aus Schutzpflichtverletzung, 1993, S. 34 (die Entlastungswirkung sei „nicht ohne Bedeutung“, im Kontext der Verjährungszwecke); a. A. Grothe in MünchKomm.BGB (Fn. 40), Vor § 194 BGB Rz. 8 (s. auch Rz. 6 a. E.: Ersparnis von Beweiserhebungen als Individualinteresse); Peters in Staudinger (Fn. 49), Vor §§ 194 ff. BGB Rz. 7; M. Wolf in FS Schumann, 2001, S. 579, 581; zurückhaltend auch Spiro (Fn. 39), S. 20 ff., 22 (nur erwünschte Folge, nicht aber eigentliche Aufgabe des Verjährungsrechts); Heinrichs in Karlsruher Forum (Fn. 38), S. 3, 7. 57 Häublein in Kunig/Nagata (Fn. 41), S. 267 (Diskussionsbeitrag); Oetker (Fn. 41), S. 62. 58 Darauf verweist zutr. Peters in Staudinger (Fn. 49), Vor §§ 194 ff. BGB Rz. 7. 59 Grothe in MünchKomm.BGB (Fn. 40), Vor § 194 BGB Rz. 5.
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jährung nicht rechtsgeschäftlich über 30 Jahre ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn hinaus erschwert werden kann60.
V. Folgerungen für die Verjährbarkeit der Vindikation 1. Individualinteressen von Besitzer und Eigentümer Die Frage, ob der Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer verjährt ist, stellt sich von vornherein nur dann, wenn letzterer nicht nach § 932 BGB oder zumindest durch Ersitzung gem. § 937 BGB Eigentum erlangt hat. Dies bedeutet, dass ihn der Vorwurf der anfänglichen Bösgläubigkeit oder der späteren Kenntnis von der fehlenden Eigentümerstellung trifft. Bei einer derartigen Sachlage kann der Besitzer freilich kein schutzwürdiges Vertrauen darauf geltend machen, dass der Eigentümer ihn nicht mehr in Anspruch nimmt. Würde man dem Individualinteresse des Besitzers durch den Verjährungseintritt Rechnung tragen, so wäre damit ein Anreiz für unredliche Besitzer geschaffen, die Sache 30 Jahre lang vor dem Eigentümer zu verbergen. Die in der Praxis vorkommenden Fälle zur Herausgabe von Kulturgütern belegen, dass dies durchaus gelingen kann61. Der Hinweis darauf, ein gutgläubiger Erwerber müsse gegenüber dem früheren Eigentümer davor geschützt werden, dass dieser ihm Bösgläubigkeit unterstellt62, vermag nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen: Die Bösgläubigkeit zu beweisen obliegt gem. §§ 932 Abs. 1 S. 1, 937 Abs. 2 BGB demjenigen, der die Vindikation geltend macht. Die Lage ist insofern anders als etwa bei rechtsvernichtenden Einwendungen: Für sie trägt der Schuldner die Beweislast; zudem sind sie meist durch schriftliche Unterlagen (Quittungen etc.) beweisbar, die der Schuldner nicht über einen längeren Zeitraum aufzubewahren genötigt sein soll. Im Übrigen lässt es sich nie ausschließen, dass unberechtigt Ansprüche erhoben werden; bei den mit einem daraus resultierenden Prozess verbundenen Lasten handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos. Allerdings ist das Argument, dass der bösgläubige Besitzer nicht schutzwürdig ist, im Hinblick darauf zu überdenken, dass das Verjährungsrecht dem Aspekt mangelnder Schutzwürdigkeit des Schuldners in anderem Kontext offenbar keine Bedeutung beimisst. So unterliegen Nacherfüllungs- und Schadensersatzansprüche des Käufers bei arglistig verschwiegenen Sachmängeln gem. §§ 438 Abs. 3, 199 Abs. 1, 195 BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist. Diese Frist ist auch bei nicht grob fahrlässiger Unkenntnis des Gläubigers von den nach § 199 Abs. 1 BGB maßgeblichen Tatsachen in vielen Fällen kürzer als diejenige des § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB, da die objektive Höchstfrist von 30 Jah-
__________ 60 Bruggner-Wolter (Fn. 56), S. 35. – Vor der Schuldrechtsmodernisierung war die Gestaltungsfreiheit sogar noch weitergehend beschränkt; s. dazu Grothe in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 202 BGB Rz. 11. 61 Vgl. die Nachw. bei Siehr, ZRP 2001, 346 f. S. ferner die Kritik bei Remien, AcP 201 (2001), 730, 743 (unter Hinweis auf die selbst nach Verjährungseintritt für den Besitzer bestehende Gefahr, dass der Eigentümer aus § 816 BGB vorgeht). 62 S. oben bei Fn. 24.
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ren nur bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter gilt. Ähnliches gilt jenseits des Verjährungsrechts etwa hinsichtlich der Ausschlussfrist von zehn Jahren für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 124 Abs. 2 BGB): Sie bietet dem Täuschenden aufgrund schlichten Zeitablaufs Schutz, ohne dass er ein berechtigtes Interesse hieran für sich beanspruchen könnte. Veranlasst beispielsweise jemand den Eigentümer einer Sache durch arglistige Täuschung dazu, ihm diese zu übereignen, und erkennt der Getäuschte erst nach Ablauf der 10-Jahres-Frist die Sachlage, so ist das erlangte Eigentum kondiktionsfest. Der zuletzt genannte Vergleichsfall führt zu der Frage, ob hier tatsächlich eine wertungsmäßige Parallele zur Verjährung der Vindikation besteht. Betrachtet man beide Fälle allein unter dem Aspekt, ob sich die Rechtslage für einen nicht Schutzwürdigen bereits durch Zeitablauf verbessern können soll, so lässt sich eine Parallele bilden. Indessen steht bei einer arglistigen Täuschung allein die Rückgängigmachung einer Eigentumsübertragung auf schuldrechtlichem Wege in Rede. Demgegenüber führt die Verjährung der Vindikation dazu, dass das Eigentum, über das sein Inhaber nicht rechtsgeschäftlich verfügt hat, inhaltlich ausgehöhlt, zum nudum ius wird. In diesem Punkt unterscheidet sich die Verjährung der Vindikation von derjenigen anderer Ansprüche ebenso wie von der Ausschlussfrist für die Arglistanfechtung: Der Zeitablauf wirkt de facto statusverändernd, indem er die Eigentümerbefugnisse aushöhlt. Dieser Eingriff in die mit dem sachenrechtlichen status quo verbundene Rechtsstellung führt für den Eigentümer zu einer grundsätzlich anderen und weiter gehenden Beeinträchtigung seiner Rechtsstellung als sie der Verlust der Durchsetzbarkeit eines schuldrechtlichen Anspruchs mit sich bringt. Das Interesse des Eigentümers daran, dass Eigentum und Besitz nicht auf Dauer auseinanderfallen und ihm nur eine „leere Hülse“ verbleibt, ist daher – zumal da ihm kein schutzwürdiges Interesse des Besitzers gegenübersteht – zur Geltung zu bringen. 2. Allgemeininteresse Es bleibt die Frage, ob das oben geschilderte Allgemeininteresse an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sowie – sofern man es zumindest als sekundären Zweck der Verjährungsregeln anerkennt – an der Entlastung der Gerichte es rechtfertigt, die Vindikation der Verjährung zu unterwerfen. In diesem Zusammenhang ist wiederum zu beachten, dass hier – anders als bei schuldrechtlichen Ansprüchen – regelmäßig keine umfangreichen Beweisaufnahmen im Raum stehen, die mit der Schuldnerstellung des Besitzers zusammenhängen. Umgekehrt lassen sich auch dann, wenn man die Verjährbarkeit bejaht, beweisrechtliche Auseinandersetzungen keineswegs völlig ausschließen; so kann nicht nur über den Fristbeginn, sondern insbesondere auch über die Frage einer Anrechnung bereits abgelaufener Zeiträume gem. § 198 BGB nach einem Besitzwechsel trefflich gestritten werden63. Es bleibt das Interesse der Allgemeinheit daran, dass die Zivilgerichte nicht nach längerem Zeitablauf mit der Durchsetzung von Ansprüchen befasst werden, an deren Geltendmachung dem
__________ 63 Remien, AcP 201 (2001), 730, 741.
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Gläubiger lange Zeit offenbar nicht sonderlich gelegen war. Insoweit fällt jedoch ins Gewicht, dass der Eigentümer häufig zunächst gar keine Kenntnis vom Besitzer hatte. Während diesem Umstand bei der regelmäßigen (dreijährigen) Verjährungsfrist des § 195 BGB durch das subjektive Element des Fristbeginns (§ 199 Abs. 1 Nr. 2) Rechnung getragen wird, fehlt ein entsprechender Gläubigerschutz bei dem hier in Rede stehenden § 197 BGB. Selbst wenn er eingeführt würde, wäre damit im Übrigen das weitere Problem des dauerhaften Auseinanderfallens von Eigentum und Besitz nicht gelöst, sondern lediglich zeitlich verschoben64. Hinzu kommt, dass – wie bereits aufgezeigt – ein Allgemeininteresse an der Verjährbarkeit von Ansprüchen zwar grundsätzlich anzuerkennen ist, dass ihm jedoch gegenüber dem Individualinteresse des Schuldners nur untergeordnete Bedeutung zukommt. Verdient jenes Individualinteresse keinen Schutz, wie dies bei der Vindikation der Fall ist, so vermag allein das öffentliche Interesse die Verjährung nicht zu rechtfertigen. Anderenfalls wäre es nicht erklärlich, wieso es auch in diesem Fall von der Erhebung der Einrede durch den Schuldner abhängen soll, ob das öffentliche Interesse gewahrt bleibt. Schließlich ist umgekehrt auf das öffentliche Interesse daran hinzuweisen, dass Eigentum und Besitz nicht auf Dauer auseinanderfallen und dass nicht – angesichts der bei einer Weiterveräußerung der Sache durch den Besitzer drohenden Konsequenzen wie etwa des Bereicherungsanspruchs des Eigentümers aus § 816 BGB – eine res extra commercium entsteht65.
VI. Fazit Es hat sich gezeigt: Die gegenwärtige Rechtslage, wonach die Vindikation einer dreißigjährigen Verjährungsfrist unterworfen ist, vermag nicht zu überzeugen. Diese Regelung begünstigt unbillig denjenigen Besitzer, der keinen Gutglaubensschutz i. S. von § 932 BGB oder § 937 BGB für sich beanspruchen kann. Zugleich wird das Individualinteresse des Eigentümers durch die Verjährung in grundsätzlich anderer und schwerwiegenderer Weise betroffen als dies hinsichtlich schuldrechtlicher Ansprüche oder Anfechtungsfristen der Fall ist: Die Verjährung der Vindikation wirkt, indem sie das Eigentum auf ein nudum ius reduziert, de facto statusverändernd. Allein das Allgemeininteresse an Rechtsfrieden, das ohnehin nicht den primären Schutzzweck der Verjährung bildet, vermag eine Privilegierung des bösgläubigen Besitzers nicht zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als durch das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz ein Zustand geschaffen würde, den das Gesetz ansonsten gerade verhindern will.
__________ 64 Zutr. Remien, AcP 201 (2001), 730, 755. 65 Zu diesem Aspekt s. auch Remien, AcP 201 (2001), 730, 743. Jener Grundsatz kommt in § 137 BGB deutlich zum Ausdruck; dazu BGHZ 56, 275, 278 f. = NJW 1971, 1805; Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 137 BGB Rz. 4.
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Wie aufgezeigt, ist die hier erörterte Rechtsfrage praktisch insbesondere für Herausgabeansprüche bedeutsam, die sich auf Kulturgüter beziehen. Insofern hat sich die Situation auch durch das Kulturgüterrückgabegesetz vom 18.5. 200766 nicht geändert, da dieses die Eigentumslage unberührt lässt (s. §§ 5, 9 KultGüRückG). Weitergehend kommt eine Angleichung des Rechts der Kulturgüter in Europa in Betracht, indem der europäische Richtliniengeber die Verjährbarkeit der Vindikation von Kulturgütern ausschließt67. Spätestens eine derartige partielle Angleichung würde dem deutschen Gesetzgeber Anlass dafür bieten, eine umfassende Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung in § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorzunehmen und damit jenen Rechtszustand herbeizuführen, der in vielen Mitgliedstaaten bereits jetzt aus guten Gründen geltendem Recht entspricht.
__________ 66 Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, BGBl. 2007 I, S. 757. 67 S. dazu den Vorschlag von Siehr in Aufbruch nach Europa, FS 75 Jahre Max-PlanckInstitut für Privatrecht, 2001, S. 811, 825. Zur Angleichung des Sachenrechts auf EUEbene vgl. allg. Röthel, JZ 2003, 1027, 1034.
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Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten gegenüber Kunden am Beispiel kundenschädigender Wertpapier- und Depotgeschäfte bankexterner Vermögensverwalter Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Fragestellung 2. Ausgangsfall II. Die Rechtsverhältnisse im Falle der externen Vermögensverwaltung als Grundlage von Hinweis- und Schutzpflichten der Depotbank 1. Die Vertragsbeziehungen zwischen den Beteiligten 2. Pflichtverletzung des Vermögensverwalters a) Interessenwahrungspflicht b) Sammelorders 3. Pflichtverletzung der Depotbank III. Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten 1. Warn- und Hinweispflichten im System von Informationspflichten 2. Determinanten der Begründung von Informationspflichten
3. Fallgruppen von Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten a) Grundsatz der informationellen Selbstverantwortung b) Einlagegeschäfte c) Darlehensgeschäfte (insbes. Finanzierung von Kapitalanlagegeschäften) d) Bürgschaft und andere Sicherungsgeschäfte e) Überweisungsverkehr (Girogeschäft) f) Depotgeschäft g) Missbrauch von Vollmachten zur Vornahme von Bankgeschäften 4. Die allgemeinen Voraussetzungen von Warn- und Hinweispflichten und ihre Anwendung auf den Ausgangsfall IV. Zusammenfassung
I. Einleitung 1. Fragestellung Bei der Anbahnung von Verträgen über Bankgeschäfte unterliegt das Kreditinstitut gegenüber dem Kunden einer Reihe von Aufklärungs- und Beratungspflichten, deren Verletzung zu Schadensersatzsprüchen aus culpa in contrahendo nach § 311 Abs. 2 BGB führen kann. Auch im Zuge der Durchführung der jeweiligen Verträge können bestimmte interne und externe Vorgänge Hinweis- und Schutzpflichten des Kreditinstituts gegenüber seinem Kunden auslösen, für deren Verletzung das Institut dem Kunden aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB einzustehen hat. Sowohl die entsprechende Pflichten auslösenden Tatbestände als auch der Umfang der jeweiligen Pflichten sind im Fluss. Das gilt in besonderem Maße für die Pflichten des Kreditinstituts, den Kunden durch Warnungen und Hinweise Risiken und Gefahren vor Augen zu führen, 67
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die ihm aus dem Abschluss von Drittverträgen oder Pflichtverletzungen dritter Vertragspartner drohen. Wie groß die Unsicherheit über die Reichweite drittbezogener Warn- und Hinweispflichten eines Kreditinstituts und wie schwankend der dogmatische Boden für die Begründung solcher Pflichten ist, hat die Kontroverse um die Aufklärungspflichten von Kreditinstituten beim Vertrieb der von Dritten initiierten, aber durch Darlehen von Kreditinstituten finanzierter Immobilienkapitalanlagen und die mit der wirtschaftlichen Verbundenheit von Anlage- und Finanzierungsgeschäft zusammenhängende Frage eines Einwendungsdurchgriffs gegenüber dem Kreditinstitut gezeigt1. In allen ihren Phasen hat sie Harm Peter Westermann rechtspraktisch und wissenschaftlich nicht unwesentlich beschäftigt2. Schon deshalb darf erwartet werden, dass die Behandlung der Frage nach Rechtsgrund und Umfang der durch bankgeschäftliche Schuldverhältnisse ausgelösten Hinweis- und Schutzpflichten von Banken auch das Interesse des Jubilars finden wird. Diese Hoffnung gilt umso mehr als die einschlägigen Entscheidungen von zu den Verantwortlichkeiten von Kreditinstituten bei der Finanzierung Risikokapitalanlagen3 nur einen Ausschnitt des weiten Feldes potentieller Hinweis- und Schutzpflichten von Kreditinstituten in Bezug auf ihr fremde Geschäfte ihrer Kunden behandeln. Diese wiederum haben den Jubilar als Kommentator der §§ 241, 280 BGB in dem von ihm herausgegebenen „Erman“4 auch als Beispielsfälle zur Verdeutlichung der allgemeinen Wurzeln von Schutz- und Informationspflichten im neuen und im alten Schuldrecht beschäftigt. Da drittbezogene Warn- und Hinweispflichten eines Kreditinstituts anhand des sogleich einzuführenden Beispiels eines pflichtwidrig handelnden externen Vermögensverwalters dargestellt werden sollen, stellen die nachfolgenden Ausführungen zugleich einen Beitrag zu den Pflichten eines Vermögensverwalters, namentlich bei der Platzierung von Wertpapierorders, dar. 2. Ausgangsfall Wer es unternimmt, die Voraussetzungen von Hinweis- und Schutzpflichten von Kreditinstituten gegenüber ihren Kunden in Bezug auf deren vorvertrag-
__________ 1 Dazu schon Westermann, Gesellschaftsbeitritt als Verbraucherkreditgeschäft?, ZIP 2002, 189 ff. (I.), 240 ff. (II.); ders., Vertrieb von drittfinanzierten Immobiliengeschäften, in Horn/Krämer (Hrsg.), Bankrecht 2002, 2003, S. 237 ff.; ders., Anmerkung zu BGH v. 27.6.2000, XI ZR 210/99 und XI ZR 174/99, WuB 2000, 1105 ff. (I G 5. – 17.00: „Kein Einwendungsdurchgriff gegen finanzierende Bank vor Kündigung des Fondsbeitritts“). Zuletzt BGH, WM 2006, 1066, 1068 f. (Tz. 17–21) und 1970 (Tz. 25 ff.); BGH, WM 2006, 1194, 1197 ff. 2 Westermann, ZIP 2002, 189 ff. (I.), 240 ff. (II.); ders., Vertrieb (Fn. 1), S. 237 ff.; ders., Gläubiger und Schuldner der Nebenpflichten aus dem bankgeschäftlichen Darlehensvertrag, in FS Thomas Raiser, 2005, S. 787; ders., WuB 2000, 1105 ff. (I G 5. – 17.00). 3 S. dazu unten zu III. 3. c) und die Nachw. in Fn. 59. 4 S. insbes. Westermann in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 241 BGB Rz. 10 ff. und § 280 BGB Rz. 45 ff., 48 ff.
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Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten
liche und vertragliche Verbindung zu Dritten herauszuarbeiten, tut gut daran, sich nicht im weiten Feld der bereits reichlich vorhandenen Fallgruppen zu verlieren, sondern einen Sachverhalt aus dem Bereich der Vermögensverwaltung zum Ausgangspunkt zu nehmen, der unzweifelhaft die Frage nach entsprechenden Hinweis- und Warnpflichten von Kreditinstituten aufwirft, ohne in seiner Kernproblematik bereits Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen oder näherer Erörterung im Schrifttum gewesen zu sein: Kunde K unterhält bei der Bank B ein Wertpapierdepot, das er auf Grund entsprechender vertraglicher Vereinbarungen und Vollmachten von dem externen, d. h. selbstständigen und weder bei der B-Bank noch bei einem anderen Kreditinstitut angestellten Vermögensverwalter V betreuen lässt. Neben dem Vermögen des K betreut V auch die Vermögen einer Reihe weiterer Personen, die ebenfalls über Wertpapierdepots bei der B-Bank verfügen. Die im Rahmen seiner Vermögensverwaltungstätigkeit vorgenommenen Orders erteilt V der B-Bank in der Regel telefonisch als Sammelorders, d. h. ohne mitzuteilen, welche Anzahl an Kontrakten oder wie viel Stück Aktien für welches Konto gehandelt und verbucht werden soll. Die Aufteilung der Sammelorders erfolgt vielmehr erst geraume Zeit nach ihrer Ausführung. Bei Verkaufsorders in Aktien führt dies mitunter zu Leerverkaufspositionen, da später die Order einem Konto zugeteilt wird, in dem der Aktienwert nicht vorhanden ist. Das fällt alsbald auch der B-Bank auf, die keine Aktienleerverkäufe für Private anbietet. Ihre Versuche, durch die eine oder andere Maßnahme den Verwalter von seinem bisherigen Verhalten abzuhalten, bleiben erfolglos. K hat von der Praxis der nachträglichen Orderaufteilung keine Kenntnis und konnte eine solche auch weder aus den Mitteilungen der Bank noch denjenigen des V entnehmen. Als bekannt wird, dass die nachträgliche Orderaufteilung vor allem zur auffälligen Begünstigung des Depots der Lebensgefährtin des V geführt hat, während die anderen sich mehr schlecht als recht entwickelten, kündigt K den Vermögensverwaltungsvertrag und macht Schadensersatzansprüche gegen die B-Bank geltend.
II. Die Rechtsverhältnisse im Falle der externen Vermögensverwaltung als Grundlage von Hinweis- und Schutzpflichten der Depotbank Als möglicher Schadensersatzanspruch kommt im Ausgangsfall ein solcher wegen der Verletzung einer Hinweis- und Warnpflicht der Bank gegenüber ihrem Kunden betreffend das Verhalten des Vermögensverwalters in Betracht. Ein solcher Anspruch wirft Fragen auf, deren Beantwortung einen Blick auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten erforderlich macht. 1. Die Vertragsbeziehungen zwischen den Beteiligten Ausgangspunkt der Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis von Kunde, Vermögensverwalter und Kreditinstitut ist der Abschluss eines Vermögensverwal69
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tungsvertrags zwischen Kunde und Vermögensverwalter, der als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstleistungscharakter zu qualifizieren ist5. Gegenstand eines solchen Vertrags ist die dauerhafte Verwaltung des Kundenvermögens zum Zwecke der Kapitalanlage durch den gewerbsmäßig handelnden und rechtlich selbstständigen Vertragspartner, dem hinsichtlich der Anlage ein Entscheidungsspielraum zusteht6. Handelt es sich bei dem Vermögensverwalter – wie vorliegend anzunehmen – nicht um ein Kreditinstitut mit der Erlaubnis zum Betreiben des Finanzkommissions- und Depotgeschäfts, sondern um einen lediglich mit der Erlaubnis zum Betreiben der Finanzportfolioverwaltung tätig werdenden Verwalter (§ 32 i. V. m. § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG), muss sich dieser zur Ausführung von Wertpapiertransaktionen und der Verwahrung der Wertpapiere eines Kreditinstituts bedienen, da ihm selbst die Genehmigung zum Betreiben dieser Bankgeschäfte (gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und 5 KWG) fehlt. Der Verwalter wird seine Anlageentscheidungen daher in Orders gegenüber dem depotführenden Kreditinstitut umsetzen, das diese als Broker ausführt, im Depot des Kunden verbucht und den Vermögensverwalter hierüber benachrichtigt. Dazu bedarf es allerdings des vorausgehenden Abschlusses eines Depotvertrags des Kunden mit der Depotbank, der i. d. R. im Wege der Vertretung des Kunden durch den Vermögensverwalter zustande kommt. Bei dem Depotvertrag handelt es sich um einen gemischttypischen Vertrag mit Elementen des Verwahrungsvertrags (§§ 688 ff. BGB) und solchen des Geschäftsbesorgungsvertrags mit dienstvertraglichem Inhalt7. Die Tätigkeit der Banken im Rahmen der Depotverwaltung beschränkt sich auf die Verwahrung von Wertpapieren und die treuhänderische Wahrnehmung der sich aus den verwahrten Wertpapieren ergebenden Rechte8. Eine weitergehende Pflicht der Depotbank zur Beratung des Kunden oder zu Nachforschungen über die verwahrten Papiere, namentlich die Beobachtung der Kurse der fraglichen Papiere, kann aus dem Depot-
__________ 5 BGH, WM 1962, 675, 676; BGH, BGHZ 137, 69, 73; OLG Düsseldorf, WM 1991, 94, 95; Miebach, Private Vermögensverwaltung und Erlaubniserfordernis nach § 1 KWG, DB 1991, 2069; Esters, Die Haftung des privaten Depotverwalters, 1992, S. 8; Hammen, Die Gattungshandlungsschulden, 1995, S. 269 ff.; Roll, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, 1983, S. 48 ff.; Schäfer in Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 28 Rz. 12; Sethe, Anlegerschutz im Recht der Vermögensverwaltung, 2005, S. 19, 99 ff. 6 Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl. 2001, § 111 Rz. 1; Hopt, Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 104 f.; Schäfer in Assmann/Schütze (Fn. 5), § 28 Rz. 1; ders. in Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Aufl. 2003, § 19 Rz. 1, 13, 27 ff.; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 15 ff. 7 Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, 2006, S. 32; Gößmann in Schimansky/ Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 72 Rz. 4, 166; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Rz. 11.9. 8 Vgl. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (Fn. 7), Rz. 11.83 ff.; Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 6), § 17 Rz. 1 ff.; Gößmann in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 72 Rz. 1 ff.
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vertrag nicht gefolgert werden9. Ebenso wenig besteht eine Pflicht der Depotbank, den die Orders erteilenden externen Vermögensverwalter hinsichtlich seiner Anlageentscheidungen zu überwachen10. Darüber hinaus lässt sich der Vermögensverwalter auch nicht als Erfüllungsgehilfe der Depotbank betrachten11, wodurch es ausgeschlossen ist, dieser das Verhalten des Verwalters zuzurechnen. Mit der Ordererteilung erfüllt der Verwalter vielmehr eigene vertragliche Pflichten gegenüber dem Kunden. Bei der Erteilung von Wertpapierorders wird er regelmäßig als Vertreter des Kunden tätig, denn in Deutschland wird die Vermögensverwaltung nahezu ausschließlich auf der Grundlage des sog. Vertretermodells angeboten12. Das vom Vermögensverwalter veranlasste Effektengeschäft, das ein Kommissionsgeschäft oder ein Festpreisgeschäft (in Gestalt eines Kaufvertrags) sein kann13, kommt damit zwischen dem Kunden und der ausführenden Bank zustande14. Da dies für die Erfüllung der Aufgaben der Depotbank gegenüber ihrem Kunden nicht erforderlich ist, bestehen zwischen Vermögensverwalter und Bank regelmäßig keine vertraglichen Beziehungen. Allenfalls denkbar sind Vereinbarungen über Provisionszahlungen der Depotbank an den Vermögensverwalter für die von diesem über die Bank abgewickelten Anlagegeschäfte. Ob solche Vereinbarungen nach der Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID)15 noch zulässig sind16, ist fraglich. Doch auch für den Fall
__________ 9 BGH, WM 2005, 270 ff. mit Anm. Balzer, EWiR 2005, 245 f.; OLG Celle, WM 1997, 1801, 1802 mit zustimmender Anm. Jaskulla, WuB I G 2 – 2.97; OLG München, WM 1997, 1802, 1806; LG Göttingen, WM 2006, 184 (Ls. 3); LG Saarbrücken, WM 2006, 715; LG Zweibrücken, WM 2006, 715 (Ls. 2). Aus dem Schrifttum Balzer, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, 1999, S. 19; Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung (Fn. 7), S. 31; Brunner, Die Vermögensverwaltung deutscher Kreditinstitute im Privatkundengeschäft, 1987, S. 6; Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 111 Rz. 15; Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 6) § 17 Rz. 6; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 25. 10 Müller in Schäfer/Müller, Haftung für fehlerhafte Wertpapierdienstleistungen, 1999, Rz. 269; Bassi, Der bankenunabhängige Vermögensverwalter, 1996, S. 29 f. 11 So ausdrücklich auch Bretton-Chevallier, Haftung der Bank gegenüber ihrem Kunden und externe Vermögensverwaltung, SZW 2003, 254, 256 in Bezug auf Art. 101 OR (Obligationenrecht Schweiz). 12 Etwa Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 9), S. 33; ders. in Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2004, § 47 Rz. 6; Schäfer in Assmann/Schütze (Fn. 5), § 28 Rz. 7 f.; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 7 ff. 13 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (Fn. 7), Rz. 10.67 ff., 10.264 ff. sowie Nr. 1–8 bzw. Nr. 9 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte (Stand 1/2003). 14 Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 9), S. 34; ders. in Derleder/Knops/Bamberger (Fn. 12), § 47 Rz. 6. 15 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. EU Nr. L 145 v. 30.4.2004, S. 1. Die Auswirkungen der MiFID auf die Vermögensverwaltung sind beschrieben bei Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 477 ff. 16 Dazu näher Assmann, Interessenkonflikte und „Inducements“ im Lichte der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) und der MiFID-Durchführungs-
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der Zulässigkeit lösen sie, geltenden Rechtsgrundsätzen folgend, unter anderem entsprechende Hinweispflichten der Depotbank aus17 und verpflichten den Verwalter, soweit er mit dem Kunden keine anderweitige Vereinbarung getroffen hat, zur Herausgabe des Erlangten18. 2. Pflichtverletzung des Vermögensverwalters a) Interessenwahrungspflicht Das im Ausgangsfall geschilderte Verhalten des Vermögensverwalters hätte allenfalls dann eine Hinweis- oder Warnpflicht der Depotbank auslösen können, wenn es sich um ein pflichtwidriges Verhalten des Verwalters gehandelt hätte. Im Mittelpunkt der schuldrechtlichen Pflichten des Vermögensverwalters gegenüber seinem Kunden steht die Pflicht zur Anlage des Vermögens des Kunden unter bestmöglicher Wahrung seiner Interessen. Ihr entspricht die dem Aufsichtsrecht über Wertpapierdienstleistungsunternehmen entspringende Pflicht des Vermögensverwalters, seine Leistungen im bestmöglichen Interesse der Kunden zu erbringen (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG19). Sie umfasst die Pflicht, Interessenkonflikte zu vermeiden oder unvermeidbare Konflikte im Kundeninteresse zu lösen (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Auch die Erkundigungsund Informationspflichten des § 31 Abs. 2 WpHG dienen der Wahrung des Kundeninteresses, da der Vermögensverwalter nur insoweit zu Nachforschungen und Hinweisen verpflichtet ist, als dies zur Wahrung der Kundeninteressen und im Hinblick auf Art und Umfang der Geschäfte erforderlich ist. In gleicher Weise haben die speziellen Verbote des § 32 WpHG Verhaltensweisen eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens zum Gegenstand, die eine Verletzung der allgemeinen Pflicht zur Wahrung des Kundeninteresses darstellen. Ergänzt werden diese kundenbezogenen Verhaltenspflichten durch eine Organisationspflicht, welche darin besteht, Interessenkonflikte so weit wie möglich zu vermeiden (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). An dieser Grundstruktur aufsichtsrechtlich begründeter Interessenwahrungspflichten wird sich auch nach der Umsetzung der MiFID20 nichts Grundlegendes ändern. b) Sammelorders Zu den Pflichten des Vermögensverwalters bei der Wahrung des Kundeninteresses gehört es sicherzustellen, dass die Kundenaufträge zu den für den Kun-
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richtlinie, Österreichisches BankArchiv (ÖBA) 2007, 40. Kritisch zum derzeitigen Recht auch Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 898. S. die Nachw. unten in Fn. 83 und die Ausführungen unten III. 3. f). BGH, WM 1989, 1047; BGH, WM 1990, 462. Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung (Fn. 7), S. 924 ff.; Schäfer in Assmann/Schütze (Fn. 5), § 28 Rz. 48; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 896 f. Dem Beitrag liegt das WpHG in seiner Fassung vor Umsetzung der MiFID (s. o. Fn. 15) zu Grunde. S. o. Fn. 15.
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den jeweils besten Konditionen ausgeführt werden21. Mit diesem Grundgedanken steht es durchaus in Einklang, wenn der Vermögensverwalter für verschiedene Kunden gedachte Orders oder Kundenorders mit eigenen Orders zu so genannten Sammelorders (synonym: Blockorders) zusammenfasst, da größere Orders regelmäßig zu besseren Konditionen ausgeführt werden können. Dient die Zusammenfassung solcher Orders damit zwar regelmäßig durchaus auch dem Interesse des einzelnen Kunden und darf deshalb grundsätzlich als zulässig betrachtet werden22, so birgt sie doch andererseits auch die Gefahr, dass die nachträgliche Aufteilung einer Sammelorder zum Nachteil einzelner Kunden oder zum Vorteil des Vermögensverwalters vorgenommen wird. Vor- und Nachteile von Sammelorders stehen sich vor allem bei der Ausführung von Kundenaufträgen durch Kreditinstitute gegenüber. Um sicherzustellen, dass Sammelorders in diesem praktisch besonders bedeutenden Geschäftsfeld nicht zum Nachteil der Kunden oder einzelner Kunden eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens vorgenommen werden, hat die BaFin in der so genannten Wohlverhaltensrichtlinie vom 23.8.200123 die Zulässigkeit solcher Orders an gewisse Voraussetzungen gebunden. Nach Ziffer 3.5. (Abs. 1) der Wohlverhaltensrichtlinie dürfen Kundenaufträge „untereinander und mit Eigengeschäftsaufträgen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens“ nur dann „zu einem Auftrag zusammengefasst werden, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch das Kundeninteresse verletzt wird“, wobei aus der Sammelorder erzielte Kostenvorteile „anteilig an die Kunden weiterzugeben“ sind24. Um die Verletzung von Kundeninteressen durch Sammelorders auszu-
__________ 21 Zur Verpflichtung zur kundengünstigsten Ausführung von Anlagegeschäften s. Art. 21 MiFID (Fn. 15), die nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i. V. m. Anhang 1 Abschnitt A Nr. 4 MiFID auch für Vermögensverwalter gilt, und Art. 44–46 der MiFID-Durchführungsrichtlinie (Fn. 24). Zu den Auswirkungen der MiFID auf die Vermögensverwaltung s. Teuber, Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID) – Auswirkungen auf Anlageberatung und Vermögensverwaltung im Überblick, BKR 2006, 429. 22 Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 9), S. 114; ders. in Derleder/Knops/Bamberger (Fn. 12), § 47 Rz. 37; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Wertpapierhandel, 1998, S. 232; Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 111 Rz. 24; Schwark in Schwark (Hrsg.), Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. 2004, § 14 WpHG Rz. 13; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 805. 23 Richtlinie zur Konkretisierung der §§ 31 und 32 WpHG für das Kommissionsgeschäft, den Eigenhandel für andere und das Vermittlungsgeschäft der Wertpapierdienstleistungsunternehmen v. 23.8.2001, BAnz. Nr. 165 v. 4.9.2001, S. 19217, wiedergegeben in Assmann/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, 4. Aufl. 2006, bei § 35 WpHG Rz. 7. 24 Ein Teil des Schrifttums verlangt darüber hinaus eine vorherige Information der Kunden über die Möglichkeit der Zusammenfassung von Aufträgen und die dabei geltenden Regeln für eine Zuteilung und die Preisberechnung. Etwa Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten (Fn. 22), S. 232; Kienle in Schimansky/Bunte/ Lwowski (Fn. 6), § 111 Rz. 24. S. a. Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 6), § 16 Rz. 28. Eine solche Mitteilungspflicht verlangt auch Art. 48 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2006/73/EG der Kommission v. 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung
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schließen, verlangt Ziffer 3.5. (Abs. 2) der Wohlverhaltensrichtlinie darüber hinaus, dass die „Zuordnung des Kundenauftrags zum jeweiligen Ausführungsgeschäft stets möglich sein“ muss und „Ausführungsgeschäfte aus zusammengefassten Aufträgen … unverzüglich nach der Ausführung – d. h. grundsätzlich noch am Handelstag – den betroffenen Kunden zuzuordnen“ sind. Um Manipulationen auszuschließen, schreibt Ziffer 3.6 der Wohlverhaltensrichtlinie eine Dokumentation des zeitlichen Ablaufs des Wertpapiergeschäfts von der Erteilung bis zur vollständigen Abwicklung vor. Diese Regelungen der Wohlverhaltensrichtlinie, die teilweise wortgleich den in Art. 48 und 49 der zwischenzeitlich verabschiedeten und in mitgliedstaatliches Recht umzusetzenden Bestimmungen der MiFID-Durchführungsrichtlinie entsprechen25, betreffen zwar nicht unmittelbar die Orderteilung durch Vermögensverwalter, werden jedoch als auf die Vermögensverwaltung übertragbar angesehen26. Ein sowohl die allgemeine Interessenwahrungspflicht des Vermögensverwalters verletzendes als auch gegen die Regeln aus Ziffer 3.5. der Wohlverhaltensrichtlinie verstoßendes Verhalten ist vor allem dann anzunehmen, wenn der Vermögensverwalter unaufgeteilte Sammelorders erteilt, die ihm eine beliebige nachträgliche, die Entwicklung der Wertpapierkurse berücksichtigende Aufteilung der Wertpapiere und damit eine willkürliche Verteilung von Chancen und Risiken aus den per Sammelorder getätigten Wertpapiergeschäften erlaubt: Entwickelt sich etwa der Kurs der fraglichen Wertpapiere negativ, wird die Transaktion so behandelt, als sei sie von Anfang an für Rechnung eines bestimmten Kunden erfolgt27. Ist die Kursentwicklung der Wertpapiere dagegen positiv, bucht der Vermögensverwalter die Papiere in die Konten bevorzugter Kunden ein oder er behandelt die Papiere als solche der eigenen Firma und „verkauft“ sie den Kunden zu dem nun höheren Preis. Da der Vermögensverwalter die „namenlose“ Order nun einfach als Auftrag des Kunden abheften kann, ist eine derartige Manipulation nur sehr schwer aufzudecken28. Aus alledem folgt, dass der Vermögensverwalter Sammelorders mit einer im Vorhinein festzulegenden Aufteilungsanordnung verbinden muss29, um eine unmittelbar nach Ausführung der Geschäfte entsprechende Einbuchung in die Kundenkonten30 zu ermöglichen.
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dieser Tätigkeit sowie bestimmte Begriffsdefinitionen für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABl. EU Nr. L 241 v. 2.9.2006, S. 26 (MiFID-Durchführungsrichtlinie). Danach ist „jedem Kunden, dessen Auftrag mit anderen zusammengelegt werden soll, … mitzuteilen, dass eine derartige Zusammenlegung in Bezug auf einen bestimmten Auftrag nachteilig sein kann“. S. o. Fn. 24. Eine entsprechende Richtlinie zur Vermögensverwaltung war seit längerem geplant, doch wurde ihre Verabschiedung schon mehrfach zurückgestellt, da erst die Umsetzung der MiFID und ihrer Ausführungsrichtlinien abgewartet werden sollte. Man bezeichnet diese Verhaltensweise auch als „Abladen“. Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 143, 145. So etwa auch Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung (Fn. 7), S. 727; Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten (Fn. 22), S. 232; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 806 (zur Zeichnung junger Aktien). Wohl auch Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 23), § 31 WpHG Rz. 16, 53. Hierfür insbes. Bliesener, Aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten (Fn. 22), S. 226.
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Darüber hinaus kann der Umstand, dass die nachträgliche Orderaufteilung bei Kunden zu Leerverkaufspositionen führt, auch eine Verletzung der Pflicht zur sorgfältigen und kundengerechten Auswahl der Anlageobjekte und gegebenenfalls zur Einhaltung der mit dem Kunden vereinbarten Anlagerichtlinien zur Folge haben, vorausgesetzt der Leerverkauf entsprach nicht den Interessen des Kunden oder war von den Anlagerichtlinien nicht gedeckt31. Schließlich liegt in der Erteilung einer unaufgeteilten Sammelorder regelmäßig auch ein Missbrauch der dem Vermögensverwalter eingeräumten Vollmacht. 3. Pflichtverletzung der Depotbank Schon die Durchführung einer vom Vermögensverwalter pflichtwidrig erteilten unaufgeteilten Wertpapiersammelorder durch die Depotbank kann ihrerseits als Pflichtverletzung sowohl des Depotvertrags als auch des jeweiligen Wertpapierkommissions- oder Wertpapierfestpreisgeschäfts mit dem Kunden angesehen werden und Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB32 auslösen. Gleiches gilt für die Verletzung der entsprechenden ebenfalls Kommissions- und Festpreisgeschäfte umfassenden33 (sich aus §§ 31 f. WpHG ergebenden, aber über § 823 Abs. 2 BGB haftungsbewehrten34) aufsichtsrechtlichen Pflicht der Depotbank zur Wahrung des Kundeninteresses. Nicht ganz unproblematisch ist in diesen Fällen allerdings der Nachweis eines schadensursächlichen Verhaltens der Depotbank, denn es ist nicht bereits die pflichtwidrige Ausführung einer Sammelorder durch die Bank, die zum Schaden des Kunden führt, sondern erst das dieser nicht nach § 278 BGB zurechenbare pflichtwidrige Verhalten des Vermögensverwalters, d. h. dessen Abladen nachteiliger Geschäfte beim Kunden im Wege der nachträglichen Orderaufteilung. Im Übrigen wäre jede Order einzeln auf ihre Pflichtwidrigkeit und ihre den Kunden schädigenden Auswirkungen zu betrachten. Schon von daher kommt der Frage besondere Bedeutung zu, ob die Bank nicht nur eine Pflicht hatte, die Ausführung pflichtwidriger Order durch einen externen Vermögensverwalter zu unterlassen, sondern auch eine solche, den Kunden auf die pflichtwidrige Ordererteilung aufmerksam zu machen. Wäre dies der Fall, dürfte davon ausgegangen werden, dass der Kunde sich bei einem entsprechenden Hinweis der Bank „aufklärungsrichtig“ verhalten und dem Ver-
__________ 31 S. dazu etwa Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 898 ff., 904 f. 32 Beim Kommissionsgeschäft wird, namentlich im Hinblick auf die Pflicht zur Wahrnehmung des Kundeninteresses, nach § 384 Abs. 1 HGB gehaftet, d. h. für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. S. statt vieler Krüger in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, § 384 HGB Rz. 9. 33 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (Fn. 7), Rz. 10.279 ff. (zu Aufklärungs- und ggf. Beratungspflichten); Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rz. 189. Zur Anwendbarkeit von §§ 31 ff. WpHG s. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 23), § 2 WpHG Rz. 45 und 50. 34 Zu den Bestimmungen der §§ 31 f. WpHG als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB s. statt vieler und m. w. N. Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 23), Vor § 31 WpHG Rz. 17 mit Fn. 1 S. 1122; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 758 ff.
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walter Einhalt geboten hätte35. Der Frage, ob eine solche Hinweispflicht besteht, ist im folgenden Abschnitt nachzugehen.
III. Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten 1. Warn- und Hinweispflichten im System von Informationspflichten Wie jeder andere Vertragspartner können auch Kreditinstitute im Verhältnis zu ihren Kunden Informations-, Anzeige-, Hinweis-, Aufklärungs-, Warn-, Schutz- und Obhutspflichten unterliegen, wobei das Schuldverhältnis, aus dem sie erwachsen, vorvertraglicher oder vertraglicher Art sein kann. Die Terminologie und die Klassifikation der vorstehend aufgeführten Pflichten eines Vertragspartners jedoch sind uneinheitlich. Das ist aber insoweit unschädlich als es sich bei den angeführten Pflichten – anders etwa bei einer als Nebenleistungspflicht zur Auskunftserteilung – um nicht einklagbare Pflichten handelt und die Schuldrechtsreform 2002 zu einer Vereinheitlichung der bei der Verletzung dieser Pflichten anzuwendenden Vorschriften sowie der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen36 geführt hat: Sie sind als Pflichten aus einem rechtsgeschäftlich begründeten oder rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnis allein nach rechtsgeschäftlichen Grundsätzen zu behandeln37. Dennoch sind Klassifikationen für die Rechtsanwendung hilfreich. Dabei bietet sich zunächst eine dem Entstehungsgrund der Pflichten geschuldete Differenzierung nach integritätsschutzbezogenen und leistungsbezogenen Pflichten an: Bei den ersteren handelt es sich um die aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB folgende Pflicht, im Zuge der verstärkten Einwirkungsmöglichkeiten38, welche mit der Erfüllung vorvertraglicher oder vertraglicher Schuldverhältnisse durch den jeweiligen Schuldner einhergehen, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweiligen Gläubigers Rücksicht zu nehmen. Aus diesem Pflichtenkreis erwachsen in erster Linie Schutz- und Obhutspflichten. Dagegen bringen die aus § 242 BGB folgenden Leistungstreuepflichten solche Pflichten hervor, die im Einzelfall zum Zwecke der Verwirklichung des Zwecks des angebahnten oder abgeschlossenen Vertrags erforderlich sind. Es handelt sich vor allem um Aufklärungs-, Warn- und Hinweispflichten. Sowohl integritätsbezogene wie leistungsbezogene Pflichten bedürfen der Begründung aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses im Allgemeinen (d. h. dem Typ des angebahnten oder geschlossenen Vertrags) und im Besonderen (d. h. der Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls)39. Die Zuordnung von Schutz- und Obhutspflichten zu den integritätsbezogenen und von Aufklärungs-, Warn- und Hinweispflichten zu den leistungsbezogenen
__________ 35 Zur Annahme aufklärungsrichtigen Verhaltens des Kunden s. jeweils m. w. N. Roth in Assmann/Schütze (Fn. 5), § 59 und Westermann in Erman (Fn. 4), § 280 BGB Rz. 30. 36 Westermann in Erman (Fn. 4), § 241 BGB Rz. 10. 37 Vgl. Westermann in Erman (Fn. 4), § 241 BGB Rz. 3. 38 Westermann in Erman (Fn. 4), § 241 BGB Rz. 11. 39 Westermann in Erman (Fn. 4), § 241 BGB Rz. 3, 10, 14.
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Pflichten ist allerdings nicht immer zwingend, denn es sind Überschneidungen möglich. So können Integritätsschutzinteressen durchaus durch Hinweise und Warnungen (Warnung vor einer Gefahrenquelle im Verkaufsraum oder vor in der verkauften Ware enthaltenen gesundheitsgefährdenden Stoffen) erfüllt werden und Schutzpflichten die Gestalt von Hinweis- und Warnpflichten annehmen. Umgekehrt kann es vorkommen, dass die Verwirklichung des Vertragszwecks nicht mehr nur durch Aufklärungspflichten gewährleistet werden kann, sondern schadensverhindernde Vorkehrungen und Maßnahmen erforderlich macht. Betrachtet man den Ausgangsfall, so liegt es nahe, eine eventuelle Pflicht der Depotbank, den Kunden auf die Erteilung unaufgeteilter Sammelorders aufmerksam zu machen, als eine mittels Hinweis oder Warnung zu erfüllende Schutzpflicht zu betrachten: Nicht die Durchführung des Depotvertrags oder des jeweiligen Wertpapiergeschäfts mit der Bank war durch das Verhalten des externen Vermögensverwalters betroffen; vielmehr bestand die Gefahr, dass das Verhalten des Verwalters die durch § 241 Abs. 2 BGB erfassten vermögensbezogenen Interessen des Kunden beeinträchtigen würde. Auch der Versuch, Anzeige-, Hinweis-, Aufklärungs- oder Warnpflichten gegeneinander abzugrenzen, ist ebenso schwierig wie müßig. So mag man das Element der Warnung als jeder Aufklärung40 und das des Hinweises wiederum als jeder Warnung inhärent betrachten, während es – umgekehrt – auf der Hand liegt, dass die Warnung dem bloßen Hinweis einen Gefahrenbezug und die Aufklärung der bloßen Information eine erklärendes Element hinzufügt. Auch mögen alle Informationspflichten, anders als Pflichten aus Auskunftsansprüchen, unter der Funktion, die nachträgliche Verlagerung eingetretener Risiken zu erlauben, geeint sein41 und weitere Differenzierungen als zweitrangig erscheinen lassen. Unbestreitbar schließlich sind alle Anzeige-, Hinweis-, Aufklärungs- oder Warnpflichten Ausprägungen einer Informationspflicht, d. h. einer Pflicht zur Weitergabe von Tatsachenwissen. Was im Einzelfall über eine bloße Information des anderen Teils über bestimmte Verhältnisse hinaus gefordert ist, ist wiederum eine Frage der integritäts- oder leistungsbezogenen Pflichten in Bezug auf die Art des jeweiligen Schuldverhältnisses und die Verhältnisse im Einzelfall. Warn- und Hinweispflichten können von allgemeinen und anderen Informationspflichten dadurch abgegrenzt werden, dass sie Informationen zum Gegenstand haben, die dem Empfänger mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Verwirklichung einer konkret drohenden Gefahr in Bezug auf die Erreichung des Zwecks eines Vertrags oder die Verletzung von Integritätsinteressen des Kunden i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB mitgeteilt werden. Ein bloßer Hinweis reicht aus, wenn der Betreffende selbst in der Lage ist, mit der ihm gegebenen Information seine Interessen wahrzunehmen; ist dies nicht anzunehmen, stellt die Warnung den Zusammenhang zwischen Information und drohender Gefahr her.
__________ 40 Grundmann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 276 BGB Rz. 116. 41 In diesem Sinne, bezogen auf Aufklärungspflichten, Roth in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 241 BGB Rz. 114 i. V. m. Rz. 127.
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Gemeinsam ist allen Informationspflichten, dass sie Situationen betreffen, in denen der Schutz der Drittinteressen durch die Schaffung der für den Selbstschutz des Dritten erforderlichen informationellen Basis ausreichend ist; es wird daher keine weitergehende Verhaltenspflicht der zur Gefahrenabwehr in Betracht kommenden Person verlangt. Dass die Grenzen zwischen Informationspflichten und anderweitigen Handlungs- oder Unterlassungspflichten fließend sein können, mögen zwei Beispiele belegen: Zum einen löst die Vorlage so genannter disparischer Schecks (d. h. von Schecks, bei denen der Scheckbegünstigte und der Scheckeinreicher verschieden sind) nicht etwa lediglich Warn- oder Hinweispflichten der Bank gegenüber dem Scheckbegünstigten aus, sondern eine Pflicht zur Prüfung der Verfügungsberechtigung des Scheckeinreichers42. Zum anderen reichen bloße Warn- oder Hinweispflichten auch dann nicht aus, wenn der Bankkunde auf Grund einer ihm erteilten Vollmacht Wertpapiere des Vollmachtgebers in sein Depot legen lässt; hier soll die Bank vielmehr verpflichtet sein, von ihrem Depotkunden die Vorlage einer Einverständniserklärung des Vertretenen zu verlangen43. 2. Determinanten der Begründung von Informationspflichten Eine Informationspflicht besteht, gleich in welcher Ausprägung, nur unter besonderen Umständen. Betrachtet man das weite Feld rechtlich anerkannter, namentlich im Zusammenhang mit vorvertraglichen Schuldverhältnissen begründeter Informationspflichten lassen sich zahlreiche Gesichtspunkte benennen, die als für die Anerkennung von Aufklärungs-, Warn- oder Hinweispflichten ausschlaggebend betrachtet werden dürfen und aus denen sich schließlich auch die allgemeinen Voraussetzungen einer Informationspflicht des Partners aus dem vorvertraglichen oder vertraglichen Schuldverhältnis ableiten lassen: Unabdingbare Voraussetzung einer Informationspflicht ist es, dass die eine Seite Umstände kennt, die der anderen Seite unbekannt sind44, d. h. das Bestehen eines Informationsgefälles45 zwischen den Beteiligten. Doch reicht die Existenz eines Wissensungleichgewichts allein nicht aus, um eine Partei durch die Auferlegung von Informationspflichten zur Aufhebung desselben zu zwingen46. Soweit für die Wahrnehmung der eigenen Interessen Wissen erforderlich ist, ist es Sache einer jeden potentiellen Vertragspartei, sich dieses selbst zu verschaffen. Daran vermag sich auch dann nichts zu ändern, wenn die Interessenwahrnehmung durch die Anbahnung und Eingehung von Verträgen erfolgt.
__________ 42 BGH, WM 2006, 248, 249. Dazu etwa Bülow, Scheckprüfungspflicht der Kreditinstitute im Umbruch, WM 1997, 10. 43 BGH, WM 1969, 112. Dazu Schramm in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 32 Rz. 36; Schwintowski in Schwintowski/Schäfer (Fn. 6), § 6 Rz. 69. 44 Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 41), § 241 BGB Rz. 123. 45 Westermann in Erman (Fn. 4), § 241 BGB Rz. 3, 10, 14. 46 Grundmann in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 276 BGB Rz. 118; Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 41), § 241 BGB Rz. 123.
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Insbesondere über die allgemeinen Marktverhältnisse47 und die rechtlichen Rahmenbedingungen48 muss sich hier jeder Marktteilnehmer – gegebenenfalls unter Heranziehung der Hilfe Dritter – selbst kundig machen. Ausnahmen sind nur dann angezeigt, wenn dies im Interesse der Funktionsfähigkeit der Märkte geboten ist oder aus Billigkeitsgründen oder unter Sozialschutzaspekten als geboten erscheint. Die effiziente marktliche Allokation knapper Güter setzt informierte Entscheidungen der Marktteilnehmer voraus. Informationelle Ungleichgewichte werden hier erst dann zu rechtlich relevanten, wenn sie auf ungleichen Wissenszugangs- oder Wissensauswertungsmöglichkeiten beruhen, die nicht ihrerseits durch Verträge oder andere Maßnahmen der Betroffenen erkannt und beseitigt werden können. Als Konsequenz einer kollektiven (wenn man so will: politischen) Entscheidung ist es auch denkbar, die vertragliche Allokation gewisser Güter oder Leistungen nur auf der Grundlage eines Mindestmaßes gleicher Informationen zu gestatten, weil die Folgen der auf Informationsgefällen zustande kommenden Verträge sich als soziale Kosten niederschlagen, unerwünschte Verteilungswirkungen hervorbringen oder den vom Gesetzgeber anerkannten Vorstellungen eines sozialverträglichen Individualschutzes zuwiderlaufen. Letztgenannte Überlegungen dürfen vor allem als die Grundlage des rechtlichen Verbraucherschutzes gelten, der sich nicht zuletzt durch Aufklärungspflichten der als typischerweise informationell dem Verbraucher überlegen geltenden Unternehmer Bahn gebrochen hat und im Begriff ist, sich hinsichtlich seines sachlichen Anwendungsbereichs von Waren und Leistungen des täglichen Bedarfs zu Produkten und Leistungen der Vermögensanlage und Vermögenssorge auszubreiten. Die Anerkennung der Pflicht eines Vertragspartners, den anderen im Wege eines Hinweises oder einer Warnung über diesen erkennbar unbekannte Verhältnisse informieren zu müssen, fallen im Übrigen umso leichter, als es – wie im Ausgangsfall – nicht um die Aufhebung eines Wissensvorsprungs geht, den die informationsüberlegene Partei mit dem Abschluss des Vertrags zu realisieren gedenkt. In diesen Fällen, in denen keine Grenzziehung zwischen rechtlich anzuerkennendem und zu beschränkendem Gewinnstreben gefordert und die Erfüllung der Pflicht zur Weitergabe des präsenten Wissens ohne erheblichen Aufwand möglich war, genügten schon die durch das vertragliche Verhältnis begründete besondere Einwirkungsmöglichkeit, das mit dem jeweiligen Vertrag im jeweiligen Einzelfall begründete Vertrauensverhältnis und nicht zuletzt die Möglichkeiten der Gegenseite, von den fraglichen Umständen Kenntnis zu erlangen sowie die möglichen Folgen ihrer Unkenntnis zur Begründung einer Informationspflicht. Warn- und Hinweispflichten sind auch in den Fällen angebracht, in denen der Betreffende die Risiken des Dritten selbst herbeigeführt oder erhöht hat. Wer einem Geschäft nicht immanente Gefahren schafft, soll deren Eintritt jedenfalls dann zu verhindern verpflichtet sein, wenn dies mit unaufwendigen Mit-
__________ 47 Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 41), § 241 BGB Rz. 138. 48 S. dazu namentlich BGH, NJW 1998, 305, 306.
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teln wie Warnungen und Hinweisen möglich ist. Pflichten verstärkend wirkt im Übrigen die Dauer49 des zwischen den Betroffenen bestehenden Schuldverhältnisses, wohingegen Gesichtspunkte der Zumutbarkeit der Pflichten im Sinne ihrer „betrieblichen und finanziellen Tragbarkeit“50 geeignet sind, entsprechende Pflichten zu begrenzen. 3. Fallgruppen von Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten a) Grundsatz der informationellen Selbstverantwortung Verengt man den vorstehend auf die Determinanten der Begründung von vorvertraglichen und vertraglichen Informationspflichten im Allgemeinen gerichteten Blick und schaut auf diejenigen der Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten, so kommt der Vertrauensstellung, welche ein Kreditinstitut hinsichtlich seiner auf die Vermögenssorge gerichteten Tätigkeitsfelder und seiner regelmäßig vorhandenen informationellen Überlegenheit einnimmt, gewiss eine nicht unbedeutende Rolle in Bezug auf die Begründung solcher Pflichten zu. Sie spielt hier indes bei weitem nicht diejenige Rolle, wie etwa bei der Begründung vertraglicher Rechtsbeziehungen namentlich im Hinblick auf das (ausdrückliche oder stillschweigende51) Zustandekommen von Verträgen auf Rat und Auskunft. Das ist darauf zurück zu führen, dass sich Warnund Hinweispflichten auf konkret vorhandenes Wissen beziehen und die Folgen der Nichtoffenbarung dieses Wissens im Hinblick auf die Verwirklichung des Zwecks eines Vertrags und die Integritätsinteressen des Kunden i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB im Vordergrund stehen. Das mag auch der Grund dafür sein, dass die Rechtsprechung Kreditinstituten spezielle Warn- und Hinweispflichten auch in denjenigen Fällen auferlegt, in denen sie allgemeine Aufklärungspflichten der Bank bei Eingehung und Durchführung eines Vertrags verneint und den Kunden darauf verweist, sich eigenverantwortlich selbst oder unter Inanspruchnahme von Fachleuten über die Risiken eines Geschäfts zu unterrichten. Einige Bankgeschäfte, in denen die Rechtsprechung spezielle Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten bejaht, seien – ohne dass es für die hier verfolgten Zwecke einer vollständigen Darstellung bedarf – nachfolgend knapp skizziert, um daraus die allgemeinen Voraussetzungen für die Annahme von Warn- und Hinweispflichten von Banken gegenüber Kunden abzuleiten. Dabei braucht nicht nur auf Fälle zurückgegriffen zu werden, in denen die Gefährdung der Kundeninteressen auf bankexternen Vorgängen beruht. Vielmehr können auch solche herangezogen
__________ 49 Vgl. Hopt, Funktion, Dogmatik und Reichweite der Aufklärungs-, Warn- und Fürsorgepflichten der Kreditinstitute, in Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute – Der moderne Schuldturm, 1993, S. 1, 25. 50 Vgl. Hopt, Funktion (Fn. 49), S. 1, 26 f. 51 Vgl. statt vieler mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung v. Heymann in Assmann/Schütze (Fn. 5), § 5 Rz. 11 f. Dabei kommt der Sachkunde des Kreditinstituts eine besondere Bedeutung zu.
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werden, in denen die Gefährdung der Kundeninteressen auf bankinterne Vorgänge zurückgeht. Denn es zeigt sich, dass die beiden Konstellationen nur insoweit unterschieden werden müssen als sich im Falle von Warn- und Hinweispflichten in Bezug auf bankexterne Umstände die Frage stellt, ob es für die Banken – über die Pflicht zur Mitteilung präsenten Wissens hinaus – eine Nachforschungspflicht zur Erkundung solcher Ereignisse gibt. Das ist indes mit der Rechtsprechung52 im Regelfall abzulehnen. b) Einlagegeschäfte Für Einlagegeschäfte darf allgemein gelten, was der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.10.198953 zu den Pflichten eines Kreditinstituts im Zusammenhang mit dem Abschluss und der Durchführung eines Sparkontovertrags ausführte: Danach gehört es grundsätzlich nicht zu den Pflichten des Kreditinstituts, sich um die Verwendung der vom Kunden abgehobenen Gelder zu kümmern. Anders soll es sich jedoch verhalten, wenn das Kreditinstitut selbst den Kunden zu einer bestimmten Verwendung der Gelder veranlasst hat und besondere Gefahren dieser Verwendung auf Grund eines konkreten Wissensvorsprungs besser kennt als der Kunde. Unter diesen Umständen sei das Kreditinstitut „zur Aufklärung und Warnung“ verpflichtet54. Ausschlaggebend für die Warn- und Hinweispflicht ist hier aber nicht der schiere Wissensvorsprung des Kreditinstituts, sondern das in Anbetracht der Umstände von dem Institut als gefahrschaffend erkannte oder erkennbare Verhalten desselben. c) Darlehensgeschäfte (insbes. Finanzierung von Kapitalanlagegeschäften) Auch bei Darlehensgeschäften ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Kreditinstitut nicht dazu verpflichtet, den kreditsuchenden Kunden auf Risiken der Darlehensverwendung55, d. h. auf Risiken aus den Geschäften hinzuweisen, welche der Kunde einzugehen beabsichtigt und mit dem nachgefragten Kredit zu finanzieren sucht. Auch während der Darlehenslaufzeit trifft die Bank keine entsprechende Warn- oder Hinweispflicht in Bezug auf Risiken aus dem finanzierten Geschäft. Diese Grundsätze gelten ausnahmslos für alle Arten der finanzierten Geschäfte, einschließlich der Finanzierung von Kapitalanlagen56.
__________ 52 „Konkreter Wissensvorsprung“ erforderlich; zuletzt BGH, WM 2007, 114, 115 (Tz. 15). 53 BGH, NJW-RR 1990, 484. 54 Vgl. dazu Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (Fn. 7), Rz. 2.838; Siol in Schimansky/ Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 5; Schwintowski in Schwintowski/Schäfer (Fn. 6), § 6 Rz. 64 ff. 55 Etwa BGH, BGHZ 159, 294, 316; BGH, WM 2000, 1685; BGH, WM 1997, 662; BGH, NJW 1996, 663, 664; BGH, WM 1992, 1310. Vgl. Canaris in Großkomm. HGB, 4. Aufl. 1988, Bankvertragsrecht Rz. 113; Hopt/Mülbert in Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1989, § 607 BGB Rz. 352; Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 17. 56 Ausführlich v. Heymann in Assmann/Schütze (Fn. 5), § 6 Rz. 117 ff., 122, 130 ff.
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Auch ein bloßer konkreter Wissensvorsprung des darlehensgewährenden Kreditinstituts in Bezug auf Risiken des zu finanzierenden Geschäfts löst noch keine Warn- und Hinweispflichten aus. Das hat die höchstrichterliche Rechtsprechung vielmehr ausnahmsweise nur für den Fall angenommen, dass der Darlehensnehmer besonders aufklärungsbedürftig und nach Treu und Glauben ein Hinweis der Bank geboten ist57. Dies wiederum sei „unter Umständen“ anzunehmen, wenn das Kreditinstitut in Bezug auf spezielle Risiken eine konkrete Kenntnis erwirbt, die ihrem Kunden nicht ohne weiteres zugänglich ist58, nicht aber, wenn beiden Seiten dieselben Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen59. Besonderheiten sind, nach einer zwischenzeitlich ebenfalls ständigen Rechtsprechung60, auch bei der Finanzierung von Anlagen in steuersparende Bauherren-, Bauträger- und Erwerbermodelle zu beachten. Hier treffen das finanzierende Kreditinstitut in vier Fällen Warn- und Hinweispflichten („Risikoaufklärungspflichten“): Erstens, wenn das Kreditinstitut im Zusammenhang mit der Planung, der Durchführung oder dem Vertrieb eines Projekts über seine Rolle als Kreditgeber hinausgeht; zweitens, wenn es einen zu den allgemeinen Risiken des Anlagegeschäfts hinzutretenden besonderen Gefährdungstatbestand für den Kunden schafft oder dessen Entstehung begünstigt; drittens, wenn es sich im Zusammenhang mit der Kreditgewährung sowohl an den Bauträger als auch an einzelne Erwerber in schwerwiegende Interessenkonflikte verwickelt; und viertens, wenn es in Bezug auf spezielle Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung besitzt. Bei den vorgenannten Warn- und Hinweispflichten auslösenden Ausnahmen handelt es sich durchweg um Bereichsausnahmen, welche der Aufspaltung eines Kapitalanlagegeschäfts, durch welches der Anleger erhebliche Risiken übernimmt, in das Anlagegeschäft und das Finanzierungsgeschäft mit jeweils unterschiedlichen Vertragspartnern geschuldet ist. Obschon an Immobilienkapitalanlagen entwickelt, sind sie deshalb auch auf andere Formen der Risikokapitalanlage entsprechend anwendbar61. Dass es sich gleichwohl um Be-
__________ 57 BGH, NJW 1998, 305, 306. 58 BGH, NJW 1998, 305, 306. So zuvor BGH, WM 1992, 901, 902; BGH, WM 1992, 977; BGH, WM 1992, 1310, 1311. Danach etwa BGH, NJW 1999, 2032. Canaris in Großkomm. HGB (Fn. 55) Rz. 110 f.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (Fn. 7), Rz. 2.840; Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 18, 20. 59 Nach BGH, NJW 1998, 305, 306, ist dies etwa bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Steuerrechtsänderung (im konkreten Fall auf Erträge auf eingeräumte Sicherheiten) anzunehmen. 60 BGH, NJW 2000, 3558, 3559; BGH, BGHZ 159, 294, 316; BGH, BGHZ 161, 15, 20; BGH, WM 2005, 72, 76; BGH, WM 2005, 828, 830; BGH, WM 2006, 1194, 1195 (Tz. 41); BGH, WM 2007, 114, 115 (Tz. 15). S. a. v. Heymann, Bankenhaftung bei Immobilienkapitalanlagen, 15. Aufl. 2001, S. 161 ff.; ders. in Assmann/Schütze (Fn. 5), § 6 Rz. 149 ff.; Lang/Rösler in Welter/Lang (Hrsg.), Handbuch der Informationspflichten im Bankverkehr, 2005, Rz. 12.110 ff.; Siol in Schimansky/Bunte/ Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 25 ff.; Westermann, Vertrieb (Fn. 1), S. 249 ff. 61 BGH, WM 2006, 1194, 1200 (Tz. 50) etwa in Bezug auf „Immobilienfondsbeteiligungen“ und „Kapitalanlagemodelle“.
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reichsausnahmen handelt, wird vor allem daran deutlich, dass hier – anders als in den Regelfällen – der bloße erkannte oder erkennbare Wissensvorsprung ausreicht. Auch das ist dem besonderen Umstand geschuldet, dass der Kunde mit dem Abschluss des zu finanzierenden Geschäfts nicht nur die allgemeinen Risiken aus einem Austauschschuldverhältnis übernimmt. Vielmehr handelt es sich um ein Kapitalanlagegeschäft, bei dem die Übernahme eines Risikos im Mittelpunkt steht und das das Anlagegeschäft finanzierende Kreditinstitut entweder selbst die Risikofaktoren mit beeinflusst oder mit zu beeinflussen vermag oder über konkrete Kenntnisse in Bezug auf die vom Anleger nicht erkennbaren und auch nicht vertragsimmanenten oder vertragstypischen62 Risiken verfügt. So trifft das darlehensgewährende Kreditinstitut eine „Aufklärungs- und Warnpflicht“ insbesondere dann, wenn es bei Abschluss des Darlehensvertrags weiß, dass „für die Bewertung des Kaufobjekts wesentliche Umstände durch Manipulation verschleiert wurden“ oder das zu finanzierende Geschäft auf einer arglistigen Täuschung des Verkäufers i. S. d. § 123 BGB bzw. „auf einer vorsätzlichen culpa in contrahendo“ beruht63. Im Übrigen können Anleger sich nach wechselhafter, inzwischen aber gefestigter Rechtsprechung im Falle eines institutionellen Zusammenwirkens des darlehensgewährenden Kreditinstituts mit dem Verkäufer oder Vertreiber des finanzierten Objekts unter erleichterten Voraussetzungen auf einen die Warn- und Hinweispflicht („Aufklärungspflicht“) auslösenden konkreten Wissensvorsprung des Kreditinstituts im Zusammenhang mit einer arglistigen Täuschung des Anlegers durch unrichtige Angaben der Vermittler, Verkäufer oder Fondsinitiatoren bzw. des Fondsprospekts über das Anlageobjekt berufen. Die Kenntnis des Kreditinstituts wird in diesem Fall „widerleglich vermutet, wenn Verkäufer oder Fondsinitiatoren, die von ihnen beauftragten Vermittler und die finanzierende Bank in institutionalisierter Art und Weise zusammenwirken, auch die Finanzierung der Kapitalanlage vom Verkäufer oder Vermittler, sei es auch nur über einen von ihm benannten besonderen Finanzierungsvermittler, angeboten wurde und die Unrichtigkeit der Angaben des Verkäufers, Fondsinitiators oder der für sie tätigen Vermittler bzw. des Verkaufs- oder Fondsprospekts nach den Umständen des Falles evident ist, so dass sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufdrängt, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschung geradezu verschlossen“64. Diese Rechtsprechung wurde zwar zum Zwecke der
__________ 62 Vertragsimmanent oder vertragstypisch sind bei einem Anlagegeschäft diejenigen Risiken, welche sich daraus ergeben, dass der Ertrag der Anlage und bei Schuldverschreibungen auch die Rückzahlung der Darlehensvaluta auf die eine oder andere Weise vom unternehmerischen Erfolg des Kapitalnehmers oder u. U. auch Dritter oder Gruppen von Dritten (d. h. Märkten) abhängt. 63 BGH, WM 2007, 114, 115 (Tz. 16). Zur Hinweispflicht bei manipulativer Verschleierung s. a. BGH, WM 1992, 216, 218. Zur Hinweispflicht bei arglistiger Täuschung s. a. BGH, WM 1989, 1368, 1370; BGH, WM 1999, 678, 679. 64 BGH, WM 2007, 114, 115 (Tz. 17), mit weiteren Ausführung zum „institutionellen Zusammenwirken“ ebd. Tz. 20 f. Ferner BGH, BGHZ 168, 1, 22 ff. (Tz. 50 ff.) = WM 2006, 1194, 1200 f.; BGH, ZIP 2006, 2262, 2264.
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„Effektivierung des Verbraucherschutzes bei realkreditfinanzierten Wohnungskäufen und Immobilienfondsbeteiligungen, die nicht als verbundene Geschäfte behandelt werden können“ entwickelt, trägt aber auch ganz allgemein dem „Gedanken des Verbraucherschutzes von Kapitalanlagemodellen“ Rechnung65 und kann deshalb entsprechend auch auf die Finanzierung anderer Kapitalanlageformen mit vergleichbaren Strukturen (insbesondere der Rollenaufspaltung) bei der Anlagekonzeption und bei dem Anlagevertrieb übertragen werden. d) Bürgschaft und andere Sicherungsgeschäfte Ein Kreditinstitut ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Sicherungsgeber, der zur Besicherung der Forderung des Instituts gegenüber einem Dritten eine Sicherheit bestellt, ungefragt über den Umfang des damit übernommenen Risikos oder die Vermögensverhältnisse des Dritten zu informieren. Auch hier ist davon auszugehen, dass sich jeder Sicherungsgeber über die für seine Entschließung maßgebenden Umstände – insbesondere über die Wahrscheinlichkeit, in Anspruch genommen zu werden – selbst informiert. Das gilt für Bürgschaften66 nicht anders als beispielsweise für die Bestellung einer Grundschuld67. Wiederum kommen aber auch hier Ausnahmen in Betracht, in denen das Kreditinstitut als Gläubiger den Sicherungsgeber vor besonderen Risiken warnen muss. Höchstrichterlich anerkannt ist dabei der Fall der Warn- und Hinweispflichten auslösenden Ingerenz i. S. d. Erhöhung des Risikos des Sicherungsgebers durch ein Verhalten des Kreditinstituts. Das wird allgemein für den Fall angenommen, dass das Institut durch sein Verhalten erkennbar einen Irrtum des Sicherungsgebers über dessen erhöhtes Risiko veranlasst hat68. Das kann zur Folge haben, dass eine Bank denjenigen, der es abgelehnt hat, eine Grundschuld an seinem Grundstück als seinem einzigen nennenswerten Vermögensgegenstand zu bestellen, und stattdessen eine Bürgschaft übernimmt, darauf
__________ 65 So BGH, BGHZ 168, 1, 22 (Tz. 50) = WM 2006, 1194, 1200. Zum Begriff des verbundenen Geschäfts s. BGH, WM 2006, 1003. Nach BGH, WM 2007, 200, 202 f. (Tz. 29) gelten die Warn- und Hinweispflichten wegen Wissensvorsprungs der Bank bei kreditfinanzierten Immobilienkapitalanlagen auch bei einem verbundenen Geschäft, wenn die außerhalb des Verbunds stehenden Fondsinitiatoren oder Gründungsgesellschafter die arglistige Täuschung begangen haben und die Klägerin mit ihnen in institutionalisierter Art und Weise zusammengewirkt hat. 66 BGH, NJW-RR 1986, 210; BGH, NJW-RR 1987, 1291, 1293. Auch OLG Hamm, ZIP 1982, 1061, 1062. Aus dem Schrifttum etwa Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 57 ff. 67 BGH, NJW-RR 1987, 1291, 1293; BGH, NJW-RR 1991, 170. Vgl. Siol in Schimansky/ Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 63. 68 BGH, NJW 1985, 848; BGH, NJW-RR 1986, 210; BGH, NJW-RR 1991, 170. BGH, NJW-RR 1987, 1291, 1293, will diesen Grundsatz auch auf den Fall übertragen sehen, dass eine Bürgschaft aufgehoben und durch eine Grundschuldhaftung des bisherigen Bürgen ersetzt werden soll.
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hinweisen muss, dass die Bürgschaft im wirtschaftlichen Ergebnis den Zugriff auf das Grundstück ebenso ermöglicht wie eine dingliche Belastung69. Weniger eindeutig sind Warn- und Hinweispflichten, wenn das Kreditinstitut lediglich über einen Wissensvorsprung im Hinblick auf die vom Sicherungsgeber zu übernehmenden Risiken verfügt und dessen Fehlvorstellung über die übernommenen Risiken erkennt. Das OLG Hamm hat hier „Aufklärungspflichten“ jedenfalls für den Fall angenommen, dass der Hauptschuldner völlig kreditunwürdig geworden war, der Bürge damit wirtschaftlich unmittelbar an die Stelle des Hauptschuldners treten würde und die Bank hiervon Kenntnis hatte70. Das Schrifttum hat dementsprechend eine Warn- und Hinweispflicht wegen Wissensvorsprungs zumindest für solche Fälle bejaht, in denen die Bank erkennt, dass eine „krasse Abweichung von der normalen Bürgschaftssituation“ gegeben ist71. Das entspricht durchaus noch dem Grundsatz, Warn- und Hinweispflichten nur dann anzunehmen, wenn die Bank über konkrete Informationen über ganz spezielle (außergewöhnliche) Risiken verfügt, deckt aber nicht mehr den Fall ab, dass der künftige Sicherungsgeber – von der Bank unbeeinflusst – von irrigen Vorstellungen über die Risiken eines Sicherungsinstruments oder die Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgeht72. Hier liegt das Schweigen der Bank noch im Bereich der legitimen Verfolgung eigener Geschäftsinteressen. Betreffen sämtliche der vorgenannten Anlässe von Aufklärungs-, Warn- und Hinweispflichten vorvertragliche Verhältnisse und Pflichten, so entfallen mit dem Abschluss der Bürgschaft oder der Bestellung von Sicherungsrechten jedwede entsprechenden Pflichten73. e) Überweisungsverkehr (Girogeschäft) Wesentliches Element des Überweisungsverkehrs und des Girogeschäfts der Kreditinstitute ist der Überweisungsvertrag (§ 676a BGB) als entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag i. S. d. § 675 BGB. Im Zuge der Anbahnung und Durchführung solcher Verträge unterliegen die Kreditinstitute nicht nur gewissen, teils auf die Umsetzung der EG-Überweisungsrichtlinie74 zurückgehenden Informationspflichten im Hinblick auf die Durchführung von Überweisungen75, sondern auch bestimmten Schutzpflichten im Zusammenhang mit der Ausführung der jeweiligen Überweisung (etwa in Gestalt der Pflicht
__________ 69 BGH, WM 1999, 1614, 1615. 70 OLG Hamm, ZIP 1982, 1061, 1062. Die Frage einer „Aufklärungspflicht“ aus Wissensvorsprung ist in BGH, WM 1974, 1129, 1130, unentschieden geblieben. 71 Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 58 („hier darf die Bank nicht schweigen“). 72 So aber Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989, S. 81. 73 Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 61 i. V. m. Rz. 63. 74 Richtlinie 97/5/EG über grenzüberschreitende Überweisungen v. 27.1.1997, ABl. EG Nr. L 43 v. 27.1.1997, S. 25 ff. 75 S. § 675a BGB i. V. m. §§ 12 f. BGB-InfoV.
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zur Überprüfung der Echtheit eines Überweisungsauftrags seinem äußeren Anschein nach76)77. Im Übrigen brauchen sie sich jedoch um die mit Überweisungen verfolgten Interessen ihrer Kunden oder die Zweckmäßigkeit einer Überweisung nicht zu kümmern78. Warn- und Hinweispflichten im Hinblick auf eine dem Kunden aus der Durchführung einer Überweisung drohenden Gefahr, die in der Regel in einer möglichen Vermögensschädigung besteht, sind dagegen die Ausnahme79. Da die Rechtsprechung davon ausgeht, dass Kreditinstitute im allgemeinen Überweisungsverkehr nur zum Zwecke eines technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Zahlungsverkehrs tätig werden, sollen sie sich schon wegen dieses begrenzten Geschäftszwecks und der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge im Übrigen nicht um die Interessen ihrer Girovertragskunden kümmern müssen80. Als Ausnahme von dieser Regel ist anerkannt, dass das Kreditinstitut, wiederum auf Grund eines konkreten Wissensvorsprungs im Hinblick auf eine konkret drohende Beeinträchtigung der Interessen ihres Kunden81, diesem gegenüber zur Warnung verpflichtet ist, wenn es Kenntnis von dem bevorstehenden oder dem bereits eingetretenen Zusammenbruch oder der Zahlungseinstellung des Zahlungsempfängers oder der Empfangsbank desselben hat82. Dementsprechend kann die Überweisungsbank ausnahmsweise auch verpflichtet sein, den Kunden auf den Missbrauch der einem Dritten eingeräumten Vertretungsmacht hinzuweisen, wenn sich der Verdacht aufdrängt, dass sich das Verhalten des Vertreters leicht zum Nachteil des Kunden auswirken könnte83. f) Depotgeschäft Auch auf der Grundlage eines Depotvertrags kann eine Depotbank zu Warnungen und Hinweisen gegenüber ihren Kunden verpflichtet sein. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Depotbank – vor oder nach dem Zustandekommen eines Vermögensverwaltungsvertrags – mit dem Vermögens-
__________ 76 BGH, WM 1992, 1392, 1394. 77 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (Fn. 7), Rz. 4.192; Schimansky in Schimansky/ Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 49 Rz. 26 f. 78 BGH, WM 1987, 1409. Canaris in Großkomm. HGB (Fn. 55) Rz. 104; Schimansky in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 49 Rz. 15. 79 BGH, WM 1986, 1409 (Ls. 1): „Grundsätzlich obliegen den am Überweisungsverkehr beteiligten Banken keine Warn- und Schutzpflichten gegenüber dem Überweisenden und dem Zahlungsempfänger“. 80 BGH, WM 1978, 588; BGH, WM 1986, 1409; BGH, WM 1992, 1392, 1394. 81 Im Falle der Zahlungseinstellung des Zahlungsempfängers beruht die mögliche Beeinträchtigung des Interesses des Kunden darauf, dass er – falls er vorleistungspflichtig war – die Möglichkeit der Aufrechnung (§§ 94 ff. InsO) verliert und seine Forderung im Insolvenzverfahren anmelden muss. Näher Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (Fn. 7), Rz. 4.195. 82 BGH, WM 1961, 510, 511; BGH, WM 1978, 588, 589; BGH, WM 1986, 1409, 1410. Zu Einzelheiten Canaris in Großkomm. HGB (Fn. 55), Rz. 105; Siol in Schimansky/ Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 44 Rz. 67 ff. 83 BGH, WM 1976, 474.
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verwalter des Kunden eine Vereinbarung über die Beteiligung des Verwalters an ihren Provisionen und Depotgebühren aus dem Depotvertrag getroffen hat84 oder ihm de facto eine solche gewährt (so genannte Innenprovisionen, Retrozessionen oder auch Kick-backs). In diesem Falle soll die Bank zum Zwecke der „umfassende(n) Wahrung der Kundeninteressen“85 zur Offenlegung der Zahlungen an den Vermögensverwalter verpflichtet sein. Rechtsgrund dieser aus einer Treuepflicht abgeleiteten Pflicht ist erneut nicht der schiere Wissensvorsprung, sondern die „Gefährdung der Kundeninteressen“, die dadurch eintritt, dass die Bank dem Vermögensverwalter Anreize gibt, sowohl bei der Auswahl der Bankverbindung als auch hinsichtlich der Anzahl und des Umfangs der für seine Kunden über die Bank abzuwickelnden Geschäfte nicht allein das Interesse des Kunden, sondern auch das eigene Interesse an möglichst umfangreichen Vergütungen durch die Bank zu berücksichtigen. Darüber hinaus soll die Offenbarungspflicht den Kunden in die Lage versetzen, die Vertrauenswürdigkeit seiner Geschäftspartner zu beurteilen. g) Missbrauch von Vollmachten zur Vornahme von Bankgeschäften Besondere Warn- und Hinweispflichten einer Bank gegenüber ihrem Kunden hat die Rechtsprechung vor allem dann angenommen, wenn der Kunde einen anderen zur Vornahme von Geschäften ermächtigte. Bereits an früherer Stelle wurde dargelegt, dass eine Überweisungsbank im Überweisungsverkehr verpflichtet ist, den Kunden auf den Missbrauch der einem Dritten eingeräumten Vertretungsmacht hinzuweisen, wenn sich der Verdacht einer Beeinträchtigung des Kundeninteresses aufdrängt86. Nicht anders kann es sich von daher verhalten, wenn die Depotbank – wie im geschilderten Ausgangsfall – erkennt oder, weil sich dies aufdrängt, erkennen muss, dass von einem Vermögensverwalter erteilte Orders einen Missbrauch der Vertretungsmacht darstellen. Das kommt auch in einer Entscheidung des LG München I87 zum Ausdruck, welche zudem das Regel/Ausnahme-Verhältnis in Bezug auf Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten hervorhebt: Zwar habe grundsätzlich der Vertretene das Risiko des Missbrauchs der Vertretungsmacht zu tragen, weil es mit dem Zweck der Vertretungsmacht nicht vereinbar sei, dem Geschäftsgegner eine besondere Prüfpflicht aufzuerlegen, ob und in welchem Umfang der Vertreter im Innenverhältnis gebunden sei, von der Vertretungsmacht in einer den Interessen des Vertretenen entsprechenden Weise Gebrauch zu machen. Dieser Grundsatz sei entsprechend den vom Bun-
__________ 84 BGH, WM 2000, 297, 298; BGHZ 146, 235, 239. Zur Beurteilung von Kick-backVereinbarungen schon BGH, NJW-RR 1990, 604, 605. Dazu Schäfer in Assmann/ Schütze (Fn. 5), § 28 Rz. 48; Sethe, Anlegerschutz (Fn. 5), S. 896 ff. Zur Behandlung von Innenprovisionen und Kick-backs nach der MiFID und deren Umsetzung s. Assmann, Österreichisches BankArchiv (ÖBA) 2007, 40 ff. 85 BGH, WM 2000, 297 (Ls. 2), 298; BGH, BGHZ 146, 235 Ls. b). 86 BGH, WM 1976, 474. Zustimmend Schwintowski in Schwintowski/Schäfer (Fn. 6), § 6 Rz. 66. S. o. zu III. 3. e) am Ende. 87 LG München I, BKR 2006, 28, 32.
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desgerichtshof hierfür entwickelten maßgeblichen Kriterien nur dann zu durchbrechen, wenn eine objektive Evidenz des Missbrauchs auf Grund massiver Verdachtsmomente vorliege, so dass sich die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners beim Vollmachtgeber geradezu aufdränge. Unter welchen Umständen sich entsprechende Verdachtsmomente ergeben, lasse sich dabei nur in einer Gesamtwürdigung aller Gegebenheiten des Einzelfalles88 beurteilen. Die (Regel und Ausnahmen hervorhebende) Entscheidung des Bundesgerichtshofs, auf welche das vorstehend angeführte Urteil des LG München I Bezug nimmt, beschäftigt sich allgemein mit Warn- und Hinweispflichten im Zusammenhang mit Bankvollmachten89. Sie hebt hervor, dass der Vertretene gegen einen erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner nur dann geschützt wird, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so dass beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen mussten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig sei dabei eine „massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs“90. 4. Die allgemeinen Voraussetzungen von Warn- und Hinweispflichten und ihre Anwendung auf den Ausgangsfall Zahlreiche Fälle, in denen die Rechtsprechung ausnahmsweise eine vom Grundsatz der selbstverantwortlichen Interessenwahrnehmung von Vertragspartnern abweichende Warn- und Hinweispflicht eines Kreditinstituts annimmt, werden von dieser zwar als Ausnahmen im Einzelfall tituliert, sperren sich dadurch aber nicht dem Versuch, eine allgemeine Regel aufzustellen, unter der eine solche Ausnahme angenommen werden kann. Nicht alle Gesichtspunkte, welche die Rechtsprechung in besonderen Fallkonstellationen veranlassten, Kreditinstituten eine Warn- oder Hinweispflicht aufzuerlegen, sind indes generalisierbar. Das gilt namentlich für die Fälle von „Risikoaufklärungspflichten“ bei der Finanzierung von Kapitalanlagen91. Als verallgemeinerungsfähig dürfen dagegen vor allem diejenigen Kriterien angesehen werden, welche im Einzelfall dazu herangezogen werden, die Offenbarungspflicht eines tatsächlich vorhandenen und nicht ohne weiteres weiterzugebenden Wissensvorsprungs zu begründen. Zieht man die Summe aus den sich als verallgemeinerungsfähig darstellenden Gesichtspunkten, unter denen vor dem Hintergrund eines Wissensvorsprungs von Kreditinstituten ausnahmsweise besondere Warn- und Hinweispflichten der Institute anerkannt wurden, so entstehen diese auf Grund von deren be-
__________ 88 So LG München I, BKR 2006, 28, 32, unter Hinweis auf BGH, NJW 1999, 1725. 89 BGH, NJW 1995, 250. 90 BGH, NJW 1995, 250, unter Hinweis auf BGH, WM 1992, 1362, 1363 und BGH, WM 1994, 1204, 1206. 91 S. dazu oben III. 3. c).
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sonderer Stellung als Finanzinstitution, die wegen ihrer vielfältigen Geschäfte und Geschäftsbeziehungen Wissen akkumuliert und Vertrauen in Anspruch nimmt, sowie unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben unter den folgenden Voraussetzungen92: (1) Es besteht eine konkrete, über den normalen und bekannten Risikobereich des Geschäfts hinausgehende Gefährdung von Kundeninteressen. Diese Voraussetzung verhindert die Einführung einer allgemeinen, den Grundsatz der Selbstverantwortung von Marktteilnehmern durchbrechenden Fürsorgepflicht in Gestalt allgemeiner Aufklärungspflichten von Kreditinstituten. Sie gewährleistet darüber hinaus, dass Warn- und Hinweispflichten auf solche Fälle begrenzt bleiben, in den dies, einer Formulierung der Rechtsprechung folgend93, nach Treu und Glauben geboten ist. In der Sache geht es um einen Schutz in Bereichen, in denen ein Selbstschutz derjenigen, deren Interessen gefährdet sind, nicht zu erwarten ist94 und es zur Vermeidung sozialer Kosten, zu denen auch die Enttäuschung des Vertrauens in die Markt- und Vertragsordnung gehört, geboten erscheint, denjenigen Schutzpflichten aufzuerlegen, welche die drohenden Schäden mit zumutbaren Mitteln beseitigen können. Die Quelle der Gefährdung ist unerheblich. Der Umstand, dass das Kreditinstitut die Gefährdung selbst herbeigeführt oder verstärkt hat, hat allenfalls eine pflichtenverstärkende, nicht aber eine konstitutive, pflichtenbegründende Wirkung. Ihm kommt aber insoweit Bedeutung zu, als in diesem Falle die weiteren Voraussetzungen von Warn- oder Hinweispflichten leichter festzustellen sind als in den Fällen, in denen sich bankexogene Gefahrenmomente realisiert haben. So darf bei einer vom Kreditinstitut selbst geschaffenen Gefährdung des Kundeninteresses ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass dem Institut die Gefährdungslage i. S. d. nachfolgend angeführten Voraussetzung zu (3) bekannt ist. Im Ausgangsfall resultiert die besondere, über den normalen und bekannten Risikobereich des Geschäfts hinausgehende Gefahr für den Kunden aus der sich dem Vermögensverwalter mit der Erteilung unaufgeteilter Sammelorders eröffnenden Möglichkeit der manipulativen Verteilung von Gewinnen und Verlusten aus Anlagegeschäften95. Zwar gehört die Auswahl des Vermögensverwalters und dessen potentieller Vollmachtsmissbrauch zum Risikobereich des Kunden, doch ist ein über diesen hinausgehendes und von der Bank mit geschaffenes Risiko betroffen, wenn sie unaufgeteilte Sammelorders entgegen-
__________ 92 Ähnlich Horn, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken – Systematik der Rechtsentwicklung, in Horn/Krämer, Bankrecht 2002 (Fn. 1), S. 73, 102 f.; Lang/Rösle in Welter/Lang (Fn. 60), Rz. 12.110; Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 6), § 43 Rz. 13 ff. Auf ein bewegliches System zur Bestimmung der Aufklärungs- und Beratungspflichten zielt Schön, Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach dem Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz, 1998, S. 19 ff. 93 BGH, NJW 1998, 305, 306. S. a. die weitere oben in Fn. 58 angegebene Rechtsprechung. 94 Dem Erfordernis der Aufklärungsbedürftigkeit – dazu Hopt, Funktion (Fn. 49), S. 1, 23 f. – wird darüber hinaus auch in Voraussetzungen (4) und (5) Rechnung getragen. 95 Dazu näher oben II. 2. b).
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nimmt und ausführt, deren Aufteilung zum Nachteil einzelner Kunden vorgenommen werden kann. (2) Die Gefährdung bezieht sich auf das konkrete Geschäft mit dem Kunden oder die konkrete Geschäftsbeziehung zum Kunden. Diese Voraussetzungen begrenzen den Kreis derjenigen, die Warn- oder Hinweispflichten im Hinblick auf die im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften drohenden Risiken und Gefahren unterliegen, und derjenigen, denen gegenüber Warn- oder Hinweispflichten abzugeben sind, auf Vertragspartner und im konkreten Fall auf das Kreditinstitut und seine Kunden. Warn- oder Hinweispflichten von Kreditinstituten gegenüber vom Risiko betroffenen Nichtvertragspartnern oder gar der Allgemeinheit werden so verhindert oder bedürfen als Verkehrspflichten einer verkehrsschutzrechtlich-deliktischen Begründung. Aber auch die Inpflichtnahme von Kreditinstituten als allgemeine Dispositionsgaranten wird auf diese Weise vermieden. Im Ausgangsfall stand die Gefahr manipulativer Gewinn- und Verlustzuweisungen unter den Kunden des Vermögensverwalters und der Depotbank in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem konkreten Geschäft oder der Geschäftsbeziehung zwischen der Depotbank und dem betroffenen Kunden. Die Bank hatte es nicht nur ohne weiteres in der Hand, sondern es hätte sogar ihrer Pflicht entsprochen, die unaufgeteilten Blockorders nicht entgegenzunehmen und auszuführen96. (3) Das Kreditinstitut erkennt die objektiv bestehende Gefährdungslage oder eine solche Kenntnis drängt sich ihm auf. Mit dieser Voraussetzung, die ebenfalls Ausfluss des Grundsatzes der Selbstverantwortung von Marktteilnehmern und Vertragspartnern ist, wird eine Nachforschungspflicht des Kreditinstituts in Bezug auf Kunden potentiell drohende Gefahren vermieden. Anderes als präsentes Wissen braucht das Kreditinstitut nicht im Wege einer Warnung oder eines Hinweises weiterzugeben. Damit wird zugleich dem Umstand Rechnung getragen, dass im Hinblick auf die Begründung von Warn- und Hinweispflichten auch deren Zumutbarkeit97 von Bedeutung ist. Warn- und Hinweispflichten sollen des Weiteren nur dann eingreifen, wenn eine Gefährdungslage auch objektiv besteht und erkennbar ist. Andererseits sollen Warn- und Hinweispflichten nicht deshalb entfallen, weil sich der Pflichtige einer sich objektiv aufdrängenden Erkenntnis der Gefährdungslage verschloss. Im Ausgangsfall hat die Depotbank die Gefährdungslage erkannt. Doch selbst wenn der Sachverhalt zur Frage der Kenntnis der Gefährdungslage geschwiegen hätte, hätte sich die Gefährdung von Kundeninteressen infolge der für den Vermögensverwalter pflichtwidrigen Erteilung und der für die Depotbank pflichtwidrigen Ausführung98 ungeteilter Sammelorders hervorgerufenen objektiven Gefährdung von Kundeninteressen geradezu aufdrängen müssen.
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96 S. dazu schon oben II. 3. 97 Dazu schon oben III. 2. am Ende zu Fn. 50. 98 S. dazu schon oben II. 2. b) bzw. II. 3.
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(4) Die Umstände sind dergestalt, dass das Kreditinstitut davon ausgehen muss, dem Kunden sei die konkret drohende Gefahr unbekannt. Ist dem Kunden die drohende Beeinträchtigung seiner Interessen bekannt, besteht kein Grund, dem Kreditinstitut Warn- oder Hinweispflichten aufzuerlegen, die auf nichts anderes gerichtet sind, als dem Kunden diese Gefahr vor Augen zu führen. Mit dem Erfordernis der konkret drohenden Gefahr wird dem Kreditinstitut der Einwand abgeschnitten, dem Kunden seien die mit dem in Frage stehenden Geschäft verbundenen allgemeinen Risiken und Gefahren bewusst gewesen oder hätten dies zumindest sein müssen. Mit dem Merkmal der konkret drohenden Gefahr soll darüber hinaus sichergestellt werden, dass Warnungen oder Hinweise nur dann unterbleiben können, wenn davon ausgegangen werden darf, dass dem Kunden auch die Umstände bekannt sind, auf denen die Gefahr beruht. Im Ausgangsfall ist von der Regel auszugehen, dass der Vermögensverwalter seinen Kunden die Art der Ordererteilung und die Orderbelege nicht vorlegt. Vielmehr erfolgt die Rechnungslegung durch die Übersendung von Depotauszügen. Damit musste die Depotbank davon ausgehen, dass ihre und des Vermögensverwalters Kunden keine Möglichkeit hatten, aus eigenen oder jeweils beiden Vertragsparteien gleichermaßen zugänglichen Informationsquellen die auf die Erteilung unaufgeteilter Sammelorders zurückgehende, für sie nachteilige Zuweisung von Risiken aus Anlagegeschäften zu entdecken. (5) Der Kunde hat voraussehbar keine Möglichkeit, ohne weiteres und rechtzeitig aus eigenen Erkenntnisquellen auf die Gefahr aufmerksam zu werden. Mit dieser Voraussetzung wird sichergestellt, dass Warn- oder Hinweispflichten unterbleiben können, wenn der Kunde zwar erkennbar die Gefahr einer Interessenbeeinträchtigung noch nicht erkannt hat, aber auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ohne weiteres erkennen kann. Insbesondere wenn beiden Seiten über die gleichen Erkenntnisquellen verfügen oder verfügen können, besteht kein Anlass, einen Vertragspartner zum Interessenwahrer des anderen zu machen99, nur weil er selbst – im Gegensatz zu seinem untätig gebliebenen Partner – die Erkenntnisquellen ausgewertet hat. Das verhindert, dass Kreditinstitute bei und für Nachlässigkeiten ihrer Kunden in eigenen Angelegenheiten in die Pflicht genommen werden können. Wie bereits im Zusammenhang mit der vorstehend unter (4) erörterten Voraussetzung dargelegt, hatte der Kunde im Ausgangsfall keine Möglichkeit, das missbräuchliche und pflichtwidrige Verhalten seines Vermögensverwalters oder die Mitwirkung der Depotbank an diesem Verhalten zu erkennen. Es bestanden auch keine diesbezüglichen Verdachtsmomente, welche dem Kunden hätten Anlass geben müssen, die Details der Ordererteilung durch den Vermögensverwalter und der Orderdurchführung durch die Depotbank zu erforschen. Einen solchen Anlass hätte ihm erst ein Warnhinweis der Depotbank verschafft.
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99 So namentlich die bereits oben zu III. 3. c) behandelte Entscheidung BGH, NJW 1998, 305, 306.
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IV. Zusammenfassung Aus der Vielzahl der Fälle, in denen die Rechtsprechung Ausnahmen vom Grundsatz der sich auf die Schaffung der informationellen Grundlage von Entscheidungen erstreckenden Selbstverantwortung von Vertragsparteien angenommen und ein Kreditinstitut zu Warn- und Hinweispflichten gegenüber seinem Kunden verpflichtet hat, lässt sich ein allgemeiner Tatbestand der Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten gegenüber ihren Vertragspartnern herauskristallisieren. Danach ist ein Kreditinstitut zur Warnung vor oder Hinweisen auf Gefahren verpflichtet, wenn kumulativ (1) eine konkrete, über den normalen und bekannten Risikobereich des Geschäfts hinausgehende Gefährdung von Kundeninteressen besteht, (2) die Gefährdung sich auf das konkrete Geschäft mit dem Kunden oder die konkrete Geschäftsbeziehung zum Kunden bezieht, (3) das Kreditinstitut die objektiv bestehende Gefährdungslage erkennt oder sich ihm eine solche Kenntnis aufdrängt, (4) das Kreditinstitut davon ausgehen muss, dem Kunden sei die konkret drohende Gefahr unbekannt und (5) der Kunde voraussehbar keine Möglichkeit hat, ohne weiteres und rechtzeitig aus eigenen Erkenntnisquellen auf die Gefahr aufmerksam zu werden. Die Anwendung dieses Tatbestands allgemeiner Warn- und Hinweispflichten von Kreditinstituten führt in dem zu dessen Herausarbeitung und Illustration eingeführten Ausgangsfall zu dem Befund, dass eine Depotbank verpflichtet ist, ihre Kunden vor den Gefahren zu warnen, welche sich daraus ergeben, dass der von diesem mit der Verwaltung seines Vermögens beauftragte Vermögensverwalter unaufgeteilte Sammelorders erteilt und sich so die Möglichkeit verschafft, Risiken aus Anlagegeschäften einseitig zu Lasten einzelner Kunden zu verteilen.
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Prolegomena zu einer grundlegenden Reform des deutschen Namensrechts Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die heutige deutsche Rechtslage und ihre Entstehungsgeschichte
IV. Das Namensrecht im Ausland V. Zu den bisherigen Reformvorschlägen VI. Eigener Reformvorschlag und Ausblick
III. Kritik
I. Einleitung Das Gesetz vom 6.2.20051 war die fünfte Änderung des deutschen Namensrechts in den letzten 50 Jahren, doch scheint niemand ernstlich zu glauben, dass es damit auf längere Zeit sein Bewenden haben werde2. Schon in der Diskussion zu dem wesentlich umfangreicheren Reformgesetz von 1994 wurde eine gründliche Revision des Namensrechts gefordert3. Was dann Gesetz wurde, bekam die Prädikate „ängstlich“, „bürokratisch“ und „mangelhaft durchdacht“4. Seitdem sind nicht nur mehr als zwölf Jahre vergangen, sondern das Gesetz von 2005 zeigt deutlicher denn je, dass die Entwicklung des deutschen Namensrechts in eine Sackgasse geführt hat, und dass eine gründliche Reform immer dringender wird. Zu dieser sollen die folgenden Zeilen einen Beitrag leisten, der allerdings nur Umrisse darstellen und nicht allen Aspekten der teilweise verwickelten Problematik nachgehen kann.
II. Die heutige deutsche Rechtslage und ihre Entstehungsgeschichte Als sich in Europa die Führung von Nachnamen einbürgerte, blieb die Wahl dieses Namens lange Zeit der Sitte überlassen, wie es noch heute in vielen Ländern der Fall ist. Dagegen entstanden auf deutschem Boden gesetzliche Regeln. Sie begannen im 17. Jahrhundert mit dem Verbot willkürlicher Namensänderung in Bayern5. Gesetzbücher im deutschen Sprachraum enthalten dann seit Mitte des 18. Jahrhunderts entsprechend der allgemeinen Sitte
__________ 1 BGBl. I, S. 203. 2 Vgl. die Bemerkungen von Bornhofen, StAZ 2005, 226, 230; Gaaz, StAZ 2006, 157, 161; Wagenitz/Bornhofen, FamRZ 2005, 1423, 1430. 3 Coester, FuR 1994, 1, 8; Hepting, StAZ 1992, 201, 209. 4 Coester, FuR 1994, 1, 8. 5 Giesen, FuR 1993, 65, 67; Pintens in FS Henrich, 2000, S. 461; s. a. Henrich, Der Erwerb und die Änderung des Familiennamens, 1983, S. 9 ff.
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die Bestimmung, dass die Frau den Namen des Mannes zu führen hat6. Die gesetzliche Fixierung dieser Regel als Rechtsnorm ist jedoch eine Besonderheit des deutschen Rechtskreises7. In dem kurz nach dem preußischen ALR und vor dem österreichischen ABGB entstandenen französischen Code civil findet sich keine Bestimmung darüber, welchen Namen die Ehefrau zu führen hat8. Nach dem ursprünglichen Text des BGB erhielt die Ehefrau den „Familiennamen“ des Mannes9. Das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 gestattete ihr, dem Namen des Mannes ihren „Mädchennamen“ hinzuzufügen10. Durch das „1. EheRG“ vom 14.6.1976, insoweit bereits seit dem 1.7.1976 in Kraft, wurde den Eheleuten ermöglicht, den Namen des Mannes oder den Namen der Frau zum „gemeinsamen Familiennamen (Ehenamen)“ zu bestimmen11. Der Ehegatte, dessen Name nicht zum Ehenamen wurde, konnte dem Ehenamen seinen Geburtsnamen oder den zur Zeit der Eheschließung geführten Namen voranstellen12. Es blieb jedoch damals noch bei der Verpflichtung, einen gemeinsamen Namen zu führen13. Trafen die Eheleute keine Bestimmung, wurde der Name des Mannes zum Ehenamen14. Den dadurch begründeten Vorrang des Mannesnamens erklärte das Bundesverfassungsgericht dann aber für verfassungswidrig15. Für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung traf es detaillierte Bestimmungen, nach denen Eheleute ihre Geburtsnamen weiterführen konnten16. Das daraufhin ergangene, am 1.4.1994 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts verzichtete auf den Zwang zur Wahl eines Ehenamens; seitdem enthält das Gesetz nur noch eine Aufforderung an die künftigen Eheleute, einen gemeinsamen Familiennamen (Ehenamen) zu bestimmen17. Jeder Ehegatte kann den zur Zeit der Eheschließung geführten Namen dem Ehenamen voran- oder nachstellen, sei dies sein Geburtsnamen oder ein durch eine frühere Ehe „erheirateter“ Name18. Bestimmen die Eheleute keinen Ehenamen, so führt jeder den Namen weiter, den er oder sie vor der Eheschließung geführt hat19.
__________ 6 ALR II 1 § 192; § 92 ABGB; s. a. Sturm, StAZ 1988, 290 Fn. 23. 7 Sturm, StAZ 1988, 290, 291. 8 Chaussade-Klein, Artikel Frankreich, in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Loseblatt, S. 52; Eber, Artikel Frankreich, in Rieck, Ausländisches Familienrecht (Sammlung in Einzelheften), Rz. 8. Näheres zum ausländischen Recht unten IV. 9 § 1355 BGB in der bis zum 30.6.1958 geltenden Fassung. 10 § 1355 BGB in der bis zum 30.6.1976 geltenden Fassung. 11 § 1355 Abs. 2 Satz 1, jetzt Abs. 2 BGB. 12 § 1355 Abs. 3 Satz 1 in der bis zum 31.3.1994 geltenden Fassung. 13 § 1355 Abs. 1 in der bis zum 31.3.1994 geltenden Fassung; zur Entstehungsgeschichte Diederichsen, NJW 1976, 1169. Die Vorschrift erhielt auch den Segen des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, FamRZ 1988, 587, 588 m. abw. Meinung Henschel, FamRZ 1988, 590 und zust. Anm. Bosch, FamRZ 1988, 591. 14 § 1355 Abs. 2 Satz 2 in der bis zum 31.3.1994 geltenden Fassung. 15 BVerfGE 84, 9 = FamRZ 1991, 535. 16 BVerfGE 84, 9, 22 = FamRZ 1991, 535, 538, dazu Dethloff/Walther, NJW 1991, 1575. 17 § 1355 Abs. 1 Satz 1 BGB. 18 § 1355 Abs. 4 BGB. 19 § 1355 Abs. 1 Satz 3 BGB.
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Eheliche Kinder erhielten ursprünglich den Familiennamen des Vaters als Geburtsnamen, bis den Eheleuten für den Ehenamen die Wahl zwischen dem Namen des Vaters oder dem der Mutter ermöglicht wurde20. Seitdem erhalten sie den Ehenamen ihrer Eltern21. Da diese aber seit dem Jahre 1994 nicht mehr zur Wahl eines Ehenamens gezwungen sind, müssen die Eltern jetzt gemäß § 1617 Abs. 1 Satz 1 BGB entscheiden, welchen Geburtsnamen die Kinder erhalten sollen, wenn die Eltern keinen Ehenamen führen22. Die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Übergangsregelung gestattete den Eltern, den Kindern Doppelnamen zu erteilen; im Gegensatz dazu ist die Erteilung eines Doppelnamens nach dem geltenden Recht nicht erlaubt; den Eltern steht nur der Name zur Wahl, den der Vater oder die Mutter „zur Zeit der Erklärung führt“23. Jeder Elternteil hat damit die Möglichkeit, den durch eine frühere Ehe „erheirateten“ Namen mit Einverständnis des neuen Ehegatten auch auf die Kinder aus einer neuen Ehe zu übertragen, sofern er oder sie diesen Namen in dem Zeitpunkt noch führt, in dem der Geburtsname des ersten Kindes bestimmt wird (diese Bestimmung gilt auch für weitere Kinder24). Für die Wahl des Ehenamens standen den Eheleuten jedoch bis vor kurzem nur ihre „Geburtsnamen“ zur Verfügung25; als Ehename konnte also ein erheirateter Name nicht gewählt werden. Diese Einschränkung erklärte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2004 für verfassungswidrig26. Durch das daraufhin ergangene Änderungsgesetz vom 6.2.2005 wurde § 1355 Abs. 2 BGB in der Weise geändert, dass zum Ehenamen nunmehr sowohl der Geburtsname als auch der zur Zeit der Erklärung geführte Name des Mannes oder der Frau gewählt werden kann. Somit besteht jetzt die Möglichkeit, einen erheirateten Namen nicht nur zum Geburtsnamen der Kinder aus einer neuen Ehe, sondern auch zum Ehenamen zu bestimmen, der demgemäß auch von dem neuen Ehegatten geführt werden kann27. Ob und unter welchen Voraussetzungen der frühere Ehegatte dies verhindern kann, ist streitig28. Das bis zum „1. EheRG“ nach §§ 56, 57 EheG bestehende Recht des Mannes, der von ihm geschiedenen, allein oder überwiegend für schuldig erklärten Ehefrau die Führung seines Namens zu untersagen, ist jedenfalls schon mit der Abschaffung des Verschuldensprinzips im Ehescheidungsrecht ersatzlos entfallen. Den Eheleuten stehen für die Namensführung also eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, doch ist ihre Wahlfreiheit in einem Punkt begrenzt: Führt der Mann den Namen A und die Frau den Namen B, so können die Ehe-
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§ 1616 BGB in der bis zum „1. EheRG“ geltenden Fassung. § 1616 BGB. § 1617 Abs. 1 Satz 1 BGB. § 1617 Abs. 1 Satz 2 BGB. § 1617 Abs. 1 Satz 3 BGB. § 1355 Abs. 2 BGB in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 6.2.2005 geltenden Fassung. 26 BVerfGE 109, 256 = FamRZ 2004, 515. 27 Zur Kritik dieser Regelung und der zugrundeliegenden Entscheidung des BVerfG s. unten III. 28 Näher dazu unten III. am Ende.
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leute entweder den Namen A oder den Namen B zum Ehenamen bestimmen, auch wenn es sich um „erheiratete“ Namen handelt. Jeder von ihnen kann aber auch den bisher geführten Namen nach der Eheschließung weiterführen29. Dagegen ist es nicht möglich, einen aus beiden bisher geführten Namen zusammengesetzten Doppelnamen zum Ehenamen zu bestimmen, so dass auch die gemeinsamen Kinder eines Ehepaares einen solchen Doppelnamen nicht erhalten können. Wenig konsequent gestattet es das Gesetz allerdings für den Fall der Einbenennung, dem Kind einen Doppelnamen zu erteilen, der sich aus dessen bisher geführten Namen und dem Ehenamen zusammensetzt, den der Elternteil des Kindes und dessen Ehegatte gewählt haben30. Wird nun z. B. der vom Mann geführte Name A zum Ehenamen bestimmt, so kann die Frau den bisher geführten Namen B als Begleitnamen diesem Namen voranstellen oder anfügen31. Auf diese Weise erhält die Frau einen „unechten Doppelnamen“, der, anders als ein „echter“ Doppelname, nicht an die gemeinsamen Kinder des Ehepaares weitergegeben werden kann und deshalb „unechter“ Doppelname heißt. Aus Sorge vor „endlosen Namensketten“ zieht das Gesetz der Wahl des Begleitnamens jedoch Grenzen: Setzt sich der zum Ehenamen bestimmte Name bereits aus mehreren Namen zusammen, lautet also z. B. der Geburtsname des Mannes nicht A, sondern A-X und wird dieser (echte) Doppelname zum Ehenamen bestimmt, so kann die Frau keinen Begleitnamen führen32. Ist der von ihr vor der Eheschließung geführte Name ein (echter) Doppelname, heißt sie z. B. B-Y, so muss sie sich entscheiden, ob sie den Namen B oder den Namen Y zum Begleitnamen wählen will33. Führt jedoch ein Verlobter vor der Ehe einen „unechten“, d. h. aus dem Ehenamen der früheren Ehe und einem Begleitnamen zusammengesetzten Namen, so kann dieser Doppelname zum Ehenamen der neuen Ehe bestimmt werden und wird dann zum „echten“ Doppelnamen34: eine Inkonsequenz!
III. Kritik Die zahlreichen Änderungen des Namensrechts seit dem II. Weltkrieg35 haben zu einem Rechtszustand geführt, der allgemein als hochkompliziert, überreguliert, unübersichtlich und teilweise widersprüchlich gekennzeichnet wird und gleichwohl noch manche individuellen Wünsche offen lässt36. Deshalb werden weitere Gesetzesänderungen aufgrund erneuter Verfassungsbeschwer-
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§ 1355 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB. § 1618 Satz 2 BGB. § 1355 Abs. 4 Satz 1 BGB. § 1355 Abs. 4 Satz 2 BGB; zur Entstehungsgeschichte dieser Regel Diederichsen, NJW 1976, 1169, 1170. § 1355 Abs. 4 Satz 3 BGB. Wagenitz/Bornhofen, FamRZ 2005, 1423, 1427. Dazu oben I. Vgl. hier statt aller die eingehende Kritik von Hepting, StAZ 1996, 1–11; zum neuesten Stand Wagenitz/Bornhofen, FamRZ 2005, 1423, 1430.
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den für wahrscheinlich gehalten37. Der nunmehr erreichte Rechtszustand ist allerdings das Ergebnis einer folgerichtigen Entwicklung, die mit Notwendigkeit in eine „Sackgasse“ (Hepting) führen musste, weil der Gesetzgeber seit 1976 immer nur auf den vorhandenen Regelungsbestand „draufgesattelt“ hat38 statt das Namensrecht grundlegend neu zu konzipieren und damit zu vereinfachen. Das heute geltende Namensrecht des BGB verfehlt in weitem Maße die wichtigsten Ziele, die das Gesetz mit seiner Regelung verfolgen kann39: Wenn das Namensrecht im Interesse des Staates und der Öffentlichkeit der zweifelsfreien Identifizierung des Namensträgers dienen soll, setzt dies möglichst weitgehende Kontinuität der Namensführung voraus. Soll die Namensführung jedoch einerseits über die Rechtsbeziehungen unter Familienangehörigen, insbesondere die Abstammung und die Ehe, informieren, andererseits aber dem tatsächlichen Zusammenleben verschiedener Personen in einer familiären Gemeinschaft Ausdruck verschaffen, dann muss im Rahmen des geltenden Systems angesichts der häufigen Scheidungen und der dadurch bewirkten Häufung „zusammengenähter“, d. h. aus den Bruchstücken aufgelöster Familienverhältnisse neugebildeter (neudeutsch „Patchwork“-)Familien40 auch die Möglichkeit häufiger Namensänderungen sowohl für Kinder als auch für die Eheleute eröffnet werden. Aufgrund dessen vermittelt die vom Gesetz ermöglichte Namensführung kein zuverlässiges Bild mehr über die Identität einer Person, gibt keinen Hinweis mehr darauf, wer von wem abstammt oder wer mit wem verheiratet ist oder war: Die Möglichkeit, dass Kinder aus einer früheren Ehe den Ehenamen erhalten, der von dem früheren Ehegatten stammt, die Möglichkeit, diesen früheren Ehenamen sogar zum Ehenamen einer neuen Ehe zu bestimmen, laden, wie auch die Einbenennung nach § 1618 BGB, sogar dazu ein, Herkunft und Familienverhältnisse zu verschleiern. Obwohl das Gesetz mit seinen zahlreichen Möglichkeiten der Namenswahl dem Bestreben nach individueller „Selbstverwirklichung“ mehr als weit entgegenkommt, zeigen die bereits aufgezeigten Ungereimtheiten im Bereich der Doppelnamen41, dass immer noch manche Wünsche unerfüllt bleiben müssen. Hinzukommt, dass das geltende Recht für den Fall der Wiederverheiratung nach Ehescheidung keine überzeugende Konkordanz zwischen den Persönlichkeitsrechten der Geschiedenen erreicht: Dass der geschiedene Ehegatte Kindern aus der neuen Ehe und inzwischen sogar dem neuen Ehegatten den durch die frühere Ehe erheirateten, also vom früheren Ehegatten stammenden Namen weitergeben kann, hat nicht nur eine Täuschung über die Herkunft der Kinder und die Person des anderen Ehegatten zur Folge, sondern verletzt auch
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Wagenitz/Bornhofen, FamRZ 2005, 1423, 1430. So treffend Gaaz, StAZ 2006, 157, 164. Zu diesen Coester, StAZ 1990, 287; Nelle, FamRZ 1990, 809, 810. Das englische Wort „patchwork“ wird in Chambers 20th Century Dictionary u. a. definiert als „incongruous combination, work patched up or clumsily executed“, erweckt also im Englischen deutlich negative Assoziationen. 41 Dazu oben II.
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das Persönlichkeitsrecht des früheren Ehegatten, von dem der Ehename stammt. Man denke insbesondere an den Fall, dass dieser mit ansehen muss, wie Kinder aus einer anderen Ehe oder deren Elternteil seinen Geburtsnamen tragen, obwohl der neue Ehegatte vielleicht die Ursache für das Scheitern der früheren Ehe gewesen ist. Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Gefühle des betroffenen Ehegatten zwar für „verständlich“, hält aber diesen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht deshalb für gerechtfertigt, weil andernfalls der wiederheiratende Ehegatte erneut seinen Namen ändern müsse, nachdem er oder sie bereits dem früheren Ehegatten konzediert habe, dass dessen Name zum Ehenamen werde. Dies treffe zudem meist Frauen und sei daher mit dem Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht vereinbar42. Zwar ist nicht zu leugnen, dass ein geführter, wenn auch vom anderen Ehegatten stammender Name zum Teil des Persönlichkeitsrechts seines Trägers wird; unrichtig ist es aber schon, wenn der Senat ausführt, aus dem Persönlichkeitsrecht ergebe sich nicht die Befugnis, einem anderen die Führung seines Namens zu verbieten43; denn dabei dürfte es, wie auch § 12 BGB zeigt, darauf ankommen, in welchem Zusammenhang diese Namensführung stattfindet. Wenn aber ein geschiedener Ehegatte den vom anderen stammenden Ehenamen auch zum Ehenamen einer neuen Ehe bestimmt, lässt sich dies durchaus als Verletzung des Persönlichkeitsrechts dieses anderen Ehegatten qualifizieren, weil dadurch die Familienverhältnisse verschleiert werden und der namengebende Ehegatte mit Personen in Zusammenhang gebracht wird, mit denen er nichts zu tun hat, nicht zuletzt mit Kindern aus der neuen Ehe. Man darf auch nicht übersehen, dass ein erheirateter Name bei einer erneuten Eheschließung nicht nur ohne Bestimmung eines Ehenamens, sondern auch dann (als Begleitname) geführt werden kann, wenn in der neuen Ehe ein Ehename bestimmt wird. Die wiederheiratende Frau konnte also bisher schon z. B. den zur Zeit der neuen Eheschließung geführten, zum Ehenamen der früheren Ehe bestimmten Namen des geschiedenen Mannes dem zum Ehenamen bestimmten Namen des neuen Ehegatten voranstellen und so weiterführen. Sie und ihr neuer Ehegatte konnten bis zur Neuregelung nur den Namen des früheren Ehemannes nicht zum Ehenamen bestimmen. Weshalb diese Regelung trotzdem das Persönlichkeitsrecht des wiederheiratenden Ehegatten verletzen sollte44, wird nur mit der Erwägung begründet, dass dessen Wahlmöglichkeiten eingeschränkt seien, was den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des früheren Ehegatten aber wohl kaum zu rechtfertigen vermag. Angesichts des seit dem Jahre 2005 geltenden Rechtszustands gewinnt die Frage an Bedeutung, ob ein geschiedener Ehegatte die Möglichkeit hat zu verhindern, dass der andere den von ihm erworbenen Nachnamen weiterführt oder sogar in einer neuen Ehe zum Ehenamen wählt und damit auch auf den neuen Ehegatten überträgt. Als die Frau noch den Namen des Mannes zu
__________ 42 BVerfGE 109, 256, 270 f. = FamRZ 2004, 515, 517. 43 Allgemeine Ansicht, eingehend dazu BVerfGE 109, 256, 266 f. = FamRZ 2004, 515, 517. 44 So BVerfGE 109, 256, 272 = FamRZ 2004, 515, 518.
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Reform des deutschen Namensrechts
führen hatte, gab es Vorschriften, nach denen der Mann der Frau aufgrund ihres Verhaltens in bestimmten Fällen die Führung seines Namens untersagen45 oder vom Gericht untersagen lassen46 konnte. Diese Vorschriften sind mit Wirkung vom 1.7.1976 durch das „1.EheRG“ ersatzlos aufgehoben worden. Seitdem ist es im Grundsatz zwar nicht ganz ausgeschlossen, aufgrund allgemeiner Vorschriften wie §§ 12 oder 242 BGB dem andern Ehegatten nach der Scheidung der Ehe die Führung des eigenen Namens untersagen zu lassen, wenn der frühere Ehegatte diesen Namen nach der Scheidung weiterführt47; Rechtsprechung und Literatur beschränken diese Möglichkeit jedoch auf besonders gravierende Ausnahmefälle48. Auch Vereinbarungen über die Namensführung nach der Ehescheidung sind problematisch: Manche bezweifeln, ob über den Namen als Teil der Persönlichkeit überhaupt Vereinbarungen wirksam getroffen werden können49. Neuerdings wird eine derartige Vereinbarung im Hinblick auf die jüngsten Entscheidungen des BGH und des Bundesverfassungsgerichts zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen50 als sittenwidrig angesehen, wenn sie an eine finanzielle Zuwendung geknüpft ist51, obwohl das Reichsgericht die Vereinbarung in einem solchen Fall einmal für wirksam erklärt hat52 und bis vor kurzem grundsätzlich die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen bejaht wurde53. Weil aber solche Vereinbarungen häufig zusammen mit Absprachen über Unterhalt und Vermögensausgleich getroffen werden dürften, sind sie heute häufiger als früher vom Verdikt der Sittenwidrigkeit bedroht. Eine entsprechende vertragliche Vereinbarung ist schließlich schon deshalb keine allgemein taugliche Lösung, weil das Verlangen nach einer solchen Vereinbarung den anderen Ehegatten befremden könnte und die meisten Paare eine solche Lösung daher meist gar nicht erst in Betracht ziehen werden. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass es einem Ehegatten nur in seltenen Fällen möglich ist, nach der Ehe-
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45 § 1577 Abs. 3 Satz 1 in der bis zum EheG geltenden Fassung, danach § 56 Abs. 1 Satz 1 EheG. 46 § 57 Abs. 1 EheG. 47 Auf den ersten Blick abweichend OLG Celle, FamRZ 1992, 817, 818; BGH, FamRZ 2005, 1659 (die Frage allerdings offenlassend); Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 16 Rz. 26. 48 Untersagt wurde die Namensführung in dem vom OLG Braunschweig entschiedenen Fall FamRZ 1979, 913; nicht untersagt dagegen vom OLG Celle, FamRZ 1992, 817 und vom BGH, FamRZ 2005, 1658. Aus der Literatur s. Diederichsen, NJW 1976, 1169, 1174; Hohloch in Soergel/Siebert, BGB, Nachtrag § 1355 BGB Rz. 43; Hübner/ Voppel in Staudinger, 13. Aufl. 2000, § 1355 BGB Rz. 109; Lohmann in Bamberger/ Roth, Bd. 3, 2003, § 1355 BGB Rz. 23; Rauscher, Familienrecht, 2001, Rz. 270; Wacke in MünchKomm.BGB, Bd. 7, 4. Aufl. 2000, § 1355 BGB Rz. 28. 49 Diederichsen, NJW 1976, 1169, 1174; Gernhuber/Coester-Waltjen (Fn. 47), § 16 Rz. 26; Rauscher (Fn. 48), Rz. 27; Hübner/Voppel (Fn. 48), § 1355 BGB Rz. 28 und 81; Hohloch (Fn. 48), § 1355 BGB Rz. 41. 50 BVerfG, FamRZ 2001, 343; BGH, FamRZ 2004, 601; FamRZ 2005, 26. 51 So Everts, FamRZ 249, 250. 52 RG SeuffA 76, 55; s. auch RGZ 86, 114, 118 f. 53 Gernhuber/Coester-Waltjen (Fn. 47), § 16 Rz. 27; Lohmann (Fn. 48), § 1355 BGB Rz. 17; Wacke (Fn. 48), § 1355 BGB Rz. 27; Hübner/Voppel (Fn. 48), § 1355 BGB Rz. 110.
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scheidung zu verhindern, dass der andere seinen zum Ehenamen gewordenen Namen weiterführt oder dieser Name in einer neuen Ehe zum Ehenamen bestimmt wird. Die problematischen Auswirkungen der heutigen Rechtslage lassen sich damit nicht einschränken oder ausschalten. Unter diesen Umständen lohnt sich ein Blick in das Namensrecht des Auslandes, ehe ein Reformvorschlag entwickelt werden kann.
IV. Das Namensrecht im Ausland Auch wenn man sich im Wesentlichen auf die Staaten der europäisch geprägten Weltgesellschaft einschließlich der europäischen Staaten des früheren Ostblocks beschränkt, zeigt sich ein buntes Bild54: – Zum einen gibt es Länder, in denen die Ehe auf den Namen der Eheleute keinen Einfluss hat, und zwar weder aufgrund von Rechtsnormen noch nach vorherrschender Sitte. Zu diesen gehören Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate; dies könnte auf islamischer Tradition beruhen55. Aber auch in Griechenland kann der Name der Eheleute neuerdings aufgrund der Ehe nicht geändert werden56. – In einer großen Anzahl von Staaten insbesondere des anglo-amerikanischen Rechtskreises, in Frankreich und einigen vom französischen Recht geprägten Rechtsordnungen gibt es keine Vorschrift über den Einfluss der Eheschließung auf den Namen der Ehegatten, wohl aber die Sitte, dass die Frau den Nachnamen des Mannes führt57; in Frankreich wird sie sogar mit dem Vornamen des Mannes bezeichnet (z. B. Mme. Charles Dupont). Ein noch immer geltendes Gesetz aus der Revolutionszeit58 enthält sogar ein Verbot, einen anderen Namen als den Geburtsnamen zu tragen. Dies führt allerdings zu Irritationen im Rechtsverkehr, wenn die Frau der Sitte entsprechend den Namen des Mannes führt, was Entscheidungen des Kassationshofs aus jüngster Zeit belegen59. In manchen Staaten wird der Ehefrau ge-
__________ 54 Zum folgenden Text, der nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, vgl. auch Iblher Rr. Greiffen, MDR 1990, 665, 667 f.; Nelle, FamRZ 1990, 809 und 935; Pintens (Fn. 5), S. 451; Schwenzer, FamRZ 1991, 390; Sturm in FS Henrich, 2000, S. 611; einige Darstellungen sind allerdings durch neuere Gesetze teilweise überholt. 55 Ägypten: El Akrat in Rieck (Fn. 5), Rz. 25; Emirate: Bueb in Rieck (Fn. 5), Rz. 17. 56 Art. 1388 gr. ZGB. 57 Zu England und Wales: Woelke in Rieck (Fn. 8), Rz. 12 sowie Woelke, FamRZ 2004, 1342; zu den Staaten der USA: allgemein Henrich/Rieck, Artikel Vereinigte Staaten in Bergmann/Ferid/Henrich (Fn. 8), S. 40; Statsky, Family Law, 5th ed. 2002, S. 119, 216, 400 f.; zu Frankreich: Eber (Fn. 8), Rz. 8; Chaussade-Klein (Fn. 8), S. 52; Näheres zu der inzwischen kompliziert gewordenen Rechtslage bei Hauser/Huet-Weiller, Fondation et Vie de la Famille, 1989, No. 1046 f.; zu Belgien: Markus in Rieck (Fn. 8), Rz. 8; Québec: Art. 393 CcQ. 58 Art. 1er, Loi du 6 fructidor an II, abgedr. bei Dalloz, Code civil, nach Art. 57. 59 Cass., 3e civ., 24 janvier 2001, D. 2001, IR 743; Cass., 1re civ., 6 févr. 2001, D. 2001, IR 747.
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wohnheitsrechtlich die Befugnis zugestanden, den Namen des Mannes zu führen60. – Kodifizierte namensrechtliche Folge der Eheschließung ist in manchen Ländern, dass die Frau zwar ihren bisherigen Nachnamen während der Ehe weiterführt, diesem aber den Nachnamen des Mannes zufügen muss, so in Italien, oder wenigstens dazu berechtigt ist, so in Portugal, Brasilien, Argentinien und vielen Bundesstaaten Mexikos61. – Eine zwingende Vorschrift, nach der die Ehefrau den Namen des Mannes zu führen hat, kennen noch die Schweiz und die Türkei, beide allerdings inzwischen mit der Maßgabe, dass die Frau dem Namen des Mannes den Namen voranstellen kann, den sie vor der Ehe geführt hat62. Dieser Vorrang des Mannesnamens widerspricht jedoch zum einen dem mindestens seit 1948 international anerkannten Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau63. Er verletzt zudem die Interessen der Frauen, die sich im Zuge wachsender Emanzipation „einen Namen gemacht haben“ und diesen durch die Eheschließung nicht verlieren oder ändern wollen. Staaten, die eine rechtlich verbindliche Festlegung des oder der Namen anstreben, den oder die die Eheleute führen werden, räumen ihnen deshalb heute vielfach ein Wahlrecht ein, das bei der Eheschließung verbindlich ausgeübt werden muss. Dies ist der Fall in den nordischen Staaten Dänemark, Schweden und Finnland, vielen Staaten Mittel- und Osteuropas einschließlich der baltischen Staaten sowie Österreich, Deutschland und verschiedenen US-amerikanischen Staaten, so Georgia und New York, sowie Israel64. Dabei können die Wahlmöglichkeiten mehr oder weniger weit ausgedehnt sein: Alle zuvor genannten Staaten erlauben beiden Eheleuten die Fortführung des vor der Ehe geführten Namens; in Dänemark, Deutschland, Finnland, Lettland und Polen ist dies sogar die Regel, wenn nichts anderes vereinbart wird65. In Israel haben die Eheleute, wenn nichts anderes vereinbart wird, den Namen des Mannes zu führen; die Frau hat daneben die Wahl, ihren eigenen Namen fortzuführen oder dem des Mannes voranzustellen66. Meist kann das Wahlrecht in der Weise ausgeübt werden, dass der Name des Mannes oder der Name der Frau zum Familiennamen bestimmt wird, so dass einer der Ehe-
__________ 60 So in Spanien: Daum in Bergmann/Ferid/Henrich (Fn. 8), S. 28; Chile: Gesche/ Zimmer-Lorenz in Bergmann/Ferid/Henrich (Fn. 8), S. 6. 61 Italien: Art 143 bis itCc; Portugal: Art. 1677 I portCc; Brasilien: Art. 1.565 § 1 brasCc; Argentinien: Art. 8 des Namensgesetzes von 1969; Mexiko: Haußleiter in Bergmann/Ferid/Henrich (Fn. 8), S. 19. 62 Schweiz: Art. 160 ZGB; Türkei: Art. 187 ZGB; diese Regel verstößt jedoch gegen die Artt. 8 und 14 EMRK, EuGHMR FamRZ 2005, 427 zu einem türkischen Fall. 63 Art. 16 (1) Satz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte v. 10.12.1948. 64 Einzelnachweise im folgenden Text. 65 Dänemark: arg. § 5 I des Namensgesetzes von 2006; Deutschland: § 1355 I 3 BGB; Finnland: § 8 des Namensgesetzes von 1985; Lettland: § 151 I 1 ZGB; Polen: § 3 FVGB. 66 § 6 Gesetz über die Namen von 1956.
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gatten seinen bisherigen Namen weiterführt und der andere seinen Namen ändert67. Viele Rechte sehen für diesen Fall des weiteren vor, dass dieser Ehegatte den vor der Ehe geführten Namen dem des anderen voranstellen68, nachstellen69 oder nach seiner Wahl voranstellen oder nachstellen kann70. Einige Rechte gestatten den Ehegatten schließlich, einen aus den Namen beider Ehegatten gebildeten Doppelnamen zu bilden, den dann beide Ehegatten führen71. Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Frage, ob ein Ehegatte den Namen des anderen annehmen kann, wenn dieser ihn erst aufgrund einer früheren Ehe erworben hat, es sich also um einen sogenannten „erheirateten Namen“ handelt: Manche Staaten untersagen dies72, andere gestatten es ausdrücklich ohne Einschränkung73. Soweit die Eheleute einen gemeinsamen Namen führen müssen oder sich dafür freiwillig entscheiden, liegt es nahe, dass dieser Name auch zum Geburtsnamen der Kinder wird, so dass alle Mitglieder der Kleinfamilie den selben Namen führen74. Wo die Namensführung der Eheleute der Sitte überlassen war, entsprach es der früher in der europäisch geprägten Weltgesellschaft und heute noch in vielen anderen Kulturen vorherrschenden patrilinearen Vorstellung von der Familie, dass eheliche Kinder den Namen des Vaters erhalten und nur nichteheliche Kinder nach der Mutter benannt werden75. Im Zeichen der Gleichberechtigung von Mann und Frau stellen es zahlreiche Länder den Eltern dagegen heute frei, ob sie den Kindern den Nachnamen des Vaters oder
__________ 67 Schweden: § 9 ff. Namensgesetz von 1982. 68 Finnland: § 2 Abs. 1 Namensgesetz von 1985. 69 Russische Föderation: Art. 28 Nr. 1 des Föderalen Gesetzes über Personenstandsakte von 1997; Tschechien: § 70 lit. c) des Gesetzes über Matrikel sowie Vor- und Familiennamen von 2000. 70 Kroatien: Art. 12 FamG; Mazedonien: Art. 31 des Familiengesetzes von 1992; Österreich: § 93 Abs. 2 ABGB; Deutschland: § 1355 Abs. 4 BGB. Das „Hinzufügen“ des eigenen Namens gestatten ferner Bosnien-Herzegowina: Art. 46 des Gesetzes über die Familie von 1979; Estland: § 5 des Familiengesetzes von 1994; Liechtenstein: § 44 Abs. 2 EheG von 1973; Litauen: Art. 18 Ehe- und Familiengesetzbuch von 1997. 71 Kroatien: Art. 32 FamG; Polen: Art. 25 § 2 FVGB; Rumänien: Art. 27 FamGB; Slowenien: Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes über persönliche Namen von 1987; Georgia: GC 19-3-33.1; New York: Art. 3 Sec. 15 Abs. 1b Nr. 3 DRL; Ontario: Change of Name Act 1986, S. 3 (1). 72 Dänemark: § 8 Abs. 1 Namensgesetz von 2006; Liechtenstein: Art. 44 Abs. 3 EheG von 1973; Norwegen: Art. 4 Namensgesetz von 2002; Portugal: Art. 1677 Abs. 2 portCc; Schweden: § 10 Abs. 3 NamensG und die bis zum Gesetz v. 6.2.2005 geltende Fassung des § 1355 Abs. 2 BGB. 73 Rumänien: Art. 27 FamGB; Tschechien: Art. 8 FamG; Georgia: GC 19-3-33.1; New York: Art. 3 Sec. 15 Abs. 1b Nr. 3 DRL; sowie jetzt auch Deutschland: § 1355 Abs. 2 BGB i. d. F. des Gesetzes v. 6.2.2005. 74 Finnland: § 2 Abs. 1 Namensgesetz; Litauen: Art. 62 Abs. 3 Ehe- und Familiengesetzbuch; Israel: § 3 des Gesetzes über die Namen; Schweiz: Art. 270 ZGB; Deutschland § 1616 BGB. 75 So noch heute in Italien: Art. 280 itCc; den Vereinigten Arabischen Emiraten: Bueb (Fn. 51), Rz. 17.
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der Mutter geben wollen76. Einige gestatten es den Eltern auch, den Kindern einen Doppelnamen zu erteilen77. Für den Fall, dass sich die Eltern über den Namen eines Kindes nicht verständigen oder jedenfalls keine entsprechende Erklärung abgeben, gibt es verschiedene Regelungen: In einigen Ländern erhält das Kind dann den Namen des Vaters78, in Dänemark, Norwegen und Finnland den Namen der Mutter79, in Québec einen Doppelnamen80. Nach vielen Rechten entscheidet in solchen Fällen ein Gericht oder eine Behörde81. Interessant ist in diesem Zusammenhang die traditionelle spanische Regelung, der zufolge jeder Mensch einen Doppelnamen führt, zusammengesetzt aus dem Namen seines Vaters und seiner Mutter. Die Kinder erhalten dann wiederum den ersten, von dessen Vater stammenden Namen des Vaters, der mit dem ersten, von ihrem Vater stammenden Namen der Mutter verbunden wird82. In die folgende Generation weitergegeben wird also immer nur der vom Vater stammende Name, so dass dieses System eine patrilineare Auffassung der Familie abbildet, jeder Mensch aber auch den Namen seiner Mutter führt und (zumindest im täglichen Leben) auch als einzigen Namen führen kann, wie es z. B. Pablo Picasso tat. Auch kann jeder Erwachsene die Reihenfolge der Namen umstellen und dann den Namen seiner Mutter an Kinder weitergeben83 Die Folge ist, dass sowohl die Eheleute als auch Eltern und Kinder verschiedene Namen führen, wenn auch die Familieneinheit durch den jeweiligen Vatersnamen verdeutlicht wird. In Portugal geht die Freiheit der Eltern bei der Namenswahl für die Kinder so weit, dass mehrere Kinder des selben Ehepaares verschiedene Familiennamen erhalten können84.
__________ 76 Dänemark: § 1 Abs. 1 Namensgesetz; Estland: § 47 Abs. 1 FamG; Kroatien: Art. 3 Abs. 2 PersonennamensG; Lettland: Art. 151 Abs. 1 Satz 1 ZGB; Litauen: Art. 62 Abs. 3 Ehe- und Familiengesetzbuch; Mazedonien: Art. 3 Abs. 5 Gesetz über Personennamen; Niederlande: Art. 1:5 lid 4 BW; Österreich: § 139 Abs. 2 ABGB; Rumänien: Art. 62 Abs. 2 FGB; Russische Föderation: Art. 28 Nr. 2 Föderales Gesetz über Personenstandsakte; Tschechien: § 88 FGB; Deutschland: § 1617 Abs. 1 Satz 1 BGB. 77 Kroatien: § 3 Abs. 2 PersonennamensG; Rumänien: Art. 62 Abs. 2 FGB; Québec Art. 50 QCc. 78 Argentinien: § 4 des Namensgesetzes; Belgien: Art. 335 Cc/BW; England: Henrich in Bergmann/Ferid/Henrich (Fn. 8), S. 70; Frankreich: Art. 311-21 frCc; Israel: § 3 des Gesetzes über die Namen; Italien: Art. 280 itCc; Malta: Art. 4 Abs. 3 ZGB; Niederlande: Art. 1:5 lid 5 BW; Österreich: § 139 Abs. 3 ABGB; Polen: Art. 88 Familien- und Vormundschaftsgesetzbuch. 79 Dänemark: § 1 Abs. 2 Namensgesetz von 2006; Finnland: § 2 Abs. 5 Namensgesetz i. d. F. von 1999; Norwegen: § 2 Namensgesetz von 2002. 80 Art. 52 CcQ. 81 Estland: § 47 FamG; Kroatien: Art. 3 Abs. 3 PersonennamensG; Lettland: Art. 151 Abs. 1 Satz 1 ZGB; Litauen: Art. 62 Abs. 4 Ehe- und Familiengesetzbuch; Mazedonien: Art. 3 Abs. 5 Gesetz über Personennamen; Rumänien: Art. 62 Abs. 2 FGB; Russische Föderation: Art. 28 Nr. 2 Föderales Gesetz über Personenstandsakte; vgl. auch § 1617 Abs. 2 Satz 1 BGB; Näheres dazu unten. 82 Artt. 194, 195 RRC, dazu Daum (Fn. 8), S. 28. 83 Art. 109 S. 2 spCc, dazu Grasmann, ZRP 1990, 12, 14. 84 Albuquerque in Bergmann/Ferid/Henrich (Fn. 8), S. 31.
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Auch in den zahlreichen Rechtsordnungen, in denen die Namensführung der Eheleute während der Ehe nicht durch Rechtsnormen geregelt ist, finden sich meist Bestimmungen zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es einem früheren Ehegatten gestattet ist, den während der Ehe geführten Namen des anderen auch nach der Auflösung der Ehe, insbesondere nach der Scheidung zu behalten oder umgekehrt seinen vor der Ehe geführten Namen wieder anzunehmen. So hat in Frankreich jeder Ehegatte nach der Ehescheidung wieder seinen ursprünglichen Namen zu tragen85. Jeder Ehegatte kann jedoch seit der Reform des Ehescheidungsrechts von 2004 den in der Ehe geführten Namen des anderen mit dessen Zustimmung oder, bei Nachweis eines besonderen Interesses, aufgrund richterlicher Anordnung weiterführen86. In Brasilien und Liechtenstein ist das Recht, den während der Ehe getragenen Namen des andern Ehegatten weiterzuführen, vom Verschulden an der Scheidung abhängig87. Andere Rechte erlauben die Weiterführung nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung88. Wieder andere untersagen die Weiterführung des in der Ehe geführten Namens des anderen Ehegatten89. Schließlich gestatten viele Staaten die Weiterführung ohne Einschränkung, sofern nicht der betreffende Ehegatte von sich aus zu seinem früher geführten Namen zurückkehren will90. In einigen europäischen91 und vielen US-amerikanischen Staaten92 ist dagegen eine gerichtliche Entscheidung oder eine behördliche Erlaubnis zur Führung des vor der Ehe geführten Namens vorgesehen. In den USA scheint es dabei vor allem darum zu gehen, dass sich die betreffende Person nicht durch die Namensänderung ihren Gläubigern entziehen kann93. Die Rückkehr zu einem vor der Ehe geführten, durch eine andere Ehe erheirateten Namen ist in Österreich nur gestattet, wenn aus der früheren Ehe Abkömmlinge vorhanden
__________ 85 86 87 88 89 90
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Art. 264 al. 1 frCc. Art. 264 al. 2 frCc. Brasilien: Art. 1.578 brasCc; Liechtenstein: Art. 79 Abs. 3 ABGB. Außer Frankreich Bulgarien: Art. 103 FK; Italien: Art. 5 Abs. 2–4 L.D.; Türkei: Art. 173 TZGB; Rumänien: Art. 40 Abs. 1–3 FGB; Portugal: Art. 1677 B portCc. Belgien: Art. 216 § 2 Cc/BW (für die gewohnheitsrechtlich geduldete Namensführung während der Ehe); Tunesien: Landuris in Rieck (Fn. 8), Rz. 29 und Thailand: Sec. 13 des Gesetzes über Personennamen. So Dänemark: § 4 Abs. 1 Nr. 1 Namensgesetz von 2006; Niederlande: Art. 1:9 lid 1 BBW; England: Henrich in Bergmann/Ferid/Henrich (Fn. 8), S. 70; Israel: § 7 des Gesetzes über die Namen; Kroatien: Art. 5 PersonennamensG; Litauen: Art. 35 Eheund Familiengesetzbuch; Ontario: S. 3 (2) Change of Name Act, Polen: Art. 59 FVGB; Schweiz: Art. 139 Abs. 2 ZGB; Deutschland: § 1355 Abs. 5 BGB. Lettland: Art. 83 ZGB; Russische Föderation: Art. 36 Föderales Gesetz über Personenstandsakte; Slovenien: Artt. 8, 9, 10 des Gesetzes über persönliche Namen. Beispiele: Illinois: 750 IlC s. 5/413; Kalifornien: Family Code s. 2080 ff.; Texas: TexFamily Code § 6706, a,b. (gerichtliche Kontrolle); Florida: XLIII FL Statutes, s. 68.07 (allgemeine Voraussetzungen der Namensänderung müssen erfüllt sein); North Carolina: GS 50:12 (Antrag bei der Bezirksverwaltung erforderlich). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der entsprechenden Bestimmung in Texas: TexFamily Code § 6706, a, b, c.
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sind94. Während etwa das französische Recht die Interessen des Mannes im Auge hat, dessen Frau seinen Namen nach Auflösung der Ehe weiterführen will, geht es den amerikanischen Vorschriften offenbar darum, die Öffentlichkeit und vor allem die Gläubiger vor Namensänderungen aufgrund der Eheauflösung zu schützen. Aus den vielen ausländischen Lösungen, die hier in Betracht gezogen wurden, lassen sich nur wenige allgemeine Erkenntnisse ableiten: Gezeigt hat sich, dass die Namensführung nach der Ehescheidung und der Name der Kinder auch in solchen Rechten einer Regelung bedürfen, welche die Namensführung der Eheleute der Sitte überlassen. Das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau hat heute fast überall erheblichen Einfluss auf das Namensrecht; deshalb räumen viele Länder den Eheleuten sowohl für deren eigene Namensführung wie auch für die Namenserteilung an Kinder mehr oder weniger eingeschränkte Wahlrechte ein und gestatten die Fortführung des vor der Ehe geführten Namens auch nach der Eheschließung. Unterschiedlich geregelt ist die Situation, dass die Eltern sich über den Namen ihrer Kinder nicht einigen können. Auch für die Fortführung eines von dem anderen Ehegatten abgeleiteten Ehenamens nach der Ehescheidung und die Wiederannahme des vor der Ehe geführten Namens gibt es unterschiedliche Regelungen. Eine Ideallösung, deren vollständige Übernahme sich aufdrängen würde, scheint es bisher nicht zu geben, wenn denn eine solche angesichts der gegensätzlichen Interessen überhaupt denkbar ist. Doch lassen sich aus manchen Rechten einzelne Anregungen für die Neugestaltung des deutschen Rechts gewinnen.
V. Zu den bisherigen Reformvorschlägen Im Hinblick auf eine Reihe ausländischer Rechtsordnungen liegt es nahe, das Heil in einer radikalen Reform des Namensrechts zu suchen, die darin bestehen könnte, dass nach dem Vorbild vieler anglo-amerikanischer Staaten und Frankreichs die rechtliche Regelung weitgehend zurückgenommen und die Namensführung der Sitte überlassen wird95. Aber auch wenn jeder Mensch rechtlich immer nur zur Führung seines Geburtsnamens berechtigt und verpflichtet ist, bleiben mindestens zwei Fragen offen: Zum einen muss entschieden werden, welchen Namen gemeinsame Kinder eines Ehepaares erhalten sollen, insbesondere wenn sich die Eltern darüber nicht einigen können. Das Beispiel Frankreichs und vieler Staaten der USA zeigt zudem, dass die Namensführung nach der Ehescheidung auch dann einer Regelung bedarf, wenn der Name des anderen Ehegatten nur als Gebrauchsname geführt wird. Es kann außerdem zu erheblichen Problemen führen, wenn die tatsächliche Namensführung im Sinne von – rechtlich nicht verbindlichen – Gebrauchsnamen und die gesetzliche Regelung auseinanderfallen und aufgrund dessen im Rechtsverkehr rechtsverbindlicher Name und Gebrauchsname verwechselt
__________ 94 § 93a ABGB. 95 So der Vorschlag von Hepting, StAZ 1996, 1, 9 f. S. auch Sturm (Fn. 54), S. 618.
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werden; das zeigen zwei – einander im Ergebnis übrigens widersprechende – Entscheidungen des französischen Cassationshofs aus jüngster Zeit96. Die Nachteile einer weitgehenden Freigabe der Namensführung und Namenserteilung würden entgegen der Ansicht von Sturm97 auch kaum dadurch ausgeräumt, dass Namen und Namenswechsel jeder Person in einem Zentralregister festgehalten würden. Ein solches Zentralregister mag in anderer Hinsicht manche Vorteile haben, kann aber den Informationswert der Namensführung im täglichen Leben kaum ersetzen. Für Deutschland empfiehlt sich daher eine zwar vereinfachte, aber doch immer noch weitgehend rechtliche Regelung der Namensführung. Sie wäre allerdings wohl nur durch eine weitgehende Einschränkung der zum Teil liebgewordenen Wahlmöglichkeiten des heutigen Rechts zu verwirklichen98. Man könnte daran denken, den Eheleuten schon bei der ersten Eheschließung die Bildung eines echten Doppelnamens als Ehenamen zu gestatten, dessen beide Teile gleichwertig wären und in beliebiger Reihenfolge kombiniert werden dürften. Dadurch würden jedoch zum einen die bestehenden Schwierigkeiten im Scheidungsfall nicht beseitigt, sondern verschärft, weil dann im Fall der Wiederheirat dem geschiedenen Ehegatten und seinem neuen Partner gemäß der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit eingeräumt werden müsste, den in der früheren Ehe geführten Doppelnamen zum Ehenamen der neuen Ehe zu bestimmen, oder es wäre eine Namensänderung durch Bildung eines neuen Doppelnamens erforderlich, oder es könnte schließlich, bei Fortführung des Doppelnamens nur durch den geschiedenen Ehegatten, die Verbundenheit der Beteiligten in der neuen Ehe nicht zum Ausdruck gebracht werden. Gaaz hat vorgeschlagen, den Eheleuten nur noch die getrennte Namensführung oder die Bildung eines einheitlichen, dem Namen eines der Ehegatten entsprechenden Ehenamens zur Wahl zu stellen, und zwar ohne die Möglichkeit des anderen Ehegatten, seinen bisher geführten Namen als Begleitnamen zu führen. Es sei dann zu erwarten, dass sich viele Paare zu getrennter Namensführung entschließen würden99. Während die getrennte Namensführung sicherlich verfassungskonform ist und auch gegen die – dann nicht zwingend gebotene – Wahl eines einheitlichen Ehenamens nichts einzuwenden wäre, solange die Ehe besteht, würde eine solche Regelung aber im Fall der Scheidung und Wiederheirat die schon für die Doppelnamens-Lösung aufgezeigten Nachteile mit sich bringen und sogar verschärfen, weil der neue Ehegatte keinen Begleitnamen führen dürfte.
__________ 96 97 98 99
Cass. Civ 1ère, D. 2001 JR 747; Cass.civ. 3ème, D. 2001, JR 743. Sturm (Fn. 54), S. 619 f. So auch Gaaz, StAZ 2006, 157, 165. Gaaz, StAZ 2006, 157, 165.
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VI. Eigener Reformvorschlag und Ausblick An anderer Stelle ist ein Vorschlag zur notwendigen gründlichen Reform des deutschen Namensrechts entwickelt und im Einzelnen begründet worden. Hier sollen nur die wichtigsten Elemente dieses Vorschlags mitgeteilt werden: – Jede Person hat ihren Geburtsnamen auch im Fall einer Eheschließung weiterzuführen; es besteht nur die Möglichkeit, den Namen des Ehegatten dem Geburtsnamen als Begleitnamen nachzustellen aber nicht voranzustellen. Der Name des Ehegatten kann als Begleitname auch nach Auflösung der Ehe weitergeführt werden, aber nur bis zu einer etwaigen Wiederverheiratung. Die Wahl eines von beiden Ehegatten zu führenden Ehenamens ist ausgeschlossen. – Kindern eines verheirateten oder gemeinsam sorgeberechtigten Elternpaares kann nur der Geburtsname eines Elternteils als „Hauptname“ erteilt werden. Allerdings erhält der Elternteil, dessen Geburtsname nicht Hauptname der Kinder wird, das Recht, dem Kind seinen Geburtsnamen als „Begleitnamen“ zu erteilen, sodass die Kinder einen „unechten“ Doppelnamen führen würden. Dies bedeutet, dass der Begleitname im Fall einer Eheschließung nicht weitergeführt werden kann. Vielmehr besteht dann nur die Möglichkeit, entweder den Hauptnamen ohne Zusatz weiterzuführen oder dem Hauptnamen den Geburtsnamen des Ehegatten als Begleitnamen hinzuzufügen. – Die Möglichkeit der „Einbenennung“ entfällt. Eine solche Regelung würde sowohl das Persönlichkeitsrecht beider Eheleute wahren, weil auch von Eheleuten der Geburtsname stets als erster Name zu führen wäre. Sie würde aber auch die Möglichkeit eröffnen, den Status als Ehegatte durch die Führung eines Begleitnamens erkennbar zu machen. Für den Fall der Ehescheidung oder Trennung bliebe die Eltern-Kind-Beziehung dadurch nach außen sichtbar, dass der Name des Ehegatten, der nicht zum Hauptnamen des Kindes geworden ist, von dem Kind bis zu seiner Heirat in Form des Begleitnamens zu führen ist, wenn der betreffende Elternteil dies verlangt, und dessen Geburtsname auch in einer neuen Ehe als erster Name zu führen ist. Nachdem die letzte, vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Reform erst kurze Zeit zurückliegt, dürften die gesetzgebenden Organe allerdings in absehbarer Zeit kaum zu einer erneuten Reform bereit sein, wenn eine solche nicht nochmals durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts veranlasst wird. Radikale Reformen könnten zudem für erheblichen Zündstoff sorgen. Es wird sich jedoch empfehlen, die Entwicklung der Namenswahl zu beobachten. Insbesondere wird ermittelt werden müssen, ob künftige Eheleute häufiger auf die Wahl eines Familiennamens verzichten und die vor der Ehe geführten Namen beibehalten. Außerdem dürfte von Interesse sein, ob von der Möglichkeit, den vor der Ehe geführten Namen dem Ehenamen nachzustellen noch häufiger Gebrauch gemacht wird, oder nicht vielmehr der Begleitname meist vorangestellt wird, wenn ein Ehegatte nicht nur den Namen des andern als 107
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Ehenamen führen will, und wie es von 1976 bis 1994 vorgeschrieben war. Sollten sich in dieser Hinsicht deutliche Tendenzen abzeichnen, wäre in einigen Jahren vielleicht die Zeit für eine grundlegende Reform gekommen.
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Besteht eine Kreditversorgungspflicht der Banken? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Westermanns Auffassung III. Die Ansicht der Literatur IV. Die Ansicht der Rechtsprechung V. Lösungsansätze 1. Keine allgemeine Kreditversorgungspflicht 2. Kreditversorgungspflicht im Einzelfall a) Rechtsgeschäftliche Risikoübernahme durch die Bank aa) Sanierungsvertrag
bb) Zweckbestimmung im Kreditvertrag b) Treuebindung der Bank aa) Berechtigtes Vertrauen des Kreditnehmers in die Fortsetzung des Kreditengagements bb) Gesellschaftsähnliches Verhältnis zwischen Bank und Unternehmen VI. Fazit
I. Einleitung Der Verfasser dieses Beitrags ist dem Jubilar in vielfältiger Weise verbunden. Während der ersten Semester seines Studiums hatte er das große Vergnügen, den Jubilar in dessen Vorlesung zum Allgemeinen Schuldrecht erleben zu dürfen. Seine humorvolle und zugleich instruktive Art der Vorlesungsgestaltung ist dem Verfasser noch heute Vorbild für seine eigene Lehrtätigkeit. Seit der 4. Auflage führt der Verfasser die Kommentierung des Jubilars zum Darlehensvertragsrecht im Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch fort. Es war daher besonders nahe liegend, zu dieser Festschrift einen Beitrag aus diesem Bereich des Bankvertragsrechts beizusteuern. Die Frage nach einer Kreditversorgungspflicht der Banken verbindet in idealtypischer Weise wirtschaftliche und dogmatische Aspekte des Kreditvertragsrechts. Sie ist zudem stets aktuell, bildet doch die Frage, ob ein Kreditinstitut einfach „den Kredithahn absperren“1 kann, immer wieder den Gegenstand von kontroversen Erörterungen2. Durch die wegen Basel II restriktiver gewordene, weil mehr auf die aktuelle Bonität des Kreditnehmers fokussierte Kreditvergabepraxis der Banken3 hat das Thema für den Mittelstand zusätzliche Aktua-
__________ 1 Vgl. OLG Köln, WM 1985, 1128, 1133; Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 117. 2 Vgl. Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 114 ff.; Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 157 ff.; Lwowski/Wunderlich in Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 77 Rz. 23. 3 Vgl. dazu Ordemann/Müller/Brackschulze, BB Beil. 2005, Nr. 15, 19 ff.; Paetzmann, DB 2001, 493 ff.; Reifner, ZBB 2003, 20 ff.; Hückmann, Kreditrating der Mittel- und Kleinbetriebe, 2. Aufl. 2003, S. 29 ff.
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lität gewonnen. Die Frage ist aber nicht nur für den Mittelstand von Interesse. Die „Kirch/Breuer“-Saga4 hat gezeigt, wie sehr auch der Fortbestand großer Wirtschaftsimperien von der Kreditvergabe durch die Banken abhängig sein kann.
II. Westermanns Auffassung In seiner Kommentierung des Darlehensvertragsrechts in der 3. Auflage des Münchener Kommentars hatte der Jubilar das Spannungsverhältnis offen gelegt, in dem sich jede Antwort auf die Frage einer Kreditvergabepflicht der Banken bewegen muss. Auf der einen Seite steht die häufige und angesichts der traditionell knappen Eigenkapitaldecke deutscher Unternehmen schon typische Abhängigkeit eines Unternehmens von der Bereitstellung (weiterer) Liquidität durch Kredit und die dadurch bedingten schwerwiegenden, bis zur Insolvenz reichenden wirtschaftlichen Nachteile der Kündigung eines Kreditvertrages5. Diesem wirtschaftlichen Faktum steht die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der Kredit gebenden Bank über das Eingehen und die Verlängerung ihres Kreditengagements gegenüber einem bestimmten Kreditnehmer als Teil der grundgesetzlich geschützten Privatautonomie gegenüber6. Die Beantwortung der Frage nach einer Kreditversorgungspflicht der Banken hängt also entscheidend davon ab, ob und inwieweit das wirtschaftliche Faktum der Abhängigkeit von den Banken als Fremdkapitalgebern geeignet ist, der Privatautonomie dergestalt Grenzen zu setzen, dass die Banken nicht mehr frei über das „Ob“ einer Kreditvergabe entscheiden können. Anklänge an die Theorie eines allgemeinen Kontrahierungszwanges7 sind hier unverkennbar. Im Bankvertragsrecht wird diese Theorie im Zusammenhang mit der Idee des „Kontos für Jedermann“ ins Spiel gebracht8. Der Jubilar hat die angesprochene Abwägung in der 3. Auflage des Münchener Kommentars zugunsten der Privatautonomie entschieden. Die bloße wirtschaftliche Abhängigkeit eines Kredit nehmenden Unternehmens reiche für die Annahme einer Kreditvergabepflicht der Bank keineswegs aus. Diese könne allenfalls im Einzelfall zu einer Einschränkung der privatautonomen Gestaltungsfreiheit der Banken führen, wenn die wirtschaftliche Abhängigkeit und ihre Ausnutzung durch die Bank den Tatbestand des § 826 BGB erfüllen oder wenn die Gewährung kurzfristiger Überziehungen aus Treuepflichtgesichtspunkten ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Auch hier gilt aber nach Ansicht
__________ 4 Vgl. LG München I, WM 2003, 725 ff.; OLG München, WM 2004, 74 ff.; BGH, NJW 2006, 830 ff. 5 H. P. Westermann in MünchKomm.BGB, 3. Aufl. 1997, § 610 BGB Rz. 3. 6 H. P. Westermann (Fn. 5), § 610 BGB Rz. 4. 7 Lwowski/Wunderlich (Fn. 2), § 77 Rz. 23; Grüneklee, Der Kontrahierungszwang für Girokonten bei Banken und Sparkassen, 2001, S. 17; Kramer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, Vor § 145 BGB Rz. 13. 8 Koch, WM 2006, 2242, 2243 ff.; Singer in Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2004, § 31 Rz. 9; Schwintowski in Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Aufl. 2004, § 5 Rz. 39.
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des Jubilars, dass die Bank Anspruch darauf hat, die Höhe des von ihr gewährten Überziehungskredits von einer Vereinbarung mit dem Kreditnehmer abhängig zu machen. § 493 Abs. 1 BGB mache deutlich, dass auch der Kontokorrentkredit durch Kontoüberziehung einen Gelddarlehensvertrag i. S. v. § 488 BGB darstellt. Nach Auffassung des Jubilars handele es sich hierbei um eine Vereinbarung, „in deren Abschluss sie [die Bank] frei ist“9.
III. Die Ansicht der Literatur Seit Langem wird unter dem Stichwort einer „gesamtwirtschaftlichen Verantwortung der Banken“ die Frage nach einer allgemeinen Kreditversorgungspflicht des Kreditgewerbes gegenüber sanierungsbedürftigen Bankkunden diskutiert10. Einigkeit besteht dabei darüber, dass die Privatautonomie und als deren Bestandteil das Recht der Bank zur ordentlichen, keines Grundes bedürfenden Kündigung des Kreditvertrages grundsätzlich Vorrang genießt und eine Einschränkung dieser Freiheit nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen kann11. Uneinigkeit besteht allerdings darüber, wann ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist. Aufbauend auf seinen Überlegungen zu einer allgemeinen Vertrauenshaftung nimmt Canaris an, dass dies immer schon dann in Betracht kommen soll, wenn die Funktionsvoraussetzungen der Privatautonomie erheblich gestört sind, wie dies etwa dann der Fall sei, wenn „kleine“ mittelständische Kreditnehmer im Wesentlichen nur über die Verbindung zu ihrer Hausbank verfügen und mangels freier Sicherheiten anderweitig keinen Kredit erhalten12. Unter diesen Voraussetzungen sei die Hausbank gegenüber einem sanierungsbedürftigen Unternehmen grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen vorhandener oder zusätzlich angebotener Sicherheiten den unerlässlichen kurzfristigen Liquiditätsbedarf zu decken13. Zur Gewährung langfristiger Sanierungskredite sei die Hausbank dagegen nur bei Hinzutreten weiterer besonderer, das Vertrauen des Unternehmens rechtfertigender Umstände verpflichtet. Diese seien etwa gegeben bei extremer Abhängigkeit des Unternehmens von der Bank durch Übertragung des wesentlichen Teils der als Sicherheiten in Betracht kommenden Vermögenswerte oder aufgrund eines besonders engen, von der Bank gegenüber dem Kredit nehmenden Unternehmen zum Ausdruck gebrachten Zusammenhangs zwischen der Kreditgewährung und einem Projekt des Kreditnehmers14. Demgegenüber wird jedoch geltend gemacht, die Theorie von der Vertrauenshaftung spiele in diesem Bereich „praktisch keine Rolle“. Der Kreditnehmer habe keinen Anlass, aufgrund der einmaligen Duldung der Überziehung einer
__________ 9 H. P. Westermann (Fn. 5), § 610 BGB Rz. 4. 10 Vgl. die Übersicht bei Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 157 ff.; Häuser in BankrechtsHandbuch (Fn. 2), § 85 Rz. 21 ff. 11 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 122, 124; Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 162 f. 12 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 122. 13 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 133. 14 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 125, 127, 133, 138.
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Kreditlinie auf einen Willen der Bank zur Änderung des Kreditvertrages im Sinne einer Erhöhung der Kreditlinie zu vertrauen15. Letztlich komme die Ansicht von Canaris einem „systemwidrigen Kündigungsausschluss mit aufgesatteltem Kontrahierungszwang“ gleich16. Dieser könnte sich auch als Kündigungsschranke bei einem bereits ausgereichten Kredit auswirken. Ein Anspruch auf Kreditgewährung gegen die Hausbank zum Zweck des Ausgleichs eines kurzfristigen Liquiditätsengpasses wird ausnahmsweise aus der „allgemeinen Treuepflicht der (Haus-)Bank“ und den im Rahmen der Lehre vom Rechtsmissbrauch entwickelten Prinzipien hergeleitet, vorausgesetzt, es bestehen ausreichende Sicherheiten17. Zum Teil wird in „Extremfällen“ von einer „Kreditschöpfungspflicht aus Treu und Glauben“ und aus einer „möglichen Verletzung des Kerns des Sozialstaatsprinzips“ wegen der „besonders schwerwiegenden Folgen“ der Kreditverweigerung bzw. Kreditkündigung für den Kunden ausgegangen18. Eine Kreditversorgungspflicht wird auch aus einem „Kooperationsvertrag“ zwischen allen an der Sanierung eines Unternehmens Beteiligten als „gesellschaftsähnlicher Verbindung“ und „hypothetischem Vertrag, der durch die Vernünftigkeit seiner Ergebnisse legitimiert wird“ abgeleitet, der „ein System von Kooperationspflichten als Ausprägung der gegenseitigen Treuepflicht“ erzeugt19.
IV. Die Ansicht der Rechtsprechung Nach Ansicht des BGH „muss [es] grundsätzlich hingenommen werden, [d]aß … es eine Gläubigerbank … unter Umständen in der Hand hat, den Zeitpunkt der Zahlungseinstellung [ihres Kreditnehmers] zu beeinflussen … [Die Kündigung des Kreditengagements durch die Bank] ist ein Einschnitt, der … den frühestmöglichen Zeitpunkt der Zahlungseinstellung kennzeichnet“20. Die Annahme einer Kreditversorgungspflicht der Banken würde dagegen darauf hinauslaufen, dem Kreditinstitut zwangsweise eine unternehmerische Mitverantwortung nach Art eines Gesellschafters für den Kreditnehmer aufzuerlegen, obwohl es lediglich Mittel seiner Einleger ausleiht21. Gerade aus dem zuletzt genannten Grund müsse berücksichtigt werden, dass Vorstandsmitglieder einer Kredit gebenden Bank unter Umständen ihre eigenen Pflichten gegenüber
__________ 15 Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 158. 16 Batereau, WM 1992, 1517, 1519. 17 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 133 ff.; ders., Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rz. 1272; Eidenmüller, ZHR 160 (1996), 343, 373. 18 Voglis, Kreditkündigung und Kreditverweigerung der Banken im Lichte von Treu und Glauben, 2001, S. 151. 19 Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 551 ff., 583 ff. 20 Vgl. BGH, BGHZ 118, 171, 175; vgl. auch BGH, NJW 1978, 947, 948; BGH, BGHZ 90, 381, 399; BGH, NJW 2001, 2632, 2633; OLG Zweibrücken, ZIP 1984, 1334 ff.; OLG Frankfurt, MDR 1986, 849; OLG Düsseldorf, WM 1989, 1838, 1841; Claussen, Bankund Börsenrecht, 3. Aufl. 2003, § 8 Rz. 46a; Schwintowski (Fn. 8), § 14 Rz. 258. 21 OLG Zweibrücken, ZIP 1984, 1334, 1339 unter Berufung auf Rümker, KTS 1981, 493, 505.
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ihrem Unternehmen verletzen würden, wenn sie weitere Kredite an ein unrettbar verlorenes Unternehmen ausreichen würden 22. Die verbreitete Praxis der Kreditinstitute, bei Überschreitung der Kreditlinie nicht immer sofort „hart aufzutreten“ und in Einzelfällen ihre vertraglichen Rechte nicht voll auszuüben, stelle ein bloßes Entgegenkommen dar. Die Bank wolle sich durch eine solche Gefälligkeit nicht künftig vertraglich binden und der Kunde könne dies auch in der Regel nicht anders verstehen23. Die bloße Kenntnis der Kredit gebenden Bank von betriebswirtschaftlichen Interna wie Eigenkapitalmangel und Kreditbedarf des Kredit nehmenden Unternehmens könne keine andere Beurteilung der Rechtslage, etwa im Sinne eines Vertrauenstatbestandes zugunsten des Kredit nehmenden Unternehmens, rechtfertigen. Derartige Informationen verschafften sich Banken typischerweise bzw. kraft gesetzlicher Anordnung (§ 18 KWG) vor der Gewährung von Betriebsmittelkrediten, um ihr Risiko zuverlässig einschätzen zu können. Eine rechtsgeschäftlich oder über den Gedanken der Vertrauenshaftung als quasi-rechtsgeschäftlich zu qualifizierende Bereitschaftserklärung, über die im Kreditvertrag getroffene Vereinbarung hinaus Kredite gewähren oder belassen zu wollen, sei damit aber nicht verbunden. Anders zu argumentieren hieße, die Finanzierungsinteressen des Unternehmens einseitig in den Vordergrund zu rücken und die berechtigten Sicherungsinteressen der Bank zu vernachlässigen24. Zur Begründung dieser Auffassung beruft sich der BGH ausdrücklich auf die Kommentierung des Jubilars in der 2. Auflage des Münchener Kommentars25. Aus allen diesen Überlegungen folgert die Rechtsprechung, dass es „einer Bank grundsätzlich überlassen bleibt, ob sie ein Not leidendes Unternehmen, dem sie Kredit gewährt hat, fallen lassen will“26. Diese Entscheidungsfreiheit besteht nach Ansicht der Rechtsprechung nicht nur bei der Frage der Fortsetzung des Kreditengagements, sondern auch hinsichtlich der Veränderung von Vertragsbedingungen zugunsten des Kreditnehmers, etwa kurzfristiger Tilgungsund Zinsstundungen im Rahmen eines langfristigen Kreditvertrages27.
V. Lösungsansätze 1. Keine allgemeine Kreditversorgungspflicht Die bloße Tatsache, dass Kreditinstitute im Wirtschaftsverkehr eine zentrale Rolle als Finanz- und Kapitalintermediäre einnehmen, kann sicher nicht als
__________ 22 23 24 25
OLG Köln, WM 1983, 1128, 1133. OLG Düsseldorf, WM 1989, 1838, 1842. BGH, WM 1983, 1038. H. P. Westermann in MünchKomm.BGB, 2. Aufl. 1980, § 609 BGB Rz. 6 und § 610 BGB Rz. 3. 26 BGH, BGHZ 90, 381, 399; vgl. auch BGH, NJW 2001, 2632, 2633; OLG Zweibrücken, ZIP 1984, 1334 ff.; OLG Frankfurt, MDR 1986, 849; OLG Düsseldorf, WM 1989, 1838, 1841; Claussen (Fn. 20), § 8 Rz. 46a; Schwintowski (Fn. 8), § 14 Rz. 258. 27 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1991, 948.
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Rechtfertigung für eine allgemeine Kreditversorgungspflicht der Banken dienen. Dies gilt auch in der Krise eines Unternehmens. Die Diskussion um die Funktion der Banken als Kapitalintermediäre vermag keinen Ansatzpunkt für die rechtliche Begründung einer allgemeinen Kreditversorgungspflicht zu liefern. Hierbei handelt es sich um ein wirtschaftspolitisches Sujet. Die Beantwortung der Frage nach einer Kreditversorgungspflicht erfordert jedoch eine rechtsdogmatisch verankerte Diskussion um Rechtsbeziehungen zwischen den Banken und ihren gewerblichen Kreditkunden28. Im Zentrum dieser Diskussion steht zum einen die vertragstypische Risikoverteilung zwischen den Parteien des Gelddarlehensvertrages. Als Gegengewicht zur Belastung des Darlehensgebers mit der Unsicherheit darüber, ob der Darlehensnehmer das Darlehen bei Fälligkeit tatsächlich zurückzahlt, trägt der Darlehensnehmer grundsätzlich das wirtschaftliche Risiko der Verwendbarkeit der Darlehensvaluta29. Genau dieses Risiko verwirklicht sich in der Insolvenz des Darlehensnehmers. Die Annahme einer allgemeinen Kreditversorgungspflicht würde diese im Gesetz angelegte vertragstypische Risikoverteilung in ihr Gegenteil verkehren. Zum anderen muss die Annahme einer allgemeinen Kreditversorgungspflicht auch im Hinblick auf die überragende Bedeutung der Vertragsabschlussfreiheit als Bestandteil der grundgesetzlich gewährleisteten Privatautonomie abgelehnt werden. Dieser elementare Grundsatz beansprucht auch in der Krise eines Unternehmens Geltung: „‚Freie‘ Sanierung außerhalb eines staatlichen Verfahrens muß privatautonom verantwortet werden, dann aber auch privatautonom entschieden werden“30. 2. Kreditversorgungspflicht im Einzelfall Die Frage, ob eine Bank im Einzelfall zur Vergabe von Krediten an ein sanierungsbedürftiges Unternehmen verpflichtet ist, ist damit aber noch nicht beantwortet. Möglich ist nämlich, dass im Einzelfall die grundsätzliche Risikozuweisung im Kreditverhältnis derart verschoben ist, dass die Bank das Risiko des Kreditnehmers mitträgt oder mittragen muss und daher zur weiteren Kreditgewährung verpflichtet ist. Hierzu besteht ein abgestuftes System von Fallgruppen. Sie lassen sich in zwei große Bereiche aufteilen. Während in der ersten die Bank sich selbst rechtsgeschäftlich gebunden und damit ihre Vertragsabschlussfreiheit eingeschränkt hat, fehlt es in der zweiten an einer ausdrücklichen rechtsgeschäftlichen Bindung der Bank. Sie unterliegt aber nach Treu und Glauben oder im Hinblick auf eine besondere, gegenüber dem Unternehmen bestehende Treuepflicht einer Verpflichtung zur weiteren Kreditgewährung ohne vorangegangene vertragliche Verpflichtung. Gerade in dieser
__________ 28 Rohe, Netzwerkverträge, 1998, S. 348. 29 Vgl. Larenz, DB 1952, 116, 117; zum Kreditvertrag Horn in BuB, Stand: 9/2006, Rz. 7/1350; Schwintowski, NJW 1989, 2087 ff.; Derleder in Derleder/Knops/ Bamberger (Fn. 8), § 9 Rz. 40. 30 K. Schmidt, WM 1983, 490, 492.
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zweiten Fallgruppe kommt es zum Konflikt zwischen privatautonomer Entscheidungsfreiheit und wirtschaftlicher Inpflichtnahme der Banken. Daher besteht vor allem hier die Gefahr einer „Aushöhlung der Privatautonomie“31. a) Rechtsgeschäftliche Risikoübernahme durch die Bank aa) Sanierungsvertrag Am deutlichsten wird die Verlagerung des Kreditrisikos auf die Kredit gebende Bank dann, wenn diese Partei einer Sanierungsvereinbarung mit dem Not leidenden Unternehmen ist. In diesem Fall übernimmt die Bank bewusst einen Teil des nach dem gesetzlichen Grundmodell des Gelddarlehensvertrages allein auf dem Darlehensnehmer lastenden Kreditrisikos. Als Folge dieser bewussten Risikoübernahme ist die ordentliche Kündigung des Kreditvertrages nach § 488 Abs. 3 BGB (Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken, Nr. 26 Abs. 1 AGBSparkassen) ebenso wie die Kündigung nach § 490 Abs. 1 BGB so lange konkludent ausgeschlossen, wie die Sanierung planmäßig verläuft und der Kreditnehmer die von der Bank gestellten Auflagen erfüllt32. Ob die Bank auch zur Vergabe weiterer Kredite verpflichtet ist, richtet sich zunächst nach dem Wortlaut der Sanierungsvereinbarung. Auch wenn eine solche Pflicht darin nicht ausdrücklich geregelt ist, kann sie sich aus der mit dem Sanierungsvertrag verbundenen besonderen Treuebindung der Kredit gebenden Bank ergeben. Aus dem Sanierungsvertrag folgt nämlich für die daran beteiligte Bank eine Treuepflicht mit dem Inhalt, den Darlehensnehmer, soweit zumutbar, bei der Sanierung zu unterstützen33. Zumutbar ist diese Unterstützung so lange, wie nicht überwiegende berechtigte Interessen der Bank entgegenstehen. Dogmatischer Ansatzpunkt für die Herleitung einer solchen Pflicht ist die Tatsache, dass die an der Sanierungsvereinbarung beteiligten Banken durch ein „gesellschaftsähnliches Verhältnis“ miteinander verbunden sind. Der BGH hat in seiner Coop-Entscheidung deutlich gemacht, dass es „gute Gründe dafür geben [mag], die Teilnehmer an einer Sanierungsvereinbarung als eine Gemeinschaft
__________ 31 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 353 unter Hinweis darauf, dass jemand, der um das Fehlen einer rechtlichen Bindung weiß und lediglich auf die Bereitschaft des Gegners, freiwillig zu erfüllen, vertraut, allen Grund hat, sich des ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mittels (Vertragsschluss) zu bedienen und sich daher nicht beklagen kann, wenn die Rechtsordnung, deren Schutz er erst verschmäht hat, nunmehr ihre Unterstützung bei der Durchsetzung seines – rechtlich eben nicht begründeten – Verlangens versagt. 32 RG, Recht 1938 Nr. 3111; BGH, WM 1959, 626, 629; BGH, WM 1957, 949, 951; Klumpp, Die einseitige Vertragsbeendigung bankgeschäftlicher Kreditverhältnisse durch die Bank, 1997, S. 31; Theewen, BKR 2003, 141, 147; Hoffmann in Derleder/ Knops/Bamberger (Fn. 8), § 15 Rz. 40. 33 Vgl. BGH, WM 1956, 217, 220; Häuser (Fn. 10), § 85 Rz. 47.
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mit gesellschaftsähnlichen Zügen anzusehen“34. Nach ganz h. M.35 kann aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in Ausnahmefällen eine Änderung des Gesellschaftsvertrages durchgesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Änderung für den betreffenden Gesellschafter zumutbar und mit Rücksicht auf das bestehende Gesellschaftsverhältnis, etwa zur Erhaltung wesentlicher, gemeinsam geschaffener Werte oder zur Vermeidung wesentlicher Verluste, erforderlich ist36. Der wichtigste Anwendungsfall dieser auf der Treuepflicht beruhenden Zustimmungspflicht betrifft Sanierungsszenarien37. In außergewöhnlichen Fällen kann dies dazu führen, dass die Bank aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht verpflichtet ist, sich auf eine Vertragsänderung im Sinne einer weitergehenden Kreditgewährung entsprechend ihrer quotalen Beteiligung an den bisher gewährten Gesamtkrediten einzulassen38. Ganz ausnahmsweise kann die Bank auch verpflichtet sein, dem Unternehmen einen ungesicherten Kredit zu gewähren. Dies gilt etwa dann, wenn die Bank im Rahmen einer von ihr selbst betriebenen und an sich aussichtsreichen Sanierungsaktion das Kreditbedürfnis und damit das Sicherheitsvolumen unterschätzt hat39. Eine derartige Sanierungsvereinbarung kann auch stillschweigend abgeschlossen werden. Dies darf jedoch nicht schon auf der Grundlage einer bloßen Kreditvergabe an ein Unternehmen in der Krise angenommen werden, sondern nur dann, wenn aus dem Verhalten der Kredit gebenden Bank eindeutig auf ihren Willen zu einer über die bloße Kreditvergabe hinausgehenden Mitwirkung bei der Sanierung geschlossen werden kann40. Keine Pflicht zur weiteren Kreditgewährung besteht, wenn die Bank sich bei einer weiteren Kreditvergabe Haftungsrisiken (etwa wegen Insolvenzverschleppung) aussetzen würde41. Die Pflicht besteht also nicht, wenn die Bank aufgrund der ihr vorliegenden, vom Kredit nehmenden Unternehmen vorgelegten (§ 18 KWG) Unterlagen und nach sorgfältiger Sanierungsfähigkeitsprüfung durch einen „branchenkundigen Wirtschaftsfachmann“42 dieses nicht für
__________ 34 BGH, BGHZ 116, 319, 327 f. unter Berufung auf OLG Celle, NJW 1965, 399; KG, ZIP 1980, 963, 964; Würdinger, Theorie der schlichten Interessengemeinschaft, 1934, S. 66; Mühl, NJW 1956, 401, 403; Habscheid in GS R. Bruns, 1980, S. 253, 262; Kohler-Gehrig, Außergerichtlicher Vergleich zur Schuldenbereinigung und Sanierung, 1987, S. 49 ff.; vgl. auch Eidenmüller (Fn. 19), S. 642 f. 35 Vgl. Emmerich in Heymann, 2. Aufl. 1996, § 119 HGB Rz. 18 f.; Ulmer in Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 105 HGB Rz. 246; Hadding in Soergel, 11. Aufl. 1985, § 705 BGB Rz. 63. 36 Vgl. zu dieser Formel der st. Rspr. BGH, NJW 1961, 724 f.; BGH, NJW 1970, 706; BGH, WM 1985, 256, 257; BGH, NJW 1987, 952, 953; BGH, WM 1994, 2244, 2246; OLG Hamm, NJW-RR 1986, 780 f. 37 Emmerich (Fn. 35), § 119 HGB Rz. 18 a. E. 38 Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 160. 39 H. P. Westermann (Fn. 5), § 610 BGB Rz. 4. 40 Klumpp (Fn. 32), S. 31; vgl. auch unten V. 2. a) bb). 41 Vgl. zu diesen Risiken Wallner, NZI 2006, 553 ff.; Theewen, BKR 2003, 141 ff.; Batereau, WM 1992, 1517 ff. 42 BGH, NJW 1953, 1665; Wallner, NZI 2006, 553, 556.
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sanierungsfähig hält43. Die Kreditgewährungspflicht besteht vielmehr nur, wenn im Rahmen der ex-ante-Betrachtung keine ernsthaften Zweifel daran bestehen können, dass das Unternehmen durch die weitere Kreditgewährung die Krise überwinden wird44. Die Bindung der Bank an eine aus dem gesellschaftsähnlichen Sanierungsvertrag fließende Kreditgewährungspflicht entfällt dann, wenn sich die Umstände, in deren Kenntnis die Bank die Mitwirkung an der Sanierung zugesagt hat, nachhaltig ändern und die Sanierung als nicht mehr aussichtsreich erscheinen lassen45. So entfällt die Bindung, wenn die Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse46 vorliegen47, wenn die Bank erst nachträglich von den schlechten Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers im Zeitpunkt des Abschlusses des Sanierungsvertrages erfährt48 oder wenn das sanierungsbedürftige Unternehmen von der Strategie zur Krisenbewältigung abweicht, zu deren Einhaltung es sich in der Sanierungsvereinbarung verpflichtet hat49. Dagegen genügt ein kurzfristiger, nicht voraussehbarer Rückschlag in den Sanierungsbemühungen nicht als Kündigungsgrund. Eine Kündigung kommt vielmehr nur und erst dann in Betracht, wenn die Bank nach gründlicher Untersuchung auf Grund der eingetretenen Entwicklung nicht mehr damit rechnen kann, dass die Sanierung Aussicht auf Erfolg hat50. bb) Zweckbestimmung im Kreditvertrag Möglich ist auch, dass die Bank zwar nicht an einer umfassenden Sanierungsvereinbarung beteiligt ist, der mit dem Kredit verfolgte Sanierungszweck aber zum Inhalt des Kreditvertrages gemacht worden ist51. Dabei ist stets zu prüfen, ob es sich bei der Kennzeichnung des Anlasses der Darlehensgewährung lediglich um ein rechtlich irrelevantes Motiv52 handelt oder ob die wirtschaftliche Zweckbestimmung der Darlehensgewährung Teil des ausdrücklich oder stillschweigend vereinbarten Vertragsinhalts geworden ist53. Die bloße Kenntnis
__________ 43 OLG Celle, ZIP 1982, 942, 952. 44 Voglis (Fn. 18), S. 151. 45 BGH, NJW 2004, 3779, 3780; BGH, NJW 2004, 3782, 3783; BGH, WM 1956, 217, 220; BGH, WM 1957, 949, 951. 46 S. § 490 Abs. 1 BGB bzw. Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken, Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen; vgl. auch K. P. Berger in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 490 BGB Rz. 2 ff., 61 f. 47 BGH, NJW 2004, 3782, 3783; BGH, NJW 2004, 3779, 3780; BGH, WM 1959, 626; Häuser (Fn. 10), § 85 Rz. 73; Möllers, Die Haftung der Bank bei der Kreditkündigung, 1989, S. 23 f. 48 Vgl. BGH, WM 1956, 217, 220; Hopt/Mülbert in Staudinger, 12. Aufl. 1989, § 607 BGB Rz. 210; Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 170; Möllers (Fn. 47), S. 24 f. 49 Häuser (Fn. 10), § 85 Rz. 75; Lauer, Das Kreditengagement zwischen Sanierung und Liquidation, 4. Aufl. 2005, S. 253. 50 BGH, WM 1956, 217, 220; OLG Celle, ZIP 1982, 942, 943; Häuser (Fn. 10), § 85 Rz. 76. 51 Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 160. 52 Vgl. nur Ballhaus in RGRK, 12. Aufl. 1978, Vor § 607 BGB Rz. 3. 53 Behrmann, Zweckgebundene Darlehen, 1995, S. 74; vgl. auch Sebode, DR 1940, 429, 431; Olzen, ZZP 97 (1984), 1, 18.
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der Bank von der mit der Kreditaufnahme verfolgten Sanierungsabsicht des Kreditnehmers allein reicht niemals für die Annahme einer derartigen Zweckbindung oder eine anderweitige Bindung der Bank aus54. Um den Verwendungszweck zum rechtsgeschäftlichen Inhalt des Gelddarlehensvertrages zu machen, bedarf es vielmehr ausdrücklicher Abreden der Parteien oder besonderer, den Vertragsschluss begleitender Umstände. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so gelten die oben im Zusammenhang mit dem Sanierungsvertrag genannten Einschränkungen der Kündbarkeit des Kreditvertrages55. Eine Pflicht zur weiteren Kreditgewährung kann sich hier aus der durch den vereinbarten Sanierungszweck noch gesteigerten Treuebindung der Kredit gebenden Bank ergeben56. Ist der Sanierungszweck nicht zum Bestandteil des Kreditvertrages geworden, kann eine Kreditgewährungspflicht dennoch aus einer speziellen Treuebindung der Bank folgen57. b) Treuebindung der Bank aa) Berechtigtes Vertrauen des Kreditnehmers in die Fortsetzung des Kreditengagements Auch ohne ausdrückliche rechtsgeschäftliche Bindung kann die Risikoverteilung im Kreditvertragsverhältnis so sehr zugunsten des Kreditnehmers verschoben sein, dass die Kredit gebende Bank zu einer weitergehenden Kreditvergabe verpflichtet sein kann. Allerdings ist der Rechtsprechung darin zuzustimmen58, dass die bloße Duldung der Kontoüberziehung durch die Bank hierfür niemals ausreichen kann. Zwar zeigt § 493 Abs. 2 BGB, dass mit der Duldung der Kontoüberziehung ein stillschweigender Vertragsschluss verbunden sein kann. Dieser bezieht sich jedoch nur auf die konkret geduldete Überziehung. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände kann eine über diesen stillschweigenden Vertragsschluss hinausgehende rechtsgeschäftliche Bindung der Bank nicht angenommen werden. Ein berechtigtes Vertrauen des Kredit nehmenden Unternehmens in den Abschluss weiterer Kreditverträge kann ein solches Entgegenkommen der Bank nicht begründen59. Auch die bloße Abhängigkeit des Unternehmens von der Kreditvergabe durch seine „Hausbank“ vermag ein derartiges Vertrauen nicht zu rechtfertigen. Möglich ist die Annahme einer rechtsgeschäftlichen Bindung der Bank vielmehr erst dann, wenn das Verhalten der Bank, d. h. die Verweigerung weiterer Kredite oder die Kündigung des bestehenden Kreditverhältnisses, als Verstoß gegen das Verbot des „venire contra factum proprium“ erscheint. Dieser Grundsatz dient nicht nur
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Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 127. Häuser (Fn. 10), § 85 Rz. 45 ff. Vgl. dazu unten V. 2. b) aa). S. dazu unten V. 2. b) bb). S. oben IV. Vgl. zu den Voraussetzungen der Erkennbarkeit des Vertrauenstatbestandes und der Notwendigkeit der subjektiven Schutzwürdigkeit als Voraussetzungen des venire contra factum proprium Roth in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 BGB Rz. 259, 261.
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als immanente Schranke von Rechtspositionen. Aus ihm lassen sich vielmehr in besonderen Fällen auch Erfüllungsansprüche einer Seite herleiten60. Selbst diejenigen, die dem Anwendungsbereich des Verbotes des Selbstwiderspruchs skeptisch gegenüberstehen, erkennen an, dass diesem Rechtsprinzip im Rahmen des Vertrauens auf ein künftiges konsequentes Verhalten der Gegenseite selbständige Bedeutung zukommt und dass es in diesem Zusammenhang auch rechtsbegründende Funktion haben kann61. Hierfür ist allerdings stets ein der Bank zurechenbares vertrauensbildendes, d. h. „konsequentes“ Vorverhalten notwendig, auf das das Kredit nehmende Unternehmen berechtigterweise vertrauen durfte62. Erforderlich sind also bestimmte Erklärungen (etwa im Hinblick auf die feste Absicht der Bank zur Nicht-Ausübung ihrer Kündigungsrechte bzw. zur Fortsetzung der Sanierung oder im Hinblick auf den Willen, das Unternehmen weiter (unter)stützen zu wollen) oder Handlungen (etwa das ernsthafte Bemühen, weitere Partner zum Zwecke der Unterstützung des Unternehmens „ins Boot zu holen“, vorausgesetzt, dem Unternehmen ist dies bekannt63) der Bank. Angesichts der zu vermutenden Geschäftserfahrung des gewerblichen Kreditnehmers64 ist hierfür ein eindeutiges Verhalten der Bank erforderlich65. Die Erklärungen oder Handlungen können das berechtige Vertrauen des Unternehmens in die konsequente Fortsetzung des Kreditverhältnisses nur dann rechtfertigen, wenn sie mit keinem Vorbehalt oder sonstigen Einschränkungen versehen sind. Das Unternehmen muss sich aufgrund der durch das eindeutige Vorverhalten der Bank geschaffenen Lage berechtigterweise, in besonders weitreichendem Maße und in einer seine Existenz berührenden Weise auf die Fortsetzung des Kreditengagements eingerichtet und als Reaktion darauf bestimmte Dispositionen getroffen haben66. In diesen besonderen Fällen ist das Kredit nehmende Unternehmen nicht nur vor einer Kreditkündigung geschützt. Vielmehr hat es unter diesen engen Um-
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60 Canaris (Fn. 31), S. 352 ff.; Teichmann in Soergel, 12. Aufl. 1990, § 242 BGB Rz. 324 a. E. und Rz. 276. 61 Vgl. Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 43, 313 ff., 354. 62 Vgl. Teichmann (Fn. 60), § 242 BGB Rz. 317 ff. 63 In diesen Fällen kann, je nach den Umständen des Einzelfalls, auch eine stillschweigend abgeschlossene Sanierungsvereinbarung (s. oben V. 2. a) aa)) in Betracht kommen. Vgl. auch J. Schmidt in Staudinger, 13. Bearb. 1995, § 242 BGB Rz. 634 unter Hinweis darauf, dass in vielen angeblichen Anwendungsfällen des Verbotes des widersprüchlichen Verhaltens tatsächlich ein rechtgeschäftlicher Tatbestand gegeben ist, zumal im Hinblick auf die neueren Entwicklungen in der Willenserklärungslehre Bedenken gegen die Annahme einer Willenserklärung wegen Fehlens subjektiver Elemente immer mehr zurücktreten müssen; vgl. zu Letzterem auch Wieling, AcP 176 (1976), 334, 336. 64 Vgl. zum allgemeinen Prinzip der vermuteten Geschäftserfahrung von Kaufleuten und seinen rechtlichen Konsequenzen Pfeiffer in Pfeiffer (Hrsg.), Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 1 Rz. 8; Berger, ZIP 2006, 2149, 2151 f. 65 Vgl. Teichmann (Fn. 60), § 242 BGB Rz. 320; vgl. etwa BGH, WM 1978, 234, 236, worin die Bank wiederholt Kreditüberziehungen geduldet, zugleich aber in mehreren Schreiben an den Kreditnehmer deutlich gemacht hatte, dass „sie eine Rückführung des laufenden Kontos auf das vereinbarte Kreditlimit in angemessener Frist erwarte“; vgl. Singer (Fn. 61), S. 334. 66 Canaris (Fn. 31), S. 531.
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ständen einen Anspruch auf eilbedürftige Krediterhöhung, wenn diese durch vorhandene oder zusätzlich angebotene Sicherheiten noch voll67 gedeckt wäre68. Die für die Beurteilung des Verbotes des widersprüchlichen Verhaltens notwendige Interessenabwägung69 gebietet es jedoch, den Schutz des Unternehmens dort aufhören zu lassen, wo die Bank auch bei einem abgeschlossenen Sanierungsvertrag berechtigt wäre, den Kreditvertrag zu kündigen70. Dies gilt etwa für die wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers71. Hat die Bank berechtigten Anlass zur Änderung ihrer Kreditvergabepraxis, so verhält sie sich nicht inkonsequent, wenn sie aus diesem Grund den Kredit kündigt bzw. eine weitere Kreditvergabe ablehnt72. Allgemeine wirtschaftliche Überlegungen berechtigen dagegen unter den soeben dargestellten Voraussetzungen nicht zur Verweigerung der weiteren Kreditgewährung73. bb) Gesellschaftsähnliches Verhältnis zwischen Bank und Unternehmen Bereits oben74 wurde deutlich, dass eine Bank, die Partei einer Sanierungsvereinbarung ist, zugleich an einem gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnis mit dem Unternehmen beteiligt ist, aus dem in bestimmten Fällen eine Pflicht zur Kreditgewährung folgen kann. Hier fragt sich nun, ob dies auch für eine Bank gelten kann, die nicht an einer solchen Vereinbarung beteiligt ist. Ansatzpunkt kann dann nur der Kreditvertrag selbst sein. Üblicherweise erfolgt die Diskussion über die Abgrenzung von Gelddarlehensvertrag und Gesellschaft im Zusammenhang mit partiarischen Darlehen. Sie bildet jedoch nur eine der möglichen Fallgruppen, in denen sich Elemente des Austauschvertrages und des Gesellschaftsvertrages vermischen75. Eine weitere wird durch die Fälle gebildet, in denen zwar die für § 705 BGB erforderlichen Merkmale – gemeinsamer Zweck und Förderungspflicht – nicht gegeben sind, bei denen sich aber die Ähnlichkeit zur Gesellschaft daraus ergibt, dass die Parteien im Vertrauen aufeinander und auf Grund gleichgerichteter Interessen ihre Belange in bestimmter Weise, zu bestimmten Zwecken und auf längere Zeit miteinander
__________ 67 Zum Erfordernis der „einhundertprozentigen Besicherung des Überbrückungs- bzw. Sanierungskredits als Zumutbarkeitsvoraussetzung einer Pflicht zur Kreditgewährung“ Eidenmüller (Fn. 19), S. 743 f. (für die außergerichtliche Reorganisation) und S. 867 (für die gerichtlich überwachte Reorganisation). 68 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 125. 69 Vgl. dazu BGH, BGHZ 47, 184, 189; Roth (Fn. 59), § 242 BGB Rz. 261. 70 S. dazu oben V. 2. a) aa). 71 Vgl. OLG Köln, WM 1985, 1128, 1132. 72 Singer (Fn. 61), S. 335. 73 Vgl. Eidenmüller (Fn. 19), S. 753: „… betriebwirtschaftliche Überlegungen vermögen eine mit möglicherweise hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbundene Verweigerungshaltung nicht zu rechtfertigen.“ 74 Vgl. oben V. 2. a) aa). 75 Vgl. Ulmer in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 705 BGB Rz. 106.
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verknüpfen76. In diesen Fällen findet zwar grundsätzlich das Recht des betreffenden Austauschvertrages Anwendung. Der „gesellschaftsähnliche Einschlag“ rechtfertigt aber die entsprechende Anwendung einzelner Vorschriften der §§ 705 ff. BGB77. Basis dieser Ansicht ist die von der Begrifflichkeit des BGB gelöste Erkenntnis, dass es sich bei den im Besonderen Schuldrecht geregelten Verträgen nicht um geschlossene Typen handelt78. Allerdings müsste die Annahme eines solchen gemischt-typischen, gesellschaftsähnlichen Gelddarlehensvertrages hier dazu führen, über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht zu einer Pflicht der Bank zur Einwilligung in eine Vertragsänderung zu gelangen79. Ganz allgemein gilt aber für derartige gesellschaftsähnliche Verträge der Grundsatz, dass die §§ 705 ff. BGB nur insoweit Anwendung finden können, als sich dies mit dem besonderen Charakter des jeweiligen Rechtsverhältnisses verträgt80. Der Gelddarlehensvertrag ist aber gerade durch eine besondere „Treueprägung“ gekennzeichnet. Grundlage hierfür ist zunächst der Charakter als Dauerschuldverhältnis. Gerade der Dauerschuldcharakter ist aber unerlässliche Voraussetzung für die Bejahung gesellschaftsrechtlicher Züge des Vertragsverhältnisses81. Dieser Dauerschuldcharakter, verbunden mit der besonderen Risikoverteilung, schafft zwischen den Parteien des Gelddarlehensvertrages ein besonderes beiderseitiges Vertrauensverhältnis82. Dementsprechend hat der BGH im Kirch/Breuer-Urteil betont, dass das Verhältnis von Kreditinstituten und ihren Kreditkunden durch eine besondere Vertrauensbeziehung geprägt ist, die Interessenwahrungs-, Schutz- und Loyalitätspflichten begründet83. Ein enges, beiderseitiges Vertrauensverhältnis ist aber ein typischer Umstand, der die Annahme eines gesellschaftsähnlichen Dauerschuldverhältnisses rechtfertigen kann84. Für sich allein genügt dies jedoch nicht zur Annahme eines Anspruchs auf Kreditgewährung aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Sonst würde die im Gesetz angelegte grundsätzliche Risikoverteilung zu Lasten des Darlehensnehmers schon für den Regelfall in ihr Gegenteil verkehrt. Allerdings beeinflusst diese besondere Prägung des Gelddarlehensvertrages die rechtliche Wertung. Typischerweise wird der Umfang des anwendbaren Gesellschaftsrechts und damit auch die Legitimation für die Anwendung der
__________ 76 RG, RGZ 142, 212, 214; Ulmer (Fn. 75), Vor § 705 BGB Rz. 113; H. P. Westermann in Erman, 11. Aufl. 2004, Vor § 705 BGB Rz. 6; Hadding (Fn. 35), Vor § 705 BGB Rz. 17; Keßler in Staudinger, 12. Aufl. 1991, Vor § 705 BGB Rz. 160; vgl. auch Lettl, DB 2004, 365, 366 f. 77 BGH, BGHZ 28, 144, 153; RG, MuW 1930, 400; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1972, S. 142; vgl. allg. zur dogmatischen Einordnung und Behandlung derartiger Verträge Emmerich in MünchKomm.BGB (Fn. 59), § 311 BGB Rz. 46; aus Sicht des schweizerischen Rechts Dasser, Vertragstypenrecht im Wandel, 2000, Rz. 201 f. 78 Leenen (Fn. 77), S. 171. 79 So Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 160; vgl. auch oben V. 2. a) aa). 80 BGH, NJW 1992, 967, 971; Sprau in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 705 BGB Rz. 9. 81 Ulmer (Fn. 75), Vor § 705 BGB Rz. 115. 82 K. P. Berger (Fn. 46), Vor § 488 BGB Rz. 8. 83 BGH, NJW 2006, 830, 834. 84 RG, RGZ 81, 233, 125; RG, RGZ 142, 212, 214; Ulmer (Fn. 75), Vor § 705 BGB Rz. 115.
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Grundsätze der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht umso größer, je stärker der gesellschaftsähnliche Einschlag ist, bis schließlich der Gesellschaftscharakter ganz überwiegt85. Beim Sanierungsvertrag gelangt man angesichts seiner natürlichen Ausrichtung auf das gemeinsame Ziel der Sanierung schon früh zur Anwendbarkeit einer Kreditgewährungspflicht kraft gesellschaftsrechtlicher Treuepflicht86. Der Gelddarlehensvertrag ist zwar nicht zwangsläufig auf dieses Ziel bezogen. Auf Grund seiner durch das Vertrauensverhältnis begründeten „Vorprägung“ wird man aber dennoch früher als bei sonstigen Verträgen zur Annahme einer Treuepflichtbindung des Darlehensgebers kommen können. Neben der vorgegebenen Existenz des besonderen Vertrauensverhältnisses und der weitreichenden Übereinstimmung der jeweils verfolgten Interessen beider Vertragsparteien (an der Rettung des Unternehmens) sind also weitere Indizien erforderlich, die den Gelddarlehensvertrag als bloßen Austauschvertrag zu einem gesellschaftsähnlichen Verhältnis mit Treuepflichtbindung der Bank verdichten. In Betracht kommen etwa über die üblichen Kredit-Covenants87 hinausgehende Kontroll- und Abstimmungsklauseln88. Das gesellschaftsähnliche Kreditverhältnis trägt also durchaus Züge des partiarischen Darlehens, unterscheidet sich jedoch von diesem dadurch, dass die Vergütung (Zins) nicht erfolgsabhängig ausgestaltet ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Bank ausnahmsweise aus Treuepflichtgesichtspunkten verpflichtet, im Interesse der von beiden Seiten angestrebten Sanierung des Not leidenden Unternehmens weitere gesicherte Kredite zu gewähren. Das oben89 zur Grenze dieser Pflicht Gesagte gilt dabei auch in diesem Zusammenhang.
VI. Fazit Die Ausführungen haben gezeigt, dass es gerade die Ambivalenz in der Typologie des Gelddarlehensvertrages ist, welche die Diskussion über die Frage nach einer Kreditgewährungspflicht der Banken determiniert. Die gesetzestypische Belastung des Darlehensnehmers mit dem Verwendungs- und damit auch mit dem Insolvenzrisiko und der Stellenwert der Privatautonomie sprechen gegen die Annahme einer allgemeinen Kreditversorgungspflicht der Banken. Der besondere Charakter des Gelddarlehensvertrages als Vertrauensverhältnis zwingt aber dazu, auch dann, wenn die Bank keine entsprechende vertragliche Vereinbarung mit dem Kreditnehmer abgeschlossen hat, im jeweiligen Einzelfall nach Anhaltspunkten für eine aus der Treuebindung der Bank folgende, begrenzte Kreditgewährungspflicht zu suchen. Die gesamtwirtschaftliche Ver-
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85 Leenen (Fn. 77), S. 142. 86 Vgl. oben V. 2. a) aa). 87 Vgl. dazu Kästle, Rechtsfragen der Verwendung von Covenants in Kreditverträgen, 2003, S. 27 f., 41 ff. 88 Vgl. zur Problematik derartiger Kontroll- und Eingriffsbefugnisse im Kontext von § 32a Abs. 3 GmbHG K. P. Berger (Fn. 46), Vor § 488 BGB Rz. 102 einerseits und Fleischer, ZIP 1998, 313, 316 andererseits. 89 Vgl. oben V. 2. a) aa).
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antwortung der Banken als Kapitalintermediäre steht dabei als wirtschaftliches Faktum immer im Hintergrund. Typischerweise liegt gerade in dieser herausgehobenen wirtschaftlichen Funktion der Grund dafür, dass Banken heute ihre Rolle als bloße Kreditgeber immer öfter überschreiten90. Derartige Schritte können dann im Einzelfall die Annahme einer vom Gesetz abweichenden Risikoverteilung rechtfertigen. Die Rolle der Banken im Wirtschaftsverkehr kann aber allein niemals eine allgemeine Kreditversorgungspflicht der Banken rechtfertigen.
__________ 90 Vgl. zur praktisch immer häufiger vorkommenden Fallgruppe der „Überschreitung der Kreditgeberrolle“ im Zusammenhang mit der (nach der vertragstypischen Risikoverteilung an sich nicht gegebenen) Haftung der Kredit gebenden Bank für Aufklärungspflichtverletzungen K. P. Berger (Fn. 46), Vor § 488 BGB Rz. 74.
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Interzessionsschutz für den Alleinkreditnehmer? Eine Untersuchung zum deutschen und zum österreichischen Recht
Inhaltsübersicht I. Das Problem II. Bisheriger Meinungsstand III. Pro und kontra Gleichbehandlung IV. Vorzugswürdige Lösungsansätze
1. Auslegung der abgegebenen Erklärungen 2. Verletzung darlehens(vor)vertraglicher Nebenpflichten V. Ergebnisse
I. Das Problem Gerade in den letzten Jahren wurde der Schutz von Personen, die sich rechtsgeschäftlich für fremde Verbindlichkeiten verpflichten, in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft kontinuierlich verstärkt. Für Deutschland sei beispielhaft das Schlagwort der Sittenwidrigkeit krass überfordernder Angehörigensicherheiten genannt1; für Österreich sei bloß auf die im Jahre 1997 eingeführten Spezialregelungen der §§ 25c und 25d Konsumentenschutzgesetz (KSchG) hingewiesen: § 25c KSchG ordnet eine Haftungsbefreiung bei nicht korrekter Aufklärung des Interzedenten über die wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers (= Hauptschuldners) durch den Gläubiger an, sofern dieser wusste oder erkennen hätte müssen, dass der Schuldner „seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht oder nicht vollständig erfüllen wird“; § 25d KSchG sieht bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, insbesondere einer massiven Diskrepanz zwischen übernommener Haftung und Leistungsfähigkeit, eine Mäßigung des Haftungsumfangs (bis auf Null) vor. Dass die genannten Grundsätze und Regeln nicht bei der Bürgschaft Halt machen, sondern wegen gleicher Interessenlage auch andere Formen der Haftung für fremde Schuld erfassen, ist heute kaum bestritten2. Ganz bewusst verwendet der österreichische Gesetzgeber den weiten Begriff der „Interzession“3, den er durch Erwähnung von Bürgschaft, Mitschuld und Garantie
__________ 1 Seit BVerfG, WM 1993, 2199 = WuB I F 1a. – 4.94 P. Bydlinski; BVerfG, WM 1994, 1837 = WuB I F 1a. – 11.94 P. Bydlinski. 2 Statt aller Heinrichs in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 138 BGB Rz. 38a m. w. N. 3 Der OGH (ÖBA 2005, 51 und 52 mit krit. Anm. von P. Bydlinski; ders., ÖBA 2007, 403) verneint eine Interzession bereits dann, wenn die Kreditaufnahme auch dem Mithaftenden zugute kommt, obwohl die Mäßigungsregel des § 25d KSchG in ihrem Abs. 2 Z. 3 gerade auf diesen Umstand Bedacht nimmt; dagegen daher die ganz h. L.: neben P. Bydlinski insb. Apathy in Schwimann (Hrsg.), ABGB Praxiskomm., 3. Aufl. 2006, § 25c KSchG Rz. 1; Kathrein in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (KBB) (Hrsg.),
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konkretisiert4; noch nicht ganz geklärt ist die Behandlung dinglicher Drittsicherheiten5. Zu Recht ist darüber hinaus anerkannt, dass ein (formeller) Mitkreditnehmer in gleichem Maße zu schützen ist, wenn er materiell – und auch aus der Sicht des Kreditgebers – bloß für fremde Schuld einstehen will6. Was gilt aber dann, wenn es – mangels Kreditwürdigkeit des Kreditsuchenden – von vornherein bloß zu einer Darlehensgewährung an jenen kommt, der „eigentlich“ nur sichern will? Können und sollen auch ihm, dem einzigen Kreditnehmer, die einleitend genannten Wohltaten zugute kommen? Dieser Grenzfall, die sog surrogative Interzession7, soll Objekt der folgenden Überlegungen sein. Da sich der Jubilar selbst immer wieder mit Kreditvertrags- und Kreditsicherungsrecht beschäftigt hat8, hoffe ich auf sein Interesse an diesen Fragen.
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Kurzkomm. ABGB, 2. Aufl. 2007, § 25c KSchG Rz. 3; Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/ Vonkilch (Hrsg.), Klang-Komm. ABGB, 3. Aufl. 2006, § 25c KSchG Rz. 12. – Ausführlich zum Interzessionsbegriff aus historischer und deutscher Sicht Ernst in FS Seiler, 1999, S. 395, 402 ff. Sogar für die Möglichkeit einer Interzession durch Vertragsübernahme, wenn auch ohne Begründung, Krejci in Rummel (Hrsg.), Komm. ABGB, Bd. II/4, 3. Aufl. 2002, § 25c KSchG Rz. 2 a. E. In Deutschland wurde die zunächst zur überfordernden Bürgschaft von Angehörigen entwickelte Sittenwidrigkeitslehre sehr rasch auf den Sicherungs-Schuldbeitritt erstreckt: siehe nur Nobbe/Kirchhof, BKR 2001, 5, 6; Grigoleit/ Herresthal, Jura 2002, 825, 832; Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, 5. Aufl. 2006, Rz. 9. Geschützt wird ferner etwa auch der Unterzeichner eines Schuldanerkenntnisses (OLG Koblenz, NJW-RR 2003, 1559). Hingegen wurde über die Gleichbehandlung von Garanten in Deutschland bisher offenbar noch nicht näher nachgedacht. Grund dafür dürfte sein, dass die Übernahme einer nicht akzessorischen Garantiehaftung durch Private in der Praxis nicht oder kaum stattfindet. Der BGH wollte zunächst sogar die Bürgschaft auf erstes Anfordern Banken vorbehalten (WM 1990, 1410; ablehnend etwa P. Bydlinski, WM 1991, 257), wovon er aber Schritt für Schritt (vgl. BGH, NJW 1992, 1446 und NJW 1996, 717: „in erster Linie“ Banken und Versicherungen) abgegangen ist (BGH, NJW 1997, 1435; NJW 1998, 2280). Demgegenüber ist in Österreich sogar die „Leitentscheidung“ des OGH (vor Einführung des gesetzlichen konsumentenspezifischen Sonderschutzes) zur Garantiehaftung eines Verbrauchers ergangen (JBl 1995, 651 m. Anm. Mader). Zur Diskussion um die Miterfassung der Pfandbestellung durch Dritte siehe insb. Eigner, Interzedentenschutz, 2004, S. 351 ff.; ferner etwa die Nachw. bei Kathrein (Fn. 3), § 25c KSchG Rz. 3, bei Apathy (Fn. 3), § 25c KSchG Rz. 1 sowie bei Mayrhofer (Fn. 3), § 25c KSchG Rz. 22, 6. Gegen eine Anwendung der §§ 25c, 25d KSchG mangels Vorliegens einer Gesetzeslücke zuletzt wiederum der OGH, ÖBA 2007, 651 m. krit. Anm. von P. Bydlinski. – Der BGH (NJW 2002, 2633; dem folgend OLG Bamberg, OLG-Report 2003, 202; OLG Celle, OLG-Report 2004, 604) will Grundschuldbestellern den Sonderschutz nicht gewähren (dagegen etwa St. Wagner, AcP 205 [2005], 715). Für die Einordnung von Realsicherheiten unter den Interzessionsbegriff Ernst (Fn. 3), S. 418 ff., der allerdings nur in besonders gelagerten Fällen einen besonderen Schutzbedarf des Realinterzedenten sieht. Zum deutschen Recht siehe nur die Nachw. in Fn. 19. Für Österreich in diesem Sinn etwa P. Bydlinski, ÖBA 2005, 53 f.; Mayrhofer (Fn. 3), § 25c KSchG Rz. 7. Vgl. Ernst (Fn. 3), S. 395, 413 f. Erwähnt seien hier nur seine Kommentierungen des Darlehensrechts in der 2. und 3. Auflage des MünchKomm.BGB und sein Beitrag in der FS Th. Raiser, 2005, S. 787 sowie die Aufsätze zum Bürgschaftsrecht in Jura 1991, 449 und 567.
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Interzessionsschutz für den Alleinkreditnehmer?
II. Bisheriger Meinungsstand Das Thema ist noch wenig untersucht, nicht zuletzt wegen einer neuen Entscheidung aber sehr aktuell. So ließ das österreichische Höchstgericht, der Oberste Gerichtshof (OGH), erst im Juni 2006 ausdrücklich die Berufung auch einer solchen alleinigen Kreditnehmerin auf die Verletzung von Informationsobliegenheiten iS des § 25c KSchG zu9. In diesem Fall befand sich eine KG, deren persönlich haftender Gesellschafter der damalige Ehemann der späteren Kreditnehmerin war, in Finanznöten. Offenbar war die Hausbank der KG aufgrund der schlechten finanziellen Situation nicht zur Kreditgewährung an die KG bereit. Daher bat der Ehemann seine Frau, „für seine Firma“ einen Kredit aufzunehmen. Aus diesem Grund trat allein die Ehefrau, die von ihrem Mann bereits längere Zeit getrennt lebte (und später auch geschieden wurde), an die Bank heran; auch fungierte allein sie als Kreditnehmerin. Der Bank war allerdings voll bewusst, dass das Geld eigentlich für die KG bestimmt war; der Sachbearbeiter formulierte sogar einen Vertrag vor, der die im zweiten Schritt geplante – und wohl auch erfolgte – Darlehensgewährung der Ehefrau an die KG bzw an ihren Mann regelte. Der OGH meinte, der Schutzbedarf der Ehefrau entspreche dem eines gewöhnlichen Interzedenten. Er akzeptierte dabei auch ausdrücklich, dass der Kreditgeber wegen der bejahten Analogie zu § 25c KSchG seinen einzigen Schuldner verliert und gab daher der Klage der Kreditnehmerin statt, die auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kreditrückzahlungsverpflichtung gerichtet war. Demgegenüber wurde kurz vorher in der Literatur ohne weitere Argumentation vertreten, die Anwendung des § 25c KSchG erscheine in Fällen surrogativer Interzession „zu weit gegriffen“10. Auch für den deutschen Rechtsbereich kann – selten genug – konstatiert werden, dass das Rechtsproblem bisher nur wenig Beachtung erfahren hat11. In der von mir aufgefundenen Literatur scheint die Frage am ausführlichsten von Ernst12 erörtert worden zu sein; und dies nicht zuletzt unter rechtshistorischen Aspekten. Dieser Autor konstatiert für die „Kreditaufnahme in mittelbarer Stellvertretung“ (auch: surrogative oder stellvertretende Interzession) ein der Verbürgung vergleichbares Schutzbedürfnis und möchte bei Kenntnis des Gläubigers von der Absicht, das aufgenommene Geld zur Gänze an den Hintermann weiterzuleiten, Interzessionsschutzrecht anwenden, was in den anerkannten Grenzen Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit zur Folge hat.
__________ 9 ÖBA 2007, 157 (Nr. 1396). 10 Eigner (Fn. 5), S. 76 f. 11 Üblicherweise geht es in der Diskussion immer nur um die Frage, ob und inwieweit ein Mitkreditnehmer den Sonderschutz der für Bürgschaft und „echten“ Schuldbeitritt entwickelten Sittenwidrigkeitsrechtsprechung verdient und daher erhalten soll. Im Grundsatz pointiert dagegen etwa Madaus, WM 2003, 1705, 1707 m. w. N. der kontroversen Diskussion (der Mitdarlehensnehmer erhalte auch Gläubigerrechte und müsse nicht vor sich selbst geschützt werden). 12 In FS Seiler (Fn. 3).
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Möglicherweise in dieselbe Richtung geht Heinrichs13, wenn er meint, vom Schutz erfasst sei auch der Darlehensnehmer, der den Kredit ausschließlich im Interesse des Partners aufnimmt. Diese kurze Äußerung könnte freilich auch anders interpretiert werden, da sie sich ausdrücklich gegen eine (rechtskräftig gewordene) Entscheidung des LG Kiel14 richtet, wo allerdings auch der materielle Kreditnehmer – ein spielsüchtiger Oberstudienrat – den Kreditvertrag als „Ehegatte/Gesamtschuldner“ mitunterfertigt hatte. Es war also nicht bloß die Verpflichtungserklärung einer Person allein zu beurteilen15. Ich selbst habe anlässlich dieses Falles auf die besondere Problematik der Darlehensaufnahme allein durch die eigentlich als Sicherungsgeberin in Aussicht genommene Person hingewiesen16; jedoch ohne eine Lösung anzubieten, was hiermit nachzuholen versucht wird. Das OLG Saarbrücken17 hat bereits im Jahre 1995 vertreten, dass die Erwägungen der Rechtsprechung zu sittenwidrigen Angehörigenbürgschaften sinngemäß dann gelten, wenn geschäftsunerfahrene Kinder oder Stiefkinder von ihren Eltern als Darlehensnehmer für die Finanzierung eigener riskanter Geschäfte herangezogen werden und dies die Bank erkannt oder aus grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat. Der Darlehensvertrag wurde daher in concreto als nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig beurteilt. Ein Echo der Rechtswissenschaft auf diese Entscheidung ist mir nicht bekannt.
III. Pro und kontra Gleichbehandlung Zumindest auf den ersten Blick mutet es eigentümlich an, auf ein bloß zweipersonales Verhältnis Regeln zur Anwendung zu bringen, die eine dreipersonale Konstellation voraussetzen. Umgekehrt ist es mehr als bloß nachvollziehbar, dass dem Gläubiger die Umgehung zwingender Schutzvorschriften unmöglich gemacht werden soll18. Bisher kam Interzessionsrecht bloß in Konstellationen zur Anwendung, in denen drei Personen beteiligt waren: sei es, dass zwei Kreditnehmer auftraten, wobei die Bank erkennen konnte oder erkannt hat, dass einer von ihnen bloß
__________ 13 In Palandt (Fn. 2). 14 WM 2006, 808 (im Palandt irrtümlich mit S. 308 zitiert). 15 Für eine Behandlung des Ehemannes als (Mit-)Kreditnehmer und der Ehegattin als bloße Interzedentin daher auch P. Bydlinski in WuB I E 2. § 1 VerbrKrG 1.06, S. 548 f. 16 (Fn. 15), S 549 unter 4. a. E. 17 NJW-RR 1996, 813: Der Stiefvater verhandelte für seinen 18-jährigen Stiefsohn einen Kredit in Höhe von 660 000 DM aus, um den Ankauf eines Grundstücks des Stiefvaters durch den Stiefsohn zu finanzieren, damit er selbst eine Darlehensschuld bei einer anderen Bank abdecken konnte. An sich war ein Verkauf an Dritte beabsichtigt, der aber erst später gelang. 18 Siehe statt vieler Ernst (Fn. 3), S. 413 f.; Schürnbrand, Der Schuldbeitritt zwischen Gesamtschuld und Akzessorietät, 2003, S. 161 ff., insb. 164 (zur Abgrenzung von Mitkreditaufnahme und bloßer Mithaftung für die Rückzahlung, der allerdings wohl zu viel mit Hilfe der Vertragsauslegung „erledigen“ will); P. Bydlinski (Fn. 15), S. 549.
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für den anderen einstehen sollte19; sei es, dass der Bürge nach allen Vorgesprächen – und damit auch im Bewusstsein der Bank – eigentlich der Kreditnehmer sein sollte und umgekehrt („Rollentausch“)20. Im Unterschied dazu sind im aktuellen OGH-Fall allerdings folgende Umstände zu beachten: An die Bank trat allein die Ehefrau heran. Sie sprach niemals davon, bloß als Interzedentin fungieren zu wollen. Und die Bank machte, auch wenn sie den besonderen Zweck der Kreditaufnahme kannte, deutlich, dass es bloß um eine Darlehensgewährung an die Ehefrau ging. Da der Bank somit bloß eine Person – die Ehefrau – entgegentrat, kam in concreto auch keine „Umdeutung“ der Erklärung der Ehefrau in eine bloße Haftungsübernahme in Frage. Haftung für fremde Schuld setzt eben zwingend – nicht nur typischerweise – die Verpflichtung einer dritten Person voraus. Doch auch im Analogiewege kann Interzessionsrecht nicht zur Anwendung gelangen. Konsequenz könnte ja maximal der Wegfall einer Sicherheit sein. In einer bloß zweipersonalen Konstellation fiele hingegen – was der OGH als Ergebnis ausdrücklich akzeptiert – auch die „gesicherte Forderung“, nämlich der Kreditrückzahlungsanspruch dahin! Das hat mit den Wertungen der Interzessionsschutzregeln nun aber nicht mehr viel zu tun; schon mangels ausreichender Ähnlichkeit des geregelten mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt scheidet Analogie daher aus. Mit anderen Worten: Ein alleiniger Kreditnehmer ohne Mithaftung Dritter kann hinsichtlich seiner Rückzahlungsverpflichtung nicht zugleich Interzedent sein oder wie ein solcher behandelt werden. Die vom OGH behauptete, zur Analogie berechtigende große Ähnlichkeit mit einem Mitkreditnehmer, dessen Erklärung unter Umständen nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung als Interzession verstanden werden kann, besteht somit nicht. Auch ist es entgegen dem OGH in concreto nicht richtig, dass die Ehefrau erkennbar keine eigene Schuld gegenüber der Bank eingehen wollte. Sogar wenn die Ehefrau ursprünglich bloß eine Haftung für fremde Schuld beabsichtigt hätte – was allerdings nicht einmal vom mitgeteilten Sachverhalt gedeckt ist –, hätte sie aufgrund des (anschließend) Besprochenen und Unterschriebenen nicht im Zweifel darüber sein können, mit der Bank nunmehr in eine unmittelbare Kreditvertragsbeziehung zu treten21. Pointierter gesagt: Ein Bürge bekommt den Kredit weder auf seinem Konto gutgeschrieben noch schließt er selbst einen gesonderten Darlehensvertrag mit dem Hauptschuldner.
__________ 19 Vgl. z. B. OGH, ecolex 1997, 497; P. Bydlinski, ÖBA 2005, 54 m. w. N.; Karollus, ÖBA 2006, 297. Für Deutschland – regelmäßig unter dem Stichwort „Mitkreditnehmer oder bloßer Mitschuldner?“ – statt vieler BGH, ZIP 1991, 224 (dazu P. Bydlinski, ZBB 1991, 263, 267); BGHZ 146, 37 = NJW 2001, 815; NJW 2002, 744; NJW 2005, 973 = LMK 2005, 83 m. Anm. Bülow. Siehe dazu auch in Fn. 33. 20 OGH, ÖBA 2002, 401; P. Bydlinski/Haas, ÖBA 2003, 11, 12; Eigner (Fn. 5), S. 75 f.; P. Bydlinski, ÖBA 2005, 53 f. Für Deutschland siehe etwa Ernst (Fn. 3), S. 414. 21 In diese Richtung – allerdings bereits für jeden Mitkreditnehmer – auch LG Kiel, WM 2006, 808, 809.
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Wollte man die rechtsgeschäftlichen Erklärungen der Ehefrau demnach als bloße Mithaftungsübernahme für fremde Schuld verstehen, so fehlte es an einem wirksamen Kreditvertrag. Für ein und dieselbe Schuld kann man ja nicht in einer Person bloß mithaften und zugleich zur Rückzahlung als materiell eigene Schuld verpflichtet sein. Daraus ergäbe sich, dass die Kreditauszahlung ohne Rechtsgrund erfolgt und die Ehefrau daher einem Kondiktionsanspruch wegen irrtümlicher rechtsgrundloser Leistung ausgesetzt wäre. Damit wäre für den als schutzwürdig erkannten surrogativen Interzedenten im Ergebnis nur dann Nennenswertes gewonnen, wenn man ihm den Einwand gestattete, seine Bereicherung sei durch die Weitergabe der Kreditsumme an seinen Hintermann weggefallen (§ 818 Abs. 3 BGB). Ernst22 scheint dies zu bejahen. Er erkennt aber zugleich, dass der Interzedentenschutz nicht zu einem gänzlichen Wegfall der Gläubigeransprüche führen sollte, weshalb er für den Fall, dass der Hintermann von der Unwirksamkeit der vom surrogativen Interzedenten eingegangenen Verpflichtung wusste, einen Durchgriff auf den Hintermann zulässt23. Dieser Position stehen m. E. einige Einwände entgegen. So ist schon die Heranziehung des § 818 Abs. 3 BGB (Wegfall der Bereicherung) bei bewusster Weitergabe des Erlangten nicht unproblematisch; jedenfalls ist zu beachten, dass der surrogative Interzedent aufgrund der Weitergabe einen Anspruch gegen den Hintermann (etwa aus einem Darlehensvertrag) erwirbt und insoweit kein Wegfall gegeben ist. Die kreditgebende Bank könnte also zumindest Abtretung dieses Anspruchs gegen den Hintermann verlangen24. Ansonsten lässt sich ein Direktanspruch gegen den Hintermann im geltenden Recht aber nicht begründen, da mit diesem kein Vertrag besteht und die rechtsgrundlose Leistung nur an den surrogativen Interzedenten erfolgte, während der Hintermann ohnehin einem vertraglichen Anspruch des surrogativen Interzedenten ausgesetzt ist. Schließlich fragt sich, warum es für Direktansprüche des Kreditgebers auf die Kenntnis des Hintermanns von der Unwirksamkeit des zwischen Kreditgeber und surrogativem Interzedenten abgeschlossenen Geschäftes ankommen soll. In Österreich, dessen Rechtsordnung eine § 818 Abs. 3 BGB entsprechende Vorschrift nicht enthält, ist anerkannt, dass der nachträgliche Wegfall eines einmal eingetretenen Nutzens grundsätzlich zu keiner Befreiung des Bereicherungsschuldners führt25. Danach würde die (Weiter-)Kreditierung des – rechtsgrundlos – erhaltenen Darlehens auf eigene Gefahr des surrogativen Interzedenten erfolgen, ohne den nach § 1431 ABGB bestehenden Rückforderungsanspruch der Bank zu schmälern.
__________ 22 (Fn. 3), S. 414. 23 Ernst (Fn. 3), S. 414, 410 f. 24 Siehe nur Lieb in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2005, § 818 BGB Rz. 100 m. w. N., der sich in den Rz. 64 ff. zu Recht für eine relativ enge Anwendung des Abs. 3 ausspricht. 25 Koziol in KBB (Fn. 3), § 1437 ABGB Rz. 5 m. w. N.
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IV. Vorzugswürdige Lösungsansätze Dennoch ist in einer Situation wie im Ausgangsfall des OGH ein besonderer Schutzbedarf der Kreditnehmerin nicht von der Hand zu weisen. Daher soll nunmehr versucht werden, dogmatisch überzeugendere Lösungswege anzubieten26. 1. Auslegung der abgegebenen Erklärungen Wenn auch über die Grenzziehung und die Anwendung auf konkrete Sachverhalte nicht immer Einigkeit zu erzielen ist, besteht doch im Grundsatz kein Zweifel daran, dass in einem ersten Schritt zu fragen ist, welche Verpflichtungen die Beteiligten nicht nur auf dem Papier, sondern unter genauer Beachtung der Auslegungsregeln tatsächlich übernommen haben. In diesem Sinn kann etwa jemand, der den Vertrag als Mitkreditnehmer unterfertigt hat, aufgrund der dieser Erklärung vorgelagerten Umstände als bloß Mithaftender anzusehen sein27; etwa, weil in den Gesprächen immer nur von Sicherung bzw Gutstehung die Rede war, die Kreditverhandlungen bloß vom „anderen“ Kreditnehmer geführt wurden, der Zweck des Kredites (z. B. Finanzspritze für diesen anderen) unbestritten und/oder von vornherein Auszahlung auf dessen Konto vorgesehen war. Zu den gleichen Ergebnissen kann man sogar in den Rollentauschfällen gelangen28: Waren sich alle Beteiligten bewusst, dass die im Vertrag benutzten Ausdrücke nicht den tatsächlich gewollten Rechtspositionen entsprachen, sind die abgegebenen Erklärungen als Scheingeschäfte unwirksam und unbeachtlich29; so etwa dann, wenn wegen bankinterner Hindernisse absprachegemäß der Interzedent im Kreditvertragsformular als Kreditnehmer fungierte und umgekehrt; z. B. zwecks Verhinderung einer Meldepflicht oder weil der intern festgelegte Gesamtrahmen des Kreditsuchenden bereits ausgeschöpft war30. Auch in Fällen, in denen auf den ersten Blick eine Kreditaufnahme bloß durch eine Person ohne Sicherung durch eine andere erfolgt, sind Konstellationen denkbar, in denen der Weg über Auslegung (und Scheingeschäft) in Frage kommt. So könnte sich ja aus den Umständen ein mündlicher Kreditvertrag mit dem eigentlich Kreditsuchenden ergeben und der schriftliche Kreditvertrag
__________ 26 Zu bisherigen Ansätzen über Auslegung, „Typenlehre“ und Umgehungsverbot etwa Bartels, WM 2002, 1905; zum Sittenwidrigkeitsansatz beim Schuldbeitritt Kulke, ZIP 2001, 985. 27 Vgl. OGH, ecolex 1997, 497: Als Bürge in Aussicht Genommener wurde zur Unterfertigung als „Kreditnehmer“ und „Mitschuldner“ angehalten. 28 Beispiel: OGH, ÖBA 2002, 401, wo klar war, dass der „Bürge“ den Kredit erhalten und zurückzahlen sollte, wobei ihm die Kreditsumme von der Bank überdies direkt zugezählt wurde. 29 Vgl. Ernst (Fn. 3), S. 414; ferner BGH, EWiR § 117 BGB 1/97, 103 (H. P. Westermann). 30 Siehe nur Eigner (Fn. 5), S. 75.
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bloß als Scheinerklärung zu verstehen sein, hinter der sich eine Interzession verbirgt31. An seine Grenzen stößt dieser Ansatz jedoch dann, wenn – wie offenbar im Ausgangsfall des OGH – zwischen Bank und Kreditbedürftigem keinerlei Kontakt erfolgte, der als vertragliche Einigung verstanden werden kann32. Gleiches gilt dann, wenn zwar zunächst bloß die Bereitschaft zur Interzession bekundet wurde, die Bank aber deutlich machte, dass für sie nur ein anderer rechtlicher Weg in Frage kommt und dies akzeptiert wurde: Hat die Bank dem zunächst bloß Interzessionswilligen nämlich hinreichend klar gemacht, dass sie ausschließlich zu einer „echten“ Kreditgewährung an ihn bereit ist, und unterfertigt dieser in diesem Wissen die Kreditvertragsurkunde, kann auf der Auslegungsebene kein gegenteiliges Ergebnis erzielt werden33. 2. Verletzung darlehens(vor)vertraglicher Nebenpflichten Allerdings kann auch ein solcher „unfreiwillig-freiwilliger“ (Allein-)Kreditnehmer besonderen Schutz benötigen. Auf der Wertungsebene macht es nämlich sehr wohl einen Unterschied, ob jemand von vornherein aus Eigeninteresse einen Kredit anstrebt und erhält, oder ob die Bank weiß, dass das Geld für jemand anderen gedacht ist. Das ändert zwar nichts daran, dass sich der Interzessionswillige rechtswirksam zur Aufnahme eines Kredits in eigener Person überreden ließ und daher als Kreditnehmer zu behandeln ist. Auch kann und muss dem Umstand klar erkennbarer Alleinverpflichtung bei der Reichweite des Schutzes Rechnung getragen werden. Ein Freibrief für Kreditgeber liegt in der Klarstellung, nur zu einer Kreditgewährung an den zunächst bloß Interzessionswilligen bereit zu sein, aber selbstverständlich nicht.
__________ 31 Die Frage, ob diese als wirksame schriftliche Haftungserklärung für fremde Schuld zu behandeln ist oder aus Form(zweck)gründen als nichtig angesehen werden muss, kann hier nicht beantwortet werden. 32 Das scheint der OGH zu übersehen, der offenbar nur den Weg über die Vertragsauslegung sieht und die Erklärungen der Ehefrau trotz Fehlens eines Hauptschuldners und trotz Auszahlung an sie als bloße Haftungsübernahme für fremde Schuld interpretiert. Doch sogar eine analoge Anwendung von Interzessionsrecht setzt einen Hauptschuldner voraus (siehe P. Bydlinski, ÖBA 2005, 52, 54 unter 6. a. E. zur Unterfertigung als Mitkreditnehmer). 33 Während der BGH früher (siehe z. B. NJW 2002, 744) bei erkennbar fehlendem Eigeninteresse am Kredit offenbar immer zu bloßer Mithaftung zu gelangen schien, fragt er nunmehr (NJW 2005, 973) zu Recht nach der von den Vertragsparteien tatsächlich gewollten Rechtsfolge (schon vorher sehr deutlich in diesem Sinn etwa Madaus, WM 2003, 1705, 1707). Er hält allerdings an früheren Begründungssätzen – insb. zu den Grenzen der Wahl- und Qualifikationsfreiheit (dazu etwa BGH, WM 2004, 1083) – ausdrücklich fest. So betont er neuerlich, dass der vereinbarte Vertragstyp tatsächlich erfüllt sein müsse, was für das Darlehen wohl etwa bedeutet, dass eine (Mit-)Entscheidung über Auszahlung und Verwendung des Kredits in Frage kommt. Beim Alleinkreditnehmer stellen sich derartige Abgrenzungsfragen naturgemäß nicht.
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Damit kommt ein Ansatz in den Blick, der jene nicht überraschen dürfte, die sich etwas intensiver mit dem Darlehensrecht und der (vor allem deutschen) Judikatur dazu beschäftigen. Zwar ist im Grundsatz anerkannt, dass den Kreditgeber die beabsichtigte Verwendung der Kreditsumme nichts angeht34. Dieses Prinzip wird jedoch – meist zu Recht – von vielen Ausnahmen durchlöchert; nicht zuletzt bei Verbraucherkrediten35. Aufklärungspflichten sind etwa dann anerkannt, wenn es um die Finanzierung eines Erwerbsgeschäfts geht und die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung durch den Verkäufer ausgehen muss36. Die Verletzung der gebotenen Aufklärung macht den Kreditgeber wegen culpa in contrahendo37 ersatzpflichtig. In Fällen, in denen die Bank sogar positiv weiß, dass der Kreditnehmer zunächst eigentlich nur Interzessionsabsichten hatte und das Geld für jemand anderen bestimmt war, hat der Kreditgeber m. E. umso mehr besondere Vorsicht walten zu lassen. Zwar darf er den Interzessionswilligen grundsätzlich durchaus zur alleinigen, unbesicherten Kreditaufnahme im eigenen Namen überreden; und zwar mit der Folge, dass zwischen diesen Personen „nur“ ein gewöhnlicher Kreditvertrag zustande kommt. Die Pflicht der Bank zur vorvertraglichen Interessenwahrung gegenüber dem surrogativen Interzedenten wird sich im Vergleich zur regulären Kreditgewährung (an einen für sich selbst Kredit Suchenden) tendenziell aber verstärken. Hat die Bank – wie häufig – gute Gründe, mit dem eigentlich Kreditbedürftigen nicht zu kontrahieren, da sie dessen Vermögenssituation für schwach und daher die Einbringlichkeit des Kredits für unsicher hält, muss sie dies dem surrogativen Interessenten offenbaren. Tut sie es nicht, hat sie ihren Vertragspartner so zu stellen, wie dieser bei korrekter Aufklärung gestanden wäre. Regelmäßig hätte er dann von einer Kreditaufnahme in fremdem Interesse (und der Weitergabe an den Hintermann) Abstand genommen. Damit kann der Kreditnehmer dem Rückzahlungsbegehren seinen Schadenersatzanspruch entgegenhalten. Das entspricht im Ergebnis § 25c KSchG. Da der surrogative Interzedent aber mehr als Interzedent, nämlich (alleiniger) Kreditnehmer, war, muss noch seine Bereicherung vermieden werden, die bei korrekter Aufklärung ja ebenfalls ausgeblieben wäre. Diese
__________ 34 K. P. Berger in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2005, Vor § 488 BGB Rz. 79 m. w. N. u. v. a. 35 Grundlegend dazu bereits Brandner, ZHR 153 (1989), 147 ff. Pointiert formuliert H. P. Westermann, FS Th. Raiser, 2005, S. 787, 790, zumindest bei „Kreditverbrauchern“ sei die Aufrechnung mit Schadenersatzforderungen als gleichberechtigtes Tilgungsmittel neben die Rückzahlung getreten. 36 BGH, NJW 2000, 2352; ZIP 2003, 1240; ZIP 2004, 209. Einen Vormarsch vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Kreditgeschäft konstatiert etwa K. P. Berger in MünchKomm.BGB (Fn. 34), Vor § 488 BGB Rz. 80. 37 Zu diesem Ansatz auch bei Angehörigenbürgschaften seit der Schuldrechtsmodernisierung etwa St. Wagner, NJW 2005, 2956, 2958 f. Grundlegend – bereits zur Rechtslage vor der Reform – St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997; speziell zur Übernahme überfordernder Haftungen für fremde Schuld ders., NJW 1997, 2578 (zu BGH, NJW 1997, 1980).
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liegt im – in den heiklen Fällen bestenfalls quotenmäßig einbringlichen – Kreditrückzahlungsanspruch gegen den Hintermann38. Wie man sieht, können auf dem Weg über das Darlehensrecht ganz ähnliche Ergebnisse wie bei „unmittelbarer Anwendung“ der für Interzedenten bestehenden Sonderschutzregeln erreicht werden; allerdings auf methodisch stimmige Weise. Voraussetzung einer Aufklärungspflicht ist zum einen, dass die Fremdnützigkeit der Kreditaufnahme der Bank klar erkennbar war; nicht also dann, wenn der Kreditnehmer den tatsächlichen Zweck der Aufnahme verschleiert39. Zum anderen muss die Bank bei Abschluss des Kreditvertrags aber wohl auch konkrete Hinweise auf die fehlende Bonität des Hintermanns haben. Das wird nahezu immer dann der Fall sein, wenn die Initiative zum Abschluss des konkreten Vertrages mit dem surrogativen Interzedenten von ihr ausgeht. Besondere Nachforschungspflichten bzw. -obliegenheiten wird man der Bank jedoch nicht auferlegen dürfen, da die Finanzkraft des Hintermanns – anders als die eines Vertragspartners40 – für sie selbst ohne wesentliche Bedeutung ist41. Dass der Schutz des surrogativen Interzedenten damit nicht im jedem Fall gleich weit reicht wie der eines gewöhnlichen Drittsicherers, ist durchaus sachgerecht: Prämisse aller angestellten Überlegungen ist ja, dass der schließlich erfolgte Abschluss des Kreditvertrages rechtlich freiwillig und daher insoweit unbedenklich war. Mit dem hier favorisierten Ansatz wäre der Feststellungsklage (auf Unwirksamkeit der vertraglichen Kreditrückzahlungsverpflichtung) im Ausgangsfall des OGH nicht stattzugeben gewesen. Allerdings wurde die kreditgewährende Bank wegen Nichtaufklärung der Ehefrau über die aus ihrer Sicht konkret drohende Konkursgefahr bzw die bestehende Kreditunwürdigkeit der KG aus c.i.c. ersatzpflichtig. Dieser Ersatzanspruch kann dem an sich weiterhin bestehenden Kreditrückzahlungsanspruch der Bank entgegengehalten werden. Schaden mindernd42 wäre allerdings ein (teilweise) durchsetzbarer Anspruch der Ehefrau aus der Weiterkreditierung in Anschlag zu bringen. Insofern dürfte auch
__________ 38 Ob dieser Anspruch, soweit einbringlich, schadensmindernd wirkt, oder der Kreditgeber im Ergebnis nur Abtretung dieses Anspruchs verlangen kann, womit er die Mühen der Eintreibung trüge, soll hier nicht näher untersucht werden. Für die zweite, kreditnehmerfreundlichere Variante spricht, dass sie naturalrestitutionsnäher erscheint und der Position des Geschädigten bei korrekter Aufklärung (kein Kredit und damit von vornherein auch keine Eintreibungsmühen) besser entspricht. 39 Eigner (Fn. 5), S. 75. 40 Zu § 25c KSchG wird zu Recht vertreten, dass Nachforschungen über die Vermögenslage des Kreditnehmers nur – aber immerhin – so weit verlangt werden können, wie sie bei üblicher Bonitätsprüfung ohnehin erfolgen: Details insb. bei Haas, JBl 2002, 538. 41 Eine „Verschärfung“ könnte man allenfalls dann erwägen, wenn die Bank weiß, dass der Hintermann ein naher Angehöriger des offiziellen (präsumtiven) Kreditnehmers ist und sie daher mit einer familiären Drucksituation rechnen muss: Dann könnte man eine Pflicht annehmen, die finanzielle Situation des Hintermanns zu klären und das Ergebnis dem Kreditnehmer vor Vertragsschluss mitzuteilen, sofern sich die Bank in concreto nicht vom Fehlen einer Drucksituation überzeugen konnte. 42 Zu den möglichen Wegen siehe Fn. 38.
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das Ergebnis ein anderes als das vom OGH erzielte sein, der den gesamten (vertraglichen) Rückzahlungsanspruch der Bank schlicht dahinfallen ließ.
V. Ergebnisse 1. Sogar derjenige, der einen Vertrag als Alleinkreditnehmer unterfertigt, aber aus der Sicht aller Beteiligten bloß als Interzedent fungieren soll, ist bereits im Auslegungsweg als Interzedent zu behandeln, wenn es nach dem Willen der Parteien einen Dritten als Kreditnehmer gibt. 2. Wollten die Parteien hingegen – u. U. als „Ausweichlösung“ – tatsächlich einen Kreditvertrag abschließen, kann Interzessionsrecht schon mangels Dreipersonalität auch dann nicht zur Anwendung kommen, wenn dem Kreditgeber bewusst war, dass die Aufnahme des Kredits im fremden Interesse erfolgte und das Geld sofort an einen kreditbedürftigen Hintermann weitergegeben werden wird (surrogative Interzession). 3. Eine Bank, die im Bewusstsein Kredit gewährt, dass das Geld ausschließlich für einen kreditbedürftigen Hintermann aufgenommen wird, treffen gegenüber dem Kreditnehmer besondere vorvertragliche Aufklärungspflichten jedenfalls dann, wenn sie über Hinweise auf mangelnde Bonität dieses Hintermanns verfügt.
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Der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung als eigenständige Rechtsfigur und die Zentralprobleme seiner Ausgestaltung Inhaltsübersicht I. Problemstellung 1. Skizzierung der Entwicklung von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung 2. Die Notwendigkeit einer Konsolidierung der von der h. L. und vom BGH vertretenen Lösung II. Die Ersetzbarkeit der Primärleistung als Kategorie jenseits der Unterscheidung von Gattungs- und Stückschuld 1. Die Unangemessenheit einer Problemlösung mit Hilfe der Annahme einer Gattungsschuld a) Die begriffliche Verschiedenheit der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung gegenüber der Gattungsschuld und die Grenzen der Annahme einer Gattungsschuld im Wege der Vertragsinterpretation b) Die dogmatische Verschiedenheit der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung gegenüber der Gattungsschuld 2. Die Möglichkeit der Ersetzbarkeit einer Gattung und ihre dogmatischen Konsequenzen 3. Die begriffliche Vierteilung 4. Die Erstreckung der Kategorie des Vertrags mit ersetzbarer Primärleistung über das Kaufrecht hinaus III. Die Bedeutung des Parteiwillens 1. Der Bezugspunkt des Parteiwillens und die Funktion des objektiven Rechts
2. Parteiwille und Beschaffung einer Ersatzsache a) Die Freiheit der Parteien zur Vereinbarung der Unersetzbarkeit der Primärleistung und ihre Grenzen b) Das Beschaffungserfordernis bei Ersetzbarkeit der Primärleistung und seine Grenzen c) Die Problematik der Übernahme eines Beschaffungsrisikos im Sinne von § 276 Abs. 1 BGB IV. Die Gleichstellung der Unmöglichkeit mit der Mangelhaftigkeit bei Ersetzbarkeit der Primärleistung 1. Der drohende Wertungswiderspruch und die Möglichkeiten des Umgangs mit ihm 2. Die Vorzugswürdigkeit der Erstreckung des Nachlieferungsanspruchs und des Rechts zur zweiten Andienung auf die Fälle der Unmöglichkeit V. Die Konsequenzen der Möglichkeit eines Nachlieferungsanspruchs bei der Stückschuld für die Regelung von § 243 Abs. 2 BGB 1. Die Verwandlung der Gattungsschuld in eine Stückschuld mit unersetzbarer Primärleistung nach § 243 Abs. 2 BGB a) Der Untergang der Sache b) Die Verschlechterung der Sache 2. Die analoge Anwendung von § 243 Abs. 2 BGB auf den Stückkauf mit ersetzbarer Primärleistung VI. Fazit
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I. Problemstellung 1. Skizzierung der Entwicklung von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung Kaum eines der Probleme, die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz entstanden sind, ist von Anfang an so häufig und so kontrovers diskutiert worden wie die Frage, ob es einen Anspruch auf Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB auch beim Stückkauf gibt. Vom Boden der herkömmlichen Dogmatik aus scheint es sich aufzudrängen, dies zu verneinen, weil beim Stückkauf nur eine einzige Sache – eben die mangelhafte – Gegenstand der primären Leistungspflicht ist und diese also durch die Leistung einer anderen – mangelfreien – Sache nicht erfüllt werden kann1. Andererseits fällt sofort auf, dass § 439 Abs. 1 BGB keinen Ansatz für eine Unterscheidung zwischen Stück- und Gattungskauf bietet und dass das neue Kaufrecht auch sonst – in scharfem Gegensatz zur Regelung der §§ 459 a. F. und 480 a. F. BGB – nirgendwo an diese anknüpft. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien sowie in die dem neuen Kaufrecht zugrunde liegende EG-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf zeigen denn auch, dass das kein Zufall ist2. Vor diesem Hintergrund hat rasch die Ansicht die Oberhand gewonnen, dass trotz der damit verbundenen dogmatischen Schwierigkeiten grundsätzlich auch beim Stückkauf ein Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache in Betracht kommt. Erstaunlich bald ergingen auch die ersten Urteile zu dieser Problematik – der Autokauf machte es möglich. Den Anfang bildete eine Entscheidung des LG Ellwangen. Hier verlangte der Käufer die Lieferung eines neuen Wagens, weil der gelieferte Wagen Mängel aufwies. Der Verkäufer wandte ein, es habe sich um einen Stückkauf gehandelt, weil Vertragsgegenstand zwar ein Neuwagen sei, der Käufer jedoch ein konkretes, bereits auf dem Hof des Verkäufers stehendes Fahrzeug ausgewählt habe. Das LG wies diesen Einwand als unschlüssig zurück, indem es sich der Ansicht anschloss, dass „auch im Falle des Stückkaufs die Nacherfüllung durch Ersatzlieferung grundsätzlich möglich ist“ (und wies die Klage lediglich deshalb ab, weil die Ersatzlieferung im Vergleich zur Mängelbeseitigung mit unverhältnismäßigen Kosten im Sinne von § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB verbunden gewesen wäre)3. Ganz auf derselben Linie liegt ein Beschluss des OLG Braunschweig, in dem es ebenfalls um den Kauf eines Neuwagens ging. Wieder handelte es sich um einen Stückkauf, weil Vertragsgegenstand von vornherein ein ganz bestimmtes Fahrzeug aus dem Bestand des Verkäufers war, das abschließend individualisiert war (u. a. durch das Datum seiner kurz zuvor erfolgten Erstzulassung und die Laufleistung von 10 km). Das OLG hielt den Anspruch auf Lieferung eines neuen Fahrzeugs für
__________ 1 Repräsentativ für diese Sichtweise sind vor allem Ackermann, JZ 2002, 379; U. Huber in FS Schlechtriem, 2003, S. 523 Fn. 9 m. w. N.; Faust, ZGS 2004, 253 ff. 2 Vgl. eingehend Canaris, JZ 2003, 833 ff. m. N. 3 LG Ellwangen, NJW 2003, 517.
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begründet und folgte dabei ebenfalls der Ansicht, dass ein solcher nicht nur beim Gattungs-, sondern auch beim Stückkauf gegeben sein könne4. Seit kurzem liegt nun sogar eine Entscheidung des BGH vor. Wieder ging es um den Kauf eines Autos, hier allerdings eines Gebrauchtwagens. Der BGH entschied, dass „die Nacherfüllung durch Lieferung einer anderen, mangelfreien Sache auch beim Stückkauf nicht von vornherein wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen ist“, und konkretisierte dies dahingehend, dass „die Ersatzlieferung nach der Vorstellung der Parteien dann möglich ist, wenn die Kaufsache im Falle ihrer Mangelhaftigkeit durch eine gleichartige und gleichwertige ersetzt werden kann“5. Er fügte hinzu, dass „es beim Kauf eines Gebrauchtwagens in der Regel nahe liegt, dies zu verneinen, wenn dem Kaufentschluss eine persönliche Besichtigung des Fahrzeugs vorangegangen ist“6, und lehnte aus diesem Grund im zu entscheidenden Fall das Bestehen eines Anspruchs auf Ersatzlieferung und eines korrespondierenden Rechts des Verkäufers zur zweiten Andienung ab. 2. Die Notwendigkeit einer Konsolidierung der von der h. L. und vom BGH vertretenen Lösung Mit der Entscheidung des BGH hat die Diskussion den Abschluss der ersten und wichtigsten Phase erreicht: Es ist jetzt im Grundsatz ganz überwiegend anerkannt, dass es einen Anspruch auf Nacherfüllung durch Ersatzlieferung grundsätzlich auch beim Stückkauf gibt. Aller Voraussicht nach wird sich diese Ansicht auf Dauer etablieren, zumal sie schon zuvor der h. L. entsprach. Gegenstand dieses Beitrags ist demgemäß nicht eine genauere Analyse der Entscheidung des BGH oder der für und gegen dessen Ansicht sprechenden Argumente, die ohnehin im Wesentlichen ausgetauscht sein dürften. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die von der h. L. und vom BGH vertretene Lösung im Kern zutreffend ist, was im vorliegenden Rahmen umso leichter fällt, als ihr auch der Jubilar und sein Gratulant anhängen7. Damit ist die Diskussion indessen keineswegs in jeder Hinsicht abgeschlossen. Vielmehr bedarf es in einer zweiten Phase einer Konsolidierung der neuen Lösung. Dazu gehört zunächst deren dogmatische Einordnung in das System des geltenden Rechts und insbesondere die Klärung der Frage, wie sich der Anspruch auf Nachlieferung bei einem Stückkauf zu den Regeln über die Gattungsschuld verhält. Genügt vielleicht schon deren geringfügige Modifizierung, um die einschlägigen Fälle zutreffend zu entscheiden, ja geht es bei den-
__________ 4 OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053, 1054. 5 BGH, BGHZ 168, 64, 2. Leitsatz (in Übernahme der Kriterien von Canaris, JZ 2003, 835). 6 BGH, BGHZ 168, 64. 7 Westermann in MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 439 BGB Rz. 11 f.; Canaris in Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXIV; ders. in E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2002: Schuldrechtsmodernisierung, 2003, S. 79 ff.; ders., JZ 2003, 831 ff.
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jenigen Stückkäufen, bei denen ein Nachlieferungsanspruch zu bejahen ist, nicht sogar lediglich um „verkappte“ Gattungskäufe? Zwar wird sich bestätigen, dass das zu verneinen ist, und stattdessen herausstellen, dass es sich, wie schon der Titel dieses Beitrags erkennen lässt, um eine eigenständige neuartige Rechtsfigur handelt, doch werden dadurch die Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber der Gattungsschuld keineswegs gegenstandslos. Vielmehr treten insoweit im Gegenteil weitere, teilweise sehr schwierige Probleme ins Licht. Trägt z. B. der Verkäufer beim Stückkauf über eine ersetzbare Sache generell die Last der Beschaffung bzw. Wiederbeschaffung der Ersatzsache, wie das beim Gattungskauf grundsätzlich mit Selbstverständlichkeit der Fall ist? Und liegt beim Stückkauf über eine ersetzbare Sache grundsätzlich die Übernahme eines Beschaffungsrisikos im Sinne von § 276 Abs. 1 BGB vor, wie das bei einer Gattungsschuld in der Regel anzunehmen ist? Darüber hinaus stellt sich die durchaus beunruhigende Frage nach den Auswirkungen der neuen Rechtsfigur auf die Vorschrift des § 243 Abs. 2 BGB. Hat diese nicht einen wesentlichen Teil ihres Anwendungsbereichs verloren, weil der Leistungsgegenstand bei einer Gattungsschuld auch nach deren Konkretisierung „ersetzbar“ bleibt und also als Nacherfüllungsanspruch grundsätzlich (auch) ein Anspruch auf Ersatzlieferung gegeben ist? Antwortet man darauf, dies treffe zwar in den Fällen der Mangelhaftigkeit einer Sache in der Tat zu, doch bleibe die Bedeutung von § 243 Abs. 2 BGB in den Fällen der Unmöglichkeit unberührt, so hat man sich zwar hier halbwegs aus der Schlinge gezogen, sieht sich jedoch sofort mit dem Einwand konfrontiert, eine solche Differenzierung zwischen Mangelhaftigkeit und Unmöglichkeit stelle einen nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch dar – ein Argument, das bekanntlich mit Vehemenz schon gegen die Zulassung eines Nachlieferungsanspruchs bei der Stückschuld als solche vorgebracht worden und bisher, wie sich bei erneuter Analyse zeigen wird, noch nicht mit hinreichender Überzeugungskraft ausgeräumt worden ist. Man sieht also: Das Problemfeld ist keineswegs umfassend geklärt und eine zweite Phase der Diskussion daher vonnöten.
II. Die Ersetzbarkeit der Primärleistung als Kategorie jenseits der Unterscheidung von Gattungs- und Stückschuld 1. Die Unangemessenheit einer Problemlösung mit Hilfe der Annahme einer Gattungsschuld Im Schrifttum hat es Versuche gegeben, die Problematik des Nachlieferungsanspruchs bei der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung durch den Nachweis zu lösen, dass man in Wahrheit mit der Kategorie der Gattungsschuld auskomme – sei es, indem man deren Anwendungsbereich anders bestimmt als bisher, oder sei es, indem man in den einschlägigen Fällen das Vor-
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liegen einer Stückschuld sogar leugnet8. Dieser Ansatz hat seine Relevanz durch die Entscheidung des BGH nicht verloren; denn diese entfaltet ihre Wirkungsmächtigkeit in erster Linie hinsichtlich des Ergebnisses und der für dessen Gewinnung wesentlichen Wertungsgesichtspunkte, nicht aber in gleicher Weise auch hinsichtlich der dogmatischen Einordnung, zumal die Ausführungen des BGH zum Nachlieferungsanspruch bei der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung letztlich kaum mehr als ein – freilich äußerst gewichtiges – obiter dictum darstellen, weil der BGH ja im konkreten Fall die Ersetzbarkeit der Kaufsache verneint hat. Der Rückgriff auf die Kategorie der Gattungsschuld erweist sich jedoch bei näherer Analyse nach wie vor als inadäquat – und zwar sowohl aus begrifflichen wie aus dogmatischen Gründen. a) Die begriffliche Verschiedenheit der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung gegenüber der Gattungsschuld und die Grenzen der Annahme einer Gattungsschuld im Wege der Vertragsinterpretation Die Stückschuld ist dadurch definiert, dass ihr Gegenstand vollständig individualisiert und also abschließend bestimmt ist. Daran fehlt es bei der Gattungsschuld, da diese als kontradiktorischer Gegensatz zur Stückschuld konzipiert ist. An dieser begrifflichen Abgrenzung lässt sich nichts ändern, weil die Unterscheidung sonst ihren Wert verlöre. Möglich bleibt daher allenfalls, im Wege der Vertragsinterpretation zu hinterfragen, ob in den einschlägigen Fällen wirklich eine vollständige Individualisierung vorliegt. Das bestimmt sich nicht in erster Linie nach der Interessenlage9, sondern nach den Äußerungen der Parteien und den diese prägenden Umständen des Falles, da die Interessen häufig gegenläufig sind und die Parteien überdies nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit auch eine Regelung treffen können, die ihrer – gemeinsamen – Interessenlage nicht optimal entspricht. Nimmt man vor diesem Hintergrund praktische Beispiele in den Blick, stellt man rasch fest, dass es in der Tat Fallkonstellationen gibt, in denen der Leistungsgegenstand zwar ersetzbar, zugleich aber vollständig individualisiert ist, so dass die Annahme einer Gattungsschuld dem Parteiwillen Gewalt antäte. Illustrativ sind insoweit die Fälle des Kaufs eines Neuwagens, die den oben I 1 referierten Entscheidungen des LG Ellwangen und des OLG Braunschweig zugrunde lagen. Gewiss ist es vorstellbar, dass der Kunde gegenüber dem Autohändler lediglich äußert, er suche einen Neuwagen einer bestimmten Marke in dieser oder jener Farbe und mit diesen oder jenen Extras und der Händler antwortet, er habe ein entsprechendes Exemplar vorrätig und sei zu dessen Verkauf bereit. Dann kann man trotz des Bezuges auf ein ganz bestimmtes Auto in der Regel getrost einen Gattungskauf annehmen, weil das Fahrzeug hier nur
__________ 8 Vgl. z. B. – bei mancherlei Unterschieden im Einzelnen – Ackermann, JZ 2002, 381 f.; Tiedtke/Schmitt, JuS 2005, 584 ff.; St. Lorenz in E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2005: Schuldrechtsmodernisierung – Erfahrungen seit dem 1. Januar 2002, 2006, S. 118; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 253. 9 So aber Faust, ZGS 2004, 252.
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als „Repräsentant“ seiner Gattung fungiert und dessen Wahl als einvernehmliche Festlegung der Parteien auf dieses Exemplar aus der Gattung zu verstehen ist. Wenn sich der Kunde dagegen z. B. zunächst in den Räumen des Autohändlers umsieht, dabei Gefallen an einem bestimmten Neuwagen findet und diesen nach einer längeren Probefahrt kauft, wäre es mehr als gekünstelt zu leugnen, dass gerade dieses und nur dieses Fahrzeug von vornherein die Kaufsache darstellt – und zwar als Spezies und nicht lediglich als „Repräsentant“ seiner Gattung; dass es aufgrund seines Charakters als Neuwagen gleichwohl ersetzbar ist (was sich, wie noch näher zu erörtern sein wird, ebenfalls nach dem Willen der Parteien bestimmt), steht offenkundig auf einem anderen Blatt. Auch in dem vom OLG Braunschweig entschiedenen Fall kann man das Vorliegen eines Stückkaufs nicht ohne Gewaltsamkeit und ohne Verletzung des Gebots der Methodenehrlichkeit leugnen. Denn hier hatte der Verkäufer genau diesen Wagen, der überdies durch den (nur kurz zurückliegenden) Tag der Erstzulassung und eine Laufleistung von 10 km individualisiert war, im Internet angeboten, so dass er erkennbar eine Spezies verkaufen und nicht lediglich den „Repräsentanten“ einer Gattung anpreisen wollte. Beim Selbstbedienungskauf, der im vorliegenden Zusammenhang häufig diskutiert worden ist10, gelangt man zu ähnlichen Differenzierungen. Legt der Kunde im Supermarkt an der Kasse etwa eine Packung mit Keksen, ein Kaffeepaket, eine Illustrierte oder ein ähnliches Standardprodukt vor, so erscheint es als durchaus sinnvoll, einen Gattungskauf anzunehmen11: Mit der Vorlage des Produkts gibt der Kunde zu erkennen, dass er eine Sache aus dieser Gattung kaufen möchte, wobei beide Parteien gleichzeitig das vorgelegte Stück als Vertragsgegenstand aus der Gattung auswählen. Hat sich der Kunde dagegen z. B. Obst ausgesucht – grüne oder reife Bananen, harte oder weiche Pfirsiche –, so kann am Vorliegen eines Stückkaufs kein vernünftiger Zweifel bestehen. Ebenso wenig aber lässt sich ernsthaft bezweifeln, dass das Obst ersetzbar ist – wie immer man dieses Kriterium genauer bestimmen mag. Daher kann der Kunde einen anderen Pfirsich verlangen, wenn er nach dem Passieren der Kasse und damit nach Abschluss des Kaufvertrags beim Einpacken feststellt, dass er versehentlich eine Frucht mit einer faulen Stelle erwischt hat. Besonders fern liegt die Annahme eines Gattungskaufs beim Erwerb von Kunstwerken, und doch können auch diese ersetzbar sein. Wenn jemand etwa bei einem Händler einen Stich von Piranesi kauft – wobei es den Jubilar und seinen Gratulanten verbindet, dass man sich beide gleichermaßen in der Rolle des Käufers vorstellen kann –, wäre die Annahme eines Gattungskaufs geradezu abwegig. Stellt sich nun heraus, dass das gekaufte Blatt entgegen der Angabe des Verkäufers kein „Erster Zustand nach Hind“, sondern ein späterer
__________ 10 Vgl. z. B. Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2119; Ackermann, JZ 2002, 381; Faust, ZGS 2004, 255; Tiedtke/Schmitt, JuS 2005, 585; Xander, Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf die Gattungsschuld, 2006, S. 267 f. 11 Ebenso z. B. Tiedtke/Schmitt, JuS 2005, 585; a. A. Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2119, die in derartigen Fällen stets einen Stückkauf annehmen.
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Der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung
Abzug ist, und hatte der Verkäufer dem Käufer noch ein weiteres Blatt mit demselben Motiv, von derselben Qualität und zu demselben Preis gezeigt, das die Voraussetzung „Erster Zustand nach Hind“ erfüllt, so wird man die Ersetzbarkeit jedenfalls dann zu bejahen haben, wenn der Käufer sich ohne erkennbaren Grund, ja vielleicht sogar nur zufällig für das andere Blatt entschieden hatte. Insgesamt zeigt sich somit, dass die Problematik der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung durch die Annahme einer Gattungsschuld selbst bei äußerst großzügigem Umgang mit dieser Kategorie nicht in den Griff zu bekommen ist. b) Die dogmatische Verschiedenheit der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung gegenüber der Gattungsschuld Darüber hinaus verfehlt dieser Lösungsansatz auch die Unterschiedlichkeit der dogmatischen Strukturen. Diese ergibt sich daraus, dass sich die Leistungspflicht bei der Gattungsschuld als solcher – d. h. vor ihrem Übergang in eine Stückschuld nach § 243 Abs. 2 BGB – auf keinen bestimmten Gegenstand bezieht, wohingegen es naturgemäß gerade ein Charakteristikum der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung ist, dass ein ganz bestimmter Gegenstand und allein dieser geschuldet wird und dass der Anspruch auf die Ersatzleistung nur bei Mangelhaftigkeit der Primärleistung besteht. Bei der Gattungsschuld hat der Gläubiger also überhaupt keinen Anspruch auf einen bestimmten Gegenstand, bei der Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung hat er dagegen zwei Ansprüche, die gewissermaßen hintereinander geschaltet oder gestaffelt sind: zunächst den Anspruch auf die vereinbarte Primärleistung und sodann nach Maßgabe von § 439 BGB den Anspruch auf die Ersatzleistung (wobei dieser als „verhaltener“ Anspruch ebenfalls von Anfang an besteht). Dem entspricht es, dass der Anspruch auf Lieferung einer Sache aus der Gattung eine andere dogmatische Funktion hat als der Anspruch auf Lieferung einer Ersatzsache. Jener ist nämlich ein klassischer Primäranspruch, dieser dagegen ein bloßer Gewährleistungsanspruch. Demgemäß stehen die Ansprüche dogmatisch auf unterschiedlichen Ebenen: der Anspruch auf einen Gegenstand aus der Gattung auf der Ebene der primären Leistungspflichten, der Anspruch auf einen Ersatzgegenstand dagegen auf der gewissermaßen dahinter liegenden Ebene der sekundären Pflichten. 2. Die Möglichkeit der Ersetzbarkeit einer Gattung und ihre dogmatischen Konsequenzen Zeichnet sich durch diese ausführliche Kontrastierung von Gattungsschuld und Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung schon deutlich ab, dass diese eine eigenständige dogmatische Figur darstellt, so wird das vollends klar, wenn man die Möglichkeit hinzunimmt, dass auch eine Gattung in ähnlicher Weise
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ersetzbar sein kann wie eine Spezies. Das wird zwar selten thematisiert12, liegt aber doch auf der Hand, wenn die Frage erst einmal ins Blickfeld getreten ist. Denn dass die Leistung gerade und nur aus dieser Gattung erfolgt, wird für die Parteien nicht selten von ebenso peripherer Bedeutung sein wie die Tatsache, dass genau das vertraglich vereinbarte Stück geleistet wird. Praktische Bedeutung erlangt diese Einsicht vor allem dann, wenn die gesamte Gattung mangelhaft ist. Man denke etwa daran, dass eine Maschine einen Konstruktionsfehler aufweist und daher von ihrem Produzenten durch ein Nachfolgemodell mit gleicher Funktionsfähigkeit und gleichen Dimensionen, aber leicht geändertem Aussehen abgelöst wird. Dann wird man das Vorliegen einer anderen Gattung nicht leugnen können – doch warum sollte man die Ersetzbarkeit des Leistungsgegenstandes nur deshalb generell verneinen, weil es hier nicht um eine andere Spezies, sondern um eine andere Gattung geht?! In dogmatischer Hinsicht ist die Anerkennung einer Gattungsschuld mit ersetzbarer Primärleistung von erheblicher Bedeutung. Damit steht nämlich endgültig fest, dass die Ersetzbarkeit der Primärleistung nichts mit der Unterscheidung von Stück- und Gattungsschuld zu tun hat. Zugleich folgt daraus nunmehr definitiv, was im Titel dieses Beitrags postuliert wird: dass der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung eine eigenständige dogmatische Figur darstellt. 3. Die begriffliche Vierteilung In begrifflicher Hinsicht gelangt man somit zu einer Vierteilung, indem man die Begriffspaare Stück- und Gattungsschuld sowie ersetzbare und unersetzbare Primärleistung jeweils miteinander kombiniert: Es gibt Stückschulden mit ersetzbarer und mit unersetzbarer Primärleistung sowie Gattungsschulden mit ersetzbarer und mit unersetzbarer Primärleistung. Das mag trivial erscheinen – und ist es wohl auch –, doch ist es gleichwohl unerlässlich, hier einen klaren Sprachgebrauch walten zu lassen, weil anderenfalls Missverständnisse entstehen könnten oder gar vordergründiger Polemik der Boden bereitet würde13. Demgemäß ist es verfehlt, im Hinblick auf die Einführung der Kategorie der ersetzbaren Primärleistung „Das drohende Ende der Stückschuld“ auszurufen oder gar ein Lamento über ein (angebliches) „Instrument richterlicher Dezision, dessen schädliche Folgen für die Privatautonomie hier nicht ausgemalt werden können“, anzustimmen14.
__________ 12 Vgl. aber immerhin jüngst Gsell, JuS 2007, 102 f.; vgl. ferner Faust, ZGS 2004, 255 f., der jedoch bei der Vorratsschuld einen Anspruch auf eine nicht zum Vorrat gehörende Sache dezidiert ausschließt. 13 Charakteristisch hierfür Picker in FS Konzen, 2006, S. 706 f., der das Erfordernis der Ersetzbarkeit der Leistung kurzerhand unterschlägt und überdies den europarechtlichen Hintergrund der Thematik einfach mit Stillschweigen übergeht. 14 So aber der Titel des Beitrags von Gruber, JZ 2005, 707 bzw. Ackermann, JZ 2003, 1156 Fn. 9.
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Der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung
4. Die Erstreckung der Kategorie des Vertrags mit ersetzbarer Primärleistung über das Kaufrecht hinaus Die Kategorie der ersetzbaren Primärleistung hat ihren Ausgang zwar von der kaufrechtlichen Vorschrift des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB genommen, doch wohnt ihr eine innere Dynamik inne, die über das Kaufrecht hinaus drängt. Damit ist nicht die Selbstverständlichkeit gemeint, dass sie über die Verweisung von §§ 480, 651 BGB auch auf den Tausch und den Werklieferungsvertrag Anwendung findet. Von Interesse ist im vorliegenden Zusammenhang vielmehr vor allem die Miete. Bei bestimmten Mietgegenständen wie etwa einem Segelboot, Auto, Fahrrad oder Hotelzimmer sind nämlich ohne weiteres Konstellationen vorstellbar, in denen zwar einerseits am Vorliegen einer Stückschuld ehrlicherweise nicht vorbeizukommen, andererseits aber die Ersetzbarkeit des Vertragsgegenstandes durchaus zu bejahen ist. Auch der Gedanke der Ersetzbarkeit einer Gattung ist nicht auf den Kaufvertrag beschränkt, sondern kann z. B. für die Miete eines Autos genauso gut passen. Zwar kennen die §§ 535 ff. BGB keinen Anspruch auf Nacherfüllung im Sinne von § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB, sondern nur den sich aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebenden Anspruch auf Beseitigung des Mangels, doch dürfte das letztlich damit zusammenhängen, dass das Mietrecht am Leitbild der Stückschuld orientiert ist und es bei dieser vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in der Tat keinen Anspruch auf Leistung einer anderen Sache gab. Dem Wertungswandel, der insoweit im Kaufrecht stattgefunden hat, muss daher nach dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung grundsätzlich auch im Mietrecht Rechnung getragen werden. Folglich ist anzunehmen, dass § 535 Abs. 1 BGB nachträglich lückenhaft geworden und durch eine ungeschriebene Regelung zu ergänzen ist, aufgrund derer der Mieter bei Ersetzbarkeit der Mietsache statt der Beseitigung des Mangels die Überlassung einer Ersatzsache (bis zur Grenze der Unverhältnismäßigkeit analog § 439 Abs. 3 BGB oder gemäß § 275 Abs. 2 BGB) verlangen und der Vermieter durch deren Angebot die Minderung des Mieters nach § 536 BGB abwehren kann. Gegen den Grundsatz der Privatautonomie – der auch hier gewiss wieder als Einwand bemüht werden wird – verstößt das ebenso wenig wie im Kaufrecht, weil dagegen das Kriterium der Ersetzbarkeit, wie sogleich näher auszuführen sein wird15, wegen seiner Bindung an den Parteiwillen hinreichenden Schutz bietet. Außerdem ist die hier vertretene Ansicht weit weniger exzentrisch als es auf den ersten Blick vielleicht scheinen könnte; denn die einschlägigen Fälle dürften fast ausnahmslos funktionell dicht bei einer Gattungsschuld liegen, so dass die Kategorie der ersetzbaren Primärleistung auch hier den durchaus erfreulichen Effekt der Vermeidung von Wertungswidersprüchen und der Entschärfung von Abgrenzungsschwierigkeiten hat. Bei Verträgen, die nur ein „mildes“ Gewährleistungsrecht und insbesondere keinen Nachbesserungsanspruch kennen wie etwa die Schenkung nach §§ 523 f. BGB und die Leihe nach § 600 BGB, kommt dagegen ein Anspruch
__________ 15 Vgl. unten III 1.
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auf Lieferung einer anderen Sache folgerichtig grundsätzlich nicht in Betracht. Gleiches gilt erst recht für gesetzliche Schuldverhältnisse, da diesen Gewährleistungsansprüche überhaupt fremd sind.
III. Die Bedeutung des Parteiwillens Ob die Primärleistung ersetzbar ist, „ist nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien zu beurteilen (§§ 133, 157 BGB)“, wie der BGH formuliert hat16. Da auch das der schon bisher überwiegenden Ansicht entspricht, soll es hier nicht erneut vertiefend diskutiert, sondern als im Kern zutreffend vorausgesetzt werden17. Vom Parteiwillen unabhängige Kriterien wie etwa die „objektive“ Austauschbarkeit der Sache, deren Vertretbarkeit im Sinne von § 91 BGB, die Verkehrsanschauung oder die funktionelle und wirtschaftliche Verwandtschaft mit einer Gattungsschuld geben somit als solche nicht den Ausschlag, sondern können allenfalls als Elemente im Rahmen der Vertragsauslegung Berücksichtigung finden18. Allerdings bedarf es noch gewisser Präzisierungen sowie der Erörterung von Folgeproblemen. 1. Der Bezugspunkt des Parteiwillens und die Funktion des objektiven Rechts Durch Auslegung des Parteiwillens zu ermitteln ist nach den – auch in dieser Hinsicht zutreffenden – Worten des BGH, ob „die Ersatzlieferung möglich ist“ bzw. „ob eine Ersatzlieferung in Betracht kommt“. Bezugspunkt des Parteiwillens und Gegenstand seiner Auslegung ist somit die Ersetzbarkeit der Primärleistung, nicht dagegen die Rechtsfolge, dass der Käufer im Falle eines Mangels grundsätzlich die Lieferung einer anderen Sache verlangen kann. Diese Folge ergibt sich vielmehr aus § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB und damit aus dem objektiven Recht. Daher trifft es nicht zu, wenn gesagt wird: „Dass sich der Nachlieferungsanspruch des Käufers bei der Stückschuld (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) auf ein anderes Stück beziehen kann als sein Erfüllungsanspruch (433 Abs. 1 BGB), folgt schlicht aus einem gegebenenfalls dahin gehenden Willen der Kaufvertragsparteien …“19. Ebenso unzutreffend ist demgemäß die These, dass „der Nachlieferungsanspruch bei der Stückschuld aus der (gegebenenfalls ausgelegten) Parteivereinbarung“ folgt20. Hier wird das Zusammenspiel von Parteivereinbarung und objektivem Recht schief aufgefasst. Denn dass der Verkäufer mit einer anderen – ursprünglich nicht geschuldeten – Sache erfüllen muss, nur weil damit erfüllt werden kann, ist ebenso wenig selbstverständlich wie die Konsequenz, dass er damit erfüllen darf. Diese Rechtsfolgen beruhen somit nicht unmittelbar auf dem Vertrag, sondern auf einer diesen ergänzenden Regelung des objektiven Rechts. Die richtige Sichtweise ist somit in
__________ 16 17 18 19 20
BGH, BGHZ 168, 64, 2. Leitsatz bzw. S. 74 Rz. 23. Vgl. aber immerhin unten III 2 a bei Fn. 31. Vgl. näher Canaris, JZ 2003, 835. So H. Roth, NJW 2006, 2955. So H. Roth, NJW 2006, 2955.
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Der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung
Wahrheit, dass die Ersetzbarkeit der Primärleistung ein besonderes Merkmal des Vertrages auf der Tatbestandsseite darstellt, das als solches vom – im Wege der Auslegung ermittelten – Parteiwillen umfasst sein muss und dessen Bejahung dann den aus dem Gesetz – nämlich aus § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB – folgenden Anspruch auf Ersatzlieferung auslöst, ebenso wie das sich aus dem Fristsetzungserfordernis gemäß §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB ergebende Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung. Andererseits verdient es ebenfalls nachdrückliche Hervorhebung, dass der Zusammenhang zwischen dem Merkmal der Ersetzbarkeit der Primärleistung und den Rechtsfolgen des Anspruchs auf Ersatzlieferung sowie des Rechts zur zweiten Andienung bei Zugrundelegung der hier vertretenen Sichtweise – die mit derjenigen des BGH übereinstimmt – ungewöhnlich eng ist. Denn auch wenn der (ausgelegte) Parteiwille nicht geradezu auf diese Rechtsfolgen gerichtet sein muss, lässt sich die Ersetzbarkeit der Primärleistung in aller Regel doch nicht überzeugend bejahen, ohne dabei die Angemessenheit dieser Rechtsfolgen in den Blick zu nehmen. Die autonomen Elemente sind somit bei einem Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung im Vergleich zu den heteronomen Elementen besonders stark ausgeprägt21, was diese Rechtsfigur vor dem – in gewissen Kreisen längst zum Totschlagargument verkommenen – Einwand bewahrt, sie verletze das Prinzip der Privatautonomie. Die autonomen Elemente würden noch verstärkt, wenn über die Frage der Ersetzbarkeit der Primärleistung nur im Wege der „erläuternden“ oder „eigentlichen“ Auslegung22 zu entscheiden und eine „ergänzende“ Auslegung als unzulässig anzusehen wäre23. Das trifft jedoch nicht zu, da der Vertrag und die Umstände des Falles häufig keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte hinsichtlich der Ersetzbarkeit oder Unersetzbarkeit enthalten werden und dann gar nichts anderes übrig bleibt als der Rückgriff auf die ergänzende Auslegung und den für diese maßgeblichen hypothetischen Parteiwillen. Eine solche Lücke im Vertrag kann nicht etwa durch die Heranziehung von § 439 Abs. 1 BGB geschlossen werden, indem man sich auf den Vorrang des dispositiven Rechts gegenüber der ergänzenden Auslegung beruft24; denn § 439 Abs. 1 BGB sagt nichts darüber aus, ob die Primärleistung ersetzbar ist oder nicht, sondern hängt hinsichtlich der Anwendbarkeit seiner zweiten Alternative genau umgekehrt von der vorgängigen Beantwortung dieser Frage ab. 2. Parteiwille und Beschaffung einer Ersatzsache Die Maßgeblichkeit des Parteiwillens und seine Auslegung haben praktische Bedeutung vor allem für die Probleme, die mit der Beschaffung der Ersatzsache zusammenhängen. Dabei sind mehrere Konstellationen zu unterscheiden.
__________
21 Anders die Sichtweise von Gsell, JuS 2007, 100, vgl. dazu sogleich unter 2 a. 22 Der erste Terminus wird z. B. bei Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 33 Rz. 8, der zweite z. B. bei Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 157 BGB Rz. 2 verwendet. 23 So in der Tat H. Roth, NJW 2006, 2955. 24 So aber H. Roth, NJW 2006, 2955.
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a) Die Freiheit der Parteien zur Vereinbarung der Unersetzbarkeit der Primärleistung und ihre Grenzen Da weder das neue Kaufrecht des BGB noch die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf einen Typenzwang geschaffen haben, steht es den Parteien grundsätzlich frei, die Primärleistung als ersetzbare oder als unersetzbare zu vereinbaren – ähnlich wie es ihnen freisteht, eine Gattungs- oder eine Stückschuld zu begründen. Gibt nun der Verkäufer hinreichend deutlich zu erkennen, dass er zu einer Ersatzlieferung keinesfalls bereit ist, so kann der Käufer das in aller Regel vernünftigerweise nur so verstehen, dass die Primärleistung unersetzbar sein soll; zwar braucht der Parteiwille, wie soeben ausgeführt, nicht unmittelbar auf die Begründung einer Nachlieferungspflicht gerichtet zu sein, doch stellt die klare Ablehnung einer solchen ein so starkes Element im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB dar, dass sie grundsätzlich den Ausschlag für die Unersetzbarkeit der Primärleistung gibt. Eine entsprechende Äußerung kann auch konkludent erfolgen. Erklärt etwa der Verkäufer eines Stichs von Piranesi – um dieses Beispiel noch einmal zu bemühen25 –, der Käufer könne sich eines von zwei im wesentlichen gleichartigen Blättern aussuchen, aber nicht beide Blätter kaufen, weil er das zweite für einen anderen Käufer brauche und sich keinesfalls ein drittes Blatt besorgen wolle, so ist der Vertrag dahin auszulegen, dass die Primärleistung unersetzbar ist. Das gleiche gilt etwa, wenn jemand eine seltene Briefmarke verkauft oder vertauscht mit dem Bemerken, er habe sie doppelt und könne sie daher entbehren; denn das impliziert, dass er die andere nicht entbehren und sich schon gar nicht um den Erwerb einer dritten kümmern will. Die bloße Tatsache, dass der Verkäufer die Kaufsache in Händen hat, bildet dagegen auch dann, wenn er erkennbar über keine Ersatzsache verfügt, jedenfalls bei einem Händler für sich allein kein hinreichend starkes Auslegungselement, um ihre Unersetzbarkeit als vereinbart anzusehen; anders mag zu entscheiden sein, wenn der Verkäufer als Privatmann handelt. Für den Verbrauchsgüterkauf wird nun freilich vereinzelt die Ansicht vertreten, dass das Fehlen des Willens des Verkäufers zur Beschaffung einer Ersatzsache unbeachtlich sei, weil § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB hier nach § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB halbzwingenden Charakter zugunsten des Käufers hat26. Dem ist nicht zu folgen. Wenn nämlich der Verkäufer hinreichend klar zu erkennen gibt, dass er zur (eventuellen) Beschaffung einer Ersatzsache nicht bereit ist, dann fehlt ihm der erforderliche Wille zum Abschluss eines Vertrages mit ersetzbarer Primärleistung und daher kommt nach den Regeln der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB grundsätzlich, d. h. sofern nicht ausnahmsweise ein Dissens gegeben ist, ein Vertrag mit unersetzbarer Primärleistung zustande. Es geht also nicht etwa um eine Abdingung von § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB27, sondern die Anwendung dieser Vorschrift scheitert hier vielmehr schon an § 275
__________ 25 Vgl. schon oben II 1 a gegen Ende. 26 Vgl. Gsell, JuS 2007, 98 f.; ebenso i. E. Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 414 f. 27 So aber ausdrücklich Gsell, JuS 2007, 99.
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Der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung
Abs. 1 BGB. Denn § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB findet ja nicht einfach auf jeden Stückkauf Anwendung, sondern nur auf einen solchen mit ersetzbarer Primärleistung, und daher bleibt bei deren Unersetzbarkeit das Leistungsprogramm des Verkäufers von vornherein endgültig auf das verkaufte Stück beschränkt mit der Folge, dass Nacherfüllung durch Lieferung einer anderen Sache unmöglich ist. Es stellt daher kein überzeugendes Argument dar, dass der Verkäufer sich nach § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB seiner Nachbesserungspflicht aus § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht entziehen kann28. Diese besteht nämlich anders als die Nachlieferungspflicht grundsätzlich bei jedem Stückkauf und nicht nur bei einem solchen mit ersetzbarer Primärleistung; außerdem leuchtet nicht ein, warum man dem Verkäufer nur deshalb, weil er der Nachbesserungspflicht nicht zu entrinnen vermag, nun auch noch die Nachlieferungspflicht aufbürden soll, zumal diese von besonderer praktischer Bedeutung gerade dann ist, wenn Nachbesserung nicht möglich ist. In der Entscheidung darüber, ob die Parteien die Primärleistung als ersetzbar gestalten oder nicht, werden sie durch § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht beschränkt. Vereinbaren sie eine unersetzbare Primärleistung, so handelt es sich nämlich nicht um eine „Abweichung“ von § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB im Sinne von § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern aus den soeben genannten Gründen umgekehrt um das Unterlassen der vertraglichen Schaffung einer Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift. Die Abrede über die Ersetzbarkeit oder Unersetzbarkeit der Primärleistung steht teleologisch und strukturell der Ausgestaltung des Leistungsprogramms durch die vertragliche Bestimmung der Sollbeschaffenheit der Kaufsache im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 1 BGB sehr nahe, die anerkanntermaßen grundsätzlich nicht durch § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB beschränkt wird29, obgleich (auch) sie mittelbar erheblichen Einfluss auf die Gewährleistungsrechte des Käufers haben kann. Noch stärker ähnelt sie der ebenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs von § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB liegenden vertraglichen Entscheidung darüber, ob eine Gattungsschuld markt-, produktions- oder vorratsbezogen ist30 und das mit ihr verbundene Beschaffungsrisiko des Verkäufers also mehr oder weniger weit reicht. Würde man hinsichtlich der Ersetzbarkeit der Primärleistung anders entscheiden, entstünden untragbare Wertungswidersprüche. Darüber hinaus würde dann im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs letztlich doch nicht der (ausgelegte) Wille der Parteien über die Ersetzbarkeit der Primärleistung entscheiden31, sondern ein von diesem unabhängiges Kriterium wie das Leistungsinteresse allein des Käufers oder die objektive Austauschbar-
__________ 28 So aber Gsell, JuS 2007, 98 f. 29 Vgl. nur St. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 7), § 475 BGB Rz. 8. 30 Diese Unterscheidung geht zurück auf Ballerstedt in FS Nipperdey, 1955, S. 265 f.; vertiefend U. Huber, Leistungsstörungen Bd. I, 1999, § 24 II 1, III 1 und IV 1; Canaris in FS W. Wiegand, 2005, S. 192 ff. 31 Kritisch insoweit denn auch Gsell, JuS 2007, 100, die den Parteiwillen als „missverständliches Kriterium“ bezeichnet, vgl. dazu aber auch unten bei und mit Fn. 33.
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keit der Sache. Dann läge in der Anerkennung eines Nachlieferungsanspruchs beim Stückkauf in der Tat eine massive Beeinträchtigung der Privatautonomie und eine krasse Bevorzugung der Interessen des Käufers gegenüber denen des Verkäufers. Denn der Käufer könnte dann grundsätzlich bei jedem Kauf Nachlieferung verlangen, sofern auch nur ein gleichartiges und gleichwertiges weiteres Stück am Markt vorhanden ist. Da das bei vielen in Betracht kommenden Gegenständen der Fall sein wird – beim Kauf eines Blattes von Piranesi ist es z. B. in aller Regel zu bejahen –, würden zahllose Stückkäufe im praktischen Ergebnis von Gesetzes wegen zu Lasten des Verkäufers und zu Gunsten des Käufers zu Gattungskäufen umfunktioniert – und zwar zu marktbezogenen Gattungskäufen und damit zu der für den Verkäufer risikoreichsten Form des Gattungskaufs. Das wäre umso ungerechter, als der Verkäufer bei Abschluss eines Gattungskaufs das mit diesem verbundene Beschaffungsrisiko ja bewusst eingeht, indem er den Leistungsgegenstand nicht abschließend individualisiert, sondern eben nur der Gattung nach festlegt, und aus seiner sich daraus ergebenden Dispositionsfreiheit finanzielle Vorteile hinsichtlich des Einkaufs, des Transports, der Lagerung usw. ziehen kann32, wozu es beim Stückkauf keine Parallele gibt. Weder das neue Kaufrecht des BGB noch die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf enthalten m. E. irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass solch drastische Konsequenzen gewollt sind, doch kann man natürlich – leider – nicht ausschließen, dass der EuGH das anders sieht und dadurch für das deutsche Vertragsrecht einen schweren Systembruch heraufbeschwört. Solange das nicht geschehen ist, sollte man die (im Wege der Auslegung ermittelte) Vereinbarung der Parteien, dass eine Sache unersetzbar ist, nicht als Abweichung von § 439 Abs. 1 Satz 1 BGB im Sinne von § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB qualifizieren. Vielmehr reicht es völlig aus, sich insoweit erforderlichenfalls mit dem Rückgriff auf das – ohnehin sehr weit gefasste – Umgehungsverbot von § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB zu begnügen. Dieses greift z. B. u. U. ein, wenn ein Autohändler beim Verkauf eines in seiner Verfügung befindlichen Neuwagens ohne triftigen Grund äußert, dass er für diesen im Falle des Auftretens eines Mangels keinesfalls Ersatz beschaffen wolle, dagegen grundsätzlich nicht, wenn ein Händler etwa einen Stich oder eine alte Briefmarke verkauft, also Sachen, die von den Parteien typischerweise als singuläre Vertragsgegenstände angesehen werden und die daher zwar im Einzelfall durchaus als ersetzbar verkauft sein können, im Regelfall aber nach den Grundsätzen der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB als unersetzbar zu qualifizieren sind. Im übrigen darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass es sich um ein Sonderproblem des Verbrauchsgüterkaufs handelt. Auch wenn man der hier vertretenen Ansicht nicht folgt, ändert sich daher nichts daran, dass über die Ersetzbarkeit der Sache der (ausgelegte) Parteiwille entscheidet. Die Konsequenz bestünde dann vielmehr darin, dass dieser insoweit beim Verbrauchs-
__________ 32 Vgl. dazu näher Canaris in FS W. Wiegand (Fn. 30), S. 186 f.
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Der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung
güterkauf nach § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB unbeachtlich wäre33, weil er zu einer „Abweichung“ von § 439 Abs. 1 BGB führen würde. b) Das Beschaffungserfordernis bei Ersetzbarkeit der Primärleistung und seine Grenzen Ist die Primärleistung ersetzbar, so hat der Verkäufer im Falle ihrer Mangelhaftigkeit grundsätzlich eine Ersatzsache zu beschaffen, sofern ihm eine solche nicht ohnehin zur Verfügung steht. Das folgt daraus, dass er nach § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB die Ersatzsache zu liefern verpflichtet ist, was er ohne deren Beschaffung nicht kann. Von einer Beschaffungspflicht sollte man dabei nicht sprechen34. Die Beschaffung stellt nämlich lediglich einen Akt der Vorbereitung für die Erfüllung der Pflicht zur Lieferung dar und daher hat nur diese den Charakter einer Pflicht, während hinsichtlich jener weder Bedürfnis noch Raum für die Annahme einer Pflicht besteht35. Das Erfordernis der Beschaffung einer Ersatzsache kann den Verkäufer mit erheblichen Kosten und Risiken belasten. Denn wenn er die Beschaffung und damit auch die Lieferung unterlässt, haftet er dem Käufer grundsätzlich auf Schadensersatz nach §§ 280 ff. BGB, es sei denn, er wird nach § 275 Abs. 2 oder § 439 Abs. 3 BGB von der Nachlieferungspflicht befreit. Der Verkäufer hat daher ein starkes und grundsätzlich legitimes Interesse daran, den Kreis der Sachen, auf die er zum Zwecke der Nachlieferung zurückgreifen muss, zu begrenzen. Auch darüber ist nach dem Parteiwillen im Wege der – erforderlichenfalls auch ergänzenden – Auslegung zu entscheiden. Es kann insoweit grundsätzlich nichts anderes gelten als bei einem Gattungskauf, da kein Grund dafür ersichtlich ist, warum der Verkäufer bei einem Stückkauf mit ersetzbarer Primärleistung schlechter stehen soll als bei jenem. Folglich ist auch hier die typologische Trias von markt-, produktions- und vorratsbezogenem Kauf36 fruchtbar zu machen und jeweils im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob der Verkäufer die Ersatzsache am Markt – gegebenenfalls an welchem: dem deutschen, dem europäischen, dem globalen – oder nur aus einer bestimmten Produktion oder sogar nur aus einem Vorrat zu beschaffen hat. Wenn ein Autohändler also z. B. einen bestimmten Neuwagen verkauft hat, so braucht er als Ersatz nur einen (gleichartigen) Wagen aus der Produktion des Herstellers zu liefern, nicht aber etwa einen derartigen Wagen von einem Kunden (der ihn noch nicht abgeholt hat, so dass er noch neu ist) zurückzukaufen; hat der Hersteller die Produktion eingestellt, so entfällt somit der Nachlieferungs-
__________ 33 Da das dem Argumentationsansatz von Gsell, JuS 2007, 98 entspricht, ist auch bei Zugrundelegung ihres Standpunkts letztlich nicht recht verständlich, warum sie den Parteiwillen als „missverständliches Kriterium“ (a. a. O. S. 100) bezeichnet; missverständlich kann allenfalls sein, dass kein Vorbehalt in Bezug auf § 475 BGB Abs. 1 Satz 1 BGB gemacht wird. 34 So aber noch Canaris, JZ 2003, 836. 35 Vgl. eingehend zum Parallelproblem bei der Gattungsschuld Canaris in FS W. Wiegand (Fn. 30), S. 189 f. m. N. 36 Vgl. dazu die Nachw. oben Fn. 30.
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anspruch nach § 275 Abs. 1 BGB. Das gilt auch, wenn der Käufer ein Verbraucher ist; denn § 439 Abs. 1 BGB legt nicht fest, welche Sachen für eine Ersatzlieferung tauglich sind, und daher geht es (auch) hier nicht um eine „Abweichung“ von dieser Vorschrift im Sinne von § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB. c) Die Problematik der Übernahme eines Beschaffungsrisikos im Sinne von § 276 Abs. 1 BGB Nach § 276 Abs. 1 BGB hat der Schuldner eine Pflichtverletzung auch dann zu vertreten, wenn er ein Beschaffungsrisiko übernommen hat. Darin liegt nach richtiger Ansicht eine – freilich leider nicht explizit ausgesprochene – Auslegungsregel, nach welcher der Schuldner, wenn der geschuldete Gegenstand von ihm zu beschaffen ist, im Zweifel die Eingehung eines damit verbundenen besonderen Risikos zu vertreten hat37. Zwar hat der Verkäufer die Ersatzsache erforderlichenfalls zu beschaffen, doch beruht das anders als bei der Gattungsschuld (und in den parallelen Fällen von Stückschulden) nicht auf einer primären und privatautonom eingegangenen, sondern lediglich auf einer sekundären und vom objektiven Recht auferlegten Leistungspflicht. Anders als dort hat der Schuldner sich daher nicht sehenden Auges dem Risiko ausgesetzt, eine Sache zu verkaufen, die er noch nicht hat oder von der er nicht sicher weiß, ob er sie bei Fälligkeit seiner Leistungspflicht noch haben wird, und anders als dort besitzt er auch keine wesentliche Dispositionsfreiheit hinsichtlich ihrer Beschaffung und kommt daher nicht in den Genuss der mit dieser verbundenen Vorteile wie einer günstigen Bestimmung der Einkaufsquelle, des Transportwegs, der Lagerungsdauer usw. Die – sonst im Vorstehenden wiederholt fruchtbar gemachte – Ähnlichkeit von Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung und Gattungsschuld fehlt daher hinsichtlich der hier zur Diskussion stehenden Problematik. Folglich ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass der Verkäufer das Beschaffungsrisiko übernimmt. In dem soeben gebildeten Beispielsfall, dass eine Nachlieferung wegen Einstellung der Produktion nicht möglich ist, hat der Käufer daher die Unmöglichkeit nicht zu vertreten. Das heißt freilich nicht, dass den Verkäufer nicht eine scharfe Haftung trifft, wenn er die Ersatzsache nicht beschafft. Denn sofern er von seiner Pflicht zur Ersatzlieferung nicht nach § 275 Abs. 2 oder § 439 Abs. 3 BGB oder nach § 313 BGB befreit ist, gibt es, wie bereits angedeutet, für ihn kaum jemals eine Möglichkeit, sich gegen die Bejahung einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung zu verteidigen. Das hat jedoch nichts mit der Übernahme eines Beschaffungsrisikos zu tun, sondern ergibt sich ohne weiteres aus den Regeln der Verschuldenshaftung38.
__________ 37 Vgl. eingehend Canaris in FS Wiegand (Fn. 30), S. 214 ff., insbesondere S. 217 f. 38 Vgl. zum Parallelproblem bei der Gattungsschuld eingehend Canaris a. a. O. (Fn. 30), S. 201 f.
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IV. Die Gleichstellung der Unmöglichkeit mit der Mangelhaftigkeit bei Ersetzbarkeit der Primärleistung 1. Der drohende Wertungswiderspruch und die Möglichkeiten des Umgangs mit ihm Im Schrifttum ist argumentiert worden, dass durch die Anerkennung eines Anspruchs auf Nachlieferung beim Stückkauf ein Wertungswiderspruch zwischen der rechtlichen Behandlung der Unmöglichkeit der Leistung und ihrer Mangelhaftigkeit entstehe. Denn geht eine ersetzbare Sache beim Stückkauf unter, so werde der Verkäufer nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Erfüllungspflicht frei, ohne dass der Käufer eine andere Sache verlangen könne, wohingegen er grundsätzlich zur Lieferung einer solchen verpflichtet sei, wenn die Sache lediglich beschädigt wird39. Auf diesen Befund kann man in mehrfacher, höchst unterschiedlicher Weise reagieren. Man kann daraus zunächst – und zu diesem Zweck ist das Argument eingeführt worden – die Konsequenz ziehen, dass die Möglichkeit eines Anspruchs auf Nachlieferung bei der Stückschuld (auch) wegen des sonst drohenden Wertungswiderspruchs abzulehnen sei40. Man kann diese Argumentation zurückweisen, indem man versucht, einen Grund für die unterschiedliche Behandlung von Unmöglichkeit der Leistung und Mangelhaftigkeit der Sache zu finden, und/oder auf die Unvermeidlichkeit einer Sonderstellung der Unmöglichkeit an Hand von anderen Fallkonstellationen hinweisen41. Man kann stattdessen den Wertungswiderspruch als solchen anerkennen, aber resignierend als de lege lata unbehebbar hinnehmen42. Und man kann schließlich gewissermaßen die Flucht nach vorn antreten und die Möglichkeit eines Wertungswiderspruchs ausschließen, indem man dem Käufer bei Ersetzbarkeit der Primärleistung auch in den Fällen der Unmöglichkeit einen Anspruch auf Lieferung einer Ersatzsache zuspricht und diesen auf eine Analogie zu § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB stützt43. 2. Die Vorzugswürdigkeit der Erstreckung des Nachlieferungsanspruchs und des Rechts zur zweiten Andienung auf die Fälle der Unmöglichkeit Das Vorliegen eines Wertungswiderspruchs habe ich seinerzeit mit der Begründung bestritten, dass der Verkäufer in den Fällen des Untergangs der Sache seinen Kaufpreisanspruch nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB verliert, während er ihn in den Fällen der Nachlieferung selbstverständlich behält, weshalb er bei der zweiten Variante nicht schlechter, sondern lediglich anders stehe44. Dage-
__________ 39 40 41 42 43
So Ackermann, JZ 2003, 1154. So Ackermann, JZ 2003, 1154. So Canaris, JZ 2003, 1156 f. So Gruber JZ 2005, 712; Xander (Fn. 10) S. 277 ff., 304 f. So Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 411 ff.; i. E. auch Schroeter, AcP 207 (2007), 50 f. mit Fn. 108. 44 Vgl. Canaris, JZ 2003, 1156; zustimmend H. Roth, NJW 2006, 2955; Fest, ZGS 2005, 21.
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gen ist mit Recht eingewandt worden, dass dadurch der Einwand einer Ungleichbehandlung nicht entfällt45. Diese könnte nur – und das war der dahinter stehende und eigentlich ausschlaggebende Gedanke – dadurch legitimiert werden, dass das geltende Recht nun einmal nach wie vor zwischen den Fällen der Gewährleistung und den allgemeinen Leistungsstörungen trennt und dafür teilweise unterschiedliche Regelungen vorsieht. Indessen erweist sich dieses Argument im vorliegenden Zusammenhang bei genauerer Analyse als nicht tragfähig. Denn gerade in den Fällen der Unmöglichkeit sind das Gewährleistungs- und das allgemeine Leistungsstörungsrecht eng miteinander verwoben, wie sich vor allem an den Fällen der unbehebbaren Mängel zeigt, da diese bekanntlich dogmatisch als „qualitative“ Teilunmöglichkeit einzuordnen sind. Demgemäß lassen sich in der Tat leicht Beispiele bilden, in denen eine unterschiedliche Behandlung von Sachmangel und Unmöglichkeit höchst unbefriedigend wirkt. Ist z. B. ein Gebrauchtwagen als ersetzbar verkauft – was zwar ungewöhnlich, aber durchaus vorstellbar ist46 – und erweist sich nun, dass er entgegen den Angaben des Verkäufers einen schweren Unfall gehabt hat, so hat der Käufer wegen dieses Mangels grundsätzlich einen Anspruch aus § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB auf Lieferung eines gleichartigen und gleichwertigen anderen Gebrauchtwagens und der Verkäufer wegen des Fristsetzungserfordernisses nach §§ 437 Ziff. 2, 323 Abs. 1 BGB ein Recht zur zweiten Andienung. Stellt sich dagegen heraus, dass der – als ersetzbar verkaufte – Wagen einem (nicht zur Übereignung bereiten) Dritten gehört (z. B. weil er diesem abhanden gekommen ist), so liegt anfängliche Unmöglichkeit im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB vor47, so dass bei unmodifizierter Gesetzesanwendung eine Grundlage für einen Nachlieferungsanspruch des Käufers fehlt und ein Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung an § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB scheitert. In beiden Fällen handelt es sich um Unmöglichkeit, da der Verkäufer im ersten Fall die verkaufte Sache nicht mangelfrei zu liefern und also seine entsprechende Pflicht aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zu erfüllen vermag und im zweiten Fall seiner Pflicht zur Übereignung der verkauften Sache nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht genügen kann. Diese unterschiedliche Behandlung von zwei Fällen der Unmöglichkeit ist in der Tat als untragbarer Wertungswiderspruch anzusehen, weil diese teleologisch gesehen keinen wesentlichen Unterschied aufweisen. Da im ersten Fall an der Anwendbarkeit von § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB bei Annahme der Richtigkeit der Ansicht des BGH und der h. L., von der in dieser Abhandlung ausgegangen wird48, nicht zu zweifeln ist, kann die Beseitigung des Wertungswiderspruchs nur dadurch erfolgen, dass man auf die Unmöglichkeit auch insoweit,
__________ 45 Vgl. Faust, ZGS 2004, 254; Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 412; kritisch auch Gruber, JZ 2005, 709; Xander (Fn. 10), S. 277 ff. 46 Davon geht auch der BGH aus, vgl. BGHZ 168, 64, 74 Rz. 23. 47 Es handelt sich nicht etwa um einen Rechtsmangel, vgl. nur Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 7) § 435 BGB Rz. 7. 48 Vgl. oben I 2.
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als diese keine „qualitative“ Teilunmöglichkeit darstellt, § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB anwendet – und zwar folgerichtig analog49. Dafür spricht zudem mit erheblichem Gewicht, dass die Fälle der Ersetzbarkeit der Primärleistung – und nur um diese geht es ja! – in aller Regel eine deutliche Ähnlichkeit mit der Gattungsschuld aufweisen, für die der Nachlieferungsanspruch und das Recht zur zweiten Andienung eine Selbstverständlichkeit bilden. Dogmatisch ist die hier vertretene Lösung unschwer zu „erklären“. Denn wenn die Primärleistung ersetzbar ist, betrifft die Unmöglichkeit eben nur den Anspruch auf deren Erbringung und nicht auch den auf die Ersatzleistung, so dass nur jener nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist50. Es fehlt auch nicht etwa an der für eine Analogie erforderlichen Lücke im Gesetz51. Dessen Verfasser haben nämlich die – teilweise höchst komplexen und schwierigen – Besonderheiten von Verträgen mit ersetzbarer Primärleistung ersichtlich nicht voll durchdacht und daher besteht ohne weiteres Raum für eine objektivteleologische Sichtweise, bei der die weitaus besseren Gründe dafür sprechen, hier Divergenzen zwischen dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht und dem besonderen Gewährleistungsrecht zu vermeiden statt sie zu vertiefen. Unbegründet erscheinen ferner Bedenken wegen einer Beschneidung der Vertragsfreiheit52, da dabei nicht hinreichend berücksichtigt wird, dass der Vertrag mit ersetzbarer Primärleistung einen vom klassischen Stückkauf stark abweichenden Sondertypus mit ausgeprägter Nähe zum Gattungskauf darstellt. Einer etwas ausführlicheren Auseinandersetzung bedarf freilich noch der Einwand, in den Fällen des Untergangs der Kaufsache fehle es an deren Übergabe an den Käufer und daher sei hier eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung von § 439 Abs. 1 BGB nicht erfüllt53. Damit könnte auf den ersten Blick ein zentraler Punkt berührt sein; denn wenn keine Übergabe stattgefunden hat, ist meist die Preisgefahr noch nicht auf den Käufer übergegangen und damit die Voraussetzung nicht eingetreten, von der nach dem Einleitungssatz von § 437 in Verbindung mit § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB der Eintritt in das Gewährleistungsstadium und damit die Zäsur gegenüber der Geltung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts abhängt. Als erstes Gegenargument drängt sich jedoch sogleich auf, dass es in den Fällen von § 447 BGB nicht auf die Übergabe ankommt, doch mag es sich insoweit um eine Randunschärfe handeln, die sich vielleicht korrigieren ließe. Schwerer wiegt, dass diese Sichtweise auf die Fälle des Untergangs der Kaufsache beschränkt ist und daher die Fälle der anfänglichen Unmöglichkeit ausblendet, obwohl es bei diesen ohne
__________ 49 So schon Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 411 ff.; i. E. auch Schroeter, AcP 207 (2007), 50 f. mit Fn. 108; ablehnend Fest, ZGS 2005, 20 f.; Gruber, JZ 2005, 711 f.; Gsell, JuS 2007, 100. 50 Hier zeigt sich wiederum ein Unterschied zur Gattungsschuld, da bei dieser vor dem Zeitpunkt der Konkretisierung gemäß § 243 Abs. 2 BGB der Untergang eines zur Gattung gehörigen Stücks – und sei es auch vom Schuldner für die Erfüllung vorgesehen – überhaupt keine Unmöglichkeit zur Folge hat. 51 So aber Gruber, JZ 2005, 711 f. 52 Diese äußert Gsell, JuS 2007, 100. 53 So Fest, ZGS 2005, 21.
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weiteres zur Übergabe kommen kann und sich die vorliegende Problematik gleichwohl auch bei ihnen stellt, wie etwa das oben gebildete Beispiel des Vergleichs zwischen dem Verkauf eines Unfallwagens und eines in fremdem Eigentum stehenden Wagens zeigt. Entscheidend kommt hinzu, dass die Unmöglichkeit ihrer Struktur nach einem unbehebbaren Mangel gleicht. Soll aber der Käufer bei einem solchen seinen Nachlieferungsanspruch verlieren, wenn der Mangel schon vor der Übergabe entdeckt wird und diese daraufhin unterbleibt? Die Frage stellen heißt sie verneinen, wobei man sich zur Begründung u. a. auf den Rechtsgedanken von § 323 Abs. 4 BGB berufen kann. Insgesamt kommt der Übergabe somit im vorliegenden Zusammenhang keine wesentliche Bedeutung zu, so dass in ihrem (etwaigen) Fehlen kein relevanter Einwand gegen eine Gleichstellung der Unmöglichkeit mit einem Mangel liegt. Ein letztes Bedenken ist indessen noch nicht ausgeräumt: Wird nicht durch die hier vertretene Ansicht die Regelung von § 243 Abs. 2 BGB unterlaufen? Es wird sich zeigen, dass diese Gefahr in der Tat besteht und dass es daher, wie schon an dieser Stelle zur Vermeidung von Missverständnissen hervorgehoben sei, für die Fälle der nachträglichen Unmöglichkeit einer wesentlichen Einschränkung des Nachlieferungsanspruchs bedarf54, doch handelt es sich dabei um ein eigenständiges und mehrschichtiges Problemfeld, das demgemäß gesondert zu erörtern ist.
V. Die Konsequenzen der Möglichkeit eines Nachlieferungsanspruchs bei der Stückschuld für die Regelung von § 243 Abs. 2 BGB 1. Die Verwandlung der Gattungsschuld in eine Stückschuld mit unersetzbarer Primärleistung nach § 243 Abs. 2 BGB Hat der Schuldner das zur Leistung einer nur der Gattung nach bestimmten Sache seinerseits Erforderliche getan, so beschränkt sich nach § 243 Abs. 2 BGB das Schuldverhältnis auf diese Sache. Das bedeutet anerkanntermaßen, dass der Gattungsschuldner von diesem Zeitpunkt an die Leistungsgefahr nicht mehr trägt und der Gläubiger also nicht die Lieferung einer anderen Sache verlangen kann, wenn die Sache, auf die sich das Schuldverhältnis konkretisiert hat, durch Zufall untergeht oder verschlechtert wird. Im Schrifttum wird nun die Ansicht vertreten, nach dem neuen Kaufrecht könne der Käufer anders als bisher auch nach der Konkretisierung eine Neulieferung verlangen, weil er jetzt ja auch beim Stückkauf einen Anspruch auf eine solche habe55. Bei einer Auseinandersetzung mit dieser Ansicht empfiehlt es sich, die Fälle des Untergangs und der Verschlechterung getrennt zu diskutieren.
__________
54 Vgl. unten V 2, insbesondere bei Fn. 66; insoweit abweichend, jedoch ohne Erkenntnis des Problems Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 412 ff. 55 Vgl. Haas in Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendland (Hrsg.), Das neue Schuldrecht, 2002, Kap. 5 Rz. 84 (für den Fall der Entstehung eines Mangels); ihm folgend Xander (Fn. 10), S. 282; im Ergebnis, wenngleich ohne Diskussion der Problematik von § 243 Abs. 2 BGB, auch Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 412 ff.
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a) Der Untergang der Sache Der Übergang der Leistungsgefahr auf den Käufer nach § 243 Abs. 2 BGB wird nur relevant, sofern die Preisgefahr noch nicht auf ihn übergegangen ist. Es stellt sich daher die Vorfrage, ob es solche Konstellationen überhaupt gibt. Das ist in der Tat der Fall. So tritt bei einer Holschuld die Konkretisierung ein, sobald die Sache ausgesondert und für den Käufer bereitgestellt und dieser hiervon benachrichtigt worden ist56, wohingegen die Preisgefahr nach § 446 BGB erst mit der Übergabe auf den Käufer übergeht. Bei der Schickschuld erfolgt die Konkretisierung mit der Übergabe der Sache an die Transportperson57. Zwar geht die Preisgefahr nach § 447 BGB grundsätzlich ebenfalls mit diesem Ereignis über, doch gilt das nach § 474 Abs. 2 BGB nicht für den Verbrauchsgüterkauf und daher ist bei einem solchen nach § 446 BGB für die Preisgefahr der Zeitpunkt der Übergabe an den Käufer maßgeblich, während die Leistungsgefahr nach § 243 Abs. 2 BGB auch hier mit der Übergabe an die Transportperson, also schon vorher übergeht, weil eine Schickschuld auch beim Verbrauchsgüterkauf eine solche bleibt und durch § 474 Abs. 2 BGB nicht etwa zur Bringschuld wird58. In derartigen Fällen wird somit die Frage relevant, ob der Käufer Lieferung einer anderen Sache verlangen kann, wenn die für ihn bereit gestellte oder die der Transportperson übergebene Sache durch ein vom Verkäufer nicht zu vertretendes Ereignis untergeht. Das ist entgegen der eingangs zitierten Ansicht zu verneinen. Man darf sich nämlich nicht einfach mit dem undifferenzierten Hinweis begnügen, dass es einen Nachlieferungsanspruch auch bei der Stückschuld gibt, sondern muss selbstverständlich auch hier berücksichtigen, dass das nur für die Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung gilt. Die entscheidende Frage ist also, ob § 243 Abs. 2 BGB die Verwandlung der Gattungsschuld in eine Stückschuld mit ersetzbarer oder mit unersetzbarer Primärleistung anordnet. Wie bei einer vertraglichen Stückschuld der (ausgelegte) Wille der Parteien über die Ersetzbarkeit entscheidet59, so muss hier insoweit folgerichtig die Norm, die das Entstehen einer Stückschuld anordnet, also § 243 Abs. 2 BGB den Ausschlag geben. Danach aber kommt nur die Annahme von Unersetzbarkeit in Betracht, so dass ein Nachlieferungsanspruch ausscheidet. Das folgt schon aus dem Wortlaut von § 243 Abs. 2 BGB, der ja nicht von einer Stückschuld spricht, sondern – wesentlich präziser – sagt, dass „das Schuldverhältnis sich auf diese Sache beschränkt“. Wäre diese Sache für den Fall ihres Untergangs ersetzbar, hätte sich das Schuldverhältnis gerade nicht auf sie beschränkt. Entscheidend kommt hinzu, dass der Zweck von § 243 Abs. 2 BGB verfehlt würde, wenn man eine Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung
__________ 56 Vgl. z. B. Westermann in Erman, 11. Aufl. 2004, § 243 BGB Rz. 15; Emmerich in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 243 BGB Rz. 31. 57 Vgl. z. B. Westermann in Erman (Fn. 56) § 243 BGB Rz. 16; Emmerich in MünchKomm.BGB (Fn. 56), § 243 BGB Rz. 29. 58 So mit Recht z. B. St. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 29), § 474 BGB Rz. 34; Grunewald in Erman (Fn. 56), § 474 BGB Rz. 9; Xander (Fn. 10), S. 296 f. 59 Vgl. oben III 1.
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annehmen und also einen Nachlieferungsanspruch bejahen würde. Denn dann würde der Schuldner durch die Konkretisierung ja gerade nicht von der Leistungsgefahr befreit, und das wäre umso widersinniger, als dieser Effekt keineswegs nur in irgendwelchen Einzelfällen einträte, sondern generell, weil es bei nur der Gattung nach bestimmten Sachen zwangsläufig so gut wie immer andere gleichartige und gleichwertige Stücke gibt. Die Anerkennung eines Nachlieferungsanspruchs würde folglich zur praktischen Gegenstandslosigkeit und somit zur Zerstörung der Regelung des § 243 Abs. 2 BGB führen. Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber eine solch dramatische Konsequenz in Kauf genommen oder gar gewollt hat. Das bedeutet freilich zugleich, dass man aus der Neuregelung des Leistungsstörungs- und des Kaufrechts folgerichtig auch nichts zugunsten einer Möglichkeit des Gattungsschuldners herleiten kann, eine andere Sache zu liefern, wenn die Sache, auf die sich das Schuldverhältnis konkretisiert hat, untergegangen ist60. Insoweit bleibt es daher bei der alten Streitfrage, ob auch der Schuldner an den Eintritt der Konkretisierung gebunden ist oder diese gegebenenfalls rückgängig machen kann61, doch ist darauf hier nicht einzugehen, weil dieses Problem nicht spezifisch für die vorliegende Thematik ist. b) Die Verschlechterung der Sache Geht die Sache nach der Konkretisierung nicht unter, sondern verschlechtert sie sich, so scheint man zunächst vor einer anderen und komplexeren gesetzlichen Ausgangslage zu stehen. Denn da dann ein Sachmangel im Sinne von § 434 BGB vorliegt, könnte man auf den ersten Blick meinen, ein Nachlieferungsanspruch ergebe sich ohne weiteres aus § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB. Das trifft jedoch in Wahrheit nicht zu, da dieser Anspruch an § 275 Abs. 1 scheitert, wenn die Sache nicht ersetzbar ist62, und es in den Fällen von § 243 Abs. 2 BGB, wie soeben dargelegt, an der Ersetzbarkeit fehlt. Für dieses Ergebnis spricht zugleich, dass es sonst zu einer Ungleichbehandlung von Untergang und Verschlechterung der Sache käme und in dieser ein untragbarer Wertungswiderspruch läge. Denn es gibt keinen legitimierenden Gesichtspunkt dafür, dass der Käufer einen Anspruch auf Neulieferung hat, wenn der gekaufte Neuwagen nach Eintritt der Konkretisierung schwer beschädigt wird, nicht dagegen, wenn er gänzlich zerstört wird. Dieser Wertungswiderspruch wäre hier nicht einmal dadurch zu beheben, dass man wie bezüglich der unter IV behandelten Problematik die Unmöglichkeit dem Sachmangel im Wege der Analogie gleichstellt, weil dadurch, wie soeben dargelegt, die Regelung des § 243 Abs. 2 BGB im Kern zerstört würde. Es bleibt daher nur der umgekehrte Weg, hier den nachträglichen Eintritt eines Mangels
__________ 60 A. A., jedoch nicht überzeugend, Schroeter, AcP 207 (2007), 52. 61 Vgl. dazu z. B. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 10 III 2; Westermann in Erman (Fn. 56), § 243 BGB Rz. 19; Emmerich in MünchKomm.BGB (Fn. 56), § 243 BGB Rz. 33 ff.; Faust, ZGS 2004, 257 f. 62 Vgl. oben III 2 a.
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ebenso zu behandeln wie die Unmöglichkeit und also den Nachlieferungsanspruch zu verneinen. Der Einwand, dass dadurch stattdessen ein Wertungswiderspruch zwischen nachträglich entstandener und ursprünglicher Stückschuld in Kauf genommen werde63, geht fehl, weil es ja auch bei dieser die Schuld mit unersetzbarer Leistung und damit den genauen Parallelfall zur hier für § 243 Abs. 2 BGB vertretenen Lösung gibt. Im praktischen Ergebnis hat somit § 243 Abs. 2 BGB Vorrang vor § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB. Das beruht aber nicht etwa auf einem Spezialitätsverhältnis, sondern darauf, dass – um es noch einmal zu unterstreichen – § 243 Abs. 2 BGB eine Stückschuld mit unersetzbarer Leistung begründet und eine Ersatzlieferung daher gar nicht möglich ist, weil eine andere Sache nicht – auch nicht ersatzweise – geschuldet wird. Diese Lösung ist ohne weiteres mit der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf vereinbar. Denn wie sich aus deren Erwägungsgrund Nr. 14 ergibt, brauchen die Staaten die Vorschriften über den Gefahrübergang nicht zu ändern. Da § 243 Abs. 2 BGB eine solche Vorschrift darstellt, ist deren Vorrang vor § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB zweifelsfrei richtlinienkonform. Der Gesetzgeber hätte wegen des Erwägungsgrundes Nr. 14 nicht einmal die Ausnahme von § 447 BGB in § 474 Abs. 2 BGB zu statuieren brauchen64. Hätte er das unterlassen, ginge beim Versendungskauf sogar die Preisgefahr und damit auch die Leistungsgefahr mit Übergabe der Sache an die Transportperson auf den Verbraucher über. Also muss es europarechtlich erst recht zulässig sein, dass in diesem Zeitpunkt nur die Leistungsgefahr übergeht, wie das die Folge von § 243 Abs. 2 BGB ist. In der Tat ist diese Lösung für den Käufer immer noch sehr schonend, da ihm bei einer Verschlechterung der Sache nach Konkretisierung der Gattungsschuld immerhin der Anspruch auf Beseitigung des Mangels nach § 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB, sofern dieser behebbar ist, sowie die Rechte zum Rücktritt und zur Minderung bleiben und ihm die Tragung der Preisgefahr durch § 474 Abs. 2 BGB ohnehin erspart bleibt. 2. Die analoge Anwendung von § 243 Abs. 2 BGB auf den Stückkauf mit ersetzbarer Primärleistung Kehren wir ein letztes Mal zum Stückkauf mit ersetzbarer Primärleistung zurück. Auf diesen ist § 243 Abs. 2 BGB analog anzuwenden65 mit der Folge, dass dieser zu einem Stückkauf mit unersetzbarer Primärleistung wird, sobald der Schuldner das zur Leistung seinerseits Erforderliche getan hat. Denn anderenfalls würde der Schuldner beim Stückkauf mit ersetzbarer Primärleistung strenger haften als beim Gattungskauf, was ein geradezu grotesker Wertungswiderspruch wäre.
__________ 63 So Tiedtke/Schmitt, JuS 2005, 587. 64 Vgl. z. B. St. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 29), § 474 BGB Rz. 32; Grunewald in Erman (Fn. 56), § 474 BGB Rz. 9. 65 Vgl. schon Canaris in Schuldrechtsmodernisierung 2002 (Fn. 7), S. XXIV; ablehnend Haas (Fn. 55), Kap. 5 Rz. 84.
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Es gibt somit auch beim Stückkauf mit ersetzbarer Primärleistung eine Konkretisierung, durch deren Eintritt der Verkäufer von der Gefahr eines Untergangs und einer Verschlechterung der Sache durch ein von ihm nicht zu vertretendes Ereignis befreit wird. Dafür gelten dieselben Kriterien wie bei unmittelbarer Anwendung von § 243 Abs. 2 BGB. Das bedeutet z. B. für die oben unter IV behandelten Fälle, dass der Käufer einer als ersetzbar verkauften Sache keinen Anspruch auf Lieferung einer Ersatzsache hat, wenn jene bei einem Versendungskauf nach Übergabe an die Transportperson durch ein vom Verkäufer nicht zu vertretendes Ereignis untergegangen oder verschlechtert worden ist66.
VI. Fazit Insgesamt erweist sich, dass die Unterscheidung zwischen Verpflichtungen mit ersetzbarer und Verpflichtungen mit unersetzbarer Primärleistung durchaus fruchtbar und der – auf einer anderen Ebene liegenden – Unterscheidung zwischen Gattungs- und Stückschulden, so unverzichtbar diese bleibt, ebenbürtig, ja wohl sogar in mancher Hinsicht überlegen ist. Eine eher beiläufige Bemerkung in den Erwägungsgründen einer EG-Richtlinie und deren – zumindest tendenzielle, aber wenig reflektierte – Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber haben somit zur Entstehung einer neuen Rechtsfigur geführt. Das ist gerade dann, wenn man wie der Autor dieser Zeilen die mit der europäischen Integration verbundenen Sorgen um das Niveau unserer Rechtskultur sehr ernst nimmt, eine erfreuliche Einsicht. Zugleich zeigt sich am vorliegenden Exempel in nuce, wie sich Recht und Rechtswissenschaft typischerweise fortentwickeln: kaum je durch auftrumpfende oder gar revolutionäre neue Großentwürfe, sondern meist punktuell und tastend durch die eher beiläufige Einführung neuer, oft aber immerhin schon praxiserprobter Rechtsgedanken. Diese treten in der Regel zunächst ganz unspektakulär, ja mitunter geradezu in Aschenputtel-Manier verkleidet auf, bevor sie dann von der Rechtswissenschaft ins helle Licht des dogmatischen Bewusstseins gehoben werden und damit zugleich durch klare Ausformulierung und folgerichtige Realisierung aller ihrer Konsequenzen ihre volle Wirkungskraft und Dynamik erlangen.
__________ 66 A. A. Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 412 ff., jedoch ohne Erörterung von § 243 Abs. 2 BGB.
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Schiedsgerichte und Erbrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. § 1066 ZPO III. Grundfragen 1. Verfassungsrecht 2. Zivilrechtliche Qualifizierung
V. Streitgegenstand VI. § 2065 BGB VII. Pflichtteilsrecht VIII. Schlussbemerkung
IV. Testament und Erbvertrag
I. Einleitung Der Jubilar ist ein gefragter Gutachter und Schiedsrichter, insbesondere auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts und des Gesellschaftsrechts bzw. diese Teilrechtsordnungen betreffenden Rechtsstreitigkeiten. Da gesellschaftsrechtliche Probleme regelmäßig – zumindest mittelbar – auch die Unternehmensnachfolge und damit die erbrechtliche Situation betreffen, liegt es nahe zu untersuchen, ob und mit welchem Inhalt (auch) erbrechtliche Streitigkeiten vor privaten Schiedsgerichten ausgetragen werden können. Ob es ratsam ist, für erbrechtliche Streitigkeiten ein Schiedsgericht zu installieren, wird im Schrifttum nicht einheitlich beurteilt1. Zunehmend wird darauf hingewiesen, dass erbrechtliche Streitigkeiten vor staatlichen Gerichten „ein zweifelhaftes Alter erreichen können“2 und dass gerade bei Streitigkeiten zwischen Erben und Vorhandensein von unternehmerischem Vermögen die größere Sachkunde und die zügigere Streitentscheidung durch ein Schiedsgericht dafür sprechen, auch auf erbrechtlichem Gebiet Schiedsgerichte einzusetzen. Dem soll hier nicht weiter nachgegangen werden, vielmehr geht es allein darum, ob Schiedsgerichte für erbrechtliche Streitigkeiten überhaupt möglich sind und – bejahendenfalls – welche Kompetenzen derartige Schiedsgerichte im Zusammenhang mit dem erbrechtlichen Regelungssystem haben können.
II. § 1066 ZPO Ausdrücklich wird die Frage, ob letztwillige Schiedsgerichte, also Schiedsgerichte, die aufgrund Erblasseranordnung in erbrechtlichen Streitigkeiten ent-
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1 Z. B. Haas, ZEV 2007, 49; Goll/Hieke, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 2001, S. 837 ff.; Otte in FS Rheinisches Notariat, 1998, S. 241 Fn. 2; Pawlytta, ZEV 2003, 89; Schulze, MDR 2000, 314. 2 Pawlytta, ZEV 2003, 89.
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scheiden sollen, zulässig sind, vom Gesetz nicht beantwortet. Allerdings liegt es nach § 1066 ZPO so, dass für Schiedsgerichte, die in gesetzlich statthafter Weise durch letztwillige oder andere nicht auf Vereinbarung beruhende Verfügungen angeordnet werden, die Vorschriften der §§ 1025 ff. ZPO entsprechend anzuwenden sind3. Der Verweis in § 1066 ZPO ist zirkelschlussartig, weil nämlich die §§ 1025 ff. ZPO ihrerseits Regelungen vorsehen, welche die schiedsgerichtliche Zuständigkeit begründen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass § 1066 ZPO auf erbrechtliche Normen Bezug nimmt. Allerdings enthält das Erbrecht selbst wiederum keine Regelungen zu Schiedsgerichten von Todes wegen. Nach allem sollte § 1066 ZPO aber so verstanden werden, dass er von einer prinzipiellen Zulässigkeit letztwilliger Schiedsgerichte, also von Schiedsgerichten, die sich mit erbrechtlichen Streitigkeiten auseinandersetzen, ausgeht4. Gleichwohl ist der Wortlaut des § 1066 ZPO nicht ohne Bedeutung, weil nämlich sowohl auf §§ 1025 ff. ZPO als auch auf das Erbrecht Bezug genommen wird. Im Ergebnis heißt das, dass ein letztwilliges Schiedsgericht sowohl den Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO entsprechen muss als auch das erbrechtliche Normengefüge zu beachten hat. Wenn also in § 1066 ZPO vorausgesetzt wird, dass es ein „erbrechtliches Schiedsgericht“ geben kann, dann werden damit aber nicht die Voraussetzungen geregelt, unter denen das Schiedsgericht erbrechtlich zulässig ist. Letztlich ergibt sich aus §§ 1029, 1026 ZPO ein stimmiges Gefüge: Bei den regelmäßig zweiseitig vereinbarten Schiedsgerichten bestimmt sich die sachlich-rechtliche Gültigkeit nach materiellem Recht5, also nach den Regeln über dass Zustandekommen eines Vertrages. Anders liegt es bei erbrechtlichen Schiedsgerichten, bei denen grundsätzlich ein wirksames Testament erforderlich ist6. Schon an dieser Stelle zeigt sich eine (möglicherweise überraschende) Besonderheit der letztwilligen Schiedsgerichte. Während die üblichen, vertraglich vereinbarten Schiedsgerichte eine bewusst eingegangene Bindungswirkung der Schiedsgerichtsparteien zur Grundlage haben, liegt es bei letztwilligen Schiedsgerichten so, dass sich die Bindungswirkung aufgrund einer einseitigen letztwilligen Anordnung ergibt, so dass letztlich Rechtssubjekte in die schiedsgerichtliche Vereinbarung einbezogen werden sollen, die überhaupt nicht „Vertragspartner“ sind. Hier zeigt sich dann nochmals die Besonderheit des § 1066 ZPO. Zwar wird in der Norm auf die allgemeinen Regeln der §§ 1025 ff. ZPO Bezug genommen, doch kann § 1031 ZPO auf testamentarisch angeordnete Schiedsgerichte keine Anwendung finden. Die Formvorschrift des § 1031 ZPO ist nach Wortlaut und Sinn und Zweck auf zweiseitige Schiedsvereinbarungen zugeschnitten. Wenn § 1066 ZPO auch erbrechtliche Schiedsgerichte für zulässig hält, dann kann § 1031 ZPO bei testamentarisch, einseitig ange-
__________ 3 Zur Entwicklung hin zu § 1066 ZPO Haas, ZEV 2007, 49; Karsten Schmidt, JZ 1989, 1077. 4 So RGZ 100, 76; 170, 380; OLG Hamm, NJW-RR 1991, 455; Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 1066 ZPO Rz. 2; Geimer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 1066 ZPO Rz. 15. 5 Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 4), § 1029 ZPO Rz. 2 f., 17. 6 Für viele Geimer in Zöller (Fn. 4), § 1066 ZPO Rz. 15.
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ordneten Schiedsgerichten nicht angewendet werden. Es müssen die Formvorschriften der §§ 2231 ff., 2247 ff., 2267 BGB gelten7. Nach allem verwirklicht § 1066 ZPO in konsequenter Weise die erbrechtliche Testierfreiheit. Wenn die Privatautonomie im Wege der vertraglichen Vereinbarung zustande gekommene Schiedsgerichte erlaubt, dann muss dies auch für den Teilbereich des Zivilrechts gelten, in dem durch einseitige Verfügung von Todes wegen die Rechtslage gesteuert werden kann. Es sei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass damit nur im Grundsatz ausgesagt wird, dass ein Erblasser einem Schiedsgericht die Entscheidung über erbrechtliche Fragen zuweisen kann.
III. Grundfragen 1. Verfassungsrecht Aus Art. 19 Abs. 4, 92, 101 Abs. 1 Satz 2, 103 GG wird als spezielle Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips des GG der allgemeine Justizgewähranspruch hergeleitet; im Einzelnen bedeutet das die Gewähr von (staatlichem) Rechtschutz, Streitentscheidung durch die rechtsprechende Gewalt, insbesondere durch Richter8. Existiert also ein subjektives öffentliches Recht des Staatsbürgers auf das Tätigwerden von Gerichten9, so ist schon für die Schiedsgerichtsbarkeit im Allgemeinen zu fragen, wie sie sich zu Art. 92 GG verhält, der staatliche Gerichte voraussetzt. Führt man sich vor Augen, dass jeder schiedsgerichtlich zu entscheidende Streit grundsätzlich eine Angelegenheit der staatlichen Rechtspflege ist, dann muss sich der Rückzug der staatlichen Gerichtsbarkeit zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit an Art. 92 GG messen lassen10. In diesem Zusammenhang wird die Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts in §§ 1025 ff. ZPO als verfassungsrechtlich kritisch angesehen, weil die Schiedsgerichtsbarkeit anders als nach § 1025 Abs. 1 ZPO a. F. aufgrund § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur noch davon abhängig ist, dass es um einen vermögensrechtlichen Anspruch geht, der Gegenstand der Schiedsvereinbarung ist11. Dabei liegt die Problematik darin, dass die derzeitigen Regelungen der ZPO eine von der Vergleichsbefugnis der Parteien losgelöste, also aus sich selbst heraus gegründete Entscheidungsbefugnis einräumen. Letztlich sollten diese allgemeinen Bedenken gegen die Schiedsgerichtsbarkeit nicht durchgreifen. Zum einen ist auf den von § 1059 ZPO vorgesehenen Rechtsbehelf, auf die Möglichkeit der gerichtlichen Aufhebung hinzuweisen. Aber auch dann, wenn man dies als relativ eingeschränkte Möglichkeit der Überprüfung qualifiziert und auch den alternativen einstweiligen Rechtsschutz des § 1033 ZPO eher gering einschätzt, ist darauf hinzuweisen, dass die
__________ 7 Haas, ZEV 2007, 49, 50; Otte in Staudinger, BGB, Neubearb. 2000, vor §§ 1937–1941 BGB Rz. 6. 8 HStR VI/Papier, 1989, § 153; Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 20 GG Rz. 162 ff.; Degenhart in Sachs, Art. 101 GG Rz. 2; Art. 103 GG Rz. 44c. 9 Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 4), vor § 253 ZPO Rz. 1. 10 BVerfGE 27, 18; Detterbeck in Sachs (Fn. 8), Art. 92 GG Rz. 29 m. N. 11 Detterbeck in Sachs (Fn. 8), Art. 92 GG Rz. 29 m. N.
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üblichen Schiedsvereinbarungen privatautonome Rechtsgeschäfte darstellen, mit denen sich die grundsätzlich der staatlichen Gerichtsbarkeit Unterworfenen einem privat urteilenden Gremium unterwerfen. Versteht man eine Schiedsvereinbarung als Ausfluss der Privatautonomie des Rechtssubjekts, dann ist nicht einzusehen, dass sich dieses Rechtssubjekt nicht in der Art und Weise „entrechten“ darf, indem es sich der grundsätzlich eingreifenden staatlichen Rechtsprechungskompetenz entzieht. Allerdings gelten die vorstehenden Überlegungen nur, soweit Parteien der Schiedsvereinbarung genau diejenigen Subjekte sind, die dann auch Parteien des tatsächlich tätig werdenden Schiedsgerichts werden/sind. Probleme können sich ergeben, wenn es aufgrund der Schiedsvereinbarung zu einem Schiedsgericht kommen soll, bei dem Partei ein Rechtssubjekt ist, welches nicht unmittelbar die Schiedsabrede mit vereinbart hat. Dabei geht es in erster Linie um gesellschaftsrechtliche Konstellationen12. Hier besteht Einvernehmen darüber, dass beispielsweise bezüglich der Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft für Verbindlichkeiten der Gesellschaft die Erstreckung der Schiedsvereinbarung der Gesellschaft auf den Gesellschafter mit der Überlegung zu rechtfertigen ist, dass es sich um einen einheitlichen Anspruch handelt, der auch den Haftungsanspruch gegenüber dem Anteilseigner betrifft. Im Übrigen kann sich eine Schiedsvereinbarung kraft Gesamtrechtsnachfolge oder Einzelrechtsnachfolge auf Dritte erstrecken13. Zwar könnte man vordergründig der Ansicht sein, dass es sich im Erbfall um einen Fall der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) handelt, so dass der Erbe bzw. die Miterben schon aus diesem Gesichtspunkt heraus an die letztwillige Schiedsgerichtsanordnung gebunden sind, doch ist darauf hinzuweisen, dass die Schiedsgerichtsanordnung von Todes wegen im Ergebnis wie eine Anordnung zu Lasten Dritter, nämlich der Erben wirkt. Speziell im Zusammenhang mit Pflichtteilsansprüchen wird diskutiert, ob die Einbeziehung eines Pflichtteilsberechtigten in die letztwillige Schiedsgerichtsanordnung zulässig ist14. Im verfassungsrechtlichen Kontext, bei der Frage, ob der Justizgewähranspruch erfordert, dass staatliche Gerichte tätig werden, geht es darum, ob das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf die grundsätzlich staatliche Gerichtsbarkeit durch eine Schiedsgerichtsanordnung von Todes wegen verletzt wird. Die Frage ist zu verneinen. Führt man sich (nochmals) dazu vor Augen, dass die Anordnung eines letztwilligen Schiedsgerichts letztlich Ausfluss der Testierfreiheit und damit der erbrechtlichen Privatautonomie ist, dann muss es zu dieser auch im Erbrecht wirkenden Privatautonomie gehören, dass der (potentielle) Erblasser in einer Verfügung von Todes wegen für eventuelle Streitigkeiten aufgrund des Erbfalls ein privates Schiedsgericht einsetzt. Das wird durch die Überlegung unterstützt, dass der Justizgewähranspruch letzt-
__________ 12 Näher Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 2. Aufl. 2002, Rz. 351 ff. 13 BGHZ 68, 356; Lachmann (Fn. 12), Rz. 358 f. 14 Dazu vorerst Schulze, MDR 2000, 314, 316 sowie unten VII.
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lich einen effektiven, wirkungsvollen Rechtsschutz einräumen will15 und aussagt, dass in jedem speziellen Sachverhalt eine gerichtliche Streitentscheidung möglich sein soll. Wird aber andererseits durch die ZPO die private Schiedsgerichtsbarkeit mit der eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit durch staatliche Gerichte anerkannt, dann sollte daraus zwanglos zu folgern sein, dass die von der ZPO vorausgesetzte Schiedsgerichtsbarkeit ein als der staatlichen Gerichtsbarkeit gleichwertiger „Rechtsweg“ anzusehen ist. Schließt man das mit der erbrechtlichen Privatautonomie kurz, dann ergibt sich aus dem Umstand, dass aufgrund der letztwilligen Schiedsgerichtsanordnung ein nicht an der Vereinbarung Beteiligter belastet wird, jedenfalls keine Verletzung des Justizgewähranspruchs16. 2. Zivilrechtliche Qualifizierung Wenn § 1066 ZPO u. a. letztwillige Schiedsgerichte vorsieht, dann ordnen sich die Regeln der ZPO zwanglos in die bürgerlich-rechtliche Rechtsgeschäftslehre ein. Handelt es sich um ein „normales“ per Vereinbarung eingesetztes Schiedsgericht, dann hat es seine Ursache in einer vertraglichen Regelung. Indem § 1066 ZPO auf letztwillige Verfügungen rekurriert wird deutlich, dass es sich zwar ebenfalls um ein Schiedsgericht mit einer Grundlage in einem privaten Rechtsgeschäft handelt, dass dieses private Rechtsgeschäft dann aber aufgrund einer einseitigen Anordnung, aufgrund eines Testaments zustande kommt17. Handelt es sich demnach bei dem letztwillig vorgesehenen Schiedsgericht um ein einseitiges Rechtsgeschäft, dann ist damit noch nicht entschieden, wie die Einsetzung des Schiedsgerichts innerhalb der letztwilligen Verfügungen zu qualifizieren ist. Im Schrifttum wird von manchen vertreten, dass es sich bei einer Schiedsgerichtsanordnung des § 1066 ZPO materiell-rechtlich, also erbrechtlich, um eine Auflage handle18. Dabei wird aber teilweise einschränkend hinzugefügt, dass diese Auflage nicht als belastend einzustufen sei, soweit sie die Gewähr für eine unparteiliche und unabhängige Rechtsprechung biete19. Die wohl überwiegende Meinung knüpft an die Entscheidung RGZ 100, 76 an und verneint den Typus der Auflage bei einer letztwilligen Schiedsgerichtsanordnung. Im Ergebnis sollten immer noch die im Jahre 1920 vom RG angestellten Überlegungen maßgebend sein. In der Entscheidung heißt es wörtlich20: „Die Zulässigkeit folgt vielmehr ohne weiteres aus der Erwägung, dass der Inhalt letztwilliger Anordnungen keinen anderen als den sich aus dem Gesetz ergebenden Ein-
__________ 15 BVerfGE 54, 277, 291. 16 I. E. ähnlich Pawlytta, ZEV 2003, 89, 94. 17 Vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 4), § 1066 ZPO Rz. 1 f.; Münch in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl. 2001, vor § 1025 ZPO Rz. 1. 18 J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 2306 BGB Rz. 14; Kohler, DNotZ 1962, 125. 19 J. Mayer in Bamberger/Roth (Fn. 18), § 2306 BGB Rz. 14. 20 RGZ 100, 77, 78. Allerdings wirft der Tatbestand der Entscheidung Zweifel auf, ob tatsächlich ein Schiedsgericht gewollt war; die Gründe der Revisionsentscheidung bleiben davon unberührt.
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Die Auffassung des RG ist auch heute noch überzeugend, weil die Qualifizierung der Schiedsgerichtsanordnung als Auflage nicht erklären könnte, warum der konkrete Rechtsstreit per Schiedsgericht zu entscheiden ist und warum im Prozess vor dem staatlichen Gericht die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit erhoben werden kann21. Auch für das materielle Recht ergäben sich bei der Einstufung als Auflage Konsequenzen, die mit der Zielsetzung der letztwilligen Schiedsgerichtsanordnung kollidieren. Nach §§ 2192, 2147 Satz 1 BGB können zwar Erben und Vermächtnisnehmer mit Auflagen beschwert sein, nicht aber ein Testamentsvollstrecker, der keine materielle Zuwendung aus dem Nachlass erhält22. Im Übrigen lässt sich die letztwillige Schiedsgerichtsanordnung kaum mit dem Begriff der Auflage in § 1940 BGB vereinbaren. Zwar ermöglicht es die Auflage einem Erblasser, auf das Verhalten der Erben in rechtsverbindlicher Weise Einfluss zu nehmen, doch ist es kennzeichnend für die Auflage, dass einem Erben oder einem Vermächtnisnehmer eine Verpflichtung auferlegt wird, ohne dass eine begünstigte Person ein Recht auf die Leistung erhält23. Die Auflage hat also eine (vermögensmäßige) Leistungsverpflichtung zugunsten eines anderen Rechtssubjekts zur Konsequenz, demgegenüber die letztwillige Schiedsgerichtsanordnung rein prozedural den Zweck hat, dass etwaige Streitigkeiten nicht vor dem staatlichen, vielmehr vor einem privaten Schiedsgericht geklärt werden sollen. Zudem könnte die Auflage – wie oben schon angedeutet – nicht erklären, dass die Schiedsgerichtsanordnung prozessual zur Einrede der Unzuständigkeit des staatlichen Gerichts führt. Nach allem handelt es sich bei der letztwilligen Schiedsgerichtsanordnung um ein einseitiges privatrechtliches Rechtsgeschäft, welches seine Ursache in der erbrechtlichen Privatautonomie hat und die genannten verfahrensrechtlichen Konsequenzen nach sicht zieht. Insofern ist die Aussage des § 1066 ZPO eigentlich selbstverständlich. Wenn denn die erbrechtliche Privatautonomie grundsätzlich zu beachten ist, dann kann ein (potentieller) Erblasser auch einseitig eine letztwillige Schiedsgerichtsanordnung treffen, für die dann § 1066 ZPO grundsätzlich die Vorschriften über die vertraglich vereinbarten Schiedsgerichte für anwendbar erklärt.
__________ 21 Otte in Staudinger (Fn. 7), vor §§ 1937–1941 BGB Rz. 7. 22 Näher Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 241, 243. 23 Leipold in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 1940 BGB Rz. 2; Edenhofer in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 1940 BGB Rz. 1.
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IV. Testament und Erbvertrag Bislang ist davon ausgegangen worden, dass die in § 1066 ZPO erwähnte Anordnung eines Schiedsgerichts durch letztwillige Verfügung per Testament, also durch ein einseitiges Rechtsgeschäft erfolgt. Zu fragen ist weiterhin, ob § 1066 ZPO auch Erbverträge der §§ 2274 ff. BGB erfasst. Auszugehen ist von der Dogmatik des Erbvertrags, der heute nicht mehr als ein Testament besonderer Art angesehen wird24, sondern als ein echter Vertrag, der eine Bindung des Erblassers an seine vertragsmäßigen Verfügungen von Todes wegen nach sich zieht25. Offenbar aus dem Vertragscharakter des Erbvertrags wird von manchen gefolgert, dass bei einem in einem Erbvertrag vorgesehenen Schiedsgericht nicht § 1066 ZPO einschlägig ist, vielmehr unmittelbar die §§ 1025 ff. ZPO, damit also auch § 1031 ZPO, der die besondere Form der Schiedsvereinbarung vorsieht26. Die Gegenansicht subsumiert auch Erbverträge unter § 1066 ZPO, verweist dann allerdings ohne weitere Begründung auf § 2299 BGB, wonach jeder der an einem Erbvertrag Beteiligten in dem Erbvertrag einseitig eine Verfügung treffen kann, die auch durch ein Testament erfolgen kann27. Der Hinweis auf § 2299 BGB ist ersichtlich von der Idee getragen, dass die einseitige Verfügung in einem Erbvertrag grundsätzlich nicht den erbvertraglichen Bindungen unterliegt, vielmehr als einseitige Verfügung wie ein Testament nach §§ 2253 f., 2258 BGB widerrufen werden kann. Der Hinweis auf § 2299 BGB sollte im Ergebnis der zutreffende Ansatzpunkt sein, ob Erbverträge Konstellationen des § 1066 ZPO sind. Handelt es sich um eine einseitige, testamentarische Verfügung innerhalb des Erbvertrags, so gelten die Grundsätze des Testaments, mithin auch § 1066 ZPO. Handelt es sich demgegenüber um eine Schiedsabrede zwischen den am Erbvertrag Beteiligten, beispielsweise um Streitigkeiten aus dem Erbvertrag zwischen den Beteiligten zu schlichten, dann geht es um eine normale vertragsmäßig abgeschlossene Schiedsvereinbarung, für die § 1066 ZPO nicht gilt28.
V. Streitgegenstand Nach § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann (nur) jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung und infolge davon Streitgegenstand des privaten Schiedsgerichts sein. Indem § 1066 ZPO auf § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO verweist, scheint sich eine in sich stimmige Lösung zu ergeben: Soweit es um vermögensrechtliche Ansprüche innerhalb des „erbrechtlichen
__________ 24 So Werneburg, DNotZ 1916, 209. 25 BGHZ 26, 204; Musielak in MünchKomm.BGB (Fn. 23), vor § 2274 BGB Rz. 3; Edenhofer in Palandt (Fn. 23), vor § 2274 BGB Rz. 1, 3. 26 OLG Hamm, NJW-RR 1991, 455; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann (Fn. 4), § 1066 ZPO Rz. 2. 27 Geimer in Zöller (Fn. 4), § 1066 ZPO Rz. 15. 28 So wohl auch Otte in Staudinger (Fn. 7), vor §§ 1937–1941 BGB Rz. 6.
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Schiedsgerichts“ geht, können diese streitgegenständlich sein29. Das ist allerdings nicht unumstritten, weil zum Teil davon ausgegangen wird, dass § 1030 ZPO auf Schiedsgerichte von Todes wegen nicht passe30. Möglicherweise handelt es sich um ein Scheinproblem. Wenn nämlich § 1066 ZPO von der Zulässigkeit letztwilliger Schiedsgerichte ausgeht, dann muss auch der Kompetenzbereich des Schiedsgerichts im Rahmen der letztwilligen Verfügungsmöglichkeit des Erblassers angesiedelt sein. Da dieser Kompetenzbereich nur die erbrechtliche, einseitige Privatautonomie des Erblassers sein kann, muss der vom Schiedsgericht behandelte Streitgegenstand einen Anspruch zum Gegenstand haben, den der Erblasser auch seinem Inhalt nach durch eine letztwillige Verfügung bestimmen kann. Ein Schiedsgericht von Todes wegen soll erbrechtliche Streitigkeiten schlichten, so dass Streitgegenstand nur das Erbrecht, also derjenige Kompetenzbereich sein kann, den der Erblasser mit einer erbrechtlichen Verfügung privatautonom regeln kann. Im Ergebnis sind daher sämtliche Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung, deren Auslegung, Fragen der Erbberechtigung, der Anfechtbarkeit und andere Streitigkeiten, die sich aus Anlass des Erbfalls ergeben, schiedsfähig und können Streitgegenstand des letztwillig eingesetzten Schiedsgerichts sein31. Entscheidungsbefugt ist das Schiedsgericht auch bezüglich der Wirksamkeit seiner Bestellung. Dies ergibt sich aus §§ 1066, 1040 Abs. 1 ZPO und folgt aus der allgemeinen Überlegung, dass jedes Schiedsgericht die Wirksamkeit seiner Einsetzung als Vorfrage zu überprüfen hat. Hinzuweisen ist allerdings auf die Möglichkeit der gerichtlichen Aufhebung des Schiedsspruchs nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, c ZPO.
VI. § 2065 BGB Schon in der Leitentscheidung aus dem Jahre 1920 hat das RG „ein gewisses Bedenken gegen die uneingeschränkte Zulassung letztwilliger angeordneter Schiedsgerichte … aus § 2065 BGB“ geäußert32. In der Tat könnte die Einsetzung eines Schiedsgerichts zur Beilegung erbrechtlicher Streitigkeiten mit § 2065 BGB, mit dem Höchstpersönlichkeitsprinzip letztwilliger Verfügungen kollidieren. Rechtssystematisch einzuordnen ist § 2065 BGB in das umfassendere Prinzip der Testierfreiheit als Grundlage jeder gewillkürten Erbfolge33. Das BGB schützt die Testierfreiheit auf verschiedene Art und Weise. Beispielsweise ist
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29 Zu den Problemen, die sich aus § 1025 Abs. 1 ZPO a. F. (= Erfordernis der Vergleichsfähigkeit) ergaben, Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 241, 245 f. 30 Vgl. Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 23), § 1937 BGB Rz. 32; Schulze, MDR 2000, 314, 315; Otte in Staudinger (Fn. 7), vor §§ 1937–1941 BGB Rz. 8; dagegen Haas, ZEV 2007, 49, 52 f. 31 Näher z. B. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 4), § 1066 ZPO Rz. 2; Haas, ZEV 2007, 49, 53; Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 241, 247 ff. 32 RGZ 100, 76, 77 sowie oben II. 33 Instruktiv und m. N. Ebenroth, Erbrecht, 1992, Rz. 179 ff.
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nach § 2302 BGB ein Vertrag nichtig, mit welchem sich ein potentieller Erblasser verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, aufzuheben oder nicht auszuüben. Auch Erbvertragsparteien können nicht auf ihre Rechte zur Aufhebung des Vertrags oder zum Rücktritt verzichten. Ausdruck der Testierfreiheit ist dann auch die Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfügungen, und zwar in formaler Hinsicht aufgrund §§ 2064, 2274 BGB. In materieller Hinsicht wird die Höchstpersönlichkeit durch § 2065 Abs. 1 BGB abgesichert. Wenn § 2065 Abs. 1 BGB formuliert, dass der Erblasser eine letztwillige Verfügung nicht in der Weise treffen kann, dass ein Dritter zu bestimmen hat, ob sie gelten oder nicht gelten soll, dann bedeutet das, dass jede Fremdbestimmung durch eine dritte Person bei der Bestimmung des Erben usf. zur Nichtigkeit der Anordnung führt34. Im Zusammenhang mit der prinzipiellen Testierfreiheit bzw. der erbrechtlichen Privatautonomie könnte man durchaus daran zweifeln, welche inneren Gründe für § 2065 Abs. 1 BGB ausschlaggebend sind35, weil es durchaus Interessenslagen geben kann, in welchen es dem Willen des potentiellen Erblassers entsprechen würde, dass er beispielsweise die Bestimmung eines Erben in das Auswahlermessen eines Dritten stellt. Augenscheinlich ist der BGBGesetzgeber der Auffassung, dass es einen Kernbereich der erbrechtlichen Privatautonomie gibt, bezüglich derer sich der Erblasser nicht selbst entrechten darf. Dahinter steht wohl auch die Überlegung, dass im Falle der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Dritten nach dem Todesfall der Erblasser die Maßnahmen des Dritten weder kontrollieren noch rückabwickeln kann. Für das Zusammentreffen eines letztwilligen Schiedsgerichts mit § 2065 BGB ist früher vertreten worden, dass nur dann, wenn das Erbrecht selbst Ausnahmen von § 2065 BGB statuiere, Streitgegenstände einem erbrechtlich eingesetzten Schiedsgericht zugewiesen werden könnten36. Zutreffenderweise ist heute zunächst davon auszugehen, dass einem letztwilligen Schiedsgericht nicht die Kompetenz eingeräumt werden kann, materielle Regelungen zu treffen, die ein Erblasser bewusst nicht getroffen hat oder deren Regelung er einer dritten Person nach § 2065 BGB nicht übertragen kann37. Das heißt im Ergebnis, dass ein mit Verfügung von Todes wegen angeordnetes Schiedsgericht weder einen Erben auswählen noch entscheiden kann, ob die Verfügung gelten soll; auch § 1051 Abs. 3 ZPO darf nicht angewendet werden. All dies sind Fälle, die unmittelbar in den Anwendungsbereich des § 2065 Abs. 1 BGB fallen. Abzugrenzen von § 2065 Abs. 1 BGB sind diejenigen Konstellationen, in denen schon das Erbrecht selbst Drittentscheidungen – entgegen dem Höchstpersönlichkeitsprinzip – zulässt38. Es ist also beispielsweise möglich, bei einem Ver-
__________ 34 35 36 37 38
Vgl. BayObLG, NJW-RR 2000, 1174. Dazu Großfeld, JZ 1968, 113; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 27 I 3. Darstellung bei Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 241, 254. RGZ 100, 76, 77; Otte in Staudinger (Fn. 7), vor §§ 1937–1941 BGB Rz. 10. Statt aller Haas, ZEV 2007, 49, 54.
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mächtnis (§§ 2151, 2153 ff. BGB) bei der Ernennung des Testamentsvollstreckers (§ 2198 BGB) oder bei der Erbauseinandersetzung nach § 2048 Satz 2 BGB die materielle Entscheidungsbefugnis auf ein Schiedsgericht zu verlagern. Das ist heute im Grundsatz unstreitig, doch hat Otte39 eine Einschränkung herausgearbeitet. Wenn es im Einzelfall so liegen sollte, dass das letztwillige Schiedsgericht als solches mit einer gestaltenden Anordnung betraut wird, beispielsweise im Zuge der Erbauseinandersetzung, dann soll dies als Bestellung zum Schiedsgutachter qualifiziert werden. Dann finden die §§ 315 ff. BGB Anwendung und die Entscheidung ist bei offenbarer Unbilligkeit für die Erben nicht verbindlich. Dem ist deshalb zuzustimmen, weil es Aufgabe eines letztwilligen Schiedsgerichts allein sein kann, einen eventuellen Streit zwischen den Nachfolgern im Wege einer streitbeilegenden Entscheidung zu schlichten. Geht es aber nicht um eine Streitentscheidung, also nicht um eine Konstellation, in welcher das Schiedsgericht an die Stelle des staatlichen Gerichts tritt, handelt es sich nicht um ein Schiedsgericht. Mit anderen Worten: Soweit es im Anwendungsbereich derjenigen Regelungen, die eine Drittbestimmung zulassen, zum Streit kommt, handelt es sich um ein Schiedsgericht. Die eigentlich problematische Konstellation ist schließlich diejenige, in der es nicht um einen gesetzlichen Ausnahmefall des Höchstpersönlichkeitsprinzips des § 2065 BGB geht, in denen aber an die Stelle der höchstpersönlichen Entscheidung des Erblassers eine Streitentscheidung des Schiedsgerichts tritt. Ausgangspunkt muss hier die Überlegung sein, dass ein privates Schiedsgericht das staatliche Gericht substituiert. Die Entscheidung des Schiedsgerichts ist mithin Rechtsanwendung, also nicht eine Willensentscheidung eines Dritten und damit prinzipiell kein Fall der in den Anwendungsbereich des § 2065 BGB fällt. Daraus ergibt sich zwanglos, dass § 2065 BGB der Einsetzung eines Schiedsgerichts, welches über die Geltung, die Auslegung oder den Inhalt einer Verfügung von Todes wegen entscheiden soll, nicht entgegensteht40. Wenn §§ 1066, 1025 ff. ZPO voraussetzen, dass auch ein letztwillig angeordnetes Schiedsgericht an die Stelle des staatlichen Richters treten kann, dann müssen dem Schiedsgericht genau diejenigen Befugnisse zugesprochen werden, die auch das staatliche Gericht hat. Kann aber das staatliche Gericht über Auslegungsstreitigkeiten, Erbauseinandersetzungsstreitigkeiten usf. rechtskräftig entscheiden, dann muss diese Kompetenz auch dem Schiedsgericht zukommen können.
VII. Pflichtteilsrecht Die praktische Erfahrung und die Durchsicht der einschlägigen zivilgerichtlichen Rechtsprechung zeigt, dass insbesondere Pflichtteilsansprüche bzw. Bewertungsfragen bezüglich eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs außerordentlich streitträchtig sind. Auch für das Pflichtteilsrecht ist deshalb
__________ 39 In FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 241, 254 ff. 40 Geimer in Zöller (Fn. 4), § 1066 ZPO Rz. 17.
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zu fragen, ob § 1066 ZPO den Weg in ein Schiedsgericht von Todes wegen eröffnet, welches (auch) Pflichtteilsfragen zum Streitgegenstand hat. Abzugrenzen ist zunächst die spezifisch pflichtteilsrechtliche Frage, ob die Anordnung eines Schiedsgerichts nach § 1066 ZPO als Beschränkung nach § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen ist. Das ist zu verneinen, weil die Auflistung der Beschränkungen und Beschwerungen in § 2306 Abs. 1, 2 BGB als abschließend zu beurteilen ist41. Von § 2306 BGB abgesehen ist die grundsätzliche Frage, ob auch Pflichtteilsstreitigkeiten in den Anwendungsbereich des § 1066 ZPO fallen, sehr umstritten. Das hängt mit der hier schon42 erörterten Frage zusammen, wie die Bindung von nicht an der Verfügung von Todes wegen beteiligten Rechtssubjekten dogmatisch zu begründen ist. Eine neue und originelle Herleitung hat in diesem Zusammenhang neuerdings Haas43 geliefert. Er hält trotz der Erwähnung der einseitigen letztwilligen Verfügung in § 1066 ZPO auch auf Seiten der Adressaten, der durch die Schiedsgerichtsanordnung potentiell Gebundenen, eine Willensbekundung für notwendig, um eine Bindungswirkung an die schiedsgerichtliche Entscheidungszuständigkeit zu legitimieren. Würden die Erben oder die Vermächtnisnehmer ihre Einsetzung nicht per Ausschlagung der Zuwendung zurückweisen, dann brächten sie zum Ausdruck, an die Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit gebunden sein zu wollen. Umgekehrt folge daraus, dass dann, wenn das Gesetz keine Möglichkeit vorsehe, dass der Nachlassbeteiligte die Schiedsbindung zurückweisen kann, das Verhältnis zwischen diesem Rechtssubjekt und dem Erblasser nicht durch die Privatautonomie geprägt sei, so dass für die Schiedsgerichtsbarkeit kein zulässiger Raum sei. Dies treffe insbesondere für den Pflichtteilsberechtigten zu44. Für diese Lösung könnte auch die Überlegung sprechen, dass es kennzeichnend für das Pflichtteilsrecht der §§ 2303 ff. BGB ist, dass der vermögensrechtliche Anspruch des Pflichtteilsberechtigten der Verfügungsbefugnis des Erblassers entzogen ist, so dass daraus gefolgert werden könnte, er falle nicht in den privatautonomen Kompetenzbereich des die Schiedsgerichtsanordnung formulierenden Erblassers. Gegen die vorstehenden Argumentationen ist zunächst einzuwenden, dass eine Konsensuallösung dergestalt, dass die Nichtausschlagung der Erbschaft bzw. des Vermächtnisses das Schiedsgericht legitimiere, eher gekünstelt erscheint. Wenn die Testierfreiheit, die von § 1066 ZPO vorausgesetzt wird, eine spezielle Ausprägung der Privatautonomie darstellt, dann muss es diese Privatautonomie auch rechtfertigen können, dass ein einseitig zustande gekommenes Schiedsgericht entscheiden kann. Es bleibt daher nur der Gesichtspunkt, dass Pflichtteilsansprüche der privatautonomen Gestaltung seitens des Erblassers entzogen sind. Darin wird von vielen allerdings kein Hindernis für die
__________ 41 BGHZ 112, 229, 232; Lange in MünchKomm.BGB (Fn. 23), § 2306 BGB Rz. 6 sowie oben III 2. 42 Oben III 1, 2. 43 ZEV 2007, 49, 51. 44 I. E. auch Lange/Kuchinke (Fn. 35), § 32 II 4; Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 23), § 1937 BGB Rz. 28; Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 241, 251.
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Georg Crezelius
Schiedsgerichtsbarkeit auch bezüglich der Pflichtteilsansprüche gesehen45. Dem ist im Ergebnis zu folgen. Wenn nämlich ein Schiedsgericht anstelle eines staatlichen Gerichts verbindlich entscheiden kann, dann muss dies nicht nur für Rechtsstreitigkeiten über materielle Erbpositionen gelten, vielmehr auch für den (schuldrechtlichen) Pflichtteilsanspruch. Das sicherlich nicht zu unterschätzende Argument, dass der Erblasser über das Pflichtteilsrecht nicht disponieren kann, sollte der Einsetzung eines Schiedsgerichts nach § 1066 ZPO auch zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten nicht entgegenstehen. Zu bedenken ist auch, dass der Pflichtteilsanspruch letztlich seine Ursache darin hat, dass der Pflichtteilsberechtigte – insofern aufgrund einer privatautonomen Entscheidung des Erblassers – eben nicht Erbe geworden ist. Ist aber der Pflichtteilsanspruch gleichsam die negative Seite der Erbeinsetzung anderer Rechtssubjekte, dann handelt es sich um eine genuin erbrechtliche Rechtstreitigkeit, wie sie von § 1066 ZPO vorausgesetzt wird. Der innere Sinn des § 1066 ZPO kann nur darin liegen, dass einem potentiellen Erblasser die Möglichkeit offengehalten werden soll, dass ein privates Schiedsgericht anstelle eines staatlichen Gerichts über erbrechtliche, damit auch über pflichtteilsrechtliche Streitigkeiten entscheidet. Unterstrichen wird die hier gefundene Lösung – die Einbeziehung auch von Pflichtteilsansprüchen in den Anwendungsbereich des § 1066 ZPO – durch die Ausgestaltung des Pflichtteilsanspruchs in §§ 2303 ff. BGB. Zwar ist zuzugeben, dass der Pflichtteilsanspruch des § 2317 BGB eine rein schuldrechtliche und vermögensmäßige Beteiligung am Nachlassvermögen vermittelt, doch ist dies ein eher technisch-dogmatischer Gesichtspunkt. Hinzuweisen ist nämlich auf die Entstehungsgeschichte des Pflichtteilsrechts im BGB. Im Zuge des Zustandekommens der (derzeitigen) §§ 2303 ff. BGB war bis zuletzt umstritten, ob das Pflichtteilsrecht nach französischem Vorbild bzw. entsprechend dem damaligen sächsischen BGB als dingliche Teilhabe am Nachlass ausgestaltet werden sollte oder ob allein eine vermögensmäßige Beteiligung einzuräumen war46. Wenn sich das BGB letztendlich für die allein schuldrechtliche und vermögensmäßige Teilhabe der Pflichtteilsberechtigen am Nachlass ausgesprochen hat, so vermag das nichts daran zu ändern, dass ein Pflichtteilsberechtigter dem Erben eben nicht wie ein fremder Dritter, wie ein Nachlassgläubiger gegenübersteht. Ganz im Gegenteil handelt es sich beim Pflichtteilsberechtigten um einen gesetzlich Erbberechtigten, der jedoch aufgrund der privatautonomen Entscheidung des Erblassers von der Nachlassteilhabe jedenfalls mit dinglicher Wirkung ausgeschlossen werden soll. Wenn denn der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch geltend macht und wenn es über Grund und Höhe des Pflichtteilsanspruchs zum Streit kommt, handelt es sich um eine erbrechtlich angelegte Streitigkeit, so dass nichts dagegen sprechen dürfte, dass § 1066 ZPO auch diese Konstellation regelt. Und weiterhin: Führt
__________ 45 Pawlytta, ZEV 2003, 89; Geimer in Zöller (Fn. 4), § 1066 ZPO Rz. 18. 46 Näher Lange in MünchKomm.BGB (Fn. 23), § 2303 BGB Rz. 2 m. N. Zutreffenderweise werden in § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG Erbeinsetzungen und Pflichtteilsansprüche gleichbehandelt.
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man sich nochmals vor Augen, dass die private Schiedsgerichtsbarkeit auch in erbrechtlichem Zusammenhang allein die staatliche Gerichtsbarkeit substituiert, dann muss dem potentiellen Erblasser eine letztwillige Anordnung möglich sein, dass anstelle des staatlichen Gerichts das Schiedsgericht streitentscheidend tätig wird.
VIII. Schlussbemerkung Nach allem hat sich gezeigt, dass § 1066 ZPO eine prozessual und materiellrechtlich schlüssige Regelung vorsieht. Wenn denn nach §§ 1025 ff. ZPO – im Normalfall kraft vertraglicher Vereinbarung – ein privates Schiedsgericht das staatliche Gericht ersetzen kann, dann entspricht es den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre, dass dies auch im Bereich der Verfügungen von Todes wegen möglich ist. Allerdings kann das letztwillig angeordnete Schiedsgericht nur Streitgegenstände entscheiden, die nicht mit erbrechtlichen Grundprinzipien kollidieren.
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Gefährliche Grundschuld? Oder: Wie man Heuschrecken züchtet Inhaltsübersicht I. Zum Thema II. Der Sachverhalt III. Die Vertragssituation 1. Die Rechtswirksamkeit der Abtretung a) Abtretung vor Verwertungsreife
b) Abtretung nach Verwertungsreife 2. Kenntnis des Eigentümers 3. Schutz der Schuldner gegen den Zessionar IV. Fazit
„Was du bist, bist du nur durch Verträge.“ R. Wagner, Das Rheingold, 2. Auftritt.
I. Zum Thema Es ist ungewöhnlich, einem juristischen Text ein Opernzitat voranzustellen. H. P. Westermann, der Opernfreund, wird das verstehen – und natürlich kennt er das Zitat. Er weiß auch, dass sich das Sinnen um eines Vertrages schicksalhafte Kraft durch das ganze Ring-Gedicht zieht, über Wotans resignative Feststellung, dass er „durch Vertrag (sich) band, was Unheil barg“1; bis hin zum grandiosen Schluss, in dessen erster Fassung „trüber Verträge trügendem Bund“ endgültige Absage erteilt wird, während Walhall, das einstige Vertragsobjekt, in Flammen verglüht. Wagner hat diese Verse in der zweiten Fassung von 1849 nicht vertont, weil sie „die musikalische Wirkung nicht im Voraus ersetzen“ sollten; die wortlose Schlussmusik verkündet die Botschaft. Aber, so wünschte Wagner, dem Textbuch sollte der ursprüngliche Wortlaut stets beigefügt werden2. Es gilt als modisch, sich über Wagners Ring-Gedicht höhnisch-herablassend zu äußern. Nicht nur der Alliterationen wegen, vor allem aber, weil es angeblich weltfremd, lebensfremd und in uralten, heute niemanden mehr berührenden Mythen befangen sei. Worum geht es? Familienvater Wotan möchte ein repräsentatives Familienwohnheim (Wallhall) errichten. Mit den Bauunternehmern Fasolt und Fafner schließt er einen – unbedachten – Vertrag, in dem er zur Werklohnsicherung seine Schwägerin Freia verpfändet. Als das Werk zur Abnahme bereit ist, fordern die Unternehmer ihren Lohn, Wotans Ausflüchte führen zur Androhung der Zwangs-
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1 Die Walküre, 2. Aufzug, 2. Szene. 2 D. Schickling, Abschied von Wallhall, 1983, S. 158.
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vollstreckung. Auf inständige Bitten der Familie hin löst Wotan das Pfandrecht ab durch Hingabe seines gesamten Vermögens, des Nibelungenhortes. In der Folgezeit vermag er sich jedoch des gelungenen Werkes nicht mehr zu erfreuen, das er zunächst noch – am Ende des „Rheingold“ – unter triumphalen Klängen bezieht. Offenbar infolge seiner Verarmung und persönlichen Diskreditierung zieht er als „Wanderer“ ruhelos durch die Welt. Am Ende muss er erleben, wie die teuer bezahlte Burg im Feuer untergeht. „Was du bist, bist du nur durch Verträge“ sagt Fasolt ihm bedeutungsvoll; erst spät entdeckt Wotan die Doppeldeutigkeit: dass durch Verträge zu gewinnen, zugleich Fesselung und Zerstörung bedeuten kann – „der durch Verträge ich Herr, den Verträgen bin ich nun Knecht!“3. Lebensfremd? Unzeitgemäß?
II. Der Sachverhalt ‚In der Süddeutschen Zeitung’ vom 4.12.2006 finden sich als „Thema des Tages“ zwei Artikel von Thomas Öchsner, in denen unter den Überschriften „Die Banken sagen einfach servus“ und „Die sind eiskalt und skrupellos“ über Folgendes berichtet wird: In zunehmendem Umfang, so heißt es, veräußern Kreditinstitute laufende Darlehensforderungen nebst den sie sichernden Grundschulden an Aufkäufer, die sofort, zuweilen – so klingt es an – sogar ohne vorherige Benachrichtigung, aus den Grundschulden die Zwangsversteigerung betreiben. In den veräußerten Paketen sollen sich auch Kredite befinden, die vertragsgemäß bedient wurden, also nicht notleidend sind. So sei in einem von einem bekannten Kreditinstitut veräußerten Portfolio im Umfang von 3,6 Mrd. Euro immerhin ein Anteil von 1,1 Mrd. Euro nicht notleidend gewesen. Die Berichte werfen die Frage auf, ob solche Veräußerungen und deren Umstände überhaupt rechtens sind und welche Möglichkeiten für die Betroffenen bestehen. Es wird sich zeigen, dass nahezu alles von der Art der Vertragsgestaltung abhängt.
III. Die Vertragssituation 1. Die Rechtswirksamkeit der Abtretung a) Abtretung vor Verwertungsreife Der Gläubiger ist zur Verwertung der Grundschuld berechtigt, wenn diese und die gesicherte Forderung fällig sind4. Die Fälligkeit der Forderung ergibt sich
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3 Wie Fn. 1. 4 Wolfsteiner in Staudinger, BGB, Bearb. 2002, § 1147 BGB Rz. 43; Eickmann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 1191 BGB Rz. 101; Wenzel, Sicherung von Krediten durch Grundschulden, 2001, Rz. 2328, 2329; Clemente, Recht der Sicherungsgrundschuld, 3. Aufl. 1998, Rz. 521.
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aus dem zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis; die Fälligkeit des dinglichen Rechts setzt grundsätzlich dessen Kündigung voraus (§ 1193 Abs. 1 BGB), jedoch sind nach Abs. 2 a. a. O. abweichende Vereinbarungen zulässig. Davon wird in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht, es wird vereinbart, die Grundschuld sei „jederzeit fällig“. Ob vor Eintritt der Verwertungsreife, also bei einem ungestörten Vertragsverhältnis, überhaupt eine Abtretung zulässig ist, wird unterschiedlich beurteilt. Jedenfalls kann sie geschehen, wenn der Sicherungsgeber zustimmt5; umgekehrt ist sie eindeutig unzulässig, wenn eine Vereinbarung nach § 399 BGB getroffen wurde. Fehlen positive oder negative Vereinbarungen, so dürfte die Abtretung als inhaltliche Veränderung (§ 399 1. Alt. BGB) schuldrechtlich unzulässig sein, denn sie widerspricht dem Treuhandverhältnis6, das von Seiten des Sicherungsgebers besonderes Vertrauen in die Person des Sicherungsnehmers voraussetzt. Die Sicherungsgrundschuld ist kein zum Umlauf bestimmtes Recht; das Treuhandverhältnis gewährt dem Sicherungsnehmer nicht nur Rechte, sondern verpflichtet ihn auch, die Interessen des Treugebers zu wahren, so lange dieser selbst sich vertragstreu verhält. Dass bei Vorgängen der hier geschilderten Art ein Vertrauen des Grundstückseigentümers in die Person des Zessionars niemals gegeben wäre, sollte dem Zedenten bekannt sein. Dann aber kann er sich seiner treuhänderischen Verpflichtung nicht kurzerhand entledigen. b) Abtretung nach Verwertungsreife Sie gilt als freihändige Verwertung der Grundschuld7. Umstritten ist, ob sie der Ermächtigung durch den Schuldner – Eigentümer bedarf8. Man wird eine solche Ermächtigung nicht fordern können, denn wenn diese Art der Verwertung allgemein als Befriedigungsmaßnahme (ähnlich einer Zwangsvollstreckung) verstanden wird, so sollte sich ein Schuldnereinverständnis schon begrifflich verbieten. Bis zur Änderung der AGB-Banken/Sparkassen im Jahre 1993 war dort9 jeweils die Zulässigkeit freihändiger Verwertung ausdrücklich geregelt. Es wäre wohl abwegig, daraus schließen zu wollen, das Kreditgewerbe hätte auf diese in der Praxis durchaus beliebte Verwertungsform durch die Streichung verzichtet. Man darf vielmehr annehmen, dass die Anerkennung dieser Verwertungsart durch die Rechtsprechung dazu veranlasst hat.
__________ 5 Gaberdiel, Kreditsicherung durch Grundschulden, 5. Aufl. 1991, S. 151; Scholz/ Lwowski, Das Recht der Kreditsicherung, 8. Aufl. 2000, S. 589. 6 So zu Recht Wolfsteiner in Staudinger (Fn. 4), Vorbem. Vor §§ 1191 ff. BGB Rz. 179 gegen Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, 4. Aufl. 2000, Rz. 1004. 7 Clemente (Fn. 4), Rz. 539. 8 Bejahend: Clemente (Fn. 4), Rz. 539; Wolfsteiner in Staudinger (Fn. 4), Vor §§ 1191 ff. BGB Rz. 93. Verneinend: BGH, NJW-RR 1987, 1291; OLG Schleswig, FGPrax 1997, 53; Huber, Die Sicherungsgrundschuld, 1965, S. 241. 9 Nr. 21 Abs. 3 AGB-Banken (a. F.); Nr. 22 Abs. 5 AGB-Sparkassen (a. F.).
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Zu beachten ist jedoch, dass die freihändige Verwertung dem Eigentümer vorher anzudrohen ist10. Dies folgt aus § 1234 BGB, der nach § 1273 Abs. 2 BGB Anwendung findet. Geht man von den in der Presse geschilderten Vorgängen aus, so sind solche Androhungen nicht geschehen. Zwar haben Verstöße gegen § 1234 BGB nicht die Unwirksamkeit des Verkaufs zur Folge (§ 1243 Abs. 1 BGB), sie ziehen aber eine Schadensersatzpflicht nach sich, § 1243 Abs. 2 BGB; sie trifft den Zedenten. Richtig ist, dass der Erlös, den der Zedent vom Zessionar erlangt, nicht auf die Forderung anzurechnen ist. Hingegen sind natürlich Zahlungen zu berücksichtigen, die vorher noch an den Zedenten geleistet wurden; sie werden nach der allgemein üblichen Abrede auf die Forderung, nicht jedoch auf die Grundschuld verrechnet. Hinsichtlich der Forderung gilt § 404 BGB; auch die Grundschuld kann der Zessionar nur insoweit geltend machen, als eine (Rest-)Forderung fällig ist (s. oben 1a). 2. Kenntnis des Eigentümers In dem Pressebericht (oben II.) wird hervorgehoben, die Grundstückseigentümer seien häufig durch die Einleitung der Zwangsvollstreckung überrascht worden. Es mag sein, dass in den Fällen eines bereits länger andauernden Zahlungsverzugs der Zessionar es nicht als notwendig ansah, die Zession anzuzeigen; grundsätzlich gebietet schon die Regelung in § 407 Abs. 1 BGB die Offenlegung der Zession. Es mag aber auch sein, dass sie im Hinblick auf § 816 Abs. 2 BGB unterlassen wird, gerade um einen Überraschungseffekt erzielen zu können. Vor Einleitung einer Vollstreckung gebietet jedoch § 750 Abs. 1 ZPO die Zustellung des (dinglichen) Vollstreckungstitels. Sinn der Regelung ist es, den Schuldner „über die bevorstehende Zwangsvollstreckung zu unterrichten und ihm den Gebrauch der Rechtsbehelfe für etwaige Einwendungen zu ermöglichen“11; das Bundesverfassungsgericht versteht – konsequent – die Zustellungsvorschriften als Verwirklichung des rechtlichen Gehörs12. Damit kaum in Einklang zu bringen ist eine weit verbreitete Praxis, den Titel (i. d. R. eine Urkunde nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) bereits unmittelbar nach seiner Errichtung zustellen zu lassen und ihn dann zu verwahren, um bei einer – vielleicht – nach Jahr und Tag notwendig werdenden Vollstreckung sofort zugreifen zu können. Kollhosser hat diese Praxis bereits im Jahre 1984 problematisiert13; sein Beitrag ist unbeachtet geblieben. Es erscheint veranlasst, die Frage erneut aufzuwerfen, ob eine solche Praxis, die zwar dem puren Wortlaut des § 750 Abs. 1 ZPO entspricht, mit dem Sinn und Zweck des Zustellungsgebots jedoch nicht im Geringsten vereinbart werden kann, noch anerkannt werden soll. Sicherlich ist es nicht veranlasst, vor jeder Vollstreckungsmaßnahme eine
__________ 10 Wolfsteiner in Staudinger (Fn. 4), Vor §§ 1191 ff. BGB Rz. 93; anders wohl Bassenge in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 1191 BGB Rz. 33. 11 Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 22 I. 12 BVerfGE 67, 208, 211 = NJW 1984, 2567, 2568. 13 Kollhosser, JA 1984, 96, 97.
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neue Zustellung zu verlangen. Ist ein Titel zugestellt worden und es ist sodann eine Vollstreckungsmaßnahme geschehen (!), die nicht zur (vollständigen) Befriedigung des Gläubigers geführt hat, dann ist dem Schuldner bekannt, dass der Gläubiger zur Zwangsdurchsetzung entschlossen ist; mit weiteren Vollstreckungsmaßnahmen muss gerechnet werden. Wenn jedoch zehn Jahre nach Erstellung einer vollstreckbaren Urkunde und deren Zustellung plötzlich das Grundstück beschlagnahmt wird, dann handelt es sich – wie das Reichsgericht einmal zu § 798 ZPO ausgeführt hat14 – um „die Härte einer rücksichtslosen Überraschung“. In den hier zu erörternden Fällen benötigte der Zessionar die titelübertragende Rechtsnachfolgeklausel des § 727 Abs. 1 ZPO; in diesen Fällen ist der Titel (erneut), nunmehr mit der Klausel und den sie rechtfertigenden Urkunden, zuzustellen, § 750 Abs. 2 ZPO. Es ist freilich häufig, dass der Eigentümer bereits im Voraus auf diese Zustellung verzichtet, was eine fast grenzenlos liberale Praxis mit dem wohl etwas zu schlichten Argument billigt, das Zustellungserfordernis „diene ja nur seinen Interessen“15. Wenn man mit dem Bundesverfassungsgericht das Zustellungserfordernis dem Art. 103 GG zuordnet, gewinnt solche Praxis unter dem Blickwinkel des Grundrechtsverzichts16 eine besondere Dimension. Richtigerweise wird der Verzicht schon aus einfachrechtlichen Gründen abgelehnt17, denn die ordnungsgemäße rechtsstaatliche Ausübung der Vollstreckungsgewalt liegt auch im öffentlichen Interesse. 3. Schutz der Schuldner gegen den Zessionar Schutzbedürftig sind in erster Linie diejenigen Schuldner, die ihre Vertragspflichten erfüllt haben, also sich in einem ungestörten Vertragsverhältnis befinden. Ist die Abtretung nach dem oben 2a Gesagten unzulässig gewesen, so ist sie trotzdem nicht unwirksam, denn der Unzulässigkeitsgrund folgt nicht aus dem dinglichen Vertrag, sondern aus der schuldrechtlichen Sicherungsabrede. Unwirksam ist die Abtretung nur, wenn bei Bestellung des Rechts in Bezug auf dieses eine Vereinbarung nach § 399 2. Alt. BGB getroffen wurde. Sie muss ins Grundbuch eingetragen werden, wobei Bezugnahme auf die Bewilligung (§ 874 BGB) ausreicht. In diese muss dann natürlich der Abtretungsausschluss aufgenommen worden sein, was zuweilen übersehen wird. § 354a HGB ist auf die Grundschuld nicht anwendbar18, denn dies würde den sachenrechtlichen Schutz des Eigentümers (dazu sogleich im Folgenden) beseitigen.
__________ 14 RGZ 83, 336, 339. 15 OLG Frankfurt/M., MDR 1956, 111; LG Ellwangen, Rpfleger 1966, 145; LG Berlin, DGVZ 1960, 172. 16 Dazu: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 887 ff. 17 Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 750 ZPO Rz. 8, 9; Heßler in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl. 2000, § 750 ZPO Rz. 86; Lackmann in Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 750 ZPO Rz. 15; Rosenberg/Gaul/Schilken (Fn. 11), § 33 IV b. 18 So zu Recht Wolfsteiner in Staudinger (Fn. 4), § 1154 BGB Rz. 8.
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Ist die Abtretung im Grundbuch eingetragen (§ 1154 Abs. 3 BGB), dann ist das Grundbuch unrichtig (§ 894 BGB). Die einhellige Auffassung versagt jedoch dem Eigentümer in solchen Fällen Berichtungsanspruch und Widerspruch (§ 899 BGB)19, weil er – so schon das Reichsgericht20 – nicht beeinträchtigt sei. Natürlich ist richtig, dass der leistende Eigentümer durch § 893 BGB geschützt ist, aber gerade unser Thema zeigt, dass es auch um eine Beeinträchtigung durch rechtswidrige Vollstreckungseinleitung gehen kann. Ist die Zession nach § 1154 Abs. 1 BGB geschehen, so gilt letztlich dasselbe21. Wenn die Abtretung unwirksam ist, steht dem die Versteigerung betreibenden Gläubiger die Grundschuld und damit der dingliche Anspruch nicht zu. Die Klausel des § 727 ZPO ist unzulässig. Der Eigentümer wendet sich gegen diese Vollstreckung mit der Abwehrklage des § 767 Abs. 1, 768 ZPO. Ist die Unzulässigkeit der Abtretung eine Folge des Treuhandverhältnisses (oben 2a), so ist – wie bereits vermerkt – die Abtretung des abstrakten dinglichen Rechts wirksam. Dem Eigentümer steht jedoch eine Einrede i. S. d. § 1157 BGB gegen das dingliche Recht (den dinglichen Anspruch) zu22. Dem Zessionar kann sie dann nicht entgegengehalten werden, wenn er in Bezug auf sie gutgläubig i. S. d. § 892 BGB ist. Bösgläubig ist er nach allg. Auff., wenn er weiß, dass die Grundschuld Sicherungszwecken dient und „wenn er weiß, dass der Zedent dem Sicherungsgeber gegenüber verpflichtet ist, die Abtretung zu unterlassen“23. Dass ein gewerblich handelnder Aufkäufer von Ansprüchen aus Bankkrediten den Sicherungscharakter der für sie bestellten Grundschulden kennt, liegt auf der Hand; eine gegenteilige Behauptung wäre unglaubwürdig. Die Einrede folgt aus dem Treuhandcharakter des Sicherungsvertrages, der den Käufern in aller Regel deshalb bekannt sein wird, weil sie vor dem Erwerb die Geschäftsunterlagen des ihnen angebotenen Portfolios studieren werden. Die Einrede ist auf dem Wege des § 767 ZPO geltend zu machen.
__________ 19 Gursky in Staudinger, BGB, Bearb. 2002, § 894 BGB Rz. 70; Wacke in MünchKomm. BGB (Fn. 4), § 894 BGB Rz. 15. 20 RG, HRR 1930, 1615; ähnl. BGH, NotBZ 2000, 191. 21 Zwar wendet man §§ 894, 899 BGB auch auf diese Fälle an (Gursky in Staudinger [Fn. 19], § 899 BGB Rz. 21), aber eben nur, wenn die Voraussetzungen des § 894 BGB vorliegen, was in unseren Fällen verneint wird. 22 BGHZ 59, 1 = NJW 1972, 1463; BGH, DB 1973, 1550; BGH, WM 1973, 840; BGH, DNotZ 1976, 740; BGHZ 85, 388 = NJW 1983, 752; BGH, NJW-RR 1987, 139; Wolfsteiner in Staudinger (Fn. 4), § 1191 BGB Rz. 8–10; Konzen in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2001, § 1191 BGB Rz. 25; Eickmann in MünchKomm.BGB (Fn. 4), § 1191 BGB Rz. 86–92; Huber (Fn. 8), S. 135 ff. und in FS Serick, 1992, S. 195, 219; Lopau, JuS 1972, 502, 503. 23 So die Formulierung von Wolfsteiner in Staudinger (Fn. 4), § 1157 BGB Rz. 23. Sie präzisiert die in der Rspr. des BGH (oben Fn. 21) stets wiederholte Regel, bösgläubig mache die Kenntnis von Rechtscharakter und Einredetatbestand.
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IV. Fazit Bülow beginnt sein Standardwerk24 mit einem Abschnitt, den er „Kreditsicherung und Misstrauen“ überschreibt. Er behandelt darin das – legitime – Misstrauen des Kreditgebers in die künftige Solvenz und Leistungsbereitschaft des Kreditnehmers, das im Sicherungsgeschäft seinen Ausdruck findet. Aber auch dem Kreditnehmer ist Misstrauen anzuraten in die Vertragstreue des Sicherungsnehmers; die referierten Presseberichte machen das deutlich. Schützen kann sich der Sicherungsgeber am besten durch ausgewogene Vertragsgestaltung; eine Vertragsgestaltung, die auch seine Rechtsposition bestmöglich wahrt. („Was du bist, bist du nur durch Verträge“!). Der Appetit von Heuschrecken kann gezügelt werden!
__________ 24 Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 7. Aufl. 2007.
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Zur Renaissance der laesio enormis beim Kaufvertrag Inhaltsübersicht I. Zum subjektiven Tatbestand beim wucherähnlichen Kauf II. Historischer Rückblick 1. Die laesio enormis von Diokletian bis zum BGB 2. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Kaufvertrag III. Die Leitentscheidung: BGHZ 146, 298 IV. Stellungnahme 1. Der sittenwidrige Konsumentenkredit als Vorbild?
2. Die Notwendigkeit der Kenntnis der Äquivalenzstörung 3. Die Ermittlung des Werts einer Leistung a) Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Marktwerts b) Fehlerhafte Wertgutachten c) Die Kapitalisierung von Leibrenten und Wohnrechten 4. Gemischte Schenkungen V. Plädoyer für eine „entmaterialisierte“ Vertragsethik
I. Zum subjektiven Tatbestand beim wucherähnlichen Kauf Der V. Zivilsenat des BGH sah sich 2002 durch eine Kritik aus der Feder Werner Flumes veranlasst hervorzuheben, dass für das sog. wucherähnliche Geschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB nach wie vor subjektive Merkmale entscheidend seien. Entgegen dem entsprechenden Vorwurf Flumes1 habe er dieses Erfordernis in seinem Urteil BGHZ 146, 298 von 2001 keineswegs zu Gunsten der rein objektiven laesio enormis aufgegeben, wie die Lehre vom Verbot der „Verletzung über die Hälfte“ genannt wird2. Das Schrifttum reagierte auf das Urteil aus dem Jahr 2001 allerdings keineswegs einhellig so negativ wie Flume: Bork etwa riet dem BGH, auf die Voraussetzung verwerflicher Gesinnung des Begünstigten (endlich) ganz zu verzichten und nur noch objektiv ein „besonders grobes“ Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu verlangen; die notwendigen Korrekturen könne man im Rahmen der ohnehin erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände vornehmen3.
__________
1 Flume, ZIP 2001, 1621 f.; ebenfalls kritisch Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 9. Aufl. 2006, Rz. 708a, 711; Maaß, NJW 2001, 3467; Jung, ZGS 2005, 95, 100; Wieling, Bereicherungsrecht, 4. Aufl. 2007, § 3 III 5 a cc („Freirecht“). Die Tendenz zur Objektivierung stellt auch Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 30. Aufl. 2006, § 13 Rz. 30, fest. 2 BGH, NJW 2002, 3165, 3166. BGHZ 146, 298 ist ausführlicher abgedruckt in LM § 138 (D) BGB, Nr. 3/4. 3 Bork, JZ 2001, 1138, 1139; ähnlich schon Hackl, BB 1977, 1413; ders., DB 1985, 1327, 1328; Armbrüster in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 138 BGB Rz. 117, 129 f.; dem BGH zustimmend Lorenz, LM § 138 (D) BGB, Nr. 3/4 Bl. 7; Palm, BGHReport 2001, 272 f.; Grunewald, Kaufrecht, 2006, § 2 Rz. 12; ohne Kritik Westermann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 433 BGB Rz. 11, § 433 BGB Rz. 18.
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Die Schwierigkeiten, die Sittenwidrigkeit zu bestimmen, rühren von dem Umstand, dass die Spezialregelung des Wuchers in § 138 Abs. 2 BGB in der Rechtsprechung kaum eine Rolle spielt und daher unklar ist, wann ein Rechtsgeschäft als wucherähnlich und damit gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig angesehen werden kann. § 138 Abs. 2 BGB hat drei Voraussetzungen, nämlich objektiv neben einem „auffälligen Missverhältnis“ zwischen Leistung und Gegenleistung weiter eine sog. Schwächesituation des Bewucherten – eine Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche – sowie subjektiv die Ausbeutung dieser Schwächesituation durch den Wucherer4. Wegen der Schwierigkeit des Nachweises der beiden letztgenannten Voraussetzungen5 haben die Gerichte unter überwiegendem Beifall des Schrifttums schon frühzeitig auf die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB zurückgegriffen6. Das Ziel dieser Rechtsprechung war es, die Prüfung der Schwächesituation des Benachteiligten und des subjektiven Tatbestands weitgehend entbehrlich zu machen7. Gleichwohl halten die Gerichte seit einer Entscheidung des Großen Senats des Reichsgerichts8 wenigstens formal am Erfordernis eines subjektiven Tatbestands fest: Rechtsgeschäfte, die durch ein auffälliges (oder „grobes“9) Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung geprägt sind, sind danach nichtig, wenn weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten, etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausnutzung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit des Benachteiligten. Bei einem objektiv „besonders groben“ Missverhältnis soll allein dieser Umstand den
__________ 4 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 207, betont zu Recht, dass § 138 Abs. 2 neben zwei objektiven ein subjektives Kriterium aufweise. Oft wird – wohl aus Vereinfachungsgründen – vom subjektiven Tatbestand gesprochen und damit sowohl die Schwächesituation des Bewucherten als auch deren Ausbeutung gemeint (in diesem Sinne etwa Sack in Staudinger, BGB, 2003, § 138 BGB Rz. 233). 5 Die Probleme werden aber dadurch abgemildert, dass unter bestimmten Umständen der Schluss auf den subjektiven Tatbestand zulässig sein soll, vgl. nur BGH, NJW-RR 2000, 1431, 1433; Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rz. 1174; Haferkamp in Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, AT, 2003, § 138 BGB Rz. 12; Larenz/ Wolf, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 41 Rz. 64. 6 So etwa RGZ 83, 109; 150, 1; vgl. Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 116; Haferkamp (Fn. 5), § 138 BGB Rz. 12; Eckert, ZfIR 2001, 884; Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, 2001, S. 91. – Koziol, Sonderprivatrecht für Konsumentenkredite?, AcP 188 (1988), 183, 189, kritisiert zu Recht die Weitherzigkeit der Rechtsprechung bei der Annahme von Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 und ihre gleichzeitig restriktive Haltung zu § 138 Abs. 2; Kritik auch bei Schünemann in FS Brandner, 1996, S. 279, 288; ders., JZ 2005, 271, 277: „abstruser Höhepunkt“ des an sich fragwürdigen Wuchers sei das wucherähnliche Rechtsgeschäft. 7 Henssler (Fn. 4), S. 207; Sack in Staudinger (Fn. 4), § 138 BGB Rz. 228 f., 236. Zu Recht weist Schünemann, JZ 2001, 277, darauf hin, dass die Voraussetzungen einer Analogie regelmäßig nicht geprüft werden; kritisch auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S. 389 f. 8 RGZ 150, 1 von 1936. 9 Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rz. 112. Die Terminologie schwankt, vgl. Jung, ZGS 2005, 96, 99.
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Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten und damit auf die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts rechtfertigen können10. Ein solches besonders grobes Missverhältnis nimmt die Rechtsprechung bereits an, wenn der Wert der einen Leistung das Doppelte des Werts der anderen Leistung beträgt; es soll auch genügen, wenn die eine Leistung „knapp doppelt“ so viel wert ist wie die andere11. Für den Schluss vom objektiven Tatbestand auf die subjektiv verwerfliche Gesinnung sei es nicht notwendig, dass der Begünstigte alle Tatumstände kenne, vielmehr reiche aus, wenn er sich böswillig oder in grob fahrlässiger Weise der Erkenntnis verschließe, sein Vertragspartner lasse sich nur aufgrund seiner Lage auf die ihn beschwerenden Bedingungen ein12. Immer seltener finden sich daher überhaupt Ausführungen zur verwerflichen Gesinnung des Begünstigten13. Hat Flume also mit seiner Feststellung recht, die objektivrechtliche laesio enormis sei beim Kauf wiederbelebt worden?
II. Historischer Rückblick 1. Die laesio enormis von Diokletian bis zum BGB Das klassische römische Recht erlaubte es den Kaufvertragsparteien, sich gegenseitig zu übervorteilen – invicem se circumscribere, also die eigenen Interessen unter Einsatz ihrer Geschäftstüchtigkeit durchzusetzen, und zwar bis zur Grenze der Arglist14. Erst mit zwei Konstitutionen Diokletians aus den
__________ 10 So statt vieler z. B. BGH, NJW-RR 1998, 1065, 1066; neuestens BGH, NJW 2007, 2841, 2842; ausdrücklich anders wird aber für gewerbliche Miet- und Pachtverhältnisse judiziert, bei denen es wegen Bewertungsschwierigkeiten stets der Prüfung bedürfe, ob dem Begünstigten das Missverhältnis subjektiv erkennbar gewesen sei, vgl. BGH, NJW 2002, 55, 57; BGH, NJW-RR 2002, 8; BGH, NJW 2004, 3553, 3555; zustimmend Eckert, ZfIR 2001, 884, 889. – Wo genau die Grenze zwischen „grob“ und „besonders grob“ verläuft, kann niemand sagen. 11 BGHZ 146, 298, 302; Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rz. 114; Sack in Staudinger (Fn. 4), § 138 BGB Rz. 238. In BGH, WM 1980, 597 f., genügt zur Annahme einer groben Äquivalenzstörung eine Mehrleistung von 77,8 % (45 000 zu 80 000 DM), in BGH, NJW-RR 1991, 589, von 81,8 % (220 000 zu 400 000 DM); dagegen reichen 75 % nicht aus, vgl. BGH, NJW-RR 2004, 632. Das OLG Dresden (v. 19.2.2007 – U 2137/06) geht von einer Grenze von 80 % aus, stellt aber zu Recht „Ungereimtheiten“ der höchstrichterlichen Rechtsprechung fest. Der Richtwert kann damit deutlich unter der von der Rechtsprechung angeführten Grenze von „knapp“ der Hälfte bzw. des Doppelten liegen. Es genügt damit für § 138 Abs. 1 ein erheblich geringerer Wertunterschied der Leistungen als für die auf die Hälfte abstellende laesio enormis nach § 934 des österreichischen ABGB. 12 RGZ 150, 1, 5; zustimmend Stoll, AcP 142 (1936), 333. 13 Anders aber immerhin KG, OLGZ 1981, 124, 128; KG, VIZ 2000, 614; OLG Köln, OLGZ 1993, 193, 196; OLG München v. 15.9.2005 – 19 U 5654/04; s. zudem die Judikatur zu gewerblichen Mietverhältnissen oben in Fn. 10. 14 Vgl. Paulus D. 19, 2, 22, 3 sowie Pomponius D. 4, 4, 16, 4; dazu ausführlich Wacke, SZ Rom. Abt. 94 (1977), 184 ff., 190 f.; Zimmermann, The law of obligations, 1990 (ND 1996), S. 256.
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Jahren 285 und 293 wurde das Verbot der „enormen Verletzung“ eingeführt15: War für ein Grundstück nur die Hälfte seines Werts bezahlt worden, konnte der Verkäufer den Kauf rückgängig machen; dies konnte der Käufer dadurch abwenden, dass er dem Verkäufer zusätzlich gab, was zum iustum pretium noch fehlte. Einer subjektiven Prüfung bedurfte es nicht16. Beide Reskripte atmen offenbar den Geist des spätantiken, auf Vereinfachung zielenden Vulgarrechts17 und stehen mit dem Höchstpreisedikt Diokletians von 301 in einem gesetzgeberischen Zusammenhang. Sie sollten verarmte Kleinbauern schützen, die sich unter dem Druck von Inflation und staatlichen Steuern gezwungen sahen, ihre Grundstücke weit unter Wert an übermächtige Landaufkäufer zu veräußern18. Bis auf die Zeit Justinians, der sie in seinen Codex von 534 aufnahm, war die laesio enormis wieder außer Gebrauch19. Die mittelalterlichen Kanonisten und später das Naturrecht kennen, ausgehend von einer christlich-aristotelischen bzw. naturrechtlichen Gerechtigkeitsüberzeugung, die Lehre vom iustum pretium, und zwar sowohl für den Verkäufer als
__________ 15 Von laesio enormis sprechen erst die Glossatoren, als erster wohl (nach 1216) Hugolinus, Dissensiones Dominorum sive controversiae veterum iuris romani interpretum qui Glossatores vocantur, hrsg. v. Haenel, 1823 (ND 1964), §§ 37, 253 (dazu Becker, Die Lehre von der laesio enormis in der Sicht der heutigen Wucherproblematik, 1993, S. 10). 16 C. 4, 44, 2 Diocletianus/Maximianus AA. Aurelio Lupo. Rem maioris pretii si tu vel pater tuus minoris pretii distraxit, humanum est, ut vel pretium te restituente emptoribus fundum venditum recipias auctoritate intercedente iudicis, vel, si emptor elegerit, quod deest iusto pretio recipies. minus autem pretium esse videtur, si nec dimidia pars veri pretii soluta sit. (Wenn du oder dein Vater einen Gegenstand von höherem Wert um einen zu geringen Preis verkauft habt, so ist es billig, dass du entweder mit richterlicher Billigung das verkaufte Grundstück gegen Rückzahlung des Kaufpreises an die Käufer zurückerhältst oder dass du, wenn der Käufer dies lieber will, das bekommst, was am angemessenen Preis – iustum pretium – fehlt. Zu gering erscheint aber der Preis, wenn nicht einmal die Hälfte des wahren Wertes bezahlt worden ist). C. 4, 44, 8 von 293 schildert anschaulich den Verkaufsvorgang und die entgegengesetzten Interessen von Käufer und Verkäufer. – Heute überwiegt zu Recht die Meinung, dass die Konstitutionen tatsächlich bereits von Diokletian und nicht erst von Justinian etwa 250 Jahre später stammen, vgl. Mayer-Maly, SZ Rom. Abt. 108 (1991), 226, 231; Pennitz, Zur Anfechtung wegen laesio enormis im römischen Recht, in Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsgg.), Iurisprudentia universalis, FS Mayer-Maly, 2002, S. 575, 577; Göttlicher, Die Suche nach dem gerechten Preis, 2004, S. 157; anders aber noch heute Zimmermann (Fn. 14), S. 260 f.; Talamanca, Vendita in generale (dir. rom.), Enciclopedia del Diritto 46 (1993), S. 369 Anm. 681. 17 Honsell, Die Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Rechtsgeschäfte, 1974, S. 79; Stoll, AcP 142 (1936), 333, 335; Henssler (Fn. 4), S. 203, 216. Mayer-Maly, Renaissance der laesio enormis? in FS Larenz zum 80. Geburtstag, 1983, S. 395, 407, diagnostiziert eine „Vergröberungstendenz“ und zieht eine Parallele zum heutigen Verbraucherschutz. 18 Mayer-Maly in FS Larenz (Fn. 17), S. 396, der als Motiv auch die Eindämmung der Landflucht erwägt. Der Beweggrund für Diokletians Gesetz ist umstritten (dazu Pennitz in FS Mayer-Maly [Fn. 16], S. 582 ff.). Harke, SZ Rom. Abt. 122 (2005), 91, 97, sieht die laesio enormis als error in negotio an (nämlich als Irrtum über die objektiv gegebene teilweise Schenkung). 19 Vgl. CTh. 3, 1, 1; eod. 4 sowie 7 (von 319, 383, 396); dazu Pennitz in FS Mayer-Maly (Fn. 16), S. 578, 588.
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auch für den übervorteilten Käufer20. Im einzelnen blieb aber vieles streitig, etwa die genaue Grenze oder die Frage, warum der Verkäufer das Lösungsrecht bei der Hälfte des Werts der Sache (also bei 50 %) haben sollte, während der Käufer ungefähr das Doppelte des Werts bezahlt haben musste, also 200 % statt nur 150 % des Werts21. Die Naturrechtskodifikationen gingen ganz unterschiedliche Wege: Während das ALR zunächst bestimmt, dass ein Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Sachwert „für sich allein den Vertrag zu entkräften nicht hinreichend“ ist, begründet ein so großes Missverhältnis, „dass der Kaufpreis den doppelten Betrag des Werths der Sache übersteigt“, die Vermutung eines den Vertrag entkräftenden Irrtums (I, 11, §§ 58 f. ALR)22. Die von Diokletian geregelte umgekehrte Situation des übervorteilten Verkäufers erfuhr keine Bestimmung. Der Code civil dagegen kennt – bekanntlich auf Drängen Napoleons, der die durch die Revolutionswirren in Not geratenen Grundstückseigentümer schützen wollte – in Art. 1674 lediglich eine Vorschrift zum Schutz von Grundstücksverkäufern bei Unterschreiten von 5/12 des Grundstückswerts. Das österreichische ABGB schützt in § 934 wiederum den Verkäufer wie auch den Käufer bei einer „Verkürzung über die Hälfte“23. Der BGB-Gesetzgeber erteilte der Rechtsfigur in Übereinstimmung mit den neueren Kodifikationen des 19. Jahrhunderts eine entschiedene Absage: Mit der laesio enormis seien erhebliche Gefahren für den Rechtsverkehr verbunden, weil sie leichtsinnige Vertragsschlüsse begünstige und zu nachträglichen Anfechtungen herausfordere, wenn sich die „Konjunkturen“ für eine Partei geändert hätten24. Jenseits des in letzter Minute ins BGB geratenen Wucherverbots des § 138 Abs. 2 BGB, welches gerade nicht nur auf die Unter- oder Überschreitung einer bestimmten Wertgrenze abstellt, erfuhr die laesio enormis keine Regelung. Das BGB ist in dieser Frage – nicht anders als zuvor das Schweizerische Obligationenrecht25 – ein Kind der Freiheitsethik Kants und des wirtschaftlichen Liberalismus des späten 19. Jahrhunderts.
__________ 20 Zur kanonistischen und naturrechtlichen Literatur Kalb, Laesio enormis im gelehrten Recht, 1992; zu den gegensätzlichen Lehren des Thomas v. Aquin und Hobbes’ etwa Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, 2005, S. 34 ff., 44 ff. 21 Zimmermann (Fn. 14), S. 263 f. 22 Dazu Luig, AcP 194 (1994), 521, 534. 23 Ähnlich Art. 1448 des italienischen Codice civile. 24 v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1: AT, in Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission, 1986, S. 21. Die Motive der 1. BGB-Kommission bei Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich II: Recht der Schuldverhältnisse, 1899 (ND 1979), S. 178, zitieren für ihre ablehnende Haltung § 864 des Sächsischen BGB von 1863, das Schweizerische Obligationenrecht, § 286 ADHGB, den Bayerischen (1861) und den Dresdener Entwurf (1866). 25 Art. 21 Abs. 1 OR ist ähnlich wie § 138 Abs. 2 formuliert.
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2. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Kaufvertrag Erst seit etwa 25 Jahren ist eine zunehmende richterliche Preiskontrolle beim Kaufvertrag nach § 138 Abs. 1 BGB zu beobachten26. Während z. B. der VIII. Zivilsenat noch 1979 eine Äquivalenzkontrolle beim Mietkauf eines PoolBillard-Geräts für 13 200 DM, welches nur 5200 DM wert war, abgelehnt hatte27, bejahte derselbe Senat 1997 Sittenwidrigkeit, wenn ein Spielautomat im Wert von 30 000 DM für 80 000 DM verkauft wurde28. Man berief sich auf die „neueste mittlerweile gefestigte“ Rechtsprechung des BGH zum Ratenkreditvertrag und Grundstückskauf, nach der für die Annahme eines besonders groben, die Vermutung der verwerflichen Gesinnung rechtfertigenden Missverhältnisses ein knapp doppelt so hoher Kaufpreis ausreichen soll. Ausdrücklich bezeichnete es der Senat als offen, ob man im Falle des Pool-Billard-Geräts „angesichts der Rechtsentwicklung der letzten Jahre“ noch ebenso entscheiden würde wie 1979. Auch beim Grundstückskauf lehnte z. B. das KG Berlin noch im Jahre 1980 Sittenwidrigkeit ab, wenn eine 79jährige Verkäuferin ihr Hausgrundstück im Wert von 325 000 DM für eine Leibrente von 1100 DM und ein lebenslanges Wohnrecht nebst 50 000 DM Barkaufpreis verkaufte29; heute sähe die Entscheidung mit Sicherheit anders aus. Seit den 80er Jahren häufen sich die Urteile zum sittenwidrigen Grundstückskauf; argumentiert wird stets damit, der Wert der Leistung übertreffe den Wert der Gegenleistung um knapp das Doppelte. Während jedoch in den 80er Jahren Zurückverweisungen zwecks näherer Sachverhaltsaufklärung vorherrschten30, argumentiert der BGH seit den 90er Jahren zunehmend mit dem Schluss vom objektiven
__________ 26 Zuvor sind Urteile zum wucherähnlichen Kaufvertrag selten; s. auch Rühle, Das Wucherverbot – effektiver Schutz des Verbrauchers vor überhöhten Preisen?, 1978, S. 41 f. Auch Koziol, AcP 188 (1988), 187, stellte vor 20 Jahren fest, dass die Inhaltskontrolle nach § 138 Abs. 1 fast ausschließlich den Konsumentenkredit betreffe. Ausnahmecharakter haben die § 138 Abs. 2 betreffenden Entscheidungen BGH, BB 1954, 175; AG Köln, DB 1966, 1387 f.; BGH, WM 1981, 1050 f. (Grundstückskauf von ersichtlich schwer krankem Greis) sowie BGH, NJW 1966, 1451 (Verkauf einer Trockenreinigungsanlage). – Mit § 242 hilft das OLG Bremen, NJW 1963, 1455, wenn Schrott um 200 % zu teuer gekauft wurde; mit Recht kritisch dazu Rückert in Historisch-kritischer Kommentar (Fn. 5), vor § 1 BGB Rz. 112. 27 BGH, NJW 1979, 758. 28 BGH, NJW-RR 1998, 1065. 29 KG, OLGZ 1981, 124, 126; dazu mit Unrecht kritisch Henssler (Fn. 4), S. 412 f.: vgl. auch BGH, WM 1976, 926: Kauf einer weit überteuerten Wiese im Naturschutzgebiet in der später enttäuschten Hoffnung auf Bebaubarkeit; der Schluss vom objektiven auf den subjektiven Tatbestand wird abgelehnt. 30 Vgl. aus der Rechtsprechung des V. Zivilsenats BGH, WM 1980, 597: Der Kauf eines Hausgrundstücks sei womöglich bei der Wertrelation von 45 000 zu 80 000 DM sittenwidrig; es sei aber noch festzustellen, inwieweit der von der Wertrelation informierte Käufer (ein Finanzvermittler) von der Unerfahrenheit und Unbeholfenheit der Verkäuferin gewusst habe. BGH, WM 1981, 404: Zurückverweisung zur Aufklärung des objektiven Werts des Hausgrundstücks, das im Wesentlichen gegen Pflege und Wohnrecht veräußert wurde; ebenso BGH, WM 1981, 1050 f.; BGH, WM 1984, 874: die veräußernden Eheleute wollten „Versorgung und Betreuung“ (Rente, Wohnrecht, Grabpflege); BGH, WM 1987, 353; aus der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats BGH, WM 1982, 849 f.: Verkauf von Chemikalien.
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Tatbestand auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten – des Käufers oder des Verkäufers – und entscheidet immer häufiger selbst über die Sittenwidrigkeit31. Die Vermutungsregel wendet der BGH nur dann nicht an, wenn der Benachteiligte Vollkaufmann32 oder Unternehmer33 ist; selbst ein Diplom-Betriebswirt soll jedoch potentielles Opfer eines wucherähnlichen Grundstückskaufs sein können34. Unanwendbar ist die Regel ferner bei familienrechtlichen Verträgen, etwa bei der Übertragung des Miteigentumsanteils am gemeinsamen Hausgrundstück im Rahmen einer umfassenden Eheauseinandersetzung35. Auch eine Kommune ist nicht durch die Vermutung geschützt36.
__________ 31 BGH, NJW-RR 1991, 589: sittenwidriger Verkauf bei einer Relation von 220 000 DM zu 400 000 DM; der in Grundstücksgeschäften erfahrene Verkäufer sei sich des Missverhältnisses bewusst gewesen; BGH, NJW-RR 1993, 198: sittenwidriger Kauf eines Hausgrundstücks von einem 78jährigen im Wert von mindestens 300 000 DM gegen einen Kaufpreis von 50 000 DM nebst Leibrente und Wohnrecht mit einem Barwert von 83 000 DM; interessant ist die Bemerkung des Gerichts, es liege nahe, dass der Käufer als angehender Jurist von der Übervorteilung des Verkäufers Kenntnis gehabt habe, jedenfalls reiche es aber, wenn er sich der Einsicht verschlossen habe, dass sich der Verkäufer aus Mangel an Urteilsvermögen auf die ihm ungünstigen Bedingungen eingelassen habe; BGH, NJW 1996, 1204: sittenwidriger Verkauf bei einer Relation von 250 000 zu 480 000 DM, selbst dann, wenn die Käufer das Grundstück zu 410 000 DM weiterverkaufen konnten. – Zurückverwiesen wurde in BGH, NJW-RR 1990, 950; BGH, NJW 1992, 899, 900: womöglich sittenwidriger Verkauf zweier überteuerter Eigentumswohnungen, aufzuklären seien aber noch der objektive Wert der Wohnungen sowie die Kenntnis des Verkäufers von der Wertrelation; BGH, NJW 1994, 1344, 1347 (Time-Sharing-Modell): Das Berufungsgericht habe nicht nur zu prüfen, wie teuer andere Anbieter sind, sondern auch, welche zusätzlichen Leistungen die erhebliche Differenz zum Preis einer Eigentumswohnung rechtfertigten; BGH, NJW 2000, 1487: sittenwidriger Verkauf eines Miteigentumsanteils bei einer Relation von 15 000 DM zu 50 000 DM; die besonderen Bewertungsschwierigkeiten in der ehemaligen DDR nach der Wende soll das Berufungsgericht noch eigens prüfen. 32 BGH, NJW 2003, 2230, 2231; Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rz. 116. 33 BGH, NJW 1995, 1019, 1022; Eckert, ZfIR 2001, 884, 888. 34 BGH, NJW 2006, 3054, 3056. 35 BGH, NJW 2003, 1860, 1861 f. (= BGHZ 154, 47), bemerkenswerterweise ohne Zitat der Leitentscheidung BGHZ 146, 298. 36 Die Stadt Dresden hatte dem Beklagten 1996 ein Grundstück im Wert von 125 500 DM für 4250 DM (also für 3,4 % des Bodenwerts) verkauft, und zwar gemäß einem Stadtratsbeschluss, welcher die Preisbindung aufgrund des sog. ModrowGesetzes für solche Erwerber aufrechterhielt, die noch rechtzeitig bis zum 1.7.1990 ihren Erwerbsantrag gestellt hatten. Nach Einschreiten der Rechtsaufsicht forderte die Stadt das Grundstück zurück. Bei diesem extremen Missverhältnis hätte sich eigentlich jede weitere Erwägung zum subjektiven Tatbestand verboten. Der BGH führt indes aus, es könne keine Rede davon sein, dass die wirtschaftlich oder intellektuell überlegene Beklagte die schwächere Lage der klagenden Landeshauptstadt bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt habe. Die Rechtsfigur des wucherähnlichen Geschäfts passe hier „ersichtlich“ nicht (BGH, LKV 2005, 84, 86 [= BGHZ 160, 240]). Dieses solle, wie das OLG Dresden ausführt, den unterlegenen Vertragspartner, meist Verbraucher, schützen, nicht jedoch eine große Kommune (OLG Dresden, VIZ 2004, 183). – S. auch unten IV.3. b) cc).
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III. Die Leitentscheidung: BGHZ 146, 298 Die Entscheidung des V. Zivilsenats aus dem Jahr 2001 ist der Schlusspunkt der soeben skizzierten Entwicklung. Die 83jährige Verkäuferin veräußerte 1990 ihr Hausgrundstück mit einem Ertragswert von 413 000 DM an die Beklagten gegen 100 000 DM in bar sowie eine monatliche Leibrente von 1400 DM und ein Wohnrecht im Wert von monatlich 800 DM. Die Verkäuferin starb alsbald an Krebs, an dem sie schon seit zwei Jahren litt; die Käufer hatten offenbar von der schweren Erkrankung keine Kenntnis. Das OLG Düsseldorf verneinte Sittenwidrigkeit, weil den Beklagten das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht bekannt gewesen sei. Der BGH entscheidet umgekehrt und gewährt der Klägerin – der enterbten Tochter der Verkäuferin, die im Wege des Erbschaftskaufs von der Alleinerbin die Erbschaft erlangt hatte – die begehrte Rückabwicklung. Der Senat fasst zunächst seine Rechtsprechung zusammen: Neben einem auffälligen Missverhältnis müsse für das Verdikt der Sittenwidrigkeit noch mindestens ein weiterer Umstand hinzukommen, welcher insbesondere in einer verwerflichen Gesinnung bestehen könne. Eine solche Gesinnung sei dann anzunehmen, wenn der Begünstigte etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen bewusst ausnutze oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschließe, dass sich sein Vertragspartner nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ihn ungünstigen Vertrag eingelassen habe. Bei einem besonders groben Missverhältnis sei der Schluss auf die verwerfliche Gesinnung möglich; dem entspreche der Erfahrungssatz, dass außergewöhnliche Leistungen in der Regel nicht ohne Not oder sonstige den Benachteiligten hemmende Umstände erbracht würden. Die Beklagten hätten nur 204 500 DM geleistet, weil Wohnrecht und Leibrente nach dem Vortrag der Klägerin kapitalisiert nur 104 500 DM ergäben; selbst bei der von den Beklagten behaupteten Gegenleistung in Höhe von insgesamt 224 000 DM sei ein besonders grobes Missverhältnis zu bejahen. Entgegen dem Berufungsgericht sei jedoch nicht erforderlich, dass der Begünstigte „zusätzlich“ Kenntnis von der Äquivalenzstörung gehabt habe37. „Allein“ aus dem besonders groben Missverhältnis einer den Wert der Gegenleistung um knapp das Doppelte übersteigenden Leistung38 sei die verwerfliche Gesinnung im Wege einer tatsächlichen beweiserleichternden Vermutung zu schließen39.
__________ 37 Diese Rechtsprechung wurde später mehrfach bestätigt, vgl. z. B. BGH, NJW 2002, 429, 432; ausführlich Hagen/Krüger in Hagen/Brambring/Krüger/Hertel, Der Grundstückskauf, 8. Aufl. 2005, Rz. 56. 38 Zu den einzelnen in der Rechtsprechung angenommenen Werten vgl. oben die Fn. 11. 39 BGHZ 146, 298, 304 f., lässt die Rechtsnatur dieser praesumptio facti offen (Anscheinsbeweis oder bloßes Element eines Indizienbeweises); hierzu ausführlich Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 53 ff. Der Benachteiligte muss nur das Leistungsmissverhältnis schlüssig vortragen, ein Vortrag zum subjektiven Tatbestand erübrigt sich. Umgekehrt hat der Begünstigte die volle Darlegungsund Beweislast für das Vorliegen besonderer Umstände; im Unterschied zum Anscheinsbeweis genügt es nicht, wenn er nur einen atypischen Geschehensablauf darlegt (vgl. Bork [Fn. 5], Rz. 1174). Die „tatsächliche Vermutung“ des BGH belastet den Begünstigten also sogar in höherem Maße, als es ein Anscheinsbeweis täte (anders in
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Nur „besondere Umstände“, für die der Begünstigte die Darlegungs- und Beweislast trage, könnten diese Vermutung erschüttern wie etwa ein (fehlerhaftes) Verkehrswertgutachten als Grundlage für den Kaufpreis, besondere Bewertungsschwierigkeiten oder Beweggründe sowie ein Affektionsinteresse40. Die völlige Gleichgültigkeit der Parteien gegenüber dem Wertverhältnis könne ebenfalls ein solcher besonderer Umstand sein; bezeichnenderweise führt der Senat das Beispiel an, dass der Erwerber wirtschaftlich so gut gestellt sei, dass er das Grundstück um jeden Preis erwerben wolle – zu beurteilen hatte er freilich den umgekehrten Fall, dass der Veräußerer zu billig verkauft hatte!
IV. Stellungnahme 1. Der sittenwidrige Konsumentenkredit als Vorbild? Beim Konsumentenkredit ist die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit wegen Wucherähnlichkeit älter als beim Kauf. Bereits 1979 verzichtet das OLG Stuttgart auf ein subjektives Erfordernis zur Gänze41, fordert damit jedoch die Kritik des BGH heraus: Dieser vertritt zwar mit Nachdruck, dass der vereinbarte effektive Darlehenszins den Marktzins relativ nicht um 100 % überschreiten dürfe; die subjektive Verwerflichkeit sei jedoch unverzichtbare Voraussetzung42. Allerdings könne der subjektive Tatbestand aus dem objektiven geschlossen werden. Schon 1983 hat Mayer-Maly im Hinblick auf diese das wucherähnliche Darlehen betreffende Rechtsprechung von einer Renaissance der laesio enormis gesprochen43. Bereits der Ansatz der Rechtsprechung, den insbesondere zum sittenwidrigen Konsumentenkredit entwickelten Grundsatz des zwingenden Schlusses vom objektiven auf den subjektiven Tatbestand ins Kaufrecht zu übernehmen, überzeugt nicht44. Dauerschuldverhältnisse wie Darlehen (oder auch Wohnraummiete und Arbeitsvertrag) unterliegen anderen Maßstäben als der in aller Regel auf den sofortigen Austausch der Leistungen gerichtete Kauf. Bei Wohnraummiete und Arbeitsvertrag ist typischerweise die Existenzgrundlage be-
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der Einschätzung Lorenz [Fn. 3], Bl. 7). Ablehnend auch Jung, ZGS 2005, 99 f., der zutreffend darauf verweist, dass es für eine solche Vermutung eine statistische Wahrscheinlichkeit nicht gibt. Das belegt anschaulich die Vielzahl der nach 2001 ergangenen Urteile, in denen „besondere Umstände“ zur Erschütterung der Vermutung bejaht wurden. Zu Recht fordert Jung die Rückkehr zur freien Beweiswürdigung. Das Affektionsinteresse erkennt der BGH als „in Grenzen“ wertsteigernd an, vgl. BGH, NJW-RR 2003, 558 (Springpferd Jolanda). OLG Stuttgart, NJW 1979, 2409. BGHZ 80, 153; dem „Richtwert“ des Doppelten zustimmend Hammen, ZBB 1991, 87, 91. Sittenwidrigkeit wird auch dann angenommen, wenn der Vertragszins den Marktzins um absolut 12 % überschreitet; kritisch gegenüber den genannten Grenzen Canaris, AcP 200 (2000), 303: „ziemlich arbiträr“. Mayer-Maly in FS Larenz (Fn. 17); zustimmend Canaris, AcP 200 (2000), 304; kritisch auch Koziol, AcP 188 (1988), 191. Ebenfalls gegen die einfache Übertragung Eckert, ZfIR 2001, 884, 885, 889; Sack in Staudinger (Fn. 4), § 138 BGB Rz. 230; anders dagegen Säcker in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, Einl. Rz. 37.
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troffen und die Machtlage der Parteien in der Regel ungleich; beim Darlehen kann ein zu hoher Zins rasch zu ungeahnten Erhöhungen der Schuld und letztlich zur Zahlungsunfähigkeit führen45. Wer von einem anderen erfolgreich einen Darlehenszins verlangt, der mehr als doppelt so hoch ist wie der von beiden Parteien leicht in Erfahrung zu bringende Marktzins, dem kann weder das erhebliche Missverhältnis zwischen den Leistungen noch die Schwächesituation des Benachteiligten verborgen geblieben sein. Der Schluss vom objektiven auf den subjektiven Tatbestand liegt in einem solchen Fall nicht fern. Ganz anders sieht es beim Kauf aus: Hier können die unterschiedlichsten Motive für das Rechtsgeschäft maßgeblich sein; eine Sache kann unter Freunden oder in der Familie verkauft werden, so dass in Wirklichkeit eine gemischte Schenkung gewollt ist, oder es können mit dem Verkauf bestimmte in die Zukunft gerichtete Hoffnungen persönlicher oder wirtschaftlicher Art (Spekulationen) sowie Affektionsinteressen verbunden sein46. Nicht selten mag auch einfach nur Desinteresse an der Erzielung eines möglichst hohen Preises bestehen, vielleicht weil die benachteiligte Partei finanziell besonders gut gestellt ist oder aber weil sie mit dem Verkauf einen anderweitigen Nutzen maximieren möchte, so etwa wenn der Verkäufer Platz für andere Sachen benötigt, sich im Alter vom Unterhalt eines Grundstücks entlasten möchte47 oder die mit der Suche nach einem besseren Vertragsangebot verbundenen Kosten und Mühen scheut48. Was die alte Dame in BGHZ 146, 298 bewogen haben mag, einem für die Käufer attraktiven Kaufpreis zuzustimmen, kann nicht mehr aufgeklärt werden. So könnte es ihr gleichgültig gewesen sein, wieviel sie auf die Alleinerbin vererbte – ihre Tochter hatte sie ja ohnehin enterbt. Ebensogut ist es aber auch möglich, dass ihr die nicht geringe Leibrente sowie das Wohnrecht neben dem Kaufpreis von 100 000 DM genügten und andere, ebenfalls interessierte Käufer nicht vorhanden waren oder nur mit einem ungleich höheren Aufwand hätten gefunden werden können. Die historisch gewachsene Unterscheidung zwischen Kredit- und Sachwucher – die Zinsgesetze der römischen Republik waren bei der Einführung der laesio enormis durch Diokletian schon etwa 400 Jahre alt49 – hat offenbar ihre innere
__________ 45 Hierauf verweist zutreffend Wacke, SZ Rom. Abt. 94 (1977), 214, 220. Dass die Einhaltung von Zinsbeschränkungen zudem leichter kontrollierbar ist als die Einhaltung bestimmter Obergrenzen beim Kauf, tat ein Übriges zur historisch verschiedenen Entwicklung der Preiskontrolle auf beiden Gebieten. – Es mag hier auch das Verbot von Zinseszinsen (Anatozismus) genannt werden, das den Schuldner vor der Übernahme einer unzumutbaren Belastung bewahren soll, vgl. bereits D. 12, 6, 26, 1; 42, 1, 27; C. 4, 32, 28 und heute § 248 BGB; dazu Hammen, ZBB 1991, 87, 90. 46 Vgl. auch Henssler (Fn. 4), S. 218; Kulke, ZfIR 2006, 788, 789. 47 So die zutreffende Überlegung in KG, OLGZ 1981, 124, 127. 48 Bei nicht liquiden Märkten können gerade die Suchkosten erheblich sein: Will man ein Grundstück verkaufen, sind nicht nur etwa Annoncen und dergl. zu berücksichtigen, sondern das Risiko eines Wertverfalls, die Instandhaltung in der Zwischenzeit und vor allem die aufgewendete Zeit. 49 Zu den leges fenebres der römischen Republik Kaser, Das Römische Privatrecht I, 2. Aufl. 1971, S. 496 f. Erlaubt waren pro Monat 1 %, also insgesamt maximal 12 % Zins (centesimae usurae); vgl. zur andersartigen Behandlung von Kredit- und Sachwucher durch den bundesdeutschen Gesetzgeber unten die Fn. 118.
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Rechtfertigung50. Der Schluss vom objektiv gegebenen, wie grob auch immer gearteten Missverhältnis von Kaufpreis und Marktwert der Sache auf die Sittenwidrigkeit und die mit dieser Vermutung einhergehende richterliche (Kauf-)Preiskontrolle sollten sich nicht auf die Rechtsprechung zum Kreditwucher stützen. 2. Die Notwendigkeit der Kenntnis der Äquivalenzstörung Der BGH verzichtet auf die Kenntnis des Begünstigten von der Äquivalenzstörung und nennt dies eine bloße „Präzisierung“ seiner bisherigen Rechtsprechung51. Seinen Beteuerungen zum Trotz, er habe zuvor nicht anders judiziert, liegt hierin der entscheidende Schritt zur vollständigen Aufgabe des subjektiven Tatbestands, und zwar im Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung. Immer wieder tauchte dort der Hinweis auf, der Begünstigte habe Kenntnis vom Wertverhältnis gehabt52, oder ein Rechtsstreit wurde eigens zum Zwecke der Feststellung zurückverwiesen, ob der Begünstigte das Wertverhältnis gekannt habe53. Ein Berufungsurteil blieb beispielsweise unbeanstandet, weil der begünstigte Käufer, ein Immobilienhändler (!), zwar von der Zwangslage des Verkäufers, nicht aber vom objektiven Missverhältnis der Leistungen gewusst hatte54. Der Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung – es müsse zu dem auffälligen Missverhältnis noch mindestens ein weiterer Umstand hinzukommen, der im Rahmen einer Gesamtschau dem Geschäft das Gepräge des Sittenwidrigen gebe – ist zutreffend. Wird indes dieser weitere Umstand – meist die verwerfliche Gesinnung – im Wege eines „zwingenden“55 Schlusses aus einem besonders groben Missverhältnis gefolgert, handelt es sich letztlich um eine Fiktion56. Selbst wenn man das bewegliche System Wilburgs, nach welchem
__________
50 Selbst der Gesetzentwurf des Bundeslandes Hessen von 1983 mit dem Ziel, § 138 um einen Absatz 3 zu ergänzen, der im Unterschied zu § 138 Abs. 2 auf ein subjektives Merkmal verzichtet, sollte ausdrücklich auf den Kreditwucher beschränkt bleiben, da die Gerichte nicht zu einer umfassenden Preiskontrolle ermächtigt werden sollten (BT-Drucks. 10/307). 51 BGH, LM § 138 (D) BGB, Nr. 3/4, Bl. 2. – Umgekehrt erschüttert Kenntnis des Benachteiligten die Vermutung nicht, BGH, NJW 2007, 2841, 2842. 52 So BGH, WM 1980, 597; BGH, NJW-RR 1991, 589; BGH, NJW-RR 1993, 198; BGH, NJW 1996, 1204. 53 BGH, NJW 1992, 899, 900. Zum Vorstehenden auch Jung (Fn. 6), S. 145 f. 54 BGH, WM 1985, 948, 949. 55 Vgl. nur etwa BGH, NJW 1995, 1019, 1020. 56 Hackl, BB 1977, 1412; Mayer-Maly in FS Larenz (Fn. 17), S. 400, 404; Koziol, AcP 188 (1988), 207 („Scheinbegründung“); Henssler (Fn. 4), S. 210 („bloßes Lippenbekenntnis“); Canaris, AcP 200 (2000), 301; Zimmermann (Fn. 14), S. 269; Singer, JZ 2001, 195; Jauernig in Jauernig, BGB, 12. Aufl. 2007, § 138 BGB Rz. 16; dagegen nicht überzeugend Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rz. 117: Die „differenzierten“ Anforderungen an die Vermutung und die Widerlegungsmöglichkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der BGH verwerfliches Gewinnstreben annimmt, ohne dass der Begünstigte seinen Vorteil erkannt haben muss (dazu sogleich). Methodenehrlicher wäre es dann in der Tat, wenn man – wie es etwa Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rz. 117, 129 f. vorschlägt – auf das subjektive Merkmal ganz verzichtete.
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ein Weniger des einen Tatbestandsmerkmals durch ein Mehr eines anderen ausgeglichen werden kann, mit weiten Teilen des Schrifttums anerkennen wollte57, wäre als Mindestvoraussetzung zu fordern, dass ein weiteres, wenn auch vielleicht schwächer ausgeprägtes Merkmal vorliegt58. Die besonders grobe Äquivalenzstörung ist beim Kauf gerade kein Fall der Inhaltssittenwidrigkeit, bei welcher sich nach verbreiteter Auffassung der subjektive Tatbestand erübrigt, sondern ein Fall der Umstandssittenwidrigkeit59. Dies liegt in der erwähnten Vielgestaltigkeit möglicher Beweggründe für einen Abschluss weit unter- oder oberhalb eines wie immer zu bestimmenden „Marktpreises“ begründet. Die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten muss sich auf zwei objektive Gesichtspunkte beziehen: die Schwächesituation des Benachteiligten und das objektive Missverhältnis60. Dies besagt auch die ständig bemühte Formel der Rechtsprechung, der Begünstigte müsse entweder die schwächere Lage des anderen bei der Festlegung der ihm günstigen Vertragsbestimmungen ausgenutzt oder sich der Erkenntnis leichtfertig verschlossen haben, der andere mache die Zugeständnisse nur aufgrund seiner Schwächeposition. Vom Ausnutzen „günstiger“ Vertragsbedingungen oder vom Erzielen von „Zugeständnissen“ kann man nur sprechen, wenn der Begünstigte mit dem Vorhandensein einer Äquivalenzstörung zu seinen Gunsten rechnet. Letztlich ist es nur sein anstößiges Gewinnstreben, welches das Geschäft sittenwidrig erscheinen lässt. Wenn aber der subjektive Tatbestand allein aus dem objektiven Missverhältnis gefolgert wird, bleibt der Vorwurf verwerflicher Gesinnung ohne jede Tatsachenbasis. In BGHZ 146, 298 kannten die Käufer weder die Schwächesituation der Verkäuferin noch die objektive Wertrelation. Sie hatten daher auch keinen Anlass, sich über die Motivation der Verkäuferin Gedanken zu machen61. Bezieht man, wie der BGH, das leichtfertige Sichverschließen auch auf die Wertrelation – der Senat meint, der Käufer eines Grundstücks beobachte den Grundstücksmarkt und verschaffe sich daher wenigstens grundlegende Kenntnisse –, postuliert man regelrecht eine Pflicht zur Nachforschung über den wahren Wert der Kaufsache62. Ein Grundstückskäufer müsste letztlich stets ein Wertgutachten einholen, um sicherzustellen, dass er sich mit dem
__________ 57 Mayer-Maly in FS Larenz (Fn. 17), S. 406; Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rz. 29 ff.; Henssler (Fn. 4), S. 210; auch Heinrich (Fn. 7), S. 390. Zutreffend aber gegen „bewegliche Systeme“ Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, S. 84 ff., 86 f. 58 Richtig Koziol, AcP 188 (1988), 197. 59 Anders offenbar Martinek, JZ 1994, 1050. 60 Jung, ZGS 2005, 98, 101, möchte dagegen auf das Merkmal verwerflicher Gesinnung verzichten, verlangt jedoch neben dem groben Leistungsmissverhältnis objektiv eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Benachteiligten sowie subjektiv Kenntnis (oder grob fahrlässige Unkenntnis) des Begünstigten von beidem. 61 Richtig Maaß, NJW 2001, 3467. 62 Maaß, NJW 2001, 3468; ebenfalls kritisch Jung, ZGS 2005, 98. Deutlich erhellt der Pflichtencharakter im Übrigen daraus, dass der BGH in seinem Urteil einen Anspruch der Klägerin aus culpa in contrahendo wegen Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten für möglich hält, vgl. LM § 138 (D) BGB, Nr. 3/4 Bl. 4.
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Verkäufer nicht auf einen sittenwidrig niedrigen Preis einigt63. Für den umgekehrten Fall betont die Rechtsprechung zu Recht, dass der Grundsatz des caveat emptor gilt und aufgrund der entgegengesetzten Interessen von Verkäufer und Käufer jenen keine Informationspflicht über den wahren Wert der Kaufsache trifft64. Sollte es hier jedoch anders sein, so dass den Käufer die Pflicht zur Aufklärung des Verkäufers über den (viel höheren) Wert der Kaufsache trifft? Naheliegend und den gegenläufigen Parteiinteressen entsprechend wäre es jedenfalls, wenn in einem solchen Fall das Wertgutachten vom Verkäufer im eigenen Interesse eingeholt werden müsste65. Letztlich zeigt eine beiläufige Bemerkung, dass auch der V. Zivilsenat sich des fiktiven Charakters des von ihm verteidigten subjektiven Kriteriums bewusst ist: Verlange man Kenntnis des Begünstigten vom Leistungsmissverhältnis, würden nicht alle Fälle verwerflicher Gesinnung vollständig erfasst66. Viel mehr als eine petitio principii ist das nicht. Letztlich entscheidet der Senat wie Diokletian in der genannten Konstitution C. 4, 44, 2 von 285. Mit dem Berufungsgericht und der eigenen früheren Rechtsprechung des BGH ist daher zu fordern, dass der Begünstigte das objektive Missverhältnis der Leistungen kennt67. Denn verwerfliches Gewinnstreben ist nur denkbar, wenn sich der Begünstigte einen Gewinn verspricht, was voraussetzt, dass er die Äquivalenzstörung kennt. Bloße Erkennbarkeit der Äquivalenzstörung und damit der Vorteilhaftigkeit für den Begünstigten reicht dagegen nicht aus. 3. Die Ermittlung des Werts einer Leistung In den meisten Entscheidungen zu § 138 Abs. 1 BGB wird nunmehr allein geprüft, welchen objektiven Wert die ausgetauschten Leistungen haben68. Dabei ergeben sich viele Zweifelsfragen, weil der Wert einer Leistung oft nicht ohne weiteres bestimmbar ist. Um so zweifelhafter sind diese Erörterungen, wenn sie wegen des vermeintlich zwingenden Rückschlusses auf den subjektiven Tatbestand über die Sittenwidrigkeit allein entscheiden. Angesichts dieser Vermutung aus der objektiven Äquivalenzstörung nimmt es nicht wunder,
__________ 63 So die zutreffende Kritik von Maaß, NJW 2001, 3467. 64 Vgl. nur BGH, NJW 2000, 1254, 1255; BGH, NJW 2004, 1732, 1734; OLG Zweibrücken, OLGR Zweibrücken 2005, 125; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluss, 1989, S. 68; Kulke, ZfIR 2006, 788, 791; Grunewald (Fn. 3), § 2 Rz. 12 mit Fn. 30. 65 Vgl. nur KG, OLGZ 1981, 124, 127. Zur Informationspflicht des Käufers gegenüber dem Verkäufer über eine bessere Verwertungsmöglichkeit Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 322 f. 66 BGHZ 146, 298, 304. 67 Wie hier Eckert, ZfIR 2001, 884, 888; Medicus (Fn. 1), Rz. 708a, 711; a. A. Armbrüster in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 138 BGB Rz. 116; Jung, ZGS 2005, 101. 68 Die Erörterung von (übrigens teuren) Sachverständigengutachten mit seitenlangen Ausführungen zu den Leistungswerten steht in den Urteilen im Mittelpunkt – eine schon prima vista ins Auge springende Konsequenz der neuen richterlichen Preiskontrolle.
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wenn die Gerichte bei der Wertbestimmung ansetzen, um missliebige Ergebnisse von vornherein zu vermeiden69. Zurückhaltung ist angeblich zunächst dann geboten, wenn der Wert der Kaufsache relativ gering ist; denn in einem solchen Fall sei die Über- oder Unterschreitung des Marktwerts wenig aussagekräftig – eine ökonomisch wenig überzeugende, dafür im Ergebnis um so einleuchtendere Einschränkung der neuen Rechtsprechung70. Zu viele Kaufverträge des alltäglichen Lebens wären sonst sittenwidrig. a) Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Marktwerts In aller Regel kann man den objektiven Wert der Kaufsache anhand ihres Marktwerts bestimmen71. Eine Wertermittlung ist jedoch schwierig, wenn es an einem funktionierenden Markt fehlt72. Allerdings hält der BGH eine Wertermittlung selbst bei seltenen Hausgrundstücken, deren Wert schwer objektivierbar ist (wie einem baufälligen Herrenhaus in der ehemaligen DDR), meist für möglich, etwa aufgrund des Ertragswertverfahrens73. In einem solchen Fall kann aber nicht von einem Marktwert gesprochen werden, denn die Wertermittlung mittels Ertragswertverfahrens fußt dann auf vielerlei Annahmen, die aufgrund des Fehlens eines (Miet-)Marktes gerade nicht verifiziert werden können. Der Preis einer Ware kann nur mit den Konkurrenzpreisen auf derselben Handelsstufe, also innerhalb desselben Markts, verglichen werden, so dass nicht etwa der Preis für den Endverbraucher mit demjenigen für einen Zwischen-
__________ 69 So stellt das Brandenburgische OLG (v. 16.2.2005 – 4 U 133/04, rkr.) für die Frage, wieviel die für 30 000 Euro erhaltene Bewilligung einer Dienstbarkeit zur Übernahme einer Abstandsfläche objektiv wert war, nicht nur, wie zuvor das LG, auf den Verkehrswert der betroffenen Fläche von 7 qm ab (Wert: 280 Euro), sondern auch auf den Vorteil, den der Berechtigte aus der Dienstbarkeit zog, nämlich die Vermeidung eines Teilabrisses; zustimmend Fritsche, NJ 2005, 562 f.; vgl. auch OLG Dresden (v. 19.2.2007 – U 2137/06). Ähnlich BGH, NJW 2002, 429, 431, der bei einem Verzicht auf ein Erbbaurecht nicht nur den Verkehrswert des Rechts, sondern auch den Vorteil für den Eigentümer des nunmehr unbelasteten Grundstücks berücksichtigt. 70 BGH, NJW 2003, 283, 284; ablehnend auch Grunewald (Fn. 3), § 2 Rz. 12 (allerdings mit dem Ziel, auch für weniger wertvolle Produkte Preiskontrolle zu ermöglichen). 71 BGHZ 146, 298, 305; BGH, NJW-RR 2003, 558, 559; vgl. schon Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 152, 154; Zimmermann (Fn. 14), S. 266; Henssler (Fn. 4), S. 211; Jung, ZGS 2005, 96. 72 Unmittelbar nach Einführung der Währungsunion 1990 war die Wertermittlung für Grundstücke in der DDR schwierig, vgl. BGH, NJW 2000, 1487, 1488; KG, VIZ 2000, 614. – Ein funktionierender Markt wurde vom BGH z. B. auch dann verneint, wenn alle 232 Teilerbbaurechte an zwei Wohnanlagen von einem einzigen Ausgeber angeboten wurden und der Erbbauzins entsprechend überteuert war; es sollte auf den Zins in anderen Gemeinden abgestellt werden, vgl. BGH, NJW-RR 2005, 1418, 1420. 73 BGH, NJW 2006, 3054 f.; vgl. auch BGH, ZIP 1997, 931, 932. Zu den Wertermittlungsverfahren bei Grundstücken unten die Fn. 81. – Auch beim Kauf von Tieren soll eine Wertbestimmung stattfinden, das LG hatte dagegen Lebewesen für objektiv unbewertbar erachtet, vgl. BGH, NJW-RR 2003, 558.
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händler in Beziehung gesetzt werden kann74. Kauft ein Sammler für 25 500 DM Olympia-Sondermünzen mit einem Metallwert von 2250 DM, so stellt der BGH zur Wertermittlung nicht etwa auf den Metallwert ab – Händler sind häufig nur zur Rücknahme der Münzen zum Metallwert bereit –, sondern auf die Preise, die andere Händler für solche Münzen verlangen75. Ebenfalls von einem „gespaltenen Markt“ geht das OLG Saarbrücken im Hinblick auf den Kunsthandel aus: Der Marktwert von Kunstgegenständen, in casu eines Gemäldes des Malers Charles-Emil Jacque, unterliege zu großen Schwankungen, und ein festes, transparentes Marktgefüge bestehe nicht. Rechtsgeschäfte von Kunsthändlern könnten nicht deshalb schematisch als wucherähnlich stigmatisiert werden, weil der Kaufpreis den vermeintlichen Marktwert um das Doppelte überschreite76. Vor allem darf die Anwendung der Regeln über das wucherähnliche Rechtsgeschäft nicht dazu führen, dass einem Kunsthändler der Anreiz genommen wird, nach noch unerkannt gebliebenen wertvollen Kunstwerken Ausschau zu halten: Die oft erheblichen Gewinnspannen gelten seine Suchkosten ab; ohne einen entsprechenden Anreiz blieben die Werke auf Kosten der Allgemeinheit unentdeckt77. Noch problematischer ist der Verkauf durch einen lebenden Künstler, bei dessen Werken es häufig einen erheblichen Preisunterschied zwischen dem Erstverkaufspreis und den künftig erzielbaren Weiterverkaufspreisen gibt; ein Marktpreis hat sich dann in der Regel noch nicht gebildet, der Käufer zahlt wegen der von ihm geschätzten künstlerischen Qualität78. Schließlich ist zu beachten, dass die verschiedenen Vertriebskanäle – Einzelhandel, Versandhandel, e-commerce – ihre Preise unter unterschiedlichen Bedingungen bilden. Da sich außerdem für bestimmte knappe Güter wie etwa nicht mehr erhältliche Briefmarken oder Eintrittskarten ein erheblich über dem Verkaufspreis liegender Marktpreis bilden kann, ist auf letzteren abzustellen79. b) Fehlerhafte Wertgutachten aa) Stützen sich die Parteien übereinstimmend auf ein fehlerhaftes Wertgutachten, so ist nach der Rechtsprechung die Vermutung verwerflicher Gesin-
__________ 74 Vgl. auch Singer, JZ 2001, 196. 75 BGH, NJW 2000, 1254; dazu Singer, JZ 2001, 195. 76 OLG Saarbrücken, OLGR Saarbrücken 2001, 145. Ganz anders (und wenig überzeugend) OLG Bremen, MDR 2004, 738, welches beim Verkauf zweier Gemälde im Wert von 1500 Euro für 50 000 Euro ohne weiteres die Vermutung gegen den begünstigten Verkäufer (den Lebenspartner der Käuferin) anwendet, der seinerseits die Werke gekauft hatte: „Wenn der Beklagte bei dieser Sachlage die Bilder wenige Jahre später für den 5-fachen Kaufpreis [die 50.000 Euro] an die Klägerin weiterverkaufte, handelte er mithin aus verwerflicher Gesinnung.“ 77 Grechenig, Journal für Rechtspolitik 14 (2006), 14, 15 ff.; vgl. auch Kronman, The Journal of Legal Studies 7 (1978), 1, 29 f. 78 So zutreffend der österreichische OGH, JBl. 1967, 620, 621, bei einem Wertverhältnis von 1500 zu 36 000 S. 79 Singer, JZ 2001, 196; OLG Köln, OLGZ 1993, 193.
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nung aufgrund eines besonderen Umstandes erschüttert, wenn das Gutachten für den Begünstigten nicht erkennbar falsch ist80. bb) Einen Vorrang für eine bestimmte Methode der Verkehrswertermittlung für Grundstücke erkennt der BGH nicht an, vielmehr ist die Wahl der Methode in das Ermessen des Tatrichters gestellt81: Ein Gutachter hatte für eine Eigentumswohnung, die für 175 000 DM gekauft worden war, aufgrund ausreichenden Zahlenmaterials das Vergleichswertverfahren benutzt und war so zu einem Wert von 110 000 DM gelangt; danach war eine besonders grobe Äquivalenzstörung nicht anzunehmen. Dagegen stützte sich das Berufungsgericht auf die Ertragswertmethode, die nur zu einem Wert von 93 000 DM und damit zu einer sittenwidrigen Überhöhung führte. Der BGH folgt dagegen dem Vergleichswertverfahren und meint, dass der Verkäufer nicht sittenwidrig gehandelt habe, wenn er die nach dem Ertragswertverfahren gegebene Äquivalenzstörung nicht gekannt habe: „Klüger oder rücksichtsvoller als die anderen Marktteilnehmer“ müsse er nicht sein82. Das Urteil ist zwar im Ergebnis richtig83, Zweifel bleiben jedoch deshalb, weil der Vorwurf der Sittenwidrigkeit kaum davon abhängen kann, welchem Verfahren der Wertermittlung man folgt. Wie weit die richterliche Preiskontrolle mittlerweile geht, zeigt die folgende Entscheidung des BGH84: Ein Diplom-Betriebswirt kaufte aus Spekulationsgründen in Mecklenburg-Vorpommern ein unterdessen zwangsversteigertes Grundstück für 250 000 DM, auf dem ein erkennbar baufälliges Herrenhaus stand und dessen gutachtlicher Verkehrswert nur 118 000 DM betrug. Der beklagte Verkäufer hatte das Grundstück seinerseits zwei Jahre zuvor für 21 000 DM gekauft. Selbst wenn der Verkäufer beweisen könne, dass ihm höhere Angebote zur Verhinderung des geplanten Verkaufs zu 250 000 DM gemacht worden seien, so sei ein solcher Vortrag allein nicht ausreichend; denn er müsse zudem darlegen, dass diese Angebote nicht von ungewöhnlichen oder persönlichen Verhältnissen der Interessenten im Sinne von § 6 WertV beeinflusst gewesen seien, um als Vergleichsdaten für die Wertermittlung überhaupt in Betracht zu kommen. Die Notwendigkeit einer derartigen Gewissenserforschung bei potentiellen Käufern ist ein Novum. cc) Kauft eine Gemeinde unbeplantes Agrarland für 15 DM/qm entsprechend einem von ihr zunächst eingeholten Gutachten und wird später die darin zugrunde gelegte Erwartung einer Überplanung enttäuscht, so sollte es nach Auffassung des Berufungsgerichts für die Bewertung einen objektiven Maßstab erst
__________ 80 BGH, WM 1997, 1155, 1156; OLG Rostock, OLGR Rostock 2003, 290 sowie 483. 81 BGH, NJW 2004, 2671. Zu den drei Verfahren – Vergleichs-, Ertrags- und Sachwertverfahren – gemäß § 7 der Wertermittlungsverordnung von 1988 (WertV; BGBl. I, S. 2209), welche die Definition des Verkehrswerts eines Grundstücks nach § 194 BauGB ausfüllt, Eckert, ZfIR 2001, 884, 885. Wertabweichungen zwischen den einzelnen Verfahren von bis zu 20 % sind keine Seltenheit. 82 BGH, NJW 2004, 2671, 2673. 83 So auch Medicus, EWiR 2004, 1069, 1070. 84 BGH, NJW 2006, 3054, 3055. Die genannten Ausführungen zur Äquivalenzkontrolle wurden im Hinblick auf § 138 Abs. 2 gemacht; zu Recht kritisch Kulke, ZfIR 2006, 788.
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gar nicht geben85. Dies stimmt offenbar nicht – immerhin konnte die Gemeinde später ein gerichtliches Wertgutachten über 1,56 DM/qm vorlegen. Der BGH rekurriert dagegen zur Erschütterung der Vermutung verwerflicher Gesinnung auf „besondere Umstände“: Beide Parteien seien von Bauerwartungsland ausgegangen, und der beklagte Verkäufer habe ausreichende Anstrengungen zur Ermittlung eines angemessenen Leistungsverhältnisses unternommen, indem er sich von der Gemeinde die fehlerhaften, von einer Bebaubarkeit ausgehenden Gutachten habe vorlegen lassen; die Fehlerhaftigkeit dieser Gutachten falle ihm nicht zur Last. Immerhin gelangt der BGH zum richtigen Ergebnis, den Schluss auf eine Ausbeutung der Gemeinde nicht ziehen zu müssen. Schließlich konnte die Verkäuferin selbst die Beplanbarkeit des Agrarlands am besten einschätzen86. Mit „besonderen Umständen“ hat dies alles freilich nichts zu tun: Der Käufer trägt das Verwendungsrisiko; geht er dabei ohne Täuschung von falschen Voraussetzungen aus, ist das seine Angelegenheit. Die Schwäche der Begründung des BGH zeigt sich am Perspektivenwechsel: Wieso sollte der beklagte Verkäufer sich um die Ermittlung eines angemessenen Leistungsverhältnisses bemühen? Gilt caveat emptor oder doch eher nicht? c) Die Kapitalisierung von Leibrenten und Wohnrechten aa) Die Wertermittlung macht beim Kauf besondere Schwierigkeiten, wenn die Gegenleistung wenigstens auch in einer Leibrente oder in einem Wohnrecht besteht. Die Rechtsprechung geht von der Notwendigkeit einer Kapitalisierung aus, die sich auf die Sterbetafeln des Statistischen Bundesamts und damit auf die durchschnittliche Lebenserwartung des Verkäufers stützt, bezogen auf dessen im Zeitpunkt des Verkaufs erreichtes Lebensalter und Geschlecht87. Diese Methode ist sicher für die ex-ante-Prognose eines homo oeconomicus zutreffend und ratsam. Eine andere Art der objektiven Wertermittlung einer solchen Leistung ist nicht ersichtlich. Da sich die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts regelmäßig nach dem Zeitpunkt seiner Vornahme bestimmt88, scheinen keine Einwände gegen diese Art der Berechnung zu bestehen. Die Bedenken ergeben sich jedoch aus der Verquickung von objektivem Leistungsmissverhältnis einerseits und Sittenwidrigkeitsverdikt andererseits, indem in vermeintlich zwingender Weise auf den subjektiven Tatbestand geschlossen wird. Gerade bei den genannten Leistungen ist eine objektive Äquivalenzstörung besonders wenig aussagekräftig, denn die Kapitalisierung nach der Rechtsprechung bezieht sich nur auf die Durchschnittsverteilung und
__________ 85 BGH, BGHReport 2004, 776; OLG Naumburg, OLG-NL 2003, 243. 86 Der nötige Humor scheint dem Berufungsgericht nicht gefehlt zu haben: „Angesichts der … zur Wahrnehmung öffentlicher Ämter vorausgesetzten Auslese und Wahl … war für die Beklagte nicht zu erwarten, dass die Klägerin von unerfahrenen, mit mangelhaftem Urteilsvermögen ausgestatteten Personen geleitet und gesetzlich vertreten werden könnte“, OLG Naumburg, OLG-NL 2003, 243, 245. 87 Vgl. Anlage 9 zu § 14 BewG; vgl. etwa zur Berechnung eines lebenslangen Wohnrechts BGH, NJW 1993, 198, 199. 88 Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 78 f.
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kann daher die individuellen Risikoerwägungen des Käufers nicht widerspiegeln: Die 83jährige Verkäuferin in BGHZ 146, 298 hatte 1990 noch eine statistische Lebenserwartung von 6,26 Jahren89. Warum sollten die Käufer nicht mit einer Lebenserwartung von zehn (oder noch mehr) Jahren rechnen dürfen, entweder weil ihnen bekannt war, dass die Familienangehörigen der Verkäuferin generell überdurchschnittlich alt wurden, oder weil sie besonders risikoscheu waren? Kalkulieren sie mit einem solchen Wert, sind Leibrente und Wohnrecht, wieder90 mit 10 % abgezinst, bereits 170 500 DM wert; zusammen mit den angezahlten 100 000 DM würde auch der BGH nicht von einem sittenwidrigen Missverhältnis zum Grundstückswert sprechen91. Das Versprechen einer an die Lebensdauer gebundenen Leibrente ist ein spekulatives, aleatorisches Geschäft92. Zutreffend bezeichnet § 1269 ABGB die Leibrente als „Glücksvertrag“, für den wegen § 1268 ABGB die Regelung über die laesio enormis nach § 934 ABGB gerade nicht gilt. Nur dem gegenüber, der gleich einem Versicherungsunternehmen die Fähigkeit zur Risikostreuung hat, kann ohne weiteres der mathematische Erwartungswert des Risikos in Ansatz gebracht werden, weil er wegen des Gesetzes der großen Zahl im Durchschnitt richtig liegt, auch wenn es im Einzelfall große Abweichungen nach oben oder unten gibt93. Die vom BGH bei der Anwendung der Kapitalwertmethode zugrunde gelegte durchschnittliche Lebenserwartung setzt also einen Investor voraus, der regelmäßig und viele solcher Verträge abschließt; er ist unter Nichtkaufleuten eine bloße Fiktion. Stützt man sich zur Ermittlung der Äquivalenzstörung lediglich auf eine solche Berechnungsmethode und schließt dann auf den subjektiven Tatbestand, verhält sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Anleger im Ergebnis sittenwidrig94. Außergewöhnliche Risikoaversion oder besondere, von der Durchschnittsverteilung abweichende Erwägungen des Begünstigten hinsichtlich des zu erwartenden Endes der Rentenverpflich-
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89 Vgl. die Abgekürzte Sterbetafel 1990/1992 des Statistischen Bundesamts Wiesbaden, 2004. Demnach hätte die Klägerin bei der Wertermittlung von Leibrente und Wohnrecht, ausgehend von einer Zahlung am Monatsanfang, einen Zinsfuß von 17,5 % zugrunde gelegt, um zu dem von ihr behaupteten Wert von 104 500 DM zu gelangen. Dies ist selbst in Anbetracht der 1990 herrschenden Hochzinsphase unrealistisch. Die Beklagten – sie behaupteten 124 000 DM – haben wirklichkeitsnäher mit 10 % abgezinst. 90 Vgl. die Fn. 89. 91 Geht man vom Richtwert einer 80 %igen Mehrleistung aus (oben Fn. 11), musste die Gegenleistung der Käufer bei einem Grundstückswert von 413 000 DM wenigstens 230 000 DM betragen. 92 Henssler (Fn. 4), S. 395. 93 So auch Henssler (Fn. 4), S. 245, 247, der aber bei der Leibrentenbewertung nach § 138 Abs. 1 auf die statistische Lebenserwartung abstellen will (S. 412). 94 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die in der Tendenz anders geartete Entscheidung des IV. Zivilsenats des BGH, NJW 2003, 1596, 1598: Die Pauschalvergütung einer Privatklinik sei nicht deshalb sittenwidrig überhöht, weil die Summe der von dieser zuvor berechneten Tagessätze weitaus geringer gewesen sei als die Pauschale; entscheidend für den Marktvergleich sei nur, wie hoch die von anderen Privatkliniken geforderten Pauschalen seien. Eine solche Pauschale sei stets mit der Unsicherheit der Kalkulation behaftet: Halte sich der Patient nur kurz in der Klinik auf, sei der Gewinn hoch, bleibe er lange, drohe eventuell ein Verlust.
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tung werden vom BGH gerade nicht als „besondere Umstände“ gewertet, die die Vermutung erschüttern könnten. bb) Überdies ist auch die Kapitalisierung des Wohnrechts mit einer großen Unsicherheit behaftet: Ein mit einem lebenslangen Wohnrecht belastetes Grundstück ist in aller Regel nicht ohne weiteres veräußerlich, der in ihm steckende Wert nicht realisierbar. Welchen Wert das Grundstück aber nach dem Erlöschen des Wohnrechts haben wird, ist nicht zweifelsfrei vorhersehbar; denn die Grundstückspreise können auch fallen. Diesem Risiko trägt eine Rechtsprechung, die bei der Ermittlung des Wertverhältnisses nur auf den gutachtlichen Wert des unbelasteten Grundstücks im Verkaufszeitpunkt einerseits und das mit der durchschnittlichen Lebenserwartung kapitalisierte Wohnrecht andererseits abstellt, nicht Rechnung, zumindest wenn sie den im Wege der Kapitalisierung berechneten Wert des Wohnrechts im Ergebnis allein über die Sittenwidrigkeit entscheiden lässt. 4. Gemischte Schenkungen Eine weitere Entscheidung des BGH ist im Schrifttum beinahe unbeachtet geblieben. In ihr weist der BGH, wie eingangs dargelegt, den Vorwurf Flumes einer Wiedereinführung der laesio enormis zurück95. Der 72jährige kinderlose Verkäufer hatte seinen kurz zuvor teils durch Erbfolge nach seiner Frau, teils im Wege des Erbschaftskaufs erworbenen landwirtschaftlichen Betrieb an die Beklagten veräußert. Neben einem Barkaufpreis von 130 000 DM wurden eine wertgesicherte Leibrente von zunächst 1450 DM und später – nach Zahlung von insgesamt 70 000 DM – von nur noch 500 DM, ein lebenslanges Wohnrecht sowie die Übernahme der Beerdigungskosten und der Grabpflege versprochen. Zwei Jahre später forderte der Verkäufer die Grundstücke wegen Sittenwidrigkeit zurück. Beim Erbschaftskauf war der Nachlasswert auf 500 000 DM beziffert worden, der Kläger ging indes von einem Wert von 800 000 DM aus. Während das OLG München gemäß der Entscheidung BGHZ 146, 298 Sittenwidrigkeit aus dem objektiven Missverhältnis geschlossen hatte, verwies der V. Zivilsenat den Rechtsstreit zurück. Es fehlten genauere Feststellungen zur Höhe der Gegenleistung der Käufer, und zudem habe das Berufungsgericht deren Vortrag nicht hinreichend gewürdigt, dass der Verkäufer ihnen den Hof ursprünglich habe schenken wollen, um, dem Wunsch seiner verstorbenen Ehefrau entsprechend, Erhalt und Fortführung des Hofs zu sichern. Eine solche Schenkung hätten die Beklagten jedoch nicht annehmen wollen, weshalb der Kläger einen Anwalt seines Vertrauens zu Rate gezogen habe, um einen für alle akzeptablen Kaufpreis zu finden. Eine gemischte Schenkung, welche eine Einigung über die teilweise Unentgeltlichkeit der Zuwendung erfordere, sei zwar damit gerade nicht behauptet worden – die Beklagten hätten ja selbst erklärt, mit einer Schenkung nicht einverstanden gewesen zu sein –, in dem vorgetragenen „keineswegs unvernünftigen Motiv“ des Klägers indes könne im Verein mit der Beratung durch den Anwalt ein
__________ 95 BGH, NJW 2002, 3165.
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besonderer, die Vermutung erschütternder Umstand gesehen werden. Dafür trügen freilich die Beklagten als Begünstigte die Beweislast. Bemerkenswert ist an der Entscheidung, dass sie von der Rechtsprechung des BGH zum Schenkungseinwand im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung abweicht. Sie lehnt zwar zunächst eine gemischte Schenkung ab, gelangt jedoch zu ihr zurück über die Erwägungen zum Schenkungsmotiv des Verkäufers: Wenn der kinderlose Verkäufer ursprünglich den Hof verschenken wollte96, um dem Wunsch seiner Frau Rechnung zu tragen, und die Käufer eine vollständige Schenkung ablehnten, so können sie doch bei der Aushandlung eines für beide Seiten „akzeptablen“, also wohl eines mäßigen Kaufpreises Einigkeit darüber erzielt haben, dass der zu einem marktangemessenen Preis fehlende Rest geschenkt sein sollte. Hier soll also der Begünstigte, der Schenkung einwendet, die Beweislast für diesen Einwand tragen, während die bereicherungsrechtliche h. M. bei der Prüfung des § 812 Abs. 1 BGB gerade vom Gegenteil ausgeht: Der Bereicherungsgläubiger habe den Nachweis für die Rechtsgrundlosigkeit seiner Leistung zu erbringen; den Einwand des Bereicherungsschuldners, ihm sei die Sache doch geschenkt worden, habe der Gläubiger zu entkräften97. Diese Beweislastverteilung hat der BGH noch unlängst bestätigt98. Es ist jedoch namentlich Wacke der Nachweis zu verdanken, dass diese bereicherungsrechtliche h. M. nicht zu rechtfertigen ist: donatio non praesumitur!99 Wenn der BGH im Rahmen der Entkräftung des Sittenwidrigkeitsvorwurfs dem Begünstigten die Beweislast auferlegt, so setzt er sich damit – offenbar unbewusst – in Widerspruch zu seiner bereicherungsrechtlichen Rechtsprechung. Das Urteil ist im Ergebnis richtig, eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten kann nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung angenommen werden100. Es überzeugt aber deshalb nicht, weil es drastisch vor Augen führt, dass die objektive Äquivalenzstörung gerade beim Kauf keine Aussagekraft für den subjektiven Tatbestand hat. Der BGH entscheidet analog dem österreichischen ABGB: § 934 ABGB lässt für die laesio enormis das objektive Missverhältnis genügen, nach § 935 ABGB ist die gemischte Schenkung vom Anwendungsbereich des § 934 ABGB ausgenommen; allerdings trägt der Begünstigte die Beweislast für
__________ 96 Was übrigens zeigt, dass er wirtschaftlich kaum schwach gestellt gewesen sein konnte und eine Ausbeutungslage nicht anzunehmen war. 97 Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht I, 2. Aufl. 1991, § 516 Rz. 3 f. Allgemein für die Beweislast bezüglich der Rechtsgrundlosigkeit BGH, NJW 2003, 1039. 98 BGH, JZ 2000, 568 mit abl. Anm. Schiemann. 99 Vgl. Wacke, AcP 191 (1991), 1; ders., ZZP 114 (2001), 77, 92 ff., unter Hinweis auf D. 50, 17, 41, 1; zust. Schiemann, JZ 2000, 572; Böhr, NJW 2001, 2059; Wendehorst in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 812 BGB Rz. 272. Vor allem der Gleichklang zu § 814 erfordert es, dem Bereicherungsschuldner die Beweislast für die Schenkung aufzubürden (zur Beweislast des Bereicherungsschuldners bei § 814 als rechtshindernde Einwendung Baumgärtel [Fn. 97], § 814 Rz. 1). Kritisch zur Rechtsprechung auch Halfmeier in Liber amicorum Eike Schmidt, 2005, S. 109 ff., 125 ff. 100 Das Verfahren endete – nach einem klageabweisenden Urteil des OLG – durch Klagerücknahme.
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die Umstände, welche die Vermutung teilweiser Unentgeltlichkeit rechtfertigen101. Genau dies ist nicht das Konzept des § 138 Abs. 1 BGB: Wie der BGH selbst immer wieder betont, muss zur objektiv gegebenen Äquivalenzstörung ein weiteres die Sittenwidrigkeit begründendes Merkmal hinzutreten. Dafür hat aber der Anspruchssteller die Beweislast zu tragen.
V. Plädoyer für eine „entmaterialisierte“ Vertragsethik Die Geschichte der laesio enormis ist, wie unser kurzer historischer Überblick gezeigt hat, diejenige von Pendelschlägen102. In bestimmten Zeiten neigt man eher zu paternalistischer Schutzgesetzgebung und übt daher verstärkt Preiskontrolle aus, in anderen – wie zur Zeit der Entstehung des BGB – vertraut man auf die Selbstbestimmung der Marktteilnehmer. Ein erneuter Umschwung fand unter der Geltung des BGB in den letzten 50 Jahren statt: Die Rechtsprechung hat, um ein Dictum Wieackers aufzugreifen, „die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrunde lag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt“103. Die Wiedereinführung der laesio enormis auf dem Gebiet des Darlehensrechts wurde schon öfter festgestellt104, sie hat unterdessen auch den Prototyp des Verkehrsgeschäfts, den Kauf, erfasst. Diese „Materialisierung“ des Vertragsrechts105 ist in erster Linie dem Verbraucherschutzgedanken geschuldet, auch wenn die Anwendung der laesio enormis bei Grundstückskäufen zwischen Privaten dies scheinbar widerlegt. Die Rechtsprechung selbst hat die Herkunft des Gedankens nicht verschwiegen, sie ist angesichts ihres Ausgangspunkts beim Konsumentenkredit auch nicht zu bestreiten106. Der österreichische Gesetzgeber hat etwa zum Schutze des Verbrauchers im Jahre 1979 die in § 934 ABGB ermöglichte Anfechtung wegen laesio enormis in § 935 ABGB für vertraglich un-
__________ 101 Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 2005, § 935 ABGB Rz. 3. 102 Wacke, SZ Rom. Abt. 94 (1977), 217; Grosheide in Essays in honour of Spruit, 2002, S. 361 ff., 362 ff. 103 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), in ders., Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, S. 24. Hierzu zählt Wieacker inhaltliche Vorgaben wie die Lehre vom iustum pretium oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage. S. zur Entwicklung, die das BGB durch Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und Schrifttum im 20. Jahrhundert genommen hat, Rückert in Historisch-kritischer Kommentar (Fn. 5), vor § 1 BGB Rz. 91 ff. 104 Oben Fn. 43. 105 Dazu Bydlinski (Fn. 71), S. 103: „Wiederkehr der Vertragsgerechtigkeit“; Henssler (Fn. 4), S. 204 f.: „Renaissance der Vertragsgerechtigkeit“. Kritisch zum Begriff der „Materialisierung“ Rückert in Historisch-kritischer Kommentar (Fn. 5), vor § 1 BGB Rz. 105. 106 Vgl. nur BGH, NJW-RR 1998, 1065; OLG Dresden (Fn. 36); AG Hamburg, VuR 2003, 114, sowie oben IV 1; Singer, JZ 2001, 195: „Selbstbestimmung einer Partei defizitär“; Grosheide (Fn. 102), S. 368; Säcker in MünchKomm.BGB (Fn. 44), Einl. Rz. 37; Martinek, JZ 1994, 1049.
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abdingbar erklärt107. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch Urteile vor allem von Untergerichten, die in Situationen, in denen dem benachteiligten Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht, gleichwohl auf das wucherähnliche Rechtsgeschäft zurückgreifen. So wurde der auf einer Party-Verkaufsveranstaltung geschlossene Kaufvertrag über ein siebenteiliges Topfset zum Preis von 4800 DM, welches allenfalls 2000 DM wert gewesen war, für sittenwidrig erklärt. Begründet wurde dies mit dem Hinweis auf die Äquivalenzstörung, welche auch durch technische Besonderheiten der Töpfe nicht zu rechtfertigen sei, und der Überrumpelungssituation108. Erstere aber ist, wie gesehen, keineswegs für das Sittenwidrigkeitsverdikt ausreichend, und letztere verschafft dem Verbraucher ein Widerrufsrecht. Wenn er dieses nicht rechtzeitig ausübt – nur so ist ja der Rückgriff auf § 138 Abs. 1 BGB zu erklären –, sollte dies auf seine Gefahr hin geschehen. Die Erwägungen des Gerichts, ob die gekaufte Sache ihr Geld wert war, sind verfehlt109. Dies einzuschätzen sollte die Sache der Parteien bleiben. Sollten ausnahmsweise bestehende Aufklärungspflichten über den wahren Wert der Kaufsache verletzt worden sein110, ist ein Anspruch aus culpa in contrahendo denkbar; das wucherähnliche Geschäft ist mit seinem schneidigen Alles-oder-nichts-Prinzip als Sanktion völlig ungeeignet111. Die richterliche Preiskontrolle anhand des recht starren „Richtwerts“ von rund 50 bzw. 100 % Unter- bzw. Überschreitung des Sachwerts ist mit dem BGB-Gesetzgeber abzulehnen. Es hat sich auch nach über 100 Jahren kein Bedürfnis für eine derartige Rechtsfortbildung gezeigt. Das Hauptargument für eine solche letztlich fixe Grenze, die Rechtssicherheit, ist nicht stichhaltig112: Das Problem wird so verlagert auf die Ermittlung der objektiven Werte der Leistungen, welche gerade bei wertvolleren Gegenständen wie Grundstücken oder Kunstobjekten im Unterschied zum Geldkredit häufig nur unter erheb-
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107 Die Formulierung stellt aber – überraschend – nicht auf die Verbraucherqualität des Benachteiligten ab, sondern ist allgemein formuliert. Vor 1979 war es gängige Vertragspraxis, das Anfechtungsrecht wegen laesio enormis abzubedingen; zu all dem Mayer-Maly in FS Larenz (Fn. 17), S. 397 ff. 108 AG Hamburg, VuR 2003, 114, mit zust. Anmerkung Kohte; ähnlich AG Siegen, NJW-RR 2000, 1653; AG Dortmund, VuR 1995, 348. Richtig dagegen LG Tübingen, NJW 2005, 1513, das beim Verkauf zweier Teppiche für 45 000 Euro im Wert von 12 500 Euro in der Türkei nicht etwa § 138 Abs. 1 anwendet, sondern das Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. 109 Das gilt etwa auch für die Urteile LG Bremen, NJW-RR 1988, 570 (überteuertes Heizgerät); BGH, NJW 1994, 1344 (Time-Sharing). – Dagegen braucht im umgekehrten Fall der Verkäufer auf einem Flohmarkt nicht vor sich selbst geschützt zu werden, wenn er versehentlich nicht aussortierte Mozart-Manuskripte in einem Stapel wertloser Notenblätter für 10 DM mit verkauft: Zu Recht prüft das AG Coburg, NJW 1993, 939, § 138 Abs. 1 nicht; fraglich war allein, ob ein Eigenschaftsirrtum zu bejahen war (anders Grunewald [Fn. 3], § 2 Rz. 12). 110 S. oben bei Fn. 64. 111 S. auch Kulke, ZfIR 2006, 788, 791. 112 Vgl. etwa Jung, ZGS 2005, 96 f.; auch die von der Rechtsprechung angenommene „Bandbreite“ bei der Bestimmung der Unzulässigkeitsgrenze (oben Fn. 11) kann nicht über die Willkürlichkeit der Grenzziehung und die Folgeprobleme hinwegtäuschen.
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lichen Schwierigkeiten möglich ist, wie die Durchsicht der ergangenen Entscheidungen lebhaft beweist. Bei Alltagsgegenständen ist der sog. Marktpreis als Vergleichspreis ebenfalls nur schwer bestimmbar, Sonderangebote – welche häufig genug 50 % Nachlass gewähren – „verderben“ schnell die Preise113. Nicht immer muss zudem der Marktwert zutreffend sein, wie die Beispiele der „Schrottimmobilien“ und der Aktien der New Economy drastisch gezeigt haben: In Österreich wurden in letzter Zeit Prozesse anhängig gemacht, in denen die Käufer von Aktienpaketen im Hinblick auf die laesio enormis behaupteten, der Börsenwert der gekauften Aktien habe zum Zeitpunkt des Kaufs nicht ihrem wirklichen Wert entsprochen114. Lässt man in solchen Fällen ein Sachverständigengutachten zu, um den Unternehmenswert im Zeitpunkt des Aktienverkaufs zu ermitteln, sieht man also nicht den (später nachweislich unzutreffenden) Börsenwert als den objektiven Wert an, öffnet man, wie schon von den Motiven der ersten BGB-Kommission befürchtet, „nachträglichen Anfechtungen“ des Kaufs bei Konjunkturänderungen Tür und Tor115. Unter ökonomischem Blickwinkel ist die laesio enormis unsinnig116. Die Nachteile der mit dem Gesetz unvereinbaren Rechtsprechung liegen auf der Hand: Der Gesetzgeber regelte die Sittenwidrigkeit wegen Wuchers nur in den engen Grenzen des § 138 Abs. 2 BGB, die wie immer geartete Äquivalenzstörung ist nur eine Voraussetzung; gerade die beiden weiteren Tatbestandsmerkmale – objektiv vorhandene Schwächesituation des Bewucherten sowie vorsätzliche Ausbeutung derselben durch den Wucherer – zeigen, dass der Gesetzgeber die tatsächliche Entscheidungsfreiheit der Parteien sichern wollte, um auf diese Weise einen fairen Vertragsabschluss zu gewährleisten117. Eine von der tatsächlichen Beeinträchtigung des Bewucherten losgelöste Preiskontrolle sollte gerade nicht stattfinden118. Ist die Schwelle des § 138 Abs. 2 BGB nicht erreicht119, verursacht die Annahme eines wucherähnlichen Kaufs im System des BGB eine Schieflage: Es ist nicht einzusehen, warum widerrechtliche Drohung und arglistige Täuschung nach § 123 BGB „nur“ zu einem Anfechtungsrecht führen sollten, ein besonders grobes Leistungsmissverhältnis dagegen sogar zur ipso-iure-Nichtigkeit120. Diese auf willkürlich gesetzte
__________ 113 Zur Preisbildung als Resultat konkret-situativ sehr unterschiedlich verlaufender Angebots- und Nachfragekurven Schünemann, JZ 2005, 271, 277. 114 Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. B. König, Innsbruck. 115 S. oben II.1.; vgl. übrigens auch § 491 Abs. 3 Nr. 2 BGB. 116 Fleischer (Fn. 65), S. 221 f.; Grechenig, Journal für Rechtspolitik 14 (2006), 15. 117 Vgl. insbesondere Canaris, AcP 200 (2000), 280, für § 138 Abs. 2 (neben § 119 und § 123). Zu Recht spricht Koziol, AcP 188 (1988), 191, davon, § 138 Abs. 2 gebe eine Basiswertung des Gesetzes vor, die auch bei der Auslegung die Generalklausel Berücksichtigung finden müsse. 118 Zum Gesetzesentwurf des Bundeslandes Hessen von 1983 oben Fn. 50; vgl. zudem Rühle (Fn. 26), S. 51, zur fehlenden Bereitschaft des Bundesgesetzgebers, den subjektiven Tatbestand bei der Reform des § 138 II zu streichen. 119 Man gewinnt allerdings bei der Durchsicht der Urteile den Eindruck, dass die Rechtsprechung auch oft genug Wucher gemäß § 138 Abs. 2 hätte bejahen können, aber aus Gründen der Vereinfachung auf § 138 Abs. 1 rekurrierte. 120 So auch Maaß, NJW 2001, 3468.
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Grenzen abstellende und damit vulgarrechtlichem Denken entspringende Rechtsprechung hat mit den verfeinerten Techniken einer fortgeschrittenen Jurisprudenz, in deren Mittelpunkt die Auslegung der Willenserklärung stehen sollte, nichts zu tun121. Die Billigkeit hat keine bestimmte Grenze122. Wie irrig der von der Rechtsprechung beschrittene Weg ist, zeigt sich daran, dass sie diejenigen Elemente, welche von vornherein bei der Auslegung der rechtsgeschäftlichen Erklärungen zu berücksichtigen wären, erst nachträglich als sog. besondere, die zwingende Vermutung erschütternde Umstände prüft. Dies hat, wie erwähnt, seine Parallele im österreichischen Recht: Nach § 935 ABGB findet die laesio enormis gemäß § 934 ABGB dann keine Anwendung, wenn die Sache aus besonderer Vorliebe oder Gleichgültigkeit zu einem außerordentlichen Preis, im Rahmen einer gemischten Schenkung oder Versteigerung oder bei Unmöglichkeit der Wertermittlung gekauft wurde; immerhin sind die „besonderen Umstände“ gesetzlich festgelegt. Hierzulande hat man jedoch stets abzuwarten, ob der BGH einem weiteren, bisher noch nicht anerkannten „besonderen Umstand“ Rechnung trägt oder nicht. Im Unterschied zum ABGB nimmt der BGH überdies bereits dann Sittenwidrigkeit an, wenn die Hälfte (oder das Doppelte) noch nicht erreicht ist oder die Gegenleistung in einer Leibrente besteht123. Die Vermutungsregel des BGH führt daher paradoxerweise zu einer strengeren Preiskontrolle als die objektivrechtliche laesio enormis in Österreich! Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahrzehnten das in §§ 104, 119, 123, 138 Abs. 2 BGB angelegte Konzept des Schutzes der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit weiter ausgebaut: Umfangreiche Widerrufsrechte sichern den Verbraucher vor Situationen, die abstrakt als besonders beeinträchtigend eingeschätzt werden dürfen. Solcherart gesicherte formale, d. h. prozedurale Vertragsgerechtigkeit124 ist für die oben besprochenen Fälle ausreichend. Ist der Prozess der Willensbildung, zustande gekommen unter Marktbedingungen, intakt, kommt es auf die objektive Äquivalenz nicht mehr an125. Wenn auch heute aufgrund
__________ 121 Gegen die Annahme bestimmter Richtwerte schon Stoll, AcP 142 (1936), 333 („grober Rechtsbehelf“); Mayer-Maly in FS Larenz (Fn. 17), S. 408. Man könnte zwar meinen, starre Grenzen hätten „die Historie“ für sich (so Jung, ZGS 2005, 96 in Fn. 18; ähnlich für den Richtwert des Doppelten Hammen, ZBB 1991, 87, 91). So einfach lässt sich diese indes nicht vereinnahmen; denn belegt sind ganz unterschiedliche Grenzen: im nachklassischen römischen Recht nur die 50 %-Grenze für den Verkäufer eines Grundstücks, für den gleichen Fall im Code civil eine 5/12Grenze. Die 100 %-Grenze für den Käufer war im Mittelalter ebenfalls umstritten, einige Juristen plädierten für eine Grenze bei 50 %. Das württembergische Landrecht von 1610 kannte im II. Theil, Titel XIII, § 1 die Aufhebung des Vertrags bei einer Übervorteilung von mehr als 1/3 des „rechten Werths“. 122 So schon Justizminister v. Savigny in Verhandlungen des im Jahre 1848 zusammenberufenen Vereinigten ständischen Ausschusses IV, S. 340, am 25.2.1848 anlässlich der Beratung des Wuchertatbestands im Entwurf eines Strafgesetzbuchs. 123 Dazu oben in Fn. 11 und nach Fn. 92. 124 Dazu Canaris, AcP 200 (2000), 287; zum materialen, formalen und prozeduralen Gerechtigkeitsbegriff Auer (Fn. 6), S. 28 ff. 125 Bydlinski (Fn. 71), S. 154; Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, 2003, S. 154 ff.
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einer gefestigten Rechtsprechung der Rekurs auf das wucherähnliche Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB unumkehrbar scheint, so sollte doch das Vorliegen verwerflicher Gesinnung (oder, wie der BGH zu Recht immer wieder betont: eines anderen Umstands) ernsthaft geprüft, vom Anspruchssteller dargelegt und nicht, mehr oder weniger offen eingestanden, unterstellt werden126. Denn mindestens ebenso richtig wie die vom BGH zur Rechtfertigung seines zwingenden Schlusses angeführte Regel der Lebenserfahrung, dass Zugeständnisse nicht ohne Grund gemacht werden, ist der Satz Flumes, dass ein Vertrag deshalb „richtig“ ist, weil und soweit er von der beiderseitigen Selbstbestimmung der Vertragschließenden getragen ist127. So darf schließlich der V. Zivilsenat selbst noch einmal zu Wort kommen mit einem kaum ein halbes Jahr nach der Leitentscheidung BGHZ 148, 298 ergangenen Urteil: „Denn selbst wenn zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem wirklichen Wert des verkauften Grundstücks ein besonders grobes Missverhältnis … bestanden haben sollte, ließe sich hier ausnahmsweise der sonst in solchen Fällen gerechtfertigte Schluss auf die … verwerfliche Gesinnung der Klägerin nicht ziehen … Denn die Kaufpreisfindung beruhte auf den gemeinsamen Wertvorstellungen der Parteien; beide hielten den vereinbarten Preis für angemessen. Zudem akzeptierte der Beklagte ihn, weil er die Grundstücke für sein beabsichtigtes Investitionsvorhaben benötigte und sie ihm den Preis wert waren.“128 So richtig kann ein Urteil sein, wenn der Benachteiligte ein kapitalstarker Investor ist129.
__________ 126 Richtig daher OLG München, v. 15.9.2005 – 19 U 5654/04: Auch bei grober Äquivalenzstörung kann die Annahme einer tatsächlichen Vermutung verwerflicher Gesinnung ohne weitere Prüfung gegen das Gebot umfassender Sachverhaltsaufklärung verstoßen. In casu hatte eine Gemeinde Grundstücke zu weniger als 1/3 ihres späteren Werts als Bauland gekauft. Die Entscheidung ist trickreich: Einerseits wird behauptet, ein Marktpreis sei zum Zeitpunkt des Verkaufs wegen der ungeklärten rechtlichen Einordnung der Grundstücke nicht feststellbar gewesen, andererseits wird mit dem Vorliegen „besonderer Umstände“ argumentiert (die Äquivalenzstörung sei für die Gemeinde nicht erkennbar gewesen). Der BGH, NJW-RR 2006, 1677, anerkennt die Bemühungen des OLG um den subjektiven Tatbestand jedoch nicht und verweist den Rechtsstreit zurück, übrigens offenbar zur Disziplinierung nach § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO an einen anderen Senat. 127 Flume, AT des Bürgerlichen Rechts II, 4. Aufl. 1992, S. 7 f. 128 BGH, BGHReport 2001, 955. 129 Er war bereit, für den Kauf von Grünland zum Zwecke des Baus eines Erlebnisbades eine Überteuerung von 1235 % in Kauf zu nehmen, also grob zu viel zu bezahlen!
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im griechischen Recht und seine Bedeutung für das Privatrecht Inhaltsübersicht I. Die griechische Verfassung II. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor der Verfassungsreform 1. Die Annahme des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch die griechische Rechtslehre 2. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Rechtsprechung
2. Bedeutung und Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 3. Die rechtsdogmatische Problematik der neuen Verfassungsregelung 4. Die Gefahr der „Konstitutionalisierung“ des Zivilrechts IV. Schlussfolgerung
III. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach der Verfassungsreform 1. Beispiele aus der Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
I. Die griechische Verfassung Im Zuge der Verfassungsreform von 2001 hat Art. 25 der griechischen Verfassung von 19751 einschneidende Änderungen erfahren, welche auch Auswirkungen auf den Bereich des Privatrechts nach sich ziehen. Art. 25 Verf, der das Kapitel über die Grundrechte und Grundfreiheiten abschließt, bestimmte vor seiner Änderung, dass die Rechte des Menschen als Person und als Mitglied der Gesellschaft der Garantie des Staates unterliegen und enthielt die an alle staatlichen Organe gerichtete Verpflichtung, deren ungehinderte Ausübung sicherzustellen2. Durch die Verfassungsreform von 2001 wurde mit dem geänderten Art. 25 Abs. 1 Verf eine Reihe von Neuerungen eingeführt. Erstmalig finden das Sozialstaatsprinzip, die Verpflichtung des Staates zur Sicherstellung nicht nur der ungehinderten, sondern auch der wirksamen Ausübung der Grundrechte und Grundfreiheiten, der Grundsatz der Drittwirkung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrückliche Aufnahme in die Verfassung3.
__________ 1 Im Folgenden: „Verf“. 2 S. zum alten Art. 25 Verf. Tsatsos, Verfassungsrecht, Bd. 3, 1988, S. 177 (auf griechisch – im Folgenden: „gr.“). 3 Der neue Art. 25 Abs. 1 Verf nach der Reform von 2001 lautet: „Die Rechte des Menschen als Person und als Mitglied der Gesellschaft und das Sozial- und Rechtsstaatsprinzip unterliegen der Garantie des Staates. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, deren ungehinderte und wirksame Ausübung sicherzustellen. Diese Rechte gelten
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Wie aus den Anmerkungen eines der Initiatoren der Reform zu Art. 25 Verf hervorgeht, war das Ziel des Reformgesetzgebers nicht nur, den Grundrechten und Grundfreiheiten den weitest möglichen Regelungsinhalt zuzuerkennen, sondern auch eine höherrangige Auslegungsmethode zu diesen Rechten zu schaffen, vor denen von nun an jeder andere Ansatz einer Auslegung von Verfassungsvorschriften, mit denen diese Rechte der Garantie des Staates unterstellt werden, zurücktreten muss4. Der Grundsatz der nicht nur ungehinderten sondern auch wirksamen Ausübung der Verfassungsrechte, der alle staatlichen Organe verpflichtet, soll die Realisierung des gesamten Regelungsinhalts, der den Kern des Grundrechts bildet, sicherstellen5. Durch den Grundsatz der Drittwirkung sollen die Grundrechte und Grundfreiheiten nun auch nach eindeutiger Bestimmung in der Verfassung, auf bestimmte Beziehungen zwischen Privatpersonen, „für die sie sich eignen“, anzuwenden sein6 und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden alle staatlichen Organe ausdrücklich angehalten, dieses Grundprinzip bei der Grundrechtseinschränkung zu beachten, wonach die Verhältnismäßigkeit des eingesetzten Mittels und des zu erreichenden Zwecks respektiert werden muss, so dass der Kerngehalt des Grundrechts gewährleistet ist7. Vor allem zwei dieser neu in die Verfassung aufgenommenen Bestimmungen – der Grundsatz der Drittwirkung der Grundrechte und Grundfreiheiten8 und das Verhältnismäßigkeitsprinzip, die wohl auch unter den Verfassungsvorschriften der europäischen Staaten eine Neuerung darstellen – sind in der kurzen Zeit ihres Bestehens meiner Meinung nach zu Recht zum Gegenstand heftiger Diskussionen und Kritik geworden, vor allem wegen der weitreichenden rechtsdogmatischen Folgen, die diese neuen Verfassungsbestimmungen nach sich ziehen. In diesem Beitrag soll die Bedeutung des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes im griechischen Recht und die Auswirkungen seiner Aufnahme in die Verfassung für den Bereich des Privatrechts aufgezeigt werden.
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auch für die Beziehungen zwischen Privatpersonen, für die sie sich eignen. Jegliche Art von Beschränkungen, die diesen Rechten nach der Verfassung auferlegt werden können, müssen entweder unmittelbar von der Verfassung vorgesehen sein oder vom Gesetz, falls ein solcher Gesetzesvorbehalt vorhanden ist, und sie müssen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit respektieren“. S. dazu Venizelos, Der durch die Verfassungsreform erworbene „Besitzstand“, 2002, S. 131 ff. (gr.). Venizelos (Fn. 4), S. 135 ff. Venizelos (Fn. 4), S. 137 ff. Venizelos (Fn. 4), S. 142. Zur Drittwirkung der Grundrechte im griechischen Recht s. Belling/Orfanides, Die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht, Nomiko Vima (gr. jur. Zeitschrift) 2005, 41 ff.; Papanikolaou, Verfassung und Eigenständigkeit des Zivilrechts, 2006, S. 44 ff. (gr.); Mitsopoulos, Drittwirkung und Verhältnismäßigkeit als Vorschriften der reformierten Verfassung, Dikeomata tou Anthropou (gr. jur. Zeitschrift) 2002, 642–648.
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im griechischen Recht
II. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor der Verfassungsreform 1. Die Annahme des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch die griechische Rechtslehre Vorläufer des Grundgedankens des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind im Grunde schon in philosophischen und politischen Texten der griechischen Antike enthalten. Die Bedeutung der Einhaltung eines Maßes beim Einsatz eines bestimmten Mittels und die Abwägung zwischen dem mit dem Mittel verfolgten Zweck und dem daraus resultierenden Nutzen, war damals nicht unbekannt9. Aber auch im römischen Recht und in späteren europäischen Schriften sind diese Gedanken zu finden10. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im griechischen Recht, so wie er heute verstanden wird, geht auf das in der deutschen Rechtslehre entwickelte Verhältnismäßigkeitsprinzip zurück und wurde maßgebend durch dessen Entwicklung im deutschen Recht mitbestimmt, wobei ähnliche Grundprinzipien zur Kontrolle der Ausübung staatlicher Gewalt auch in anderen europäischen Rechtsordnungen, wie z. B. der französischen, der britischen und der italienischen, vorhanden sind11. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches ursprünglich im Rahmen des deutschen Polizeirechts entwickelt wurde12, bildet heute das Grundprinzip zur Regelung der Ausübung staatlicher Gewalt. Zweck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist es, den Grundrechtsbeschränkungen Schranken zu setzten; es wirkt also als „Schranken-Schranke“. Eine Grundrechtsbeschränkung ohne das Vorliegen eines öffentlichen Interesses oder eines von der Verfassung geschützten privaten Interesses, dessen Vorrang eine Einschränkung des Grundrechts rechtfertigt, ist nicht möglich13. Dieser Grundsatz kommt also immer dann zur Anwendung, wenn ein Organ staatlicher Gewalt zur Erreichung eines von der Verfassung anerkannten Zwecks das Mittel der Grundrechtseinschränkung anwendet, also ein von der Verfassung geschütztes Interesse auf ein anderes, ebenso von der Verfassung anerkanntes Interesse, trifft. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip setzt sich aus drei Elementen zusammen, welche die Kriterien zur Überprüfung der grundrechts-einschränkenden Maßnahme bilden. Die Maßnahme muss zunächst geeignet sein, um den mit ihr angestrebten, legitimen Zweck zu erreichen (Grundsatz der Geeignetheit). Hier genügt, dass die Maßnahme zur Erreichung des Zwecks teilweise beiträgt. Ungeeignet ist eine Maßnahme demnach nur, wenn sie gar nicht zu Erreichung des angestrebten Zwecks beiträgt14. Weiter muss das Mittel erforderlich sein, d. h. unter mehreren für die Verwirklichung des angestrebten Zwecks in
__________ 9 Kontogiorga-Theocharopoulou, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im nationalen öffentlichen Recht, 1989, S. 11 (gr.). 10 Zur Geschichte der Verhältnismäßigkeit s. Wieacker, Geschichtliche Wurzeln des Prinzips der verhältnismäßigen Rechtsanwendung, in FS Fischer, 1979, S. 228 ff. 11 S. dazu Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou 2002, 652 f. insbes. Fn. 17–20. 12 Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 2. 13 E. Beys, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Diki (gr. jur. Zeitschrift) 1999, 468. 14 BVerfGE 30, 292 (316).
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Betracht kommenden, gleichermaßen geeigneten Maßnahmen, muss die am geringsten belastende gewählt werden (Grundsatz des mildesten Mittels). Schließlich muss auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfüllt sein: Die mit der Maßnahme verbundene Belastung darf auch dann, wenn sie den geringstmöglichen Eingriff darstellt, nicht zu dem damit verfolgten Zweck außer Verhältnis stehen, darf also nicht unzumutbar sein15. Die ersten beiden Elemente des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wie sie von der deutschen Lehre und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgestaltet wurden16, werden in dieser Form auch im griechischen Recht anerkannt, wobei die Anerkennung des dritten Elements, der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, zumindest in der Rechtslehre die herrschende Meinung darstellt17. Uneinigkeit bestand dagegen in Hinblick auf die Herleitung dieses Prinzips. Einige stützten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit18 oder auf die Gesamtheit der Grundrechte und Grundfreiheiten19. Eine andere Ansicht leitete das Verhältnismäßigkeitsprinzip aus dem Gleichheitsgrundsatz her20. Die herrschende Meinung in der griechischen Lehre stützt diesen Grundsatz jedoch auf das Rechtsstaatsprinzip21, wie auch die herrschende Ansicht in der deutschen Rechtslehre und Rechtsprechung22. Diesem Ansatz folgte dann auch der Verfassungsgesetzgeber, der den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Zuge der Verfassungsreform von 2001 im neuen Art. 25 Abs. 1 Verf verankerte. Anerkannt war schon vor der Reform, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Verfassungsgrundsatz für jede Art von Tätigkeit im Rahmen der Ausübung staatlicher Gewalt bindend ist. Dies bedeutet für den Gesetzgeber, dass er von der Auferlegung unverhältnismäßiger Einschränkungen der Grundrechte zugunsten des öffentlichen Interesses abzusehen hat und eine Abwägung der aufeinandertreffenden privaten Interessen, die von der Verfassung geschützt sind, vornehmen muss. In diesem Rahmen kann er aus mehreren möglichen Lösun-
__________ 15 S. E. Beys (Fn. 13), S. 472 ff., 477. 16 S. anstatt Vieler Hirschberg (Fn. 12); aus der griechischen Literatur: Gerontas, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen öffentlichen Recht, To Syntagma (gr. jur. Zeitschrift) 1981, 20 ff. 17 S. dazu Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou 2002, 650; E. Beys (Fn. 13), S. 468 ff., 476 ff., der auch eine Unterscheidung der dogmatischen Bedeutung der ersten beiden Elemente und des dritten Elements trifft; Gessiou-Faltsi, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, Elliniki Dikeosini (gr. jur. Zeitschrift) 1991, 287. 18 S. aus der griechischen Literatur z. B. Dagtoglou, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1997, Nr. 394 ff.; ders., Grundrechte I, 1991, Nr. 310 ff. (gr.). 19 Dalakouras, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und prozessrechtliche Zwangsmaßnahmen, 1993, S. 30 ff. (gr.); E. Beys (Fn. 13), S. 479. 20 Tachos, Griechisches Verwaltungsrecht, 1996, S. 147 ff. (gr.). 21 S. dazu E. Beys (Fn. 13), S. 478; Gessiou-Faltsi (Fn. 17), S. 287; Mathias, Der Wirkungsbereich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, Elliniki Dikeosini 2006, 2; Kontogiorga-Theocharopoulou (Fn. 9), S. 31 ff. 22 BVerfGE 19, 342, 347; BVerfGE 20, 45, 49; Hirschberg (Fn. 12), S. 207 ff.
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gen auswählen, so dass die Verwaltung und die Gerichte bei der Anwendung der entsprechenden gesetzlichen Regelung an die vom Gesetzgeber vorgegebene Lösung gebunden sind23. Aber auch für alle Maßnahmen der Verwaltung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bindend, sowie für die Gerichte24. Letztere spielen insbesondere bei der Überprüfung der Einhaltung des Grundsatzes durch den Gesetzgeber und bei Maßnahmen der Verwaltung eine wichtige Rolle25. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde dem Kernbereich des öffentlichen Rechts zugeordnet26. Nach der herrschenden Meinung in der Lehre erstreckte sich sein Anwendungsbereich außerhalb des Verwaltungsrechts auch auf das Strafrecht und das Strafprozessrecht27. Es zeichnete sich aber allmählich eine Tendenz der Ausweitung seines Anwendungsbereiches auch auf andere Rechtsbereiche ab. Vertreten wurde, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich der Zwangsvollstreckung anzuwenden ist. Nach dieser Ansicht stellt die an den Schuldner gerichtete Zwangsmaßnahme einen staatlichen Eingriff dar. Der Staat sei daher verpflichtet, wenn er durch die Auferlegung staatlicher Zwangsmaßnahmen die verfassungsmäßigen Rechte des Schuldners zur Befriedigung des Gläubigers verletzt, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten28. Von anderer Seite wurde die Wirkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch im Bereich des Zivilprozessrechts vertreten. Danach verstößt das allgemeine Verbot der Einlegung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen im Verfahren der einstweiligen Verfügung, das von Art. 699 gr. ZPO auferlegt wird, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da dadurch das Grundrecht auf umfassenden Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 1 Verf) übermäßig einschränkt wird29. Und schon vor der Einleitung der Diskussion über das Verhältnismäßigkeitsprinzip, die durch die Verfassungsreform von 2001 ausgelöst wurde, sind Stimmen zu finden, die auch im Privatrecht einen Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips sehen30. 2. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Rechtsprechung Die eigentliche Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Rechtsprechung erfolgte 1984 mit der Entscheidung 2112/1984 des Obersten
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23 Dalakouras (Fn. 19), S. 160. 24 Auch damals schon war anerkannt, dass diese Bindungswirkung auch dann gilt, wenn der Staat als juristische Person des Privatrechts mit Mitteln des Privatrechts handelt (Tsatsos [Fn. 2], S. 178 ff.). 25 S. dazu Orfanoudakis, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 2003, S. 202 ff. (gr.). 26 Dazu anstatt Vieler: Kontogiorga-Theocharopoulou (Fn. 9). 27 Dalakouras (Fn. 19), S. 23 ff. 28 Gessiou-Faltsi (Fn. 17), S. 288 ff. 29 E. Beys (Fn. 13), S. 494. 30 E. Beys (Fn. 13), S. 496, für den Bereich der Gestaltungsrechte, der Privatautonomie und der vertraglichen Haftung. Zum Eindringen des Verhältnismäßigkeitsprinzips in einzelne Rechtsbereiche siehe auch Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou 2002, 654, Fn. 21.
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Griechischen Verwaltungsgerichts31. Das Gericht entschied erstmals, dass die Beschränkungen, die der Gesetzgeber der in Art. 5 Abs. 1 Verf verankerten Berufsfreiheit auferlegen darf, „dem aus dem Rechtsstaatsprinzip hervorgehenden Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen, nach dem die seitens des Gesetzgebers und der Verwaltung auferlegten Beschränkungen, welche die Ausübung von Grundrechten betreffen, erforderlich sein müssen und dem vom Gesetz angestrebten Zweck zu entsprechen haben“32. Diese Entscheidung, die später auch als „Geburtsentscheidung“ des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bezeichnet wurde, legte diesen Grundsatz erstmals eindeutig als einen neuen, eigenständigen Rechtsgrundsatz auf Verfassungsebene fest, der auch heute noch den äußersten Grenzpunkt der gerichtlichen Kontrolle von verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Legitimität darstellt33. Seither ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ständige Rechtsprechung des Obersten Griechischen Verwaltungsgerichts, wobei es hier oftmals der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt34. Teilweise wird aber vertreten, dass sich das Oberste Verwaltungsgericht bei seiner Rechtsprechung nur auf die Kontrolle der ersten beiden Elemente des Verhältnismäßigkeitsprinzip beschränkt, auf die Geeignetheit und die Erforderlichkeit des Mittels, aber keine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne vornimmt35. Aber auch in der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist die Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schon zu finden. In den Entscheidungen 253 und 254/2000 beruft sich der Areopag36 ausdrücklich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Hinblick auf die Zwangshaft im Rahmen der Zwangsvollstreckung37. Auch die Entscheidung 20/2000 des Areopags wird im Zusam-
__________ 31 Das oberste griechische Verwaltungsgericht („Symvoulio tis Epikratias“) entspricht in etwa dem französischen Conseil d’ Etat. 32 Entscheidung des StE (Symvoulio tis Epikratias) 2112/1984, To Syntagma 1985, S. 64. 33 S. Kontogiorga-Theocharopoulou (Fn. 9), S. 11; Literatur zu dieser Entscheidung im Einzelnen bei Doris, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Dikeomata tou Anthropou (gr. jur. Zeitschrift) Sonderausgabe 2005/III, S. 26, Fn. 1 (gr.). 34 Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou 2002, 656, Fn. 23 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des StE. 35 E. Beys (Fn. 13), S. 475. 36 Im Rahmen des vorliegenden Beitrags wird auf den Areopag als Revisionsgericht in Privatrechtsstreitigkeiten verwiesen, wobei dieser entweder in einzelnen Zivilsenaten oder im Plenum verhandelt. Das Gericht entspricht in etwa dem deutschen Bundesgerichtshof. 37 Entscheidungen 253 und 254/2000 des Areopags, Elliniki Dikeosini 2000, S. 1000 ff. Bei den Entscheidung ging es um die Bestimmung des Art. 1047 gr. ZPO, gemäß dem die Zwangshaft gegen Kaufleute auch im Fall von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung angeordnet werden kann und ihre Geltung im Lichte des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte der UNO, gemäß dem niemand aus dem alleinigen Grund, dass er eine vertragliche Verpflichtung nicht erfüllen kann, in Haft genommen werden darf. Das Gericht entschied, dass die Vorschrift des Art. 1047 gr. ZPO nicht aufgehoben ist, sondern nur ihr Anwendungsbereich eingeschränkt sei, wie er sich aus der Kombination der Vorschriften der Art. 2 Abs. 1, 25 Abs. 3 Verf. und dem sich daraus und aus Art. 951 Abs. 2 gr. ZPO ergebenden Verhältnismäßig-
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menhang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip immer wieder erwähnt. Sie soll ebenfalls eine Berufung auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip enthalten, wenn auch nicht ausdrücklich. Das Gericht hatte mit seinem Urteil entschieden, dass die kurze Fristsetzung des Art. 73 Abs. 5 des Einführungsgesetzes zur gr. ZPO, für die Einreichung einer Klage gegen einen Anwalt, wegen eines fehlerhaft geführten Prozesses, „unverhältnismäßig und für die Gewährung des Rechtsschutzes gemäß der Verfassungsbestimmungen […] und der besonderen Natur des geschützten Rechts weder erforderlich, noch geeignet ist“38. Auch in älteren Entscheidungen der Zivilgerichte aus verschiedenen Bereichen will ein Teil des Schrifttums die Berufung – zumindest auf den Grundgedanken des Verhältnismäßigkeitsprinzips festgestellt haben39. Darunter befinden sich auch eine Reihe von Entscheidungen aus dem Bereich der Zwangsvollstreckung, in denen der Grundsatz zwar nicht ausdrücklich erwähnt wird, aber das Kriterium der „Unverhältnismäßigkeit“ als Grundkriterium zur Konkretisierung der Regel des Verbots der missbräuchlichen Rechtsausübung herangezogen worden sein soll40.
III. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach der Verfassungsreform Die Änderung des Art. 25 Abs. 1 Verf hat sowohl in der Lehre, als auch in der Rechtsprechung zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geführt. Dabei sind insbesondere die Bedeutung und der Anwendungsbereich des Grundsatzes, die rechts-dogmatische Vertretbar-
__________ keitsgrundsatz ergibt. S. hierzu auch Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou 2002, 657, Fn. 25, der diese Konstruktion für überflüssig hält und das gleiche Ergebnis durch teleologische Auslegung erzielen will. 38 Entscheidung des Areopags 20/2000, Elliniki Dikeosini 2001, S. 55; Doris, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Regelungsbereich der Privatrechtsbeziehungen und insbesondere im Zivilrecht, Sonderband zum 75-jährigen Bestehen des gr. Obersten Verwaltungsgerichts, 2004, S. 241; Mathias (Fn. 21), S. 4; anders Mitsopoulos, Themen aus der Allgemeinen Theorie, 2005, S. 174 (gr.), der in der Urteilsbegründung eine teleologische Extension der Bestimmung sieht und nicht die direkte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. 39 Entscheidungen 138/1979 des Landgerichts Livadia und 1325/1996 des Areopags; s. dazu Doris, Dikeomata tou Anthropou Sonderausgabe 2005/III, der in der ersten Entscheidung ein Beispiel für die Auslegung des Art. 1003 gr. ZGB über schädliche Immissionen des Nachbargrundstücks anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sieht (S. 74) und in der zweiten Entscheidung, bei der es um eine Entschädigung für immateriellen Schaden geht, eine Berufung auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit feststellt (S. 65). 40 Entscheidungen des Areopags 431/1981 und des Amtsgerichts Thessaloniki 115/ 1989. S. Gessiou-Faltsi (Fn. 17), S. 281, wobei aber betont wird, dass sich die überwiegende griechische Rechtsprechung in diesem Bereich damals auf den Grundsatz des Rechtsmissbrauchsverbots berief und nur vereinzelt Ausstrahlungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu erkennen sind. S. auch Entscheidungen des Berufungsgerichts Athen 8054/1986 und des Berufungsgerichts Piräus 1252/1987, Doris, Dikeomata tou Anthropou Sonderausgabe 2005/III, 60, 64.
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keit der ausdrücklichen Aufnahme des Grundsatzes in die Verfassung, sowie die Auswirkungen auf die zukünftige Stellung des Untersystems des Zivilrechts zum Gegenstand weitreichender Diskussion geworden. 1. Beispiele aus der Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Nach der Verfassungsreform haben sich nun, neben den Verwaltungsgerichten, auch die Zivilgerichte eingehender mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beschäftigt. In seiner Entscheidung 17/200141 berief sich der Areopag auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Zusammenhang mit einer Schuld, die aus der Ausstellung eines Schecks erwachsen war. Der Schuldner, eine Privatperson, hatte eine Schuld an den Staat mittels eines ungedeckten Schecks beglichen. Für diesen Fall sieht eine Gesetzesvorschrift die Sanktion vor, dass sich der an den Staat geschuldete Betrag verdoppelt und zwar unabhängig davon, ob der Aussteller des Schecks schuldhaft gehandelt hat. Das Gericht entschied, dass diese Sanktion vom Richter, unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, gemäß dem die vorgesehene Maßnahme zu dem angestrebten Zweck in einem vernünftigen Verhältnis stehen muss, beschränkt werden darf. Ein solches vernünftiges Verhältnis ist nach dem Gericht dann gewährleistet, wenn die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet ist und sie den geringst möglichen Nachteil für die Privatperson sowie die Öffentlichkeit nach sich zieht und die Nachteile nicht die Vorteile überwiegen. Mit dieser Entscheidung erkennt das Gericht somit alle von der Lehre entwickelten Kriterien, die im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit enthalten sind, an. Ausdrücklich Anwendung finden der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die darin beinhalteten Kriterien der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit von Beschränkung und angestrebten Zweck, in der Entscheidung 10/200342 des Areopags, welche die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesvorschrift, die eine Beschränkung des Notarshonorars für bestimmte Fälle enthält, zum Gegenstand hat. Das Gericht entschied vorliegend, dass das Grundrecht auf freie Teilnahme am Wirtschaftsverkehr (Art. 5 Abs. 1 Verf) durch die entsprechende Vorschrift übermäßig eingeschränkt wird. Auch in der Entscheidung 26/200343 des Areopags wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angewandt, um die Rechtmäßigkeit einer Gesetzesvorschrift, die Bedingungen zur Pacht eines Steinbruchs enthält, zu überprüfen. In seiner Entscheidung 27/200444 entschied der Areopag, dass die Ausübung des in der Verfassung verankerten Streikrechts (Art. 23 Abs. 2 Verf) im konkre-
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Elliniki Dikeosini 2002, S. 74. Nomiko Vima 2003, S. 1410. Elliniki Dikeosini 2003, S. 1263. Elliniki Dikeosini 2004, S. 1341.
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ten Fall rechtsmissbräuchlich ist. Das Gericht beruft sich hier nicht direkt auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 25 Abs. 1 Verf, befindet aber in seiner Prüfung im Rahmen des Art. 281 gr. ZGB (Rechtsmissbrauchsverbot), dass die durch den Streik hervorgerufenen Schäden beim Unternehmer unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu dem von den Streikenden angestrebten Nutzen sind. Ein Beispiel für die Überprüfung einer Gesetzesvorschrift ist auch die Entscheidung 81/200445 des Areopags. Das Gericht entschied vorliegend, dass eine gesetzliche Vorschrift, welche die Anwendbarkeit von Art. 409 gr. ZGB über die Minderung einer unverhältnismäßig hohen Vertragsstrafe durch die Gerichte ausschließt, so dass dies zu einer unkontrolliert hohen Vertragsstrafe führen kann, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwiderläuft. Weitere Beispiele für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen bilden die Entscheidungen 93/200446 und 100/200447 des Areopags. In der ersten Entscheidung befand das Gericht, dass eine Vorschrift, die das Honorar eines Anwalts für bestimmte Fälle auf ein Mindestmaß begrenzt, dessen Grundrecht auf freie Teilnahme am Wirtschaftsverkehr übermäßig einschränkt und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. In der zweiten Entscheidung, wurde entschieden, dass eine Gesetzesvorschrift über die zwingende Anbringung von bestimmten Gebührenmarken auf Gerichtsdokumenten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da dadurch das Grundrecht auf Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 1 Verf) übermäßig eingeschränkt wird. Die Entscheidungen 899/2001, 1043/2001, 1394/2005, 1462/2005 und 1667/2005 des Areopags48 haben die Rolle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Bestimmung einer Entschädigung in Geld für erlittenen immateriellen Schaden bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch die Presse zum Gegenstand, und zwar im Zusammenhang mit der vom Gesetzgeber festgesetzten Mindestentschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen durch die Presse. Es ging vor allem um die Frage, ob das Gericht einen niedrigeren Betrag, als den gesetzlich vorgesehenen Mindestbetrag zusprechen darf. Die Entscheidung 899/2001 erkannte dem Gericht erstmals die Möglichkeit zu, zu prüfen, ob im konkreten Fall durch den Zuspruch der vom Gesetz vorgesehenen Mindestentschädigung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aus dem Rechtsstaatsprinzip hervorgeht und auch im reformierten Art. 25 Abs. 1 Verf enthalten ist, verletzt wird. Auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Zusammenhang mit der Zuerkennung einer billigen Entschädigung in Geld für erlittenen immateriellen Scha-
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Nomiko Vima 2004, S. 1384. Chronika Idiotikou Dikeou (gr. jur. Zeitschrift) 2004, 420. Chronika Idiotikou Dikeou 2004, 990. 899/2001, Nomiko Vima 2002, S. 977; 1043/2001, Nomiko Vima 2002, S. 1108; 1394/2005, unveröffentlicht; 1462/2005, unveröffentlicht; 1667/2005, Diki 2000, S. 876.
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Apostolos Georgiades
den beruft sich auch die Entscheidung 132/200649 des Areopags. Im Unterschied zu den vorher erwähnten Entscheidungen, wo es um die Frage ging, ob das Gericht die durch gesetzliche Vorschrift vorgesehene Mindestentschädigung einhalten muss, handelte es sich hier um eine, aufgrund der Grundvorschrift des Art. 932 gr. ZGB zugesprochene, zu hohe Entschädigung. Das Revisionsgericht hat in diesem Fall den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz direkt angewandt, indem es feststellte, dass die Ermessensausübung des Gerichts im Hinblick auf die Bestimmung der „billigen Entschädigung“ im Rahmen des Art. 932 gr. ZGB nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen darf und gab dem Revisionsantrag statt. Es stellt in seiner Urteilsbegründung fest, dass der in Art. 25 Abs. 1 Verf verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit alle staatlichen Organe und somit auch den Richter dazu verpflichtet, bei der Abwägung der einzelnen Rechte und Pflichten mit einzubeziehen, dass eine Entsprechung zwischen den verwendeten Mitteln und dem jeweils angestrebten Zweck gegeben sein muss. Somit darf der Richter bei der Bestimmung des Betrages einer Entschädigung in Geld, welche in seinem Ermessensspielraum liegt, weder einen zu niedrigen, noch einen zu hohen Betrag zusprechen, da dadurch über den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, nämlich die Wiederherstellung des durch die unerlaubte Handlung gestörten Gesellschaftsfriedens, hinausgegangen wird. Damit hat der Areopag seine ständige Rechtsprechung durchbrochen, nach der die Überprüfung der Festlegung der Höhe der Entschädigung durch das Gericht der Vorinstanz nicht dem Revisionsgericht obliegt. Weiter hat er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, durch seine direkte Anwendung und der Anerkennung des Verstoßes dagegen als Revisionsgrund, im Prinzip zu einer im direkten Weg zu beachtenden Vorschrift mit materiell-rechtlichem Inhalt erhoben. Diese Entscheidung hat berechtigterweise Fragen in Bezug auf die Reichweite des Anwendungsbereiches des Grundsatzes und seine rechtsdogmatischen Auswirkungen aufgeworfen50. 2. Bedeutung und Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Durch den neuen Art. 25 Abs. 1 Satz 4 Verf wird bestimmt, dass die Beschränkungen, die den Grundrechten und Grundfreiheiten auferlegt werden können und die entweder direkt von der Verfassung oder vom Gesetz vorgesehen sein müssen (im letzteren Fall natürlich nur, falls ein entsprechender Gesetzesvorbehalt in der Verfassung vorgesehen ist), „den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit respektieren müssen“. Wie aus der Vorschrift eindeutig hervorgeht, gilt diese Beschränkung, die der Verfassungsgeber in Art. 25 Abs. 1 Verf aufgenommen hat, ausschließlich für den Fall der Einschränkung von Grundrechten und – wie auch angemerkt wird51 – nur im Fall von Beschränkungen, die durch
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49 Elliniki Dikeosini 2006, S. 409. 50 S. die Anm. zu der Entscheidung von Zygouras, Chronika Idiotikou Dikeou 2006, 409 f.; Tsantinis, Synigoros (gr. jur. Zeitschrift) 2006, 35 ff.; Lalas, Nomiko Vima 2006, S. 827. 51 Mathias (Fn. 21), S. 2.
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im griechischen Recht
Gesetz auferlegt werden und nicht für solche, die sich direkt aus der Verfassung ergeben, da die Verfassungsvorschriften als gleichrangige Vorschriften zu Art. 25 Abs. 1 Verf nicht durch diesen eingeschränkt werden können. Gerichtet ist diese Bestimmung an alle Organe, die staatliche Gewalt ausüben, also an die Legislative, die Exekutive und die Judikative, wobei im Bereich des Privatrechts hauptsächlich der Gesetzgeber und der Richter als Adressaten von Interesse sind. Demnach ist der Gesetzgeber dazu aufgerufen, bei der Regelung der privaten Beziehungen den Grund- und Freiheitsrechten keine Beschränkungen aufzuerlegen, welche die durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit festgelegten Grenzen überschreiten, und der Richter ist entsprechend dazu aufgerufen, eine eventuelle Überschreitung dieses Grundsatzes durch den Gesetzgeber zu überprüfen. Der Grundsatz dient als Schranke für die Beschränkung von Grundrechten, wobei diese nicht nur im öffentlichen Recht als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat wirken, sondern im gesamten Rechtssystem, also auch im Privatrecht, immer dann, wenn durch eine Gesetzesvorschrift ein Grundrecht beschränkt wird. Dieser Grundsatz kann aber über den Fall der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes durch das Gericht hinaus, auch bei der Auslegung und Anwendung von Regelungen des Privatrechts wirken, insbesondere in Fällen, in denen dem Richter vom Gesetz ein Ermessenspielraum zuerkannt wird, bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln sowie bei der Ausfüllung von Lücken im Wege der Analogie52. Als Verfassungsgrundsatz durchdringt das Verhältnismäßigkeitsprinzip, in seiner Eigenschaft als Auslegungsgrundsatz, das gesamte Rechtssystem. Im Wege verfassungskonformer Auslegung ist eine Vorschrift immer an den Wertungskriterien der Verfassung zu messen. Nach dieser Auslegungsmethode muss von mehreren möglichen Auslegungen diejenige gewählt werden, die die Wirksamkeit der auszulegenden Vorschrift sichert und nicht die Auslegung, die zum Ergebnis ihrer Verfassungswidrigkeit gelangt53. Bei dieser Methode handelt es sich also um ein eigenständiges Auslegungskriterium, nach dem die Auslegungsmöglichkeit einer Bestimmung gewählt werden muss, die mit den Verfassungswerten am ehesten in Einklang steht. Voraussetzung ist natürlich, dass die entsprechende Vorschrift mehrdeutig ist. Falls es sich um eine klare und eindeutige Vorschrift handelt, bleibt kein Platz für eine verfassungskonforme Auslegung und der Richter hat nur zu prüfen, ob die Vorschrift verfassungswidrig ist und sie gegebenenfalls nicht anzuwenden. Dadurch ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass der Richter im Fall der Unanwendbarkeit der verfassungswidrigen Vorschrift auf die Verfassungsvorschriften zurückgreifen kann, um die durch die Unanwendbarkeit der Vorschrift entstandene Lücke im Wege der Auslegung zu füllen54.
__________ 52 Doris, Sonderband zum 75-jährigen Bestehen des gr. Obersten Verwaltungsgerichts, S. 240; Papanikolaou (Fn. 8), S. 41–42. 53 Dagtoglou, Verfassungsrecht-Grundrechte, Band II, 2. Aufl. 2005, Nr. 1568 (gr.). 54 Georgiades, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 3. Aufl. 2002, S. 69 (gr.).
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Wie auch schon vor der Verfassungsreform anerkannt war55, gelten die Verfassungsvorschriften über den Schutz der Grund- und Freiheitsrechte nicht nur in den Beziehungen zwischen Bürger und Staat, wo letzterer verpflichtet ist, diese Grundrechte des Bürgers zu respektieren und zu gewährleisten, sondern auch zwischen den einzelnen Privatpersonen, wo diese Verfassungsvorschriften eine Auslegungs- und mittelbare Regelungswirkung bei der Auslegung privatrechtlicher Vorschriften entfalten. Durch die Verfassungsänderung von 2001 gelten die Grundrechte nach Art. 25 Abs. 1 Verf nun ausdrücklich auch für Beziehungen zwischen Privatpersonen „für die sie sich eignen“. In Hinblick auf die Frage, auf welche konkreten Beziehungen diese Rechte anwendbar sind, wird unter anderem auf das Kriterium des „Machtbezugs“ verwiesen, welches dann gegeben ist, wenn eine privatrechtliche Beziehung vorliegt, in der einer der Vertragspartner im Vergleich zum anderen eine unverhältnismäßig stärkere Stellung hat56. Nicht anwendbar sind natürlich diejenigen Grundrechte und Grundfreiheiten, die von ihrer Natur aus ungeeignet für die Anwendung auf Privatrechtsbeziehungen sind, wie Rechte, die nur durch den Staat verletzt werden können (z. B. das Recht auf einen gesetzlichen Richter)57. Auch schon vor der Verfassungsänderung war anerkannt, dass die Verfassungsvorschriften eine Auslegungsfunktion haben, indem sie Wertungskriterien aufstellen, die auch im Rahmen der Auslegung von Regelungen des Privatrechts, insbesondere bei der Konkretisierung der Generalklauseln und der unbestimmten Rechtsbegriffe (z. B. Treu und Glauben, die guten Sitten), miteinbezogen werden müssen. Aber auch zur Feststellung von eventuell vorhandenen Lücken im Privatrecht und zu deren Ausfüllung sind diese Vorschriften von Nutzen. Eine Berufung auf die Verfassungsvorschriften kann dann notwendig sein, wenn aufgrund der Unanwendbarkeit einer verfassungswidrigen Vorschrift eine Lücke im Privatrecht auftritt, aber auch dann, wenn das Privatrecht, in Hinblick auf die entsprechenden Verfassungswerte, keine ausreichende Regelung enthält58. In den meisten Fällen wird sich bei der Berufung auf Verfassungsvorschriften das Problem kollidierender Rechte stellen, dessen Lösung im Rahmen der Rechtsanwendung und Auslegung durch Miteinbeziehung auch der Verfassungsvorschriften, die Beschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte enthalten oder deren Inhalt bestimmen, ermittelt werden muss. In diesem Zusammenhang kann auch eine Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geboten sein, der zum geringst möglichen Eingriff in Hinblick auf den angestrebten Zweck verpflichtet59. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt somit einen Auslegungsgrundsatz60 dar, der in oben beschriebener Weise auch im Privatrecht wirkt. Dies be-
__________ 55 56 57 58 59 60
Dagtoglou, Verfassungsrecht – Grundrechte I, 1991, Nr. 178 (gr.). S. Venizelos (Fn. 4), S. 138. Georgiades (Fn. 54), S. 72. Georgiades (Fn. 54), S. 73. Georgiades (Fn. 54), S. 74. S. auch Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou 2002, 656, der die Ansicht vertritt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nichts anderes ist als das teleologische Stadium der Rechtsauslegung.
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im griechischen Recht
deutet aber nicht, dass sich der Richter grundsätzlich direkt auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berufen kann. Hier darf nicht der Eindruck entstehen, dass Gesetzgeber und Richter als Adressaten der von der Verfassung auferlegten Verpflichtung zur Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf gleicher Ebene nebeneinander stehen61. Die Verpflichtung zur Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist von Art. 25 Abs. 1 Verf auch an den Richter gerichtet, aber nur im Rahmen seiner ihm von der Verfassung zuerkannten Zuständigkeit. Im Fall einer gesetzlichen Vorschrift obliegt die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zunächst dem Gesetzgeber, dem nach Art. 26 Abs. 1 Verf die Zuständigkeit zur Festsetzung von Regelungen zuerkannt ist, durch die er die ihm von der Verfassung auferlegte Verpflichtung der Sicherstellung der ungehinderten und wirksamen Ausübung der Grundrechte, zu erfüllen hat62. Dabei hat er, wie oben schon erwähnt, bei der Erfüllung dieser Aufgabe einen Ermessensspielraum in Hinblick darauf, in welcher Weise er im Rahmen der verfassungsrechtlichen Wertungskriterien eine Abwägung der aufeinandertreffenden Grundrechte vornimmt. Es handelt sich also in erster Linie um eine Entscheidung des Gesetzgebers, die der Richter zunächst grundsätzlich zu respektieren hat. Er kann und muss dann, im Rahmen seiner Zuständigkeit, die Verfassungsmäßigkeit dieser Entscheidung des Gesetzgebers überprüfen, und die entsprechende Gesetzesvorschrift gegebenenfalls wegen Verfassungswidrigkeit für unanwendbar erklären. Er hat aber weder die verfassungsrechtliche Zuständigkeit, die Vorschrift einfach aufzuheben, noch sie zu berichtigen. Dies gilt somit auch für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Richter ist dazu berufen, die Einhaltung dieses Grundsatzes zu überprüfen und im Falle, dass dieser nicht eingehalten wurde, darf er die Vorschrift nicht anwenden. Außerhalb seines in der Verfassung verankerten Zuständigkeitsbereichs darf das Gericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aber nicht anwenden, um eventuelle Fehler des Gesetzgebers gerade zu biegen und die Vorschrift „verhältnismäßiger“ machen und so die Wertungsentscheidungen des Gesetzgebers zu korrigieren. Ein solches Vorgehen würde der Aufhebung der Gewaltenteilung gleichkommen63. Dies bedeutet auch, dass eine Gerichtsentscheidung, die eine gesetzliche Vorschrift anwendet, welche gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, falsch ist und somit durch die entsprechenden Rechtsmittel überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden kann; sie verstößt in dem Sinne aber nicht selbst gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Für den Fall, dass der Gesetzgeber dem Richter die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs oder die Ausgestaltung einer Generalklausel über-
__________ 61 S. auch Orfanoudakis (Fn. 25), S. 202–203. 62 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), 227 ff.; Belling/Orfanides (Fn. 8), S. 641 ff. 63 Mathias (Fn. 21), S. 6; Papanikolaou (Fn. 8), S. 39.
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lassen hat oder ihm die Bestimmung z. B. des „angemessenen Unterhalts“ oder der „billigen Entschädigung“ zuerkannt hat, hat der Richter hier grundsätzlich nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden, sondern die entsprechende Rechtsvorschrift. Er hat die Wertungskriterien dieser konkreten Vorschrift anzuwenden bzw. die Wertungskriterien des entsprechenden Untersystems, in dem sich die Vorschrift befindet. Erst wenn tatsächlich Bedarf besteht, wenn also diese Wertungs- und Auslegungskriterien zu keinem Ergebnis führen, kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Wege der Auslegung Anwendung finden64. Der Richter erhält durch diesen Grundsatz ein wichtiges Hilfsmittel, welches ihm als Auslegungskriterium bei der Anwendung einfacher Gesetzesvorschriften, aber auch bei der Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe sowie der Generalklauseln und bei der Ausfüllung von Gesetzeslücken zur Seite steht. Dies darf aber nicht zu einer Überbewertung der Stellung dieses Auslegungsgrundsatzes in einer Weise führen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine im Verhältnis zu allen anderen traditionellen Auslegungskriterien höherrangige Geltung einräumt, die das Auslegungsergebnis maßgeblich bestimmt65. Denn der Richter ist bei der Ausübung seiner rechtsprechenden Gewalt auch an die Wertungskriterien der entsprechenden Regelung selbst und auch des Untersystems, in das der von ihm zu regelnde Fall eingeordnet ist, gebunden. Er kann sich bei der Anwendung oder Auslegung einer Vorschrift des Privatrechts nicht einfach über die Wertungen des Privatrechts hinwegsetzen und sich direkt auf den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit berufen, weil ihm diese Lösung korrekter oder gerechter erscheint66. Die Berufung auf den Auslegungsgrundsatz darf also nicht die ratio legis der anzuwendenden Vorschrift überschatten, die sich nur aus der Gesamtbewertung unter Einbeziehung aller Wertungskriterien des Untersystems, vorliegend des Privatrechts, ergeben kann67. 3. Die rechtsdogmatische Problematik der neuen Verfassungsregelung Legt man die neue Verfassungsregelung in der oben ausgeführten Weise aus, so kommt man schnell zu dem Schluss, dass ihre Aufnahme in Art. 25 Verf im Grunde nichts Neues bringt. In dieser Hinsicht ist die Erwähnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schlicht überflüssig. Wie man aber an den verschiedenen Reaktionen auf die Aufnahme des Grundsatzes in die Verfassung in Rechtsprechung und Lehre sehen kann, zeigt sich, dass die Stellung, die dem
__________ 64 S. Mitsopoulos (Fn. 38), S. 176. Dazu auch Doris, Dikeomata tou Anthropou Sonderband 2005/III, 25 ff. und Sonderband zum 75-jährigen Bestehen des Obersten Verwaltungsgerichts, S. 229 ff., 233 ff., wo auch die Ansicht vertreten wird, dass die Idee der Verhältnismäßigkeit ein Grundsatz ist, der als Verpflichtung zur Einhaltung des „angemessenen Maßes“ das gesamte Zivilrecht durchdringt und sich in vielen Vorschriften des gr. ZGB wiederspiegelt. Anders Mathias (Fn. 21), S. 6–7. 65 So auch Papanikolaou (Fn. 8), S. 40 f. 66 S. auch Georgiades (Fn. 54), S. 68. 67 Papanikolaou, a. a. O. (Fn. 8), S. 42.
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Grundsatz dadurch zuerkannt wird, die Gefahr seiner Überinterpretation birgt68. Darüber hinaus ist die ausdrückliche Aufnahme des Grundsatzes in die Verfassung aber auch aus rechtsdogmatischer Sicht bedenklich. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dient als Schranke der Grundrechtseinschränkung. Die Bestimmung dieser Schranken ist Gegenstand der Rechtsauslegung. Und durch diese Auslegung dringt der Grundsatz, in oben ausführlich beschriebener Weise, auch in den Bereich des materiellen Rechts und des Prozessrechts ein. Die Rechtsauslegung ist aber Aufgabe der Rechtslehre und der Rechtsprechung und nicht des Verfassungsgebers. Mit der Aufnahme dieses Grundsatzes in die Verfassung überschreitet der Verfassungsgeber hier seine Kompetenzen. Der Gesetzgeber – und insbesondere der Verfassungsgeber – bestimmt Rechtsfolgen, verleiht Rechte und erlegt Pflichten auf. Seine Aufgabe ist nicht, durch die Lehre entwickelte Theorien und Grundsätze anzunehmen oder abzulehnen. Dies steht allein der Lehre und der Rechtssprechung zu. Ob eine Theorie richtig oder falsch ist, hat nicht der Gesetzgeber zu bestimmen und schon gar nicht der Verfassungsgeber69. Die Änderung des Art. 25 Abs. 1 Verf muss daher in Hinblick auf die Aufnahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, aber auch was den Grundsatz der Drittwirkung betrifft, aus den oben genannten Gründen nicht nur als misslungene Reform, sondern als unvertretbare Verfassungsänderung bezeichnet werden. 4. Die Gefahr der „Konstitutionalisierung“ des Zivilrechts Die ausdrückliche Aufnahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in die Verfassung ist aber auch aus einem weiteren Gesichtspunkt bedenklich. Die Stellung, die dem Grundsatz dadurch zuerkannt wird, birgt die Gefahr der übermäßigen Ausweitung seines Geltungsbereiches, mit nicht unerheblichen Folgen für die Stellung des Zivilrechts im Gesamtrechtssystem. In der letzten Zeit ist in der Rechtsprechung eine starke Tendenz der direkten Berufung auf Verfassungsvorschriften zu beobachten. Dabei findet entweder eine parallele Berufung auf eine Vorschrift des Zivilrechts und eine Verfassungsvorschrift oder eine direkte Berufung nur auf eine Verfassungsvorschrift statt, obwohl eine entsprechende zivilrechtliche Vorschrift existiert70. Beispiele für diese Praxis zeigen sich in der griechischen Rechtsprechung der Zivilgerichte vor allem im Bereich der Rechtsprechung zum Persönlichkeits-
__________ 68 Auch Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou, 2002, 659. 69 S. auch meine Stellungnahme in einer Sitzung der Akademie von Athen zum selben Thema zur Position von Mitsopoulos, der sich ebenfalls gegen die neue Vorschrift ausspricht (Mitsopoulos, Dikeomata tou Anthropou 2002, 659 f.). 70 S. zu dieser Problematik ausführlich Papanikolaou (Fn. 8), S. 59 ff. Zur gleichen Problematik im Zusammenhang mit der unnötigen Berufung auf Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention, s. Papanikoloaou (Fn. 8), S. 113 ff.
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recht71 (gleichzeitige Berufung auf Art. 57–59 gr. ZGB und Art. 5 Abs. 1 Verf) und zur missbräuchlichen Rechtsausübung72 (gleichzeitige Berufung auf Art. 281 gr. ZGB und Art. 25 Abs. 3 Verf). Eine Tendenz der unnötigen direkten Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist im Grunde in einer Reihe von Entscheidungen der Zivilgerichte nach der Änderung des Art. 25 Abs. 1 Verf zu finden73. Hierbei findet im Rahmen der Lösung eines privatrechtlichen Konflikts eine parallele Berufung auf die zivilrechtliche Vorschrift, die aus sich selbst heraus in der Lage ist, die entsprechende Lösung hervorzubringen, und auf die entsprechende Verfassungsvorschrift statt, die zwar im Rang höher steht, aber als lex generalis der inhaltlichen Ausgestaltung der zivilrechtlichen Vorschrift unterliegt. Zum einen kann diese parallele Berufung, z. B. im Fall des Persönlichkeitsrechts, hilfreich für die Bestimmung der Stellung dieses Rechts in der Gesamtrechtsordnung sein. Die Ermittlung der verfassungsrechtlichen Grundwertung eines Rechts trägt auch dazu bei, die richtige Wertentscheidung bei einer Interessenabwägung zu treffen. Auf der anderen Seite wird dadurch in der Praxis oftmals das Verhältnis verschleiert, in dem die beiden Vorschriften zueinander stehen. Bedenklicher ist diese Praxis im Fall der direkten Berufung auf eine Verfassungsvorschrift unter Umgehung privatrechtlicher Vorschriften. Natürlich müssen auch die Wertungen der Verfassung bei der Anwendung von Vorschriften des Privatrechts im Rahmen der Ermittlung einer Lösung mit einfließen. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt als Verfassungsgrundsatz, in oben beschriebener Weise, auch bei der Anwendung und Auslegung von Privatrechtsvorschriften. Dies darf aber nicht dazu führen, dass die entsprechenden zivilrechtlichen Vorschriften umgangen werden. Unabhängig davon, dass die Berufung auf eine Verfassungsvorschrift oder einen Verfassungsgrundsatz unnötig ist, wenn die Lösung in der zivilrechtlichen Regelung selbst gefunden werden kann, birgt diese Praxis auch die Gefahr, Wertungen des Zivilrechts zu umgehen, deren Einbeziehung nicht nur in Hinblick auf eine korrekte Lösung im Einklang mit dem Wertungssystem des Zivilrechts hilfreich sein kann, sondern auch geboten ist. Wie oben schon erwähnt, ist der Rechtsanwender verpflichtet, die Wertungen des jeweiligen Untersystems mit einzubeziehen74. Grund dafür ist, dass die konkreten Regelungen des Zivilrechts gerade zur Lösung von privatrechtlichen Streitigkeiten vom Gesetzgeber festgelegt wurden und im Laufe der Zeit auch mit Hilfe der Rechtsprechung und der Lehre in
__________ 71 S. z. B. Entscheidungen des Areopags 854/2002, Nomiko Vima 2003, S. 50; 1010/ 2002, Nomiko Vima 2003, S. 248; 346/2004, Nomiko Vima 2005, S. 466. 72 Papanikolaou (Fn. 8), S. 65 ff. mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung. 73 S. auch Mitsopoulos (Fn. 38), S. 170 ff. 74 S. oben III. 2.
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diesem Zusammenhang weiterentwickelt wurden. Die meisten dieser Vorschriften bestanden schon lange bevor der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder auch andere Verfassungsvorschriften ihren Weg in die Verfassung fanden. Die vom Gesetzgeber, der Lehre und der Rechtsprechung entwickelten Wertungen, die heute das Untersystem des Zivilrechts zusammensetzen und die gerade auf die Lösung privatrechtlicher Konflikte zugeschnitten sind, können und dürfen nicht einfach durch die Berufung auf eine Verfassungsvorschrift übergangen werden, nur weil diese im Rang höher steht. Nur für den Fall, dass das Untersystem keine ausreichende oder keine verfassungsgemäße Regelung enthält, ist ein solcher Rückgriff notwendig und möglich. Diese Praxis der unnötigen Berufung auf Verfassungsgrundsätze verwischt nicht nur die dogmatische Einteilung des Rechtssystems, sondern birgt die Gefahr der „Konstitutionalisierung“ unseres Zivilrechts in sich75. Jedes Untersystem ist jedoch aus seinem eigenen Wertungssystem gewachsen und muss sich auch als eigenes Wertungssystem weiterentwickeln. Dabei wirken natürlich auch die Werte unserer Verfassung, welche die Grundwerte unserer Gesellschaft wiederspiegeln, auf das jeweilige Untersystem ein. Die Verfassung ist jedoch nicht dazu da, um Rechtsbeziehungen des Privatrechts zu regeln, sondern um eine generelle Wertordnung zu gewährleisten, die durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre ausgestaltet wird, in der sich die Privatpersonen frei entfalten können.
IV. Schlussfolgerung Unbestritten ist, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein bedeutender Grundsatz unseres Rechtssystems ist. Er verpflichtet nicht nur den Gesetzgeber, bei der Beschränkung von Grundrechten die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Mittels sowie die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs im engeren Sinn zu beachten, sondern hat auch eine bedeutende Funktion bei der Anwendung und Auslegung des Rechts, wobei sich sein Wirkungsbereich über das öffentliche Recht hinaus auch auf das Privatrecht erstreckt. Neben seiner Anwendung bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift durch den Richter, dient er ihm als Auslegungskriterium bei der Ausgestaltung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln, sowie bei der Ausfüllung von Lücken. Durch die ausdrückliche Verankerung dieses Grundsatzes in der Verfassung im Zuge der Verfassungsreform von 2001 ist der Verfassungsgeber aber in mehr als einer Hinsicht über das Ziel hinausgeschossen. Zum einen ist dieser von der Rechtslehre entwickelte Grundsatz in der Verfassung fehl am Platze. Seine Aufnahme ist nicht nur unnötig, sondern aus rechtsdogmatischer Sicht auch nicht vertretbar, da der Verfassungsgeber hiermit seinen Kompetenzrahmen überschritten hat. Aber auch die Stellung, in die der Grundsatz durch seine Aufnahme in Art. 25 Abs. 1 Verf erhoben wird, birgt die Gefahr
__________ 75 Papanikolaou (Fn. 8), S. 70 ff.
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seiner Überinterpretation und eröffnet den Weg zur Anwendung dieses Grundsatzes in einem Ausmaß, das über seinen eigentlichen Geltungsbereich hinausreicht. Diese Tendenz zeigt sich schon jetzt in der Rechtssprechung der Zivilgerichte, wo immer häufiger Beispiele einer direkten Berufung auf Verfassungsvorschriften und Grundsätze zu finden sind, obwohl dazu keine Notwendigkeit besteht. Es ist daher ein vorsichtigerer Umgang mit diesem Grundsatz geboten, der als das betrachtet werden sollte, was er ist – nämlich ein Auslegungsgrundsatz – nicht zuletzt um die Eigenständigkeit des Zivilrechts nicht zu gefährden.
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Vertragsnetz und Wegfall der Geschäftsgrundlage Inhaltsübersicht I. Einleitung: von Nobelpreis und Lyrik II. Das Thema, die Fallkonstellation III. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage als Instrument im Recht der Vertragsnetze 1. Direktanspruch oder Ansprüche entlang der Kette? 2. Wegfall der Geschäftsgrundlage im jeweiligen Vertragsverhältnis (in der „Regresskette“)
IV. Durchführung 1. Hauptkriterien für Anpassungsanspruch und dessen Inhalt a) Anpassung als Ausnahmefall b) Insbesondere (Un-)Zumutbarkeit 2. Anpassung innerhalb des Vertragsnetzes a) Das Kreditverhältnis b) Das Bürgschaftsverhältnis V. Schluss
I. Einleitung: von Nobelpreis und Lyrik Bekanntlich werden in den Rechtswissenschaften Nobelpreise nicht vergeben. Ob dem Jubilar ein solcher verliehen worden wäre – wie etwa seiner Tübinger Kollegin Nüsslein-Vollhard –, werden wir also nicht erfahren. Er hat auch nicht wie der erste deutsche literarisch-geisteswissenschaftliche Nobelpreisträger, Theodor Mommsen, ein rechtsgeschichtliches Werk von solch allgemeiner Sprachgewalt geschrieben, dass er auf eine andere Kategorie ausweichen könnte – obwohl ihn mit Mommsen beispielsweise die gelebte Liebe zum antiken und heutigen Griechenland verbindet wie kaum einen anderen deutschen Rechtswissenschaftler heute. Im Wirtschaftsrecht zählt nicht die Lyrik, es eröffnet freilich Ausblicke auf andere denkbare Wege. Zwar ist der Nobelpreis für Ökonomie bekanntlich auch kein „echter“, zudem geschaffen erst, als sich die Ökonomie längst aus den Rechts- und vor allem Staatswissenschaften heraus entwickelt hatte. Immerhin wird jedoch für das Wirtschaftsrecht und die diesbezügliche Empirie zumindest darüber sinniert, ob nicht solch ein Preis sinnvoll wäre1. Während es sich hierbei jedoch wohl nur um ein Nebengleis handelt, wird man gleiches für die Transaktionskostenanalyse nicht sagen können, für die Ronald Coase bekannt und 1991 mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Das wohl strahlendste Beispiel hierfür lag darin zu fragen, warum und unter welchen Umständen die Gesellschaft als Organisationsform präferiert wird, warum und unter welchen Umständen umgekehrt
__________ 1 Ulen, A Nobel Prize in Legal Science – Theory, Empirical Work, and the Scientific Method in the Study of Law, 4 U.Ill.L.Rev. 875 (2002).
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Stefan Grundmann
der Vertrag2, was also für den Einsatz der einen großen Organisationsform des Privatrechts spricht, was für den der anderen. Dies nun ist recht eigentlich das Thema des Jubilars. Wohl kein anderer Rechtswissenschaftler in Deutschland verbindet vergleichbar Vertragsrecht und Gesellschaftsrecht in der Art, dass er für beide in einem Kernstück die maßgebliche Veröffentlichung hervorgebracht hat, etwa für das Kaufrecht und für das Recht der Personengesellschaften3. So liegt es nahe, dem Jubilar Überlegungen zu dem zuzueignen, was als Hybrid zwischen Vertrag und Gesellschaft bekannt ist, das Vertragsnetz4. Und zwar, seinem Wesen entsprechend, nicht „Lyrik“, sondern Dogmatik und hartes Fallmaterial. Den folgenden Überlegungen mag also auch eine Fallkonstellation zugrunde gelegt werden, die derzeit in seiner Wahlheimat Berlin wie kaum eine andere Wellen schlägt.
II. Das Thema, die Fallkonstellation Festschriftenbeiträge wie beispielsweise derjenige von Canaris zu Schutzgesetzen, Verkehrspflichten und Schutzpflichten5 werden heute – von der Länge her – nicht mehr zugelassen. So ist die „Dogmatik der Vertragsnetze“ als Festschriftthema schlicht nicht realistisch6. Für Westermann soll freilich zumindest das Herzstück solch einer Dogmatik vorgestellt (und begründet) werden ebenso wie ein Fall, der die Gedanken leiten kann: Heute stehen sich zum Thema Vertragsnetze zwei Lager doch recht schroff gegenüber: Die einen stehen auf der Grundlage der etablierten Vertragsrechtsdogmatik und meinen, Verträge in Vertragsnetzen seien nicht anders zu behandeln als (voneinander unabhängige) Einzelverträge. Die anderen behaupten die Besonderheit der Vertragsnetze, postulieren hierfür jedoch allgemeine Theorien als Grundlage, die im Widerspruch zum geltenden Recht und seiner Dogmatik stehen oder diese schlicht für irrelevant erklären. Paradigmatisch
__________ 2 Coase, The Theory of the Firm, 4 Economica 386 (1937); sowie Williamson, Markets and Hierarchies, 1975; ders., The Economic Institutions of Capitalism, 1985 (deutsch 1992), S. 29–32, 56–66 et passim; heute etwa Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 2. Aufl. 1996, S. 8 f.; Eidenmüller, Kapitalgesellschaftsrecht im Lichte der ökonomischen Theorie, JZ 2001, 1041, 1042; Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, 1997, S. 6–8, 15–55. Die Grundlinie bei Coase war bekanntlich, dass bei der Organisation weniger Such-, teils auch Durchsetzungskosten anfallen, beim Vertrag hingegen die Kosten opportunistischen Verhaltens besser zurückgedrängt werden können (Prinzipal-Agenten-Probleme). 3 H. P. Westermann in MünchKomm.BGB, §§ 433 ff. BGB (inzwischen in der 4. Aufl. 2004); H. P. Westermann (begründet von Harry Westermann), Handbuch der Personengesellschaften – Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht, Loseblatt, Stand 2/2007. 4 Den Hybridcharakter betonend etwa: Rohe, Netzverträge – Rechtsprobleme komplexer Vertragsverbindungen, 1998, S. 67; Teubner, „Verbund“, „Verband“ oder „Verkehr“ – zur Außenhaftung von Franchising-Systemen, ZHR 154 (1990), 295, 295; der Sache nach schon Möschel, Dogmatische Strukturen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, AcP 186 (1986) 187, 211 ff., 235 f. 5 In FS Larenz, 1983, S. 27–110. 6 Breiter unter diesem Titel Grundmann, AcP, voraussichtlich 208 (2008), 1.
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Vertragsnetz und Wegfall der Geschäftsgrundlage
für das erste ist zunächst schon, dass Handels- und Vertragsrechtslehrbücher mittlerer Größe das Phänomen durch Schweigen behandeln7. Noch expliziter sind die Aussagen, wenn sie denn gemacht werden. Eine „Einordnung … als Netzvertrag“ wird schroff abgelehnt, beispielhaft mit dem Verdikt: „… hinsichtlich der Lösung praktischer Probleme ist die Fruchtbarkeit dieser Kategorie ohnehin nicht ersichtlich“8. Modifikationen gegenüber dem Recht der Einzelverträge, eigene Rechtsfolgen sind also nicht angezeigt. Paradigmatisch für das zweite sind Aussagen wie die folgende: „Die Rechtsdogmatik … wird erst dann einen genuinen Beitrag zum Recht der Netzwerke leisten, wenn sie einen gegenüber Rechtsprechung und Gesetzgebung eigenständigen ‚dritten’ Realitätszugang zu den Wandlungen in der Organisation wirtschaftlichen Handelns gewinnt.“ Dieser soll sich vor allem „durch selektive Doppelzurechnung der Rechtsfolgen auf Vertragspartner und Verbund [also Dritte im Netzwerk]“ auszeichnen9. Vorliegend soll nicht erläutert werden, dass die wichtigsten Ansätze auf eine Fiktion (des Vertragsschlusses zwischen allen Vertragspartnern) hinauslaufen (so das Konzept von Möschel und Rohe) oder in den Rechtsfolgen den einvernehmlichen Parteiwillen gröblich missachten (so das Konzept von Heermann, das Verbundwirkungen bei der Kartenzahlung postuliert, obwohl die Parteien einen abstrakten Zahlungsanspruch wünschen) oder eine Vermischung mit dem Gesellschaftsrecht bedeuten, obwohl das gemeinsame Ziel explizit mit getrennten Kassen verfolgt werden soll10. Viel grundsätzlicher ist nämlich die im Zitat zum Ausdruck kommende Absage an eine Herleitung aus Gesetz und gesicherter Jurisprudenz (und letztlich auch an jegliche Dogmatik), außerdem die Aussage, dass etwa Direktansprüche gegen Dritte im Netzwerk „selektiv“ verbeschieden werden sollen, also manchmal bejahend, manchmal verneinend und dies ohne gesetzlichen Anhaltspunkt (!), d. h. rein dezisionistisch. Thema und These dieses Beitrages drängen sich bei diesem Befund geradezu auf: Der erste oben genannte Standpunkt weckt Zweifel. Denn beim Vertragsnetz handelt es sich um eine Mehrheit von Verträgen, die in der Sicht der Parteien miteinander verknüpft erscheinen. Charakteristisch ist, dass die Parteien
__________
7 Vgl. etwa Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006; Lettl, Handelsrecht, 2007; Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2006; Medicus, Schuldrecht I und II, 17. bzw. 13. Aufl. 2006 bzw. 2005; Hofmann, Handelsrecht, 11. Aufl. 2002; Hübner, Handelsrecht, 5. Aufl. 2004; Oetker, Handelsrecht, 5. Aufl. 2007. 8 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 17 Rz. 13 und § 18 Rz. 20. Anders in der (großen) Lehrbuchliteratur, soweit ersichtlich, nur Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 2 Rz. 70, § 23 Rz. 127–131, der im Grundsatz Möschel und Rohe folgt; durchaus auch im Ausland, etwa: „Network is not a legal concept“, so Buxbaum, Is „Network“ a Legal Concept, Journal of Institutional and Theoretical Economics, 149 (1993), 698, 704. 9 Teubner, Coincidentia oppositorum: Das Recht der Netzwerke jenseits von Vertrag und Organisation, in Amstutz (Hrsg.), Die vernetzte Wirtschaft: Netzwerke als Rechtsproblem, 2004, S. 11, 18 und 29. 10 Teils ist die Kritik schon bei Teubner zu finden: Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund – Virtuelle Unternehmen, Franchising, Just-in-time in sozialwissenschaftlicher und juristischer Sicht, 2004, S. 71–108; stärker dogmatisch auf die Hauptansätze bezogen dann Grundmann, AcP (Fn. 6), unter III, 1.–3.
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diese zumindest insofern verknüpfen, als ihnen bewusst ist, dass die Verträge nur im Verbund den von allen Beteiligten gewünschten Erfolg gewährleisten. Liegt es da nicht nahe, dass gewisse Rechtsfolgen doch andere sind als beim isolierten Einzelvertrag? Vor allem jedoch: Ohne Vertragsnetz oder -kette keine Produktion und auch kein Absatz in einer modernen Marktwirtschaft, außerdem auch kein Zahlungsverkehr! Wenn also das Vertragsnetz geradezu das privatrechtliche Rückgrat jeder Wertschöpfungskette bildet, kann seine Dogmatik in den einschlägigen Lehrbüchern schwerlich nur mit Schweigen behandelt werden. Andererseits, auch die Absage an Gesetz, Dogmatik und gesicherte Jurisprudenz kann nicht überzeugen, weil Ergebnisse beliebig werden. Insbesondere sind sie nicht in das allgemeine Wertungssystem eingepasst. Thema und These dieses Beitrages sind also dahin gehend zusammenzufassen, dass durchaus zentrale Rechtsfolgen erheblich von dem divergieren, was man beim isolierten Einzelvertrag annehmen würde (entgegen dem oben erstgenannten Standpunkt) und dass es umgekehrt (entgegen dem oben zweitgenannten Standpunkt) dafür genügend etablierte dogmatische Instrumente gibt, die nur verfeinert, ausgebaut und fortgedacht werden müssen, dass also nicht auf – dogmatisch nicht begründete oder begründbare – generelle Postulate oder Theorien rekurriert werden muss. Dies bedeutet auch keineswegs, dass nur die Begründung für das nach geliefert werden soll, was die zweitgenannte Meinung häufig als Rechtsfolgen annimmt. Vielmehr widersprechen die postulierten Rechtsfolgen eben häufig auch den Wertungen des bestehenden Vertragsrechts – das liegt auch nahe, wenn nicht akribisch von ihnen ausgegangen wird. Insbesondere Direktansprüchen gegen Dritte im Netz oder Durchgriffsansprüchen auf sie, wie sie häufig breit postuliert werden, wird im Grundsatz eine Absage erteilt: Sie widersprechen dem Parteiwillen und sind deswegen dogmatisch nicht haltbar11. Zentral herangezogen werden soll folgende, derzeit vielfach zu findende Fallkonstellation: Das Land Berlin hatte seinen sozialen Wohnungsbau so gestaltet, dass privaten Bauträgern – häufig Fondsgesellschaften – sowie den sie finanzierenden Kreditinstituten Hilfen angeboten wurden: Die Kreditinstitute gewährten den Bauträgern Darlehen, die einerseits durch den Grundstückswert abgesichert waren (Ia-Darlehen), andererseits jedoch durch eine Ausfallbürgschaft des Landes Berlin, weil diesem Teil der Valuta kein Geschäftswert gegenüber stand (Ib-Darlehen). Letzteres war der Fall, weil der im sozialen Wohnungsbau zugelassene Mietzins (Sozialmiete) nicht die Höhe erreichte,
__________ 11 Hierfür muss die Frage nicht näher diskutiert werden, ob dispositives Recht so angelegt sein sollte, dass es den typischen Parteiwillen trifft (als standardisierte ergänzende Vertragsauslegung oder sog. „Reservevertragsordnung“), oder ob es eigene Gerechtigkeitsvorstellungen jenseits des typischen Parteiwillens verwirklichen sollte: dazu Hesselink, Non-Mandatory Rules in European Contract Law, ERCL 1 (2005), 44, 46–55; Kramer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, Vor § 145 BGB Rz. 33–35; L. Raiser, Vertragsfreiheit heute, JZ 1958, 1; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit als Ausnahmebereiche der EG-Grundfreiheiten, 2004, S. 112–136. Angesichts von § 311 Abs. 1 BGB muss jedenfalls der zum Ausdruck gekommene Parteiwille ernst genommen werden.
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mit der die Kosten abgedeckt gewesen wären (Kostenmiete). Dies sollte durch schrittweise Anhebung der Mieten erreicht werden, freilich – allen Parteien im Netz bewusst – erst im Verlauf von 30 Jahren. Der Bauträger erhielt zur Deckung dieser Differenz – seitens einer Förderbank, die das Land Berlin zu 100 % hält – verlorene Aufwendungszuschüsse, daneben auch ein (vergleichsweise unerhebliches, erst spät rückzahlbares) Aufwendungsdarlehen. Beides freilich zunächst nur für 15 Jahre, wobei jedenfalls bis Mitte der 90er Jahre alle Beteiligten sicher davon ausgingen, dass eine Anschlussförderung von nochmals 15 Jahren folgen würde. So kommunizierte das damals auch das Land Berlin, so war auch durchgängig die Praxis. Nach einer Phase der Unsicherheit gab der Berliner Senat mit Entscheidung vom 4.2.2003 diese Praxis ohne Übergangsfrist auf – was aus der Sicht des öffentlichen Rechts als Rechtsänderung auch nicht zu beanstanden war12. Viele Bauträger befürchten deswegen, weil die Kostenmiete weiterhin auf viele Jahre die zulässige oder erzielbare (Sozial)Miete13 deutlich übersteigt, umgekehrt jedoch Kompensation hierfür nicht mehr gegeben wird, Überschuldung. Regelmäßig besteht eine direkte vertragsrechtliche Beziehung zwar zur Kredit gebenden Bank, nicht jedoch zum Land Berlin. Eine zweite Sonderrechtsbeziehung (nach der Zweistufentheorie teils öffentlich-, teils privatrechtlicher Natur)14 besteht zwar zur Förderbank. Die Aufwendungszuschüsse sind jedoch für die ersten 15 Jahre bereits geflossen. Und das herausgereichte Aufwendungsdarlehen ist wenig bedeutsam, da es vergleichsweise gering und zudem erst spät zurück zu zahlen ist; daher ist durch Wegfall (der Geschäftsgrundlage) in diesem Verhältnis auch (zu) wenig Entlastung für die Bauträger möglich. In einer Sonderrechtsbeziehung zum Land Berlin steht dann jedoch die Kredit gebende Bank (über die Ausfallbürgschaft) und die Förderbank, weil das Land Berlin sie zu 100 % hält. Zwischen Projektträger und Land Berlin bilden sich also – kreisförmig – zwei zweigliedrige Ketten. Nachgedacht werden kann, wenn es um das Verhältnis zwischen Projektträger und Land geht, einerseits
__________ 12 So jedenfalls BVerwG, NVwZ 2006, 1184; die Verfassungsbeschwerde ist noch anhängig. Insbesondere verneint wurde die Verletzung des Vertrauensgrundsatzes und des (relativen) Rückwirkungsverbots. 13 Dass der geschuldete Mietzins schon aus rechtlichen Gründen überhaupt erst nach vielen Jahren die Kostenmiete erreichen kann, beruht auf dem Umstand, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung § 558 BGB mit seiner Kappungsgrenze bei der Mietzinserhöhung (20 % je drei Jahre) auch nach Auslaufen der öffentlichen Förderung Anwendung findet: EBE/BGH 2004, 189 (mit umfangreichen Nachw. aus der Lit.) = NZM 2004, 735 (Leitsatz); BayObLG, NJW 1984, 742; OLG Hamm, NJW-RR 1990, 1233. Einen anderen Sachverhalt – nämlich die einverständlich zwischen den Mietparteien vereinbarte Modernisierung und die Überwälzung der daraus entstandenen Kosten auch über die Kappungsgrenze hinaus – betrifft das teilweise als Gegenbeispiel genannte Urteil BGH, NZM 2004, 456; zumindest missverständlich der Hinweis hierauf bei Bister in MünchAnwaltshdb., Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2005, § 37 Rz. 146. 14 Zur Zweistufentheorie und zur danach gebotenen Einordnung etwa des Kreditvertrages als privatrechtlich statt aller BGH, WM 1987, 1428 = MDR 1988, 127 (zu einem Wohnungsfürsorgedarlehen, mit umfangreichen w. Nachw. aus der reichen Rechtsprechung).
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über einen Direktanspruch gegen das Land, vor allem in Form eines Prospekthaftungsanspruchs oder ähnlicher Ansprüche i. S. v. § 311 Abs. 3 BGB, alternativ jedoch über eine spezielle Ausgestaltung des Vertragsrechts zwischen Bauträger und Kreditgeber einerseits und Kreditgeber und Bürgen (Berlin) andererseits15.
III. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage als Instrument im Recht der Vertragsnetze 1. Direktanspruch oder Ansprüche entlang der Kette? Gegenstand des vorliegenden Beitrags bildet der Wegfall der Geschäftsgrundlage im Vertragsnetz. Diese Wahl des Betrachtungsgegenstandes ist motiviert durch fallbezogen-praktische, vor allem jedoch durch allgemeiner theoretische Vorüberlegungen (zur Geschäftsgrundlage selbst dann unten 2. und IV.). Die genannte Alternative – Direktanspruch oder Modifikation der jeweiligen Vertragsbeziehung in der Kette – bildet nämlich die zentrale Weggabelung für die Behandlung von Vertragsnetzen. Als dogmatischer Ausgangspunkt wird diese Weggabelung viel zu wenig diskutiert. Der Prospekthaftungsanspruch bildet den wohl prominentesten Direktanspruch in Sachverhalten, denen regelmäßig Netze von Verträgen zugrunde liegen, also den prominentesten Anspruch gegenüber einem Anspruchsgegner, der selbst nicht Vertragspartner des Anspruchsstellers ist, der jedoch (andernorts) in das Netz einbezogen ist. Praktisch wirft er in den Berliner Fällen verschiedene Fragen auf: In einer Reihe von Fällen war zwar im Prospekt, den der Fonds herausgab, auf die oben genanntem Mitteilungen des Landes Berlin und seine Praxis Bezug genommen, das Land wurde jedoch nicht als Gewährträger für den Inhalt des Prospekts genannt bzw. hat dem nicht zugestimmt. Eine Prospektverantwortlichkeit des Landes erscheint unter diesen Umständen weder als Prospektgarant noch nach der sog. Hintermann-Rechtsprechung leicht begründbar16. Außerdem: In den meisten Prospekten war die Aufteilung in zwei
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15 Zu dem Problem, das in diesem Zusammenhang auftaucht, ob nicht die Entscheidungen des BVerwG und des BVerfG Sperrwirkung entfalten, vgl. nur OLG Köln, WM 1995, 971 (verneinend). 16 Der BGH geht davon aus, dass (1) Prospektgaranten nicht nur tatsächlich Einfluss gehabt haben, sondern nach außen hervorgetreten sein mussten. Sie geben typischerweise für ausgewählte Einzelpunkte ihren guten Namen, namentlich Sachverständige, etwa Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater: BGH, BGHZ 77, 172, 177 (Verschulden bei Vertragsverhandlungen); BGH, BGHZ 111, 314, 319 f. (Funktionsbezeichnung genügt hierbei, nicht nötig ist die namentliche Nennung). (2) Hintermänner müssen demgegenüber nicht willentlich nach außen hervorgetreten sein, sie müssen jedoch (i. d. R. auf Grund gesellschaftsrechtlich vermittelter Einflussmacht) das Handeln des Emittenten haben bestimmen können. Gemeint sind vor allem neben Initiatoren und Gründern das Management und sonstige Personen, die „besonderen Einfluss“ (eigentlich: den maßgeblichen Einfluss) haben. Grundsatzentscheidung: BGH, BGHZ 71, 284, 287 (Verschulden bei Vertragsschluss); BGH, BGHZ 72, 382 (Verschulden bei Vertragsverhandlungen); st. Rspr., etwa BGH, BGHZ 115, 213, 217 f. (Prospekthaftung).
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Fördertranchen von je 15 Jahren durchaus beschrieben, zudem war dem Land Berlin zum Zeitpunkt der Prospektausgabe noch nicht notwendig klarer bewusst als irgendeinem Anleger oder Projektträger, dass eines Tages die Praxis, eine Anschlussförderung (für die Jahre 16 bis 30) zu gewähren, ausgesetzt werden würde. Zweifel erheben sich also beim Merkmal des Prospektfehlers und des Verschuldens, zumal wenn hier grobe Fahrlässigkeit gefordert würde (vgl. heute §§ 45, 46, 73 BörsG, §§ 13, 13a VerkProspG). Wichtiger sind die allgemein-theoretischen Überlegungen. Für den Direktanspruch in Form eines Sonderrechtsverhältnisses bildete die allgemein zivilrechtliche Prospekthaftung den wichtigsten von der Rechtsprechung tatsächlich befürworteten Anwendungsfall17. Grundlage war bekanntlich, soweit der Anspruch nicht spezialgesetzlich geregelt war, das Institut der culpa in contrahendo18. Dieses ist 2002 auch in § 311 Abs. 2 und vor allem Abs. 3 BGB eingegangen. Der Direktanspruch (auch) im Vertragsnetz scheint also heute sogar kodifikatorisch gesichert. Der erste Schein trügt jedoch. In zwei klassischen Kettenbeziehungen wurde nämlich in der jüngsten Gesetzgebungsgeschichte die Alternative Direktanspruch oder aber Entwicklung der Besonderheiten entlang der Kette im Sinne der zweiten Alternative entschieden. Dies geschah so für die Absatzkette (§§ 478 f. BGB, auf der Grundlage von Art. 4 der EG-Kaufrechts-Richtlinie) und für die Überweisungskette (§§ 676b, 676c BGB, auf der Grundlage von Art. 6 und 8 der EG-ÜberweisungsRichtlinie, jeweils Abs. 1, 4. Unterabs.). Das sind wichtige Paradigma, handelt es sich doch um die typische Kette zwischen allen Produzenten und Verbrauchern bzw. um die Kette, die dem mit Abstand wichtigsten Zahlungsinstrument zugrunde liegt, und ist doch zudem die Gesetzgeberaussage eine ganz junge und zudem eine paneuropäische, also in besonders hohem Maße konsentierte19. Dass diese Entscheidung für eine Regresslösung – der Kette entlang – und gegen einen Direktanspruch in der Tat gerade auch rechtspolitisch überzeugt, liegt vor allem daran, dass nur auf diese Weise innerhalb der Kette die
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17 Anders ja bekanntlich die deutsche Rechtsprechung in der Absatzkette, der Direktanspruch gegen den Hersteller wurde abgelehnt – anders als in Frankreich, vgl. etwa Fabre-Magnan, Les obligations, 2004, S. 465–472 sowie die (etwas restriktivere) Leitentscheidung des Großen Senats des Kassationshofs, Bull. Ass. plén, no 5 = Dalloz 1991, 549; und auf europäischer Ebene: Beale/Howells, EC harmonisation of consumer sales law – a missed opportunity?, (1997) 12 Journal of Contract Law 21, 22–24; Bridge in Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie – Kommentar, 2002, Art. 4 Rz. 37–47; Gomez in Grundmann/Bianca ibidem, Einleitung Rz. 127 f. 18 Grundlegend BGH, BGHZ 79, 337, 344 (culpa in contrahendo); BGH, BGHZ 111, 314, 317 (Vertrauenstatbestand); st. Rspr., etwa BGH, WM 1991, 1543, 1543 (Verschulden bei Vertragsschluss); BGH, NJW 1995, 130, 130 (Grundsätze vorvertraglicher Haftung); sowie Nachw. Fn. 15. Für die Diskussion in der Literatur vgl. nur Assmann, Prospekthaftung – als Haftung für die Verletzung kapitalmarktbezogener Informationsverkehrspflichten nach deutschem und US-amerikanischem Recht, 1985. 19 Vergegenwärtigt man sich diese Gesetzgeberaussage (und viele andere, ebenfalls sehr wichtige), so ist folgender Satz nicht zu halten, der typisch ist für diejenigen, die ein eigenes Recht der Vertragsnetze befürworten: „Die gesetzgeberischen Vorstöße in Sachen Netzwerke sind geradezu paradigmatisch vom politischen Tunnelblick geleitet“ (Teubner in Amstutz [Fn. 9], S. 11, 17).
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Verantwortung privatautonom zwischen den Parteien verteilt werden kann, ohne dass ein anderes Kettenmitglied dieses Arrangement empfindlich stören könnte20. So mag etwa der Service beim Vertragshändler konzentriert werden und dieser dafür Kompensation vom Hersteller erhalten. So mögen etwa die Banken in der Überweisungskette wegen des Massencharakters des Geschäfts Widerrufe des Überweisungsauftrags auf die authentisierten Partner beschränken (d. h. andere Kreditinstitute) und solche von allen Seiten ausschließen wollen. Selbst § 311 Abs. 3 BGB spricht nicht dagegen, in der Entscheidung gegen den Direktanspruch die eigentliche Grundentscheidung zu sehen. Es handelt sich, wie der Bundesgerichtshof für die zivilrechtliche Prospekthaftung immer wieder betont hat, um einen Ausnahmefall. Die maßgebliche Formel ist, dass der Dritte, wenn er nicht nur Vertragspartnern oder vermittelt über Vertragsbeziehungen (§ 328 BGB) haften soll, eigenständig „besonderes Vertrauen“ für sich in Anspruch genommen haben muss21. Das Entscheidende ist, dass der Dritte in der Tat Leistungen versprochen hat, die nur er – und nicht der Vertragspartner des Anspruchsstellers – in Aussicht gestellt hat: bei der Prospekthaftung die Dienstleistung, dass die Kapitalanlage mit gegen geprüft wird und zwar durch einen, auf den der Anleger angesichts seines Namens und (gewisser) Unabhängigkeit eher vertraut, während ihm der Initiator grds. unbekannt war und zudem offensichtlich auch Eigeninteressen verfolgt (Reputation als eigene Leistung). Die Tatsache, dass der Dritte eine zusätzliche eigenständige „Leistung“ erbringt, die im Verkehr auch als solche „gehandelt wird“ (Wertpapierdienstleistungen, Anlageberatung), begründet den Direktanspruch. Das könnte an einer Reihe von Fällen durchgespielt werden22. Vorliegend freilich steht der sich daran anschließende Schritt im Mittelpunkt. 2. Wegfall der Geschäftsgrundlage im jeweiligen Vertragsverhältnis (in der „Regresskette“) Wird der Direktanspruch gänzlich als Ausnahme gesehen, beschränkt auf die Fälle, in denen der Dritte etwas substantiell anderes verspricht als der Vertragspartner, so bildet diese Weggabelung letztlich nur die (notwendige) Vorgeschichte für das Hauptthema des vorliegenden Beitrags: wie denn dann die einzelnen Vertragsverhältnisse in der Kette zu modellieren sind, eigenständig zu modellieren auf Grund des Umstands, dass sie nicht als isolierte Einzelver-
__________ 20 Am prägnantesten K. Schmidt, Der gesetzliche Händlerregreß bei Käuferketten (§§ 478, 479 BGB – Gesetzesregel, akademische Diskussion und Problemlösungen der Praxis) in Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis – Akzente, Brennpunkte, Ausblick, 2003, 427; vgl. auch v. Sachsen Gesaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721. 21 Etwa BGH, WM 1985, 533, 533. 22 Etwa den viel diskutierten Fall OLG Karlsruhe, NZV 1989, 434; dazu etwa Teubner, ZHR 154 (1990), 295. Diese Falldurchsicht bei Grundmann, AcP (Fn. 6), unter V. und VI.
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träge konzipiert wurden, sondern als Verträge in der Kette? Zwar durchaus auch Einzelverträge, aber eben verknüpfte. Während bisher der Direktanspruch gerade nicht als Regelanspruch gesehen und damit das Hauptpostulat abgelehnt wurde, das Protagonisten eines eigenen Rechts der Vertragsnetze formulieren, wird hier nun versucht, ein eigenständiges Recht der Vertragsnetze (entlang der Kette), mit durchaus eigenen Lösungen, zu begründen. Damit wird umgekehrt auch den Dogmatikern widersprochen, die einhellig davon ausgehen, „im Westen“, d. h. jenseits der isolierten Einzelverträge, gäbe es „nichts Neues“, auch wenn die Verträge verknüpft sind. Daher nochmals: Wenn Parteien Verträge so verknüpfen, dass ihnen bewusst ist, dass die Verträge nur im Verbund den von allen Beteiligten gewünschten Erfolg gewährleisten, liegt es dann nicht nahe, dass gewisse Rechtsfolgen doch andere sind als beim isolierten Einzelvertrag? Eine ähnliche Beeinflussung durch eine weitere „Werteordnung“ von außen im Vertragsrecht hat im deutschen Recht besonders Konjunktur: die Beeinflussung durch die Grundrechte als verfassungsrechtliche Grundwertungen. Bekanntlich ist dort einhellig konsentiert, dass diese – zumindest – über die Generalklauseln einwirken, also bei der Auslegung derselben zu berücksichtigen sind (indirekte Horizontalwirkung als Mindeststandard). Es liegt nahe, Gleiches für die Vertragsnetze in Erwägung zu ziehen: die Generalklauseln als Einfallstor dafür, dass der Umstand zum Tragen kommt, dass die Verträge in der oben genannten Weise verknüpft sind. Nun werden der „gemeinsamen Zweck“ und die genannte Verknüpfung gerade nicht Vertragsgegenstand. Andernfalls wäre von einem gesellschaftsrechtlichen Verhältnis zwischen den Parteien auszugehen23. Umgekehrt werden jedoch Umstände, die (ohne dass sie Vertragsgegenstand wurden) Teil der beim Vertragsschluss zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen waren und auf denen sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut, als „Geschäftsgrundlage“ verstanden, deren Wegfall die Frage nach einer Anpassung i. S. v. § 313 Abs. 1 BGB aufwirft24. Der Netzzweck, also die Verknüpfung im oben umschriebenen Sinne, die nicht zugleich (als Grundlage einer Personengesellschaft) Vertragsinhalt wird, ist also Geschäftsgrundlage i. S. v. § 313 BGB – selbstverständlich, möchte man hinzu setzen, ohne dass diese Figur bisher für die nähere Modellierung der Verträge im Vertragsnetz bisher herangezogen worden wäre. Bildet also der Netzzweck die Geschäftsgrundlage, so sollten sich Störungen des
__________ 23 Ausführlich und statt aller zum gemeinsamen Zweck: H. P. Westermann (Fn. 3), Rz. I 35–39. Für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation des Vertragsnetzes nur einige Monographien, namentlich: Engel, Rezension: Oliver Williamson, Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, RabelsZ 57 (1993), 556, 561; Kulms, Schuldrechtliche Organisationsverträge in der Unternehmenskooperation, 2000, S. 248 f. (i. Erg.); Merz, Qualitätssicherungsvereinbarungen – Zulieferverträge, Vertragstypologie, Risikoverteilung, AGB-Kontrolle, 1992, S. 260 f.; Steinmann, Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Endproduktherstellern und Zulieferern, 1993, S. 27 f.; dagegen die ganz überwiegende Meinung, vgl. etwa Diskussion und Nachw. bei Teubner (Fn. 10), S. 71–78. 24 Besonders plastisch BGH, NJW 1991, 1478, 1478 (sog. Salome-Entscheidung); BGH, NJW 1997, 320, 323; BGH, NJW 2002, 3695, 3697.
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Netzzwecks – also irgendwo (!) im Netz, wenn das Rückwirkungen im konkreten Vertragsverhältnis hat – gemäß § 313 BGB auswirken: Sie würden zu Anpassungsansprüchen führen, wenn die weiteren Voraussetzungen, die § 313 BGB statuiert, hinzu kommen. Voraussetzung hierfür ist namentlich, dass die Änderung unvorhersehbar war und schwer wog und dass ein Festhalten am Vertrag bzw. umgekehrt die Anpassung un- bzw. zumutbar sind. Im Vertragsnetz kommt freilich hinzu, dass diese Anpassungen Kettenwirkungen auslösen, also in die anderen Verträge „fortzuschreiben“ sind. Um diese Durchführung geht es im Folgenden. Betont sei an dieser Stelle freilich, dass es sich hier keineswegs um das einzige Instrument handelt, das es erlaubt oder gebietet, auf Grund des Bestehens eines Netzzweckes die Lösungen, wie sie für den isolierten Einzelvertrag gelten, zu modifizieren. Es gibt andere Generalklauseln, die ebenfalls fruchtbar zu machen sind25, § 313 BGB erscheint jedoch als paradigmatisch.
IV. Durchführung 1. Hauptkriterien für Anpassungsanspruch und dessen Inhalt a) Anpassung als Ausnahmefall Die Kriterien für das Bestehen eines Anpassungsanspruchs blieben bei Kodifikation des Instituts in § 313 BGB im Grundsatz unverändert26 – während sich in der Rechtsfolge offensichtlich zumindest geändert hat, dass nur noch ein Anpassungsanspruch besteht und nicht mehr von ex lege Anpassung ausgegangen wird27. Neben die bereits angesprochene Voraussetzung, dass der fragliche Umstand – Vernetzung und Erfolg des Netzes – überhaupt Geschäftsgrundlage wurde, müssen zwei weitere Voraussetzungen treten: Dieser Umstand muss sich (i) schwerwiegend verändert haben und zwar so, dass unter diesen veränderten Umständen die Parteien den Vertrag nicht (so) abgeschlossen hätten. Außerdem ist (ii) zu prüfen, ob ein Festhalten am Vertrag für die belastete Partei zumutbar ist, und auch, ob umgekehrt eine Anpassung für die andere Partei zumutbar ist. Für die Frage, ob sich Störungen in der Abwicklung des Netzzweckes – irgendwo im Netz – auf den Einzelvertrag auswirken, ist damit eine Tendenzangabe verbunden: Solch eine Rückwirkung ist nur unter erschwerten Bedingungen zu bejahen, denn die Störung muss sich schwerwiegend auf den Einzelvertrag auswirken und dessen Erfüllung muss (ohne Anpassung) unzumutbar sein und
__________ 25 Für einen möglichst kompletten Strauß vgl. Grundmann, AcP (Fn. 6), unter V. und VI. 26 BT-Drucks. 14/6040, S. 175; BAG, NJW 2005, 1741; BAG, NJW 2005, 2732, 2734. Wichtig, da die reiche Rechtsprechung fast ausschließlich aus der Zeit von vor 2002 stammt, mit dem vorliegenden Fall jedoch ein Schritt in eine weitere Dimension hinein getan werden könnte. 27 Rechtspolitisch überzeugend, vgl. Riesenhuber, Vertragsanpassung wegen Geschäftsgrundlagenstörung – Dogmatik, Gestaltung und Vergleich, BB 2004, 2697, 2698.
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umgekehrt muss die Anpassung der anderen Partei zumutbar sein. Diese Einschränkung bei der Anpassung des Einzelvertrages überzeugt auch durchaus. Immerhin haben die Parteien zwar das Funktionieren des Netzes vorausgesetzt, umgekehrt jedoch auch das Prinzip der getrennten Kassen für ihre Zusammenarbeit vereinbart und das heißt auch der getrennten Risiko- und Früchtetragung. Um dieses zu durchbrechen, bedarf es guter Gründe. Die Durchbrechung bildet die Ausnahme. b) Insbesondere (Un-)Zumutbarkeit Das ungleich wichtigere der beiden oben genannten weiteren Kriterien bildet die Unzumutbarkeit, unverändert am Vertrag festgehalten zu werden (bei gleichzeitiger Zumutbarkeit der Anpassung für den Anpassungsgegner)28. Jedenfalls in den Berliner Sozialbautenfällen handelt es sich um das einzig problematische Kriterium, denn der vorausgesetzte Umstand – die Anschlussförderung, die das Investment für den Projektträger (Fonds) bzw. die Anleger überhaupt erst tragbar macht29 – ist gänzlich weggefallen. Dies ist die denkbar schwerwiegendste Form der Veränderung. Es ist auch unbestritten, dass jedenfalls die Projektträger nicht abgeschlossen hätten und dies sowohl den Kredit gebenden Banken als auch dem Land und seiner Förderbank ins Auge sprang30. Es handelt sich bei der (Un-)Zumutbarkeit auch um das komplexere, eigentlich vielgliedrige Kriterium: Im Rahmen dieses Kriteriums ist zunächst zu prüfen, ob nicht eine ausdrückliche oder konkludente vertragliche Absprache zu finden ist – in Form einer Risikozuordnung an eine Partei31. Eine (konkludente) Abrede wird insbeson-
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28 Roth in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 313 BGB Rz. 70. 29 Schon in der Aufspaltung in ein Ia- und ein Ib-Darlehen wird deutlich, dass Zweiteres unter Marktvoraussetzungen gerade nicht tragfähig wäre. Vgl. Begründung des Senatsbeschlusses v. 2.6.1987, wiedergegeben durch den Landespressedienst vom selben Tage (Nr. 104 KR-Lz): Nur durch die „durch den Senatsbeschluß … jetzt sichergestellt[e]“ Anschlussförderung würden „den Eigentümern keine unzumutbaren Belastungen entstehen“. 30 Dies genügt: BGH, NJW 1996, 990, 992; BGH, NJW 1993, 1641; BGH, NJW 1995, 592; Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 313 BGB Rz. 60; eine Eruierung des hypothetischen beiderseitigen Willens ist i. d. R. illusorisch: BGH, BGHZ 126, 150, 159 = NJW 1994, 2688, 2690. Entgegen dem Wortlaut muss die Geschäftsgrundlage nicht so gestaltet sein, dass ihr Wegfall beide Parteien vom Vertragsschluss abgehalten hätte. Denn in der großen (und unbestrittenen) Fallgruppe der schwerwiegenden Äquivalentstörung ist regelmäßig eine Seite durch die Entwicklungen sogar begünstigt. 31 Nicht zu vertiefen ist hier die Frage, ob es sich nicht hierbei um ein eigenes, vorgelagertes Kriterium handelt, also in diesen Fällen die Unzumutbarkeit gar nicht mehr zu prüfen ist. Tendenziell für eine Prüfung auch der Risikozuordnung im Rahmen des Kriteriums der (Un-)Zumutbarkeit: BGH, NJW 2002, 3695, 3698; Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 313 BGB Rz. 68; Teichmann in Soergel, 13. Aufl. 1999, § 242 BGB Rz. 245, 263. Jedenfalls wurde bei besonders extremen Änderungen auch die vertraglich getroffene Risikozuordnung durchaus bisweilen einschränkend verstanden, etwa BGH, NJW 2000, 1714, 1716 (Verwendung der Mietsache einmal nicht Risiko des Mieters). Mit anderen Worten: In solchen Extremfällen wirkt die Frage der Zumutbarkeit auf diejenige nach der Risikozuordnung durchaus zurück.
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dere darin gesehen, dass ein bestimmter Vertragstyp gewählt wurde. So wurde etwa die Darlehensgewährung oder sonstige Form der Nutzungsüberlassung dahin verstanden, dass der sinnvolle Einsatz des zur Nutzung überlassenen Gutes dem Empfänger überlassen sei, er also auch das Risiko trage32. Mit anderen Worten: Auch hier wird eine Aussage gemacht in der Frage, ob Verträge verknüpft sind; die Frage wird negativ beantwortet, nämlich dahin gehend, dass es im Regelfall in solchen Konstellationen gerade keinen von den Parteien vorausgesetzten Netzzweck (zwischen Darlehensvertrag und Vertrag über den Einsatz der Valuta) gebe. Zugleich wird jedoch sogar hier diese Aussage eingeschränkt (was dann verstärkt gelten muss, wenn die Verträge in der Tat von den Parteien in der oben genannten Weise als verknüpft verstanden werden): Vom Gegenteil ging der BGH in den Fällen aus, in denen der Darlehensnehmer über den Einsatz der Valuta gerade nicht frei bestimmen konnte, namentlich wenn keine Freiheit bestand, durch den Einsatz des Darlehens auch eine Rendite zu erwirtschaften, die es erlaubte, daraus die Zinsen und ein Stück der Tilgung zu bedienen33. Auch erfasst solch eine Risikozuordnung nicht Änderungen, die die Parteien zwar antizipiert, jedoch in ungleich geringerem Maße angenommen hatten34. Fehlt es an einer Risikozuordnung oder fällt der Einzelfall nach den beschriebenen Grundsätzen aus dieser heraus, so wird in einem weiteren Schritt maßgeblich auf die Vorhersehbarkeit abgestellt35. Die Verwirklichung vorhersehbarer Risiken wird ähnlich behandelt wie eine Risikozuordnung, sie steht dieser ja wertungsmäßig auch nahe. Speziell für den Fall der Rechtsänderung gibt es zu diesem zweiten Kriterium eine umfangreiche Literatur und Rechtsprechung. Sind beide Parteien unwissend und gab es für beide gleichermaßen keinen Anlass, von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen, so spricht dies für Anpassung, d. h. gemeinsame Tragung des Risikos36. In der Tendenz wird bei Änderungen des Steuerrechts grds. von Vorhersehbarkeit ausgegangen37, bei anderen Rechtsänderungen ist man zurückhaltender. Jedenfalls wird die nur theoretische Möglichkeit einer Rechtsänderung als nicht ge-
__________ 32 Für das Leasing BGH, NJW 1982, 2062; OLG Dresden, OLG-NL 1996, 193, 194; das gilt allgemeiner für Nutzungsüberlassungsverträge; für die Miete vgl. nochmals BGH, NJW 2000, 1714, bes. 1716. Vgl. auch BGH, NJW-RR 1986, 467; BGH, NJW 1997, 2875, 2876; BGH, NJW 1997, 2878, 2878; implizit auch BGH, NJW 2004, 2730. 33 So für Fälle der Abwicklung von DDR-Darlehen: BGH, BGHZ 127, 212, 218–220 = NJW 1995, 47, 48; BGH, BGHZ 120, 10, 24 f. = NJW 1993, 259. 34 Vgl. etwa BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 40; Gegenbeispiel (nur), wenn spekulatives Element doch recht spürbar: BGH, WM 1969, 527. 35 BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 61; BGH, NJW 1981, 1668; BGH, NJW 2002, 3695, 3698; aus der Literatur grundlegend Ulmer, Wirtschaftslenkung und Vertragserfüllung – Zur Bedeutung staatlicher Lenkungsmaßnahmen für die vertragliche Geschäftsgrundlage, AcP 174 (1974), 167, 185–190. 36 Vgl. Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 313 BGB Rz. 171; und nochmals BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 61; sowie Ulmer, AcP 174 (1974), 167, 185–190. 37 Vgl. nur BGH, NJW 1951, 517; HansOLG Hamburg, MDR 1955, 226; Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 313 BGB Rz. 180; freilich sind auch hier Gegenbeispiele denkbar und zu finden: BGH, NJW 1967, 1081, 1082 f.
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nügend angesehen, um anzunehmen, das Risiko sei vorhersehbar gewesen38 und daher ein Wegfall der Geschäftsgrundlage irrelevant. Die Änderung der Förderungspraxis war in den Berliner Sozialbautenfällen kaum vorhersehbar, die Vorhersehbarkeit war wohl sogar geringer als in vergleichbaren Fällen, in denen ein Wegfall der Geschäftsgrundlage für beachtlich erklärt wurde39. Wendet man dieses Kriterium nun auf das Vertragsnetz an, so zeigt sich: Es erscheint i. d. R. durchaus vorhersehbar, dass ein anderes Netzmitglied, typischerweise vor allem der Systemkopf, zusätzliche Gewinne aus dem Umstand zieht, dass das Netz besteht40. Selbst in Fällen einer durchaus nicht geringen Vorhersehbarkeit, wurden besonders belastende Folgen doch anders behandelt und ein Anpassungsanspruch der belasteten Partei bejaht41. Dies gilt vor allem (und wohl sogar ausschließlich), wenn diese Partei die Belastung nicht durch eigene Bemühungen abwenden kann, wenn also die Reaktionsmöglichkeit fehlt42. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist ein Anpassungsanspruch schwer zu begründen, wo
__________ 38 Besonders plastisch: BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 25, 38 und 40. 39 Vgl. etwa Stellungnahme des Senators für Bau- und Wohnungswesen v. 23.2.1994, wiedergegeben etwa im Schreiben des Landesverbandes Freier Wohnungsunternehmen Berlin e.V. v. 23.3.1994: „Ein Anspruch … auf Gewährung der Zuwendungen besteht nicht. … Nach Beschluß des Senats vom 14. April 1992 ist jedoch eine Anschlußförderung sichergestellt.“ Auch: Stellungnahme der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung v. 17.10.2002: „Mit diesen Beschlüssen [vorher benannt] hat sich der Berliner Senat seinerzeit im Jahre 1987 grundsätzlich dazu entschieden, ausschließlich für den sozialen Wohnungsbau ab Wohnungsbauprogramm 1972 Anschlussförderung zu gewähren. Dabei wurde aber über die Höhe der Förderung keine abschließende Festlegung getroffen.“ Eher besser vorhersehbar war die mögliche Änderung der Rechtslage bzw. -praxis in folgenden Fällen, in denen dennoch ein Anpassungsanspruch gewährt wurde: BGH, NJW 1974, 1864, 1865; OLG Hamm, NJOZ 2001, 2236, 2239; vgl. auch Roth in FS Krejci, 2001, S. 1251 sowie BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 25, 38 und 40. 40 Deshalb durchaus fraglich, ob (auch ohne Abrede) etwa Mengenrabatte, die der Systemkopf realisiert, weil er für alle Netzmitglieder einkauft, an diese weiter zu geben sind: vgl. bejahend Teubner, Profit sharing als Verbundpflicht – zur Weiterleitung von Netzvorteilen in Franchise-Systemen, ZHR 168 (2004), 78. Bejahend für den Fall einer Absprache (in AGB, die in der für die Netzmitglieder günstigsten Weise ausgelegt wurden): BGH, ZIP 2003, 2030 (Apollo); anders (weil eine entsprechende Klausel als Grundlage fehlte): BGH, NJW 1999, 2671 (Sixt) und WM, 2003, 251 (Hertz); positiver OLG München, WiB 1997, 1109. 41 Neben BGH, NJW 1967, 1081, 1082 f. tritt etwa OLG Köln, WM 1995, 971 (sogar bei Steuerrechtsänderung!). Hier wird deutlich, dass eine lang andauernde Belastung (auch bei einem gewissen Grad von Vorhersehbarkeit) tendenziell für einen Anpassungsanspruch spricht: vgl. auch BGH, BGHZ 126, 150, 159 = NJW 1994, 2688, 2690. Nahe liegt es, dass eine ohne Anpassung drohende Insolvenz besonders ins Gewicht fällt. Einen Anpassungsanspruch deswegen bejahend etwa BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 50; BGH, NJW 1998, 3192, 3194 (für Kalkulationsirrtum); OLG Düsseldorf, NJWRR 1996, 1419, 1420. 42 Etwa OLG München, NJW-RR 1999, 557, das in einer vergleichbaren Konstellation wie der vom OLG Köln, WM 1995, 971 entschiedenen entgegengesetzt judizierte, weil der Betroffene bei Steuerrechtsänderung ja auch reagieren habe können, wenn auch mit gewissen Kosten bei der Neudisposition. Für die Bedeutung des Kriteriums „Reaktionsmöglichkeit“ auch nochmals die BGH-Urteile in Fn. 33 (DDR-Darlehen).
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er auf Teilhabe an weiteren Früchten, die das Netz abwirft, gerichtet werden soll43. Als viertes Kriterium bedeutsam ist der Verursachungsbeitrag. Hier geht es um die Frage, wer den Wegfall der Geschäftsgrundlage verursacht hat. Denn einerseits wird eine Anpassung i. d. R. schon allein deswegen abzulehnen sein, weil der Anpassungsbegehrende selbst die Störung herbeigeführt hat44. Und umgekehrt wird das Anpassungsbegehren wohl schon für sich genommen durch den Umstand getragen, dass die andere Partei die Störung verursachte45. Für Letzteres finden sich in der Tat auch starke gesetzliche Wertungen wie etwa in §§ 162, 815 BGB. Insgesamt ergeben sich durchaus Leitlinien eines Systems: Auf vergleichbarer Stufe stehen (ausdrückliche bzw. konkludente) Risikozuordnung und Vorhersehbarkeit. Sie führen in dem Umfang, in dem eine Risikozuordnung statt fand bzw. der Risikoeintritt vorhersehbar war, zur Versagung eines Anpassungsanspruchs … freilich nicht notwendig über diesen Umfang hinaus. Extrem belastende Folgen sind häufig eben nicht mit gedacht gewesen. Die schwere Belastung, die vor allem bei Bestehen einer Reaktionsmöglichkeit zu verneinen ist, muss ohnehin hinzu kommen; dabei ist der Verursachungsbeitrag – auf Seiten des Anpassungsbegehrenden bzw. -gegners – neben dem Gewicht der Belastung von ausschlaggebender Bedeutung. Hat bei starker Belastung einer Partei (und fehlender Vorhersehbarkeit und Risikozuordnung) keine der beiden Seiten den Wegfall (überwiegend) verursacht, spricht dies grds. für eine hälftige Tragung der Anpassungslasten46. Das liegt auch nahe, ist doch dieses Risiko eines, das in diesem Falle keiner Seite stärker zuzurechnen ist. 2. Anpassung innerhalb des Vertragsnetzes Für das Vertragsnetz bedeutet dies, dass nur bei überraschenden Wirkungen desselben oder überraschenden Störungen eine Anpassung von Vertragsverhältnissen gefordert werden kann, wenn die Wirkung oder Störung von erheblichem Gewicht ist – all dies aber dann eben auch in einem Vertragsverhältnis, in dem diese Wirkung oder Störung gar nicht primär angesiedelt ist. Ein Direktanspruch ist damit noch nicht begründet, nach dem Gesagten bildet er auch die Ausnahme. Eine Fortentwicklung anhand der Kette hat Vorrang und
__________
43 S. Fn. 39. 44 BGHZ 129, 297, 310 = NJW 1995, 2028, 2031 (mit zahlreichen w. Nachw.); BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 156; BGH, ZIP 1993, 234; BGH, NJW 1997, 320, 323; BGH, NJW 2002, 3695, 3698; im Ergebnis auch BGH, NJW-RR 1993, 880, 881 f. 45 Explizit Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 313 BGB Rz. 58; aus der Rechtsprechung in diese Richtung: BGH, NJW 1998, 1701, 1705; BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 61; besonders klar BGH, NJW 1992, 2690, 2691 (vorwerfbares Verhalten würde Anpassungsbegehren stützen); vgl. auch BGH, BGHZ 129, 297, 310; BGH, WM 1981, 583 (Rechnen mit negativer Wirkung für die andere Seite, die Anpassung begehrt). 46 So insbesondere für Rechtsänderungen: BGH, BGHZ 120, 10 = NJW 1993, 259; BGH, BGH LM § 242 (Bb) Nr. 41; noch etwas zurückhaltender BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 40 (mangels entgegen stehender Gründe); grds. für hälftige Teilung auch BGH, WM 1984, 432, bes. 434.
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genügt im Regelfall durchaus. Illustriert werden kann dies an den Berliner Sozialbautenfällen. a) Das Kreditverhältnis Ausgangspunkt ist das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Projektträger und dem sie primär finanzierenden Kreditinstitut, typischerweise einer Hypotheken- oder Geschäftsbank bzw. Sparkasse. Wenn diese, wie wohl überwiegend der Fall, nicht in der Hand des Landes Berlin stand, sind alle wertungsrelevanten Umstände doch sehr gut vergleichbar denen, wie sie im Falle einer breit wirkenden Rechtsänderung wie etwa der Wiedervereinigung vorlagen47: Auch vorliegend war die Änderung der Rechtspraxis für beide Parteien gänzlich unvorhersehbar, wenn nicht ähnlich unvorhersehbar wie die Wiedervereinigung, so doch mindestens so unvorhersehbar wie in anderen Fällen, in denen ein Anpassungsbegehren bejaht wurde48. Beide Seiten konnten die Änderung auch ebenso wenig beeinflussen wie die Betroffenen in den Wiedervereinigungsfällen. Vor allem jedoch: Die Partei, die die Änderung primär traf, hier der jeweilige Projektträger, hatte in ähnlicher Weise keinerlei Reaktionsmöglichkeit: Er konnte in beiden Fällen schlicht nicht verhindern, dass das Investment nicht nur unrentabel wurde, sondern erheblich defizitär – bis hin zur Insolvenzgefahr für den Fonds und ggf. auch die Anleger (auf Grund personengesellschaftrechtlicher unbeschränkter Haftung)49. Und unter diesen Umständen wurde in den Wiedervereinigungsfällen gerade auch für Darlehensverträge judiziert, dass beide Seiten das Risiko des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemeinsam tragen müssen – entgegen der allgemeinen Annahme, dass der Darlehensnehmer das Risiko für den Einsatz des Darlehens trage. Nach dem Gesagten geht die höchstrichterliche Rechtsprechung in solchen Fällen – durchaus überzeugend – im Grundsatz von einer hälftigen Teilung der Anpassungslasten aus. Ein Umstand freilich unterscheidet die Wiedervereinigungsfälle von den vorliegend diskutierten durchaus: In den Sozialbautenfällen bestand ein Vertragsnetz, das jetzt wieder in den Blick zu nehmen ist. Das primär finanzierende Kreditinstitut (Hypotheken- oder Geschäftsbank bzw. Sparkasse) mag aus diesem Grund den Kreditnehmer auf andere Reaktionsmöglichkeiten verweisen, soweit der Kreditnehmer solche hat, nämlich im Verhältnis zur Förderbank, die das Land Berlin zu 100 % hält. Der Umstand, dass ein Vertragsnetz besteht, kann also innerhalb des generalklauselartig offenen Kriteriums der (Un-)Zumutbarkeit dadurch zum Tragen gebracht werden, dass gefragt wird, welche alternativen Reaktionsmöglichkeiten bestehen. Für die Frage, wer wen
__________ 47 Grundlegend BGH, BGHZ 120, 10 = NJW 1993, 259; BGH, BGHZ 127, 212 = NJW 1995, 47; BGH, NJW 1994, 2688, 2690; BGH, NJW 1996, 990, 991; BGH, NJW 1998, 1701, 1705; ausführlich Drexl, Die politische und wirtschaftliche Wende in der DDR – ein Fall für den Wegfall der Geschäftsgrundlage?, DtZ 1993, 194 (die Frage bejahend). 48 S. Fn. 38. 49 Vgl. Text oben zu Fn. 12 einerseits und zu Fn. 34, 41 andererseits.
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auf welche alternative Reaktionsmöglichkeit verweisen darf, wer also welche Anpassungslast letztlich trägt, liegt es nahe, auf die bereits angesprochenen Wertungen und Gewichte zu rekurrieren: Wenn in der Tat derjenige, der die (grundlegende) Änderung verursacht hat, entweder deswegen seinen Anpassungsanspruch verliert oder deswegen weit überwiegend die Anpassung zu tragen hat, die sein Vertragspartner fordert, so liegt es nahe, zunächst diejenigen Vertragsverhältnisse in den Blick zu nehmen, in denen solch ein alleiniger Verursachungsbeitrag einer Seite zu konstatieren ist. Regelmäßig bleibt das Projekt in den Sozialbautenfällen zwar auch dann noch defizitär, wenn der Rückzahlungsanspruch aus dem Aufwendungsdarlehen, das die Förderbank (des Landes) herauslegte, entfällt. Im Verhältnis zwischen dem jeweiligen Projektträger und dem sie primär finanzierenden Kreditinstitut vermindert sich jedoch auch dadurch bereits die Anpassungslast durchaus: Das Ib-Darlehen muss in Höhe des Aufwendungsdarlehen nur noch hinsichtlich Zinshöhe und Tilgungszeitpunkt angepasst werden, um zumindest in dieser Höhe den Kreditnehmer so zu stellen, als wäre es zur Anschlussförderung gekommen. Insoweit muss also die Rückzahlungspflicht gegenüber dem primär finanzierenden Kreditinstitut zumindest nicht gänzlich entfallen (bloße Stundung oder Tilgungsstreckung mit teilweisem Zinsverzicht). b) Das Bürgschaftsverhältnis Um zu einer hälftigen Teilung im Verhältnis zwischen dem jeweiligen Projektträger und dem ihn primär finanzierenden Kreditinstitut zu kommen, ist im Vertragsnetz freilich auch noch ein weiteres Vertragsverhältnis in den Blick zu nehmen – wieder mit der Überlegung, dass sich dadurch die (hälftig zu tragende) Anpassungslast für beide (nochmals) mindert. Dabei handelt es sich um das Bürgschaftsverhältnis: Nach dem Gesagten legte das Land Berlin zur Absicherung des Ib-Darlehens jeweils an das primär finanzierende Kreditinstitut eine Ausfallsbürgschaft heraus. Wieder ist an diesem Rechtsverhältnis eine Partei beteiligt, von der unter dem Gesichtspunkt Verursachungsbeitrag nach dem oben Gesagten ein erheblich höherer Anpassungsbeitrag zu erwarten ist. In der Tat kann auch dieses Rechtsverhältnis in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden: Denn die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage erfassen auch Bürgschaftsverträge50. Nach dem Gesagten hat der (alleinige) Verursacher bei hinreichender Schwere und Unvorhersehbarkeit der Änderung (weit überwiegend) die Anpassungslast zu tragen. Bei den primär finanzierenden Kreditinstituten ist zwar keine Insolvenz zu befürchten, wenn sie im Verhältnis zu Projektträgern auf Rückzahlung des Ib-Darlehens anteilig verzichten müssen. Auf Seiten des Kreditinstituts würde damit jedoch durchaus nicht nur in die Rendite eingegriffen, sondern hälftig in den Kapitalstock. In solch einer Situation wurde dem dadurch Belasteten (hier
__________ 50 Vgl. nur die Bürgschaftsentscheidung des BGH: BGHZ 128, 230, 236–240 = WM 1995, 237 = NJW 1995, 592. Die systematische Stellung von § 313 BGB legt dies in der Tat nahe, ebenso wie diejenige von § 242 BGB als der sedes materiae bis 2002.
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Vertragsnetz und Wegfall der Geschäftsgrundlage
dem primär finanzierenden Kreditinstitut) durchaus wieder ein Anpassungsanspruch zugesprochen51. Oder anders gewendet: Geschäftsgrundlage bei der Herauslegung der Ausfallbürgschaft durch das Land Berlin war es offenbar, dass die Hypothekenbank für die Eintreibung der Forderungen umfassend zuständig sein sollte (und sich erst nach Erschöpfung aller Möglichkeiten an das Land sollte wenden können), dass die Hypothekenbank jedoch umgekehrt nicht das Risiko tragen sollte, dass der Darlehensrückzahlungsanspruch im Einzelfall auch bei Ausschöpfung aller rechtlicher Instrumente undurchsetzbar blieb. Letzteres erklärt sich offenbar damit, dass das Ib-Darlehen letztlich ohne bankübliche Sicherheiten herausgereicht wurde, um die Verfolgung eines öffentlichen Zwecks zu ermöglichen und zwar im Land Berlin. Diese Ratio, die hinter der Abgrenzung der Risikobereiche beider Seiten in der Ausfallbürgschaft steht, spricht dafür, dass die Kredit gebende Bank vorliegend den Ausfall, den sie bei Reduktion des Rückzahlungsanspruchs gegen den Projektträger erleidet, geltend machen kann – entgegen dem, was auf Grund des Akzessorietätsgrundsatzes anzunehmen wäre. Das Vertragsnetz hat seine eigenen Regeln. Wie nun die hälftige Teilung der Anpassungslasten zwischen erst finanzierendem Kreditinstitut und Projektträger ausfällt, nachdem die (überwiegenden) Anpassungsbeiträge eingerechnet sind, die das Land Berlin im Verhältnis der Förderbank zum Kreditnehmer und im Verhältnis zwischen ihm selbst und dem erst finanzierenden Kreditinstitut zu erbringen hat, kann nur gesagt werden, wenn man die Zahlen im Einzelfall zugrunde legt. Wichtig ist freilich, dass beide eben auch die Obliegenheit haben, den Anpassungsbeitrag bei der Förderbank bzw. beim Land „einzutreiben“ und insoweit die Last nicht schlicht beim Vertragspartner belassen bzw. diesem auferlegen dürfen. Die Einbettung in ein Vertragsnetz, das der Errichtung von Sozialbauten diente und das, für alle Beteiligten ersichtlich, nur im angedachten Verbund die gewünschten Wirkungen würde zeitigen können, wirkt sich zwischen den beiden Vertragsparteien im Kern dieses Netzes aus: im Vertragsverhältnis zwischen erst finanzierendem Kreditinstitut und Projektträger.
V. Schluss Die zwei Eckpunkte einer Dogmatik der Vertragsnetze, wie sie sich aus vorliegendem Beitrag und insbesondere der Betrachtung der Berliner Sozialbautenfälle ergeben, können sehr knapp gefasst werden: (1) Verträge in Vertragsnetzen sind durchaus in den Rechtsfolgen anders zu behandeln als Verträge, die isoliert abgeschlossen werden, d. h. ohne das gemeinsame Bewusstsein, für den Erfolg auf ein Netz angewiesen zu sein. (2) Um dies zu begründen, bedarf es keiner Theorie, die nicht in der Dogmatik, Jurisprudenz und letztlich im Gesetz verankert wäre. Solch eine – hinsichtlich der Herleitung – eher „kon-
__________ 51 Wurde in der Judikatur ein Recht, Anpassung zu begehren, mangels hinreichender Schwere verneint, so häufig mit dem Argument, eine Minderung der Rendite sei zu tragen, schließlich bleibe zumindest noch der Nominalbetrag (d. h. der Kapitalstock) erhalten. Etwa OLG München, NJW-RR 1999, 557.
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servative“ Sicht führt auch zu rechtspolitisch überzeugenden Ergebnissen. Insbesondere nimmt sie den Willen der Parteien ernst, den Netzzweck „mit getrennten Kassen“ zu verwirklichen. Im Ausnahmefall jedoch, der mit der Figur des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sehr treffsicher erfasst werden kann, muss die Störung oder die unerwartete Produktivität des Netzzweckes in den einzelnen Vertragsverhältnissen auch Wirkung zeitigen, wenn die Ursache für die unerwartete Entwicklung einmal nicht im Verhältnis zwischen den fraglichen Vertragsparteien angesiedelt ist. Diese Überlegungen, entwickelt an den Berliner Sozialbautenfällen, haben eine gewisse Affinität zu Gedanken, die der Jubilar schon vor gut 40 Jahren entwickelt hat, noch vor seiner Zeit als Ordinarius in Berlin52. Er liebte schon damals den Schnittpunkt zwischen Vertrag und Organisation.
__________ 52 H. P. Westermann, Das Emissionskonsortium als Beispiel der gesellschaftsrechtlichen Typendehnung, AG 1967, 285.
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Die allgemeine Mängeleinrede des Käufers, ein Auslaufmodell oder eine Rechtsfigur mit Zukunft? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes III. Die Rechtslage nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 1. Der Anspruch auf Nacherfüllung, Schadensersatz statt der Leistung und auf ein Surrogat als synallagmatischer Anspruch i. S. v. § 320 BGB a) Der Standpunkt der herrschenden Meinung b) Gegenargumente aa) Die Systematik des Gesetzes bb) Fehlen eines Nacherfüllungsanspruchs
cc) Unterscheidung danach, ob der Mangel behebbar ist oder nicht dd) Schwierigkeiten bei der Anwendung von § 320 Abs. 2 BGB auf den Nacherfüllungsanspruch ee) Schwierigkeiten bei der Festsetzung des Zeitpunktes, zu dem die Einrede nach § 320 BGB entfallen soll 2. Die allgemeine Mängeleinrede a) Die Systematik des Gesetzes b) Inhalt der allgemeinen Mängeleinrede IV. Zusammenfassung
I. Einleitung Es kommt immer wieder vor, dass ein Verkäufer mangelhaft liefert, gleichwohl aber Bezahlung des (vollständigen) Kaufpreises verlangt. Eine solche Situation entsteht beispielsweise, wenn der Verkäufer den Mangel selber nicht kennt, aber auch, wenn er ihn zwar kennt, aber darauf hofft, dass der Käufer den Kaufpreis gleichwohl bezahlen werde – etwa weil dieser den Mangel nicht bemerkt oder ihn nicht für erheblich hält. Im Folgenden soll es um die Frage gehen, wie sich der Käufer gegen ein solches Verlangen auf Bezahlung des Kaufpreises nach Annahme der Kaufsache zur Wehr setzen kann.
II. Die Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Die geschilderte Problematik lag 1991 einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde1. Der Kläger hatte dem Beklagten ein Grundstück verkauft, aufgelassen und übergeben. Gegen die Klage auf Herausgabe des Grundstücks und
__________ 1 BGH, BGHZ 113, 233, bestätigt in MDR 2007, 19.
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Ersatz des Verzögerungsschadens verteidigten sich die Beklagten mit dem Hinweis, das Grundstück sei nicht mangelfrei gewesen und daher seien sie mit der Bezahlung des Kaufpreises auch nicht Verzug. Demgemäß würden sie auch selbst jedenfalls momentan nichts schulden. Der BGH ist in der genannten Entscheidung der Ansicht, dass die Beklagten in der Tat nicht in Verzug geraten seien, wenn das Grundstück nicht mangelfrei war. Zwar – so die Entscheidung – könnten sie sich nicht auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) berufen, da sie nach Auflassung und Übergabe des Grundstücks auf die ihnen nach den Gewährleistungsvorschriften zustehenden Rechtsbehelfe beschränkt seien. Dies bedeute aber nicht, dass der Käufer die Zahlung des Kaufpreises nur in dem Umfang verweigern dürfe, in dem er sich für einen der Ansprüche auf Wandelung, Minderung oder Schadensersatz entschieden habe. Auch ohne Spezifizierung seines Gewährleistungsanspruchs könne er den Kaufpreis schon dann insoweit einbehalten, als er überhaupt berechtigt sei, Wandelung, Minderung oder Schadensersatz zu verlangen. Denn schließlich werde eine solche allgemeine Mängeleinrede auf der Grundlage eines noch nicht näher konkretisierten Gewährleistungsanspruchs in § 478 BGB a. F. praktisch vorausgesetzt. Nach dieser Bestimmung war der Käufer berechtigt, die Zahlung des Kaufpreises bei Vorliegen eines Mangels ganz oder teilweise auch nach Vollendung der Verjährung zu verweigern. Dies – so die Entscheidung – könne dann auch zu einem früheren Zeitpunkt nicht anders sein. Mit dieser Sicht schloss sich der Bundesgerichtshof einer zuvor auch schon von unserem Jubilar im Münchener Kommentar vertretenen Ansicht an2, die dann zur herrschenden Meinung wurde3.
III. Die Rechtslage nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 1. Der Anspruch auf Nacherfüllung, Schadensersatz statt der Leistung und auf ein Surrogat als synallagmatischer Anspruch i. S. v. § 320 BGB a) Der Standpunkt der herrschenden Meinung Nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat sich diese herrschende Meinung geändert. Unter Hinweis darauf, dass der Verkäufer mit einer mangelhaften Lieferung seiner Verpflichtung aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB noch nicht nachgekommen sei, wird gesagt, dass dem Käufer dann auch die Einrede des § 320 BGB weiterhin zur Verfügung stehen müsse4. Andere stellen auf den Nacherfüllungsanspruch ab. Dieser sei eine Modifikation des An-
__________ 2 Westermann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 465 BGB Rz. 18. 3 Statt aller Huber in Soergel, 12. Aufl. 1991, Vor § 459 BGB Rz. 235. 4 Büdenbender in AnwK.BGB, 2005, § 437 BGB Rz. 110.
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spruchs auf mangelfreie Leistung und stehe daher – wie dieser – im Synallagma mit der Folge, dass der Käufer sich auf § 320 BGB berufen könne5. Nun kann es allerdings vorkommen, dass der Nacherfüllungsanspruch nicht gegeben ist. Dies ist etwa der Fall, wenn Gewährleistungsrechte gar nicht bestehen, aber auch, wenn die Nacherfüllung nicht möglich ist oder nach § 439 Abs. 3 BGB verweigert werden kann. Für diesen Fall wird gesagt, dass, wenn der Käufer Schadensersatz statt der Leistung6 oder ein Surrogat nach § 285 BGB7 verlangen könne, er sich ebenfalls auf § 320 BGB berufen könne, da auch diese Ansprüche im Synallagma stünden. Teilweise werden von dieser Aussage aber auch wieder Ausnahmen gemacht. So soll die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nicht gegeben sein, wenn der Mangel nicht behebbar ist. Denn dann müsse der Käufer sich entscheiden, welches Recht er geltend machen wolle8. Wird die Einrede darauf gestützt, dass ein Surrogat verlangt werden kann, so soll sie wiederum nicht gegeben sein, wenn der Käufer den Kaufpreis unabhängig von dem Surrogat bezahlen muss, etwa weil die Gewährleistungsrechte ausgeschlossen sind. Denn dann zahle der Käufer nicht um des Surrogates willen9. b) Gegenargumente aa) Die Systematik des Gesetzes Diesen Überlegungen stehen gewichtige Argumente gegenüber. Der Rückgriff auf den Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB nach Gefahrübergang würde die Systematik der Gewährleistungsrechte sprengen. Denn könnte der Käufer sich immer noch auf den Erfüllungsanspruch nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen, wäre er nicht auf die Gewährleistung verwiesen und damit auch nicht an die für diese Ansprüche geltenden Besonderheiten (Verjährung!) gebunden. Daher wird – wie ausgeführt – regelmäßig auch nicht auf den Erfüllungs-, sondern auf den Nacherfüllungsanspruch (§ 439 BGB) abgestellt. Um zu begründen, dass auch für diesen Anspruch § 320 BGB gilt, wird gesagt, dass dieser der modifizierte Erfüllungsanspruch sei. Dies kann man sicher so sehen, doch ist mit dieser Formulierung wenig gewonnen, da es ja um die Frage geht, wie weit die Modifikation reicht. Ist also § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB durch § 439 BGB soweit „modifiziert“, dass § 320 BGB nicht mehr eingreift? Auf diese hier zu
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5 Hofmann/Pammler, ZGS 2004, 293; Fikentscher, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, Rz. 524; Faust in Bamberger/Roth, 2. Aufl. 2007, § 437 BGB Rz. 165; Matusche-Beckmann in Staudinger, 2004, § 437 BGB Rz. 10; Westermann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 437 BGB Rz. 20. 6 Faust in Bamberger/Roth (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 166; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 18; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 20. 7 Faust in Bamberger/Roth (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 165; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 20; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 18. 8 Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 20. 9 Faust in Bamberger/Roth (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 165.
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diskutierende Frage gibt der Hinweis auf die Modifikation des Anspruchs aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB durch § 439 BGB ersichtlich keine Antwort. Gegen die Annahme, der Käufer könne unter Berufung auf § 320 BGB die Bezahlung des Kaufpreises nach Gefahrübergang vermeiden, spricht zudem die in § 437 BGB getroffene Regelung. Denn diese Norm zählt die Rechte auf, die der Käufer nach Gefahrübergang10 bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache hat und § 320 BGB ist nicht aufgeführt11. Wollte man gleichwohl auf diese Norm zurückgreifen, würde man also den Grundsatz, dass nach Gefahrübergang die Rechtsbehelfe der Gewährleistung gegenüber den allgemeinen Regeln des Schuldrechts speziell sind, außer Acht lassen. Dem ließe sich allerdings entgegenhalten, dass der Nacherfüllungsanspruch in § 437 BGB aufgeführt ist und für ihn dann eben auch die allgemeinen Regeln, zu denen dann wiederum § 320 BGB zählt, gelten. Auch diese Betrachtungsweise überzeugt aber nicht. Denn es geht ja nicht darum, aus einem Verstoß gegen die Verpflichtung zur Nacherfüllung Rechtsfolgen abzuleiten (wie es z. B. der Fall ist, wenn der Verkäufer mit der Nacherfüllung in Verzug gerät), sondern darum, dem Käufer einen Rechtsbehelf an die Hand zu geben, den allein die mangelhafte Leistung – und nicht etwa eine Leistungsstörung im Rahmen der Nacherfüllung – auslöst. Diese Rechtsbehelfe sind aber gerade abschließend in § 437 BGB aufgezählt. bb) Fehlen eines Nacherfüllungsanspruchs Entscheidend gegen die Annahme, der Käufer könne nach Gefahrübergang bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache die Kaufpreiszahlung unter Berufung auf § 320 BGB verweigern, sprechen insbesondere die Folgeprobleme, die mit dieser Sichtweise verbunden sind. Dies betrifft in erster Linie die Fallgestaltung, dass der Käufer keinen Nacherfüllungsanspruch und auch keinen Anspruch nach § 285 BGB hat, der an die Stelle des Nacherfüllungsanspruchs treten könnte. Dann hat er, da er ohne Gegenanspruch ist, im Prinzip auch nicht die Möglichkeit, die Einrede des nicht erfüllten Vertrages zu erheben. Sofern er keinerlei Gewährleistungsrechte hat (etwa bei Vereinbarung eines Gewährleistungsausschlusses), ist dies auch sachgerecht. Der Käufer muss dann bezahlen. Steht dem Käufer aber ein Rechtsbehelf (etwa eine Minderung) offen – nur eben nicht die Nacherfüllung –, so fragt es sich, warum der Käufer nun keinerlei Einrede und daher auch keinerlei Überlegungsfrist mehr haben sollte. Dies ist insbesondere dann für den Käufer misslich, wenn er gar nicht weiß, dass der Nacherfüllungsanspruch nicht besteht. Dies kann durchaus passieren, da der Käufer die Verhältnisse des Verkäufers nicht unbedingt kennt und daher auch nicht in jedem Fall wissen kann, ob der Nacherfüllungsanspruch beispielsweise nach § 275 BGB oder nach § 439 BGB ausgeschlossen ist.
__________ 10 Zu der Frage, ob dies stets der maßgebliche Zeitpunkt ist, Grunewald, Kaufrecht, 2006, § 9 Rz. 1 ff. 11 S. Saenger in HK.BGB, 5. Aufl. 2007, § 437 BGB Rz. 20.
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Dagegen ließe sich einwenden, dass es nicht weiter schlimm ist, wenn der Käufer die Kaufpreiszahlung unter Berufung auf § 320 BGB verweigert, obwohl ihm die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nicht zusteht. Denn in Verzug mit der Kaufpreiszahlung kommt er ja nur, wenn er schuldhaft nicht zahlt und am Verschulden fehlt es eben, wenn der Käufer nicht hat wissen können, dass ihm der Nacherfüllungsanspruch nicht offen steht. Aber ganz abgesehen davon, dass Fälligkeitszinsen verschuldensunabhängig zu zahlen sind, bestimmt § 286 Abs. 4 BGB, dass der Schuldner zu beweisen hat, dass ihn am Ausbleiben der Leistung kein Verschulden trifft. Insoweit kann der Käufer, wenn der Verkäufer beispielsweise darlegt, es sei doch offensichtlich, dass die Nacherfüllung unverhältnismäßige Kosten mit sich bringen würde, durchaus in Schwierigkeiten geraten. Wenn der Käufer keinen Nacherfüllungsanspruch hat, steht ihm bisweilen ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung zu. Auch dieser Anspruch soll – wie geschildert – zur Folge haben, dass dem Käufer die Einrede des nicht erfüllten Vertrages offen steht. Allerdings kann Schadensersatz statt der Leistung nur verlangt werden, wenn den Verkäufer an der mangelhaften Leistung ein Verschulden trifft (§§ 280 Abs. 2, 281 BGB). Ob das der Fall ist, kann der Käufer aber oftmals jedenfalls nicht sofort feststellen, so dass er wiederum unter Umständen gar nicht weiß, ob er diesen Anspruch hat. Solange der Käufer nicht sicher ist, ob er Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann und er sich daher auch nicht im Klaren darüber ist, ob ihm die Einrede des nicht erfüllten Vertrages offen steht, besteht für ihn das Problem, dass der Übergang auf den verschuldensunabhängigen Rechtsbehelf der Minderung bzw. des Rücktritts mit dem Risiko behaftet ist, die Einrede des § 320 BGB zu verlieren. Denn in Bezug auf diese Rechtsbehelfe wird nicht gesagt, dass sie im Synallagma stehen. Ein Käufer, der sich eine gewisse Zeit überlegt hat, was er nach Erhalt einer mangelhaften Sache nun eigentlich machen soll, wird also – wenn der Nacherfüllungsanspruch nicht gegeben ist – eher Schadensersatz statt der Leistung verlangen, da ihm nur so die Fälligkeitszinsen und oftmals auch die Verzugsfolgen erspart bleiben. Warum er gerade dann privilegiert ist, wenn er diesen den Verkäufer besonders belastenden Anspruch wählt, bleibt unerklärlich. cc) Unterscheidung danach, ob der Mangel behebbar ist oder nicht Nach Ansicht des Jubilars steht dem Käufer die Einrede des § 320 BGB nur zu, wenn der Mangel behebbar ist12. Sofern das nicht der Fall sei, müsse sich der Käufer entscheiden, welchen der in § 437 BGB aufgeführten Rechtsbehelfe er wählt. Hinter dieser Aussage steht die einleuchtende Überlegung, dass dem Käufer die Wahl zwischen den verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen leichter fällt, wenn eine Nachbesserung nicht zur Debatte steht. Denn dann kann Nacherfüllung nur im Wege der Nachlieferung verlangt
__________ 12 Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 20.
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werden, so dass die vom Käufer zu treffende Entscheidung, ob er Nachbesserung oder Lieferung einer mangelfreien Sache verlangt, entfällt. Aber auch in diesem Fall kann es vorkommen, dass der Käufer eine gewisse Überlegungsfrist benötigt. Dies gilt insbesondere, wenn ihm auch der Nachlieferungsanspruch nicht offen steht, da er dann sowohl Rücktritt wie Minderung und – Verschulden vorausgesetzt – auch Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann. Dies will bedacht sein. Geht man aber davon aus, dass der Käufer sich nicht auf eine allgemeine Mängeleinrede, sondern nur auf § 320 BGB berufen kann und dies auch nur, wenn der Mangel behebbar ist, bleibt ihm keinerlei Überlegungsfrist. Zudem weiß der Käufer oftmals gar nicht, ob der Mangel behebbar ist oder nicht (PC-Programm gekauft). Dann kann er aber auch nicht beurteilen, ob ihm die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nun offen steht oder nicht. Diese Schwierigkeiten sollte man ihm aber nicht zumuten. dd) Schwierigkeiten bei der Anwendung von § 320 Abs. 2 BGB auf den Nacherfüllungsanspruch Gem. § 320 Abs. 2 BGB kann im Falle einer Teilleistung die Gegenleistung insoweit nicht zurückbehalten werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Übertragen auf die Berufung auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages unter Hinweis auf den Nacherfüllungsanspruch, würde dies besagen, dass die Einrede nicht in vollem Umfang offen steht, wenn es um die Beseitigung von Kleinigkeiten geht. Vielmehr könnte dann nur ein Teil des Kaufpreises zurückgehalten werden. Diese Aussage ist jedenfalls nur schwer mit der Wertung von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB zu vereinbaren. Danach ist der Rücktritt nur ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Insoweit ist zu bedenken, dass, jedenfalls solange dem Käufer – falls die Nacherfüllung fehlschlagen sollte – der Rücktritt offen steht, man von ihm kaum erwarten kann, dass er etwas bezahlt, was er unter Umständen wieder zurück erhalten wird. Daher muss entgegen der Wertung von § 320 Abs. 2 BGB die Verweigerung der Bezahlung auch des vollständigen Kaufpreises dem Käufer in allen Fällen offen stehen, in denen die Pflichtverletzung, also die mangelhafte Lieferung, nicht nur unerheblich ist. Das muss nicht mit den Kriterien von § 320 Abs. 2 BGB übereinstimmen, zumal der BGH im Rahmen von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB auch berücksichtigt, ob der Verkäufer schuldhaft – vielleicht sogar arglistig – gehandelt hat13, ein Aspekt, der im Zusammenhang mit der mehr quantitativ ausgerichteten Wertung von § 320 Abs. 2 BGB kaum kompatibel ist. Es zeigt sich damit, dass § 320 BGB davon ausgeht, dass der Schuldner (teilweise) nicht leistet, nicht aber davon, dass der Schuldner nicht vertragsgemäß leistet. Dass das Gesetz dies klar unterscheidet, zeigt insbesondere ein Blick auf
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13 BGH, NJW 2006, 1960; a. A. Lorenz, NJW 2006, 1925.
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§ 323 Abs. 5 Satz 1 BGB. Diese Regelung betrifft die Teilleistung, während § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB die Schlechtleistung anspricht14. ee) Schwierigkeiten bei der Festsetzung des Zeitpunktes, zu dem die Einrede nach § 320 BGB entfallen soll Erhebt der Schuldner die Einrede des nicht erfüllten Vertrages – im hier zur Debatte stehenden Fall der Käufer also die Einrede der nicht ordnungsgemäßen Nacherfüllung – so führt dies gem. § 322 BGB zur Verurteilung Zug um Zug. Der Käufer müsste also den Kaufpreis Zug um Zug gegen Durchführung der Nacherfüllung durch den Verkäufer bezahlen. Dies erscheint auf den ersten Blick sinnvoll15, lässt aber außer Acht, dass der Verkäufer ja gerade nicht leisten kann, solange der Käufer nicht sagt, was geleistet werden soll. Es zeigt sich somit, dass auch die Rechtsfolge des § 322 BGB der Problematik nicht gerecht wird. Vielmehr hätte der Käufer die Möglichkeit, unter Berufung auf § 320 BGB den Kaufpreisanspruch beliebig lange zu blockieren. 2. Die allgemeine Mängeleinrede a) Die Systematik des Gesetzes Da der Rückgriff auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages weder systemgerecht ist noch zu sachgerechten Ergebnissen führt, liegt es nahe, auf die schon vor der Schuldrechtsreform entwickelte allgemeine Mängeleinrede zurückzugreifen. Diese Lösung entspricht auch der Systematik des Gesetzes. Nach § 438 Abs. 4 Satz 2 BGB kann der Käufer trotz Unwirksamkeit des Rücktritts nach § 218 BGB die Zahlung des Kaufpreises insoweit verweigern, als er aufgrund des Rücktritts dazu berechtigt wäre. Wie ausgeführt bedeutet dies, dass der Käufer – falls der Rücktritt nicht nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist – die volle Kaufpreissumme einbehalten kann16. § 438 Abs. 5 BGB bestimmt in Bezug auf die Minderung das gleiche. Wenn der Käufer aber nach Ablauf der Frist von § 218 BGB regelmäßig den vollen Kaufpreis (bei geringfügigen Mängeln jedenfalls den gemäß einer Minderung reduzierten Kaufpreisanteil) zurückbehalten darf, kann vor Ablauf der Frist des § 218 BGB kaum etwas anderes gelten17. Allerdings setzt § 438 Abs. 4 BGB regelmäßig voraus, dass der Verkäufer eine Nacherfüllungsmöglichkeit erhalten hat oder jedenfalls vor Einbehalt des Kaufpreises erhält, während es bei der allgemeinen Mängeleinrede auch darum geht, dem Käufer eine Überlegungszeit für die Auswahl unter den Nacherfüllungsmöglichkeiten zu sichern. Aber trotz dieses
__________ 14 Zu Unschärfen bei der Abgrenzung Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 5), § 434 BGB Rz. 42. 15 S. den Hinweis von Bornemann, ZGS 2006, 341, 342 bei Fn. 6. 16 Dazu Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 5), § 438 BGB Rz. 124; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 5), § 438 BGB Rz. 38. 17 S. auch BT-Drucks. 14/6040 BegrRegE zu § 478 Abs. 4 BGB S. 230: „… erscheint es sachgerecht, dem Käufer auch künftig die Mängeleinrede gegenüber dem Kaufpreisanspruch zu erhalten.“
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Unterschieds zeigt die Regelung doch, dass der Käufer (auch) im Falle von Rücktritt und Minderung eine Einrede hat – und diese kann unstreitig nicht auf § 320 BGB gestützt werden18. Insofern nimmt die allgemeine Mängeleinrede die Systematik des Gesetzes auf und entwickelt sie fort. b) Inhalt der allgemeinen Mängeleinrede Die aufgezeigten Schwierigkeiten lassen sich vermeiden, wenn man dem Käufer so wie vor der Schuldrechtsreform eine allgemeine Mängeleinrede eröffnet. Dem Käufer steht dann für den Zeitraum, den er für die Entscheidung benötigt, welchen Rechtsbehelf er wählen will, eine gewisse Überlegungszeit zu. Solange diese Frist läuft, kann er die Bezahlung des Kaufpreises verweigern19. Dem ist entgegen gehalten worden, der Käufer benötige diese Frist nicht, da Rücktritt und Minderung Gestaltungsrechte seien, die der Käufer ohne weiteres geltend machen könne20. Daran ist richtig, dass er diese Rechtsbehelfe geltend machen kann. Aber darum geht es nicht. Zur Debatte steht, ob er sie praktisch sofort geltend machen muss. Genau das wäre aber keine sachgerechte Lösung, zumal der Käufer Minderung oder Rücktritt ja gar nicht ohne weiteres verlangen kann. Vielmehr muss er prüfen, ob nicht zuvor dem Verkäufer eine Nacherfüllungsmöglichkeit eingeräumt werden muss. Falls dem – wie wohl meist – so ist, muss der Käufer sich zuerst einmal zwischen den beiden Arten der Nacherfüllung entscheiden. Diese „Blockademöglichkeit“ besteht nur solange eine angemessene Überlegungsfrist andauert. Wählt der Käufer in dieser Zeitspanne, dauert die Einrede an. Wählt er nicht, fällt sie weg. Der Käufer kommt also bis zur Wahl unter Umständen in Verzug mit der Kaufpreiszahlung, falls er die Wahl verzögert hat. Diese Rechtsfolge ist erwünscht und sachgerecht, da so Druck auf den Käufer ausgeübt wird, die Wahl innerhalb einer angemessenen Zeit zu treffen und dem Verkäufer damit die Nacherfüllungsmöglichkeit zu eröffnen. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht, dauert die Frist für die Wahl zwischen den verschiedenen Nacherfüllungsmöglichkeiten keineswegs bis zum Ablauf der Verjährungsfrist an21. Zwar muss der Verkäufer in der Tat bis zum Ende der Zweijahresfrist des § 438 BGB mit Rechtsbehelfen des Käufers rechnen. Aber das heißt nicht, dass der Käufer nach Erhebung der Mängeleinrede mit der Wahl des Rechtsbehelfs solange abwarten dürfte. Län-
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18 A. A. Hofmann/Pammler, ZGS 2004, 293, 294: Keine vergleichbare Interessenlage, da der Käufer im Fall von § 438 Abs. 4, 5 BGB seine Wahl bereits getroffen habe. Aber es kommt nicht darauf an, ob der Käufer bereits vor Ablauf der Frist Minderung oder Rücktritt gewählt hat. Nach Fristablauf kann er nicht mehr wählen, da ihm die Rechtsbehelfe nicht mehr offen stehen. 19 Siehe Hofmann/Pammler, ZGS 2004, 293, 296 für den Fall, dass die Nacherfüllung gescheitert ist. 20 Faust in Bamberger/Roth (Fn. 5), § 437 BGB Rz. 168. 21 So Peter Huber in Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, § 13 Rz. 153; dagegen Hofmann/Pammler, ZGS 2004, 293, 295.
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Die allgemeine Mängeleinrede des Käufers
ger als zwei bis vier Wochen wird die Frist kaum je dauern. Da die Wahl zwischen Nachlieferung und Nachbesserung nicht so komplex ist, dass eine längere Überlegungsfrist sachgerecht wäre. Hat der Käufer zwischen Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung zu wählen – sei es weil Nacherfüllung nicht verlangt werden kann oder diese fehlgeschlagen ist –, so steht ihm die allgemeine Mängeleinrede ein zweites Mal offen. Die Überlegungsfrist, die der Käufer dieses Mal hat, wird etwas länger zu bemessen sein. Denn die Entscheidung bedarf umfassenderer Überlegungen. Das wäre nur anders, wenn der Käufer mühelos von einem der sekundären Rechtsbehelfe zum anderen wechseln könnte. Aber da dies jedenfalls nach momentan herrschender Meinung keineswegs problemlos möglich ist22, muss der Käufer insofern auch überlegen dürfen. Nach Ablauf der Frist muss der Käufer wählen. Tut er das nicht, kann er in Verzug kommen. Die Frist endet mit der Wahl des Rechtsbehelfs. Eventuell angefallene Verzugszinsen sind dann zu bezahlen. Man kann hoffen, dass diese Rechtsfolge den Käufer zu einer zügigen Wahl veranlassen wird.
IV. Zusammenfassung 1. Dem Käufer, dem eine fehlerhafte Sache geliefert worden ist, steht eine allgemeine Mängeleinrede zu. Diese Einrede steht ihm so lange offen, wie er für die Entscheidung zwischen den verschiedenen Arten der Nacherfüllung benötigt. 2. Dieselbe Einrede steht dem Käufer nach Wahl der Art der Nacherfüllung bis zur erfolgreichen Durchführung der Nacherfüllung zu. 3. Hat der Käufer keinen Anspruch auf Nacherfüllung oder ist die Nacherfüllung fehlgeschlagen, so steht ihm wiederum dieselbe Einrede bis zu dem Zeitpunkt offen, bis zu dem von ihm eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Rechtsbehelfen des § 437 Nr. 2, 3 BGB erwartet werden kann.
__________ 22 S. BGH, NJW 2006, 1198; Überblick bei Grunewald (Fn. 10), zu § 9 Rz. 90 ff.
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Letztwillige Schiedsgerichte1 Inhaltsübersicht I. Form und Reichweite der Anordnung eines letztwilligen Schiedsgerichts II. Besetzung des Schiedsgerichts 1. Benennung der Schiedsrichter durch den Erblasser 2. Besetzung des Schiedsgerichts nach § 1035 ZPO III. Schiedsfähige Streitigkeiten 1. Erbrechtliche Streitigkeiten
2. Pflichtteilsansprüche 3. Nachlassforderungen und -verbindlichkeiten 4. Zuständigkeit des Nachlassgerichts 5. Letztwillige Schiedsklausel und Höchstpersönlichkeit der Erblasseranordnungen IV. Ausblick
§ 1066 ZPO erklärt die Vorschriften über das schiedsrichterliche Verfahren u. a. auf Schiedsgerichte für entsprechend anwendbar, „die in gesetzlich statthafter Weise durch letztwillige … Verfügungen angeordnet werden“. Auch wenn dies vom Wortlaut der Vorschrift her nicht eindeutig ist, besteht Einigkeit darüber, dass damit durch letztwillige Verfügung ein Schiedsgericht angeordnet werden kann. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass die Anordnung einer der in den §§ 1937–1940 BGB genannten erbrechtlichen Verfügungen unterfällt. Die früher teilweise vertretene Auffassung, bei der letztwilligen Schiedsklausel handele es sich um eine Auflage i. S. v. § 1940 BGB ist inzwischen überwunden2. Mit der „gesetzlich statthaften Weise“, von der § 1066 ZPO spricht, sind dabei lediglich die allgemeinen Voraussetzungen für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung gemeint (vor allem Form und Testierfähigkeit)3. Obwohl in der Praxis von der Möglichkeit einer letztwilligen Schiedsklausel offenbar nur wenig Gebrauch gemacht wird, lohnt es, sich darüber Gedanken zu machen. Die Vorteile eines vertraglichen Schiedsgerichts (Entscheidung durch selbst ausgewählte sachkundige Richter, keine Öffentlichkeit, schnelles Verfahren, meist geringere Kosten) gelten gleichermaßen für ein letztwilliges Schiedsgericht. Wenn es gelingt, die streitigen Fragen, die sich bei letztwilli-
__________ 1 S. zu dem Problemkreis aus neuerer Zeit Otte in FS Rheinisches Notariat, 1998, S. 241; Schulze, MDR 2000, 314; Wegmann, ZEV 2004, 20; Pawlytta, ZEV 2003, 89; Geimer in FS P. Schlosser, 2005, S. 197, 203 ff.; Haas, ZEV 2007, 49. 2 S. dazu näher Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 241, 242 ff. sowie Schwab/ Walter, Schiedgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 32 Rz. 25; Leipold in MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 1937 BGB Rz. 31. 3 Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 245; Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 1937 BGB Rz. 29.
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gen Schiedsgerichten ergeben haben zu klären, könnte das zu einer weiterreichenden Verbreitung derartiger Schiedsgerichte beitragen. Im Rahmen dieses Beitrags kann die Problematik nicht erschöpfend behandelt werden. Es wird vielmehr nur auf die Form und Reichweite der Einsetzung eines letztwilligen Schiedsgerichts (I.), auf seine Besetzung (II.) sowie insbesondere auf die Abgrenzung der schiedsfähigen Streitigkeiten (III.) eingegangen. Im Hinblick auf die reiche Erfahrung, auf die Harm Peter Westermann im Schiedsgerichtswesen zurückblicken kann, bietet es sich an, diesen Beitrag in die ihm gewidmete Festschrift aufzunehmen.
I. Form und Reichweite der Anordnung eines letztwilligen Schiedsgerichts Die Anordnung der Entscheidung durch ein Schiedsgericht muss in der für letztwillige Verfügungen vorgeschriebenen Form erfolgen, d. h. entweder durch Testament oder durch Erbvertrag. Bei einem Testament ist nicht erforderlich, dass darin noch weitere Anordnungen getroffen werden. Der Erblasser kann sich vielmehr damit begnügen, nur ein Schiedsgericht anzuordnen. In diesem Fall tritt gesetzliche Erbfolge ein; sich dabei ergebende Streitigkeiten fallen jedoch in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts4. Hat der Erblasser außer der Anordnung eines Schiedsgerichts einem Pflichtteilsberechtigten einen Erbteil hinterlassen, der die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt, so handelt es sich bei der Anordnung des Schiedsgerichts nicht um eine Beschränkung i. S. v. § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB, weshalb der Pflichtteilsberechtigte an die Schiedsklausel gebunden ist5; nicht etwa gilt diese als nicht angeordnet. In einem Erbvertrag kann die Schiedsklausel nicht vertragsmäßig getroffen werden (§ 2278 Abs. 2 BGB), weshalb der Erblasser sie jederzeit einseitig aufheben kann. Entsprechendes gilt beim gegenseitigen Testament, wo die Schiedsklausel nicht als wechselbezügliche Verfügung getroffen werden kann (§ 2270 Abs. 3 BGB). Ob umgekehrt eine nachträgliche Schiedsklausel einseitig eingefügt werden kann, wenn eine solche im Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament nicht enthalten war, ist streitig6. Es geht dabei darum, ob die Klausel das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigt (§ 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die besseren Gründe sprechen dafür, eine nachträgliche Einfügung der Klausel zuzulassen. Spätestens seit der Neufassung der §§ 1025 ff. ZPO durch Gesetz v. 22.12.1997 bietet das Schiedsverfahren vollwertigen Rechtsschutz,
__________ 4 Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 247. 5 Haas in Staudinger, BGB, Neubearb. 2006, § 2306 BGB Rz. 30a; Mayer, ZEV 2000, 263, 268. 6 Bejahend Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 15 Fn. 199; Wegmann, ZEV 2003, 20, 21; a. A. OLG Hamm, NJW-RR 1991, 456; Edenhofer in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 2289 BGB Rz. 9; Litzenburger in Bamberger/Roth, 2003, § 2289 BGB Rz. 9; M. Schmidt in Erman, 11. Aufl. 2004, § 2289 BGB Rz. 5; Deppenkemper in Prütting/ Wegen/Weinreich, 2. Aufl. 2007, § 2289 BGB Rz. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 175 Rz. 3.
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der qualitativ nicht hinter dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte zurückbleibt. Von daher liegt es nahe, die nachträgliche Einfügung einer Schiedsklausel ebenso als zulässig anzusehen wie deren Aufhebung. Zur Reichweite der letztwillig verfügten Schiedsklausel ist zunächst zu betonen, dass es dem Erblasser natürlich freisteht, in welchem Umfang er die Entscheidung durch ein Schiedsgericht anordnet. Dies muss nicht hinsichtlich des gesamten Nachlasses geschehen. Die Schiedsklausel kann sowohl gegenständlich (z. B. auf Streitigkeiten über ein zum Nachlass gehörendes Unternehmen) als auch personell (nur für Streitigkeiten, an denen ein bestimmter Erbe beteiligt ist) beschränkt werden. Zum Abschluss des ersten Abschnitts ist noch kurz zu erwähnen, dass die Schiedsklausel ebenso wie jede andere letztwillige Anordnung auch bedingt angeordnet werden kann. Zu denken ist etwa an den Fall, dass der als Testamentsvollstrecker Eingesetzte nicht zur Amtsübernahme bereit ist oder dass einer der Erben vor Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft stirbt und dessen Erben damit an der Erbengemeinschaft beteiligt sind, womit sich das Streitpotential erhöht.
II. Besetzung des Schiedsgerichts 1. Benennung der Schiedsrichter durch den Erblasser a) Naheliegenderweise wird der Erblasser sich häufig nicht damit begnügen, die Entscheidung von Streitigkeiten über seinen Nachlass durch ein Schiedsgericht anzuordnen, sondern gleichzeitig den oder die Schiedsrichter benennen. Dadurch will er erreichen, dass die Entscheidung durch Personen seines Vertrauens ergeht. Auf die Erreichung dieses Ziels darf er freilich nur sehr eingeschränkt vertrauen. Abgesehen davon, dass ein als Schiedsrichter Ernannter vorverstirbt und damit für das vorgesehene Amt ausfällt, kann die Erwartung des Erblassers etwa durch enttäuscht werden, dass ein Ernannter nicht bereit ist, das Amt zu übernehmen. Es ist keineswegs weit hergeholt daran zu denken, dass jemand sich aus den Streitigkeiten heraushalten will, oder dass ihm bei heftig zerstrittenen Beteiligten der Aufwand an Zeit und Kraft in keinem sinnvollen Verhältnis zu der Vergütung als Schiedsrichter steht. Schließlich muss noch daran gedacht werden, dass bei Vertrauenspersonen des Erblassers häufig die Gefahr besteht, dass es einzelnen Erben oder sonstwie Bedachten für ihre Person an eben diesem Vertrauen fehlt, was in eine möglicherweise begründete Ablehnung des Ernannten wegen Befangenheit münden kann. Angesichts dieser Unsicherheiten empfiehlt es sich für den Erblasser dringend, dafür Sorge zu tragen, dass die Bildung eines Schiedsgerichts trotz des Ausfalls der „ersten Mannschaft“ sichergestellt wird. Dies kann durch die Ernennung von Ersatzschiedsrichtern durch den Erblasser oder dadurch erreicht werden, dass der Erblasser einen Dritten bestimmt, der seinerseits den bzw. die Schiedsrichter benennt. In entsprechender Anwendung von § 2200 BGB kann dies auch das Nachlassgericht sein. 257
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Sind derartige Ersatzanordnungen vom Erblasser nicht getroffen worden oder führen sie nicht zum Erfolg (weil etwa niemand bereit ist, das Schiedsrichteramt zu übernehmen), so stellt sich die Frage, wie sich das auf die Schiedsklausel auswirkt. Denkbar ist zum einen, dass damit die Klausel entfällt und auftretende Streitigkeiten durch das staatliche Gericht zu entscheiden sind. Die Alternative wäre, dass die Parteien der Streitigkeit das Schiedsgericht nach § 1035 Abs. 3 ZPO bestellen müssen, d. h. dass bei einem Dreierschiedsgericht jede Partei einen Schiedsrichter bestellt, die sich dann ihrerseits auf den Vorsitzenden einigen. Die Frage kann nicht in einheitlichem Sinn beantwortet werden. Maßgeblich muss die (notfalls ergänzende) Auslegung der letztwilligen Anordnung sein. Ging es dem Erblasser vorrangig darum, die staatlichen Gerichte auszuschalten, so ändert das Fehlschlagen seiner Besetzungsregelung nichts daran, dass die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen soll, das dann nach § 1035 Abs. 3 ZPO besetzt werden muss. Stand für den Erblasser dagegen im Vordergrund, dass die Entscheidung durch Personen seines Vertrauens erfolgen soll, so kann das dafür sprechen, dass er ein staatliches Gericht ihm unbekannten oder zumindest nicht von ihm benannten Schiedsrichtern vorzieht. Im Einzelfall lässt sich der Wille des Erblassers vielleicht nicht mit letzter Sicherheit feststellen, doch sind die Schwierigkeiten nicht größer als bei jeder Auslegung einer letztwilligen Verfügung, bei der vom Erblasser nicht berücksichtigte Umstände hinzugekommen sind. b) Soweit der Erblasser darauf Wert legt, dass als Schiedsrichter Personen seines Vertrauens entscheiden, wird er häufig daran denken, als Schiedsrichter einen von ihm eingesetzten Testamentsvollstrecker zu benennen. Rechtlich bestehen dagegen keine Bedenken. Es ist anerkannt, dass der Testamentsvollstrecker zum Schiedsrichter bestellt werden kann7. Sehr zweckmäßig ist dies freilich nicht. Bei Anordnung von Testamentsvollstreckung besteht Streitpotential insbesondere im Verhältnis zwischen dem Testamentsvollstrecker und den Erben, die sich vom Testamentsvollstrecker häufig bevormundet fühlen und in ihm so etwas wie ihren natürlichen Feind sehen. In einem Rechtsstreit zwischen den Erben und dem Testamentsvollstrecker kann dieser aber als Partei nicht Schiedsrichter sein8. Diese Hürde kann der Erblasser selbst dann nicht nehmen, wenn er ausdrücklich bestimmt, dass der Testamentsvollstrecker auch in solchen Streitigkeiten als Schiedsrichter fungieren soll.
__________ 7 RGZ 100, 76; Schwab/Walter (Fn. 2), Kap. 32 Rz. 26; Münch in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl. 2001, § 1066 ZPO Rz. 3; Schlosser in Stein/Jonas, 22. Aufl. 2002, § 1066 ZPO Rz. 3; Geimer in Zöller, 26. Aufl. 2007, § 1066 ZPO Rz. 16; Rosenberg/Schwab/ Gottwald (Fn. 6), § 175 Rz. 2; Zimmermann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 2203 BGB Rz. 18; Mayer in Bamberger/Roth (Fn. 6), § 2203 BGB Rz. 4; Schiemann in PWW (Fn. 6), § 2203 BGB Rz. 1. 8 Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 1937 BGB Rz. 37; Otte in Staudinger, Neubearb. 2000, Vorbem. zu §§ 1937–1941 BGB Rz. 12; Stein in Soergel, 13. Aufl. 2002, § 1937 BGB Rz. 9; Münch in MünchKomm.ZPO (Fn. 7), § 1066 ZPO Rz. 3.
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Für den Testamentsvollstrecker als Schiedsrichter bleiben also im wesentlichen Streitigkeiten zwischen den Bedachten. Insoweit wird es jedoch deshalb nur selten zu einem Rechtsstreit kommen, weil der Testamentsvollstrecker die Entscheidung hier oft schon kraft seiner Amtsbefugnisse treffen kann. Besteht etwa innerhalb einer Erbengemeinschaft Streit über die Auseinandersetzung, so wird dieser nicht vor Gericht ausgetragen, sondern nach § 2204 BGB durch ein Machtwort des Schiedsrichters beigelegt. Insgesamt bleibt für einen Testamentsvollstreckerschiedsrichter also nur ein kleines Betätigungsfeld. Zu denken ist etwa an einen Streit um die Gültigkeit des Testaments oder um dessen Auslegung. Derartige Streitigkeiten kann der Testamentsvollstrecker nicht auf Grund seiner Amtsbefugnisse entscheiden und in einem Rechtsstreit muss er auch nicht Partei sein (wohl aber kann er es im Einzelfall sein, wenn etwa der Auslegungsstreit zwischen dem Testamentsvollstrecker und einem Erben besteht). Häufig wird ein Tätigwerden des Testamentsvollstreckers als Schiedsrichter freilich auch in solchen Fällen scheitern. Dies deshalb, weil der Testamentsvollstrecker vor Einleitung des Schiedsverfahrens meistens seinen Rechtsstandpunkt offen gelegt haben wird, was von der durch diese Auffassung benachteiligten Partei mit einem Befangenheitsantrag quittiert werden dürfte. 2. Besetzung des Schiedsgerichts nach § 1035 ZPO Hat der Erblasser über die Besetzung des Schiedsgerichts keine Anordnung getroffen, so gilt § 1035 ZPO. Die Parteien können sich also über das Verfahren zur Bestellung der Schiedsrichter einigen (sofern in der letztwilligen Verfügung über die Anzahl der Schiedsrichter nichts ausgesagt ist, entscheiden vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung durch die Parteien drei Schiedsrichter, § 1034 Abs. 1 ZPO). Kommt es zu keiner solchen Vereinbarung, so ernennt jede Partei einen Schiedsrichter, die sich ihrerseits auf den dritten als Vorsitzenden einigen.
III. Schiedsfähige Streitigkeiten 1. Erbrechtliche Streitigkeiten Abgesehen von einigen Einzelproblemen, auf die im weiteren Verlauf noch einzugehen ist (s. u. 2.–5.), unterfallen der Schiedsklausel grundsätzlich (d. h. wenn der Erblasser die Reichweite der Klausel nicht eingeschränkt hat, s. o. I.) alle erbrechtlichen Streitigkeiten. Es erscheint nicht sinnvoll, hier einen umfassenden Katalog der einschlägigen Fallgestaltungen zusammenzustellen. Dazu ist das von einer letztwilligen Schiedsklausel erfasste Spektrum viel zu breit. Es reicht aus, einzelne Problemkreise stichwortartig anzusprechen. So werden von der Schiedsklausel zunächst Streitigkeiten über die Erbfolge (und zwar auch über die gesetzliche) erfasst9, wobei es unerheblich ist, woraus die
__________
9 Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 247; Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 1937 BGB Rz. 33.
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Streitigkeit herrührt (Streit um Wirksamkeit eines Testaments – vorausgesetzt, es handelt sich nicht um das Testament, in dem die Schiedsklausel enthalten ist –, Auslegung des Testaments, seine Anfechtung, Ausschlagung der Erbschaft). Weiter unterfallen der Schiedsklausel Streitigkeiten aus Vermächtnissen, unter Miterben (vor allem im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung, einschließlich der Problematik einer Ausgleichungspflicht für Zuwendungen des Erblassers bei dessen Lebzeit), über die Wirksamkeit und den Umfang der Anordnung von Testamentsvollstreckung sowie zwischen Vorund Nacherben. 2. Pflichtteilsansprüche Sehr umstritten ist, ob auch Streitigkeiten über Pflichtteilsansprüche in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts fallen. Dagegen könnte sprechen, dass der Pflichtteil nicht zur Disposition des Erblassers steht, die Möglichkeit der Einsetzung eines Schiedsgerichts durch letztwillige Verfügung aber gerade auf der Testierfreiheit des Erblassers beruht10. Die wohl noch h. M. lehnt es deswegen ab, die Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten über Pflichtteilsansprüche zu erstrecken11, doch mehren sich neuerdings die Gegenstimmen12. Als Ergebnis nehme ich vorweg, dass die besseren Gründe dafür sprechen, die Zuständigkeit des Schiedsgerichts auch auf Pflichtteilsstreitigkeiten zu erstrecken. Geimer13 begründet dies damit, dass zwischen der prozessualen Frage der Gerichtspflichtigkeit von Pflichtteilsberechtigten vor einem Schiedsgericht einerseits, und auf der anderen Seite der materiellrechtlich fehlenden Dispositionsbefugnis des Erblassers unterschieden werden muss; aus § 1066 ZPO ergebe sich für den Erblasser die Möglichkeit, das staatliche Gericht durch eine letztwillige Schiedsklausel auszuschalten. Dabei bleibt offen, warum die Reichweite der prozessualen Möglichkeit gegenüber dem Umfang der materiellrechtlichen Dispositionsbefugnis abgeschottet werden muss. Immerhin sind wir es sonst gewohnt, die Tragweite prozessualer Befugnisse mit Blick auf das materielle Recht, und damit besonders auf die materiellrechtliche Verfügungsbefugnis der Parteien zu bestimmen14. Allein mit der Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht ist es deswegen nicht getan.
__________ 10 So insbesondere Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 251. 11 Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 251; Schulze, MDR 2000, 314, 316; Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 1937 BGB Rz. 34; Lange/Kuchinke (Fn. 6), § 32 II 4 b, Müller-Christmann in Bamberger/Roth (Fn. 6), § 1937 BGB Rz. 9; Voit in Musielak, 5. Aufl. 2007, § 1066 ZPO Rz. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 6), § 175 Rz. 3. 12 Pawlytta, ZEV 2003, 89; Wegmann, ZEV 2003, 20, 21; Geimer in FS P. Schlosser (Fn. 1), S. 206 f.; Geimer in Zöller (Fn. 7), § 1066 ZPO Rz. 18; s. weiter Schmitz, RNotZ 2003, 591, 611. 13 Geimer in Zöller (Fn. 7), § 1066 ZPO Rz. 18; ebenso Wegmann, ZEV 2003, 20, 21. 14 S. zur Beziehung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht Brehm in Stein/ Jonas (Fn. 7), vor § 1 ZPO Rz. 37 ff.
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Einen anderen Begründungsansatz wählt Pawlytta15. Er stellt darauf ab, dass Voraussetzung für die Entstehung eines Pflichtteilsanspruchs das Vorliegen einer letztwilligen Verfügung des Erblassers ist, durch die der Pflichtteilsberechtigte enterbt worden ist. Insoweit resultiere der Pflichtteilsanspruch aus einer letztwilligen Verfügung, weshalb er sich eben doch aus der Verfügungsbefugnis des Erblassers ergebe. Dass hier mit einem begrifflichen Trick gearbeitet wird, liegt auf der Hand. Sicher setzt ein Pflichtteilsanspruch voraus, dass der Anspruchsinhaber durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen worden ist. Das ändert aber nichts daran, dass das Pflichtteilsrecht sich nicht aus der Testierfreiheit des Erblassers ergibt, sondern umgekehrt diese zwingend begrenzt. Die letztwillige Verfügung ist zwar Tatbestandsvoraussetzung eines Pflichtteilsanspruchs, nicht aber die materielle Rechtfertigung seiner Entstehung. Das Pflichtteilsrecht setzt die Testierfreiheit voraus, ergibt sich aber nicht aus ihr. Der richtige Ansatz für eine Bejahung der Schiedsfähigkeit pflichtteilsrechtlicher Streitigkeiten liegt in § 1030 Abs. 1 ZPO. Durch diese Vorschrift werden sämtliche vermögensrechtliche Streitigkeiten für schiedsfähig erklärt, ohne dass es wie nach der Vorgängervorschrift des § 1025 Abs. 1 ZPO a. F. darauf ankommt, ob die Parteien über den Anspruch durch Abschluss eines Vergleichs verfügen können. Darin zeigt sich, dass die Schiedsgerichtsbarkeit jetzt als echte Gerichtsbarkeit einzustufen ist und nicht etwa nur einen Rechtsschutz minderer Güte gewährt. Soweit bei einzelnen als sozial sensibel angesehenen Materien nach wie vor eine Ausnahme von der Schiedsfähigkeit gilt (Wohnraummiete, § 1030 Abs. 2 ZP0; arbeitsrechtliche Streitigkeiten, § 101 Abs. 3 ArbGG) handelt es sich um nur noch schwer zu rechtfertigende Relikte aus einer Zeit, in der die Schiedsgerichtsbarkeit vom Gesetzgeber mit Misstrauen angesehen wurde. Die in § 1030 Abs. 1 ZPO zum Ausdruck kommende Neuorientierung muss auch bei § 1066 ZPO, und damit auch bei letztwilligen Schiedsklauseln durchschlagen. Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wozu eindeutig auch pflichtteilsrechtliche Streitigkeiten gehören, kann die Schiedsfähigkeit nicht mehr davon abhängen, ob der Erblasser mittels seiner Testierfreiheit über den Anspruch verfügen (d. h. insbesondere ihn ausschließen) kann. Dadurch, dass nach § 1066 ZPO die §§ 1025 ff. ZPO entsprechend gelten, kann es in entsprechender Anwendung von § 1030 Abs. 1 ZPO auf den Umfang der Testierfreiheit nicht ankommen, womit der Weg zur Bejahung der Schiedsfähigkeit pflichtteilsrechtlicher Streitigkeiten frei ist. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, mit der Neufassung von § 1030 Abs. 1 ZPO sei keine Änderung des Pflichtteilsrechts bezweckt worden16. Das ist sicher richtig, rechtfertigt aber nicht den daraus gezogenen
__________ 15 ZEV 2003, 89, 92 f. 16 So aber Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 251, der von einer „Aufweichung des Pflichtteilsrechts“ spricht und damit zum Ausdruck bringt, dass er die Schiedsgerichtsbarkeit als keine vollwertige Rechtsschutzmöglichkeit ansieht.
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Schluss. Mit dem Wegfall der Verfügungsmöglichkeit als Kriterium für die Schiedsfähigkeit sind alle Streitigkeiten schiedsfähig geworden, bei denen es unter dem alten Recht an diesem Kriterium fehlte. Ob sich der Gesetzgeber über die konkrete Tragweite seiner Neuorientierung Gedanken gemacht hat, ist dabei unerheblich. Schließlich steht der Schiedsfähigkeit pflichtteilsrechtlicher Streitigkeiten auch nicht der Justizgewährungsanspruch der Pflichtteilsberechtigten entgegen17. Wie schon erwähnt, gewähren Schiedsgerichte vollwertigen Rechtsschutz, womit dem Justizgewährungsanspruch Genüge getan ist. Wollte man anderer Ansicht sein, müsste man die Möglichkeit einer letztwilligen Schiedsklausel generell in Frage stellen, würde sie doch dazu führen, dass der Justizgewährungsanspruch aller davon Betroffener ohne deren Zustimmung beschnitten würde. 3. Nachlassforderungen und -verbindlichkeiten Nachlassforderungen und -verbindlichkeiten werden von einer letztwilligen Schiedsklausel nach einhelliger Auffassung nicht erfasst18. Soweit die Forderung bzw. Verbindlichkeit schon in der Person des Erblassers bestand und durch dessen Tod auf den Erben übergegangen ist (sog. Erblasserschulden), folgt das Ergebnis daraus, dass bis zum Erbfall die staatlichen Gerichte zuständig waren. Durch das bloße Auswechseln des Schuldners bzw. Gläubigers kann sich daran nichts ändern. Die Forderung bzw. Verbindlichkeit geht so auf den Erben über, wie sie in der Person des Erblassers bestand, und dazu gehört als prozessualer Annex auch die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte. Der Erblasser kann daran ohne Zustimmung der anderen Partei nicht einseitig durch eine letztwillige Schiedsklausel etwas ändern. Dabei spielt es auch keine Rolle, um was für eine Art von Forderung es sich handelt (vertragliche oder deliktische Forderung, dinglicher Herausgabeanspruch, Bereicherungsforderung). Obwohl die Lage bei den sog. Erbfallschulden (z. B. Beerdigungskosten) und den Nachlasserbenschulden (Verbindlichkeiten, die der Erbe zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses eingegangen ist) gegenüber den Erblasserschulden insofern anders ist, als derartige Verbindlichkeiten nicht schon in der Person des Erblassers bestanden, sondern erst durch den Erben begründet worden sind, kommt auch insoweit eine letztwillige Schiedsklausel nicht zum Zuge. Es ist Sache des Erben und der anderen Partei, ob sie eine vertragliche Schiedsklausel vereinbaren. Der Erblasser kann diese Entscheidung nicht einseitig an sich ziehen.
__________ 17 Pawlytta, ZEV 2003, 89, 93 f. 18 Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 1937 BGB Rz. 34; Müller-Christmann in Bamberger/Roth (Fn. 6), § 1937 BGB Rz. 9; Schulze, MDR 2000, 314, 316.
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4. Zuständigkeit des Nachlassgerichts a) Der dem Nachlassgericht obliegende Aufgabenbereich kann grundsätzlich nicht auf ein Schiedsgericht übertragen werden, und zwar gilt dies sowohl für eine letztwillige als auch für eine vertraglich vereinbarte Schiedsklausel. Offenkundig ist dies insoweit, als das Nachlassgericht gar keine Entscheidung trifft, sondern nur bestimmte Erklärungen entgegennimmt, wie z. B. die Ausschlagung der Erbschaft (§ 1945 Abs. 1 BGB), die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung (§ 2081 Abs. 1 BGB), die Annahme oder Ablehnung der Amtsübernahme als Testamentsvollstrecker (§ 2002 Abs. 2 Satz 1 BGB) oder die Kündigung durch den Testamentsvollstrecker (§ 2226 Satz 2 BGB). Die Aufgabe eines Schiedsgerichts kann allein in der Entscheidung eines Rechtsstreites bestehen, womit alle sonstigen Tätigkeiten staatlicher Gerichte nicht einem Schiedsgericht übertragen werden können. Nicht schiedsfähig sind weiter nachlassgerichtliche Maßnahmen rechtsfürsorgender Art wie etwa die Anordnung von Nachlassverwaltung (§ 1981 Abs. 1 BGB) oder von nachlasssichernden Maßnahmen (§ 1960 BGB). Schließlich kann das Schiedsgericht auch keine öffentlichen Urkunden ausstellen, wie z. B. einen Erbschein oder ein Testamentsvollstreckerzeugnis. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob es im Zusammenhang mit dem Antrag auf Ausstellung einer derartigen Urkunde unter den Beteiligten zum Streit kommt, der vom Nachlassgericht entschieden werden muss. Streiten im Erbscheinverfahren etwa mehrere Prätendenten um die Stellung als Erben, so hat allein das Nachlassgericht und nicht etwa das Schiedsgericht darüber zu entscheiden, wem der Erbschein zu erteilen ist. Eine ganz andere, zu bejahende Frage ist es, ob das Nachlassgericht an einen bereits ergangenen Schiedsspruch über die Erbenstellung gebunden ist. Insoweit gilt nichts anderes als für die Bindung des Nachlassgerichts an ein rechtskräftiges Urteil, die innerhalb der Grenzen der Rechtskraft heute allgemein bejaht wird19. Ebenso ist das Nachlassgericht an einen später ergehenden Schiedsspruch über die Erbenstellung gebunden. Erforderlichenfalls hat es den Erbschein dann wieder einzuziehen. b) Missverständlich ist es, wenn gesagt wird, die Bestimmung eines Testamentsvollstreckers könne nach § 2198 BGB einem Schiedsgericht überlassen werden20. Selbstverständlich steht es dem Erblasser frei, das Bestimmungsrecht derselben Person einzuräumen, die in der letztwilligen Verfügung als Schiedsrichter bestimmt worden ist. Macht diese Person von der Bestimmungsbefugnis Gebrauch, so handelt sie jedoch nicht in ihrer Eigenschaft als Schiedsrichter. Das ergibt sich schon daraus, dass es an einem zu entscheidenden Rechtsstreit fehlt. Infolgedessen handelt es sich bei der Bestimmung des Testamentsvollstreckers auch keinesfalls um einen Schiedsspruch.
__________ 19 BayObLG, FamRZ 1999, 334; J. Mayer in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 2359 BGB Rz. 40 ff.; Zimmermann in Soergel (Fn. 8), § 2360 BGB Rz. 4. 20 So Wegmann, ZEV 2003, 20 f.
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c) Sehr umstritten ist, ob die Entscheidung über einen Antrag auf Entlassung eines Testamentsvollstreckers (§ 2227 BGB) einem Schiedsgericht übertragen werden kann oder zwingend vom Nachlassgericht getroffen werden muss. Bejaht man die Schiedsfähigkeit, so würde dies bedeuten, dass eine letztwillige Schiedsklausel grundsätzlich (d. h. wenn der Erblasser die Reichweite der Schiedsklausel nicht eingeschränkt hat) auch die Entscheidung über den Entlassungsantrag mitumfasst. Es wäre nicht erforderlich, dass in der letztwilligen Verfügung die Zuständigkeit des Schiedsgerichts ausdrücklich auch für das Testamentsvollstreckerentlassungsverfahren festgelegt wird. Soweit die Möglichkeit einer Entscheidung über den Entlassungsantrag durch ein Schiedsgericht bejaht wird21, geschieht dies aus der Erwägung heraus, es handele sich bei dem Entlassungsverfahren um ein echtes Streitverfahren. Die wohl h. M. verneint demgegenüber die Möglichkeit einer Entscheidung über den Entlassungsantrag durch ein Schiedsgericht22. Um eine Begründung der h. M. hat sich vor allem Otte23 bemüht; er stellt insbesondere darauf ab, dass im Falle einer Erbengemeinschaft jedem Miterben ein eigenes Antragsrecht aus § 2227 BGB zusteht, weshalb es sich nicht um eine Streitigkeit nur zwischen dem Antragsteller und dem Testamentsvollstrecker handele. Ohne dass dies hier vertieft werden kann, darf doch darauf hingewiesen werden, dass sich vergleichbare Probleme bei der gesellschaftsrechtlichen Beschlussanfechtungsklage stellen, die ja ebenfalls auf eine Gestaltungswirkung abzielt, inzwischen gleichwohl aber überwiegend als schiedsfähig angesehen wird24. Die nicht zu leugnenden rechtstechnischen Schwierigkeiten lassen sich in den Griff kriegen. Die übrigen Antragsberechtigten müssen vor allem mangels der Möglichkeit eines Beschwerdeverfahrens in das Schiedsverfahren in dem Sinne einbezogen werden, dass sie davon in Kenntnis gesetzt werden und es ihnen freigestellt wird, sich an dem Verfahren zu beteiligen (auf welcher Seite auch immer). Dies kann z. B. über eine Beiladung geschehen. Überdies ist darauf hinzuweisen, dass sich dieselben Probleme auch dann ergeben würden, wenn die Entlassung des Testamentsvollstreckers nicht durch das Nachlassgericht, sondern auf Klage hin durch „Entlassungsurteil“ in einem ordentlichen Streitverfahren erfolgen würde. Dass § 2227 BGB die Zuständigkeit des Nachlassgerichts anordnet, ist keineswegs zwingend geboten. Genau so gut hätte die Entlassung einem ordentlichen Streitverfahren zugewiesen werden können. In diesem Fall würden an der Schiedsfähigkeit des Entlas-
__________ 21 Schwab/Walter (Fn. 2), Kap. 32 Rz. 26; Schlosser in Stein/Jonas (Fn. 7), § 1066 ZPO Rz. 3; Schulze, MDR 2000, 314, 317 f.; Geimer in FS P. Schlosser (Fn. 1), S. 207. 22 RGZ 133, 128, 133; Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 252 f.; Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 1937 BGB Rz. 35; Münch in MünchKomm.ZPO (Fn. 7), § 1066 ZPO Rz. 3; Wegmann, ZEV 2003, 21; Voit in Musielak (Fn. 11), § 1066 ZPO Rz. 4. 23 In FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 252 f. 24 S. dazu Schlosser in Stein/Jonas (Fn. 7), § 1034 ZPO Rz. 22 ff.; Geimer in FS P. Schlosser (Fn. 1), S. 212 ff.; Voit in Musielak (Fn. 11), § 1030 ZPO Rz. 2 sowie aus dem Gesellschaftsrecht zuletzt Lutter/Hommelhoff, 16. Aufl. 2004, Anh. § 47 GmbHG Rz. 77 ff.; Raiser in Ulmer, 2006, Anh § 47 GmbHG Rz. 228 ff.
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sungsstreits kaum Zweifel bestehen. Daran kann sich nicht dadurch etwas ändern, dass der Streit nach § 2227 BGB in die Zuständigkeit des Nachlassgerichts fällt. 5. Letztwillige Schiedsklausel und Höchstpersönlichkeit der Erblasseranordnungen Nach § 2065 BGB kann der Erblasser eine letztwillige Verfügung nicht in der Weise treffen, dass ein anderer bestimmen soll, ob sie gelten soll (Abs. 1); weiter kann der Erblasser die Bestimmung der Person eines Bedachten sowie des zugewandten Gegenstands nicht einem anderen überlassen. Die darin angeordnete Höchstpersönlichkeit des Erblassers hat im Zusammenhang mit letztwilligen Schiedsklauseln insbesondere bei der Bestimmung des Erben durch ein sog. Schiedsgericht zu Diskussionen geführt. Bei genauerem Zusehen zeigt sich freilich, dass es sich weitgehend um ein Scheinproblem handelt. Ausgangspunkt muss sein, dass § 2065 Abs. 2 BGB großzügig interpretiert wird. Insbesondere wird es als zulässig angesehen, dass der Erblasser die Bestimmung des Bedachten dann einem Dritten überlässt, wenn er diesem dafür exakte Kriterien vorgibt, so dass dieser den Bedachten nur „bezeichnen“, nicht aber „bestimmen“ soll25. Insoweit bleibt für die endgültige Auswahl des Bedachten durchaus Spielraum für ein Tätigwerden eines Dritten, wobei es hier keine Rolle spielt, wo die Grenzlinie zwischen Höchstpersönlichkeit und zulässiger Drittauswahl exakt verläuft. Wen der Erblasser dabei als Dritten auswählt, steht ihm frei. Insoweit gibt es keinerlei rechtliche Vorgaben. Die Aufgabe des Dritten besteht in der Bezeichnung des Bedachten. Auch wenn unter mehreren als Bedachte in Betracht kommenden Personen Streit darüber besteht, wer von ihnen bedacht ist, handelt es sich bei der dem Dritten übertragenen Aufgabe keinesfalls um rechtsprechende Tätigkeit. Es gibt weder einen Kläger noch einen Beklagten, so dass der Dritte eindeutig nicht als Schiedsrichter tätig wird. Seine Aufgabe entspricht vielmehr der eines Schiedsgutachters26. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Dritte vom Erblasser irrigerweise als Schiedsrichter bezeichnet wird. Die unrichtige Bezeichnung macht ihn nicht zu einem solchen. Insbesondere hat ein solcher „Schiedsrichter“ bei der von ihm zu treffenden Auswahl keinen größeren Spielraum als ein sonstiger vom Erblasser benannter Dritter. Sind die vom Erblasser festgelegten Auswahlkriterien nicht exakt genug, so ist die Einräumung der Auswahlbefugnis und damit auch die Zuwendung mangels eines bestimmten Empfängers, unwirksam27, ohne dass es eine Rolle spielt, ob der Erblasser den Dritten als
__________ 25 S. dazu näher Lange/Kuchinke (Fn. 6), § 27 I 4; Heldrich in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 2065 BGB Rz. 26 ff.; Otte in Staudinger (Fn. 8), § 2065 BGB Rz. 30 ff. 26 Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 255. 27 S. dazu näher Otte in Staudinger (Fn. 8), § 2065 BGB Rz. 44 ff.
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angeblichen Schiedsrichter eingesetzt hat. Bis zu diesem Punkt hat der Problemkreis demnach nichts mit einer letztwilligen Schiedsklausel zu tun. Eine solche kann jedoch im Zusammenhang mit § 2065 Abs. 2 BGB auf einer späteren Stufe zum Zuge kommen. Obwohl der Dritte die Auswahl nicht nach billigem Ermessen zu treffen hat und ihm eine solche Möglichkeit auch nicht vom Erblasser eingeräumt werden kann28, ist die Auswahlentscheidung in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 1 BGB bei grober Unbilligkeit unwirksam29, was durch Klage geltend gemacht werden kann und zu einer Bestimmung des Bedachten durch das Gericht führt (§ 319 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese Entscheidung kann im Unterschied zu der angegriffenen Auswahl des Bedachten durch den Dritten sehr wohl durch ein Schiedsgericht getroffen werden. Dabei scheidet der Dritte, der die Bestimmung getroffen hat, selbstverständlich als Schiedsrichter aus. Ergibt die Auslegung der letztwilligen Schiedsklausel nichts Gegenteiliges, erfasst diese ohne weiteres auch ein derartiges „Drittbestimmungsüberprüfungsverfahren“. Dieses muss in der letztwilligen Verfügung also nicht ausdrücklich in die Schiedsklausel einbezogen werden.
IV. Ausblick Unsere Überlegungen zum Problemkreis letztwilliger Schiedsgerichte haben gezeigt, dass die in der Praxis insoweit offenbar vorhandene Zurückhaltung nicht berechtigt ist. Die allgemeinen Vorteile eines Schiedsgerichts gelten auch für ein Schiedsgericht, das auf einer letztwilligen Verfügung beruht, ohne dass dem gravierende Nachteile gegenüberstehen. Insbesondere begibt sich ein Erblasser mit einer letztwilligen Schiedsklausel nicht in ein rechtlich besonders problembeladenes Gelände, in dem die Ergebnisse nur schwer vorhersehbar sind. Fast alle im Schrifttum behandelten einschlägigen Probleme lassen sich – soweit es sich nicht sogar um Scheinprobleme handelt – eindeutig lösen. So sind die vorstehenden Ausführungen denn auch ein wenig als Werbung für eine stärkere Verbreitung letztwilliger Schiedsklauseln zu verstehen.
__________ 28 Otte in FS Rheinisches Notariat (Fn. 1), S. 256. 29 Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 2065 BGB Rz. 31; Otte in Staudinger (Fn. 8), § 2065 BGB Rz. 38.
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Beweislastrechtliche Schwäche durch Formzwang: Die Schenkung als causa minor Inhaltsübersicht I. Problemlage und bisherige Rechtsprechung 1. Zwei Grundkonstellationen: Zuwendungs- und Eingriffs-Fälle 2. Differenzierung der Rechtsprechung zwischen beiden Grundkonstellationen a) Beweislast grundsätzlich beim Rückforderungsgläubiger b) Abweichungen von der Grundlinie in Eingriffs-Fällen II. Aktuelle Entscheidung des X. Senates 1. Erneut Abweichung von der Grundlinie in einem Eingriffs-Fall 2. Prinzipieller Rechtsprechungswechsel fraglich a) Differenzierung zwischen beiden Grundkonstellationen b) Weggabe des Vermögensgegenstandes in den Eingriffs-Fällen keine Rechtfertigung für die Beweislastverteilung c) Differenzierung zwischen beiden Grundkonstellationen nicht tragfähig begründet
III. Beweislast für Form und Vollzug der Schenkung generell beim Bereicherungsschuldner 1. Normentheorie: Materielles Recht für die Beweislastverteilung maßgeblich 2. Missachtung der gesetzlichen Form im Rückforderungsprozess rechtshindernd a) Beweislast für die Form grundsätzlich unumstritten b) Übertragung auf den Rückforderungsprozess 3. Heilung des Formmangels durch Vollzug im Rückforderungsprozess rechtshindernd a) Vollzug tritt an die Stelle der Form b) Hohe Anforderungen an den Nachweis des Vollzuges 4. Handschenkung im Rückforderungsprozess rechtshindernd 5. Eigenständige beweislastrechtliche Anknüpfung von Form und Vollzug verhindert prinzipielle Vermutung des Schenkungswillens IV. Ergebnisse
I. Problemlage und bisherige Rechtsprechung Verlangt der Kläger Rückgabe eines Vermögensgegenstandes oder Wertersatz und verteidigt sich der Beklagte mit der Behauptung, ihm sei der Gegenstand vom Kläger oder dessen Rechtsvorgänger geschenkt worden, so war und ist umstritten, wen die Beweislast trifft für die angebliche Schenkung als Behaltensgrund.
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1. Zwei Grundkonstellationen: Zuwendungs- und Eingriffs-Fälle Typischerweise geht es in der Praxis um Fälle, in denen zweierlei feststeht, nämlich erstens: Der Anspruchsgegner hat etwas aus dem Vermögen des Anspruchstellers erlangt und zweitens: Es fehlt an einem notariell beurkundeten Schenkungsversprechen gemäß § 518 Abs. 1 BGB. Eine Schenkung als causa kann deshalb nur durch Vollzug eines zunächst formunwirksamen Versprechens nach § 518 Abs. 2 BGB oder als sofort vollzogene Handschenkung nach § 516 BGB wirksam zustande gekommen sein. Dabei sind zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden: Einmal der Fall, dass der Rückforderungsgläubiger oder dessen Rechtsvorgänger dem angeblich Beschenkten unstreitig etwas bewusst und zweckgerichtet zugewendet hat und folglich eine Leistungskondiktion in Frage steht. Diese Fälle sollen im Folgenden Zuwendungs-Fälle genannt werden: Der Rückforderungsgläubiger hat dem Rückforderungsschuldner Sachen oder eine bestimmte Geldsumme überlassen, wobei dieser später eine Schenkung behauptet, jener aber ein Darlehen, eine Leihe, eine Gefälligkeit, eine Verwahrung o. Ä.1. Zum andern gibt es Fälle, in denen offen ist, ob der Rückforderungsschuldner den empfangenen Gegenstand überhaupt mit Einverständnis des Rückforderungsgläubigers erhalten hat oder er ihn sich nicht vielmehr eigenmächtig selbst verschafft hat2. Da es in solchen – hier EingriffsFälle genannten – Konstellationen ggf. an einer Vermögensmehrung durch den Rückforderungsgläubiger und mithin an einer Leistung im bereicherungsrecht-
__________ 1 Vgl. RG, JW 1906, 462 Nr. 18; RG, WarnR 1912, 375 Nr. 336; BGH, WM 1976, 974; OLG Hamm, NJW 1978, 224; OLG Saarbrücken, OLG Report 2003, 135: jeweils Überlassung einer Geldsumme als Darlehen oder Schenkung; BGH, WM 1962, 372: treuhänderische oder schenkweise Übertragung von Aktien; BGH, FamRZ 1970, 586: leihoder schenkweise Überlassung eines Flügels; BGH, NJW 1984, 721: nach Auskehr des Veräußerungserlöses durch den Geschäftsführer an die Geschäftsherrin Rückgabe des Geldes an den Geschäftsführer, der Schenkung behauptet; BGH, NJW 1994, 931: Onkel lässt dem neu eröffneten Sparkonto der Nichte Guthaben gutschreiben, behält sich aber den Besitz am Sparbuch bis zu seinem Tod vor; OLG Schleswig, MDR 1982, 318: Überlassung einer Geldsumme, wobei unstreitig zunächst offen geblieben ist, ob schenkweise; AG Adelsheim, MDR 1969, 307 Nr. 33: unstreitige Lieferung, deren Rechtsgrund (Kauf oder Schenkung) fraglich ist; die vielfach ebenfalls im Kontext der verteidigungsweise eingewendeten Schenkung zitierte Entscheidung RG, WarnR 1917, 81, Nr. 58, behandelt den Streit, ob ein Darlehen oder eine Mitgift (nicht: Schenkung) vorliegt. 2 Vgl. RG, JW 1913, 30 Nr. 18 u. BGH, NJW 1986, 2107: Abhebung vom Sparkonto des Rückforderungsgläubigers bzw. Erblassers unter Einsatz eines Sparbuches; BGH, WM 1972, 701 u. OLG Koblenz, ZErb 2003, 381: Rückforderung von Sparbüchern, die auf den Erblasser lauten, wobei der Besitzer Schenkung einwendet; BGH, ZEV 2003, 207: Auf telefonische Anweisung der Prokuristin im Gewerbebetrieb des Erblassers erfolgen Banküberweisungen an dessen Ehefrau, wobei unklar ist, ob auf deren eigene Veranlassung hin oder auf die des Erblassers/Ehemanns; OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 1606: Haushälterin behauptet Schenkung eines Pkw, den sie ursprünglich als Besitzdienerin des Erblassers in ihrer tatsächlichen Gewalt hatte; OLG Bamberg, ZEV 2004, 207 (mit Anm. Damrau): Abhebung von Sparkonten mittels Kontovollmacht. Elemente beider Fallgruppen weist der BGH, NJW 1999, 2887 zugrunde liegende Fall auf: Der Vater überweist dem Sohn mehrmals Geldbeträge, außerdem hebt der Sohn mittels Kontovollmacht selbst Beträge ab.
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lichen Sinne fehlt, greift möglicherweise eine Eingriffsleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB durch. Häufig geht es bei dieser Fallgruppe um Gegenstände aus dem Vermögen eines engen Angehörigen, der durch Alter, Krankheit oder sonstige Gründe an der eigenen Vermögensverwaltung gehindert ist3: Der Vermögensgegenstand stammt unstreitig aus dem Vermögen des – nicht selten mittlerweile verstorbenen – Angehörigen, der Empfänger macht jedoch geltend, dieser sei ihm vom Angehörigen/Erblasser schenkweise überlassen worden bzw. er habe ihn sich mit dessen Billigung – namentlich unter Einsatz einer Kontovollmacht oder eines Sparbuches – zum Zwecke der Schenkung verschafft. 2. Differenzierung der Rechtsprechung zwischen beiden Grundkonstellationen a) Beweislast grundsätzlich beim Rückforderungsgläubiger Die höchstrichterliche Rechtsprechung behandelt die Verteidigung mit dem Einwand angeblicher Schenkung bislang parallel zum entgeltlichen Vertrag als möglicher causa. Gemäß der herrschenden Normentheorie hat jede Partei grundsätzlich die Voraussetzungen derjenigen Normen zu beweisen, deren Rechtsfolgen ihr günstig sind4. Da die Rechtsgrundlosigkeit anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal des Kondiktionsanspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, belastet die h. A.5 prinzipiell den Rückforderungsgläubiger mit den Folgen der Nichterweislichkeit der Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbes. Dem Rückforderungsschuldner wird hingegen lediglich eine sog. „sekundäre Darlegungslast“ auferlegt, nach der er gehalten ist, die Umstände darzulegen, aus denen er einen Behaltensgrund ableitet6. Auf diese Weise soll dem Rückforderungsgläubiger erspart bleiben, jeden denkbaren Rechtsgrund auszuräumen. Er soll sich vielmehr darauf beschränken dürfen, den vom Gegner vorgebrachten Rechtsgrund zu widerlegen. Auch bei Verteidigung mit angeblicher Schenkung folgt die Rechtsprechung im Rückforderungsprozess in Über-
__________ 3 Vgl. nur BGH, NJW 1999, 2887 u. OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 1606: Krankenhausaufenthalt des Erblassers/Kontoinhabers bzw. Eigentümers; BGH, ZEV 2003, 207: Erblasser hat im Zeitpunkt der Banküberweisungen bereits „körperlich abgebaut“ und ist pflegebedürftig; OLG Bamberg, ZEV 2004, 207: Erblasser/Kontoinhaber liegt während der Zeit, in welche die Abhebungen fallen, gar im Koma; BGH, WM 1972, 701: Rückforderungsschuldner erlangt den Besitz an den Sparbüchern anlässlich eines Besuches des Erblassers im Altersheim. 4 Grundlegend Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl. 1965, passim; vgl. ferner Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, 1966, passim; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozess, 1975, passim; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, passim; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 132 ff. 5 Vgl. die Nachw. bei Strieder in Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 1991, § 812 BGB Rz. 2 ff.; Sprau in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 812 BGB Rz. 103 f. 6 Vgl. insbesondere BGH, NJW 1999, 2887, 2888.
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einstimmung mit der überwiegenden Literatur7 bislang grundsätzlich dieser Beweislastverteilung8. Dies stieß allerdings durchaus auf Kritik. So hat vor allem Wacke9 ausführlich dargetan, dass die Schwäche der Schenkung als unentgeltliches Geschäft in Übereinstimmung mit dem überwiegenden rechtshistorischen wie auch rechtsvergleichenden Befund einer Vermutung des Schenkungswillens entgegensteht. Die Kommentarliteratur hat sich diese Kritik indes kaum zueigen gemacht10. b) Abweichungen von der Grundlinie in Eingriffs-Fällen Bemerkenswert ist allerdings, dass die Rechtsprechung in Konstellationen der zweiten Fallgruppe, in denen sich der Rückforderungsschuldner den Vermögensgegenstand möglicherweise eigenmächtig verschafft hat, so dass ggf. eine Eingriffskondiktion in Betracht kommt (Eingriffs-Fälle), schon bislang mitunter abweichend von ihrer Grundlinie entschied und den angeblich Beschenkten, also den Rückforderungsschuldner, mit dem Beweis der Schenkung
__________ 7 Baumgärtel in Baumgärtel (Fn. 5), § 516 BGB Rz. 3 f.; Kollhosser in MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 516 BGB Rz. 49c; Wimmer-Leonhardt in Staudinger, BGB, Neubearb. 2005, § 518 BGB Rz. 52 f.; Mühl/Teichmann in Soergel, 12. Aufl. 1998, § 516 BGB Rz. 4; Gehrlein in Bamberger/Roth, BGB, 2006, § 516 BGB Rz. 18; Mansel in Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 516 BGB Rz. 22; vgl. ferner Weidenkaff in Palandt (Fn. 5), der zwar, vgl. § 516 BGB Rz. 19 f., dem Rückforderungsgläubiger den Beweis für die Schenkung auferlegen möchte, jedoch den Rückforderungsschuldner mit dem Beweis des Vollzuges der Schenkung belastet, vgl. § 518 BGB Rz. 1b; unklar E. Herrmann in Erman, 11. Aufl. 2004, § 516 BGB Rz. 14, wonach der Kläger die Nichtschenkung, der Beklagte die Schenkung zu beweisen habe; für Beweislast des Rückforderungsgläubigers auch bereits Rosenberg (Fn. 4), S. 103 f., 281; ders., AcP 94 (1903), 78, der allerdings nur einen vertraglichen, keinen gesetzlichen Rückforderungsanspruch in Blick nimmt (Rückforderung aus Darlehensvertrag). 8 So RG, JW 1906, 462 Nr. 18; RG, WarnR 1912, 375 Nr. 336; BGH, WM 1962, 372; BGH, FamRZ 1970, 586; BGH, WM 1976, 974; OLG Saarbrücken, OLG Report 2003, 135, wobei die Rechtsprechung in diesen Fällen nur einen vertraglichen Rückforderungsanspruch prüfte (bzw. Herausgabe aus § 985 BGB), nicht aber einen Kondiktionsanspruch, obwohl dieser insofern an geringere Voraussetzungen geknüpft ist als ein Vertragsanspruch, als er gerade nicht voraussetzt, dass der Rückforderungsgläubiger den aus seiner Sicht gegebenen vertraglichen Überlassensgrund beweist; zu Recht kritisch deshalb Wacke, AcP 191 (1991), 1, 15 ff. Ähnlich übergangen wird die bereicherungsrechtliche Rückforderung vielfach auch in der älteren Literatur, vgl. nur Rosenberg (Fn. 4), S. 103 f., 281; ders., AcP 94 (1903), 78 u. bereits Fn. 7; für Beweislast des Rückforderungsgläubigers hinsichtlich der Rückforderung aus § 812 BGB aber BGH, NJW 1994, 931; BGH, NJW 1999, 2887, 2888; BGH, ZEV 2003, 207; OLG Hamm, NJW 1978, 224; OLG Schleswig, MDR 1982, 317, 318. 9 Vgl. AcP 191 (1991), 1 ff.; ders., ZZP 114 (2001), 77 ff.; kritisch ferner Schiemann, JZ 2000, 570 ff.; Böhr, NJW 2001, 2059 ff. 10 Explizit ablehnend Baumgärtel in Baumgärtel (Fn. 5), § 516 BGB Rz. 4; Sefrin in jurisPK-BGB, 3. Aufl. 2006, § 518 BGB Rz. 39; Wimmer-Leonhardt in Staudinger (Fn. 7), § 518 BGB Rz. 53; vgl. ferner die Nachw. in Fn. 7.
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belastete11. Dabei fehlte es bislang an klärenden Stellungnahmen, wie sich diese Erkenntnisse zur Grundlinie verhalten sollten.
II. Aktuelle Entscheidung des X. Senates 1. Erneut Abweichung von der Grundlinie in einem Eingriffs-Fall In einer aktuellen Entscheidung hatte der X. Senat jüngst wiederum über einen Eingriffs-Fall zu entscheiden12. Die in Südafrika lebende Mutter (Rückforderungsgläubigerin) hatte ihrer Tochter (Rückforderungsschuldnerin) Kontovollmachten für ihre Depot- und Sparkonten in Deutschland erteilt. Die Tochter veräußerte unter Einsatz der Kontovollmachten die im Depot der Mutter verwahrten Wertpapiere und hob nach Gutschrift des Veräußerungserlöses die Guthaben der mütterlichen Sparkonten vollständig ab. Die Tochter behauptet, die Bankguthaben stammten aus Geldbeträgen, welche die Mutter bei ihren Reisen nach Deutschland mitgebracht und in ihrem Beisein auf ein nur pro forma für die Mutter eingerichtetes Konto eingezahlt habe. Tatsächlich habe die Mutter ihr das Geld schenken wollen, da eine andere Tochter schon reichlich Zuwendungen erhalten habe. Die Tochter unterlag im Rückforderungsprozess in allen drei Instanzen. Der BGH ging mangels entsprechenden Vortrags davon aus, dass die Tochter nicht bereits eine Gläubigerstellung der Bank gegenüber erlangt habe, sondern die Kontenguthaben zunächst der Mutter zustanden. Da unstreitig kein formwirksamer Schenkungsvertrag nach § 518 Abs. 1 BGB abgeschlossen worden war, kam es darauf an, wer das formlose Schenkungsversprechen und dessen Vollzug mit Heilungswirkung nach § 518 Abs. 2 BGB zu beweisen hatte. Der BGH hält die Tochter als Rückforderungsschuldnerin für beweisbelastet. Die Heilung des Formmangels nach § 518 Abs. 2 BGB hindere den Eintritt der nach § 125 Satz 1 BGB an sich gesetzlich vorgesehenen Nichtigkeitsfolge. Weiter sieht der BGH in der Abhebung noch nicht ohne Weiteres einen Vollzug der Schenkung. Denn die bloße Bankvollmacht betreffe nur das Verhältnis zu den Banken und besage nichts darüber, welche Rechtshandlungen der Bevollmächtigte im Verhältnis zum Vollmachtgeber vornehmen dürfe. Es sei deshalb eine Zuordnung der an sich neutralen, aber in eine Rechtsposition der Klägerin eingreifenden Abhebung zu einem Handeln der Mutter erforderlich, das den Schluss zulasse, die Abhebung vollziehe mit Wissen und Wollen der Mutter eine schenkweise versprochene Zuwendung. Eine solche Zuordnung sei regelmäßig nicht ohne Nachweis des Schenkungsversprechens möglich.
__________
11 Vgl. RG, JW 1913, 30 Nr. 18 u. BGH, NJW 1986, 2107 (IVa-Senat): Abhebung vom Sparbuch durch den angeblich Beschenkten, der mit dem Beweis der Schenkung belastet wird; ähnl. OLG Bamberg, ZEV 2004, 207: bei Abhebung von einem fremden Konto mittels Kontovollmacht muss der Abhebende den Rechtsgrund beweisen; abweichend von der Grundlinie und ohne dies zu erläutern geht BGH, NJW 1984, 721 (IVa-Senat) in einem Zuwendungsfall (s. bereits Fn. 1) offenbar ebenfalls von der Beweislast des angeblich Beschenkten aus; ebenso AG Adelsheim, MDR 1969, 307 Nr. 33. 12 BGH, Urt. v. 14.11.2006 – X ZR 34/05, ZIP 2007, 337.
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2. Prinzipieller Rechtsprechungswechsel fraglich Anders als in der Vergangenheit unternimmt der BGH aktuell den Versuch, das Urteil in die bisherige Rechtsprechung einzuordnen. a) Differenzierung zwischen beiden Grundkonstellationen Der BGH grenzt den aktuellen Streitfall von einem Sachverhalt ab, über den derselbe Senat im Jahre 1999 zu entscheiden hatte13: Der Vater hatte während eines Klinikaufenthaltes seinem Sohn, der sich um ihn kümmerte, den er jedoch zuvor zugunsten des Enkels enterbt hatte, drei Mal Geldbeträge überwiesen und ihm überdies Kontovollmacht erteilt, die der Sohn für Barabhebungen nutzte. Der Sohn behauptet, ihm seien sämtliche Beträge von seinem mittlerweile verstorbenen Vater geschenkt worden. Nach Ansicht des BGH unterscheidet sich der frühere Sachverhalt insoweit von dem aktuellen Fall, als damals der Kontoinhaber selbst dem angeblich Beschenkten Geldbeträge hatte zugute kommen lassen. Der BGH sieht also offenbar darin, dass es sich damals unstreitig nicht um einen (reinen) Eingriffs-Fall handelte, den entscheidenden Gesichtspunkt für die abweichende Beweislastverteilung. Dies ist angesichts der schon bislang praktizierten Differenzierung zwischen beiden Fallgruppen durchaus nachvollziehbar und legt den Schluss nahe, das aktuelle Urteil zementiere lediglich die unterschiedliche Behandlung der Fälle einer Leistung des angeblichen Schenkers einerseits und Fälle eines möglichen Eingriffs andererseits. b) Weggabe des Vermögensgegenstandes in den Eingriffs-Fällen keine Rechtfertigung für die Beweislastverteilung Richtig ist, dass es in den Eingriffs-Fällen (noch) weniger akzeptabel erscheint als in den Zuwendungs-Fällen, dem Rückforderungsgläubiger die Beweislast für die mangelnde Schenkung aufzuerlegen. Denn da hier gerade zweifelhaft ist, ob der angebliche Schenker dem angeblich Beschenkten den Vermögensgegenstand überhaupt zugewendet hat, versagt die für die Beweisbelastung des Rückforderungsgläubigers häufig angeführte materielle Rechtfertigung: Die Überlegung, dass derjenige, der einen Gegenstand aus der Hand gebe, beweismäßig sicherstellen müsse, dass es sich nicht um eine Schenkung handle14, verfängt ersichtlich nicht15. Hinzu kommt, dass die Zugehörigkeit des erlang-
__________ 13 BGH, NJW 1999, 2887, vgl. auch bereits Fn. 2, 3, 6 u. 8. 14 So dezidiert Baumgärtel in Baumgärtel (Fn. 5), § 516 BGB Rz. 3; in diesem Sinne auch Hadding, JuS 1972, 183, 185. 15 Zutreffend bereits Wacke, AcP 191 (1991), 23 f.; vgl. auch BGH, NJW 1999, 1393, 1394, wo der BGH in einer Drei-Personen-Bereicherungskonstellation hinsichtlich der Vermögensverschaffung unter Einsatz einer Vollmacht zutreffend klarstellt: „Im Hinblick auf die Pflichten, in die der Bevollmächtigte im Innenverhältnis zum Vollmachtgeber eingebunden ist, kann regelmäßig auch keine Rede davon sein, dass der Vollmachtgeber allein schon durch die Erteilung einer solchen Vollmacht den betreffenden Vermögensgegenstand ‚aus der Hand gegeben’ hat.“ Von geringerem Gewicht
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ten Gegenstandes zum Vermögen des Bereicherungsschuldners selbst dann, wenn diesem keine Vollmacht zur Seite steht, aufgrund der Eigentumsvermutung des § 1006 BGB häufig dennoch zu vermuten ist16, so dass ein Anspruch aus § 985 BGB scheitert und das Bereicherungsrecht als einziger Weg für eine Rückforderung in Betracht kommt. Behauptet etwa der Rückforderungsschuldner, ihm sei die wertvolle Uhr vom Erblasser übereignet worden, während die Erben geltend machen, diese sei aus dem Nachlass entwendet worden, so kommt dem angeblich Beschenkten gleichwohl die Vermutung des Eigenbesitzes und damit des Eigentumserwerbes nach § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB zugute, wenn nur die Erben mit dem von ihnen zu führenden Beweis des Abhandenkommens (§§ 1006 Abs. 1 Satz 2, 857 BGB) beweisfällig bleiben17, was typischerweise der Fall sein wird. Zugespitzt formuliert hängt es also von der Beweislastverteilung für die behauptete Schenkung ab, ob man bewegliche Habe18 aus dem Vermögen eines alten, kranken oder verstorbenen Angehöri-
__________ ist das Argument der Weggabe auch in Fällen, in denen lediglich die Besitzverschaffung durch den angeblichen Schenker feststeht, die Eigentumsposition des Empfängers sich hingegen allein auf die Vermutung des § 1006 BGB stützt; denn derjenige, der sich nur des Besitzes begibt, hat weniger Anlass sich beweismäßig gegen eine Schenkung zu verwahren als derjenige, der auch das Eigentum überträgt, vgl. etwa BGH, FamRZ 1970, 586 (dazu bereits Fn. 1): Hier war anders als in den Fällen der unstreitigen Übereignung von Geld bereits unklar, ob der Vater sich des Eigentums oder nur des Besitzes begeben hatte. Ebenso in dem in der redaktionellen Anmerkung von Bosch zu der Entscheidung berichteten Fall, (vgl. FamRZ 1970, 587), dass jemand in den Kriegswirren der Nachbarin das Radio übergibt und später streitig ist, ob dies zur Verwahrung oder schenkweise geschah. 16 Vgl. aber OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 1606, 1607: Die Haushälterin behauptet, der Pkw, mit dem sie den Erblasser zum Krankenhaus gebracht hat und später zu Besuchen dorthin gefahren ist, sei ihr vom Erblasser geschenkt worden; das OLG verneint den Nachweis einer Inbesitznahme zu Lebzeiten des Erblassers, da die Haushälterin nicht erkennbar aus ihrer ihr vorgegebenen Rolle als Besitzdienerin herausgetreten war, insbesondere den Wagen nicht hatte auf sich ummelden lassen. Die Inbesitznahme nach dem Tode des Erblassers konnte wegen §§ 1006 Abs. 1 Satz 2, 957 BGB keine Eigentumsvermutung zugunsten der Haushälterin mehr auslösen. 17 Vgl. zur herrschenden Ansicht, die im unfreiwilligen Besitzverlust eine vom früheren Besitzer zu beweisende Einwendung sieht, die Nachw. bei Gursky in Staudinger, Neubearb. 2006, § 1006 BGB Rz. 15 und für die Verteidigung mit einer Schenkung Rz. 47, dort auch gegen die a. A. Wackes, AcP 191 (1991), 1, 15 ff.; dagegen ferner Medicus in MünchKomm.BGB (Fn. 7), § 1006 BGB Rz. 23 u. 9, der in solchen Fällen Beweiserleichterungen für die Widerlegung der Vermutung gewähren möchte. 18 Von großer praktischer Bedeutung ist es vor diesem Hintergrund, dass allgemein eine Erstreckung der Vermutung aus § 1006 BGB auf Sparbücher zutreffend abgelehnt wird, vgl. BGH, WM 1972, 701; BGH, NJW 1972, 2268, 2269; OLG Koblenz, ZErb 2003, 381, da hier das Recht am Papier nicht nach §§ 929 ff. BGB übertragen, sondern gem. § 952 BGB dem Recht aus dem Papier folgt, w. Nachw. bei Gursky in Staudinger (Fn. 17), § 1006 BGB Rz. 2. Derjenige, der Sparbücher in Besitz hat, die unstreitig früher einem Dritten gehörten, muss folglich gegenüber der Herausgabeklage aus § 985 BGB beweisen, dass ihm die Guthabenforderung abgetreten wurde und er infolge dessen das Eigentum am Buch erlangt hat. Nach Abhebung der Guthaben werden die Erfolgsaussichten einer Klage auf Rückzahlung der abgehobenen Beträge freilich auch hier maßgeblich durch die bereicherungsrechtliche Beweislastverteilung bestimmt, vgl. auch bereits Fn. 2.
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gen „mitgehen lassen“ und später offen präsentieren kann mit der Behauptung, sie sei einem doch geschenkt worden19. c) Differenzierung zwischen beiden Grundkonstellationen nicht tragfähig begründet Sieht auch der X. Senat in der mangelnden Zuwendung durch den Rückforderungsgläubiger den entscheidenden Unterschied zu seiner 1999er Entscheidung, so ist doch gleichwohl fraglich, ob die in dem aktuellen Urteil favorisierte Beweislastverteilung auf die Eingriffs-Fälle beschränkt bleiben soll. Immerhin rückt der Senat im Anschluss an den Abgrenzungsversuch zur Entscheidung von 1999 mit der Formulierung „soweit sich ansonsten aus der bisherigen Rechtsprechung des Senats Gegenteiliges ergeben sollte, wird hieran nicht festgehalten“ – in welchem Umfang auch immer – ausdrücklich ab von seinen bisherigen Erkenntnissen. Vor allem aber ließe sich eine Beschränkung der aktuell praktizierten Beweislastverteilung auf die Eingriffs-Fälle schwerlich damit in Einklang bringen, dass der BGH die Beweisbelastung der Tochter maßgeblich mit dem die Nichtigkeitsfolge hindernden Charakter der Heilung des Formmangels begründet. Denn auch in dem 1999 entschiedenen Fall ging es um den Vollzug eines formlosen Schenkungsversprechens. Gleichwohl war der BGH damals – getreu seiner Grundlinie – von einer Beweislast des Rückforderungsgläubigers für den (mangelnden) Schenkungsvollzug ausgegangen20. Auf der Grundlage des aktuellen Urteils hätte hingegen damals der Sohn als angeblich Beschenkter die Heilung des Formmangels durch Vollzug der Schenkung beweisen müssen. Der Versuch, die aktuelle Entscheidung von dem früheren Urteil des Senates abzugrenzen, vermag deshalb nicht zu überzeugen. Denkt man die aktuelle Entscheidung konsequent weiter, so müsste die Rechtsprechung künftig in Widerspruch zur bisherigen Grundlinie nicht nur in den Eingriffs-Fällen, sondern in beiden Fallgruppen, also auch bei unstreitiger
__________ 19 Vor den Folgen einer Beweisbelastung des Rückforderungsgläubigers warnte bereits Beckh, Die Beweislast nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, München 1899, S. 200 f.: „Sonst könnte seitens doloser Schuldner mit dem Schenkungseinwand der ärgste Missbrauch getrieben werden.“ Vgl. ferner Wacke, ZZP 114 (2001), 77, 94. 20 So sprechen die Urteilsgründe von 1999 mit keinem Wort eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Heilung aus, sondern lassen im Gegenteil erkennen, dass die Beweislast des Rückforderungsschuldners sich auch auf diese Frage erstrecken soll. Es heißt darin: „In einer Gesamtabwägung wird dann zu entscheiden sein, ob die Behauptung des Kl.“ – des Rückforderungsschuldners – „widerlegt ist, die Überweisungen seien infolge einer Schenkung des P erfolgt. […] Soweit P selbst Beträge an den Kl. überwiesen hat, ist der Mangel der Form durch Bewirkung der versprochenen Leistung geheilt (§ 518 Abs. 2 BGB). Aber auch soweit der Kl. Beträge von Konten des Erblassers abgehoben hat, kommt die Heilung des Mangels der Form ohne weiteres in Betracht; denn insoweit ist geltend gemacht, die Abhebungen seien mit Wissen und Wollen des P geschehen, weil er versprochen habe, dieses Geld dem Kl. zu schenken“, vgl. NJW, 1999, 2887, 2888 f. (Hervorhebungen nur hier). – Die bloße Geltendmachung eines Vollzuges der Schenkung sollte also bis zur Widerlegung dieser Behauptung die Verneinung des Rückforderungsanspruches rechtfertigen.
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Leistung dem Rückforderungsschuldner den Beweis des Schenkungsvollzuges auferlegen.
III. Beweislast für Form und Vollzug der Schenkung generell beim Bereicherungsschuldner Entgegen der in der aktuellen Entscheidung angedeuteten, aber eben nicht tragfähig begründeten Differenzierung zwischen den Zuwendungs-Konstellationen und den Eingriffs-Fällen ist generell der angeblich Beschenkte mit dem Beweis für ein formwirksames Schenkungsversprechen zu belasten. Entsprechendes gilt für den Vollzug der Schenkung. Die in der Vergangenheit vor allem von Wacke21 gegenüber der Rechtsprechung geübte Kritik ist berechtigt. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass eine Beweisbelastung des Rückforderungsschuldners durchaus in Einklang steht mit der herrschenden Normentheorie. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass gerade Rosenberg22 zu denjenigen gehörte, die dem Bereicherungsgläubiger die Widerlegung der Schenkung abverlangen wollte. 1. Normentheorie: Materielles Recht für die Beweislastverteilung maßgeblich Geht man von der herrschenden Normentheorie aus, so ist es richtig, im Ausgangspunkt die Beweislast für die Rechtsgrundlosigkeit einer Vermögensverschiebung dem Rückforderungsgläubiger aufzuerlegen. Es handelt sich dabei um ein anspruchsbegründendes Merkmal, das folglich der Anspruchsteller zu beweisen hat. Allerdings ist bereits an dieser Stelle dem Missverständnis zu begegnen, die Normentheorie gebe mit ihrer Unterscheidung in rechtsbegründende, rechtshindernde, rechtsvernichtende und rechtshemmende Tatbestandsmerkmale „rigide Beweislastprinzipien23“ vor, die „schulgerecht24“, also gleichsam mechanisch und blind für materielle Wertungen durchzudeklinieren seien, ungeachtet der materiellen Richtigkeit der erzielten Ergebnisse. Wenn die herrschende Normentheorie die Beweislast grundsätzlich den gesetzlichen Anspruchsnormen entnimmt, so ist damit zunächst einmal die Gesetzestechnik angesprochen: Satzbau und Formulierung der einzelnen Tatbestände machen separate Beweislastvorschriften weitgehend entbehrlich. Dabei lässt
__________ 21 Vgl. die Nachw. in Fn. 9. 22 Vgl. die Nachw. in Fn. 7. 23 So die Formulierung von Wacke, AcP 191 (1991), 11, zuzugeben ist allerdings, dass manche Stellungnahme in der Kommentarliteratur den Eindruck erweckt, die Normentheorie erlaube als festes Prinzipiengefüge schlechthin keine Beweisbelastung des angeblich Beschenkten, vgl. etwa Sefrin in jurisPK-BGB (Fn. 10), § 518 BGB Rz. 40, wo es zur Kritik an der Grundlinie der Rechtsprechung heißt: „Das Anliegen, den Schenker zu schützen […] ist grundsätzlich berechtigt. Es ist jedoch bei der Auslegung und Beweiswürdigung des Einzelfalls entsprechend zu berücksichtigen und führt nicht dazu, die allgemeinen prozessualen Grundsätze der Darlegungs- und Beweislastverteilung im Rahmen der ungerechtfertigten Bereicherung umzukehren“; ähnl. Wimmer-Leonhardt in Staudinger (Fn. 7), § 518 BGB Rz. 53. 24 So ebenfalls Wacke, AcP 191 (1991), 11.
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die Unterscheidung in rechtsbegründende und rechtshindernde Merkmale dem Gesetzgeber bei jeder materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzung die Wahl, ob er die Beweislast der einen oder der anderen Seite zuweist, ohne dass sich materiellrechtlich ein Unterschied ergibt25. Viel zitiertes Paradebeispiel ist die Geschäftsfähigkeit. Obwohl die Geschäftsfähigkeit der Vertragspartner Voraussetzung eines wirksamen Vertragsschlusses ist, ergibt sich aus der Formulierung von § 104 BGB, dass nicht derjenige, der Rechte aus dem Vertrag herleitet, die Geschäftsfähigkeit beweisen muss, sondern vielmehr die Geschäftsunfähigkeit rechtshinderndes Merkmal ist. Folglich liegt in der Normentheorie als solcher kein Maßstab für die materiell gerechte Verteilung der Beweislast. Die materiellen Erwägungen, die eine Ausgestaltung der Beweislast nach der einen oder nach der anderen Seite hin gerecht erscheinen lassen, sind durch die Normentheorie nicht vorgegeben. Oder anders gewendet: Der Gesetzgeber hat gesetzestechnisch Wahlfreiheit bei der Ausgestaltung der Beweislast. Die Ausübung dieser Freiheit darf aber selbstverständlich nicht willkürlich erfolgen, sondern ist an materiellen Gerechtigkeitserwägungen zu orientieren. Für den Rechtsanwender folgt daraus parallel zum übrigen Inhalt der gesetzlichen Normen: Er muss den beweislastrechtlichen Gehalt durch Auslegung ermitteln, wo nötig gar im Wege der Rechtsfortbildung praeter legem entwickeln. Er darf also auch hinsichtlich des beweislastrechtlichen Gehaltes einer Norm nicht allein beim Wortlaut (Satzbau) stehen bleiben, sondern muss nach der Genese, dem systematischen Zusammenhang der Norm und vor allem dem Telos der jeweiligen Beweislastverteilung fragen26. 2. Missachtung der gesetzlichen Form im Rückforderungsprozess rechtshindernd a) Beweislast für die Form grundsätzlich unumstritten Dabei zeigt gerade die Verteilung der Beweislast für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form eines Rechtsgeschäftes, dass die Normentheorie keine formal-schematische Gesetzesanwendung erlaubt. Denn obwohl in § 125 BGB die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts als Rechtsfolge formuliert
__________ 25 Dafür, dass eine Anspruchsvoraussetzung grundsätzlich rechtsbegründendes Merkmal und mithin vom Anspruchsteller zu beweisen ist, sofern sie nicht ausnahmsweise durch Satzbau oder Formulierung als rechtshindernd ausgestaltet wurde, streiten freilich materielle Gerechtigkeitserwägungen, so vor allem das Angreiferprinzip, hinter dem sich ein Vorrang des Bewahrungs- vor dem Bewegungsinteresse verbirgt, vgl. nur Beckh (Fn. 19), S. 15 ff.; Leipold (Fn. 4), S. 48 f.; Prütting (Fn. 4), S. 242 f., 250 f.; kritisch Riehm (Fn. 4), S. 133, 135, der gegen das Angreiferprinzip geltend macht, es könne kein Kriterium zur Bestimmung desjenigen Punktes bereitstellen, ab dem die Beweislast „umschlägt“, ein Merkmal also als Einwendung des Beklagten zu behandeln ist und der selbst in der prinzipiellen Beweislast des Angreifers eine heuristische Entscheidungsregel verwirklicht sieht; kritisch auch bereits Rosenberg (Fn. 4), S. 96 f. 26 Darauf, dass der Gesetzeswortlaut nicht allein maßgeblich ist für die Beweislastverteilung, sondern ggf. aufgrund teleologischer Erwägungen zu derogieren ist, hat jüngst zu Recht Riehm (Fn. 4), S. 133, hingewiesen.
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wird, § 125 BGB also für denjenigen günstig ist, der die Unwirksamkeit des Vertrages geltend machen möchte, entspricht es zu Recht allgemeiner Ansicht, dass die Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Form grundsätzlich von demjenigen zu beweisen ist, der Rechte aus dem formpflichtigen Rechtsgeschäft ableitet27. Dies ergibt sich ungeachtet der Formulierung des § 125 BGB zunächst aus der Genese der Norm28. So enthielt der Erste Entwurf des BGB mit § 195 eine explizite Regelung, nach welcher derjenige, der aus einem Rechtsgeschäft Rechte geltend macht, die Beobachtung der dafür erforderlichen Form zu beweisen hat. Diese Bestimmung wurde zusammen mit den anderen Vorschriften zum Beweis gestrichen, ohne dass den Materialien eine Missbilligung der darin vorgesehenen Beweislastverteilung zu entnehmen ist29. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass bei der Streichung der Beweislastregeln schlicht verkannt wurde, dass die Formulierung des § 125 BGB den Schluss auf eine entgegengesetzte Beweislastverteilung zulässt. Die allgemein befürwortete Beweislastverteilung hinsichtlich der Einhaltung des gesetzlichen Formzwanges wird für die Schenkung gestützt durch die Fassung des § 518 Abs. 1 BGB. Danach ist die notarielle Beurkundung Gültigkeitsvoraussetzung des Schenkungsversprechens. Dass die Einhaltung der Form von demjenigen zu beweisen ist, der aus dem Vertrag Rechtsfolgen herleitet, ergibt auch die teleologische Auslegung von § 125 BGB und § 518 Abs. 1 BGB. So dient der Formzwang30 vielfach und auch im Falle der Schenkung vor allem dem Übereilungsschutz einer Seite (bei der Schenkung: des Schenkers, sog. Warnfunktion) sowie Beweiszwecken31. Würde man nun Verträge kraft Vermutung für formwirksam erachten, obwohl offen ist, ob der Übereilungsschutz der Form tatsächlich eingehalten wurde, so nähme man es gerade in Kauf, dass Verträge, die ohne gründliche Überlegung formfrei geschlossen wurden, durch-
__________ 27 So bereits Rosenberg (Fn. 4), S. 253; Leonhard, Die Beweislast, 2. Aufl. 1926, S. 281; vgl. ferner die Nachw. bei Laumen in Baumgärtel (Fn. 5), § 125 BGB Rz. 1. 28 Dazu Musielak (Fn. 4), S. 316 f. 29 Zur Streichung des § 195 E1 findet sich nur der Hinweis: „Dem Antrage wurde mit Rücksicht auf den Zusammenhang der Bestimmung mit dem § 194 Abs. 2 stattgegeben.“. Was die Streichung des § 194 E1 anbelangt, so schienen der Zweiten Kommission Zweifel, „ob die Rechtsprechung ohne diese Bestimmung zu dem gleichen Resultate kommen werde“ […] „unbegründet, da die Praxis regelmäßig zu derselben Vertheilung der Beweislast gelangen müsse und bisher auch da gelangt sei, wo es an einer gesetzlichen Regel gefehlt habe“, vgl. Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 1, 1897, S. 259 f. 30 Dass es den Formzwecken widersprechen würde, ein Rechtsgeschäft im Fall des fortbestehenden Zweifels über die Form als wirksam anzuerkennen, wird auch von Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1997, § 286 ZPO Rz. 65 betont. 31 Vorgebeugt werden soll durch den Formzwang bei der Schenkung namentlich Streitigkeiten über die angeblichen Schenkungsversprechen eines Verstorbenen; der Formzwang soll außerdem die Umgehung der Vorschriften über die Form der letztwilligen Verfügungen und der Schenkungen auf den Todesfall verhindern, vgl. die Protokolle der Ersten Kommission, S. 1794, zit. nach Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, SchuldR. II §§ 433–651, 1980, S. 354; s. ferner die Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. 2, 1896, S. 293.
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gesetzt würden, eben immer dann, wenn sich der Mangel der Form nicht beweisen lässt. Doch auch dem Sinn und Zweck, durch urkundlichen Beweis Streit über Bestand und Inhalt des Rechtsgeschäfts zu vermeiden, könnte der Formzwang nicht gerecht werden, wenn die Wahrung der Form vermutet würde. Denn bei einem non liquet hinsichtlich der Form müsste das Gericht doch andere Beweise erheben, um Abschluss und Inhalt des Vertrages zu klären32. Dass der Beweiszweck der Form auf diese Weise erheblich beeinträchtigt würde, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die mangelnde Vorlage einer Urkunde typischerweise mit Zweifeln über Abschluss und Inhalt des Vertrages zusammenfallen wird. Weiter spricht für die herrschende Beweislastverteilung die Beweisnähe. Die Wahrung der Form ist typischerweise leicht zu beweisen, existiert doch eine Urkunde über das Rechtsgeschäft33. Damit einher geht eine heuristische Erwägung34: Vermag derjenige, der sich auf das formwirksame Geschäft beruft, keine Urkunde vorzulegen, so stellt dies ein deutliches Indiz dafür dar, dass die Form gerade nicht eingehalten wurde35. In besonderem Maße gelten diese beiden zuletzt genannten Überlegungen für die Form der notariellen Beurkundung, wie sie § 518 Abs. 1 BGB für das Schenkungsversprechen vorschreibt. Denn nach § 45 BeurkG36 bleibt die Urschrift oder jedenfalls eine Ausfertigung der Urkunde in dauerhafter Verwahrung des beurkundenden Notars, so dass sich die Einhaltung der Form selbst nach vielen Jahren und auch dann noch nachvollziehen lässt, wenn der Beschenkte nicht (mehr) über eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift verfügt. b) Übertragung auf den Rückforderungsprozess Fraglich ist nun allerdings, ob sich die herrschende Beweislastverteilung hinsichtlich der Form auf die Rückforderungssituation übertragen lässt. Denn hier macht ja nicht der angeblich Beschenkte Ansprüche aus dem formgebundenen Rechtsgeschäft geltend, sondern geht es um einen gesetzlichen Rückforderungsanspruch des angeblichen Schenkers oder dessen Rechtsnachfolger. Die Rollen von Anspruchsteller und Anspruchsgegner sind also vertauscht und dementsprechend ist die Beweisbelastung für den Bestand des Rechtsgeschäftes im bereicherungsrechtlichen Rückforderungsprozess prinzipiell gegenläufig ausgestaltet gegenüber der Situation einer Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Rechtsgeschäft37. Man könnte deshalb geneigt sein, im Rahmen des § 812 BGB auch die Beweislast für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form umzukehren. Weil der Rückforderungsgläubiger die Rechtsgrundlosigkeit zu beweisen hat, müsste er folglich auch die formgerechte Schenkung
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32 Wo die gesetzliche Form Beratungsfunktion erfüllt, würde es schließlich ebenfalls dem Formzweck widersprechen, ein Rechtsgeschäft, bei dem diese Beratung möglicherweise nicht erfolgte, für gültig zu erachten. 33 Musielak (Fn. 4), S. 371; Laumen in Baumgärtel (Fn. 5), § 125 BGB Rz. 1. 34 So zutreffend Riehm (Fn. 4), S. 134. 35 Ebenso Riehm (Fn. 4), S. 134; in diese Richtung auch Musielak (Fn. 4), S. 371. 36 Die Abgabe von Notariatsakten an die Staatsarchive ist gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 BNotO durch die Landesjustizverwaltungen geregelt. 37 Vgl. die Nachw. in Fn. 5.
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widerlegen. Die Normentheorie darf nun aber nicht dahin vergröbert werden, dass sich die Beweislast für eine bestimmte Anspruchsvoraussetzung zwangsläufig auf sämtliche denkbare Teilaspekte der Voraussetzung erstreckt. Dass dem nicht so ist, illustriert eindrücklich das bereits bemühte Beispiel der Geschäftsfähigkeit. Obwohl grundsätzlich derjenige, der einen Vertragsanspruch geltend machen möchte, das wirksame Zustandekommen des Vertrages als Anspruchsvoraussetzung beweisen muss, wird gleichwohl die Geschäftsfähigkeit als Teilaspekt des Vertragsschlusses gesondert angeknüpft. Die mangelnde Geschäftsfähigkeit ist als rechtshinderndes Merkmal ausgestaltet und die Beweislast folglich umgekehrt. Das gesetzliche Beweislastgefüge erschöpft sich also nicht darin, dass ein Tatbestandsmerkmal entweder rechtsbegründend oder rechtshindernd ist, sondern ergibt bei näherem Hinsehen ein je nach Komplexität der Anspruchsvoraussetzung mehr oder weniger fein verästeltes System an Gegen- und Gegen-Gegen- und Gegen-Gegen-Gegen-Normen usw.38. Die Frage, ob die Beweislast für die gesetzliche Form auch im Rückforderungsprozess gesondert anzuknüpfen ist, kann deshalb nicht einfach unter Verweis auf die prinzipielle Beweislast des Rückforderungsgläubigers für die Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs verneint werden. Oder anders gewendet: Nur weil der Rückforderungsgläubiger prinzipiell die fehlende causa zu beweisen hat, heißt dies noch nicht, dass er die Formwirksamkeit einer möglichen Schenkung widerlegen muss. Wen die Beweislast für die Einhaltung der Form trifft, ist vielmehr durch Auslegung des Gesetzes zu ermitteln. Dabei ist aus meiner Sicht entscheidend, dass sämtliche Sachgründe, die für die Beweisbelastung derjenigen Seite sprechen, die sich auf den formwirksamen Vertrag beruft, in der Rückforderungssituation genauso Gültigkeit haben: So verbieten es die Formzwecke auch in der Rückforderungssituation, den Vertrag bei einem non liquet hinsichtlich der Form für gültig zu erachten. Andernfalls würden Schenkungsverträge durchgesetzt, die möglicherweise ohne den Übereilungsschutz der Form zustande kamen und deren Abschluss und Inhalt gerade nicht durch eine Urkunde bewiesen werden kann. Auch ändert die Rückforderungssituation nichts an der Beweisnähe desjenigen, der sich auf den formwirksamen Vertrag beruft. Grundsätzlich müsste er über eine Urkunde verfügen. Kann er diese nicht vorlegen, so ist dies auch in der Rückforderungssituation ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Form nicht eingehalten wurde. Selbst wenn der Beschenkte den Vorgang bereits für abgeschlossen hielt und deshalb selbst über keine Ausfertigung oder Abschrift des Schenkungsverspre-
__________ 38 Dazu ein Beispiel: K behauptet den wirksamen Abschluss eines Kaufvertrages, wofür er im Grundsatz beweispflichtig ist. B entgegnet, er sei erst siebzehn Jahre alt gewesen bei Vertragsschluss, was er zu beweisen hat, vgl. nur Laumen in Baumgärtel (Fn. 5), § 106 BGB Rz. 1; K macht nun geltend, die Mutter als gesetzliche Vertreterin des B habe das Geschäft genehmigt, wofür ihn (K) die Beweislast trifft, vgl. Laumen in Baumgärtel (Fn. 5), § 108 BGB Rz. 1; dem entgegnet B, seine Mutter habe sich zum Zeitpunkt der Genehmigung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Drogenrausch befunden, was er zu beweisen hat, Laumen in Baumgärtel (Fn. 5), § 105 BGB Rz. 1. K erklärt daraufhin, B selbst habe nach Eintritt der Volljährigkeit das Geschäft genehmigt, was K beweisen muss, vgl. Laumen in Baumgärtel (Fn. 5), § 108 BGB Rz. 4.
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chens mehr verfügt, müsste sich die Urschrift doch noch in der Verwahrung des beurkundenden Notars befinden. Nicht anders als bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertrag sprechen also auch hier sowohl die Formzwecke als auch Beweisnähe und heuristische Überlegungen dafür, die Beweislast demjenigen aufzuerlegen, dem der formwirksame Vertrag günstig ist. Die teleologische Auslegung des § 125 BGB wie auch des § 518 Abs. 1 BGB führt also hier wie dort zu einer eigenständigen beweislastrechtlichen Anknüpfung der Form, die deren beweismäßigen Besonderheiten Rechnung trägt. 3. Heilung des Formmangels durch Vollzug im Rückforderungsprozess rechtshindernd a) Vollzug tritt an die Stelle der Form Nun behauptet allerdings der Rückforderungsschuldner im Rückforderungsprozess typischerweise keine formwirksame Schenkung, sondern den Vollzug eines formfrei abgegebenen Schenkungsversprechens oder eine Handschenkung39. Fraglich ist also, wer die Heilung des Formmangels beweisen muss. Einzuräumen ist zunächst, dass eine Beweisbelastung des angeblich Beschenkten insoweit nicht durch die Beweisnähe des Rückforderungsschuldners oder heuristische Erwägungen gefordert wird. Da der Schenkungsvollzug grundsätzlich nicht dokumentiert zu werden braucht, ist er nicht auf besonders einfache Art und Weise nachweisbar und lassen sich auch nicht ohne weiteres Schlüsse daraus ziehen, dass der angeblich Beschenkte kein taugliches Beweismittel zu präsentieren vermag. Nach Formulierung und Satzbau des § 518 Abs. 2 BGB ist dennoch derjenige, dem die Heilung als Rechtsfolge des § 518 Abs. 2 BGB günstig ist, beweisbelastet, so dass ein Gleichlauf mit der Beweislast für die Einhaltung der Form bestünde. Ein solcher Gleichlauf liegt vor allem deshalb nahe, weil der Vollzug als Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen der Schenkung gleichsam an die Stelle der Form tritt. Wenn das Gesetz bei Vollzug der Schenkung die Missachtung der Form hinnimmt, so geht es sehr weit, lässt sich doch allenfalls hinsichtlich des Warnzweckes der Form sagen, dieser werde durch den Vollzug der Schenkung auf ähnliche Weise verwirklicht, da demjenigen, der sein Vermögen willentlich und unentgeltlich einem anderen überträgt, die Bedeutung des Rechtsgeschäfts vielfach deutlicher vor Augen stehen mag als bei einem bloßen, vielleicht schnell dahin gesagten Versprechen. Was hingegen den Beweiszweck anbelangt, so wird Streit über Bestand und Inhalt der Schenkung durch die Heilungsmöglichkeit eher genährt, denn vermieden40. Das Gericht muss gegebenenfalls Beweis erheben, ob
__________ 39 Zur Handschenkung sogleich unter 4. 40 Berechtigt erscheint vor diesem Hintergrund die Stellungnahme zur Formfreiheit der vollzogenen Schenkung in den Protokollen der Ersten Kommission, wo es heißt: „Von verschiedenen Seiten wurde erinnert: Diese Folge harmonire wegen der regelmäßigen Formfreiheit des dinglichen Vertrages, namentlich in den Fällen der Eigenthumstradition bei beweglichen Sachen durch constitutum possessorium; der Zession, des Erlasses, wenig mit den Motiven, worauf der Grundsatz beruhe: das Schenkungsversprechen sei nur dann verbindlich, wenn die gerichtliche oder notarielle Form
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eine Schenkung vollzogen wurde oder nicht. Der Einschätzung der Zweiten Kommission, dass die Gefahr der Unsicherheit, ob bereits eine wirkliche Schenkung oder das bloße Inaussichtstellen einer solchen gewollt sei, in besonderem Maße nur beim Schenkungsversprechen bestehe, während sie im Falle der vollzogenen Vermögensverschiebung geringer erscheine41, kann deshalb wohl nicht gefolgt werden. Die Rechtsprechung zur Überlassung von Geld oder Sachen, die als Darlehen zurückgefordert werden, während sie der angeblich Beschenkte behalten möchte42, spricht eine andere Sprache. Erst recht gibt es aber keinen Grund, die Formzwecke in noch weitergehendem Maße zu gefährden, indem man die Heilung sogar vermutet. Auf diese Weise würde der Vertrag bei Missachtung der Form für wirksam erachtet, auch wenn ein non liquet hinsichtlich des Vertragsvollzuges gegeben ist, auch wenn also möglicherweise gerade kein Vollzug an die Stelle der Form getreten ist. Den Vertrag zwar einerseits erst bei feststehender Einhaltung der Form für wirksam zu erachten, ihn aber andererseits bereits bei möglichem Vollzug als gültig zu behandeln, erscheint prinzipiell unschlüssig. Dies gäbe nur dann einen Sinn, wenn bereits im möglichen Vollzug, der möglichen Heilung eine Kompensation für den Formverstoß läge. Dafür ist jedoch nichts ersichtlich. Es bleibt deshalb dabei: Da der Vollzug an die Stelle der Form tritt, muss die Beweislast jedenfalls im Grundsatz parallel verteilt sein. Diese Erwägungen gelten nicht nur, wenn Ansprüche aus dem Vertrag fraglich sind, sondern gleichermaßen für den Rückforderungsprozess. Folglich ist die Heilung – parallel zur Form, an deren Stelle sie tritt – in beiden Situationen beweislastrechtlich eigenständig anzuknüpfen. Im Rahmen des § 812 Abs. 1 BGB ist die Heilung wie die Einhaltung der Form rechtshinderndes Tatbestandsmerkmal. Diese Ansicht wird im Übrigen gestützt durch eine Stellungnahme der Zweiten Kommission, die gerade für die Rückforderungssituation eine solche Beweis-
__________ gewahrt sei.“ Vgl. Protokolle der Ersten Kommission, S. 1800, zit. nach Jakobs/ Schubert (Fn. 31), S. 358, und ähnlich: „Die positive Vorschrift, nach welcher das Schenkungsversprechen zu seiner Verbindlichkeit der gerichtlichen oder notariellen Form bedürfe, die vollzogene Schenkung dagegen formfrei sei, führe nothwendig zu einigen Disharmonien, die sich nur auf dem Weg einer weitgehenden Kasuistik beseitigen ließen.“ Vgl. Protokolle der Ersten Kommission, S. 1804, zit. nach Jakobs/ Schubert (Fn. 31), S. 360. 41 Vgl. Achilles/Gebhard/Spahn (Fn. 29), S. 18 im Zusammenhang mit der Diskussion der Frage, ob die Heilungswirkung des Vollzugs durch Ausnahmen einzuschränken sei: „Die Gefahr der Unsicherheit, ob bereits eine wirkliche Schenkung oder ob das bloße Inaussichtstellen einer solchen gewollt sei, bestehe ebenso wie die Gefahr der Übereilung in besonderem Maße nur bei dem Schenkungsversprechen und bei dem schenkweise gegebenen abstrakten Schuldversprechen bezw. Schuldanerkenntnisse. Hier müsse der Schenker noch etwa Weiteres thun, um wirthschaftlich die Vermögensverschiebung zu bewirken. In allen übrigen Fällen, in denen nicht blos das Versprechen, etwas leisten zu wollen, gegeben, sondern die Vermögensverschiebung bereits vollzogen sei, erscheine die Gefahr geringer. Meist würden schon die Umstände, unter denen die Vermögensverschiebung stattfinde, zur Erreichung der Zwecke der Form genügen.“ 42 Vgl. die Nachw. in Fn. 1.
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lastverteilung offenbar als selbstverständlich voraussetzte43. Dem X. Senat ist deshalb zuzustimmen, wenn er in seiner aktuellen Entscheidung der angeblich beschenkten Tochter den Beweis für den Schenkungsvollzug auferlegt. Allerdings ist entgegen dem BGH keine Rechtfertigung ersichtlich, diese Beweislastverteilung auf die Eingriffs-Fälle zu beschränken. Die hinter der Beweislastverteilung stehenden Sachgründe sind nicht minder berechtigt in Fällen, in denen der angebliche Schenker selbst etwas an den angeblich Beschenkten geleistet hat. b) Hohe Anforderungen an den Nachweis des Vollzuges Dass – wie der X. Senat in seiner aktuellen Entscheidung ausführt44 – erst eine Zuordnung der Vermögensverschiebung zu einem Handeln des angeblichen Schenkers den Schluss auf einen Schenkungswillen zulässt und diese Zuordnung regelmäßig den Nachweis des Schenkungsversprechens voraussetzt, lässt sich der früheren Rechtsprechung nicht entnehmen. Eher deutet manches daraufhin, dass man bislang geneigt war, ohne weiteres von der äußeren Vermögensverschiebung auf den Schenkungsvollzug zu schließen45. Dabei verdient die aktuelle Entscheidung Zustimmung, wenn sie dem Schluss von der bloßen Abhebung mittels Kontovollmacht auf den Schenkungsvollzug eine klare Absage erteilt. Denn – wie vor allem Wacke46 bereits in der Vergangenheit zutreffend hervorgehoben hat – rechtfertigt die bloße Vermögensverschiebung in der Tat nicht ohne Weiteres die Annahme, der Rückforderungsgläubiger habe dem Rückforderungsschuldner den Vermögensgegenstand unentgeltlich zuwenden wollen. Allerdings gilt dies nicht nur in den Eingriffs-Fällen. Vielmehr ergibt sich auch dann, wenn die Zuwendung durch den Rückforderungsgläubiger vorgenommen wurde, der Schenkungsvollzug nicht aus der bloßen Vornahme der Vermögensverschiebung als solcher, sondern müssen
__________ 43 So heißt es in den Protokollen der Zweiten Kommission in unmittelbarem Anschluss an die in Fn. 41 zitierte Stelle: „Gegen die Behauptung eines ungetreuen Inhabers von Nachlaßgegenständen, daß diese ihm vom Erblasser geschenkt seien, gegen die Behauptung eines Schuldners, daß die Schuld ihm erlassen sei, und gegen ähnliche Behauptungen biete dem Erblasser die Beweislast desjenigen, der die Behauptung aufstelle, genügenden Schutz;“ vgl. Achilles/Gebhard/Spahn (Fn. 29), S. 18, Hervorhebungen nur hier. 44 S. Fn. 13. 45 Vgl. nur die in Fn. 20 wiedergegebene Stellungnahme des X. Senates; vgl. ferner BGH, ZEV 2003, 207, 208, wo es lapidar heißt: „Bei der Prüfung der Frage, ob eine eventuelle Schenkung wegen Formmangels unwirksam wäre, wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass bei Überweisungen mit der Ausführung des Überweisungsauftrag durch die Bank die Leistung i. S. v. § 518 Abs. 2 BGB bewirkt worden ist“; es folgt ein Verweis auf BGH, NJW 1986, 2107, 2108, wo der IVa-Senat ausführt: „[…] kommt es darauf an, ob der anfängliche Mangel der Form durch Bewirkung der Leistung geheilt worden ist (§ 518 Abs. 2 BGB). […] Für eine derartige Bewirkung reichte die der Bekl. erteilte Postsparkassenvollmacht aus, mit deren Hilfe die Bekl. die Kl. als Alleinerbin nach dem Tode der Erblasserin vertreten konnte.“ 46 ZZP 114 (2001), 77, 88.
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Umstände vorliegen, die einen Schenkungswillen offenbaren. Denn nicht nur einem Eingriff, sondern auch einer Leistung als willentlicher Vermögensmehrung können die unterschiedlichsten Beweggründe zugrunde liegen, zumal, wenn der Leistende krank ist und sich nicht mehr uneingeschränkt selbst um seine Angelegenheiten kümmern kann. Die Leistung durch den angeblichen Schenker wird deshalb von außen betrachtet vielfach ebenso neutral erscheinen wie der Eingriff des angeblich Beschenkten. Sie bedarf dann ebenso einer Zuordnung zu einem Schenkungswillen des Handelnden. Diese Zuordnung wird sich nicht anders als in Eingriffs-Konstellationen regelmäßig nur treffen lassen, wenn das Schenkungsversprechen feststeht. So mag etwa in dem Fall des im Krankenhaus liegenden Vaters47 die Überweisung der Geldbeträge treuhänderisch zur Regelung bestimmter Vermögensangelegenheiten oder auch zu Zwecken der Vermögensanlage erfolgt sein. Denkt man die aktuelle Entscheidung konsequent weiter, so gelangt man hinsichtlich der Frage, wann der Schenkungsvollzug im Sinne von § 518 Abs. 2 BGB feststeht, zu einheitlichen Anforderungen für beide Grundkonstellationen. Ein non liquet hinsichtlich des Schenkungsvollzuges ist regelmäßig bereits dann gegeben, wenn zwar die Vermögensverschiebung feststeht, der Schenkungswille aber ungewiss ist. 4. Handschenkung im Rückforderungsprozess rechtshindernd Schließlich bleibt noch die Frage zu beantworten, ob für die Handschenkung nach § 516 BGB eine abweichende Beweislastverteilung gilt. Daran könnte man denken wollen, weil die Handschenkung formfrei wirksam ist. Jedoch regelt § 516 BGB nicht anders als § 518 Abs. 2 BGB einen Fall, in dem die Schenkung ausnahmsweise deshalb formfrei wirksam ist, weil sie vollzogen wird48. Auch hier ersetzt also der Vollzug die Form: Die schuldrechtliche Rechtsgrundabrede ist aufgrund des Vollzuges formfrei wirksam. Die Gründe, die für einen Gleichlauf der Beweislast für die Einhaltung der Form einerseits und den heilenden Vollzug andererseits streiten, kommen folglich auch hier
__________ 47 S. BGH, NJW 1999, 2887. 48 Sehr nahe kommen sich beide Vollzugsfälle (Handschenkung und Vollzug eines vorausgehenden Schenkungsversprechens), wenn man annimmt, gemäß § 518 Abs. 2 BGB werde durch den Vollzug genau genommen nicht das zunächst formungültige Schenkungsversprechen als solches wirksam, sondern die vollzogene Schenkung als Realvertrag wirksam und zwar auch dann wirksam, wenn sie aufgrund eines ungültigen Versprechens vollzogen werde, so Wimmer-Leonhardt in Staudinger (Fn. 7), § 518 BGB Rz. 17. Deutlicher als in § 518 BGB kommt der einheitliche Vollzugsgedanke in der Fassung der Vorläuferbestimmung zum Ausdruck, welche die Erste Kommission gemäß den Vorbeschlüssen vom 19. September 1876 – und in Abweichung vom Grundsatz der Formfreiheit für Schenkungen unter Lebenden nach Artikel 503 Dresdener Entwurf – ihren Beratungen zugrunde legte: „1. Jedes Schenkungsversprechen bedarf zu seiner Gültigkeit der Errichtung in einer gerichtlichen oder notariellen Urkunde. 2. Die vollzogene Schenkung ist formfrei. Vorbehalten bleibt jedoch der Beschluß, wann die Schenkung als vollzogen zu erachten sei.“ Vgl. Protokolle der Ersten Kommission, S. 1793, zit. nach Jakobs/Schubert (Fn. 31), S. 354.
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zum Tragen: Parallel zur Form, die zur Verwirklichung der Formzwecke, aber auch aus Gründen der Beweisnähe sowie aus heuristischen Erwägungen heraus beweislastrechtlich eigenständig anzuknüpfen ist, muss der sofortige Vollzug der Schenkung, der den Formmangel kompensiert, von demjenigen bewiesen werden, der sich auf den wirksamen Vertrag beruft und zwar sowohl im Falle der Geltendmachung von Rechten aus der Schenkung als auch in der Rückforderungssituation, wobei auch hier keine Unterscheidung zwischen den Zuwendungs-Fällen einerseits und den Eingriffs-Fällen andererseits gerechtfertigt ist. 5. Eigenständige beweislastrechtliche Anknüpfung von Form und Vollzug verhindert prinzipielle Vermutung des Schenkungswillens Muss also derjenige, der sich auf Schenkung beruft, die Formwirksamkeit oder den Vollzug beweisen und zwar erstens unabhängig davon, ob er Rechte aus dem Vertrag ableitet oder auf Rückgewähr in Anspruch genommen wird, und zweitens ohne Rücksicht darauf, ob ihm unstreitig etwas zugewendet wurde oder er sich möglicherweise selbst fremde Vermögensgegenstände eigenmächtig verschafft hat, so stellt diese Beweislastverteilung schließlich Einklang her mit §§ 685 Abs. 2, 1360b und § 1620b BGB, die zum Ausdruck bringen, dass ein Schenkungswille nur ausnahmsweise zu vermuten ist. Zutreffend hat Wacke49 darauf hingewiesen, dass die herrschende Beweislastverteilung in Widerspruch steht zu diesen Vorschriften, die auf das Prinzip eines im Zweifel fehlenden Schenkungswillens schließen lassen. In allen drei Ausnahmevorschriften geht es um beweislastrechtlich privilegierte Zuwendungen innerhalb der Familie, i. e. um Unterhalt zwischen Verwandten gerader Linie (§ 685 Abs. 2 BGB), um Familienunterhalt des Ehegatten (§ 1360b) und um Aufwendungen bzw. Zuwendungen des volljährigen Kindes zur Bestreitung der Kosten des elterlichen Hausstandes, dem es angehört (§ 1620 BGB). Auf der Grundlage der hier vertretenen Beweislastverteilung stellen die §§ 685 Abs. 2, 1360b und § 1620b BGB echte Ausnahmen dar. Während der angeblich Beschenkte grundsätzlich entweder das formwirksame Schenkungsversprechen, also die einen animus donandi ausdrückende Verpflichtungserklärung beweisen muss oder aber den Schenkungsvollzug und damit die animus donandi bewirkte Vermögensverschiebung, wird hier die Beweislast hinsichtlich des Schenkungswillens ausnahmsweise umgekehrt. In Einklang steht die hier befürwortete Belastung des angeblich Beschenkten mit dem Beweis für Form oder Vollzug der Schenkung schließlich mit der Beweislastverteilung im Rahmen des § 814 BGB. Danach kann das trotz Kenntnis der Nichtschuld Geleistete nicht zurückgefordert werden, da es gleichsam als geschenkt anzusehen ist und die Rückforderung folglich ein widersprüchliches Verhalten darstellt50. Die positive Kenntnis von der Nichtschuld, die den Schenkungswillen zum
__________ 49 AcP 191 (1991), 1, 4 ff. 50 Vgl. näher Wacke, AcP 191 (1991), 1, 8 f.
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Ausdruck bringt, muss der Rückforderungsschuldner beweisen51. Die Beweislast wird also im Gleichlauf mit dem hier vertretenen Prinzip verteilt: Parallel dazu, dass der Formzwang der Schenkung es im Rückforderungsprozess grundsätzlich verbietet, den erklärten Schenkungswillen zu vermuten, muss derjenige, der behauptet, der Rückforderungsgläubiger habe die Nichtschuld gekannt und damit gleichsam schenken wollen, dies beweisen.
IV. Ergebnisse 1. Die beweislastrechtliche Schwäche der Schenkung als causa ergibt sich aus dem prinzipiellen Formzwang, dem das Geschäft aufgrund seiner Unentgeltlichkeit durch das Gesetz unterworfen wird. Auf dem Boden der herrschenden Normentheorie gebieten es die Formzwecke, der Gesichtspunkt der Beweisnähe sowie heuristische Erwägungen, die Form der Schenkung (auch) in der Rückforderungssituation beweislastrechtlich eigenständig anzuknüpfen und darin insoweit ein rechtshinderndes Tatbestandsmerkmal zu sehen, dessen Nichterweislichkeit zu Lasten des Rückforderungsschuldners geht. 2. Da der Vollzug der Schenkung nach § 518 Abs. 2 BGB wie auch nach § 516 BGB an die Stelle der Form tritt, gilt dieselbe Beweislastverteilung für den Vollzug der Schenkung und zwar unabhängig davon, ob der Vollzug eines zuvor formlos erteilten Schenkungsversprechens oder eine Handschenkung in Frage steht. 3. Entgegen der in der Rechtsprechung praktizierten Differenzierung gilt diese Beweislastverteilung unabhängig davon, ob dem angeblich Beschenkten der Vermögensgegenstand unstreitig überlassen wurde oder dieser ihn sich möglicherweise eigenmächtig verschafft hat. Dass sich der Rückforderungsgläubiger in den Zuwendungsfällen bei der Bewirkung der Leistung beweismäßig sichern könnte und es deshalb rechtspolitisch weniger inakzeptabel als in den Eingriffs-Fällen erscheinen mag, ihn mit der Widerlegung der Schenkung zu belasten, ändert daran nichts. Denn dies ist nicht die Position des Gesetzes. Das BGB unterwirft allein die unentgeltliche Schenkung einem beweissichernden Formzwang, während die vom Rückforderungsgläubiger typischerweise behaupteten Gründe für die Vermögensüberlassung (Darlehen, Leihe, Verwahrung, Gefälligkeit) formfrei wirksam sind. Nicht dem, der verleiht, in Verwahrung gibt oder aus Gefälligkeit überlässt, wird also eine beweismäßige Sicherung abverlangt, sondern dem, der Schenkung behauptet.
__________ 51 So bereits das RG, vgl. RGZ 60, 419, 420; RGZ 90, 314, 316; RGZ 133, 275, 277; ebenso die heute allg. A., vgl. nur die Nachw. bei Lieb in MünchKomm.BGB (Fn. 7), § 814 BGB Rz. 16; Strieder in Baumgärtel (Fn. 5), § 814 BGB Rz. 2.
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Die Forderungszuständigkeit als absolutes Recht Inhaltsübersicht I. Die Problematik II. Die Argumente III. Die Parallele zum Bereicherungsrecht
IV. Der Zusammenhang zwischen der Eingriffskondiktion und dem absoluten Recht V. Folgerungen VI. Zusammenfassung
I. Die Problematik Nach wie vor stehen sich bei der Frage des deliktischen Schutzes der Forderungszuständigkeit die Meinungen recht deutlich, aber ohne Annäherung gegenüber. Dabei ist der Ausgangspunkt selbst kaum umstritten. Ein Eingriff in den etwa beim Kaufvertrag geschuldeten Gegenstand oder eine Einflussnahme auf den Schuldner, vertragsbrüchig zu werden, sind unter dem Aspekt des § 823 Abs. 1 BGB irrelevant1. Plastisch drückt man das so aus, dass eine Verletzung des Rechts aus der Forderung nur zwischen den Parteien wirke und daher die Annahme eines absoluten Rechts ausschließe2. Schon das Reichsgericht verweist in einer frühen Entscheidung darauf, anderenfalls werde das „Recht zur Sache“, das in der Entstehungsgeschichte des BGB ausdrücklich abgelehnt worden sei, wieder zur Geltung gebracht3; überflüssig wären die §§ 285 (281 a. F.), 844 Abs. 2, 845 BGB4. Ob und unter welchen Voraussetzungen § 826 BGB einschlägig sein kann, mag hier dahinstehen5. Einigkeit herrscht weitgehend wohl auch noch bei verbrieften Forderungen, deren Übertragung der Übereignung von beweglichen Sachen folgt und daher z. B. Redlichkeitsschutz genießt6. Bei Befreiungsvorschriften wie den §§ 793, 808 BGB ist die Übereinstimmung zumindest weniger deutlich; doch überwiegt hier die These, der
__________ 1 Vgl. z. B. RGZ 57, 353, 355 ff.; 95, 283, 284 f.; BGHZ 12, 308, 317 f.; 29, 65, 73 f.; BGH, NJW 1970, 137, 138; J. Hager in Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Bearb. 1999, § 823 BGB Rz. B 160; Medicus in FS Steffen, 1995, S. 339; Canaris in FS Steffen, 1995, S. 85. 2 Wagner in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 823 BGB Rz. 154; Picker in FS Canaris, 2007, S. 963. 3 RGZ 57, 353, 357 f.; Heck, Grundriss des Schuldrechts, 1929, S. 489. 4 RGZ 57, 353, 357 f.; 82, 189, 191. 5 Von der h. M. bejaht; vgl. z. B. Wagner in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 826 BGB Rz. 47; a. A. z. B. Köhler in FS Canaris, 2007, S. 585 ff. 6 Wagner in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 823 BGB Rz. 55; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 4. Aufl. 2002, Rz. 195.
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Schutz sei über die §§ 989 ff. BGB zu gewährleisten7. Der Streit beginnt spätestens bei der Liberationswirkung etwa des § 407 BGB. Hier lehnt die h. M. den Schutz über § 823 Abs. 1 BGB vehement ab8, während eine – sogar nach dem Urteil von Vertretern der h. M. im Vordringen befindliche9 – Mindermeinung deliktische Ansprüche bejaht10. Dabei geht es dann um ein Recht an der Forderung11.
II. Die Argumente Die Argumente scheinen umfassend ausgetauscht zu sein und auf dem Tisch zu liegen. 1. Die h. M. weist im Wesentlichen auf drei Gesichtspunkte hin. a) Der erste ist rein pragmatischer Natur. Der Schuldner, der an den Zedenten leiste, werde nach § 407 Abs. 1 BGB geschützt, wenn er die Abtretung nicht kenne; der Zedent habe das Erlangte nach § 816 Abs. 2 BGB an den Zessionar herauszugeben. Daneben § 823 Abs. 1 BGB anzuwenden sei nicht nur überflüssig; man laufe obendrein Gefahr, § 407 Abs. 1 BGB zu verwässern, wenn man den Schuldner aus § 823 Abs. 1 BGB haften lasse12. Dem setzt man zu Recht zweierlei entgegen. Beim Schutz des redlichen Erwerbs ist man sich seit langem einig, dass gegenüber dem Erwerber im Falle leichter Fahrlässigkeit die Wertung des § 932 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB nicht durch die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB unterlaufen werden darf; beim Erwerb im Grundstücksrecht schadet sogar nur positive Kenntnis13. Sieht man näher hin, ist § 823 Abs. 1
__________ 7 Vgl. z. B. Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich, Bürgerliches Gesetzbuch, 2. Aufl. 2007, § 823 BGB Rz. 59; Medicus, Bürgerliches Recht, 20. Aufl. 2004, Rz. 610; Otte, JZ 1969, 257 f. 8 Sprau in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl. 2007, § 823 BGB Rz. 11; Schiemann in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. 2004, § 823 BGB Rz. 36; Spindler in Bamberger/Roth, Beck’scher Onlinekommentar zum BGB, Stand: 1. Juni 2007, § 823 BGB Rz. 98; Olzen in Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, Bearb. 2005, § 241 BGB Rz. 310; Esser/Weyers, Schuldrecht, Besonderer Teil, II 2, 8. Aufl. 2000, § 55 I 2 b Fn. 88; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 10. Aufl. 2006, Rz. 162; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 3 II 8 b; Medicus (Fn. 7), Rz. 610; ders., Schuldrecht, Bes. Teil, 13. Aufl. 2006, Rz. 812; ders. in FS Steffen (Fn. 1), S. 340 ff.; Hammen, AcP 199 (1999), 591, 605. 9 Spindler in Bamberger/Roth (Fn. 8), § 823 BGB Rz. 98. 10 J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 165; Wagner in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 823 BGB Rz. 155; Spickhoff in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. 2005, § 823 BGB Rz. 88; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, Bes. Teil, 2. Hb., 13. Aufl. 1994, § 76 II 4 g; Canaris in FS Steffen (Fn. 1), S. 85 ff.; Westermann, Sachenrecht, 7. Aufl. 1998, § 2 II; Wilhelm, Sachenrecht, 3. Aufl. 2007, Rz. 140; Deutsch/Ahrens (Fn. 6), Rz. 195; Mäsch, Chance und Schaden, 2004, S. 299; Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 961 ff.; C. Becker, AcP 196 (1996), 439, 442 ff. 11 Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 964. 12 Medicus (Fn. 7), Rz. 610; ders., Schuldrecht (Fn. 8), Rz. 812; ders. in FS Steffen (Fn. 1), S. 336; Otte, JZ 1969, 253, 256; Mincke, JZ 1984, 862, 864. 13 BGH, NJW 1967, 1660, 1661 f.; J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 66 m. w. N.
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BGB gegenüber dem geschützten Teil schon deswegen nicht einschlägig, weil er bei Redlichkeit nicht eingreift14 oder aber – bei Unredlichkeit – keine Eigentumsverletzung durch Entzug vorliegt. Dasselbe gilt bei § 407 Abs. 1 BGB. Der Schuldner wird frei; § 823 Abs. 1 BGB scheidet aus15. Oder die Forderung erlischt nicht, weil der Schuldner die Abtretung kennt. § 823 Abs. 1 BGB ist dann eben nicht erfüllt. Ganz anders sieht es – so das zweite Argument – mit dem die Leistung entgegennehmenden Zedenten aus. Niemand käme bei einer Verfügung des Nichtberechtigten wegen der Existenz des § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Gedanken, die Eigentumsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB bzw. nach den §§ 989 f. BGB zu leugnen16. Auch für die parallele Anwendung von § 816 Abs. 2 und § 823 Abs. 1 BGB ergibt sich nicht nur in dem Fall ein Bedürfnis, dass beim verlängerten Eigentumsvorbehalt der Käufer eine inzwischen in Insolvenz gefallene GmbH ist, aber ihren Geschäftsführern der Verschuldensvorwurf beim Einzug der Forderung zu machen ist17. Vor allem kann der Schaden durch den unberechtigten Einzug den Wert der Forderung selbst übersteigen – etwa wenn der wahre Gläubiger nun seinerseits in Zahlungsnöte gerät. b) Gegenüber der nicht sanktionierten Beeinträchtigung der Forderung durch den Zugriff auf den geschuldeten Gegenstand bzw. durch die Einflussnahme auf die Erfüllungsbereitschaft des Schuldners werde – so lautet die zweite Begründung der h. M. – die Forderungszuständigkeit anders behandelt. Das Plädoyer für die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 BGB in diesem Fall bedürfe einer Begründung18. aa) Dazu genüge die Zuordnung als solche alleine nicht; die Ähnlichkeit mit dem Eigentum reiche nicht sehr weit; dieses werde gegen Beeinträchtigungen geschützt und durch viele Ansprüche gesichert. Die Forderung als solche sei gegen derartige Beeinträchtigungen aber gerade nicht geschützt. Der Arbeitgeber etwa könne sich nicht wehren, wenn ein Dritter die Gesundheit seines Arbeitnehmers bedrohe und damit den Anspruch auf die Arbeitsleistung in Gefahr bringe19. Demgegenüber sei es das Spezifikum der Mindermeinung, dass es Ansprüche gebe, wenn die Forderung durch Erfüllung an einen Nichtgläubiger erlösche. Das sei indes nur ein Spezialfall der Bestandsverletzung20. bb) Man hat dagegen eingewandt, in der Unterscheidung spiegele sich ein durchgängiges Prinzip des Deliktsrechts wider. § 823 Abs. 1 BGB schütze nicht davor, dass Verträge durch Verschulden Dritter nicht erfüllt würden, die zur Sicherung des Eigentums abgeschlossen worden seien. Werde etwa ein Schuld-
__________ 14 Zu den Konstruktionsmöglichkeiten vgl. die Darstellung bei J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 66. 15 Larenz/Canaris (Fn. 10), § 76 II 4 g; ders. in FS Steffen (Fn. 1), S. 98 f.; J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 164; Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 985. 16 Canaris in FS Steffen (Fn. 1), S. 98 f. 17 Vgl. dazu unten II 2 a. 18 Medicus in FS Steffen (Fn. 1), S. 340. 19 Medicus in FS Steffen (Fn. 1), S. 340; a. A. C. Becker, AcP 196 (1996), 439, 446 ff. 20 Medicus in FS Steffen (Fn. 1), S. 341.
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ner daran gehindert, dem Eigentümer Energie zu liefern, so hafte der Schädiger auch dann nicht, wenn dem Eigentümer Schäden an seinem Eigentum entstünden21. Es gehe nur um negative Einwirkungen, gegen die das Gesetz keinen Schutz – auch nicht in Form des negatorischen Rechtschutzes – gewähre. Denn die Beziehung zur Umwelt sei eine Sphäre, die vom Zuweisungsgehalt des Eigentums nicht mehr umfasst sei22. Dasselbe gelte bei der Forderung; auch sie sei gegen den Untergang des Substrats nicht geschützt, da es nur um eine negative Einwirkung gehe. Schutz genieße sie dagegen wie das Eigentum gegen positive Einwirkungen, die den Bestand der Forderung selbst beträfen23. Ob diese Unterscheidung zutrifft, ist zweifelhaft. Sie führt zu wenig plausiblen Ergebnissen. Wer vom Verkäufer zu lieferndes Futter fahrlässig vergiftet, so dass die Tiere des Käufers eingehen, haftet wegen Eigentumsbeschädigung. Anders wäre es dagegen, wenn die Anlieferung des Futters verhindert wird, so dass die Tiere verhungern. cc) Doch folgt daraus nicht, dass man die Zuständigkeit nicht schützen dürfe oder sogar müsse. Dass absolute Rechte nach § 823 Abs. 1 BGB nicht vor jeder Eingriffsmodalität geschützt sind, ist im Rahmen des Deliktsrechts ein auch ansonsten geläufiges Phänomen. Man denke an die Mitgliedschaft, die vor dem Entzug, aber nicht vor der Entwertung schützt24. Desgleichen sind die Grenzen des Schutzbereichs beim Besitz nicht mit dem Umfang des abgesicherten Eigentums identisch25. dd) Der entscheidende Gesichtspunkt ist das Erlöschen der Forderung aus Gründen des Schuldnerschutzes, obgleich dieser Schuldner faktisch nochmals leisten könnte. Die Fälle der Zerstörung des Substrats oder der Verleitung des Schuldners zum Vertragsbruch sind dagegen dadurch gekennzeichnet, dass aus tatsächlichen Gründen die Leistung nicht erbracht werden kann und dass ggf. der Anspruch aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. 281 Abs. 1, 283, 285 BGB an die Stelle der primären Leistungspflicht tritt. c) Das letzte Argument der h. M. ist nur auf den ersten Blick formal. aa) Um die Forderungszuständigkeit könne es nur gehen, wenn sich der falsche Gläubiger der Inhaberschaft berühme. Dann sei es aber Risiko des Schuldners, nicht befreit zu werden; allenfalls könne der wahre Gläubiger im Weg der Feststellungsklage vorgehen. Eine vorbeugende Unterlassungsklage auf die §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB zu stützen sei dagegen eine petitio principii26. bb) Damit wird indes die h. M. nicht dem allgemein anerkannten Grundsatz gerecht, dass der wahre Gläubiger eine Drittwiderspruchsklage erheben kann, wenn die ihm zustehende Forderung bei einem Dritten, nämlich dem Schuld-
__________ 21 22 23 24 25 26
Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 970. Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 971; Stoll, AcP 162 (1963), 212. Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 972 f. Vgl. die Darstellung bei J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 142 f. Vgl. die Darstellung bei J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 168 f. Medicus in FS Steffen (Fn. 1), S. 341.
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ner einer Zwangsvollstreckung, gepfändet wird27. Die Nähe der Drittwiderspruchsklage zu den dinglichen Ansprüchen wird zwar gelegentlich abgestritten28 – doch kaum zu Recht29. Nur des – mit den §§ 1004, 985 BGB vergleichbaren – Unterlassungsanspruchs wegen, der § 771 ZPO zugrunde liegt, kann etwa § 278 BGB bei der Pfändung und Verwertung einer schuldnerfremden Sache herangezogen werden30, 31. Denn die Inhaberschaft einer Forderung steht dem Eigentum gleich, wenn sie unmittelbar von der Zwangsvollstreckung betroffen wird32. Konsequenterweise setzt sich der Anspruch aus § 771 ZPO, wenn die Zwangsvollstreckung etwa durch den Einzug der Forderung ihr Ende gefunden hat, in einem Bereicherungsanspruch fort, der nach h. M. seine Grundlage in § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB findet33. Nicht damit zu vermengen ist die völlig anders liegende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bei der Pfändung einer Sache eine Forderung die Drittwiderspruchsklage
__________ 27 BGHZ 96, 324, 326; BGH, NJW 1979, 42; 1988, 1085; 1994, 1057; WM 1981, 648, 649; OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 1408; J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 165; Wagner in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 823 BGB Rz. 155; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 65. Aufl. 2007, § 771 ZPO Rz. 17; Lackmann in Musielak, Zivilprozessordnung, 5. Aufl. 2007, § 771 ZPO Rz. 20; Stöber in Zöller, Zivilprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 771 ZPO Rz. 14 unter „Forderung“; Hufstege in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 28. Aufl. 2007, § 771 ZPO Rz. 16; Münzberg in Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 22. Aufl. 2002, § 771 ZPO Rz. 24; Schuschke in Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtschutz, 3. Aufl. 2002, § 771 ZPO Rz. 12 i. V. m. Rz. 17; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 41 VI 3; v. Caemmerer in FS Rabel, 1954, Bd. I, S. 355; Canaris in FS Steffen (Fn. 1), S. 92; Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 977 m. w. N.; C. Becker, AcP 196 (1996), 439, 462. 28 Vgl. den Überblick bei Münzberg in Stein/Jonas (Fn. 27), § 771 ZPO Rz. 4. 29 Die Parallele betont z. B. intensiv Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 979. 30 Henckel, JZ 1973, 32; Lippross, Vollstreckungsrecht, 9. Aufl. 2003, S. 106; Bettermann in FS F. Weber, 1975, S. 87, 96; Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 1987, § 16 II 5; Blomeyer, Zivilprozessrecht – Vollstreckungsverfahren, 1975, § 35 III; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 7. Aufl. 2003, Rz. 466; Spindler in Bamberger/Roth (Fn. 8), § 823 BGB Rz. 44; Wagner in MünchKomm.BGB (Fn. 2), § 823 BGB Rz. 102; ebenso über die Haftung nach den §§ 989 f. Rosenberg/Gaul/Schilken (Fn. 27), § 53 V 1d aa; J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 74. 31 Nicht ganz leicht einzuordnen ist die Unterscheidung von Canaris in FS Steffen (Fn. 1), S. 92 f., § 771 sei nicht auf absolute Rechte beschränkt, sondern umfasse auch rein obligatorisch die Ansprüche auf einen Gegenstand. Jedenfalls müssen diese Ansprüche, wie diejenigen, die den mittelbaren Besitz begründen, auf „besserem Recht“ basieren; vgl. z. B. Stadler in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. 2002, § 868 BGB Rz. 8. 32 BGH, NJW 1978, 384, 385; OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 1408; Rosenberg/Gaul/ Schilken (Fn. 27), § 41 VI 3; Brox/Walker (Fn. 30), Rz. 1413; nicht ganz eindeutig Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 27), § 771 ZPO Rz. 20 unter „schuldrechtlicher Anspruch“ („wenn die Forderung dem Eigentum gleichsteht“). 33 Offen zwischen § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 und § 816 BGB BGHZ 66, 150, 151; BGH, NJW 1982, 173, 174 f.
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begründen kann; dazu berechtigt ein Herausgabe- nicht jedoch ein Verschaffungsanspruch34. cc) Es mag Fälle geben – wie § 409 BGB und § 354 a HGB –, in denen der Schuldner auch dann geschützt wird, wenn er die fehlende Berechtigung dessen kennt, an den er leistet. Das hat zur Folge, dass dem wahren Gläubiger kein Unterlassungsanspruch zusteht35. Daraus kann entweder geschlossen werden, dass mangels eines Unterlassungsanspruchs die absolute Wirkung verneint werden müsse, zumal da der Gläubiger die Leistung gar nicht verhindern könne36. Oder man ordnet diese beiden Normen als Ausnahmeregelungen ein, in deren Anwendungsbereich neben dem Unterlassungsanspruch auch die deliktische Haftung ausscheidet. Dass die zuvor genannte Lösung die richtige ist, sieht man, wenn man die vertraglichen Schadensersatzansprüche des Zessionars betrachtet. Auch sie müssen, da der Zedent die Leistung des Schuldners an sich selbst nicht verhindern kann, mangels einer Pflichtverletzung ausgeschlossen sein. Und doch kann von diesem Sonderfall aus nicht ein Schluss derart gezogen werden, auch in anderen Fällen gebe es beim Einzug durch den Zedenten keine Vertragsverletzung37. Natürlich haftet der Zedent aus § 280 Abs. 1 BGB, wenn der Schuldner wirksam nach § 407 Abs. 1 BGB an ihn leistet38. dd) Man hat ferner eingewandt, die Drittwiderspruchsklage gehe nicht parallel zum absoluten Recht des § 823 Abs. 1 BGB39; das zeige sich etwa beim schuldrechtlichen Herausgabeanspruch, der die Drittwiderspruchsklage trage, jedoch keine Verletzung eines absoluten Rechts bedeute40. Gleiches gelte bei der Treuhand, wenn der Gläubiger des Treuhänders die Zwangsvollstreckung in das Treugut betreibe41. Doch ist das gerade die Frage. Deliktisch geschützt ist jedenfalls der auf dem Herausgabeanspruch basierende mittelbare Besitz42. Und das Beispiel des Treugebers ist in der Tat eine ergebnisorientierte Lösung, um dem Umstand, dass der Treunehmer mit dem Eigentum mehr erhält, als er zur Sicherung braucht, mithin dem wirtschaftlichen Eigentum, Rechnung zu tragen43. Es handelt sich also um eine offene Durchbrechung des Gesetzes, die für den Fall der Forderungszuständigkeit kaum Modellcharakter hat.
__________ 34 RGZ 84, 214, 215 f.; Münzberg in Stein/Jonas (Fn. 27), § 771 ZPO Rz. 36, 38; Brox/ Walker (Fn. 30), Rz. 1421 f.; C. Becker, AcP 196 (1996), 439, 463 f. 35 Hammen, AcP 199 (1999), 591, 607 f. 36 Hammen, AcP 199 (1999), 591, 608 ff., 611 f. 37 Man könnte argumentieren, eine Pflichtverletzung liege in der fehlenden Aufklärung des Zessionars durch den Zedenten über das vertragliche Abtretungsverbot. Denselben Vorwurf könnte man dann allerdings auch im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB machen; damit wäre wieder ein Gleichlauf der vertraglichen und der deliktischen Haftung gewährleistet. 38 RGZ 111, 298, 303; Heinrichs in Palandt (Fn. 8), § 280 BGB Rz. 27; Roth in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 398 BGB Rz. 24. 39 Hammen, AcP 199 (1999), 591, 603. 40 Hammen, AcP 199 (1999), 591, 603. 41 Hammen, AcP 199 (1999), 591, 603. 42 J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 171. 43 Oechsler in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, Anhang §§ 929–936 BGB Rz. 53.
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2. Soweit die Argumente der Mindermeinung nicht bereits bei der Diskussion der h. M. genannt sind, wird insbesondere auf den Gesichtspunkt verwiesen, der Inhalt der Forderung bedürfe des Schutzes. a) Dazu zieht man eine Parallele zum Fall der Verletzung des Eigentums beim einfachen Eigentumsvorbehalt. aa) Wenn hier abredewidrig unter Eigentumsvorbehalt bezogene bewegliche Sachen veräußert werden, mit dem Erfolg des redlichen Erwerbs eines Dritten oder dem Resultat, dass nach den §§ 946 ff. BGB gesetzlicher Erwerb eintrete, so könne auch der handelnde Geschäftsführer einer GmbH aus § 823 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen werden44. Dem müsse der Fall gleichgestellt werden, dass bei einem verlängerten Eigentumsvorbehalt die GmbH die Forderungen unberechtigterweise, aber mit Wirkung gegen den wahren Gläubiger einziehe45. Ein ähnliches Problem tritt auf, wenn der Forderungsprätendent durch rechtswidrige Anmaßung eine geplante Forderungsübertragung verhindert und dadurch den Rechtsinhaber schädigt46, 47. bb) Die Gegenargumente der h. M. sind ohne rechte Überzeugungskraft. (1) Das gilt etwa für den Hinweis, der Gläubiger könne durch Abtretungsanzeige den Schuldner über die wahre Inhaberschaft informieren, zumal wenn das Argument mit der Einschränkung versehen wird, man müsse einräumen, dass beim verlängerten Eigentumsvorbehalt dem Gläubiger in der Regel die Identität des Schuldners unbekannt sei48. (2) In einigen Fällen mag zwar anderweitiger Schutz mit Hilfe des Strafrechts möglich sein; die Normen sind als Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Doch setzen sie, wie die Verfechter des Arguments selbst wiederum sehen und einräumen, Vorsatz voraus, helfen also bei fahrlässigem Handeln des GmbH-Geschäftsführers nicht weiter49. (3) Der dritte Weg ist, die Ungleichbehandlung zu akzeptieren50. Das allerdings führt zu Verwerfungen in den Ergebnissen zwischen Fällen, die wertungsmäßig doch sehr eng beieinander liegen. Wird etwa die im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts erteilte Ermächtigung, über den dem Verkäufer noch gehörenden Gegenstand zu verfügen, vor der Veräußerung durch die GmbH widerrufen, so haftet deren Gesellschafter, wenn er fahrlässig das Gut übereignet und der Erwerber nach § 932 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB oder § 366 Abs. 1
__________ 44 BGHZ 109, 297, 302. 45 Larenz/Canaris (Fn. 10), § 76 II 4g; Canaris in FS Steffen (Fn. 1), S. 87 ff.; J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 164 f.; Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 981. 46 Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 981. 47 Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 981 erörtert weiterhin den Fall, in dem der ursprüngliche Gläubiger die Schuld nach § 407 Abs. 1 BGB wirksam erlässt, nachdem der Zessionar die Forderung weiter übertragen hat; es gebe dann keinen bereicherungsrechtlichen Anspruch. Doch ist hier, wenn und soweit der Erlass unentgeltlich war, § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB einschlägig. 48 Spindler in Bamberger/Roth (Fn. 8), § 823 BGB Rz. 98. 49 Medicus in FS Steffen (Fn. 1), S. 343 f. 50 Medicus in FS Steffen (Fn. 1), S. 344 „scheint das wenigstens nicht absurd“.
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HGB redlich erwirbt. Anders wäre es, wenn der Gegenstand schon übereignet, aber noch nicht bezahlt ist und nunmehr die Einzugsermächtigung widerrufen wird. Dann würde der Endabnehmer zwar mit befreiender Wirkung an die GmbH leisten51, aber bei deren Insolvenz § 816 Abs. 2 BGB ins Leere gehen und § 823 Abs. 1 BGB gegen den schuldhaft handelnden Geschäftsführer mangels Verletzung eines absoluten Rechts ausscheiden. (4) Man könnte versuchen, dem Vergleich dadurch die Basis zu entziehen, dass man den Geschäftsführer der GmbH generell für den Verlust des Vorbehaltseigentums nicht nach § 823 Abs. 1 BGB, sondern nur bei Verletzung des § 64 Abs. 1 GmbHG haften lässt, der als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB aufgefasst wird52. Doch bekommt man damit das Problem in anderen Fällen kaum in den Griff. Denn auch ein zur Vermögenssorge bestellter Betreuer kann durch die Annahme der Leistung trotz Zession der zugrunde liegenden Forderung die Position des Zessionars beeinträchtigen. Da es für ihn keine Pflicht gibt, Insolvenzantrag zu stellen, geht der Zessionar bei einem zahlungsunfähigen Schuldner leer aus, hat aber mangels Verletzung eines Schutzgesetzes jedenfalls aus § 823 Abs. 2 BGB keinen Anspruch. (5) Auch das Argument, der Gläubiger werde nicht schlechter gestellt als bei einem Geschäft mit einer natürlichen Person, die die Forderung dann unberechtigterweise einziehe53, überzeugt nicht. Es ist nun einmal die Haftung der natürlichen Person, die neben die Einstandspflicht der juristischen treten kann, wie man auch im Rahmen der Produkthaftung sieht54. b) Das zweite Argument der Mindermeinung ist ein systematisches. Bereicherungsrecht, Deliktsrecht und negatorischer Unterlassungsanspruch bildeten eine Einheit, die absolute Rechte unter verschiedenen Aspekten schützten. Paradefall sei die Absicherung des Eigentümers55. Die Parallele zum Unterlassungsanspruch in seiner spezifischen Ausprägung der Drittwiderspruchsklage wurde schon gezeigt56. Offen ist dagegen noch die Parallele zum Bereicherungsrecht, und zwar in der Gestalt der Eingriffskondiktion.
III. Die Parallele zum Bereicherungsrecht 1. Die dogmatische Einordnung des § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB ist durchaus strittig, doch betrachtet die weitaus h. M. die Norm als Ausprägung der Nichtleistungskondiktion57. Von einer Mindermeinung wird die Norm zwar nur als
__________ 51 Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 6. Aufl. 2003, Rz. 1483; Canaris, Die Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, 1971, S. 72; ders., NJW 1981, 254. 52 Medicus in FS Steffen (Fn. 1), S. 344; Larenz/Canaris (Fn. 10), § 76 III 5d lehnt dagegen nur im konkreten Fall das Verschulden des Geschäftsführers ab. 53 Hammen, AcP 199 (1999), 591, 594. 54 Vgl. z. B. J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. F 34. 55 Wilhelm (Fn. 10) Rz. 140; Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 974 ff., 978 f.; Gebauer, Jura 1988, 133 Fn. 56. 56 Vgl. oben II 1 c bb. 57 Vgl. statt aller H. P. Westermann in Erman (Fn. 8), § 816 BGB Rz. 1.
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Überleitungsvorschrift angesichts der Sperre des Zugriffs auf den redlichen Erwerber interpretiert58. Auch sie kommt indes nicht um die Erkenntnis herum, dass der Verfügende in ein fremdes Recht eingreift; sie leugnet nur, dass der Verfügende durch den Eingriff selbst etwas erlangt hat59. Eine derart enge Betrachtung ist auch ansonsten nicht recht überzeugend; man denke an den Ersatzanspruch des § 285 Abs. 1 BGB, der unstreitig auch die Gegenleistung umfasst60. Die Rechtsnatur des § 816 Abs. 2 BGB wird wohl einhellig gesehen – und zwar ebenfalls als Ausprägung der Eingriffskondiktion. Zum Teil wird – abhängig von der dogmatischen Position zur Verfügungswirkung der Erfüllung – § 816 Abs. 2 BGB neben § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB für überflüssig gehalten61, zum Teil wird die Norm als Sonderfall der allgemeinen Eingriffskondiktion angesehen und deswegen für entbehrlich gehalten62 oder aber als lex specialis zu § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB eingestuft63. 2. § 816 Abs. 2 BGB ist nicht die einzige Anspruchsgrundlage für die Abwicklung, nachdem an einen Nichtberechtigten eine Leistung erbracht worden war, die der Berechtigte gegen sich gelten lassen muss. Die Eingriffskondiktion des § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB ist z. B. direkt einschlägig, wenn der Eingreifende zwar Kontovollmacht hat, aber Geld für sich abhebt, ohne dass der Kontoinhaber ihm diese Summe geschenkt hat64. Die Fälle werden meist unter dem Aspekt der Beweislast für die Schenkung erörtert; es geht dabei also um das Vorliegen eines Rechtsgrundes zum Behaltendürfen. Soweit der Rechtsgrund fehlt, stellen sich aber zwei Vorfragen. a) Zum einen geht es um die Art der Kondiktion zwischen dem angeblichen Schenker und dem angeblich Beschenkten65. Dabei scheidet eine Leistungskondiktion schon deshalb aus, weil der vorgebliche Schenker nicht fremdes Vermögen vermehren will66. Läge ein Rechtsgrund vor, wäre in der Tat zwar eine nicht kondizierbare Leistung gegeben. Bei Fehlen des Rechtsgrundes ist das aber anders. Hier greift der Bevollmächtigte in die Position des Forderungsinhabers ein. Er handelt im Außenverhältnis zwar wirksam, jedoch ohne im Innenverhältnis dazu berechtigt zu sein67.
__________ 58 Lieb in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 816 BGB Rz. 2, 12. 59 So ausdrücklich Lieb in MünchKomm.BGB (Fn. 58), § 816 BGB Rz. 12. 60 RGZ 138, 45, 48; BGHZ 46, 260, 264; 75, 203, 206; BGH, NJW-RR 1986, 234, 235; 2005, 241, 242; VIZ 2004, 31, 32; H. P. Westermann in Erman (Fn. 8), § 285 BGB Rz. 7. 61 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, § 8 III 1; Koppensteiner/ Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988, § 9 III 1 = S. 92; Kornblum, JZ 1965, 203 f.; offengelassen von Larenz/Canaris (Fn. 10), § 69 II 3a. 62 Hadding, JZ 1966, 223 f. 63 Wendehorst in Bamberger/Roth (Fn. 8), § 816 BGB Rz. 23. 64 Fall nach BGH, NJW 1986, 2107, 2108; 1999, 2087; ZIP 2007, 337. 65 Der Bundesgerichtshof legt sich hier nicht fest, sondern spricht nur von § 812 Abs. 1 BGB; vgl. z. B. BGH, ZIP 2007, 337, 338. 66 Vgl. zur Definition der Leistung statt aller BGHZ 40, 272, 277; H. P. Westermann in Erman (Fn. 8), § 812 BGB Rz. 11. 67 BGH, ZIP 2007, 337, 339.
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b) Die Eingriffskondiktion ist nach h. M. gekennzeichnet durch den Verstoß gegen den Zuweisungsgehalt des verletzten Rechts68. Dieses kann hier nur die Forderungszuständigkeit sein. Der Zuweisungsgehalt dieser Position wird zwar – soweit ersichtlich – in den gängigen Lehrbüchern und Kommentaren nicht besprochen, doch liegt die Forderungszuständigkeit als betroffenes Recht nahe. Der angeblich Beschenkte ist kraft der Kontovollmacht im Verhältnis zur Bank befugt, verpflichtende und begünstigende Rechtsgeschäfte vorzunehmen, die – unter anderem – dazu führen, dass die Forderung des Berechtigten gegen die Bank ganz oder teilweise erlischt69. Die Bankvollmacht besagt aber nichts darüber, welche Rechtshandlungen der Berechtigte im Verhältnis zum Vollmachtgeber vornehmen darf70. Fehlt eine Schenkung, ist eine Bereicherung aus einer dem angeblichen Schenker zugewiesenen Rechtsposition erlangt71. Die Forderung gegen die Bank erlischt. Das ist die klassische Definition der Forderungszuständigkeit. Aber auch wenn man mit der Mindermeinung auf die Rechtswidrigkeit abstellt, bleibt der Befund gleich. Denn im Verhältnis zum Gläubiger ist der Eingriff rechtswidrig, mag auch den Schenker kein Vorwurf treffen. Der die Forderung Einziehende ist dazu im Verhältnis zum wahren Gläubiger nicht berechtigt; das erklärt auch der Funktion des § 816 Abs. 2 BGB. 3. Die Forderungszuständigkeit ist ferner Dreh- und Angelpunkt in einem Fall, in dem der bedingte (Rück-)Übertragungsanspruch des Verkäufers durch eine Vormerkung gesichert war. Später wurden zwei Grundschulden bewilligt und eingetragen. Das Haus brannte nieder, die Versicherung zahlte an die Grundschuldgläubiger. Anschließend trat der Verkäufer zurück, erwirkte ein rechtskräftiges Urteil gegen den Käufer und ließ sich das Grundstück zurückübertragen. Nunmehr verlangte er die Versicherungssumme von den Grundschuldgläubigern. Er obsiegte, weil die Grundschuldgläubiger die Vermögensvorteile herauszugeben hätten, die nach dem maßgeblichen Zuweisungsgehalt der einschlägigen Rechtsordnung dem Bereicherungsgläubiger gebührten72. Denn angesichts der Vormerkungswirkung sei das Pfandrecht der Grundschuldgläubiger an der Versicherungsforderung und ihre Einziehungsbefugnis entfallen73. Auch das ist nichts anderes als ein Eingriff in die Forderungszuständigkeit, die bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln war.
IV. Der Zusammenhang zwischen der Eingriffskondiktion und dem absoluten Recht 1. Untersucht man den Stand der Meinungen über den Zusammenhang zwischen der auf einem Verstoß gegen den Zuweisungsgehalt gestützten Eingriffs-
__________
68 BGHZ 99, 385, 387; 107, 117, 120; H. P. Westermann in Erman (Fn. 8), § 812 BGB Rz. 65; Medicus, BGB (Fn. 7), Rz. 706. 69 BGH, ZIP 2007, 337, 339. 70 BGH, ZIP 2007, 337, 339. 71 BGH, ZIP 2007, 337, 339. 72 BGHZ 99, 385, 387. 73 BGHZ 99, 385, 388.
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kondiktion und der Verletzung eines absoluten Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB, so stößt man auf eine Bandbreite von Auffassungen, die obendrein viele Schattierungen aufweisen. a) Auf der einen Seite wird Zuweisungsgehalt grundsätzlich denjenigen und nur denjenigen Gütern zugesprochen, die deliktsrechtlich geschützt seien – und zwar nur soweit, wie der Deliktsschutz reiche74. Andere lehnen die Parallele völlig ab75. Die zwischen diesen beiden Polen angesiedelten Auffassungen bestimmen den Zuweisungsgehalt von Gütern unter Berücksichtigung des im Deliktsrecht anerkannten Standes des Güterschutzes76. Auch ist nicht klar, welcher Schutz weiter reicht. Das Deliktsrecht bildet die Grenze für diejenigen, die mit seiner Hilfe das Gebiet der Eingriffskondiktion abstecken77, während bei anderen im Bereicherungsrecht zusätzliche abgesicherte Positionen existieren78. So wird Zuweisungsgehalt auch relativen Rechten zugesprochen und § 816 Abs. 2 BGB als Beispiel genannt79. Das ist indes die Frage. Sie ist mit der bloßen Rubrizierung als relatives Recht gerade nicht beantwortet. b) Sieht man näher zu, so fällt die identische Festlegung der beiden Schutzgüter ins Auge. Das absolute Recht des § 823 Abs. 1 BGB ist durch den Zuweisungsgehalt und die Ausschlussfunktion definiert80. Der Unterlassungsanspruch hängt eng mit dem Zuweisungsgehalt zusammen. Er ist nach neuerer Dogmatik Folge des Zuweisungsgehalts81; seine Existenz hat nach überkommener Auffassung zumindest Indizcharakter für eben diesen Zuweisungsgehalt82. Angesichts der inhaltlich identischen Umschreibung spricht zunächst alles für den Gleichlauf des Schutzumfangs. Vor allem verschiebt sich der Ausgangspunkt. Wer eine unterschiedliche Reichweite postuliert, muss dies als Ausnahme plausibel machen. Gegen unterschiedliche Schutzbereiche spricht aber schon die Parallele zu einem wesentlich schwerer fassbaren Schutzgut, nämlich dem Persönlichkeitsrecht. Es ist bei Verschulden des Täters durch § 823 Abs. 1 BGB, bei fehlendem Verschulden im Weg der Eingriffskondiktion geschützt83. Damit wäre nicht vereinbar, dass dies nicht bei der Forderungszuständigkeit ebenfalls so sein sollte.
__________ 74 Larenz/Canaris (Fn. 10), § 69 I 1c; ähnlich Lieb in MünchKomm.BGB (Fn. 58), § 812 BGB Rz. 252; das weitere Kriterium der Entgeltfähigkeit spielt im hier vorliegenden Kontext keine Rolle; Picker in FS Canaris (Fn. 2), S. 975. 75 Wendehorst in Bamberger/Roth (Fn. 8), § 812 BGB Rz. 123; W. Lorenz in Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Bearb. 1999, § 812 BGB Rz. 23. 76 H. P. Westermann in Erman (Fn. 8), § 812 BGB Rz. 66 unter Hinweis auf Larenz/ Canaris (Fn. 10), § 69 I 1c; ähnlich Reuter/Martinek (Fn. 60), § 7 III = S. 245. 77 Z. B. Larenz/Canaris (Fn. 10), § 69 I 1c. 78 Z. B. Reuter/Martinek (Fn. 60), § 7 III 2 = S. 249 ff.; wohl auch Esser/Weyers (Fn. 8), § 50 I 1; Schlechtriem in GS König, 1984, S. 57, 75. 79 Koppensteiner/Kramer (Fn. 60), § 9 I 4 d = S. 83; Esser/Weyers (Fn. 8), § 50 I 1 f. = S. 466. 80 J. Hager in Staudinger (Fn. 1), § 823 BGB Rz. B 124. 81 Larenz/Canaris (Fn. 10), § 69 I 1c. 82 H. P. Westermann in Erman (Fn. 8), § 812 BGB Rz. 66. 83 Vgl. z. B. BGH, NJW 1992, 2084, 2085.
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2. Die Parallele zwischen dem absoluten Recht und der Zuweisung im Sinn des Bereicherungsrechts bedeutet keine verkappte Rückkehr zur Rechtswidrigkeitstheorie. Denn wie der Schulfall des die eigenen Kohlen verheizenden Hausmeisters zeigt, ist damit über die Rechtswidrigkeit gerade nichts ausgesagt. Bei der Forderungszuständigkeit stellt sich das Problem ohnedies in entschärfter Form. Denn die Einziehung ist in der Tat dem wahren Berechtigten gegenüber regelmäßig rechtswidrig. 3. Wenn man diesen Schritt geht, ist das Ergebnis klar. Die Forderungszuständigkeit ist bereicherungsrechtlich mit Hilfe der Eingriffskondiktion, deliktisch als absolutes Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB geschützt. Das praktische Bedürfnis hierfür dürfte kaum zu leugnen sein, dogmatisch fügt sich die Lösung bruchlos in das System des Bereicherungs- und Deliktsrechts ein.
V. Folgerungen 1. Wenig spektakulär sind die Konsequenzen zunächst, was Geldforderungen angeht. Die Geschäftsführer einer GmbH etwa, die nach Eintritt der Krise das Erlöschen der Einzugsermächtigung für die GmbH nicht beachten, haften dem Eigentumsvorbehaltsverkäufer auf Schadensersatz in Höhe der nicht mehr realisierbaren Kaufpreisforderungen. 2. Forderungen können natürlich auch auf die Leistung von Sachen gerichtet sein. Lässt sich der Zedent den geschuldeten Gegenstand übereignen84, ist er nicht nur nach § 816 Abs. 2 BGB zur Übereignung verpflichtet, sondern haftet – Verschulden vorausgesetzt – auch auf Schadensersatz, der den bloßen Wert des Gegenstands übersteigen kann. Das ist indes keineswegs systemwidrig, sondern sichert den Schutz des Zessionars in umfassender Weise ab.
VI. Zusammenfassung 1. Der Verstoß gegen die Forderungszuständigkeit begründet bereicherungsrechtlich eine Eingriffskondiktion, da in den Zuweisungsgehalt eingegriffen wird. 2. Dies strahlt auf das Deliktsrecht aus; die Forderungszuständigkeit ist ein sonstiges absolutes Recht.
__________ 84 Fall nach RGZ 111, 198, 303.
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Sponsoring-Vertrag – zur Struktur eines „atypischen Vertrags“ Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Gesetzliche und sonstige Regelungen 1. Regelknappheit 2. Regelungsinhalte der §§ 2 Nr. 7, 8 RfStV 3. Sponsoring im Satzungsrecht (der Sportverbände) 4. Ersatzrecht der „Musterverträge“ III. Struktur des Sponsoringvertrags 1. Gegenseitiger Vertrag a) Leistungen b) Leistungsstörungen 2. Verhaltenspflichten und Rechtsfolgen a) Problematik b) Verhaltenspflichten auf der Seite des Gesponserten c) Verhaltenspflichten auf der Seite des Sponsors
3. Vertragsverletzungsfolgen a) Ansatzpunkte b) Vertragsverletzungsfolgen aa) Störungen im LeistungsGegenleistungs-Verhältnis bb) Verletzung der Verhaltenspflichten (1) Mangelndes „Wohlverhalten“ des Gesponserten (2) Mangelndes „Wohlverhalten“ des Sponsors 4. Wegfall der Geschäftsgrundlage IV. Auslandsberührung 1. Sponsoring außerhalb des deutschen Rechts 2. Kollisionsrecht V. Schlussbemerkung
I. Einleitung Das Vertragsrecht des BGB beschränkt sich auf Vertragstypen, die dem „Bürger“ im „bürgerlichen Leben“ begegnen. Geregelt sind der Kauf mit seinen in der Schuldrechtsreform erfassten und in die BGB-Regelung eingearbeiteten Untertypen (Verbrauchsgüterkauf, Haustürgeschäft, Fernabsatzgeschäft), geregelt sind Miete und benachbarte Rechtsverhältnisse der Gebrauchsüberlassung, geregelt ist das Dienstleistungsrecht, soweit es das bürgerliche Leben betrifft (Dienst- und Werkvertrag, Maklervertrag, neuerdings einzelne Geschäftsbesorgungsverhältnisse), geregelt ist schließlich die Bürgschaft als Kreditsicherungsgeschäft. Schon das Arbeitsverhältnis ist im BGB nur grundsätzlich erfasst, nicht typisiert erfasst sind die Verträge, die im modernen Wirtschaftsleben ihre große Rolle spielen: „Leasing“ fehlt ebenso wie der Bauträgervertrag, der Anlagenbauvertrag oder sonstige Vertragsformen längerfristiger Zusammenarbeit, BGB und im übrigen auch HGB enthalten sich hier nach wie vor. Erfasst sind diese Verträge in eigenständigen, durch die interessierten Kreise selbst geschaffenen Regelwerken, die als Musterverträge oder AGB in Erscheinung treten und die einzelnen Pflichten und Rechte der Parteien solcher zum 299
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einen „verkehrstypischer“, zum anderen „gemischttypischer“ Verträge so regeln, dass strukturierendes Wirken der Gerichte eher sekundäre Bedeutung hat1. Zu diesen „modernen“ Verträgen gehört auch das „Sponsoring“ bzw. der „Sponsoring-Vertrag“. Der Begriff des „Sponsoring“ begegnet täglich und beinahe in jeder Lebenslage; gesponsert wird vom Wetterbericht des Fernsehens an eine Vielzahl von Medienveranstaltungen, im Vordergrund mag heute der Sport und die Sportberichterstattung stehen, Kultur und Wissenschaft sind aber ebenso betroffen. „Gesponsert“ werden vielfältigst in Erscheinung tretende Einzelereignisse. Dies kann eine Sportveranstaltung betreffen, nicht weniger aber auch einen wissenschaftlichen Kongress oder eine kulturelle Veranstaltung. Gemeinsam ist allem „Sponsoring“, dass der Sponsor keine Schenkungen vornimmt. Es wird keine unentgeltliche Zuwendung i. S. von § 516 BGB zugewandt, der Zuwendungsempfänger muss sich als Vorbedingung oder im Gegenzug zu bestimmten Maßnahmen, z. B. Zulassung von Werbung, Produkt- und Namensplatzierung und anderes mehr bereit finden. Gelegentlich wird bekannt, dass der Sponsor Einfluss auf Entscheidungen des Gesponserten nimmt oder zu nehmen sucht. Gerät dies in die Öffentlichkeit, kann die Reaktion der durch Presseorgane repräsentierten Öffentlichkeit unterschiedlich ausfallen: Missbilligung kann im Vordergrund stehen, wenn der Sponsor sich „erkühnt“, die Entlassung des erfolglos gewordenen Trainers des gesponserten, aber glücklos agierenden Fußballvereins zu fordern. Eher Wohlwollen kann die Reaktion der Öffentlichkeit beherrschen, wenn der Sponsor oder die versammelten Sponsoren bei Bekanntwerden eines eklatanten Missbrauchs massiv werden und eine Entscheidung des Gesponserten verlangen, z. B. den Abbruch der Teilnahme einer Sportequipe an einem Sportereignis, das großdimensioniertes Medien- und Umsatzereignis gleichermaßen ist. Die rechtliche Dimension steht in der öffentlichen Wahrnehmung des Sponsoring nicht im Vordergrund. Das gilt auch für die Zivilrechtswissenschaft. Die allgemeine zivilrechtliche Literatur enthält sich, das gilt für die Lehrbücher nicht anders als für die Kommentare. Bei ihrer Durchsicht trifft man nur selten auf eine Erwähnung, mancher Kommentar und manches Lehrbuch schweigen gänzlich. Wo der Sponsoring-Vertrag erwähnt ist, beschränkt sich die Erwähnung überwiegend auf die Feststellung, es liege ein „atypischer“ Vertrag vor2, vereinzelt ist die Feststellung zu finden, aus dem „atypischen Vertrag“ werde allmählich ein Vertragstyp3, vereinzelt wird festgestellt, der Vertrag zeige „eigenartige“ Gestaltung4. Rechtsprechung ist ebenfalls nur in geringem Umfang publiziert vorhanden5. Die Umschau in benachbarten Rechtsordnun-
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1 Zur Unterscheidung s. etwa die Übersichten bei Kindl in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 311 BGB Rz. 15–17; Grüneberg in Palandt, BGB, 66 Aufl. 2007, Vor § 311 BGB Rz. 11–26. 2 S. Grüneberg in Palandt (Fn. 1), Vor § 311 BGB Rz. 14; Weiand, NJW 1994, 227; Kolvenbach, AnwBl. 1998, 289. 3 So Grüneberg in Palandt (Fn. 1), Vor § 311 BGB Rz. 14. 4 Medicus, Schuldrecht Bd. 2, 13. Aufl. 2006, S. 122 Rz. 609a. 5 S. BGHZ 117, 353; BGH, NJW 1992, 2690.
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gen zeigt ein ähnliches Bild, das gilt für die Schweiz nicht anders als für Frankreich, Italien, Großbritannien6. Leicht anders sieht es in den USA aus7. Weitestgehend ist das Feld dem Spezialschrifttum der Handbücher für das Sportrecht oder das Medienrecht überlassen8. Der nachfolgende Beitrag will einen Anstoß versuchen, auch den Blick des allgemeinen Zivilrechts auf den Sponsoring-Vertrag zu lenken. H.P. Westermann hat stets den Blick für den Sport und sein Umfeld gehabt, er ist bis heute, was seine zivilrechtlichen Interessen betrifft, strukturierender Arbeit im Schuldrecht verpflichtet. Auf die Offenlegung solcher Struktur beim Sponsoring zielt dieser Beitrag, der sich freilich nur als Skizze und Überblick verstehen kann.
II. Gesetzliche und sonstige Regelungen 1. Regelknappheit Staatliche Normierung des Sponsoring hat im Inland Seltenheitswert. Als staatliches Recht bestehen die Regelungen der §§ 2 Nr. 7, 8 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland (RfStV)9; sie betreffen freilich nur den besonderen Bereich des Rundfunks und regeln nur die medienrechtliche Seite des Sponsoring-Geschäfts. Wie sich das Sponsoring privatrechtlich einordnet und wie das Gesamtgefüge der Pflichten und Rechte ist, ist hier konsequenterweise nicht erfasst. Die Erfassung des Sponsoring im Satzungsrecht großer und sonstiger Sportverbände wie z. B. im Satzungsrecht des Deutschen Fußballbundes (DFB) liegt ersichtlich schon außerhalb des staatlich gesetzten Rechts. 2. Regelungsinhalte der §§ 2 Nr. 7, 8 RfStV Die §§ 2 Nr. 7, 8 RfStV enthalten eine ins Einzelne gehende, öffentlich-rechtlichen wie privaten Rundfunk gleichermaßen erfassende Regelung von Rech-
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6 S. für die Schweiz Hauser, Der Sponsoringvertrag im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1991, S. 281 ff.; Rapp, Quelques aspects juridiques du sponsoring en droit suisse, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1991, 189, 199; für Frankreich Malaurie/Aynès, Les contrats spéciaux, 2. Aufl. Paris 2005, S. 413 no. 715; Malaurie/ Aynès/Gautier, Droit civil. Contrats spéciaux, 14. Aufl. Paris 2001/2, S. 462 no. 715: „contrat innommé“; für das englische Recht Fehlanzeige in Treitel, The Law of Contract, 9. Aufl. London 1995; ebenso bei Anson/Guest, Law of Contract, 27. Aufl. London 1998; ebenso in anderen Standardwerken. Das italienische Recht hingegen zeigt durchaus reiche Befassung, s. die Monografie von Mirtia Bianca, Contratti di sponsorizzazione (Rimini 1990); auch zahlreiche Entscheidungen des Kassationshofs, z. B. Cass. av. 9.9.2004 no. 18193; 13.12.1999 no. 13931. 7 Knappe Erwähnung immerhin für das US-amerikanische Recht bei Williston(-Jaeger), On Contracts Bd. 10, 3. Aufl. St. Paul 2000, S. 353 § 1134 A („bilateral contract … for the purchase of the privilege of having the sponsor identified …“). 8 S. insbesonders Reichert, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, (10. Aufl. 2005, Rz. 5467 und Vorauflage Rz. 2820–2844; Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 2. Aufl. 2007, S. 285 ff.; Albrecht in Hesse, Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2003, S. 111 ff. 9 Text bei Vesting/Hahn, Rundfunkrecht, Textausgabe, 2002, S. 87 ff.
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ten und Pflichten beim Sponsoring in Fernsehen oder Hörfunk. Sie soll einen Ausgleich schaffen zwischen dem Interesse der Rundfunkanstalten, über Sponsoring ihr Programm (teilweise) zu finanzieren, und dem Interesse, die Unabhängigkeit der Programmgestaltung zu wahren10. Sponsoring ist nach § 2 Nr. 7 RfStV „der Beitrag einer natürlichen oder juristischen Person oder eine Personenvereinigung, die an Rundfunktätigkeiten oder an der Produktion audiovisueller Werke nicht beteiligt ist, zur direkten oder indirekten Finanzierung einer Sendung“11, um den Namen, die Marke, das Erscheinungsbild der Person, ihre Tätigkeit oder ihre Leistungen zu fördern. § 2 Nr. 7 RfStV beschreibt so zugleich die Leistung des Sponsors und den Zweck dieser Leistung, nämlich Finanzierung einer Sendung des Gesponserten zur Imageförderung des Sponsors. Die Leistung, die der Gesponserte erbringt, regelt § 8 Abs. 1 RfStV. Er bestimmt, dass „bei Sendungen, die ganz oder teilweise gesponsert werden, zu Beginn und am Ende auf die Finanzierung durch den Sponsor in vertretbarer Kürze deutlich hingewiesen werden [muss]; der Hinweis ist in diesem Rahmen auch durch Bewegtbild möglich. Neben oder anstelle des Namens des Sponsors kann auch dessen Firmenemblem oder eine Marke eingeblendet werden.“ § 8 Abs. 1 RfStV hat daneben Klarstellungs- und Offenlegungsfunktion, weil er das Sponsoring der Sendung nach außen kommuniziert12. Den Einfluss des Sponsors zu begrenzen sucht § 8 Abs. 2 RfStV, der bestimmt, dass „Inhalt und Programmplatz einer gesponserten Sendung vom Sponsor nicht in der Weise beeinflusst werden [dürfen], dass die Verantwortung und die redaktionelle Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters beeinträchtigt werden.“ Das Gesetz verbietet so nicht jeden Einfluss des Sponsors vor dem Hintergrund, dass manche Sendung erst mit der Unterstützung eines Sponsors möglich wird13. Ausgeschlossen sind freilich Einflussnahmen auf die Entscheidungen über den Sendeplatz, etwa eine Auswahl nach werblichen Alters- bzw. Zielgruppen im täglichen Sendeschema, sowie auf die inhaltliche Gestaltung und Aussagen der Sendung14. Der Unabhängigkeit des Sponsors dient darüber hinaus § 8 Abs. 6 RfStV, demgemäß keine Nachrichtensendungen und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen gesponsert werden dürfen. § 8 Abs. 3–5 enthalten Beschränkungen des Sponsoring in bezug auf bestimmte Produkte.
__________ 10 Vgl. Hesse (Fn. 8), S. 112. 11 Nicht erfasst sich in dieser Regelung das sog. Ereignissponsoring, bei dem nicht die das Ereignis übertragende Sendung, sondern das Ereignis selbst gesponsert wird, vgl. Hesse (Fn. 8), S. 112 ff.; § 2 Nr. 7 RfStV folgt damit dem Agfa-Urteil des BGH, BGHZ 117, 353 ff. 12 Vgl. Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Kommentar, Loseblatt (Stand: September 2004), § 8 RfStV Rz. 13. 13 Vgl. Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner (Fn. 12), § 8 RfStV Rz. 38; insoweit kritisch José Martín-Pérez de Nanclares, Die EG-Fernsehrichtlinie, Diss. Saarbrücken 1994, S. 228. 14 Brinkmann in Hahn/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2003, § 8 RfStV Rz. 22.
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Als umfassende und genügende Regelung des Sponsoring, das zwischen Sponsor und Gesponsertem regelmäßig auf der Basis eines privatrechtlichen Vertrages, eben des „Sponsor-Vertrags“ oder „Sponsoring-Vertrags“, geschieht, lassen diese Regeln sich nicht qualifizieren. Allenfalls geben sie die Blickrichtung dahin vor, dass der Sponsoring-Vertrag entgeltlicher Vertrag mit Rechten und Pflichten auf beiden Seiten ist; demgemäß ist auch im Schrifttum hierzu die Einstufung als „Vertrag sui generis“ das Ergebnis15. 3. Sponsoring im Satzungsrecht (der Sportverbände) Satzungen von Sportverbänden regeln das Sponsoring ihrer Mitgliedsvereine oder von deren Spielern und das Sponsoring von Verbands- oder Mitgliederveranstaltungen nur ausschnittweise. Im Vordergrund des Sponsorinteresses steht angesichts der erhofften Publizität die Vergabe der Werberechte. Regelungsbesonderheiten folgen daraus, dass Vermarktungsgesellschaften mit eingeschaltet sein können16. Besonderheiten können sich aus dem Satzungsrecht der Vereine für das Pflichtengefüge eines Sponsoring-Vertrags ergeben, für dessen Struktur hingegen sind diese Satzungen nicht ergiebig. 4. Ersatzrecht der „Musterverträge“ Nicht anders als bei anderen „modernen Vertragstypen“ füllt die Kautelarpraxis auch beim Sponsorvertrag die Lücken des Gesetzesrechts durch selbstgeschaffene Musterverträge, die im Einzelfall in ihrer Standardform zum Einsatz kommen können oder mit Abwandlungen dem individuellen Anwendungsfall angepasst werden können. Das Muster ist verhältnismäßig einfach17. Zu regeln sind zunächst die beiderseitigen Leistungen, die als Hauptleistungen bezeichnet werden, in den Musterverträgen gerne auch als „Leistung und Gegenleistung“ bezeichnet werden. Zwei typische Musterverträge führen zunächst die Leistung des Sponsors, sodann die Leistung des Gesponserten an18, ein Mustervertrag verfährt gerade anders herum19. Die Leistungen des Gesponserten werden, nach Individual-, Vereins/Verbands- und Ereignissponsoring getrennt20, detailliert beschrieben. Einige Musterverträge enthalten ferner die Verpflichtung des Gesponserten zu persönlicher Leistungserbringung und eine
__________ 15 Weiand, Kultur- und Sportsponsoring im deutschen Recht, Diss. Freiburg 1992, S. 93; ders., NJW 1994, 227 ff., 230; Bruhn/Mehlinger, Rechtliche Gestaltung des Sponsoring, Band I: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1995, S. 72; Fritzweiler/Pfister/Summerer (Fn. 8), S. 293; aus dem schweizerischen Recht: Hauser (Fn. 6), S. 281 ff.; Rapp (Fn. 6), S. 189, 199. 16 Vgl. §§ 15 ff. Satzung DFB; § 8 Satzung Liga-Fußballverband e.V. (Ligaverband). 17 Vgl. Fritzweiler/Pfister/Summerer, 1. Aufl. 1998, S. 645 ff.; Partikel, Formularbuch für Sportverträge, 2000, S. 262 ff.; umfassende Darstellung der Musterverträge im Wortlaut mit Begründung bei Weiand, Der Sponsoringvertrag, 2. Aufl. 1999, S. 20 ff. 18 So Fritzweiler/Pfister/Summerer (Fn. 17), S. 645 f.; Weiand (Fn. 17), S. 54 ff. und 76 ff. 19 So Partikel (Fn. 17), S. 262 ff. 20 Fritzweiler/Pfister/Summerer (Fn. 17), S. 645 f.; weitere Konstellationen bei Weiand (Fn. 17), S. 94 ff.; nur Vereinssponsoring darstellend Partikel (Fn. 17), S. 262 ff.
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Ausschließlichkeitsklausel zugunsten des Sponsors21. Übrige Vorschriften betreffen Haftung, Dauer des Vertrages und Vertragsbeendigung, Erfüllungsort und Gerichtsstand.
III. Struktur des Sponsoringvertrags 1. Gegenseitiger Vertrag a) Leistungen Der Gesponserte schuldet immer zwei Teilleistungen. Er ist zunächst zur Entfaltung einer Aktivität verpflichtet. Diese Aktivität kann beispielsweise in einer körperlichen oder geistigen Eigenleistung, in der Durchführung einer Veranstaltung, in der Erfüllung eines Stiftungszwecks, unter Umständen auch in der Herstellung eines Werkes bestehen22. Ausdrücklich im Sponsoringvertrag festgehalten ist die Verpflichtung zur Entfaltung einer Aktivität freilich nicht immer23. Die Aktivitäten des Gesponserten werden im Vertrag aber meist nach Art, Umfang, Ort und Zeit näher bestimmt und von den beiden Vertragsparteien somit vorausgesetzt24. Für einen Sportverein, der an Wettbewerben teilnimmt, folgt die Verpflichtung zur Teilnahme ohnehin aus Sinn und Zweck der für ihn verbindlichen Satzung des Sportverbandes. Darüber hinaus schuldet der Gesponserte die Überlassung bestimmter Rechte. So kann der Gesponserte dem Sponsor die Nutzung von Prädikaten, Logos und Warenzeichen gestatten, ihm veranstaltungsbezogene Werbemöglichkeiten einräumen. Beim personenbezogenen Sponsoring kann auch die Nutzung von Bild, Name, Stimme u. ä. der gesponserten Person geschuldet werden. Beim Sponsoring eines Sportvereins kann so etwa vorgesehen sein, dass dem Sponsor die Werbung auf den Trikots des Sportvereins gestattet wird. Beide Teilleistungen – Entfaltung einer Aktivität und Überlassung von Rechten – dienen den kommunikativen Zielen des Sponsors25. Die Gegenleistung des Sponsors besteht in aller Regel in der Leistung eines bestimmten Geldbetrages bzw. wiederkehrender Geldbeträge an den Gesponserten. Anstelle oder neben einer Geldleistung können auch Sachleistungen in Betracht kommen. Der Sponsor bezweckt mit seiner Gegenleistung die Förderung der gesponserten Aktivität, vielfach ermöglicht er sie erst. Die Leistungen des Sponsors müssen nach seinem Binnenrecht zulässig sein26. Sind sie es nicht, können sie den Tatbestand der Untreue des § 266 StGB erfüllen27.
__________ 21 22 23 24 25 26 27
Fritzweiler/Pfister/Summerer (Fn. 17), S. 646 f.; Weiand (Fn. 17), S. 119 ff., 107 ff. Hauser (Fn. 6), S. 11. Vgl. die Musterverträge (s. die Nachw. oben Fn. 17–21). Weiand (Fn. 17), S. 55. Weiand (Fn. 17), S. 55. Dazu Rapp (Fn. 6), S. 189, 192 ff. Vgl. BGHSt 47, 187 ff.
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b) Leistungsstörungen Leistungsstörungen sind, soweit der Sponsoringvertrag keine Regelung trifft und keine Vorschrift eines gesetzlich geregelten Vertrages eingreift, nach allgemeinem Schuldrecht zu bewältigen. Auf Störungen der Leistungspflicht des Gesponserten und der Leistungspflicht des Sponsors finden so die §§ 275 ff. BGB und im Grundsatz auch die §§ 320 ff. BGB Anwendung. Der Sponsoringvertrag ist insofern synallagmatischer Austauschvertrag28. 2. Verhaltenspflichten und Rechtsfolgen a) Problematik Die Einordnung des Sponsoringvertrags als schuldrechtlicher Vertrag mit Leistungsverpflichtung beider Vertragsseiten ist nicht schwierig. Leistungsverpflichtung und Umfang dieser Leistungsverpflichtung pflegen festzustehen. Das gilt auch für die Gegenleistung, das Versprechen bestimmter Aktivität und die Gewährung „veranstaltungsbezogener“ Kommunikation seitens des Gesponserten. Schwieriger zu definieren sind der Umfang und die Intensität von Verhaltenspflichten des Gesponserten und die mit dem Sponsorvertrag vom Sponsor beanspruchten Einflüsse auf Tätigkeit und ggf. Erfolg des Gesponserten. Für eine Antwort auf solche Fragestellung ist der Verweis auf §§ 241, 242 BGB nur im Sinne eines ersten Anfangs hilfreich. Verhaltenspflichten des Gesponserten sind auch im Rahmen des Sponsoringvertrages wesentlich durch das Tun oder die Veranstaltung des Gesponserten, für die das Sponsoring erfolgt, bestimmt, so dass sich eine Generalaussage, die über die Aussage „Treu und Glauben entsprechendes Verhalten“ hinausgeht, nicht leicht treffen lässt. In umgekehrter Richtung gilt Ähnliches; es ist richtig, dass sittenwidrige Einflussnahme dem Sponsor durch den Sponsoringvertrag nicht ermöglicht werden kann. In beiderlei Hinsicht besteht die Notwendigkeit, Fallgruppen und Fallkonstellationen zu erspüren und zu bilden, die festere Konturen aufweisen und so die Konkretisierung von Verhaltenspflichten zu ermöglichen. Teilweise hilfreich sind insofern die Musterverträge, die jedenfalls in generalklauselartiger Formulierung das erforderliche Verhalten des Gesponserten zu regeln pflegen. Zu definieren sind die zulässigen Sanktionen insbesondere des Sponsors, der im Grundsatz mächtigeren Partei des Vertragsverhältnisses. Gelegentlich kann sich auch die Frage der „Verbraucherqualität“ (§ 13 BGB) des Gesponserten stellen, der nicht stets „Unternehmer“ (§ 14 BGB) sein muss. b) Verhaltenspflichten auf der Seite des Gesponserten Ziel des Sponsoring ist auf der Seite des Gesponserten, die finanzielle oder sonstige Leistung des Sponsors zwecks Ermöglichung des gesponserten Ereig-
__________ 28 Weiand (Fn. 17), S. 82; ebenso zum Schweizer Recht Netzle, Sponsoring von Sportverbänden, Diss. Zürich 1988, S. 41.
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nisses/der gesponserten Aktivität zu erlangen. Die Ziele des Sponsors liegen auf materieller wie ideeller Ebene. Im Mittelpunkt steht die Erhöhung und Aktualisierung des Bekanntheitsgrads, auch vermittelst eines Transfers der Bekanntheit oder Beliebtheit des Gesponserten auf den ihn unterstützenden Sponsor29. Diese Interessen und Ziele sind Motiv wie Fernziel des Sponsoring. Für den Gesponserten geht es einfach gesagt um eine Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit auf dem gesponserten Gebiet, für den Sponsor geht es um Gewinn und Verbesserung von Chancen in seinem Wettbewerbsumfeld, wozu die Verbindung mit dem Gesponserten beitragen soll. Regelmäßig wird deshalb „positive Auffälligkeit“ des Gesponserten als zur Erreichung dieser Ziele geeignet erscheinen. Dieser Sicht entsprechen in Sponsorverträgen enthaltene „Wohlverhaltensklauseln“, die z. B. die Grundsatzregel enthalten „Die Vertragsparteien verpflichten sich einander zu gegenseitigem Respekt, Wohlverhalten und Loyalität“30. Klauseln dieser Art sind indes ausfüllungs- und auslegungsbedürftig. Eine Auslegungshilfe und Entscheidungshilfe gewähren sie andererseits kaum, wenn ein Verhalten des Gesponserten beurteilt werden muss, ggf. weil der Sponsor mit Bezug auf ein Verhalten des Gesponserten den Vertrag kündigt oder ein Verhalten abmahnt. Die „Wohlverhaltensklausel“ eines insofern nicht konkret formulierten Vertrags ist deshalb im einzelnen Fall anhand der für den gesponserten Gegenstand geltenden Regeln zu konkretisieren. Das bedeutet Konkretisierung in unterschiedlicher Weise. Für Kulturund Wissenschaftssponsoring gelten unter Umständen andersartige „Wohlverhaltensregeln“ als für das Sponsoring eines Sportereignisses oder eines Sportvereins. Zu weit würde freilich eine Formulierung gehen, die als „Wohlverhalten“, das zur Einwirkung durch das Vertragsverhältnis keinen Anlass und kein Recht gibt, jedes noch „branchenübliche Verhalten“ rechnet. Es geht vielmehr um das guter Sitte noch entsprechende Verhalten. Ein deutliches Beispiel aus der unmittelbaren Gegenwart ist „Doping im Sport“. Für eine Sportart wie den Radrennsport ist, wie sich in der jüngsten Zeit sicher ergeben hat, „Doping“ nahezu branchenüblich. Gleichwohl bedeutet Doping ersichtlich nicht „Wohlverhalten“, gemessen an Grundregeln sportlichen Wettkampfverhaltens. Vielmehr liegt sowohl nicht sportgerechtes wie auch nicht sponsoring-gerechtes Verhalten vor, selbst dann nicht, wenn die Publizität des Skandals dem Sponsor unter Vermarktungsgesichtspunkten nicht schadet, sondern nutzt. Er kann die gewonnene Publizität einstreichen, kann aber genauso gut einen Imageschaden befürchten und deshalb die ihm mögliche vertragliche Sanktion ergreifen. Das Beispiel zeigt, dass der Sponsoring-Vertrag als „atypischer“ Vertrag, der auf den verschiedensten Feldern eingesetzt werden kann, aus sich heraus zur Typisierung von Verhaltenspflichten nicht in der Lage ist. Verhaltenspflichten i. S. der §§ 241 Abs. 2, 242 BGB treffen die Vertragsparteien auch hier, ihre Ausformung muss aber jeweils im Lichte des jeweiligen Anwendungsgebiets des Sponsoring erfolgen. Was das jeweils vertragsgemäße Verhalten ist, ist
__________ 29 S. ausführlich Fritzweiler/Pfister/Summerer (Fn. 8), S. 285 f. 30 S. das Muster bei Weiand (Fn. 17), S. 114 (§ 4 Abs. 1 Satz 1).
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Sponsoring-Vertrag – zur Struktur eines „atypischen Vertrags“
dann unter Berücksichtigung nicht aller üblichen, auch missbräuchlichen Usancen zu entscheiden, sondern hat sich an den für das Einsatzgebiet geltenden sittengemäßen Regularien auszurichten31. „Wohlverhalten“ im Sinne der Formulierung von Musterverträgen ist im vorgenannten Sinne zu interpretieren. Heranzuziehen für seine Interpretation sind also für das jeweilige Einsatzgebiet geltende Rechtsregeln, auch Verbandsregeln, als Kontrollfilter stets die Maßstäbe der Generalklauseln der §§ 134, 138 BGB. Derartige Herleitung der Verhaltenspflichten, die neben der „Hauptleistung“ des Gesponserten stehen, entspricht auch der Vorgehensweise, die bei bereits typisierten, aber über ein weitgefächertes Anwendungsgebiet verfügenden Schuldverträgen beobachtet wird. Beim Werkvertrag der §§ 631 ff. BGB sind Verhaltenspflichten in unterschiedlicher Weise konkretisiert, je nachdem, ob der Werkvertrag etwa Beförderungsvertrag, Bauvertrag oder sonstiger Werkvertrag ist32. Angesichts der „Leistungselemente“ des Sponsoring-Vertrags rechtfertigt sich diese Anlehnung an die Erfahrungen mit der Handhabung der §§ 241 Abs. 2, 242 BGB im Werkvertragsrecht33. c) Verhaltenspflichten auf der Seite des Sponsors Sponsoring ist nicht Mäzenatentum, sondern ein auf gegenseitigen Leistungen wie Erwartungen beruhendes Vertragsgeschäft. Die Hauptleistung des Sponsors ist seine finanzielle oder in Sachleistungen bestehende Zuwendung. Auch ihn treffen, wie jeden Vertragspartner jedes Vertrags, Verhaltenspflichten, die sich als Nebenpflichten oder die Hauptpflicht ergänzende Pflichten einordnen lassen. Was für die Seite des Gesponserten schon ausgeführt worden ist, gilt hier entsprechend. Gefordert ist als Grundsatz regelgerechtes Verhalten. Dieser Maßstab ist anzulegen, wenn es um die Kontrolle der Einflussnahme und Machtausübung geht, zu der der Sponsor z. B. im Sportgeschehen versucht sein kann. Hier ist zu differenzieren. Ausgangspunkt ist, dass Sponsoring nicht uneigennütziges Mäzenatentum oder Stiftertum ist, sondern die Verfolgung eines Eigeninteresses zum Inhalt hat. Nachhaltig auf die Erfüllung dieses Interesse zu dringen, ist deshalb im Grundsatz nicht vertrags- und regelwidriges Verhalten. Dem Sponsoring nicht zuwiderlaufend und vereinsrechtlich nicht unzulässig ist so die Übernahme eines Amtes im gesponserten Verein beim Vereinssponsoring durch den Sponsor34. Über die Wahrnehmung eines solchen Amtes ausgeübte Einflussnahme ist zwar nicht durch den Sponsoringvertrag als solchen gedeckt, aber vereinsrechtlich nicht verboten. Als Verstoß gegen das „Wohlverhaltensgebot“ lässt sich so ermöglichte Einflussnahme nicht werten. Anders dürfte der andere Fall zu bewerten sein, dass bei Vereinsspon-
__________ 31 Ähnlich im Ansatz auch Fritzweiler/Pfister/Summerer (Fn. 8), S. 305 f., insbes. Rz. 127. 32 S. zu derartiger Konkretisierung der Nebenpflichten (Obhutspflichten, Verhaltenspflichten) beim Werkvertrag BGH, NJW 2000, 2102; Übersicht zur Konkretisierung werkvertraglicher Nebenpflichten z. B. bei Sprau in Palandt (Fn. 1), § 631 BGB Rz. 13–26. 33 S. noch unten bei 3.b). 34 Vgl. auch Reichert (Fn. 8, Voraufl.), Rz. 2820 ff.
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soring Einfluss auf konkrete Situations- oder Personalentscheidungen des Vereins auszuüben gesucht wird. Der Versuch derartiger Einflussnahme ist begreiflich angesichts des Hintergrundziels des Sponsoring („positiver Bekanntheitsgewinn“), doch nicht unbegrenzt hinzunehmen. Auszugehen ist davon, dass Entscheidungen des Gesponserten auf diesem Gebiet durch den Sponsor nicht erzwungen werden können; eine rechtliche Handhabe gibt ihm der Sponsoring-Vertrag nicht. Andererseits ist der Versuch der Einflussnahme auf die Entscheidung einer in „Geschäftsverbindung“ stehenden Person ein im Grundsatz alltäglich vorkommendes Phänomen und als solches weder verboten noch illegitim. Drittens aber kann die Antwort nicht in der Verweisung auf den Einzelfall bestehen, wenn eine Einpassung des Sponsoring-Vertrags in das für Schuldverträge geltende Regelwerk unternommen wird. Es bedarf hier der Interessenabwägung, die sich daran orientieren kann, was die Gegenseite nicht mehr hinzunehmen braucht, sondern zu vertraglicher Reaktion berechtigt. Diese kann in der Berechtigung zur Verweigerung oder Beendigung der eigenen Hauptleistung bestehen, d. h. zu § 275 Abs. 3 BGB oder zu § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB. Gefordert ist also eine Abwägung der vertraglich geschützten Interessen beider Vertragsteile35 3. Vertragsverletzungsfolgen a) Ansatzpunkte Da der Sponsoringvertrag zwar gesetzlich ungeregelter und bislang „atypisch“ erscheinender schuldrechtlicher Vertrag ist, müssen die Reaktionsmöglichkeiten des jeweils anderen Vertragsteils bei Vertragsverletzungen des einen Vertragspartners bedacht werden. Sie ergeben sich angesichts des Schuldvertragscharakters des Sponsoringvertrags aus dem Regelsystem des BGB-Vertragsrechts, nähere Betrachtung, welche Regeln wann in Betracht zu kommen haben, ist aber lohnend. Dies gilt ungeachtet des Faktums, dass der Sponsoring-Vertrag regelmäßig als schriftlicher Individualvertrag oder als auf den konkreten Fall angewandter Mustervertrag vorliegen wird. Im letztgenannten Fall ergibt sich die zusätzliche Komponente der Vereinbarkeit mustervertraglich getroffener Regelungen mit §§ 305 ff., 310 BGB. Eine Differenzierung kommt weiter je nach Dauer des Sponsoring-Verhältnisses in Betracht. Sponsoring lässt sich bei „Veranstaltungssponsoring“ als „Momentvertrag“ einordnen, bei dem die beiden Leistungen zeitlich kurz dimensioniert sind, das Vertragsverhältnis also alsbald erfüllt ist. Vielfach umspannt das Vertragsverhältnis aber einen zeitlich länger gestreckten Zeitraum, so beim Vereinssponsoring oder auch beim Sendungssponsoring, wenn z. B. die Wetteransage über ein Jahr oder länger mit der Namensplatzierung der sponsernden Bank verbunden ist. Der Gedanke an das Vorliegen eines Dauerschuldverhältnisses liegt nahe. Für das Element der „Sukzessivlieferung“ ist hingegen eher kein Platz; auch
__________ 35 S. Hohloch in Erman (Fn. 1), § 314 BGB Rz. 6 m. w. N.; zur irreparablen Erschütterung des vertraglichen Vertrauensverhältnisses etwa BGH, NJW 2000, 202 und 3491 f.
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Sponsoring-Vertrag – zur Struktur eines „atypischen Vertrags“
über das Jahr verteilte finanzielle Zuwendung des Sponsors mit der Gegenleistung der dauernden Kommunikationspräsentation des Gesponserten lässt Dauerschuldverhältnis ent- und bestehen. b) Vertragsverletzungsfolgen Für die Beurteilung von Vertragsstörungen ist deshalb bei grundsätzlicher Erfüllungspflicht auf beiden Seiten anzusetzen. § 275 BGB ist deshalb auch hier nicht ausgeschlossen, ebenso bei Unmöglichkeit der Leistungserbringung durch den Gesponserten die Reaktionsmöglichkeit des Sponsors über §§ 320 ff. BGB. Die Rücktrittsmöglichkeit des § 323 BGB ist auf den Fall des „Momentvertrags“ begrenzt. Beim Dauersponsoring kommt Vertragsbeendigung über die Kündigung in Betracht, für einen Rücktritt, der das Interesse grundsätzlich beider Vertragsparteien an der Rückgängigmachung auch schon erbrachter Leistungen voraussieht36 oder dann in Betracht kommt, wenn vollständige Rückabwicklung möglich und sachgerecht ist37 wird sich hier kaum je eine praktische Möglichkeit ergeben. aa) Störungen im Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnis Eine Störung im Verhältnis der „Hauptleistungen“ ist deshalb nicht schwierig zu bewältigen. Soll der Vertrag aufrechterhalten bleiben, kommt bei ausbleibender Sponsorleistung regelmäßig Zahlungsverzug oder bei Sachsponsoring Verzug mit der Sachleistung in Betracht. Die Regelung des Verzugs oder auch seiner Folgen ist §§ 285 ff. BGB zu entnehmen. Eigentliche Vertragsprobleme liegen hierin nicht. Kommt der Gesponserte den ihm obliegenden Präsentationsleistungen nicht nach, stellt sich wesentlich die Frage der Nachholbarkeit. Besteht die Möglichkeit der Nachholung nicht, kann die Gegenleistung entfallen. Fraglich ist insoweit die rechtliche Begründung für den Fall, dass eine Vertragsregelung selbst fehlt. Wie auch bei „typischen“ Verträgen ist beim bislang „atypisch“ erscheinenden Sponsoringvertrag zunächst zu prüfen, wo im Bereich des besonderen Vertragsschuldrechts die Einordnung am ehesten vorgenommen werden kann. Der Gesponserte schuldet eine Tätigkeit oder Platznutzung, die für den Sponsor vorteilhaft ist bzw. ihm eine „Kommunikationschance“ bietet. Werkvertragsrecht bzw. Mietvertragsrecht liegen deshalb als gesetzlich geordnetes Vertragsrecht am nächsten. Werkvertragsrecht ist indes wenig ergiebig, da es Kürzung der Zahlungsleistung nur im Minderungsfall kennt, der Mangelhaftigkeit, ggf. im Sinne eines Quantitätsmangels voraussetzt (§ 634 Nr. 3 BGB). Hier lässt sich immerhin ansetzen, damit die „verhältnismäßige“ Kürzung ins Werk gesetzt werden kann. Verstärkt werden kann die Begründung durch Heranziehung der mietrechtlichen Regelung. Fehlt es an der „Platzüberlassung“ für die Kommunikation, ähnelt dies der zeitweisen Nichteinräumung des Gebrauchs der Sache. Folge ist auch insoweit „verhältnismäßige“ Minderung (vgl. § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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36 S. BGH, NJW 1998, 2004, 2006. 37 S. BGH, NJW 2002, 1870.
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Gerhard Hohloch
Die Notwendigkeit der Heranziehung der Kündigung für die Beendigung des Sponsoring-Verhältnisses liegt auf der Hand. Für eine Fristkündigung werden regelmäßig Vertragsregelungen vorhanden sein; ansonsten empfiehlt sich die Anlehnung an die Fristkündigung bei der gewerblichen Miete, die die nötige Sicherheitsbasis für den Gesponserten wie den Sponsor bietet (§ 580a Abs. 2 BGB). Für die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist § 314 BGB heranzuziehen. Anwendungsfälle bietet die dauerhafte Nichtfüllung der beiderseitigen Vertragshauptpflichten38. bb) Verletzung der Verhaltenspflichten Im Verhältnis zwischen Sponsor und Gesponsertem vertragsgemäßes „Wohlverhalten“ zu beobachten, ist bei einem als Dauerverhältnis konstruierten Sponsoring-Verhältnis auf die Länge der Vertragsdauer dann nicht einfach, wenn der Sponsor Erfolg, Attraktivität und Popularität des Gesponserten erwartet, dieses aber nicht in dem erwarteten Ausmaß eintritt. Fraglich ist dann einmal, wie weit Einflussnahme gehen darf, ohne durch den Sponsoringvertrag nicht mehr gedeckt zu sein, zum anderen, welche Sanktionen dem Sponsor verfügbar werden. In der umgekehrten Richtung verhält es sich ähnlich, freilich mit der Besonderheit, dass jede vertragsbeendende Sanktion des Gesponserten ihm eben die Sponsorleistung zumindest für die Zukunft entgehen lässt, eine für den Gesponserten riskante Option, die wiederum das für das Sponsoring kennzeichnende Kräfteverhältnis aufzeigt. (1) Mangelndes „Wohlverhalten“ des Gesponserten Da „Sponsorleistung“ regelmäßig nicht „Erfolgshonorar“ sein kann, sondern Risiko des Sponsors, der die vertraglich gefasste Gegenleistung (Kommunikationsmöglichkeit) erhält, ist mangelnder Erfolg mit der Konsequenz geringer Publizität der Tätigkeit des Gesponserten deshalb im Grundsatz nicht mangelndes Wohlverhalten, mit der weiteren Konsequenz, dass vertragskonforme Sanktionsmöglichkeiten des Sponsors nicht entstehen. Es bedarf deshalb eines Verhaltens des Gesponserten, das mit den Regelungen und akzeptablen Bräuchen seines Tätigkeitsgebiets nicht mehr kompatibel ist, damit die außerordentliche Kündigung gemäß § 314 BGB greifen kann. Sie führt, wie aus § 314 BGB selbst hervorgeht, nur zur Beendigung ex nunc und damit zum Stopp für die Sponsorleistung39. (2) Mangelndes „Wohlverhalten“ des Sponsors Im umgekehrten Verhältnis folgt aus „mangelndem Wohlverhalten“ wie vertragswidriger Einmischung des Sponsors an sich auch die Kündigungsmöglich-
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38 Zur Konkretisierung kann ggf. auf die Kündigung des Vermieters aus wichtigem Grund Bezug genommen werden; d. h. mehrfache Nichtleistung in den Leistungsperioden ist dann „wichtiger Grund“. 39 S. oben bei b) aa).
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Sponsoring-Vertrag – zur Struktur eines „atypischen Vertrags“
keit des § 314 BGB, dabei zeigt sich manchmal die schiefe Vertragsebene, auf der der Sponsoringvertrag beruht. Der Vertrag kennt zwar Vertragsleistungspflichten auf beiden Seiten, der „Sponsor“ ist als „Gönner“ aber stets und in jedem Fall in der günstigeren vertraglichen Rolle. In aller Regel ist die Kommunikationsmöglichkeit, die er sich mit seiner finanziellen Zuwendung „erkauft“, für ihn weder existenz- noch budgetnotwendig. Letzteres ist für den Gesponserten aber vielfach der Fall, mit der Konsequenz, dass außerordentliche Kündigung gut bedacht sein will. Hier werden Grenzen deutlich, die die Lebenssachverhalte der gesetzlichen Regelung setzen. Der Sponsoring-Vertrag ist zwar Vertrag mit Vertragspflichten auf beiden Vertragsseiten, das gesetzliche Instrumentarium lässt sich aber in seinem zur Verfügung stehenden Umfang erst und nur dort ohne Einbußen für die gesponserte Seite einsetzen, wo der Sponsor ersetzbar, d. h. austauschbar ist. Dafür bedarf es des Vorliegens einer Wettbewerbssituation, die nicht überall vorhanden ist, wo Sponsoring erhofft wird. Mit Unterlassungsansprüchen und Schadensersatzansprüchen, wie sie unter Heranziehung miet- und werkvertragsrechtlicher Regelungen auch für den Sponsoringvertrag theoretisch begründet werden können, ist deshalb für den Gesponserten gegenüber dem Sponsor im Regelfall praktisch nicht zu operieren. 4. Wegfall der Geschäftsgrundlage Die Darstellung kann mit einem kurzen Blick auf die Anwendbarkeit des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) enden. Wie bei jedem schuldrechtlichen Vertrag ist § 313 BGB auch hier anwendbar, die praktische Anwendbarkeit ist aber – nicht anders als beim Mietvertrag oder Werkvertrag – begrenzt. Aus dem Vertrag resultierende Vertragsstörungen sind über die Vertragsbeendigung durch Kündigung zu regulieren. Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt so nur im extremen Fall in Betracht. Zu denken ist daran, dass dem Gesponserten seine Tätigkeit, die der Sponsor für sich auszuweiten sucht, durch Lizenzentzug, Sperre oder auch durch von ihm nicht verursachte Absage seines Auftritts unmöglich wird. Hier kann, sofern nicht schon §§ 275 ff. BGB eine interessengerechte Lösung ergeben, die über § 313 BGB mögliche Anpassung/Beendigung den interessengerechten Ausweg ergeben40.
IV. Auslandsberührung 1. Sponsoring außerhalb des deutschen Rechts Sponsoring ist den benachbarten Rechtsorganen auch geläufig. Praxis besteht dazu z. B. im schweizerischen Recht, im französischen Recht, im englischen Recht, um wenige aufzuzählen. Gesetzgebung, die den Vertrag definiert, besteht hier überall ebenfalls nicht. Der Mustervertrag aus dem Vertragshandbuch ist deshalb auch dort die Waffe der Praxis. Die Interessen sind ähnlich,
__________ 40 Ähnlich in der Grenzziehung Fritzweiler/Pfister/Summerer (Fn. 8), S. 296 Rz. 97.
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die Musterregelungen indes auch, ein Phänomen, das auch bei anderen „modernen Verträgen“ auftaucht. Gleichwohl kann aber nicht angenommen werden, dass die Regelungen und ihre praktische Handhabung überall voll identisch sind41. 2. Kollisionsrecht Die kollisionsrechtliche Behandlung des Sponsoringvertrags ist bislang kaum erörtert. Es gibt kaum Äußerungen dazu, das Kommentarschrifttum enthält sich bislang so gut wie gänzlich. Eine kurze Skizze ist deshalb veranlasst; grenzüberschreitendes Sponsoring ist praktisch möglich, grenzüberschreitende Erfüllung von Sponsoring-Verträgen ist im internationalen Sportgeschäft, aber nicht nur hier, durchaus praktisch. Schematische Einordnung in die Art. 27 ff. EGBGB ist nicht möglich. Rechtswahl ist selbstverständlich in den Grenzen der Art. 27, 34 EGBGB zulässig und auch empfehlenswert, objektive Anknüpfung nach Art. 28 EGBGB kann nicht aus Art. 28 Abs. 2 EGBGB folgen. Der Sponsoringvertrag weist eine „charakteristische Leistung“ nicht auf, weder ist die Geldleistung für sich typisch noch ist das Leistungspaket des Gesponserten sehr typisch. Zum Sponsoringvertrag wird das Vertragsverhältnis erst durch die wechselseitige Verknüpfung. Es bleibt somit nur der Gang über Art. 28 Abs. 1 EGBGB, d. h. die für den Vertrag aus den verschiedenen Berührungspunkten sich ergebende „engste Beziehung“. Diese ist dort gegeben, wo sich der Sponsoring-Effekt der Kommunikationsverbesserung zeigt, d. h. anzuknüpfen ist an den Platz, von dem aus der Gesponserte seine Tätigkeit entfaltet42. Das bedeutet indes nicht, dass der Vertrag in seinen Erfüllungsabschnitten unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen muss. Wird ein Kongress eines deutschen Veranstalters, der in Österreich stattfindet, durch einen deutschen Sponsor gesponsert, ist der Bezug zum deutschen Recht stärker als der zum österreichischen Recht. Ähnliches gilt für das Vereins- oder Tourneesponsoring. Es ändert sich das anzuwendende Recht nicht, wenn eine Veranstaltung oder Teilveranstaltung in einem anderen Land stattfindet. Eine Durchbrechung der Maßgeblichkeit des von Art. 28 Abs. 1 EGBGB bestimmten Vertragsstatuts durch das „Ortsrecht“ gibt es so grundsätzlich nicht, es gilt auch hier, dass das Vertragsstatut grundsätzlich von der „Wiege bis zur Bahre“ den Vertrag, also auch seine Erfüllung, umfasst. Immerhin lässt sich eine Parallele zur Maßgeblichkeit örtlicher Verhaltensnormen im Rahmen des Art. 40 Abs. 2 EGBGB auch hier feststellen43. Verhaltensregeln, Lauterkeitsregeln und die Regeln des Markenschutzes haben diesen territorialen Bezug, der sich auch im grenzüberschreitend zu erfüllenden Vertragsverhältnis durchsetzt. Ein „dépeçage“ kollisionsrechtlicher Art ist damit aber nicht gegeben.
__________ 41 Vgl. die Hinweise oben bei Fn. 6 und 7. 42 Vgl. die nicht unähnliche Situation bei der Anknüpfung des Tauschs und in der jüngeren Vergangenheit entwickelte anderer „atypischer“ Verträge; dazu Hohloch in Erman (Fn. 1), Art. 28 EGBGB Rz. 18, 33, 35. 43 Vgl. Hohloch in Erman (Fn. 1), Art. 40 EGBGB Rz. 43 m. w. N.
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Sponsoring-Vertrag – zur Struktur eines „atypischen Vertrags“
Die Idee der „Statutseinheit“ des Art. 32 Abs. 1 EGBGB hat deshalb auch hier ihren Platz.
V. Schlussbemerkung Auch „atypische“ Verträge lassen sich, mit den vorstehenden Ausführungen, die abschließend nicht sein wollen, in den Regelungsrahmen der §§ 241 ff. BGB durchaus einfügen und können so ihre „Typik“ erhalten. Beim Sponsoring ist das nicht anders als bei anderen Verträgen, die ihre Konzeption ohne gesetzliche Vorgabe erreicht haben. Es bedarf dafür freilich der Zuwendung durch das allgemeine Zivilrecht, die bislang noch wenig entwickelt vorhanden ist.
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Heinrich Honsell
Der Strafgedanke im Zivilrecht – ein juristischer Atavismus Inhaltsübersicht I. Geschichte der Privatstrafe; Strafzwecke II. Die Funktion des Schmerzensgeldes
III. Weitere Beispiele generalpräventiver Regelungen im Zivilrecht IV. Ausblick
I. Geschichte der Privatstrafe; Strafzwecke In den letzten Jahren sind etliche Arbeiten erschienen, in denen für den Strafgedanken oder jedenfalls für Prävention als legitime Aufgabe des Zivilrechts plädiert wird1. In der Habilitationsschrift von Ina Ebert kann man sogar lesen, die Prävention habe sich wieder „als Hauptfunktion des Privatrechts etab-
__________ 1 Ebert, Pönale Elemente im Privatrecht, 2004; Möller, Das Präventionsprinzip des Schadensrechts, 2006; Bentert, Das pönale Element, 1996; C. Schäfer, Strafe und Prävention im Bürgerlichen Recht, AcP 202 (2002), 397 ff.; Löwe, Der Gedanke der Prävention im deutschen Schadensersatzrecht, 2000; Körner, Zur Aufgabe des Haftungsrechts – Bedeutung präventiver und punitiver Elemente, NJW 2000, 241; für Generalprävention auch Canaris, Gesamtunwirksamkeit und Teilgültigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen, in FS Steindorff, 1990, S. 519 (krit. hingegen ders. zum Strafschadensersatz des BGH in den Pressefällen s. Fn 28); s. ferner Magnus, Schaden und Ersatz, 1987, S. 233 ff.; A. Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, 1993, S. 64 f.; Assmann, BP 1985, 15, 24 f.; Diederichsen, AcP 182 (1982), 101, 111 f.; Köndgen, RabelsZ 56, 696, 735; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 139 f.; Dreier, Kompensation und Prävention, 2002, hauptsächlich zum Immaterialgüterrecht. Hinzu kommen noch Autoren, die sich für die punitive damages des amerikanischen Rechts stark machen, etwa P. Müller, Punitive damages und deutsches Schadenersatzrecht, 2000; Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999; Rosengarten, Punitive damages und ihre Anerkennung und Vollstreckung im Bürgerlichen Recht, 1994; ders., Der Präventionsgedanke im deutschen Zivilrecht, NJW 1996, 1935; zuletzt fordert Mörsdorf-Schulte (NJW 2006, 1184) in einem ebenso emotionalen wie substanzlosen Artikel „Sympathie für Punitive Damages“. Sie verkennt die ethische und rechtskulturelle Bedeutung des Bereicherungsverbots und meint, die Ablehnung der Punitive Damages entspringe „deutschem Neiddenken“, das den Opfern den windfall profit nicht gönne. Man wundert sich, dass die NJW so etwas publiziert. – Zuletzt hat sich G. Wagner, Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht – Anmaßung oder legitime Aufgabe?, AcP 206 (2006), 352 ff., zwar gegen den Strafgedanken, aber für Prävention ausgesprochen. Er plädiert dafür, Prävention im Privatrecht ganz allgemein zum Zwecke der Verhaltenssteuerung einzusetzen; ebenso ders. in Gutachten für den 66. Deutschen Juristentag 2006, dort allerdings beschränkt auf den Strafschadensersatz; dazu Medicus, JZ 2006, 2435; Staudinger, NJW 2006, 2435; der DJT hat diese Vorschläge mit 53:22 Stimmen abgelehnt, vgl. Südd. Zeitg. v. 22.9.2006, S. 5.
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liert“2 und zivilrechtliche Strafen seien ein „altbewährtes Mittel zur Verbesserung des Rechtsschutzes“3. Andere betonen die Überlegenheit zivilrechtlicher Sanktionen gegenüber dem Strafrecht oder dem Recht der Ordnungswidrigkeiten, sie seien effektiver, elastischer und reaktionsschneller. Überdies seien sie nicht verfassungsrechtlichen Zwängen ausgesetzt wie das Strafrecht. Behauptet wird auch, zivilrechtliche Sanktionen seien nicht an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebunden4. Nur das Strafrecht verlange Proportionalität von Schuld und Strafe. Schließlich wird geltend gemacht, die Privatstrafe sei nötig, um die Vorgaben des Grundgesetzes und des Europarechts umzusetzen5. Die Bürokratisierung in der EU schreitet unaufhaltsam fort. Die Deregulierungsdebatte war ohne jede Konsequenz. Man spricht jetzt wieder von Reregulierung und eine seltsame Lenkungs- und Regulierungseuphorie greift um sich. Alles wird geregelt. Die EU produziert fragwürdige Verbote und Anreize am laufenden Band. Die Moderichtung der economic analysis of law hat den Präventionsgedanken quasi als ökonomisches Prinzip entdeckt und propagiert, was schließlich zu Exzessen wie den punitive damages geführt hat (dazu unten II.). Es gibt aber zahlreiche Gegenstimmen6, die sich gegen diese modische Tendenz richteten, die in Wahrheit ein Rückfall auf eine längst überwundene primitive und archaische Entwicklungsstufe ist. Differenzierend hat sich Harm Peter Westermann7 geäußert, dem ich diesen Artikel in Dankbarkeit für jahrzehntelange Freundschaft und viele anregende Gespräche widme.
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A. a. O. (Fn. 1), S. 6. So Ebert, a. a. O. (Fn. 1). So z. B. Canaris a. a. O. (Fn. 1). Ebert, a. a. O. (Fn. 1), S. 576.; für eine europarechtskonforme Sanktionsordnung plädiert auch Wagner (Fn. 1), S. 389 ff., 402 ff. 6 S. zuletzt Bydlinski, Die Suche nach der Mitte, AcP 204 (2004), 1 ff., 309 ff., 343 ff.; Honsell, Die Funktion des Schmerzensgeldes, VersR 1974, 205; ders., Die Abwicklung sittenwidriger Darlehensverträge in rechtsvergleichender Sicht, in FS Giger, 1989, S. 287; ders. Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 2005, § 1 Rz. 67 ff., 87 ff.; Barthon, AfP 1995, 452, 456; Bungert, ZIP 1992, 1707, 1719; Hermann, ZfA 1996, 19, 36; Höchst, VersR 1983, 13; Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 28 III, S. 438; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, S. 12; E. Kaufmann, AcP 162 (1963), 421, 437; Mertens in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Vorbem. zu §§ 823 ff. BGB Rz. 41; Schwerdtner in MünchKomm.BGB, 3. Aufl. 1993, Anh. § 12 BGB Rz. 290; A. Stadler, Die kommerzielle Sicherung des Persönlichkeitsrechts, 1999, S. 18 ff.; Seitz, NJW 1996, 2848; Horter, Der Strafgedanke im Bürgerlichen Recht, 2003; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Klumpp, Die Privatstrafe, 2001; krit. auch J. Schmidt, Schadensersatz und Strafe, 1973; ders., Prävention als Zielbestimmung im Zivilrecht, KritV 1986, 83. – Gegen eine Heranziehung „moralisierender oder strafrechtlicher Gesichtspunkte“ haben sich schon die Motive zum BGB II 17 gewandt, freilich dort mit dem Missverständnis, solche lägen bereits vor, wenn man das sog. Alles- oder Nichts-Prinzip ablehnt und den Umfang der Ersatzpflicht nach dem Grade des Verschuldens bemisst; dazu Honsell, Zur Herkunft und Kritik des Interessebegriffs, JuS 1973, 69; ders., Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 2005, § 1 N 28 ff., § 8 N 9 ff. 7 Geldentschädigung bei Persönlichkeitsverletzung – Aufweichung der Dogmatik des Schadensersatzrechts?, in Koller u. a. (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im juristischen Denken, Symposion Canaris, 1999, S. 125 ff.
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Der Strafgedanke im Zivilrecht – ein juristischer Atavismus
Die Pönalisierungstendenz ist neu und widerspricht dem Grundgedanken der Privatautonomie. Seit dem 19. Jahrhundert und namentlich seit dem Inkrafttreten des BGB und des OR galt die Überwindung des Strafgedankens im Zivilrecht als kultureller Fortschritt. Es war communis opinio, dass pönale Erwägungen im Zivilrecht keinen Platz haben, weil sie ungerecht sind und in einem Recht unter Gleichen systemfremd, weil sie die Funktionsteilung zum Strafrecht nicht beachten und vor allem zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten führen. Nach dem allein von der iustitia correctiva8 beherrschten Ausgleichsgedanken ist nur der Schaden zu ersetzen, sonst nichts. Ehe wir der Berechtigung von Präventions- oder gar Strafzwecken im Zivilrecht weiter nachgehen, sind zunächst Wesen und Zweck der Strafe kurz zu beschreiben. Soziologisch könnte man Strafe definieren als Erzeugung von Unlustgefühlen zum Zwecke der Verhaltenssteuerung. Sie begegnet uns nicht nur im staatlichen Bereich, sondern auch in der Gesellschaft, z. B. beim Sport oder im Betrieb in der Form von Vereins- oder Betriebsstrafen. Die Verletzung anerkannter Normen verlangt eine Reaktion. Im Strafrecht findet man im Wesentlichen drei alte Theorien über Wesen und Zweck der Strafe: Die ursprünglich herrschende absolute Straftheorie verzichtete auf jegliche Legitimation von Strafe: punitur quia peccatum. Strafe war zweckfrei, absolut. Der wichtigste Verfechter dieser Lehre war Immanuel Kant, der in der Metaphysik der Sitten (1797) schrieb: „Richterliche Strafe […] muss jederzeit nur darum wider den Verbrecher verhängt werden, weil er verbrochen hat“. Die Idee der Strafe als Selbstzweck ging bei Kant soweit, dass er sich zu der irrationalen Behauptung hinreißen ließ: „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z. B. dass ein eine Insel bewohnendes Volk beschlösse, auseinander zu gehen und sich in alle Welt zu zerstreuen) müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Strafe nicht gedrungen, weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ Auch in der Philosophie Hegels verlangt die Weltordnung eine Reaktion auf die Straftat. Strafe ist dort die Negation der Negation. Der Rechtsbruch wird durch die Strafe geheilt. Immerhin ist insofern eine gewisse Aufklärung zu konstatieren, als die Strafe nicht der Befriedigung persönlicher Rache- oder Genugtuungsbedürfnisse dient und auch nicht zur Abwehr von Nachteilen für das Volk nötig ist, sondern allein Verwirklichung einer abstrakten, strafenden Gerechtigkeit. Demgegenüber war es ein echter Schritt in Richtung Aufklärung und Überwindung des Irrationalen, als im 19. Jahrhundert rationale
__________ 8 Dazu Honsell, Iustitia distributiva – iustitia commutativa, in 2. FS Mayer-Maly, 2001, S. 287 ff.
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Strafzwecke die Oberhand gewannen. Jetzt hieß es: punitur ne peccetur. Der Protagonist der Generalprävention war Anselm von Feuerbach, für die Spezialprävention hat sich Franz von Liszt (der Vetter des gleichnamigen Komponisten) ausgesprochen9. Im Strafrecht gilt heute weder die absolute noch die relative Straftheorie allein, sondern eine Mischform, die sog. Vereinigungstheorie, die Rache nur noch in der abgeschwächten Form der Sühne kennt und die Spezial- und Generalprävention daneben stellt10. Weniger selbstgerecht und prätentiös, neutraler und bescheidener ist es, Sühne und Besserung beiseite zu lassen und den Zweck der Strafe neben einer gewissen Abschreckung einfach in der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu sehen. Werfen wir noch einen Blick auf die Geschichte der Privatstrafe, ehe wir uns dem eigentlichen Thema zuwenden: Das alte römische Recht gestattete dem Ehemann, den auf frischer Tat ertappten Ehebrecher zu töten. Auch der Mörder (parricidas) durfte nach einem alten Zwölftafelsatz getötet werden. Ebenso der Dieb, der des nachts ergriffen wurde oder der sich am Tage mit der Waffe verteidigte. Vernünftiger und ökonomischer war es freilich, ihn als Sklaven zu verkaufen. Das waren die Anfänge des Geldersatzes für immaterielle Güter. Schließlich gewährte man noch im klassischen römischen Recht beim einfachen Diebstahl das Doppelte (duplum), bei dem in flagranti ertappten Dieb das Vierfache (quadruplum) des Wertes der gestohlenen Sache. Die Ausübung der Privatrache wurde jetzt auf einen Abkauf derselben beschränkt. Es ist bezeichnend, dass das Wort pactum, das später Vertrag bedeutet (ursprünglich von pacisci, Frieden schließen), den Vertrag über die Ablöse der Rache bezeichnet. Auch für schwere Körperverletzungen war im altrömischen Recht die Talion vorgesehen. Freilich galt dies nur für den Fall, dass sich der Täter nicht bereit erklärte, die vom Verletzten geforderte Buße zu bezahlen. Für leichtere Körperverletzungen schlossen die Zwölftafeln die Talion aus und schrieben feste Geldbußen vor: Bei einem Knochenbruch (os fractum) waren 300 As zu zahlen, alle anderen einfachen Körperverletzungen wurden mit 25 As gesühnt, ein Betrag, der wegen der Inflation schon bald völlig ungenügend war11. Das klassische Recht kannte eine actio iniuriarum, die auf eine Geldentschädigung sowohl für Körperverletzung als auch für Beleidigung gerichtet war. Diese Klagen waren schon in den Naturrechtsgesetzbüchern beseitigt und sind auch in die Pandektengesetzbücher nicht mehr aufgenommen worden. Verbal- und Realinjurien waren jetzt ausschließlich im Strafrecht geregelt.
__________ 9 Franz von Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, 1882. 10 Vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl. 1997, § 3. S. aus der deutschen Judikatur BVerfGE 39, 157; 45, 187, 253 f.; BGHSt 24, 40, 42; auf die Differenzierung im Einzelnen ist hier nicht einzugehen. 11 Vgl. die Erzählung Labeos bei Gellius 20, 1, 13, wonach ein Römer zur Demonstration der lächerlichen Geringfügigkeit dieser Beträge durch die Stadt marschiert sei, Ohrfeigen ausgeteilt und die Buße bezahlt hat; s. dazu Birks in FS Daube, 1974, S. 39 ff.
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Der Strafgedanke im Zivilrecht – ein juristischer Atavismus
Wenden wir uns nun der Frage zu, ob es im Zivilrecht legitime pönale Elemente gibt. Zunächst wird dem Haftpflichtrecht, auch wenn es sich strikt auf Kompensation beschränkt, eine gewisse Präventionswirkung beigemessen. Denn eine drohende Ersatzpflicht wirkt tendenziell deliktsvermeidend. Hierbei handelt es sich indes nur um einen Nebeneffekt, nicht um einen selbständiges Element. Die Präventivfunktion des Haftpflichtrechts wird meist überschätzt, zum einem, weil Prävention bei fahrlässigem Handeln kaum greift und zum anderen, weil in den meisten Fällen eine Haftpflichtversicherung eintritt, was Prävention weitgehend wirkungslos macht. Die unselbständige Nebenwirkung können wir also beiseite lassen. Ebenso die Figur der Privat- oder Konventionalstrafe. Sie wird durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Parteien autonom begründet und hat mit unserem Thema nichts zu tun. Dasselbe gilt cum grano salis für Vereins- oder Betriebsstrafen, wo ebenfalls eine vertragliche Unterwerfung vorliegt. Wer heute für das Zivilrecht pönale Elemente reklamiert, meint in der Regel Genugtuung oder Generalprävention. Hierauf ist im Folgenden einzugehen.
II. Die Funktion des Schmerzensgeldes Der deutsche BGH hat schon im Jahre 1955 für das Schmerzensgeld12 eine Doppelfunktion postuliert, indem er den Ausgleichsgedanken um eine Genugtuungsfunktion ergänzt hat13. Den Begriff der Genugtuung entlehnte das Gericht der Terminologie des OR und des ABGB (Art. 47, 49 OR, § 1323 ABGB). Der Begriff ist eine Lehensübersetzung von satisfactio und wurde hauptsächlich in den Ehrencodices des Adels und der Offiziere verwendet. Dort bedeutete er „Beilegung eines Ehrenstreits durch Ehrenerklärung oder Duell“. Duelle waren noch im 19. Jahrhundert sehr verbreitet. Z. B. starb Lasalle (der Sozialist!) im Jahre 1865 in Genf an den Folgen eines Duells, das er gegen den Verlobten einer jungen Frau provoziert hatte, der er nachgestellt hatte. Man sieht, der Begriff der Genugtuung hat eine erstaunliche Metamorphose durchgemacht. Den Vorschlag, eine Beleidigung durch Geld zu tilgen, hätte man im 19. Jahrhundert als neue Beleidigung betrachtet. Zwischen den Ehrvorstellungen des Adels im 19. Jahrhundert und den Strafklagen einer Soraya oder Caroline v. Monaco gegen die Yellow Press liegen Welten14.
__________ 12 Der Begriff ist eine Wortprägung, die es nur im Deutschen gibt. Pretium doloris ist dazu eine Übersetzung, die im klassischen Latein nicht vorkommt. Der Begriff ist auch schief, weil es bei gravierenden Körperverletzungen meist nicht nur und auch nicht in erster Linie um Schmerzen geht, sondern um Funktionsverluste, man denke an eine Querschnittlähmung oder eine Erblindung. 13 BGHZ (GS) 18, 149 ff. 14 Zur Beteiligung des BVerfG an diesem Wertewandel s. BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 851 – Soraya; dazu unten Fn. 28.
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Der eigentliche Neubegründer der Genugtuung durch Geldersatz war Rudolph von Jhering. Von ihm stammt der Satz15, dem Schädiger werde in Gestalt einer Geldzahlung ein „Übel“ auferlegt, das geeignet sei, das gekränkte Rechtsgefühl des Verletzten zu besänftigen. Man könnte auch formulieren, dass der Geschädigte wenigstens in den Genuss der Schadenfreude kommen soll über das dem Schädiger auferlegte finanzielle Opfer. Hinter dem verschleiernden Genugtuungsgedanken schimmern die archaischen Figuren von Rache und Vergeltung durch: Die Rache wird dem Verletzten durch eine Bußzahlung abgekauft. Hierbei handelt es sich um einen „juristischen und kulturellen Atavismus“16. Ursprünglich war Jhering ein Gegner der Privatstrafe17. In einem für ihn nicht ganz untypischen Opportunismus hat er seine Meinung mit dem berühmten Gäubahn-Gutachten geändert18. In nuce übernimmt der BGH die Definition Jherings: Der Verletzte soll – so der BGH – Genugtuung erlangen „für das, was ihm der Schädiger angetan hat“19. Hätte das Gericht nicht von Genugtuung, sondern von Sühne oder Vergeltung gesprochen, wäre klar gewesen, dass diese Begriffe im Kontext des Schadenersatzes anachronistisch und deplaziert sind. Das Gericht war der Auffassung, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sollten der Grad des Verschuldens und die Vermögensverhältnisse der Parteien berücksichtigt werden. Daran sah es sich durch den Ausgleichsgedanken gehindert, der quasi automatisch zum Alles- oder Nichts-Prinzip führe. Der große Senat hat nur deshalb das Genugtuungselement eingeführt, damit das Schmerzensgeld nach billigem richterlichen Ermessen festgesetzt werden kann. Man glaubte, dass dies ohne
__________ 15 So Rudolf von Jhering, Kampf ums Recht, 2003, S. 73 f., 84, 86 f. Aus der modernen Literatur etwa Hans Stoll im Gutachten für den 45. BJZ 1964, 152: „Genugtuung im Rechtssinne ist Besänftigung des Verletzten durch Sühnung der Tat“. 16 Hirsch, Zur Abgrenzung von Strafrecht und Zivilrecht, in FS Engisch, 1969, S. 304, 314 ff., 317. 17 Im Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung schreibt Rudolf von Jhering (Fn. 15) auf S. 129 f.: „Aber die Rache ist maßlos; ihr Maß ist das rein Zufällige und Willkürliche der subjektiven Erregtheit des Verletzten und, anstatt das begangene Unrecht zu tilgen, steigert sie dasselbe nur, indem sie zu dem bereits Vorhandenen Neues hinzufügt und Oel ins Feuer gießt. Begreiflich, dass sie am frühesten dem Gesetz der Ordnung erliegt.“ 18 Ges. Schriften III, 1886, S. 87, 131, 136 ff. – Im Gäubahngutachten ging es eigentlich gar nicht um Genugtuung, sondern darum, dass dem Gäubahncomité, dem Auftraggeber Jherings, von dem Kontrahenten, der Zentralbahn AG, aufgrund von Gutachten des Basler Germanisten A. Heusler und des Berner Prozessualisten Renaud, die Rechts- und Prozessfähigkeit sowie das rechtliche Interesse an der Fertigstellung der Wasserfallenbahn abgesprochen worden war. Das Gäubahncomité hatte auf 17 Mio. Franken geklagt, den Betrag, der nötig war, um den von der Zentralbahn geschuldeten Bau zu vollenden. Anscheinend hat es den Prozess nicht gewonnen, jedenfalls wurde die Bahn nie fertig gestellt. Jhering holte in seinem Gutachten sehr weit aus: Um das Erfordernis des Vermögenswertes der Obligation zu widerlegen, führte er den Nachweis, dass schon das römische Recht die Satisfaktionsfunktion des Schadensersatzes gekannt hat. 19 BGHZ 18, 149, 154.
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Rückgriff auf die Genugtuung nicht möglich sei. Das ist derselbe Irrtum, dem auch die Väter des BGB20 erlegen sind, die gegen die Abstufung des Schadensersatzes nach dem Grad des Verschuldens eingewandt hatten, das laufe auf strafrechtliche und moralisierende Erwägungen hinaus. In der Schweiz hat man den Begriff Genugtuung nie im Sinne von Strafe verwendet. Nach h. L. in Literatur und Rechtsprechung dient die Genugtuung dem Ausgleich und nicht der Strafe21. Die Berücksichtigung des Verschuldensgrades für den Umfang der Ersatzpflicht ist in Art. 43 OR normiert, und dass Schadensersatz nach billigem Ermessen des Richters zu leisten ist, ergibt sich aus dem Hinweis auf die Umstände des Falles in Verbindung mit Art. 4 ZGB; außerdem sagt das Gesetz dies auch sonst an verschiedenen Stellen22. Schließlich ist es mit dem Strafgedanken unvereinbar, dass es Schmerzensgeld bzw. Genugtuung auch bei der Gefährdungshaftung gibt. Das wäre ein Beispiel für Sühne ohne Schuld. Der Schweizer Begriff der Genugtuung entspricht der Terminologie des 19. Jahrhunderts, das den Schaden auf den in Geld bewertbaren Vermögensschaden einschränkte. Alles, was nicht als Schadenersatz in diesem Sinne qualifiziert werden konnte, war Strafe oder (weniger aggressiv) Genugtuung23. Richtig ist, dass Schmerzen keinen Geldwert haben, dass man Leid und Schmerz in Geld nicht messen kann und dass eine Wiedergutmachung im eigentlichen Sinn nicht möglich ist. Doch hat Geld insofern einen Bezug zu ideellen Werten, als man sich immaterielle Genüsse für Geld kaufen kann. Dostojewski hat Geld „geprägte Freiheit“ genannt und aus der Antike stammt das berühmte Wort: pecunia una regimen est rerum omnium24. Die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes kann als Kompensation in dem Sinne verstanden werden, dass sich der Geschädigte mit dem Geld zur Entschädigung für die Leiden Annehmlichkeiten und Freuden verschaffen kann25. Die Genugtuung hat daneben keine eigenständige Bedeutung26 und führt auch nicht zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes. Niemand hat bisher beim Schmerzensgeld zwei gesonderte Beträge für Ausgleich und Genugtuung ange-
__________ 20 Motive II 17. 21 BGE 102 II 22; 115 II 156; Tercier, Tort moral 98 ff.; ders. in FS Deschenaux, 1977, S. 324 ff.; ders., Die Genugtuung, in Straßenverkehrsrechts-Tagung 1988, 3 f.; P. Stein, Die Genugtuung, 4. Aufl. 1987, S. 3; Brehm in Basler Komm. (Hrsg. Honsell/ Vogt/Schnyder), 2001, Art. 47 OR Rz. 6 ff. 22 Vgl. etwa Art. 39 Abs. 2, 47, 422 Abs. 1 OR. Rspr. und Doktrin verkennen dies, s. näher Honsell, Haftpflichtrecht (Fn. 6), § 1 N 26 ff., 68, § 8 N 1. 23 Vgl. zur Geschichte des Begriffs im 19. Jahrhundert Nehlsen-v. Stryk, Schmerzensgeld ohne Genugtuung, JZ 1987, 119. – Einen anderen Begriff verwendet allerdings § 1323 ABGB, dort bezeichnet volle Genugtuung den Schadenersatz inklusive des entgangenen Gewinns. 24 Publilius Syrus, Sententiae 458. Ähnlich schon der Fabeldichter Aesop in Plutos. 25 Vgl. Tercier in FS Deschenaux (Fn. 21), S. 324 ff.; ders., Die Genugtuung, in Straßenverkehrsrechts-Tagung 1988, 3 f., der treffend von einer „Hilfskonstruktion“ spricht. 26 Wie hier Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, 1993, S. 209; Deutsch, JZ 1971, 247; Canaris in FS Deutsch, 1999, S. 105.
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setzt. Der BGH selbst hat dies abgelehnt27. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes ist entbehrlich28 und stellt einen bedauerlichen Rückfall in archaische Rechtsvorstellungen dar29. Die Bedeutung der Entscheidung des Großen Senats liegt nicht auf dem Gebiet des Schmerzensgeldes, sondern auf dem des Persönlichkeitsrechts30. Die Genugtuungslehre hat die spätere Rechtsprechung zum Geldersatz bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorbereitet. Dort geht es nicht um den Ausgleich erlittener Schmerzen, sondern ausschließlich um Genugtuung oder Abschreckung. Der BGH sieht in der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes eine Möglichkeit zur Sanktion von Persönlichkeitsrechtsverletzungen, obgleich § 253 BGB den Geldersatz für Nichtvermögensschäden explizit nur in den gesetzlich genannten Fällen zulässt31. Die Leitentscheidungen waren der Herrenreiter- und der Ginsengwurzel-Fall32.
__________ 27 BGH, VersR 1961, 164. BGH, NJW 1993, 871 nennt sogar den Sühnegedanken im Zivilrecht „nicht tragfähig“; s. auch BGHZ 120, 1, 6; 138, 388, 392, wo trotz Wegfall der Genugtuungsfunktion mangels Empfindungsfähigkeit zutreffend Schmerzensgeld zugebilligt wird. Nach BGHZ 128, 117 (Todesangst) soll aber die Berücksichtigung der Genugtuung bei Vorsatz weiterhin möglich sein; dazu Möller (Fn. 1), S. 202, 204 f. m. w. N. 28 S. Honsell, VersR 1974, 205; E. Lorenz in FS Wiese, 1998, S. 273; Canaris in FS Deutsch (Fn. 26), S. 85, 103. 29 Honsell, Haftpflichtrecht (Fn. 6), S. 205 ff.; Nehlsen-v. Stryk, JZ 1987, 119, 124 f., 126. 30 Bötticher, AcP 158 (1959/60) 385 ff. 31 Vgl. dazu Honsell, Haftpflichtrecht (Fn. 6), S. 205 ff., wo nachgewiesen wird, dass es sich um eine Rechtsfortbildung contra legem handelt; zustimmend Diederichsen, AcP 198 (1998), 193 ff.; dagegen Canaris a. a. O. (Fn. 1), S. 100; ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 187 f. m. w. N. Das Bundesverfassungsgericht hat im Soraya-Beschluss (BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 851) diese Rechtsprechung dadurch legalisiert, dass es den § 253 BGB (Schadenersatz in Geld bei Nichtvermögensschäden nur in den gesetzlich genannten Fällen) kurzerhand für verfassungswidriges vorkonstitutionelles und damit eo ipso aufgehobenes Recht erklärt hat. Danach ist es so, dass wegen der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) und der freien Entfaltung der Person (Art. 2 Abs. 1 GG) „als ius superveniens von höherem Rang“ (BVfGE a. a. O.), der Ausschluss einer Geldentschädigung für Ehrverletzung verfassungswidrig ist. Die Wiederherstellung der Menschenwürde durch Geld, das ist die verkehrte Welt der „Caroline von Monaco“-Entscheidungen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Eine Geldzahlung kann verletzte Menschenwürde nicht wiederherstellen. Inzwischen wurde § 253 BGB neu gefasst. Der Gesetzgeber hat aber erstaunlicherweise mit der Neufassung des § 253 BGB in Art. 2 Nr. 2 des 2. SchadÄndG an dem alten Prinzip nichts geändert. Die Vorschrift lautet jetzt (Abs. 1): Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. Abs. 2: Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Der bisherige § 253 BGB (kein Geldersatz für Nichtvermögensschäden) ist jetzt § 253 Abs. 1; § 253 Abs. 2, in dem die Ausnahmen aufgeführt werden, ist der um die sexuelle Selbstbestimmung erweiterte frühere Tatbestand des § 847 BGB. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird fälschlich nicht unter den Ausnahmen erwähnt, mit der Begründung, dass es aus § 823 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet
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In der Schweiz, wo der Persönlichkeitsschutz in Art. 27 ff. ZGB verankert ist und wo unter anderem die Sanktionen Schadenersatz und Genugtuung ausdrücklich normiert sind, hat es vergleichbare Urteile kaum gegeben. Denn nur schwere Persönlichkeitsverletzungen rechtfertigen eine Genugtuung, ein Erfordernis an dem die meistern Klagen scheitern33. Das volle Bekenntnis des BGH zur Prävention folgte erst 40 Jahre später in den Urteilen zugunsten der Caroline von Monaco34. Über Caroline von Monaco waren in der Regenbogenpresse unrichtige Berichte erschienen, erfundene Interviews, Behauptungen über angeblichen Brustkrebs und nicht autorisierten Fotos ihres Sohnes. Die Zeiten, in denen man sich mit 10 000 DM begnügen musste, waren nun vorbei: „Eine Verurteilung zur Geldentschädigung – so der 6. Senat – ist nur dann geeignet, den aus dem Persönlichkeitsrecht heraus gebotenen Präventionszweck zu erreichen, wenn die Entschädigung der Höhe nach ein Gegenstück dazu bildet, dass hier die Persönlichkeitsrechte zur Gewinnerzielung verletzt worden sind“. Demgegenüber müssten die erzielten Gewinne in die Bemessung einer „fühlbaren Geldentschädigung“ einfließen, damit von ihr ein „echter Hemmungseffekt“ ausgehe. Das überzeugt nicht. Eine Strafe sollte nicht den Geschädigten bereichern, sondern an den Staat fallen. Wer wirklich meint, man könne unfaire Berichterstattung nur mit Geldstrafen oder Verwaltungsbußen beikommen, muss den Gesetzgeber bemühen. Auch die Abschöpfung des Verletzergewinns kann die Entscheidung nicht rechtfertigen, denn die Frage, ob mit der Berichterstattung eine Auflagensteigerung verbunden war, blieb abstrakt und vage und ist vom Gericht auch gar nicht näher untersucht worden. Wo wirklich eine Rechtsgutverletzung kausal zu einem ungerechtfertigten Gewinn führt, reichen die herkömmlichen Mittel der bereicherungsrechtlichen Gewinn-
__________ wird (BT-Drucks. 14/7752, 25). Die Tatsache, dass die Rechtsprechung das Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB qualifiziert, sagt aber über den Geldersatz von Nichtvermögensschäden nichts aus. Die Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB ist kein vom Gesetz bestimmter Fall. Noch heute verbietet also das Gesetz (jedenfalls seinem Wortlaut nach) den Geldersatz für Ehrenverletzungen und unrichtige Pressedarstellungen. Mit der Neufassung handelt es sich allerdings nicht mehr um vorkonstitutionelles Recht, das sich einfach als verfassungswidrig beiseite wischen lässt. Das Bundesverfassungsgericht muss also die neu gefasste Vorschrift für verfassungswidrig erklären. Über die heute obwaltende gesetzgeberische Sorgfalt kann man nur den Kopf schütteln. 32 BGHZ 26, 349 – Herrenreiter und BGHZ 35, 363 – Ginsengwurzel. 33 Vgl. zuletzt etwa BGE 129 III 715 ff. = AJP 2004, 743 ff. mit krit. Anm. David. 34 BGHZ 128, 1, 14; BGH, NJW 1996, 984; BGH, NJW 1996, 985; bestätigt in BGH, NJW 2005, 215; s. auch BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. Die Reaktion des Schrifttums war gespalten, kritisch etwa Canaris in FS Deutsch (Fn. 26), S. 85, 107; Westermann in Symposion Canaris (Fn. 7), S. 125 ff.; Seitz, NJW 1996, 2848; Soehring, NJW 1997, 360, 372; ders., AfP 2000, 230; dem BGH zustimmend Stürner in FS Großfeld, 1999, S. 1201; ders., AfP 1998, 1 ff.; Hager, Jura 1995, 566, 573; Löwe, Der Gedanke der Prävention im deutschen Schadensersatzrecht, 2000, S. 196; Schwerdtner, KF 1996, 27, 40; Rosengarten, NJW 1996, 1935; Horter a. a. O. (Fn. 6) und Bentert a. a. O. (Fn. 1) und natürlich auch Prinz der Anwalt (NJW 1996, 953) und Steffen der Richter (NJW 1997, 10 u. FS Odersky, 1996, S. 723 ff.).
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abschöpfung und der unechten Geschäftsführung nach Art. 423 OR35. Im Immaterialgüterrecht bestehen ohnedies Sondervorschriften. Im Fall Caroline von Monaco hat das Hanseatische Oberlandesgericht aufgrund der Vorgaben des BGH einen pönalen Schadenersatz von 180000 DM festgesetzt. Dies hat weithin Verwunderung ausgelöst, weil nun ein echter Wertungswiderspruch zu den teilweise sehr bescheidenen Summen bei schweren Verletzungen und Funktionsverlusten entstand. Selbst die Höchstbeträge von 10000 DM für eine Vergewaltigung oder 200000 DM für eine Querschnittslähmung nehmen sich gegenüber der neuen Entschädigung für Persönlichkeitsverletzung seltsam aus36. Weil die hohen Summen in der Praxis regelmäßig nur Prominenten zugute kommen, hat man auch von Klassenjustiz gesprochen37. Durch die Urteile des 6. Senats ist schließlich ein Widerspruch zur Rechtsprechung des 9. Senats entstanden. Letzterer hat zutreffend entschieden, dass US-amerikanische punitive damages-Urteile in Deutschland wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht vollstreckbar sind38. Die US-amerikanischen punitive damages mit ihren absurden und exzessiven Entschädigungen sind der Prototyp der hier kritisierten Fehlentwicklung39. Der Zigarettenindustrie hat man 206 Mrd. Dollar abgepresst, den Schweizer Großbanken 1,25 Mrd. Inzwischen ist der Höhepunkt dieser „crazy litigations“ überschritten. Astronomische Urteilssummen werden seltener, wenngleich es immer noch genug Übertreibungen gibt.
__________ 35 Darauf ist oft hingewiesen worden, vgl. etwa Westermann (Fn. 7), S. 143 f.; Canaris in FS Deutsch (Fn. 26), S. 85, 87 ff., 108 f. Heldrich, Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit, in FS Heinrichs, 1989, S. 324; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 345 f. 36 Kritisch hierzu Canaris in FS Deutsch (Fn. 26), S. 85, 101; Gounalakis, AfP 1998, 10, 16 f.; Horter (Fn. 6), S. 155 f. – die Verteidiger wenden (nicht überzeugend) ein, dass die Entschädigung für Persönlichkeits- und diejenige für Körperverletzung jeweils einem anderen Rechtskreis angehöre (BVerfG, NJW 2000, 21, 87; Steffen, ZRP 1996, 366 f.). 37 Ehman, JuS 1997, 193, 203; Knieper, ZRP 1974, 137, 139; Stadler, Kommerzialisierung, 1999, S. 21 f.; Seitz, NJW 1996, 28, 48. 38 BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096, 3104; s. dazu Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages, 1999, S. 28 ff.; Gottwald in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl. 2000, § 328 ZPO Rz. 890; Martini in Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts III/I, 1984, Rz. 1046; Bungert, ZIP 1992, 1707 ff.; Siehr, RIW 1991, 705; Stiefel/Stürner, VersR 1987, 829; Thümmel, RIW 1988, 613; Zekoll, Am.J.Comp.L. 37 (1989), 301, 313 ff. Gegen dieses Urteil etwa P. Müller, Punitive damages und deutsches Schadenersatzrecht, 2000; Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999; Rosengarten, Punitive damages und ihre Anerkennung und Vollstreckung im Bürgerlichen Recht, 1994, mit dem Argument, dass auch im deutschen Schadenersatzrecht pönale Elemente zu finden seien, weshalb der grundsätzliche Einwand gegen die Vollstreckung amerikanischer punitive damages-Urteile im deutschen Recht nicht gerechtfertigt sei. P. Müller will diese bis zu einem Betrag von 80 0000 DM zulassen, dem höchsten bislang in Deutschland gewährten Schmerzensgeld. Müller verkennt den Unterschied zwischen kompensatorischen Schmerzensgeld und Strafschadenersatz. 39 Einzelheiten bei Honsell, Amerikanische Rechtskultur, in FS Zäch, 1999, S. 39 ff.
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Die Notwendigkeit von punitive damages wird mit Abschreckung und Vergeltung (deterrence und retribution) begründet40. Es ist eine naive Sanktionsgläubigkeit und das Bedürfnis nach pädagogischen Maßnahmen gegenüber dem tortfeasor („to teach a lesson“, „to send a message“ usw.). Der Supreme Court hatte noch in dem Fall BMW of Northern America Inc. v. Gore41 mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit nichts anzufangen gewusst und entschieden, dass das 500-fache des Schadens jedenfalls noch verhältnismäßig sei. In State Farm Mutual Automobile Insurance Company v. Campbell et al.42 hat das Gericht zurückbuchstabiert und erklärt, ein Verhältnis von 145:1 zwischen Schaden und punitive damage sei unverhältnismäßig und stelle eine Enteignung des Schädigers dar. Der Fall lag folgendermaßen: Nach einem vom Campbell verschuldeten schweren Autounfall, bei dem eine Person getötet und eine andere schwer verletzt worden war, erklärte der Haftpflichtversicherer, Campbell treffe kein Verschulden, er werde dessen Interessen wahrnehmen und die Zahlung ablehnen. Nachdem Campbell jedoch im Haftpflichtprozess rechtskräftig verurteilt worden war, erklärte ein Vertreter des Versicherers, Campbell müsse jetzt wohl sein Haus verkaufen. Der Versicherer hatte jedoch ungeachtet dieses Geredes nach Rechtskraft des Urteils bezahlt. Campbell verklagte ihn gleichwohl wegen emotional distress. Das Verhalten des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer war nach mehreren Instanzen (vom Supreme Court unbeanstandet) mit 1 Mio. Dollar „Schadenersatz“ für emotional distress sanktioniert worden. Der Supreme Court von Utah hatte aber zusätzlich auf punitive damages von 145 Mio. Dollar (sic!) erkannt. Der US Supreme Court hielt das für überzogen und verwies die Sache zurück43. Wenngleich das Ge-
__________ 40 S. US Supreme Court, BMW of North America Inc. v. Gore 517 US 559 (1996); US Supreme Court, State Farm Mutual Automobile Insurance Company v. Campbell, 7.4.2003 (01-1289); Capman u. Trebilcock, Punitive damages, Alabama Law Review 40 [1989] 741 ff., abgedruckt auch in Craswell/Schwartz, Foundations of Contract [1994] 127 ff.; Sunstein, et al. Punitive Damages: How Juries Decide (Chicago, 2002); Dasser, SJZ 2000, 101 ff.; kritisch dazu Honsell in FS Zäch (Fn. 39), S. 39 ff. 41 517 US 559 (1996). 42 538 US 408 (2002). 43 Hier ein Auszug aus dem 6:3 Entscheid (Referent Kennedy): „Compensatory damages are intended to redress a plaintiff’s concrete loss, while punitive damages are aimed at the different purposes of deterrence and retribution. Punitive damages awards serve the same purpose as criminal penalties. … Thus, this Court has instructed courts reviewing punitive damages to consider (1) the degree of reprehensibility of the defendant’s misconduct, (2) the disparity between the actual or potential harm suffered by the plaintiff and the punitive damages award, and (3) the difference between the punitive damages awarded by the jury and the civil penalties authorized or imposed in comparable cases. The Due Process Clause of the Fourteenth Amendment prohibits the imposition of grossly excessive or arbitrary punishments on a tortfeasor. In sum, courts must ensure that the measure of punishment is both reasonable and proportionate to the amount of harm to the plaintiff and to the general damages recovered. In the context of this case, we have no doubt that there is a presumption against an award that has a 145-to-1 ratio. The compensatory award in this case was substantial; the Campbells were awarded $1 million for a year
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richt an seiner Vergeltungs- und Abschreckungsterminologie festhält, sind die Summen jetzt niedriger und der Ton ist moderater geworden. Das Gericht anerkennt jetzt das Verhältnismäßigkeitsprinzip, warnt vor einer Enteignung des Haftpflichtigen und stellt einen Verstoß gegen die due process clause des 14. Verfassungs-Amendments44 fest. Trotzdem kann man dem Urteil nicht zustimmen. Einmal fragt es sich, worin der Schaden bestanden haben soll, der mit 1 Mio. ausgeglichen worden ist. Der Supreme Court führt zunächst richtig aus, that compensatory damages are intended to redress a plaintiff’s concrete loss45. In der Folge heißt es etwas wolkig, that the Campbells suffered only minor economic injuries. Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht ausgeführt, worin dieser bestanden haben sollte. Um compensation, also um Ausgleich kann es sich nicht handeln, weil ein materieller Schaden gar nicht entstanden war. Der Supreme Court bekennt schließlich Farbe mit dem Satz „The compensatory damages for the injury suffered here, moreover, likely were based on a component which was duplicated in the punitive award“. Danach enthalten schon die compensatory damages punitive elements (also deterrence und retribution)
__________ and a half of emotional distress. This was complete compensation. The harm arose from a transaction in the economic realm, not from some physical assault or trauma; there were no physical injuries; and State Farm paid the excess verdict before the complaint was filed, so the Campbells suffered only minor economic injuries for the 18-month period in which State Farm refused to resolve the claim against them. The compensatory damages for the injury suffered here, moreover, likely were based on a component which was duplicated in the punitive award. Much of the distress was caused by the outrage and humiliation the Campbells suffered at the actions of their insurer; and it is a major role of punitive damages to condemn such conduct. Compensatory damages, however, already contain this punitive element. See Restatement (Second) of Torts § 908, Comment c, p. 466 (1977). In many cases in which compensatory damages include an amount for emotional distress, such as humiliation or indignation aroused by the defendant’s act, there is no clear line of demarcation between punishment and compensation and a verdict for a specified amount frequently includes elements of both“). … With regard to the second Gore guidepost, the Court has been reluctant to identify concrete constitutional limits on the ratio between harm, or potential harm, to the plaintiff and the punitive damages award; but, in practice, few awards exceeding a single-digit ratio between punitive and compensatory damages will satisfy due process. See, e.g., Gore, supra, at 581. Single-digit multipliers are more likely to comport with due process, while still achieving the State’s deterrence and retribution goals, than are awards with 145-to-1 ratios, as in this case. Because there are no rigid benchmarks, ratios greater than those that this Court has previously upheld may comport with due process where a particularly egregious act has resulted in only a small amount of economic damages, Gore, supra, at 582, but when compensatory damages are substantial, then an even lesser ratio can reach the outermost limit of the due process guarantee. Here, there is a presumption against an award with a 145-to-1 ratio; the $1 million compensatory award for a year and a half of emotional distress was substantial; and the distress caused by outrage and humiliation the Campbells suffered is likely a component of both the compensatory and punitive damages awards“. 44 „No State shall … deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law.“ 45 Vgl. hierzu und zum Folgenden den Urteilsauzug in der vorigen Fn.
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oder bestehen überhaupt aus nichts anderem. Die dafür angesetzte Million war nach Auffassung des Gerichts substantial und deshalb sollte – anders als im case Gore – die Multiplikation im one-digit-Bereich bleiben. So hantiert man mit digits und so kam es zu den 9 Millionen des Utah Supreme Court, der ja zunächst viel mehr zugesprochen hatte und folglich den vom Supreme Court eingeräumten one-digit Bereich voll ausschöpfte. Die Campbells erhielten insgesamt 10 Millionen für humiliation or indignation, also doch two-digit. Ein nach juristischer wie rechnerischer Methode abwegiges Verfahren und ein unbegründbares Ergebnis, das zeigt, wie schnell alle Argumente in die Irre gehen, wenn der Boden rationalen Entscheidens erst einmal verlassen ist. Es ist ein Lehrstück wie in den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, auch heute noch aus Nichts Millionen entstehen. Freilich wird heute nicht mehr der Tellerwäscher Millionär. Der amerikanische Traum von heute ist es, to hit a company in a zig billion buck bad faith trial46. Präventionsüberlegungen haben auch in der deutschen Judikatur dazu geführt, dass der Geschädigte vom Versicherer einen zusätzlichen Betrag verlangen kann, wenn die Auszahlung der Deckungssumme verzögert wird47. Natürlich sind die Beträge hier nicht so absurd wie in den USA, doch ändert das nichts an dem prinzipiell falschen Ansatz. Die psychische Belastung durch Verzögerung der Zahlung ist kein Grund für ein zusätzliches Schmerzensgeld und auch nicht die angebliche Kränkung, die in der Verzögerung liegen soll. Materielle Nachteile wegen der Vorenthaltung des Geldes werden ohnehin ausgeglichen. Unter fragwürdiger Berufung auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) wird dem leistungspflichtigen Versicherer ein Recht genommen, auf das sich sonst jedermann berufen kann, nämlich die Leistungspflicht im Zweifel zu bestreiten, von der Vorlage weiterer Gutachten abhängig zu machen usw. Dem Versicherer wird ein „Übel“ auferlegt für die in dem Prozess liegende „Herausforderung“. Darin liegt schon deshalb ein Denkfehler, weil der Versicherer nicht der Täter ist; die Gerichte urteilen nicht über die Handlung des Schädigers, sondern über das Verhalten des Versicherers. Die Anhänger der Straf- oder Präventionstheorie behaupten, der zivile Strafschadenersatz habe eine höhere Treffsicherheit als das Strafrecht; denn es erlaube eine wesentlich stärkere Pauschalierung des Tatbestands und stelle geringere Anforderungen an die Beweislast als dies bei Strafen oder Bußen der Fall sei48. Als Vorteil gilt auch, dass man nicht an strafrechtliche Vorgaben wie Proportionalität von Schuld und Strafe gebunden sei. Dieser Auffassung ist entschieden zu widersprechen. Es wäre fatal, wollte man unter Hinweis auf ein angeblich überlegenes zivilrechtliches Sanktionssystem auf den Nachweis des Schadens oder der Kausalität verzichten. Vereinzelte Entscheidungen, welche etwa trotz fehlender Kausalität Schadenersatz bejahen oder z. B. Leistungs-
__________ 46 Vgl. den Roman Rainmaker von J. Grisham; s. dazu Honsell in FS Zäch (Fn. 39), S. 39 ff. 47 Vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1973, 851; kritisch dazu Honsell, VersR 1974, 205, 207. 48 P. Müller (Fn. 38), S. 311, 315 f.; ähnlich schon Canaris in FS Steindorff (Fn. 1), S. 519 ff., 526, 568.
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freiheit des Versicherers annehmen (z. B. bei nichtkausalen Obliegenheitsverletzungen) sind sachwidrig und verfehlt49. Unzulässig ist es schließlich, auf Strafschadensersatz auszuweichen, weil im Zivilrecht geringere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen seien als im Strafrecht50. Diese Argumentation ist schon in der Prämisse falsch, weil die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im Zivilrecht nicht geringer sind als im Strafrecht. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit ist ein elementares Prinzip mit Verfassungsrang ist. Es gilt in der gesamten Rechtsordnung. Wäre es anders, so müsste der Gesetzgeber Sanktionen nur aus dem Strafrecht auslagern und schon wäre er nicht mehr an dieses Gebot gebunden. Da nach dem Gesagten nichts für eine Hereinnahme von Strafschadensersatz ins Zivilrecht spricht, sollte man auch im Rahmen der Bestrebungen für eine Vereinheitlichung des Europäischen Haftpflichtrechts51 darauf verzichten. Die Chancen dafür stünden nicht schlecht, weil die anderen Länder kaum entsprechende Figuren haben. Ausschließen müsste man die angelsächsischen exemplary damages, die freilich wesentlich moderater gehandhabt werden als USamerikanische punitive damages; ebenso die französische astreinte, ein vollstreckungsrechtliches Zwangsgeld, wie man es auch in anderen Ländern kennt, das aber atypisch nicht an den Staat, sondern an den Betreiber geht und daher als Strafschadenersatz qualifiziert werden muss52.
III. Weitere Beispiele generalpräventiver Regelungen im Zivilrecht Schmerzensgeld und Persönlichkeitsverletzung sind zwar besonders prominente Beispiele des Präventionsgedankens, aber nicht die einzigen. Insbesondere der Europäische Gesetzgeber glaubt an Sanktionen und implementiert sie zunehmend ins Zivilrecht.
__________ 49 Das ist im deutschen Versicherungsrecht inzwischen weithin anerkannt (vgl. etwa § 6 Abs. 2, § 21 VVG; s. etwa Schwintowski in Berliner Komm. [Hrsg. Honsell], 1999, § 6 VVG Fn. 108 ff.; Voit ebenda § 21 VVG Fn. 5 f.); nicht hingegen im schweizerischen Recht, wo man sich denn auch auf den Sanktionsgesichtspunkt beruft (s. etwa Nef in Basler Komm. [Fn. 21], Art. 6 OR Rz. 5 ff., 6). 50 So aber Canaris a. a. O. (Fn. 48). 51 Die sog. Tilburg-Gruppe, die sich mit der Konzeption eines Europäischen Schadensersatzrechts befasst, hat sich hierzu meines Wissens bislang nicht geäußert. – Die vorläufig letzte Fassung von Art. 24 des Verordnungsentwurfs über das Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse (Rom II, v. 21.2.2006 Komm. 2006, 83) sieht jetzt abschwächend einen Verstoß gegen den ordre public der Gemeinschaft nur noch in einer „über den Ausgleich des Schadens hinausgehenden Entschädigung in unverhältnismäßiger Höhe“. Gegen den ältere Entwurf 22.7.2003, der noch jede solche Entschädigung abgelehnt hatte, nicht nur die unverhältnismäßige, von seinem Standpunkt aus folgerichtig Wagner (Fn. 1), S. 421 f., der dies für EG-widrig hielt; dagegem wiederum Staudinger, NJW 2006, 2435, 2437. 52 S. dazu etwa Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 33 ff.; Klinker, Die astreinte im franz. Zivilrecht, Diss. Münster 2002.
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a) Die Antidiskriminierungsrichtlinien (Art. 15 AntiDiskrRL53, Art. 17 BeschäftiggsRL54 und Art. 6, 8d GenderRL in Fassung der GenderÄndRL55) sehen „Sanktionen“ vor, die „wirksam, verhältnismässig und abschreckend“ sein müssen56. Auch der EuGH verlangt, dass eine „Sanktion zur Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes geeignet sein, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben und auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen [muss]“57. Der deutsche Gesetzgeber hat sich diesem europäischen Trend angeschlossen58. Die deutsche Rechtsprechung geht inzwischen vom „gemeinschaftsrechtlichen Erfordernis einer abschreckenden Wirkung der Sanktion“ für die Bestimmung der Höhe der Entschädigung aus59. Für die Entschädigung wegen Diskriminierung von Bewerbern auf Arbeitsstellen gilt nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG folgende Unterscheidung: War die Diskriminierung nicht kausal, so erhält der abgewiesene, aussichtslose Bewerber nur (aber immerhin) 3 Monatsgehälter. War sie kausal, so gibt es keine Begrenzung. Die Regelung hat zahlreiche professionelle Missbrauchskläger angelockt (sog. AGG-Hopping), gegen die man sich mit der Einrede des Rechtsmissbrauchs zu wehren versucht. Sucht z. B. eine Universität versehentlich eine „Gleichstellungsbeauftragte“ statt eine geschlechtsneutrale Ausschreibung zu verwenden, so kann jeder für diesen Job nicht qualifizierte quivis ex populo sich die drei Monatsgehälter abholen, zumal § 15 Abs. 2 AGG nicht den Nachweis einer konkreten Benachteiligung durch den Arbeitgeber verlangt60.
__________ 53 Richtlinie 2000/43/EG des Rates v. 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. Nr. L 180, S. 22. 54 Richtlinie 2000/78/EG des Rates v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. Nr. L 303, S. 16. 55 Richtlinie 76/207/EWG des Rates v. 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. Nr. L 39, S. 40; Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. Nr. L 269, S. 15. 56 Vgl. Erw. 26 und Art. 15 AntiDiskrRL; Erw. 35 und Art. 17 BeschäftiggsRL; Art. 6 Abs. 2, 8d Abs. 2 und Erw. 22 GenderÄndRL und Art. 6 Abs. 2, 8d Abs. 2 GenderRL. Ebenso Erw. 27 und Art. 14 GleichbehandlungsRL (Richtlinie 2004/113/EG des Rates v. 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. Nr. L 373, S. 37). 57 EuGH v. 22.4.1997 – Rs C-180/95 – Draehmpaehl, Slg. 1997 I-2195 Rz. 25 m. N. 58 Vgl. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG v. 14.8.2006, BGBl. I Nr. 39). 59 Vgl. BAG, Urt. v. 5.2.2004 – 8 AZR 112/03, NZA 2004, 540, 544 f. 60 Vgl. Nollert-Borasio/Perreng, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2006, § 15 AGG Rz. 14.
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Bei § 15 Abs. 2 AGG handelt es sich eindeutig um Strafe. Das ist – abgesehen von allen anderen Gründen – auch deshalb problematisch, weil ein Verschulden des Arbeitgebers nicht vorausgesetzt wird61. Auch die weiteren Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, das über die Brüssler Vorgaben noch weit hinausgeht, markieren einen erschreckenden Verlust an Rechtskultur und eine Abkehr von der Privatautonomie. b) Eine andere Glanzleistung der EU-Gesetzgebung ist die Richtlinie über den Zahlungsverzug vom 29.6.2000/35/EG. Bekanntlich ordnet § 288 Abs. 2 BGB und ebenso § 1333 Abs. 2 ABGB deshalb an, dass der Verzugszins bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist 8 %62 über dem Basiszinssatz beträgt63. Je nach dem jeweiligen Basiszinssatz sind Verzugszinsen von 10 % und mehr die Regel. Im Hinblick auf die geldpolitischen Steuerungsmöglichkeiten der Nationalbanken und das daraus resultierende Floaten des Zinses, ist ein flexibler Verzugszins durchaus zu begrüßen. Kritikwürdig ist indessen die Höhe des Zinssatzes. Der Richtliniengesetzgeber hat sich wieder von der Erwägung leiten lassen, dass eine Abschreckung notwendig sei. In Erwägungsgrund 16 heißt es: „Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige Verzugszinsen und/oder langsame Betreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender Wandel, der auch eine Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen Kosten vorsieht, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und um sicherzustellen, dass die Folgen des Zahlungsverzugs von der Überschreitung der Zahlungsfristen abschrecken.“
Der EU-Gesetzgeber geht von der Annahme aus, dass der Schuldner am Zahlungsverzug verdient. Das ist indes mit einfachen Verzugszinsen kaum möglich, denn Gerichts- und Vollstreckungskosten brauchen einen allfälligen Vorteil aus niedrigem Verzugszins schnell auf. Vor allem aber hat der Gesetzgeber übersehen, dass ein den Verzugszins übersteigender Zinsschaden bei Nachweis einer Kreditinanspruchnahme schon immer ersetzt wurde. Damit fällt die Begründung der Richtlinie in sich zusammen. Nach der unüberlegten Neuregelung muss man den höheren Schaden nicht mehr nachweisen, sondern erhält den erhöhten Zins als Strafschadensersatz. Der Schuldner zahlt die 8 % + x aus präventiven Gründen, also als Strafe. Hier offenbart sich primitives Sanktionsdenken, das zu einer willkürlichen Belastung der einen Partei zugunsten der anderen führt. Da man bei kaum einer Anlageform Zinsen von 10 % und mehr erzielt, kann einem nichts Besseres passieren als ein (solventer) Schuldner im Verzug. Was der Gesetzgeber offenbar völlig übersehen hat, ist die Tatsache, dass längst nicht jeder Schuldner, der nicht zahlt, dies in vertragswidriger Ab-
__________ 61 Kritisch hierzu Schäfer, AcP 202 (2002), 411 f. m. w. N. in Fn. 53. 62 Art. 3 Abs. 1 lit. d der Richtlinie verlangt mindestens 7 %, der deutsche Gesetzgeber musste das noch überbieten. 63 Bei Verbrauchergeschäften beträgt er 5 % über dem Basiszinssatz; auch das ist zu hoch.
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sicht tut. Der häufigste Fall ist der, dass er sich in Zahlungsschwierigkeiten befindet. Nicht selten ist es aber auch so, dass die Parteien über die Berechtigung der Forderung verschiedener Auffassung sind und deshalb eine gerichtliche Klärung herbeiführen müssen. Hier wachsen während des Prozesses nicht selten Verzugszinsen in Höhe von 50 % der Klagesumme an, was eine echte Erschwerung der Rechtsverfolgung für den Schuldner darstellt. Der Verzugszins von 5 % galt seit einem Reichsdeputationsabschied von Speyer aus dem Jahre 1600. Dort heißt es in § 139: … damit die Partheyen des langweiligen Prozeß enthoben seyn möchten … ist es vor billich gachtet worden, wann der Schuldner in mora restituendi mutui ist, daß er seinen Glaubiger von derselben zeithero (der Vermuthung halber, daß der Creditor sein Geld von solcher Zet an anlegen und zugelassener Weise zum wenigsten vom Hundert fünff wol haben möge) das interesse zu entrichten und gut zu machen schuldig seye, welches wir uns auch gnädigst also gefallen lassen. So ordnen und wollen wir nachmals, daß solch interesse a tempore more erstattet, und derentwegen den Creditorn fünff Gülden von Hundert bezahlt werden, oder aber dem Creditori solch fünff Gulden nicht annnehmlich, sondern er vermeinen wolte tam ex lucro cessante quam damno emergente ein mehrers zu fordern, daß ihme alsdann sein gantz interesse zu deducirn, gebührlich zu liquidirn und zu bescheinen, und der Richterlichen Erkandtnuß darüber zu gewarten unbenommen seyn soll.
Was vierhundert Jahre lang richtig war, wird mit dem unbedachten Federstrich eines voreiligen und schlecht informierten Gesetzgebers beiseite gewischt. Die Schweiz hat diese zweifelhafte Neuerung bislang nicht übernommen und sollte dies auch nicht tun. c) Leider hat aber auch die Schweiz beim Verbraucherkredit dem Strafgedanken alle Schleusen geöffnet: Das KKG statuiert zum Schutze des Kreditnehmers eine Fülle neuer Informationspflichten. Die Nichteinhaltung derselben führt zur Nichtigkeit gem. Art. 15 Abs. 1 KKG. Abs. 2 normiert hierzu die fragwürdige Regelung, dass der Kredit nicht sofort, sondern erst bei Ablauf der Kreditdauer zurückzuzahlen ist und dass der Konsument weder Zinsen noch Kosten schuldet. Vom Standpunkt der Vertragsgerechtigkeit fragt man sich, weshalb der Kreditnehmer nur deshalb ein zinsloses Darlehen bekommen soll, weil der Kreditgeber z. B. vergessen hat, dem Kreditnehmer eine Kopie des Vertrages auszuhändigen oder wenn der effektive Jahreszins nicht nach der von der EU vorgeschriebenen rule 803 angegeben ist. Die Berechnung des effektiven Jahreszinses ist eine Geheimwissenschaft. In praxi kann man den effektiven Jahreszins nach dieser Formel ohne Computerprogramm nicht ausrechnen. Soweit ersichtlich, wird die Formel in der Schweiz nicht verwendet. Man begnügt sich mit der viel einfacheren und fast ebenso exakten 365-Tageformel. Die Sanktion eines Gratiskredites für zum Teil völlig marginale Informationspflichten ist eine unangemessene pönale Sanktion. Der Gesetzgeber hat sich jedoch damit nicht begnügt, sondern auch noch eine lex fugitiva in Gestalt des Art. 3 lit. k–m UWG geschaffen, der Verstöße gegen Informationspflichten bei Kreditgeschäften nach Lauterkeitsrecht mit Strafe 331
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bedroht64. Das Aufeinandertürmen von Schutz- und Strafvorschriften hat Konjunktur. Darin liegt ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot ne bis in idem (z. B. Art. 103 Abs. 3 GG)65. Das neue KKG hat jetzt nochmals eine Strafe draufgesattelt. Verletzt die Bank eine Pflicht im Zusammenhang mit der neu eingeführten Kreditfähigkeitsprüfung (Art. 22 ff. KKG), so verliert sie nach Art. 32 Abs. 1 KKG nicht nur die Zinsen, sondern – man glaubt es nicht – sogar das Kapital66. Außerdem kann der Kreditnehmer bereits bezahlte Raten aus ungerechtfertigter Bereicherung herausverlangen. Beim Leasing kann er den Wagen unentgeltlich behalten und die Raten zurückfordern. Das unentgeltliche, endgültige Behaltendürfen stellt eine ungerechtfertigte Bereicherung des Kreditnehmers und eine sachwidrige Enteignung des Kreditgebers dar, die auch mit dem fragwürdigen Sanktionsgedanken nicht begründet werden kann. Weiter ist dem Gesetzgeber der Vorwurf wertungsmäßiger Inkonsistenz zu machen. Denn er ahndet im Bereich des Kreditrechts weit krassere Verstöße nicht. So wird nach der Rspr. des Bundesgerichts selbst der wucherische Kreditvertrag nur auf 18 % als das gerade noch zulässige Maß reduziert67. Im Fall des Fußballclubs Lohn68 hat das BGer die Frage offen gelassen, ob man auf den verkehrsüblichen Zins herabsetzen kann. Darin steckt insofern ein Stück Prävention, als argumentiert wird, es könne sonst der Kreditgeber risikolos wuchern, weil ihm der gerade noch zulässige Zins jedenfalls bleibt. Ob solche Regelungen oder auch die Nichtigkeitssanktion wegen Verbots- oder Sittenwidrigkeit unter die Generalprävention einzuordnen sind, ist eine Frage der Terminologie. Jedenfalls ist gegen diese Art Prävention auch im Zivilrecht nichts einzuwenden. Ein vergleichbarer Fall ist das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nichtiger Klauseln in AGB, das ebenfalls mit dem Präven-
__________ 64 Nach Art. 3 UWG handelt insbesondere unlauter, wer: k) es bei öffentlichen Ankündigungen über einen Abzahlungskauf oder ein ihm gleichgestelltes Rechtsgeschäft unterlässt, seine Firma eindeutig zu bezeichnen, klare Angaben über den Bar- oder den Gesamtkaufpreis zu machen oder den Teilzahlungszuschlag in CHF und Jahresprozenten genau zu beziffern; l) es bei öffentlichen Ankündigungen über Kleinkredite unterlässt, seine Firma eindeutig zu bezeichnen, klare Angaben über die Kreditsumme oder den maximal rückzahlbaren Gesamtbetrag zu machen oder die maximalen Kreditkosten in CHF und Jahresprozenten genau zu beziffern; m) im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit, einen Abzahlungskauf, einen Vorauszahlungskauf oder einen Kleinkreditvertrag anbietet oder abschließt und dabei Vertragsformulare verwendet, die unvollständige oder unrichtige Angaben über den Gegenstand des Vertrags, den Preis, die Zahlungsbedingungen, die Vertragsdauer, das Widerrufs- oder Kündigungsrecht des Kunden oder über sein Recht zu vorzeitiger Bezahlung der Restschuld enthalten. 65 Ebenso Hirsch in FS Engisch (Fn. 16), S. 325 f.; Canaris in FS Deutsch (Fn. 26), S. 105. 66 Kritisch hierzu auch Walter in FS Gauch, 2004, S. 301, 310 f. 67 BGE 93 II 190. 68 BGE 123 III 292.
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tionsgedanken begründet wird69. Das unpraktische Prinzip des § 139 BGB, der Totalnichtigkeit statt Restgültigkeit vermutet70 ist in der Regel doktrinäre Scholastik nach dem Grundsatz sint ut sunt aut non sint. Die darin steckende Prävention ist aber nicht größer als bei den Nichtigkeitsvorschriften. Die Verfasser des BGB haben lediglich dem Parteiwillen Vorrang gegeben vor der richterlichen Vertragsanpassung. Ein weiteres Beispiel ist der alte Satz in dubio contra proferentem; wieder ist es unschädlich, aber unnötig, von Prävention zu sprechen. Wer will, kann es so sehen, dass die drohende nachteilige Auslegung den Zweck verfolgt, dass sich der Verwender klarer ausdrückt, oder dass die Konsequenzen der Formnichtigkeit den Zweck haben, das Publikum zur Einhaltung der Form zu motivieren. Mit Strafe hat das nichts zu tun. d) Ein letztes und prominentes Beispiel der Pönalisten für den Strafgedanken im Zivilrecht ist das Kondiktionsverbot des § 817 Satz 2 BGB, dem in der Schweiz Art. 66 OR entspricht. Nach diesen Vorschriften kann der Empfänger einer verbots- oder sittenwidrigen Leistung diese behalten. Wer, um nur einen Fall herauszugreifen, 10 000 Franken für die Beschaffung von Gold gezahlt hat, kann das Geld nicht zurückfordern, wenn Goldgeschäfte verboten sind. Der Beauftragte kann nach einem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts das Geld behalten, das er für den Ankauf hätte verwenden sollen71. Das gilt auch, wenn er seine Bereitschaft zur Durchführung des Geschäftes nur vorgetäuscht hat. Das Kondiktionsverbot führt in solchen Fällen zur Prämierung des größeren Gauners. Das ungerechte Ergebnis wird in Kauf genommen. Sowohl der BGH als auch das Bundesgericht formulieren erstaunliche Sätze wie diesen: „Der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit bleibt bewusst unberücksichtigt“72; „die Härte ist vom Gesetz gewollt“73. Walter Wilburg hat in diesem Zusammenhang von einer Art „Drehkrankheit des Rechtsempfindens gesprochen“74. Dagegen hielt Ernst von Caemmerer die Norm für „gesund und notwendig.“ Es macht keinen Sinn die Debatte um den § 817 Satz 2 BGB wieder aufzurollen. Zur historischen Entwicklung und zur ratio legis dieser Vorschrift ist alles
__________ 69 BGH, NJW 2000, 1110, 1113 f.; Heinrichs in Palandt, 66. Aufl. 2007, Vor § 307 BGB Rz. 8. 70 Art. 20 II OR und § 878 Satz 2 ABGB stellen in romanistischer Tradition die umgekehrte Vermutung auf. 71 So jedenfalls BGE 74 II 73 ff.; ähnlich hat das Reichsgericht einem Käufer, der für 120 000 RM gefälschte oder doch wertlose tschechische Kronen gekauft hatte, die Rückforderung des Kaufpreises verweigert: RG, JW 1921, 1307 mit zust. Anm. v. Tuhr. Später änderte sich die Rspr., in dem das Reichsgericht einen differenzierten Leistungsbegriff einführte (RGZ 161, 52) bzw. der BGH die ähnliche These vom bloßen Durchgangsposten (BGHZ 28, 255). Einen anderen Weg hat BGHZ 39, 87, 90 f. gewählt: Bei Nichtigkeit der Treuhand bleibe ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag; diesem stehe § 817 Satz 2 BGB wegen seines Ausnahmecharakters nicht entgegen. 72 BGHZ 8, 348, 371. 73 BGE 74 II 23 ff. = Praxis 37, 179 ff. 74 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht, 1950, S. 11.
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gesagt75. Es ist erstaunlich, dass die alte, hauptsächlich von der Judikatur76 vertretene Irrlehre vom Strafcharakter des § 817 Satz 2 heute eine Renaissance erlebt77. Diese sieht in § 817 Satz 2 BGB eine Strafvorschrift. Mit dem Ausschluss der Rückforderung soll die verwerfliche Gesinnung des Leistenden bestraft werden. Auch der Gesetzgeber des BGB hat das so gesehen78. Der Strafgedanke kann das Kondiktionsverbot indes nicht rechtfertigen. Gegen ihn spricht, dass nur eine Partei bestraft wird auf Kosten der anderen und zwar – ganz willkürlich – diejenige, die zuerst geleistet hat und deren Verstoß nicht selten geringer ist. Gegen den Strafgedanken spricht weiter, dass die Höhe der Strafe ganz zufällig ist. Sie hängt lediglich vom Umfang der erbrachten Leistung ab. Es besteht keine Proportionalität zwischen Schuld und Strafe. Schon Heck hat gerügt, „dass ein ganz leichter Verstoß zum Verlust von Millionen führen kann, während ein schwerer Verstoß gar nicht gebüßt werden muss“79. Auch wenn die heute herrschende Ansicht nicht von Strafe spricht, sondern von Generalprävention80, ändert das an der Fehlerhaftigkeit des Ansatzes nichts. Die Ungereimtheiten der Strafidee will die Lehre von der Rechtsschutzverweigerung vermeiden. Sie ist verwandt mit der mittelalterlichen Parömie nemo auditur turpitudinem suam allegans81 bzw. dem Einwand der „unclean hands“ im angelsächsischen Recht82. Ebenso mit dem in unserer Rechtsordnung grundsätzlich nicht anerkannten Verbot des versari in re illicita. Dass der Aspekt der Rechtsschutzverweigerung nicht weit trägt, sieht man daran, dass sich die Gerichte ja stets zunächst mit den unsittlichen oder gesetzwidrigen Vorgängen befassen müssen, ehe sie zu einer Klageabweisung gelangen. Man kann also auf diese Weise nicht verhindern, dass schmutzige Fälle vom Gericht erörtert werden müssen83. Vor allem aber müsste ein Prinzip der Rechtschutzverweigerung allgemein gelten und nicht nur partiell im Bereicherungsrecht. Die Straf- oder Präventionstheorie und die Lehre von der Rechtsschutzverweigerung beruhen auf einem historischen Missverständnis von § 817 Satz 2 BGB. Die ratio des Kondiktionsverbotes liegt nicht in solchen Erwägungen, sondern in der Parömie in pari turpitudine melior es causa possidentis, ein Prinzip, das Philipp Heck84 etwas hölzern „Neutralitätserklärung in Verbindung mit dem
__________ 75 Honsell, Die Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Geschäfte, 1974. 76 Namentlich vom Reichsgericht und vom Bundesgerichtshof, vgl. RGZ 99, 161, 167; 105, 270; 161, 52, 58; BGHZ 39, 87, 91; BGH, JZ 1951, 716, 718; näher Honsell (Fn. 75), S. 58 ff. 77 S. z. B. Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 406 ff. 78 Motive II 849 f. 79 Heck, AcP 124 (1925), 17, 57. 80 Vgl. etwa Canaris in FS Steindorff (Fn. 1), S. 519 ff.; Bentert (Fn. 1), S. 112 f.; Köhler, JZ 1990, 466 ff.; ebenso Lorenz in Staudinger, 14. Aufl. 1999, § 817 BGB Rz. 5; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 191. 81 Dazu Niederländer in FS Gutzwiller, 1959, S. 621. 82 Dazu Prölss, ZHR 132 (1969) 35 ff. 83 Ausführlich zur Straftheorie und zur Lehre von der Rechtsschutzverweigerung Honsell (Fn. 75), S. 58 ff., 60 ff. 84 AcP 124 (1925), 17, 33.
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Besitzvorzuge“ genannt hat. Wenn beide Parteien sittenwidrig gehandelt haben, bleibt die Sache da, wo sie ist, beim beatus possidens. Es ist evident, dass dies mit Strafe, Prävention oder Rechtsschutzverweigerung nichts zu tun hat85. Das römische Kondiktionsverbot galt nur bei der condictio ob rem (causa data causa non secuta). Es betraf nur außervertragliche Leistungen zur Herbeiführung einer Gegenleistung. Wenn diese nicht erbracht wurde, konnte man das Vorgeleistete (in der Regel Geld) kondizieren. Ging es jedoch um eine Straftat, z. B. einen Mord, so konnte das Geld auch dann nicht kondiziert werden, wenn die erstrebte Tat nicht begangen worden war. Der präsumptive Täter konnte also das Geld behalten, auch wenn er die Tat nicht begangen hatte, der Erfolg nicht eingetreten war. Der Zweck des Verbots war die Deliktsvermeidung. Es sollte kein Anreiz bestehen, die Tat dennoch zu begehen. Das ist ein Spezialfall der Prävention, der mit dem Strafgedanken nichts gemein hat.
IV. Ausblick Schon der Gerechtigkeitsbegriff der Nikomachischen Ethik des Aristoteles schloss den Strafzweck im Privatrecht aus86. Die unter Privaten und Gleichen zu beachtende iustitia correctiva87 kennt als rechte Mitte nur den Ausgleich88. Auch heute sind Prävention oder Strafe aus der Sicht des Privatrechts überschießende Sanktionen. Sie haben inter partes keine Berechtigung, weil keiner Seite Strafmacht über die andere zukommt. Strafe gehört in den Bereich des öffentlichen Rechts, der Über- und Unterordnung, das als Recht unter Ungleichen von dem Prinzip der iustitia distributiva beherrscht wird. Die Überwindung des Strafgedankens im Privatrecht war ein kultureller Fortschritt, der nicht kurzlebigen Moden und vorgeblichen Bedürfnissen geopfert werden sollte. Pönale Elemente sind im Zivilrecht ein Fremdkörper, bewirken eine schleichende Entprivatisierung des Privatrechts, widersprechen dem Prinzip der Privatautonomie, beachten die Funktionsteilung zum Strafrecht nicht und sind schließlich ungerecht, weil sie tendenziell nicht schuldangemessen sind und auf eine ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten zielen. Das Überhandnehmen präventiver und zwingender und damit öffentlich-recht-
__________ 85 Näher Honsell (Fn. 75), S. 85 ff., 141 ff. 86 Nik. Ethik 5, 1130b. 87 Der Begriff hat sich eingebürgert, ist aber nicht quellenmäßig (vgl. Aristoteles, Nik. Ethik 5; näher Honsell [Fn. 8], S. 287 ff.). 88 In diesem Sinne auch Bydlinski, Die Suche nach der Mitte, AcP 204 (2004), 309, 343 ff., freilich ohne Rekurs auf Aristoteles. – Unverständlich und verfehlt ist die Polemik Wagners (AcP 206 [2006], 352, 343 f.) gegen den Ausgleichsgedanken, der meint, kein Deliktsrecht der Welt könne auf das Prinzip des Schadensausgleichs gebaut werden, weil der Zweck dieses Rechtsgebietes eben nicht darin bestehe, jeden Schaden zu entschädigen, … Aus der selbstverständlichen Prämisse, dass Schadensersatz eine Zurechnung (Verschulden oder Gefährdung) voraussetzt, lässt sich nicht begründen, dass der Geschädigte mehr erhalten soll als Schadensersatz.
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licher Normen im Privatrecht führt zu einer Aushöhlung desselben, die dessen Charakter schließlich vollständig verändert. Wir leben in einem Umfeld ständiger Bürokratisierung und Überreglementierung, in dem auch das kleinste Stück verbliebener Freiheit ein kostbares Gut zu werden beginnt. Teilweise beliebige und ephemere öffentlich-rechtliche Normen überwuchern das Privatrecht, was zu einem beklagenswerten Niveauverlust89 führt. Ein berühmtes Wort von Gustav Boehmer90 lautet: „Öffentliches Recht vergeht – Privatrecht besteht“. Zur Zeit sieht es nicht so aus.
__________ 89 Ein altes Bonmot vergleicht Privatrecht mit Schach, öffentliches Recht mit Mühle und Strafrecht mit „Mensch ärgere dich nicht“. 90 Grundlagen der Bürgerlichen Rechtsordnung I, 1950, IX.
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Internationale Kaufverträge im Spannungsfeld von UN-Kaufrecht, Unidroit-Principles und Europarecht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Perspektivisch: Kaufrechtsvereinheitlichung heute 1. Das UN-Kaufrecht (CISG) 2. Kaufrechtsvereinheitlichung in Europa a) Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und ihre Umsetzung b) Der Aktionsplan für ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht von 2003 c) Wissenschaftliche Projekte 3. Regionale Kaufrechtsvereinheitlichung a) Skandinavien b) Afrika
4. Im weiteren Blickfeld: Die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts III. Dogmatisch: Der Niedergang der Vertragsaufhebung im Rahmen der Mängelhaftung 1. Entwicklung 2. Instrumente zur Zurückdrängung der Vertragsaufhebung a) Nachfrist-Mechanismus b) Abwendungsbefugnis („right to cure“) c) Wesentliche Vertragsverletzung 3. Auswirkungen auf andere Rechtsbehelfe – insbesondere Schadensersatz statt der Leistung
I. Einleitung Im Jahr 2006 hatte der englische Court of Appeal eine Frage des allgemeinen Vertragsrechts zu entscheiden: Es ging darum, ob bei der Auslegung vertraglicher Vereinbarungen auch die Aussagen während der Vertragsverhandlungen, die nicht in den Vertragstext aufgenommen wurden, berücksichtigt werden dürfen oder nicht. Das englische Recht war hier traditionell sehr restriktiv. Der Court of Appeal deutete in der Entscheidung ProForce Recruit Ltd. v. The Rugby Group Ltd.1 eine Änderung der bisherigen Haltung an. Die Einzelheiten sind für die hier verfolgten Zwecke nicht von Belang. Interessant ist jedoch die Begründung. Dort bezog sich Lady Justice Alden ausdrücklich auf entsprechende Regeln in den Unidroit Principles of International Commercial Contracts und im UN-Kaufrechtsübereinkommen (CISG). Bemerkenswert ist dies nicht nur deshalb, weil englische Gerichte sich mit Hinweisen auf Rechtsquellen, die nicht aus dem Common Law stammen, traditionell schwer tun, wie ein Zitat eines anderen englischen Richters belegt: „It was an almost universal article of faith that English law and legal institutions were without peer in the
__________
1 ProForce Recruit Ltd v. The Rugby Group Ltd [2006] EWCA Civ 69; dazu Bonell, The UNIDROIT Principles and CISG – Source of Inspiration for English Courts?, Uniform Law Review 2006, 305.
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world, with very little to be usefully learned from others“2. Bemerkenswert ist es aber auch deshalb, weil England dem CISG bisher nicht beigetreten ist und man mit Fug und Recht sagen kann, dass die Grundstimmung der englischen Juristen dem CISG gegenüber eher skeptisch ist. Die ProForce-Entscheidung illustriert deshalb den Gedanken, der zur Auswahl des vorliegenden Themas geführt hat: Die Tatsache nämlich, dass sich jedenfalls die internationalen Kaufverträge heute in einem Umfeld bewegen, das von einer beachtlichen Vielfalt möglicher Rechtsquellen des Einheitsrechts gekennzeichnet ist. Vor diesem Hintergrund sollen zwei ausgewählte Themenbereiche beleuchtet werden: zunächst ein perspektivischer Blick auf die derzeitige Situation der Kaufrechtsvereinheitlichung3; anschließend ein dogmatischer Aspekt, der sich als moderner Trend aus einer Analyse einschlägiger Regelwerke des Einheitsrechts ergibt.
II. Perspektivisch: Kaufrechtsvereinheitlichung heute 1. Das UN-Kaufrecht (CISG) Dreh- und Angelpunkt jeder Betrachtung zur Kaufrechtsvereinheitlichung ist heute das UN-Kaufrechtsübereinkommen von 19804. Es ist heute in 70 Vertragsstaaten in Kraft, darunter z. B. die meisten EU-Staaten, die USA, China und Russland. Über 1900 Entscheidungen wurden bisher veröffentlicht. Die Literatur zum Übereinkommen ist kaum mehr zu überblicken. Zu Recht wird das CISG deshalb weithin als eine der Erfolgsgeschichten der Privatrechtsvereinheitlichung betrachtet5. Inhaltlich erfasst das CISG grenzüberschreitende Handelskaufverträge über bewegliche Sachen. Verbraucherkäufe werden grundsätzlich nicht erfasst. Inhaltlich beschränkt sich das Übereinkommen nicht auf das eigentliche Kaufrecht (also Rechte und Pflichten der Parteien aus dem Kaufvertrag), sondern regelt auch den Vertragsschluss als solchen. 2. Kaufrechtsvereinheitlichung in Europa Unabhängig von der durch das CISG erreichten Vereinheitlichung für grenzüberschreitende Verträge gibt es in jüngster Zeit auf europäischer Ebene weitere
__________ 2 Bingham, „There is a World Elsewhere“: The Changing Perspectives of English Law, 41 International and Comparative Law Quarterly (1992), 513, 514. 3 Vgl. dazu Huber in Reimann/Zimmermann, The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, S. 937 ff. 4 Zur Rolle des UN-Kaufrechts für die Herausbildung eines „Weltkaufrechts“ vgl. Westermann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Vor Art. 1 CISG Rz. 11 ff. 5 Vgl. z. B. Zimmermann, Symposium CISG – The 25th Anniversary: Its Impact in the Past and its Role in the Future, RabelsZ 71 (2007), 9; kritisch allerdings Reimann, The CISG in the United States: Why it has been neglected and why Europeans should care, RabelsZ 71 (2007), 115.
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Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Kaufrechts oder bestimmter Aspekte davon6. a) Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und ihre Umsetzung Im Zentrum steht hier die EG-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie von 1999, die einige Bereiche des Verbraucherkaufs regelt und damit das nationale Kaufrecht der Mitgliedstaaten in diesem Umfang vereinheitlicht hat. Aus rechtsvergleichender Sicht ist die Richtlinie interessant, weil sie stark vom UN-Kaufrecht beeinflusst wurde. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, weil das CISG im Grunde nur für Handelskäufe gilt, während die Richtlinie Verbraucherkäufe erfasst. Auf den zweiten Blick relativiert sich dieser anscheinende Widerspruch, weil die dem CISG entlehnten Teile sich auf eher technische Fragen aus dem Bereich des Fehlerbegriffs und des Rechtsbehelfssystems beschränken, während die typisch verbraucherschutzrechtlichen Instrumente wie der zwingende Charakter sich nur in der Richtlinie finden. Eine gewisse Ironie liegt freilich darin, dass die Anlehnung des Rechtsbehelfssystems an die Grundwertungen des CISG dazu geführt hat, dass der Verbraucherkäufer sich nun in einigen Staaten deutlich schwerer von dem Vertrag lösen kann als nach dem früheren nationalen Recht, so etwa im deutschen Recht, das früher keinen Nachfristerfordernis für die Wandelung kannte. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgte in unterschiedlicher Weise: Während die meisten Mitgliedstaaten sich auf eine „kleine Umsetzung“ (1:1-Umsetzung) beschränkten, also ein zusätzliches Kapitel mit besonderen Vorschriften für den Verbrauchsgüterkauf schufen, das die Vorschriften der Richtlinie mehr oder weniger im Verhältnis von 1:1 enthielt7, nahmen einige wenige Staaten die Umsetzung zum Anlass, ihr allgemeines Kaufrecht unter Berücksichtigung der Richtlinie neu zu gestalten, und zwar nicht beschränkt auf den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs. Dies gilt insbesondere für Deutschland8, wo durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz von 2001 das Kauf- und Werkvertragsrecht, das allgemeine Leistungsstörungsrecht und das Verjährungsrecht grundlegend reformiert wurden. Ausdrückliches Ziel dieser Reform war es, das deutsche Recht in diesem Bereich an die jüngeren internationalen Entwicklungen anzupassen, wie sie insbesondere in der Richtlinie und im UN-Kaufrecht verkörpert seien9.
__________ 6 Vgl. zur Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts z. Β. Zimmermann in Reimann/Zimmermann, The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, S. 539 ff.; Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, 2. Aufl. 2007; zum Verhältnis von CISG und Gemeinschaftsrecht vgl. Schroeter, UN-Kaufrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2005. 7 So z. B. Italien oder Frankreich. 8 Ähnlich ist die Situation in Polen und Ungarn. 9 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6040, S. 86.
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b) Der Aktionsplan für ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht von 2003 Unabhängig von den sektorspezifischen Maßnahmen wie der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat die EU eine Diskussion über weitere Schritte hin zu einem Europäischen Vertragsrecht in Gang gesetzt. Zu nennen sind hier insbesondere der Aktionsplan für ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht von 200310 und die Kommissionsmitteilung von 200411 über das weitere Vorgehen in dieser Hinsicht. In diesen Dokumenten schlägt die Kommission nach ausführlichen Anhörungen der interessierten Kreise verschiedene Maßnahmen vor, die ausdrücklich nicht auf die Schaffung eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs abzielen, sondern primär auf eine Verbesserung des bereits bestehenden Acquis auf diesem Gebiet. Aus kaufrechtlicher Sicht sind zwei Vorhaben von besonderer Bedeutung: zum einen die Arbeit an dem so genannten „Gemeinsamen Referenzrahmen“ (Common Frame of Reference), zum anderen das so genannte „Optionelle Instrument“ zum Europäischen Vertragsrecht. Das derzeit konkretere Projekt ist der Gemeinsame Referenzrahmen. Dieser soll für die Kernbereiche des Vertragsrechts eine gemeinsame Terminologie und gemeinsame Regeln enthalten, allerdings kein bindendes Rechtsinstrument sein, sondern nur als „Werkzeugkasten“ für die Verbesserung bestehender Vorschriften (Richtlinien) oder die Schaffung künftiger Instrumente dienen12. Der Geltungsbereich wurde sehr weit gefasst: Er erstreckt sich auf alle wesentlichen Fragen des Vertragsrechts und ausdrücklich auch auf das Kaufrecht. Geplant ist, den Gemeinsamen Referenzrahmen im Jahr 2009 zu verabschieden. Die zweite Maßnahme, die für das Kaufrecht Bedeutung hat, ist das so genannte Optionelle Instrument. Hier befinden wir uns derzeit noch im Diskussionsstadium. Der Grundgedanke ist, dass man den Vertragsparteien ein Rechtsinstrument zur Verfügung stellen möchte, das moderne Vertragsrechtsregeln enthält, die in besonderer Weise auf den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zugeschnitten sind13. Inhaltlich denkt man sowohl an Regeln des allgemeinen Vertragsrechts als auch an besondere Vertragsarten, etwa das Kaufvertragsrecht oder das Versicherungsvertragsrecht. Dieses Instrument soll „optional“ in dem Sinne sein, dass seine Anwendung vom Willen der Parteien abhängt; favorisiert wird hier wohl eine so genannte „opt-in“-Lösung, derzufolge das Instrument nur gelten soll, wenn die Parteien seine Geltung positiv vereinbaren. Weil das Optionelle Instrument inhaltlich den Gemeinsamen
__________ 10 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM (2003) 68. 11 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM (2004) 651. 12 Zu weiteren Zielsetzungen (z. B. Vorbildfunktion für nationale Gesetzgeber; Schiedsgerichtsbarkeit) vgl. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat KOM (2004) 651 S. 2 ff. 13 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat („Aktionsplan“), KOM (2003) 68 Rz. 90.
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Referenzrahmen berücksichtigen soll, erscheint es unwahrscheinlich, dass hier vor dem Jahr 2009 konkretere Schritte erfolgen. c) Wissenschaftliche Projekte Neben den offiziellen Maßnahmen der EU gibt es zahlreiche Initiativen auf wissenschaftlicher Ebene, die sich der Vertragsvereinheitlichung widmen. Beispiele für die Früchte dieser Arbeit sind etwa der so genannte Gandolfi-Code14 oder die von der Lando-Kommission erarbeiteten Principles of European Contract Law15. Während der Schwerpunkt dieser Arbeiten ursprünglich auf dem allgemeinen Vertragsrecht lag (so etwa bei den Principles of European Contract Law), tritt in letzter Zeit zunehmend auch das Kaufrecht in den Vordergrund. Dies gilt in besonderem Maße für die Arbeit der Study Group on a European Civil Code16, die die Arbeit der Lando-Kommission seit 1999 fortsetzt und sich auch dem Besonderen Schuldrecht und dem Sachenrecht zuwendet. Vorläufige Entwürfe für ein Europäisches Kaufrecht wurden hier bereits veröffentlicht. 3. Regionale Kaufrechtsvereinheitlichung Kurz soll auf zwei Beispiele für regionale Kaufrechtsvereinheitlichung hingewiesen werden, nämlich auf die Situation in Skandinavien und das afrikanische Einheitsrecht im Rahmen der OHADA. a) Skandinavien Die skandinavischen Staaten haben eine lange, aber auch komplizierte Tradition der Vereinheitlichung des Vertragsrechts und des Kaufrechts, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts dazu führte, dass Schweden, Dänemark und Norwegen Kaufgesetze erließen, die in enger Abstimmung und auf rechtsvergleichender Grundlage entstanden waren und deshalb weitgehend einheitlich waren. Die Einzelheiten würden hier zu weit führen. Im Überblick gilt Folgendes: Für internationale Kaufverträge gilt im Grundsatz das UN-Kaufrecht, allerdings in zweierlei Hinsicht eingeschränkt: Zum einen wurde ein Vorbehalt gegen die Anwendung der Vertragsschlussregeln des Übereinkommens erklärt, so dass diese nicht gelten. Zum anderen wurde erklärt, dass für Verträge zwischen Parteien aus Skandinavien das Übereinkommen generell nicht gelten solle. In diesen Fällen gilt also nationales Kaufrecht, das jedoch wiederum
__________ 14 Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler, Europäisches Vertragsgesetzbuch, 2002. 15 von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I und II, 2002. 16 Für weitere Informationen vgl. von Bar, Die Study Group on a European Civil Code, in FS Henrich, 2000, S. 1 ff. und www.sgecc.net.
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weitgehend vereinheitlicht ist: Schweden, Norwegen und Finnland haben in jüngerer Zeit (Ende der achtziger Jahre) neue Kaufgesetze erlassen, die sich im Grundsatz – allerdings mit nicht unerheblichen Ausnahmen, insbesondere im Bereich der Voraussetzungen der Schadensersatzhaftung – an das CISG anlehnen und einander ähneln17. b) Afrika Ein zweites Beispiel für regionale Kaufrechtsvereinheitlichung ist in Afrika zu finden, wo das UN-Kaufrecht bisher noch nicht weit verbreitet ist. Dort hat die „Organisation pour l’harmonisation en Afrique du droit des contrats“ (OHADA) im Jahr 1997 einen Uniform Act Relating to General Commercial Law erlassen, der bestimmte Gebiete des Handelsrechts regelt, darunter auch den Handelskauf18. Die OHADA umfasst 16 Mitgliedstaaten, zum größten Teil aus dem frankophonen Bereich. Für diese sind die Regeln des Uniform Act geltendes Recht für innerstaatliche wie für grenzüberschreitende Kaufverträge. Inhaltlich orientiert sich der Uniform Act am CISG, sieht aber teilweise auch bedeutende Abweichungen vor, so etwa in Bezug auf die Vertragsfreiheit, die nur eingeschränkt gewährt wird, oder in Bezug auf die Rügevorschriften, die strenger ausgestaltet sind als im CISG. 4. Im weiteren Blickfeld: Die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts Zunehmend an Bedeutung gewinnen im internationalen Handel die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts19, die zum ersten Mal im Jahr 1994 veröffentlicht und im Jahr 2004 überarbeitet und erweitert wurden20. Sie enthalten zwar keine besonderen Regeln für Kaufverträge, sind in diesem Zusammenhang aber insofern relevant, als ihre allgemeinen Vertragsregeln für alle Arten von Handelsverträgen gelten sollen. Dementsprechend enthalten sie beispielsweise auch Vorschriften über die Rechtsbehelfe, die zur Bewältigung von Kaufrechtsfällen geeignet sind21.
__________ 17 Vgl. Lookofsky in Franco Ferrari (Hrsg.), The 1980 Uniform Sales Law, 2003, S. 95, 100 f. 18 Vgl. dazu Sarcevic in Franco Ferrari (Fn. 17), S. 13 ff.; Douajni, La vente commerciale OHADA, Uniform Law Review 2003, 191; Franco Ferrari, International Sales Law in the Light of the OHBLA Uniform Act relating to General Commercial Law and the 1980 Vienna Sales Convention, (2001) Revue de droit des affaires internationales (Rev.dr.aff.int.) 600. S. auch www.OHADA.com. 19 Unidroit international institute for the Unification of Private Law, Unidroit Principles of International Commercial Contracts 2004. 20 Bonell, UNIDROIT Principles 2004 – The New Edition of the Principles of International Commercial Contracts adopted by the International Institute for the Unification of Private Law, Uniform Law Review 2004, 5, 7 f. Für weitere Informationen vgl. www.UNIDROIT.org. 21 Vgl. etwa Art. 7.1.1 Unidroit Principles: „Eine Nichterfüllung liegt vor, wenn eine Partei irgend eine ihrer Vertragspflichten nicht erfüllt, einschließlich einer mangelhaften Erfüllung.“
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Die Principles sind kein bindendes Instrument, das ipso iure für eine bestimmte Art von Verträgen gilt. Sie müssen vielmehr auf ihre „persuasive authority“ vertrauen, um angewendet zu werden. Ihre Präambel nennt verschiedene Situationen, in denen die Principles angewendet werden können. Hier lassen sich drei Gruppen unterscheiden: Die Principles sollen angewendet werden, wenn die Parteien dies vereinbart haben, wenn die Parteien ihren Vertrag allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder der lex mercatoria unterstellt haben oder wenn sie keine Rechtswahl getroffen haben. Hier können sich bei Verfahren vor staatlichen Gerichten Komplikationen ergeben, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. In der Schiedsgerichtspraxis hingegen scheinen die Principles auf diesem Wege durchaus häufig vereinbart zu werden22. Veröffentlichte Entscheidungen, die zu substantiellen Fragen des Kaufrechts vertieft Stellung nehmen, sind allerdings eher selten. Darüber hinaus sollen die Principles zur Auslegung und Ergänzung von internationalem Einheitsrecht und nationalem Recht herangezogen werden; auch hier gibt es eine Reihe von Entscheidungen, die dies tun23. Für internationale Kaufverträge ist allerdings zu beachten, dass die Anwendung der Principles zur Lückenfüllung im UN-Kaufrecht erhebliche dogmatische Schwierigkeiten bereitet, weil gemäß Art. 7 Abs. 2 CISG interne Lücken des Übereinkommens nach den diesem zu Grunde liegenden allgemeinen Grundsätzen entschieden werden sollen, soweit dies möglich ist. Es erfordert jedenfalls einen gewissen Argumentationsaufwand, zu begründen, wie ein Regelwerk aus dem Jahr 1994 einem Übereinkommen aus dem Jahr 1980 als allgemeines Prinzip zu Grunde liegen kann24. Drittens schließlich sollen die Principles als Vorbild für nationale und internationale Gesetzgeber dienen. Auch auf diesem Gebiet können sie gewisse Erfolge aufweisen, etwa bei der Reform des Vertragsrechts in einigen osteuropäischen Staaten25.
III. Dogmatisch: Der Niedergang der Vertragsaufhebung im Rahmen der Mängelhaftung 1. Entwicklung Im System der ädilizischen Rechtsbehelfe des römischen Rechts ist die Vertragsaufhebung einer der beiden Standardrechtsbehelfe des Käufers: Von
__________ 22 Vgl. Schilf, UNIDROIT Principles 2004, IHR 2004, 236, 237. 23 Eine Auflistung der Entscheidungen findet sich bei Bonell, Uniform Law Review 2004, 5, 14. 24 Vgl. zu dieser Frage ausführlich Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 4. Aufl. 2004, Art. 7 CISG Rz. 59 ff.; Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, 1992, S. 302 ff. 25 Vgl. z. B. Bonell, Uniform Law Review 2004, 5, 8 (Estland, Litauen, auch Einflüsse in Russland, Reform in Ungarn); Schilf, IHR 2004, 236, 237.
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deminimis-Fällen abgesehen, berechtigt die Mangelhaftigkeit der gelieferten Sache den Käufer sofort zur Vertragsaufhebung. Jedenfalls im Bereich des Stückkaufs gibt es keinen Anspruch auf Nacherfüllung (z. B. durch Reparatur der Sache), und der Käufer ist umgekehrt auch nicht verpflichtet, dem Verkäufer zunächst die Möglichkeit zur Behebung des Mangels zu geben, bevor er zurücktritt. Dieses System der ädilizischen Rechtsbehelfe war im Bereich des Civil Law lange Zeit herrschend, geriet jedoch im 20. Jahrhundert in die Defensive. Basierend unter anderem auf ökonomischen Erwägungen (Risiken und Kosten der Rückabwicklung, insbesondere bei internationalen Kaufverträgen) zeigte sich ein Trend weg von dem geschilderten System der ädilizischen Rechtsbehelfe, hin zu einem anderen System der Leistungsstörungen und der Mängelhaftung. Eine der charakteristischen Besonderheiten dieses Trends ist, dass die Vertragsaufhebung als ultima ratio betrachtet wird, die nur dann zur Verfügung stehen soll, wenn andere Rechtsbehelfe (Nacherfüllung, Schadensersatz oder auch Minderung) nicht zu angemessenen Ergebnissen führen26. 2. Instrumente zur Zurückdrängung der Vertragsaufhebung Bei einer rechtsvergleichenden Analyse lassen sich drei Instrumente ausmachen, die allein oder kombiniert benutzt werden, um die Vertragsaufhebung zurückzudrängen: der Nachfrist-Mechanismus, die Abwendungsbefugnis und die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung. a) Nachfrist-Mechanismus Der Nachfrist-Mechanismus macht die Vertragsaufhebung davon abhängig, dass der Käufer dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und dass diese abgelaufen ist. Auf diese Weise erhält der Verkäufer im Ergebnis das Recht, den Mangel zu beheben, also eine zweite Chance. Der Nachfrist-Mechanismus als Voraussetzung für den Rücktritt ist das Herzstück des neuen deutschen Kaufrechts. Er gilt im Grundsatz bei jeder Art von Pflichtverletzung und ist deshalb im allgemeinen Schuldrecht verankert (§ 323 Abs. 1 BGB). Die Vorschriften über die kaufrechtliche Mängelhaftung verweisen auf § 323 (§ 437 Abs. 1 Nr. 2 BGB) und ordnen sich auf diese Weise in das allgemeine Leistungsstörungsrecht ein. Der Nachfrist-Mechanismus findet sich auch in internationalen Regelwerken, dort allerdings in der Regel beschränkt auf die Fälle der Nichterfüllung oder des Verzugs, nicht jedoch für die Fälle der Mängelhaftung. Dies gilt etwa für die Unidroit Principles (Art. 7.3.1(3), 7.1.5 PICC), für die Principles of European Contract Law (Art. 9:301(2), 8:106(3) PECL) und für das UN-Kaufrecht
__________ 26 Vgl. zum Ganzen Huber in Reimann/Zimmermann, The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, S. 937, 960 ff.; ausführlicher Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, 2001, S. 247 ff.
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(Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG). Letzteres enthält zwar in Art. 47 CISG eine Vorschrift über die Nachfristsetzung, die für alle Arten von Vertragsverletzungen gilt. Deren Bedeutung ist jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, den Käufer für die Dauer der Nachfrist von anderen unvereinbaren Rechtsbehelfen abzuhalten. Ein Aufhebungsrecht kann die Nachfristsetzung jedoch gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG nur in Fällen der Nichtlieferung begründen. b) Abwendungsbefugnis („right to cure“) Eng mit dem Nachfrist-Mechanismus verwandt ist das Instrument des so genannten „right to cure“. Auch dieses zielt darauf ab, dem Verkäufer eine „zweite Chance“, ein Recht zur „zweiten Andienung“ zu geben. Es geht lediglich aus einer anderen Perspektive an die Sache heran: Die Initiative, die das Nacherfüllungsrecht des Verkäufers auslöst, liegt nicht beim Käufer (wie bei der Nachfristsetzung), sondern beim Verkäufer, der auf das Aufhebungsbegehren des Käufers mit dem Angebot der Heilung reagieren und die Aufhebung so vermeiden kann. Ein gutes Beispiel für das „right to cure“ ist Art. 7.1.4 der Unidroit Principles27. Eine ähnliche Vorschrift enthalten die Principles of European Contract Law (Art. 8:104 PECL). Im UN-Kaufrecht ist die Situation etwas unübersichtlich: Zwar begründet Art. 48 CISG ein Heilungsrecht des Verkäufers, doch steht dieses ausweislich des eindeutigen Wortlauts unter dem Vorbehalt einer wirksamen Vertragsaufhebung nach Art. 49 CISG. Letztlich verlagert sich die Problematik damit jedoch nur auf den Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung, der die Voraussetzung für die Vertragsaufhebung darstellt (Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG): Die Frage lautet, ob man die Heilungsbereitschaft des Verkäufers bei der Prüfung der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung berücksichtigen soll oder nicht, dazu sogleich.
__________ 27 Art. 7.1.4 (Nachleistung durch die nichterfüllende Partei). (1) Die nichterfüllende Partei kann auf eigene Kosten jede Nichterfüllung durch Nachleistung heilen, vorausgesetzt dass (a) sie unverzüglich die Nachleistung anzeigt und die vorgesehene Weise und den vorgesehenen zeitlichen Ablauf mitteilt; (b) die Nachleistung nach den Umständen geeignet ist; (c) die benachteiligte Partei kein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der Nachleistung hat; und (d) die Nachleistung umgehend vorgenommen wird. (2) Das Recht auf Nachleistung wird durch eine Aufhebungserklärung nicht ausgeschlossen. (3) Bei wirksamer Anzeige der Nachleistung sind die Rechte der benachteiligten Partei, die mit der Leistung durch die nichterfüllende Partei unvereinbar sind, ausgesetzt, bis die Frist für die Nachleistung abgelaufen ist. (4) Die benachteiligte Partei kann die Leistung bis zur Nachleistung zurückhalten. (5) Ungeachtet der Nachleistung behält die benachteiligte Partei das Recht, Schadenersatz wegen Verspätung und wegen jeden Schadens zu verlangen, der durch die Nachleistung verursacht oder nicht abgewendet wird.
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c) Wesentliche Vertragsverletzung Die dritte Möglichkeit, die Vertragsaufhebung zurückzudrängen, besteht darin, sie nur dann zu gewähren, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt. Diese Lehre ist das Kernstück des Aufhebungsrechts im UN-Kaufrecht (Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG), in den UNIDROIT Principles (Art. 7.3.1 Abs. 1) und in den Principles of European Contract Law (Art. 9:301 Abs. 1). Sie findet sich darüber hinaus im Skandinavischen Kaufrecht und in denjenigen Staaten, die sich bei jüngeren Reformen ihres Schuldrechts am UN-Kaufrecht orientiert haben, wie zum Beispiel Estland28. Vor- und Nachteile der Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung liegen auf der Hand: Einerseits ist es – abstrakt betrachtet – eine vernünftige Lösung, den einschneidendsten Rechtsbehelf, nämlich die Vertragsaufhebung, nur in besonders drastischen Fällen zu gewähren. Andererseits führt die Ausrichtung an einem ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff wie demjenigen der „Wesentlichkeit“ notwendigerweise zu Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Definition in Art. 25 CISG, derzufolge es darauf ankommt, ob die Vertragsverletzung für die andere Partei „solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen“, sowie darauf, ob diese Folge vorhersehbar war oder nicht, bedarf der Konkretisierung durch Rechtsprechung und Wissenschaft. Hier hat sich im Laufe der Zeit eine beachtliche Diskussion entwickelt, die es ermöglicht, den Begriff der „wesentlichen Vertragsverletzung“ in der Praxis handhabbar zu machen. So werden etwa für die Fälle der Lieferung sachmangelbehafteter Ware vier Kriterien diskutiert: Die ersten beiden Kriterien sind unumstritten und beinahe selbstverständlich, nämlich die Parteivereinbarung und das Gewicht der Vertragsverletzung. Das dritte Kriterium war lange Zeit umstritten. Es geht um die Frage, inwieweit die Behebbarkeit des Mangels berücksichtigt werden kann, mit anderen Worten, ob der Verkäufer ein „right to cure“ hat, das die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung ausschließt. Hier hat sich inzwischen eine herrschende Meinung herausgebildet, die m. E. mit der Systematik des UN-Kaufrechts vereinbar ist und zu vernünftigen Ergebnissen führt: Ein in zumutbarer Weise behebbarer Mangel ist grundsätzlich nicht wesentlich, solange nicht die Behebung gescheitert ist oder vom Verkäufer verweigert wird29. Die Behebbarkeit bleibt nur dann außer Acht, wenn der Käufer ein legitimes Interesse an der sofortigen Vertragsaufhebung hat. Ein solches Interesse des Käufers an sofortiger Vertragsaufhebung liegt beispielsweise vor, wenn der Mangel so geartet ist,
__________ 28 Vgl. Varul, CISG: A Source of Inspiration for the Estonian Law of Obligation, Uniform Law Review 2003, 209 f. 29 Vgl. OLG Köln, IHR 2003, 15 = CISG-Online Nr. 709; OLG Koblenz, IHR 2003, 172, 175 = CISG-Online Nr. 256; (schweizerisches) Handelsgericht des Kantons Aargau, CISG-Online Nr. 715; Huber in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Art. 49 CISG Rz. 38, 28 ff.; Schlechtriem in Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 24), Art. 25 CISG Rz. 20 m. w. N.
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dass das Vertrauen des Käufers in die Ehrlichkeit oder die Kompetenz des Verkäufers erschüttert ist30 oder wenn der Liefertermin überschritten wurde und darin bereits eine wesentliche Vertragsverletzung liegt (z. B. beim Fixgeschäft)31. Das Gleiche muss gelten, wenn sich aus den Gesamtumständen des Vertrages ergibt, dass die strikte Einhaltung der betreffenden Pflicht von fundamentaler Bedeutung ist, wie zum Beispiel die Pflicht zur Übergabe exakt übereinstimmender Dokumente bei akkreditivgestützten Dokumentengeschäften. Ähnliches gilt, wenn sich aus dem Vertrag ergibt, dass eine unversehrte, d. h. nicht behandelte oder reparierte Sache geschuldet wird. Das vierte Kriterium ist das unsicherste. Es handelt sich um den vom deutschen Bundesgerichtshof entwickelten „reasonable use“-Test, der im Wesentlichen Folgendes besagt: Selbst wenn ein gewichtiger Mangel nicht behebbar ist bzw. die Behebungsversuche gescheitert sind, liegt nicht zwingend eine wesentliche Vertragsverletzung vor. Vielmehr kommt es grundsätzlich darauf an, ob dem Käufer eine anderweitige Verwendung der mangelhaften Ware ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist, insbesondere der Absatz der Ware im gewöhnlichen Geschäftsverkehr. Wenn dies möglich ist, wird die Vertragsverletzung nicht für wesentlich gehalten. Dies gilt auch dann, wenn die Ware nur unter einem Preisabschlag veräußert werden kann; dieser wäre dann im Wege des – verschuldensunabhängigen – Schadensersatzes auszugleichen32. Die Leitentscheidung ist hier der Kobaltsulfat-Fall des Bundesgerichtshofs vom 3.4.1996: Verkauft waren verschiedene Chargen Kobaltsulfat, die nach der Vereinbarung britischen Ursprungs sein sollten. Geliefert wurde Kobaltsulfat, das aus Südafrika stammte. Der Käufer wollte den Vertrag (unter anderem) mit der Begründung aufheben, er verkaufe vorwiegend nach Indien und Südostasien, wo es ein Importverbot für südafrikanische Waren gebe. Der Bundesgerichtshof wies diese Argumentation zurück: Weder habe der Käufer potentielle Käufer bzw. frühere Verkäufe in diese Staaten nennen können, noch – und das ist der entscheidende Punkt – habe er vorgetragen, dass es unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, die Ware in andere Staaten zu verkaufen oder in Deutschland zu verwenden. Aus meiner Sicht bedeutet dies Folgendes: Selbst wenn der Käufer hätte nachweisen können, dass er üblicherweise nur in Boykottstaaten verkauft, hätte er als nächstes noch nachweisen müssen, dass auch ein Verkauf in andere Staaten nicht in Betracht komme. Der „reasonable use“-Test ist in Deutschland zur ganz herrschenden Meinung geworden. Auch eine Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts wendet ihn an. In anderen Staaten hingegen hat er bislang keinen Widerhall gefun-
__________ 30 Vgl. OLG Köln, IHR 2003, 15, 17 = CISG-Online Nr. 709. 31 Vgl. Huber in MünchKomm.BGB (Fn. 29), Art. 49 CISG Rz. 38. 32 BGH, BGHZ 132, 290, 297 f. = CISG-Online Nr. 135, dazu Westermann, DZWiR 1997, 45 ff.; OLG Köln, IHR 2003, 15, 17 = CISG-Online Nr. 709; OLG Frankfurt, NJW 1994, 1013, 1014 = CISG-Online Nr. 123; (schweizerisches) Bundesgericht, CISG-Online Nr. 413.
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den. Dort wird die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung häufig unter Rückgriff auf die ersten drei Kriterien diskutiert, ohne darauf abzustellen, ob der Käufer die Ware in zumutbarer Weise hätte anderweitig verwenden (und einen Mindererlös als Schadensersatz geltend machen) können, so etwa in der amerikanischen Entscheidung Delchi v. Rotorex33: Verkauft waren Kompressoren, welche die Käuferin in die von ihr hergestellten tragbaren Klimaanlagen einbauen wollte. Die gelieferten Geräte hatten eine geringere Kühlleistung und einen höheren Energieverbrauch als vereinbart. Das amerikanische Gericht nahm eine wesentliche Vertragsverletzung an, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Käufer die Ware in zumutbarer Weise hätte verwerten können. 3. Auswirkungen auf andere Rechtsbehelfe – insbesondere Schadensersatz statt der Leistung Die Zurückdrängung der Vertragsaufhebung kann Auswirkungen auf andere Rechtsbehelfe haben. Dies gilt insbesondere für Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung, die an die Stelle der Primärleistung des Verkäufers treten, also etwa Wertersatz oder die Kosten für ein Deckungsgeschäft. Mit diesem Rechtsbehelf können im Grunde aufhebungsähnliche Ergebnisse erzielt werden, weil die Sachleistung nicht mehr erbracht und der Vertrag auf der Schadensersatzebene abgewickelt wird. Es wäre deshalb unglücklich, wenn der Schadensersatz statt der Leistung leichter zu bekommen wäre als die Vertragsaufhebung. Im deutschen Recht wird dieses unangemessene Ergebnis dadurch verhindert, dass die Voraussetzungen für den Schadensersatz statt der Leistung (§§ 281 ff. BGB) im Wesentlichen parallel zu denjenigen des Rücktritts ausgestaltet sind. Ähnlich scheint mir die Lage in Österreich zu sein, wo gemäß § 933a Abs. 2 ABGB in Bezug auf den Mangelschaden (also das Erfüllungsinteresse) als Schadensersatz zunächst nur die Verbesserung oder der Austausch verlangt werden kann, also die Nacherfüllung. Die Vorschrift ist also parallel zu der Vorschrift ausgestaltet, die die Zurückdrängung der Vertragsaufhebung in Bezug auf die Wandlung durchsetzt, nämlich § 932 ABGB. Im UN-Kaufrecht hingegen ist die Lage weniger klar: Zwar sehen die Art. 75, 76 CISG die Möglichkeit der Berechnung des Schadens auf Basis eines Deckungsgeschäfts vor und verlangen dafür die Vertragsaufhebung. Doch steht es dem Käufer grundsätzlich offen, stattdessen nach der allgemeinen Schadensersatznorm des Art. 74 CISG vorzugehen, die keine Vertragsaufhebung voraussetzt. Wenn er also den Schadensersatz statt der Leistung nach Art. 74 CISG geltend macht, scheint er die strengen Aufhebungsvoraussetzungen umgehen zu können.
__________ 33 US Court of Appeals (2nd) Circuit, CISG-Online Nr. 140.
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Um dieses Ergebnis zu verhindern, hat der österreichische OGH entschieden, dass ohne eine wirksame Vertragsaufhebung nach Art. 49 CISG nur eine Form der Schadensberechnung in Betracht kommt, die auf der Aufrechterhaltung und Durchführung des Vertrages basiert34. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen35.
__________ 34 (Österreichischer) Oberster Gerichtshof, CISG-Online Nr. 224; (österreichischer) Oberster Gerichtshof, IHR 2002, 76, 81 = CISG-Online Nr. 643. 35 Vgl. Huber in MünchKomm.BGB (Fn. 29), Art. 74 CISG Rz. 9 ff. m. w. N., auch zu abweichenden Ansichten; Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 24), Art. 45 CISG Rz. 27; Magnus in Staudinger, Neubearb. 2005, Art. 45 CISG Rz. 22. Einen anderen Lösungsansatz vertritt Schlechtriem, Schadensersatz und Erfüllungsinteresse, in FS Apostolos Georgiades, 2005, S. 383 ff.
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Schadensersatz neben oder statt der Leistung Inhaltsübersicht I. Abgrenzung II. Problemfälle 1. Ersatz des Vorenthaltungsschadens bei nicht rechtzeitiger Leistung a) Verzögerungsschadensersatz ab Mahnung b) Keine zeitlichen Überschneidungen
2. Ersatz des Betriebsausfallschadens bei mangelhafter Leistung a) Kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB b) Kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB c) Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB III. Schluss
I. Abgrenzung Während § 280 Abs. 1, 3 mit § 281 BGB dem Gläubiger einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gewährt, geben § 280 Abs. 1 BGB und §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB dem Gläubiger einen Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung: Der Gläubiger, der Schadensersatz statt der Leistung verlangt, will (§ 281 Abs. 4 BGB) oder bekommt (§§ 283 mit 275 BGB) die vertraglich geschuldete Primärleistung nicht mehr, sondern begehrt an deren Stelle Schadensersatz, dh Ersatz des Wertes der Leistung zuzüglich aller Folgeschäden. Der Gläubiger, der Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB oder §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB geltend macht, beharrt hingegen auf der Erfüllung des Vertrages, d. h. verlangt weiterhin die vertraglich geschuldete Primärleistung, begehrt daneben aber Ersatz aller Schäden, die ihm durch die Verletzung von Nebenpflichten oder als Mangelfolgeschäden (§ 280 Abs. 1 BGB) oder durch die Verzögerung der Leistung entstehen (§§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB). Der „Schadensersatz statt der Leistung“ nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281–283 BGB tritt als Erfüllungsersatz an die Stelle der nach dem Vertrag geschuldeten Leistung. Nach der Differenzhypothese des § 249 Abs. 1 BGB ist der Gläubiger so zu stellen, wie er stünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Differenzhypothese verlangt einen Soll-Ist-Vergleich: Es muss festgestellt werden, was am „Ist-Zustand“ nach Schädigung im Verhältnis zum vertraglich geschuldeten „Soll-Zustand“ fehlt. Der geschuldete „Soll-Zustand“ folgt aus der Anspruchsgrundlage, die festlegt, wie der Schuldner sich „richtig“ verhalten soll. Für den Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281, 283 BGB bedeutet dies, dass der Gläubiger so zu stellen ist, wie er stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre, der Gläubiger also die vom Schuldner geschuldete Leistung erhalten hätte. Der Schadensersatzanspruch erlaubt es dem Gläubiger, den Ist-Zustand in den Soll351
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Zustand zu überführen. Dabei hat er Anspruch auf das gesamte Erfüllungsinteresse (positive Interesse) in Geld: Dem Gläubiger sollen alle Vorteile aus dem Vertrag wertmäßig erhalten bleiben. Etwa hat er Anspruch auf Ersatz der Kosten, die ihm für die Beschaffung einer Ersatzsache entstehen, und auf Ersatz des entgangenen Gewinns. Der Schadensersatz neben der Leistung deckt die Schäden ab, die nicht dadurch kompensiert werden können, dass der Schuldner die vertraglich geschuldete Leistung doch noch erbringt, sondern die trotz nachfolgender Leistung bestehen bleiben oder blieben. Darunter fallen einmal die über § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzenden Integritätsschäden, also Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Gläubigers1. Diese Schäden können zum einen dadurch verursacht werden, dass der Schuldner gegen Nebenpflichten aus § 241 Abs. 2 BGB verstößt, der Verkäufer etwa bei der Anlieferung mit der verkauften Kühltruhe aneckt und dadurch Mobiliar in der Eisdiele des Käufers beschädigt. Integritätsschäden können aber auch Folge der Verletzung der Hauptleistungspflicht sein: Liefert der Verkäufer eine Eistruhe mit defektem Wasserzulauf und wird Mobiliar des Käufers durch unbemerkt ablaufendes Wasser beschädigt, schuldet der Verkäufer Schadensersatz nach §§ 437 Nr. 2, 280 Abs. 1 BGB. Über §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB kann der Gläubiger, der an seinem Anspruch auf die vertraglich geschuldete Leistung festhält, alle Vermögensnachteile ersetzt verlangen, die entstehen, weil der Schuldner nicht rechtzeitig, sondern verspätet erfüllt: Der Gläubiger kann alle zusätzlichen Aufwendungen einschließlich der Beitreibungskosten verlangen, die ihm nach Verzugseintritt dadurch entstehen, dass er seinen Anspruch auf die Leistung durchzusetzen versucht – mit Ausnahme der Kosten für die Mahnung, da diese den Schuldnerverzug überhaupt erst begründet2. Zu ersetzen ist auch der Gewinn, der dem Käufer während des Verkäuferverzugs entgeht, etwa der Gewinn, der dem Eisdielenbesitzer entgeht, weil er mangels Kühltruhe kein Eis verkaufen kann. Ebenso kann der Käufer Ersatz der Kosten für eine Ersatzbeschaffung verlangen, die er benötigt, um die Zeit bis zum Eintreffen der vertraglich geschuldeten Leistung zu überbrücken, etwa die Mietkosten für eine vorübergehend in der Eisdiele aufgestellte Kühltruhe. Hingegen kann er die Kosten für einen Deckungskauf, etwa für den Kauf einer Ersatzkühltruhe, nicht nach §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB, sondern nur als Schadensersatz statt der Leistung verlangen, da er insoweit keinen Begleitschaden wegen Verzögerung der Leistung, sondern einen Schaden wegen Ausbleibens der vertraglich geschuldeten Leistung geltend macht.
__________ 1 S. nur Hirsch, Jura 2003, 289, 290. 2 Die fehlende Ersatzfähigkeit der Kosten für die Mahnung selbst wird von manchen wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 lit e der EU-Zahlungsverzugsrichtlinie als europarechtswidrig angesehen, da die Richtlinie einen angemessenen Ersatz aller Beitreibungskosten vorschreibe: Gsell, ZIP 2000, 1861, 1867; Schmidt-Kessel, NJW 2001, 97, 100.
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II. Problemfälle Die Abgrenzung des Schadensersatzes statt und des Schadensersatzes neben der Leistung ist nicht immer eindeutig. Problematisch sind insbesondere Schäden, die das Äquivalenzinteresse des Gläubigers beeinträchtigen: Schwierigkeiten bereitet zunächst die Abgrenzung zwischen Schadensersatzansprüchen aus § 280 Abs. 1, 3 mit § 281 BGB und §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB, wenn der Verkäufer nicht rechtzeitig leistet und dem Käufer deswegen ein Vorenthaltungsschaden entsteht, insbesondere ein Gewinn entgeht, etwa dem Eisdielenbesitzer, dem die Kühltruhe nicht rechtzeitig geliefert wird, der Gewinn, den er durch den Eisverkauf erzielt hätte (unter 1.). Leistet der Verkäufer zwar, ist die Kaufsache aber mangelhaft und beeinträchtigt die mangelhafte Leistung das Interesse des Käufers am Erhalt einer vertragsgemäßen Leistung, etwa wenn dem Eisdielenbesitzer wegen der nicht hinreichend kühlenden Kühltruhe als Betriebsausfallschaden täglich der Gewinn entgeht, den er bei vertragsgemäßer Leistung durch den Eisverkauf erzielt hätte, ist problematisch, ob er über § 437 Nr. 2 BGB Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB, nach §§ 286 Abs. 1, 2 mit 286 BGB oder nach § 280 Abs. 1 BGB verlangen kann (unter 2.). 1. Ersatz des Vorenthaltungsschadens bei nicht rechtzeitiger Leistung Leistet der Verkäufer nicht rechtzeitig und entgeht dem Käufer deswegen ein Gewinn, etwa dem Eisdielenbesitzer, dem die Kühltruhe nicht rechtzeitig geliefert wird, der Gewinn, den er durch den Eisverkauf erzielt hätte, kommen als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz sowohl §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB als auch §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB in Betracht. Problematisch ist insoweit zum einen, ab welchen Zeitpunkt der Käufer Ersatz des entgangenen Gewinns verlangen kann: ab Fälligkeit der Leistung, ab Zugang der Mahnung oder erst ab Ablauf der Nachfrist (unter a). Zweifelhaft ist auch, ob der Schadensersatz neben der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB und der Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB zumindest teilweise denselben Schaden abdecken und sich deswegen zeitlich überschneiden (unter b). a) Verzögerungsschadensersatz ab Mahnung Da der Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB eine Mahnung voraussetzt, also die bestimmte und eindeutige Auforderung des Käufers an den Verkäufer zu leisten3, kann der Käufer Schadensersatz für den entgangenen Gewinn schon ab Fälligkeit allenfalls
__________ 3 Die Mahnung ist wie die Nachfristsetzung nach §§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB keine Willenserklärung, sondern eine geschäftsähnliche Handlung, auf die die Regelungen über Willenserklärungen entsprechend anzuwenden sind. Nach § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB ersetzen die Erhebung der Leistungsklage und die Zustellung eines Mahnbescheids die Mahnung.
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dann beanspruchen, wenn man den Ersatzanspruch auf §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB stützte. Dass der Gläubiger nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB so zu stellen ist, wie er bei ordnungsgemäßer Leistung stünde, wird in diesem Sinne teilweise dahin verstanden, der Käufer sei so zu stellen, wie er stünde, wenn der Verkäufer bei Fälligkeit geleistet hätte4. Kauft etwa der Eisdielenbesitzer am 1.6. eine Kühltruhe, entgeht ihm ab Fälligkeit der Verkäuferleistung, also nach § 271 Abs. 1 BGB „sofort“ ab Vertragsschluss täglich der durch den Eisverkauf erzielbare Gewinn. Stellte man den Käufer über §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB so, wie er bei rechtzeitiger Leistung im Fälligkeitszeitpunkt stünde, könnte er diesen Gewinn auch dann ersetzt verlangen, wenn er dem Verkäufer erst am 10.6. eine Nachfrist zur Lieferung der Kühltruhe bis zum 15.6. setzt. Dieses Ergebnis ist nicht haltbar: Ein Schadensersatzanspruch bereits mit Fälligkeit der Leistung liefe § 280 Abs. 2 BGB zuwider, der Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung ausdrücklich nur unter den Voraussetzungen des § 286 BGB gewährt, also erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sich der Schuldner in Verzug befindet. Im Beispielsfall gerät der Verkäufer erst mit der in der Fristsetzung liegenden Mahnung, also erst am 10.6. in Schuldnerverzug; nach §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB hat der Käufer erst ab diesem Tag Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens. Das ist sachgerecht: Die Mahnung warnt den Verkäufer davor, dass der Käufer etwaige Nachteile, die ihm wegen der Leistungsverzögerung entstehen, ab jetzt auf den Schuldner abwälzen wird. Abweichend wird teilweise vertreten, der Verzug beginne erst mit Ablauf der Nachfrist i. S. des § 281 Abs. 1 BGB5: Da die Mahnung regelmäßig im Nacherfüllungsverlangen liege, sei sie durch den Ablauf der Nachfrist aufschiebend bedingt; dahinter verberge sich die zentrale Wertentscheidung des Gesetzes, dem Käufer einen Anspruch auf eine mangelfreie Kaufsache erst nach Fristablauf zu geben. Das ist falsch: Einen Anspruch auf die (mangelfreie) Kaufsache hat der Käufer schon mit Fälligkeit seines Leistungsanspruchs nach § 271 BGB, lediglich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wird von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht. Zudem ignoriert die Auffassung, die Mahnung wirke erst mit Ablauf der Nachfrist, die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte des Schadensersatzes neben der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB und des Schadensersatzes statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB zu Lasten des Käufers, ohne dass die Begünstigung des Verkäufers gerechtfertigt wäre: Der Käufer, der an seinem Anspruch auf die vertraglich geschuldete Leistung festhalten und lediglich Begeleitschäden liquidieren will, muss den Verkäufer mit der Mahnung lediglich davor warnen, dass künftige Schäden zu dessen Lasten gehen werden. Da er am vertraglichen Primäranspruch festhalten will, liegt es aus seiner Sicht fern, für die Erfüllung eine Nachfrist zu setzen, deren Ablauf ihn lediglich dazu berechtigte, zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Rücktritt zu wählen. Dass er keine Nachfrist setzt, nimmt ihm aber nicht den Anspruch auf Ersatz
__________ 4 Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 281 BGB Rz. 25; zu § 326 BGB a. F. auch BGH v. 20.5.1994, BGHZ 126, 131, 134 f. 5 Oechsler, BT, 2003, § 2 BGB Rz. 150 und ders., NJW 2004, 1828, 1830.
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der Schäden, die durch eine nachträgliche Leistung ohnehin nicht beseitigt würden. Auch die Verkäuferinteressen rechtfertigen eine Einschränkung der Käuferrechte nicht: Mehr als gewarnt zu werden, braucht der Verkäufer nicht. Eine letzte Chance zur Leistung innerhalb einer angemessenen Nachfrist benötigt er nur, um die einschneidende Rechtsfolge der Beendigung des Vertrages durch den Rücktritt nach § 346 Abs. 1 BGB oder durch ein Schadensersatzverlangen nach § 281 Abs. 4 BGB abwenden zu können. Hingegen löst die Warnung durch Mahnung sofort mit Zugang beim Schuldner die Rechtsfolgen des §§ 286 mit 280 Abs. 1, 2 BGB (Verzugsschadensersatz), des § 287 BGB (Haftungsverschärfung) und des § 288 BGB (Verzugszinsersatz) aus – auch wenn die Mahnung mit einer Nachfristsetzung verbunden wird. Die Frage nach dem Zeitpunkt, ab dem der Käufer als Gläubiger Ersatz eines wegen Leistungsverzögerung entgangenen Gewinns verlangen kann, ist damit eine Frage nach der Anspruchsgrundlage: Schadensersatz für Verzögerungsschäden sind nach §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB ab Zugang der Mahnung zu ersetzen. Auf §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB kann der Käufer dieses Schadensersatzbegehren hingegen nicht stützen, da der Schadensersatz statt der Leistung mit dem Erfordernis der Nachfrist mehr verlangt als die bloße Warnung des Verkäufers. b) Keine zeitlichen Überschneidungen Frühest möglicher Zeitpunkt, ab dem der Käufer Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB verlangen kann, ist damit der Ablauf der Nachfrist. Mit dem Argument, die Nachfrist verlängere den Erfüllungszeitraum, wird entsprechend teilweise vertreten, nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB sei der Käufer als Gläubiger so zu stellen, wie er stünde, wenn der Verkäufer bei Ablauf der Nachfrist geleistet hätte6. Dann bekäme der Käufer im Beispielsfall Schadensersatz in Höhe des entgangenen Gewinns über §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB ab dem Zugang der Mahnung am 10.6. und zusätzlich über §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB ab Ablauf der Nachfrist am 15.6. Die Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1, 2 mit § 286 BGB und aus § 280 Abs. 1, 3 mit § 281 BGB deckten ab Ablauf der Nachfrist denselben Schaden ab und überschnitten sich zeitlich. Diese zeitliche Überschneidung lässt sich auch nicht dadurch vermeiden, dass man den Verzug des Verkäufers bereits mit Ablauf der Nachfrist enden lässt: Während § 326 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BGB a. F. ausdrücklich anordnete, dass der Schuldner in dem Zeitpunkt von seiner Leistungspflicht frei wurde, in dem die ihm vom Gläubiger wegen des Leistungsverzugs unter Ablehnungsandrohung gesetzte Nachfrist fruchtlos ablief, fehlt eine entsprechende Regelung in § 281 BGB. Richtigerweise ist für die Berechnung des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung nicht auf den Ablauf der Nachfrist, sondern auf den Zeitpunkt des
__________ 6 Otto in Staudinger, BGB, 14. Aufl. 2004, § 280 BGB Rz. E 18 und § 281 BGB Rz. B 146; Stadler in Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 281 BGB Rz. 16, 19; auch Tiedtke/Schmitt, BB 2005, 615, 617.
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Schadensersatzverlangens des Käufers abzustellen: Das BGB n. F. unterscheidet für den Schadensersatz wegen Leistungsstörungen zum einen nach der Art der Pflichtverletzung und zum anderen zwischen dem „Schadensersatz statt der Leistung“ nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281, 283 BGB und § 311 a Abs. 2 BGB auf der einen Seite und dem Schadensersatz neben der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB auf der anderen Seite7. Anders als der Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB ist der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB kein Anspruch wegen Verzögerung der Leistung, sondern ein Schadensersatzanspruch wegen Nichtleistung8. § 281 BGB formuliert als Pflichtverletzung deutlich: „leistet der Schuldner nicht“. Der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB wird nur deswegen häufig vereinfachend als Schadensersatz wegen Leistungsverzögerung bezeichnet, um in Abgrenzung zur Unmöglichkeit der Leistung deutlich zu machen, dass die Leistung an sich noch erbracht werden kann und es Sache des Gläubigers ist zu entscheiden, ob er an der Leistungspflicht festhalten will oder nicht. Weil §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB einen Schadensersatzanspruch wegen Nichtleistung gewährt, wird der Schadensersatz als Schadensersatz „statt der Leistung“ bezeichnet und setzt § 281 Abs. 4 BGB voraus, dass der Anspruch auf die Leistung weggefallen ist: Verlangt der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung, lehnt er über § 281 Abs. 4 BGB die vertraglich geschuldete Schuldnerleistung endgültig ab. Der Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB kompensiert dann den Schaden, der entsteht, weil der Schuldner seine Leistung endgültig nicht mehr erbringt – ebenso wie der Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 283 BGB. Maßgeblicher Berechnungszeitpunkt für den Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB ist damit der Zeitpunkt, in dem der Erfüllungsanspruch wegfällt, also der Zeitpunkt des Schadensersatzverlangens, § 281 Abs. 4 BGB: Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Schuldner im Zeitpunkt des Schadensersatzverlangens geleistet hätte9. Mit dem Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB kommt es zu keinerlei zeitlichen Überschneidungen: Der Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB kompensiert den Schaden, der entsteht, weil der Schuldner seine Leistung nicht rechtzeitig, sondern verspätet erbringt. Der bis zum Schadensersatzverlangen statt der Leistung entstandene Verzögerungsschaden wird auch nicht rückwirkend auf den Ablauf der Nachfrist zum Schadensersatz statt der Leistung, also zum Nichterfüllungsschaden: Solange die Leistung noch erbracht werden kann, können nur
__________ 7 Gruber, ZGS 2003, 130, 131; Westermann in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 280 BGB Rz. 11; Stadler in Jauernig (Fn. 6), § 280 BGB Rz. 3; Heinrichs in Palandt (Fn. 4), § 280 BGB Rz. 18. 8 Faust in Huber/Faust, 1. Aufl. 2002, 3. Kapitel BGB Rz. 183; Lorenz/Riehm, SR 2002 BGB Rz. 289. 9 Ebenso Faust in Huber/Faust (Fn. 8), 3. Kapitel BGB Rz. 183 f.; Lorenz/Riehm (Fn. 8), BGB Rz. 287 ff. und Lorenz, NJW 2002, 2497, 2500; Ernst in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 281 BGB Rz. 110 ff.; abw. Löwisch in Staudinger (Fn. 6), § 286 BGB Rz. 172.
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Schäden neben der Leistung entstehen. Zu ersetzen ist der Verzögerungsschaden ab Verzugseintritt, also ab Zugang der Mahnung, bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf die Primärleistung untergeht: durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB, durch Unmöglichkeit der Leistung nach § 275 Abs. 1 BGB oder dadurch, dass der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangt, § 281 Abs. 4 BGB. Etwa kann der Eisdielenbesitzer Schadensersatz wegen des entgangenen Gewinns aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB ab Verzugseintritt am 10.6. bis zu dem Zeitpunkt verlangen, in dem er Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Ab Schadensersatzverlangen ist Anspruchsgrundlage §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB: Für den entgangenen Gewinn und für die Kosten eines Deckungskaufs, etwa für den Ersatz der Mehrkosten, die dem Eisdielenbesitzer entstehen, weil er eine Ersatzkühltruhe zu einem höheren Preis kaufen muss. Dass der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB alle bis zum Untergang der Primärleistungspflicht wegen der Leistungsverzögerung entstehenden Schäden erfasst, zeigt eine Kontrollüberlegung: Tritt der Gläubiger vom Vertrag zurück, kann er wegen § 325 BGB den Verzögerungsschaden, der ihm bis zur Rücktrittserklärung entstanden ist, ebenfalls nach §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB ersetzt verlangen10. Richtig ist allein, dass der fruchtlose Ablauf der Nachfrist das Recht des Käufers begründet zwischen dem Festhalten am vertraglichen Leistungsanspruch, dem Rücktritt vom Vertrag und dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung zu wählen, weswegen der Verkäufer ihn nicht zwingen kann, eine nach Ablauf der Nachfrist als Erfüllungsobjekt angebotene Sache als Erfüllung anzunehmen: Mit Ablauf der Nachfrist kann der Eisdielenbesitzer entscheiden, ob er auf der Lieferung der Kühltruhe beharrt und entgangenen Gewinn als Verzögerungsschaden über §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB liquidiert, oder ob er Schadensersatz statt der Leistung verlangt und damit auf die vertraglich geschuldete Kühltruhe verzichtet und statt dieser Schadensersatz in Geld verlangt. Der Schadensersatzanspruch entsteht mit Ablauf der Nachfrist als verhaltener Anspruch11; ist aber erst mit dem Schadensersatzverlangen des Käufers erfüllbar. Solange der Käufer am vertraglichen Leistungsanspruch festhält, muss auch er sich vertragstreu verhalten. Etwa darf der Käufer einen Deckungskauf erst tätigen, also eine Ersatzkühltruhe erst kaufen, wenn er Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat, nicht aber bereits mit Ablauf der Nachfrist. Kauft er die Kühltruhe schon vor seinem Schadensersatzverlangen, hat er keinen Anspruch auf Ersatz der dadurch entstandenen Kosten12.
__________ 10 Ganz überwiegende Meinung: Kaiser in Staudinger (Fn. 6), vor § 346 BGB Rz. 88 m. w. N. und Rz. 87 zur abw. Rechtslage nach BGB a. F. 11 Zum Anspruch auf Vertragsstrafe wegen Nichterfüllung nach § 340 BGB Siber in Planck, BGB, § 340 BGB Anm. 1; Rieble in Staudinger (Fn. 6), § 340 BGB Rz. 21; BAG v. 14.6.1975, AP Nr. 1 zu § 340 BGB mit Anm. H. P. Westermann. 12 So aber Heinrichs in Palandt (Fn. 4), § 281 BGB Rz. 5; zu § 326 BGB a. F. auch BGH v. 20.5.1994, BGHZ 126, 131.
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2. Ersatz des Betriebsausfallschadens bei mangelhafter Leistung Leistet der Verkäufer eine mangelhafte Sache, beeinträchtigt diese Minderleistung das Interesse des Käufers am Erhalt der vertragsgemäßen Leistung. Etwa entgeht dem Eisdielenbesitzer, dem der Verkäufer eine nicht hinreichend kühlende Kühltruhe liefert, täglich der Gewinn, den er bei vertragsgemäßer Leistung durch den Eisverkauf erzielt hätte. Als Anspruchsgrundlagen für den Ersatz dieses Betriebsausfallschadens kommen über § 437 Nr. 3 BGB sowohl §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB als auch §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB als auch § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. a) Kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB Dass der Betriebsausfallschaden als Schadensersatz statt der Leistung nach § 280 Abs. 1, 3 und § 281 BGB ersetzt werden müsse, wird nur vereinzelt vertreten13. Für einen solchen Schadensersatzanspruch scheint zu sprechen, dass der Käufer mit dem Betriebsausfallschaden nicht sein Integritätsinteresse, sondern sein Äquivalenzinteresse, also sein Interesse an der vertragsgemäßen Verwendung der Kaufsache ersetzt verlangt. Die Unterscheidung zwischen Integritäts- und Äquivalenzinteresse ist aber dem BGB a. F. verhaftet14 und taugt nach BGB n. F. lediglich zur Abgrenzung von Vertrags- und Deliktsrecht15. Das BGB n. F. unterscheidet für Leistungsstörungen nicht anhand des geschützten Interesses, sondern nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281, 283 BGB und § 311a Abs. 2 BGB zwischen dem „Schadensersatz statt der Leistung“ auf der einen Seite und dem Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB auf der anderen Seite (gerade 2.b). Mit Hilfe des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung erhält der Gläubiger nur die Schäden ersetzt, die durch das endgültige Ausblieben der Leistung verursacht werden: Der Käufer ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Verkäufer im Zeitpunkt der Unmöglichkeit oder des Schadensersatzverlangens eine dem Vertrag gemäße Leistung erbracht hätte. Schäden, die durch die später erbrachte Leistung nicht kompensiert werden können, sind nur als Schadensersatz neben der Leistung ersatzfähig – entweder nach § 280 Abs. 1 BGB oder nach §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB. Deswegen kann der Käufer den Gewinn, der ihm bis zum Erlöschen des vertraglichen Leistungsanspruchs durch Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 Abs. 1 BGB) oder durch Schadensersatzverlangen (§ 281 Abs. 4 BGB) entgeht, nicht nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281, 283 BGB ersetzt verlangen: Dieser Gewinn entgeht dem Käufer auch
__________ 13 Huber in Huber/Faust (Fn. 8), 13. Kapitel Rz. 108 (abw. jetzt für § 280 Abs. 1 BGB ders., Besonderes Schuldrecht 1, 2006, Rz. 188); Recker, NJW 2002, 1247 f.; auch Fliegner, JR 2002, 314, 322; gegen einen Ersatzanspruch für Schäden, die während des Laufs der Nachfrist eintreten, Oechsler, NJW 2004, 1825, 1828 und 1830. 14 Vgl. BGH v. 2.6.1980, BGHZ 77, 215, 217 f. zur Abgrenzung zwischen dem Schadensersatzanspruch aus § 463 BGB a. F. und aus positiver Forderungsverletzung. 15 Und bereitet auch hier erhebliche Abgrenzungsprobleme, vgl. BGH v. 17.3.1981, BGHZ 80, 186, 189: Schadensersatzanspruch aus Delikt wegen Baumschäden aufgrund eines wirkungslosen Pflanzenschutzmittels bejaht („Apfelschorf“).
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Schadensersatz neben oder statt der Leistung
dann, wenn der Verkäufer die vertraglich geschuldete Leistung nachholt. Erst ab Unmöglichkeit oder Schadensersatzverlangen ist §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281, 283 BGB Anspruchsgrundlage für den entgangenen Gewinn16. Entgegen einem vereinzelt gebliebenen Vorschlag17 kann man auch nicht den Mangelfolge- und den Betriebsausfallschaden auf §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB stützen, der durch eine Nacherfüllung des Verkäufers innerhalb der Nachfrist hätte verhindert werden können. Ebenso wenig wie bei Vorenthaltungsschäden durch Leistungsverzögerung (unter 2.b) ist bei Betriebsausfallschäden (und Mangelfolgeschäden) für die Berechnung des Schadensersatzes statt der Leistung auf den Ablauf der Nachfrist abzustellen. Andernfalls könnte der Ersatzanspruch für das mit dem Ausfall des Kühlaggregats sofort verderbende Eis auf § 280 Abs. 1 BGB gestützt werden, während der Käufer Wertersatz für das nach drei Tagen verderbende, ebenfalls in der Kühltruhe gelagerte Gemüse erst nach Ablauf einer angemessenen Nachfrist gem. §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB verlangen könnte18. Der Käufer, der an der vertraglich vereinbarten Leistung festhalten will, hat aber keinen Anlass, dem Verkäufer eine Nachfrist zu setzen. Gleichwohl muss er Begleitschäden der mangelhaften Leistung ersetzt verlangen können – als Schadensersatz neben der Leistung (schon oben 1.a). Maßgeblicher Berechnungszeitpunkt für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung ist nicht die Entbehrlichkeit oder der Ablauf der Nachfrist, sondern das Schadensersatzverlangen, das den Primärleistungsanspruch erlöschen lässt (gerade unter 1.b). b) Kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB Der Anspruch auf Ersatz des Betriebsausfallschadens wird vielfach mit dem Argument auf §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB gestützt, dass Bezugspunkt der Pflichtverletzung nicht die Lieferung einer mangelhaften Kaufsache, sondern die nicht rechtzeitige Lieferung einer mangelfreien Sache sei19. Dann schuldete der Verkäufer nicht schon ab Lieferung der mangelhaften Kaufsache, sondern erst ab der im Nachlieferungsverlangen liegenden Mahnung20 Schadensersatz; den Betriebsausfallschaden bis zur Mahnung erhielte der Käufer aber nicht.
__________ 16 Faust in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 437 BGB Rz. 61, 62 mit 51, 53; abl. Otto in Staudinger (Fn. 6), § 280 BGB Rz. E 11 und 33. 17 Tiedtke/Schmitt, BB 2005, 615, 617 und 619 f. 18 So ausdrücklich Tiedtke/Schmitt, BB 2005, 615, 619 f. mit dem Beispiel früh verderbenden Schweine- und spät verderbenden Rindfleisches. 19 Petersen, Jura 2002, 461, 462 f.; Wieser, JR 2002, 269, 270; Schur, ZGS 2002, 243, 244; Fliegner, JR 2002, 314, 322 ff.; Arnold/Dötsch, BB 2003, 2250, 2253; Grigoleit/ Riehm, AcP 203 (2003), 727, 754 ff. und JuS 2004, 745 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2004, S. 114 ff.; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB, 2002, § 280 BGB Rz. 43, 46 ff., 55; Büdenbender in AnwKomm.BGB, 2002, § 437 BGB Rz. 25; differenzierend von Wilmowsky, JuS Beil. Heft 1/2002, 20. 20 BGH v. 22.5.1985, NJW 1985, 2526 zu § 480 a. F.; BT-Drucks. 14/6040, S. 225; fernliegend für Verzug erst mit Ablauf der Nachfrist Oechsler, 2003, § 2 BGB Rz. 150 und NJW 2004, 1825, 1828.
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Rügt etwa der Eisdielenbesitzer den Defekt der Kühltruhe erst am vierten Tag nach der Lieferung, weil er zunächst nach der Ursache für die zu weiche Konsistenz des Eises sucht, bekäme er seinen Betriebsausfallschaden für die ersten drei Tage nicht ersetzt. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, wird teilweise vertreten, die Mahnung sei nach § 286 Abs. 2 BGB Nr. 4 BGB stets entbehrlich, wenn die Schäden mit ihrer Hilfe nicht verhindert werden könnten21. Damit unterscheidet sich der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB nicht von dem Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB sind schon deswegen nicht die richtige Anspruchsgrundlage, weil § 437 Nr. 3 BGB nicht auf § 286 BGB verweist22. Insoweit handelt es sich um kein Versehen des Gesetzgebers, sondern um eine grundlegende Entscheidung, die sich in den §§ 280 ff. BGB wieder findet: Für den Schadensersatz unterscheidet das BGB nicht nur zwischen dem Ziel des Anspruchs (Schadensersatz neben oder statt der Leistung), sondern auch nach der Art der Pflichtverletzung (schon 1.a). Insoweit nennt §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB als Pflichtverletzung die Verzögerung der Leistung und §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281, 283 BGB die Nichtleistung (in §§ 281 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 283 BGB) und die nicht vertragsgemäße („nicht wie geschuldete“) Leistung (in § 281 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB). Übergibt und übereignet der Verkäufer dem Käufer eine mangelhafte Kaufsache, leistet er nicht vertragsgemäß und verzögert nicht lediglich die geschuldete Leistung i. S. der §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB23. Dies wird deutlich, wenn man sich weitere Folgeschäden der mangelhaften Leistung vor Augen führt: Stellt der Eisdielenbesitzer nach Erhalt der Kühltruhe Eis her, weil er darauf vertraut, es ordnungsgemäß kühlen zu können, und verdirbt das Eis in der Kühltruhe wegen des nicht funktionierenden Kühlaggregats, kann der Käufer seinen Wertersatzanspruch für das verdorbene Eis nur auf § 280 Abs. 1 BGB stützen, hingegen nicht auf §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB: Hätte der Verkäufer keine Kühltruhe geliefert, hätte der Käufer kein Eis hergestellt, das hätte verderben können. Dieselbe Pflichtverletzung, die Lieferung der mangelhaften Kühltruhe, ist Ursache aber sowohl für den Mangelfolgeschaden als auch für den Betreibsausfallschaden. Scheidet §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB als Grundlage für den Ersatz des Mangelfolgeschadens aus, kann auch der Anspruch auf Ersatz des Betriebsausfallschadens nicht auf diese Anspruchsgrundlage gestützt werden.
__________ 21 Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 754 ff. und JuS 2004, 745, 748; für die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung Huber in Huber/Faust (Fn. 8), 13. Kapitel BGB Rz. 108; Recker, NJW 2002, 1247. 22 Faust in Bamberger/Roth (Fn. 16), § 437 BGB Rz. 61; Tiedtke/Schmitt, BB 2005, 615, 619; Huber, Besonderes Schuldrecht 1, 2006, Rz. 188. 23 Da § 437 BGB eine Verweisungsnorm nur für den Fall der mangelhaften Leistung enthält, hindert er es nicht, dass der Käufer Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB geltend macht, wenn der Verkäufer mit der Nacherfüllung in Verzug gerät; dies unmittelbar aus dem Allgemeinen Schuldrecht.
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c) Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB Da auch ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung ausscheidet (gerade unter 2.a) bleibt als Anspruchsgrundlage nur § 280 Abs. 1 BGB. Das ist auch sachlich gerechtfertigt24: Es macht einen erheblichen Unterschied, ob der Schuldner bei Fälligkeit lediglich untätig bleibt oder ob er fehlerhaft leistet. Während der Käufer die Tatsache der Nichtleistung sofort bemerkt und darauf mit der Mahnung reagieren kann, bemerkt er den Mangel und den darauf beruhenden Mangelfolgeschaden häufig erst, wenn der Schaden bereits eingetreten ist. Die besonderen Gefahren, die gerade der Sachmangel auslöst, rechtfertigen es, den mangelhaft leistenden Verkäufer einer schärferen Haftung zu unterwerfen als den Verkäufer, der gar nicht leistet. Entscheidend ist, dass eine Mahnung funktionslos wäre: Gewarnt zu werden braucht der Schuldner nur, wenn er einen Schaden durch sofortige Leistung abwenden kann. Bei Schäden, die wie ein Betriebsausfallschaden bereits eingetreten sind, geht die Mahnung ins Leere. Entsprechend hat auch der BGH zum BGB a. F. für das Werkvertragsrecht entschieden, dass Schäden, die durch Nachbesserung nicht verhindert oder behoben werden können, zu ersetzen sind, ohne dass der Gläubiger vorher eine Nachfrist zur Nachbesserung gesetzt haben muss25. Dass der Verkäufer sofort mit Lieferung Schadensersatz schuldet, ohne zuvor durch Mahnung gewarnt werden zu müssen, vernachlässigt seine Interessen nicht. Denn der Verkäufer, der mangelhaft leistet, schuldet gem. § 280 Abs. 1 BGB Satz 2 Schadensersatz nur dann, wenn er den Sachmangel zu vertreten hat, also entweder den Mangel selbst verursacht hat (Beschädigung des Kühlaggregats) oder aber fahrlässig eine mangelhafte Sache aus der Gattung ausgesucht hat (Wahl einer mangelhaften Kühltruhe, obwohl der Mangel für einen Fachmann zu erkennen ist). Für den Ersatz von Folgeschäden, die deswegen entstehen, weil der Käufer den Mangel nicht rechtzeitig rügt, ist der Verkäufer dadurch hinreichend geschützt, dass der Schadensersatzanspruch des Käufers nach § 254 BGB entsprechend gemindert wird. Auch wenn der Verkäufer in Schuldnerverzug geraten ist und auf die Mahnung des Käufers eine mangelhafte Sache leistet, etwa der Verkäufer zunächst gar keine Kühltruhe und nach Mahnung eine nicht hinreichend kühlende Kühl-
__________ 24 Herrschende Meinung: Münch, Jura 2002, 361, 368; Canaris, ZIP 2003, 321, 326 f.; Hirsch, Jura 2003, 289, 294; Gruber, ZGS 2003, 130, 133 f.; Medicus, JuS 2003, 521, 528; U. Huber in FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 525; Schulze/Ebers, JuS 2004, 265, 268 und 462, 465; Haas in Das neue Schuldrecht, 2002, Kap. 5 BGB Rz. 236, 246; Lorenz/Riehm (Fn. 8), BGB Rz. 546 f.; Mattheus in Schwab/Witt, Examenswissen zum neuen Schuldrecht, 2. Aufl. 2003, S. 55; Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 9), § 280 BGB Rz. 55 ff.; Otto in Staudinger (Fn. 6), § 280 BGB Rz. E 30; Henssler/Graf v. Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, § 437 BGB Rz. 21; Westermann in Erman (Fn. 7), § 280 BGB Rz. 11 f.; Stadler in Jauernig (Fn. 6), § 280 BGB Rz. 4; Heinrichs in Palandt (Fn. 4), § 280 BGB Rz. 18, 20; Faust in Bamberger/Roth (Fn. 16), § 437 BGB Rz. 6, anders noch Faust in Huber/Faust (Fn. 8), 3. Kapitel Rz. 223; Huber, Besonderes Schuldrecht 1, 2006 Rz. 188, abw. noch ders. in Huber/Faust (Fn. 8), 13. Kapitel Rz. 108. Diese Auffassung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers: BT-Drucks. 14/6040, S. 225. 25 BGH v. 16.10.1984, BGHZ 92, 308, 310; BGH v. 12.12.2002, NJW 2002, 816, 817.
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truhe liefert, ist Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz wegen der nachfolgenden Umsatzausfälle § 280 Abs. 1 BGB: Selbst wenn der Schuldnerverzug fortbesteht, weil er nur durch eine vertragsgemäße Leistung beendet werden kann26, ist Ursache für die Folgeschäden nicht, dass die vertragsgemäße Leistung nicht rechtzeitig erbracht wird, sondern dass der Schuldner mangelhaft geleistet hat. Dies wird erneut deutlich, wenn man auf weitere Folgeschäden der mangelhaften Leistung abstellt: Verdirbt das Eis des Eisdielenbesitzers in der Kühltruhe wegen des nicht funktionierenden Kühlaggregats, kommt als Grundlage seines Anspruchs auf Wertersatz für das verdorbene Eis nur § 280 Abs. 1 BGB in Betracht (gerade unter 2.b). Da mit der Lieferung der mangelhaften Kühltruhe dieselbe Pflichtverletzung Ursache des späteren Betriebsausfallsschadens ist, muss dieser ebenfalls nach § 280 Abs. 1 BGB ersetzt werden – unter der Voraussetzung, dass der Verkäufer den Sachmangel zu vertreten hat. Der Käufer wird gegenüber einem etwaigen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB nicht benachteiligt: Nach § 286 Abs. 4 BGB ist der Schuldner nur in Verzug, „solange“ die Leistung wegen eines vom Verkäufer zu vertretenden Umstandes unterbleibt: Liefert der Verkäufer eine mangelhafte Sache, ohne dass er den Mangel fahrlässig herbeigeführt hat und ohne dass er den Mangel hätte erkennen und beseitigen können oder bei einer Gattungsschuld durch eine mangelfreie Sache hätte ersetzen können, hat er die damit einher gehende Verzögerung der mangelfreien Leistung nicht zu vertreten; wie nach § 280 Abs. 1 BGB haftet er nur, wenn er für die mangelhafte Leistung i. S. des § 276 BGB verantwortlich ist. § 280 Abs. 1 BGB ist auch dann Anspruchsgrundlage, wenn der Käufer – wie im Regelfall – Schadensersatz statt der ganzen Leistung i. S. des § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB verlangt, also die mangelhafte Sache zurückgibt: Für die Rückgewähr der Sache verweist § 281 Abs. 5 BGB auf die §§ 346–348 BGB; das muss trotz Fehlens eines Verweises in §§ 283 Satz 2, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechend gelten, wenn der Käufer wegen eines nicht behebbaren Sachmangels Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 3 mit 283 BGB oder § 311a Abs. 2 BGB verlangt: Nach §§ 281 Abs. 5 mit 346 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 1, 347 BGB muss der Käufer die Kaufsache samt Nutzungen und gegen Aufwendungs- und Verwendungsersatz nach §§ 346, 347 BGB zurückgeben – nicht anders als wenn er vom Vertrag zurücktritt. Etwa schuldet der Eisdielenbesitzer Wertersatz für die Gebrauchsvorteile, die er durch das – wenn auch mangelhafte – Kühlen des Eises gezogen hat. Dass der Käufer über die Rückgewähr der Kaufsache so gestellt wird, als habe der Verkäufer gar nicht geleistet und ihm wie mit dem Rücktritt die Dispositionsfreiheit zurückgegeben und dass der Zustand wiederhergestellt wird, der ohne den gestörten Austausch der Leistungen bestanden hätte, ändert nichts daran, dass er den Betriebsaufallschaden nach § 280 Abs. 1 BGB ersetzt erhält: Weder Rücktritt noch Schadensersatz statt der ganzen Leistung machen aus der mangelhaften Leistung eine Nichtleistung, die den
__________ 26 So Reischl, JuS 203, 250, 252; Löwisch in Staudinger (Fn. 6), § 286 BGB Rz. 113; a. A. Huber in FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 527 f.: Nur bei Zurückweisung der mangelhaften Sache durch den Käufer.
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Käufer einen Anspruch auf Ersatz entgangener Nutzungen nur als Vorenthaltungsschaden über §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB ab Mahnung oder §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 BGB ab Schadensersatzverlangen gewähren27. §§ 347 Nr. 3 mit 280 Abs. 1, 3 mit 281 Abs. 5 BGB will dem Käufer nicht Ansprüche auf Ersatz der durch die mangelhafte Leistung bereits entstandenen Schäden nehmen – weder auf Ersatz etwaiger Mangelfolgeschäden, etwa wenn der Verkäufer eine Eistruhe mit defektem Wasserzulauf liefert und Mobiliar des Käufers durch unbemerkt ablaufendes Wasser beschädigt wird, noch auf Ersatz eines Betriebsausfallschadens. Allerdings wird § 280 Abs. 1 BGB praktisch nur selten als Anspruchsgrundlage für den Ersatz eines Betriebsausfallschadens taugen: Häufig wird der Verkäufer den Mangel nicht zu vertreten haben und die Vermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB widerlegen können. In diesen Fällen kann ihm aus der mangelhaften Leistung selbst kein zum Schadensersatz berechtigender Vorwurf gemacht werden, sondern bleibt der Käufer darauf verwiesen, die Nachlieferung zu verlangen, den Verkäufer also zu mahnen. Der Verkäufer schuldet Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB dann erst ab Mahnung und nur dann, wenn er die Verzögerung der Nacherfüllung zu vertreten hat.
III. Schluss Der Gläubiger muss eine Grundentscheidung treffen. Er kann zum einen am Vertrag und damit an den beiderseitigen Leistungspflichten festhalten: Hat der Verkäufer weniger oder schlechtere als die vereinbarte Ware geliefert, kann der Käufer die Minderleistung annehmen und den Kaufpreis entsprechend herabsetzen, also an den geminderten Wert der Leistung anpassen (Minderung, §§ 437 Nr. 2, 441 BGB und § 326 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BGB) und etwaige Folgeschäden über § 280 Abs. 1 BGB liquidieren. Verzögert der Verkäufer die Leistung, kann der Käufer diese trotz der Verspätung annehmen und sich darauf beschränken, den durch die Verzögerung entstandenen Schaden ersetzt zu verlangen (Verzugsschadensersatz, § 280 Abs. 1, 2 mit § 286 BGB). Zum anderen kann sich der Gläubiger wegen der Leistungsstörung auch vollständig vom Vertrag und den beiderseitigen Leistungspflichten lösen: Er kann entweder vom Vertrag zurücktreten (§§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 Abs. 5) oder, wenn der Schuldner die Leistungsstörung zu vertreten hat, Schadensersatz statt der Leistung verlangen (§§ 437 Nr. 3, 440, 280 Abs. 1, 3 mit §§ 281, 283 BGB). Rücktrittserklärung und Schadensersatzverlangen beenden gem. §§ 346 Abs. 1, 281 Abs. 4 BGB die beiderseitigen Leistungspflichten. Ob der Schuldner nicht leistet, weil er nicht leisten will (Nichtleistung trotz Möglichkeit der Leistung) oder weil er nicht leisten kann (Unmöglichkeit der Leistung), ist unerheblich. Dass die Leistung dem Schuldner unmöglich ist, spielt erst für die Rechtsfolgen eine Rolle: Kann der Schuldner nicht leisten, erlöschen die beiderseitigen Leistungspflichten aus dem Vertrag gem. §§ 275
__________ 27 Abw. noch Kaiser in Staudinger (Fn. 6), Vor § 346 BGB Rz. 78, 88.
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Abs. 1, 326 Abs. 1 Satz 1 BGB automatisch. Leistet der Schuldner hingegen nicht, obwohl er leisten könnte, hat der Gläubiger die Wahl, ob er am Vertrag und den beiderseitigen Leistungspflichten festhalten oder diesen durch Gestaltungserklärung beenden will: Die Leistungspflichten bleiben bestehen, bis der Gläubiger den Rücktritt vom Vertrag erklärt, §§ 323 mit 346 Abs. 1 BGB, oder Schadensersatz statt der Leistung verlangt, §§ 280 Abs. 1, 3 mit 281 Abs. 4 BGB. Schäden, die vor dem Rücktritt oder dem Schadensersatzverlangen statt der Leistung entstanden sind, begründen einen Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung: Aus §§ 280 Abs. 1, 2 mit 286 BGB, soweit sie durch die Verzögerung der Leistung verursacht werden; aus § 280 Abs. 1 BGB, soweit sie auf einer mangelhaften Leistung beruhen. Mit dem Schadensersatz statt der Leistung verlangt der Gläubiger demgegenüber nur die Schäden ersetzt, die auf dem endgültigen Ausbleiben der Leistung beruhen: Er verlangt so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt des Schadensersatzverlangens nach § 281 Abs. 4 BGB geleistet hätte.
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Pressefreiheit und Figuren des öffentlichen Lebens: Eine Konkretisierung des berechtigten Informationsinteresses der Allgemeinheit aufgrund des Gedankens „Practise what you preach“ Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Professoren-Fall vor dem griechischen Areopag 1. Der Sachverhalt 2. Der griechische Rechtsrahmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts (Rechtsgrundlage und Rechtsbehelfe) 3. Die Entscheidung des Areopags
IV. Die vermutliche Stellungnahme des EuGHMR angesichts seines dictum in der Entscheidung „Caroline von Hannover“ V. Die amerikanische Perspektive: Der „Marktplatz der Meinungen“ und das liberale „Truth-Argument“ VI. Schlussbemerkungen
III. Die vermutliche Haltung des BGH und des BVerfG
I. Einleitung Das Thema des vorliegenden Beitrags ist nicht neu. Die rechtliche Behandlung des Privatlebens prominenter Figuren des öffentlichen Lebens hat immer erneut das – auf jeden Fall berechtigte – Interesse von ebenfalls „prominenten“ Rechtsgelehrten geweckt. Einer von ihnen ist sicher der Jubilar, mein verehrter Doktorvater, dem dieser Beitrag mit den besten Wünschen für die Zukunft gewidmet ist1. Auch der Jubilar ist nämlich zu jenen Rechtsgelehrten zu zählen, die versucht haben, taktvoll und geschickt, die richtige Grenze zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG), insbesondere der Privatsphäre, und dem Pressefreiheitsrecht bzw. dem – breiteren – Meinungsäußerungsrecht (Art. 5 Abs. 1 GG) zu ziehen, d. h. eigentlich eine entsprechende faire, fallbezogene Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen2. Im Grunde genommen geht es dabei um den Versuch
__________ 1 S. Westermann in Symposion Canaris, 1998, S. 125 ff.; ders. in Grenzfrevel: Rechtskultur und literalische Kultur, 1998, S. 167 ff.; ders., EurRPrivL 1997, 239 ff.; ders., FamRZ 1969, 561 ff. 2 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl. 1992, Rz. 1225; Tettinger, JZ 1983, 317 ff.; Grimm, NJW 1995, 1697, 1702 ff.; Hager, AcP 196 (1996), 168, 174–175, 177 ff.; Kriele, NJW 1994, 1897, 1898; W. Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873, 879; Ehmann, JuS 1997, 193 ff. passim (insb. 197); von Gerlach, JZ 1998, 741, 750; Smith, ZEuP 1999, 303, 305; Heldrich, NJW 2004, 2634, 2634–2635; Weitnauer, DB 1976, 1365, 1368–1369; Reinhardt in FS H. Lange, 1970, S. 195 und 210–211; auch BGH, BGHZ 31, 308, 313;
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zur – in concreto – Erreichung eines schonenden Ausgleichs von zwei sich gegenüberstehenden Rechtsgütern, welche beide verfassungsrechtlichen Rang haben3. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es sich dabei im Wesentlichen um das Tauziehen zwischen zwei homogenen Grundrechten, namentlich zwischen dem Recht des von einem Pressebericht Betroffenen auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (statische Seite der Persönlichkeit4) einerseits, und dem Recht des Journalisten – bzw. des Verlegers/Herausgebers – ebenso auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit über den Schutz seines Meinungsäußerungsrechts (dynamische Seite5) andererseits handelt6. Diese letztere Betrachtungsweise erinnert uns gewiss an das durch Kant begründete Rechtsverständnis, wonach das Recht als Mittel zur Abgrenzung von Freiheitsräumen, also zur Schaffung einer Freiheitsordnung begriffen wird7. In unserer Zeit lässt das Interesse der Allgemeinheit am Privatleben von Personen, die eine – mehr oder weniger – bedeutsame Rolle im öffentlichen Leben spielen, kaum nach. Ihr Privatleben befeuert intensiv unsere Phantasie und vor allem die Boulevardpresse (Sensations- und Unterhaltungspresse) empfindet es als ihre Aufgabe, uns detaillierte Informationen über ihre Gewohnheiten, Reisen, Beziehungen usw. zu vermitteln. Zwischen Prominenten und Boulevardpresse ist ein „Hassliebe“-Verhältnis gewachsen8. Der Persönlichkeitsschutz hat sich heutzutage sogar weitestgehend zum Prominentenschutz9 oder zum Schutz der „mighty and wealthy“10 entwickelt. Als zentrale Frage bleibt aber immer noch, in welchen Fällen eigentlich das Eindringen in die Privatsphäre von öffentlichen Figuren gerechtfertigt werden
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BGH, BGHZ 73, 120, 124; BVerfG, NJW 1997, 2669, 2670; BVerfG, NJW 2006, 207, 208, 209; OLG Hamburg, AfP 1976, 137, 138; ferner Dworkin, Taking Rights Seriously, 1978, S. 27. Kritisch gegenüber der Abwägungsperspektive – und somit entgegen der im Schrifttum verbreiteten Auffassung – Canaris, JuS 1989, 161, 167 ff. Dazu Markesinis, LQR 115 (1999), 47 ff.; Larenz/Wolf, AT des BürgR, 9. Aufl. 2004, § 8 Rz. 36 ff.; Degenhart, JuS 1992, 361–362, 364 ff.; Hager, AcP 196 (1996), 174–175, 177 ff.; Meurer in FS H. J. Hirsch, 1999, S. 651, 652–653; Kriele, NJW 1994, 1898, 1902; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1287–1288. Aus der Rechtsprechung bezeichnend: BVerfG, BVerfGE 35, 202; BVerfG, NJW 1980, 2072; BVerfG, BVerfGE 93, 266; BGH, BGHZ 73, 120; BGH, NJW 1995, 861; OLG Hamburg, NJW 1970, 1325. Vgl. Beater in Soergel, BGB, Bd. 12, 13. Aufl. 2005, Anh IV § 823 BGB Rz. 36. Vgl. Beater a. a. O. (Fn. 4). Vgl. BVerfG, NJW 1980, 2070; BVerfG, BVerfGE 87, 272, 281; Ehmann, JuS 1997, 193; auch Karakostas, ZEuP 2003, 114, 115–116; Stathopoulos, Nomiko Vima 2000 (griechisch), 1, 18. S. Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2000, Rz. 248 ff.; Schapp, JZ 2006, 581, 582, 585; Ehmann in FS A. Georgiades, 2006, S. 113, 120. Diesem liberalen Kant’schen Konzept folgt auch v. Savigny in System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 331–332; dem Letzteren zust. Hayek, The Constitution of Liberty, 1960, passim, insb. S. 148, 155. Dazu Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2005, 571; auch OLG Köln, AfP 1982, 181, 182–183; vgl. ferner Rogall in FS H. J. Hirsch (Fn. 3), S. 665, 665–666; Prinz, NJW 1995, 817. Für die entsprechende Lage in den USA bereits am Ende des 19. Jahrhunderts vgl. Warren/Brandeis, HarvLR 4 (1890), 193, 196. S. Schwerdtner, JuS 1978, 289, 291. S. Westermann in Symposion Canaris (Fn. 1), S. 148.
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kann, und an dieser – anerkanntermaßen – sperrigen Frage scheiden sich verschiedene Richtungen. In Kenntnis der Tatsache, dass zu dieser Frage ganze Ströme von Tinte vergossen worden sind, wird im Folgenden der Versuch unternommen, anhand eines Beispiels aus der griechischen Rechtsprechung, die entsprechende Lage im griechischen Recht darzustellen sowie diese mit der Haltung der obersten deutschen Gerichte (BGH und BVerfG), des EuGHMR sowie der amerikanischen Judikatur (Supreme Court) zu vergleichen. Gleichzeitig wird auch ein besonderes Kriterium zur Rechtfertigung des Presseeingriffs in das Privatleben von öffentlichen Figuren näher entfaltet und auf seine Argumentationskraft hin geprüft.
II. Der Professoren-Fall vor dem griechischen Areopag 1. Der Sachverhalt Als Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen dient ein Fall, der – in leicht veränderter Form – von unserem obersten Zivilgericht, Areopag, entschieden wurde und etwas vereinfacht wie folgt skizziert werden kann: Ein Professor mit ständiger Präsenz im gesellschaftlichen und politischen Leben Griechenlands (durch zahlreiche Interviews bei verschiedenen Medien) und mit klaren weitergehenden Ambitionen (Eintritt in die zentrale politische Bühne, usw.) konnte seine Ehe vor der Scheidung nicht retten. Nach vielen Jahren gemeinsamen Lebens war seine Ehefrau mit ihm und seinem allgemeinen Benehmen völlig frustriert. In ihrem Antrag im Verfahren der einstweiligen Verfügung schilderte sie ihr unangenehmes Leben mit ihrem Ehemann sehr bildhaft und detailliert: So beschrieb sie den Professor als permanent mit Fremdgehen beschäftigt und manchmal auch gewalttätig ihr gegenüber; er habe sich stets für seine außerehelichen Liebeleien sowie für seine eventuelle politische Karriere interessiert, gegenüber ihr aber habe er gleichgültig gewirkt und – wie schon erwähnt – sich manchmal auch gewalttätig verhalten, einmal sogar habe er ihr mit einer Waffe gedroht. Eine Boulevardzeitschrift veröffentlichte diesen Antrag der einstweiligen Verfügung, und zwar unter dem Titel „Der Professor war gewalttätig und Meister des Seitensprungs“. Sonstige herabsetzende Werturteile ersparte sich die Zeitschrift und sie blieb prinzipiell bei dem Inhalt des obigen Antrags und den darin enthaltenen Tatsachenbehauptungen der Ehefrau. Die Instanzgerichte nahmen sogar an, dass der Inhalt des Antrags der Wirklichkeit entsprochen habe. Es ging also dabei um Tatsachenbehauptungen, d. h. Behauptungen über reale Vorgänge oder Umstände aus der Vergangenheit einer Person (hier: des öffentlichen Lebens)11.
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11 Vgl. Larenz/Wolf (Fn. 3), § 8 Rz. 25; Reinhardt in FS H. Lange (Fn. 2), S. 198 ff.; Weitnauer, DB 1976, 1413 ff. Generell zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen s. Hager, AcP 196 (1996), 213 ff.; Beater in Soergel (Fn. 4), Anh IV § 823 BGB Rz. 162 ff.; Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 4 Rz. 41 ff.; Rixecker in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2001, § 12 BGB Anh. Rz. 126 ff.; Grimm, NJW 1995, 1699, 1703; Hochhuth, NJW 2006, 189–190. Aus der amerikanischen Literatur (insbesondere zur Unterscheidung zwischen „Fact“ und „Opinion“) eingehend Post, HarvLR 103 (1990), 601, 649 ff.
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2. Der griechische Rechtsrahmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts (Rechtsgrundlage und Rechtsbehelfe)12 Als das Griechische Zivilgesetzbuch (von nun an: GrZGB) in Kraft trat, nämlich im Jahre 1946, war es in manchen Aspekten fortschrittlicher als sein Vorbild, das Deutsche BGB. Unter anderem enthielt bereits das GrZGB eine Reihe von Vorschriften zum Schutz des Persönlichkeitsrechts – und dies war eine legislative Entscheidung, vor welcher der Deutsche Gesetzgeber im Jahre 1900 aus bekannten Gründen zurückgescheut hatte. Hier beziehen wir uns auf Art. 57–60 des GrZGB, die sich im Allgemeinen Teil des GrZGB befinden und einen grundlegenden Schutzraum für die Persönlichkeit aufzeichnen. Besondere Bedeutung kommt Art. 57 GrZGB zu13, wobei unter dem klaren Titel „Persönlichkeitsrecht“ Folgendes vorgesehen wird: „Wer in seiner Persönlichkeit rechtswidrig verletzt wird, kann die Beseitigung der Verletzung und ihre Unterlassung in Zukunft verlangen. […] Ein Schadensersatzanspruch nach den deliktsrechtlichen Vorschriften ist nicht ausgeschlossen“. Zudem wird der Schutz des Persönlichkeitsrechts durch Art. 59 GrZGB weiter gestärkt, wobei geregelt wird, dass im Falle einer Persönlichkeitsverletzung das Gericht, unter Berücksichtigung der Art der Verletzung, „den Schuldigen zur Abfindung des immateriellen Schadens des Verletzten verurteilen kann“; diese Abfindung besagt „die Zahlung eines Geldbetrags, einen Pressebericht oder irgend ein anderes, von den Umständen gefordertes Mittel“. Es liegt auf der Hand, dass das GrZGB ein allgemeines Persönlichkeitsrecht in deutlicher Weise anerkennt und es mit einer ersten Reihe von Rechtsbehelfen abschirmt. Die Rechtsgrundlage des Persönlichkeitsschutzes wird aber durch die Regeln des Griechischen StGB über die Straftaten gegen die Ehre (Art. 361 ff.) ergänzt, welche eine maßgebliche „Ausstrahlungswirkung“ im Zivilrecht entfalten. Im Weiteren findet man in der speziellen Pressegesetzgebung die sehr wichtige Vorschrift über die verschuldensunabhängige Haftung des Medieneigentümers für das schuldhafte und rechtswidrige – als persönlichkeitsverletzende – Verhalten eines Journalisten bzw. Berichterstatters, und zwar unabhängig davon, ob dieser dem Eigentümer bzw. dem Chefredakteur bekannt ist. Dies bedeutet eigentlich, dass der Medieneigentümer vollen Schadensersatz für einen Vermögensschaden sowie auch Geldersatz für den immateriellen Schaden schuldet, welche durch einen ehrverletzenden Pressebericht herbeigeführt wurden. Darüber hinaus berufen sich sowohl die Instanzgerichte als auch der Areopag oft auf die entsprechenden Regelungen zum Schutz der Persönlichkeit und der Privatheit (privacy), die in internationalen Texten, vor allem in EMRK (Art. 8), sowie auch in unserer Verfassung (allen voran Art. 5 Abs. 1–2: Freie Entfaltung
__________ 12 S. auch Karakostas, ZEuP 2003, 114 ff.; dens., Prosopikotita & Typos (Persönlichkeit & Presse), 2000 (griechisch); dens., To Dikaio ton MME (Medienrecht), 2005 (3. Aufl.; griechisch). 13 Zum fortschrittlichen und hoch bedeutsamen Charakter dieser Vorschrift s. Stathopoulos (Fn. 6), 5 ff.; Karakostas, ZEuP 2003, 114 ff.
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der Persönlichkeit und Lebens- und Ehrenschutz, sowie Art. 9: Unverletzlichkeit des Privat- und Familienlebens, und Art. 9A: Schutz von persönlichen Daten) enthalten sind. Manchmal sogar zeigt sich in der Rechtsprechung die – aus rechtsdogmatischer Sicht fragwürdige – Tendenz, den allgemeineren Regelungen der internationalen Verträge oder der Verfassung den Vorrang gegenüber den spezielleren Vorschriften des GrZGB und der sonstigen presserechtlichen Gesetzgebung zu geben14. Nach der Rechtsprechung der griechischen Gerichte steht jeder Person, deren Persönlichkeit und insbesondere deren Ehre, Privat- oder Familienleben durch üble Nachrede, Verleumdung oder Beleidigung rechtswidrig verletzt wird, das Recht zu, die Beseitigung der Verletzung und ihre Unterlassung in der Zukunft zu verlangen. Außerdem kann der Betroffene, soweit dem Beklagten Verschulden anhaftet, auch Schadensersatz für seinen immateriellen Schaden verlangen. An dieser Stelle aber greift ein in der gerichtlichen Praxis sehr wichtiger haftungsausschließender Grund ein, der aus dem Strafrecht herrührt, zugleich aber auf die zivilrechtliche Haftung des Beklagten einwirkt: Es handelt sich dabei um den vertrauten Begriff des „berechtigten Interesses“, das den rechtswidrigen Charakter der Straftaten der üblen Nachrede und der Beleidigung aufhebt (Art. 367 des Griechischen StGB)15. Nach der Rechtsprechung ergibt sich ein solches berechtigtes Interesse – als besonderer Rechtfertigungsgrund – aus der Pressefreiheit zur Veröffentlichung von Nachrichten und Ereignissen betreffend das Benehmen von natürlichen Personen, insbesondere derjenigen, die ein öffentliches Amt bekleiden und damit das Interesse der Gesellschaft auf sich ziehen. In diesem Rahmen wird behauptet, dass es der Presse erlaubt ist, zum Zweck der Informierung der Bürger negative oder herabsetzende Werturteile, selbst in Verbindung mit scharfer bzw. nachteiliger Kritik, über Personen des öffentlichen Lebens, die in der Regel ein öffentliches Amt bekleiden, zu veröffentlichen16. Diesem Gedanken liegt allem Anschein nach das Veranlassungsprinzip zu Grunde, wonach derjenige, der das Interesse der Öffentlichkeit veranlasst hat, wie z. B. ein Politiker, Sportler, Sänger, Schau-
__________ 14 An diesem Punkt würde man gern die nunmehr legendäre Anklageschrift von Justus Wilhelm Hedemann gegen die Generalklauseln (Die Flucht in die Generalklauseln – Eine Gefahr für Recht und Staat, 1933) in Erinnerung rufen, wobei der Verfasser die unbedächtige Zuflucht zu den Generalklauseln mit den Gefahren der „Denkverweichlichung“, der „Unsicherheit des gesamten Rechtslebens“ und der „Willkür“ assoziierte (S. 66 ff.). 15 Vgl. ferner § 193 des Deutschen StGB; dazu BGH, BGHZ 31, 308, 312 ff.; Löffler/ Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2005, 53. Kap. § 29 ff.; Burkhardt (Fn. 11), Kap. 6 Rz. 27 ff.; Hager, AcP 196 (1996), 173–174, 182–183, 187 ff.; Meurer in FS H. J. Hirsch (Fn. 3), S. 654 ff.; Arzt, JuS 1982, 719, 722–723, 724; Reinhardt in FS H. Lange (Fn. 2), S. 196 ff. passim; Kriele, NJW 1994, 1903. 16 Vgl. BGH, BGHZ 31, 308, 312: „Es ist der inzwischen herrschend gewordenen Meinung zuzustimmen, daß die Presse im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe, insbesondere also bei der Behandlung politischer Angelegenheiten, zur Wahrung der Interessen der Öffentlichkeit befugt ist“.
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spieler usw., sich eine Berichterstattung oder negative Werturteile über sich gefallen lassen muss17. Es gibt indessen Fallkonstellationen, in denen – trotz des prinzipiellen Bestehens eines berechtigten Informationsinteresses – der rechtswidrige Charakter der Verletzung nicht aufgehoben wird. Dies kommt dann vor, wenn die Verletzung den Tatbestand der Verleumdung erfüllt oder wenn sich aus der Art und Weise und den Umständen, unter denen die Verletzung stattgefunden hat, eine besondere Beleidigungsabsicht ableiten lässt (vgl. Art. 367 Abs. 2 GrStGB). Letztere Absicht richtet sich besonders auf die Verletzung der Ehre des Betroffenen, mittels eines Bestreitens seines moralischen oder gesellschaftlichen Gewichts oder einer Verachtung seiner Person18. Diese besondere Beleidigungsabsicht spiegelt sich in der Art und Weise wider, in der das ehrverletzende Verhalten zum Ausdruck kommt. Insbesondere liegt sie dann vor, wenn diese Art und Weise, objektiv gesehen, zur treffenden Übertragung des Inhalts des Gedankens desjenigen, der – angeblich – nach berechtigtem Interesse tätig wurde, nicht notwendig war19. Eine besondere Beleidigungsabsicht ist also dann vorhanden, wenn das Verhalten des Journalisten bzw. Berichterstatters klar auf die Ehrverletzung des Betroffenen abzielt20. Um es ein wenig zu illustrieren: Das ist der Fall, wenn z. B. eine Zeitung einen Abgeordneten als „den politischen Abschaum des Parlaments“ oder „den Seidenwurm der Politik“ be-
__________ 17 Vgl. Hubmann, JZ 1957, 521, 527; Löffler/Ricker (Fn. 15), 42. Kap. § 12; auch Karakostas, ZEuP 2003, 118 ff. Aus der deutschen Rechtsprechung s. OLG Köln, AfP 1982, 181, 182–183 (u. a.: „Grundsätzlich bestimmt jeder Mensch selbst, inwieweit sein Leben oder einzelne Vorgänge aus seinem Werdegang in der Öffentlichkeit dargestellt werden dürfen […]. Es ist weiterhin anerkannt, daß derjenige, der an der öffentlichen Meinungsbildung teilnimmt und damit aus eigenem Entschluß seine Person einbringt und sich den Bedingungen des Meinungskampfes unterwirft, sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begibt“); auch OLG Stuttgart, AfP 1981, 362 („Der Kläger zu 1 gehört zu der Berufsgruppe der Schauspieler oder Künstler der Unterhaltungsbranche, die […] anders als ein Normalbürger in der Regel samt ihren Angehörigen die Publizität in den Medien, vor allem in der „Regenbogenpresse“ suchen und bis zu einem gewissen Grad die dadurch mit oder ohne ihr Zutun gelegentlich einhergehenden negativen Begleiterscheinungen hinzunehmen bereit sind“). 18 Vgl. Areopag 167/2000, Nomiko Vima 2001, 247, 248, 250–251; 389/2004, Nomiko Vima 2005, 661, 662, 663; 1462/2005, Dikaio Meson Enimerosis & Epikinonias 2006, 211; 1671/2005, ebenda, 58; Efeteio Athinon (Berufungsgericht Athen) 7630/2001, Nomiko Vima 2002, 534, 537; 8634/2005, Dikaio Meson Enimerosis & Epikinonias 2006, 215. 19 Im Hintergrund steht hier das Verhältnismäßigkeitsprinzip (das nunmehr in unserer Verfassung, nämlich in Art. 25 Abs. 1 Satz 4, verankert ist): Die Ehrverletzung muss das objektiv erforderliche – nicht nur das geeignete – Mittel zur Wahrnehmung des in Frage kommenden Interesses darstellen; vgl. Areopag 1662/2005, Nomiko Vima 2006, 408, 409. 20 Dies ähnelt sich der entsprechenden Auffassung des BVerfG, wonach – im öffentlichen Meinungskampf – eine Schmähung erst dann vorliegt, wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfGE 61, 1, 12); vgl. dazu Grimm, NJW 1995, 1703.
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zeichnet; nach Areopag sind solche Ausdrücke objektiv gesehen nicht erforderlich zur Ausübung der angestrebten Pressekritik21. Soweit kein – nach den obigen Bedingungen – berechtigtes Interesse besteht, wird die Verletzung der Persönlichkeit bejaht und dem Betroffenen eine Reihe von Rechtsbehelfen eingeräumt, von denen manche oben schon erwähnt wurden. Um uns einen entsprechenden Überblick und zugleich ein klares Bild über das griechische System zum zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz zu verschaffen, können wir hier die dem von einem Pressebericht Betroffenen zustehenden Rechtsbehelfe wie folgt auflisten: a) Beantwortungs- sowie Richtigstellungsrecht, die seit 2001 auch in der Griechischen Verfassung verankert sind – und zwar in einer detaillierten Regelung (Art. 14 Abs. 5; Art. 14 Abs. 1–2 garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit, in Verbindung mit Art. 5A, der das Informationsrecht des Individuums vorsieht). Die entsprechende verfassungsrechtliche Vorschrift entwickelt unmittelbare – und ausschließliche – Wirkung auf die Beziehungen zwischen Bürgern. Indessen darf man aber hier erhebliche Zweifel daran hegen, ob eine solche Vorschrift ihre treffende Stelle in der Verfassung findet, insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass die oben genannten Rechte schon vor der Verfassungsänderung von 2001 in der speziellen Pressegesetzgebung anerkannt waren. Auf jeden Fall bieten diese Rechte dem Betroffenen die Möglichkeit zu einer Gegendarstellung, im Hinblick sowohl auf Tatsachenbehauptungen als auch auf Werturteile, was für den effizienten Verlauf des Meinungsbildungsprozesses in einer liberalen Demokratie von außerordentlicher Bedeutung ist. b) Anspruch auf Beseitigung der Verletzung und ihre Unterlassung in der Zukunft. Der Unterlassungsanspruch ist nur dann gegeben, wenn die Gefahr einer Wiederholung der Verletzung droht (Wiederholungsgefahr)22. Ist die Ehrverletzung durch einen Pressebericht erfolgt, bedeutet die Unterlassung praktisch das Verbot der Veröffentlichung eines neuen Presseberichts desselben Inhalts; und, was besonders wichtig ist: Dieser Unterlassungsanspruch wird nicht als verfassungsrechtlich verbotene Vorzensur (s. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 der Griechischen Verfassung) angesehen. Unter das letztere verfassungsrechtliche Verbot fällt aber sicher die Beschlagnahmung einer Zeitung, einer Zeitschrift, eines Buches usw. vor ihrem Umlauf auf dem Markt. Es ist jedoch umstritten, ob dasselbe auch für die vorbeugende Unterlassungsklage gilt, d. h. für die Klage, die erhoben wird, bevor eine rechtswidrige Ehrverletzung erst begangen
__________ 21 Areopag 1407/1988, Helliniki Dikaiosyni 1990, 95. Andererseits zum berechtigten Charakter selbst der harschen – und sachlich unbegründeten – Pressekritik an prominenten Politikern s. die Entscheidung des Polymeles Protodikeio Athinon (Mehrgliedriges Landgericht Athen) 709/1999, Nomiko Vima 1999, 1438, insb. 1441–1442 (wobei die Kritik einen ehemaligen griechischen Premierminister sowie seinen Außenminister betraf; beide Politiker wurden nämlich von einer Zeitung der verrätischen Nachgiebigkeit bei der Verteidigung der griechischen nationalen Interessen beschuldigt). 22 Vgl. Larenz/Wolf (Fn. 3), § 8 Rz. 54; Ehmann, JuS 1997, 202; Degenhart, JuS 1992, 366; eingehend zum Unterlassungsanspruch Seyfarth, NJW 1999, 1288 ff.
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wird, welche aber unmittelbar droht (z. B. steht die Veröffentlichung eines verleumderischen Zeitungsartikels unmittelbar bevor)23. c) Anspruch auf Schadensersatz für materiellen Schaden sowie auch auf Genugtuung durch Geld für den immateriellen Schaden des Betroffenen. Diesbezüglich ist wohl zu bemerken, dass in der Pressegesetzgebung „Mindestbeträge“ für die Genugtuung des immateriellen Schadens bestimmt werden, welche im Prinzip vom Areopag für verfassungsmäßig gehalten werden, es sei denn, dass sie im konkreten Fall gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen24. Die Schadensersatzansprüche können sich auf das GrZGB – Art. 57 ff. (Vorschriften zum Schutz der Persönlichkeit) sowie auch Art. 914 ff. (deliktsrechtliche Vorschriften) – und auf die Pressegesetzgebung – die, nochmals hier zu betonen, eine verschuldensunabhängige Haftung des Medieneigentümers vorsieht – stützen. d) Im Falle einer Verurteilungsentscheidung kann das Gericht die Aufnahme einer Zusammenfassung der Entscheidung in die verurteilte Zeitung an derselben Stelle, wo der lasterhafte Pressebericht erschienen ist, anordnen (Druckanordnung). Nach ständiger Rechtsprechung gilt diese Regelung nur für die Zeitungen und erstreckt sie sich nicht auf die Zeitschriften; die Rechtsprechung besteht hier auf dem Wortlaut der presserechtlichen Gesetzgebung25. 3. Die Entscheidung des Areopags In Anbetracht des oben kurz angeschnittenen Systems des Persönlichkeitsschutzes hatte der Areopag den Professoren-Fall zu entscheiden; einen Fall eigentlich, in welchem das Privatleben einer absoluten Person der griechischen Zeitgeschichte, namentlich einer – mehr oder weniger – politischen Figur des griechischen öffentlichen Lebens vermeintlich verletzt wurde26. Zunächst ging das oberste Zivilgericht generell auf das berechtigte Presseinteresse am Privatleben einer öffentlichen Figur und seine besonderen Parameter ein. Im Weiteren konzentrierte es sich besonders auf den früheren Auftritt des Betroffenen vor den Medien und im Allgemeinen vor der Öffentlichkeit: Das berechtigte Interesse soll dann bejaht werden, wenn eine solche
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23 Dazu Stathopoulos (Fn. 6), 12. In Deutschland betrifft das Zensurverbot (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG) nach h.M. nur staatliche Maßnahmen und Maßnahmen von anderen Trägern öffentlicher Gewalt; deswegen ist ein – wie oben beschriebener – vorbeugender Unterlassungsanspruch zulässig und auch gerichtlich durchsetzbar; dazu Burkhardt (Fn. 11), Kap. 1 Rz. 46; ferner Rixecker in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 12 BGB Anh. Rz. 180. 24 S. u. a. Areopag 1043/2001, Chronika Idiotikou Dikaiou 2001, 819, und 1662/2005, Nomiko Vima 2006, 408, 409. 25 S. nur Efeteio Athinon (Berufungsgericht Athen) 5783/1997, Helliniki Dikaiosyni 1998, 667, 669. Diese unterschiedliche Behandlung ist jedoch aus vielerlei methodischen Gründen schwerlich haltbar. 26 Zur Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte s. Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 ff.; von Strobl-Albeg in Wenzel (Fn. 11), Kap. 8 Rz. 4 ff.; Löffler/Ricker (Fn. 15), 42. Kap. § 16, 43. Kap. § 13 ff.; Rixecker in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 12 BGB Anh. Rz. 46 ff.
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politische Figur, an deren Ideen und Haltungen die Gesellschaft ein besonderes Interesse habe, den öffentlichen Auftritt beim Fernsehen oder bei anderen Medien angestrebt habe, um ihre allgemeine Ansicht über das Privat- und Familienleben sowie auch Ereignisse aus ihrem eigenen Privat- und Familienleben zu veröffentlichen; eine solche öffentliche Wirkung könne eine hierauf bezogene negative und scharfe Kritik seitens der Presse rechtfertigen. In seiner folgenden Argumentation wird der Areopag präziser: Der Beeinträchtigte war breit bekannt sowohl in Griechenland als auch im Ausland; unter anderem war er Mitglied von zahlreichen Ausschüssen der öffentlichen Verwaltung sowie auch der griechischen Regierung. Allem voran hatte er klare politische Ambitionen; aus offensichtlichen Publizitätsgründen suchte er die Öffentlichkeit und deswegen erschien er sehr oft im Fernsehen und bei anderen Medien. Bei diesen Gelegenheiten äußerte er sich über das Privat- und Familienleben sowie auch über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, und in bestimmten Interviews scheute er sich nicht davor, seine eigene Ehe und insbesondere seine Beziehung zu seiner Frau ausführlich darzustellen, und zwar als Vorbild. Anhand dieser Schilderung wollte der Areopag aufzeigen, dass der Professor durch den obigen öffentlichen Auftritt etwa als „Sittenlehrer“27, d. h. als eine Person, in deren Lehren und Anweisungen man – vielleicht ein künftiger Wähler – Vertrauen haben muss, wirkte. Dieses Bild aber entsprach nicht der Realität, weil das Privatleben des Professors auf Abwege geraten war; mit anderen Worten tat der Professor in seiner privaten Lebenspraxis nicht das, was er über seine Interviews „lehrte“28. Aus diesem Grund entschied sich eigentlich der Areopag für die Beseitigung des rechtswidrigen Charakters der Persönlichkeitsverletzung: Es lag nämlich ein berechtigtes Presseinteresse daran vor, die Bürger über das antinomische Verhalten einer absoluten Person der Zeitgeschichte – d. h. über die Diskrepanz zwischen ihrer „öffentlichen Lehre“ und ihrem persönlichen Privat- und Familienleben – zu informieren. Andererseits war im vorliegenden Fall eine besonderere Beleidigungsabsicht nicht festzustellen. In dieser Entscheidung zeichnet sich also ein im Rahmen des Urteils über das Bestehen oder nicht eines berechtigten Presseinteresses entscheidendes – und m. E. im Prinzip begrüßenswertes – Kriterium ab, das wie folgt zusammengefasst werden kann: Das antinomische bzw. widersprüchliche Verhalten einer öffentlichen Figur, die einige Dinge öffentlich „lehrt“, sich aber in ihrem Privatleben anders verhält, kann schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, was zumindest ihren zu schützenden Privatheitsraum anbetrifft. Noch schärfer formuliert: Eine öffentliche Figur muss dem angelsächsischen Imperativ „Practise what you preach“ folgen.
__________ 27 Bzw. „Sittenrichter“; dazu BGH, NJW 1964, 1471, 1472, und später im Text. 28 In einem Interview hat unser Professor klargestellt, dass er seine Frau tief liebe und sich mit ihr sehr glücklich fühle und dass beide zusammen eine einmalige Verbindung von Leidenschaft, Begehren und ewiger Liebe in ihrer Beziehung geschaffen hätten. Seine Frau hatte indes in ihrem gerichtlichen Antrag die Lage deutlich anders dargelegt.
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An diesem Punkt sollte jedoch darauf geachtet werden, dass dieses Kriterium vorsichtig behandelt werden muss, denn es besteht die Gefahr, es zu überschätzen und in dieser Weise die Presse zu einem „Wächter“ (anders: Watchdog) der öffentlichen „Sittenordnung“ zu verwandeln. Es muss ebenso klar sein, dass sich auch den absoluten Personen des öffentlichen Lebens (Politikern, Sängern, Schauspielern, Sportlern, usw.) ein ungestörter und unantastbarer Privatheitskern, den kein „berechtigtes Presseinteresse“ tangieren darf, verbleiben muss29. Es ist auch nicht zu verkennen, dass eine Figur des öffentlichen Lebens nach einem scharfen Presseangriff nicht selten als „erledigt“ gilt, d. h. ihre politische oder sonstige Karriere zu einem vorzeitigen und somit ruhmlosen Ende gebracht wird30. Diesen Annahmen zufolge muss das „Practise-what-you-preach-Kriterium“ restriktiv gehandhabt werden, und zwar in dem Sinne, dass der Widerspruch zwischen dem Bild, das eine öffentliche Figur über sich selbst nach außen vermitteln will (Erscheinungsbild der Figur in der Gemeinschaft31), und ihrem wirklichen – ethischen – Zustand stark bzw. krass sein muss, damit das Presseinteresse an ihrem Privatleben als berechtigt angesehen wird32. Im obigen Professoren-Fall ist meiner Ansicht nach diese besondere Bedingung erfüllt und daher ist der Entscheidung des Areopags, sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis, zuzustimmen33.
III. Die vermutliche Haltung des BGH und des BVerfG Generell betrachtet ist die Rechtsprechung der griechischen Gerichte von einer pressefreundlichen Grundlinie durchzogen. Einerseits gibt es zwar ein umfassendes und effektives gesetzliches System zum Persönlichkeitsschutz; andererseits aber setzt die Rechtsprechung entsprechend hohe Anforderungen, so dass dieses Schutzsystem im Einzelfall schwerlich zur Anwendung kommt.
__________ 29 Im Prinzip gilt auch hier die folgende Ausgangsthese des BGH: „Grundsätzlich hat jeder, auch der in der Öffentlichkeit stehende und sie suchende Politiker, einen durch Art. 1 und 2 GG geschützten Anspruch auf Wahrung seiner Privatsphäre, zu der andere nur soweit Zugang haben, als er ihnen den Einblick gestattet. In diesem Privatbereich muß er vor Kontrolle und Zensur durch die Öffentlichkeit sicher sein; sonst wäre die Basis gefährdet, auf der sich seine Persönlichkeit verwirklichen und entfalten kann“ (BGHZ 73, 120, 122). Vgl. auch von Gerlach, JZ 1998, 751–752; Kriele, NJW 1994, 1901. 30 Dazu vgl. BGH, BGHZ 31, 308, 313. Zum sogenannten „Rufmord“ eines Bürgers s. Kriele, NJW 1994, 1897 ff. passim; W. Schmitt Glaeser, NJW 1996, 878; Forkel, JZ 1994, 637, 641–642; Ossenbühl, JZ 1995, 633, 634; ferner Hager, AcP 196 (1996), 195; Warren/Brandeis, HarvLR 4 (1890), 196. 31 Vgl. Larenz/Wolf (Fn. 3), § 8 Rz. 25, 27. 32 Ebenso Alivisatos, Dikaio Meson Enimerosis & Epikinonias (Medien- und Kommunikationsrecht; griechisch) 2005, 14, 19–20, 22–23, der weiter treffend bemerkt, dass das Kriterium des antinomischen Verhaltens dem allgemeinen, gesellschaftlichen Anliegen zur Konsequenz (zwischen Worten und Taten, Anschein und Praxis) entgegenkomme. 33 Auf einen ähnlichen krassen Widerspruch stützt sich auch das ebenso interessante Urteil von Polymeles Protodikeio Peiraia (Mehrgliedriges Landgericht Piräus) 3117/2005, Dikaio Meson Enimerosis & Epikinonias 2006, 219.
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Pressefreiheit und Figuren des öffentlichen Lebens
Die Abwägung zwischen Pressefreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht scheint am meisten zu Gunsten der ersteren auszufallen; die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den kollidierenden Grundrechten lässt in den meisten Fällen nur einen Kern von schützwürdigen Persönlichkeitsgütern unangetastet34. In dieser Hinsicht scheint es gerechtfertigt, anzunehmen, dass unsere Judikatur der deutschen, insbesondere der Judikatur des BVerfG und des BGH gleich läuft, soweit freilich der – in der Literatur zugegebenermaßen vielfältig gescholtene – pressefreundliche Charakter der Letzteren durch die jüngste Entscheidung des EuGHMR zum Schutz der Privatsphäre von Prominenten „Caroline von Hannover“ nicht erheblich beeinflusst wird35. Entscheidungen des BVerfG, wie die „Strauß-Stern“36, die „Soldaten-sind-Mörder-II“37 oder die „Caroline-von-Monaco“-Entscheidung38, legen generell – trotz der heftigen Kritik, der sie von einem großen Teil der Lehre unterzogen wurden – ein deutliches Zeugnis von dem liberalen Charakter der deutschen Rechtsprechung im Hinblick auf den Vorrang, den der Schutz der Meinungsäußerungs- bzw.
__________ 34 Zu den besonderen Ausprägungen bzw. Erscheinungsformen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts s. u. a. Burkhardt (Fn. 11), Kap. 5 Rz. 16 ff.; Degenhart, JuS 1992, 363 ff.; Ehmann, JuS 1997, 194 ff.; dens. in FS A. Georgiades (Fn. 7), S. 125 ff., 145 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht, B. II/Hb. 2, BT, 13. Aufl. 1994, § 80 II (S. 498 ff.); Schwerdtner, JuS 1978, 290; BVerfG, NJW 1980, 2070, 2071. 35 S. Bruns, JZ 2005, 428; ausführlicher Degenhart, JuS 1992, 364 ff.; Stürner, JZ 1994, 865 ff., insb. 868, 872 ff.; dens., JZ 2004, 1018 ff.; Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2005, 571 ff.; Markesinis, LQR 115 (1999), 47 ff., insb. 68 ff.; Markesinis/Nolte in Privacy and Loyalty, 1997, S. 113 ff., insb. 118, 129; Smith, ZEuP 1999, 303 ff. Aus der Rechtsprechung s. BVerfG, BVerfGE 7, 198 – Lüth; BVerfGE 12, 113 – SchmidSpiegel; BVerfGE 35, 202 – Lebach; BVerfGE 82, 43 – Strauß-Plakat; BVerfGE 82, 272 – Strauß-Stern; BVerfGE 93, 266 – Soldaten sind Mörder II. Stark kritisch zum pressefreundlichen Charakter der BVerfG-Rechtsprechung Kriele, NJW 1994, 1897 ff., welche seiner Ansicht nach eine verfassungswidrige Privilegierung der Medien und zugleich eine – ebenso verfassungswidrige – Reduzierung des Schutzes der Ehre nach sich zieht; kritisch auch Ossenbühl, JZ 1995, 633 ff. (der u. a. meint, dass das BVerfG mit seiner Rechtsprechung einen großen Teil der Macht des Fachrichters in unzulässiger Weise usurpiert); W. Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873 ff.; ders., JZ 1983, 95 ff.; Beater in Soergel (Fn. 4), Anh IV § 823 BGB Rz. 56, 157, 164–165, 194, 203; Sendler, NJW 1993, 2157–2158; Forkel, JZ 1994, 640 ff.; Ehmann, JuS 1997, 198; Redeker, NJW 1993, 1835, 1836; von der Decker, NJW 1983, 1400 ff.; ferner Larenz/Canaris (Fn. 34), § 80 V 1a (S. 524–525). Eine m. E. wohlbegründete – und deshalb beifallswürdige – Erwiderung auf diese kritischen Stimmen, mit deutlich liberalen Akzenten, findet sich bei Kübler, NJW 1999, 1281 ff.; ebenso auch Grimm, NJW 1995, 1697 ff.; s. ferner Meurer in FS H. J. Hirsch (Fn. 3), S. 651 ff., insb. 660 ff. und Benda, NJW 1994, 2266, 2267. 36 BVerfGE 82, 272, insb. 282 ff. 37 BVerfGE 93, 266; dazu ausführlich Gounalakis, NJW 1996, 481 ff. (im Ergebnis zust.). Vgl. aber auch BVerfG, NJW 1992, 2073 – Soldaten sind Mörder I. 38 BVerfGE 101, 361, insb. 389 ff.
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Pressefreiheit genießen muss, ab39. In der deutschen Judikatur gilt grundsätzlich die vom BVerfG seit Jahren aufgestellte „Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede“, insbesondere bei einem Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage40. Des Weiteren erlauben wichtige, präzise Befunde in der deutschen Rechtsprechung die Vermutung, dass die deutschen Gerichte den oben geschilderten Professoren-Fall in derselben Weise wie der griechische Areopag entscheiden würden. Zunächst ist die Veröffentlichung von Informationen aus dem Privatleben einer öffentlichen Figur, auch nach deutschem Verständnis, nur dann rechtswidrig, wenn kein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse besteht; die sogenannten absoluten Personen der Zeitgeschichte – die ihre Persönlichkeit in den Medien, sei es aus kommerziellen, sei es aus politischen Motiven, „vermarkten“ – müssen nach der deutschen Rechtsprechung die
__________ 39 Dazu – statt vieler – Markesinis, LQR 115 (1999), 68 ff. Der obige liberale Charakter der Rechtsprechung spitzt sich auf die alte, aber immer noch treffende Formulierung des BVerfG zu: „… ist die Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte; schon das verleiht ihr besonderes Gewicht. Darüber hinaus ist das Grundrecht für die freiheitliche demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend, indem es den geistigen Kampf, die freie Auseinandersetzung der Ideen und Interessen gewährleistet, die für das Funktionieren dieser Staatsordnung lebensnotwendig ist“ (BVerfGE 12, 113, 125); durchaus zust. Heinemann, NJW 1962, 889, 892–893; eingehender dazu Löffler/ Ricker (Fn. 15), 6. Kap. § 1 ff.; Burkhardt (Fn. 11), Einl. Rz. 1 ff., insb. 21, Kap. 2 Rz. 8. Andererseits kritisch zu der (angeblichen) Einseitigkeit dieser Betrachtungsweise W. Schmitt Glaeser, NJW 1996, 875 ff. und Kriele, NJW 1994, 1897 ff. passim. Nach der interessanten Auffassung von A. Schmitt Glaeser (Vorverständnis als Methode – Eine Methodik der Verfassungsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung U.S.-amerikanischen Rechtsdenkens, 2004, S. 233–234) etabliert das BVerfG mit der oben genannten Formel (die Meinungsfreiheit als für die freiheitliche demokratische Staatsordnung „schlechthin konstituierend“) unterschwellig die Freiheit der Meinungsäußerung als Grundsatz des Art. 20 I GG (der die Staatsform normiert und das Demokratieprinzip verankert). 40 Dazu u. a. Burkhardt (Fn. 11), Kap. 1 Rz. 9 ff., 19, Kap. 6 Rz. 14 ff.; Löffler/Ricker (Fn. 15), 7. Kap. § 9; Rixecker in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 12 BGB Anh. Rz. 154 ff.; BVerfG, BVerfGE 7, 198, 212 – Lüth; BGH, NJW 1998, 3047, 3048. Der pressefreundliche Charakter der BVerfG-Rechtsprechung wird m. E. nicht durch seinen neueren Stolpe-Beschluss (NJW 2006, 207) tangiert, der sich auf eine politische Auseinandersetzung bezieht (also keine medienrechtliche Situation erfasst) sowie unwahre – bzw. umstrittene – Tatsachenbehauptungen betrifft und der weiterhin an der allgemeinen „Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede“ ausdrücklich festhält (fast ebenso Hochhuth, NJW 2006, 189 ff., dem Urteil zust.). Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die in diesem Beschluss an die Erfüllung der Sorgfaltspflicht des Äußernden gestellten Anforderungen eher überspannt sind und somit mit einem freiheitlichen, liberalen Meinungsbildungsprozess schwerlich in Einklang stehen, und zwar dies angesichts einer „die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Angelegenheit“. Dass die Sorgfaltsanforderungen nicht so bemessen werden dürfen, dass dadurch die Freiheit der Meinungsäußerung beeinträchtigt wird, s. BVerfG, NJW 1980, 2072, 2073, und BGH, NJW 1998, 3047, 3049.
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Publikation privater Lebensvorgänge grundsätzlich hinnehmen41. Dies bezeugt unter anderem das dictum der gewichtigen Entscheidung des OLG Hamburg zur Ehefrau des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen42: Obwohl im Prinzip die Presse nicht berechtigt sei, ohne Einwilligung der Betroffenen auch richtige Tatsachen über ihr Privatleben (z. B. eine Scheidung) zu berichten, gelte dieser Grundsatz nicht für die Personen der Zeitgeschichte, über deren Privatleben ohne ihre Einwilligung in der Presse berichtet werden könne; die Veröffentlichung eines Scheidungsurteils durch die Presse, wie andere Mitteilungen über die Privat- und Intimsphäre einer Person, sei gerechtfertigt, wenn hierfür ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse bestehe, was der Fall sein könne, wenn der Betroffene zu den Personen der Zeitgeschichte gehöre43. Noch wichtiger ist aber in diesem Zusammenhang die Entscheidung des BGH zu dem sogennanten „Sittenrichter“ (Verleger einer Tageszeitung und Herausgeber eines Wochen-Magazins)44. In diesem Fall kommt das oben gennante Kriterium des antinomischen Verhaltens klar zum Vorschein45: Der Betroffene-Kläger hatte einen Ruf als „Moralist“ dadurch erworben, dass er in seiner Tageszeitung und in seinem Magazin politische Gegner mit dem Vorwurf wirklicher oder angeblicher sittlicher Verfehlungen (Ehebrüche, usw.) zu attackieren pflegte; derselbe aber hatte über Jahre nicht nur seine Frau, sondern auch seine „festen Freundinnen“ (mit einer von ihnen hatte er sogar eine Tochter) mit einer anderen Person betrogen! Der Beklagte hatte seinerseits das Privatleben des Klägers durchleuchtet und in einem Zeitungsartikel seine Beziehungen zu mehreren Frauen sowie auch seine wenig erfreulichen Familienverhältnisse geschildert. Angesichts dieser Tatsachen unterstrich der BGH zu Recht – und tatsächlich sehr taktvoll – den widersprüchlichen Charakter des Verhaltens des Betroffenen, der durch seinen öffentlichen Auftritt das berechtigte Informationsinteresse der Allgemeinheit an seinem Privatleben hervorgerufen hatte: Der auf seine Beziehungen zu mehreren Frauen und seine Familienverhältnisse eingehende Artikel wäre zu beanstanden, „wenn nicht der Kläger selbst Anlaß gegeben hätte, diese Verhältnisse zu beleuchten.
__________ 41 S. Bruns, JZ 2005, 429; ausführlicher Degenhart, JuS 1992, 364 ff.; von Gerlach, JZ 1998, 748 ff.; Stürner, JZ 1994, 865 ff.; Kübler, NJW 1999, 1281 ff., insb. 1283 ff.; Tettinger, JZ 1983, 323–324. Für neuere abweichende Entwicklungen in der Rechtsprechung des BGH s. unten Fn. 52. 42 NJW 1970, 1325, im Anschluss an BGH, MDR 1965, 371. 43 In diesem Zusammenhang fügt aber das OLG hinzu, das Unterhaltungsbedürfnis der Leserschaft einer Zeitung und ihr Gewinnstreben könnten Eingriffe in die Privatund Familiensphäre nicht rechtfertigen. Vgl. auch BGH, MDR 1965, 371, 372; BGH, NJW 1957, 1315, 1316; Ehmann, JuS 1997, 200; Weitnauer, DB 1976, 1415. Anderer Meinung das BVerfG, BVerfGE 101, 361, 390: Unterhaltung „kann auch Realitätsbilder vermitteln und stellt Gesprächsgegenstände zur Verfügung, an die sich Diskussionsprozesse und Integrationsvorgänge anschließen können, die sich auf Lebenseinstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster beziehen, und erfüllt insofern wichtige gesellschaftliche Funktionen“; dazu Beater in Soergel (Fn. 4), Anh IV § 823 BGB Rz. 59. 44 BGH, NJW 1964, 1471. 45 Vgl. Beater in Soergel (Fn. 4), Anh IV § 823 BGB Rz. 169; von Gerlach, JZ 1998, 751– 752.
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So war es aber. Der Kläger war in der Öffentlichkeit bekannt geworden, weil er in der von ihm beherrschten Presse Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unter breitem Eingehen auf deren Frauenbekanntschaften und behauptete sittliche Verfehlungen angegriffen hatte“. Der Kläger hat sich als Sittenrichter der Taten von Politikern über die Öffentlichkeit Gehör zu schaffen gesucht; seine Angriffe zielten vorwiegend auf das Privatleben von prominenten Politikern oder Journalisten ab. „Solche Angriffe erscheinen in ihrem Gewicht in einem durchaus anderen Licht, wenn man weiß, daß es der Angreifer in seiner eigenen Lebensführung mit der Moral nicht eben genau nimmt und gerade das tut, was er gegenüber anderen öffentlich rügt. Auf einen solchen Widerspruch hinzuweisen, ist nicht nur das Recht des Angegriffenen, sondern, da es sich um eine Frage von allgemeinem politischen Interesse handelt, auch das Recht der Presse und jedes Bürgers, der mit seiner Stellungnahme zu diesem Thema ernstlich zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen will. […] Der Kläger kann für sich gegenüber der Öffentlichkeit nicht eine absolute Unantastbarkeit seines privaten Bereichs in Anspruch nehmen, nachdem er selbst in der geschehenen Art die Privatsphäre anderer zum Gegenstand einer Pressekampagne gemacht hat“. Nach alledem leuchtet es ein, dass in dieser Entscheidung des BGH die Konkretisierung des berechtigten Informationsinteresses der Bürger am Privatleben einer öffentlichen Figur der Sache nach unter Rückgriff auf das oben geschilderte „Practise-what-you-preach-Kriterium“ erfolgt; das Informationsinteresse wird als berechtigt angesehen, da sich der Widerspurch zwischen der „öffentlichen Morallehre“ des Betroffenen und seinem Privatleben als besonders krass erweist. In dieser Hinsicht wird man zugeben müssen, dass BGH und Areopag einen gemeinsamen Weg gehen46. Zusammenfassend ist hier festzuhalten, dass im deutschen – wie auch im griechischen – Recht eine Person, die selbst ihr Privatleben in der Öffentlichkeit „ausbreitet“, grundsätzlich hinnehmen muss, dass sich die Öffentlichkeit in berechtigter Weise mit ihr befassen wird. Eine solche öffentliche Figur erweckt durch ihr Verhalten, ihr öffentliches Wirken, die Stellung, die sie in der Öffentlichkeit einnimmt oder anstrebt, ein gesteigertes und umfassendes Interesse der Allgemeinheit an ihr, welches selbst auch die heftige Kritik bzw. die absichtlich abgefeuerten Presseangriffe rechtfertigt. Um es zuzuspitzen: Die öffentliche Figur verzichtet insoweit auf einen umfassenden Schutz ihrer Privatsphäre47. Und dies gilt umso mehr, wenn die öffentliche Figur eines
__________ 46 Vgl. auch die ebenso gewichtigen Urt. OLG Stuttgart, AfP 1981, 362 und OLG Köln, AfP 1982, 181, wobei die beiden Instanzgerichte dem Unterhaltungskünstler Rudi Carrell den Schutz seiner Intimsphäre abgelehnt haben, und zwar mit dem Hinweis, er habe selbst Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht und auch allgemeine Stellungnahmen zu Ehe-, Geschlechts- und Verhaltensfragen abgegeben; aus diesem Grund könne der Künstler sich nicht darauf berufen, sein Persönlichkeitsrecht sei schwerwiegend beeinträchtigt, wenn fahrlässig falsch berichtet werde, es krisele in seiner Ehe. S. dazu Nolte, EuGRZ 1988, 253, 258–259. 47 So treffend Degenhart, JuS 1992, 364, dazu auch 365.
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(krass) widersprüchlichen Verhaltens, im oben genannten Sinne, „beschuldigt“ werden kann. Es sind letzten Endes die folgenden Worte des BVerfG in seiner letzten „Caroline-von-Monaco“-Entscheidung, welche die Affinität zwischen der deutschen und der griechischen Rechtsprechung zum Medienpersönlichkeitsrecht bezeugen: „Prominente Personen stehen […] für bestimmte Wertvorstellungen und Lebenshaltungen. Vielen bieten sie deshalb Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen. Sie werden zu Kristallisationspunkten für Zustimmung oder Ablehnung und erfüllen Leitbild- oder Kontrastfunktionen. Darin hat das öffentliche Interesse an den verschiedensten Lebensbezügen solcher Personen seinen Grund. Für Personen des politischen Lebens ist ein derartiges Interesse des Publikums unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle stets als legitim anerkannt worden“48. Diese grundlegenden Gedanken des BVerfG verdienen hier uneingeschränkte Zustimmung. Ihr Verdienst im Rahmen einer pluralistischen Demokratie und einer freiheitlichen Rechtsordnung, wobei der öffentliche Diskurs grundsätzlich ungehemmt bzw. frei (nicht aber maßlos) bleibt, bedarf keiner weiteren Belobigung.
IV. Die vermutliche Stellungnahme des EuGHMR angesichts seines dictum in der Entscheidung „Caroline von Hannover“ Nach der neueren „Caroline-von-Hannover“-Entscheidung des EuGHMR49 gibt es gewichtige Anhaltspunkte, die die weitere Vermutung zum Ausdruck kommen lassen, dass auch der EuGHMR den Professoren-Fall in ähnlicher Weise entscheiden würde. Nach dem Gerichtshof ist die durch Art. 10 EMRK garantierte Freiheit der Meinungsäußerung eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. „Vorbehaltlich Art. 10 Abs. 2 ist sie nicht nur anwendbar auf „Informationen“ oder „Ideen“, die günstig aufgenommen oder als unschädlich oder unwesentlich angesehen werden, sondern auch auf solche, die verletzend, schockierend oder beunruhigend sind. Dies erfordern Pluralismus, Toleranz und offene Geisteshaltung, ohne die eine „demokratische Gesellschaft“ nicht möglich ist“ (Tz. 58)50. Wenn es zu einer Abwägung
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48 BVerfGE 101, 361, 390. Dazu aber kritisch Beater in Soergel (Fn. 4), Anh IV § 823 BGB Rz. 60 ff. 49 EuGHMR, Urt. der 3. Kammer v. 24.6.2004 – No. 59320/00, JZ 2004, 1015 ff., mit zust. Anm. Stürner (1018 ff.); zust. auch Starck, JZ 2006, 76 ff.; Beater in Soergel (Fn. 4), Anh IV § 823 BGB Rz. 63; Heldrich, NJW 2004, 2634 ff.; Herrmann, ZUM 2004, 665 ff.; Bruns, JZ 2005, 434–435; krit. Mann, NJW 2004, 3220 ff.; Scheyli, EuGRZ 2004, 628 ff.; Grabenwarter, AfP 2004, 309 ff.; Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2005, 576–577; Stender-Vorwachs/Theißen, NJW 2006, 549, 550. Aus der griechischen Literatur (Anm. zum Urt.) Tsevas, Dikaio Meson Enimerosis & Epikinonias 2005, 347 ff., und Alivisatos (Fn. 32), 17–18, 22. 50 Zur Meinungs- bzw. Pressefreiheit aus der tonangenbenden Rechtsprechung des EuGHMR (abrufbar unter http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin= hudoc-en): Handyside vs. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 7.12.1976 – Nr. 5493/72, Tz. 49; Lingens vs. Österreich, Urt. v. 8.7.1986 – Nr. 9815/82, Tz. 41–42; The Sunday
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zwischen dem Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK) und der Freiheit der Meinungsäußerung kommt, misst der EuGHMR dem Beitrag große Bedeutung zu, den Fotos oder Artikel in der Presse zu „einer Diskussion von allgemeinem Interesse“ leisten. Sollte es sich um die Mitteilung einer Nachricht von „erheblichem öffentlichen Interesse“ handeln – wie dies z. B. der Fall bei der Entscheidung des EuGHMR über die Veröffentlichung eines Buches durch den früheren Leibarzt von Präsident Mitterand war51 –, dann soll der Pressefreiheit der Vorrang gegeben werden (Tz. 60). Des Weiteren führt der EuGHMR aus, dass die Presse bei der Berichterstattung über – selbst umstrittene – Tatsachen, die zu einer Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft beitragen könnten und sich z. B. auf Politiker in der Ausübung ihres Amtes bezögen, ihrer unerlässlichen Wächterfunktion in einer Demokratie nachkomme, „indem sie zur Vermittlung von Informationen und Ideen über Gegenstände von öffentlichem Interesse beiträgt“ (Tz. 63). In dieser Hinsicht „hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Information, das in einer demokratischen Gesellschaft wesentlich ist, und welches sich unter bestimmten besonderen Umständen sogar auf Aspekte des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens erstrecken kann, insbesondere wenn Politiker betroffen sind“ (Tz. 64) – oder, generell, Personen, „die offizielle Ämter bekleiden“ (s. Tz. 63, 72, 76). Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass der EuGHMR den Beitrag, den Fotos oder Artikel in der Presse zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse leisten, als den entscheidenden Faktor bei der Abwägung zwischen dem Schutz des Privatlebens und der Freiheit der Meinungsäußerung ansieht; dabei kommt es also maßgeblich auf die „Qualität des Informationsinteresses“ an52. Wenn es
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Times vs. Vereinigtes Königreich (Nr. 2), Urt. v. 26.11.1991 – Nr. 13166/87, Tz. 50; The Observer and The Guardian vs. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 26.11.1991 – Nr. 13585/88, Tz. 59; Oberschlick vs. Österreich (No. 2), Urt. v. 1.7.1997 – Nr. 20834/92, Tz. 29; De Haes and Gijsels vs. Belgien, Urt. v. 24.2.1997 – Nr. 19983/92, Tz. 37. Dazu Neill in Law Making, Law Finding, and Law Shaping, 1997 (hrsg. von B. Markesinis), S. 53, 54 ff.; McCrudden in The Impact of the Human Rights Bill on English Law, 1998 (hrsg. von B. Markesinis), S. 85, 89 ff.; Hoffmeister, EuGRZ 2000, 358, 363–364; Grabenwarter, AfP 2004, 309–310. Vgl. ferner den Fall Grigoriades vs. Griechenland, Urt. v. 25.11.1997 – No. 24348/94, insb. Tz. 47, wobei die Bestrafung eines Wehrpflichtigen wegen Kollektivbeleidigung der griechischen Armee („ein krimineller und terroristischer Mechanismus“), die in einem privaten Brief enthalten war, für unverhältnismäßig gehalten wurde; dazu Hoffmeister a. a. O., 360. 51 Plon [Société] vs. Frankreich, Urt. v. 18.5.2004 – Nr. 58148/00. 52 Dazu Stürner, JZ 2004, 1018 ff.; vgl. auch Heldrich, NJW 2004, 2634–2635, 2636; Scheyli, EuGRZ 2004, 629–630, 633; Markesinis/O’Cinneide/Fedtke/Hunter-Henin, AmJCompL 52 (2004), 133, 208; bei uns Tsevas (Fn. 49), 352, 354, 356, und Alivisatos (Fn. 32), 22 (krit.). An das oben genannte Kriterium des EuGHMR schliesst sich auch der BGH in seiner neueren Rechtsprechung (VI ZR 13/06, 14/06, 50/06, 51/06, 52/06, 53/06) an, und zwar anlässlich von in der Presse veröffentlichten Bildern des Prinzen und der Prinzessin von Hannover; s. Pressemitteilung des BGH Nr. 34/07 vom 6.3.2007 (abrufbar unter http://www.bundesgerichtshof.de/). Demnach spielt es eine wesentliche Rolle, „ob die Berichterstattung zu einer Debatte mit einem Sachgehalt bei-
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sich insbesondere um Politiker oder, im Allgemeinen, um Personen, die offizielle Ämter bekleiden, handelt, ist ein Interesse der Öffentlichkeit auch an Aspekten ihres Privatlebens grundsätzlich berechtigt und somit durch die Freiheit der Meinungsäußerung gedeckt53. Obwohl sich der Maßstab des „Beitrags zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse“ gegebenenfalls in der Praxis als gefährlich für die Meinungsfreiheit erweisen kann, sollte man hier an der liberalen Lesart des Leitsatzes des EuGHMR festhalten, wonach die Presse Berichte bzw. Informationen über das Privatleben von Personen, die offizielle Ämter bekleiden, veröffentlichen darf, sofern freilich daran ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit besteht. Und es sei hier darauf hingewiesen, dass diese Bedingung auch bei dem obigen Professoren-Fall, in welchem ein krass widersprüchliches Verhalten vor der Öffentlichkeit vorlag, als erfüllt angesehen werden muss.
V. Die amerikanische Perspektive: Der „Marktplatz der Meinungen“ und das liberale „Truth-Argument“ Die Entscheidung des Areopags im Professoren-Fall enthält zweifelsohne deutliche liberale Akzente, die zu Gunsten der Pressefreiheit ausfallen. Außer den oben schon gezogenen Parallelen kommen eigentlich diese Akzente auch dem angelsächsichen, insbesondere dem amerikanischen Freiheitsmodell nahe; danach genießt allerdings die Presse einen fast unantastbaren Freiheitsvorsprung, der auf eine tiefe philosophische Überzeugung zurückzuführen ist. Die äußerst pressefreundliche Grundlinie der amerikanischen Rechtsprechung – wir meinen hier vornehmlich die Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichtshofs, des Supreme Court –54 ist in der vielfach erörterten Entscheidung des Supreme Court Falwell vs. Hustler Magazine55 klar einzusehen. Dabei wurde namentlich entschieden, dass die parodistische, vom Hustler-Magazin als fiktiv gekennzeichnete Unterstellung, ein berühmter und hochgeachteter
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trägt, der über die Befriedigung bloßer Neugier hinausgeht“; bei dieser neueren Betrachtungsweise des BGH kommt es eigentlich auf den „objektiven Informationswert“ der Berichterstattung. 53 Unter diesem Gesichtswinkel gewährt der EuGHMR der Kritik an Politikern bzw. Personen, die öffentliche Ämter bekleiden, breitere Grenzen im Vergleich zu der Kritik an anderen „public figures“, die durch die Entscheidung deutlich abgeschnitten wird, indem die Prinzessin Caroline vom EuGHMR für eine „Privatperson“ gehalten wird (ausdrücklich in Tz. 72) – eine Annahme aber, die m. E. sehr problematisch ist. Dazu Grabenwarter, AfP 2004, 309 ff.; Starck, JZ 2006, 81; Heldrich, NJW 2004, 2635; Mann, NJW 2004, 3221; Bruns, JZ 2005, 436. Vgl. auch EuGHMR (Lingens vs. Österreich), NJW 1987, 2143, 2144 (Tz. 42): „Die Grenzen der zulässigen Kritik sind bei Politikern […] weiter gezogen als bei Privatpersonen. Anders als diese setzen sich die Politiker unvermeidlich und wissentlich der eingehenden Kontrolle aller ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aus und müssen daher ein größeres Maß von Toleranz zeigen“. 54 Vgl. statt anderer Stürner, JZ 1994, 869–870; Benda, NJW 1994, 2267. 55 56 US Law Week 4180 (1988), übersetzt auf deutsch in EuGRZ 1988, 259 ff.; dazu Nolte, EuGRZ 1988, 253 ff.; Grimm, NJW 1995, 1701–1702; ausführlich und kritisch Post, HarvLR 103 (1990), 601 ff.
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Fernsehprediger habe (in einem fiktiven Interview) gesagt, „er habe es das erste Mal mit seiner Mutter im Klosetthäuschen getan“, eine freie, vom „First Amendment“ der amerikanischen Verfassung geschützte Meinungsäußerung sei56. Im Wesentlichen hat sich der Supreme Court in diesem Fall seinem früheren dictum der Grundsatz-Entscheidung New York Times vs. Sullivan57 angeschlossen, wobei das Gericht manifestiert hatte, dass die Freiheit der öffentlichen Debatte ungehindert bleiben müsse, denn sie mache den Wesenskern der von der Verfassung gemeinten, durch die Freiheit der Meinungsäußerung konstituierten demokratischen Regierungsform aus58. Die neuere Entscheidung zulasten des prominenten Predigers lehnt sich damit stark an den Geist der New-York-Times-Entscheidung an; darauf stützt sie nämlich die grundsätzliche Zulässigkeit von – im weitesten Sinne – politisch motivierten herabsetzenden Werturteilen, die Figuren des öffentlichen Lebens („public figures“) betreffen59. Nach der besonderen Argumentation des Supreme Court60 führt die vom „First Amendment“ ermunterte robuste Art der politischen Auseinandersetzung notwendiger Weise zu kritischen Äußerungen über diejenigen, die ein öffentliches Amt bekleiden oder solche in der Öffentlichkeit wirkenden Personen, „die mit der Entscheidung wichtiger öffentlicher Fragen unmittelbar befaßt sind oder aus Gründen ihrer Bekanntheit und ihres Ansehens Ereignisse, die die Gesellschaft als Ganzes betreffen, mitbeeinflussen“. Unter diesem Gesichtspunkt würden in der Öffentlichkeit wirkende Persönlichkeiten ebenso wie Amtsträger „massiven, ätzenden und manchmal unangenehm scharfen Angriffen“ ausgesetzt sein. Dies soll aber nicht heißen, „dass jede Äußerung über eine öffentlich wirkende Persönlichkeit frei von Sanktionen in Form von Schadensersatzverpflichtungen gestellt ist“61. Denn hier tritt die „Actual-Malice-Regel“ in den Mittelpunkt, wonach bewusst oder grobfahrlässig erteilte unwahre Behauptungen als unzulässig eingestuft werden62: „Seit dem Fall New York Times v. Sullivan […] haben wir in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass eine öffentlich wirkende Persönlichkeit den Urheber einer herabsetzenden falschen Tatsachenbehauptung für die durch die Veröffentlichung be-
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56 Es ist wohl zu beachten, dass die Anzeige am unteren Rand der Seite in kleingedruckter Schrift die Klarstellung „Anzeigenparodie – nicht ernstzunehmen“ enthielt. 57 84 S.Ct. 710 (1964). 58 Bezeichnend für die allgemeine Haltung des Supreme Court ist die folgende Passage aus derselben Entscheidung: „… debate on public issues should be uninhibited, robust and wide open, and […] may well include vehement, caustic, and sometimes unpleasantly sharp attacks on government and public officials“ (84 S.Ct. 710, 721 [1964]). Dazu Nolte, EuGRZ 1988, 253. 59 S. Nolte, EuGRZ 1988, 256, 258; auch Post, HarvLR 103 (1990), 626. Es sei hier betont, dass die Entscheidung einstimmig war, obwohl damals im Supreme Court auch sog. „ultra-konservative“ Richter zu finden waren. 60 Falwell vs. Hustler Magazine, EuGRZ 1988, 259, 260. 61 Zum kompensatorischen Charakter des amerikanischen Ehrschutzsystems s. Stürner, JZ 1994, 869–870; Bruns, JZ 2005, 431 ff. 62 Vgl. auch BVerfG, NJW 2006, 207, 209–210: Grundsätzlich trete die Meinungsfreiheit bei Tatsachenbehauptungen, die bewusst unwahr oder erwiesenermaßen falsch seien, hinter das Persönlichkeitsrecht zurück.
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wirkte Rufschädigung haftbar machen kann, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die Äußerung „in Kenntnis ihrer Unwahrheit gemacht wurde oder mit grobfahrlässiger Gleichgültigkeit, ob sie zutrifft oder nicht“. […] Falsche Tatsachenbehauptungen sind ohne jeglichen Wert; sie behindern die Aufgabe des Marktplatzes der Meinungen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen“ (Hervorhebung hinzugefügt). Gleichwohl besagt diese These nicht, dass falsche Tatsachenbehauptungen im Regelfall rechtlich verwerflich sind: Auch wenn falsche Tatsachenbehauptungen als solche wenig Wert besäßen, seien sie doch „unvermeidbar im freien Meinungskampf“, und „eine Vorschrift, die dem Herausgeber eine strikte Haftung für falsche Tatsachenbehauptungen auferlegen würde, hätte zweifellos eine „einschüchternde Wirkung“63 auf bestimmte Äußerungen, die auf öffentlich wirkende Persönlichkeiten gezielt sind und verfassungsrechtliches Gewicht besitzen“. In dieser Weise bemüht sich der Supreme Court deutlich, dem öffentlichen Meinungskampf die „nötige Atemluft“ („the adequate breathing space“) zu verschaffen; denn „Meinungsfreiheit braucht genügend Luft zu atmen“64. Es sei hier darauf hingewiesen, dass es auch im vorliegenden Fall Anhaltspunkte für ein widersprüchliches Verhalten seitens des Betroffenen gab: Obgleich sich Falwell in Fragen der Sexualmoral stark gemacht hat, waren in seinem Verhalten Anhaltspunkte dafür zu sehen, dass er es selbst mit den von ihm verkündeten Grundsätzen nicht allzu genau nahm65. Die Anzeichen eines antinomischen Verhaltens versuchte der Herausgeber des Hustler-Magazins zu beleuchten, um seinen „beliebten“ Fernsehprediger in der Öffentlichkeit zu „erledigen“ („assasinate“), wie er selbst sogar zugestanden hat. Dazu hat er sich indessen nicht einer (wahren) Tatsachenbehauptung bedient, sondern eines hinter einer Parodie versteckten, hart herabsetzenden Werturteils, welchen griechische sowie deutsche Gerichte insbesondere im Lichte des Tatbestands der besonderen Beleidigungsabsicht aller Wahrscheinlichkeit nach anders einschätzen würden, und zwar mit Fug und Recht66. Sollte man tiefer in die Gedanken des Supreme Court eindringen, kommt man zur Einsicht, dass hinter ihnen ein grundlegendes, liberales Credo steht, das kennzeichnend für die angelsächsische Welt ist und eigentlich auf die philosophische Ausführungen von John Stuart Mill und insbesondere sein berühmtes
__________ 63 Hier geht es um das sogenannte „chilling effect“; dazu u. a. W. Schmitt Glaeser, NJW 1996, 876, 878; Grimm, NJW 1995, 1703–1704; Benda, NJW 1994, 2267. 64 Falwell vs. Hustler Magazine, EuGRZ 1988, 259, 260. 65 Nolte, EuGRZ 1988, 258–259. 66 Vgl. beispielsweise BVerfG, BVerfGE 75, 369, 379 ff. – Strauß-Karikatur. Im deutschen – wie auch im griechischen – Recht wird ein Bürger klar davor geschützt, dass ihm Äußerungen zugerechnet werden, die nicht von ihm stammen; vgl. dazu Beater, JZ 2006, 432, 433. Als einleuchtendes Beispiel dafür kann die berühmte Entscheidung des BGH betreffend die Veröffentlichung erfundener und ehrenrühriger Interviews und Reportagen über Caroline von Monaco (BGHZ 128, 1) erwähnt werden, wobei die Prinzessin – allem voran aus Präventionsgründen – mit 180000 DM entschädigt wurde; dazu Westermann, EurRPrivL 1997, 239 ff.; ders. in Symposion Canaris (Fn. 1), S. 125 ff.; Wagner, VersR 2000, 1305 ff.; ders., ZEuP 2000, 200 ff.
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Werk „On Liberty“ zurückzuführen ist67. Mill bricht nämlich in diesem Werk eine Lanze für die Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung in einer offenen, pluralistischen und toleranten Gesellschaft. Er setzt sich für eine offene und lebhafte Konkurrenz von gegenseitigen Meinungen oder Ideen auf der Basis des Grundgedankens ein, dass der freie und offene Meinungsaustausch der einzige Weg sei, die Wahrheit zu erreichen68. Dieses „WahrheitsArgument“ (argument from truth) bedeutet eigentlich in einer eher verfeinerten Form, dass die Pflege der Wahrheit einen überwiegenden Wert in der Gesellschaft darstellt und dass die Äußerungsfreiheit eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass die Wahrheit sich auftut69. Im Anschluss daran muss man immer bereit sein, Alternativen zu irgendwelchen heutigen „Orthodoxien“ oder – von den herrschenden – abweichende Ansichten in Betracht zu ziehen und sie gegebenenfalls auch hinzunehmen, um mit größerer Sicherheit bestimmen zu können, wo die Wahrheit liegt70. Die Wahrheit taucht also dieser Auffassung zufolge nur durch den ungehemmten Meinungsaustausch am „freien Markt von Ideen“ auf71. An dem „Wahrheits-Argument“ hält zweifelsohne der Supreme Court in der Falwell-Entscheidung fest, indem er unter anderem auf Folgendem besteht: „Die Freiheit auszusprechen, was man auf dem Herzen hat, ist nicht nur ein Aspekt individueller Freiheit – und damit
__________ 67 John Stuart Mill, On Liberty and Other Essays, Oxford World’s Classics, On Liberty, Kap. II (insb. S. 24 ff.). 68 U. a.: „… the only way in which a human being can make some approach to knowing the whole of a subject, is by hearing what can be said about it by persons of every variety of opinion, and studying all modes in which it can be looked at by every character of mind“ (Mill (Fn. 67), S. 25). Dazu vgl. Blümle/Goldschmidt in FAZ v. 13.5.2006, S. 13: „… ist Freiheit für Mill zunächst die Freiheit des Gewissens, die ihren Ausdruck in der Diskussions- und Meinungsfreiheit findet. Der freie Diskurs ist die Voraussetzung für den gesellschaftlichen Fortschritt, jede Meinung zählt, keine darf unterdrückt werden“. 69 Dazu McCrudden (Fn. 50), 105–106. Vgl. auch Hayek (Fn. 7), S. 33. 70 S. Mill (Fn. 67), S. 51: „If there are any persons who contest a received opinion, or who will do so if law or opinion will let them, let us thank them for it, open our minds to listen to them, and rejoice that there is some one to do for us what we otherwise ought, if we have any regard for either the certainty or the vitality of our convictions, to do with much greater labour for ourselves“; weiter S. 54: „… only through diversity of opinion is there, in the existing state of human intellect, a chance of fair play to all sides of the truth. When there are persons to be found, who form an exception to the apparent unanimity of the world on any subject, even if the world is in the right, it is always probable that dissentients have something worth hearing to say for themselves, and that truth would lose something by their silence“; auch Hayek (Fn. 7), S. 109–110. In diesem Sinne ferner neuerdings Vaneigem, Rien n’ést sacré, tout peut se dire – Réflexions sur la liberté d’expression, 2003, S. 33 ff., 49. 71 Wie der legendäre Richter Holmes es in seinem „dissenting vote“ im politisch brisanten Fall Abrams vs. United States (250 US 616 (1919)) treffend formuliert hat, und zwar unter dem sichtbaren Einfluss der Mill’schen Lehre: „… the ultimate good desired is better reached by free trade in ideas – […] the best test of truth is the power of the thought to get itself accepted in the competition of the market […]. … we should be eternally vigilant against attempts to check the expression of opinions that we loathe and believe to be fraught with death“ (Hervorhebung hinzugefügt).
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ein Selbstzweck –, sondern auch unentbehrlich bei der gemeinsamen Suche nach Wahrheit und für die Lebendigkeit der Gesellschaft als ganzer“72. Dem „Truth-Argument“ dient auch der hier aufgegriffene Gedanke des „Practise-what-you-preach“. Die Konkretisierung des berechtigten Informationsinteresses der Allgemeinheit durch diesen Gedanken trägt in einem öffentlichen Diskurs Wesentliches zur Wahrheitsfindung bei, indem sie die besonderen Persönlichkeitsmerkmale von Personen, die öffentliche Ämter bekleiden und somit öffentliche, also „institutionelle“ Verantwortung gegenüber der Gesellschaft übernommen haben (oder übernehmen wollen), beleuchtet. In diesem Zusammenhang sollte man allerdings darauf aufpassen, dass dieser breite Freiheitsrahmen zu Gunsten der kontrollierenden Pressemacht nur unter der Bedingung anerkannt werden darf, dass die Ausübung dieser Freiheit letzten Endes zur Erfüllung von sozial nützlichen Zwecken beitragen kann. Und in diesem Sinne ist auch der Ansicht nicht zu folgen, dass die Meinungsfreiheit einen absoluten Wert an sich darstelle, der unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Äußerung stets geschützt werden müsse73. Die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit kann m. E. von seinem „moralischen Zweck“ nicht immer abgekoppelt werden. Denn im Allgemeinen ist der liberalen Einstellung von John Rawls und anderen „Libertarians“74 – wonach ein Recht unabhängig von seinem Inhalt gewährleistet werden soll (priority of the right over the good) – nicht durchweg zuzustimmen. Die Berechtigung der Ausübung eines Rechts hängt manchmal auch von der moralischen Wichtigkeit der dadurch zu verfolgenden Zwecke, d. h. im Endeffekt von der sozialen Nützlichkeit der Zwecke, denen die Rechtsausübung dient, ab75. Übertragen auf unsere Thematik soll dies bedeuten, dass der Meinungsfreiheit im Fall z. B. eines rassistischen Hassartikels, auch wenn dem hier vertretenen „Practise-what-
__________ 72 Falwell vs. Hustler Magazine, EuGRZ 1988, 259, 260 (Hervorhebung hinzugefügt); dazu auch Post, HarvLR 103 (1990), 613, 653–654. Zum „Wahrheits-Argument“ vgl. ferner Stürner, JZ 1994, 869–870 (es gehe dabei um „das amerikanische Modell des offenen gesellschaftlichen Kampfes um die Wahrheit, die bessere Idee und die bessere Darstellung von Sachverhalten und Personen und damit das Modell kommunikativer Freiheit, die selbststeuernd Wahrheit produziert“), auch 872 ff. (wobei Stürner offen für die prinzipielle Annahme des „amerikanischen Modells“ plädiert); Bruns, JZ 2005, 434, 435; Grimm, NJW 1995, 1702. 73 A. A. Vaneigem (Fn. 70), der im Allgemeinen für eine grenzenlose Äußerungsfreiheit plädiert, u. a.: „Il n’y a ni bon ni mauvais usage de la liberté d’expression, il n’en existe qu’un usage insuffisant“ (S. 15). 74 Zum Begriff Hayek (Fn. 7), S. 408. 75 Diese „vermittelnde“ These wird von Michael Sandel in seinem Werk „Liberalism and the Limits of Justice“ (Aufl. 2005) vertreten, wobei er sich hauptsächlich mit den liberalen Lehren von Rawls (einem „welfare-state liberal“) und Robert Nozick (einem „libertarian conservative“) eingehend auseinandersetzt. Es sei hier hervogehoben, dass die Sichtweise Sandels mit der „Consequentialism“-Theorie nicht verwechselt werden darf; zur Letzteren s. Amartya Sen, On Ethics & Economics, 1988, S. 74 ff. (u. a. S. 75: „Consequentialism […] demands […] that the rightness of actions be judged entirely by the goodness of consequences, and this is a demand not merely of taking consequences into account, but of ignoring everything else“).
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you-preach-Kriterium“ eventuell Genüge geleistet wird, kein Schutz eingeräumt werden darf76, weil eine solche Redefreiheit in der Gemeinschaft einen großen, unverhältnismäßigen Schaden anrichten würde77. In diesem Fall wird die grundsätzliche Neutralität der Rechtsordnung gegenüber dem Inhalt einer Äußerung beseitigt und demzufolge darf sie in den Fall eingreifen78. Mit dieser Annahme weichen wir zwar von einer langen liberalen Tradition, etwa von Mill bis Rawls, ab; dies geschieht aber m. E. mit gutem Grund, nämlich zum Schutz der Allgemeinheit vor erheblichem Schaden (z. B. vor Gewaltakten, usw.). In Bezug auf Politiker oder andere Figuren des öffentlichen Lebens, die öffentliche Ämter bekleiden, besteht indes die oben beschriebene Gefahr regelmäßig nicht. Im Gegenteil: Die Pressekritik bzw. -kontrolle – auch die heftige – ist äußerst vonnöten, da sie die Demokratie und Transparenz im öffentlichen Leben fördert. Diese Figuren müssen demnach im Prinzip bereit sein, den Angriffen der Presse entgegenzutreten. „Wer die Hitze nicht erträgt, sollte nicht in der Küche arbeiten“, soll angeblich der Präsident der USA Harry Truman über die Schwierigkeiten, welche die Presse den Politikern bereitet, einst gesagt haben79. Dabei handelt es sich eigentlich um ein zumutbares – obschon unangenehmes – „Berufsrisiko“, das jeder Politiker bzw. jede öffentliche Figur im Voraus, d. h. zum Zeitpunkt ihres Eintritts in die Arena des politischen
__________ 76 Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGHMR; s. Hoffmeister, EuGRZ 2000, 361–362, 364, 367. 77 Dagegen (d. h. für die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Hassartikeln) Dworkin (Fn. 2), S. 201 ff.; Vaneigem (Fn. 70), S. 20, 25 ff. und passim. 78 Dasselbe soll weiter m. E. für eine gesundheitlich stark beeinträchtigte Person gelten, die hauptsächlich wegen des unantastbaren Kerns der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht als Objekt einer Satire fragwürdigen Gesamtzusammenhangs missbraucht werden darf, indem man sie als „geborenen Mörder“ bezeichnet (BVerfG, NJW 1992, 2073). Ebenso Stürner, JZ 1994, 875; Ossenbühl, JZ 1995, 638. Im Allgemeinen zur Bedeutung der Menschenwürde beim Aufbau des Persönlichkeitsschutzes vgl. u. a. Larenz, NJW 1955, 521, 525, und F. Bydlinski in Symposion Canaris (Fn. 1), S. 27, 81–82. 79 Dazu Benda, NJW 1994, 2267, wobei anhand dessen zu Recht Folgendes betont wird: Der Politiker „muss es ertragen, gründlicher als Privatpersonen zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen gemacht zu werden. […] Der Beachtung und dem Respekt, die ein öffentliches Amt verleihen, entspricht das Recht auf kritische Beobachtung, ob die Persönlichkeit des Amtes gewachsen ist“. Vgl. auch Kübler, NJW 1999, 1285– 1286, der treffend bemerkt, dass normativ die Fähigkeit, auch als polemisch und böswillig empfundene Kritik zu ertragen, zur unerlässlichen Qualifikation für Leistungsfunktionen geworden sei; Nolte, EuGRZ 1988, 259, der in Bezug auf den politisch hochkontroversen Strauß-Karikatur-Beschluss des BVerfG zu Recht darauf hinweist, dass es schwer vorstellbar sei, dass ein prominenter Politiker wie der ehemalige bayerische Ministerpräsident Strauß durch die umstrittene Karikatur ernsthaft psychischen Schaden oder Achtungsverlust erlitten hätte; Heinemann, NJW 1962, 892–893, der sich auf die schwerwiegende Rolle einer freien öffentlichen Meinungsbildung im Wahlkampf konzentriert. Gegen diese Betrachtungsweise u. a. Forkel, JZ 1994, 642 („Welcher halbwegs sensible Mensch ist noch bereit, sich politisch zu betätigen, wenn er bei maßlosen Attacken auf seine Ehre spätestens beim BVerfG auf einen effektiven Schutz nicht mehr rechnen kann?“); ausführlicher Ossenbühl, JZ 1995, 636, 638 ff.
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Kampfs oder in die Bühne der Öffentlichkeit, in Kauf nehmen soll80. Darlegen vor der Öffentlichkeit darf man also z. B. die unehelichen Beziehungen eines wiederholt verheirateten Politikers, der sich für die Unterstützung des Familieninstituts sowie für Maßnahmen gegen das demographische Problem einsetzt81, oder, ferner, die pädophilen Präferenzen eines Fernsehpredigers bzw. Bischofs82.
VI. Schlussbemerkungen Die vorangehenden Ausführungen dürfen keinesfalls zu dem Ergebnis verleiten, dass die äußerst liberale Einstellung der amerikanischen Rechtsprechung als Vorbild angesehen werden soll83 – manche von ihren Entscheidungen rufen sogar berechtigterweise ein verwundertes Augenreiben von kontinental-europäischen Juristen hervor. Der Schutz der Ehre von prominenten Personen muss weiter den „europäischen“ Maßstäben folgen, welche sich bis jetzt als praktisch funktionsfähig sowie auch demokratisch maßvoll erwiesen haben. Es besteht kein Grund, die alte – bewährten – Zöpfe abzuschneiden. Insbesondere die Grenzen freier Meinungsäußerung des griechischen Rechts, die durch die Tatbestände der besonderen Beleidigungsabsicht und der Verleumdung gezogen werden, gewährleisten m. E. einen effektiven Maßstab zum Schutz der Ehre von Personen des öffentlichen Lebens84. Und diese Grenzen dürfen nicht durch eine unbedachte gerichtliche Anwendung des „Practise-what-youpreach-Kriteriums“ verwischt werden: Dieses darf sich nämlich keineswegs zu einer moralisierenden Geißel in den Händen von selbsternannten „Watchdogs“ des Privatlebens öffentlicher Figuren verwandeln, die in hypokritischer Weise das Züchtigen von moralisch „verwerflichem“ Handeln anstreben. Bei der Handhabung des obigen Kriteriums ist also Vorsicht geboten. Zur Abrundung des Bildes ist ein letzter grundsätzlicher Punkt zu erwähnen: Politiker und andere Figuren des öffentlichen Lebens verfügen über ein effektiveres Abwehrmittel als die gerichtliche Auseinandersetzung, nämlich die Möglichkeit zur Gegendarstellung durch den öffentlichen Diskurs in der Gesellschaft, „auf dem Marktplatz der Meinungen“. Sie können sich eigentlich durch Pressekonferenzen, Interviews, Presseerklärungen, Zeitungsartikel usw.
__________ 80 S. Kübler, NJW 1999, 1286 („Wer Bücher schreibt, muss mit bösartigen Rezensenten, wer sich um politische Ämter bemüht, mit nicht minder böswilligen Journalisten rechnen. Das mag im Einzelfall wenig angenehm sein; aber die Gefahren, denen Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleute ausgesetzt sind, wiegen schwerer“); Heinemann, NJW 1962, 893. 81 Vgl. Stürner, JZ 2004, 1021. 82 Unter diesem Gesichtspunkt ist es weiterhin auch zulässig, ein nacktes Bild eines am Strand liegenden Supermodells zu veröffentlichen, das sich früher öffentlich gegen die Nacktkultur ausgesprochen hat; oder die Nachricht zu veröffentlichen, dass der Polizeipräsident, der sich für die Verbreitung von Alkoholtests zur Reduzierung der Autounfälle öffentlich einsetzt, eines Abends wegen Trunkenheitsfahrt vorübergehend festgenommen wurde; zum Letzteren vgl. Löffler/Ricker (Fn. 15), 42. Kap. § 10. 83 Ebenso Benda, NJW 1994, 2267. 84 Vgl. ferner Tettinger, JZ 1983, 321.
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gegen die Presseangriffe wehren und damit ihre Ehre in Schutz nehmen85. Es ist freilich auch wichtig, dass die Rechtsordnung diese Möglichkeit aktiv fördert, indem sie ein umfassendes Gegendarstellungsrecht anerkennt; in Griechenland – wie auch in Frankreich – ist das der Fall, in Deutschland aber wird bekanntlich oft die Tatsache bemängelt, dass das Gegendarstellungsrecht nur bei Tatsachenbehauptungen gewährleistet wird86. Es ist aber nun höchste Zeit, einen – immerhin vorläufigen – Schlussstrich in der Diskussion zu ziehen. Dies ist aus zwei gewichtigen Gründen geboten: Erstens steht auch der Verfasser des vorliegenden Beitrags unter dem Verdacht, dass er die Ehre des betroffenen Professors weiter beeinträchtigt hat, woraus sogar die allgemeine heikle Frage entspringt, ob der juristische Kommentator, wenn er solche Fälle wissenschaftlich seziert, eine weitere Verletzung der Persönlichkeit des Betroffenen begeht (insoweit er freilich den Namen des Letzteren erwähnt oder dieser „in den betroffenen Kreisen“ schon bekannt ist). Zweitens besteht die ersichtliche Gefahr, dass der Verfasser, nach der vorangegangenen Berufung auf verschiedene Rechtsordnungen und Gerichtsurteile, das allgemeine Persönlichkeitsrecht – in der besonderen Form des Rechts, in Ruhe gelassen zu werden (right to be let alone)87 – der Leser dieser Festschrift und allen voran dasjenige seines geehrten Doktorvaters, des Jubilars, stark belästigt hat88. Insbesondere aus dem letzteren, kaum zu unterschätzenden Grund will der Verfasser an dieser Stelle seine Ausführungen zum Persönlichkeitsschutz von öffentlichen Figuren abbrechen.
__________ 85 Ebenso Kübler, NJW 1999, 1284 (über den Erfolg konkurrierender Geltungsansprüche sollte nicht die Justiz, sondern die Instanz der Öffentlichkeit entscheiden); Gounalakis, NJW 1996, 487 (Apologien, Gegenschläge, Antikritik und Überzeugungsarbeit gehörten in die öffentliche Diskussion); Stürner, JZ 1994, 872, 876; Nolte, EuGRZ 1988, 259. Generell zum Konzept eines offenen, sich auf gegenseitige Kritik stützenden Meinungsbildungsprozesses vgl. BVerfG, BVerfGE 87, 272, 282; auch BVerfG, NJW 1980, 2072, 2073. 86 Dazu statt anderer Stürner, JZ 1994, 868, 871–872, 875 ff., der die grundlegende Bedeutung der Gegendarstellung unterstreicht. Eingehend zum Gegendarstellungsrecht Löffler/Ricker (Fn. 15), Kap. 23 ff. (S. 161 ff.); Burkhardt (Fn. 11), Kap. 11 Rz. 9 ff., 26 ff.; Rixecker in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 12 BGB Anh. Rz. 230 ff. 87 Statt vieler Beater in Soergel (Fn. 4), Anh IV § 823 BGB Rz. 75 ff. 88 Ehmann spricht in diesem Zusammenhang (in FS A.Georgiades [Fn. 7], S. 156–157) von einem Anspruch des Lesers von Festschriftenbeiträgen gegen deren Verfasser auf Unterlassung der Darstellung der Kasuistik von Persönlichkeitsbelästigungen, „weil dieser Kleinkram wirklich nur noch belästigend ist“.
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Die Prozessvollmacht nach dem griechischen Zivilprozessrecht*, ** Inhaltsübersicht I. Die Postulationsfähigkeit und ihre Rechtsnatur II. Der Anwaltszwang III. Die Prozessvollmachtform
V. Die Beendigung der Prozessvollmacht VI. Die Wirkung der Beendigung der Prozessvollmacht VII. Der Nachweis der Prozessvollmacht
VIII. Das Verschulden der ProzessbevollIV. Die Prozessvollmachtsarten 1. Generelle (bzw. Allgemeine) Prozessmächtigten und die zivilrechtliche vollmacht Haftung der Rechtsanwälte 2. Teilprozessvollmacht 3. Einzelprozessvollmacht (bzw. spezielle Prozessvollmacht)
__________ *
Die vorliegende Studie wird mit grosser Ehre, Freundschaft und kollegialer Verbundenheit dem verehrten Freund und Kollegen Herrn Professor Harm Peter Westermann gewidmet, der einerseits mit seinem international hochgeschätzten wissenschaftlichen Werk die Zivilrechtstheorie und im allgemeinen die Privatrechtstheorie weltweit beeinflusst hat und andererseits zur Vertiefung der wissenschaftlichen Verbundenheit zwischen der deutschen und der griechischen Zivilrechtslehre und der Privatrechtslehre im Allgemeinen entscheidend beigetragen hat. Es ist auch zu erwähnen, dass Harm Peter Westermann viele griechische Schüler gehabt hat. Als Grieche kann man auch nicht vergessen, dass die väterliche Familie Westermann enge wissenschaftliche und menschliche Beziehungen mit der Familie der Professors unserer Athener Fakultät Johannes Sontis gehabt hat. ** Über die wesentlichen Tendenzen, die Grundlagen und die Funktionscharakteristika des griechischen Zivilprozessrechts sowie die Hauptströmungen der griechischen Zivilprozessrechtslehre siehe vor allem: G. Mitsopoulos, Die Unterscheidung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage im Kassationsverfahren, ZZP 81 (1968), 251 ff.; ders., Zum Einfluss der neuen griechischen Verfassung auf die griechische Zivilprozessordnung, in FS F. Bosch, 1976, S. 699 ff.; ders., Gedanken zu einigen wichtigen Problemen der Zivilprozessrechtslehre ZZP, 91 (1978), S. 113 ff.; derselbe, Die notwendige Streitgenossenschaft nach griechischen Zivilprozessrecht, in FS F. Baur, 1981, S. 503 ff.; ders., Zur rechtlichen Bestimmung des Tatsachenbegriffs, Studi in onore di Tito Carnacini, 1983. Spezieller über die aktuellen Reformbestrebungen und die Funktionscharakteristika des griechischen Zivilprozessrechts siehe unter anderem auch: K. Beys, Die Reformen im neugriechischen Scheidungsrecht, in FS H. W. Fasching, 1988, S. 93 ff.; K. D. Kerameus in Fenge/Papantoniou (Hrsg.), Neuere Entwicklungen des Familienrechts und des Zivilprozessrechts, S. 17–31; N. K. Klamaris, Das neue griechische Gerichtsverfassungsrecht oder «Die Rache der Wittelsbacher», in FS W. J. Habscheid, 1989, S. 161 ff.; ders., Die prozessuale Aktualität in Griechenland, in FS W. Henckel, 1995, S. 437 ff.; ders., Die Funktion und die Rolle der obersten Gerichtshöfe Griechenlands, in FS H. F. Gaul, 1977, S. 289 ff.; N. K. Klamaris/
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I. Die Postulationsfähigkeit und ihre Rechtsnatur Zu den Prozessvoraussetzungen nach dem griechischen Zivilprozessrecht1 gehört auch die sog. Postulationsfähigheit, nach der griechischen traditionellen prozessrechtswissenschaftlichen Terminologie „Ικανóτιτα προs το δικολογεiν“ („Ikanotita pros to dikologein“). Bekanntlich wird auch in der bewährten deutschen zivilprozessualen Literatur allgemein die Ansicht vertreten, dass die „Führung des Prozesses durch den ordnungsmäßigen gesetzlichen Vertreter an Stelle der prozessunfähigen Partei, , … eine Prozessvoraussetzung“ ist2. Wie im Rahmen des deutschen Zivilprozessrechts3 definiert man auch aus der Sicht des griechischen Zivilprozessrechts die Postulationsfähigkeit als diejenige Prozessvoraussetzung und Fähigkeit einer Prozesspartei, nach welcher eine Partei vor Gericht wirksam erscheinen und Prozesshandlungen selbst oder zusammen oder mittels eines geeigneten Prozessbevollmächtigten, vornehmen kann4. #
II. Der Anwaltszwang Die Bedeutung der Prozessvollmacht und des Prozessbevollmächtigten taucht zwar in jedem Prozess und in jeder Prozessführung auf; ihre eigentliche wichtige Relevanz existiert aber an sich in denjenigen Fällen, in denen vom Gesetz der Anwaltszwang vorgesehen wird. Nach der prozessrechtlichen Vorschrift
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G.Orfanidis/S. Koussoulis/D.Tsikrikas/N.Katiforis, Neuere Entwicklungen im nationalen und europäischen Zivilprozeßrecht in Griechenland, ZZP Int. 3 (1998), 161 ff.; N. K. Klamaris, Die Grundstruktur des griechischen Zwangsvollstreckungsrechts als des effektiven Teils des prozessualen Grundrechts auf Justizgewährung, in FS H. Nakamura, 1996, S. 253 ff.; N. K. Klamaris/G. Orfanidis, Die Zwangsvollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen und die Vollstreckungsmittel der Gerichte nach dem griechischen Zivilprozeßrecht, in Revue Hellenique de Droit International 38/39 (1985–1986), S. 335–358; N. K. Klamaris, Enforcement of Cour Orders and Judgements: Greece, in G. Walter/S. Baumgartner, Recognition and Enforcement of Foreign Judgements outside the Scope of the Brussels and Lugano Conventions, Civil Procedure in Europe 3, 2000, S. 275 ff.; ders., Die aktuellen bzw. bevorstehenden Reformen im Bereich des griechischen Zivilprozessrechts – Reformtendenzen und verabschiedete ZPO – Modifizierungen, in FS R. Geimer, 2002, S. 437–447; ders., Das Erbscheinsverfahren nach dem griechischen Zivil- und Zivilprozeßrecht, studi di diritto processuale civile in onore di Giuseppe Tarzia, 2005, S. 2415–2441; ders., Die Klagearten, die Urteilsarten und die Rechtsmittelarten nach dem griechischen Zivilprozeßrecht, in Magister artis boni et aequi, Studia in honorem Németh János, Budapest 2003, S. 521–523. Siehe unter anderem: G. Rammos/N. K. Klamaris, Grundriss des Zivilprozessrechts (auf griechisch), 3. Aufl. Athen 1998, § 30 V, S. 56 f. So z. B. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 53 II 9, S. 335. Siehe statt vieler Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 2), § 53 ff. (S. 329 ff.) und § 55 II ff. (S. 338 ff.). Siehe G. Rammos/N. K. Klamaris (Fn. 1), S. 57.
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des Art. 94 (95)5 gr. ZPO – es geht um eine grundsätzliche Regelung des griechischen Zivilprozessrechts – sind die Prozessparteien vor den Zivilgerichten verpflichtet, den Prozess durch einen – von ihnen bestellten – bevollmächtigten Rechtsanwalt (Art. 94 § 1 [95 § 1] gr. ZPO) zu führen. Diese ZPO – Vorschrift führt also als Grundsatz für das Verfahren vor den Zivilgerichten den Anwaltszwang ein6. Auf Grund dieser ZPO-Vorschrift darf Vollmachtsträger im Anwaltsprozess nur ein prozessfähiger und postulationsfähiger Rechtsanwalt sein. Aus Art. 1 und 38 des speziellen Gesetzes über die Anwaltschaft 3026/19547 – im Gesetz wird der Rechtsanwalt wörtlich als ein Staatsfunktionär (Beamter), allerdings vom Staat selbst nicht finanziert, genannt, der seitens der Gerichte und jeder staatlichen Behörde Respekt und Ehre verdient – ergibt sich, dass der Rechtsanwalt in der griechischen Rechtsordnung vor allem Staatsunabhängigkeit und Gesellschaftsunabhängigkeit genießt. Darüber hinaus ist der Rechtsanwalt auch parteiunabhängig und zwar in dem Sinne, dass die Art und Weise der Prozessführung von ihm selbst beschlossen wird und dass er nicht verpflichtet ist, die Anweisungen und die Aufträge seines Klienten in bezug auf die Art und Weise der allgemeinen oder speziellen Prozessführung zu befolgen. Es ist allerdings klar, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Rechtsanwalt und der von ihm vertretenen Prozesspartei der Rechtsanwalt grundsätzlich berechtigt ist, den Auftrag und die Prozessvollmacht niederzulegen und sich vom Prozess zu distanzieren, d. h. zurückzuziehen8. Das Gesetz schreibt folgende Voraussetzungen für die Zulassung zum Rechtsanwalt vor: a) Ein abgeschlossenes Jurastudium (d. h. Erlangung eines Universitätsdiploms nach einem erfolgreichen vierjährigen Jurastudium an einer Rechtswissenschaftlichen Fakultät); in Griechenland gibt es drei Juristische Fakultäten: an der Universität Athen, an der Universität Thessaloniki und an der Universität Thrazien, b) achtzehn Monate Referendarzeit, c) Alter bis 35 Jahre,
__________ 5 In Klammern ist die Numerierung der ZPO gemäß ihrer anfänglichen Fassung angegeben. Die anfängliche Fassung und Numerierung galt von 1968 bis 1971. Mit der Gesetzesändernug durch das Dekret 951/1971 wurde auch die Numerierung abgeändert. Auf die anfängliche Numerierung bezieht sich auch die Übersetzung Baumgärtel/ Rammos. 6 Siehe auch N. K. Klamaris, Professional Ethics and Procedural Fairness (in Greece) = Anwaltliche Ethik und Fairness im Prozeß (in Griechenland), in G. Walter (Hrsg.) Professional Ethics and Procedural Fairness = Anwaltliche Ethik und Fairness im Prozess (Generalbericht und Nationalberichte über das 1. spezielle Thema [Titel: «Professional ethics and procedural fairness»] des IX. Kongresses der International Association of Procedural Law [25.-31. August 1991 in Portugal, Lissabon/Coïmbra]), Bern und Stuttgart 1991, S. 217 ff., 219. 7 Das Gesetz 3026/1954 ist bis heute mehrfach modifiziert worden. 8 Siehe auch N. K. Klamaris, Professional Ethics and Procedural Fairness (in Greece) = Anwaltliche Ethik und Fairness im Prozeß (in Griechenland) (Fn. 6), S. 218.
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d) erfolgreiche Teilnahme an der entsprechenden Rechtsanwaltsprüfung9. Wie es aber üblich ist, dass jeder Grundsatz auch Ausnahmen kennt, so führt auch die gr. ZPO Ausnahmen vom Grundsatz des Anwaltszwanges ein. Im einzelnen schreibt Art. 94 § 2 (95 § 2) gr. ZPO vor, dass die Prozessparteien das Verfahren doch ohne einen bevollmächtigten Rechtsanwalt in folgenden Fällen bzw. Prozessen durchführen dürfen: a) Bei Prozessen vor den Amtsgerichten (= nach dem gebräuchlichen griechischen gerichtsverfassungsrechtlichen/prozessualen terminus technicus „Friedensgerichten“); b) beim Verfahren der Provisorischen Maßnahmen (bzw. der Einstweiligen Verfügungen); c) zur Abwendung einer drohenden Gefahr. Das Gericht ist aber in jedem Falle ermächtigt, auch in den oben erwähnten Ausnahmen von dem Grundsatz des Anwaltszwanges unter Würdigung der im konkreten Fall bestehenden besonderen Umständen der entsprechenden Prozesspartei die Pflicht aufzuerlegen, einen Rechtsanwalt zu bevollmächtigen. Ausnahmen vom Anwaltszwang sieht die gr. ZPO auch in manchen anderen speziellen Fällen vor, wie z. B. in der besonderen Verfahrensart für die Arbeitsrechtlichen Streitigkeiten (Art. 665 [693] gr. ZPO), welche der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit als besondere Verfahrensart zugeordnet werden (Art. 663 [691]-676 [720] gr. ZPO). In den Bagatellsachen kann die Partei ebenfalls durch ihren Ehegatten, durch die Verwandten in gerader Linie sowie durch alle bis zum zweiten Grade Verwandten oder Verschwägerten und durch ihre Angestellten vertreten werden; der Ehegatte gilt immer als Prozessbevollmächtigter und ist ermächtigt, auch andere Prozessbevollmächtigte zu bestellen (Art 472 Abs. 1 [489 § 1] gr. ZPO). Ausnahmen vom Anwaltszwang sind auch im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit vorgesehen. Demnach dürfen die Prozessparteien ohne Rechtsanwalt in den Strafsachen vor den Amtsgerichten (= „Friedensgerichten“), als „Übertretungsgerichten“, sowie vor den Landgerichten als erstinstanzlichen Strafgerichten („Vergehensgerichten“) auftreten. Im Gegensatz dazu gilt der Anwaltszwang wieder für die Prozesse vor dem Areopag („Areios Pagos“) als Oberstem Gericht der Strafgerichtsbarkeit, vor den „Verbrechensgerichten“ – d. h. den Gerichten, welche speziell für die Prozesse für Verbrechen zuständig sind – und vor den Berufungsgerichten („Oberlandesgerichten“) in Strafsachen10. Schließlich gilt auch im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Regel der Anwaltszwang; es werden aber auch Aus-
__________ 9 Siehe N. K. Klamaris (Fn. 6), S. 219. Siehe auch N. K. Klamaris, Das rechtswissenschaftliche Hochschulstudium in Griechenland in der Epoche des «Bologna-Prozesses», und dessen Evaluierungs-Verfahrensregelung nach dem Gesetz 3374/2005, ZZP Int 8.10 (2005), 181 ff., 186; ders., La formation juridique dans une société contentieuse en évolution (rapport hellénique au Xième Congrès de l’ Association internationale de droit judiciaire [Vienne, 1999]), Revue Hellénique de Droit International, B 52 (1999), 485–502. 10 Siehe N. K. Klamaris (Fn. 6), S. 219.
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nahmen vorgesehen11 (Art. 27 der gr. VwGO), wie z. B. im Rahmen des provisorischen Rechtsschutzes (Art. 200 ff. der gr. VwGO). Das Erscheinen bzw. die Teilnahme einer Prozesspartei an dem Prozess ohne einen bevollmächtigten Rechtsanwalt in den Fällen, in denen der Rechtsanwaltszwang vorgeschrieben wird, gilt als eine nicht ordnungsgemäße Teilnahme12.
III. Die Prozessvollmachtform Die Regelung in bezug auf die Grundsatzregel für die Erteilung der Prozessvollmacht trifft die Vorschrift des Art. 96 (97) gr. ZPO. Nach dieser ZPOVorschrift sind zwei Arten (bzw. Formen) der gesetzeskonformen Erteilung der Prozessvollmacht vorgesehen. Demnach wird die Vollmacht entweder durch einen notariell beurkundeten Akt – also durch eine notarielle Urkunde – oder durch eine entsprechende mündliche Erklärung erteilt, welche in das Sitzungsprotokoll der entsprechenden Gerichtsverhandlung oder in der Niederschrift aufzunehmen ist (§ 1 des Art. 96 [97] gr. ZPO). Dies stellt also die grundsätzliche Form für die Erteilung der Prozessvollmacht dar. Die ZPO selbst sieht aber auch Ausnahmen von dieser Form vor. Eine erste Ausnahme gilt für die Erteilung der Prozessvollmacht seitens einer (staatlichen) Behörde; in diesem Fall kann einem Rechtsanwalt die Prozessvollmacht seitens einer Behörde durch ein Schreiben derselben Behörde erteilt werden (Art. 96 [97] § 2 gr. ZPO). Eine differenzierte Erteilungsform wird auch für das Verfahren vor den Amtsgerichten („Friedensgerichten“) vorgesehen. Der Abs. 3 des Art. 96 (97) gr. ZPO schreibt vor, dass beim Verfahren vor dem Amtsgericht die Prozessvollmacht auch durch ein Privatschreiben (also durch eine Privaturkunde) erteilt werden kann. Die Unterschrift des Vollmachtgebers muss in diesem letzten Fall von dem Bürgermeister oder dem Vorsitzenden der Gemeinde oder von dem Polizeikommissar – oder jetzt nach der letzten Verwaltungsreform von dem zuständigen Beamten oder Angestellten der „Büros im Dienste der Bürger“ – beglaubigt werden. Wenn der Auftraggeber Analphabet ist, dann ist die Prozessvollmachturkunde auf Grund seines Auftrages von dem Priester, dem Lehrer, dem Polizisten oder dem Bürgermeister zu unterschreiben (Art. 472 [489] Abs. 3 gr. ZPO). Wie auch im Rahmen des deutschen Zivilprozessrechts13 ist die Erteilung der Prozessvollmacht nach griechischem Zivilprozessrecht eine Prozesshandlung14.
__________ 11 Siehe N. K. Klamaris (Fn. 6), S. 219. 12 Makridou in Kerameus/Kondylis/Nikas, Kommentar zur ZPO (griechisch), B. I 2000, Art. 271, S. 561. 13 So Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 2), § 55 II 1, S. 338: «Die Prozessvollmacht verschafft die Befugnis zur Vertretung im Prozess; ihre Einteilung ist daher als Prozesshandlung anzusehen und nach Prozessrecht zu beurteilen». 14 Siehe unter anderen K. Beys, Kommentar zur gr. ZPO (griechisch), B. 2 1973, Art. 96, S. 472; Nikas in Kerameus/Kondylis/Nikas, Kommentar zur gr. ZPO (griechisch), B. I 2000, Art. 96, S. 214 f.
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IV. Die Prozessvollmachtsarten Aus der Sicht des Umfangs der – erteilten bzw. zu erteilenden – Prozessvollmacht unterscheidet man zwischen den folgenden Prozessvollmachtarten: Generelle (bzw. allgemeine) Prozessvollmacht, Teilprozessvollmacht, Einzelprozessvollmacht (bzw. spezielle Prozessvollmacht). Diese begriffliche Unterscheidung beruht nicht nur auf der Theorie15, sondern ergibt sich auch aus der konkreten ZPO-Regelung. 1. Generelle (bzw. Allgemeine) Prozessvollmacht Die generelle bzw. allgemeine Prozessvollmacht ermächtigt den Prozessvollmachtsträger, seinen Prozessvollmachtgeber in allen Prozessen bzw. in jedem Prozess zu vertreten und innerhalb dieser Grenzen bzw. innerhalb dieser Prozesse, alle erforderlichen Prozesshandlungen vorzunehmen und entgegenzunehmen. Ausgenommen von dieser Ermächtigung ist die Vornahme derjenigen Prozesshandlungen, welche die Prozesspartei nur selbst und nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vornehmen darf, oder für welche eine konkrete Einzelprozessvollmacht (bzw. eine konkrete spezielle Prozessvollmacht) vorgesehen worden ist, oder schließlich für welche der Vollmachtgeber den Prozessvollmachtsträger ausdrücklich nicht ermächtigt bzw. welche er von der Prozessvollmacht ausdrücklich ausgenommen hat. 2. Teilprozessvollmacht Im Rahmen einer Teilprozessvollmacht ist der (Teil-)Prozessbevollmächtigte ermächtigt, seinen Prozessvollmachtgeber in einem bestimmten Prozess oder in bestimmten Prozessen zu vertreten und innerhalb dieser Grenzen – d. h. innerhalb des konkreten Prozesses oder innerhalb der konkreten Prozesse – alle erforderlichen Prozesshandlungen vorzunehmen bzw. entgegenzunehmen (genau wie im Falle einer generellen bzw. allgemeinen Prozessvollmacht). Ausgenommen von einer solchen Ermächtigung im Rahmen einer Teilprozessvollmacht sind diejenigen Prozesshandlungen, welche die Prozesspartei nur selbst und nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vornehmen darf – sog. „unvertretbare Prozesshandlungen“ – oder für welche eine konkrete Einzelprozessvollmacht (bzw. eine konkrete spezielle Prozessvollmacht) vorgesehen worden ist, oder schließlich für welche der Vollmachtgeber den Prozessvollmachtsträger nicht ermächtigt bzw. welche er von der Teilprozessvollmacht ausdrücklich ausgenommen hat. 3. Einzelprozessvollmacht (bzw. spezielle Prozessvollmacht) Die Einzelprozessvollmacht, bzw. die spezielle Prozessvollmacht, ermächtigt den Prozessbevollmächtigten nur diejenige Prozesshandlung vorzunehmen, für
__________ 15 Siehe G. Rammos/N. K. Klamaris (Fn. 1), S. 58.
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die sie speziell erteilt worden ist. Nach Art. 98 (99) gr. ZPO ist eine Einzelprozessvollmacht bzw. eine Sonderprozessvollmacht erforderlich für die Vornahme folgender Prozesshandlungen: Erhebung einer Klage wegen Rechtsbeugung gegen Richter; Führung von Prozessen, welche Ehesachen oder die Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern betreffen; Abschluss eines Vergleichs; Abschluss einer Schiedsvereinbarung; die Abgabe eines Klageanerkenntnisses; die Abgabe eines Klageverzichts oder eines Rechtsmittelverzichts; die Anfechtung einer Urkunde als gefälschte Urkunde.
V. Die Beendigung der Prozessvollmacht16 Art. 100 (101) gr. ZPO regelt die Fälle in denen die erteilte Prozessvollmacht endet. Nach der obigen ZPO-Vorschrift endet die Vollmacht, wenn der Bevollmächtigte stirbt; wenn die Prozessfähigkeit des Bevollmächtigten verändert bzw. verloren wird; wenn der Prozess (bzw. die Handlung), für dessen Führung die Prozessvollmacht erteilt wurde, beendet ist; wenn der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt auf seine Vollmacht verzichtet oder wenn er die Zulassung (zum Amt) des Anwalts verliert oder wenn er seines Amtes für einen Zeitraum von über drei Monaten enthoben wird; wenn die Prozessvollmacht von dem Vollmachtgeber widerrufen wird; wenn der Prozessbevollmächtigte selbst auf die Prozessvollmacht verzichtet. Im Gegensatz dazu – Art. 101 (102) gr. ZPO – endet im Falle des Todes oder des Verlustes, bzw. der Veränderung, der Prozessfähigkeit des Prozessvollmachtgebers selbst (oder seines gesetzlichen Vertreters nach dem Bürgerlichen Recht) die Prozessvollmacht nicht, sondern sie wird weiter fortgesetzt. In diesem letzten Falle endet die Prozessvollmacht nur dann, wenn der Prozess aus einem von diesen Gründen unterbrochen wird. Speziell für die generelle (bzw. allgemeine) Prozessvollmacht sieht Art. 97 (98) Abs. 3 gr. ZPO vor, dass diese Prozessvollmacht ihre Wirkung nach Ablauf von fünf Jahren seit ihrer Erteilung verliert.
VI. Die Wirkung der Beendigung der Prozessvollmacht Die Beendigung der Prozessvollmacht (in bezug auf die Prozessführung oder auf die Vornahme bestimmter Prozesshandlungen), welche wegen eines Widerrufs der Vollmacht seitens des Vollmachtgebers oder wegen eines Verzichts auf die Vollmacht seitens des Vollmachtsträgers eintritt, wirkt gegenüber der Gegenpartei nur ab dem Zustellungszeitpunkt an sie (d. h. an die Gegenpartei) des Widerrufs oder des Verzichts bzw. ab dem Aufnahmezeitpunkt der Verzichtserklärung im Sitzungsprotokoll (Art. 102 [103] Abs. 1 Satz 1 gr. ZPO). In den Fällen aber, in denen vom Gesetz die Ernennung eines neuen bzw. eines anderen Prozessbevollmächtigten vorgeschrieben wird – der den früheren (den ausgeschiedenen) ersetzen soll – gilt die Beendigung der Prozessvollmacht ab
__________ 16 Für das deutsche Zivilprozessrecht siehe vor allem Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 2), S. 342, 343, 344.
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dem Bekanntmachungszeitpunkt der Ernennung des neuen Prozessbevollmächtigten an die Gegenpartei (Art. 102 [103] Abs. 1 Satz 2 gr. ZPO). Die Beendigung der Prozessvollmacht, welche mit dem Widerruf der Prozessvollmacht erfolgt, muss zugleich sowohl dem widerrufenen Prozessbevollmächtigten zugestellt werden als auch dem Notar, welcher die notarielle Prozessvollmachtsurkunde verfasst hat. Derselbe Notar ist auch verpflichtet, auf die Originalprozessvollmachtsurkunde den Widerruf der Vollmacht zu notieren (Art. 102 [103] Abs. 2 gr. ZPO). In den Fällen, in denen die Beendigung der Prozessvollmacht durch den Verzicht auf die Vollmacht seitens des Vollmachtsträgers erfolgt ist und kein Ersatzprozessbevollmächtigter die Prozessführung übernommen hat, ist der verzichtende Prozessbevollmächtigte für die Dauer eines Monats seit der Beendigung der Vollmacht weiter ermächtigt und zugleich verpflichtet, im Prozess nur diejenigen Handlungen vorzunehmen, welche für den Schutz der Interessen derjenigen Person, welche die Prozessvollmacht erteilt hatte, und für die Abwendung von nachteiligen Konsequenzen auf Grund des Verzichts notwendig sind (Art. 103 [104] gr. ZPO).
VII. Der Nachweis der Prozessvollmacht 1. In bezug auf die vorbereitenden Handlungen – gemeint sind hiermit in der gr. ZPO (Art. 104 [105]) ohne Zweifel die „vorbereitenden Prozesshandlungen“ – und die Ladungen bis zu der ersten öffentlichen mündlichen Verhandlung wird vermutet, dass eine Prozessvollmacht vorliegt. Für die ordnungsgemäße Vertretung der Prozesspartei in (dem Termin) der öffentlichen mündlichen Verhandlung ist aber unbedingt eine ausdrückliche Prozessvollmacht erforderlich, und falls diese nicht existiert, werden sämtliche Handlungen – selbst diejenigen, welche früher vorgenommen worden waren – für unwirksam erklärt. Das Gericht berücksichtigt – bzw. muss berücksichtigen – den Mangel der Prozessvollmacht sowie die Überschreitung der Vollmacht von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses. In den Verfahren vor den erstinstanzlichen Gerichten findet diese von Amts wegen auszuübende Kontrolle in der Praxis allerdings nicht statt. 2. Falls derjenige, welcher als Prozessbevollmächtigter auftritt, die bzw. seine Prozessvollmacht nicht nachweist, kann das Gericht eine kurze Frist für die Nachholung bzw. für die Beseitigung des Mangels setzen und zugleich denjenigen, der seine Prozessvollmacht nicht nachweist, zulassen, einstweilen den Prozess zu führen. In einem solchen Fall hängt aber die Wirksamkeit der – vom Gericht einstweilig – zugelassenen Prozesshandlungen von der rechtzeitigen Nachholung bzw. Heilung des Mangels ab (Art. 105 [106] Abs. 1 gr. ZPO). In einem solchen Fall kann die definitive Entscheidung nicht vor der Nachholung bzw. Heilung des Mangels oder vor dem Ablauf der gesetzten Frist erlassen werden (Art. 105 [106] Abs. 2 gr. ZPO). Wenn aber der Mangel nicht binnen der gesetzten Frist nachgeholt, bzw. beseitigt, wird, führt das Gericht den Prozess weiter fort und verurteilt denjenigen, der ohne Prozessvollmacht aufgetreten ist, die aus diesem Verhalten erwachsenen Kosten zu tragen (Art. 105 [106] Abs. 3 gr. ZPO). 396
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3. Im Rahmen seiner Amtsausübung und Funktion muss der Rechtsanwalt gemäß Art. 7 des „Professional ethics Kodex“ zur Verwirklichung der Wahrheit des Rechts beitragen und den Vergleich der gegenseitigen Parteien herbeizuführen versuchen; die von ihm übernommenen Rechtssachen mit Redlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Fleiß vertreten; für die regelmäßige und rechtzeitige Prozessführung sorgen und zugleich die Prozessverschleppung vermeiden; sich gegenüber allen Prozessbeteiligten (Parteien, Rechtsanwälten Zeugen) freundlich verhalten; er darf keine unbegründeten Einwände bzw. Einwendungen geltend machen; er muss es vermeiden, die Gegenpartei mit plötzlichen (= überraschenden) Einwänden und Tatbehauptungen zu überrumpeln; er darf nicht bösgläubig oder plötzlich den Einwand erheben, dass dem Rechtsanwalt der Gegenpartei eine entsprechende Vollmacht fehlt (und falls er trotzdem das Fehlen der Prozessvollmacht geltend machen will, muss er den Rechtsanwalt der Gegenseite rechtzeitig entsprechend informieren); im Allgemeinen muss er prozessverschleppende und bösgläubige Tätigkeiten vermeiden17.
VIII. Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten und die zivilrechtliche Haftung der Rechtsanwälte 1. Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten wird der entsprechenden Prozesspartei zugerechnet. Insbesondere stellt auch das Verschulden des Prozessbevollmächtigten im allgemeinen keinen – zum Vorteil der vertretenen Prozesspartei wirkenden – Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar (Art. 152 [154] Abs. 2 gr. ZPO)18. 2. Art. 73 des Einführungsgesetzes zu der gr. ZPO sieht auch die Klage wegen Rechtsbeugung gegen Rechtsanwälte, Notare, Schiedsrichter usw. vor. Die Rechtsbeugungsklage ist nur dann zulässig, wenn sie auf Absicht oder auf grobes Verschulden gestützt wird und der Kläger daraus einen Schaden erlitten hat. Die Rechtsbeugungsklage ist nach dem Ablauf von sechs Monaten von der Vornahme der Handlung oder von der Unterlassung, die der Kläger der Rechtsbeugungsklage als Schädigungsgrund geltend macht, unzulässig.
__________ 17 Siehe N. K. Klamaris (Fn. 6), S. 221. 18 Siehe N. K. Klamaris (Fn. 6), S. 219.
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Zinshöhe und Äquivalenzverhältnis beim gewerblichen Darlehensvertrag Inhaltsübersicht I. Die gesetzliche Risikoallokation der §§ 488 ff. BGB 1. Das Refinanzierungsrisiko 2. Das Kreditrisiko 3. Die Risiken der Eigenkapitalunterlegung II. Die Parameter individualvertraglicher Risikoallokation III. Die Parameter der Risikoallokation in allgemeinen Geschäftsbedingungen 1. Die Kontrollfreiheit von Preisvereinbarungen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB
2. Zinsänderungsklauseln und Äquivalenzverhältnis 3. Die inhaltlichen Anforderungen an zulässige Zinsänderungsklauseln a) Das Gebot der Anpassungssymmetrie b) Das Transparenzgebot c) Die Lösungsmöglichkeit des Darlehensnehmers
Harm Peter Westermann gehört zu den bewundernswerten Wissenschaftlern, deren Werk neben dem Bürgerlichen Recht noch das Handelsrecht, das Gesellschaftsrecht und auch das Bankrecht umspannt. Ihm sei die folgende Untersuchung zu einem Klassiker des Bankvertragsrechts gewidmet, der sich in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit der Neuregelung bankaufsichtsrechtlicher Anforderungen durch Basel II wieder besonders intensiver Aufmerksamkeit erfreut1. Angesprochen ist die Risikoverteilung im Darlehensvertrag, genauer: die Reichweite der kautelarischen Gestaltungsmacht des Darlehensgebers, soweit sie die Anpassung der Zinshöhe betrifft. In einem ersten Schritt wird die gesetzliche Zuweisung einiger Standardrisiken des Darlehensvertrages vorzustellen sein. Im Anschluss sollen die gesetzlichen Vorgaben für eine individualvertragliche und schließlich für eine in AGB erfolgende Modifikation dieser Risikozuweisung näher beleuchtet werden. Gerade die Kontrolle vorformulierter Bedingungen für Darlehensverträge steht derzeit zu Recht im Zentrum der Aufmerksamkeit von Rechtsprechung und Literatur. Hier soll begründet werden, dass das bislang gängige Argumentationsmuster der Rechtsprechung erheblichen Einwänden ausgesetzt ist.
__________ 1 Jüngst Lischek, Risikoadjustierte Zinsänderungsklauseln in AGB, 2005; Kersting, ZIP 2007, 56
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I. Die gesetzliche Risikoallokation der §§ 488 ff. BGB Der Gelddarlehensvertrag des § 488 BGB verpflichtet den Darlehensgeber zur Bereitstellung einer Darlehenssumme. Der Darlehensnehmer hat diese bei Fälligkeit zurückzuzahlen sowie über die Laufzeit des Vertrages den geschuldeten Zins zu entrichten. Bei den Vertragsverhandlungen wird der Darlehensgeber vor allem zweierlei im Auge haben: Zum einen weiß keine der Vertragsparteien, wie sich die Bonität des Darlehensnehmers und die Umweltbedingungen über die Vertragslaufzeit hin entwickeln werden. Zum anderen ist es für den Darlehensgeber häufig schwierig, verlässliche Informationen über die Daten zu erlangen, welche er seiner Kreditvergabeentscheidung zugrunde legt. Ökonomisch gesprochen ist der Abschluss eines Darlehensvertrages deshalb durch Unsicherheit der Erwartungen und Informationsasymmetrie gekennzeichnet2. Der Darlehensgeber wird in dieser Situation versuchen, sich kautelarisch möglichst weitgehend abzusichern. Für den Darlehensnehmer bedeutet das im Regelfall die Konfrontation mit vorformulierten Vertragsbedingungen, die ihm bestimmte Risiken zuweisen sollen. 1. Das Refinanzierungsrisiko Das Refinanzierungsrisiko betrifft sozusagen die Einkaufsseite der kreditvergebenden Bank. Die für eine Kreditvergabe erforderlichen Mittel muss sich die Bank beschaffen. Zu diesem Zweck refinanziert sie sich durch Einlagen oder am Kapitalmarkt. Wenn diese Refinanzierung nicht laufzeitkongruent erfolgt, das heißt, wenn die gewählte Refinanzierung sich nicht über die gesamte Dauer des Darlehensvertrages erstreckt, entsteht für die Bank das Risiko, das Darlehen teurer einzukaufen, als sie es an den Darlehensnehmer weiter verkaufen kann. Dieses Refinanzierungsrisiko trägt nach der Konzeption der §§ 488 ff. BGB die Bank. Das ergibt sich zunächst daraus, dass die Erhöhung des allgemeinen Zinsniveaus keinen Kündigungsgrund nach § 490 BGB darstellt. Auch steht die Zuweisung des Refinanzierungsrisikos zum Darlehensgeber in Einklang mit allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen: Die §§ 313, 314 BGB gestatten bei einer Verteuerung der Einkaufsseite für einen Anbieter weder eine Kündigung, noch sind im Regelfall die für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage erforderlichen Voraussetzungen erfüllt3. Dem entspricht es, dass die Ökonomie zahlreiche Strategien zur Risikominimierung herausgearbeitet hat. Die Bank kann sich gegen das Refinanzierungs-
__________ 2 S. nur: Akerlof, 84 Quarterly Journal of Economics (1970), 488, 489 ff.; Laux, Entscheidungstheorie, 6. Aufl. 2005, S. 105 ff.; Schmidt/Terberger, Grundzüge der Investitions- und Finanzierungstheorie, 4. Aufl. 1997 (Nachdruck 2006), S. 278 ff., 391 ff. 3 BGH, NJW-RR 1993, 881 f.; BGH, WM 1979, 582; BGH, NJW 1977, 2262 f.; BGH, WM 1964, 1253, 1254 f.; BGH, NJW 1962, 250, 251; Grüneberg in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 313 BGB Rz. 31; Roth in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 313 BGB Rz. 194.
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risiko durch laufzeitkongruente Refinanzierung, aber beispielsweise auch am Kapitalmarkt, etwa durch Derivate4, absichern. 2. Das Kreditrisiko Mit der Bezeichnung „Kreditrisiko“ sind Gefahren für die Rückzahlung des Darlehens gemeint, die sich auf die Person des Darlehensnehmers zurückführen lassen5. Das betrifft vor allem Willen und Fähigkeit zur Zinszahlung und Tilgung. Das Gesetz weist dieses Risiko zunächst einmal dem Darlehensgeber zu. Das steht in Einklang mit dem zivilrechtlichen Grundsatz, dass jeder das Bonitätsund das Insolvenzrisiko des Vertragspartners zu tragen hat, für den er sich entschieden hat. Bezüglich der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Dreipersonenverhältnissen ist das hinlänglich bekannt6. Erst wenn das Kreditrisiko die Schwelle einer drohenden wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse erreicht hat, verändert sich die gesetzliche Bewertung. Unter Berufung hierauf gestattet § 490 Abs. 1 BGB dem Darlehensgeber die außerordentliche Kündigung. Hinzu treten die §§ 313, 314 BGB, die nach § 490 Abs. 3 BGB einschlägig bleiben. Die Möglichkeiten zur Minimierung des Kreditrisikos sind aus ökonomischer Sicht komplexer als die vergleichbaren Strategien mit Bezug auf das Refinanzierungsrisiko. Hierzu zählt man die ex ante Prüfung der Situation des Darlehensnehmers und seine laufende Überwachung. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von „monitoring“7. Auch bei der Vertragsgestaltung kann der Darlehensgeber versuchen, die vertragsgemäße Darlehensbedienung zu prämieren, nochmals ökonomisch gesprochen: „anreizkompatible“ Verträge8 zu entwerfen. Zuletzt ist gegen das Kreditrisiko eine Absicherung durch Derivate theoretisch ebenfalls vorstellbar, wenngleich dies praktisch noch in den Kinderschuhen steckt. 3. Die Risiken der Eigenkapitalunterlegung Weiter sind die Risiken der Eigenkapitalunterlegung anzusprechen. Dabei geht es um die Frage, wie viel Eigenkapital der Darlehensgeber aus bankaufsichts-
__________
4 Büschgen, Bank-Archiv 1996, 18 ff.; Jahn in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 2. Aufl. 2001, § 114; Reiner, Derivative Finanzinstrumente im Recht, 2002, S. 27 ff., 44 ff. 5 Reiner (Fn. 4), S. 44 ff.; aktuelle Zahlen bei: Basel Committee on Banking Supervision, working paper no. 15, studies on risk concentration, 2006, passim; Basel Committee on Banking Supervision, Best Practices for Credit Risk Disclosure, 2000, S. 9 ff. 6 Canaris in FS Larenz, 1973, S. 799, 803. 7 Basel Committee on Banking Supervision, International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards. A Revised Framework, 2004, S. 161 f.; Jensen/ Meckling, 3 Journal of Financial Economics (1976), 305 ff.; Schmidt/Terberger (Fn. 2), S. 404. 8 Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber, Bankbetriebslehre, 4. Aufl. 2007, S. 97 f.; Kamp/ Ricke, BKR 2003, 527, 530; Ricke, BKR 2002, 899, 902; Schmidt/Terberger (Fn. 2), S. 409 ff.
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rechtlicher Sicht vorhalten muss. Im Gefolge von Basel II wird sich die hierfür maßgebliche Beurteilung bekanntlich deutlicher als bislang auch nach dem Risikogepräge einzelner ausgereichter Darlehen richten: Darlehen an Darlehensnehmer mit nicht zufrieden stellender Bonität, soweit sich dies in Ratingverfahren abbilden lässt, sind mit mehr Eigenkapital zu unterlegen als Darlehen an Darlehensnehmer, die ein gutes Rating erreichen9. Die Risiken der Eigenkapitalunterlegung nehmen eine Mittelstellung zwischen den beiden zuvor genannten Risiken ein. Auf den ersten Blick handelt es sich hierbei um mit der Refinanzierung vergleichbare Kosten, welche am Risikoprofil der individuellen Bank ansetzen. § 490 BGB kennt keine Kündigung des Darlehensgebers aus diesem Grund, ein Fall des § 314 BGB wird wiederum selten vorliegen. Bei näherem Hinsehen ergeben sich aber Überschneidungen zur Beurteilung des Kreditrisikos: Soweit die Eigenkapitalunterlegung unmittelbar mit der sich wesentlich verschlechternden wirtschaftlichen Lage eines individuellen Darlehensnehmers zusammen hängt, kann § 490 Abs. 1 BGB doch zum Zuge kommen. Entsprechendes gilt für eine Reaktion auf der Grundlage der §§ 313, 314 BGB. Ein Konnex zwischen der erhöhten Eigenkapitalunterlegung und der Gestaltung individueller Kreditverträge wird auch volkswirtschaftlich mit dem in Basel II enthaltenen Regelwerk bezweckt10. An die Stelle einer einheitlichen Eigenkapitalunterlegung sämtlicher Kredite soll die qualitative Erfassung einzelner Kreditbeziehungen treten. So möchte man nicht nur die verbesserte Erfassung dieser Risiken durch den Darlehensgeber erreichen, sondern auch der Quersubventionierung schlechter Kreditrisiken durch gute entgegenwirken.
II. Die Parameter individualvertraglicher Risikoallokation Damit gelangt man zu der Frage, wie weit sich die gesetzliche Risikozuweisung durch vertragliche Abreden modifizieren lässt. Hierfür kommt eine ganze Bandbreite denkbarer Vereinbarungen in Betracht. Diese reichen von der vollständigen oder teilweisen Kreditkündigung über die Nachbesicherung, die Vereinbarung von financial covenants11 bis hin zur Zinserhöhung. Die Zulässigkeit des zuletzt genannten Instruments steht derzeit im Zentrum literarischer Aufmerksamkeit12, sodass sich die folgenden Ausführungen auf die Zinserhöhung durch den Darlehensgeber konzentrieren.
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9 Meeh/Sattler, DStR 2005, 1504, 1505; Schmeisser/Schmeisser, DStR 2005, 344 f.; Volkenner/Walter, DStR 2004, 1399, 1400 ff.; zur ökonomischen Berechnung der Bonität und des Kreditausfalls: Wimmer/Kusterer, DStR 2006, 2046 ff. 10 Pfingsten, Bonitätsorientierte Kreditzinsanpassung aus Sicht der Bankbetriebslehre, in Bankrechtstag 2004, S. 43 ff.; Basel Committee on Banking Supervision, Implementation of Basel II: Practical Considerations, 2004, S. 8 ff. 11 Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (Fn. 8), S. 174 ff. 12 Lischek (Fn. 1), S. 169 ff.; Meeh/Sattler, DStR 2005, 1504, 1505; Rösler/Lang, ZIP 2006, 214; Schmeisser/Schmeisser, DStR 2005, 344; Volkenner/Walter, DStR 2004, 1399, 1400 ff.; Wimmer/Kusterer, DStR 2006, 2046 ff.
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Zinshöhe und Äquivalenzverhältnis beim gewerblichen Darlehensvertrag
Eine abweichende Risikoallokation im Individualvertrag ist sehr weitgehend möglich. Das gilt für Vereinbarungen über Zinsen, mithin eine Preiserhöhung, solange sich diese unterhalb der Schwelle des § 138 BGB bewegen. Auch sonstige Nebenabreden sind individualvertraglich in weitem Umfang zulässig. Eine Ausnahme gilt nur für die Erschwerung des ordentlichen gesetzlichen Kündigungsrechts des Darlehensnehmers. Dieses darf nach § 489 Abs. 4 Satz 1 BGB auch individualvertraglich nicht eingeschränkt werden.
III. Die Parameter der Risikoallokation in allgemeinen Geschäftsbedingungen Ganz anders stellt sich die Situation bei dem Versuch dar, eine abweichende Risikozuweisung in allgemeinen Geschäftsbedingungen durchzusetzen. Hier hat die Rechtsprechung mit viel Liebe zum Detail Voraussetzungen entwickelt, denen eine formularmäßige Vereinbarung über Zinserhöhungen zu genügen hat. Die dogmatische Tragfähigkeit dieser Voraussetzungen soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Dabei wird zunächst zu fragen sein, ob Vereinbarungen über die Zinshöhe im Lichte des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB überhaupt der Inhaltskontrolle unterliegen. Soweit sich das bejahen lässt, sind die beiden von der Rechtsprechung herangezogenen Kontrollparameter, das Gebot der Wahrung des Äquivalenzverhältnisses und das Transparenzgebot13, kritisch zu würdigen. 1. Die Kontrollfreiheit von Preisvereinbarungen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB Die Höhe des vereinbarten Zinssatzes stellt zunächst einmal den Preis für das ausgereichte Darlehen dar. Unterhalb der Schwelle des § 138 BGB unterliegen Preisvereinbarungen keiner gerichtlichen Kontrolle. Das legitimiert sich grundsätzlich anhand der Überlegung, dass die Einigung der Parteien über den Preis eines Produktes dem Markt überlassen und nicht nachträglich von Gerichten überprüft oder gar diktiert werden soll14. Die Richtigkeitsgewähr des freien Spiels der Marktkräfte15 hält, gerade was vorformulierte Vertragsbedingungen angeht, kritischer Prüfung bekannter-
__________ 13 BGH, WM 2005, 2335, 2336; BGH, WM 2004, 825, 826; BGH, WM 1999, 2545, 2547; LG Bremen, ZIP 2006, 1301, 1303. 14 Basedow in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 307 BGB Rz. 1, 20; Baumann, VersR 1991, 490, 491; Coester in Staudinger, 13. Aufl. 2006, § 307 BGB Rz. 284; Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, 1990, S. 188 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S. 257, 259; Horn, WM 1997 Sonderbeil. Nr. 1, 1, 8; Westermann, Abgrenzung von Neben- und Hauptleistungspflichten im Hinblick auf die Inhaltskontrolle, in Zehn Jahre AGB-Gesetz, 1987, S. 136 f.; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, 4. Aufl. 1999, § 8 AGBG Rz. 1; vgl. auch BT-Drucks. 7/3919, S. 22. 15 Vgl. Baumann, VersR 1991, 490, 491 ff.; Coester in Staudinger (Fn. 14), § 307 BGB Rz. 284; Fastrich (Fn. 14), S. 259; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 14), § 8 AGBG Rz. 1.
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maßen nicht ohne Weiteres stand. Die zwischen Verwender und Vertragspartner häufig gestörte Vertragsparität führt in zahlreichen Fällen zu stark eingeschränkten Verhandlungsmöglichkeiten. Damit geht die Gefahr des einseitigen Diktats unausgewogener Vertragsbedingungen durch den Verwender einher. Hinzu kommt, dass in vorformulierten Vertragsbedingungen nicht selten Abreden getroffen werden, die sich nur auf den ersten Blick auf den Preis beziehen, bei näherem Hinsehen aber das konsentierte Pflichtengefüge der Parteien verschieben. Solche Preisnebenabreden sind zunächst einmal Klauseln, durch welche sich der Verwender ein Entgelt für Handlungen versprechen lässt, die auf der Basis dispositiven Gesetzesrechts zu dem von ihm geschuldeten Pflichtenprogramm zählen. Jüngste Beispiele aus der Rechtsprechung bilden die Erhebung eines Entgelts für die Bearbeitung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen16 oder für die Nichteinlösung von Lastschriften17. Hierin liegt eine von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB erfasste Abweichung von dispositivem Gesetzesrecht. Das ermöglicht die Kontrollfähigkeit der Klausel. Für kontrollfähig hält die Rechtsprechung aber darüber hinaus jedes einseitige Leistungsbestimmungsrecht18, auch wenn es sich auf den Preis bezieht. Die dem zugrunde liegende Überlegung lässt sich gut nachvollziehen: Das dispositive Gesetzesrecht gestattet keine nachträgliche Preisanpassung. Folglich weicht die Einräumung eines Rechts hierzu im Sinne des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB von dispositivem Gesetzesrecht ab und legitimiert die Kontrollfähigkeit. Dem hat man zunächst einmal § 315 BGB entgegengehalten19. Diese Norm zähle ebenfalls zum Katalog dispositiver Normen, die Einräumung eines Rechts zur Leistungsbestimmung sei mithin nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB gerade nicht kontrollfähig. Die Gerichte sind dieser Argumentation zu Recht nicht gefolgt20. Die Einigung der Parteien über den Preis bildet den gesetzlichen Normalfall. § 315 BGB setzt in Abweichung hiervon die Vereinbarung eines nachträglichen Leistungsbestimmungsrechts voraus. Wer sich in allgemeinen Geschäftsbedingungen ein solches Recht einräumen lässt, unterfällt schon deshalb der Inhaltskontrolle, weil er einen Ermessensspielraum für sich in Anspruch nimmt. Bei der Ausfüllung dieses Ermessensspielraums begegnet wieder das Problem asymmetrischer Informationsverteilung21. In diesem Fall betrifft es den Darlehensnehmer, der den Verwender bei der Art und Weise seiner Ermessensausübung nicht beobachten kann. Hier greift die Inhaltskontrolle samt des Transparenzgebots ein, um die Ermessensausübung des Klauselverwenders sachgerecht zu begrenzen. Darin erschöpft sich allerdings die Frage nach der Kontrollfähigkeit von Zinserhöhungsklauseln noch nicht. So ist jüngst vorgeschlagen worden, jedenfalls
__________ 16 BGH, BGHZ 141, 380, 382 ff.; BGH, WM 1999, 2545, 2546. 17 BGH, BGHZ 150, 269, 272 ff.; BGH, BGHZ 146, 377, 380 ff.; BGH, BGHZ 137, 43, 46 ff.; BGH, WM 1997, 2300 f. 18 BGH, BGHZ 97, 212, 215. 19 Bruchner, BKR 2001, 16, 19; Hey, ZBB 2004, 219, 226. 20 BGH, WM 2004, 825, 826; jüngst Rösler/Lang, ZIP 2006, 214, 216. 21 S. o. Nachweise in Fn. 2.
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diejenigen Preisnebenabreden von einer Inhaltskontrolle auszunehmen, bei denen eine Veränderung des einmal konsentierten Pflichtenprogramms bereits einkalkuliert sei und der Verwender folglich nicht die Weitergabe während der Laufzeit entstehender Kosten intendiere22. Als Beleg für diese These hat man auf Preisgleitklauseln verwiesen. Diese sind in der Form von Zinsgleitklauseln gängiger Bestandteil des variantenreichen Angebots an Darlehensverträgen. Dabei wird beispielsweise ein Zinssatz von „50 Basispunkten über EURIBOR“ vereinbart. Die Höhe der vom Darlehensnehmer zu entrichtenden Gegenleistung schwankt auf der Basis des EURIBOR, während die Pflicht des Darlehensgebers zur Überlassung der Darlehenssumme auf Zeit unverändert bleibt. Derartige Klauseln hat die Rechtsprechung bislang in der Tat keiner Inhaltskontrolle unterzogen. Der Grund hierfür erschließt sich bei einer näheren Betrachtung der zugrunde liegenden Risikozuweisung: Bank und Kunde treffen eine Vereinbarung, die der Bank eine feste Marge erhält. Damit trägt der Kunde das Risiko der Zinsentwicklung am Kapitalmarkt, ist aber keinem freien Leistungsbestimmungsrecht der Bank und damit nicht der Gefahr sachwidriger Ausfüllung dieses Spielraums ausgesetzt. Folglich kann die Vereinbarung kontrollfrei bleiben23. Ganz anders verhält es sich mit einer von den Vertretern dieser Ansicht vorgeschlagenen Zinsänderungsklausel, welche die Entwicklung des Zinssatzes an die Bonitätsbeurteilung des Darlehensnehmers durch ein bankinternes Ratingverfahren knüpft24. Dem Darlehensnehmer wird zu Beginn des Darlehensvertrages eine in Tabellenform zusammengestellte Relation zwischen Ratingklasse und Zinshöhe ausgehändigt. Dabei gilt: Je besser sein bankinternes Rating ausfällt, desto niedriger der Zins und umgekehrt, je schlechter sein Rating ausfällt, desto höher der Zinssatz. Hierbei soll es sich – analog der Zinsgleitklausel – um eine kontrollfreie Preisabrede handeln, da wiederum ein Schwanken der Zinszahlungspflicht bereits einkalkuliert sei und der Darlehensgeber mit einer solchen Klausel nicht die Weitergabe erhöhter Kosten bezwecke. Übersehen wird hierbei, dass eine derartige Vereinbarung dem Klauselverwender einen Ermessensspielraum bei der Durchführung der bankinternen Bonitätsbeurteilung einräumt. Anders als die Entwicklung des EURIBOR, der sich für beide Vertragsparteien als vollständig externer Faktor darstellt, entsteht bei der Durchführung eines bankinternen Ratings wieder ein für den Darlehensnehmer nicht kontrollierbarer Handlungsspielraum des Klauselverwenders. Nicht anders als bei der Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB unterfällt eine derartige Klausel mithin der Inhaltskontrolle. Hieraus ergibt sich schließlich auch recht zwanglos die Abgrenzung einer kontrollfreien Preisabrede von einer kontrollfähigen Preisnebenabrede. Der Inhaltskontrolle sind alle formularmäßigen Vereinbarungen unterworfen, welche dem Verwender einen Ermessensspielraum eröffnen25. Das rechtfertigt sich
__________ 22 23 24 25
Mülbert, WM 2004, 1205, 1209 f. Rösler/Lang, ZIP 2006, 214, 216. Mülbert, WM 2004, 1205, 1210; krit. Kersting, ZIP 2007, 56, 57. In diese Richtung auch Rösler/Lang, ZIP 2006, 214, 217.
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aus der Gefahr, die mit dem Entstehen eines Handlungsspielraums einhergeht, bei dessen Ausfüllung der Vertragspartner den Klauselverwender nicht beobachten kann. Umgekehrt sind Vereinbarungen kontrollfrei, wenn sie keinen solchen Spielraum eröffnen, sondern auf einem vom Verwender nicht beeinflussbaren Automatismus gründen. Ein solcher Automatismus ist in zweierlei Hinsicht nachzuweisen: Das „ob“ einer Zinsanpassung muss dem Ermessen des Verwenders ebenso vollständig entzogen sein wie das „wie“ der Zinsanpassung26. Die Frage, ob eine Zinsanpassung vorzunehmen ist, liegt insbesondere dann außerhalb des Ermessens des Darlehensgebers, wenn sie an externe Bezugsparameter geknüpft ist. Das kann die Entwicklung eines Referenzzinssatzes oder die Bezugnahme auf vom Verwender nicht beeinflussbare Faktoren, etwa die Entwicklung der Kennzahlen des Darlehensnehmers oder dessen durch eine externe Ratingagentur festgestellte Bonität sein. Die Frage, wie sich die Zinsanpassung zu vollziehen hat, folgt immer dann einem Automatismus, wenn die Höhe des Zinssatzes bei Vertragsschluss eindeutig fixiert wird. Das mag durch einen Aufschlag auf einen Referenzzinssatz, wie bei der oben angesprochenen Zinsgleitklausel, aber auch durch die bereits erwähnte Tabelle geschehen, mit welcher ein fester Konnex zwischen Ratingklasse und Zinshöhe etabliert wird. Kein Automatismus – und damit eine kontrollfähige Klausel – liegt vor, wenn der Darlehensgeber diskretionär über die Zinshöhe entscheiden kann. Folgt man dieser Beurteilung, so steht fest, dass jede Klausel, welche dem Darlehensgeber in der Frage der Zinsanpassung einen Ermessensspielraum eröffnet, der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB unterliegt. Damit rücken die Leitlinien, welche die Rechtsprechung für diese Inhaltskontrolle entwickelt hat, in den Mittelpunkt des Interesses. 2. Zinsänderungsklauseln und Äquivalenzverhältnis Um die Leitlinien der Rechtsprechung für die Beurteilung von Zinsänderungsklauseln nachzuvollziehen, ist ein Blick auf deren historische Entwicklung hilfreich. Diese nimmt ihren Ausgang bei einer Entscheidung des BGH27. Ein Bauunternehmer hatte mit seiner Hausbank verschiedene Kreditverträge im Gesamtvolumen von knapp 420 000 DM zu einem Zinssatz von 7,5 % abgeschlossen. Ziff. 3 der Vertragsbedingungen lautete: „Die Bank ist berechtigt, den Zinssatz zu ändern, wenn sie dies (z. B. wegen der Entwicklung am Geldoder Kapitalmarkt) für erforderlich hält; sie wird die Änderung dem Kreditnehmer mitteilen.“ Die Bank hatte dem Darlehensnehmer variierende Zinssätze von bis zu 13,75 % in Rechnung gestellt. Dagegen hatte sich der Darlehensnehmer auf der Grundlage des § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB gewandt. Der BGH hielt die Klausel für zulässig, legte sie allerdings einschränkend aus. Eine Zinsanpassungsklausel, mit welcher sich der Darlehensgeber ein einseiti-
__________ 26 Langenbucher, Bankrechtstag 2004, S. 63, 71 ff. 27 BGH, BGHZ 97, 212.
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ges Leistungsbestimmungsrecht einräumen lasse, setze einen sachlichen Grund voraus. Dieser sei in der vorliegenden Konstellation in dem „Bedürfnis der Banken“ zu erblicken, „ihre Darlehensbedingungen, insbesondere den Zinssatz, den wechselnden und bei Vertragsabschluss meist nicht überschaubaren künftigen Refinanzierungsmöglichkeiten anzupassen“28. In dieser Koppelung der Zinsanpassungsbefugnis an die Veränderung der Refinanzierungsbedingungen sah die Rechtsprechung eine hinreichende Eingrenzung des Ermessensspielraums der Bank. Veränderungen des Zinsniveaus nach oben waren ebenso an den Kunden weiterzugeben wie Veränderungen nach unten, mithin zu seinen Gunsten. Dass das Gericht im Ergebnis hier zu einer unzulässigen geltungserhaltenden Reduktion der Anpassungsklausel gegriffen hat29, soll für die Zwecke dieses Themas nicht weiter bekümmern. Festzuhalten ist, dass eine Veränderung in den Refinanzierungskonditionen für die Rechtsprechung eine Zinsanpassung legitimiert, sich das Refinanzierungsrisiko mithin auf den Darlehensnehmer verlagern lässt. Der weitere Verlauf der Rechtsprechung zeigt, dass für das Kreditrisiko anders entschieden wurde. Im Jahre 1999 und erneut im vorvergangenen Jahr hatte der BGH wiederum Zinsanpassungsklauseln zu kontrollieren30. Die referierte Linie der Rechtsprechung bestätigte das Gericht, soweit die Allokation des Refinanzierungsrisikos betroffen war. Zugleich erteilte der BGH dem Versuch eine Absage, das Kreditrisiko dem Darlehensnehmer zuzuweisen. Eine Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses durch eine vorformulierte Klausel sei unzulässig. Schlagwortartig formuliert gelte das Dogma „ein teurer Kredit darf teuer, ein billiger Kredit muss billig bleiben“. Bei ökonomischer Betrachtung überrascht diese Judikatur. Erstens widerspricht sie einer gängigen Theorie zur Gewinnmaximierung im Kreditgeschäft der Banken, die zu Recht betont, dass es für das Ergebnis einer Bank auf deren Portfoliomanagement im Aktivgeschäft ebenso ankommt wie auf ihre Refinanzierung im Passivgeschäft. Dabei geht man davon aus, die Bank biete zunächst einmal zu billige Kredite an, um Kunden einzuwerben. Einige der dadurch angezogenen Darlehensnehmer scheiden im Laufe der Zeit durch Insolvenzen oder Forderungsverkauf aus. Die entstehenden Verluste versucht die Bank durch Zinserhöhung bei den verbliebenen – guten – Darlehensnehmern zu kompensieren31. Nach der ausschließlich an das Refinanzierungsrisiko gekoppelten Rechtsprechung des BGH wäre das von vornherein unzulässig.
__________ 28 BGH, BGHZ 97, 212, 216. 29 BGH, BGHZ 92, 312, 314 f.; BGH, BGHZ 90, 69, 73; BGH, BGHZ 84, 109, 115 f.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, Rz. 188; Heinrichs in Palandt (Fn. 3), Vor § 307 BGB Rz. 8; Schulte-Nölke in HK-BGB, 5. Aufl. 2007, § 306 BGB Rz. 4. 30 BGH, WM 2005, 2335 = NJW-RR 2005, 1717; BGH, WM 1999, 2545. 31 Pfingsten, Bankrechtstag 2004, S. 43, 53.
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Hieraus ergibt sich ein zweiter, ökonomisch formulierbarer Einwand. Das Refinanzierungsrisiko lässt sich, wie weiter oben gezeigt wurde32, durch die Bank wesentlich besser absichern als das Kreditrisiko. Ökonomisch wäre es mithin effizienter, dieses der Bank zuzuweisen, das Kreditrisiko hingegen dem Darlehensnehmer. Das führt zu einem dritten und letzten Einwand. Weiter oben wurde gesagt33, dass die Situation der Darlehensvergabe von asymmetrischer Informationsverteilung geprägt ist. Ein von der Ökonomie herausgearbeiteter Mechanismus für den Umgang mit solchen Informationsasymmetrien wird als „Selbstselektion“ bezeichnet34. Damit ist gemeint, dass sich der Darlehensgeber um die Anziehung guter statt schlechter Darlehensnehmer zu bemühen hat. Ein Instrument hierfür ist der Entwurf anreizkompatibler Verträge, welche die positive Entwicklung der Bonität des Darlehensnehmers prämieren, die negative Entwicklung sanktionieren35. Diese Theorie hat ihren Niederschlag im bankaufsichtsrechtlichen Regelwerk Basel II gefunden36. Mit dem Standpunkt des BGH, der das Kreditrisiko beim Darlehensgeber belassen will, lässt sich das kaum in Einklang bringen. Nicht alles, was sich ökonomisch rechnet, ist deswegen auch juristisch geboten. Das gilt mit besonderem Nachdruck für den zuerst vorgetragenen Einwand, es sei eine Gewinnmaximierung der Banken durch Zinserhöhung bei verbliebenen guten Darlehensnehmern zu ermöglichen. Dieser Einwand widerspricht der Risikozuweisung nach Sphärengrundsätzen37 ebenso wie dem für Individualverträge einschlägigen Postulat ausgleichender Gerechtigkeit38. Das zuletzt genannte Postulat ließe eine Abweichung von der gesetzlichen Risikozuweisung nur dann zu, wenn die hierdurch bewirkte Lastenverschiebung zu Ungunsten des Darlehensnehmers zugleich auf andere Weise ausgeglichen würde. Legt man die Risikozuweisung nach Sphären zugrunde, fällt die Optimierung der Gewinnsituation des Darlehensgebers zunächst einmal in dessen Sphäre. Das gilt jedenfalls, soweit es sich um Folgen einer betriebswirtschaftlichen Strategieentscheidung handelt, wie etwa den Entschluss, in einer Anfangsphase zu preiswert kalkulierte Kredite am Markt anzubieten. Die beiden zuletzt genannten, in der Sprache der Ökonomie formulierten Einwände finden dagegen ihr juristisches Pendant in der Risikozuweisung nach Sphärengrundsätzen, wie sie insbesondere von der Rechtsschein-, aber auch
__________ 32 33 34 35 36
S. oben: I. 2. S. oben: I. Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (Fn. 8), S. 101. Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (Fn. 8), S. 97 f. Frick/Schönherr in Basel II, Handbuch zur praktischen Umsetzung des neuen Bankenaufsichtsrechts, 2004, S. 489 ff.; Träm, Neue Entwicklungen der staatlichen Bankenaufsicht in Deutschland und den USA, 2006, S. 101 ff. 37 Vgl. grundlegend hierzu: Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 480 ff. 38 Gordley, 69 California Law Review (1981), 1587.
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von der Gefährdungshaftung her bekannt ist39. Hiernach ist eine vom gesetzlichen Vorbild abweichende Risikoallokation vor allem dann zulässig, wenn ein Risiko demjenigen zugewiesen werden soll, in dessen Sphäre es überwiegend fällt. Umgekehrt ist eine Risikoallokation prima facie dann unangemessen, wenn sie denjenigen mit einem Risiko belastet, der es nicht beherrschen oder wenigstens absichern kann. Auf dieser Basis wäre eine Klausel sicher unangemessen, mit welcher ein Darlehensgeber es unternähme, interne Risiken wie etwa Überkapazitäten in der Zahl seiner Angestellten oder sein eigenes Rating am Kapitalmarkt auf den Darlehensnehmer überzuwälzen. Das Refinanzierungsrisiko fällt nicht mit solcher Deutlichkeit in die Sphäre der Bank, entziehen sich doch die hierfür maßgeblichen Parameter ganz weitgehend dem Einfluss beider Parteien. Immerhin betrifft das Refinanzierungsrisiko aber die Einkaufsseite des Darlehensgebers und es stehen ihm Risikoabsicherungsmechanismen zur Verfügung. Diese Mittelstellung spricht dafür, eine abweichende Risikoallokation im Grundsatz zuzulassen, bei ihrer inhaltlichen Ausgestaltung aber strenge Maßstäbe anzulegen. Das Kreditrisiko des Darlehensnehmers lässt sich dagegen ohne weiteres dessen Sphäre zuordnen. Um seine eigene Bonität hat sich der Darlehensnehmer selbst zu kümmern, die Bank kann dieses Risiko kaum beherrschen und – jedenfalls derzeit – nur unzureichend absichern. Für das Risiko der Eigenkapitalunterlegung gilt dasselbe, soweit diese im Gefolge von Basel II an der Bonität des individuellen Darlehensnehmers ansetzt. Hieraus folgt, dass eine Zinsänderungsklausel, die an einen Wechsel in der Bonität des Darlehensnehmers anknüpft, prima facie zulässig ist. Ihre Unzulässigkeit aufgrund inhaltlicher Unangemessenheit ist besonders zu begründen. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass es sich bei der Fokussierung der Rechtsprechung gerade auf die Refinanzierungsbedingungen um eine historisch bedingte Entwicklung handelt, wie sie bei der allmählich sich vollziehenden Bildung von Richterrecht nicht selten ist40. Sachlich überzeugender ist es, die Zulässigkeit einer vom Gesetz abweichenden Risikoallokation an den Grundsätzen der Risikozuweisung nach Sphären zu messen. Darin liegt zugleich eine Absage an das Dogma von der Wahrung des Äquivalenzverhältnisses: Bei sich verschlechternder Bonität des Darlehensnehmers kann die nachträgliche Verteuerung eines zunächst billigen Kredites ausnahmsweise zulässig sein.
__________ 39 Canaris (Fn. 37), S. 480 ff.; zur Gefährdungshaftung: Baudisch, Die gesetzgeberischen Haftungsgründe der Gefährdungshaftung, Diss. 1998; Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden am Beispiel von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung, Diss. 1976; Kötz, VersR 1982, 624 ff.; ders., AcP 170 (1970), 1 ff. 40 Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996, S. 3 ff., 56 ff.
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3. Die inhaltlichen Anforderungen an zulässige Zinsänderungsklauseln Damit ist über die Zulässigkeit von Zinsänderungsklauseln im Grundsatz, aber noch nicht über deren sachliche Voraussetzungen im Einzelnen entschieden. a) Das Gebot der Anpassungssymmetrie Unstreitig ist, dass eine Zinsänderungsklausel symmetrisch auszugestalten ist41. Das bedeutet: Lässt sich der Verwender die Befugnis einräumen, aufgrund einer bestimmten negativen Entwicklung die Zinsen nach oben anzupassen, muss die positive Entwicklung desselben Ereignisses zu einer Zinsanpassung nach unten führen. Das gilt für die Veränderung der Refinanzierungsbedingungen ebenso wie für die sich wandelnde Bonität des Darlehensnehmers. Die Rechtsprechung hat das unter dem Beifall der Literatur stets und zu Recht so gesehen42. Für eine einseitig den Darlehensgeber begünstigende Klausel besteht weder eine juristische Legitimation noch ein ökonomischer Anlass. Senkt der Darlehensgeber bei einer ansonsten wirksamen Klausel den Zinssatz nicht, hat er nach § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz zu leisten. b) Das Transparenzgebot Einigkeit herrscht im Grundsatz auch darüber, dass eine Zinsänderungsklausel den Anforderungen des in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kodifizierten Transparenzgebots zu genügen hat43. Hierfür verlangt die kürzlich noch weiter verfeinerte Rechtsprechung44 die „konkrete Angabe von Anlass, Voraussetzungen, Richtlinien und Grenzen“ einer Zinsänderung. Zu präzisieren ist mithin nicht nur das Ereignis, das zu einer Zinsanpassung führen kann, sondern auch die Art und Weise, wie der Darlehensgeber von seinem Ermessensspielraum Gebrauch machen wird. Damit soll der Informationsasymmetrie entgegengewirkt werden, die dadurch entsteht, dass der Darlehensnehmer keinen Einblick in die Mechanismen der Zinsanpassung beim Darlehensgeber hat. Nur ein Höchstmaß an Transparenz versetzt den Darlehensgeber in die Lage, bei einer trotz
__________ 41 BGH, ZIP 2000, 962, 964; BGH, BGHZ 97, 212, 217; OLG Celle, WM 1991, 1025; OLG Düsseldorf, WM 1989, 1370, 1372; LG Dortmund, BB 2001, 1269, 1270; LG Traunstein, VuR 1995, 256, 257; AG Ibbenbüren, NJW-RR 1997, 239, 240; Lischek (Fn. 1), S. 269 f. 42 Zur Rechtsprechung bezüglich der Refinanzierungsbedingungen s. Nachweise in der Fn. zuvor. Vgl. hierzu auch: Bruchner in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 4), § 78 Rz. 61 ff.; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rz. 1328; ders., WM 1987, 4. Beil., 1, 10; Karsten Schmidt in Staudinger, 13. Aufl. 1997, § 246 BGB Rz. 153; Wittig, ZHR 169 (2005), 212, 234 f. Zu der sich wandelnden Bonität des Darlehensnehmers: Hey, ZBB 2004, 219, 220 ff.; Rolfes, WM 2001, 762, 766. 43 BGH, BGHZ 158, 149, 150; OLG Düsseldorf, NJW 2004, 1532, 1535; Jesgarzewski, Die Grenzen formularmäßiger Vereinbarung einseitiger Leistungsbestimmungsrechte, Diss. 2006; Nassall, jurisPR-BGHZivilR 18/2004 Anm. 3; Schimansky, WM 2001, 1169, 1171; Wittig, ZHR 169 (2005), 212, 235 ff. 44 BGH, WM 2005, 2335.
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wirksamer Klausel im Einzelfall unwirksamen Zinsanpassung sein Recht aus § 315 BGB geltend zu machen. Besteht Einigkeit über diesen Grundsatz, sind doch Einzelfragen nach wie vor ungelöst. Das gilt für die zu gewährende Informationstiefe, aber auch für die Behandlung einer Kollision des Transparenzgebots mit den Geheimhaltungsinteressen einer Bank. Plastisch werden beide Aspekte an aktuellen Versuchen von Banken, eine Zinsänderungsklausel zu formulieren, die Zinsanpassungen erlaubt, falls ein bankinternes Rating Veränderungen in der Bonität des Darlehensnehmers ergibt45: Würde die Bank hier eine vollständig transparente Klausel formulieren, mit anderen Worten die gesamten mathematischen Modellrechnungen ihres internen Ratingverfahrens offenlegen, wären gleich zwei Probleme aufgeworfen. Zum einen wäre die Informationstiefe aus der Perspektive des durchschnittlichen Bankkunden zu hoch, ohne Hinzuziehung von Experten bliebe die Klausel unverständlich. Zum anderen gäbe die Bank mit der Veröffentlichung von Einzelheiten dieses Verfahrens ein Geschäftsgeheimnis preis, da die Qualität eines bankinternen Ratingverfahrens über den operativen Erfolg ihres Kreditgeschäfts mit entscheidet. In anderem Zusammenhang habe ich zur Lösung dieses Problems ein als „ergebnistransparentes Modell“ bezeichnetes Verfahren vorgeschlagen46. Hiernach kann sich die Bank zwar nicht auf eine „black box“ zurückziehen und – ähnlich wie in der Ausgangsentscheidung47 – jede Auskunft über Einzelheiten der Anpassung unterlassen. Sie ist auf der anderen Seite aber auch nicht, wie in einem „gläsernen Modell“48, verpflichtet, unter Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen das Höchstmaß überhaupt darstellbarer Information zu liefern. Stattdessen hat sie die für ihr bankinternes Ratingverfahren maßgeblichen Faktoren zu benennen und das vom Darlehensnehmer in den einzelnen Kategorien erzielte Ergebnis darzustellen. Das kann unter Verzicht auf mathematische Einzelheiten geschehen. Dem Darlehensnehmer muss aber die Möglichkeit gegeben werden, die Beurteilung der Bank mit Blick darauf nachzuvollziehen, ob ein Vorgehen nach § 315 Abs. 3 BGB Erfolg verspricht, ob vermehrte Anstrengungen zur Erreichung der Zielvorgaben der Bank denkbar und sinnvoll sind oder ob sich die Beendigung des Darlehensvertrages empfiehlt. c) Die Lösungsmöglichkeit des Darlehensnehmers Damit ist das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers, seine „exit option“49, erreicht. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist bislang wenig eindeutig. Es finden sich Entscheidungen, in welchen die Zulässigkeit einer Preisänderungsklausel explizit an die Lösungsmöglichkeit des Vertragspartners des Ver-
__________ 45 Vgl. hierzu: Langenbucher (Fn. 26), S. 63, 65 ff.; Lischek, FLF 2006, 255, 257 f.; Oehler, DB 2006, 113 ff. m. w. N.; Rohe/Lischek, WM 2006, 1993 ff. 46 Langenbucher (Fn. 26), S. 63, 78; ähnlich Lischek (Fn. 1), S. 289 ff. 47 BGH, BGHZ 97, 212. 48 Langenbucher (Fn. 26), S. 63, 77; für das „black box“-Modell aber Kersting, ZIP 2007, 56, 59 ff. 49 Vgl. hierzu: Hirschman, Exit, voice and loyalty, 1974, S. 22 ff.
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wenders geknüpft wird. Andere Entscheidungen rücken hiervon ab oder thematisieren diese Frage gar nicht50. Ihr Verständnis setzt einen knappen Überblick über die gesetzlichen Kündigungsrechte des gewerblichen Darlehensvertrages durch den Darlehensnehmer voraus. Ihm steht zunächst ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 490 Abs. 2 BGB zu. Hiernach kann der Darlehensnehmer durch Grund- oder Schiffspfandrechte gesicherte Darlehen kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse hieran hat, muss allerdings eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen. Komplexer ist die Behandlung der ordentlichen Kündigungsrechte des Darlehensnehmers nach § 489 BGB. Eindeutig ist dabei: Wird für ein Darlehen über die gesamte Laufzeit ein fester Zinssatz vereinbart, gibt nur der Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang der Valuta ein ordentliches Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Wird für ein Darlehen über die gesamte Laufzeit ein jederzeit veränderlicher Zinssatz vereinbart, gestattet § 489 Abs. 2 BGB dem Darlehensnehmer, sich unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten jederzeit von dem Vertrag zu lösen. Schwierig ist die Beurteilung des kautelarjuristisch gängigsten Falles, nämlich eines Darlehens, bei welchem über einen bestimmten Zeitraum ein fester Zins vereinbart wird, die Zinsbindung aber vor der Vertragslaufzeit endet. Ein Darlehensvertrag möge sich beispielsweise über fünf Jahre erstrecken, nur für das erste Jahr wird ein Zinssatz von 6 % vereinbart. Das Ende der Zinsbindung nach einem Jahr setzt notwendig die Neubestimmung eines Zinssatzes für die sich anschließende Zeitspanne voraus. Das kann konsensual geschehen, wenn sich Darlehensnehmer und Darlehensgeber im Rahmen von Verhandlungen auf einen neuen Zinssatz einigen. In diesem Fall besteht kein Bedürfnis für ein ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers. Einigen sich die Parteien nicht, greift § 489 Abs. 1 Nr. 1 BGB, der eine ordentliche Kündigung gestattet, wenn, so formuliert das Gesetz, „keine neue Vereinbarung über den Zinssatz getroffen“ ist. In der Handhabung einfacher und deshalb in der Praxis viel verbreiteter ist die Vereinbarung der Befugnis zu einseitiger Neufestsetzung durch den Darlehensgeber. Im gewählten Beispiel würde der Darlehensgeber vielleicht am Ende des ersten Jahres für die sich anschließende Periode den Zins auf 7 %, 9 % oder 12 % festsetzen. Greift auch in diesem Fall das ordentliche Kündigungsrecht des § 489 Abs. 1 Nr. 1 BGB?
__________ 50 Die Frage der Lösungsmöglichkeit wurde nicht thematisiert in: BGH, NJW-RR 2005, 1717; BGH, ZIP 1989, 1196 (Mietzinsänderung); Brandenburgisches OLG, Urt. v. 9.11.2006 – 12 U 172/04 (nicht veröffentlicht); LG Berlin, Grundeigentum 2006, 1551, 1555. Die Lösungsmöglichkeit des Vertragspartners führt nicht per se zur Zulässigkeit der Preisänderungsklausel: BGH, NSW BGB § 157 D, Rz. 27 („Ein Recht des Kunden zur Lösung vom Vertrag vermag jedoch nicht stets zu einem angemessenen Interessenausgleich zu führen.“); BGH, BGHZ 93, 252, 263 (Lösungsmöglichkeit sei lediglich „denkbarer Ausgleich“); ebenso: BGH, BGHZ 82, 2, 27; BGH, WM 1980, 1120, 1121.
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Zinshöhe und Äquivalenzverhältnis beim gewerblichen Darlehensvertrag
Die herrschende Meinung verneint diese Frage51. Haben sich die Parteien zu Beginn auf eine Befugnis des Darlehensgebers zu einseitiger Neufestsetzung geeinigt, so wird argumentiert, liegt hierin bereits eine für sämtliche Anpassungsperioden bindende „neue Vereinbarung über den Zinssatz“ im Sinne dieser Vorschrift. Dem Darlehensnehmer steht hiernach kein gesetzliches Kündigungsrecht zu, wenn der Darlehensgeber am Ende der Zinsbindungsperiode den Zins neu bestimmt. Gänzlich rechtlos stellt freilich auch die herrschende Meinung den Darlehensnehmer nicht. An die Stelle des gesetzlichen Kündigungsrechts soll eine vertragliche Lösungsmöglichkeit treten. Eine solche Lösungsbefugnis muss der Darlehensgeber nach dieser Ansicht in die Klausel über die Neufestsetzung des Zinses aufnehmen. Bei ihrer Formulierung ist er allerdings wesentlich freier als dies § 489 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorsieht. So gestattet die herrschende Meinung insbesondere, dem Darlehensnehmer eine Frist von einigen Wochen für die Ausübung seines Kündigungsrechts zu setzen. Das Gesetz sieht demgegenüber keine Befristung des ordentlichen Kündigungsrechts des Darlehensnehmers vor. Eine im Vordringen befindliche Ansicht verlangt für § 489 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu Recht einen Konsens über die Zinsanpassung52. Dafür spricht schon der Wortlaut dieser Norm: Die einseitige Neufestsetzung der Zinshöhe lässt sich nicht als „Vereinbarung über den Zinssatz“ deuten, auch wenn sich der Darlehensgeber eine Befugnis hierzu in allgemeinen Geschäftsbedingungen einräumen lässt. Dass bei der grammatikalischen Auslegung mit besonderer Strenge vorzugehen ist, belegt § 489 Abs. 4 Satz 1 BGB, der jede Erschwerung des Kündigungsrechts untersagt. Endlich spricht auch das telos dieser Norm für die Mindermeinung: Mit § 489 Abs. 1 Nr. 1 BGB wollte der Gesetzgeber Waffengleichheit zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer herstellen, insbesondere dem Darlehensnehmer ein Druckmittel an die Hand geben, bei sinkenden Zinssätzen auf eine Anpassung des von ihm geschuldeten Zinssatzes zu drängen. Dieses Anliegen ist naturgemäß besser verwirklicht, wenn sich der Darlehensnehmer während der gesamten Zinsbindungsperiode von dem Darlehensvertrag lösen kann. So lässt sich festhalten: dem Darlehensnehmer steht bei einer Zinsanpassung ein zwingendes ordentliches Kündigungsrecht zu53. Sieht er im Lichte der neu festgesetzten Zinshöhe attraktivere Finanzierungsmöglichkeiten, darf er diese ergreifen. Damit ist abschließend die Frage aufgeworfen, ob dieses Kündigungsrecht bereits hinreichende Bedingung für eine Zinsanpassungsklausel ist. Lässt sich mit anderen Worten, wie dies in einigen frühen Gerichtsentscheidungen an-
__________ 51 Bruchner in Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 4), § 79 Rz. 8; Döll, Bank 1987, 39, 42; v. Heymann, BB 1987, 415, 418; Rohe in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 489 BGB Rz. 9; v. Rottenburg, WM 1987, 1, 3; Thessinga in Ebenroth/Boujong/Joost, Bankrecht, 2001, IV Rz. 130. 52 Berger in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 489 BGB Rz. 12; Hopt/Mülbert, WM 1990, Sonderbeil. Nr. 3, 1, 6. 53 Rösler/Lang, ZIP 2006, 214, 220.
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klingt54, sagen, solange der Vertragspartner des Verwenders sich nur von der für ihn ungünstig gewordenen Vereinbarung lösen kann, sei im Wesentlichen jede Preisanpassungsklausel zulässig? Gegen die Qualifikation des Kündigungsrechts als hinreichende Bedingung für die inhaltliche Zulässigkeit einer Zinsanpassungsklausel sprechen gleich mehrere Gründe. Erstens werden hierbei die ganz erheblichen Transaktionskosten einer Kündigung für den Darlehensnehmer außer Betracht gelassen. Dieser muss nicht nur die Suchkosten für einen Ersatzkredit, sondern auch die Umschuldungskosten aufwenden. Zweitens stellt der Verweis auf die Kündigungsmöglichkeit den Kreditnehmer häufig schlechter als ein Vorgehen nach § 315 Abs. 3 BGB. Letzteres birgt immerhin die Möglichkeit einer Fortführung des Vertrages zu angemessenen Konditionen. Drittens ist die exit option kein sinnvolles Surrogat für eine transparente Klauselgestaltung. Lässt sich für den Darlehensnehmer nicht deutlich nachvollziehen, warum eine Zinsanpassung stattgefunden hat, wird die Beurteilung der ihm verbleibenden Finanzierungsalternativen ganz erheblich erschwert55. Die uneingeschränkte Gewähr eines ordentlichen Kündigungsrechts des Darlehensnehmers ist deshalb keine hinreichende Bedingung für die inhaltliche Zulässigkeit einer Zinsanpassungsklausel. Es handelt sich aber um eine notwendige Bedingung: In vorformulierten Vertragsbedingungen kann dieses Recht schon wegen § 489 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht abbedungen werden. Seine Ersetzung durch ein nur nach Maßgabe von AGB auszuübendes, gegenüber den gesetzlichen Vorgaben ungünstigeres Kündigungsrecht ist ebenfalls unzulässig. Damit tritt für die wirksame Formulierung einer Zinsänderungsklausel neben das Gebot der Anpassungssymmetrie und neben das Transparenzgebot noch die Notwendigkeit, dem Darlehensnehmer sein gesetzliches Kündigungsrecht uneingeschränkt zu erhalten.
__________ 54 BGH, BGHZ 97, 212, 220; BGH, DB 1977, 1595; zum allgemeinen Preisanpassungsrecht des Verwenders: BGH, BGHZ 93, 252, 256; BGH, BGHZ 93, 29, 34 ff.; BGH, BGHZ 89, 206, 210 ff.; BGH, BGHZ 82, 21, 25 f. 55 So auch Lischek (Fn. 1), S. 266 ff.
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Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Umgehungsverbot im Verbrauchsgüterkaufrecht bei Agentur- und Strohmanngeschäften Inhaltsübersicht I. Die Einschränkung der Privatautonomie im Verbrauchsgüterkaufrecht II. Das Umgehungsverbot des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB 1. Voraussetzungen des Umgehungstatbestandes a) Geschäftsvermeidung b) Einfluss auf die Preisgestaltung c) Tatbestandsvermeidung bzw. Tatbestandserschleichung 2. Agentur- und Strohmanngeschäfte als Umgehungsgeschäfte a) Agenturgeschäfte
b) Strohmanngeschäfte 3. Rechtsfolgen von Umgehungsgeschäften a) Fiktion eines Vertrags zwischen Unternehmer und Verbraucher? b) Lediglich Anwendung von § 475 Abs. 1 BGB im Verhältnis der ursprünglichen Vertragsparteien III. Ergebnis
I. Die Einschränkung der Privatautonomie im Verbrauchsgüterkaufrecht Das am 1.1.2002 in Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Kraft getretene Verbrauchsgüterkaufrecht wird charakteristisch geprägt von dem weitgehenden Verbot eines vertraglichen Gewährleistungsausschlusses im Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Spielraum für vertragliche Modifikationen der gesetzlichen Gewährleistungsfristen bleibt in Bezug auf die nicht vom Vertretenmüssen abhängigen Mängelrechte des Käufers lediglich im Bereich der Verjährung beim Verkauf gebrauchter Sachen. § 475 Abs. 2 BGB gestattet hier eine Verkürzung der Verjährung auf 1 Jahr. Aus § 475 Abs. 3 BGB ergibt sich weiter, dass in Bezug auf Schadensersatzansprüche über die allgemeinen, insbesondere die AGB-rechtlichen Grenzen hinaus keine spezifische Einschränkungen gelten. Angesichts dieser massiven Einschränkung der Privatautonomie verwundert es nicht, dass die Praxis sofort Wege gesucht hat, den Anwendungsbereich von § 475 BGB zu umgehen. Der Jubilar, seit jeher ein Großmeister des Kaufrechts, der auch das neue Kaufrecht als Mitglied der im Dezember 2000 vom Bundesjustizministerium eingesetzten Kommission zur Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts entscheidend mitgeprägt hat, hat hierauf frühzeitig hingewiesen und zutreffend vorausgesehen, dass die Rigidität des Gesetzes zu Um415
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gehungsstrategien, insbesondere zu einer Wiederbelebung der früher aus umsatzsteuerrechtlichen Gründen praktizierten Agenturgeschäfte führen wird1. Einen ersten Angriffspunkt für solcherlei Umgehungsstrategien bietet dabei der subjektive Fehlerbegriff des § 434 BGB, denn zweifellos steht die Frage der Vertragsmäßigkeit der Kaufsache selbst auch im Verbrauchsgüterkaufrecht zur Disposition der Parteien, d. h. es verbleibt die Möglichkeit einer objektive Kriterien verdrängenden Beschaffenheitsvereinbarung im Rahmen des nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB primär relevanten subjektiven Fehlerbegriffs. Diesbezüglich hat der Jubilar vollkommen zutreffend bereits im Vorfeld des Gesetzes eine großzügige Handhabung durch die Rechtsprechung angemahnt2. Trotzdem ist im Falle einer Beschaffenheitsvereinbarung nicht ausschließlich auf deren Wortlaut, sondern auf den übereinstimmenden tatsächlichen Willen der Parteien abzustellen. Die bloße Bezeichnung eines Kraftfahrzeugs, das nach den übereinstimmenden Intentionen der Parteien zum Betrieb durch den Käufer vorgesehen ist, als „Bastlerfahrzeug“ oder gar „Metallschrott“ kann schon als bloße „falsa demonstratio“ nicht zum Ausschluss der Mängelhaftung führen. Insoweit bedarf es also gar nicht eines Rückgriffs auf das Umgehungsverbot des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB3. Auch der Begriff der „gebrauchten Sache“ i. S. v. § 475 Abs. 2 BGB steht nicht zur Disposition der Parteien, so dass eine objektive neue Sache nicht „als gebraucht“ verkauft werden kann4. Selbstverständlich liegt keine nach § 475 Abs. 1 BGB unzulässige nachteilige Vereinbarung zu Lasten des Verbrauchers vor, wenn der Unternehmer vor Vertragsschluss auf konkrete Mängel hinweist und damit einen gesetzlichen Haftungsausschluss nach § 442 Abs. 1 BGB herbeiführt5. Die entscheidende Grenze zwischen zulässigen Beschaffenheitsvereinbarungen bzw. haftungsausschließender Aufklärung und nach § 475 BGB unzulässiger Haftungsbeschränkung liegt dort, wo – durch welche rechtliche oder tatsächliche Konstruktion auch immer – der Käufer das Risiko eines nicht erkannten Mangels tragen soll6. Dieses dem Käufer – auch gegen entsprechenden Preisnachlass – zu übertragen,
__________ 1 H. P. Westermann, Kaufrecht im Wandel, in Schulze/Schulte-Nölke (Hsrg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 109, 120. 2 H. P. Westermann (Fn. 1), S. 119. 3 Zutreffend etwa der Ansatzpunkt von AG Zeven, ZGS 2003, 158, 160 („offensichtlich nicht ernst gemeint“); ebenso wohl auch Müller, NJW 2003, 1975, 1976. Zu den Auslegungskriterien s. S. Lorenz in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 475 BGB Rz. 8 m. w. N.; die Kritik von Faust in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2007, § 475 BGB Rz. 9, wonach der Rückgriff auf den falsa-demonstratio-Satz untauglich sei, weil sich eine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. v. § 434 Abs. 1 Satz 1 nicht auf den tatsächlichen, sondern auf den geschuldeten Sachzustand beziehe, übersieht, dass es bei dem vorgelagerten falsa-demonstratio-Ansatz ja gerade um die Frage geht, ob überhaupt eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt. Erst wenn eine solche zu bejahen ist, ist sie an § 475 Abs. 1 BGB zu messen. 4 S. dazu nur BGH, NJW 2007, 674 bei Rz. 33 (für BGHZ vorgesehen); S. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 474 BGB Rz. 15 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 5 S. etwa OLG Oldenburg, ZGS 2004, 75, 76. 6 Zu den Einzelheiten s. nur S. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 475 BGB Rz. 9 m. w. N.
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Verstoß gegen das Umgehungsverbot im Verbrauchsgüterkaufrecht
schließt § 475 Abs. 1 BGB in Bezug auf die ihm unabhängig vom Vertretenmüssen des Verkäufers zustehenden Rechtsbehelfe aus. Dass durch diesen massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit dem Verbraucher zugleich die Möglichkeit sinnvoller und gewinnbringender Risikogeschäfte genommen wird7, ist rechtspolitisch falsch, aber hinzunehmen, sofern man nicht die (berechtigte) Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 475 BGB sowie der Primärrechtskonformität der hierdurch umgesetzten Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie stellt8. Festzuhalten ist, dass ein Ausschluss der Gewährleistung nach Art der berühmten Klausel „gebraucht, wie besichtigt und unter Ausschluss jeder Gewährleistung“, den der BGH in seiner Rechtsprechung zum früheren Kaufrecht auch in AGB für zulässig erachtet hat9 und der im Gebrauchtwagenhandel nachgerade als ein „Gebot der Vernunft“ betrachtet wurde, durch einen Federstrich erst des Richtliniengebers und dann des Gesetzgebers zur Makulatur geworden ist. Von praktischer Bedeutung ist dies, wie die Rechtsprechung belegt, insbesondere im Gebrauchtwagenhandel10, zunehmend aber auch beim Tierkauf11.
II. Das Umgehungsverbot des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB sichert diese rigide Regelung, deren verfassungsrechtliche, primärrechtliche sowie rechtspolitische Rechtfertigung nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags sein soll, durch ein Umgehungsverbot ab. Danach finden die in § 475 Abs. 1 Satz 1 genannten Vorschriften, d. h. die dort zum zwingenden Recht erhobenen Gewährleistungsregelungen des Kaufrechts auch dann Anwendung, „wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden“. Nach einer gebräuchlichen Formulierung der Rechtsprechung liegt eine Gesetzesumgehung vor, „wenn die Gestaltung eines Rechtsgeschäfts objektiv den Zweck hat, den Eintritt einer Rechtsfolge zu verhindern, die das Gesetz für derartige Geschäfte vorsieht“12. Eine Umgehungsabsicht ist dabei nicht erforderlich. Im Fall des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB ist danach eine Umgehung anzunehmen, „wenn die gewählte Gestaltung dazu dient, die Anwendung der in Satz 1 aufgeführten Vorschriften entgegen dem damit bezweckten Verbraucherschutz auszuschließen oder einzuschränken“13.
__________ 7 S. dazu nur das Beispiel von Canaris, AcP 200 (2000), 273, 362. 8 S. dazu nur Canaris, AcP 200 (2000), 273, 362, der Art. 7 Abs. 1 VerbrGK-Rl. mit dem primären Gemeinschaftsrecht für unvereinbar erachtet. 9 BGHZ 74, 383. 10 S. BGH, NJW 2005, 1039; BGH v. 22.11.2006 – VIII ZR 72/06 (für BGHZ vorgesehen). Für einen Überblick über die spezifischen Probleme der Leistungsstörungen beim Autokaufs s. zuletzt S. Lorenz, DAR 2006, 611 ff. m. w. N. 11 S. BGH, NJW 2007, 674. 12 So BGH, NJW 2006, 1066, 1067 m. w. N. 13 BGH, NJW 2006, 1066, 1067 m. w. N.
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1. Voraussetzungen des Umgehungstatbestandes a) Geschäftsvermeidung Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Markt auf gesetzliche Beschränkungen der Privatautonomie reagiert und solche Reaktionen in einem freiheitlichen Wirtschaftssystem nur in sehr engen Grenzen vermieden werden können. So kann trotz der (nicht nur) für die Verbraucherschutzgesetzgebung typischen Umgehungsverbote des BGB (s. etwa neben § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB auch §§ 306a, 312f Satz 2, 478 Abs. 4 Satz 3; §§ 487 Satz 2, 506 Satz 2, 655e Abs. 1 Satz 2 BGB) von einer „Umgehung“ dann nicht die Rede sein, wenn etwa bestimmte Rechtsgeschäfte schlicht nicht mehr abgeschlossen werden. Diese bloße sog. Geschäftsvermeidung stellt kein Umgehungsgeschäft dar. Gehen etwa Gebrauchtwagenhändler dazu über, nur noch Geschäftswagen an Unternehmer zu veräußern, weil ihnen dort mangels Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs der §§ 474 ff. BGB noch die Möglichkeit einer Beschränkung oder eines Ausschlusses der Gewährleistung verbleibt, so kann die Tatsache, dass mit einem Verbraucher schlicht nicht kontrahiert wird, keinesfalls einen Umgehungstatbestand darstellen. Dies auch dann nicht, wenn ein Verbraucher sich aus diesem Grund als Unternehmer ausgibt und mit dem Verkäufer ein nur vermeintliches Geschäft zwischen Unternehmern („B2B“) abschließt. Zwar sind nach zutreffender Auffassung der Unternehmer- und Verbraucherbegriff objektiv zu bestimmen, jedoch ist dem sich als Unternehmer gerierenden Verbraucher in diesem Fall die Berufung auf § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB nach § 242 BGB verwehrt14. Ein Fall zulässiger Geschäftsvermeidung liegt aber nicht nur dann vor, wenn jedweder Geschäftsabschluss schlicht unterlassen wird, sondern auch dann, wenn an Stelle des unterlassenen Geschäfts ein anderer, nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufrechts fallender Vertragstypus gewählt wird. Das gilt selbst dann, wenn er ein ähnliches wirtschaftliches Interesse des Verbrauchers befriedigt, wie ein Kaufvertrag. So stellt der Abschluss eines Finanzierungsleasingvertrages selbst dann kein Umgehungsgeschäft dar, wenn er eine „leasingtypische Abtretungskonstruktion“ enthält, bei welcher dem Leasingnehmer unter Ausschluss seiner mietvertraglichen Gewährleistungsansprüche die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche des Leasinggebers gegen den Verkäufer abgetreten werden. Auch handelt es sich um eine zulässige Geschäftsvermeidung15. Weder der Leasinggeber noch der
__________
14 BGH, NJW 2005, 1045; s. dazu insbes. Herresthal, JZ 2006, 695 ff., der zusätzlich das Bewusstsein verlangt, dass die Gegenseite das Geschäft ohne die Täuschung nicht oder zumindest zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte. 15 BGH, NJW 2006, 1066, 1067; zust. Faust in Bamberger/Roth (Fn. 3), § 475 BGB Rz. 6; krit. Stoffels, LMK 2006, 170499; unproblematisch ist hingegen das sog. „Eintrittsmodell“, bei welchem der spätere Leasingnehmer zunächst selbst den Kaufvertrag mit dem Unternehmer/Verkäufer abschließt. Ist der Leasingnehmer Verbraucher, liegt insoweit ein Verbrauchsgüterkauf vor. Gleiches gilt für den im Rahmen eines Options- bzw. Andienungsrechts am Ende der Leasingzeit zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber zustandegekommenen Kaufvertrag, s. dazu S. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 3), § 474 BGB Rz. 4.
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mit diesem und nicht mit dem Verbraucher kontrahierende Verkäufer ist verpflichtet, dem Leasingnehmer/Verbraucher die gleichen Rechte wie in Falle eines Verbrauchsgüterkaufs zu verschaffen16. Vollkommen zu recht hat der BGH betont, dass es die autonome Entscheidung des Verbrauchers ist, statt eines Abzahlungskaufes einen Finanzierungsleasingvertrag abzuschließen17. Dies ist auch mit den Vorgaben der VerbrGK-RL vereinbar18. Davon zu unterscheiden sind die mittelbaren leasingrechtlichen Folgen eines zulässigen Gewährleistungsausschlusses zwischen Leasinggeber als Käufer und dem Verkäufer für das Rechtsverhältnis zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer: Hat der Leasinggeber gegenüber dem Leasingnehmer die mietrechtliche Gewährleistung gegen Abtretung der dann nicht existenten Gewährleistungsansprüche ausgeschlossen, so ist dieser Ausschluss nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Besonders wichtige und begrüßenswerte Folge der Ansicht des BGH ist die volle Wahrung der Privatautonomie im Verhältnis zwischen dem Leasinggeber als Käufer und dem Verkäufer. Würde man nämlich hier etwa dem Leasingnehmer/Verbraucher vertragliche Ansprüche gegen den Verkäufer geben, würde das rein unternehmerische Rechtsverhältnis zwischen Leasinggeber und Fahrzeugverkäufer aufgestört. Dieses hätte weitreichende Fernwirkungen auf die Privatautonomie im Verhältnis von Unternehmern untereinander. b) Einfluss auf die Preisgestaltung Kein Ansatzpunkt für das Umgehungsverbot bietet sich auch dann, wenn der Unternehmer die ihm durch die gesetzlichen Regelungen entstehenden Kosten auf den Verbraucher „umlegt“, indem er etwa höhere Preise verlangt19. Es handelt sich dabei um eine natürliche Reaktion des Marktes, die ein ökonomisch denkender Gesetzgeber in seine rechtspolitischen Erwägungen mit einzubeziehen hat. c) Tatbestandsvermeidung bzw. Tatbestandserschleichung Ein Umgehungsgeschäft kann damit im Bereich der §§ 474 ff. BGB nur in den als Tatbestandsvermeidung20 beschriebenen Fällen in Betracht kommen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass der geschlossene Vertrag wirtschaftlich bei beiden Vertragsparteien denselben Zweck erfüllt wie ein Verbrauchsgüter-
__________ 16 So aber Graf v. Westphalen, ZIP 2006, 1653, 1661; ders., DAR 2006, 620, 627. 17 BGH, NJW 2006, 1066, 1067 Rz. 14; ebenso bereits Arnold in Dauner-Lieb/Konzen/ Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2002, S. 589, 603. 18 A. A. Graf v. Westphalen, ZGS 2002, 212 f.; ders., ZIP 2006, 1653, 1661; zweifelnd Stoffels, LMK 2006, 170499. 19 Ein Paradebeispiel dafür ist etwa die Praxis insbesondere des Internet-Versandhandels, in Reaktion auf den Ausschluss von § 447 durch § 474 Abs. 2 BGB zunehmend nur noch gegen Erstattung der Kosten eines versicherten Versandes zu verkaufen. 20 Zur Terminologie s. Teichmann, Die Gesetzesumgehung, 1962, S. 50.
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kauf21, der sachliche oder persönliche Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufrechts aber durch abweichende tatsächliche oder rechtliche Gestaltungen umgangen wird. Im Übrigen bleibt für das Umgehungsverbot im Bereich des Verbrauchsgüterkaufrechts angesichts der Anforderungen an Beschaffenheitsvereinbarungen, des objektiven Charakters der Merkmale für den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich der §§ 474 ff. sowie angesichts der persönlichen Reichweite des Verbots abweichender Vereinbarungen nur wenig Raum. Das Umgehungsverbot ist hier weitgehend deklaratorischer Natur und allenfalls Leitlinie für eine teleologische Auslegung der jeweiligen Tatbestände22. Auch die sog. „Tatbestandserschleichung“23, die dann in Betracht kommt, wenn bestimmte Tatsachen allein oder vorwiegend zu dem Zweck geschaffen werden, einen Ausnahmetatbestand zu erfüllen, spielt im Verbrauchsgüterkaufrecht angesichts des objektiven, der Parteidisposition entzogenen Begriffs der „gebrauchten“ Sache zumindest keine wichtige Rolle. Keine Tatbestandserschleichung liegt in dem bewussten Ausnutzen von Ausnahmetatbeständen. Wenn (etwa für Verwertungsverkäufe aus einer Insolvenzmasse) für gebrauchte Gegenstände bewusst der Weg einer öffentlichen Versteigerung gewählt wird, um nach § 474 Abs. 1 Satz 2 die Anwendbarkeit der §§ 474 ff. zu vermeiden, liegt darin kein Umgehungsgeschäft i. S. v. § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB. 2. Agentur- und Strohmanngeschäfte als Umgehungsgeschäfte Die Agentur- und Strohmanngeschäfte sind gekennzeichnet durch eine Manipulation im persönlichen Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufrechts. Mit dem Ziel, das Verbot des Gewährleistungsausschlusses in § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB zu vermeiden, tritt der Unternehmer nicht selbst als Verkäufer auf, sondern „schaltet“ einen Verbraucher als Verkäufer dazwischen. a) Agenturgeschäfte Die Agenturfälle sind bekanntlich dadurch gekennzeichnet, dass der Unternehmer – meist ein Neuwagenverkäufer – den Altwagen seines Käufers nicht mehr im Rahmen einer Ersetzungsbefugnis an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) „in Zahlung nimmt“ und anschließend im eigenen Namen weiterveräußert, sondern den Weiterverkauf in offener Stellvertretung im Namen des Neuwagenkäufers tätigt. Der so mit einem Verbraucher als Altfahrzeugkäufer zustande gekommene Vertrag fällt, weil die Vertragsparteien auf beiden Seiten Verbraucher sind, nicht in den Anwendungsbereich der §§ 474 ff. BGB mit der
__________ 21 Hierin liegt der entscheidende Grund, im Leasingfall BGH, NJW 2006, 1066 kein Umgehungsgeschäft anzunehmen: Der Abschluss des Leasingvertrages mag auf Seiten des Verbrauchers die wirtschaftliche Funktion eines Abzahlungskaufes erfüllen, nicht jedoch auf der Seite des Leasinggebers. 22 So tendenziell auch Müller, NJW 2003, 1975, der die Regelung freilich zu Unrecht als „überflüssig“ bezeichnet. 23 Teichmann (Fn. 20), S. 48.
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Verstoß gegen das Umgehungsverbot im Verbrauchsgüterkaufrecht
Folge, dass ein Gewährleistungsausschluss in den allgemeinen Grenzen möglich ist. Ein Umgehungsgeschäft kann hierin im Grundsatz schon deshalb nicht liegen, weil die (negative) Vertragsfreiheit es dem Unternehmer auch gestatten würde, auf die Inzahlungnahme ganz zu verzichten und den Erwerber des Neufahrzeugs darauf zu verweisen, sein Altfahrzeug anderweitig selbst zu veräußern24. Im Ausgangspunkt liegt also keine Tatbestandsvermeidung, sondern eine zulässige Geschäftsvermeidung vor. Transparenzerwägungen zum Schutze des Verbrauchers sind insoweit nicht angebracht, sondern werden stellvertretungsrechtlich abgefangen25: Bringt der Unternehmer beim Weiterverkauf des Altfahrzeugs nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, im Namen eines Verbrauchers zu handeln, ist er bereits nach § 164 Abs. 2 BGB selbst verpflichtet, so dass der persönliche Anwendungsbereich der §§ 474 ff. BGB ohnehin eröffnet ist26. Ein Umgehungsgeschäft kommt aber dann in Betracht, wenn der Unternehmer (im Beispielsfall also der Neuwagenverkäufer) in wirtschaftlicher Hinsicht Nutzen und Risiken aus dem Vertrag trägt. Das wiederum kann dann der Fall sein, wenn er mit dem eigentlichen Verkäufer, d. h. dem Neuwagenkäufer, einen bestimmten festen Anrechnungswert für die „Inzahlunggabe“ vereinbart hat, der vom tatsächlich mit dem Weiterverkauf erzielten Erlös unabhängig ist27. b) Strohmanngeschäfte Gleiche Maßstäbe sind in den Strohmanngeschäften anzulegen28. In diesen Fällen tritt ein Verbraucher als Verkäufer in lediglich mittelbarer Stellvertretung eines Unternehmers auf. Dies gestattet es ihm gegenüber einem Verbraucher als Käufer, frei von den engen Grenzen des § 475 BGB die Gewährleistung vertraglich zu beschränken. Trägt in einer solchen Treuhandkonstruktion der Hintermann wirtschaftlich Nutzen und Risiken des Vertrages, kann wie im Fall des Agenturgeschäfts ein Umgehungsgeschäft zu bejahen sein29. Vorweg ist freilich zu prüfen, ob nicht der Verkäufer selbst bei einer solchen Konstruktion bereits seiner – objektiv zu bestimmenden! – Rolle als Verbraucher (§ 13
__________ 24 Anders Schlechtriem, Schuldrecht BT, 6. Aufl. 2003, Rz. 98, der in der Agenturlösung wohl generell eine unzulässige „anderweitige Gestaltung“ sieht; ebenso Hofmann, JuS 2005, 8, 10. 25 Dies übersieht Müller, NJW 2003, 1975, 1979. 26 S. auch Katzenmeier, NJW 2004, 2632, 2633, der zutreffend betont, dass eine über die Anforderungen des Vertretungsrechts hinausgehende Transparenz, etwa in Form besonderer Hinweis- oder Belehrungspflichten, auch unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes nicht zu fordern ist. 27 So BGH, NJW 2005, 1039 ff. m. w. N.; zur Gegenansicht (generell kein Umgehungscharakter) s. etwa Berger in Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 475 BGB Rz. 6; Ziegler/ Rieder, ZIP 2001, 1789, 1797; Grunewald in Erman, BGB, 11. Auf. 2004, § 475 BGB Rz. 7; Maultzsch, ZGS 2005, 175, die aber eine Eigenhaftung des Unternehmers aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) in Betracht ziehen. 28 BGH, NJW 2007, 759 Rz. 16. 29 S. neben BGH, NJW 2007, 759 Rz. 16 etwa OLG Saarbrücken, MDR 2006, 383 f.; OLG Celle, BeckRS 2006, 14333.
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BGB) entwachsen und zum Unternehmer i. S. v. § 14 BGB mutiert ist. Es ist, wenngleich keineswegs zwingend, jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass die Tätigkeit des vorgeblichen „Verbrauchers“ tatsächlich bereits „in Ausübung einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit“ erfolgt. 3. Rechtsfolgen von Umgehungsgeschäften Da bei der Umgehung in Form der Tatbestandsvermeidung bestehende Schutzvorschriften ausgeschlossen werden sollen, wird das Umgehungsverbot hier durch eine analoge Anwendung der umgangenen Norm realisiert30. Wenn, um die Worte des BGH zu benutzen, im Fall des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Umgehung anzunehmen ist, „wenn die gewählte Gestaltung dazu dient, die Anwendung der in Satz 1 aufgeführten Vorschriften entgegen dem damit bezweckten Verbraucherschutz auszuschließen oder einzuschränken“, kann dies auf der Rechtsfolgenebene nur bedeuten, dass die in Satz 1 aufgeführten Vorschriften trotz des Gewährleistungsausschlusses anwendbar bleiben, letzterer also wirkungslos ist. a) Fiktion eines Vertrags zwischen Unternehmer und Verbraucher? Die ganz h. M. in der Literatur, der sich jüngst auch der BGH angeschlossen hat, geht als Folge eines solchen Umgehungsgeschäftes von einer direkten vertraglichen Beziehung zwischen dem „wirtschaftlichen“ Vertragspartner und dem Verbraucher aus, was dann dazu führt, dass der vertraglich vereinbarte Gewährleistungsausschluss an § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB scheitert31. Hierbei wird als Gegenstand der Umgehung offenbar der persönliche Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufrechts in § 474 Abs. 1 BGB angesehen. Abstrus wäre es freilich, das Zustandekommen eines Vertrages zwischen dem „Hintermann“ und dem Verbraucher mit § 117 BGB zu begründen32, weil dies auf beiden Seiten eine Scheinabrede voraussetzen würde. Teilweise wird neben der Fiktion eines Vertrages zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher/Käufer noch von einem fortbestehenden Vertrag zwischen dem Verbraucher/Verkäufer und dem Verbraucher/Käufer ausgegangen, in dessen Rah-
__________ 30 S. Teichmann (Fn. 20), S. 64, 78 ff. 31 BGH, NJW 2007, 759 Rz. 16; ebenso bereits OLG Saarbrücken, MDR 2006, 383 f.; OLG Celle, BeckRS 2006, 14333; BGH, NJW 2005, 1039, 1040 (obiter); aus der Lit. s. etwa Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl. 2005, Rz. 1140; Müller, NJW 2003, 1975, 1980; Matusche-Beckmann in Staudinger, BGB, Neubearb. 2004, § 475 BGB Rz. 47; Faust in Bamberger/Roth (Fn. 3), § 474 BGB Rz. 7; Himmelreich/Andreae/ Teigelack, AutoKaufRecht, 3. Aufl. 2007, Rz. 2884; Hofmann, JuS 2005, 8, 11, wohl auch Haas, Das neue Schuldrecht, 2002, Kap. 5 Rz. 455; s. aber auch dens., a. a. O. Rz. 521 (Anwendung der §§ 474 ff. BGB „in diesem Verhältnis zugunsten des Verbrauchers“). 32 So ansatzweise Müller, NJW 2003, 1975, 1980, offen gelassen von BGH, NJW 2007, 759 Rz. 16.
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men freilich ein Gewährleistungsausschluss nicht an die engen Grenzen des § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB gebunden sei33. b) Lediglich Anwendung von § 475 Abs. 1 BGB im Verhältnis der ursprünglichen Vertragsparteien Diese Lösung der ganz h. M. stößt teleologisch, praktisch, dogmatisch und rechtspolitisch auf größte Bedenken. Zunächst zum telos: Das Umgehungsverbot des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB soll den Verbraucher nicht vor bestimmten Vertragspartnern, sondern vor bestimmten Vertragsinhalten schützen. Andernfalls würde die Norm nämlich auch die bloße Geschäftsvermeidung betreffen, was mit Sicherheit nicht der Intention des Gesetzgebers entspricht. Zweck der Regelung von § 475 Abs. 1 BGB ist es, dass den Verbraucher die wirtschaftlichen Risiken der Mangelhaftigkeit der Sache nicht treffen sollen, wenn diese andernfalls ein Unternehmer zu tragen hätte, nicht aber soll durch die §§ 474 ff. BGB dem Verbraucher ein anderer oder weiterer Vertragsschuldner gegeben werden. Am deutlichsten wird dies, wenn man in der Konstellation eines Agentur- oder Strohmanngeschäfts, bei welchem der Unternehmer als „Hintermann“ wirtschaftlich Nutzen und Risiken des Vertrags trägt, ceteris paribus unterstellt, zwischen den Vertragsparteien sei gar kein Gewährleistungsausschluss vereinbart. Hier ergäbe sich weder Möglichkeit noch Notwendigkeit, einen Vertrag zwischen dem Hintermann und dem Verbraucher zu konstruieren, weil trotz der Tatsache, dass der Unternehmer „wirtschaftliche Vertragspartei“ ist, gar keine Umgehung der in § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB bezeichneten Vorschriften vorliegt. Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass der persönliche Anwendungsbereich der §§ 474 ff. BGB durch bloße Geschäftsvermeidung vermieden werden darf. Ein Verbraucher hat auch dann keinen Anspruch darauf, mit einem Unternehmer zu kontrahieren, wenn dieser mittelbar die wirtschaftlichen Risiken eines Vertrages trägt. Ist dies zutreffend, so muss Gleiches gelten, wenn, wiederum ceteris paribus, zwischen den Verbrauchern zwar ein Gewährleistungsausschluss vereinbart war, dieser aber aus einem anderen Grund als dem in § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltenen Verbot unwirksam ist34. Auch in einer solchen Konstellation hätte der Verbraucher bei Vorliegen eines Sachmangels Gewährleistungsansprüche gegen seinen Vertragspartner. Das Umgehungsverbot des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB böte dann wiederum weder Bedürfnis noch Handhabe, dem Käufer einen weiteren Vertragsschuldner zu verschaffen. Nichts rechtfertigte es überdies, ihn – u. U. ja auch zu seinem Nachteil und gegen seinen Willen – mit einem
__________ 33 Reinking/Eggert (Fn. 31), Rz. 1140. 34 Etwa wegen eines Verstoßes gegen § 309 Nr. 7a BGB, was in BGH, NJW 2007, 759 zumindest nahe lag, aber nicht geprüft wurde: Nach dem Tatbestand des Urteils enthielt der formularmäßige Gewährleistungsausschluss keinen nach § 309 Nr. 7 BGB notwendigen Vorbehalt. Es wäre hier also durchaus denkbar gewesen, dass wegen des Verbotes geltungserhaltender Reduktion Gewährleistungsansprüche zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien gegeben gewesen wären (s. zu diesem Problemkreis BGH, NJW 2007, 674).
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anderen Schuldner als demjenigen zu konfrontieren, mit dem er sich eingelassen hat. Hier zeigt sich ein weiteres, praktisches Problem der h. M.: Konsequenterweise wäre sie nämlich genötigt, zunächst im Verhältnis der Vertragsparteien ohne Rücksicht auf § 475 Abs. 1 BGB das Vorliegen eines Sachmangels sowie die Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses im Einzelfall mit u. U. erheblichem Beweisaufwand durchzuprüfen, um anschließend nach § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB zu einem Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher zu gelangen, in welchem der Gewährleistungsausschluss dann an § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB scheitert. Rechnet man hingegen – wie hier vertreten – als Folge der Umgehung lediglich dem Verbraucher/Verkäufer die Unternehmereigenschaft seines „Hintermannes“ mit der Folge zu, dass lediglich der zwischen den Parteien vereinbarte Gewährleistungsausschluss unwirksam ist, genügt in diesem Verhältnis bereits die Feststellung eines Verstoßes gegen § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB, ohne dass die Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses im Übrigen in rechtlicher und insbesondere tatsächlicher Hinsicht35 aufwändig untersucht werden müsste. Die Kritik an der h. M. wird weiter dogmatisch untermauert: Die h. M. übersieht, dass der durch das Strohmanngeschäft praktizierte „Austausch“ der Vertragspartner, nicht Gegenstand, sondern lediglich Mittel der Umgehung ist. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut von § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB, der ausschließlich auf § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB und nicht auf § 474 BGB Bezug nimmt. Umgangen wird nicht der persönliche Anwendungsbereich der §§ 474 ff. BGB, sondern das Verbot des Gewährleistungsausschlusses aus § 475 BGB36. Den Vertragsschuldner zu ersetzen, wäre überdies ein schwerwiegender Verstoß gegen den stellvertretungsrechtlichen Offenkundigkeitsgrundsatz und damit die Privatautonomie. Ein Schutzbedürfnis des mittelbaren Stellvertreters, der als Verbraucher in den Strohmannfällen nicht „als Unternehmer zu behandeln und den Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf zu unterwerfen“ sei37, ist demgegenüber nicht ersichtlich. Der in mittelbarer Stellvertretung handelnde Verkäufer/Verbraucher kann sich nämlich im Innenverhältnis an seinen Hintermann, d. h. den Unternehmer halten, der ihm nach § 670 BGB zum Ersatz der zur Gewährleistung getätigten Aufwendungen verpflichtet ist. Ihn vor dem damit verbundenen Prozess- und Insolvenzrisiko zu schützen, besteht kein Anlass: Auch Verbraucher haben rechtsgeschäftliche Selbstverantwortung, wenn sie sich als Strohmann zur Verfügung stellen.
__________ 35 Man denke etwa an eine mögliche Unwirksamkeit einer Gewährleistungsbegrenzung nach § 444 BGB und die dabei relevante, mit der arglistigen Täuschung gleichzustellende „Aussage ins Blaue“, in deren Zusammenhang sich die Notwendigkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme ergeben kann. 36 Unter diesem Gesichtspunkt ist es ebenso konsequent wie verräterisch, wenn Vertreter der h. M. die vorliegende Frage in der Kommentarliteratur im Zusammenhang mit § 474 BGB und nicht im Rahmen von § 475 BGB erörtern, wo es aber ausschließlich zu lokalisieren ist, s. etwa Faust in Bamberger/Roth (Fn. 3), § 474 BGB Rz. 7. 37 So BGH, NJW 2007, 759 bei Rz. 18.
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Damit kommt man zu den rechtspolitischen Konsequenzen der h. M.: Nimmt man den als „Strohmann“ agierenden Verbraucher/Verkäufer aus jeder eigenen Verantwortung gegenüber dem Käufer, kann er sich relativ gefahrlos einem Unternehmer als Strohmann zur Verfügung stellen. Dies ist zumindest nicht geeignet, derlei unseriösen Geschäftspraktiken effektiv entgegenzuwirken.
III. Ergebnis Entgegen der h. M. in Literatur und Rechtsprechung ist unter den besonderen Voraussetzungen eines Umgehungsgeschäftes i. S. v. § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB der vom Unternehmer als „Strohmann“ zwischengeschaltete oder im Rahmen eines Agenturgeschäftes vertretene Verbraucher/Verkäufer als (alleinige) Vertragspartei auf der Verkäuferseite anzusehen. Das in den Agenturfällen evidente Schutzbedürfnis des Verbrauchers vor mangelnder Transparenz der Stellvertretung selbst wird ausschließlich und ausreichend durch das Stellvertretungsrecht (§ 164 Abs. 2 BGB) gewährleistet. Dem Verkäufer/Verbraucher wird im Falle einer nach § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB verbotenen Umgehung von § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB lediglich die Unternehmereigenschaft des „wirtschaftlichen“ Vertragspartners zugerechnet. Das hat lediglich zur Folge, dass der Gewährleistungsausschluss nach § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber dem Käufer unwirksam ist, nicht aber wird der Unternehmer anstelle des Verkäufers oder neben diesem Vertragspartei. Die Manipulation des persönlichen Anwendungsbereichs des Verbrauchsgüterkaufrechts ist nämlich nicht Gegenstand des Umgehungsverbots, sondern lediglich Mittel zu einer Umgehung von § 475 Abs. 1 BGB. Da ein Verstoß gegen das Umgehungsverbot (nur) dazu führt, dass die umgangene Vorschrift trotz Vermeidung ihres Tatbestandes anwendbar bleibt, kann dies im Fall des § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB nur bedeuten, dass (lediglich) der vereinbarte Haftungsausschluss zwischen den ursprünglichen Parteien unwirksam ist. Wenn, um die zutreffenden Worte des BGH aufzugreifen, im Fall des § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Umgehung anzunehmen ist, „wenn die gewählte Gestaltung dazu dient, die Anwendung der in Satz 1 aufgeführten Vorschriften entgegen dem damit bezweckten Verbraucherschutz auszuschließen oder einzuschränken“, kann dies auf der Rechtsfolgenebene nur und ausschließlich bedeuten, dass die in Satz 1 aufgeführten Vorschriften des Gewährleistungsrechts trotz des Gewährleistungsausschlusses anwendbar bleiben, letzterer also wirkungslos ist. Dies allein wahrt die Relativität von Schuldverhältnissen sowie die Interessen der Parteien und ist dogmatisch herleitbar. Die h. M. führt hingegen in letzter Konsequenz zu einem der Umgehungsdogmatik fremden Geschäftsvermeidungsverbot.
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Die vorzeitige Darlehensrückforderung wegen Insolvenz des Darlehensgebers Inhaltsübersicht I. Einführung II. Kündigung aus wichtigem Grund? III. Anfechtungsmöglichkeiten nach §§ 129 ff. InsO 1. Kein genereller Anfechtungsausschluss durch § 108 Abs. 2 n. F. InsO
2. Anfechtungsgründe 3. Rechtsfolgen der Anfechtung a) Rückabwicklung b) Zinsnachbesserung via Anfechtung? IV. Schluss
I. Einführung In den ersten drei Auflagen des Münchener Kommentars zum BGB hat der Jubilar das Darlehensrecht bearbeitet, das damals noch in §§ 607 ff. BGB geregelt war. Diese Kommentierung gehört zu den wenigen Werken, in denen ausdrücklich auch der Fall thematisiert wird, dass nach Auszahlung der Valuta an den Darlehensnehmer über das Vermögen des Darlehensgebers (!) ein Insolvenzverfahren eröffnet wird: Ein solches Ereignis führe wegen der bereits vorher erfolgten Hingabe der Darlehenssumme weder zur Anwendung des § 17 KO (§ 103 InsO) noch zu einer analogen Anwendung des § 728 Abs. 2 BGB, sondern es „änder(e) an der Pflichtenlage nichts“1. Dieser Standpunkt ist umstritten. In der Sache geht es um die Frage, zu welchem Zeitpunkt ein bereits valutiertes Darlehen zurückgefordert werden kann, wenn der Darlehensgeber insolvent wird und er bzw. seine Gläubiger das Geld vor Ablauf der vertraglichen Darlehenslaufzeit benötigen. Für den Fall, dass über dem Vermögen des Darlehensgebers bereits ein Insolvenzverfahren schwebt (der Fall der Nichteröffnung mangels kostendeckender Masse2 bleibt im Folgenden außer Betracht), haben einige Autoren versucht, dem Insolvenzverwalter mit Hilfe des § 103 InsO (früher § 17 KO) ein Recht zur sofortigen Rückforderung selbst eines längerfristig gebundenen Darlehens zu verschaffen3. Vertreten wurde dies zudem nicht nur für das verzinsliche Darlehen (welches immerhin ein
__________ 1 Vgl. H. P. Westermann in MünchKomm.BGB, 3. Aufl. 1997, § 607 a. F. BGB Rz. 71. 2 Vgl. § 26 InsO. 3 So für verzinsliche Darlehen Stürner, Die Sicherung der Pfandbrief- und Obligationengläubiger vor einer Insolvenz der Hypothekenbank – Geltendes Recht und Reformvorschläge, 1999, S. 90 f. (mit einer Ausnahme für Hypothekenbankdarlehen); Stahmer, Verzinsliches Darlehen in der Insolvenz, 2002, S. 359 ff., 365 ff., 407; Lind, ZInsO 2004, 580, 582 f.
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gegenseitiger – aber auch ein beiderseits noch nicht vollständig erfüllter?4 – Vertrag i. S. des § 103 InsO ist), sondern im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch für das unverzinsliche Darlehen5. Hier wie dort handelte es sich um eine Fehlinterpretation des § 103 InsO, zu welcher der Verfasser dieser Zeilen im Zusammenhang mit einem sehr problematischen, weil als Lösung eine Erweiterung des § 108 InsO auf Darlehensverträge vorsehenden Gesetzgebungsvorschlag aus dem Bundesjustizministerium Stellung genommen hat6. Das Gesetzgebungsprojekt ließ sich zwar ein wenig beeinflussen (im Sinne einer Beschränkung der beabsichtigten Regelung auf die Insolvenz des Darlehensgebers), aber nicht insgesamt verhindern: Am 1.7.2007 trat als Art. 1 Nr. 17 lit. b des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens7 ein neuer § 108 Abs. 2 InsO in Kraft, der – unter anderem – dazu dienen soll, vorzeitigen Rückforderungswünschen des Insolvenzverwalters einen Riegel vorzuschieben. § 108 Abs. 2 n. F. InsO – der bisherige Abs. 2 wurde zu Abs. 3 – hat folgenden Wortlaut: Ein vom Schuldner als Darlehensgeber eingegangenes Darlehensverhältnis besteht mit Wirkung für die Masse fort, soweit dem Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde.
Durch die Fortbestehensanordnung will § 108 Abs. 2 n. F. InsO das Darlehensverhältnis, soweit die Darlehenssumme bereits ausgezahlt wurde, dem Anwendungsbereich des § 103 InsO und aller sich mit § 103 InsO verbindender Streitfragen entziehen8. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll der neue § 108 Abs. 2 InsO „im Falle der Insolvenz eines Kreditinstituts … den Vorteil (haben), dass durch den Insolvenzverwalter nicht zahlreiche Darlehensverträge beendet werden können“; andernfalls – so die Entwurfsbegründung – „wäre zu befürchten, dass einige Darlehensnehmer selbst in Zahlungsschwierigkeiten geraten, wenn sie nach der Beendigung nicht kurzfristig eine Umschuldung erreichen können“9. Geschickt lenken diese Formulierungen ab vom primären Zweck des § 108 Abs. 2 n. F. InsO, der darin besteht, eine vor Verfahrenseröffnung vorgenommene Abtretung von Darlehensrückzahlungsund Darlehenszinsansprüchen insolvenzfest zu machen10. Thema des vorliegenden Beitrags ist gleichwohl allein die sehr werbewirksame Behauptung der
__________ 4 Verneinend, da der Darlehensgeber die ihn selbst treffenden Verpflichtungen mit der Auszahlung der Darlehenssumme bereits vollständig erfüllt habe: H. P. Westermann (Fn. 1), § 607 a. F. BGB Rz. 70 f.; Fleckner, ZIP 2004, 585, 595 ff.; a. M. Stahmer (Fn. 3), S. 251 ff., 277, 359 ff., 405 f., 407 f.; Lind, ZInsO 2004, 580 ff. 5 Vgl. Tintelnot in Kübler/Prütting (Hrsg.), Komm. zur InsO, Loseblatt Stand Nov. 2006, § 103 InsO Rz. 19; ähnlich Berscheid in Uhlenbruck (Hrsg.), Komm. zur InsO, 11. Aufl. 2003, § 103 InsO Rz. 21; krit. Marotzke, ZInsO 2004, 1273, 1277 Fn. 53. 6 Marotzke, ZInsO 2004, 1273, 1276 ff. 7 BGBl. I 2007, 509. 8 Ausf. Marotzke, ZInsO 2004, 1273 ff. 9 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BT-Drucks. 16/3227, Einzelbegründung zu Art. 1 Nr. 17 lit. b (§ 108 Abs. 2 n. F. InsO), S. 19. Art. 1 Nr. 17 gehört zu den Vorschriften des Regierungsentwurfs, die am 1.7.2007 unverändert in Kraft gesetzt wurden. 10 Vgl. Marotzke, ZInsO 2004, 1273, 1278 ff.; ders., ZInsO 2006, 300, 302 f.
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Gesetzesverfasser, dass sich mit der neuen Regelung der „Vorteil“ verbinde, „dass durch den Insolvenzverwalter (eines insolventen Kreditinstituts) nicht zahlreiche Darlehensverträge beendet werden können“. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob und ggf. in welchem Maße § 108 Abs. 2 n. F. InsO den Kreditnehmer wirklich vor einer vorzeitigen Fälligstellung seiner Rückzahlungsverpflichtung durch den Insolvenzverwalter des Kreditgebers schützt. Setzt ein solcher Schutz voraus, dass der Darlehensgeber eine Bank ist, oder stehen z. B. Arbeitgeberdarlehen und Freundschaftsdarlehen „von Privat an Privat“ insoweit einem Bankdarlehen gleich11? Muss unterschieden werden zwischen einem verzinslichen und einem unverzinslichen Darlehen (bei dem es sich i. d. R. nicht um einen Bankkredit12, sondern eher um ein Arbeitgeberdarlehen oder um ein privates Freundschaftsdarlehen handeln wird)? Zumindest einige dieser Fragen sollen nun innerhalb des für einen Festschriftbeitrag zur Verfügung stehenden Raums der Lösung näher gebracht werden. Auszuscheiden sind vorab einige Argumentationsmuster, die durch § 108 Abs. 2 n. F. InsO obsolet geworden sind: Da § 108 Abs. 2 n. F. InsO den § 103 InsO unanwendbar machen soll13, kann ein Recht des Insolvenzverwalters, den Kredit vorzeitig zurückzuverlangen, künftig auch dann nicht mehr aus § 103 InsO hergeleitet werden, wenn man das bisher14 für einen gangbaren Weg hielt. Ebenfalls nach Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 n. F. BGB nicht mehr vertretbar ist für bereits valutierte Darlehen die zuvor von einigen Autoren15 befürwortete analoge Anwendung des § 728 Abs. 2 BGB. Denn die in der Konsequenz einer solchen Analogie liegende Rechtsfolge, dass das Darlehensverhältnis durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Darlehensgebers aufgelöst wird, ist unvereinbar mit der Fortbestehensanordnung des § 108 Abs. 2 n. F. InsO. Auch im Voraus abdingbar ist § 108 InsO nicht (§ 119 InsO). Wenn also überhaupt ein Recht zur vorzeitigen Darlehensrückforderung bestehen sollte, so kann dieses nach Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 n. F. InsO nicht mehr in § 103 InsO oder in § 728 Abs. 2 BGB oder in einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffenen besonderen Vereinbarung (§ 119 InsO)16, sondern nur noch in den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen über die
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11 Bereits während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens vor einer pauschalen Gleichbehandlung dieser Fälle warnend Marotzke, ZInsO 2006, 300, 302. 12 Eine diese Regel bestätigende Ausnahme ist der Fall BGH, ZIP 1988, 725 = NJW 1989, 1037; s. dazu unten III 3 b. 13 S. oben bei Fn. 8. 14 S. oben bei Fn. 3 ff. 15 Vgl. Jaeger, Komm. zur Konkursordnung, 6./7. Aufl. 1931, § 3 KO (§ 38 InsO) Rz. 16a (aber wohl nur für noch nicht valutierte Darlehen, für die § 108 Abs. 2 n. F. InsO nicht gilt); Karsten Schmidt, JZ 1976, 756, 759 f., 761 f.; H. P. Westermann (Fn. 1); abl. Hopt/Mülbert in Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1989, § 607 a. F. BGB Rz. 443 m. w. N. 16 Vgl. zu einer ähnlichen Problematik Marotzke im Heidelberger Komm. zur InsO (im Folgenden: HK-InsO), 4. Aufl. 2006, § 108 InsO Rz. 42.
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Kündigung aus wichtigem Grund sowie im Recht der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) gefunden werden. Damit ist der Gang der weiteren Untersuchung vorgezeichnet.
II. Kündigung aus wichtigem Grund? Gem. § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Dauerschuldverhältnis und folglich auch ein Darlehensverhältnis ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund besteht. Ein wichtiger Grund liegt gem. § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, „wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann“. In Bezug auf verzinsliche Bankdarlehen ist prinzipiell anerkannt, dass die Insolvenz der kreditgewährenden Bank kein wichtiger Grund in diesem Sinne ist, dass also weder die Bank noch ihr Insolvenzverwalter den bereits ausgereichten Kredit nach § 314 Abs. 1 BGB fristlos kündigen und das Geld vor Ablauf der vereinbarten Zeit zurückverlangen kann. Denn Umstände, die ausschließlich in den Gefahrenbereich des Kündigenden fallen, vermögen eine fristlose Kündigung nicht zu rechtfertigen; dies gilt auch für die eigene Insolvenz17. Auch auf den Gesichtspunkt des Fehlens oder späteren Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 3 BGB, lässt sich ein Kündigungsrecht der Bank beim normalverzinslichen Darlehen nicht gründen. Handelt es sich hingegen um ein zinsloses oder um ein niedrigstverzinsliches Darlehen, so könnte man möglicherweise an eine Anwendung des § 313 Abs. 3 BGB18, des § 314 BGB19 oder vielleicht sogar des Rechtsgedankens der §§ 528, 605 Nr. 1 BGB20 denken; dies gilt insbesondere für zinslose Gefälligkeitsdarlehen21 oder für zinslose Kredite, die ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern gewährt hat22. Allerdings unterscheidet der Wortlaut des § 108 Abs. 2 n. F. InsO nicht zwischen verzinslichen und unverzinslichen Krediten. Dieser Umstand legt es nahe, die Vorschrift nicht nur auf verzinsliche, sondern auch auf unverzinsliche Darlehen anzuwenden mit der Folge, dass auch die Letzteren in der Insolvenz des Darlehensgebers mit Wirkung für (und gegen)23 die Masse fortbestehen, soweit sie bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens valutiert wurden. Vor diesem Hintergrund liegt es nicht fern, den Satz, dass allein die Insolvenz des Darlehensgebers eine vorzeitige Kündigung nicht zu rechtferti-
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17 Vgl. statt aller Pannen, Krise und Insolvenz bei Kreditinstituten, 2. Aufl. 2006, S. 126 (in Bezug auf Giroverträge), 153 (in Bezug auf normale Bankkredite); weniger streng jedoch zu Recht ders., S. 143 beim unverzinslichen Darlehen. 18 Vgl. Hopt/Mülbert (Fn. 15). 19 Vgl. für zinslose Bankkredite Pannen (Fn. 17), S. 143. 20 Vgl. für zinslose Darlehen Lind, ZInsO 2004, 580, 584 f. 21 Vgl. für zinslose Darlehen Pannen (Fn. 17), S. 143. 22 Vgl. Lwowski in MünchKomm.InsO, 1. Aufl. 2001, § 35 InsO Rz. 393 (anscheinend auch für verzinsliche Arbeitgeberdarlehen). 23 Vgl. Marotzke, ZInsO 2004, 1273, 1275 ff.
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gen vermag, fortan auch auf zinslose Kredite anzuwenden. Der Verfasser dieser Zeilen hatte deshalb nachdrücklich vor der Inkraftsetzung eines auch unentgeltliche Kredite erfassenden § 108 Abs. 2 InsO gewarnt24 – leider mit dem überaus mageren Ergebnis, dass der Begriff „entgeltliches Darlehensverhältnis“ zwar in die Begründung25, nicht aber auch in den Text des neuen § 108 Abs. 2 InsO hineingeschrieben wurde. Das ist wenig konsequent und lässt der Fantasie des Interpreten breiten Raum.
III. Anfechtungsmöglichkeiten nach §§ 129 ff. InsO 1. Kein genereller Anfechtungsausschluss durch § 108 Abs. 2 n. F. InsO Ein probates Mittel, vor Eröffnung des Insolvenzverfahren vorgenommene und die Insolvenzgläubiger benachteiligende Rechtshandlungen rückgängig zu machen, steht dem Insolvenzverwalter in Gestalt der in §§ 129 ff. InsO geregelten Anfechtungsmöglichkeiten zur Verfügung. Als die Insolvenzgläubiger benachteiligende Rechtshandlungen kommen in der Insolvenz eines Darlehensgebers der vor Verfahrenseröffnung erfolgte Abschluss des Darlehensvertrages und die vor Verfahrenseröffnung erfolgte Auszahlung des Darlehens in Betracht. Das war vor Inkrafttreten des neuen § 108 Abs. 2 InsO allgemein anerkannt26. Nun sagt aber § 108 Abs. 2 n. F. InsO, ein vom Schuldner als Darlehensgeber eingegangenes Darlehensverhältnis bestehe mit Wirkung für die Masse fort, soweit dem Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde. Muss man diese Fortbestehensanordnung so interpretieren, dass mit ihr nicht nur die Anwendung des § 103 InsO, sondern auch eine Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO ausgeschlossen sein soll? Muss man den Hinweis in
__________ 24 Vgl. Marotzke, ZInsO 2004, 1273, 1276 ff., 1283; ders., ZInsO 2006, 300 ff. 25 Vgl. die Begründung zu Art. 1 Nr. 17 der vom Bundeskabinett am 28.6.2006 beschlossenen Fassung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens sowie die auf dieser Fassung beruhende BT-Drucks. 16/3227 (Fn. 9). Alle vorherigen Fassungen (z. B. die v. 8.2.2006) enthielten das Wort „entgeltliches“ nicht. 26 Vgl. statt aller BGH, ZIP 1988, 725 ff. = NJW 1989, 1037 f. (dazu unten III 3 b); Henckel in Jaeger, Komm. zur KO, 9. Aufl. 1997, § 29 KO (§ 129 InsO) Rz. 45, § 30 KO Rz. 106 (zu der auch im Zusammenhang mit §§ 132, 133 Abs. 2 Satz 1 InsO bedeutsamen Frage, wann eine Darlehensgewährung die übrigen Gläubiger „unmittelbar benachteiligt“), § 32 KO (§ 134 InsO) Rz. 26, 28; knappere Hinweise auch bei Kreft im HK-InsO (Fn. 16), § 129 InsO Rz. 37; Kirchhof in MünchKomm.InsO, 1. Aufl. 2002, § 129 InsO Rz. 11, 115, § 132 InsO Rz. 7; Zeuner in Smid (Hrsg.), InsO, 2. Aufl. 2001, § 132 InsO Rz. 15, § 133 InsO Rz. 15; Paulus in Kübler/Prütting (Fn. 5), § 129 InsO Rz. 33, § 132 InsO Rz. 13; Nerlich in Nerlich/Römermann (Hrsg.), InsO, Loseblatt Stand Dez. 2006, § 129 InsO Rz. 65, § 132 InsO Rz. 6; Weis in Hess/Weis/ Wienberg, InsO, 2. Aufl. 2001, § 129 InsO Rz. 7, § 132 InsO Rz. 24, 54; Dauernheim im Frankfurter Komm. zur InsO (im Folgenden: FK-InsO), 4. Aufl. 2006, § 129 InsO Rz. 34, 41, § 132 InsO Rz. 6; Hirte in Uhlenbruck (Hrsg.), Komm. zur InsO, 12. Aufl. 2003, § 132 InsO Rz. 2; Rogge im Hamburger Komm. zum Insolvenzrecht, 1. Aufl. 2006, § 129 InsO Rz. 76, § 132 InsO Rz. 4; Huber in Graf-Schlicker (Hrsg.), Komm. zur InsO, 1. Aufl. 2007, § 132 InsO Rz. 3.
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der Gesetzesbegründung, dass der Insolvenzverwalter das Darlehensverhältnis „nicht außerhalb der darlehensrechtlichen Kündigungsmöglichkeiten“ beenden könne27, wörtlich nehmen – was bei strenger Handhabung darauf hinausliefe, dass die §§ 129 ff. InsO nicht angewendet werden dürfen? Zumindest die zweite Frage ist zu verneinen. Denn die Behauptung, dass der Insolvenzverwalter das Darlehensverhältnis „nicht außerhalb der darlehensrechtlichen Kündigungsmöglichkeiten“ beenden könne, wird in der Gesetzesbegründung nicht als eine Konsequenz des § 108 Abs. 2 n. F. InsO, sondern als eine solche des § 103 InsO ausgewiesen28. Das ist zwar eine sehr eigenwillige Argumentation, wenn man bedenkt, dass § 108 Abs. 2 n. F. InsO innerhalb des eigenen Anwendungsbereichs den § 103 InsO unanwendbar machen soll. Sie zeigt aber immerhin, dass man mit der Schaffung des § 108 Abs. 2 n. F. InsO lediglich das bekräftigen wollte, was man eigentlich schon dem § 103 InsO entnehmen zu dürfen glaubte. Der Umstand, dass dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht aus § 103 InsO zusteht, schließt aber eine Anwendung der §§ 129 ff. InsO jedenfalls dann nicht29 aus, wenn sich der Insolvenzverwalter trotz § 103 Abs. 1 InsO gegen die weitere Erfüllung des Vertrages entscheidet, m.a.W. die Erfüllung i. S. des § 103 Abs. 2 S. 1 InsO „ablehnt“. Allerdings muss man den § 108 Abs. 2 n. F. InsO so nehmen, wie er (leider) ist. Auf dieser Basis kommt man beim bereits valutierten Darlehen nicht daran vorbei, dass § 108 Abs. 2 n. F. InsO dem Insolvenzverwalter das in § 103 Abs. 2 InsO erwähnte Recht der Erfüllungsablehnung entzieht30 und zwingend (§ 119 InsO) den Fortbestand des Darlehensverhältnisses mit Wirkung für – zu ergänzen: und gegen31 – die Masse anordnet. Dieser Umstand führt zu der grundsätzlichen Frage, ob eine Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO überhaupt zulässig sein kann, wenn der Vertragspartner (Darlehensnehmer) einen als Masseverbindlichkeit (§§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, 108 Abs. 2 n. F. InsO) zu erfüllenden Anspruch auf Beibehaltung32 des Zustands hat, den der Insolvenzverwalter im Wege der Anfechtung rückgängig machen will. Diese Frage ist ganz unabhängig von § 108 Abs. 2 n. F. InsO höchst umstritten. Im Schrifttum wird sie
__________ 27 S. o. I bei Fn. 9. 28 Vgl. Begr. a. a. O. (Fn. 9): „Bereits aus § 103 InsO ergibt sich, dass …“ 29 Vgl. Marotzke, Gegenseitige Verträge im neuen Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2001, Rz. 4.4, 4.107 (Fn. 263), 7.130 f. 30 S. o. bei Fn. 8. 31 Wie sonst sollte § 108 Abs. 2 n. F. InsO seine oben (Abschn. I zwischen Fn. 8 und 10) erwähnten beiden Zwecke erreichen können? Vgl. erg. Marotzke, ZInsO 2004, 1273, 1275 ff. 32 Ob die hier angesprochene „Kapitalbelassungspflicht“ des Darlehensgebers überhaupt existiert, ist umstritten. Bejaht wird die Frage von K. P. Berger in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 488 BGB Rz. 31; Weidenkaff in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 488 BGB Rz. 7, 10; Stahmer (Fn. 3), S. 255 f., 360; Lind, ZInsO 2004, 580 f.; dezidiert a. M. Fleckner, ZIP 2004, 585, 595 f.; die Frage offen lassend Marotzke, ZInsO 2004, 1273, 1277 bei Fn. 43–46.
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teils ohne nähere Begründung bejaht33, teils wird sie pauschal verneint oder die Antwort von der Art des Anfechtungsgrundes und den Umständen des Einzelfalles abhängig gemacht34. Speziell beim neuen § 108 Abs. 2 InsO besteht Raum für ein argumentatives Ausweichmanöver. Dieses kann die Besonderheit nutzen, dass § 108 Abs. 2 n. F. InsO ebenso wie der – allerdings nur für Miet- und Pachtverträge geltende – frühere § 21 Abs. 1 KO, aber abweichend von § 108 Abs. 1 InsO, auf Tatbestandsseite ein Vollzugselement aufweist. Nur „soweit dem Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde“, besteht ein vom Schuldner als Darlehensgeber eingegangenes Darlehensverhältnis mit allen geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsfolgen des neuen § 108 Abs. 2 InsO fort. Diese Gesetzesfassung lässt es denkmöglich erscheinen, durch eine auf §§ 129 ff. InsO gestützte Anfechtung, die sich – zumindest auch – gegen den Akt der „Zurverfügungstellung des geschuldeten Gegenstandes“ richtet, ein konstitutives Tatbestandsmerkmal des § 108 Abs. 2 n. F. InsO beiseite zu räumen und dadurch die (möglicherweise als anfechtungsfeindlich einzuordnende) Rechtsfolge der Vorschrift auszuschalten. Eine solche Argumentationsweise könnte sich auf Vorbilder berufen, die im Zusammenhang mit § 106 InsO und § 21 Abs. 1 KO bereits praktiziert oder im Schrifttum widerspruchslos präsentiert worden sind: Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO kann ein Gläubiger, dessen Anspruch auf Einräumung eines Rechts an einem Grundstück des Schuldners durch Eintragung einer Vormerkung gesichert ist, „für seinen Anspruch Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen“. Dieses durch die Vormerkung vermittelte Vorrecht rangiert sogar noch vor den Masseverbindlichkeiten35. Und dennoch ist allgemein anerkannt, dass der Gläubiger den Schutz des § 106 InsO verliert, wenn der Erwerb der Vormerkung gem. §§ 129 ff. InsO wirksam angefochten
__________ 33 So anscheinend Henckel (Fn. 26), § 29 KO (§ 129 InsO) Rz. 43 f. – in Bezug auf gem. §§ 21 Abs. 1, 59 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 KO (§§ 108 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO) als Masseverbindlichkeit zu erfüllende Mietverträge. Allerdings ist die Einordnung dieser Kommentarstelle insofern nicht ganz eindeutig, als § 21 Abs. 1 KO die Rechtsfolge, dass das Mietverhältnis „auch der Konkursmasse gegenüber wirksam“ ist, davon abhängig machte, dass der Gemeinschuldner das Vertragsobjekt bereits vor Verfahrenseröffnung an den Mieter „überlassen“ hatte (anders jetzt § 108 Abs. 1 InsO). Diese Besonderheit des damaligen Rechts erlaubt nämlich die Argumentation, dass eine Insolvenzanfechtung, die sich (zumindest auch) gegen den Überlassungsakt richtet, den § 21 Abs. 1 KO unanwendbar macht und damit dem Mieter auch den Status eines Massegläubigers entzieht. Vgl. dazu den folgenden Text. 34 Die Anfechtbarkeit pauschal verneinend Kreft (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 56 („mangels Gläubigerbenachteiligung nicht anfechtbar“); differenzierend hingegen Henckel (Fn. 26), § 30 KO (§§ 130 f. InsO) Rz. 38 (keine Anfechtung aus Gründen, die an die Stellung des Gegners als Insolvenzgläubiger anknüpfen); Marotzke (Fn. 29), Rz. 14.87, 14.93 (§ 133 InsO bleibe unberührt); BGHZ 165, 283 ff. = ZInsO 2006, 208 ff. = ZIP 2006, 431 ff. (nicht unmittelbar einschlägig, aber gleichwohl auch hier von Interesse). 35 Marotzke (Fn. 16), § 106 InsO Rz. 48.
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wird36 – das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters ist in diesem Punkt also stärker als § 106 InsO. Ähnlich verhielt es sich bei § 21 Abs. 1 KO, einem Vorläufer unseres heutigen § 108 Abs. 1 InsO. Unter der (von den Verfassern des § 108 Abs. 1 InsO absichtlich nicht ins neue Recht übernommenen) Voraussetzung, dass der Gemeinschuldner einen von ihm vermieteten oder verpachteten Gegenstand dem Mieter oder dem Pächter vor der Eröffnung des Verfahrens „überlassen“ hatte, erklärte § 21 Abs. 1 KO den Miet- oder Pachtvertrag für „auch der Konkursmasse gegenüber wirksam“. Und dennoch haben namhafte Kommentatoren für diese Fälle unwidersprochen die Auffassung vertreten, dass die mietoder pachtweise Überlassung von Grundstücken oder beweglichen Sachen – § 21 Abs. 1 KO machte, anders unser heutiger § 108 Abs. 1 InsO, keinen Unterschied zwischen Immobilien und Mobilien – der Anfechtung nach §§ 29 ff. KO unterliegen könne37. Das ist ebenfalls zutreffend und bildet gemeinsam mit der oben erwähnten Auslegung des § 106 InsO eine solide Grundlage für die Interpretation des wirkungsähnlichen § 108 Abs. 2 n. F. InsO. Ebensowenig wie § 106 InsO und der frühere § 21 Abs. 1 KO hat also auch § 108 Abs. 2 n. F. InsO die Kraft, im Rahmen seines Anwendungsbereichs eine auf §§ 129 ff. InsO gestützte Anfechtung des Vertragsschlusses und bereits erfolgter Vollzugsakte (hier: der Auszahlung der Darlehenssumme) in allen denkbaren Fällen auszuschließen. 2. Anfechtungsgründe Hatte der jetzt insolvente Schuldner vor Verfahrenseröffnung ein unentgeltliches oder ein unangemessen niedrig verzinsliches Darlehen gewährt, so kommen als Anfechtungsgründe vor allem § 132 InsO (Anfechtung unmittelbar nachteiliger Rechtshandlungen) und § 134 InsO (Anfechtung unentgeltlicher Leistungen) in Betracht. Das war schon bisher allgemein anerkannt38 und hat sich mit Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 n. F. InsO nicht geändert39. Der Abschluss eines Vertrages, durch den sich der Schuldner verpflichtet, dem Vertragspartner eine Geldsumme unentgeltlich oder gegen ein marktunüblich niedriges Entgelt als Darlehen zu überlassen, ist zweifellos „ein Rechtsgeschäft des Schuldners, das die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt“
__________ 36 Vgl. Dorothea Assmann, Die Vormerkung (§ 883 BGB), 1998, S. 258 ff.; Marotzke (Fn. 16), § 106 InsO Rz. 4; Kreft (Fn. 26), § 134 InsO Rz. 13; Ahrendt in Hamburger Komm. zum Insolvenzrecht (Fn. 26), § 106 InsO Rz. 18 – jeweils m. w. N. 37 Henckel (Fn. 26), § 29 KO (§ 129 InsO) Rz. 43 f.; Karsten Schmidt in Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 30 KO Anm. 3; vgl. für das neue Recht Hirte (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 66, § 132 InsO Rz. 2. 38 Vgl. die in Fn. 26 Genannten. 39 S. o. III 1 a. E.
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(§ 132 Abs. 1 InsO)40. Damit ist nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung nicht nur beim „zu niedrig verzinslichen“, sondern auch beim „unentgeltlichen“ Darlehen der Anwendungsbereich des § 132 InsO eröffnet41. Folgt man dem (überzeugender wäre beim unentgeltlichen Darlehen ein unmittelbarer Zugriff auf den in jeder Hinsicht vorteilhafteren § 134 InsO42), so sind nicht nur beim zu niedrig verzinslichen, sondern auch beim unentgeltlichen Darlehen zunächst die Anfechtungsvoraussetzungen des § 132 InsO zu prüfen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist ein Rechtsgeschäft des Schuldners, das die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt (hier also der Abschluss des Darlehensvertrages43), anfechtbar, „1. wenn es in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit des Rechtsgeschäfts der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der andere Teil [der Darlehensnehmer] zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder 2. wenn es nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der andere Teil [der Darlehensnehmer] zur Zeit des Rechtsgeschäfts die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.“
Ergänzend schreibt § 132 Abs. 3 InsO für diese Fälle eine entsprechende Anwendung der sich auf die subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen beziehenden Beweiserleichterungen des § 130 Abs. 2 und 3 InsO vor. Solche Beweiserleichterungen ändern jedoch nichts daran, dass ein Darlehensvertrag, der früher als drei Monate vor dem Insolvenzeröffnungsantrag geschlossen wurde, auf keinen Fall von § 132 InsO erfasst wird. Nur dann, wenn wenigstens die Auszahlung der Darlehenssumme während der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag oder sogar erst nach diesem Antrag erfolgte, besteht in derartigen Fällen Hoffnung auf eine Anwendung des § 132 InsO. Denn im Unterschied zur Überlassung einer vermieteten oder verliehenen Sache an den Mieter bzw. Entleiher44 ist die Zurverfügungstellung einer Darlehenssumme kein
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40 Eine „unmittelbare“ Gläubigerbenachteiligung bejahend auch BGH, NJW 1989, 1037, 1038 (ad III) = ZIP 1988, 725, 726 (vgl. zu diesem Urteil unten III 3 b); Henckel (Fn. 26), § 29 KO Rz. 45, 65, § 30 KO Rz. 106 sowie die in Fn. 26 genannten Kommentarstellen zu § 129 und § 132 InsO. 41 Vgl. Henckel (Fn. 26), § 29 KO Rz. 45 („können die Tatbestände der §§ 30 Nr. 1 Fall 1, 31, 32 [KO] erfüllt sein“), 65 (S. 796), § 30 KO Rz. 106 (hier zwar die – kraft Gesetzes unentgeltliche – „Verleihung“ von Sachen auf längere Zeit, beim Darlehen jedoch nicht das unentgeltliche, sondern nur das „zu einem unangemessen niedrigen Zins“ gewährte erwähnend); Paulus (Fn. 26), § 132 InsO Rz. 13 (nennt als Beispiele für § 132 InsO nicht nur „unterwertige“, sondern auch „unentgeltliche“ Darlehenshingaben); Weis (Fn. 26), § 132 InsO Rz. 54 (nennt als Beispiele für § 132 InsO die „Gewährung von Darlehen unentgeltlich oder unter Wert“, „Leihe über längere Zeit“ und sogar „Schenkungen und sonstige unentgeltliche Leistungen“). 42 § 134 InsO greift nicht lediglich drei Monate, sondern vier Jahre vor den Insolvenzantrag zurück. Auch enthält die Vorschrift im Gegensatz zu § 132 InsO keine subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen. 43 Zur Anfechtbarkeit der Auszahlung der Darlehenssumme vgl. den wenig später folgenden Text. 44 Sehr großzügig insoweit Henckel (Fn. 26), § 32 KO (§ 134 InsO) Rz. 28: „Verfügung im Sinne des § 32 ist ferner die Überlassung des Besitzes zum Zweck der Verleihung …“.
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bloßer Realakt, sondern zugleich auch ein Rechtsgeschäft (z. B. die Übereignung von Geldscheinen oder die Veranlassung einer Banküberweisung durch Einreichen eines ausgefüllten und unterschriebenen Formulars) und damit ein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Anwendung des auf Tatbestandsseite ein „Rechtsgeschäft“ voraussetzenden § 132 Abs. 1 InsO. (Bei Nichtvorliegen eines „Rechtsgeschäfts“ müsste über eine Anwendung des § 132 Abs. 2 InsO nachgedacht werden.) Allerdings führt die Begründung der dem heutigen § 132 InsO entsprechenden Bestimmung des RegEInsO aus45: „Nicht zu den Rechtsgeschäften im Sinne dieser Vorschrift gehören Rechtshandlungen, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewähren oder ermöglichen; für sie gelten die besonderen Vorschriften der §§ 145, 146 des Entwurfs [jetzt §§ 130, 131 InsO].“
Dieser Vorbehalt zugunsten der §§ 130, 131 InsO ist auch dann einschlägig, wenn es sich bei dem „Rechtsgeschäft“ um die Auszahlung einer Darlehenssumme handelt. Daran hat sich mit Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 n. F. InsO nichts geändert. Zwar setzen sowohl der zitierte Satz der Begründung des RegEInsO (zum heutigen § 132 InsO) als auch die in ihm erwähnten Vorschriften über die Deckungsanfechtung (§§ 130, 131 InsO) voraus, dass der Empfänger der Sicherungs- oder Erfüllungsleistung sich in der glücklosen Position eines „Insolvenzgläubigers“ befindet, während der neue § 108 Abs. 2 InsO ausgerechnet an dieser Stelle eingreift und die Rechtsstellung des Darlehensnehmers in Richtung Massegläubigerschaft verstärkt (freilich mit Anwendbarkeitszweifeln beim unentgeltlichen Darlehen46). Jedoch macht § 108 Abs. 2 n. F. InsO die Aufwertung des Darlehensnehmers zu einem Massegläubiger davon abhängig, dass (genauer: „soweit“) dem Darlehensnehmer „der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde“. Wegen dieses Vollzugselements bleibt der Anwendungsbereich der §§ 130, 131 InsO eröffnet. Denn nach der Struktur des § 108 Abs. 2 n. F. InsO ist das Zur-Verfügung-Stellen der Darlehenssumme eine Rechtshandlung, die dem Darlehensnehmer zu einem Zeitpunkt, in welchem er ohne diese ihm gegenüber vorgenommene Handlung nur einfacher Insolvenzgläubiger wäre, sowohl eine „Befriedigung“ (Auszahlung der Darlehenssumme) als auch eine „Sicherung“ (nämlich die Einbeziehung in den Schutzbereich des § 108 Abs. 2 n. F. InsO) gewährt. Das ist, bei Vorliegen auch der übrigen Anfechtbarkeitsvoraussetzungen, ein klarer Anwendungsfall der §§ 130, 131 InsO und macht den Rückgriff auf § 132 InsO entbehrlich. Mit keiner der bisher erwähnten Anfechtungsnormen (§§ 130–132 InsO) ist dem Insolvenzverwalter allerdings zu helfen, wenn sowohl der Abschluss des Darlehensvertrages als auch die Auszahlung der Darlehenssumme früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolgten. (Das bis zur Geltendmachung des Anfechtungsrechts andauernde „Belassen“ der Darlehenssumme, dazu so-
__________ 45 BT-Drucks. 12/2443, S. 159 („Zu § 147“); ebenso oder ähnlich Kreft (Fn. 26), § 132 InsO Rz. 2, 6; Rogge (Fn. 26), § 132 InsO Rz. 3, 5; Hirte (Fn. 26), § 132 InsO Rz. 4; Huber (Fn. 26), § 131 InsO Rz. 19 und § 132 InsO Rz. 8. 46 S. o. II a. E.
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gleich47, führt i. d. R. nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 130– 132 InsO.) Handelt es sich um ein unverzinsliches Darlehen, kann aber u. U. noch gem. § 134 InsO angefochten werden. Ohne weiteres anfechtbar ist nach dieser Vorschrift „eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden“. Bis zum Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 n. F. InsO war allgemein anerkannt, dass die Gewährung eines unverzinslichen und auch an kein sonstiges Entgelt geknüpften Darlehens eine „unentgeltliche Leistung“ i. S. des § 134 Abs. 1 InsO darstellt48. Erfolgte die Darlehensgewährung innerhalb von vier Jahren vor dem Insolvenzantrag oder während der Zeit zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung, konnte der Insolvenzverwalter also problemlos nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten. An dieser Rechtslage hat § 108 Abs. 2 n. F. InsO nichts geändert49. Wie aber ist die Rechtslage, wenn das Darlehen früher als vier Jahre vor dem Insolvenzantrag ausgezahlt wurde? Ist ein Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters auch dann mit Hilfe des § 134 Abs. 1 InsO oder nur noch unter den strengen Voraussetzungen des § 133 InsO (vorsätzliche Benachteiligung der übrigen Gläubiger) zu begründen? Die Antwort hängt davon ab, was bei einem unentgeltlichen Darlehen die „Leistung“ des Darlehensgebers ist. In Betracht kommt entweder eine enge Auslegung, die als „Leistung“ i. S. d. § 134 Abs. 1 InsO lediglich das Zur-Verfügung-Stellen (die „Hingabe“) der Darlehenssumme gelten lässt50, oder eine weite Auslegung, die – vielleicht sogar inspiriert durch den dogmatischen Streit um die Existenz einer Kapitalbelassungspflicht51 des Darlehensgebers und die Diskussion um die Anfechtbarkeit des u. U. ins Eigenkapitalersatzrecht führenden „Stehenlassens“ einer ausgereichten Darlehensvaluta52 – auch das Belassen der Darlehenssumme beim Darlehensnehmer (gleichbedeutend: das „Stehenlassen“ des Darlehens bzw. das „Unterlassen der Rückforderung“) als nach § 134 InsO anfechtbare unentgeltliche Leistung ansieht53. Dass auch ein Unterlassen eine „Leistung“ sein kann, steht nach bürgerlichem Recht außer Zweifel (vgl. §§ 194 Abs. 1, 241 Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch anfechtungsrechtlich steht eine Unterlassung – jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen54 – „einer Rechtshandlung gleich“ (§§ 129 Abs. 2 InsO, 1 Abs. 2 AnfG); dies gilt auch im Rahmen des § 134 InsO55.
__________ 47 S. unten bei Fn. 50 ff. 48 Vgl. die in Fn. 26 Genannten (soweit zu § 134 InsO) und Marotzke, ZInsO 2006, 300, 301 Fn. 12. Nicht zur Insolvenz des Darlehensgebers, sondern zur Insolvenz des Darlehensnehmers erging das wohl nur scheinbar eine a. M. vertretende Urteil OLG Rostock, ZInsO 2007, 713 ff. = NZI 2007, 468 ff. 49 Begründung: s. o. II a. E., III 1. 50 So wohl die übliche Betrachtungsweise. 51 Nachweise hierzu in Fn. 32. 52 Bork in FS Uhlenbruck, 2000, S. 279 ff.; vgl. auch BGHZ 165, 343, 348 („Anfechtbar ist …, wenn … eine Besicherung belassen wird, nachdem der besicherte Gesellschafterkredit erkennbar kapitalersetzend geworden ist …“). 53 Vgl. Bork (Fn. 52), S. 287 ff.; Kreft (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 23. 54 Vgl. BGHZ 165, 343, 348 f. 55 Vgl. statt aller Kreft (Fn. 26), § 134 InsO Rz. 6 m. w. N. in Fn. 11.
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Jedoch wird man diese Gleichstellung auf Fälle beschränken müssen, in denen dem insolventen Schuldner zur Zeit seines Unterlassens eine echte Handlungsalternative offen stand. Jedenfalls dann, wenn der Schuldner vor Verfahrenseröffnung keine rechtliche Möglichkeit hatte, dem Darlehensnehmer die bereits ausgereichte Valuta wieder zu entziehen, wird man das Stehenlassen des Darlehens nicht als nach § 134 InsO anfechtbare „Leistung“ des Schuldners qualifizieren dürfen. 3. Rechtsfolgen der Anfechtung a) Rückabwicklung § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmt: „Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden.“ Fällig wird dieser anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch spätestens56 in dem Zeitpunkt, in welchem der Insolvenzverwalter sein Anfechtungsrecht ausübt57. Richtet sich die Anfechtung gegen die Vereinbarung und/oder die Auszahlung eines Darlehens, so steht der Insolvenzmasse folglich auch dann ein fälliger Rückzahlungsanspruch zu, wenn die Rückzahlung nach bürgerlichem Recht bzw. dem Inhalt des Darlehensvertrags erst viel später verlangt werden könnte58; insoweit geht das Anfechtungsrecht der (sekundären59) ratio legis des § 108 Abs. 2 n. F. InsO vor. aa) Richtet sich die Anfechtung sowohl gegen den Abschluss des Darlehensvertrages als auch gegen die Auszahlung (und evtl. die Belassung60) der Valuta oder richtet sie sich, was wenig lebensnah wäre, nur gegen den Abschluss des Darlehensvertrages, so muss der Darlehensnehmer den Insolvenzverwalter so stellen, wie wenn der Darlehensvertrag nicht geschlossen worden wäre. Im Ergebnis muss er also nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, auf die § 143 Abs. 1 S. 2 InsO Bezug nimmt, die empfangene Darlehenssumme zurückzahlen und nach h. M., auf die noch einzugehen sein wird61, außerdem Wertersatz für die innegehabte Kapitalnutzungsmöglichkeit, d. h. die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten und dem (höheren) marktüblichen Darlehenszins zahlen. Handelte es sich um ein unentgeltliches Darlehen und ist die Darlehensgewährung nur nach § 134 InsO62 anfechtbar, so haftet der Anfechtungsgegner für die Rückzahlung der
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56 Näheres unter III 3 b. 57 Nach h. M. hat diese Ausübung auf prozessualem Wege zu geschehen (s. hierzu jedoch unten III 3 b bei Fn. 99 f.). 58 Vgl. auch Henckel (Fn. 26), § 29 KO (§ 129 InsO) Rz. 45 (geschrieben mehr als 15 Jahre vor Inkrafttreten des § 108 Abs. 2 n. F. InsO): „Demnach ist das Darlehen fristlos zurückzuzahlen. Für die Vergangenheit ist der Wert zu ersetzen, den die Kapitalnutzungsmöglichkeit hatte, also der marktgerechte Zinssatz“ (s. dazu sogleich unter III 3 b). 59 S. o. Abschnitt I bei Fn. 8 ff. 60 Vgl. soeben unter III 2 (im letzten Absatz). 61 S. unten III 3 b. 62 Vgl. Kreft (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 26.
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Valuta und einen etwaigen63 anfechtungsrechtlichen Anspruch auf Zahlung des marktüblichen Zinses nicht nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, sondern, solange er nicht bösgläubig i. S. des § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO ist, lediglich nach Maßgabe des § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO und damit (anscheinend) „nur …, soweit er … bereichert ist“. Gleichwohl kann sich der Darlehensnehmer auch in diesem Fall hinsichtlich der empfangenen Valuta64 nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen65. Denn einem Darlehensnehmer ist ja bekannt, dass er die Valuta irgendwann zurückzahlen muss; gestattete man ihm gleichwohl gem. § 818 Abs. 3 BGB oder § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO die Berufung auf einen Wegfall der Bereicherung, so entstände ein Wertungswiderspruch zu § 819 Abs. 1 BGB bzw. zu dem auf dessen Rechtsfolgen verweisenden § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO. Wenn und soweit der Darlehensnehmer das Erlangte an die Insolvenzmasse zurückgewährt, scheint seine Forderung auf Auszahlung des Darlehens gem. § 144 Abs. 1 InsO wieder aufzuleben, allerdings nicht als Masseverbindlichkeit (denn die in § 108 Abs. 2 n. F. InsO vorausgesetzte Zur-Verfügung-Stellung des geschuldeten Gegenstands ist mit der Rückzahlung beendet), sondern als eine – wegen diverser Anrechnungspflichten66 meist gegen Null tendierende – Insolvenzforderung gem. § 38 InsO (beim unentgeltlichen Darlehen mit Nachrang § 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO), die zudem, weil sie auch ihrerseits auf dem angefochtenen Darlehensvertrag beruht, weder vollständig noch quotal, sondern überhaupt nicht erfüllt werden muss. Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Wiederauflebensanordnung des § 144 Abs. 1 InsO bei wirksamer Anfechtung des Kausalgeschäfts keinen Sinn mache und ihre Anwendung deshalb im Wege teleologischer Reduktion auf diejenigen Fälle zu beschränken sei, in denen durch die angefochtene Rechtshandlung eine Verbindlichkeit des Schuldners getilgt worden sei, „die ihrerseits nicht anfechtbar begründet oder gegenüber dem Anfechtungsgegner nicht oder nicht wirksam angefochten wurde“67. Folgt man dem, so spielt § 144 Abs. 1 InsO keine Rolle, wenn sich die (wirksame) Anfechtung allein oder zumindest auch gegen den Abschluss des Darlehensvertrages richtet.
__________ 63 Näheres unter III 3 b. 64 Vgl. zu dieser Einschränkung RGZ 151, 123, 127; BGHZ 115, 268, 270 f. = NJW 1992, 109 r.Sp. 65 Vgl. RGZ 151, 123, 127; BGHZ 83, 293, 295; BGHZ 115, 268, 270 f. = NJW 1992, 109 r.Sp.; BGHZ 168, 1, 16; BGH, ZIP 2006, 2119, 2120 Rz. 16 (zust. Medicus EWiR 2007, 97); Werner Lorenz in Staudinger, 1999, § 818 BGB Rz. 35; mit anderer als der nachfolgend wiedergegebenen Begr. grds. ebenso H. P. Westermann/P. Buck in Erman, 11. Aufl. 2004, § 819 BGB Rz. 2 – jeweils nicht direkt zu § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO, sondern zu § 818 Abs. 3 BGB. 66 Vgl. § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB und sogleich unter bb) bei Fn. 71. 67 Vgl. Kreft (Fn. 26), § 144 InsO Rz. 2 (spricht nicht ausdrücklich von teleologischer Reduktion, meint aber, § 144 Abs. 1 InsO habe diese Fälle „im Auge“); Rogge (Fn. 26), § 144 InsO Rz. 1, 4 (Anwendung der Vorschrift „nur“ in diesen Fällen); Kirchhof (Fn. 26), § 144 InsO Rn. 5; Hirte in Uhlenbruck (Fn. 26), § 144 InsO Rz. 1; Henckel (Fn. 26), § 39 KO (§ 144 Abs. 1 InsO) Rz. 2.
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bb) Denkbar ist aber auch der Fall, dass der Insolvenzverwalter nicht den Abschluss des Darlehensvertrages, sondern lediglich die Auszahlung (und evtl. das „Stehenlassen“68) der Darlehensvaluta anficht, etwa weil die Auszahlung der Darlehensvaluta innerhalb, der zeitlich frühere Abschluss des Darlehensvertrages jedoch außerhalb der anfechtungsrelevanten Zeiträume erfolgte69. Jedenfalls hier70 führt die Rückzahlung der Darlehensvaluta durch den Anfechtungsgegner zum Wiederaufleben des Auszahlungsanspruchs als Insolvenzforderung, die freilich um den Wert der korrespondierenden darlehensrechtlichen Rückzahlungs- und Verzinsungspflicht (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) zu kürzen ist71 und deshalb häufig gegen Null tendieren wird. Beim unentgeltlichen Darlehen wäre auf den wiederauflebenden Auszahlungsanspruch zudem die Nachrangregelung des § 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO anzuwenden. cc) Handelte es sich um ein entgeltliches Darlehen und richtete sich die Anfechtung auch gegen den Abschluss des Darlehensvertrages72 oder73 wurde das Entgelt jedenfalls nicht vor Auszahlung der Valuta entrichtet, so ist ein vom Darlehensnehmer bereits gezahltes Entgelt (z. B. Disagio oder Zinsvorschüsse), soweit es durch die dem Darlehensnehmer tatsächlich verbliebene Kapitalnutzungszeit nicht verbraucht wurde, „aus der Insolvenzmasse zu erstatten, soweit [es] in dieser noch unterscheidbar vorhanden ist oder soweit die Masse um [seinen] Wert bereichert ist“ (§ 144 Abs. 2 Satz 1 InsO); im Übrigen ist ein etwaiger Erstattungsanspruch lediglich Insolvenzforderung (§ 144 Abs. 2 Satz 2 InsO). b) Zinsnachbesserung via Anfechtung? Am 21.4.1988 hatte der BGH74 über einen Fall zu entscheiden, in welchem der anfechtende Insolvenzverwalter (Konkursverwalter) eine Darlehensnehmerin, die von der Gemeinschuldnerin (dem Bankhaus W.B.-KG in H.) ein besonders zinsgünstiges Darlehen erhalten hatte (möglicherweise mit Rücksicht auf ihre Position als Kommanditistin der Gemeinschuldnerin und als Geschäftsführerin einer persönlich haftenden Gesellschafterin sowie als Ehefrau eines weiteren persönlich haftenden Gesellschafters der Gemeinschuldnerin), nicht auf Rückzahlung der Darlehensvaluta, sondern auf Zahlung marktüblicher Zinsen verklagt hatte. Die spätere Gemeinschuldnerin (Bankhaus W.B.-KG)
__________ 68 69 70 71
S. o. III 2 im letzten Absatz. Vgl. hierzu oben III 2. Zur Abgrenzung s. o. bei Fn. 67. Beim Darlehen macht das vom Verf. befürwortete Recht des Vertragspartners des insolventen Schuldners, statt der – allgemein als zulässig erachteten – Differenzmethode die Austauschmethode zu wählen (vgl. Marotzke, Fn. 29, Rz. 5.34 ff., 5.40 ff., 5.50 ff.), wenig Sinn. 72 Näheres und weitere Differenzierung bei Marotzke (Fn. 29), Rz. 7.120 ff.; vgl. auch Henckel (Fn. 26), § 38 KO (§ 144 InsO) Rz. 2 ff.; Hirte (Fn. 26), § 144 InsO Rz. 9; Kirchhof (Fn. 26), § 144 InsO Rz. 13; Kreft (Fn. 26), § 144 InsO Rz. 4. 73 Vgl. Marotzke (Fn. 29), Rz. 7.120 ff., 7.125; i. E. „und“ statt „oder“ bei Henckel (Fn. 26), § 38 KO (§ 144 InsO) Rz. 5. 74 BGH, ZIP 1988, 725 ff. = NJW 1989, 1037 f.
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hatte der mit ihr verbandelten Darlehensnehmerin auf verschiedenen Konten zahlreiche Kredite eingeräumt. Zwei dieser Konten waren zeitweise zinslos geführt worden; im Übrigen hatte die Darlehensnehmerin 5 % Zinsen zu zahlen. Mit Schreiben vom 4.1.1985 hatte die spätere Gemeinschuldnerin der Darlehensnehmerin „in Ergänzung der bisherigen Kreditzusage“ bestätigt, dass die auf den verschiedenen Konten geführten Kredite in Höhe von 1 764 000 DM nach Ablauf eines tilgungsfreien Jahres ab 30.6.1986 mit 7 % p. a. getilgt werden sollten, so dass sich unter Berücksichtigung des Sollzinssatzes von 5 % p. a. eine Jahresbelastung von 12 % ergebe. Der BGH sah die anfechtungsrelevante Gläubigerbenachteiligung „darin, daß der Kläger als Konkursverwalter durch die Vereinbarung vom 4.1.1985 gehindert wird, von der Beklagten den marktüblichen75 Zins zu verlangen“, und meinte sodann76: „Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, daß der Kläger von der Beklagten nach § 37 KO [§ 143 InsO] die Zahlung der Differenz zwischen dem ihr eingeräumten Zinssatz und dem vom Konkursverwalter zu erzielenden Zins verlangt. Nach § 37 KO [§ 143 InsO] muß alles zur Konkursmasse zurückgewährt werden, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Gemeinschuldners weggegeben oder aufgegeben ist. Dazu gehören auch alle Nutzungen, die der Anfechtungsgegner aus dem empfangenen Gegenstand gezogen hat oder die der Gemeinschuldner hätte ziehen können, wenn der Gegenstand in seinem Vermögen verblieben wäre (Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl., § 37 Rz. 4 m. w. N.). Der Zins ist das Entgelt für die Nutzung eines auf Zeit überlassenen Kapitals. Da der Beklagten das Kapital – nach dem Vorbringen des Klägers – ab dem 4. Januar 1985 in anfechtbarer Weise weiter überlassen worden ist, muß sie gemäß § 37 KO [§ 143 InsO] den Wert der Kapitalnutzung vergüten.“
Ein delikates Detail des Falles liegt darin, dass das Konkursverfahren bereits am 26.2.1985 eröffnet worden war, der Konkursverwalter die Kreditgewährung jedoch erst im Jahr 1986 angefochten und die Zahlung der marktüblichen statt der vereinbarten niedrigeren Zinsen ausdrücklich auch für die Zeit vom 26.2.1985 bis zum 30.6.1986 verlangt hatte. Der BGH sah hierin nichts Ungewöhnliches, sondern bestätigte die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz ausdrücklich „nur“77 für die Zeit bis zum 31.12.1984. Auch hatte der BGH das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung ja zuvor mit dem Argument bejaht, dass der Konkursverwalter durch die Vereinbarung vom 4.1.1985 gehindert werde, von der Darlehensnehmerin den marktüblichen Zins zu verlangen. Nimmt man hinzu, dass die Vereinbarung vom 4.1.1985 zum Inhalt hatte, dass die Darlehensverbindlichkeiten der Beklagten in Höhe von insgesamt 1 764 000 DM nach Ablauf eines tilgungsfreien Jahres ab 30.6.1986 mit 7 % p. a. getilgt werden sollten (und außerdem anscheinend ein Sollzinssatz von 5 % zu zahlen sein sollte)78, so wird deutlich, dass es sich bei dieser Vereinbarung um ein viele Jahre über den Zeitpunkt der Konkurseröffnung hinausreichendes Dauerschuldverhältnis handelte und das Urteil des BGH mög-
__________ 75 76 77 78
Kursivsetzung nicht im Original. Alle wörtlichen Zitate beruhen auf Abschnitt III der Urteilsgründe. Vgl. Abschn. IV der Urteilsgründe. Vgl. BGH, ZIP 1988, 725 = NJW 1989, 1037 („Zum Sachverhalt“).
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licherweise so interpretiert werden muss, dass der Insolvenzverwalter bei Vorliegen eines Anfechtungsgrundes wählen kann, ob er das Darlehen gem. § 37 KO (§ 143 InsO) sofort zurückverlangt oder ob er es, zumindest vorläufig, weiterlaufen lässt und das Anfechtungsrecht lediglich als Instrument benutzt, um anstelle eines objektiv zu niedrigen vertraglichen Zinssatzes den marktüblichen Zins beanspruchen zu können. Es verwundert nicht, dass das Urteil des BGH von Insolvenzverwalterseite freudig begrüßt worden ist79. Denn die in ihm vertretene Rechtsauffassung „ermöglicht es dem Verwalter, durch entsprechende Verzögerung der Anfechtung [bis hin zur Verjährungsgrenze des § 146 InsO] ohne eigene Anlageanstrengungen ohne weiteres den Marktzins zu verlangen und so auf Kosten des Gegners zu spekulieren“80. Das ist weder anfechtungsrechtlich angemessen81, noch harmoniert es mit der sich auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nichtiger Darlehensverträge beziehenden neueren Rspr. des BGH, die es als „im Ausgangspunkt zutreffend“ erachtet, dass der Kreditgeber bzw. sein Insolvenzverwalter für die Zeit, in der ihm das Kapital ohne Rechtsgrund vorenthalten wird, „weder den Vertragszins82 noch einen erhöhten Stundungszins“ noch den „üblichen Marktzins“ verlangen könne83. Auch anfechtungsrechtlich (§§ 129 ff., 143 Abs. 1 InsO) sollte man m. E., einem Vorschlag von Balz folgend84, im Grundsatz davon ausgehen, dass die Rechtsfolge lediglich auf Rückgewähr des Darlehens im Sinne von „Wiederbeschaffung der Kapitalnutzungsmöglichkeit“ ex nunc, nicht hingegen auf die „Realisierung eines nicht realisierten Gewinns“ und damit auch nicht ohne weiteres auf Zahlung höherer als der tatsächlich vereinbarten Zinsen gerichtet ist – wenn man von Prozesszinsen (§ 291 BGB), die der Anfechtungsgegner nach einer im Schrifttum und früher auch vom BGH vertretenen Ansicht anscheinend rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Empfangs85 der Darlehensvaluta zu entrichten haben soll86 (§§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB), von gezo-
__________ 79 Vgl. Wellensiek, EWiR § 29 KO 1/1988 S. 699 f. 80 So die zutr. Formulierung von Balz, WuB VI B. § 31 Nr. 2 KO 1.88, S. 1221, 1223 (B II 2). 81 Ebenso Balz (Fn. 80); auf der Linie des BGH aber wohl Henckel (Fn. 26), § 29 KO (§ 129 InsO) Rz. 45; Eckardt in FS Gerhardt, 2004, S. 145, 181 Fn. 82. 82 In diesem Punkt lässt sich bei der anfechtungsrechtlichen Rückabwicklung sicherlich etwas anderes vertreten. 83 Vgl. BGH, ZIP 2006, 2119, 2121 Rz. 24 m. Anm. Medicus, EWiR 2007, 97 f. (ebenfalls zur Insolvenz einer Bank!). In dem vom BGH entschiedenen Fall beruhte die Nichtigkeit des Darlehensvertrages auf § 71a Abs. 1 Satz 1 AktG. 84 Balz (Fn. 80), S. 1222 (B I 2), 1223 (B II 1). 85 In diesem Sinne BGHZ 167, 11, 19 = NJW 2006, 1870, 1873 (nicht speziell in Bezug auf Darlehen) und – allerdings nicht ganz eindeutig – Nerlich (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 13; wohl auch Eckardt (Fn. 81), S. 145, 181; a. M. jetzt BGH, ZInsO 2007, 261, 262 f. Rz. 19 f. = ZIP 2007, 488, 489 = NZI 2007, 230, 231. 86 Und zwar trotz § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO auch beim unverzinslichen Darlehen (s. oben III 3 aa bei Fn. 64 f.).
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genen und schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen87 sowie den in § 280 Abs. 2 BGB und § 288 BGB thematisierten Konsequenzen eines etwaigen Schuldnerverzugs (§ 286 BGB) des Anfechtungsgegners einmal absieht. Die Sache mit den angeblich nicht nur ex nunc, sondern rückwirkend88 ab dem Zeitpunkt des Empfangs des anfechtbar erlangten Geldes zu zahlenden Prozesszinsen (§ 291 BGB) bedarf freilich der kritischen Betrachtung. Eine Interpretation, die für den Zinsbeginn auf den Zeitpunkt des Empfangs des zurückzuzahlenden Geldes abstellt, mag vielleicht hinnehmbar gewesen sein, als der Zinssatz für Prozesszinsen noch lediglich vier Prozent betrug (§§ 291 a. F., 246 BGB). Inzwischen89 ist jedoch an die Stelle dieser vier Prozent ein Zinssatz von i. d. R. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz getreten (§§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 Satz 2 n. F. BGB). Müsste ein Darlehen, das der jetzt insolvente Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einem marktunüblich niedrigen Zinssatz ausgereicht hatte, nach Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nunmehr rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Auszahlung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinst werden, so stünde der Darlehensnehmer nach neuem Recht sogar noch schlechter als nach dem oben kritisierten Urteil des BGH. Entsprechendes würde für die Empfänger anderer anfechtbar erlangter Geldleistungen gelten. Dies lenkt den Blick auf eine Frage, die man wie folgt auf den Punkt bringen kann: Fingiert § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO mit seiner Verweisung auf die Vorschriften „über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist“, lediglich die zur Anwendung des § 819 Abs. 1 BGB führende Kenntnis und auf dem Umweg über § 819 Abs. 1 BGB auch die mit Hilfe des § 818 Abs. 4 BGB zu § 291 BGB führende Rechtshängigkeit, oder soll darüber hinaus auch die – für § 291 BGB ebenfalls erforderliche – Fälligkeit des anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs auf den Zeitpunkt der Auszahlung des Geldes an den Anfechtungsgegner „zurückfingiert“ werden? M. E. lässt sich Letzteres dem § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO beim „besten“ Willen nicht entnehmen90. Solange kein Insolvenzverfahren über dem Vermögen des
__________ 87 Vgl. BGH, ZIP 2006, 2119, 2121 (nichtiger Darlehensvertrag); Lorenz (Fn. 65), § 818 BGB Rz. 11; H. P. Westermann/P. Buck (Fn. 65), § 818 BGB Rz. 9 ff., 52 sowie speziell im Zusammenhang mit § 143 InsO OLG Karlsruhe, ZInsO 2004, 868, 870 f. = ZIP 2004, 2064, 2066 (einen solchen Anspruch für die Zeit vor Verfahrenseröffnung verneinend) m. zust. Anm. Müller-Feyen, EWiR § 143 InsO 1/2005, 33 f.; BGH, NZI 2005, 679 = ZIP 2005, 1888, 1889 („vom Zeitpunkt der Weggabe an“); BGH, ZInsO 2007, 261, 263 (Rz. 21 ff.) = ZIP 2007, 488, 490 = NZI 2007, 230, 231 (das Urt. des OLG Karlsruhe in diesem Punkt aufhebend). 88 Vgl. die in Fn. 85 vor „a. M.“ Genannten. 89 Zur Gesetzesgeschichte vgl. Löwisch in Staudinger, 2004, § 288 BGB Rz. 3 ff.; Ernst in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 288 BGB Rz. 1 ff., § 291 BGB Rz. 1 f.; Grundmann ebd., § 247 BGB Rz. 1 ff., 6 ff. 90 Ebenso Dauernheim (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 24 (Prozesszinsen für die Zeit nach der „Entstehung“ des anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs); BGH, ZInsO 2007, 261, 262 f. (Rz. 19 f.) = ZIP 2007, 488, 489 f. = NZI 2007, 230, 231 (ebenso als Vorzinstanz OLG Karlsruhe, ZInsO 2004, 868 ff. = ZIP 2004, 2064 ff. m. zust. Anm.
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Darlehensgebers schwebt oder solange im Fall bereits erfolgter Verfahrenseröffnung der Insolvenzverwalter von seinem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch macht, besteht für den Darlehensnehmer i. d. R. kein Grund, das empfangene Geld zurückzuzahlen91: Vielleicht hat der Insolvenzverwalter ja durchaus respektable Gründe für die Nichtausübung seines Anfechtungsrechts92. Soll während der Bedenkzeit, die sich der Insolvenzverwalter vor der Ausübung des Anfechtungsrechts ohne weiteres nehmen darf (u. U. muss er zunächst sogar die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung einholen93), dem potenziellen Anfechtungsgegner ein Zuwarten nicht gestattet sein? Die Frage ist m. E. zu verneinen94. Konsequenterweise sollte man den anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch den sog. „verhaltenen“ Ansprüchen zurechnen95, die zwar verjährungsrechtlich als bereits entstanden (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB i. V. m. § 146 Abs. 1 InsO) gelten96 – beim Anfechtungsanspruch dürfte insoweit auf den Zeitpunkt der Verfahrens-
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Müller-Feyen, EWiR § 143 InsO 1/2005, 33 f.); OLG Hamm, NZI 2006, 642 f. = ZInsO 2006, 1170 f. (Revision anhängig beim BGH unter IX ZR 116/06); OLG Hamm, ZIP 2007, 240, 243 (Revision anhängig beim BGH unter IX ZR 1/07); a. M. noch BGHZ 167, 11, 19 = NJW 2006, 1870, 1873 = ZInsO 2006, 553, 555 = ZIP 2006, 916, 918: Die Zinsen seien „vom Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung an zu berechnen“. Etwas anderes gilt aber mglw. dann, wenn zuvor bereits eine Einzelgläubigeranfechtung nach §§ 1 ff. AnfG erfolgt ist (vgl. auch §§ 17 ff. AnfG). Nach h. M. entsteht der Rückgewähranspruch der Insolvenzmasse aber auch in solchen Fällen erst im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung; vgl. BGH, ZIP 1995, 1204, 1206 (insoweit nicht mit abgedruckt in BGHZ 130, 38, 40); Kreft (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 79; Kirchhof (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 186; Rogge (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 2; a. M. Henckel (Fn. 26), § 37 KO (§ 143 InsO) Rz. 84. Z. B. weil das anfechtbare Geschäft die Gläubigerschaft nur geringfügig benachteiligt und seine Aufrechterhaltung für die Insolvenzmasse nach Lage des Falles vorteilhafter ist als eine etwaige Anfechtung. Vgl. zu ähnlichen Fragen im Zusammenhang mit § 103 InsO Marotzke (Fn. 16), § 103 InsO Rz. 2a, 12, 29; s. auch Rogge (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 5 f., 105. Vgl. § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 InsO. Insoweit a. M. die OLGe Karlsruhe und Hamm (Fn. 87, 90) sowie BGH, ZInsO 2007, 261, 262 f. (Rz. 19 f.) = ZIP 2007, 488, 489 f. = NZI 2007, 230, 231: Prozesszinsen gem. § 291 BGB bereits ab Verfahrenseröffnung. Ebenso Kirchhof (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 194. Vgl. BGH, NJW-RR 2000, 647 (vor Inkrafttreten des § 199 n. F. BGB und auch nicht speziell für den Anspruch aus § 143 InsO); a. M. für die Zeit nach der Schuldrechtsreform Schmidt-Räntsch in Erman (Fn. 65), § 199 BGB Rz. 4; Heinrichs in Palandt (Fn. 32), § 199 BGB Rz. 8 m. w. N.; das dort unter Berufung auf die neuen §§ 604 Abs. 5, 695 Satz 2, 696 Satz 3 BGB Ausgeführte kann jedoch für Ansprüche aus § 143 InsO schon deshalb keine Geltung beanspruchen, weil die Verfasser des § 146 Abs. 1 n. F. InsO wollten, dass der Anfechtungsanspruch bereits vor seiner Geltendmachung verjähren kann (vgl. die allerdings nicht sehr präzisen Ausführungen in BT-Drucks. 15/3653, S. 15 sowie zur Entstehungsgeschichte des § 146 Abs. 1 n. F. InsO Kreft, Fn. 26, § 146 InsO Rz. 1 ff.; Dauernheim, Fn. 26, § 146 InsO Rz. 1 ff.). Auch gehört die Rückgewährpflicht beim Anfechtungsanspruch nicht zum Inhalt eines vor Verfahrenseröffnung vereinbarten Rechtsverhältnisses, so dass eine Ähnlichkeit zu den in §§ 604 Abs. 5, 695 Satz 2, 696 Satz 3 BGB geregelten Vertragsverhältnissen (Leihe und Verwahrung) nicht besteht.
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eröffnung abzustellen sein97 –, deren Fälligkeit jedoch von einer Willensbetätigung des Gläubigers (hier der Geltendmachung des Anfechtungsrechts98) abhängt, wobei man entgegen der h. M., die zu Unrecht99 nur eine prozessuale Ausübung des Anfechtungsrechts für möglich hält100, auch einer formlosen – z. B. mündlichen oder privatschriftlichen – Erklärung diese Wirkung zuerkennen sollte. Dass der Empfänger einer anfechtbaren Zahlung auch für die Zeit vor dem ersten ihm gegenüber erklärten Rückzahlungsverlangen des Insolvenzverwalters Prozesszinsen zahlen soll, lässt sich weder dem § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO noch der Begründung des InsO-Regierungsentwurfs entnehmen; die Letztere erwähnt den § 291 BGB nicht einmal (wohl aber zitiert sie die §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 987, 989, 990, 994 Abs. 2 BGB101). § 291 Satz 1 BGB bestimmt: „Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht in Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen.“ Mit Hilfe der §§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB lässt sich beim Anfechtungsanspruch zwar die „Rechtshängigkeit“, nicht jedoch die „Fälligkeit“ auf einen früheren Zeitpunkt als den der (prozessualen oder vorprozessualen102) Ausübung des Anfechtungsrechts zurückdatieren; Prozesszinsen können deshalb nur für die Zeit nach Ausübung des Anfechtungsrechts verlangt werden103. Soweit im Schrifttum ganz unabhängig von § 291 BGB eine Verzinsung zu 4 % p. a. bereits ab dem Zeitpunkt des anfechtbaren Erwerbs gefordert wird104, dürfte es sehr schwer sein, dies mit einer Anspruchsgrund-
__________ 97 Vgl. die in Fn. 91 Genannten; BGHZ 113, 98, 105; BGH, ZInsO 2004, 672, 673 sowie speziell im Zusammenhang mit der Verjährung Rogge (Fn. 26), § 146 InsO Rz. 3; Dauernheim (Fn. 26), § 146 InsO Rz. 1, 22. 98 Diese ist bereits in der Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs zu sehen; vgl. BGHZ 135, 140, 149 ff. = JR 1998, 28, 30 f. (m. Anm. Marotzke) = NJW 1997, 1857, 1859; Kirchhof (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 194. 99 Vgl. zur KO Marotzke, KTS 1987, 1 ff. (insb. 10–17), 569 ff. (insb. 583–586); dens., Zeitschrift für Gesetzgebung, 1989, 138, 144 ff. (m. w. N. in Fn. 29) sowie zur InsO Kirchhof (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 194; Hirte (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 58. 100 Vgl. BGHZ 106, 127, 128 = ZIP 1989, 48 (noch zur KO); de Bra in Braun (Hrsg.), InsO, 2. Aufl. 2004, § 129 InsO Rz. 46; Zeuner (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 31; Dauernheim (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 50; Weis (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 87 f., § 143 InsO Rz. 125 ff.; Huber (Fn. 26), Vor §§ 129–147 InsO Rz. 5, 11, § 143 InsO Rz. 2; gegen diese h. M. die in Fn. 99 Genannten und jetzt auch Rogge (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 6. 101 Vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 167 („Zu § 162“) = Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl. 1999, S. 385 f. 102 S. o. bei Fn. 99 f. 103 Ebenso anscheinend Kirchhof (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 58, 99 (nichts zu § 291 BGB hingegen bei Rz. 63); Rogge (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 49; für Zinsbeginn bereits ab Verfahrenseröffnung die OLGe Karlsruhe und Hamm sowie Müller-Feyen a. a. O. (Fn. 90, 94) sowie BGH, ZInsO 2007, 261, 262 f. (Rz. 19 f.) = ZIP 2007, 488, 489 f. = NZI 2007, 230, 231. 104 Z. B. von Kirchhof (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 63; Kreft (Fn. 26), § 129 InsO Rz. 79, § 143 InsO Rz. 18; Rogge (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 49; dezidiert a. M. OLG Karlsruhe, ZInsO 2004, 868, 870 f. (II 1 b) = ZIP 2004, 2064, 2066 m. zust. Anm. Müller-Feyen, EWiR § 143 InsO 1/2005, 33 f.
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lage zu untermauern105. Am ehesten einschlägig ist vielleicht106 der Gesichtspunkt der gezogenen oder schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen107. Doch davon versteht der Jubilar mehr108 als der Verfasser dieses ihm gewidmeten Festschriftbeitrags.
IV. Schluss Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass der neue § 108 Abs. 2 InsO jedenfalls dann nicht die Kraft hat, den Insolvenzverwalter des Darlehensgebers an der sofortigen Fälligstellung des Rückzahlungsanspruchs zu hindern, wenn das bürgerliche Recht die vorzeitige Fälligstellung nach Lage des Falles erlaubt109 oder wenn der Abschluss des Darlehensvertrages und/oder die Auszahlung und/oder die Belassung der Darlehensvaluta der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) unterliegen. Das Recht der Insolvenzanfechtung setzt sich gegenüber § 108 Abs. 2 n. F. InsO durch110. Ein schwacher Trost ist dies allerdings in einem Verbraucherinsolvenz- oder sonstigen Kleinverfahren i. S. der §§ 304 ff., 311 ff. InsO. Denn für diese Verfahrensarten ist die Ausübung des Anfechtungsrechts in § 313 Abs. 2 InsO derart kompliziert geregelt, dass rechtlich begründete Anfechtungsmöglichkeiten sehr oft ungenutzt bleiben. Es besteht aber Hoffnung, dass der Gesetzgeber seinen Fehler111 in absehbarer Zeit – vielleicht sogar schon vor Erscheinen dieser Festschrift – korrigiert112.
__________ 105 Keine Anspruchsgrundlage nennt Kirchhof (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 63. 106 Vgl. die Nachweise in Fn. 87; einen solchen Anspruch für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verneinend OLG Karlsruhe, ZInsO 2004, 868, 870 f. (II 1 b) = ZIP 2004, 2064, 2066 m. zust. Anm. Müller-Feyen, EWiR § 143 InsO 1/2005, 33 f.; das Urt. des OLG Karlsruhe insoweit aufhebend jedoch BGH, ZInsO 2007, 261, 263 (Rz. 21 ff.) = ZIP 2007, 488, 490 = NZI 2007, 230, 231. 107 Vgl. BGH, ZInsO 2007, 261, 263 (Rz. 21 ff.) = ZIP 2007, 488, 490 = NZI 2007, 230, 231 sowie Kreft und Rogge, jeweils a. a. O. (Fn. 104); wohl auch Huber (Fn. 26), § 143 InsO Rz. 17. 108 Vgl. H. P. Westermann/P. Buck (Fn. 65), § 818 BGB Rz. 9 ff., 52. 109 S. o. II. 110 S. o. III. 111 So schon Marotzke, KTS 2001, 67, 69 f. mit dem Vorschlag, § 313 Abs. 2 InsO ersatzlos zu streichen. 112 Vgl. Art. 1 Nr. 38 des vom Bundesjustizministerium am 25.1.2007 vorgelegten Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Entschuldung völlig mittelloser Personen und zur Änderung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, im Internet abrufbar unter www.insolvenzrecht.de/inhalte/materialien/rege-inso-2007/#rz8, gedruckt nachlesbar in ZVI 2007, Beilage 1 S. 18 und NZI 2007, Beilage zu Heft 3, S. 19.
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Informationspflichten der finanzierenden Bank über Risiken aus dem finanzierten Geschäft Inhaltsübersicht I. Die Ausgangssituation 1. Die Rechtsentwicklung 2. Die geltende Regelung II. Die Problematik III. Die Entwicklung der Rechtsprechung 1. Ablehnung einer Hilfe 2. Hilfe durch eine Informationspflicht 3. Voraussetzungen einer Informationspflicht
4. Insbesondere die arglistige Täuschung IV. Die dogmatische Einordnung 1. Verschulden bei Vertragsverhandlungen 2. Zweifel 3. Pflichtverletzung und Verschulden V. Zusammenfassung
I. Die Ausgangssituation 1. Die Rechtsentwicklung Banken1 haben vielfach den Vertrieb und den Erwerb insbesondere von Immobilien durch die Finanzierung des Kaufpreises gefördert. Dabei wird der Kredit dem Käufer gewährt, aber direkt an den Verkäufer zur Deckung der Kaufpreisschuld ausgezahlt. Wenn sich später der Kaufgegenstand als mangelhaft erweist, kann sich der Käufer grundsätzlich nur an seinen Verkäufer halten und nicht an die Bank. Das wird ausgedrückt durch die sog. Trennungstheorie2, die Kauf und Darlehen regelmäßig als voneinander getrennte Geschäfte ansieht. Wenn der Verkäufer die Ansprüche des Käufers nicht befriedigen kann, bleibt dieser folglich an den Kreditvertrag gebunden. Das ist in der Regel auch sachgerecht, weil der Kaufgegenstand und die Angaben über ihn vom Verkäufer stammen, dem der Käufer also Vertrauen geschenkt hat; folglich trägt er das Risiko des von ihm selbst ausgesuchten Verkäufers. Die Angemessenheit dieser Regelung wird aber zweifelhaft, wenn die Bank gegenüber dem Käufer so aufgetreten ist, als stehe sie selbst auf der Seite des Verkäufers: Dann kann sich das Vertrauen des Käufers hinsichtlich des Kaufobjekts auch auf die Bank beziehen. Folglich mag es sachgerecht sein, die Bank an den Risiken aus dem Kauf zu beteiligen. Diese Problematik ist schon bei
__________ 1 Gleiches gilt für Sparkassen und Bausparkassen; der Kürze halber werden sie aber im Folgenden nicht mehr eigens genannt. 2 Zu ihr etwa Emmerich in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 311 BGB Rz. 149, 152, 194; Habersack ebd., § 358 BGB Rz. 27; kritisch etwa Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 31 II 5.
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der Anwendung des AbzG von 1894 sichtbar geworden. Dabei haben sich drei Möglichkeiten einer Abhilfe herausgebildet, um dem Käufer zu helfen: Bei arglistiger Täuschung des Käufers durch den Verkäufer sei dieser nicht „Dritter“ im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB, so dass der Käufer auch das Darlehen anfechten könne3; die Bank solle dem Käufer zur Aufklärung über die Risiken aus der Trennung zwischen Kauf und Darlehen verpflichtet sein4; endlich ist vereinzelt aus § 242 BGB dem Käufer ein Einwendungsdurchgriff gegenüber der Bank eingeräumt worden5. Dieser Durchgriff ist dann auf Grund von Art. 11 der europäischen Richtlinie 87/102 EWG v. 22.10.1986, freilich beschränkt auf den Schutz von Verbrauchern, in § 9 des VerbrKrG aufgenommen worden. Die neueste Regelung findet sich seit der Schuldrechtsreform in den §§ 358, 359 BGB. 2. Die geltende Regelung Grundlage der geltenden Regelung ist der in § 358 Abs. 3 BGB definierte Begriff der Vertragsverbindung. Diese wird durch die wirtschaftliche Einheit des Absatzgeschäftes mit dem zur Finanzierung dienenden Kreditgeschäft begründet (Satz 1). In Satz 2 folgen dann Regelbeispiele („insbesondere“) für das Vorliegen einer solchen Einheit. Speziell für den Erwerb eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts wird Satz 2 aber durch Satz 3 eingeschränkt: Hier soll eine Vertragsverbindung nur vorliegen, wenn die Bank selbst die Immobilie verschafft oder sonst in bestimmter, qualifizierter Weise den Veräußerer fördert. Rechtsfolgen der Vertragsverbindung sind ein Widerrufsrecht (§ 358 Abs. 1, 2 BGB) und ein Einwendungsdurchgriff (§ 359 BGB). Dabei richten sich die Folgen des Widerrufs nach den §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 BGB. Eine wichtige Besonderheit enthält jedoch § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB: Wenn bei Wirksamwerden des Widerrufs das Darlehen dem Verkäufer bereits zugeflossen war, tritt die Bank im Verhältnis zum Käufer in die Rechte und Pflichten aus dem verbundenen Vertrag ein. Insbesondere kann der Käufer also die Rückzahlung des Kaufpreises von der Bank verlangen, obwohl diese doch den Gegenwert schon an den Verkäufer ausgezahlt hat. Damit wird das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Verkäufers vom Käufer auf die Bank verlagert. Begründen lässt sich das mit der Erwägung, dass sich unter den Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB die Bank zu einer besonders engen Zusammenarbeit mit dem Verkäufer bereit gefunden und damit Vertrauen des Käufers auf die Seriosität der Anlage (und nicht nur des Kredits) in Anspruch genommen hat.
__________ 3 Etwa BGHZ 47, 224. 4 Etwa BGH, NJW 1979, 2092. 5 Etwa BGHZ 166, 165. BGHZ 83, 301 erklärt das sogar für AGB-fest.
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II. Die Problematik Soweit die Voraussetzungen der §§ 358, 359 BGB erfüllt sind, dürfte ein ausreichender (manchmal vielleicht sogar allzu weitgehender6) Schutz des Käufers gewährleistet sein. Problematisch wird es dagegen, wenn eine dieser Voraussetzungen fehlt: Kann dann noch auf die früher entwickelten Rechtsbehelfe (oben I.1.) zurückgegriffen werden? Dafür kommen hauptsächlich zwei Fallgruppen in Betracht: Erstens ist daran zu denken, dass der Käufer nicht als Verbraucher im Sinne von § 13 BGB aufgetreten ist, also entweder keine natürliche Person ist oder das Darlehen im Rahmen einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit aufgenommen hat: Dann fehlt es nämlich an einem in den §§ 358, 359 BGB vorausgesetzten Verbraucherdarlehen und auch an einem Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB. Zudem dürfte das in diesen Vorschriften vorausgesetzte besondere Schutzbedürfnis regelmäßig nicht vorliegen7. Zweitens kommen aber auch Fälle in Betracht, in denen es an der in § 358 Abs. 3 BGB geforderten wirtschaftlichen Einheit von Kauf und Darlehen fehlt. Das ist insbesondere beim Immobilienerwerb denkbar. Denn für diesen sind die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit in § 358 Abs. 3 Satz 3 BGB restriktiv und abschließend aufgeführt. Daher lassen sich Fälle denken, in denen ein Schutz angebracht ist, obwohl eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des Gesetzes fehlt oder deren Voraussetzungen sich nicht nachweisen lassen. Auch dann kann man zu dem Rettungsanker der alten Rechtsbehelfe und insbesondere zu einem auf § 242 BGB gestützten Durchgriff Zuflucht nehmen wollen. Auf diese zweite Fallgruppe beschränke ich mich im Folgenden; die hat vor allem im Zusammenhang mit den sog. „Schrottimmobilien“8 eine Rolle gespielt.
III. Die Entwicklung der Rechtsprechung 1. Ablehnung einer Hilfe Die letzte Zuständigkeit für die hier interessierenden Fälle liegt jetzt allein beim XI. ZS des BGH. Dieser hatte zunächst9 einen Schadensersatzanspruch des durch eine Vertriebsperson getäuschten Käufers gegen die Bank aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen verneint: Da die Bank ihre Rolle als Kreditgeber nicht überschritten habe, sei sie auch nur über den Kredit auskunftspflichtig gewesen. Ein Fehler bei der Beschreibung des Kaufgegenstandes könne ihr daher auch über § 278 BGB nicht zur Last fallen. Auch eine (von der
__________ 6 Nämlich weil der Käufer auch von Risiken entlastet wird, die sich nicht aus der Trennung von Kauf und Darlehen ergeben. 7 Hierzu Canaris, ZIP 1993, 401, 411 f. 8 Diese Bezeichnung ist irreführend. Denn die Gruppe umfasst auch Fälle, in denen für technisch einwandfreie Immobilien überhöhte Preise vereinbart oder unrichtige Zusagen gemacht werden. 9 Vom 7.1.2004, NJW 2004, 1376.
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Vorinstanz noch bejahte) Durchgriffshaftung der Bank bestehe nicht. § 9 VerbrKrG enthalte nämlich für den Durchgriff eine als abschließend gewollte Regelung; ein Rückgriff auf den vorher angewendeten § 242 BGB werde dadurch ausgeschlossen. Auf diese Begründung, die ich im Ansatz für überzeugend halte, bin ich schon an anderer Stelle10 eingegangen; darauf darf ich hier verweisen. Übrigens hat sich der XI. ZS dabei im Einklang mit der überwiegenden Literatur befunden11; die Gegenansicht von Canaris12 betrifft den hier nicht zu behandelnden Fall, dass ein Nichtverbraucher als Käufer aufgetreten ist. Für solche Fälle wird man freilich im Verbraucherschutzrecht keine abschließende Regelung sehen können; die Begründung muss dann viel weiter ausgreifen. 2. Hilfe durch eine Informationspflicht a) In einer anscheinend als Grundsatzurteil gedachten Entscheidung vom 16.5.200613 hat der XI. ZS zwar unter Berufung auf frühere Rechtsprechung die Annahme eines verbundenen Geschäfts (§ 9 Abs. 3 VerbrKrG) wegen § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG abgelehnt14. In Übereinstimmung mit dem Urteil von 2004 (oben 1.) wird weiter ein auf § 242 BGB gestützter Durchgriff verneint15. Auch soll sich aus zwei Urteilen des EuGH vom 25.10.200516 nichts gegen die Wirksamkeit des Darlehensvertrages ergeben17. Schließlich18 kommt der XI. ZS dann aber doch zu einer Hilfe für den Käufer: Dieser könne aus einem Verschulden der Bank beim Vertragsschluss einen Schadensersatzanspruch haben, den er den Darlehensansprüchen der Bank entgegenhalten dürfe. Dieser Ersatzanspruch wird dann sehr ausführlich begründet. Der XI. ZS hat das inzwischen in zwei weiteren Urteilen vom 19.9.200619 und 17.10.200620 bestätigt. b) Offenbar kommt diese Konstruktion einer Schadensersatzpflicht der Bank dem vom XI. ZS abgelehnten Durchgriff im Ergebnis sehr nahe. Die Begründung musste sich daher bemühen, Unterschiede in den Voraussetzungen der beiden Rechtsbehelfe herauszuarbeiten. 3. Voraussetzungen einer Informationspflicht a) Als Gegenstand einer Informationspflicht kommt zweierlei in Betracht: nämlich erstens eine Belehrung des Käufers über sein Widerrufsrecht. Hierzu
__________ 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Medicus in FS Bülow, 2007, S. 55, 64 ff. Angaben bei BGH, NJW 2004, 1376, 1378 sub 3 b. Fn. 9. ZIP 2006, 1187 = BGHZ 168, 1. (Fn. 13) Tz. 21 m. N. (Fn. 13) Tz. 25. Zu ihnen unten bei Fn. 31. (Fn. 13) Tz. 36 ff. (Fn. 13) Tz. 50 ff. ZIP 2006, 2262. ZIP 2007, 18.
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äußert sich das Urteil zunächst21. Dabei bleibt offen, ob das Unterlassen der Belehrung eine Pflicht oder eine Obliegenheit verletzt, und ob diese Unterlassung schuldhaft sein kann, obwohl die bei der Kreditgewährung h. M. kein Widerrufsrecht angenommen hatte22. Denn jedenfalls fehlte die Kausalität zwischen dem Unterlassen eines Widerrufs und dem Schaden durch die Realisierung von Anlagerisiken23. Endlich wird in Übereinstimmung mit der h. M. eine allgemeine Aufklärungspflicht der Bank verneint24: Bei steuersparenden Bauherren-, Bauträger- und Erwerbermodellen dürfe die Bank regelmäßig davon ausgehen, die Kunden hätten das nötige Wissen selbst oder würden es sich durch Fachleute beschaffen. Auch über eine Unangemessenheit des Kaufpreises brauche die Bank nur aufzuklären, wenn sie von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ausgehen müsse25. b) Dann26 aber beruft sich der XI. ZS auf die beiden schon (oben 2. a) erwähnten Urteile des EuGH vom 25.10.2005. Diese forderten einen Schutz des Verbrauchers vor Risiken aus Kapitalanlagemodellen. Daher müssten sich die Verbraucher „in Fällen eines institutionalisierten Zusammenwirkens der kreditgebenden Bank mit dem Verkäufer oder Vertreiber des finanzierten Objekts unter erleichterten Voraussetzungen mit Erfolg auf einen die Aufklärungspflicht der Bank auslösenden konkreten Wissensvorsprung der Bank im Zusammenhang mit einer arglistigen Täuschung … berufen können“. Damit werde dem Anleger durch eine widerlegbare Vermutung der Beweis erleichtert, die Bank habe die arglistige Täuschung des Käufers durch eine Verkaufsperson gekannt27. Auf diese Voraussetzungen ist jetzt einzugehen. c) Im Zentrum der genannten Aufforderungen steht der – auch in dem amtlichen Leitsatz 3 des Urteils genannte – „konkrete Wissensvorsprung“ der Bank gegenüber dem Käufer. Mit dem Adjektiv „konkret“ kann nicht die Abgrenzung gegenüber dem allgemeinen Wissen (etwa über Kreditgeschäfte) gemeint sein. Denn insoweit ist ein Vorsprung der Bank gegenüber einem Verbraucher wohl stets gegeben. Um eine solche allgemeine Überlegenheit ging es auch gar nicht. Vielmehr hat der XI. ZS auf die Kenntnis der Bank von „den grob falschen Angaben des Vermittlers über die angeblichen monatlichen Mieteinahmen“ abgestellt28. Der Wissensvorsprung muss also den Kauf (nicht das Darlehen) betreffen. Nur ein solcher Wissensvorsprung kann ja auch sinnvoll zu einer Auskunft gerade über den Kauf verpflichten. Nicht erörtert hat der XI. ZS die Vorfrage, nämlich was „die Bank“ überhaupt weiß. „Wissen“ ist ja primär eine Sache des menschlichen Gehirns. Aber auf
__________ 21 (Fn. 13) Tz. 36 ff. 22 (Fn. 13) Tz. 37, dazu treffend Benedict, AcP 206 (2006), 56, 64 f. 23 (Fn. 13) Tz. 38, ebenso BGH, ZIP 2006, 2210, 2211 f. Tz. 15; BGH, ZIP 2006, 2262, 2266 f. Tz. 40 ff. 24 (Fn. 13) Tz. 41. 25 (Fn. 13) Tz. 47. 26 (Fn. 13) Tz. 50. 27 (Fn. 13) Tz. 51. 28 (Fn. 13) Tz. 56.
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welche konkreten Menschen innerhalb der Bank soll es dabei ankommen? Müssen sie Vertretungsmacht haben (vgl. § 166 BGB)? Oder müssen sie gar deren Organ sein (§ 31 BGB)? Kann man das Detailwissen mehrerer Menschen (vielleicht noch in verschiedenen Bankfilialen) zu einem Gesamtbild nach Art eines Mosaiks zusammenfügen? Wie steht es mit dem Wissen, das in Akten oder elektronischen Speichern steckt? Welche Anstrengungen sind nötig, um den Inhalt solcher Speicher nutzbar zu machen? Wann erlischt das Wissen durch Vergessen oder andere Umstände, etwa durch Vernichtung der gespeicherten Daten?29 Der XI. ZS hat diese Fragen vermieden, indem er ohne weiteres ein bestimmtes Wissen „der Bank“ vermutet hat. Dagegen hätten sie unvermeidbar auftauchen können, wenn die Bank die ihr ausdrücklich vorbehaltene Widerlegung der Vermutung versucht hätte. Damit aber hat sich der XI. ZS hier nicht weiter beschäftigt. d) Basis der genannten Vermutung soll ein „institutionalisiertes Zusammenwirken“ der Bank mit dem Verkäufer oder Vertreiber der Anlage sein. Hierfür enthält das Urteil erläuternde Angaben. aa) Zunächst lässt sich mit Gewissheit sagen, was nicht gemeint sein kann. Denn am Ende des Urteils30 heißt es ausdrücklich, die Bank brauche sich unrichtige Erklärungen des Vermittlers nicht nach § 278 BGB zurechnen zu lassen. Der Vermittler werde nämlich als Erfüllungsgehilfe der Bank nur insoweit tätig, als sein Verhalten die Anbahnung des Kreditvertrages betreffe. Erklärungen zum Wert des Kaufobjekts und zur daraus folgenden Belastung des Käufers beträfen aber nicht das Darlehen, sondern das Anlagegeschäft; sie lägen daher außerhalb des Pflichtenkreises der Bank. Kurz gesagt: Das institutionelle Zusammenwirken kann nicht darin bestehen, dass die Bank sich des Vermittlers zur Aufklärung über das Anlageobjekt bedient, weil die Bank insoweit keine Aufklärung schuldet. bb) Weiter kann nach dem Urteil das maßgebliche Zusammenwirken nicht schon aus einer vorab gegebenen Finanzierungszusage der Bank gefolgert werden31. Denn eine solche Zusage fördert zwar die Planung und den Vertrieb der Anlage. Aber die Vermutung, die Bank habe auch Unredlichkeiten beim Vertrieb gekannt, lässt sich daraus gewiss nicht herleiten. cc) Positiv wird die „institutionelle Zusammenarbeit“ und damit die Basis für die Vermutung einer Kenntnis der Bank wie folgt umschrieben32: Zwischen der Bank und dem Verkäufer, Initiator oder Vermittler des Kaufobjektes müsse eine ständige Geschäftsbeziehung bestehen, etwa in Form einer Vertriebsvereinbarung oder Ähnlichem. Oder den Vermittlern müssten von der Bank Büroräume überlassen worden sein. Oder der Vermittler müsse – von der Bank unbeanstandet – deren Formulierungen benutzt haben. Oder der Verkäufer oder
__________ 29 30 31 32
Vgl. etwa Medicus, BGB Allg. Teil, 9. Aufl. 2006, Rz. 904a ff. (Fn. 13) Tz. 62. (Fn. 13) Tz. 53. (Fn. 13) Tz. 53, übereinstimmend mit BGH, ZGS 2007, 31, 33 f. Tz. 30.
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Vermittler müsse der Bank wiederholt Finanzierungen von Eigentumswohnungen oder Fondsbeteiligungen desselben Objekts vermittelt haben. e) Es leuchtet ein, dass die Bank durch eine solche Zusammenarbeit Kenntnis von den Anlageobjekten erhält (zumal sie diese ja auch häufig als Sicherungsmittel für ihre Kredite verwendet). Daraus folgt aber noch nicht die eigentlich maßgebliche Kenntnis von den Angaben und Zusicherungen, mit denen das Objekt verkauft wird. Daher verlangt das Urteil zusätzlich, die Unrichtigkeit der Angaben müsse nach den Umständen des Falles evident sein, so dass sich aufdränge, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschung33 geradezu verschlossen34. Damit wird zweierlei verlangt: erstens die Evidenz der Unrichtigkeit der Angaben, mit deren Hilfe das Objekt vertrieben wird. Diese Evidenz soll derart sein, dass sie den Rückschluss auf eine Kenntnis der Bank oder doch auf ein Sichverschließen der Bank vor der Kenntnis erlaubt. Und zweitens wird hier und etwa auch in dem amtlichen Leitsatz 3 des Urteils von einer arglistigen Täuschung des Käufers durch den Verkäufer oder dessen Hilfspersonen gesprochen. Danach würden bloß fahrlässig unrichtige Angaben beim Vertrieb etwa über die zu erwartenden Mieteinahmen nicht genügen. Hierüber ist genauer nachzudenken. 4. Insbesondere die arglistige Täuschung a) Fraglich ist zunächst schon, warum eine arglistige Täuschung des Käufers durch den Verkäufer oder dessen Hilfsperson eine Voraussetzung für die Informationspflicht der Bank sein soll. Denn das Aufklärungsbedürfnis des Käufers beruht nur auf der Unrichtigkeit der Angaben und hängt nicht von dem Verschuldensgrad des Verkäufers oder seiner Hilfspersonen ab. So gesehen leuchtet also ein Abstellen auf eine Arglist nicht recht ein. Zudem kann die Bezugnahme auf die arglistige Täuschung auch bloß darauf beruhen, dass es in dem zu entscheidenden Fall nur um eine solche gegangen ist. Vielleicht hat sich also der Senat für eine weniger schwer wiegende Schuld bloß nicht festlegen wollen. Immerhin stellen aber auch die beiden späteren Urteile35 auf eine arglistige Täuschung ab. Der Grund dafür dürfte sich aus Folgendem ergeben. b) Die genannte Rechtsprechung des XI. ZS steht in einem größeren, nämlich europarechtlichem Zusammenhang: Bei einigen deutschen Gerichten waren Zweifel an der Zurückhaltung insbesondere des XI. ZS zur Bankenhaftung bei unterbliebener Widerrufsbelehrung nach der Haustürgeschäfte-Richtlinie 85/577/EWG aufgetaucht. Daher hatten das LG Bochum36 und das OLG Bremen37 um eine Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit dieser Recht-
__________ 33 34 35 36 37
Dazu sogleich 4. (Fn. 13), Tz. 52. Vgl. oben 2.b), nämlich v. 19.9. und 17.10.2005. NJW 2003, 2612 (Schulte ./. Badenia). NJW 2004, 2238 (Conrads u. a. ./. Crailsheimer Volksbank).
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sprechung mit der Richtlinie ersucht. Über dieses Ersuchen hat der EuGH in zwei Urteilen vom 25.10.200538 entschieden. Dabei hat er im wesentlichen Teil der beanstandeten BGH-Rechtsprechung keinen Widerspruch zu der Richtlinie gesehen. Am Ende beider Entscheidungen39 findet sich dann aber doch eine verbraucherschützende Bemerkung: Die als Käufer auftretenden Verbraucher sollten von bestimmten mit der Anlage verbundenen Risiken entlastet werden, wenn sie von der Bank über ihr Widerrufsrecht nicht belehrt worden waren und daher die Risiken nicht durch einen Widerruf vermeiden konnten. Die nationalen Regelungen seien so weit wie möglich im Sinn einer solchen Entlastung auszulegen. In dem hier behandelten Grundsatzurteil hat der XI. ZS40 diesen Satz der EuGH-Entscheidung für unanwendbar gehalten: Im Ausgangsfall sei nämlich der Käufer beim Abschluss des Darlehens schon an den Immobilienkauf gebunden gewesen. Das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften solle aber dem Verbraucher nur ermöglichen, das (vielleicht übereilte) Geschäft noch einmal zu überdenken. Dagegen solle er sich nicht von solchen Geschäften lösen können, für die das Unterbleiben der Widerrufsbelehrung nicht kausal geworden sei. So lag es im Ausgangsfall, und daher passten die EuGH-Entscheidungen nicht. Trotz der vom XI. ZS angenommenen Unanwendbarkeit der EuGH-Entscheidungen hat er sich aber doch auf diese berufen. Er hat nämlich „zur Effektivierung des Verbraucherschutzes bei realkreditfinanzierten Wohnungskäufen …, die nicht als verbundene Geschäfte behandelt werden können“, seine Rechtsprechung zu Lasten der finanzierenden Banken verschärft41. Diesem Zweck dienen die Annahme eine Aufklärungspflicht der Bank wegen ihres konkreten Wissensvorsprungs und die Vermutung von dem Wissen der Bank. c) Diese Vorgeschichte rechtfertigt es jedenfalls, die vom XI. ZS postulierte Haftung der Bank wegen eines Wissensvorsprungs auf den Schutz gerade von Verbrauchern zu beschränken. Ob sich aus der Vorgeschichte auch eine Beschränkung auf die Fälle der arglistigen Täuschung ergibt, kann dagegen viel zweifelhafter sein. Denn der EuGH42 spricht von dem Risiko enttäuschter Erwartungen des Verbrauchers; wie es dazu gekommen ist, erwähnt er nicht. Doch bleibt zu bedenken: Die vom XI. ZS begründete Ersatzpflicht der Banken wegen ihres Wissensvorsprungs kommt zu einem ähnlichen Ergebnis – nämlich zu einer Risikoabwälzung, wie sie nach den §§ 358, 359 BGB beim Durchgriff von Widerruf oder Einwendung stattfindet: Der Partner des Käufers beim Darlehen (also die Bank) wird mit den Risiken (oder genauer: den Schäden) aus dem Kauf belastet, wenn er dem Käufer nicht sein überlegenes Wissen offenbart hat. Damit wird die Regel durchbrochen, dass niemand wegen der Verlet-
__________ 38 NJW 2005, 3551 und 3555. 39 NJW 2005, 3554 Tz. 98 ff.; ebd. 3555 Tz. 47 f. Dazu kritisch etwa Benedict, AcP 206 (2006), 56, 62 ff. 40 (Fn. 13) Tz. 36 ff. 41 (Fn. 13) Tz. 50. 42 NJW 2005, 3552 Tz. 52, dazu etwa A. Staudinger, NJW 2005, 3521 ff.; Häublein, NJW 2006, 1553 ff., beide m. N.
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zung fremder Vertragspflichten (nämlich hier solcher des Verkäufers) zu haften braucht. Diese Regel folgt dogmatisch aus der Relativität von Schuldverhältnissen. Und wertungsmäßig steht dahinter die Erwägung, der Käufer schenke hinsichtlich der Angaben über den Verkaufsgegenstand dem Verkäufer oder dessen Vermittler Vertrauen und erwarte insoweit keine Aufklärung von der Bank. Der Eingriff in diese wohlbegründeten Regeln sollte möglichst eng begrenzt bleiben. d) Dass die Haftung der Bank auf Fälle einer arglistigen Täuschung beschränkt bleibt, lässt sich vielleicht noch mit folgender Erklärung unterstützen: Die arglistige Täuschung durch den Verkäufer oder Vermittler bedeutet strafrechtlich regelmäßig einen Betrug zum Nachteil des Käufers. Wenn die Bank die hierfür maßgeblichen Umstände kennt, leistet sie durch die Zusage und dann auch die Gewährung des Kredits womöglich Beihilfe. Dann käme ein Ersatzanspruch des Käufers gegen die Bank aus den §§ 830 Abs. 2, 840 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB in Betracht. Allerdings stößt ein solcher Anspruch wegen der strengeren Anforderungen des Strafrechts schon hinsichtlich des Beweises wohl regelmäßig auf Schwierigkeiten. Auch kommt „die Bank“ als solche regelmäßig nicht als Gehilfe in Betracht. Vor allem aber würde für den nötigen strafrechtlichen Vorsatz das leichter beweisbare bloße „Sichverschließen“ vor der Kenntnis der arglistigen Täuschung (des Betruges als Haupttat) kaum genügen. Daher macht es guten Sinn, die Haftung „der Bank“ unabhängig vom Strafrecht zu begründen. Aber die im Strafrecht sich ausdrückende besondere Missbilligung der vermögensschädigenden arglistigen Täuschung mag doch auch bei der zivilrechtlichen Bewertung berücksichtigt werden. e) Insgesamt hat der XI. ZS wohl recht daran getan, den Schutz des Käufers gegen die Bank zunächst auf die besonders „schlimmen“ Fälle, nämlich auf die der arglistigen Täuschung, zu beschränken43. Das gilt zumal angesichts des Umstandes, dass im Ergebnis die Begrenzung dieser Haftung durch § 358 Abs. 3 Satz 3 BGB eingeschränkt wird.
IV. Die dogmatische Einordnung 1. Verschulden bei Vertragsverhandlungen Der XI. ZS hat den Ersatzanspruch des Käufers wegen des Fehlens einer Information durch die Bank ausdrücklich auf ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen gestützt44. Passend ist das insofern, als die Informationspflicht der Bank regelmäßig schon vor Abschluss des Kreditvertrages erfüllt werden muss. Das ergibt sich aus ihrem Zweck: Sie soll den ein Darlehen Beantragenden hinsichtlich des Kaufes warnen, und das muss vor dessen Abschluss geschehen. Dieser Abschluss erfolgt aber regelmäßig ungefähr gleichzeitig mit demjenigen
__________ 43 Anders Kulke, ZGS 2007, 10 Fn. 11 m. N. 44 (Fn. 13) Tz. 35, deutlich auch BGH, ZIP 2007, 18, 19 ff. Tz. 14, 22.
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des Darlehens, so dass schon bei den Verhandlungen über dieses gewarnt werden muss. 2. Zweifel Andererseits gibt es aber auch Argumente, die gegen eine Einordnung beim Verschulden bei Vertragsverhandlungen zu sprechen scheinen. Denn unter den Voraussetzungen für eine Haftung der Bank finden sich zwei, die als Verschulden eher an Vorsatz als an die beim Verschulden bei Vertragsverhandlungen zu erwartende (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB) Fahrlässigkeit denken lassen. Das gilt einmal für das eben behandelte Erfordernis einer arglistigen Täuschung des Käufers. Und zweitens soll die Bank von der Täuschung Kenntnis haben oder sich einer solchen Kenntnis geradezu verschließen; bloß fahrlässige Unkenntnis soll also nicht genügen. Beides lässt mehr an eine eigenartige, mit dem gewöhnlichen Verschulden bei Vertragsverhandlungen kaum zu erfassende Haftung denken. 3. Pflichtverletzung und Verschulden Der eben genannte Grund zum Zweifel lässt sich aber überwinden, wenn man beim Verschulden bei Vertragsverhandlungen genauer zwischen der Pflichtverletzung und dem Vertretenmüssen unterscheidet: Die auf ein Vorsatzerfordernis hindeutenden Umstände beziehen sich nämlich in Wahrheit auf die Begründung der Pflicht und nicht auf das Verschulden der Bank bei der Pflichtverletzung. Das gilt zunächst für das Erfordernis von Kenntnis oder Evidenz. Es bedeutet, dass die Bank hinsichtlich des zu verkaufenden Objekts und der kaufvertraglichen Zusagen keine Nachforschungen anzustellen braucht. Wenn Kenntnis oder Evidenz fehlen, kommt eine Informationspflicht gegenüber dem Darlehensnehmer nicht in Betracht. Entsprechend verhält es sich hinsichtlich der arglistigen Täuschung: Auch wenn es an einer solchen fehlt, sondern bloß Fahrlässigkeit vorliegt, braucht die Bank nicht zu warnen. Denn eine bloß fahrlässig unrichtige Angabe (etwa hinsichtlich der zu erwartenden Mieteingänge) herauszufinden, würde umfangreichere Nachforschungen erfordern, die der XI. ZS der Bank anscheinend nicht zumuten will. Die Frage nach einem Vertretenmüssen der Bank stellt sich also erst, wenn die pflichtbegründenden Merkmale vorliegen. Hier kommt es dann nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit bezüglich der Pflichtverletzung an45.
__________ 45 Der Gedanke an eine auf Gemeinschaftsrecht beruhende, verschuldensunabhängige Ersatzpflicht (etwa Kulke, ZGS 2007, 10, 12) übersieht die Hindernisse aus dem Kausalitätserfordernis. Die dort sub b folgende Erörterung einer „unwiderlegbaren Vermutung“ bleibt mir unverständlich: Fraglich ist doch die Ausübung des Widerrufsrechts, wenn ordentlich belehrt worden wäre, und diese Ausübung binnen der kurzen Frist ist ganz unwahrscheinlich.
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Informationspflichten der Bank bei finanziertem Geschäft
V. Zusammenfassung Das Gesagte lässt sich wie folgt zusammenfassen: Beim bankfinanzierten Immobiliarerwerb gilt zwar grundsätzlich die Trennungstheorie46. Dennoch genießt der Verbraucher einen weitreichenden Schutz durch die §§ 358 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 Satz 3 sowie 359 BGB: Er braucht aus seinem Widerruf oder einer Pflichtverletzung des Verkäufers folgende Ansprüche nicht gegen diesen geltend zu machen, sondern hat stattdessen die (im Zweifel zahlungskräftigere) Bank als Schuldner. Ergänzt wird dieser Schutz seit dem Urteil des XI. ZS vom 16.5.200647 durch Schadensersatzansprüche gegen die Bank aus Verletzung einer Informationspflicht. Diese setzt freilich eine arglistige Täuschung des Käufers durch den Verkäufer oder seine Vertriebspersonen voraus, die der Bank evident sein muss. Die Bank haftet dann auf Schadensersatz nach den §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ob es darüber hinaus einer weiterreichende Ersatzpflicht der Bank wegen Unterlassung der Widerrufsbelehrung nach der verbraucherschützenden Sentenz des EuGH gibt, hat der XI. ZS noch nicht zu entscheiden brauchen. Doch bildet insofern wenigstens das Erfordernis einer haftungsbegründenden Kausalität48 ein nur schwer zu überwindendes Hindernis. Der ganze Problemkreis kann übrigens unter die weitergehende Fragestellung „Verbraucherrecht und allgemeines Zivilrecht“ eingeordnet werden: Dürfen die Grenzen des Verbraucherschutzrechts durch die weiterreichenden allgemeinen Rechtsbehelfe des Zivilrechts überschritten werden? Dafür scheint zu sprechen, dass die europäischen Richtlinien regelmäßig einen überschießenden Schutz durch das nationale Recht zulassen. Dass die Frage dennoch nicht ohne Vorbehalt bejaht werden kann, habe ich an anderer Stelle49 zu zeigen versucht. Diese für Harm Peter Westermann bestimmten Zeilen gelten einem hervorragenden Gelehrten, dessen Interessen weit über das Zivilrecht hinausreichen. Trotzdem hoffe ich, dass auch die auf das Zivilrecht beschränkte Abhandlung seine freundliche Aufmerksamkeit finden möge50.
__________ 46 Gegen die Rechtsprechung des XI. ZS Kiesow, Kredite in der Risikogesellschaft, 2006; dazu Wielsch, NJW 2007, 280. Aber dass der XI. ZS ein „Weiterentwicklungsverbot“ verhängt hätte, wird schon durch dessen hier dargestellte Rechtsprechung widerlegt. Und dass die Lösung „letztlich in der Gesellschaft“ gefunden werden müsse, ist eine geradezu hilflose Auskunft. 47 Fn. 13. 48 Dazu Medicus in FS Richardi, 2007, S. 1133 ff. 49 FS Bülow (Fn. 10), S. 10 Fn. 11 m. N. 50 Diese Arbeit ist Anfang Februar 2007 abgeschlossen worden.
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Gestaltungsformen und Zulässigkeitsschranken bei Ersetzungsklauseln Inhaltsübersicht A. Einleitung B. Begriffliche Einordnung und Darstellung der Ersetzungsklausel I. Salvatorische Klausel 1. Sinn und Zweck der salvatorischen Klausel 2. Formen der salvatorischen Klausel 3. Wirkung der salvatorischen Klausel II. Ersetzungsklausel 1. Ziele der Ersetzungsklausel 2. Gestaltungsformen der Ersetzungsklausel a) Zuständigkeit aa) Automatische Ersetzung bb) Ersetzungsverpflichtung beider Vertragsparteien cc) Ersetzungsermächtigung einer Vertragspartei dd) Ersetzungsermächtigung eines Dritten ee) Fehlen einer ausdrücklichen Ersetzungszuständigkeit b) Maßstab aa) Unwirksame Klausel bb) Parteiwille cc) Sinn und Zweck dd) Billiges Ermessen gem. §§ 315 ff. BGB ee) Dispositives Recht
ff) Reduktionsklausel gg) Gesetzesverweisende Klausel c) Grad aa) 1. Klauseltyp bb) 2. Klauseltyp d) Zusammenfassung C. Wirksamkeit der Gestaltungsformen der Ersetzungsklausel I. Ersetzungsklauseln als Individualvereinbarungen II. Ersetzungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1. Schranken der Inhaltskontrolle, § 307 Abs. 3 BGB 2. Inhaltskontrolle, §§ 307–309 BGB a) Spezielle Klauselverbote, §§ 308, 309 BGB b) Generalklausel, § 307 BGB aa) Unangemessene Benachteiligung, § 307 Abs. 2 BGB bb) Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB cc) Verstoß gegen Treu und Glauben, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB 3. Ersetzungsklausel in Unternehmerverträgen 4. Zusammenfassung D. Resümee
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A. Einleitung Die Vertragsgestaltung ist eine Ausprägung der Kautelarjurisprudenz, deren Tätigkeiten anders als die der Dezisionsjurisprudenz auf die Zukunft gerichtet sind1. Da aber eine gewisse Prognoseunsicherheit bezüglich zukünftiger Entwicklungen besteht, stellt sich im Rahmen der Vertragsgestaltung die Wahl geeigneter und inhaltlich ausreichender Kautelen als problematisch dar. So müssen die Vorsichtsmaßregeln mit Bedacht gewählt werden, denn im Streitfall werden sie Gegenstand der richterlichen Auslegung2. Die Kautelen müssen damit der Zweckverwirklichung sowie der Störfallvorsorge gerecht werden, aber auch mit zwingendem Recht vereinbar sein3. Ferner sollte bei der Rechtsgestaltung eine mögliche Änderung der Rechtsprechung in Betracht gezogen werden4. Der dadurch entstehenden Rechtsunsicherheit kann durch den Rückgriff auf Anpassungsmechanismen vorgebeugt werden, unter besonderer Berücksichtigung des Postulates des sicheren Weges5. Bei einem dieser Anpassungsmechanismen handelt es sich um die Ersetzungsklausel, welche bei unvorhergesehener Unwirksamkeit vereinbarter Vertragsklauseln zum Einsatz kommt.
B. Begriffliche Einordnung und Darstellung der Ersetzungsklausel Die Begriffe „Ersetzungsklausel“ und „salvatorische Klausel“ werden häufig synonym verwandt, doch muss bei diesen Termini eine sprachliche Differenzierung vorgenommen werden6.
I. Salvatorische Klausel Die salvatorische Klausel ist in der Vertragsgestaltung eine gebräuchliche Klausel, die in verschiedenen Ausgestaltungen zumeist in den Schlussbestimmungen eines Vertrages auftritt7. Der Begriff lässt sich aus dem lateinischen Wort „salvare“ ableiten, was so viel wie „erretten“ bedeutet8.
__________ 1 Langenfeld, Vertragsgestaltung, 3. Aufl. 2004, Rz. 1; Junker/Kamanabrou, Vertragsgestaltung, 2. Aufl. 2007, Rz. 3; Langenfeld, Einführung in die Vertragsgestaltung, 2001, Rz. 22; Rehbinder, Vertragsgestaltung, 1993, S. 1; Teichmann, JuS 2001, 870, 872 f.; Larenz/Wolf, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 32 Rz. 8. 2 Sontheimer, Vertragsgestaltung, 2001, S. 1; Langenfeld, Einführung (Fn. 1), Rz. 22. 3 Junker/Kamanabrou (Fn. 1), Rz. 4, 6; Langenfeld, Vertragsgestaltung (Fn. 1), Rz. 10; Rehbinder (Fn. 1), S. 1 f. 4 Langenfeld, Vertragsgestaltung (Fn. 1), Rz. 195; Rehbinder (Fn. 1), S. 88; Rittershaus/ Teichmann, Vertragsgestaltung, 2003, Rz. 206; Flume, DB 1986, 629, 635 f. 5 BGH, NJW 1988, 1079, 1080; Rehbinder (Fn. 1), S. 23, 88; Langenfeld, Vertragsgestaltung (Fn. 1), Rz. 217 ff.; Junker/Kamanabrou (Fn. 1), Rz. 34. 6 Baur in FS Vieregge, 1995, S. 31, 33; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, 1988, S. 103 f. 7 Rittershaus/Teichmann (Fn. 4), Rz. 507; Fingerhut, Formularbuch, 2002, Rz. 6001, VIII.3.; vgl. Michalski/Römermann, Vertrag der Partnerschaftsgesellschaft, 3. Aufl. 2002, Rz. 318. 8 Prasse, ZGS 2004, 141; Baur in FS Vieregge (Fn. 6), S. 31.
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Gestaltungsformen und Zulässigkeitsschranken bei Ersetzungsklauseln
1. Sinn und Zweck der salvatorischen Klausel Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist nach § 139 BGB das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Diese Rechtsfolge entspricht oftmals nicht den Interessen der Vertragsparteien. Eine salvatorische Klausel verfolgt den Zweck, im Falle der Unwirksamkeit einer Klausel zumindest die Gesamtnichtigkeit auszuschließen und zusätzlich noch eine Ersatzregelung für den nichtigen Vertragsbestandteil bereitzustellen, damit der Vertrag so weit wie möglich aufrechterhalten werden kann9. Um dieses Ziel zu erreichen, werden verschiedene Formen einer salvatorischen Klausel verwendet10. 2. Formen der salvatorischen Klausel In der Vertragsgestaltungspraxis sind insbesondere folgende Formen der salvatorischen Klausel zu unterscheiden11: Die Erhaltungs- oder Teilnichtigkeitsklausel dient dazu, die Gesamtnichtigkeit gem. § 139 BGB durch folgende Formulierung auszuschließen12: „Durch die Unwirksamkeit einer oder mehrerer Bestimmungen dieses Vertrages wird die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt.“
Dagegen regelt die Ersetzungsklausel, in welcher Weise das Gesetzesrecht oder die bestehende Regelungslücke durch einen anderen, wirksamen Klauselinhalt ersetzt wird. Auch diese Klausel kann den § 139 BGB verdrängen13. In der Regel ist eine salvatorische Klausel zweigliedrig ausgestaltet und besteht aus einer Kombination dieser beiden Arten14. 3. Wirkung der salvatorischen Klausel Eine Erhaltungsklausel regelt, dass an die Stelle der teilnichtigen Klausel das dispositive Gesetzesrecht tritt, soweit der betroffene Sachbereich gesetzlich geregelt ist. Kann auf keine dispositive Regelung im Gesetz zurückgegriffen werden, wird versucht, die bestehende Vertragslücke durch ergänzende Ver-
__________ 9 OLG Hamm, NJOZ 2003, 2065, 2071; Rehbinder (Fn. 1), S. 36 f.; Heussen in Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, 3. Aufl. 2007, Rz. 1520; Junker/Kamanabrou (Fn. 1), Rz. 50; Prasse, ZGS 2004, 141. Das OLG Jena ist der Ansicht, salvatorische Klauseln seien eine Ausgestaltung der allg. Verpflichtung jeder Vertragspartei, dazu beizutragen, dass der Vertragszweck umfassend erreicht wird, NZM 1999, 906, 908. Döser meint, salvatorische Klauseln brächten das Misstrauen ggü. dem dt. Recht zum Ausdruck, NJW 2000, 1451, 1453. 10 Rittershaus/Teichmann (Fn. 4), Rz. 274. 11 Davon zu differenzieren sind Entschädigungsregelungen des öffentlichen Rechts, die im Zusammenhang mit der Enteignung des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG auftreten, vgl. Roller, NJW 2001, 1003 ff. 12 Rehbinder (Fn. 1), S. 37; Langenfeld, Einführung (Fn. 1), Rz. 187. 13 Michalski, NZG 1998, 7; Heinrichs in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 139 BGB Rz. 17. 14 BGH, NZM 2005, 502, 503; Langenfeld, Vertragsgestaltung (Fn. 1), Rz. 345; Strohe, NJW 2003, 1780; Baur in FS Vieregge (Fn. 6), S. 32.
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tragsauslegung zu schließen. Eine für die Parteien vorteilhafte Abweichung vom dispositiven Recht bzw. von der ergänzenden Auslegung wird durch vorherige Vereinbarung einer Ersetzungsklausel erreicht. Die Wirkung von Erhaltungs- und Ersetzungsklauseln war aber lange Zeit umstritten15. Der BGH vertrat zusammen mit Teilen des Schrifttums die Meinung, dass eine Erhaltungsklausel eindeutig sei. Sie sei einer Auslegung dahingehend entzogen, dass ihre Geltung auf Abreden ohne wirtschaftliche Auswirkungen beschränkt sein soll, falls der nichtige Vertragsbestandteil abtrennbar sei. Etwas anderes gelte nur, wenn der Schutzzweck des Gesetzes einer Aufrechterhaltung der Verträge entgegen stünde. Enthält ein Vertrag eine Ersetzungsklausel, könne § 139 BGB zulässigerweise abbedungen werden, da es sich bei § 139 BGB um dispositives Recht handele. Aus diesem Grund sei für eine Prüfung, ob die Aufrechterhaltung des Vertrages dem Parteiwillen entspreche, kein Raum mehr16. Diese Ansicht hat der BGH mittlerweile aufgegeben und sich den Stimmen der Literatur und der Rechtsprechung anderer Zivilsenate angeschlossen, die diese Klauseln als Umkehr der Beweislastvermutung bewerten. Die Erhaltungs- und auch die Ersetzungsklausel führen somit nicht mehr in jedem Fall zur Aufrechterhaltung eines Vertrages, sondern regeln nur noch die Darlegungs- und Beweislast zu Lasten desjenigen, der sich auf die Gesamtunwirksamkeit beruft. Es bedarf daher stets der Prüfung, ob die Parteien das Geschäft als Ganzes verworfen hätten oder den Rest hätten gelten lassen. Begründet wird dies damit, dass auch eine eindeutige Klausel auslegungsfähig sei, da die Klausel keine Vermutung dafür begründe, dass der Vertrag auch ohne den nichtigen Teil Bestand haben solle. Daher müsse der wirkliche Wille der Parteien gem. §§ 133, 157 BGB ermittelt werden17. Bei der Frage, ob die Parteien das teilnichtige Geschäft doch oder nicht mehr gewollt hätten, verkennt der BGH allerdings, dass man sie erst dann stellen kann, wenn eine Vertragsergänzung nach der Ersetzungsklausel stattgefunden hat. Sinn und Zweck einer Ersetzungsklausel würden unterlaufen, würde man sie nicht zur Beurteilung der Interessen der Parteien heranziehen18. Der BGH hat entschieden, dass durch eine obligatorische Ersetzungsklausel der Eintritt der Nichtigkeitsfolgen weder verhindert noch kompensiert werden kann, solange von den Parteien keine Ersatzvereinbarung getroffen worden ist19. Dies ist dann richtig, wenn die essentiellen Leistungspflichten in einem Austausch-
__________ 15 Michalski, NZG 1998, 7. Vgl. Darstellung bei Emmerich, JuS 2003, 497. 16 BGH, NJW 1994, 1651, 1653; Baur, RdE 1997, 41, 44; Westermann in FS Möhring, 1975, S. 135, 139; Emmerich, JuS 2003, 497. 17 BGH, NJW-RR 2005, 1534; BGH, NJW 2003, 347 f.; BGH, NJW 1996, 773, 774; BGH, NJW 1997, 933, 935; Ulmer in FS Steindorff, 1990, S. 799, 805; Busche in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 139 BGB Rz. 5; Hefermehl in Soergel, 13. Aufl. 1999, § 139 BGB Rz. 2; Palm in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 139 BGB Rz. 10; Herbert, JA 2003, 353, 354; Drexl, EWiR 2003, 311, 312; Goette, DStR 1995, 1925, 1926; Klapperich in Schulte-Nölke/Frenz/Flohr, Formularbuch, 2003, S. 182. 18 Bunte, GRUR 2004, 301, 303. 19 BGH, NJW 1996, 773, 774; BGH, DStR 1995, 1924, 1925.
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Gestaltungsformen und Zulässigkeitsschranken bei Ersetzungsklauseln
vertrag betroffen sind. In der Regel jedoch begründet erst die Ersetzungsklausel die vertragliche Pflicht der Parteien, z. B. durch Neuverhandlungen eine Ersetzung der unwirksamen Klausel vorzunehmen20. Es liegt also in der Natur der Ersetzungsklausel, dass eine konkrete Ersatzvereinbarung von den Parteien noch nicht getroffen wurde. Daher muss die Ersetzungsklausel gegenüber der Prüfung, ob die Parteien den Rest des Vertrages gelten lassen wollen, vorrangig sein21. Andererseits aber führt die neue Ansicht des BGH durch die Umkehr der Beweislastvermutung praktisch zu sachgerechten Ergebnissen. Zwar wird dieser Entlastungsbeweis demjenigen, der sich auf die Gesamtnichtigkeit des Vertrages beruft, leichter gelingen, wenn nur eine Erhaltungsklausel vereinbart war. Jedoch wird es schwer für ihn sein zu beweisen, dass zudem die speziellere Ersetzungsklausel nicht gelten soll. Der Richter wird somit in seiner Entscheidung durch die Ersetzungsklausel beeinflusst und sich für die Aufrechterhaltung des Vertrages entscheiden.
II. Ersetzungsklausel 1. Ziele der Ersetzungsklausel Durch die Ersetzungsklausel soll eine nichtige Kautele durch eine neue Bestimmung ersetzt oder eine Vertragslücke geschlossen werden22. Dies gilt für alle unterschiedlichen Formulierungsmöglichkeiten der Ersetzungsklausel, etwa: „Die Bestimmung … ist zu ersetzen, auszufüllen, zu gestalten, zu ergänzen oder umzudeuten.“ Zum anderen wird im Rahmen der Vertragsgestaltung durch die Ersetzungsklausel eine erhöhte Rechtssicherheit geschaffen, indem sie Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sowie Sanktionen und Prozessfolgen auslöst. Ebenso kann die Ersetzungsklausel das Risiko einer Schadensersatzpflicht des vertragsgestaltenden Beraters der Parteien verhindern, soweit dieser die Nichtigkeit oder Lückenhaftigkeit des Rechtsgeschäfts zu vertreten hat. Denn durch eine gelungene Ersetzung entstehen den Parteien keine Schäden23. Um dem Bedürfnis der Vertragsparteien und deren Berater nach mehr Rechtssicherheit nachzukommen, wird i. d. R. auf eine möglichst konkrete Ausformung der Ersetzungsklausel zurückgegriffen. 2. Gestaltungsformen der Ersetzungsklausel Das Ziel einer erhöhten Rechtssicherheit kann nur dann erreicht werden, wenn eine Klausel möglichst genaue Informationen darüber enthält, wer die Klausel ersetzen soll (Zuständigkeit), welche Richtschnur für die Ersetzung heranzuziehen ist (Maßstab) und wie groß der Gestaltungsspielraum hierfür ist (Grad). Daraus haben sich verschiedene Klauselarten entwickelt. Die Frage,
__________ 20 21 22 23
Bunte, GRUR 2004, 301, 303. So auch Bunte, GRUR 2004, 301, 304. A. A. OLG Düsseldorf, DB 2002, 943, 944. Beyer, Salvatorische Klauseln, 1988, S. 56; Michalski, NZG 1998, 7, 8. Michalski, NZG 1998, 7, 8; Beyer (Fn. 22), S. 111 f.
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welche Wirksamkeitsanforderungen an die einzelnen Formen der Ersetzungsklausel zu stellen sind, lässt sich anhand ihrer Rechtsnatur beantworten. Erfüllen die Klauseln diese Anforderungen nicht, sind sie unzulässig24. a) Zuständigkeit Das Merkmal „Zuständigkeit“ regelt, wer die Ersetzung der Klausel vornehmen soll. aa) Automatische Ersetzung Bei der Vereinbarung einer „automatischen“ Ersetzung tritt die Ersatzregelung ohne weiteres Tätigwerden der Parteien an die Stelle der nichtigen Regelung oder der Vertragslücke und verändert unmittelbar den Inhalt des Schuldverhältnisses25. Demnach handelt es sich um einen Abänderungsvertrag gem. § 311 Abs. 1 BGB oder, genauer gesagt, um einen aufschiebend bedingten Abänderungsvertrag i. S. v. § 158 Abs. 1 BGB, da die Rechtswirkung der Ersatzklausel von einer zukünftigen Klauselnichtigkeit abhängt26. Hiervon zu unterscheiden ist die sog. „Scheinbedingung“ oder „uneigentliche Bedingung“. Diese liegt vor, sobald eine „automatische“ Ersetzung für den Fall angeordnet wird, dass eine Vertragsbestimmung schon bei Vertragsschluss nichtig ist oder bereits eine Vertragslücke existiert27. Die Frage, ob es sich hierbei auch um einen aufschiebend bedingten Änderungsvertrag i. S. v. § 311 Abs. 1 i. V. m. § 158 Abs. 1 BGB handelt, wird von der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Ein Teil der Lehre zieht die §§ 158 ff. BGB analog heran, da die Parteien die Wirksamkeit des Abänderungsvertrages auch schon von einem gegenwärtigen, bei Vertragsschluss unbekannten Umstand abhängig machen könnten28. Es wird aber auch, u. a. von mir, die Ansicht vertreten, dass es keinen „Schwebezustand“ wie bis zum Eintritt der eigentlichen Bedingung gebe, da der Eintritt der uneigentlichen Bedingung jederzeit festgestellt werden könne und somit die Rechtsfolgen des uneigentlich bedingten Änderungsvertrages entweder mit dessen Abschluss oder gar nicht einträten. Dies hänge davon ab, ob die Klausel ursprünglich nichtig ist oder ob eine Vertragslücke vorliegt29. Diese Meinung
__________ 24 Schmidt, Vertragsfolgen, 1986, S. 228; Kasselmann, Salvatorische Klauseln, 1986, S. 65. 25 Beyer (Fn. 22), S. 58; Michalski, NZG 1998, 7, 8. Die Staffel-AGB bilden als Auffangklauseln eine extreme Ausformung solch konkreter Ersatzbestimmungen, Preis in Preis, Arbeitsvertrag, 2002, Rz. 20 (S. 1033); Fell, ZIP 1987, 690, 691. Allerdings findet die Darstellung der allgemeineren Form in dieser Arbeit den Vorzug. 26 Kasselmann (Fn. 24), S. 67; Wolf in Soergel, 12. Aufl., § 305 (a. F.) BGB Rz. 37 ff. Vgl. Bilda, Anpassungsklauseln in Verträgen, 1970, Rz. 44. 27 Brox, Allg. Teil des BGB, 29. Aufl. 2005, Rz. 481; Larenz/Wolf (Fn. 1), § 50 Rz. 7. 28 Westermann in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 158 BGB Rz. 52; Armbrüster in Erman (Fn. 17), Vor § 158 BGB Rz. 3. 29 Heinrichs in Palandt (Fn. 13), Vor § 158 BGB Rz. 6; Michalski, NZG 1998, 7, 8; Beyer (Fn. 22), S. 59.
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Gestaltungsformen und Zulässigkeitsschranken bei Ersetzungsklauseln
ist noch immer vorzugswürdig. Der spätere Eintritt der Rechtsfolgen ist gerade das Merkmal der aufschiebenden Bedingung. Treten die Rechtsfolgen nicht oder bereits bei Vertragsschluss ein, ist eine Anwendung der §§ 158 ff. BGB analog sinnwidrig. Eine „uneigentliche Bedingung“ stellt somit keine aufschiebende Bedingung i. S. d. § 158 Abs. 1 BGB und damit keine automatische Ersatzklausel dar. Damit ein Schuldverhältnis wirksam zustande kommt, muss der Inhalt der Leistung hinreichend bestimmt oder eindeutig bestimmbar sein, und die Parteien müssen sich über die essentialia negotii geeinigt haben. Nur wenn das der Fall ist, können einklagbare und vollstreckbare Rechte und Pflichten aus dem Vertrag hergeleitet werden30. Der aufschiebend bedingte Abänderungsvertrag ist dann hinreichend bestimmt, wenn die konkrete Ersatzklausel eine genau bezeichnete Vertragsklausel im Fall der Nichtigkeit zu ersetzen hat. In diesem Fall ist die konkrete Ersatzklausel wirksam. Gilt die Klausel hingegen für eine Vielzahl möglicher nichtiger Vertragsklauseln, so muss der Inhalt durch einfache oder ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln sein. Um dem Bestimmtheitsgebot gerecht zu werden, müssen folgende Auslegungskriterien herangezogen werden: Die nichtige Klausel selbst, der Nichtigkeitsgrundsatz, Rechte und Pflichten der Parteien, sowie die Interessenlage31. Eine hinreichende Bestimmtheit ist abzulehnen, soweit die Klausel der Ausfüllung einer Vertragslücke dient32. Den Vertragsparteien entstehen keine Rechte und Pflichten aus der Ersatzklausel, da sie die Ersetzung bereits bei Vertragsschluss vorgenommen haben. Eine Vernachlässigung von Pflichten ist daher nicht möglich und kann folglich nicht sanktioniert werden. Die Parteien können Ansprüche aus der automatischen Ersatzklausel als „eigentliche Bedingung“ sofort gerichtlich geltend machen, ohne zuvor eine Ersetzung herbeigeführt oder veranlasst zu haben. Der Richter muss seine Entscheidung über eine Auslegung des Änderungsvertrages treffen33. Eine automatische Ersatzklausel kann folgendermaßen formuliert werden: „Anstelle der unwirksamen Bestimmung gilt … als vereinbart.“ bb) Ersetzungsverpflichtung beider Vertragsparteien Die Vertragsparteien können in einer Ersetzungsklausel vereinbaren, dass sie sich selbst dazu verpflichten, den Vertag unter bestimmten Voraussetzungen abzuändern und zu diesem Zweck erneut Verhandlungen zu führen. Ferner können sie sich gleichzeitig zur Abgabe der zur Abänderung erforderlichen Willenserklärung verpflichten34. Diese Form der Ersetzungsklausel wird als sog. Neuverhandlungsklausel bezeichnet und hat eine schuldrechtliche Wirkung35.
__________ 30 31 32 33 34 35
Beyer (Fn. 22), S. 59 f.; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 241 BGB Rz. 3. Michalski, NZG 1998, 7, 9; Beyer (Fn. 22), S. 60. S. ebda. Beyer (Fn. 22), S. 61. Kasselmann (Fn. 24), S. 63; Michalski, NZG 1998, 7, 9. Zum Begriff der Neuverhandlungsklausel vgl. Horn, AcP (181) 1981, S. 255 (256).
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Die Rechtsnatur der Neuverhandlungsklausel wird differenziert beurteilt. Eine Ansicht geht von einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Verwenders von AGB nach §§ 315 ff. BGB aus, obwohl die Ersetzungsklausel beide Parteien verpflichtet, eine Ersatzregelung zu finden. Begründet wird diese Auffassung mit dem Zweck der Klausel, eine für den Verwender bestmögliche Ersatzbestimmung zu finden. Der Verwender habe präzisere Vorstellungen von dem wirtschaftlichen Erfolg als der Verwendungsgegner und daher stehe ihm das Recht der Ersetzung zu36. Eine andere Ansicht sieht die Klausel als einen Vertrag eigener Art („sui generis“) an. Die Stellung der Klausel innerhalb eines aufschiebend bedingten Abänderungsvertrages verbiete eine solche Einordnung nicht. Die Klausel solle als Rahmenvertrag die Grundlage einer fortwährenden Anpassungspflicht darstellen. Damit handele es sich um einen aufschiebend bedingten Rahmenvertrag, der zum Abschluss einer ungewissen Anzahl künftiger Abänderungsverträge verpflichte37. Ferner wird die Auffassung vertreten, dass in einer Neuverhandlungsklausel ein Vorvertrag zu sehen sei38. Der Vorvertrag ist ein schuldrechtlicher Vertrag, der die Verpflichtung zum späteren Abschluss eines Hauptvertrages begründet39. Der Abschluss des Hauptvertrages sei die auf Grund des Vorvertrages geschuldete Leistung. Die Ersetzungsklausel beinhalte also die Pflicht, einen Abänderungsvertrag gem. § 311 Abs. 1 BGB zu schließen40. Die Annahme eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 315 BGB überzeugt nicht. Auch der Verwendungsgegner kann von AGB-Klauseln profitieren und präzise Vorstellungen über den wirtschaftlichen Zweck solcher Klauseln haben. Außerdem bleibt offen, womit sich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht bei Verwendung dieser Ersetzungsklausel in Individualverträgen begründen lässt. Würde man ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Verwenders annehmen, würde der Sinn und Zweck der beiderseitigen Verpflichtung der Vertragsparteien ausgehöhlt. Auch ein Vertrag „sui generis“, der zu einer permanenten Anpassung verpflichtet, wird von den Parteien in der Regel nicht gewollt sein und ist daher unzweckmäßig. Der Vorvertrag indes wird dem Willen der Parteien am ehesten gerecht. Obwohl dem Abschluss des Hauptvertrages Barrieren entgegenstehen, wollen die Parteien durch den Abschluss des Vorvertrages eine sofortige Bindung eingehen, um den späteren Vertrag zu sichern.
__________ 36 Garrn, JA 1981, 151, 155; Baumann, NJW 1978, 1953, 1954; Witte, Inhaltskontrolle und Rechtsfolgen, 1983, S. 283 f.; Gottwald in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 315 BGB Rz. 11. 37 Beyer (Fn. 22), S. 65. Vgl. für Anpassungsklauseln: Bilda, DB 1969, 427, 429; ders. (Fn. 26), Rz. 138 ff.; Salzmann, Neuverhandlungsklauseln, 1986, S. 60; Horn, AcP 1981 (181), 255, 261. 38 Michalski, NZG 1998, 7, 9 f.; Westermann in FS Möhring (Fn. 16), S. 144 f.; Steindorff, BB 1983, 1127, 1128. 39 BGH, NJW 1962, 1812, 1813; Brox/Walker, SchuldR AT, 31. Aufl. 2006, § 4 Rz. 75; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), Vor § 145 BGB Rz. 19. 40 Brox/Walker (Fn. 39), § 17 Rz. 3; Michalski, NZG 1998, 7, 9 f.; Westermann in FS Möhring (Fn. 16), S. 144 f.; Steindorff, BB 1983, 1127, 1128.
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Gestaltungsformen und Zulässigkeitsschranken bei Ersetzungsklauseln
Für die inhaltliche Bestimmung der Neuverhandlungsklausel sind damit die Regeln über den Vorvertrag zugrunde zu legen. Zum Abschluss eines Abänderungsvertrages gem. § 311 Abs. 1 BGB bedarf es der Willenserklärung beider Vertragsparteien. Ist der Inhalt der Willenserklärungen bestimmbar, ist auch die Neuverhandlungsklausel inhaltlich bestimmt. Der Richter muss also den Inhalt des Abänderungsvertrages ermitteln können, indem er alle für die Auslegung bedeutsamen Umstände berücksichtigt. Probleme können sich allerdings bei der Lückenausfüllung ergeben41. Bei dieser Klausel stellt sich die Frage, ob sämtliche Formulierungen neben der Verhandlungspflicht, an der Ersetzung mitzuwirken, auch eine Ersetzungspflicht der Parteien begründen. Eine Ersetzungspflicht ist in jedem Fall bei einem eindeutigen Klauseltext anzunehmen, denn das Ziel der Verhandlungen ist die Vereinbarung einer Ersatzklausel, wie etwa: „Die Parteien verpflichten sich, … zu ersetzen“ oder „Die Parteien verpflichten sich, … eine Vereinbarung zu treffen.“ Aber auch weniger präzise formulierte Klauseln verpflichten die Parteien zur Ersetzung, sofern der gewollte Zweck der Klausel ein Interesse an einer langfristigen Bindung begründet, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen42. Formulierungen dieser Klauseln könnten wie folgt lauten: „Die Parteien verpflichten sich, an einer Neugestaltung … mitzuwirken“ oder „… sind verpflichtet, zusammenzuwirken, um ….“ Eine Ersetzungspflicht zum Abschluss eines Änderungsvertrages besteht also in jedem Fall. Diese umfasst die Abgabe eines Vertragsangebots, welches durch die andere Partei angenommen werden muss. Damit die Unwirksamkeit einer Vertragsbestimmung vermieden wird, ist die Ersetzung rückwirkend vorzunehmen. Ein selbständiges Lösungsrecht vom Vertrag steht den Parteien regelmäßig nicht zu43. Im Falle der Verletzung der Neuverhandlungs- oder Ersetzungspflicht bestehen Ansprüche aus Verzug oder „positiver Vertragsverletzung“44. Zur Bestimmung der prozessualen Folgen sind die Vorschriften über den Vorvertrag heranzuziehen. Die Parteien können einen Anspruch auf Abschluss des Änderungsvertrages in einer objektiven Klagehäufung gem. § 260 ZPO mit dem Anspruch aus geändertem Vertrag geltend machen. Eine vorherige Klage auf Abgabe der Willenserklärung ist nicht erforderlich45.
__________ 41 Michalski, NZG 1998, 7, 10; Salzmann (Fn. 37), S. 69 f.; Beyer (Fn. 22), S. 65 f.; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 145 BGB Rz. 20; Armbrüster in Erman (Fn. 17), Vor § 145 BGB Rz. 47; Kramer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, Vor § 145 BGB Rz. 50, 53; Baumann meint, die Bestimmtheit hinge vom Maßstab „wirtschaftlicher Erfolg“ ab, NJW 1978, 1953 f. Zweifel an der Bestimmtheit haben Koch/Stübing (Fn. 38), § 6 AGBG Rz. 5. 42 Beyer (Fn. 22), S. 62. A. A. BGH, WM 1971, 352, 353. 43 Beyer (Fn. 22), S. 68 f.; Michalski, NZG 1998, 7, 10. 44 Kramer in MünchKomm.BGB (Fn. 41), Vor § 145 BGB Rz. 56; Beyer (Fn. 22), S. 68. 45 Salzmann (Fn. 37), S. 64 f.; Kramer in MünchKomm.BGB (Fn. 41), Vor § 145 BGB Rz. 49.
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cc) Ersetzungsermächtigung einer Vertragspartei Die Parteien können in der Ersetzungsklausel vereinbaren, dass eine mögliche Ersetzung von einer Partei alleine durchzuführen ist. Hierbei könnte es sich um ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i. S. v. §§ 315 ff. BGB handeln. § 315 BGB bezieht sich jedoch auf den Fall, dass eine von Anfang an offen gebliebene Leistung festzusetzen ist, während die Ersetzungsklausel die nachträgliche Änderung einer schon im ursprünglichen Vertrag getroffenen Bestimmung regelt. Die §§ 315 ff. BGB sind gleichwohl anwendbar, denn sie greifen auch dann ein, wenn eine nachträglich eintretende Unbestimmtheit beseitigt werden soll. Allerdings ist eine direkte Anwendung der §§ 315 ff. BGB nur möglich, wenn die Parteien die Bestimmung der Leistung oder Gegenleistung einer Vertragspartei übertragen haben. Die Ersetzungsklausel bezieht sich aber nicht nur auf die Bestimmung der Leistung oder Gegenleistung, sondern auf alle im Vertrag geregelten Rechte und Pflichten der Parteien. In diesem Fall müssen die §§ 315 ff. BGB also entsprechend herangezogen werden46. Die essentialia negotii werden durch eine Ersetzungsklausel gem. § 315 BGB hinreichend bestimmt. § 315 BGB will nämlich sicherstellen, dass eine Vertragsbindung trotz mangelnder Bestimmtheit der vertraglichen Leistungsbeziehungen entstehen kann. Daher reicht es aus, dass eine Bestimmungsbefugnis im Vertrag genügend abgegrenzt und die von den Parteien gewollte Bindungswirkung hinreichend bestimmbar ist. Das Vorliegen nichtiger Vertragsklauseln und deren Nichtigkeitsgründe genügen, um eine Bestimmung treffen zu können. Indes darf die Klausel auch nicht zu bestimmt sein, da § 315 BGB bei eindeutiger Bestimmbarkeit nicht anwendbar ist47. Mit dem Leistungsbestimmungsrecht der zur Ersetzung befugten Vertragspartei geht gleichzeitig die Verpflichtung zur Ersetzung der unwirksamen Bestimmung einher, wenn der Vertragspartner ein rechtliches Interesse daran hat48. Nach fehlgeschlagener Ausübung des Bestimmungsrechts hat der Ersetzende kein Recht, erneut eine Ersetzung vorzunehmen. Vielmehr hat jetzt das Gericht gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die Ersatzregelung durch Urteil festzulegen49. Da es sich bei § 315 BGB um dispositives Recht handelt, können die Parteien einen anderen Maßstab als „billiges Ermessen“ vereinbaren50. Kommt die betraute Partei ihrem Bestimmungsrecht nicht nach, ist sie wegen Verzuges schadensersatzpflichtig gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB. Ferner wird
__________ 46 BGH, NJW 1986, 845; Beyer (Fn. 22), S. 72; Michalski, NZG 1998, 7, 10 f.; Wolf in Soergel (Fn. 26), § 315 BGB Rz. 13; Baur, Anpassungsregelungen, 1983, S. 72. A. A. Weyer in FS Baur, 2002, S. 681, 697; Horn, NJW 1985, 1118, 1123 f. 47 BGH, NJW 1986, 845; Michalski, NZG 1998, 7, 11; Beyer (Fn. 22), S. 72; Kronke, AcP 1983 (183), 113, 134 ff.; Horn, NJW 1985, 1118, 1121. 48 Kasselmann (Fn. 24), S. 60. 49 Witte (Fn. 36), S. 286; Kasselmann (Fn. 24), S. 61. A. A. Beyer (Fn. 22), S. 73; Michalski, NZG 1998, 7, 11. 50 Kasselmann (Fn. 24), S. 55 f.; Wolf in Soergel (Fn. 26), § 315 BGB Rz. 36; Beyer (Fn. 22), S. 71. Vgl. weitere Maßstäbe unter II.3.b.
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eine unbillige Bestimmung für den Vertragspartner nicht verbindlich51. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB eröffnet den Parteien zudem die Möglichkeit, bei Unbilligkeit der Ersetzung eine Leistungsklage zu erheben. Die Klage auf Schadensersatz ist hingegen auf richterliche Gestaltung zu richten, sofern als Maßstab „billiges Ermessen“ herangezogen wurde52. dd) Ersetzungsermächtigung eines Dritten Die Vertragsparteien können durch die Ersetzungsklausel anordnen, dass ein Dritter die Ersetzung vorzunehmen hat. Diese Vereinbarung könnte entweder ein Schiedsgutachtenvertrag oder ein Schiedsvertrag sein53. Der Schiedsgutachtenvertrag ist ein materiell-rechtlicher Vertrag54 und wird in drei Arten unterschieden: Mittels des rechtsgestaltenden Schiedsgutachtenvertrages übertragen die Parteien dem Dritten die Aufgabe, den Vertragswillen durch einseitige Bestimmung der Vertragsleistung zu ergänzen. Die §§ 317 ff. BGB sind hierauf, ebenso wie auf die sog. rechtsabändernden Schiedsgutachtenverträge, durch welche die Leistung den veränderten Umständen angepasst werden soll, unmittelbar anwendbar55. Das Schiedsgutachten kann die Funktion haben, einen bereits objektiv vorhandenen, aber verborgenen Vertragsinhalt für die Parteien klarzustellen56. Der Dritte kann aber auch durch den feststellenden Schiedsgutachtenvertrag i. e. S. die Aufgabe erhalten, Tatsachen oder Tatbestandsmerkmale für die Parteien verbindlich festzustellen. Die h. M. wendet auf klar- und feststellende Schiedsgutachtenverträge die §§ 317 ff. BGB analog an57. Von dem Schiedsgutachtenvertrag ist der sog. Schiedsvertrag gem. § 1025 ZPO abzugrenzen. Der Schiedsvertrag ist auf die Entscheidung eines Rechtsstreits gerichtet, während der Schiedsgutachtenvertrag i. e. S. auf die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale abzielt. Der Dritte schließt durch die Ersetzungsklausel an Stelle des staatlichen Gerichts die Vertragslücke nach dem Willen der Parteien. Das ordentliche Gericht beurteilt den Leistungsinhalt nicht mehr gem. § 319 BGB auf offenbare Unbilligkeit hin. Da die Aufgabe des Dritten im Rahmen der Ersetzungsbefugnis keine „Leistungsbestimmung“ i. S. d. § 317 BGB ist, können die §§ 317 ff. BGB in diesem Fall nur entsprechend herangezogen werden58.
__________ 51 Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 315 BGB Rz. 13, 16 f.; Hager in Erman (Fn. 17), § 315 BGB Rz. 16. 52 BGH, NJW 1964, 1617, 1619 f.; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 315 BGB Rz. 13, 17. 53 Beyer (Fn. 22), S. 76; Michalski, NZG 1998, 7, 11. 54 Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 317 BGB Rz. 3; Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 36), § 317 BGB Rz. 39. 55 Wittmann, Struktur und Probleme des Schiedsgutachtenvertrags, 1978, S. 33 ff.; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 317 BGB Rz. 3. 56 Beyer (Fn. 22), S. 76. 57 BGH, DB 1970, 827; Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 36), § 317 BGB Rz. 13. 58 BGH, BB 1982, 1077 f.; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 317 BGB Rz. 8; Beyer (Fn. 22), S. 77; Michalski, NZG 1998, 7, 11; Horn, NJW 1985, 1118, 1121.
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Für diese Art der Ersetzungsklausel gilt das zur inhaltlichen Bestimmtheit der Ersetzungsermächtigung einer Partei Gesagte. Die Bestimmtheit ist gewahrt, wenn die Bestimmung einem Dritten vorbehalten ist59. Zu beachten ist, dass der Dritte nicht durch die Ersetzungsklausel zur Bestimmung einer Ersatzregelung verpflichtet werden kann, sondern nur auf Grund eines hierauf gerichteten Geschäftsbesorgungsvertrages gem. § 675 i. V. m. § 611 BGB oder eines Auftrages i. S. v. § 662 BGB. Gleichzeitig erwächst dem Dritten aus diesem Vertragsverhältnis ein Vergütungsanspruch gegen seinen Auftraggeber. Hat nur eine Vertragspartei den Dritten beauftragt, steht auch der anderen Vertragspartei die ordnungsgemäße Ausübung des Bestimmungsrechts zu60. Zwar ordnet § 317 Abs. 1 BGB an, der Dritte habe das Bestimmungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben, allerdings enthält diese Vorschrift nur eine Auslegungsregel. Dem gemäß kann in einer Ersetzungsklausel ein divergierender Bestimmungsmaßstab festgelegt werden. Die Ersetzungsklausel beansprucht also weitere Bestimmungsmaßstäbe, welche zu illustrieren sind61. Der Dritte haftet nur bei grobem Verschulden gegen anerkannte fachwissenschaftliche Regeln und bei offenbarer Unbilligkeit seines Gutachtens62. Die Parteien können ihre Ansprüche unmittelbar aus § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB geltend machen, falls der Dritte die Ersatzklausel nicht rechtzeitig bestimmt oder die Bestimmung offenbar unbillig ist63. ee) Fehlen einer ausdrücklichen Ersetzungszuständigkeit In der Vertragspraxis werden teilweise Ersetzungsklauseln verwendet, die neutral gefasst sind und offen lassen, von wem die Ersetzung vorzunehmen ist. Die Klausel enthält dann selbst eine auslegungsbedürftige Lücke. Ein einseitiges Bestimmungsrecht entsprechend § 316 BGB ist ausnahmsweise mit dem hypothetischen Parteiwillen vereinbar, wenn durch die Ersetzungsklausel der Wunsch der Parteien nach einer der unwirksamen Klausel möglichst weitgehend entsprechenden Ersatzklausel deutlich wird64. b) Maßstab Neben der Ersetzungszuständigkeit geht es um die Bestimmung des Ersetzungsmaßstabes. Die Ersetzungsbefugnis des Ersetzungsberechtigten wird auf
__________ 59 Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 315 BGB Rz. 1. 60 BGH, NJW 1957, 587; Kasselmann (Fn. 24), S. 62; Michalski, NZG 1998, 7, 12; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 675 BGB Rz. 20a. 61 Michalski, NZG 1998, 7, 12. Vgl. zu weiteren Maßstäben II.3.b. 62 BGHZ 43, 374, 376; Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 36), § 317 BGB Rz. 52 und § 319 BGB Rz. 14 ff.; a. A. Wolf in Soergel (Fn. 26), § 317 BGB Rz. 11; Beyer (Fn. 22), S. 79. 63 Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 319 BGB Rz. 8; Hager in Erman (Fn. 17), § 319 BGB Rz. 11. 64 Beyer (Fn. 22), S. 81; a. A. Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 36), § 315 BGB Rz. 2.
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einen konkreten Maßstab beschränkt und dient ihm als Richtschnur. Gerade in den Fällen, in denen z. B. eine Vertragspartei oder ein Dritter das Ersetzungsrecht innehat, ist die zusätzliche Bestimmung eines Maßstabes besonders wichtig, um den Interessen beider Vertragsparteien gerecht zu werden. Dies gilt umso mehr, wenn keine Zuständigkeit geregelt wurde. Die Maßstäbe können aber auch getrennt formuliert werden, ohne durch die Zuständigkeit bedingt zu sein. Insbesondere können die Maßstäbe auch kumuliert auftreten. In jedem Fall aber geht es um die Geeignetheit der Maßstäbe, die ergänzende Vertragsauslegung einzuschränken. aa) Unwirksame Klausel Die zu ersetzende Klausel kann als Maßstab für die Ersetzung dienen, denn eine unwirksame Klausel drückt aus, was die Parteien bei Vertragsschluss in Bezug auf den durch die unwirksame Kautele geregelten Sachverhalt gewollt haben65 und ist enger zu verstehen als die ergänzende Auslegung. Typischer Weise wird dann formuliert: „Die ersetzende Klausel soll der unwirksamen Bestimmung möglichst nahe kommen.“ bb) Parteiwille Als Maßstäbe für eine Ersetzung kann weiter der tatsächliche, aber auch der hypothetische Wille der Parteien herangezogen werden. Oftmals werden beide Maßstäbe miteinander kombiniert66. Der Maßstab „tatsächlicher Parteiwille“ ist dem Maßstab „unwirksame Klausel“ sehr ähnlich, geht allerdings etwas weiter, da er zulässt, auch wirksame Klauselteile in die Ersetzung mit einzubeziehen. Auch bei der ergänzenden Vertragsauslegung wird der „tatsächliche Parteiwille“ herangezogen. Da hierbei aber noch andere Aspekte eine Rolle spielen, wie Treu und Glauben oder die Verkehrssitte, ist der tatsächliche Wille gegenüber der Auslegung konkreter. Der „hypothetische Wille“ hingegen entspricht den Grundsätzen der Auslegung67. Die übliche Formulierung lautet: „… so soll gelten, was die Vertragsschließenden gewollt haben (tatsächlicher Wille) oder, hätten sie den Punkt bedacht, gewollt hätten (mutmaßlicher Wille).“ cc) Sinn und Zweck Ebenso können der Sinn und der Zweck eines Vertrages zum Maßstab einer Ersetzungsklausel gemacht werden. Dabei wird häufig konkret auf den „wirtschaftlichen Erfolg“ oder auf den „wirtschaftlichen Zweck“ des Vertrages ab-
__________ 65 Beyer (Fn. 22), S. 85. 66 Hengeler in Beck’sches Formularbuch, 9. Aufl. 2006, VIII.C.2 § 13; Langenfeld in Wurm/Wagner/Zartmann, Rechtsformularbuch, 15. Aufl. 2006, Kap. 109 § 11. 67 Westermann in FS Möhring (Fn. 16), S. 141; Michalski, NZG 1998, 7, 12.
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gestellt68. Dieser Maßstab ist im Verhältnis zur ergänzenden Vertragsauslegung wesentlich enger zu verstehen, da er die Auslegungskriterien beschränkt, und kommt in folgender Formulierung zum Ausdruck: „… ist zur sinngemäßen Ergänzung des Vertrages verpflichtet“ oder „… die Ersetzung hat dem wirtschaftlichen Erfolg zu entsprechen.“ dd) Billiges Ermessen gem. §§ 315 ff. BGB Eine Ersetzungsklausel kann als Maßstab das „billige Ermessen“ i. S. v. §§ 315 ff. BGB bestimmen, falls dieser Maßstab nicht ohnehin schon vorgegeben ist69. Die Billigkeit ist ein objektiver Maßstab, der die Austauschgerechtigkeit im Einzelfall sichern soll. Die ergänzende Vertragsauslegung muss ebenfalls auf objektive Kriterien zurückgreifen, falls nicht genügend Gesichtspunkte ersichtlich sind, die auf den tatsächlichen oder hypothetischen Parteiwillen schließen lassen. Insofern besteht kein Unterschied zum „billigen Ermessen“70. Deshalb wird üblicherweise formuliert: „… ist entsprechend den §§ 315 ff. BGB in billiger Weise zu bestimmen.“ ee) Dispositives Recht Weiterhin kann das dispositive Recht den Ersetzungsmaßstab bilden. Zwar ist das dispositive Recht gegenüber der ergänzenden Vertragsauslegung vorrangig. Indes geht die Lehre davon aus, dass es eines Vorrangs der Auslegung bedarf, wenn das Rechtsgeschäft keinem geregelten Geschäftstyp entspricht oder das Gesetzesrecht für den Normaltyp keine Regelung bereithält71. ff) Reduktionsklausel Die Reduktionsklausel beschränkt unwirksame Klauseln auf das gerade noch gesetzlich zulässige Maß. Ihre rechtliche Einordnung hängt von der Anerkennung des Rechtsinstituts der geltungserhaltenden Reduktion bei AGB ab. Dabei führt das Gericht unwirksame Bestimmungen auf ihren gerade noch zulässigen Inhalt zurück, so dass deren Wirksamkeit sichergestellt wird72. Die h. M. lehnt das Gebot der geltungserhaltenden Reduktion ab, da es dem Schutzzweck der Vorschriften über
__________ 68 Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG, 19. Aufl. 2005, Anh. § 16 (S. 642). 69 S. Ausführungen zu Rechte und Pflichten einer Vertragspartei oder eines Dritten, II.3.a. 70 Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 36), § 315 BGB Rz. 30; Michalski, NZG 1998, 7, 12. 71 Michalski, NZG 1998, 7, 13; Beyer (Fn. 22), S. 87; Larenz/Wolf (Fn. 1), § 28 Rz. 109 ff.; Schmidt (Fn. 24), S. 182. 72 Michalski, NZG 1998, 7, 13; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl. 2006, § 306 BGB Rz. 14.
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AGB entgegensteht. Durch eine geltungserhaltende Reduktion wird dem Verwender das Risiko der Totalunwirksamkeit unangemessener Klauseln genommen. Ein Verbot soll sicherstellen, dass die Belange des Kunden berücksichtigt werden und vor Missbrauch schützen. Es sei zudem nicht Aufgabe der Gerichte, für AGB eine Fassung zu finden, die für den Unternehmer günstig und dabei gerade noch zulässig ist73. Die Gegenmeinung befürwortet die geltungserhaltende Reduktion einer teilweise unwirksamen Klausel, solange der Verwender die teilweise Unvereinbarkeit mit dem Gesetz nicht kannte und sich nicht der Kenntnis verschlossen hat74. Für die h. M. sprechen der Wortlaut der §§ 307 ff. BGB und das Transparenzgebot. Dem Kunden muss es möglich sein, seine Rechte und Pflichten dem Vertragswerk zu entnehmen. Dies ist nicht möglich, wenn erst in einem späteren Prozess unwirksame Klauseln geltungserhaltend reduziert und dadurch Rechte und Pflichten der Parteien abschließend bestimmt werden. Fraglich ist, ob dieser für AGB entwickelte Grundsatz auch auf die Reduktion übermäßiger Individualabreden kraft Ersetzungsklausel übertragen werden kann. Teilweise wird die Reduktion auf das höchstzulässige Maß mittels Ersetzungsklausel uneingeschränkt bejaht. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion sei nur an den Richter gerichtet, während Ersetzungsklauseln auf methodisch anderem Wege nur eine zulässige Neuregelung träfen75. Ferner ergebe sich ein Gebot der geltungserhaltenden Reduktion schon aus der Ersetzungsklausel selbst. Ein Verbot kommt bei nachträglichen Verstößen nicht mehr in Betracht, da der Rechtsverkehr nun nicht mehr vor unwirksamen Klauseln geschützt und der Verwender vom Gebrauch unwirksamer Klauseln nicht mehr abgehalten werden kann. Daher steht einer vertraglich begründeten Pflicht zur gesetzeskonformen Reduktion auch nichts im Wege76. Eine andere Ansicht geht von der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Reduktion auf das höchstzulässige Maß aus, wenn die Unwirksamkeitsnorm dem Schutz der durch die Klausel nicht begünstigenden Partei insbesondere zur Bestimmung der Gegenleistung dient77. Eine Reduktion kraft Ersetzungsklausel verstößt in Individualabreden nicht gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. Die Ersetzungsklausel ist für die Vertragsparteien oder einen Dritten, nicht aber für den Richter bestimmt. Da die Parteien auch einen neuen Vertrag schließen könnten, muss
__________ 73 BGH, NJW 1983, 159, 162; Schlosser, JURA 1980, 434, 440; Locher, Das Recht der AGB, 1990, S. 78; Schröder, Der sichere Weg, 1990, S. 250; Schmidt in Ulmer/ Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 14; Lindacher in Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 6 AGBG Rz. 31; Preis (Fn. 25), Rz. 39 (S. 1040). 74 Witte (Fn. 36), S. 295; Basedow in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 306 BGB Rz. 13; Roth, JZ 1989, 411, 418 f.; Lindacher in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 306 BGB Rz. 36. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 14 (Fn. 70). 75 Weyer in FS Baur (Fn. 46), S. 685, 694; Beyer (Fn. 22), S. 104. 76 Canaris, DB 2002, 930, 931, 934; Schröder (Fn. 73), S. 236 f.; Witte (Fn. 36) ist für eine Reduktion auch in Missbrauchsfällen, S. 282. 77 Hager, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1983, S. 209 f.
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eine Reduzierung durch die Ersetzungsklausel, sofern vom Parteiwillen getragen, möglich sein. Die Reduktionsklausel, die üblicher Weise lautet: „An die Stelle der unwirksamen … soll eine wirksame Regelung treten, die gerade noch in gesetzlich zulässiger Weise …“, ist somit gegenüber der ergänzenden Vertragsauslegung vorrangig. gg) Gesetzesverweisende Klausel Die gesetzesverweisende Klausel zielt darauf ab, durch eine unmittelbare Bezugnahme auf den Maßstab des geltenden Rechts einen inhaltlichen Verstoß gegen die Vorschriften über AGB schon begrifflich auszuschließen78. Eine solche pauschale Klausel kann denkbare Detailprobleme erfassen und im Interesse der Parteien lösen. Zugleich würde einem Rechtsverstoß von vornherein vorgebeugt. Da diese Klausel („… soweit dies rechtlich zulässig ist.“) auf das rechtliche Maß verweist, könnte sie Zweifel bei der Auslegung vermeiden79. c) Grad Der Grad der Ersetzungswirkung stellt das dritte Merkmal zur inhaltlichen Gestaltung der Ersetzungsklausel dar und regelt, wie groß der Gestaltungsspielraum bei der Ersetzung ist, also inwieweit die Gestaltungsmaxime der Maßstäbe eingehalten werden muss. Dieser Grad findet seine Ausgestaltung in zwei Formen. aa) 1. Klauseltyp Der erste Klauseltyp („… ist durch eine gleichwertige Regelung zu ersetzen …“) bindet die Parteien stark an den gewählten Maßstab. Er verlangt die völlige Kongruenz zwischen Ersetzungsklausel und nichtiger Klausel. Dies ist in der Praxis aber oft nicht möglich. Daher entspricht dieser Klauseltyp im Falle seiner Unerfüllbarkeit dem nachfolgend beschriebenen zweiten Klauseltyp80. bb) 2. Klauseltyp Der zweite Klauseltyp („… mit der … weitestgehend entsprochen wird …“) sieht dagegen eine relativ lockere Bindung des Maßstabs vor und erlaubt eine gerade noch zulässige Annäherung der ersetzenden Klausel an die unwirksame Klausel, die jedoch eine Übereinstimmung der beiden Klauseln nicht ausschließt81.
__________ 78 79 80 81
Kasselmann (Fn. 24), S. 68; Schröder (Fn. 73), S. 237. Schröder (Fn. 73), S. 240; Kasselmann (Fn. 24), S. 68. Beyer (Fn. 22), S. 89; Michalski, NZG 1998, 7, 13. Michalski, NZG 1998, 7, 13; Beyer (Fn. 22), S. 89.
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d) Zusammenfassung Die das Merkmal der Zuständigkeit betreffenden Gestaltungsformen erfüllen die Wirksamkeitsanforderungen, die an ihre Rechtsnatur gestellt werden. Daher sind sie grundsätzlich zulässig. Die Rechtsnatur der Maßstäbe verdeutlicht, dass durch sie die ergänzende Vertragsauslegung oftmals ebenso eingeschränkt wird wie durch die Regelung der Zuständigkeit. Die Parteien können deshalb die gerichtliche Gestaltungskompetenz im Falle eines Verfahrens erheblich beeinflussen82. Auch der Grad der Ersetzungswirkung hat einschränkende Wirkung bezüglich der ergänzenden Vertragsauslegung. Somit ist bei der Formulierung von Ersetzungsklauseln der Rückgriff auf die Merkmale sinnvoll und zur konkreten Gestaltung notwendig, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen.
C. Wirksamkeit der Gestaltungsformen der Ersetzungsklausel I. Ersetzungsklauseln als Individualvereinbarungen Die absolut h. M. sieht individualvertraglich ausgehandelte salvatorische Klauseln grundsätzlich als zulässig und wirksam an83. Dies lässt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ableiten, denn die Klauseln sind Ausdruck des Willens der Vertragsparteien. Dieser ist nur dann unbeachtlich, wenn er den Grundsätzen der Privatautonomie widerspricht oder sittenwidrig ist84.
II. Ersetzungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Der BGH und andere Gerichte äußern zum Teil ohne nähere Begründung Bedenken gegen die Wirksamkeit von als AGB vereinbarten Ersetzungsklauseln85. 1. Schranken der Inhaltskontrolle, § 307 Abs. 3 BGB Nach § 307 Abs. 3 BGB gelten die Inhaltskontrollvorschriften der §§ 307 Abs. 1, Abs. 2, 308, 309 nur für solche AGB, die von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelungen enthalten. Die einzelnen dargestellten
__________ 82 Kasselmann (Fn. 24), S. 53; Westermann in FS Möhring (Fn. 16), S. 143. Hager (Fn. 77), S. 198. 83 BGH, NZM 1999, 906, 908; Schröder (Fn. 73), S. 190 ff.; Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 888; Garrn, JA 1981, 151, 152; Baumann, NJW 1978, 1953, 1955; Schmidt (Fn. 24), S. 226. Dies gilt erst recht für Individualverträge. 84 Preis (Fn. 25), Rz. 4 (S. 1025). 85 BGH, NZM 2005, 502, 503; BGH, NJW 2005, 2225, 2226; BGH, NJW 1990, 716, 718; BGH, NJW 1987, 1815, 1818; LG Köln, NJW-RR 1987, 885, 886; Preis (Fn. 25), Rz. 6 (S. 1026). Dies gilt auch für Formularverträge, die ebenfalls nach den Vorschriften über die AGB gem. §§ 305 ff. BGB zu behandeln sind. Vgl. auch Medicus, Bürgerliches Recht, 2004, Rz. 68; Brox/Walker (Fn. 39), § 4 Rz. 29; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 305 BGB Rz. 14.
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Formen der Ersetzungsklausel weichen aber gerade von § 306 Abs. 2 BGB ab, denn danach richtet sich der Inhalt des Vertrages gerade nicht nach den gesetzlichen Vorschriften86. Ersetzungsklauseln gehen in ihrer Wirkung vielmehr über die Regelung des § 306 Abs. 2 BGB und die ergänzende Vertragsauslegung hinaus87. Weicht eine Vertragsklausel allerdings von einer gesetzlichen Regelung ab, ist sie dann nach § 134 BGB unwirksam, wenn es sich bei der durch die AGB modifizierten Vorschrift um zwingendes Recht handelt88. Diese Frage wird nicht einheitlich beantwortet. Die Vertreter der Ansicht, § 306 Abs. 2 BGB sei zwingendes Recht89, leiten den zwingenden Charakter zum Teil aus dem Umgehungsverbot des § 306 a BGB ab. Das Umgehungsverbot könne nur in Verbindung mit zwingendem Recht zur Anwendung kommen. Da § 306 a BGB auf alle Bestimmungen der Vorschriften über die AGB verweist, müsse somit auch § 306 Abs. 2 BGB zwingend sein90. Lindacher vertritt dagegen die Meinung, dass § 306 Abs. 2 BGB zwingend sei, soweit der Verwender einer unwirksamen Klausel bösgläubig war und die Unwirksamkeit der konkreten Klausel entweder kannte oder kennen musste. Zur Begründung wird der Präventionsgedanke der §§ 307 ff. BGB angeführt91. Garrn hält zudem eine Ersatzbestimmung, die dem wirtschaftlichen Erfolg der unwirksamen Klausel möglichst nahe kommen soll, für einen Verstoß gegen den insoweit zwingenden § 306 Abs. 2, da es sich bei der Klausel nicht um eine gleichwertige, dispositivrechtliche Bestimmung handele. Eine Ersetzungsklausel, die den Interessen der Parteien gerecht wird und angemessen ist, entspreche hingegen einer gleichwertigen, dispositivrechtlichen Bestimmung. Deshalb sei § 306 Abs. 2 BGB als dispositiv zu bewerten92. Ausgehend von der zwingenden Natur des § 306 Abs. 2 BGB, wäre also jede Form der Ersetzungsklausel als Bestandteil von AGB auf Grund eines Verstoßes gegen diese Vorschrift unwirksam. Lediglich die zuletzt genannte Auffassung macht hiervon eine Ausnahme. Soweit vorhanden, greift folglich das dispositive Recht ein; andernfalls entfielen die Ersetzungsklauseln ersatzlos, es sei denn, die ergänzende Vertragsauslegung käme zu einem anderen Ergebnis93.
__________ 86 Vgl. Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 6 AGBG Rz. 8. 87 Kasselmann (Fn. 24), S. 53; Schmidt (Fn. 24), S. 229. 88 Vgl. Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), Vor § 307 BGB Rz. 57; Coester in Staudinger, BGB, § 307 Rz. 24; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 24 f. 89 LG Köln, NJW-RR 1987, 885, 886; v. Westphalen, Allgemeine Geschäftsbedingungen, 2003, S. 177; Trinker, BB 1983, 924; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 306 BGB Rz. 9; Klapperich in Schulte-Nölke/Frenz/Flohr (Fn. 17), S. 182; Roloff in Erman, 11. Aufl., § 6 BGB Rz. 20; Stein in Soergel, 12. Aufl., § 6 AGBG Rz. 18. 90 Müller-Graf, JZ 1977, 245, 248; Ebel, DB 1979, 1973, 1976. 91 Lindacher, BB 1983, 154, 159; Lindacher in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 306 BGB Rz. 47 ff. Zustimmend: Garrn, JA 1981, 151, 152; Stein in Soergel (Fn. 89), § 6 AGBG Rz. 18. 92 Garrn, JA 1981, 151, 153. 93 Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 306 BGB Rz. 6 f.; Hager (Fn. 77), S. 207.
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Die Gegenauffassung führt den dispositiven Charakter des § 306 Abs. 2 BGB auf den Regelungszweck dieser Vorschrift zurück. Wäre § 306 Abs. 2 BGB nicht dispositives Recht, führte die unwirksame Klausel dazu, nachgiebiges in zwingendes Recht umzuwandeln. Den Parteien würde ferner eine Gestaltung aufgedrängt94. Diese Wirkung hätte Sanktionscharakter, wodurch die Vertragsfreiheit den Vertragsparteien entzogen würde. Die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung könnte unter Umständen in diesem Fall die Lücke nicht im Interesse der Parteien schließen und würde so Rechtsunsicherheit hervorrufen95. Diese Argumentation lässt sich noch um einige Aspekte ergänzen. Zwar bezieht sich das Umgehungsverbot des § 306 a BGB auf die zwingenden Vorschriften aus dem AGB-Recht, lässt allerdings die Frage offen, ob es auch dispositive Vorschriften gibt und welche das sind. Der Wortlaut setzt nicht voraus, dass sämtliche Regelungen aus dem Bereich der §§ 305 ff. zwingender Natur sind. Ferner könnte es sich bei dem zwingenden Charakter um ein Abgrenzungskriterium für den Anwendungsbereich des Umgehungsverbots handeln96. Gegen die Ansicht Lindachers spricht, dass salvatorische Klauseln für sämtliche Vertragsbestimmungen gelten, während sich die Bösgläubigkeit des Verwenders nur auf einzelne Klauseln beziehen kann97. Diese Wertung ist somit nicht stringent, da eine Teilunwirksamkeit der Ersetzungsklausel dem Sinn der Vereinbarung zuwiderläuft. Auch der Meinung von Garrn kann nicht gefolgt werden, denn dessen Differenzierung erweist sich als unzweckmäßig. Durch eine Ersetzungsklausel will der Verwender gerade die dispositivrechtlichen Bestimmungen umgehen und diesen möglichst nicht entsprechen, wie Garrn es verlangt. Denn durch die Klauseln soll eine Besserstellung und keine Gleichstellung mit den gesetzlichen Vorschriften erreicht werden. Außerdem kann die Frage, ob § 306 Abs. 2 BGB zwingend oder dispositiv ist, nur einheitlich beantwortet werden, denn es soll dadurch festgelegt werden, ob Abweichungen von dieser Vorschrift überhaupt möglich sind98. Dies ist mit der überwiegenden Ansicht zu bejahen, so dass alle Formen der Ersetzungsklausel grundsätzlich zulässig sind. Allerdings müssen diese abweichenden Vereinbarungen mit den übrigen Vorschriften des AGB-Rechts im Einklang stehen und daher auch einer Inhaltskontrolle Stand halten.
__________ 94 Baumann, NJW 1978, 1953, 1954 f.; Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 888; Witte (Fn. 36), S. 279 f.; Kasselmann (Fn. 24), S. 93. Im Erg. auch Schmidt (Fn. 24), S. 229; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 39 f.; Schlosser in Staudinger, BGB, § 306 BGB Rz. 18. 95 Fehl, Systematik des Rechts der AGB, 1979, S. 104; Kasselmann (Fn. 24), S. 93 f.; Baumann, NJW 1978, 1953, 1954 f. 96 Vgl. hierzu Kasselmann (Fn. 24), S. 91 f. 97 So auch Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 887. 98 Kasselmann (Fn. 24), S. 95 Fn. 1.
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2. Inhaltskontrolle, §§ 307–309 BGB Ziel der Inhaltskontrolle ist der Schutz des Verwendungsgegners vor unangemessener Benachteiligung99. Die Formen der Ersetzungsklausel müssen dieser Kontrolle standhalten, um im Rechtsverkehr wirksam verwendet werden zu können. a) Spezielle Klauselverbote, §§ 308, 309 BGB Es liegt kein Verstoß der Formen der Ersetzungsklausel gegen die Verbotskataloge der §§ 308, 309 BGB vor. Die Inhaltskontrolle richtet sich daher nur nach § 307 BGB100. b) Generalklausel, § 307 BGB In § 307 Abs. 2 Nr. 1, 2 BGB finden sich Regelbeispiele für das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung, die § 307 Abs. 1 BGB konkretisieren. aa) Unangemessene Benachteiligung, § 307 Abs. 2 BGB In Betracht kommt eine Abweichung vom wesentlichen Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB. Denn diese dispositive Vorschrift könnte als Wertungsmaßstab des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ein Leitbild einer angemessenen Regelung darstellen101. Auch die Vorschriften über AGB sind „gesetzliche Regelungen“ i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Daher müssen sich Ersetzungsklauseln an dieser Vorschrift messen lassen, wenn sie von § 306 Abs. 2 BGB abweichen102. Grundsätzlich weichen alle Formen der Ersetzungsklausel von § 306 Abs. 2 BGB ab, indem sie die Anwendung des dispositiven Rechts abbedingen. Aber nicht jede Abweichung erfüllt die Voraussetzungen des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sondern nur jene, die mit wesentlichen Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB nicht zu vereinbaren sind103. Ein Grundgedanke umfasst den Zweck der Regelung und die in ihr getroffenen Wertentscheidungen, die die Interessen des Vertragspartners des Verwenders schützen wollen104. Der Grundgedanke des § 306 Abs. 2 BGB lautet, dass der Verwender das Risiko der Anwendung des dispositiven Rechts im Fall der Unwirksamkeit einer Klausel tragen soll105. Die Formen der Ersetzungsklausel könnten von diesem Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB abweichen. Benachteiligt eine Vertragsklausel den Kunden
__________ 99 Heinrichs in Palandt (Fn. 13), Vor § 305 BGB Rz. 8; Basedow in MünchKomm.BGB (Fn. 74), Vor § 305 BGB Rz. 4. 100 Schmidt (Fn. 24), S. 228; vgl. Garrn, JA 1981, 151, 154. 101 Vgl. BGH, NJW 1985, 2328; Medicus (Fn. 85), Rz. 78; Oechsler, Gerechtigkeit im Vertrag, 1997, S. 297; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 39 f. 102 Kasselmann (Fn. 24), S. 96. 103 Tettinger in Abels/Lieb, AGB, 2005, S. 153; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 307 BGB Rz. 28. 104 Locher (Fn. 73), S. 147; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 70. 105 Garrn, JA 1981, 151, 152; Schmidt (Fn. 24), S. 229.
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unangemessen oder ist sie nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden, ist sie nicht Vertragsbestandteil geworden. Die dadurch entstandene Lücke soll gem. § 306 Abs. 2 BGB durch das dispositive Recht geschlossen werden, das den AGB-Verwender schlechter stellt als es dem Inhalt der nicht geltenden AGB-Klausel entspricht106. Gerade dieser Nachteil soll durch eine Ersetzungsklausel vermieden werden, die wiederum, um wirksam zu sein, mit wesentlichen Grundgedanken des § 306 Abs. 2 nicht unvereinbar sein darf (§ 307 Abs. 2 Nr. 1). Dieses Problem wird für die einzelnen Ersetzungsklauseln differenziert beurteilt. (1) Automatische Ersetzung. Die Frage, ob eine konkrete Ersatzklausel eine unangemessene Benachteiligung darstellt, ist umstritten. Eine Meinung bejaht die unangemessene Benachteiligung gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen Unvereinbarkeit des Klauselinhalts mit den wesentlichen Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB. Denn das Unwirksamkeitsrisiko des Verwenders würde zu Lasten des Verwendungsgegners erheblich eingeschränkt107. Schmidt verneint einen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn die Unwirksamkeit der zu ersetzenden Klausel nicht vorhersehbar war108. Garrn hält die Bestimmung nur dann für vereinbar mit § 306 Abs. 2 BGB, wenn sie zu einem gerechten Interessenausgleich zwischen den Parteien führt und die Unwirksamkeit der zu ersetzenden AGB-Klausel nicht von vorn herein klar erkennbar war109. Die Gegenansicht will dem Verwender zugestehen, die gesetzlichen Möglichkeiten durch Ersatzklauseln zu seinen Gunsten auszuschöpfen, so dass sie mit dem Grundgedanken von § 306 Abs. 2 vereinbar seien110. Kasselmann geht davon aus, dass § 306 Abs. 2 BGB statt einer grundlegenden Wertentscheidung nur einen Zweckmäßigkeitsaussage trifft, die bei § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB keine Rolle spielt111. Neumann hält der Meinung Garrns folgendes Argument entgegen: Man könne von dem Verwender einer Ersatzklausel nicht verlangen, dass die Regelung zu einem gerechten Ausgleich zwischen den Interessen beider Parteien führt. Es könne nur erwartet werden, dass der Verwender die Grenze des Zulässigen nicht überschreitet112. Abgesehen davon wird es im Interesse des Verwenders liegen, eine wirksame Ersatzregelung zu treffen. Gerade aber dadurch lässt er den Kunden erkennen, dass er die Unwirksamkeit
__________ 106 Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 79; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 306 BGB Rz. 11. 107 BGH, NJW 1990, 716, 718; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 40; Basedow in MünchKomm.BGB (Fn. 74), § 306 BGB Rz. 29. 108 Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 40. 109 Garrn, JA 1981, 151, 155. 110 Hager (Fn. 77), S. 202; Fehl (Fn. 95), S. 103 f.; Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 890; Schlosser in Staudinger (Fn. 94), § 306 BGB Rz. 17. 111 Kasselmann (Fn. 24), S. 96 ff. Die Begründung zum Regierungsentwurf spreche dafür, dass § 306 Abs. 2 BGB jede Parteivereinbarung zulässt, BT-Drucks. 7/3919. 112 Neumann (Fn. 6), S. 106 f.
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einer Vertragsklausel für möglich hält. In diesem Fall wird der Kunde misstrauisch, so dass es deshalb nicht mehr zum Vertragsabschluss kommt113. Durch das zuletzt genannte Argument wird deutlich, dass der Kunde durch die Ersatzklausel gewarnt wird. Nimmt er die Warnung ernst und vom Vertragsabschluss Abstand, kann das Unwirksamkeitsrisiko schon deshalb nicht zu seinen Lasten gehen. Erkennt er die Klausel dagegen trotz der Warnung an, kann folglich von einem erheblichen Eingriff in seine Interessen keine Rede mehr sein. Daher ist die Ersatzklausel mit dem Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB vereinbar. (2) Ersetzungsverpflichtung beider Vertragsparteien. Die Neuverhandlungsklausel wird ganz überwiegend als unangemessen benachteiligend angesehen114. Auch bei der Neuverhandlungsklausel wird dieses Ergebnis mit der Verdrängung des Grundgedankens des § 306 Abs. 2 BGB begründet. Durch die Klausel solle an Stelle des dispositiven Rechts eine andere, der ursprünglichen Klausel möglichst nahe kommende Regelung treten. So werde das für den Verwender nachteilige Eingreifen des dispositiven Rechts verhindert und diesem die Möglichkeit eröffnet, sich sanktionslos auf eine gerade noch zulässige Ersatzregelung zu berufen115. Dass der Kunde bei dieser Klauselart die Verpflichtung innehat, an der Ersetzung mitzuwirken, ändere nichts an diesem Ergebnis116. Garrn differenziert auch an dieser Stelle wieder nach dem wirtschaftlichen Erfolg und den Interessen beider Vertragsparteien117. Gegen diese überwiegende Ansicht ist einzuwenden, dass man nicht pauschal von einer unangemessenen Ausnutzung der wirtschaftlichen Überlegenheit eines Verwenders ausgehen kann. Auch für den Verwender ist die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel nicht deutlich erkennbar. Dieser geht ebenso wie der Kunde von der Wirksamkeit seiner AGB aus. § 306 Abs. 1, Abs. 2 BGB ist damit als verwenderfreundlich aufzufassen, denn die Interessen beider Parteien werden gleichermaßen berücksichtigt. Ein Verwenderrisiko besteht grundsätzlich nicht und kann daher auch nicht auf den Käufer übertragen werden118. Durch Ersetzungsklauseln werden zudem für den Kunden günstige Konditionen bewahrt. Ferner kann die Vertragsfreiheit nicht zu Lasten des Verwenders eingeschränkt werden, da nicht gegen zwingendes Recht verstoßen wird. Die Gegenmeinung erweist sich auch als inkonsequent. Rechtsprechung und Lehre haben nämlich die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung dann anerkannt, wenn das dispositive Recht nicht zu interes-
__________ 113 Witte (Fn. 36), S. 290 f. 114 Bunte, NJW 1982, 2298, 2299; Neumann (Fn. 6), S. 105; Schröder (Fn. 73), S. 245. Im Ergebnis auch: LG Köln, NJW-RR 1987, 885, 886; LG Köln, NJW-RR 1988, 1084, 1085; Schlosser in Staudinger (Fn. 94), § 306 BGB Rz. 18. 115 Neumann (Fn. 6), S. 105; Preis (Fn. 25), Rz. 15 (S. 1030); Schmidt in Ulmer/ Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 39. 116 LG Köln, NJW-RR 1987, 885, 886. 117 Garrn, JA 1981, 151, 154 f. 118 Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 889. Vgl. zur Verwenderfreundlichkeit des § 306 BGB auch Baumann, NJW 1978, 1953, 1955.
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sengerechten Ergebnissen führt. Denn es sei nicht Sinn und Zweck des § 306 BGB, dem Kunden durch den ersatzlosen Wegfall von Klauseln Vorteile zu verschaffen, die das Vertragsgefüge einseitig zu seinen Gunsten verschieben119. Spricht sich das Gericht also für eine Benachteiligung des Verwenders aus, so wird diesem dadurch jenes Risiko genommen, wovon er sich selbst nicht durch eine Ersetzungsklausel befreien durfte. Diese Folge ist dogmatisch wenig überzeugend und der Rechtssicherheit nicht förderlich120. (3) Ersetzungsermächtigung einer Vertragspartei. Eine Ansicht hält das vertragliche Leistungsbestimmungsrecht i. S. v. § 315 BGB für zulässig, da es dem Verwendungsgegner eine zusätzliche gerichtliche Kontrollmöglichkeit eröffne121. Andere dagegen sprechen sich für eine unangemessene Benachteiligung dieser Art der Ersetzungsklausel wegen zum Sinn und Zweck des § 306 Abs. 2 BGB bestehenden Widerspruchs aus122. Eine differenzierende Ansicht hält eine unangemessene Benachteilung bei objektiv gerechtfertigter Gutgläubigkeit des Verwenders hinsichtlich der Wirksamkeit seiner AGB für ausgeschlossen123. Gegen eine Ersetzungsbefugnis des Verwenders ist im Falle der Gutgläubigkeit nichts einzuwenden. Dem Verwender wird regelmäßig daran gelegen sein, eine Ersatzregelung zu treffen, die die Interessen seines Vertragspartners angemessen berücksichtigt, damit dieser nicht von seiner gerichtlichen Kontrollmöglichkeit Gebrauch macht. Ein erheblicher Eingriff in die Interessen des Kunden ist ausgeschlossen. (4) Ersetzungsermächtigung eines Dritten. Eine unangemessene Benachteiligung ist bei der Ersetzungsbefugnis eines Dritten nicht erkennbar. Trifft der Dritte die ersetzende Klausel nicht nach billigem Ermessen, wird die unwirksame Regelung gem. § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB gerichtlich ersetzt. Der Dritte wird stets um Neutralität bemüht sein, um den Interessen beider Parteien gerecht zu werden124. (5) Fehlen einer ausdrücklichen Ersetzungszuständigkeit. Allein weil eine ausdrückliche Zuständigkeit in der Ersetzungsklausel nicht geregelt ist, wird der Kunde noch nicht unangemessen benachteiligt. (6) Unwirksame Klausel. Der BGH ist der Auffassung, eine Ersetzungsklausel, die vorschreibt, im Falle der Unwirksamkeit einer Vertragsklausel eine der ungültigen Bestimmung möglichst nahe kommende Regelung zu finden, enthalte eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das
__________
119 BGH, NJW 2000, 1110 ff.; BGH, NJW 1990, 115, 116; Stein in Soergel (Fn. 89), § 6 AGBG Rz. 15 f.; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 306 BGB Rz. 7. 120 Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 889. 121 Fritz, Gewerberaummietrecht, 2005, Rz. 179; Baumann, NJW 1978, 1953, 1955; Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 889. 122 Neumann (Fn. 6), S. 106; Hager (Fn. 77), S. 202; Preis (Fn. 25), Rz. 16 (S. 1031); Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 39; Schlosser in Staudinger (Fn. 94), § 306 BGB Rz. 18; differenzierend Garrn, JA 1981, 151, 154. 123 Lindacher, BB 1983, 154, 159; Witte (Fn. 36), S. 299; Lindacher in Wolf/Horn/ Lindacher (Fn. 73), § 6 AGBG Rz. 47 ff. 124 Dem entgegnet der BGH, dass der Dritte im Lager des Verwenders stehe, NJW 1981, 2353.
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Unwirksamkeitsrisiko würde in unangemessener Weise auf den Kunden übertragen125. Gegen diese Ansicht spricht, dass durch die Anwendung der ergänzenden Vertragsauslegung zum Teil auch die Rechtsprechung indirekt von der Unvereinbarkeit der Klausel mit dem Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB absieht126. (7) Parteiwille. Die unangemessene Benachteiligung des Kunden durch den Maßstab „Parteiwille“ wird vom KG aus einem Verstoß gegen § 306 Abs. 2 BGB hergeleitet127. Garrn hingegen hält eine Ersetzungsklausel, welche auf die Interessen der Parteien gerichtet ist, für mit § 306 Abs. 2 BGB vereinbar. Durch eine solche Klausel werde zum Ausdruck gebracht, dass als Ersatzbestimmung nur eine den dispositiven Vorschriften entsprechende Regelung in Betracht kommt128. Eine Ersetzungsklausel dieses Inhalts entspricht gerade nicht den dispositiven Bestimmungen. Im Ergebnis ist Garrn jedoch zuzustimmen. Auf Grund der vorherigen Ausführungen wird das Verwenderrisiko nicht unangemessen zu Lasten des Kunden eingeschränkt, so dass kein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorliegt129. (8) Sinn und Zweck. Eine Ersetzungsklausel, die als Maßstab den „wirtschaftlichen Erfolg“ zur inhaltlichen Gestaltung heranzieht, verstößt nach überwiegender Meinung gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zur Begründung wird auf die Unvereinbarkeit mit dem Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB verwiesen130. Nach der oben vertretenen Ansicht liegt diese Voraussetzung jedoch nicht vor, so dass durch die Klausel auch keine unangemessene Benachteiligung für den Kunden entsteht131. Ferner betrifft der wirtschaftliche Erfolg immer das Gesamtgeschäft, wodurch auch die Interessen des Vertragspartners angemessen berücksichtigt werden. (9) Billiges Ermessen gem. §§ 315 ff. BGB. Eine Ersetzungsklausel, die als Ersetzungsmaßstab „billiges Ermessen“ enthält, weicht zwar von der Vorschrift des § 306 Abs. 2 BGB ab. Der Maßstab greift zur Ermittlung des Inhalts der ersetzenden Klausel jedoch auf objektive Kriterien zurück. Dies schließt einen erheblichen Eingriff in die Interessen des Kunden aus, da auch auf dessen Belange Rücksicht genommen wird. Daher liegt bei dieser Art der Klauselgestaltung kein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor.
__________ 125 BGH, NJW 1983, 159, 162. 126 Vgl. hierzu die Ausführungen unter C.II.2.b.aa. 127 KG, NJW 1998, 829, 831. Die allg. Bezeichnung als Verstoß meint hier die Unvereinbarkeit mit dem Grundgedanken, vgl. Weyer in FS Baur (Fn. 46), S. 687 Fn. 44. 128 Garrn, JA 1981, 151, 153. 129 Vgl. zur Ersetzungspflicht beider Parteien C.II.2.b.aa. 130 BGH, NJW 2005, 3305, 3307; BGH, NJW 2002, 894, 895; OLG Celle, WM 1994, 889, 893; Garrn, JA 1981, 151, 153; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 306 BGB Rz. 39. Bedenken äußern: BGH, NZM 2005, 502, 503; BGH, NZM 1999, 906, 908. A. A. Baumann, NJW 1978, 1953, 1954 f.;Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 888 f. 131 Vgl. Ausführungen unter: Ersetzungspflicht beider Parteien, C.II.2.b.aa.
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(10) Reduktionsklausel. Zur Beurteilung der Unvereinbarkeit der Klausel mit dem Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB argumentiert Witte mit einer möglichen geltungserhaltenden Reduktion. Diese hält er nämlich für anwendbar, soweit die Unwirksamkeit der zu ersetzenden Regelung nicht vorhersehbar war. Allerdings scheide sie aus, sobald der Verwender die Nichtigkeit seiner AGB kannte oder kennen konnte. In diesem Fall habe der Verwender keinen Anspruch auf bestmögliche Aufrechterhaltung. Die Klausel verstoße gegen die Verkehrsauffassung zur Rechtsfolgenbestimmung und zerstöre das Gleichgewicht zwischen den Interessen der Vertragsparteien. Aus diesem Grund liege eine unangemessene Benachteiligung vor. Das selbe gelte aber auch bei Gutgläubigkeit des Verwenders, da die mögliche Reduktion auf das zulässige Maß dazu verleite, im Zweifel mehr als erlaubt in die Reduktionsklausel aufzunehmen132. Im Ergebnis ist Witte zuzustimmen. Bei einer geltungserhaltenden Reduktion würde § 306 Abs. 2 BGB jedoch umgangen, da infolge der Reduktion keine Lücke entstünde, die durch Anwendung des dispositiven Rechts gem. § 306 Abs. 2 BGB geschlossen werden könnte. Dies steht im Widerspruch zu der hier vertretenen Ansicht des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion, so dass die Reduktionsklausel schon aus diesem Grund gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 verstößt133. (11) Gesetzesverweisende Klausel. Aus dem gleichem Grund wie die Reduktionsklausel ist auch bei der gesetzesverweisenden Klausel von einem Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auszugehen. Die Verwendung übermäßiger Klauseln bleibt für den Verwender ansonsten ohne jegliches Risiko134. Demgegenüber wird das Risiko durch die anderen Klauselarten lediglich eingeschränkt. Darüber hinaus bejaht Kasselmann einen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der Bestimmtheit. Zwar bestehe kein Problem der objektiven Unklarheit der Klausel, aber häufig könne der Kunde die Rechtslage und seine damit einhergehenden Rechte und Pflichten nicht überblicken. Daher sei fraglich, ob der Verwender dafür verantwortlich gemacht werden könne. Allerdings moniert er, dass dieser durch die Klausel mangelnde Rechtskenntnisse seiner Kunden ausnutze. Aus diesem Grund sei eine unangemessene Benachteiligung zu befürworten135. Diese Ansicht überzeugt. Der Verwender verfügt im alltäglichen Geschäftsverkehr grundsätzlich über bessere Rechtskenntnisse als seine Kunden, wodurch ihm gerade bei der gesetzesverweisenden Klausel ein größerer Vorteil als bei den anderen Formen der Ersetzungsklausel erwächst. Die Auswirkungen sind für den Kunden nicht mehr überschaubar, so dass er unangemessen benachteiligt wird.
__________ 132 Witte (Fn. 36), S. 295; im Erg. Garrn, JA 1981, 151, 154. 133 Vgl. zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion B.II.2.b.ff. 134 Michalski/Römermann, NJW 1994, 886, 890. Im Erg. auch BGH, NJW-RR 1996, 783, 789. 135 Kasselmann (Fn. 24), S. 105 ff.
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bb) Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB Gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Vertragsklauseln nicht klar und verständlich sind. Sie müssen damit auch den inhaltlichen und formalen Anforderungen gerecht werden. Dazu gehört, dass die Rechts- und Pflichtenstellung des Kunden möglichst klar und durchschaubar dargestellt wird136. (1) Automatische Ersetzung. Im Hinblick auf die Wahrung des Transparenzgebots besteht keine Einigkeit in Literatur und Rechtsprechung. Ein Teil der Literatur befürwortet die transparente Vertragsgestaltung der konkreten Ersatzklauseln. Denn der Verwender weise mit der Klausel selbst darauf hin, dass die zu ersetzende Regelung problematisch sei. Dieser Hinweis sei klarer als ein allgemein gehaltener salvatorischer Zusatz137. Demgegenüber geht die überwiegende Meinung von einer Unwirksamkeit konkret vorformulierter Ersatzklauseln aus. Selbst wenn die Klauseln mit §§ 307–309 BGB vereinbar und hinreichend verständlich seien, würden sie dennoch die Rechtsfolge des § 306 Abs. 2 BGB modifizieren und auf diese Weise das Unwirksamkeitsrisiko des Verwenders zu Lasten des Vertragspartners einschränken138. Der überwiegenden Ansicht kann aus den oben bei § 307 Abs. 2 genannten Gründen139 nicht gefolgt werden, so dass kein Verstoß vorliegt. (2) Ersetzungsverpflichtung beider Vertragsparteien. Die Einhaltung des Transparenzgebotes könnte bei dieser Klauselart problematisch sein. Der Verwender kann bei Abschluss des Vertrages den genauen Inhalt der Ersatzbestimmung noch nicht benennen. Dieser soll ja erst bei Nichtigkeit einer Vertragsklausel vereinbart werden. Eine Vertragsbestimmung muss indes nur insoweit verständlich sein, wie sie überhaupt existent ist. Es liegt in der Natur der Ersetzungsklausel, dass die konkrete Fassung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht formuliert und so für den Kunden unverständlich ist. Indes geht aus der Klausel klar hervor, dass der Kunde durch Ersetzung der unwirksamen, aber für ihn transparenten Ursprungsfassung besser gestellt wird. Damit wird dem Transparenzgebot Genüge getan140.
__________ 136 Medicus (Fn. 85), Rz. 74; Witte (Fn. 36), S. 292; Locher (Fn. 73), S. 41; Klapperich in Schulte-Nölke/Frenz/Flohr (Fn. 17), S. 434 f. 137 Witte (Fn. 36), S. 288, 291; Fehl (Fn. 95), S. 104; Neumann (Fn. 6), S. 106; Kasselmann (Fn. 24), S. 72; Hager (Fn. 77), S. 202; Schlosser in Staudinger (Fn. 94), § 306 BGB Rz. 17; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 151. Vgl. auch Schröder (Fn. 73), S. 246 f. Zur Wirksamkeit von Staffel-AGB, vgl. Michalski/ Römermann, NJW 1994, 886. A. A. Weyer in FS Baur (Fn. 46), S. 687. 138 OLG München, NJW-RR 1988, 786, 787 f.; Ebel, DB 1979, 1973, 1976; Schröder (Fn. 73), S. 248; Schmidt (Fn. 24), S. 230; Preis (Fn. 25), Rz. 19 (S. 1032); Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 306 BGB Rz. 9. Bedenken äußert BGH, NJW 1990, 716, 718. Garrn differenziert auch hier: JA 1981, 151, 154; vgl. C.II.2.b.aa. 139 Zur Vereinbarkeit mit § 306 Abs. 2 BGB s. Automatische Ersetzung, C.II.2.b.aa. 140 Kasselmann (Fn. 24), S. 71 ff.; Witte (Fn. 36), S. 297 f. A. A. Preis (Fn. 25), Rz. 15 (S. 1030 f.).
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Gestaltungsformen und Zulässigkeitsschranken bei Ersetzungsklauseln
(3) Ersetzungsermächtigung einer Vertragspartei. Der Inhalt der Ersatzklausel existiert auch für diese Klauselart bei Vertragsschluss noch nicht. Aus den zuvor genannten Gründen141 ist dies aber nicht weiter problematisch. Ferner kann man den Verwender nicht verpflichten, von vornherein für alle möglichen unwirksamen Bestimmungen eine konkrete Ersatzbestimmung in seine AGB aufzunehmen, denn bei der Ersetzung müssen auch fallspezifische Aspekte berücksichtigt werden142. Somit verstößt auch die Ersetzungsklausel nicht gegen das Transparenzgebot. (4) Ersetzungsermächtigung eines Dritten. Für die Ersetzungsermächtigung eines Dritten kann nichts anderes gelten als für die Ersetzungsermächtigung einer Vertragspartei. Wiederum bleibt der genaue Inhalt der Ersatzbestimmung bis auf die Zuständigkeit offen. Dennoch liegt kein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor143. Auch einem Dritten kann nicht zugemutet werden, im Vorfeld für alle möglichen unwirksamen AGB konkrete Ersatzklauseln parat zu haben. (5) Fehlen einer ausdrücklichen Ersetzungszuständigkeit. Lässt eine Ersetzungsklausel offen, wer die Zuständigkeit innehat, so entsteht dadurch eine ausfüllungsbedürftige Lücke der Ersetzungsklausel selbst144. Einem rechtsunkundigen Verwendungsgegner kann aber nicht zugemutet werden, die Folgen zu überblicken, die durch eine ergänzende Vertragsauslegung entstehen. Es liegt eine inhaltliche Benachteiligung zu Lasten des Verwendungsgegners vor, die zu einem Verstoß gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB führt. (6) Unwirksame Klausel. Enthält eine Ersetzungsklausel diesen Maßstab, könnte sie wegen fehlender Transparenz unwirksam sein. Der Vertragspartner könne sich nicht über seine Rechte informieren145. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Vertragspartner in diesem Fall gerade den Maßstab kennt, mit dem die Ersatzregelung zu ermitteln ist. Denn den Inhalt der unwirksamen Bestimmung hatte er bereits zur Kenntnis genommen und wirksam in den Vertrag miteinbezogen. (7) Parteiwille. Die Verwendung des Ersetzungsmaßstabes „Parteiwille“ verstößt nicht gegen das Transparenzgebot. Nichts dürfte dem Verwendungsgegner klarer sein als sein eigener Wille, so dass es hier nicht an der Verständlichkeit mangelt.
__________ 141 Witte (Fn. 36), S. 297 f.; Kasselmann (Fn. 24), S. 71 ff. S. hierzu Darstellung zur Neuverhandlungsklausel, C.II.2.b.aa. Im Erg.: Baumann, NJW 1983, 1953; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 151. A. A. Coester in Staudinger (Fn. 88), § 307 BGB Rz. 60 – dieser geht auch bei der Neuverhandlungsklausel von Intransparenz aus; Neumann (Fn. 6), S. 106. 142 So zutreffend Garrn, unter Missachtung seiner Differenzierung, JA 1981, 151, 154. Vgl. BGHZ 112, 115, 119; Medicus (Fn. 85), Rz. 74. 143 Kasselmann (Fn. 24), S. 71 ff. So auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1987, 1462; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 151. 144 Beyer (Fn. 22), S. 81; Wolf in Soergel (Fn. 26), § 316 BGB Rz. 5. 145 Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 151.
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(8) Sinn und Zweck. Fraglich ist, ob durch die Vereinbarung des Maßstabes „wirtschaftlicher Erfolg“ in einer Ersetzungsklausel das Transparenzgebot gewahrt wird. Dieser Terminus könnte unter Umständen zu Missverständnissen zwischen den Parteien führen. Zwar muss der wirtschaftliche Erfolg einheitlich zu bewerten sein. Der Verwender wird aber regelmäßig einen anderen wirtschaftlichen Erfolg anstreben als der Vertragspartner. Da die unwirksame Ursprungsfassung den Verwender begünstigt hat, ist für den Kunden auf Grund der Formulierung nicht klar verständlich, dass auch er durch eine wirksame Ersetzungsklausel Vorteile erlangt. Er könnte nämlich davon ausgehen, dass die Klausel aus seiner Sicht zu Gunsten des wirtschaftlichen Erfolgs des Verwenders ersetzt wird. Daher verstößt dieser Maßstab gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB146. (9) Billiges Ermessen gem. §§ 315 ff. BGB. Eine Ersetzungsklausel, die das „billige Ermessen“ zum Maßstab hat, verstößt nicht gegen das Transparenzgebot. Denn es wäre unbillig, von einem AGB-Verwender zu verlangen, seine AGB konkreter auszugestalten als der Gesetzgeber den Gesetzestext147. (10) Reduktionsklausel. Die Frage, ob eine Reduktionsklausel gegen das Transparenzgebot verstößt, ist umstritten. Ein Verstoß wird folgendermaßen begründet: Durch Zulassung einer geltungserhaltenden Reduktion würde dem Verwender das Risiko einer unwirksamen AGB-Bestimmung genommen. Er könnte nämlich seine Pflicht, eine angemessene Ersatzklausel zu finden, auf das Gericht übertragen148. Dadurch würde eine Inhaltskontrolle weitgehend ausgeschlossen. Ferner sei die Klausel unverständlich, da sie keinen Aufschluss über die Rechte des Vertragspartners bereithält149. Witte hingegen ist der Meinung, dass hinsichtlich der geltungserhaltenden Reduktion ohnehin auf einen allgemein bekannten Grundsatz hingewiesen würde. Damit wäre dem Transparenzgebot Genüge getan. Außerdem wisse der Verwendungsgegner durch Mitteilung der Methode, auf welche Art und Weise der an die Stelle der unwirksamen Regelung tretende Klauselinhalt zu ermitteln sei150. Kasselmann indes geht davon aus, dass der Vertragspartner den Maßstab kenne, mit dem die Ersatzregelung zu ermitteln ist. Dies sei in der Regel die wirtschaftliche Funktion der unwirksamen Bestimmung. Überdies werfe auch die Anwendung der gesetzlichen Regelung des § 306 Abs. 2 BGB Fragen auf, die für einen rechtsunkundigen Vertragspartner nicht zu durchschauen seien. Daher wird dieser im Hinblick auf die Verständlichkeit durch eine Reduktionsklausel auch nicht schlechter gestellt als durch die gesetzliche Regelung151. Der Ansicht von Witte ist zum einen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion entgegen zu halten. Zum anderen wird durch die Mitteilung der Methode keinesfalls sichergestellt, dass sich der rechtsunkundige Vertrags-
__________ 146 147 148 149 150 151
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Im Ergebnis auch: BGH, NJW 2005, 3305, 3307; BGH, BB 1996, 654, 656. Medicus (Fn. 85), Rz. 74; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 151. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 72), § 6 AGBG Rz. 14. Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 151. Witte (Fn. 36), S. 292. A. A. Preis (Fn. 25), Rz. 25 (S. 1035). Kasselmann (Fn. 24), S. 74.
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partner über die Ermittlungsweise der Klausel im Klaren ist. Gegen Kasselmanns Ansatz spricht, dass der zusätzliche Maßstab des „wirtschaftlichen Erfolges“ gerade nicht immer kumuliert zu Reduktionsklauseln geregelt ist. Ferner ist ihm entgegenzuhalten, dass ein Vergleich zwischen der Formulierung der Regelungen des Gesetzes und der Formulierung von AGB hinkt. AGB treten im alltäglichen Geschäftsverkehr mit Durchschnittskunden massenhaft auf. Daher ist auch die Verständlichkeit von extremer Wichtigkeit, so dass höhere Anforderungen hieran gerechtfertigt sind. Diese kann nicht unter Hinweis auf die Unverständlichkeit gesetzlicher Regelungen bejaht werden. Demnach verstößt die Reduktionsklausel gegen das Transparenzgebot. (11) Gesetzesverweisende Klausel. Da die Klausel global gefasst ist, ergeben sich für eine Ersatzklausel rechtlich gleichwertige Formulierungen verschiedenen Inhalts. Eine Ansicht sieht daher in der Verwendung des Maßstabs „soweit gesetzlich zulässig“ einen generellen Verstoß gegen das Transparenzgebot. Die Klausel ließe den Kunden über seine Rechte und den Umfang der Abweichung vom dispositiven Recht im Unklaren. Aus diesem Grund könne auch für den gutgläubigen Verwender keine Ausnahme gemacht werden. Ferner werde dem Richter die unzumutbare Aufgabe übertragen, im Interesse des Verwenders die Rechte des Kunden so weit wie möglich einzuschränken152. Die Unzulässigkeit ergibt sich darüber hinaus aus dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion153. Eine differenzierende Ansicht nimmt zwar aus den zuvor genannten Gründen grundsätzlich einen Verstoß an. Sie will aber dann eine Ausnahme zulassen, wenn es nach dem Stand der Rechtsprechung und Literatur ungewiss ist, ob eine konkrete Regelung noch zu tolerieren sei oder nicht. Der Verwender habe diese ungewisse Rechtslage nicht zu verantworten, deshalb könne man ihm sein Recht auf Vertragsfreiheit auch nicht entziehen. Es sei unbillig, von ihm zu verlangen, zur Vermeidung des Risikos der Totalnichtigkeit auf eine potenziell rechtmäßige Klausel zu verzichten. Transparenz liege insoweit vor, dass die uneingeschränkte Geltung der Klausel zudem erkennbar als rechtlich zweifelhaft dargestellt wird154.
__________ 152 BGH, NJW 1996, 1407, 1408; BGH, NJW 1993, 1061, 1062; BGH, NJW 1991, 2630, 2632; BGH, NJW 1983, 159, 162; Neumann (Fn. 6), S. 112; Witte (Fn. 36), S. 305 ff.; Schröder (Fn. 73), S. 256 f.; Garrn, JA 1981, 151, 156; Ulmer in Ulmer/Brandner/ Hensen (Fn. 72), § 305 Rz. 153; Schmidt, ebenda (Fn. 72), § 306 Rz. 15; Basedow in MünchKomm.BGB (Fn. 74), § 306 BGB Rz. 29. Absolute Mindermeinung: Thümmel/ Oldenburg, BB 1979, 1067, 1070; Willenbruch, BB 1981, 1976, 1979. 153 Hefermehl in Erman, 9. Aufl., § 6 Rz. 14. 154 OLG Stuttgart, NJW 1981, 1105, 1106; Kasselmann (Fn. 24), S. 83; Hager (Fn. 77), S. 204; Lindacher, BB 1983, 154, 157; Bunte, NJW 1983, 1326; Preis (Fn. 25), Rz. 32 (S. 1037); Lindacher in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 6 AGBG Rz. 45; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), Vor § 307 BGB Rz. 13; vgl. Neumann (Fn. 6), S. 108. Im Erg. auch Coester-Waltjen in Staudinger, § 309 Nr. 7 BGB Rz. 28 ff.; Schlosser, WM 1978, 562, 568 f., die aber eine andere Differenzierung vornehmen. Michalski/Römermann weisen daraufhin, dass der Verwender gerade im Regelfall zweifelhafte Vertragsklauseln mit dem Zusatz absichern will, so dass die Argumentation dieser Ansicht sinnwidrig sei, NJW 1994, 886, 889 Fn. 46.
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Diese Argumentation überzeugt nicht. Dem rechtsunkundigen Vertragspartner ist die Kenntnis der Grenze des „Gerade-noch-zulässigen“ ebenso wenig zumutbar wie das Tragen des Prozessrisikos bei gerichtlicher Überprüfung. Ein weit verbreitetes Zitat155 veranschaulicht den Inhalt dieser Klauselart und den damit einhergehenden Verstoß gegen das Transparenzgebot: „Ich will das dispositive Recht abbedingen, ermittle bitte selbst, was dies inhaltlich bedeutet.“ cc) Verstoß gegen Treu und Glauben, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn dem Verwender eine Treu und Glauben widersprechende Verfolgung seiner Interessen vorzuwerfen ist156. (1) Ersetzungsbefugnis einer Partei oder eines Dritten. Diese Arten der Ersetzungsklausel könnten eine unangemessene Benachteiligung enthalten. Leistungsbestimmungsrechte in AGB seien nach Löwe für Massengeschäfte ungeeignet, da sie zu einer Flut gerichtlicher Überprüfungen führen würden. Die Inhaltskontrolle würde so in den Individualprozess verlagert157. Dem entgegnet Kasselmann, dass Leistungsbestimmungsrechte nicht Gegenstand einer Inhaltskontrolle sein könnten158. Auch stünde der Dritte regelmäßig dem Verwender nahe, so dass sich die Gefahr einer einseitigen Interessenwahrnehmung ergebe159. Hiergegen ist wiederum einzuwenden, dass sowohl der Verwender als auch der Dritte an die Billigkeitsmaßstäbe der §§ 315 Abs. 1, 317 Abs. 1 BGB gebunden sind160. Es ergibt sich keine unangemessene Benachteiligung aus einem Verstoß gegen Treu und Glauben. Eine doppelte Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsbefugnis durch die Ersetzungsklauseln stellt keine Benachteiligung dar, da der Verwender nur solche Bestimmungen durchsetzen kann, die er ad ovo in den Vertrag einführen durfte161. (2) Gesetzesverweisende Klauseln. Diese sind mit § 307 Abs. 1 BGB unvereinbar. Jedoch lässt die h. M. Ausnahmen zu, wenn die Grenzen des „Nochzulässigen“ schwer festzustellen sind und eine konkrete Fassung dem Verwender nicht zuzumuten ist162.
__________ 155 156 157 158 159 160
Das Zitat ist zurückzuführen auf Schlosser, WM 1978, 562, 569. Kasselmann (Fn. 24), S. 107; Coester in Staudinger (Fn. 88), § 307 BGB Rz. 93. Löwe, BB 1982, 152, 156. Kasselmann (Fn. 24), S. 119. BGH, NJW 1981, 2351, 2353; Löwe, BB 1982, 152, 156. A. A. Kasselmann (Fn. 24) sieht in dem Leistungsbestimmungsrecht eines Dritten einen Verstoß, S. 120. 161 Kasselmann (Fn. 24), S. 112 f. 162 OLG Hamm, BB 1983, 1305, 1307; Lindacher, BB 1983, 154, 157. Gegen die Ausnahme: Witte (Fn. 36), S. 306; Kasselmann (Fn. 24), S. 111. A. A. Thümmel/Oldenburg, BB 1979, 1060, 1067.
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3. Ersetzungsklausel in Unternehmerverträgen Die Generalnorm des § 307 BGB ist auch im unternehmerischen Verkehr als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Zu beachten ist aber, dass hier geringere Anforderungen an die Inhaltskontrolle zu stellen sind. Der Unternehmer ist nicht im gleichen Umfang schutzwürdig wie der Verbraucher, denn durch seine hinreichende Geschäftserfahrung sind ihm die Risiken und Folgen seines rechtsgeschäftlichen Handelns bekannt163. Fraglich ist, ob Reduktionsklausel, gesetzesverweisende Klausel, Maßstab des „wirtschaftlichen Erfolgs“ und Klausel ohne Ersetzungszuständigkeit auch im unternehmerischen Verkehr unwirksam sind. Da die anderen Klauselarten schon gegenüber Verbrauchern wirksam sind, bestehen hier erst recht keine Bedenken. Gesetzesverweisende Klauseln sowie Reduktionsklauseln verstoßen in jedem Fall auch im unternehmerischen Verkehr sowohl gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB als auch gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB164. Ohne Zweifel wird ein Kaufmann in der Regel rechtskundiger sein als ein Durchschnittskunde. Auch wenn es zweifelhaft erscheint, dass bei Unternehmerverträgen der Verwender von AGB regelmäßig eine bessere Kenntnis der Rechtslage besitzt als sein Kollege, wird man dennoch nicht vom Vertragspartner die Kenntnis der Grenze des „Gerade-noch-zulässigen“ verlangen können. Zumindest gilt das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion immer. Daher sind diese Klauseln auch im unternehmerischen Verkehr unwirksam. Eine Ersetzungsklausel, der es an der Zuständigkeit mangelt, muss im unternehmerischen Verkehr wohl als wirksam angesehen werden. Unternehmer werden die Folgen einer ergänzenden Vertragsauslegung regelmäßig erfassen können. Der Verstoß gegen das Transparenzgebot wurde damit begründet, dass der Terminus „wirtschaftlicher Erfolg“ für den Kunden unverständlich ist. Dies ist auf die mangelnde Rechtskundigkeit eines Verbrauchers zurückzuführen. Ein Unternehmer hingegen wird sich dessen bewusst sein und abwägen können, wer durch diese Formulierung Vorteile erlangt. Damit ist dieser Maßstab für ihn verständlich und führt in Unternehmerverträgen nicht zur Unwirksamkeit gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. 4. Zusammenfassung Erhaltungs- und Ersetzungsklauseln als Individualvereinbarungen sind weitgehend unproblematisch. Die Wirksamkeitsprüfung der Gestaltungsformen er-
__________ 163 Locher (Fn. 73), S. 140; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), § 307 BGB Rz. 40. 164 BGH, NJW 1996, 1407, 1408; BGH, NJW 1991, 2630, 2632; BGH, NJW 1985, 623, 624; Schlosser, JURA 1980, 434, 441; Lindacher, BB 1983, 153, 157; Fuchs in Ulmer/ Brandner/Hensen (Fn. 72), Vor § 307 BGB Rz. 100 f.; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 73), § 9 AGBG Rz. 151; Heinrichs in Palandt (Fn. 13), Vor § 307 BGB Rz. 13. A. A. Thümmel/Oldenburg, BB 1979, 1060, 1067.
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gibt, dass die Bedenken des BGH nur zum Teil begründet sind. Während die Reduktions- und die gesetzesverweisende Klausel im unternehmerischen wie nicht unternehmerischen Verkehr unwirksam sind, bezieht sich die Unwirksamkeit des Maßstabs „wirtschaftlicher Erfolg“ und des Mangels der Ersetzungszuständigkeit lediglich auf den nicht unternehmerischen Verkehr. Die übrigen Formen der Ersetzungsklausel sind in beiden Fällen wirksam.
D. Resümee Die Ersetzungsklausel schafft eine gesteigerte Rechtssicherheit im Rechtsverkehr, da die Parteien bereits bei Vertragsschluss eine genaue Vorstellung darüber haben, was im Falle der Nichtigkeit einer Vertragsklausel gilt oder gelten wird. Dennoch ist aber bei der Verwendung von Ersetzungsklauseln auch Vorsicht angezeigt. Sie als Standardklausel in jeden Vertrag aufzunehmen, wäre nicht sachgerecht, denn manchmal entspricht die Aufrechterhaltung des Vertrages nach dem Wegfall einer Regelung gerade nicht den Interessen der Parteien. Dann wäre eine solche Klausel verfehlt165. In vielen Fällen jedoch wollen die Parteien an dem Vertrag festhalten, so dass die Vereinbarung einer Ersetzungsklausel durchaus sinnvoll ist. In der Praxis treten Ersetzungsklauseln zumeist nur in Individualverträgen auf, denn ein sachkundiger Berater wird dem Verwender von deren Verwendung in AGB regelmäßig abraten. Zwar wurde festgestellt, dass die meisten der als AGB verwendeten Arten der Ersetzungsklausel wirksam sind. Höchstrichterlich werden sie jedoch entgegen der hier vertretenen Auffassung häufig nicht anerkannt und haben deshalb bei Gericht keinen Bestand166. Ursächlich dafür dürfte der Umstand sein, dass ein Durchschnittskunde die Rechtslage oft nicht hinreichend überblicken kann. Eine Ersetzungsklausel lässt daher für ihn zu viele Fragen offen und vermindert so entgegen ihrer Zielsetzung die Rechtssicherheit. Um diesem Problem in der Vertragspraxis zu entgehen, sollte der AGB-Verwender bzw. der von ihm eingeschaltete Rechtsberater deshalb eine Regelung entwerfen, die einer rechtlichen Überprüfung auch anhand der strengeren Maßstäbe der Rechtsprechung standhält. Dies ist immer noch der „beste Weg“, um beide Vertragsparteien vor gleichermaßen unvorhergesehenen wie unangenehmen Überraschungen zu schützen.
__________ 165 Ähnlich argumentiert auch: Münch, DNotZ 2005, 819, 831. 166 Vgl. Preis (Fn. 25), Rz. 40 (S. 1040). Für viele: BGH, NJW 2002, 895.
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Vertragliche Dauerschuldverhältnisse im Allgemeinen Schuldrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung und Problemstellung II. Der Begriff des Dauerschuldverhältnisses 1. „Zeitlich andauernder Leistungserfolg“ als klassifikatorisches Begriffsmerkmal 2. Erste Folgerungen III. Erfüllung der Dauerschuld nach § 362 BGB 1. Anwendbarkeit des § 362 BGB 2. Erfüllung ohne andauernde Leistungshandlungen IV. Nichtanwendbarkeit des § 266 BGB auf vereinbarte Teilleistungen V. Zeitabschnittsweise Nichterfüllung der Dauerverpflichtung 1. Teilunmöglichkeit der Dauerverpflichtung a) Verzug oder (Teil-)Unmöglichkeit b) Teilweise oder vollständige Unmöglichkeit 2. Auswirkungen einer Teilunmöglichkeit für die Leistungspflichten des Vertragspartners a) Abschnittsweiser Wegfall der Gegenleistung
b) Teilrücktritt in der Zeit aa) Möglichkeit eines Teilrücktritts bb) Rechtsfolgen eines Teilrücktritts VI. Die Anwendbarkeit des § 320 BGB 1. Präzisierungen 2. Ausbleiben der Dauerleistung 3. Ausbleiben der wiederkehrend geschuldeten punktuellen Leistung VII. Das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 BGB 1. § 314 BGB als eigenständiges Institut des Leistungsstörungsrechts für Dauerschuldverhältnisse 2. Das Verhältnis des § 314 BGB zu den Rücktrittsrechten im Allgemeinen Schuldrecht a) Meinungsstand b) Parallelität von § 314 BGB und § 326 Abs. 5 BGB c) Parallelität von § 314 BGB und §§ 323, 324 BGB VIII. Schlussbemerkungen
I. Einleitung und Problemstellung Vertragliche Dauerschuldverhältnisse sind dem BGB seit jeher wohlbekannt. Schon der historische Gesetzgeber des Jahres 1900 verfolgte im Rahmen des Besonderen Schuldrechts auch das Anliegen, dem Dauerschuldcharakter einzelner Vertragstypen sachadäquat Rechnung zu tragen. Exemplarisch hierfür ist die Normierung von Kündigungsrechten aus wichtigen Gründen für Mietund Pachtverträge, Dienstverträge und Gesellschaftsverträge. Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz aus dem Jahre 2001 ist der Begriff des Dauerschuldverhältnisses sogar in die Gesetzessprache des Allgemeinen Schuldrechts 491
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eingegangen, genauer: in die Tatbestände der §§ 308 Nr. 3, 309 Nr. 1, 91 und § 314 BGB. Gleichwohl wird bis heute bemängelt, dass das Leistungsstörungsrecht im Allgemeinen Schuldrecht den Zeitfaktor weitgehend vernachlässige. An diesem Übelstand habe auch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Grunde nichts geändert. „Wieder stand bei der gesetzlichen Regelung des Leistungsstörungsrechts nahezu ausschließlich das Paradigma des Kaufs und ergänzend des Werkvertrags im Mittelpunkt. Die Besonderheiten anderer Verträge wurden demgegenüber weitgehend ausgeblendet“2. Diese Kritik greift zwar einerseits zu weit, doch andererseits auch noch zu kurz. Was zunächst die Schuldrechtsmodernisierung angeht, fanden die Besonderheiten von Dauerschuldverhältnissen nämlich durchaus Beachtung: erstens mit der gesetzlichen Verankerung eines Kündigungsrechts aus wichtigem Grund in § 314 BGB und zweitens mit der Regelung des § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach die Gegenleistungspflicht bei voller oder teilweiser Unmöglichkeit der Leistung kraft Gesetzes in voller bzw. anteiliger Höhe erlischt. Letztere ist zwar nicht spezifisch auf Dauerschuldverhältnisse zugeschnitten, dessenungeachtet aber – wie zu zeigen sein wird – auch für diese bedeutsam. Andererseits gilt über das Leistungsstörungsrecht hinaus für das gesamte Allgemeine Schuldrecht, dass das Leitbild der gesetzlichen Regelung die punktuelle, keine Ausdehnung in der Zeit aufweisende Leistungspflicht ist. Beim paradigmatischen Barkauf tritt dies besonders klar zu Tage. Der von den Vertragspartnern geschuldete Übergang des Eigentums an der Kaufsache einerseits und den Zahlungsmitteln andererseits hat keine Ausdehnung in der Zeit. Die Eigentumsposition des alten und die des neuen Eigentümers trennt kein real existierender Zeitabschnitt, sondern allenfalls eine nur Juristen zugängliche logische bzw. juristische Sekunde. Der skizzierte Befund legt die allgemeinere Frage nahe, inwieweit sich die Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts auf Dauerschuldverhältnisse überhaupt anwenden lassen und welche Modifikationen hierbei gegebenenfalls erforderlich werden. Vor der Schuldrechtsmodernisierung war die Rede davon, dass das Allgemeine Schuldrecht eine Gesetzeslücke für Dauerschuldverhältnisse aufweise. Ob – und gegebenenfalls inwieweit – dieser Befund auch noch nach der Schuldrechtsmodernisierung Gültigkeit hat, ist im Folgenden für vier Bereiche auszuloten: für das Erfüllungsrecht (III./IV.), für die zeitabschnittsweise Nichterfüllung der Dauerverpflichtung (Teilunmöglichkeit in der Zeit) (V.), für das Zurückbehaltungsrecht des § 320 BGB (VI.) und für das Verhältnis des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund des § 314 BGB zu den Rücktrittsrechten des Allgemeinen Schuldrechts (VII.). Zunächst erscheint freilich noch eine Präzisierung des Begriffs Dauerschuldverhältnisse und der sich hiermit verbindenden Inhalte angezeigt (II.).
__________ 1 Im AGBG fand sich der Begriff schon zuvor in den § 10 Nr. 3 sowie § 11 Nr. 1 und Nr. 12 AGBG. 2 Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl. 2005, § 1 Rz. 12.
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Vertragliche Dauerschuldverhältnisse im Allgemeinen Schuldrecht
II. Der Begriff des Dauerschuldverhältnisses Der Begriff des Dauerschuldverhältnisses wird vom BGB nicht definiert, sondern auch in den §§ 308 Nr. 3, 309 Nr. 1, 9 und 314 BGB als bekannt vorausgesetzt. Die Diskussion darüber, welche besonderen Merkmale ein Schuldverhältnis zum Dauerschuldverhältnis machen, setzte freilich schon mit Otto von Gierke3 ein, und sie hat bis heute – entgegen der Einschätzung in der Begründung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes4 – keine auch nur weithin konsensfähige Definition hervorgebracht. Vor diesem Hintergrund kann es im Folgenden nur darum gehen, das eigene Verständnis zu skizzieren, nicht aber um eine umfassende Aufarbeitung dieser jahrzehntealten und entsprechend umfangreichen Diskussion. 1. „Zeitlich andauernder Leistungserfolg“ als klassifikatorisches Begriffsmerkmal Als allgemein akzeptierter, aber auch hochgradig abstrakter Ausgangspunkt kann die Einsicht gelten, dass für die Leistung „dem Zeitmoment eine wesentliche Bedeutung zukommt“5 bzw. „dass die Zeitdimension ein konstruktives Element der Leistung selbst“6 ist. Freilich ist das Zeitmoment auch bei der absoluten Fixschuld essentiell und so hat man denn auch einen bunten Strauß weiterer Kriterien bemüht, um die besondere Eigenart der Dauerschuldverhältnisse zu bezeichnen. Erwähnt seien etwa die folgenden: eine gewisse Dauer des vertraglichen Schuldverhältnisses7, die Notwendigkeit einer durch die Parteien eigens vorzunehmenden zeitlichen Begrenzung des Schuldverhältnisses8, die Unbestimmtheit der Gesamtleistung9, die allein mit Hilfe der Zeit mögliche Quantifizierung des Umfangs der geschuldeten vertragstypischen Hauptleistung10, ein „personales Element“ des Schuldverhältnisses11, ferner die von mindestens einer Vertragspartei geschuldete „ständige Pflichtenanspannung“12 sowie das ständige Entstehen neuer Leistungs- und Schutzpflichten während der Laufzeit13. Verbreitet wird schließlich, wenn auch mit Unterschieden im Detail, auf das Bestehen einer zeitlich ausgedehnten, also nicht lediglich punk-
__________ 3 Von Gierke, Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Bd. 64, 1914, S. 355 ff. 4 Begr. zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6040, S. 177. 5 So unter anderen auch Begr. (Fn. 4), BT-Drucks. 14/6040, S. 177. 6 Horn in Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts I, 1981, S. 561. 7 These der Vertragsdauer; s. Silberschmidt, Bay Rpflege 1916, 369. 8 Wiese in FS Nipperdey I, 1965, S. 837; Kramer in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. § 241–432 BGB Rz. 97. 9 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 104 f. 10 Gaier in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 314 BGB Rz. 5; Oetker (Fn. 9), S. 135; Otto in Staudinger, Neubearb. 2004, § 324 BGB Rz. 17 (auch der Gegenleistung). 11 Schwarz in FS Wilburg, 1975, S. 355, 362 f. 12 Esser/Schmidt, Schuldrecht I AT, Tbd. 1, 7. Aufl. 1992, § 15 II 4 (S. 260). 13 Begr. (Fn. 4), S. 177; Westermann in Erman, 11. Aufl. 2004, Einl § 241 BGB Rz. 20.
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tuellen Leistungspflicht abgehoben. Den Schuldner treffe eine „zeitlich notwendig andauende Leistungspflicht“14 bzw. eine Leistungspflicht, „die sich auf einen Zeitraum erstreckt“15. Bei den Befürwortern des letztgenannten Kriteriums einer „andauernden Leistungspflicht“ bleibt freilich häufig im Dunkeln, ob sich diese zeitliche Dimension auf die Leistungshandlung oder aber den Leistungserfolg oder gar beide Komponenten der Leistung bezieht. Um diese Frage am Beispiel der vom Vermieter geschuldeten Hauptleistung in Form der Belassung bzw. Erhaltung der Mietsache im vertragsgemäßen Zustand zu verdeutlichen16: Folgt der Dauerschuldcharakter daraus, dass der Vermieter einen andauernden Leistungserfolg dahin schuldet, dass der Mieter dauerhaften Besitz der mangelfreien Mietsache hat, oder ist maßgeblich, dass der Vermieter jedenfalls auch eine andauernde Leistungshandlung vorzunehmen hat, also jedenfalls mantraförmig ein „ich belasse, ich belasse, ich belasse“ vor sich hinzumurmeln hat? Mit dieser Zuspitzung der Problemstellung liegt die Antwort auf der Hand. Für das Vorliegen einer Dauerverpflichtung ist entgegen der ganz herrschenden Auffassung allein entscheidend, dass ein zeitlich andauernder Leistungserfolg geschuldet ist, nicht aber, ob (auch) die für den Erfolgseintritt erforderliche Leistungshandlung eine gewisse Mindestdauer aufweist. Der Werkvertrag wird nicht dadurch zum Dauerschuldverhältnis, dass die Herstellung des Werks eine oder mehrere zeitlich ausgedehnte Leistungshandlungen erfordert. Das klassifikatorische Merkmal der Dauerschuldverhältnisse besteht vielmehr darin, dass zumindest eine vertragliche Hauptleistungspflicht dahin geht, einen zeitlich ausgedehnten, d. h. einen gewissen Zeitraum andauernden Leistungserfolg zu bewirken17. Dabei kann dieser zeitlich andauernde Leistungs-
__________ 14 Esser/Schmidt (Fn. 12), § 15 II 4 (S. 259). 15 Von Gierke (Fn. 3), S. 358 f. 16 Die Hauptpflicht des Vermieters zur Gebrauchsgewährung nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB umfasst die Pflicht zur Überlassung und zur Belassung, so dass die Erhaltungspflicht nach § 535 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB ein Bestandteil der umfassenderen Belassungspflicht ist (s. etwa Weidenkaff in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 535 BGB Rz. 14 i. V. m. 36; Schilling in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 535 BGB Rz. 1, 72). Die gegenteilige Auffassung, wonach die Belassungspflicht ein Bestandteil der umfassenderen Erhaltungspflicht sei (Emmerich in Staudinger, Neub. 2006, § 535 BGB Rz. 20, 22), kann demgegenüber nicht überzeugen. In systematischer Hinsicht handelt es sich bei § 535 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB nicht um die Normierung der zweiten Hauptpflicht des Vermieters (so aber Emmerich in Staudinger ebd. Rz. 20), sondern um die ergänzende Konkretisierung der in § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB normierten Gebrauchsüberlassungspflicht. Denn der Vermieter hat während der Mietzeit über die Erhaltung hinaus auch den ständigen Zugang zur an sich mangelfreien Mietsache zu gewähren und hierfür gegebenenfalls sogar etwaige von den Naturgewalten geschaffene Zugangshindernisse zu beseitigen. Umgekehrt lässt sich das „Belassung im vertragsgemäßen Zustand“ unschwer dahin deuten, dass der Vermieter seine Belassungspflicht auch durch das Unterlassen von Erhaltungsmaßnahmen verletzt, die Pflicht zur Belassung im vertragsgemäßen Zustand also auch ein aktives Tun in Form von Erhaltungsmaßnahmen gebietet. 17 So schon Nikisch, Die Grundformen des Arbeitsvertrags und der Anstellungsvertrag, 1926, S. 144 ff.; kritisch gegenüber der alleinigen Maßgeblichkeit der zeitlichen Dimension des Leistungserfolgs etwa Oetker (Fn. 9), S. 109 ff. (m. N. zur Gegenmeinung).
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erfolg auch im Nichteintritt eines bestimmten Umweltzustandes bestehen, etwa bei der Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots. Gegenüber dieser alleinigen Maßgeblichkeit des Leistungserfolgs greift auch nicht der nur vordergründig plausible Einwand durch, dass Dienst- und Arbeitsverträge sich doch gerade durch ihre fehlende Erfolgsbezogenheit vom Werkverträgen unterschieden. Bei der vertragstypendifferenzierenden Unterscheidung zwischen der Verpflichtung zu einem bloßen Tätigwerden und der zur Herbeiführung eines Erfolgs steht eine ganz andere Erfolgskategorie in Frage als bei der erfüllungsrechtlich geprägten Unterscheidung von Leistungshandlung und Leistungserfolg. Letztere beansprucht im Grundsatz selbst bei Dienst- und Arbeitsverträgen Geltung18, auch wenn sie dort nur selten zum Tragen kommen wird. Wer freilich zur bloßen körperlichen Anwesenheit verpflichtet ist, verwirklicht diesen Verhaltenserfolg auch als Schlafender oder im Zustand der Volltrunkenheit. Ebenso liegt es, wer als Aktmodell an einer Kunsthochschule einen Schlafenden darstellen soll und tatsächlich vom Schlaf übermannt wird oder wer bei einer Rettungsübung einen komatösen Verletzten mimen soll und vor Aufregung tatsächlich ins Koma fällt19. 2. Erste Folgerungen Als Konsequenz dieser zeitraum-erfolgsbezogenen Begriffsbildung liegt ein Dauerschuldverhältnis entgegen verbreiteter Ansicht nicht allein deswegen vor, weil sich der Umfang der Leistungspflicht einer Partei nur mit Hilfe des Faktors Zeit bestimmen lässt. Eine Schenkung in Form eines Versprechens, jährlich wiederkehrend eine bestimmte Summe bis zum Tode des Beschenkten zu bezahlen, stellt daher kein Dauerschuldverhältnis dar. Das ist auch deswegen sachgerecht, weil sich dieser Vertrag ohne weiteres in eine Mehrzahl einzelner, durch das Überleben des Beschenkten bedingten Schenkungsversprechen aufspalten ließe. Ganz entsprechend wird der Darlehenvertrag nicht schon deswegen zum Dauerschuldverhältnis, weil der Darlehensnehmer wiederkehrend Zinsen zu entrichten hat, sondern allein durch die nunmehr sogar in der Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz20 explizit anerkannten Belassungspflicht des Darlehensgebers21. Was schließlich die Einordnung von Sukzessivlieferungsverträgen angeht, liegt ein Dauerschuldverhältnis nicht schon vor, wenn die Lieferung einer unbestimmten Gesamtmenge in
__________ 18 Der Sache nach ebenso Oetker (Fn. 9), S. 109 f. 19 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob in einem solchen Fall gem. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt wird. Hierzu noch unten III.2. bei Fn. 33 f. 20 Begr. (Fn. 4), S. 253. 21 Eine Belassungspflicht des Darlehensgebers anerkennend etwa Weidenkaff in Palandt (Fn. 16), Einf v § 488 BGB Rz. 3; Berger in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 488 BGB Rz. 31; Otto in Staudinger (Fn. 10), Vorbem zu §§ 320–326 BGB Rz. 19; Mülbert, AcP 192 (1992), 447, 457 f.; ders., WM 2002, 465, 467; Freitag, ZIP 2004, 2368, 2370; Wittig/Wittig, WM 2002, 145, 147; Engert/Schmidt, WM 2005, 60, 64; a. A. im insolvenzrechtlichen Schrifttum etwa Huber in MünchKomm.InsO, 2002, § 103 InsO Rz. 69; transaktionsinteressengeleitet etwa Laudenklos/Sester, ZIP 2005, 1757, 1759 f.
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bestimmten Raten zu wiederkehrenden Zeitpunkten vereinbart wird22. Dauerschuldcharakter ist vielmehr nur den Bezugsverträgen zuzuerkennen, wenn also der Schuldner jederzeit nach Abruf durch den Gläubiger zu liefern hat. Bei dieser Gestaltung wird nämlich ein zeitraumbezogener Erfolg in Gestalt einer zeitlich andauernden Lieferfähigkeit geschuldet23. Ob der Gesamtumfang der zu liefernden Gütermenge bei Vertragsschluss fixiert wurde oder nicht, macht dann entgegen verbreiteter Auffassung24 freilich keinen Unterschied25. Ist für ein Dauerschuldverhältnis genügend, dass auch nur eine Hauptleistungspflicht auf einen zeitlich andauenden Leistungserfolg zielt, sind neben gegenseitigen auch zweiseitig oder sogar einseitig verpflichtende Dauerschuldverträge möglich. Bei gegenseitigen Dauerschuldverhältnissen wird das Gegenstück der Dauerschuld regelmäßig eine wiederkehrende Leistungspflicht sein; im Falle der Miete etwa die Mietzinspflicht des Mieters als Gegenleistung zur Belassungspflicht des Vermieters. Im Einzelfall können sich aber auch zwei Dauerverpflichtungen gegenüberstehen, etwa im Falle der wechselseitigen Gebrauchsüberlassung von Gegenständen wie dem vorübergehenden Tausch von Autos oder von Ferienhäusern. Erwähnt sei ferner der Bierlieferungsvertrag. Bei diesem stehen sich die Bierbezugspflicht des Gastwirts und die Darlehensgewährungspflicht der Brauerei synallagmatisch gegenüber26.
III. Erfüllung der Dauerschuld nach § 362 BGB Im Rahmen des § 362 BGB bergen lediglich Dauerschulden gewisse Probleme, nicht dagegen die wiederkehrenden Gegenleistungspflichten, etwa die Mietzinspflicht, und ebenso wenig die nichtsynallagmatischen sonstigen Leistungspflichten, etwa die zur ratenweisen Darlehensrückzahlung bei einem Annuitätendarlehen. Die wiederkehrende Leistungspflicht etwa des Mieters erlischt mit Bewirken der jeweils geschuldeten Mietzinszahlung nach § 362 Abs. 1 BGB in dieser Höhe, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Dauerschuld noch besteht27, und ebenso liegt es bei Erbringung der jeweils vertraglich geschuldeten Tilgungsrate bei einem Annuitätendarlehen28.
__________ 22 Ebenso Larenz, Schuldrecht I, 14 Aufl. 1987, § 2 VI (S. 30). 23 Ebenso Grüneberg in Palandt (Fn. 16), Überbl v § 311 BGB Rz. 28. 24 BGH, NJW 1981, 679, 680; aus dem Schrifttum etwa Kramer in MünchKomm.BGB (Fn. 9), Einl. §§ 241–432 BGB Rz. 98; ferner wohl Westermann in Erman (Fn. 13), Einl § 241 BGB Rz. 20; Olzen in Staudinger, Neub. 2005, § 241 BGB Rz. 361; Grüneberg in Palandt (Fn. 16), Überbl v § 311 BGB Rz. 28. 25 S. auch – mit freilich gegenläufiger Schlussfolgerung – Wiedemann in Soergel, 12. Aufl. 1990, Vor § 323 BGB Rz. 58. 26 Hopt/Mülbert in Staudinger, 12. Aufl. 1989, § 607 BGB Rz. 184 f. 27 Wiese (Fn. 8), S. 840; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 5 VI 1 a (S. 126); BGH, BGHZ 10, 391, 395 f. 28 A. A. insoweit Olzen in Staudinger, Neub. 2006, § 362 BGB Rz. 10: jeweils nur Teilerfüllung.
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1. Anwendbarkeit des § 362 BGB Was Dauerverpflichtungen anbelangt, hat vor allem Otto von Gierke die Anwendbarkeit des § 362 Abs. 1 BGB in Abrede gestellt und angenommen, dass diese durch Zeitablauf erlöschen29. Heute dominiert die gegenteilige Auffassung. Danach erlöschen auch Dauerschulden nach § 362 Abs. 1 BGB durch Bewirken der geschuldeten Leistung, und zwar deswegen, weil mit der ordnungsgemäßen Erbringung der Dauerleistung während eines Zeitabschnitts teilweise und mit einer solchen während des gesamten Erfüllungszeitraums vollständig erfüllt wird30. Demgegenüber mag man zwar einwenden wollen, dass die Konzeption einer Teilleistung in zeitlicher Hinsicht letztlich dazu führen muss, gedanklich eine kontinuierliche Folge punktueller Teilleistungen anzuerkennen. Bildhaft gesprochen hat das teilweise Erlöschen der Dauerschuld in jedem Augenblick deren allmähliches Absterben zur Folge31. Gleichwohl überzeugt die Anwendung des § 362 Abs. 1 BGB jedenfalls im Ergebnis. Für jeden Moment, in dem der Schuldner den geschuldeten Leistungserfolg herbeiführt, erbringt er die vereinbarte Leistung und bewirkt damit im Sinne des § 362 Abs. 1 die jeweils geschuldete Leistung. 2. Erfüllung ohne andauernde Leistungshandlungen Schwieriger ist die Antwort auf ein weiteres dauerschuldspezifisches Erfüllungsproblem, nämlich die Frage: „Kann man auch im Schlaf nach § 362 BGB erfüllen?“ In der Sache geht es darum, dass bei vielen Dauerverpflichtungen der Leistungserfolg auch dann eintreten wird, wenn der Schuldner in einem Hochsicherheitsgefängnis einsitzt, wenn er auf einer einsamen Insel weilt bzw. verschollen ist, wenn er schläft oder wenn er ins Koma gefallen ist. Zu denken ist insbesondere daran, dass der Betroffene etwa aufgrund eines Wettbewerbsverbots ein dauerndes Unterlassen schuldet, aber auch etwa an die (weitere) Belassung des mangelfrei überlassenen Mietgegenstands durch den Vermieter. Nach § 362 Abs. 1 BGB erfordert die Erfüllung tatbestandlich ein Bewirken der geschuldeten Leistung. Von einem solchen Bewirken kann nach allgemeinem Verständnis – und das gilt unabhängig davon, ob man für die Erfüllungsvoraussetzungen im Übrigen mit der vorherrschenden Theorie der realen Leistungsbewirkung für die Erfüllung die Kongruenz von erbrachter und geschuldeter Leistung genügen lässt oder mit der konkurrierenden Theorie der finalen Leistungsbewirkung stets zusätzlich eine Leistungszweckbestimmung verlangt –
__________ 29 Von Gierke (Fn. 3), S. 359, 363 ff. 30 Ausführlich Wiese (Fn. 8), S. 840 ff.; ihm folgend Oetker (Fn. 9), S. 324 f.; ferner etwa Gernhuber (Fn. 27), § 5 VI 1 a (S. 126); Wenzel in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 362 BGB Rz. 28. 31 So schon Lehmann, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, 1906, S. 207; zu Unrecht kritisch dazu von Gierke (Fn. 3), S. 356 f.
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nur die Rede sein, wenn der Eintritt des Leistungserfolgs zumindest auch auf einer Handlung des Schuldners beruht32, also auf einem willensgesteuerten menschlichen Verhalten. Fehlt es an der Mitursächlichkeit des schuldnerischen Handelns für den Erfolgseintritt, liegt ein Fall der Unmöglichkeit wegen Zweckerreichung vor. Dem Schuldner ist es nicht mehr möglich, durch sein Leistungshandeln den bereits eingetretenen Erfolg (nochmals) herbeizuführen, so dass er nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht frei wird. Die Anwendung dieser allgemeinen Regeln auf Dauerverpflichtungen scheint auf den ersten Blick zur Folge zu haben, dass der schlafende, der im Gefängnis einsitzende oder der im Koma liegende Dauerschuldner die geschuldete Leistung überhaupt nicht bewirken kann. Denn in einer solchen Situation ist ein willensgetragenes menschliches Verhalten gar nicht möglich oder wird für die Herbeiführung des Leistungserfolgs jedenfalls nicht mitursächlich. Andererseits impliziert diese Argumentation, dass eine Dauerverpflichtung stets auch eine andauernde Leistungshandlung erfordert: Nur dann kann es nämlich auf die fehlende Handlungsmöglichkeit im Zeitpunkt des Erfolgseintritts ankommen. Entkräften lassen sich alle derartigen Bedenken daher mit der Rückbesinnung darauf, dass für die Einordnung als Dauerverpflichtung allein das Erfordernis eines zeitlich anhaltenden Leistungserfolgs maßgeblich ist. Dann genügt es nämlich ohne weiteres, wenn der andauernde Leistungserfolg durch eine einmalige mitursächliche Leistungshandlung des Dauerschuldners herbeigeführt wurde, mag dieser danach auch in den Schlaf oder ins Koma gesunken sein33. Der schlafende oder komatöse Vermieter etwa kann seine Verpflichtung zur Belassung der Mietsache also durchaus erfüllen, sofern nur deren vorgängige Überlassung auf seinem willensgetragenen Verhalten beruhte, und ebenso liegt es bei bereits erwähnten Fällen eines schlafenden Aktmodells und eines komatösen Teilnehmers einer Rettungsübung34. Was ein Unterlassen als Dauerverpflichtung angeht, erscheinen keine Abweichungen veranlasst. Den vermeintlichen Einwand, dass die Leistungshandlung in Form der Entscheidung zu einem pflichtgemäßen Verhalten für den Leistungserfolg, also das Unterlassen, in künftigen Vertragsperioden nicht ursächlich sein könne, sondern der fortlaufenden Aktualisierung bedürfe, erweist schon das Beispiel eines schlafenden Unterlassungspflichtigen als unbehelf-
__________ 32 Gernhuber (Fn. 27), § 5 I 3 b (S. 99); Wenzel in MünchKomm.BGB (Fn. 30), § 362 BGB Rz. 1; Olzen in Staudinger (Fn. 28), § 362 BGB Rz. 12; Grüneberg in Palandt (Fn. 16), § 362 BGB Rz. 1. 33 Dies gilt auch im Rahmen der Theorie der finalen Leistungsbewirkung. Bei Dauerschulden lässt diese nämlich die einmalige Setzung der Leistungszweckbestimmung zu Beginn der Erfüllungshandlung genügen, fordert also keine andauernde Leistungszweckbestimmungssetzung; s. Gernhuber (Fn. 27), § 5 VI 1 a (S. 126). 34 Dies gilt auch, was die Pflicht zur Erhaltung der Mietsache gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB als einem Bestandteil der Belassungspflicht (näher oben in Fn. 16) anbelangt, solange die Mietsache noch gar keine Abnutzungen erlitten hat oder die zur Erhaltung erforderlichen kleineren Reparaturen (Schönheitsreparaturen) vertraglich dem Mieter auferlegt sind.
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lich. Wer schläft, muss gleichwohl seine Unterlassungspflicht noch erfüllen können, und dann kann es rechtslogisch auch keinen Unterschied machen, ob jemand gegen seinen Willen in der Wildnis verschollen ist, eine Haftstrafe verbüßt oder im Koma liegt. Die mit diesen Situationen verbundenen Wertungsschwierigkeiten sind nicht durch ein Zusammenwirken von Erfüllungs- und Unmöglichkeitsregeln etwa dergestalt zu lösen, dass der kurzzeitige Komapatient oder Strafhäftling seine Unterlassungspflicht erfüllt, im Falle eines dauerhaften Komas oder einer langfristigen Gefängnisstrafe dagegen Unmöglichkeit vorliegt. Man denke nur daran, dass der Komapatient entgegen der medizinisch begründeten Erwartungen nicht erwacht, oder der Strafhäftling zu einer weiteren Haftstrafe verurteilt wird. In allen diesen Fällen ist daher Erfüllung und nicht Unmöglichkeit anzunehmen35, und im Übrigen die angemessene Risikoverteilung mittels ergänzender Vertragsauslegung oder der Geschäftsgrundlagenlehre36 vorzunehmen. Anderes gälte konsequenterweise nur, wenn sich der Unterlassungspflichtige zu einem Verstoß entschlossen hätte und sodann ins Koma gefallen oder hieran durch äußere Zwänge gehindert worden wäre, doch werden sich solche hypothetischen Fälle wohl spätestens auf der Beweisebene erledigen.
IV. Nichtanwendbarkeit des § 266 BGB auf vereinbarte Teilleistungen Soeben klang bereits an, dass Dauerschulden notwendig in zeitabschnittsweisen Teilleistungen erfüllt werden. Andererseits ist die Erbringung von Teilleistungen nach § 266 BGB unzulässig, es sei denn, der Gläubiger stimmt zu. Für eine Auflösung dieses Widerspruchs scheinen zwei Lösungsalternativen in Betracht zu kommen: entweder liegt in der Vereinbarung einer Dauerschuld notwendig zugleich eine jedenfalls konkludente Zustimmung des Gläubigers zu Teilleistungen oder § 266 BGB findet auf Teilleistungen in der Zeit keine Anwendung37. Näheres Zusehen weist freilich einen dritten Weg: Eine Teilleistung im Sinne des § 266 BGB ist eine Leistung, die hinter der geschuldeten objektiv zurückbleibt38. Wird der im jeweiligen Zeitpunkt geschuldete Leistungserfolg vollumfänglich herbeigeführt, bleibt aber die erbrachte Leistung nicht hinter der in diesem Zeitpunkt geschuldeten zurück, und damit liegt auch gar keine Teilleistung im Sinne des § 266 BGB vor. Ins Allgemeine gewendet liegt eine Teilleistung im Sinne von § 266 BGB nicht schon deswegen vor, weil die Parteien die Erbringung der Gesamtleistung in Teilleistungen vertraglich vereinbart haben, sondern nur dann, wenn die konkret bewirkte Leistung hinter der-
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35 Ebenso oder jedenfalls ganz ähnlich Köhler, AcP 190 (1990), 496, 520 f.; Gernhuber (Fn. 27), § 5 VI 2 c (S. 129 f.); a. A. etwa Ernst in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 275 BGB Rz. 49 Fn. 100 (Unmöglichkeit der Unterlassung bei langjähriger Haftstrafe). 36 Köhler, AcP 190 (1990), 496, 521. 37 In letzterem Sinne etwa Wiese (Fn. 8), S. 847; Oetker (Fn. 9), S. 326; ähnlich ferner Gernhuber (Fn. 27), § 5 VI 1 a (S. 126): § 266 BGB ist ausgeschlossen, weil sinnwidrig. 38 Heinrichs in Palandt (Fn. 16), § 266 BGB Rz. 2.
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jenigen zurückbleibt, die nach der vertraglichen Vereinbarung jeweils geschuldet ist. Präzisiert man § 266 BGB derart, betrifft die Norm bei Dauerschuldverhältnissen weder die Vereinbarung von Teilleistungen in der Zeit noch die Vereinbarung einer wiederkehrenden Gegenleistung39, etwa den monatlich geschuldeten Mietzins. Dagegen gilt § 266 BGB, wenn der Mieter lediglich eine Teilzahlung auf die vereinbarte Monatsmiete leistet. Deren Annahme könnte der Vermieter verweigern, es sei denn, dass der Mietvertrag vorsieht, dass er auch eine Minderleistung des Mieters als Erfüllung entgegenzunehmen hat.
V. Zeitabschnittsweise Nichterfüllung der Dauerverpflichtung Als typische Leistungsstörung bei Dauerschuldverhältnissen kann die zeitabschnittsweise Nichtleistung auf die Dauerverpflichtung gelten. Hiermit verbindet sich beim näheren Zusehen eine Reihe besonderer Probleme. 1. Teilunmöglichkeit der Dauerverpflichtung Die Behandlung der gestörten Dauerverpflichtung als solcher hängt entscheidend an einer Frage: Verzug oder (Teil-)Unmöglichkeit. Lässt sich die für einen bestimmten Zeitabschnitt geschuldete, aber nicht erbrachte Leistung noch nachholen und liegt also lediglich Verzug vor, oder ist die Nachholung unmöglich mit der Folge, dass der Schuldner der Dauerverpflichtung jedenfalls insoweit nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht freigeworden ist? Dauerverpflichtungen unterscheiden sich in diesem Punkt nicht prinzipiell von punktuellen Leistungspflichten. Selbst im Falle von Unterlassungspflichten lässt sich die Erfüllung rein faktisch gesehen dadurch nachholen, dass der Schuldner den andauernden Leistungserfolg für einen späteren Zeitabschnitt bewirkt40. Auf einem anderen Blatt steht allerdings, ob nach dem Parteiwillen ein absolutes Fixgeschäft vorliegen und eine Nachholmöglichkeit ausgeschlossen sein soll. Vereinzelt sieht man Dauerverpflichtungen ausnahmslos als absolute Fixschulden an41. Häufiger sind jedoch Stimmen, die lediglich eine „in der Regel“ nicht nachholbare Leistung annehmen42 oder gar nach Vertragstypus oder/und Gegenstand der Dauerverpflichtung vielfältig differenzieren43. Statt Einzelheiten dieses vielschichtigen Gesamtbildes nachzuzeichnen, muss
__________ 39 Heinrichs in Palandt (Fn. 16), § 266 BGB Rz. 4; Krüger in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 266 BGB Rz. 6; a. A. – vertragliche Abbedingung des § 266 BGB – Bittner in Staudinger, Neub. 2004, § 266 BGB Rz. 18. 40 A. A. noch Lehmann, AcP 96 (1905), 60, 73. 41 Wiese (Fn. 8), S. 840 Fn. 15; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 16 II 7 (S. 395). 42 Heinrichs in Palandt (Fn. 16), § 286 BGB Rz. 5; mit der Ausnahme für Dienstleistungen ferner etwa Löwisch in Staudinger, Neub. 2004, Vorbem zu §§ 286–292 BGB Rz. 8 ff.; Oetker (Fn. 9), S. 331 ff. 43 Exemplarisch Westermann in Erman (Fn. 13), § 275 BGB Rz. 11 (für das Arbeitsverhältnis).
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und kann es vorliegend freilich bei der Skizzierung einiger Grundzüge bewenden. a) Verzug oder (Teil-)Unmöglichkeit Ausgangspunkt muss sein, ob die Parteien den Anfangszeitpunkt der Dauerleistung ausdrücklich oder jedenfalls implizit, etwa durch den Inhalt der Dauerleistung, fixiert haben. Ist dies nicht der Fall, wird regelmäßig lediglich Verzug vorliegen44. Bei Dauerschulden mit fixiertem Anfangszeitpunkt liegt umgekehrt stets Unmöglichkeit vor, wenn das Dauerschuldverhältnis auf unbestimmte Zeit besteht und der andauernde Leistungserfolg ununterbrochen für die gesamte Vertragslaufzeit herzustellen ist, etwa im Falle der Miete oder eines vertraglichen Wettbewerbsverbots. In diesen Fällen ließe sich die Leistung nämlich erst nach Beendigung des unbefristeten Dauerschuldverhältnisses nachholen, also sozusagen nach einem unendlich langen Zeitraum. „Unendlich plus 1“ ist nun zwar mathematisch ohne weiteres handhabbar, nicht aber rechtlich. Anders gewendet lässt sich die Leistung bei unbefristeten Dauerschuldverhältnissen vom Typus der Miete nicht nachholen; zeitweilige Nichtleistung führt damit per se zur Unmöglichkeit45, 46. Sind Anfangs- und Endzeitpunkt eines dann notwendig befristeten Dauerschuldverhältnisses bestimmt, kann ein sogenanntes absolutes Fixgeschäft mit der Folge der Unmöglichkeit oder aber lediglich bloßer Verzug vorliegen. Entscheidend ist der Parteiwille im Einzelfall, bei dessen Ermittlung allerdings typisierende tatsächliche Vermutungen zu Hilfe kommen können, etwa dass die Vereinbarung eines Unterlassens – Stichwort: Wettbewerbsverbot – in der Regel ein absolutes Fixgeschäft darstellt47. Dagegen dürfte etwa für die Raummiete eine solche Vermutung nicht anzuerkennen sein; über deren Bewertung als regelmäßiges absolutes Fixgeschäft gehen die Auffassungen diametral auseinander48.
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44 Nastelski, JuS 1962, 289, 294. 45 Oetker (Fn. 9), S. 355. 46 Im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit bei Gebrauchsüberlassungsverträgen, wenn also etwa bei einem unbefristeten Mietverhältnis die Mietsache noch gar nicht überlassen wurde, liegt gleichwohl nur Unmöglichkeit der Belassung vor, nicht aber zugleich auch Verzug mit der Überlassung der Mietsache. Überlassung und Belassung sind Elemente der vertragstypischen Hauptleistungspflicht des Vermieters, und deren Verletzung in einem bestimmten Zeitpunkt kann nur alternativ entweder verzugs- oder unmöglichkeitsbegründend wirken. § 536 Abs. 3 BGB zeigt, dass der Unmöglichkeits- gegenüber dem Verzugsaspekt dominiert. Denn danach wird der Mieter von der Mietzahlungspflicht frei, wenn der Vermieter ihm die Mietsache nicht überlassen kann, weil ein Dritter hieran ein Recht geltend macht. 47 Köhler, AcP 190 (1990), 496, 522; Löwisch in Staudinger (Fn. 42), Vorbem zu §§ 286– 292 BGB Rz. 11. 48 Für absolutes Fixgeschäft als absoluten Regelfall etwa Eisenschmid in SchmidtFutterer, Mietrecht, 9. Aufl. 2007, § 535 BGB Rz. 8, § 536 BGB Rz. 532; BGH, NJWRR 1991, 267; a. A. Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 275 BGB Rz. 48; BGH, NJW 1988, 251, 252.
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b) Teilweise oder vollständige Unmöglichkeit Im Falle der Teilunmöglichkeit in der Zeit, wenn also während der Laufzeit eines Dauerschuldverhältnisses der Leistungserfolg lediglich für einen zeitlich begrenzten Ausschnitt unmöglich ist, geht es sodann um die Auswirkung auf die Dauerverpflichtung im Übrigen. Dies ist weder in § 275 BGB noch anderswo im BGB geregelt. Bislang behilft man sich mit der Formel, dass eine Teilunmöglichkeit der vollen Unmöglichkeit gleichstehe, wenn der Gläubiger nach Sinn und Zweck des Vertrages nur an der vollen Leistung ein Interesse habe, die möglich gebliebene Teilerfüllung für ihn also sinnlos sei49. Neuerdings mehren sich für den Fall einer objektiv teilbaren Leistung freilich die Gegenstimmen, die es bei der Teilunmöglichkeit bewenden lassen und den Gläubiger darauf verweisen, dass er bei fehlendem Interesse an den bereits erbrachten Leistungsteilen – was freilich objektiv zu beurteilen ist – vom Vertrag nach § 326 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB ohne Setzung einer Nachfrist zurücktreten kann50. Bei der Teilunmöglichkeit in der Zeit tritt die Fragwürdigkeit eines „Gleichstellungsansatzes“ besonders klar zu Tage. Wird etwa die Belassung der Mietsache erst im verflixten siebten Jahr unmöglich, würde man mit der Annahme einer Vollunmöglichkeit nachträglich mit Rückwirkung in Abrede stellen, dass der Vermieter in den ersten sechs Jahren die vertraglich geschuldete Leistung vereinbarungsgemäß erbracht hat. Um diese rechtsdogmatisch-konstruktiv kaum zu erklärende und auch in wertender Hinsicht ganz und gar unangebrachte Konsequenz zu vermeiden, muss es (auch) für die Teilunmöglichkeit in der Zeit dabei bewenden, dass die Dauerverpflichtung im Übrigen fortbesteht und nur für den Fall untergeht, dass der Gläubiger vom Vertrag wegen Interessefortfall in toto zurücktritt. 2. Auswirkungen einer Teilunmöglichkeit für die Leistungspflichten des Vertragspartners a) Abschnittsweiser Wegfall der Gegenleistung Ist eine Dauerverpflichtung dauerhaft oder für einen Zeitabschnitt unmöglich, gilt für die Gegenleistung im Grundsatz der § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB; die im Synallagma stehende (Gegen-)Leistungspflicht des Gläubigers entfällt also vollständig bzw., je nachdem, für den Zeitraum der Teilunmöglichkeit. Ausnahmen bestehen nur, soweit das Besondere Schuldrecht verdrängende Sonderregeln bereithält. So folgt etwa der vollständige oder zeitabschnittsweise Wegfall der Mietzahlungspflicht aus § 536 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB und nicht aus § 326 Abs. 1 BGB, wenn die Belassung der überlassenen Mietsache während
__________ 49 Für die Teilunmöglichkeit in der Zeit im besonderen Otto in Staudinger (Fn. 10), § 326 BGB Rz. B 26; der Sache nach ferner Grüneberg in Palandt (Fn. 16), § 326 BGB Rz. 5. 50 Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 275 BGB Rz. 124, 127; Löwisch in Staudinger (Fn. 42), § 275 BGB Rz. 49; Otto in Staudinger (Fn. 10), § 326 BGB Rz. B 27.
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eines Teils der Vertragslaufzeit aufgrund eines Sach- oder Rechtsmangels unmöglich wird51. Unmöglichkeit der Raumüberlassung infolge einer Hausbzw. Wohnungsbesetzung bildet im Gegensatz zur Unmöglichkeit, die auf der Geltendmachung eines entgegenstehenden Rechts eines Dritten beruht (z. B. Doppelvermietungsfälle), allerdings keinen Sachmangel i. S. des Abs. 1 oder Rechtsmangel i. S. des Abs. 352, so dass die Mietzahlungspflicht in einem solchen Fall nach § 326 Abs. 1 BGB statt nach § 536 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 BGB wegfällt. Diese Funktionsgleichheit von § 326 Abs. 1 BGB und von § 536 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB gebietet, das sei am Rande angemerkt, auch eine möglichst weitgehende Parallelisierung der jeweiligen Rechtsfolgen. Dieses Postulat betrifft erstens den Maßstab, anhand dessen der Zeitraum des Wegfalls der Mieterpflicht zu bemessen ist, und zweitens den Kreis der jeweils für einen Zeitraum oder gar vollständig entfallenden Leistungspflichten des Mieters. Im Einzelnen: – Was zunächst den Zeitraum betrifft, für den die Leistungspflicht des Mieters wegfällt, erklärt § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB den Zeitraum für maßgebend, in dem die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache aufgehoben ist. Zugrunde liegt die gesetzgeberische Anschauung, dass in der Praxis zumeist auf einen bestimmten Zeitabschnitt bezogene wiederkehrende Teilleistungen des Mieters vereinbart werden. § 326 Abs. 1 Satz 1 2. HS BGB verweist demgegenüber für Teilleistungen auf die entsprechende Anwendung der kaufrechtlichen Minderungsvorschrift des § 441 Abs. 3 BGB. Liegt ein unbefristetes Dauerschuldverhältnis vor und ist dieses auch noch nicht gekündigt, ist diese Minderungsregel freilich inoperabel, weil die von den beiden Parteien jeweils geschuldete Gesamtleistung noch gar nicht feststeht. Unter teleologischer Reduktion des Verweises in § 326 Abs. 1 Satz 1 2. HS BGB ist daher stattdessen auf den Rechtsgedanken des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zu rekurrieren. – Was sodann den Kreis der jeweils herabsetzungsfähigen Leistungspflichten des Mieters angeht, wird ein Gleichlauf weitestgehend schon dadurch verwirklicht, dass die sog. Bruttomiete, d. h. Grundmiete (Mietzins) und Nebenkosten, die synallagmatische Hauptleistungspflicht des Mieters bildet53 und zugleich als Miete i. S. des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen ist54. Soweit neben der Bruttomiete freilich noch weitere Vergütungen etwa für Werbemöglichkeiten des Mieters oder dafür vereinbart werden, dass der Vermieter eine Vermietung sonstiger Räume oder Gegenstände an Dritte unterlässt,
__________
51 Nach erfolgter Überlassung der Mietsache verdrängt § 536 Abs. 1 BGB in seinem tatbestandlichen Anwendungsbereich als lex specialis den § 326 Abs. 1 BGB; s. nur Weidenkaff in Palandt (Fn. 16), § 536 BGB Rz. 10; Emmerich in Staudinger (Fn. 16), Vorbem zu § 536 BGB Rz. 5; Eisenschmid in Schmidt-Futterer (Fn. 48), § 536 BGB Rz. 520. 52 S. nur Emmerich in Staudinger (Fn. 16), § 536 BGB Rz. 43. 53 BGH, BGHZ 163, 1, 6 f.; BGH, NJW 2005, 2773, 2774; zurückhaltender – in der Regel auch die vertraglich übernommenen Nebenkosten – noch Weidenkaff in Palandt (Fn. 16), § 535 BGB Rz. 72 f. 54 S. nur BGH, BGHZ 163, 1, 7; Emmerich in Staudinger (Fn. 16), § 536 BGB Rz. 54.
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liegt darin nach dem Parteiwillen eine nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Mieterleistung. Eine solche bleibt im Rahmen des § 326 Abs. 1 BGB nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut von der Unmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung unberührt55 und konsequenterweise ist dann auch im Rahmen des § 536 BGB vom Fortbestand der diesbezüglichen Zahlungspflicht auszugehen56. b) Teilrücktritt in der Zeit Durch den Rücktritt vom Vertrag nach § 326 Abs. 5 BGB könnte etwa der Mieter allerdings auch einen Wegfall seiner nichtsynallagmatischen Leistungspflichten erreichen. Diese Möglichkeit ist dabei ungeachtet der Spezialität des § 536 Abs. 1 BGB im Verhältnis zu § 326 Abs. 1 BGB57 auch für die Fälle eines Sach- oder Rechtsmangels i. S. des § 536 BGB einzuräumen, eben weil diese Vorschrift lediglich die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Leistungspflicht des Mieters entfallen lässt. Ein Vollrücktritt vom ganzen Vertrag stünde nach § 326 Abs. 5 2. HS BGB i. V. m. § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB nur offen, wenn die zurücktretende Vertragspartei auch an der bereits erbrachten Dauerleistung nunmehr kein Interesse mehr hat; diese Voraussetzung eines gänzlichen Interessenwegfalls wird etwa hinsichtlich der erfolgten Gebrauchsgewährung der Mietsache jedoch allenfalls in Ausnahmefällen vorliegen. § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB impliziert jedoch auch die Möglichkeit eines bloßen Teilrücktritts, und weil § 326 Abs. 5 2. HS BGB für die Teilunmöglichkeit in der Zeit ebenfalls hierauf verweist, steht hiermit die Möglichkeit eines bloßen Teilrücktritts für den Unmöglichkeitszeitraum im Raum. aa) Möglichkeit eines Teilrücktritts Allerdings scheint es sich beim Teilrücktritt in der Zeit wegen Teilunmöglichkeit, genauer: wegen der auf einen bestimmten Zeitabschnitt beschränkten Unmöglichkeit, auf den ersten Blick um ein Ding der dogmatischen Unmöglichkeit zu handeln. Denn unabhängig davon, ob die zeitweise Unmöglichkeit am Anfang des Mietverhältnisses steht oder in zwei störungsfreie Mietphasen eingebettet ist, hätte ein bloßer Teilrücktritt zur Folge, dass sich das Mietverhältnis danach als ein ungestörtes Schuldverhältnis fortsetzt – obwohl doch ein Rücktritt nach einer geläufigen Formulierung das Schuldverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt58.
__________ 55 Dazu, dass § 326 Abs. 1 BGB lediglich die im Synallagma stehende Gegenleistungspflicht betrifft, s. nur Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 326 BGB Rz. 7; Heinrichs in Palandt (Fn. 16), § 326 BGB Rz. 2. 56 I. E. ebenso Eisenschmid in Schmidt-Futterer (Fn. 48), § 536 BGB Rz. 343, 349. 57 Oben in Fn. 51. 58 Etwa BGH, NJW 2007, 674; Grüneberg in Palandt (Fn. 16), Einf v § 346 BGB Rz. 4.
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Jedoch ist diese Wirkungsbeschreibung ihrerseits nicht ganz präzise. Denn die primäre Wirkung des Rücktritts geht dahin, die bislang bestehenden Leistungspflichten der Parteien – nicht aber das Schuldverhältnis als solches – zu beseitigen59; nur im Falle eines bereits erfolgten Leistungsaustauschs wird das fortbestehende Schuldverhältnis um neue Rückgewährpflichten angereichert. Diese Präzisierung der Rücktrittswirkungen überwindet zugleich alle rechtskonstruktiven Bedenken dagegen, für Dauerschuldverhältnisse die Möglichkeit eines Teilrücktritts in der Zeit anzuerkennen. Tritt der Gläubiger der Dauerschuld für einen bestimmten Zeitraum wegen Unmöglichkeit zurück, bleibt nämlich das vertragliche Schuldverhältnis gleichwohl ununterbrochen bestehen; allein alle Leistungspflichten der Parteien entfallen für den Zeitraum, auf den sich der Rücktritt bezieht. Im Übrigen wird das Recht zum Teilrücktritt in der Zeit, also wegen einer abschnittsweisen Unmöglichkeit, auch bei einem invollzuggesetzten Dauerschuldverhältnis nicht durch das Institut der Kündigung aus wichtigem Grund verdrängt. Letzteres ließe nämlich sogar, wie noch näher darzulegen sein wird60, ein nach Maßgabe der Rücktrittsvorschriften gegebenenfalls bestehendes Recht zum Vollrücktritt unberührt. Erst recht begegnet ein bloßer Teilrücktritt in der Zeit keinen Bedenken, und zwar umso weniger, als der lediglich einen Zeitabschnitt betreffende Teilrücktritt das Schuldverhältnis im Gegensatz zur Kündigung nicht beendet. bb) Rechtsfolgen eines Teilrücktritts Als Konsequenz eines Teilrücktritts in der Zeit wird der Gläubiger der Dauerschuld im Grundsatz für diesen Rücktrittszeitraum auch von seinen nichtsynallagmatischen Leistungspflichten frei, etwa der Mieter von der Pflicht zur Zahlung der Vergütung für ihm eingeräumte Werbemöglichkeiten oder dafür, dass der Vermieter die Vermietung weitere Mietobjekte an bestimmte Dritte unterlässt. Eine Ausnahme gilt lediglich für Sowieso-Kosten, also die Verpflichtung zu Leistungen, die allein aufgrund des Abschlusses des Dauerschuldverhältnisses entfallen. Beispiele hierfür wären etwa Vertragsabschlusskosten oder, im Falle der Miete, eine Einmalzahlung des Mieters an den Vermieter dafür, dass dieser das Mietobjekt nach den Bedürfnissen des Mieters gestaltet. Diese Leistungen, die nach den Vorstellungen der Parteien dafür geschuldet sind, dass das Dauerschuldverhältnis überhaupt begründet wird und die also nicht als ein zeitanteiliges Entgelt fungieren, bleiben von einem bloßen Teilrücktritt in der Zeit auf jeden Fall unberührt. Der Gläubiger der Dauerschuld würde von solchen Leistungspflichten auch dann nicht frei, wenn diese just im Rücktrittszeitraum fällig würden. Will er sich auch dieser Verpflichtung entledigen, muss er vom Dauerschuldverhältnis vollumfänglich zurücktreten.
__________ 59 Grüneberg in Palandt (Fn. 16), § 346 BGB Rz. 4. 60 S. unter VII.1.
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VI. Die Anwendbarkeit des § 320 BGB Die Anwendbarkeit des § 320 BGB auf Dauerverpflichtungen erscheint allenfalls in den seltenen Fällen einigermaßen unproblematisch, dass wie etwa beim Wohnungstausch zwei Dauerschulden synallagmatisch miteinander verknüpft sind. Stehen sich dagegen eine Dauerverpflichtung und eine wiederkehrende punktuelle Leistungspflicht gegenüber, ist eine der beiden Parteien sachnotwendig vorleistungspflichtig61, so dass die Anwendung des § 320 BGB zugunsten der jeweils vorleistungspflichtigen Partei auf den ersten Blick ausscheiden muss. Bei näherem Zusehen liegen die Dinge freilich schwieriger, wobei zwei Konstellationen zu unterscheiden sind: das Ausbleiben der Leistung auf die Dauerschuld (unter 2.) sowie auf die wiederkehrende punktuelle Leistungspflicht (unter 3.). Vorab bedarf es freilich noch zweier präzisierender Klarstellungen. 1. Präzisierungen (i) Als Vorfrage zur (Nicht-)Anwendbarkeit des § 320 BGB bedarf es zunächst der Klärung, ob die gesetzliche oder vertragliche Fixierung eines Leistungszeitpunkts lediglich eine Fälligkeitsregelung bildet oder aber eine echte Vorleistungspflicht i. S. des § 320 Abs. 1 Satz 1 2. HS BGB begründen soll. Für Dauerschuldverhältnisse, und in Sonderheit für die wiederkehrend geschuldete punktuelle Gegenleistung, ist dies von besonderer Bedeutung und wird vor allem auch im Mietrecht für die Mietzinszahlungspflicht des Mieters sehr kontrovers diskutiert. Unter Geltung des § 551 BGB a. F. galt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die in vielen Miet- und Pachtverträgen enthaltene Festlegung des Zahlungszeitpunkts auf den Monatsbeginn lediglich als eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Fälligkeitsfestlegung zu verstehen sei, nicht aber den Mieter im Verhältnis zu seinem Anspruch auf Belassung der Mietsache im vertragsgemäßen Zustand vorleistungspflichtig mache62. Vor diesem Hintergrund ist für die nunmehr in § 556b Abs. 1 BGB enthaltene Anpassung an die ganz überwiegende Vertragspraxis stark umstritten, ob hierin eine bloße Vorverlagung des Fälligkeitszeitpunkts oder aber, wofür wohl überwiegende Gründe sprechen, die Anordnung einer echten Vorleistungspflicht liegt63.
__________ 61 Statt aller Oetker (Fn. 9), S. 397. 62 BGH, BGHZ 84, 42, 46. 63 Für Regelung einer Vorleistungspflicht etwa Westermann in Erman (Fn. 13), § 320 BGB Rz. 21; Weidenkaff in Palandt (Fn. 16), § 556b BGB Rz. 1, 4; Emmerich in Staudinger (Fn. 16), § 536 BGB Rz. 59; Emmerich in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 320 BGB Rz. 23; Otto in Staudinger (Fn. 10), § 320 BGB Rz. 3; a. A. – nur Bestimmung des geschuldeten Zahlungszeitpunkts – etwa Langenberg in SchmidtFutterer (Fn. 48), § 556b BGB Rz. 12 (allerdings zu kurz greifend, weil nur auf die Überlassungs- statt auch auf die Belassungspflicht [zu diese oben in Fn. 16] rekurrierend); Weitemeyer in Staudinger, Neub. 2006, § 556b BGB Rz. 15; Artz in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 556b BGB Rz. 7.
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(ii) Bei Gebrauchsüberlassungsverträgen kommt als zusätzliche – in der Diskussion um den Regelungsgehalt des § 556b Abs. 1 BGB vielfach nur unzureichend abgeschichtete – Frage hinzu, ob eine etwaige gesetzliche oder vereinbarte Vorleistungspflicht des Schuldners der wiederkehrenden punktuellen Leistung, etwa des Mieters, auch gegenüber der synallagmatischen Gebrauchsüberlassungspflicht gelten soll. Für § 556b Abs. 1 (i. V. m. § 579 Abs. 2) BGB wird man eine solche Regelungswirkung angesichts des Normzwecks auch dann zu verneinen haben, wenn man in dieser Regelung zutreffend die gesetzliche Anordnung einer Vorleistungspflicht des Mieters sieht, so dass dieser zur Zahlung der ersten Mietrate nur Zug-um-Zug gegen Überlassung der Mietsache verpflichtet ist64. Wird der Zeitpunkt der geschuldeten punktuellen Leistung vertraglich vorverlagert, handelt es sich vorbehaltlich einer gegenteiligen Vereinbarung lediglich um eine Fälligkeitsbestimmung. 2. Ausbleiben der Dauerleistung Bleibt die Dauerleistung aus und ist deren Schuldner zumindest für einen gewissen Zeitraum vorleistungspflichtig, kann die geschuldete punktuelle Gegenleistung einbehalten werden65. Voraussetzung ist freilich, dass die Dauerschuld keinen absoluten Fixschuldcharakter aufweist66, weil diese andernfalls für den Zeitraum der ausbleibenden Dauerleistung (teil-)unmöglich würde und die Gegenleistungspflicht schon kraft Gesetzes nach Maßgabe des § 326 Abs. 1 BGB bzw. der Spezialvorschriften des Besonderen Schuldrechts (z. B. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB) entfiele. Ist umgekehrt der Schuldner der (wiederkehrenden) punktuellen Leistung vorleistungspflichtig, etwa der Mieter von (Wohn-)Räumen (§ 556b Abs. 1 i. V. m. § 579 Abs. 2 BGB)67, kann dieser die von ihm geschuldete punktuelle Leistung jedenfalls für nachfolgende Zeitabschnitte einbehalten68. Voraussetzung ist auch insoweit freilich, dass die ausgebliebene Dauerleistung noch nachholbar ist und nicht etwa teilunmöglich wurde69, 70.
__________ 64 Gsell in Soergel, 13. Aufl. 2003, § 320 BGB Rz. 24; Eisenschmid in Schmidt-Futterer (Fn. 48), § 535 BGB Rz. 577; Emmerich in MünchKomm.BGB (Fn. 63), § 320 BGB Rz. 9 (mit der zweifelhaften Begründung, dass die Vorleistungspflicht des Mieters mit dem (doch verschuldensabhängigen!) Verzug des Vermieters mit der Gebrauchsüberlassung entfalle); Weitemeyer in Staudinger (Fn. 63), § 556b BGB Rz. 15. 65 S. nur Gernhuber (Fn. 41), § 16 II 7 (S. 395); Gsell in Soergel (Fn. 64), § 320 BGB Rz. 24 (Mietvertrag), 30 (Dienst- und Arbeitsvertrag). 66 Gernhuber (Fn. 41), § 16 II 7 (S. 395). 67 Soeben unter V.1. bei Fn. 63. 68 Ebenso Gernhuber (Fn. 41), § 16 II 7 (S. 395). Speziell für die Miete etwa Weidenkaff in Palandt (Fn. 16), § 556b BGB Rz. 4; Emmerich in MünchKomm.BGB (Fn. 63), § 320 BGB Rz. 9 f.; Emmerich in Staudinger (Fn. 16), § 536 BGB Rz. 59; Gsell in Soergel (Fn. 64), § 320 BGB Rz. 24; für Dienst- und Arbeitsverträge etwa Gsell ebd., § 320 BGB Rz. 3; Otto in Staudinger (Fn. 10), § 320 BGB Rz. 30, 37. 69 Gernhuber (Fn. 41), § 16 II 7 (S. 395). 70 Allerdings könnte der Vorleistungspflichtige, weil er bei Teilunmöglichkeit nach § 326 Abs. 1 BGB bzw. nach den Sondervorschriften des Besonderen Teils (z. B. § 536 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB) teilweise frei wird, die für diesen Zeitraum erbrachten
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Der Grund für die Anwendbarkeit des § 320 BGB bei Nachholbarkeit der Dauerleistung liegt darin, dass einerseits die gesetzlich angeordnete oder vereinbarte Vorleistungspflicht für die punktuelle Leistung lediglich eine Vorleistung für den betreffenden Zahlungsabschnitt fordert, nicht die Vorleistung gegenüber der Gesamtleistung des Dauerleistungspflichtigen, und dass andererseits die Gesamtheit der beiderseitigen Leistungen im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, nicht lediglich die jeweils auf einen bestimmten Zeitabschnitt bezogenen Teilleistungen71. Anders gewendet wird die Pflicht zur zeitabschnittsweisen Vorleistung einer punktuellen Leistung überlagert durch das Recht aus § 320 BGB, eine wiederkehrend geschuldete punktuelle Leistung wegen vertragswidriger Nichterbringung der (Gesamt-)Dauerleistung zu verweigern. In Fortführung dieses Ansatzes wird man sogar anzunehmen haben, dass der vorleistungspflichtige Schuldner einer punktuellen Leistung die Einrede aus § 320 BGB im Prinzip72 selbst für den Zeitabschnitt erheben kann, in dem die Dauerleistung ausbleibt73. In der Sache entspricht dies einer teleologischen Reduktion des § 320 Abs. 1 Satz 1 2. HS BGB für Vorleistungspflichten im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen. 3. Ausbleiben der wiederkehrend geschuldeten punktuellen Leistung Im Falle des Ausbleibens der wiederkehrend geschuldeten punktuellen Leistung ist die Anwendbarkeit des § 320 BGB noch ungleich problematischer. Bedenken grundsätzlicher Art bestehen zum Teil ganz unabhängig vom Charakter der Dauerschuld. Der Entzug der Mietsache bei ausbleibender Mietzahlung etwa würde verbotene Eigenmacht sowie eine Umgehung der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften darstellen. Die Anwendbarkeit des § 320 BGB ist daher bei nicht termingerechter Erbringung der fälligen Miete nur hinsichtlich der Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht74 denkbar75. So hat etwa das KG Berlin den Vermieter wegen § 320 BGB für berechtigt gehalten, wegen Nichtleistung der Miete die Wasserversorgung einzustellen76. Jenseits der vorgenannten Einschränkungen begegnet die Anwendung des § 320 BGB bei Nichterbringung der wiederkehrend geschuldeten punktuellen
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71 72 73 74 75 76
Vorleistungen nach § 326 Abs. 4 BGB bzw. § 812 BGB zurückverlangen und diesen Anspruch nach § 273 Abs. 1 BGB dem Entgeltanspruch des Dauerleistungspflichtigen für nachfolgende Zeitabschnitte entgegenhalten. So schon Bydlinski in FS Artur Steinwenter, 1958, S. 148; auch Gernhuber (Fn. 41), § 16 II 7 (S. 395). Praktisch gesehen wird der vorleistungspflichtige Schuldner, etwa der Mieter, die Einrede des § 320 BGB freilich nur dann erheben können, wenn die Dauerleistung genau zu Beginn des betreffenden Zahlungszeitraums erstmals ausbleibt. Ebenso Gernhuber (Fn. 41), § 14 III 3 (S. 340 f.). Dazu, dass die Erhaltungspflicht ein Element der synallagmatischen Belassungspflicht ist, s. oben in Fn. 16. Gsell in Soergel (Fn. 64), § 320 BGB Rz. 26. KG Berlin, NJW-RR 2004, 1665, 1667.
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Leistung keinen Bedenken, wenn sich die zurückbehaltene Dauerleistung nachholen lässt. Dabei kann die Einrede wegen Ausbleibens der punktuellen Leistung aus den bereits genannten Gründen – im Synallagma steht die Gesamtheit der beiderseitigen Leistungen77 – auch für nicht korrespondierende anderweitige Zeiträume erhoben und die Dauerleistung zurückbehalten werden78. Führt die Zurückbehaltung der Dauerleistung wegen fehlender Nachholbarkeit dagegen zur (Teil-)Unmöglichkeit, liegen die Dinge schwieriger. Rechtsprechung und Schrifttum messen diesem Aspekt ganz gegensätzliche Bedeutung zu. Zum Teil wird die Einrede des § 320 BGB mit dem knappen Hinweis zugelassen, dass die dadurch entstehende Unmöglichkeit unschädlich sei79, oder darauf verwiesen, dass sie auch dem Dauerschuldner zustehe und das Schuldverhältnis in einer beiden Parteien gerecht werdenden Balance zu halten sei80, teilweise wird § 320 BGB aber auch gerade mit dem Argument der ansonsten eintretenden Unmöglichkeit verworfen81. Nur Letzteres überzeugt. Da es Sinn und Zweck des § 320 BGB ist, Druck auf den Vertragspartner auszuüben, um ihn zur Erfüllung zu bewegen82, darf die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts grundsätzlich kein Unmöglichwerden der Gegenleistung bewirken. Denn in diesem Fall wird gerade nicht durch Zurückhalten der Leistung Druck ausgeübt, vielmehr wird der Vertragspartner vor vollendete Tatsachen – nämlich ein endgültiges Ausbleiben der Leistung – gestellt.
VII. Das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 BGB 1. § 314 BGB als eigenständiges Institut des Leistungsstörungsrechts für Dauerschuldverhältnisse Für § 314 BGB n. F. als Kodifikation eines für Dauerschuldverhältnisse seit jeher allgemein anerkannten Rechtsgrundsatzes war nach der Gesetzesbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung der Gedanke leitend, dass es wie bei anderen vergleichbar wichtigen aber nicht geregelten Rechtsgrundsätzen und Rechtsinstituten „als unbefriedigend angesehen werden“ müsste, wenn für Dauerschuldverhältnisse das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund anlässlich der Schuldrechtsmodernisierung nicht in das Gesetz aufgenommen wür-
__________ 77 Soeben VI.2. bei Fn. 71. 78 Für Dienst- und Arbeitsverträge etwa Otto in Staudinger (Fn. 10), § 320 BGB Rz. 37; Gsell in Soergel (Fn. 64), § 320 BGB Rz. 32. 79 KG Berlin, NJW-RR 2004, 1665, 1666; ebenso etwa Gsell in Soergel (Fn. 64), § 320 BGB Rz. 32 (für Dienst- und Arbeitsverträge); Emmerich in MünchKomm.BGB (Fn. 63), § 320 BGB Rz. 13. 80 Gernhuber (Fn. 41), § 14 III 3 (S. 341), § 16 II 7 (S. 395 f.). 81 Für ein Wettbewerbsverbot etwa BAG, NJW 1983, 2896, 2897; ebenso Köhler, AcP 190 (1990), 496, 524; Grüneberg in Palandt (Fn. 16), § 320 BGB Rz. 4. 82 BGH, BGHZ 127, 245, 253; Westermann in Erman (Fn. 13), § 320 BGB Rz. 1.
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de83. Die Gesetz gewordene Formulierung erlaubt es freilich, das Institut der Kündigung aus wichtigem Grund im Grundsätzlichen neu zu deuten, und dem sollte, wie nachfolgend darzulegen, auch nähergetreten werden. Bis zur Schuldrechtsmodernisierung standen beim Blick auf das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund vielfach dessen besondere Rechtsfolgen im Vordergrund, nämlich die Beendigung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft. Für Dauerschuldverhältnisse gelte, wenn auch nach der höchstrichterlichen Judikatur nur für den Regelfall84, „daß an die Stelle des Rücktritts eine Kündigung tritt und daß der Vertrag damit bei Leistungsstörungen nur für die Zukunft aufgelöst wird, in seinen abgewickelten Teilen aber erhalten bleibt“85. Diese Auswechslung – methodisch wohl in Form einer teleologischen Reduktion des Rücktrittsrechts, gekoppelt mit einer Schließung der hierdurch entstehenden Lücke durch eine Analogie zu den speziellen Kündigungsrechten aus wichtigem Grund86 – wurde dabei auf invollzuggesetzte Dauerschuldverhältnisse beschränkt, eben weil die Modifikation des Rechtsfolgenregimes nur für die Fälle eines bereits erfolgten Leistungsaustauschs zu rechtfertigen sei. Treffend beschrieb Wiedemann diese Fokussierung auf die Rechtsfolgenseite dahingehend, dass bei Dauerschuldverhältnissen im Gegensatz zu Austauschverträgen nicht die Herkunft, sondern die Wirkung der Vertragsstörung ausschlaggebend sei87. Allerdings litt diese Ersetzungskonzeption in zweifacher Hinsicht an grundsätzlichen inneren Brüchen: – Erstens waren die Rücktrittsrechte bei Leistungsstörungen, also die §§ 325, 326 BGB a. F., bis zur Schuldrechtsmodernisierung verschuldensabhängig ausgestaltet, das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund hingegen nicht. Um die beiden Rechtsinstitute insoweit widerspruchsfrei ins Verhältnis zu setzen, hätte es nur zwei Wege gegeben: (i) die Entwicklung einer tragfähigen Begründung für das methodische Vorgehen, bei invollzuggesetzten Dauerschuldverhältnissen durch die Kombination von teleologischer Reduktion und lückenschließender Analogie ein lediglich für die Zukunft wirkendes verschuldensunabhängiges Kündigungsrecht an die Stelle der verschuldensabhängigen Rücktrittsrechte zu setzen, oder (ii) die Ausdifferenzierung zweier Kündigungsrechte aus wichtigem Grund: verschuldensabhängig im tatbestandlichen Anwendungsbereich der §§ 325, 326 BGB a. F. und verschuldensunabhängig für sonstige Störungsfälle. Mit der Schuldrechtsmodernisierung ist dieser bis zuletzt weder thematisierte88 noch gar aufgelöste Widerspruch nunmehr freilich entfallen, weil auch die Rücktrittsrechte nunmehr verschuldensunabhängig ausgestaltet sind.
__________ 83 84 85 86 87 88
Begr. (Fn. 4), S. 177. Näher sogleich VII.2.a. bei Fn. 95 f. Wiedemann in Soergel (Fn. 25), Vor § 323 BGB Rz. 47. Z. B. Gernhuber (Fn. 41), § 16 II 8 b (S. 396 f.); a. A. Oetker (Fn. 9), S. 352. Wiedemann in Soergel (Fn. 25), Vor § 323 BGB Rz. 48. Exemplarisch etwa Oetker (Fn. 9), S. 349 ff.
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Vertragliche Dauerschuldverhältnisse im Allgemeinen Schuldrecht
– Zweitens, und dieses Problem hat sich auch mit der Schuldrechtsmodernisierung nicht erledigt, sind die ein Rücktrittsrecht begründenden Leistungsstörungstatbestände und die Kündigungsvoraussetzung des wichtigen Grundes nicht notwendig deckungsgleich. Als Konsequenz hieraus hatte etwa Oetker in Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Judikatur das Konzept vom Kündigungsrecht aus wichtigem Grund als einer eigenständigen lex specialis gegenüber den Rücktrittsrechten wegen Leistungsstörungen entwickelt89. Die Neuregelung des § 314 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz folgt dieser Konzeption jedenfalls insoweit, als das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund ein neben die Rücktrittsrechte tretendes eigenständiges Rechtsinstitut bildet, nicht lediglich eine Rechtsfolgenmodifikation der im Allgemeinen Schuldrecht vorgesehenen Rücktrittsrechte. Hierfür spricht zunächst, dass § 314 Abs. 1 BGB entgegen dem früheren Recht gerade keine Beschränkung auf vollzogene Dauerschuldverhältnisse enthält, die beiden Rechtsinstitute also tatbestandlich ganz unverbunden nebeneinander stellt. Der Gegenschluss aus § 313 Abs. 3 BGB bestätigt dies sodann. Satz 2 dieser Vorschrift bestimmt nämlich für den Fall einer gravierenden Störung der Geschäftsgrundlage ausdrücklich, dass das Rücktrittsrecht bei Dauerschuldverhältnissen durch ein Kündigungsrecht ersetzt wird, wogegen die Rücktrittsrechte der §§ 323, 324, 326 Abs. 5 BGB eine solche bloße Rechtsfolgenmodifikation gerade nicht kennen. Schließlich entspricht diese Neukonzeption auch der Vorstellung des Reformgesetzgebers, dass § 314 BGB in seinem Anwendungsbereich das Rücktrittsrecht des § 323 BGB verdränge90, die beiden Rechtsinstitute also auf der Tatbestandsebene miteinander konkurrieren. Mag dieser Konkurrenzregel im Ergebnis auch zu widersprechen sein – hierauf ist sogleich noch zurückzukommen –, impliziert deren Tatbestandsorientierung jedenfalls notwendig, dass der Gesetzgeber das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund als eigenständiges Rechtsinstitut neben die Rücktrittsrechte setzen wollte. 2. Das Verhältnis des § 314 BGB zu den Rücktrittsrechten im Allgemeinen Schuldrecht Für das Verhältnis des Kündigungsrechts aus § 314 BGB zu den Rücktrittsrechten des Allgemeinen Schuldrechtsrechts – §§ 323, 324, 326 Abs. 5 BGB – beschränkt sich die Begründung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auf die vorerwähnte Aussage vom verdrängenden Vorrang des § 314 BGB, ohne die übrigen Rücktrittsrechte auch nur zu erwähnen.
__________ 89 Oetker (Fn. 9), S. 352 ff. 90 Begr. (Fn. 4), S. 177.
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a) Meinungsstand Im Gefolge der Gesetzesbegründung ist der Charakter des § 314 BGB als lex specialis gegenüber § 323 BGB nahezu unstreitig91, und er wird ganz überwiegend auch im Verhältnis zu § 324 BGB92 sowie § 326 Abs. 5 BGB93 vertreten. Allerdings versieht man diese verdrängende Wirkung in zweierlei Hinsicht mit der Gesetzesbegründung unbekannten Vorbehalten: – Die erste Einschränkung folgt aus dem Festhalten an der tradierten Formel, dass das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (erst) nach Vollzug des Dauerschuldverhältnisse an die Stelle des Rücktrittsrechts trete94. Hierin liegt eine ungeschriebene Einschränkung beim tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 314 BGB, die der gesetzlichen Normierung in § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB widerstreitet und auch keine ausdrückliche Stütze in der Gesetzesbegründung findet. – Die zweite Einschränkung knüpft an die noch vor der Schuldrechtsmodernisierung etablierte Judikatur des BGH an, wonach bei einem vollzogenen Dauerschuldverhältnis noch ein Rücktritt möglich sei, wenn die Parteien (i) ausnahmsweise ein beachtliches Interesse an der Rückgängigmachung auch der bereits erbrachten Leistungsteile haben95 oder (ii) wenn eine vollständige Rückabwicklung des Vertrages unschwer möglich und nach der Interessenlage auch sachgerecht ist96. Für die jetzige Rechtslage seien diese Rückausnahmen noch immer veranlasst97. Im Folgenden wird zunächst die Spezialitätsthese kritisch zu würdigen sein. Soweit diese zu verwerfen ist, wären dann auch die vorgenannten zwei Einschränkungen ohne weiteres hinfällig.
__________ 91 S. nur Westermann in Erman (Fn. 13), § 323 BGB Rz. 9; Gaier in MünchKomm.BGB (Fn. 10), § 314 BGB Rz. 3; Grüneberg in Palandt (Fn. 16), § 323 BGB Rz. 4; Otto in Staudinger (Fn. 10), § 323 BGB Rz. A 22, 42; Gsell in Soergel (Fn. 64), § 323 BGB Rz. 8, 195; a. A. Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 323 BGB Rz. 36. 92 Grüneberg in Palandt (Fn. 16), § 324 BGB Rz. 2; Otto in Staudinger (Fn. 10), § 324 BGB Rz. 18; Gaier in MünchKomm.BGB (Fn. 10), § 314 BGB Rz. 3; Gsell in Soergel (Fn. 64), § 324 BGB Rz. 6; a. A. Westermann in Erman (Fn. 13), § 324 BGB Rz. 2; Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 324 BGB Rz. 4. 93 Otto in Staudinger (Fn. 10), § 326 BGB Rz. B 26; wohl auch Gaier in MünchKomm.BGB (Fn. 10), § 314 BGB Rz. 3. 94 Westermann in Erman (Fn. 13), § 323 BGB Rz. 9; Gaier in MünchKomm.BGB (Fn. 10), § 314 BGB Rz. 3; Grüneberg in Palandt (Fn. 16), § 323 BGB Rz. 4, § 324 BGB Rz. 2; Otto in Staudinger (Fn. 10), § 323 BGB Rz. A 22, 42, § 324 BGB Rz. 18; Gsell in Soergel (Fn. 64), § 323 BGB Rz. 8, 195, § 324 BGB Rz. 5. 95 BGH, WM 1972, 625; BGH, NJW 1987, 2004, 2006; BGH, NJW 2002, 1870. 96 BGH, NJW 2002, 1870. 97 Gaier in MünchKomm.BGB (Fn. 10), § 314 BGB Rz. 3; Otto in Staudinger (Fn. 10), § 323 BGB Rz. A 22, 42, § 324 BGB Rz. 18; Hohloch in Erman (Fn. 13), § 314 BGB Rz. 18; Gsell in Soergel (Fn. 64), § 323 BGB Rz. 9; sehr viel weitergehende „Ausnahmen“ befürwortend vor allem Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 323 BGB Rz. 36.
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b) Parallelität von § 314 BGB und § 326 Abs. 5 BGB Was zunächst das Verhältnis des § 314 BGB zu § 326 Abs. 5 BGB betrifft, kann die Spezialitätsthese auf keinen Fall überzeugen. Wird die Dauerleistung in vollem Umfang unmöglich, entfällt nach § 326 Abs. 1 BGB zugleich der synallagmatische Gegenanspruch auf die Vergütung. Seiner Verpflichtung zu anderweitigen nichtsynallagmatischen Leistungen könnte sich der Gläubiger der Dauerleistung nur durch den Rücktritt vom Vertrag entledigen (§ 326 Abs. 5 i. V. m. § 323 Abs. 5 BGB). Bei Ersetzung des Rücktrittsrechts durch das Kündigungsrecht könnte daher der Fall eintreten, dass der Gläubiger der Dauerverpflichtung die bereits mit Vertragsschluss entstehenden und fälligen nichtsynallagmatischen Leistungspflichten zu honorieren hätte, obwohl die beiderseitigen Hauptleistungspflichten im vollen Umfang entfallen. Demgegenüber mag man zwar einwenden wollen, dass Vollunmöglichkeit der Dauerleistung überhaupt nur vor Invollzugsetzung eintreten kann und der Gläubiger bis zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch das Rücktrittsrecht statt des Kündigungsrechts hat. Zutreffend wäre dies freilich nur, wenn es bei der Teilunmöglichkeit in der Zeit mit neueren Tendenzen stets bei teilweiser Unmöglichkeit („soweit“ i. S. des § 275 Abs. 1 BGB) bewenden würde, also die Teilunmöglichkeit in der Zeit in keinem Fall der vollen Unmöglichkeit der Dauerleistung gleichgestellt würde98. Auf der Basis dieser auch vorliegend favorisierten neueren Lehre ist es allerdings geradezu unabweisbar, dass das Rücktrittsrecht aus § 326 Abs. 5 BGB durch das Kündigungsrecht des § 314 BGB nicht verdrängt wird. Dass eine Gleichstellung der teilweisen mit der vollen Unmöglichkeit entbehrlich ist, rechtfertigt sich danach nämlich eben daraus, dass der Gläubiger der teilweise gestörten Leistung unter den Voraussetzungen des § 326 Abs. 5 BGB, also bei Interessewegfall, vom gesamten Vertrag zurücktreten und hierdurch auch die bereits erbrachten Hauptleistungsanteile zurückerlangen kann. Dieser gesetzesnahen Konzeption wäre der Boden entzogen, würde man das Rücktrittsrecht aus § 326 Abs. 5 BGB durch das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ersetzen. c) Parallelität von § 314 BGB und §§ 323, 324 BGB Was schließlich das Verhältnis des § 314 BGB zu den §§ 323, 324 BGB angeht, ist ein Festhalten an der zum früheren Recht entwickelten Spezialitätsthese mit ihren Durchbrechungen ebenfalls nicht veranlasst. Bis zur Schuldrechtsmodernisierung ging der maßgebliche dogmatische Ausgangspunkt in den Worten des BGH dahin, dass die Ersetzung des Rücktrittsdurch ein Kündigungsrecht deswegen erfolge, „weil die Parteien eines Dauerschuldverhältnisses im Allgemeinen kein Interesse haben, wegen einer nachträglich eingetretenen Störung auch die bereits erbrachten Leistungsteile rück-
__________ 98 Dazu oben V.1.b. m. w. N.
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gängig zu machen“99. Dieser Ersetzungskonzeption lag offenkundig die implizite Vorstellung zugrunde, dass dem Störungsbetroffenen nur ein Lösungsrecht zu Gebote stehen kann: entweder das vom Gesetz vorgesehene Rücktrittsrecht oder ein an dessen Stelle tretendes, aus einer Gesamtanalogie abzuleitendes Kündigungsrecht. Und da die Parteien im Allgemeinen kein Interesse an der Rückabwicklung haben, substituierte das Kündigungsrecht im Regelfall das Rücktrittsrecht. Mit der Schuldrechtsmodernisierung hat sich die gesetzliche Ausgangslage entscheidend verändert. Nach Wortlaut und Systematik stehen § 314 BGB und die Kündigungsrechte der §§ 323, 324, 326 Abs. 5 BGB als je eigenständige Lösungsrechte selbständig nebeneinander100. Hierdurch hat sich der vom BGH bislang verfolgte konzeptionelle Ansatz überholt, dass es unter zwei lediglich alternativ verfügbaren Lösungsrechten mit Rücksicht auf den typisierten Parteiwillen auszuwählen gelte. Weil das Gesetz die beiden Rechtsinstitute kumulativ zur Verfügung stellt, kann es dem Störungsbetroffenen nunmehr selbst überlassen bleiben, ob er lediglich aus wichtigem Grund kündigt oder ob er auch ein Interesse an der Rückabwicklung das Dauerschuldverhältnisses hat und deswegen zurücktritt. Die Rationalität seiner Entscheidungsfindung wird dadurch befördert, dass er bei der Wahl des Rücktritts die von ihm empfangenen Leistungen ebenfalls zurückzugewähren oder gegebenenfalls Wertersatz zu leisten hat; gegen eine missbräuchliche, weil zweckwidrige oder schikanöse Ausübung des Rücktrittsrechts ist mit § 242 BGB zu helfen. Nicht veranlasst ist daher eine paternalistische Bevormundung des Störungsbetroffenen dergestalt, dass bei einem vollzogenen Dauerschuldverhältnis schon das Gesetz selbst die Rücktrittsrechte jedenfalls für den Regelfall ausschließt. Auch wenn die volle Parallelität des § 314 BGB und der Rücktrittsrechte der §§ 323, 324 BGB (und § 326 BGB) eine grundsätzliche Neukonzeption zu den Störungsfolgen in Dauerschuldverhältnissen bedeutet, gehen hiervon keine grundstürzenden Auswirkungen aus. Bei § 323 BGB steht die Ausübung des Rücktrittsrechts für den ganzen Vertrag unter dem Vorbehalt des Interessenwegfalls des Gläubigers, und diese Voraussetzung muss auch beim Rücktritt von einem Dauerschuldverhältnis in seiner Gesamtheit vorliegen101; fehlt es hieran, kann der Störungsbetroffene lediglich aus wichtigem Grund kündigen. § 324 BGB sieht eine solche Einschränkung zwar nicht ausdrücklich vor, doch lässt sich diese Lücke bei Dauerschuldverhältnissen in analoger Anwendung des § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB102 ohne weiteres schließen. Damit erledigt sich dann auch der Einwand, dass die Rückabwicklung des gesamten Dauerschuld-
__________ 99 BGH, NJW 2002, 1870; zuvor nahezu wortgleich schon BGH, NJW 1987, 2004, 2006. 100 Soeben schon VII.1. bei Fn. 90. 101 Ebenso Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 323 BGB Rz. 36. 102 Ebenso, wenn auch ohne speziellen Bezug auf Dauerschuldverhältnisse, Westermann in Erman (Fn. 13), § 324 BGB Rz. 8; Ernst in MünchKomm.BGB (Fn. 35), § 324 BGB Rz. 36; a. A. gerade mit Blick auf Dauerschuldverhältnisse freilich Gsell in Soergel (Fn. 64), § 324 BGB Rz. 23.
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verhältnisses trotz bislang ordnungsgemäß erbrachter Leistungen eine nicht vertretbare Härte für den Schuldner bilde103. Unterliegt das Konzept einer vollen Zweispurigkeit von § 314 BGB und den Kündigungsrechten der §§ 323, 324 (und 326 Abs. 5) BGB keinen durchgreifenden Bedenken, ist abschließend noch auf einen entscheidenden Vorzug hinzuweisen. Etwaige Diskrepanzen in den tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Lösungsrechte104 können nicht länger dazu führen, dass sich die Invollzugsetzung eines Dauerschuldverhältnisses entscheidend darauf auswirken kann, ob ein Störungsbetroffener hierdurch sein Lösungsrecht verliert oder, genau umgekehrt, überhaupt erst erlangt.
VIII. Schlussbemerkungen Nach alledem können die Schlussbemerkungen knapp ausfallen. Das Allgemeine Schuldrecht ist seit der Schuldrechtsmodernisierung, was Dauerschuldverhältnisse angeht, nicht mehr lückenhaft. Das gilt jedenfalls dann, wenn man, wie beschrieben, (i) das Charakteristikum von Dauerschulden in der Herbeiführung eines andauernden Leistungserfolgs sieht, (ii) für den Fall einer Teilunmöglichkeit in der Zeit auch einen Teilrücktritt in der Zeit anerkennt, und (iii) eine volle Parallelität des § 314 BGB und der §§ 323, 324, 326 Abs. 5 BGB bejaht. Das Regelungsparadigma des Allgemeinen Schuldrechts ist zwar der Barkauf. Entgegen der einleitend angeklungenen Vermutung haben sich seine Vorschriften aber als hinreichend adaptionsfähig erwiesen, um auch Dauerschuldverhältnisse „in den Griff zu bekommen“.
__________ 103 So Otto in Staudinger (Fn. 10), § 324 BGB Rz. 18. 104 Exemplarisch etwa Westermann in Erman (Fn. 13), § 324 BGB Rz. 2: nicht alle Verletzungen von nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten i. S. des § 241 Abs. 2 BGB müssen einen wichtigen Grund darstellen; gegenläufig Gsell in Soergel (Fn. 64), § 324 BGB Rz. 5: § 324 BGB ist im Lichte der gesetzlichen Wertungen des § 314 BGB auszulegen.
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Gewährleistung beim Tierkauf Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Tiermangel 1. Voraussetzungen 2. Darlegungs- und Beweislast 3. Bedeutung einer tierärztlichen Untersuchung III. Rechte des Käufers 1. Nacherfüllung a) Nachbesserung b) Ersatzlieferung
2. Selbstvornahme des Käufers 3. Rücktritt und Minderung 4. Schadensersatz IV. Verbrauchsgüterkauf 1. Anwendungsbereich 2. Abgrenzung zwischen „neuen“ und „gebrauchten“ Tieren 3. Beweislastregel des § 476 BGB V. Resümee
I. Einleitung Zu den Neuerungen der Schuldrechtsreform1 gehörte die ersatzlose Abschaffung der Sonderregeln über die Mängelgewähr beim Viehkauf (§§ 481 ff. BGB a. F.). Der Gesetzgeber wollte die Gewährleistung beim Kauf von Tieren insgesamt den novellierten Vorschriften über den Sachkauf unterwerfen2. Dies ist im Schrifttum zum Teil auf deutliche Kritik gestoßen. Das gesetzliche Kaufrecht sei unpassend3 und werde den Anforderungen des modernen Vieh- und Tierhandels nicht gerecht4. Dabei muss jedoch klar sein, dass bei der Anwendung der §§ 433 ff. BGB auf Tiere als lebendigen Wesen und „Mitgeschöpfen“ des Menschen5, deren Schutz mittlerweile Verfassungsrang erlangt hat (Art. 20a GG)6, Besonderheiten zu beachten sind. Dies kommt schon darin zum Ausdruck, dass nach der Verweisungsnorm des § 90a Satz 3 BGB die für Sachen geltenden Normen lediglich entsprechende Anwendung finden. Zahlreiche Gerichtsentscheidungen aus der jüngsten Zeit7, darunter auch einige Revisionsurteile des Bundesgerichtshofs, belegen die mit der Sachmängelgewährleistung beim Kauf von Tieren verbundenen Schwierigkeiten. Diesen
__________ 1 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I, S. 3138. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 205 ff. 3 Pelhak, AgrarR 2001, 312; Adolphsen in AnwKomm.BGB, 2005, Anh. zu §§ 433–480 BGB – Tierkauf – Rz. 5, s. auch Rz. 32: „gesetzgeberische Fehlleistung“. 4 Benmann, AUR 2006, 189. 5 Vgl. § 1 TierschutzG; ferner etwa BT-Drucks. 11/7369, S. 3. 6 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) v. 26.7.2002, BGBl. I, S. 2862. 7 Benmann, AUR 2006, 189, 190 spricht übertreibend gar von einer „Flut an Viehkaufprozessen“.
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speziellen Problemen geht der folgende Beitrag nach. Der Verfasser hofft auf das wohlwollende Interesse des Jubilars, der sich in seinem eindrucksvollen wissenschaftlichen Oeuvre auch immer wieder eingehend mit Rechtsfragen des Tierkaufs befasst hat8.
II. Tiermangel 1. Voraussetzungen Nach überkommener Rechtslage haftete der Verkäufer von Pferden, Eseln, Mauleseln, Maultieren, Rindvieh, Schafen und Schweinen9 nur für bestimmte Hauptmängel und dies auch nur dann, wenn sich diese innerhalb von sehr knapp bemessenen Gewährfristen zeigten (deutschrechtliches Prinzip)10. Seit der Schuldrechtsreform löst hingegen beim Tierkauf im Grundsatz jeder erhebliche Fehler, der bei Gefahrübergang bereits vorhanden war, die Gewährleistung aus (römisch-rechtliches Prinzip). Maßgebend ist dabei primär die vereinbarte Beschaffenheit des Kaufobjekts bzw. die Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 BGB). Die Parteien können daher privatautonom die geschuldeten Eigenschaften festlegen oder aber den Zweck, zu dem das Tier verkauft wird (z. B. als Zuchttier, Blinden-, Jagd- oder Wachhund, Kutsch-, Reit-, Dressur- oder Springpferd), bestimmen. Fehlt eine dahingehende Abrede, so kommt es auf die Eignung für die gewöhnliche Verwendung und die übliche Beschaffenheit an (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Der Käufer kann auch ohne ausdrückliche Vereinbarung erwarten, dass das verkaufte Tier im Zeitpunkt des Gefahrübergangs frei von Krankheiten (nicht nur von sog. Hauptmängeln) ist11. Die Krankheit muss noch nicht ausgebrochen sein, mit einem Mangel behaftet ist das Tier schon dann, wenn es sich in einem Zustand befindet, auf Grund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird12. Eine bloße Disposition für das mögliche spätere Auftreten einer Erkrankung, die erst durch Hinzutreten weiterer Umstände ausgelöst wird, reicht hingegen nicht aus13. Dem Verkäufer bleibt es unbenommen, eine Garantie dafür zu übernehmen, dass das Tier für eine gewisse Dauer nach
__________ 8 Vgl. zum alten Recht H. P. Westermann in MünchKomm.BGB, 3. Aufl. 1995, Kommentierung der §§ 481–492 a. F. BGB; zum neuen Recht insbesondere H. P. Westermann, ZGS 2005, 342 ff. 9 Für andere als die in § 481 BGB a. F. aufgeführten Tiere galten jedoch die allgemeinen Regeln der §§ 459 ff. BGB a. F., vgl. von Wengersky, Das Viehgewährschaftsrecht im Wandel der Zeit, 1988, S. 84 f.; Honsell in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1995, § 481 BGB a. F. Rz. 3. 10 § 482 BGB a. F. i. V. m. der Kaiserlichen Verordnung betreffend die Hauptmängel und Gewährfristen beim Viehhandel v. 27.3.1899, RGBl. S. 219. 11 H. P. Westermann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 434 BGB Rz. 60; Putzo in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 434 BGB Rz. 96; bedenklich AG Zittau, NJW-RR 2006, 168, wonach die Sporeninfektion einer Katze keinen Mangel i. S. d. § 434 Abs. 1 BGB darstellen soll, da ca. 20 % der Katzen latent erkrankt sind. 12 BGH, NJW 2006, 2250, 2254. 13 OLG Celle, RdL 2006, 209.
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Gewährleistung beim Tierkauf
Gefahrübergang eine bestimmte Beschaffenheit behält (§ 443 BGB). Durch eine solche Haltbarkeitsgarantie kann sich der Käufer insbesondere gegen einen späteren Leistungsabfall absichern14. Außerdem vermeidet eine solche Abrede den Streit darüber, ob ein später auftretender Mangel „im Keim“15 schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat16. Nicht nur die physische Beschaffenheit des Tieres kann einen Mangel begründen. Vielmehr können auch fehlende Charaktereigenschaften17 oder ungenügender Ausbildungsstand18 Gewährleistungsansprüche auslösen. Die Anforderungen an die Beschaffenheit von Tieren dürfen allerdings keinesfalls überspannt werden. Es gibt bei ihnen wie bei Menschen zahlreiche von der Norm abweichende Befunde, die gleichwohl nie zu Beschwerden führen. Ein im idealen Sinne völlig mangelfreies Tier dürfte wohl kaum existieren. So stellen etwa bei Reitpferden sklerotische Veränderungen der Wirbelsäule als solche – sofern sie keine in Erscheinung tretende Beeinträchtigungen hervorrufen – keinen Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1 BGB dar19. Die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes als Reitpferd wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass aufgrund bestehender Abweichungen von der physiologischen Norm eine geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Tier zukünftig klinische Symptome entwickeln wird. Halten sich solche Abweichungen im Rahmen der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Pferde, so begründen sie selbst dann keinen Mangel, wenn der Markt darauf im Vergleich mit Tieren in physiologischem Idealzustand mit einem Preisabschlag reagiert20. Ohne besondere Vereinbarung kann der Käufer nicht verlangen, dass er ein Tier in einem solchen Idealzustand erhält. Die vom Verkäufer geschuldete Sollbeschaffenheit bestimmt sich gem. § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB auch nach den ihm zurechenbaren öffentlichen Äußerungen. Bedeutung hat dies insbesondere für Auktionen. Die früher in der Rechtsprechung vertretene Ansicht, Angaben in Auktionskatalogen seien lediglich als unverbindliche Anpreisungen zu verstehen21, lässt sich unter der Geltung des neuen Schuldrechts nicht mehr halten, sofern es sich um konkrete Aussagen zu bestimmten Eigenschaften des Tieres handelt22. Im gleichen Umfang haftet der Verkäufer für Äußerungen des Auktionators bei der Versteigerung.
__________ 14 15 16 17 18 19
Vgl. OLG Koblenz, ZGS 2006, 36 (Spatlahmheit eines Pferdes als Garantiefall). So die Formulierung in BGH, BGHZ 163, 234, 238. Zur Darlegungs- und Beweislast gleich unten II.2. Vgl. OLG Stuttgart, OLGR 2005, 93 zur Widersetzlichkeit eines Pferdes. Adolphsen, AgrarR 2001, 169, 172. OLG Celle, RdL 2006, 209; OLG Frankfurt/M., NJOZ 2007, 1697, 1699; im Einzelnen Neumann, Das Pferdekaufrecht nach der Schuldrechtsmodernisierung, 2005, S. 95 ff. 20 BGH, NJW 2007, 1351, 1392 f.; kritisch von Westphalen, ZGS 2007, 168 ff. 21 OLG Celle, NJW 1976, 1507. 22 Brinkmann, AUR 2005, 181, 184; Neumann (Fn. 19), S. 107 f.; Putzo in Palandt (Fn. 11), § 434 BGB Rz. 96; treffend Rahn/Fellmer/Brückner, Pferdekauf heute, 2003, S. 130: „Ende der Auktionslyrik“.
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2. Darlegungs- und Beweislast Nach allgemeinen Grundsätzen trifft den Käufer, nachdem er die Kaufsache angenommen hat, die Darlegungs- und Beweislast für die einen Sachmangel begründenden Tatsachen (§ 363 BGB)23. Beim Tierkauf ist der Nachweis regelmäßig nur durch ein veterinärmedizinisches Gutachten zu führen. Besondere Schwierigkeiten bereitet in der Praxis die Feststellung, ob ein später offenbar gewordener Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen hat. Denn Tiere unterliegen während ihrer gesamten Lebenszeit einer ständigen Veränderung ihrer körperlichen und gesundheitlichen Verfassung. Diese wird nicht nur von den natürlichen Anlagen und dem Alter des Tieres beeinflusst, sondern ganz maßgeblich auch von Ernährung, Pflege und Beanspruchung durch den jeweiligen Halter24. In diesem spezifischen Veränderungsrisiko hatte der Gesetzgeber des BGB ursprünglich die Rechtfertigung für die Sonderregeln über das Viehgewährrecht, insbesondere die kurzen Gewährfristen, gesehen25. Immerhin haben sich seit Inkrafttreten des BGB die Möglichkeiten, durch moderne wissenschaftliche Methoden auch nachträglich festzustellen, ob eine Erkrankung bereits bei Übergabe vorgelegen hat, erheblich verbessert26. Lässt sich die Feststellung gleichwohl nicht mehr eindeutig treffen, so geht dies zu Lasten des Käufers. Denn zu den anspruchsbegründenden Umständen, die er darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, gehört außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 476, 478 Abs. 3 BGB27 die Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstands bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs28. Je später eine Krankheit ausbricht, desto schwieriger wird der Nachweis zu führen sein, dass das Tier schon im Zeitpunkt der Lieferung infiziert war29. 3. Bedeutung einer tierärztlichen Untersuchung Der Käufer kann die genannten Schwierigkeiten weitestgehend vermeiden, wenn er vor dem Kauf eine veterinärmedizinische Untersuchung durchführen lässt, wie sie insbesondere im Pferdehandel verbreitet ist30. Legen die Parteien einvernehmlich das Ergebnis der Untersuchung dem Geschäft zugrunde, so liegt darin eine Beschaffenheitsvereinbarung des Inhalts, dass der in dem Gut-
__________ 23 BGH, BGHZ 159, 215, 217; BGH, NJW 2006, 434, 435; BGH, NJW 2006, 2250, 2254. 24 BGH, NJW 2006, 2250, 2252. 25 Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Bd. II, 1988, S. 249 ff. 26 BT-Drucks. 14/6040, S. 207; kritisch Benmann, AgrarR 2003, 233; ders., AUR 2006, 189. 27 Zum Verbrauchsgüterkauf unten V. 28 BGH, BGHZ 159, 215, 217; BGH, NJW 2006, 434, 435; BGH, NJW 2006, 2250, 2254. 29 BT-Drucks. 14/6040, S. 207; Adolphsen, AgrarR 2001, 169, 172 f.; Ziegenhagen, Darstellung und vergleichende Betrachtungen der gesetzlichen Bestimmungen über den Tierkauf in den EG-Mitgliedsländern mit besonderer Berücksichtigung der Hauptmängel, 1978, S. 43. 30 Dazu etwa Adolphsen, VersR 2003, 1088 ff.; Rahn/Fellmer/Brückner (Fn. 22), S. 150 ff.; E. von Westphalen, ZGS 2005, 54 ff.
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Gewährleistung beim Tierkauf
achten beschriebene Zustand des Tieres als vertragsgemäß gilt31. Eine weiter reichende Beschaffenheitsgarantie i. S. d. § 443 BGB übernimmt der Verkäufer damit nicht32. Dies gilt auch dann, wenn das Gutachten auf seine Veranlassung erstellt wurde (Verkaufsuntersuchung). Denn typischerweise kann der Verkäufer die Richtigkeit der Expertise nicht zuverlässig beurteilen und verlässt sich auf die Angaben des Sachverständigen. Daher kann ihm nicht unterstellt werden, dass er für die in dem Gutachten beschriebene Beschaffenheit über die gesetzlichen Rechtsfolgen hinaus einstehen möchte, sofern er einen solchen gesteigerten Haftungswillen nicht klar zum Ausdruck bringt. Die Instanzgerichte neigten allerdings unter dem Regime des alten Rechts dazu, in der Bezugnahme auf eine Verkaufsuntersuchung die Zusicherung einer Eigenschaft gem. §§ 492, 459 Abs. 2 BGB a. F. zu sehen33. Dies könnte auch Bedeutung für das neue Recht haben, da die Beschaffenheitsgarantie des § 443 BGB n. F. der bisherigen Eigenschaftszusicherung weitgehend entsprechen soll34. Die bisherige Rechtsprechung war aber offenbar dem Umstand geschuldet, dass der Viehkäufer sonst vielfach rechtlos gestellt gewesen wäre, weil die gesetzliche Haftung des Verkäufers sich auf sog. Hauptmängel beschränkte. Nachdem dieser unbefriedigende Rechtszustand überwunden ist, besteht kein Grund, diese rein zweckorientierte Rechtsprechung fortzuschreiben. Die Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten im Kaufvertrag wird daher regelmäßig als verbindliche Beschaffenheitsvereinbarung ohne Garantiecharakter zu werten sein. Der Verkäufer haftet für Abweichungen von der Beschreibung nur im gesetzlichen Umfang und muss insbesondere nicht ohne Verschulden Schadensersatz leisten (§ 276 Abs. 1 BGB). Der Käufer seinerseits kann sich später nicht mehr auf Defekte berufen, die in der Expertise aufgeführt sind. Mit der Geltendmachung von in dem Gutachten nicht erwähnten Mängeln ist er nicht präkludiert. Dies bedürfte einer – in den Grenzen der §§ 276 Abs. 3, 309 Nr. 7, 8b, 444, 475 BGB zulässigen35 – eindeutigen Regelung im Vertrag36. Allein in der Bezugnahme auf den Untersuchungsbericht ist eine solche Abrede jedoch nicht zu sehen. Auch wenn die Einholung eines veterinärmedizinischen Gutachtens vielfach sinnvoll sein mag, so besteht keine dahin gehende Rechtspflicht des Käufers.
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31 OLG Düsseldorf, ZGS 2004, 271, 272; H. P. Westermann, ZGS 2005, 342, 343 f.; a. A. OLG Frankfurt/M., NJOZ 2007, 1697, 1698. 32 OLG Düsseldorf, ZGS 2004, 271, 274 f. 33 OLG Schleswig, VersR 1987, 624 mit insoweit zustimmender Anmerkung von Kiel; LG Lüneburg, NJW-RR 2000, 869, 870; ablehnend Huber in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1991, § 492 BGB a. F. Rz. 2. Unter Berufung auf diese Rechtsprechung aber eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung des Verkäufers annehmend Neumann (Fn. 19), S. 34 f. 34 OLG Düsseldorf, ZGS 2004, 271, 274; OLG Koblenz, NJW 2004, 1670, 1671; Derleder, NJW 2005, 2481, 2483; Emmert, NJW 2006, 1765, 1767; Tiedke/Burgmann, NJW 2005, 1153, 1156; H. P. Westermann, NJW 2002, 241, 247. 35 Vgl. OLG Düsseldorf, ZGS 2004, 271, 273 f. 36 So bezieht sich die im Pferdehandel verbreitete Klausel „verkauft wie probegeritten und gesehen“ nur auf solche Mängel, die bei einer Besichtigung und einem Proberitt festgestellt werden können und nicht erst nach einer längeren oder intensiveren Nutzung auftreten, vgl. LG Hannover, RdL 2006, 98.
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Dies gilt selbst im kaufmännischen Geschäftsverkehr. Es wäre eine Überspannung der Untersuchungsobliegenheit des Käufers nach § 377 HGB, wenn von ihm die Einschaltung eines Tierarztes verlangt würde37. Ebenso wenig verliert er seine Rechte nach § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen grober Fahrlässigkeit, wenn er auf veterinärmedizinische Hilfe verzichtet. Regelmäßig ist auch der Verkäufer nicht verpflichtet, eine Untersuchung durch einen Tierarzt durchführen zu lassen38.
III. Rechte des Käufers 1. Nacherfüllung a) Nachbesserung Der zentrale Rechtsbehelf des neuen Kaufrechts ist die Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 1, 439 f. BGB). Eine Nachbesserung (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB) ist dem Verkäufer nicht schon deshalb unzumutbar, weil er den Mangel nicht selbst zu beseitigen vermag, sondern diese Aufgabe einem fachkundigen Spezialisten, insbesondere einem Tierarzt, übertragen muss39. Er kann die Nachbesserung jedoch verweigern, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist (§§ 275 Abs. 2, § 439 Abs. 3 Satz 1, 2 BGB). Unverhältnismäßig sind die Kosten aber beim Kauf eines Tieres nach dem Rechtsgedanken des § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht schon dann, wenn sie dessen materiellen Wert wesentlich übersteigen40. Beim Kauf von unbelebten Gegenständen ist es richtig, die Frage der Angemessenheit von Nachbesserungsaufwendungen allein nach wirtschaftlichen Kriterien zu entscheiden. An der Heilung eines verletzten oder erkrankten Tieres besteht jedoch ein anerkennenswertes immaterielles Interesse. Daher sind die gefühlsmäßigen Bindungen des Käufers an das Tier, die bei einem Haustier typischerweise wesentlich stärker sein werden als bei einem reinen Nutztier, aber auch Alter und allgemeiner Gesundheitszustand sowie die Heilungschancen des Eingriffs zu berücksichtigen41. Sind die Kosten der Heilung nach den genannten Kriterien gleichwohl immer noch unverhältnismäßig hoch, so ist dem Käufer das Recht einzuräumen, das daraus resultierende Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers dadurch abzuwenden, dass er die erforderlichen Aufwendungen teilweise übernimmt42. Zwar hat der BGH zu der Frage, ob der Unfallverursacher die Reparaturkosten oder
__________ 37 38 39 40
BGH, NJW-RR 1986, 52, 53. Näher unten IV.4. BGH, BGHZ 163, 234, 246. Zu den in der Literatur diskutierten Prozentgrenzen von 100–150 % vgl. Kirsten, ZGS 2006, 666, 71 ff.; für die Begrenzung der Nachbesserungspflicht auf den Minderungsbetrag Ackermann, JZ 2002, 378, 382 ff. 41 Vgl. zu § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB Magnus in AnwKomm.BGB (Fn. 3), § 251 BGB Rz. 22; Schiemann in Staudinger, BGB, Neubearb. 2005, § 251 BGB Rz. 29. 42 Büdenbender in AnwKomm.BGB (Fn. 3), § 439 BGB Rz. 42; Faust in Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand 1.2.2007, § 439 BGB Rz. 50, 56; a. A. Grunewald, Kaufrecht, 2006, § 9 Rz. 51.
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nur den Wiederbeschaffungswert des beschädigten PKW ersetzen muss, entschieden, der Geschädigte könne sich die an sich unverhältnismäßig teure Instandsetzung nicht dadurch erkaufen, dass er sie mitfinanziert, da dadurch nur unwirtschaftliche Reparaturen provoziert würden43. Auf die Heilung von Tieren trifft diese Wertung jedoch wegen der damit berührten immateriellen Interessen nicht zu. Der Verkäufer ist grundsätzlich verpflichtet, den Kaufgegenstand in einen vertragsgemäßen Zustand zu versetzen44. Lässt sich der Mangel jedoch nicht vollständig beseitigen, so kann der Käufer verlangen, dass die Funktionsfähigkeit der Sache ungeachtet verbleibender Schönheitsfehler wieder hergestellt wird, wenn wenigstens insoweit eine Nachbesserung möglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB)45. Es gibt keinen Grund, ihm den Nachbesserungsanspruch dann insgesamt zu versagen. Der Verkäufer eines Tieres kann die Durchführung einer Heilbehandlung nicht schon deshalb verweigern, weil sie nicht zur vollständigen Beseitigung des Mangels führt. Vielmehr umfasst der Nachbesserungsanspruch hier jede Maßnahme, die zur nachhaltigen Verbesserung des Gesundheitszustands geeignet ist. Dass die Maßnahme den vertragsgemäßen Zustand nicht ohne Einschränkungen herstellen kann, muss allerdings bei der Frage berücksichtigt werden, ob der erforderliche Aufwand noch verhältnismäßig ist. In dem viel diskutierten Dackel-Fall des BGH46 ging es darum, dass der Erwerber eines Welpen diesem zur Korrektur einer übermäßigen O-Beinigkeit eine Platte hatte einsetzen lassen. Zur Überwachung der mit der Platte verbundenen gesundheitlichen Risiken sind bis zum Lebensende des Hundes halbjährliche tierärztliche Kontrolluntersuchungen notwendig. Nach Ansicht des BGH stellt die Operation keine Beseitigung des Mangels i. S. d. § 439 Abs. 1 BGB dar, da sie den körperlichen Defekt nicht folgenlos zu beseitigen vermochte, sondern andere gesundheitliche Risiken für das Tier selbst erst hervorrief. Hier war in der Tat nicht hinreichend dargetan, dass die Operation im Ergebnis zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands des Tieres führte. Jedenfalls aber, so der BGH zu Recht, sei dem Verkäufer angesichts des zweifelhaften Erfolgs der Maßnahme, der mit ihr notwendig verbundenen Folgeuntersuchungen und des darüber hinausgehenden, gar nicht absehbaren weiteren Aufwands die Übernahme der Kosten nicht zuzumuten.
__________ 43 BGH, BGHZ 115, 375, 380 f. 44 BGH, BGHZ 163, 234, 242; Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 32; H. P. Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 439 BGB Rz. 9. 45 Gutzeit, NJW 2007, 956, 957 ff.; Faust in Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 42), § 439 BGB Rz. 37; Matusche-Beckmann in Staudinger, Neubearb. 2004, § 439 BGB Rz. 38; H. P. Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 439 BGB Rz. 19; a. A. Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 32, 45; tendenziell auch (die Frage aber letztlich offen lassend) BGH, BGHZ 163, 234, 245. 46 BGH, BGHZ 163, 234 ff.; dazu etwa Gutzeit, NJW 2007, 957 ff.; Henne/Walter, JuS 2007, 343 ff.; Hirsch, JURA 2006, 120 ff.; Keilmann, NJW 2006, 2526 f.
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b) Ersatzlieferung Eine Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) kommt nach der Rechtsprechung des BGH nicht nur beim Gattungskauf in Betracht, sondern auch beim Stückkauf, sofern die Kaufsache im Falle ihrer Mangelhaftigkeit durch eine gleichartige und gleichwertige Sache ersetzt werden kann47. Der Erwerb eines Tieres ist allerdings oftmals von dessen Individualität geprägt und dem Käufer deshalb mit der Lieferung eines Artgenossen nicht gedient48. Darüber hinaus kann schon nach relativ kurzer Zeit eine emotionale Bindung entstehen, der einen Austausch des erkrankten Tieres als unzumutbar erscheinen lässt. So hat der BGH in dem bereits erwähnten Dackel-Urteil den Austausch des körperlich beeinträchtigten Welpen wegen der zwischenzeitlich eingetretenen engen persönlichen Beziehung des Käufers zu dem kleinen Vierbeiner als ausgeschlossen erachtet49. Anders liegt es, wenn die Individualität des verkauften Tieres überhaupt keine Rolle spielt, etwa beim Verkauf als Schlachtvieh oder zu Zwecken der gewerbsmäßigen Massentierhaltung. Hier ist die Lieferung eines Tieres gleicher Art und Güte zur Befriedigung des Leistungsinteresses des Käufers durchaus möglich. 2. Selbstvornahme des Käufers Bevor der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten, mindern oder Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann, muss er zunächst dem Verkäufer Gelegenheit zur Nacherfüllung binnen angemessener Frist geben (§§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1, § 437 Nr. 2, 3, 441 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ob der Käufer, wenn er den Mangel vor Ablauf der Frist oder ohne eine Frist zu setzen50 selbst beseitigt, vom Verkäufer Ersatz der Aufwendungen verlangen kann, die dieser durch die eigenmächtige Selbstvornahme erspart hat (vgl. § 439 Abs. 2 BGB), gehört zu den umstrittensten Fragen des neuen Schuldrechts. Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur gewährt dem Käufer einen solchen Anspruch in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 326 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4
__________ 47 BGH, JZ 2007, 98 mit krit. Anm. von Faust; a. A. auch etwa Ackermann, JZ 2002, 378, 379 ff.; P. Huber, NJW 2002, 1004, 1006; zum Problem im Einzelnen Kitz, ZGS 2006, 419 ff. m. w. N. 48 H. P. Westermann, ZGS 2005, 342, 345. 49 BGH, BGHZ 163, 234, 243; allerdings lag entgegen der Ansicht des BGH wohl kein Fall nachträglicher Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB), sondern der Unzumutbarkeit nach § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB vor. 50 Beim Verbrauchsgüterkauf ist das Fristsetzungserfordernis zur Geltendmachung von Minderung und Rücktritt (nicht das Erfordernis des Fristablaufs) nach h. M. richtlinienwidrig, da es nach Art. 3 V Spiegelstr. 2 VerbrauchsgüterRL nur darauf ankommen soll, ob der Verkäufer „innerhalb angemessener Frist Abhilfe geschaffen hat“, vgl. Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 63, 71; S. Lorenz in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, vor § 474 BGB Rz. 20; D. Schmidt in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 2. Aufl. 2007, § 437 BGB Rz. 23.
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BGB51, aus Geschäftsführung ohne Auftrag52 oder den allgemeinen bereicherungsrechtlichen Vorschriften53. Der BGH lehnt dies in ständiger Rechtsprechung ab. Er sieht die §§ 437 ff. BGB insoweit als abschließende Regelung, die ein Selbstvornahmerecht auf Kosten des Verkäufers ausschließe. Außerdem würde sonst der dem Gesetz zugrunde liegende Vorrang der Nacherfüllung unterlaufen54. Das Erfordernis, dem Verkäufer zunächst Gelegenheit zur Abhilfe zu geben, gilt nach Ansicht des BGH auch für den Tierkauf55. Dem Käufer ist ein Nacherfüllungsverlangen und das damit verbundene Abwarten der gesetzten Frist nicht schon deshalb unzumutbar, weil das Erwerbsmotiv nicht auf wirtschaftlichem Interesse, sondern auf persönlichen Beweggründen beruht56. Immerhin hat der BGH anerkannt, dass beim Kauf eines Tieres besondere Umstände, die nach § 437 Nr. 3 i. V. m. § 281 Abs. 2 BGB ausnahmsweise die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung rechtfertigen, dann vorliegen, wenn der Zustand des Tieres eine unverzügliche tierärztliche Behandlung als Notfallmaßnahme erforderlich erscheinen lässt, die vom Verkäufer nicht mehr rechtzeitig veranlasst werden könnte57. Dabei berief er sich ausdrücklich auf den Gesichtspunkt des Tierschutzes. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Käufer einen Terrierwelpen wegen einer akuten Erkrankung, die auf unsachgemäße Haltung vor der Übergabe zurückzuführen war, tierärztlich behandeln lassen. Der BGH gewährte Schadensersatz nicht nur hinsichtlich der Kosten der ersten Notfallbehandlung, sondern auch im Hinblick auf die Folgebehandlungen. Eine Aufforderung an den Verkäufer zur weiteren Nachbesserung mit der Möglichkeit, den behandelnden Tierarzt zu wechseln, sei dem Käufer nicht zumutbar und auch unzweckmäßig gewesen. Mag der BGH hier auch zu einem angemessenen Ergebnis gelangt sein, so wurden in dem späteren Pferdetausch-Fall58 die Grenzen seines Lösungsansatzes deutlich. Anders als im Terrierwelpen-Fall traf den Leistenden hier kein Verschulden, so dass eine Geltendmachung der Kosten der Operation und Behandlung des erkrankten Pferdes unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes ausschied. Nach Ansicht des BGH kann auch dann nicht auf eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung von § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgewichen werden, wenn dem Käufer das Setzen einer Nachfrist aus besonderen Gründen unzumutbar war. Der abschließende Charakter der §§ 437 ff. BGB stehe dem
__________ 51 Bydlinski, ZGS 2005, 129 ff.; Ebert, NJW 2004, 1761, 1762 ff.; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457 ff.; Katzenstein, ZGS 2005, 184 ff., 305 ff.; S. Lorenz, NJW 2003, 1417 ff.; ders., NJW 2005, 1321 ff. 52 Brömmelmeyer, JZ 2006, 493, 495; Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 61; Oechsler, NJW 2004, 1825, 1826 f.; auch LG Bielefeld, ZGS 2005, 79, 80. 53 Gsell, ZIP 2005, 922, 925; Lamprecht, ZGS 2005, 266 ff. 54 BGH, BGHZ 162, 219 ff.; zustimmend Arnold, MDR 2005, 661 f.; Dauner-Lieb, ZGS 2005, 169 ff.; Hertzberg in FS Huber, 2006, S. 340 ff.; Sutschet, JZ 2006, 574 ff. 55 BGH, NJW 2005, 3211; BGH, NJW 2006, 988. 56 BGH, NJW 2006, 988, 989. 57 BGH, NJW 2005, 3211; ähnlich bereits LG Essen, NJW 2004, 527. 58 BGH, NJW 2006, 988.
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auch in einer solchen Konstellation entgegen. Der BGH verwies auf Minderung und Rücktritt als verschuldensunabhängige Rechtsbehelfe, die im vorliegenden Rechtsstreit allerdings nicht geltend gemacht wurden. Zwar ist auch hier die Fristsetzung entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen (§§ 440, 323 Abs. 2 Nr. 3, 441 Abs. 1 BGB). Gleichwohl ist der Verweis problematisch. Denn mit der Minderung kann nur eine Reduzierung des Kaufpreises geltend gemacht werden, nicht aber Aufwendungsersatz. Die Heilungskosten können aber weit höher liegen als der mangelbedingte Minderwert59, ja den Wert des Tieres in mangelfreiem Zustand überhaupt übersteigen. Als Folge des Rücktritts kann der Käufer immerhin Ersatz der von ihm getätigten notwendigen Verwendungen verlangen (§ 347 Abs. 2 Satz 1 BGB). Jedoch ist fraglich, ob er das Geschäft trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Mangelfreiheit noch rückabwickeln kann60. Selbst wenn man sich über dieses Bedenken hinwegsetzt61, so ist dem Käufer, der das Tier behalten möchte, damit doch nicht gedient. Es wäre geradezu paradox, wenn er zum Rücktritt gedrängt werden müsste, um vollen Aufwendungsersatz zu erhalten. Ihm darf es nicht zum Nachteil gereichen, dass er im Sinne des Tierschutzes bei einer akuten Erkrankung nicht zuwartet, sondern die gebotene Behandlung vielmehr sofort einleitet. Umgekehrt darf der Verkäufer nicht deshalb besser gestellt werden, weil die Mängelbeseitigung so sehr drängt, dass keine Zeit mehr bleibt, ihn einzuschalten. Dass der Gesetzgeber das Problem der Notselbstvornahme, das insbesondere beim Tierkauf virulent zu werden vermag, gesehen hat, ist kaum anzunehmen. Noch weniger spricht dafür, das er durch die §§ 437 ff. BGB die Frage abschließend regeln und den Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsinstitute GOA62 und ungerechtfertigte Bereicherung ausschließen wollte. Der Vorrang der Nacherfüllung wird durch deren Heranziehung keineswegs verletzt, weil das Gesetz selbst bei Vorliegen besonderer Umstände nicht darauf beharrt, dass der Verkäufer Gelegenheit zur zweiten Andienung erhält (§§ 281 Abs. 2, 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB)63. Schließlich ist auch ein Missbrauch angesichts der hier postulierten engen Voraussetzungen nicht zu befürchten. Denn der Käufer muss nicht nur das Vorhandensein eines Mangels, sondern zudem noch die besondere Eilbedürftigkeit der Mangelbeseitigung dartun und gegebenenfalls beweisen. 3. Rücktritt und Minderung § 487 BGB a. F. versagte dem Viehkäufer die Minderung des Kaufpreises und verwies ihn ausschließlich auf die gegenüber dem allgemeinen Gewährleistungsrecht etwas modifizierte Wandlung. Dem Ausschluss der Minderung lag die praktische Erwägung zugrunde, dass die hier notwendigen Wertschätzun-
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59 S. allgemein Eckert/Maifeld/Matthiessen, Hdb. des Kaufrechts, 2007, Rz. 411; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 45), § 441 BGB Rz. 22. 60 Vgl. zum alten Recht BGH, BGHZ 90, 198, 204 f. 61 Gsell, LMK 2006, 168751. 62 Regelmäßig wird in den Fällen der Notselbstvornahme eine berechtigten GOA (§§ 677, 679, 683 BGB) zu bejahen sein. 63 Lamprecht, ZGS 2005, 266, 269 ff.
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gen bei Lebewesen mit ganz erheblichen Schwierigkeiten verbunden seien. Auch sollte ein Missbrauch der Minderungsklage verhindert werden64. Diese Überlegungen überzeugen jedoch aus heutiger Sicht nicht65. Tiere sind Gegenstand des Güteraustauschs, so dass sich der objektive Marktpreis durchaus – gegebenenfalls unter Heranziehung sachverständiger Hilfe – ermitteln lässt. Es mag zwar sein, dass beim Kauf von Tieren oftmals subjektive Momente auf Seiten des Käufers eine Rolle spielen. Ein solches Affektionsinteresse ist jedoch mitunter auch beim Erwerb von unbelebten Gegenständen prägend (z. B. Grundstücke, Antiquitäten und Kunstwerke), ohne dass sich hieraus unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Wertermittlung ergeben66. Dass die Minderung missbrauchsanfälliger sein soll als die übrigen gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfe, lässt sich nicht belegen. Sie bietet gegenüber der Rückabwicklung des Vertrages, auf die der Käufer nach altem Recht verwiesen war, den Vorteil, dass das mit einem Mangel behaftete Tier gleichwohl in der ihm mittlerweile vertrauten Umgebung verbleiben kann. Entscheidet sich der Käufer für den Rücktritt, so hat er im Rahmen der Rückgewähr der wechselseitig erbrachten Leistungen auch die von ihm gezogenen bzw. schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen herauszugeben (§§ 346 Abs. 1, 347 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dabei werden zu entgeltende Gebrauchsvorteile67 regelmäßig nur bei zu gewerblichen Zwecken verwendeten Tieren anzunehmen sein, bei Luxustieren hingegen nur dann, wenn die Überlassung üblicherweise vergütet wird, wie z. B. bei Reitpferden68. Der dem Käufer seinerseits zustehende Anspruch auf Ersatz der notwendigen Verwendungen (§ 347 Abs. 2 Satz 1 BGB) besteht auch bei gewöhnlichen Erhaltungskosten69. Er umfasst sämtliche für die ordnungsgemäße Unterbringung, Pflege und Versorgung des Tieres erforderlichen Aufwendungen70. Die bereits erwähnten Kosten eines Tierarztes sind auch dann erstattungsfähig, wenn sie nicht durch den Mangel verursacht worden sind, denn auch insoweit ist der Käufer in den status quo ante zu versetzen71. Zu den notwendigen Verwendungen gehören auch Aufwendungen zum Bestreiten von Abgaben (z. B. Hundesteuer), aber
__________ 64 Vgl. Motive II (Fn. 25), S. 257. 65 S. schon Fellmer, AgrarR 1978, 97, 99; Ostler, JZ 1956, 471, 473; anders jedoch von Wengersky (Fn. 9), S. 195 ff. 66 Vgl. zum Handel mit Turnierpferden im Kontext des § 138 Abs. 2 BGB: BGH, NJWRR 2003, 772; ferner Adolphsen, AgrarR 2001, 169, 173; Adolphsen in AnwKomm. BGB (Fn. 3), Anh. zu §§ 433–480 BGB – Tierkauf – Rz. 27. 67 Sie sind auch dann nach § 346 Abs. 1 i. V. m. § 100 Alt. 2 BGB zu erstatten, wenn sie nicht mehr in Natur herausgegeben werden können, s. Hager in AnwKomm.BGB (Fn. 3), § 346 BGB Rz. 24, 33 f.; a. A. (Wertersatzpflicht nur nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB) Gaier in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 346 BGB Rz. 26; Kaiser in Staudinger, Neubearb. 2004, § 346 BGB Rz. 225. 68 Neumann (Fn. 19), S. 129; Holch in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 100 BGB Rz. 3. 69 BGH, NJW 2007, 674, 678. 70 LG Köln, Urt. v. 3.11.2005 – 29 O 290/04, zitiert nach juris. 71 Vgl. zum alten Recht H. P. Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 8), §§ 487, 488 BGB a. F. BGB Rz. 6; Honsell in Staudinger (Fn. 9), § 488 BGB a. F. BGB Rz. 3 zu §§ 487, 488 a. F. BGB.
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auch Kosten für eine angemessene Versicherung des Tieres72. Die in § 488 BGB a. F. überdies noch eigens aufgeführten Kosten einer notwendig gewordenen Tötung und Beseitigung des Tieres lassen sich zwar schwerlich noch unter den Begriff der Verwendung subsumieren73, fallen aber unter die nach Maßgabe von § 347 Abs. 2 Satz 2 BGB ebenfalls ersatzfähigen nützlichen Aufwendungen. 4. Schadensersatz In dem schon mehrfach angeführten Dackel-Urteil74 nahm der BGH auch Stellung zur Frage des Verschuldens. Das Berufungsgericht hatte entschieden, dass der Verkäufer als Züchter für einen genetischen Fehler des Hundes einzustehen habe. Anhaltspunkte, die sein Vertretenmüssen ausschließen würden und für die er nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB75 darlegungs- und beweisbelastet wäre, seien nicht ersichtlich. Der BGH stellte klar, dass damit die Anforderungen an den Verkäufer überspannt worden seien. Ein Züchter, der keine Garantie für eine bestimmte Entwicklung des Tieres übernommen habe, hafte für die anlagebedingte Fehlentwicklung nur, wenn ihm bei der Zucht eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorzuwerfen sei. Von einem Verstoß gegen die anerkannten züchterischen Grundsätze könne nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht ausgegangen werden, so dass es weitergehenden Vortrags des Verkäufers zu seiner Entlastung nicht bedurft habe. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Die Auffassung des Berufungsgerichts lief praktisch auf eine Garantiehaftung hinaus, die der Verkäufer im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht übernommen hatte. Allerdings liegt beim Hersteller fehlerhafter Sachen die Annahme schuldhaften Verhaltens nicht fern76, so dass die Rechtsprechung strenge Anforderungen an den von ihm zu führenden Entlastungsbeweis stellt77. Der Tierzüchter jedoch hat nur sehr begrenzten Einfluss auf die Entwicklung der in seinem Betrieb geborenen Tiere. Er kann sie nicht am Reißbrett konstruieren, sie bleiben vielmehr ein Produkt der Natur mit den damit verbundenen Unwägbarkeiten. Daher kann hier anders als bei einem Warenproduzenten nicht ohne weiteres vom Vorliegen eines Mangels auf eine Sorgfaltspflichtverletzung geschlossen werden.
__________ 72 Vgl. zur Versicherung für ein Turnierpferd OLG München, NJW-RR 1992, 1081, 1082; a. A. Gaier in MünchKomm.BGB (Fn. 67), § 347 BGB Rz. 18; Kaiser in Staudinger (Fn. 67), § 347 BGB Rz. 39. Kommt es zum Versicherungsfall, so hat der Rückgewährschuldner die ausgezahlte Versicherungssumme nach § 285 BGB an den Rückgewährgläubiger auszukehren, Kaiser in Staudinger (Fn. 67), § 346 BGB Rz. 214; a. A. OLG München, NJW-RR 1992, 1081, 1082. 73 Vgl. zum in der Rechtsprechung vorherrschenden engen Verwendungsbegriff Gaier in MünchKomm.BGB (Fn. 67), § 347 BGB Rz. 18. 74 BGH, BGHZ 163, 234 ff. 75 Zur Frage, ob in dem Fall nicht auf § 311a BGB abzustellen gewesen wäre, s. Hirsch, JURA 2006, 120, 124 f. 76 BGH, WM 1989, 575, 577; ausführlich zum Haftungsmaßstab beim Kauf vom Hersteller Huber in FS Ulmer, 2003, S. 1165, 1182 ff. 77 Vgl. BGH, BGHZ 59, 303, 309.
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Der Verschuldensvorwurf hätte sich aber begründen lassen, wenn für den Verkäufer die anlagebedingte Fehlstellung des Sprunggelenks des Hundes wenigstens im Zeitpunkt der Übergabe erkennbar gewesen wäre. Der BGH lehnte jedoch auch dies ab, weil der Defekt allenfalls mittels einer Röntgenuntersuchung hätte diagnostiziert werden können. Zur Durchführung einer solchen Untersuchung war der Verkäufer ohne greifbare Anhaltspunkte jedoch nicht verpflichtet78. In der Tat wird sich der Verkäufer in der Regel mit dem Nachweis entlasten können, dass der Mangel für ihn nicht offensichtlich war79. Zu einer eingehenden Untersuchung – gegebenenfalls unter Zuhilfenahme tierärztlicher Hilfe –, ist er allerdings verpflichtet, wenn es konkrete Verdachtsmomente gibt oder die Parteien dies vereinbart haben oder eine entsprechende Verkehrssitte besteht80. Lässt der Verkäufer ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein eine Verkaufsuntersuchung durchführen, so haftet er für ein etwaiges Verschulden des Sachverständigen nicht, da dieser insoweit nicht Erfüllungsgehilfe i. S. d. § 278 BGB ist. Wohl aber kommt unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages zugunsten Dritter eine Schadensersatzhaftung des Gutachters gegenüber dem Käufer in Betracht81. Der Verschuldensvorwurf gegen den Verkäufer kann sich darauf gründen, dass er das Tier unsachgemäß gehalten oder behandelt hat82. Und schließlich haftet der Verkäufer auch, wenn er eine mögliche und ihm zumutbare Nacherfüllung nicht vornimmt. Er hat es jedoch nicht zu vertreten, wenn er durch die zwischenzeitliche Bindung des Käufers an das gekaufte Haustier nachträglich daran gehindert wird, ein Ersatztier zu liefern83.
IV. Verbrauchsgüterkauf 1. Anwendungsbereich Die Sonderregeln über den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB) gelten über § 90a Satz 3 BGB auch für den Kauf von Tieren84. Die Unternehmereigenschaft auf Seiten des Verkäufers setzt ein selbstständiges und planmäßiges, auf eine gewisse Dauer angelegtes Anbieten entgeltlicher Leistungen am Markt voraus, nicht aber die Absicht der Gewinnerzielung. Daher ist auch der Hobbyzüchter,
__________ 78 BGH, BGHZ 163, 234, 241 f. 79 Zutreffend Huber in FS Ulmer (Fn. 76), S. 1165, 1189; zu den Ausnahmen allgemein Stoppel, ZGS 2006, 49, 50 ff. 80 Vgl. etwa AG Gifhorn, AUR 2005, 264: Keine Gepflogenheit im Viehhandel, einen Zuchtbullen auf seine Zeugungsfähigkeit hin zu untersuchen. 81 OLG Schleswig (4. Senat), VersR 1997, 1025; E. von Westphalen, ZGS 2005, 54, 56 ff.; Huber in Soergel (Fn. 33), § 492 a. F. BGB Rz. 2; anders OLG Schleswig (16. Senat), VersR 1987, 624 f. 82 BGH, NJW 2005, 3211. 83 BGH, BGHZ 163, 234, 247. 84 BGH, NJW 2006, 2250, 2251 f.; BGH, NJW 2007, 674, 676; BGH, NJW 2007, 2619, 2620; LG Essen, NJW 2004, 527; Adolphsen in AnwKomm.BGB (Fn. 3), Anh. zu §§ 433–480 BGB – Tierkauf – Rz. 29; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 45), § 474 BGB Rz. 27; a. A. AG Helmstedt, RdL 2005, 65 mit der abwegigen Begründung, Tiere seien wegen ihres verfassungsmäßigen Schutzes keine „Verbrauchsgüter“.
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der geschäftsmäßig Tiere aus der eigenen Nachzucht zum Verkauf anbietet, um seine Verluste zu reduzieren, Unternehmer i. S. d. §§ 14, 474 ff. BGB85. Das strenge Sonderegime des Verbrauchsgüterkaufs erfasst gem. § 474 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gebrauchte Gegenstände86, die im Wege einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, die für den Verbraucher frei zugänglich ist. Für den Begriff der öffentlichen Versteigerung gilt die Legaldefinition des § 383 Abs. 3 BGB87. Zuständig sind danach nur für den Versteigerungsort bestellte Gerichtsvollzieher, zu Versteigerungen befugte andere Beamte sowie öffentlich angestellte andere Versteigerer. Diese Voraussetzung ist bei vielen Viehauktionen nicht erfüllt, da die Versteigerer nur eine Gewerbeerlaubnis nach § 34b Abs. 1 GewO besitzen88, nicht aber i. S. d. § 34b Abs. 5 GewO öffentlich bestellt und vereidigt wurden89. Im Schrifttum wird aber mitunter bestritten, dass § 474 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die Versteigerung von Tieren überhaupt anwendbar ist. Denn die Regelung solle dem Umstand Rechnung tragen, dass dem Versteigerer eine vorherige Untersuchung der versteigerten Sachen und damit auch die strikte Gewährleistung häufig nicht zumutbar sei. Im Rahmen von Pferde- und anderen Tierauktionen bestehe aber anders als bei der in der Gesetzesbegründung90 genannten Versteigerung von Fundsachen die Möglichkeit einer intensiven Untersuchung sehr wohl91. Doch liegt die eigentliche Rechtfertigung für den Ausschluss der §§ 475 ff. BGB darin, dass der öffentlich bestellte Versteigerer eine besondere Gewähr für die ordnungsgemäße Durchführung der Versteigerung und eine zutreffende Beschreibung der dem interessierten Publikum offerierten Gegenstände bietet92. Eines weitergehenden Schutzes durch das Verbrauchsgüterkaufrecht bedarf es angesichts dieser Seriösitätsgewähr auch außerhalb der in den Gesetzesmaterialien nur beispielhaft genannten Versteigerung von Fundsachen nicht. 2. Abgrenzung zwischen „neuen“ und „gebrauchten“ Tieren Schwierigkeiten bereitet allerdings bei Tieren die Einordnung als „neu“ oder „gebraucht“. Die Abgrenzung hat nicht nur bei der eben erörterten Bereichsausnahme des § 474 Abs. 1 Satz 2 BGB Bedeutung. Auch die vertragliche Abkürzung der Gewährleistungsfrist auf ein Jahr kommt nach § 475 Abs. 2 BGB nur bei gebrauchten Gegenständen in Betracht. Nach einer in der Litera-
__________ 85 BGH, NJW 2006, 2250, 2251 f. zur Pferdezucht. 86 Zum Begriff „gebraucht“ sogleich unter IV.2. 87 BGH, NJW 2006, 613; Benmann, RdL 2005, 57, 59; Reuter, ZGS 2005, 88, 89; Faust in Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 42), § 474 BGB Rz. 20; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 45), § 474 BGB Rz. 46; a. A. Wertenbruch, NJW 2004, 1977, 1981. 88 Benmann, AUR 2006, 189, 190. 89 Dass der öffentlich angestellte Versteigerer in § 383 Abs. 3 Satz 1 BGB dem öffentlich bestellten Versteigerer in § 34 Abs. 5 GewO entspricht, ist unstreitig, vgl. nur BGH, NJW 1990, 899, 900; BGH, NJW 2006, 613, 614 f.; Reuter, ZGS 2005, 88 m. w. N. 90 Stellungnahme des Bundesrats zu § 474 BGB RegE, BT-Drucks. 14/6857, S. 31. 91 Adolphsen in AnwKomm.BGB (Fn. 3), Anh. zu §§ 433–480 BGB – Tierkauf – Rz. 37. 92 BGH, NJW 2006, 613, 614 f.
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tur weit verbreiteten Ansicht ist ein Tier stets als „gebraucht“ im Sinne der genannten Vorschriften anzusehen93. Dafür spricht, dass Lebewesen von Geburt an ein erhöhtes, vom Verkäufer nicht ohne weiteres beherrschbares Mängelrisiko anhaftet und die Abgrenzung zwischen neu und gebraucht hier mitunter schwierig ist. Fraglich ist allerdings, ob dies einseitig zu Lasten des Verbrauchers gehen kann. Der Gesetzgeber wollte ausweislich der Materialien auch bei Tieren eine Unterscheidung vornehmen94. Er knüpfte dabei an die Rechtsprechung zu § 11 Nr. 10 AGBGB (jetzt: § 309 Nr. 8b BGB n. F.) an, wonach etwa lebende Fische95 oder junge Haustiere96 als „neu“ betrachtet wurden. An diesen eindeutigen gesetzgeberischen Willen ist der Rechtsanwender gebunden, zumal er Wortlaut und Sinn der §§ 474 Abs. 1 Satz 2, 475 Abs. 2 BGB entspricht. Zu Recht hat daher der BGH unlängst entschieden, dass ein sechs Monate altes Hengstfohlen, das bis zum Verkauf noch nicht als Reittier oder zur Zucht verwendet worden war, nicht als gebraucht i. S. d. genannten Vorschriften qualifiziert werden kann97. Ein Tier ist dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend als gebraucht anzusehen, sobald es seiner Bestimmung gemäß genutzt wird98. Das ist nach objektiven Kriterien zu ermitteln und damit einer Parteivereinbarung entzogen99. Eine Änderung der Nutzungsart (das Turnierpferd wird später als Zuchttier eingesetzt, die Milchkuh als Schlachttier vorgesehen) ist unbeachtlich100. Allein der Ablauf einer gewissen Lebenszeit erlaubt es nicht, das Tier als „gebraucht“ zu qualifizieren101. Denn dann würde der Verkäufer entgegen der gesetzlichen Wertung von dem allgemeinen Lebens- und Gesundheitsrisiko des Tieres entlastet, nicht lediglich von der durch eine spezifische Verwendung erhöhten Gefahr von Mängeln. Es ist nicht einzusehen, warum der Verbraucherschutz beim Verkauf eines noch gar nicht gebrauchten ausgewachsenen Tieres geringer sein sollte als bei einem Jungtier.
__________ 93 Benmann, RdL 2005, 57, 59 f.; ders., AUR 2006, 2006, 189, 191 f.; Brückner/Böhme, MDR 2002, 1406 ff.; Eichelberger, ZGS 2007, 98 ff.; Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 15; Rahn/Fellmer/Brückner (Fn. 22), S. 122; Neumann (Fn. 19), S. 160 ff.; Adolphsen in AnwKomm.BGB (Fn. 3), Anh. zu §§ 433–480 BGB – Tierkauf – Rz. 32 f.; Faust in Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 42), § 474 BGB Rz. 19; D. Schmidt in Prütting/ Wegen/Weinreich (Fn. 50), § 475 BGB Rz. 10; ähnlich Reuter, ZGS 2005, 88, 90 f. 94 Begr. zu § 475 BGB RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 245. 95 BGH, NJW-RR 1986, 52: Forellen. 96 LG Aschaffenburg, NJW 1990, 915: neun Wochen alte Hundewelpen. 97 BGH, NJW 2007, 674 mit Anmerkung Fischer/Herlein. 98 Brinkmann, AUR 2005, 181, 187. 99 BGH, NJW 2007, 674, 677; a. A. OLG Schleswig, ZGS 2006, 277, 279 als Vorinstanz. 100 Das verbreitete Argument, die Abgrenzung nach dem Verwendungszweck führe bei einer Umwidmung zu skurrilen Ergebnissen (vgl. etwa Adolphsen in AnwKomm. BGB [Fn. 3], Anh. zu §§ 433–480 BGB – Tierkauf – Rz. 33), ist also nicht stichhaltig. 101 Reichl, WF 2003, 77, 82; anders aber OLG Düsseldorf, ZGS 2004, 271, 273 f.: 4 Jahre alte Stute (zu § 309 Nr. 8b BGB); S. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 50), § 474 BGB Rz. 16a; offen gelassen von BGH, NJW 2007, 674, 677 f.
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3. Beweislastregel des § 476 BGB Die Beweislastumkehr des § 476 BGB zugunsten des Verbrauchers hinsichtlich der Mängel, die sich binnen sechs Monaten nach Lieferung zeigen, greift auch beim Tierkauf102. Sie ist hier nicht schon wegen der Art des Kaufgegenstands ausgeschlossen. Zwar handelt es sich bei Tieren um Lebewesen, die naturgemäß einem stetigen Wandel ihrer körperlichen Konstitution unterliegen. Dieser Umstand allein rechtfertigt jedoch kein Abweichen von der Grundregel des § 476 BGB. Auch der gewerblich tätige Verkäufer eines Tieres hat typischerweise bessere Erkenntnismöglichkeiten und kann den Zustand des Kaufobjekts im Zeitpunkt des Gefahrübergangs zuverlässiger beurteilen als sein Vertragspartner, der beim Kauf nicht in Ausführung einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Ausnahmen von der Vermutung zu Lasten des Unternehmers kommen jedoch aufgrund der Art des konkreten Mangels in Betracht. Dazu genügt es nach Auffassung des BGH nicht, dass der Mangel jederzeit auftreten und deshalb der Entstehungszeitpunkt nicht zuverlässig festgestellt werden kann103. Denn das wäre mit dem Regel-AusnahmeVerhältnis des § 476 BGB nicht zu vereinbaren und würde den mit der Regelung intendierten Verbraucherschutz weitgehend aushöhlen. Inkonsequent ist es aber, wenn der BGH104 unter Berufung auf die Materialien105 – allerdings nur obiter dicta – ausführt, dass die Vermutung bei einem erkrankten Tier schon bei einer nicht aufklärbaren Ungewissheit über den Zeitpunkt der Infektion ausgeschlossen sein soll. Er setzt sich damit in Gegensatz zu seinem zum Kauf von Sachen entwickelten Standpunkt106. Die unbestreitbaren Schwierigkeiten, den Entstehungszeitpunkt von Tierkrankheiten retrospektiv zu bestimmen, dürfen nicht zu Lasten des privaten Käufers gehen. Vor den negativen Folgen einer solchen Unaufklärbarkeit soll § 476 BGB ihn gerade schützen, so dass es völlig verfehlt wäre, den Anwendungsbereich der Beweislastumkehr gerade beim Tierkauf derartig einzuschränken. An dem in der Vorschrift angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis gilt es auch hier festzuhalten. Nach (umstrittener) Rechtsprechung des BGH enthält § 476 BGB allerdings keine Vermutung dahin, dass ein unstreitig erst nach Gefahrübergang aufgetre-
__________ 102 BGH, NJW 2006, 2250, 2251 f.; BGH, NJW 2007, 2619, 2620; Augenhofer, ZGS 2004, 385, 386 f.; Brinkmann, AUR 2005, 181, 188; Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 73; H. P. Westermann, ZGS 2005, 342, 347 f.; E. von Westphalen, ZGS 2005, 101 ff.; a. A. LG Verden, RdL 2005, 176; AG Helmstedt, RdL 2005, 65; AG Worbis, RdL 2005, 146; tendenziell auch OLG Oldenburg (8. Senat), RdL 2005, 65; OLG Oldenburg (14. Senat), RdL 2005, 65; LG Lüneburg, RdL 2005, 66; Benmann, RdL 2005, 57, 60 f.; Adolphsen in AnwKomm.BGB (Fn. 3), Anh. zu §§ 433–480 BGB – Tierkauf – Rz. 30. 103 BGH, NJW 2005, 3490, 3492; BGH, NJW 2006, 1195, 1196; BGH, NJW 2006, 2250, 2252; zustimmend etwa Maultzsch, NJW 2006, 3092, 3093; Witt, NJW 2005, 3468, 3469. 104 BGH, NJW 2006, 2250, 2253. 105 Begr. zu § 476 BGB RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 245. 106 Zu Recht kritisch Faust, LMK 2006, 185484. In BGH, NJW 2007, 2619 (Pilzerkrankung einer Katze) geht der BGH nunmehr ohne Begründung von der Anwendbarkeit des § 476 BGB bei unaufklärbarer Ungewissheit über den Infektionszeitpunkt aus.
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tener konkreter Mangel auf einem bereits bei Gefahrübergang vorhandenen „Grundmangel“ basiert107. Mit dieser Begründung hat er etwa dem Käufer eines Kfz, bei dem nach Lieferung ein Motorschaden eintrat, die Beweislast dafür auferlegt, dass der Schaden auf einem Materialfehler und nicht auf einer unsachgemäßen Bedienung des Fahrzeugs beruhte108. In der hier interessierenden Konstellation steht die Ursache des Mangels jedoch fest. Der Ausbruch der Erkrankung geht auf eine vorhergehende Ansteckung mit einem bestimmten Erreger zurück. Unklarheit besteht lediglich im Hinblick auf die Frage, ob die Abweichung von der Sollbeschaffenheit bereits bei Gefahrübergang vorlag. Ist offen, wann sich das Tier infiziert hat, so streitet zugunsten des Verbrauchers die Vermutung, dass die Ansteckung bereits vor der Übergabe erfolgte. Der gewerbliche Verkäufer wird nur entlastet, wenn ein Erfahrungssatz von hoher Wahrscheinlichkeit für die nachträgliche Mangelentstehung gegeben ist109. Die Vermutung des § 476 BGB kommt daher nicht zur Anwendung, wenn der Zeitraum zwischen Gefahrübergang und dem Ausbruch der Krankheit kürzer ist als die normale Inkubationszeit110. Gleiches gilt, wenn die Seuche bei anderen Tieren in der Herde des Käufers schon deutlich früher auftrat als bei dem gekauften Tier, da dann die Annahme nahe liegt, dass die Ansteckung erst nach der Übergabe erfolgte. Beweisbelastet ist der Käufer auch bei Verhaltensauffälligkeiten, die typischerweise durch eine Veränderung der Lebenssituation, insbesondere einen Stallwechsel, das Absetzen vom Muttertier oder den Trainingsbeginn, hervorgerufen werden111. Ausgeschlossen ist die Vermutungswirkung ferner, wenn es sich um einen offensichtlichen, auch für den fachlich nicht versierten Käufer unproblematisch feststellbaren Fehler handelt (z. B. äußere Verletzungen des Tieres), weil dann zu erwarten ist, dass der Käufer den Mangel schon bei der Übergabe moniert112. Anders liegt es bei einer saisonal sichtbaren Allergie, etwa dem Sommerekzem eines Pferdes, sofern die Erkrankung im Zeitpunkt der Liefe-
__________ 107 BGH, BGHZ 159, 215, 218; BGH, NJW 2005, 3490, 3492; BGH, NJW 2006, 434, 435 f.; ablehnend insbesondere S. Lorenz, NJW 2004, 3020 ff.; Faust in Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 42), § 476 BGB Rz. 8 ff. 108 BGH, BGHZ 159, 215, 218 ff. 109 Gsell, JuS 2006, 967, 969 f.; Faust in Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 42), § 476 BGB Rz. 16. 110 OLG Hamm, ZGS 2004, 156, 159; LG Essen, NJW 2004, 527; Augenhofer, ZGS 2004, 385, 387; Eckert/Maifeld/Matthiessen (Fn. 59), Rz. 59; Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 74; Maultzsch, NJW 2006, 3092, 3096; Neumann (Fn. 19), S. 195 ff.; H. P. Westermann, ZGS 2005, 342, 347; Putzo in Palandt (Fn. 11), § 476 BGB Rz. 11; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 45), § 474 BGB Rz. 33. 111 OLG Celle, RdL 2006, 209; OLG Oldenburg (8. Senat), RdL 2005, 65 zur mangelnden Rittigkeit; OLG Oldenburg (14. Senat), RdL 2005, 65; LG Aurich, ZGS 2005, 40 zum Weben eines Pferdes. 112 Vgl. BGH, NJW 2005, 3490, 3492; BGH, NJW 2006, 1195, 1196 (jeweils KfZ); allgemein Grunewald (Fn. 42), § 9 Rz. 74; Haas, BB 2001, 1313, 1319; Witt, NJW 2005, 3468, 3469; Büdenbender in AnwKomm.BGB (Fn. 3), § 476 BGB Rz. 16; MatuscheBeckmann in Staudinger (Fn. 45), § 474 BGB Rz. 34 f.
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rung aufgrund des saisonbedingt fehlenden Kontakts mit dem Reizstoff gar nicht sichtbar sein konnte113.
V. Resümee Als Ergebnis dieser Untersuchung lässt sich resümieren, dass das neue Kaufrecht flexibel genug ist, um den Besonderheiten des Tierkaufs gerecht zu werden. Die Entscheidung des Gesetzgebers, auf ein Sonderregime zu verzichten, hat sich somit als richtig erwiesen. Auch wenn noch nicht alle Fragen geklärt sind und ungeachtet der Kritik im Detail: Die Rechtsprechung ist sechs Jahre nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform auf einem guten Weg, die Schwierigkeiten bei der Anwendung der neugefassten §§ 433 ff. BGB auf den Kauf von den Tieren, auf die der Jubilar als einer der ersten hingewiesen hat114, angemessen zu bewältigen.
__________ 113 BGH, NJW 2006, 2250, 2253. 114 H. P. Westermann, NJW 2002, 241, 252.
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Zur Erbfähigkeit der Personengesellschaften Inhaltsübersicht Einleitung I. Die herrschende Meinung zur Erbfähigkeit der Personengesellschaften II. Die bisherigen Einwände gegen die Erbfähigkeit von OHG und KG III. Entkräftung der bisherigen Einwände 1. Verwaltungsvollstreckung 2. Pflichtteilsrecht der Gesellschafter 3. Ausgleichungspflicht 4. Erbunwürdigkeit 5. Erbfähigkeit natürlicher Personen 6. Vorkaufsrecht der Miterben 7. Gesellschafterhaftung und Erbenhaftung (Teil 1) 8. Zwischenergebnis
IV. Neue Einwände gegen die Erbfähigkeit der Personengesellschaften 1. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft 2. Gesellschafterhaftung und Erbenhaftung (Teil 2) 3. Anfall der Erbschaft und Rechtserwerb der Gesellschaft 4. Ergebnis Exkurs 1: Nichtrechtsfähige Vereine Exkurs 2: Vermächtnisfähigkeit V. Zur Testamentsgestaltung VI. Thesen
Einleitung Dass eine offene Handelsgesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft als Erbin eingesetzt werden könne, ist eine Annahme, die heute von fast allen Autoren geteilt wird. Soweit ersichtlich, widerspricht ihr nur noch Flume1. Zivilrechtliche Judikatur, die sich im Sinn der herrschenden Ansicht geäußert hätte, ist allerdings nicht veröffentlicht2, und eine Auseinandersetzung mit Flumes Einwänden gegen die Erbfähigkeit der Personenhandelsgesellschaften hat weder in der gesellschaftsrechtlichen noch in der erbrechtlichen Literatur stattgefunden3. Nachdem der Bundesgerichtshof nun die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wenn sie als Einheit am Rechtsverkehr teilnimmt, anerkannt hat4, scheint auch deren Erbfähigkeit bejaht werden zu müssen. Als erster hat Ulmer sich in diese Richtung geäußert und dabei Flumes Bedenken für überwindbar erklärt5. Eingehender mit diesen Bedenken
__________ 1 Flume, Gesellschaft und Gesamthand, ZHR 136 (1972), 177, 193; ders., Die Personengesellschaft, 1977, § 7 III 6 S. 107 f. 2 Zur Rechtsprechung des BFH s. unten bei Fn. 15–19 und 72 f. 3 Das gilt auch für meine eher ausweichenden Bemerkungen in Staudinger, Bearb. 2000, § 1923 BGB Rz. 31. 4 BGHZ 146, 341 und seitdem in ständiger Rechtsprechung. 5 Ulmer, Die höchstrichterlich „enträtselte“ Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZIP 2001, 585, 596.
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befasst haben sich indessen nur Scherer und Feick6. Sie verstehen ihre Stellungnahme als Anregung einer Diskussion. Sie soll hier aufgegriffen werden. Dies gerade in der Festschrift für Harm Peter Westermann tun zu können, gibt mir die willkommene Gelegenheit, an Jahre einer äußerst erfreulichen Zusammenarbeit in der Bielefelder Fakultät für Rechtswissenschaft zu erinnern, die mit einer gemeinsamen familien- und erbrechtlichen Vorlesung im Wintersemester 1970/71 begann. Der Jubilar, schon damals ausgewiesener Gesellschaftsrechtler, braucht nun nicht zu befürchten, dass ein Erbrechtler es (erfolglos, versteht sich) versucht, das Rad der Entwicklung des Gesellschaftsrechts zurückzudrehen. Der Denkanstoß Flumes weist in eine andere Richtung: Seine Argumente sind dem Erbrecht entnommen. Sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie gegebenenfalls weiterzudenken müsste daher zunächst eine Aufgabe für Erbrechtler sein, die nur hoffen können, dass die Gesellschaftsrechtswissenschaft sich ihren Ergebnissen nicht verschließt.
I. Die herrschende Meinung zur Erbfähigkeit der Personengesellschaften Staub, wohl der erste Vertreter der heute ganz herrschenden Ansicht, formulierte im Jahre 1900 noch vorsichtig: „Die testamenti factio passiva wird ihr (der OHG) nicht abgesprochen werden können“7. Von dieser Zurückhaltung ist heute nichts mehr zu spüren. Einmütig wird jetzt in den HGB-Kommentaren die Erbfähigkeit der OHG einfach behauptet, als ob sie sich von selbst verstünde8. Anstelle einer Begründung findet man höchstens wechselseitige Verweisungen oder die Erwähnung des BFH-Urteils9 vom 7.12.198810. Dass Flume eine andere Ansicht vertritt, wurde früher von einigen Kommentatoren erwähnt, aber nur unter Hinweis auf seinen ZHR-Aufsatz11, nie unter Hinweis auf die viel inhaltsreicheren Bemerkungen im Lehrbuch12 und stets ohne inhaltliche Befassung mit seinen Argumenten. Heute findet sich der Hinweis auf Flume nur noch bei Stuhlfelner13. Im Baumbach/Duden/Hopt fehlt er seit der 27. Auflage14. Man könnte von Meinungsbildung durch Verschweigen sprechen.
__________ 6 Scherer/Feick, Die GbR als Erbin – Thesen und Gestaltungsmöglichkeiten, ZEV 2003, 341. 7 Staub, Komm. zum Handelsgesetzbuch, 6./7. Aufl. 1900, § 124 HGB Anm. 2. 8 Stellvertretend für die übrigen K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 124 HGB Rz. 5. 9 Bei Hopt in Baumbach/Hopt, 32. Aufl. 2006, § 124 HGB Rz. 37 ist der BFH zum BGH geworden. 10 BFH, NJW 1989, 2495. 11 ZHR 136 (1972), 193. 12 Personengesellschaft (Fn. 1), S. 107 f. 13 Stuhlfelner in HK-HGB, 7. Aufl. 2007, § 124 HGB Rz. 1. 14 Vgl. Baumbach/Duden/Hopt, 26. Aufl. 1985 und 27. Aufl. 1987, jew. § 124 HGB Anm. 4 D.
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Zur Erbfähigkeit der Personengesellschaften
Das Urteil des BFH, das der herrschenden Ansicht als Bestätigung dient, enthält keine privatrechtlich tragfähige Begründung. Die Entscheidung15 versteht sich vielmehr ausdrücklich als Klärung des steuerrechtlichen Begriffs des Erwerbers im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 ErbStG und zitiert auch nur steuerrechtliche Judikatur und Literatur. Zwar glaubte sie auch, zivil- und handelsrechtlich richtig zu liegen, wenn sie aufgrund der §§ 124, 161 Abs. 2 HGB und des § 719 BGB allen Personengesellschaften die Fähigkeit zum Erwerb von Todes wegen zuerkannte, hielt aber eine Widerlegung oder wenigstens Erwähnung der damals im Zivilrecht noch ganz herrschenden gegenteiligen Ansicht zur Erbfähigkeit der GbR nicht für nötig16. Der Kotau der HGB-Kommentatoren vor dieser Entscheidung erscheint nicht ohne Pikanterie, wenn man den Sachverhalt betrachtet, zu dem sie erging: Der Erblasser hatte seinen Kindern nur Vermächtnisse zugewandt und eine GmbH & Co. KG, an der die Kinder beteiligt waren, als Erbin eingesetzt. Der Erwerb der Kinder wäre nach den Sätzen der Steuerklasse I zu versteuern gewesen. Das Finanzamt setzte jedoch gegen die KG die Steuer nach der ungünstigsten Steuerklasse (damals Steuerklasse IV) fest und bekam damit Recht, weil der BFH von dem früher vom RFH und von ihm selbst vertretenen Standpunkt, nicht die Gesellschaft, sondern die Gesellschafter seien steuerrechtlich die Erwerber17, abrückte. Was motiviert Gesellschaftsrechtler, sich an dieser Rechtsprechung zu orientieren, anstatt die hier wohl schlechte Rechtsberatung des Erblassers18 oder die Unbeständigkeit der Judikatur (oder beides) zu beklagen? Übrigens hat der BFH schon wenige Jahre später eine erneute Kehrtwendung gemacht, als er im Urteil vom 14.9.1994 in wiederum rein steuerrechtlicher Betrachtung die Gesellschafter einer Personengesellschaft für schenkungsteuer- oder erbschaftsteuerpflichtig erklärte, auch wenn zivilrechtlich, was das Gericht ausdrücklich dahingestellt sein ließ, die Gesellschaft als Beschenkte oder Erbin anzusehen sei19. Von dieser Entscheidung hat keiner der Kommentatoren des § 124 HGB Notiz genommen. Kaum anders als zu § 124 HGB lesen sich, soweit es um OHG und KG geht, die Kommentare zu § 1923 BGB. Immerhin verweist man hier auf Flumes Ausführungen im Lehrbuch, geht aber nicht auf sie ein20. Während vor dem Urteil des BGH zur Rechtsfähigkeit der GbR („Weißes Ross“) deren Erbfähigkeit ganz überwiegend verneint wurde21, ist jetzt begreif-
__________ 15 16 17 18
NJW 1989, 2495. NJW 1989, 2495 unter b). Nachweise bei Meincke, ErbStG, 14. Aufl. 2004, § 20 ErbStG Rz. 4. Flume, Personengesellschaft (Fn. 1), S. 108, hatte auf die Möglichkeit ungünstiger steuerlicher Folgen der Erbeinsetzung einer Gesellschaft anstelle ihrer Gesellschafter hingewiesen! 19 BFH, JZ 1995, 1074 m. krit. Anm. Meincke. 20 Stein in Soergel, 13. Aufl. 2002, § 1923 BGB Rz. 8 Fn. 33; Leipold in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 1923 BGB Rz. 31 Fn. 29; ebenso Hadding in Soergel, 11. Aufl. 1985, § 718 BGB Rz. 5. 21 Zuletzt noch Stein in Soergel (Fn. 20), § 1923 BGB Rz. 8 a. E.; anders schon früher Fabricius, Die Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, S. 236; Derleder in AK-BGB, 1990, § 1923 BGB Rz. 1; H. P. Westermann in Erman, 9. Aufl. 1993, § 718 BGB Rz. 7.
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licherweise ein Meinungsumschwung festzustellen22. Sollten sich indessen Einwände von der Art, wie sie Flume gegen die Erbfähigkeit von OHG und KG erhoben hat, als begründet erwiesen, bliebe nur festzustellen, dass dieser Umschwung voreilig war.
II. Die bisherigen Einwände gegen die Erbfähigkeit von OHG und KG In der älteren gesellschaftsrechtlichen Literatur war die Erbfähigkeit der Personenhandelsgesellschaften ungeachtet ihrer in §§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB zweifelsfrei anerkannten Rechtsträgerschaft umstritten. Die ablehnenden Stimmen beriefen sich auf einen insoweit zwingenden Charakter des Erbrechts, das in § 1922 Abs. 1 BGB als Erben nur eine Person, den Alleinerben, kenne oder aber mehrere Personen, die als „Mehrheit von Erben“ (so die Überschrift vor §§ 2032 ff. BGB) eine Erbengemeinschaft bilden, und diese Regelung sei abschließend23. Dem hat sich Flume 1972 angeschlossen mit der These, dass die Erbfähigkeit der Gesellschaften nicht eine Frage der Konstruktion der Gesamthand, sondern des Erbrechts sei und die in §§ 2032 ff. BGB getroffene Regelung weder vom Recht der GbR noch vom HGB aufgehoben werde24. Behält man im Auge, dass die Verneinung der Erbfähigkeit allein auf einer erbrechtlichen Erwägung beruhte, dann kann man die inzwischen erfolgte Anerkennung der Rechtsträgerschaft der GbR nicht als hinreichenden Grund für die Anerkennung ihrer Erbfähigkeit ansehen, jedenfalls nicht vor Entkräftung der erbrechtlichen Einwände gegen die Erbfähigkeit der Personenhandelsgesellschaften. Worin aber soll die Unvereinbarkeit des Rechts der Erbengemeinschaft mit dem Recht der Personengesellschaften bestehen und woraus soll sich ergeben, dass die Mitglieder einer Personengesellschaft, würde sie denn Erbin, wie Miterben behandelt werden müssten? Flume hat 1977 auf diese Fragen eine Antwort gegeben, deren Inhalt und Tragfähigkeit im folgenden geprüft werden soll. Er meint, „insgesamt (sei) … die Regelung des Erbrechts nur auf einzelne Personen und nicht auf Personengruppen als Erben zugeschnitten“25 und – etwas weniger pauschal formuliert – „die Erbeinsetzung … einer … Personengesellschaft widerstreite[t] allen Regelungen, die auf den Erben … als Person abstellen“26. Als Beispiele führt er an27: „[1]28 Die Bindungen einer Verwal-
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22 Vgl. Habermeier in Staudinger, Bearb. 2003, Vorbem. 21 zu §§ 705 ff. u. § 718 BGB Rz. 11; Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 20), § 1923 BGB Rz. 31; Edenhofer in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 1923 BGB Rz. 7; Lange/Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts, 5. Aufl. 2001, § 4 Fn. 12a. 23 Geiler in Düringer/Hachenburg, HGB II, 1, 3. Aufl. 1932, Anm. 147; Schultzev. Lasaulx in Soergel, 10. Aufl. 1969, § 718 BGB Rz. 5; Kessler in Staudinger, 11. Aufl. 1958, § 718 BGB Rz. 6. 24 ZHR 136 (1972), 193 mit zutreffender Zurückweisung der Inanspruchnahme von Geiler in Düringer/Hachenburg (Fn. 23) für die Gegenmeinung in Fn. 68. 25 Personengesellschaft (Fn. 1), S. 108. 26 Personengesellschaft (Fn. 1), S. 107. 27 Personengesellschaft (Fn. 1), S. 107 f. 28 Nummerierung vom Verfasser.
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tungstestamentsvollstreckung kommen gegenüber einer OHG als Erben nicht in Frage. [2.] Wie soll es, wenn die Gesellschaft zum Erben eingesetzt ist, mit dem Pflichtteilsrecht eines Gesellschafters stehen, und [3.] was soll hinsichtlich der Ausgleichungspflicht nach § 2316 BGB gelten? [4.] Die Regelung betreffend die Erbunwürdigkeit ist mit der Erbeinsetzung einer Personengruppe nicht zu vereinbaren. [5.] Bedenklich wäre es auch, wenn die Kardinalbestimmung des Erbrechts, daß nur Erbe werden kann, wer zur Zeit des Erbfalls lebt, durch die Erbeinsetzung einer Personengesellschaft überspielt werden könnte. [6.] Im Fall der Erbeinsetzung einer Gesellschaft zum Miterben könnte über Änderungen in der Mitgliedschaft der Gesellschaft – insbesondere durch Auswechslung aller Mitglieder der Gesellschaft durch neue Gesellschafter – der Miterbenanteil der Gesellschaft auf ganz andere Personen übergehen, ohne daß das Vorkaufsrecht der Miterben ausgelöst würde. [7.] Das Haftungsrecht der Personengesellschaften schließlich, z. B. die Verjährungsregelung des § 159 HGB, stimmt mit der Regelung des Erbrechts nicht überein. Erst recht gilt dies von der Haftungsbeschränkung des Kommanditisten im Fall der KG.“ Bei der 1994 erschienenen 13. Bearbeitung des Staudinger erschienen mir diese Überlegungen bedenkenswert genug, um sie nicht zu übergehen, ohne dass ich mich aber zu einer abschließenden Stellungnahme entschließen konnte29. Die hat aus seiner Sicht einige Jahre später Ulmer aus Anlass der „Weißes Ross“Entscheidung des BGH getroffen. Hatte er sich in der 3. Auflage des Münchener Kommentars noch Flumes Ansicht angeschlossen30, meint er nun, zwar einräumen zu müssen, dass die „zu strukturellen Kollisionen führende Überlagerung von zwei jeweils unterschiedlichen Regeln folgenden Gesamthandsgemeinschaften … ohne Zweifel … schwierige Rechtsfragen“ aufwerfe, verspricht sich aber deren Lösung von einer „Synthese zwischen widerstreitenden Rechtsprinzipien nach Art praktischer Konkordanz“31. Worin diese Therapie genau bestehen könnte, bleibt jedoch ebenso offen wie die Frage, ob überhaupt der Diagnose zuzustimmen ist32. Nur Scherer und Feick33 haben sich bisher näher mit Flumes Einwänden gegen die Erbfähigkeit von OHG und KG befasst und sie in ihrem Plädoyer für die Erbfähigkeit der GbR zu entkräften versucht. Ihre Ausführungen werden in der folgenden Auseinandersetzung mit Flumes Position berücksichtigt.
__________ 29 S. oben Fn. 3. 30 Ulmer in MünchKomm.BGB, 3. Aufl. 1997, § 718 BGB Rz. 18; ebenso Groh in GedSchr Knobbe-Keuk, 1997, S. 433, 435 f. unter Hinzufügung des (inzwischen durch die Rechtsentwicklung, vgl. BGHZ 146, 341, aber auch § 191 UmwG, überholten) Arguments, dass die „Schrumpfung“ der Erbin gewordenen OHG in eine nach damaliger Ansicht nicht erbfähige GbR ein weiteres Problem darstelle; Flume folgend zuletzt noch Crezelius, ZEV 2006, 422. 31 ZIP 2001, 596. 32 Zweifelnd auch Habermeier in Staudinger (Fn. 22), § 718 BGB Rz. 11. 33 ZEV 2003, 341 ff.
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III. Entkräftung der bisherigen Einwände 1. Verwaltungsvollstreckung Der Sinn von Flumes Bemerkung, Verwaltungstestamentsvollstreckung komme gegenüber einer OHG als Erbin nicht in Frage, ist nicht recht klar. Es kann hier ja nicht darum gehen, ob Anteile an einer OHG unter Testamentsvollstreckung stehen können, denn diese (von der Rechtsprechung heute anders als zur Zeit des Erscheinens von Flumes Lehrbuch beurteilte) Fragestellung hätte mit der, ob eine OHG Erbin sein kann, nichts zu tun. Es kann nur darum gehen, ob einer OHG eine unter Testamentsvollstreckung stehende Erbschaft anfallen kann. Mitwirkungsrechte des Testamentsvollstreckers in der Gesellschaft würden daraus nicht folgen. Ihm stände lediglich das alleinige Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die zur Erbschaft gehörenden bzw. der OHG bei der Erbauseinandersetzung zugefallenen Gegenstände zu. Das Gesellschaftsrecht gebietet nicht, dass die Gesellschaft über alle Bestandteils des Gesellschaftsvermögens freie Verfügung haben muss. Sequestration und Zwangsverwaltung kommen auch für Gegenstände in einem Gesellschaftsvermögen in Betracht. Das Verhältnis zwischen der OHG und dem Testamentsvollstrecker wäre kein anderes als das zwischen einer natürlichen Person als Erbin und einem Testamentsvollstrecker über den Nachlass. Anders wäre nur die Begrenzung der Dauer der Vollstreckung zu bestimmen, denn bei einer natürlichen Person als Erbin ist gemäß § 2210 Satz 2 BGB eine mehr als dreißigjährige Dauer möglich, während bei einer OHG als Erbin, worauf Scherer und Feick mit Recht hinweisen34, in analoger Anwendung von §§ 2210 Satz 3, 2163 Abs. 2 BGB die Testamentsvollstreckung spätestens dreißig Jahre nach dem Erbfall enden müsste. 2. Pflichtteilsrecht der Gesellschafter Flumes Frage nach dem Pflichtteilsrecht der Gesellschafter einer als Erbin eingesetzten OHG kann in gleicher Weise gestellt werden, wenn der Erblasser eine Kapitalgesellschaft als Erbin einsetzt, zu deren Anteilseignern ein pflichtteilsberechtigter Angehöriger zählt. Die Antwort kann in dem einen wie dem anderen Fall nur lauten, dass der Pflichtteilsanspruch nicht deswegen entfällt, weil der Pflichtteilsberechtigte Mitglied der zur Erbin eingesetzten Gesellschaft ist35. Die Begründung dafür folgt nicht nur aus der generellen Erwägung, dass jedes „Austricksen“ des Pflichtteilsrechts dem Sinn der §§ 2303 ff. BGB zuwider ist, sondern ganz konkret daraus, dass Zuwendungen in ein vom Vermögen des Pflichtteilsberechtigten getrenntes Vermögen keine Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten sind, auch wenn er zum Zuwendungsempfänger in einem Rechtsverhältnis steht, das eine Teilhabe an dem durch die Zuwendung vermehrten Vermögen vermittelt. (Ein Pflichtteilsanspruch entfällt ja auch nicht deswegen, weil der Erblasser den bis dahin mittellosen Schuldner
__________ 34 ZEV 2003, 342 f. 35 Ebenso Scherer/Feick, ZEV 2003, 343.
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des Pflichtteilsberechtigten bedacht hat.) Das ist nicht bloß „formaljuristisch“36, sondern auch materiell richtig, weil der Pflichtteilsanspruch vom BGB als Anspruch auf einen frei verfügbaren Geldbetrag konzipiert ist37, so dass die Beteiligung an Werten im Vermögen einer anderen Person nicht als seine Erfüllung angesehen werden kann. Ein Rechtsproblem entsteht daraus indessen nicht, denn für Erblasser, die einem pflichtteilsberechtigten Angehörigen nur die indirekte Nachlassteilhabe in Gestalt der Werterhöhung einer Gesellschaftsbeteiligung gönnen, ist es ein Leichtes, sich darüber zu informieren, dass das Pflichtteilsrecht dies nur über den Weg des Pflichtteilsverzichts ermöglichen würde. 3. Ausgleichungspflicht Flumes Hinweis auf die Ausgleichungspflicht im Rahmen des Pflichtteilsrechts (§ 2316 BGB) kann auf die Ausgleichung unter Miterben (§§ 2050 ff. BGB) als sedes materiae erstreckt werden. Hier wie dort ist freilich nicht klar, welche Problematik für die Ausgleichung mit der Erbeinsetzung einer Gesellschaft verbunden sein soll. Ausgleichung gibt es nur unter Abkömmlingen des Erblassers, also nicht im Verhältnis zwischen einer als Erbin eingesetzten Gesellschaft und ihren Miterben oder etwaigen Pflichtteilsberechtigten. Die Erbeinsetzung einer Gesellschaft kann also die Anwendungssituation der §§ 2050 ff., 2316 BGB nicht herbeiführen. Flume mag an den Fall gedacht haben, dass der Erblasser einer Gesellschaft, an der einer seiner Abkömmlinge beteiligt ist, eine Zuwendung gemacht hat, bezüglich derer nun gefragt wird, ob der Abkömmling sie zur Ausgleichung bringen muss. Dabei kann es sich aber nur um eine lebzeitige Zuwendung an die Gesellschaft handeln, so dass sich die Frage nach der Erbfähigkeit der Gesellschaft nicht stellt. (Im Übrigen dürfte es ausgeschlossen sein, Zuwendungen an eine Gesellschaft als „Ausstattung“ im Sinn der §§ 2050 Abs. 1, 1624 BGB anzusehen oder anzuordnen, dass ein anderer als der Zuwendungsempfänger nach § 2050 Abs. 3 BGB ausgleichungspflichtig sein soll.) 4. Erbunwürdigkeit Erbunwürdigkeit setzt unstreitig die höchstpersönliche Verwirklichung eines Unwürdigkeitsgrundes (§ 2339 BGB) durch den Erben voraus. Einen „Durchgriff“ auf die Verwirklichung eines dieser Gründe durch einen gesetzlichen Vertreter des Erben oder, wenn eine Personenvereinigung Erbin ist, ein Mitglied der Vereinigung sieht das BGB nicht vor. Fälscht oder unterdrückt der Vorstand einer als Erbin eingesetzten Stiftung das Testament, begründet das nicht die Erbunwürdigkeit der Stiftung. Hält man Personengesellschaften für
__________ 36 So aber Scherer/Feick, ZEV 2003, 343. 37 Weswegen er ja nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen suspekt war und im Erbhofrecht abgeschafft wurde; s. hierzu meinen Aufsatz „Nationalsozialismus und Pflichtteilsrecht“ in FS Horn, 2006, S. 113.
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erbfähig, muss für die Tatbestandsverwirklichung eines der Unwürdigkeitsgründe durch ein Mitglied der Gesellschaft dasselbe gelten. Scherer und Feick sehen hier ein Rechtsproblem, dessen Lösung notfalls erfordere, „die unterschiedlichen Rechtsgrundsätze des Erb- und Gesellschaftsrechts aufeinander abzustimmen“38. Das entspricht der von Ulmer39 generell verlangten Herstellung „praktischer Konkordanz“ von Erb- und Gesellschaftsrecht zwecks Beseitigung von Problemen, die aus der Erbeinsetzung von Gesellschaften entstehen könnten. Aber auch in diesem konkreten Fall ist nicht erkennbar, welche Schritte hier möglich oder geboten wären. Das kann aber auf sich beruhen, denn in Wirklichkeit besteht gar kein Rechtsproblem, weil das Erbrecht mit der Testamentsanfechtung wegen Motivirrtums oder Drohung (§ 2078 Abs. 2 BGB) ein geeignetes Instrument bereithält, um eine dem Erblasserwillen nicht entsprechende Erbfolge der als Erbin eingesetzten juristischen Person oder Gesellschaft zu beseitigen. Die Bestimmungen über die Erbunwürdigkeit sind ja als Ergänzung der Bestimmungen über die Testamentsanfechtung zu verstehen und haben ihre Bedeutung in erster Linie bei gesetzlicher Erbfolge und im Pflichtteilsrecht40. Sie sind keine abschließende Regelung der Rechtsfolgen von Vergehen gegen den Erblasser oder seinen letzten Willen und schließen daher die Testamentsanfechtung in Fällen, in denen nicht der Erbe, wohl aber eine mit ihm in Verbindung stehende Person den Tatbestand eines Erbunwürdigkeitsgrundes verwirklicht hat, keineswegs aus. 5. Erbfähigkeit natürlicher Personen Flume befürchtet, durch Erbeinsetzung von Personengesellschaften könne die Vorschrift des § 1923 Abs. 1 BGB, die er als „Kardinalbestimmung des Erbrechts“ bezeichnet, „überspielt werden“. Ist eine solche Erbeinsetzung möglich, können in der Tat Personen, die zur Zeit des Erbfalls noch nicht leben, durch späteren Eintritt in die Gesellschaft am Nachlass partizipieren, ohne dass die Vorschriften über die Nacherbfolge zur Anwendung kämen. Ebenso könnten dann Personen, die an die Stelle von zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Gesellschaftern getreten sind, am Nachlass partizipieren, ohne dass sie als Ersatzerben eingesetzt wären. Was an diesen Konsequenzen einer Erbfähigkeit der Gesellschaft bedenklich sein soll, hat Flume aber nicht einmal andeutungsweise gesagt. Die gleichen Konsequenzen treten bei der unzweifelhaft zulässigen Erbeinsetzung von Kapitalgesellschaften ein und können daher keinen Einwand gegen die Erbfähigkeit von Personengesellschaften begründen. Entscheidend ist, dass die über die Mitgliedschaft in der Gesellschaft vermittelte Nachlassbeteiligung keine Erbenstellung ist.
__________ 38 ZEV 2003, 344. 39 ZIP 2001, 596. 40 Olshausen in Staudinger, Bearb. 2004, § 2339 BGB Rz. 4 u. 6.
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6. Vorkaufsrecht der Miterben Das den Miterben gemäß § 2034 BGB zustehende Vorkaufsrecht wird, wie Flume zutreffend feststellt, nicht ausgelöst, wenn in einer zur Erbfolge gelangten Gesellschaft ein Mitgliederwechsel eintritt. § 2034 BGB würde jedoch überinterpretiert, wenn aus ihm ein genereller Schutz der Miterben vor Veränderungen im Kreis der Personen herausgelesen würde, mit denen sie bei der Verwaltung des Nachlasses oder der Verfügung über Nachlassgegenstände zusammenwirken müssen. Das Vorkaufsrecht setzt eine entgeltliche Erbteilsveräußerung voraus. Bei unentgeltlichen Übertragungen gibt es kein Vorkaufsrecht, ebensowenig bei Erbteilspfändungen und bei der Vererbung von Erbteilen. Letzteres ist ein Vorgang, der dem Mitgliederwechsel in einer zur Erbfolge gelangten Gesellschaft am nächsten käme. Scherer und Feick weisen auch mit Recht darauf hin, dass bei Veräußerung des Erbteils eines Erbeserben den Miterben nach dem ersten Erbfall kein Vorkaufsrecht zusteht41. Von „ungeklärter Tragweite des Vorkaufsrechts der Miterben im Falle eines Gesellschafterwechsels“ zu sprechen42, besteht daher kein Anlass43, 44. 7. Gesellschafterhaftung und Erbenhaftung (Teil 1) Flume erinnert schließlich an die Besonderheiten der Gesellschafterhaftung bei der Verjährung (§ 159 HGB) und beim Kommanditisten (§§ 171 ff. BGB). Die Haftung einer zur Erbfolge gelangten Gesellschaft selbst würde sich jedoch in nichts von der Haftung einer natürlichen Person für die Nachlassverbindlichkeiten unterscheiden. Ob auch die Mitglieder dieser Gesellschaft für die Nachlassverbindlichkeiten haften, ist, wie das Beispiel der Kapitalgesellschaften zeigt, erbrechtlich belanglos. Daher kann es aus der Sicht des Erbrechts auch nicht problematisch sein, wenn für eine insoweit bestehende Gesellschafterhaftung Vergünstigungen gelten, die der Erbenhaftung fremd sind. Aus erbrechtlicher Sicht problematisch muss es dagegen sein, wenn die aus der Gesellschafterhaftung resultierende Haftung für Nachlassverbindlichkeiten strenger ist als die Erbenhaftung. Erstaunlicherweise hat Flume darauf nicht hingewiesen. Das ist nachzuholen45. 8. Zwischenergebnis Die Einwände Flumes gegen die Erbfähigkeit der Personenhandelsgesellschaften erweisen sich bei näherer Betrachtung durchweg als unbegründet. Sie
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41 ZEV 2003, 344; BGH, NJW 1975, 445 f. 42 Ulmer, ZIP 2001, 396; Scherer/Feick, ZEV 2003, 344.1. 43 Anders nur, wenn man dem verbreiteten Rechtsprechungspositivismus anhängt und, anstatt eigenem Nachdenken über Gesetze zu trauen, alles für zweifelhaft hält, wozu es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt. 44 Auf die von Scherer/Feick, ZEV 2003, 344 erörterte Möglichkeit, dass das Vermögen der Gesellschaft ausschließlich aus dem Nachlass besteht (der Erblasser hätte dann eine vermögenslose Gesellschaft als Erbin eingesetzt), gehe ich nicht ein, weil der Fall unrealistisch ist. 45 S. unten bei IV.2.
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stehen daher auch der Anerkennung der Erbfähigkeit der GbR nicht im Weg. Ehe man mit dieser Feststellung das Thema für erledigt erklärt, sollte man aber doch einen Moment einhalten und sich bewusst machen, dass den Einwänden auf den ersten Blick die Plausibilität keineswegs abzusprechen war. Erbrecht und Gesellschaftsrecht unterliegen verschiedenen Regelungen, und wo beide Gebiete aufeinander treffen, muss es zwar nicht, kann es aber Probleme geben. Von dem Gespür dafür hat Flume sich leiten lassen, und es wird sich zeigen, dass sein Gespür nicht trügerisch war. Er hätte nur noch weiter in das Erbrecht vordringen müssen, um stärkere Einwände zu finden.
IV. Neue Einwände gegen die Erbfähigkeit der Personengesellschaften 1. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft Die gesetzliche Vertretung der Personengesellschaften ist vom Gesetz entweder als Einzelvertretung (125 Abs. 1 HGB) oder als Gesamtvertretung (§§ 714, 709 Abs. 1 BGB) konzipiert. Bei Uneinigkeit der Gesellschafter über den Erbschaftserwerb führt das zu Komplikationen: Im Fall der Gesamtvertretung kommt es weder zur Annahme der Erbschaft noch zu einer wirksamen Ausschlagungserklärung und daher zwangläufig zur Versäumung der Ausschlagungsfrist und somit zum endgültigen Erwerb der Erbschaft (§ 1943 Hs. 2 BGB), obwohl er nicht gewollt ist46. Bei Einzelvertretung kommt es darauf an, welcher Gesellschafter schneller ist, der annahmewillige oder der ausschlagungswillige (§ 1943 Hs. 1 BGB). Denkbar ist aber auch, dass zeitgleich der eine beim Nachlassgericht die Ausschlagung erklärt und der andere Handlungen vornimmt, die den Annahmewillen ausdrücken. In einer derart perplexen Situation müsste wiederum endgültiger Erbschaftserwerb wegen Versäumung der Ausschlagungsfrist eintreten. Diese Komplikationen sollten freilich nicht überbewertet werden, denn erstens können sie nicht nur bei Personengesellschaften eintreten, sondern bei allen Rechtsträgern, die durch mehrere Personen vertreten werden47, und zweitens kann die Uneinigkeit der vertretungsberechtigten Personen bei allen Rechtsgeschäften, die Gestaltungswirkung haben und unwiderruflich sind, zu ähnlichen Schwierigkeiten führen, ohne dass deshalb an der Einzelvertretung oder der Gesamtvertretung gerüttelt werden müsste. Allerdings spitzt sich die Situation beim Erbschaftserwerb durch Personengesellschaften doch etwas zu, denn einerseits hat hier das Nichtzustandekommen einer Willenserklärung oder der Widerspruch zwischen gleichzeitigen Erklärungen vertretungsberechtigter Gesellschafter von Gesetzes wegen Gestaltungswirkung, da die vorläufige Erbenstellung durch Fristversäumung zur endgültigen wird, und andererseits ist es hier, anders als beim Verein, bei der Stiftung und bei der GmbH, die
__________ 46 Mit Anfechtung der Fristversäumung (§ 1956 BGB) ist nicht zu helfen, weil keiner der Anfechtungsgründe der §§ 119, 123 BGB vorliegt. 47 Und auch bei natürlichen Personen, wenn deren Vertreter etwas anderes will als sie selbst.
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nur dann mehrere gesetzliche Vertreter haben, wenn die Satzung es vorsieht48, so, dass die gesetzlichen Vertretungsregelungen die Möglichkeit von Komplikationen erzeugen. Indessen sind diese Regelungen dispositiv, und man darf sich wohl mit der Erwägung beruhigen, dass es nicht unbedingt Aufgabe der Gesetzesanwendung ist, eine Gesellschaft vor Folgen zu bewahren, die sie durch zweckmäßige Satzungsbestimmungen hätte abwenden können. 2. Gesellschafterhaftung und Erbenhaftung (Teil 2) Die Mitglieder einer Personengesellschaft haften, wenn sie nicht Kommanditisten sind oder die Beschränkung ihrer Haftung mit dem Gläubiger vereinbart ist, für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft mit ihrem eigenen Vermögen. (§ 128 HBG in direkter oder – bei der rechtsfähigen GbR – analoger Anwendung). Bei Nachlassverbindlichkeiten ist für die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung meist kein Raum, weil den Erben die Haftung nicht kraft Vertrags, sondern kraft Gesetzes trifft (§ 1967 BGB). Ist eine Gesellschaft Erbin, liefe das auf unbeschränkte Haftung ihrer Gesellschafter, soweit sie nicht Kommanditisten sind, für Nachlassverbindlichkeiten hinaus. Wären die Gesellschafter Erben, würden sie zwar ebenfalls unbeschränkt haften, könnten jedoch die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass herbeiführen49. Diese Möglichkeit hätten sie bei der Gesellschafterhaftung nicht. Allerdings können sie, wenn sie persönlich in Anspruch genommen werden, die der Gesellschaft zustehenden Einwendungen geltend machen (§ 129 Abs. 1 HGB). Die bloße Möglichkeit einer Erbin gewordenen Gesellschaft, die Haftungsbeschränkung herbeizuführen, gewährt ihr aber noch keine Einwendung gegenüber den Nachlassgläubigern und kann daher auch ihren Gesellschaftern nicht nützen. Erst wenn Nachlassverwaltung angeordnet oder das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet ist (§ 1975 BGB) oder Nachlassgläubiger im Aufgebotsverfahren ausgeschlossen sind (§ 1973 BGB), kann sich die Gesellschaft und können sich demzufolge auch die Gesellschafter auf die Haftungsbeschränkung berufen. Lediglich die Verschweigungseinrede (§ 1974 BGB) und die Dürftigkeitseinrede (§ 1990 BGB) stehen der Gesellschaft als Erbin und daher auch ihren Gesellschaftern ohne vorherige Einleitung eines Verfahrens zu. Alle Einreden verlangen jedoch, solange der Erbe noch Nachlasswerte im Besitz hat, deren Herausgabe an den Gläubiger, der seinen Anspruch geltend macht (§§ 1973 Abs. 2 Satz 1, 1974 Abs. 1 Satz 1, 1989, 1990 Abs. 1 Satz 2 BGB), und dazu wären die Gesellschafter als solche, wenn die Gesellschaft Erbin ist, nicht in der Lage. Die Einreden der Miterben aus §§ 2059 f. BGB schließlich, die den Gesellschaftern zuständen, wenn sie Erben wären, kommen für die Gesellschaft und folg-
__________ 48 Teilweise anders bei der Aktiengesellschaft, nämlich in den Fällen von § 76 Abs. 2 Satz 2 u. 3 AktG. Die Vertretung des Kindes durch beide Eltern (§ 1629 Abs. 1 BGB) kann nicht als weitere Parallele herangezogen werden, weil die Situation wegen der familiengerichtlichen Kontrolle der Erbschaftsausschlagung (§ 1643 Abs. 2 BGB) eine ganz andere ist. 49 Durch Nachlassverwaltung allerdings nur, wenn alle Miterben sie beantragen (§ 2062 BGB).
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lich auch für die Gesellschafter nicht in Betracht, wenn die Gesellschaft Alleinerbin ist. Die persönliche Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die Nachlassverbindlichkeiten sind, könnte also dazu führen, dass Gesellschafter, wenn die Gesellschaft nicht die Beschränkung der Erbenhaftung herbeiführt oder wenn sie die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch Versäumung der Inventarfrist (§ 1994 BGB) oder Inventaruntreue (§ 2005 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder dadurch verliert, dass sie im Prozess nicht den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung (§ 780 ZPO) beantragt50, unbeschränkt für Nachlassverbindlichkeiten einstehen müssen51. Diese Gefahr lässt die soeben52 erörterte Situation, dass Gesamtvertretung gilt und die vertretungsberechtigten Gesellschafter uneins sind, doppelt bedrohlich werden, denn die Inanspruchnahme für Nachlassverbindlichkeiten würde dann nicht nur nicht durch Ausschlagung schlechthin abgewehrt, sondern sie würde nicht einmal auf den Nachlass beschränkt. Dagegen mag geltend gemacht werden, dass unbeschränkte Haftung generell Gesellschafterschicksal ist und daher nicht einsichtig sei, warum sie für Nachlassverbindlichkeiten nicht eintreten solle. Es wird aber einsichtig, wenn man sich den Grund vergegenwärtigt, warum die Erbenhaftung eine unbeschränkte, wenn auch beschränkbare, Haftung ist. Der Sinn dieses Haftungssystems ist nicht, wie bei der Gesellschafterhaftung, Gläubigern eine über das Vermögen ihrer primären Schuldnerin hinausgehende Haftungsmasse zur Verfügung zu stellen, ohne welche die Gesellschaft wahrscheinlich praktisch handlungsunfähig wäre, sondern den Erben in die Pflicht zu nehmen, für die Sonderung von Nachlass und Eigenvermögen zu sorgen, weil den Gläubigern die Sachnähe für diese Unterscheidung fehlt53. Dann ist es aber nicht nur systemwidrig, sondern auch in der Sache nicht zu rechtfertigen, jemanden unbeschränkt für Nachlassverbindlichkeiten haften zu lassen, der diese Sonderung nicht herbeiführen kann54. Das Erbrecht respektiert nicht nur die Testierfreiheit des Erblassers, sondern auch die Freiheit der Nachlassbeteiligten, diese Beteiligung zurückzuweisen55. Eine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten, der man sich von vornherein nicht entziehen kann, anders gesagt, eine schlechthin unbeschränkte Erbenhaftung, ist daher nicht akzeptabel.
__________ 50 Ein Fehler, der Erben bzw. ihren Anwälten öfter unterläuft, als man glauben möchte. 51 Scherer/Feick, ZEV 2003, 344 sehen diese Möglichkeiten nicht und verfehlen daher das Problem. 52 Unter IV.1. 53 Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1896, S. 262 ff.; Marotzke in Staudinger, Bearb. 2002, Vorbem. 46 u. 48 zu §§ 1967 ff. BGB. 54 Den Fall, dass ein überschuldeter Erblasser bewusst eine schlecht geführte Gesellschaft als Erbin einsetzt, die dann wie geplant die Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten verspielt, selbst in die Insolvenz gerät und ihre Gesellschafter auf den Nachlassverbindlichkeiten sitzen lässt, möchte ich nicht als Argument benutzen, da er die Ausgeburt einer Schreibtischphantasie ist; doch wäre es interessant zu erfahren, wie die Befürworter der Erbeinsetzung von Personengesellschaften ihn lösen würden. 55 Erbschaften und Vermächtnisse kann man ausschlagen, Pflichtteilsansprüche muss man nicht geltend machen, die Übernahme der Testamentsvollstreckung kann man ablehnen.
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Die Unvereinbarkeit der Grundsätze der Gesellschafterhaftung mit denen der Erbenhaftung lässt nur die Folgerung zu, dass entweder die Erbfähigkeit von Personengesellschaften überhaupt zu verneinen oder aber die Gesellschafterhaftung für Nachlassverbindlichkeiten zu beschränken oder ganz auszuschließen ist. Zu radikalen Lösungen muss man nicht greifen, wenn eine gemäßigtere möglich und sinnvoll ist. Für eine beschränkbare Haftung der Gesellschafter wegen Nachlassverbindlichkeiten gibt es aber im Gesellschaftsrecht keinen Anknüpfungspunkt, und mit erbrechtlichen Methoden ließe sich eine Haftungsbeschränkung nicht in befriedigender Weise herbeiführen, denn diese Methoden verlangen ein entsprechendes Handeln des Erben und versagen, wenn es in den hier erörterten pathologischen Fällen um den Schutz der Mitglieder einer Erbin gewordenen Gesellschaft geht. Es bleibt aber noch die Möglichkeit, im Wege teleologischer Reduktion des § 128 HGB die Gesellschafterhaftung für Nachlassverbindlichkeiten auszuschließen. Dies nur für die nichtvertretungsberechtigten und die zwar vertretungsberechtigten, aber überstimmten oder von einem alleinvertretungsberechtigten Mitgesellschafter vor vollendete Tatsachen gestellten Gesellschafter zu tun, würde Abgrenzungsund Beweisschwierigkeiten heraufbeschwören, die kaum zu bewältigen wären. Daher kann nur der generelle Ausschluss der Gesellschafterhaftung für Nachlassverbindlichkeiten in Betracht kommen. Dass er vom Erbrecht her notwendig erscheint, ist bereits gesagt. Dass diese Reduktion des § 128 HGB auch vom Gesellschaftsrecht her begründet werden kann, soll im Folgenden gezeigt werden. 3. Anfall der Erbschaft und Rechtserwerb der Gesellschaft Eigenartigerweise hat noch niemand einen Einwand gegen die Erbfähigkeit von Personenhandelsgesellschaften aus dem Wortlaut des § 124 Abs. 1 HGB hergeleitet56. Wenn es dort heißt, die OHG könne „unter ihrer Firma Rechte erwerben“, ist doch an ein Handeln von Gesellschaftern für die Gesellschaft gedacht. Der Anfall der Erbschaft (§ 1942 BGB) beruht nicht auf solchem Handeln. Auch den Materialien zum HGB57 ist nichts zu entnehmen, was nur entfernt daran denken ließe, mit der Vorschrift sei auch erbrechtlicher Erwerb gemeint gewesen. Kein anderes Bild ergibt sich bei § 718 Abs. 1 BGB, im Gegenteil: Hier sind die Worte des Gesetzes („die durch die Geschäftsführung für die Gesellschaft erworbenen Gegenstände“) noch weiter von der (im gleichen Gesetz enthaltenen!) Regelung des Erbschaftserwerbs entfernt, ganz abgesehen davon, dass der Gedanke, als Rechtsträger des Gesellschaftsvermögens sei die
__________ 56 Herzfelder in Staudinger, 7./8. Aufl. 1914, § 1923 BGB Anm. 7, scheint den Wortlaut sogar als Argument für die Erbfähigkeit aufgefasst zu haben, als er schrieb, die Erbfähigkeit der OHG sei „schon mit Rücksicht auf § 124 HGB zweifelsfrei zu bejahen“. 57 Schubert (Hrsg.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. I, II 1 u. 2, 1986–88; auf das ADHGB von 1869 braucht hier schon deswegen nicht eingegangen zu werden, weil die Handelsrechtsgesetzgebung vor der Vereinheitlichung des Erbrechts in Deutschland überhaupt nicht daran hätte denken können, eine Frage der Erbfähigkeit zu regeln.
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Gesellschaft und nicht die Gesellschafter anzusehen, für die GbR, anders als für die Handelsgesellschaften, dem Gesetzgeber gänzlich fern lag. Mit diesen Hinweisen möchte ich nun nicht eine Auslegung ausschließen, welche die beiden Vorschriften auch auf den Erbschaftserwerb anwendet, wohl aber ein Warnzeichen errichten, das von unbedachten Weiterungen abhalten soll. Wer es für selbstverständlich hält, dass die OHG erbfähig ist, könnte daraus eine Folgerung ziehen, die seine Prämisse in einem recht merkwürdigen Licht erscheinen ließe: Die von einem Einzelkaufmann erteilte Prokura ermächtigt nicht zur Vertretung in privaten Angelegenheiten des Prinzipals. Dieser unbestrittene Satz wird leider in den Kommentaren zu § 49 HGB nicht durch Beispiele erläutert. Wenn man Beispiele bildet, wären nicht nur die Vermietung der vom Prinzipal bewohnten Villa, sein Beitritt zu einem Golfclub oder die Anstellung eines Nachhilfelehrers für seine Kinder zu nennen, sondern gewiss auch die Ausschlagung einer dem Prinzipal angefallenen Erbschaft, denn sie ist kein Geschäft, „das der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt“ (§ 49 Abs. 1 HGB). Die typisch erbrechtlichen Geschäfte sind, auch soweit sie nicht höchstpersönlicher Natur sind, Privatgeschäfte des Kaufmanns58. Eine Handelsgesellschaft hat aber keine entsprechende Privatsphäre, sondern nur ihre geschäftliche Sphäre. Soll daraus folgen, dass der Prokurist einer als Erbin eingesetzten OHG die Erbschaft annehmen oder ausschlagen, eine testamentarische Bestimmung anfechten, Erbunwürdigkeitsklage gegen Miterben erheben, die Entlassung des Testamentsvollstreckers beantragen kann etc.? Spätestens bei Zurückweisung des ersten vom Prokuristen einer OHG gestellten Erbscheinsantrags müsste sich die Einsicht einstellen, dass die Prokura – mag nun auch die OHG erbfähig sein – nicht für die typisch erbrechtlichen Geschäfte vorgesehen ist. Die methodische Rechtfertigung dieses Gedankengangs ist diese: Wird eine ursprünglich enger gemeinte Vorschrift ausdehnend ausgelegt, gilt die Ausdehnung nicht automatisch für alle Normen, die mit der Ausgangsnorm in Zusammenhang gebracht werden können, sondern es ist für jede Norm selbständig zu prüfen, ob die Ausdehnung der Anwendung ihrem Sinn gerecht würde. 4. Ergebnis Auf § 128 HGB angewandt bedeutet das: Wenn die Erwerbsfähigkeit einer Gesellschaft über den ursprünglichen Sinn des § 124 HGB hinaus auch auf erbrechtlichen Erwerb bezogen wird und die Gesellschaft somit Schuldnerin von Nachlassverbindlichkeiten werden kann, heißt das nicht, dass der Sinn der akzessorischen Gesellschafterhaftung auch die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten deckt. Handelsrechtliche Gründe verlangen diese Haftung nicht, und erbrechtliche stehen ihr entgegen59. Sie ist daher zu verneinen. Mit dieser
__________ 58 Für den Erbschaftskauf (§§ 2371 ff. BGB) und den rechtsgeschäftlichen Erwerb eines Erbteils (§ 2033 Abs. 1 BGB) mag man das anders sehen, und sicher von der Prokura umfasst ist die Veräußerung eines Nachlassgegenstandes. 59 S. oben unter IV.2.
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Zur Erbfähigkeit der Personengesellschaften
Maßgabe, aber auch nur mit ihr, kann der Erbfähigkeit von Personenhandelsgesellschaften und entsprechend auch der als rechtsfähig angesehenen BGBGesellschaften zugestimmt werden. Ob die Erbeinsetzung von Personengesellschaften eine empfehlenswerte Anordnung ist, war im bisherigen Gedankengang nicht relevant und wird weiter unten60 kurz angesprochen.
Exkurs 1: Nichtrechtsfähige Vereine Da das schwerwiegendste und bei näherer Betrachtung einzig gewichtige Bedenken gegen die Anerkennung der Erbfähigkeit einer Personengesellschaft aus der drohenden unbeschränkten Haftung der Gesellschafter für Nachlassverbindlichkeit resultiert, sind Einwände gegen die Erbfähigkeit nichtrechtsfähiger Idealvereine, deren Mitglieder nach inzwischen wohl unbestrittener Auffassung für Verbindlichkeiten des Vereins nicht persönlich haften61, nicht zu erheben. Verfolgt der Verein einen wirtschaftlichen Zweck, muss zwar eine persönliche Haftung der Mitglieder für Verbindlichkeiten des Vereins bejaht werden62. Für Nachlassverbindlichkeiten passt diese Haftung aber ebensowenig wie bei der OHG63 und ist demnach ausgeschlossen. Mit der heute ganz herrschenden Ansicht64 ist daher die Erbfähigkeit nichtrechtsfähiger Vereine zu bejahen65.
Exkurs 2: Vermächtnisfähigkeit Die Fähigkeit von Personengesellschaften, Vermächtnisnehmer zu sein, ist schon bisher eher bejaht worden als die Erbfähigkeit, da man hier keinen Widerspruch zu den Bestimmungen über die Erbengemeinschaft sah66. Ein solcher Widerspruch besteht jedoch, wie gezeigt67, auch hinsichtlich der Erbfähigkeit nicht. Die Überlegungen zu Annahme und Ausschlagung und zum Umfang der Prokura68 gelten freilich für Vermächtnisse in gleicher Weise wie für Erbschaften. Doch folgt das hauptsächliche Bedenken gegen die Erbfähigkeit einer Gesellschaft nicht daraus, sondern aus der Gefahr unbeschränkter persönlicher Haftung der Gesellschafter. Auch Vermächtnisnehmer können aufgrund ihrer Nachlassbeteiligung haften, nämlich gegenüber dem Erben wegen einer Pflichtteilslast (§ 2318 Abs. 1 BGB)69 und infolge der Beschwerung
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60 61 62 63 64 65 66 67 68 69
Unter V. Vgl. nur Weick in Staudinger, Bearb. 2005, § 54 BGB Rz. 49 ff. m. w. N. Weick in Staudinger (Fn. 61), § 54 BGB Rz. 54 f. m. w. N. S. oben unter IV.2. u. 3. Leipold in MünchKomm.BGB (Fn. 20), § 1923 BGB Rz. 32; Weick in Staudinger (Fn. 61), § 54 BGB Rz. 77 m. w. N. Im Ergebnis so auch Otte in Staudinger, Bearb. 2000, § 1923 BGB Rz. 31; die dortige Begründung ist der Entwicklung des Gesellschaftsrechts anzupassen. Erbfähigkeit verneinend, Vermächtnisfähigkeit bejahend z. B. Geiler, Schultzev. Lasaulx und Kessler (alle in Fn. 21). S. oben unter III. S. oben unter IV.1 u. 3. Hierzu Haas in Staudinger, Bearb. 2006, § 2318 BGB Rz. 3.
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Gerhard Otte
mit einem Untervermächtnis oder einer Auflage (§ 2186 BGB). Folgt man aber der hier vorgeschlagenen einschränkenden Ansicht, dass § 128 HGB auf Nachlassverbindlichkeiten nicht anzuwenden ist, entfällt dieses Bedenken auch hinsichtlich der Vermächtnisfähigkeit von Personengesellschaften.
V. Zur Testamentsgestaltung Zulässigkeit der Erbeinsetzung von Personengesellschaften besagt noch nichts für die Zweckmäßigkeit. Die lässt sich nur aufgrund eines Vergleichs mit der auf dasselbe wirtschaftliche Ziel hinauslaufenden Alternative beurteilen. Sie besteht in der Erbeinsetzung der Gesellschafter unter der Auflage, das Zugewandte in die Gesellschaft einzubringen70. Befürchtet der Erblasser, dass die Gesellschafter die Auflage nicht erfüllen, kann er dem durch Anordnung der Testamentsvollstreckung vorbeugen. Vor die Frage, ob er eine Gesellschaft oder deren Gesellschafter als Erben einsetzen soll, wird sich am ehesten ein Erblasser gestellt sehen, der Angehörige unter den Gesellschaftern hat. Dann ist das Pflichtteilsrecht zu bedenken. Die Einsetzung der Gesellschaft lässt Pflichtteilsansprüche unberührt71. Sie sollte daher nur erwogen werden, wenn zugleich den pflichtteilsberechtigten Angehörigen ein Erbteil mindestens in Höhe ihres Pflichtteils oder ein entsprechend hohes Vermächtnis ausgesetzt wird. Andernfalls droht der Gesellschaft als Erbin ein erheblicher Abfluss der ihr zugewendeten Mittel. Zwar können nach § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB auch die als Erben eingesetzten Angehörigen Pflichtteilsansprüche geltend machen, wenn sie die Erbschaft wegen der Auflage, das Zugewandte in die Gesellschaft einzubringen, ausschlagen. Ist die Beteiligung an der Gesellschaft attraktiv, muss mit dieser Möglichkeit aber nicht gerechnet werden. Rechtlich ausgeschlossen werden kann die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen so oder so nicht, es sei denn durch Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) oder durch ausreichende lebzeitige Zuwendungen unter Anrechnung auf den Pflichtteil (§ 2315 BGB). Auch steuerlich sind die Erbeinsetzung der Gesellschaft und die der Gesellschafter nicht von vornherein gleichwertig, und schon gar nicht ist die Einsetzung der Gesellschaft insoweit vorzugswürdig. Zwar soll nach dem Urteil des BFH v. 14.9.199472 die Einsetzung der Gesellschaft erbschaftsteuerlich wie eine Einsetzung der Gesellschafter zu behandeln sein und ist die Auflage für die Gesellschafter, das Zugewandte in die Gesellschaft einzubringen, nach § 10 Abs. 9 ErbStG nicht abzugsfähig, so dass hinsichtlich der Erbschaftsteuer keine Unterschiede zwischen den beiden Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. Doch muss nach einem Urteil des BFH v. 14.3.200673 in Rechnung gestellt
__________ 70 Die Ausführungen von Scherer/Feick, ZEV 2003, 344 f., welche die Erbeinsetzung der Gesellschaft als vorzugswürdig hinstellen, berücksichtigen diese Auflage und damit das Kernstück der Alternative nicht und sind daher praktisch wertlos. 71 S. oben unter III.2. 72 BFH, JZ 1995, 1074. 73 BFH, NJW 2006, 2943 = ZEV 2006, 439 m. krit. Anm. Crezelius.
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Zur Erbfähigkeit der Personengesellschaften
werden, dass die einer Gesellschaft zugewendete Erbschaft, weil sie den Bilanzgewinn (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) erhöht, zu einer höheren Einkommensteuer der Gesellschafter führen kann. Die von den Gesellschaftern in Erfüllung einer Auflage in die Gesellschaft eingebrachten Nachlasswerte wären demgegenüber als Einlagen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 u. 5 EStG) steuerlich neutral. Die Erbeinsetzung der Gesellschafter statt der Gesellschaft bietet schließlich den Vorteil, dass die Auflage, Nachlasswerte in die Gesellschaft einzubringen, auf das beschränkt werden kann, was für die Gesellschaft von Nutzen ist, im übrigen aber die Nachlassabwicklung in den Händen der Gesellschafter zu lassen. Was soll eine OHG mit dem letzten Hemd des Erblassers, und was geht sie die Grabpflege an? Dergleichen liegt in der Regel außerhalb des Gesellschaftszwecks74. Die Einsetzung der Gesellschaft mag als der „einfachere“ Weg erscheinen. Das kann sich bei einer GbR aber schon wegen fehlender Grundbuchfähigkeit als Irrtum erweisen. Auf jeden Fall ist sie wegen der Tücken des Pflichtteils- und des Steuerrechts die risikoreichere Alternative. Und solange nicht die hier vorgeschlagene Nichtanwendung des § 128 HGB auf Nachlassverbindlichkeiten höchstrichterlich anerkannt ist, muss der Rechtsberater jeden Erblasser, der eine Personengesellschaft als Erbin einsetzen will, darauf hinweisen, dass er die Gesellschafter dadurch möglicherweise ins Unglück stürzt. Die Erbeinsetzung einer Gesellschaft verdient daher wohl nur die Note „weniger empfehlenswert“.
VI. Thesen 1. Die von Flume gegen die Erbfähigkeit von OHG und KG geltend gemachten Bedenken sind nicht begründet. 2. Die Erbfähigkeit von Personengesellschaften ist nur anzuerkennen, wenn die persönliche Haftung der Gesellschafter für Nachlassverbindlichkeiten als ausgeschlossen betrachtet wird. 3. Die Erbfähigkeit nichtrechtsfähiger Vereine ist anzuerkennen, für Vereine, deren Mitglieder für Verbindlichkeiten des Vereins persönlich haften, jedoch nur mit dem unter Ziffer 2 genannten Vorbehalt. 4. Für die Vermächtnisfähigkeit von Personengesellschaften und nichtrechtsfähigen Vereinen gelten Ziffer 2 und 3 entsprechend. 5. Aus pflichtteilsrechtlichen und steuerrechtlichen Gründen und weil die Nachlassabwicklung in der Regel außerhalb des Zwecks der als Erbin in Betracht gezogenen Gesellschaft liegt, ist die Erbeinsetzung der Gesellschafter unter der Auflage, (die) Nachlassgegenstände in die Gesellschaft einzubringen, der Erbeinsetzung der Gesellschaft vorzuziehen.
__________ 74 Die Trägergesellschaft eines Altenheims als Erbin einzusetzen, wie in dem Fall, der dem Urteil des BFH v. 14.3.2006 zugrunde lag, mag anders beurteilt werden.
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Dimitra Papadopoulou-Klamaris
Erlöschen des Amtes des Testamentsvollstreckers nach dem griechischen Bürgerlichen Recht* Inhaltsübersicht I. Allgemeines zum Testamentsvollstrecker nach dem griechischen Recht II. Erlöschensgründe des Amts des Testamentsvollstreckers III. Die Gesetzeslücke in Bezug auf die zeitliche Höchstdauer des Amtes des Testamentsvollstreckers
IV. Wann enden die Befugnisse des Testamentsvollstreckers? V. Auf welcher Weise wird die maximale zeitliche Dauer der Befugnisse des Testamentsvollstreckers festgelegt?
I. Allgemeines zum Testamentsvollstrecker nach dem griechischen Recht Nach Art. 2020 des gr. BGB ist Aufgabe des Testamentsvollstreckers die Ausführung der Bestimmungen des Testaments. Der Testamentsvollstrecker ist nach dieser Vorschrift zu jeder Handlung berechtigt, die entweder vom Erblasser ausdrücklich gestattet wurde oder zur Ausführung seiner Bestimmungen unerlässlich ist. Unter denselben Bedingungen ist er zur Verwaltung des Nachlasses im Ganzen oder zum Teil berechtigt. Die übrigen Artikel des relevanten Kapitels im gr. BGB beziehen sich auf die Ernennung (2017–2019), die Vergütung (2027), die Haftung des Testamentsvollstreckers (2023), seine Befugnis zur Geltendmachung von Erbschaftsansprüchen (2025–2026) und auf das Erlöschen des Amts des Testamentsvollstreckers (2028–2031), auf die gemeinschaftliche Führung des Amtes durch mehrere Testamentsvollstrecker (2024), auf die Pflicht des Testamentsvollstreckers, unter bestimmten Umständen gewisse Handlungen nur mit Erlaubnis des Nachlassgerichts vorzunehmen sowie auf die Möglichkeit des Erblassers, den Testamentsvollstrecker von diesen Beschränkungen (2021–2022) zu befreien. Die Ernennung des Testamentsvollstreckers gilt als Einschränkung des Pflichtteils des Erben, so dass in einem solchen Falle die Ernennung eines Testamentsvollstreckers, soweit damit die Pflichtteilsgrenzen verletzt werden, nach Art. 1825 gr. BGB als nicht vorgenommen behandelt wird. Dies bedeutet, dass
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* Dieser Festschriftbeitrag zu Ehren meines verehrten Lehrers Herrn Prof. Harm Peter Westermann stellt eine Zusammenfassung mancher Teile meiner Monographie in griechischer Sprache mit dem Titel „Der Testamentsvollstrecker nach dem griechischen BGB“, Athen, S. 1-391, dar.
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Dimitra Papadopoulou-Klamaris
alle übrigen Regelungen für diejenige Erbschaftsquote der Pflichtteilsberechtigten, die den Pflichtteil übersteigt, oder für den gesamten Nachlass, falls kein pflichtteilsberechtigter Erbe vorhanden ist, gelten1. Auf Grund des Wortlauts des Art. 2020 gr. BGB stellt sich die Frage, ob die Ernennung eines Testamentsvollstreckers mit dem ausschließlichen Ziel der Verwaltung der Erbschaft nach griechischem Recht überhaupt möglich ist. Einer Meinung nach2 kann der Testamentsvollstrecker nur dann und soweit verwaltungsmäßige Befugnis haben, wie es erforderlich ist, um die übrigen Bestimmungen des Testamentes zu vollstrecken. Hauptargumente dieser Ansicht sind folgende: (1) dass die ausschließliche verwaltungsmäßige Befugnis im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt wird (Argument aus dem Gesetzeswortlaut) und (2) dass der Bericht des entsprechenden Referenten bei den Redaktionsarbeiten des gr. BGB die Aussage enthält, es wäre sehr gefährlich, dem Testamentsvollstrecker eine so breite Befugnis zu gewähren wie es das deutsche Gesetzbuch tut, gerade wenn der Erblasser darüber schweigt (historisches Argument). Man geht also gemäß der obigen Meinung davon aus, dass, wenn der Testamentsvollstrecker auf jeden Fall die Verwaltungsbefugnis nach dem deutschen BGB hat, im Gegensatz dazu der griechische Gesetzgeber, der zwar die deutsche gesetzliche Regelung kannte, aber diese Macht des Testamentsvollstreckers einzuschränken beabsichtigte, einen Testamentsvollstreckertypus einführte, der nur im Rahmen der Bestimmungen des Testaments Verwaltungsbefugnis hat. Nach derselben Ansicht kann ein Testamentsvollstrecker mit dem alleinigen Ziel und mit der alleinigen Befugnis die Erbschaft zu verwalten, nach griechischem BGB nicht ernannt werden. Nach dieser Meinung ist die Ernennung des Nur-Testamentsvollstrecker-Verwalters ungültig, die relevante Regelung im Testament unterliegt einer Konversion und gilt als Vermächtnis bezüglich der Verwaltung oder Verwaltungsart, wobei die Vorschriften zum Testamentsvollstrecker analog angewendet werden. Richtiger ist m. E. die Ansicht, dass die Ernennung des Testamentsvollstreckers mit der ausschließlichen Aufgabe der Verwaltung des Nachlasses doch rechtlich zulässig ist3. Das Argument aus dem Wortlaut übersieht eben, dass selbst der Auftrag bzw. die Ermächtigung für die Verwaltung gleichzeitig eine Regelung des Testaments sein kann. Dem historischen Argument widerspricht der Inhalt des oben genannten Berichtes, dessen Schlusssatz wie folgt lautet: „wenn der Erblasser … darüber schweigt …“; der Erblasser kann also im Gegenteil nicht schweigen und stattdessen durch ausdrückliche Anordnung den
__________ 1 Ligeropoulos, Erbrecht (in griechischer Sprache), § 207; Gasis, Gnomodotissis (Gutachten, in gr. Sprache), Nr. 93, S. 838; auch die griechische Rechtsprechung vertritt einstimmig dieselbe Meinung. 2 Georgiades Asterios, Armenopoulos (juristische Zeitschrift in gr. Sprache) 1984, 967; Filios, NoB (juristische Zeitschrift in gr. Sprache) 11, 1097; ders., Erbrecht (in gr. Sprache) § 47 A, S. 240; Georgiades Apostolos in Georgiades/Stathopoulos, Komm. zum griechischen BGB (in gr. Sprache), Einl. 2011–2016 Rz. 16, 17; Papantoniou, Erbrecht (in gr. Sprache), § 77 II; Psouni, Erbrecht (in gr. Sprache), II, S. 162 auch die Rechtsprechung. 3 Spyridakis, NoB (juristische Zeitschrift, in gr. Sprache) 33, 1685.
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Erlöschen des Amtes des Testamentsvollstreckers
Testamentsvollstrecker wirksam mit der Verwaltung beauftragen, ohne ihm auch weitere Aufgaben zu gewähren. Es ist allerdings hier zu betonen, dass das gr. BGB keinen Typus4 des Testamentsvollstreckers mit konkreten Aufgaben, von denen der Erblasser abweichen könnte, vorsieht, so wie es im deutschen BGB der Fall ist. Im Gegenteil überlässt das gr. BGB die volle Konstruktion der Aufgaben bzw. der Befugnisse dem Erblasser, ohne dass es jedoch ausgeschlossen ist, dass der Erblasser doch einen Testamentsvollstrecker-Verwalter bestimmt. Zutreffend wird deshalb hervorgehoben, es gebe so viele Typen von Testamentsvollstreckern wie Testamente5. Es ist m. E. außerdem auch deswegen sinnvoll, diese Ansicht zu übernehmen, weil sie gleichzeitig dem allgemeinen Anliegen dient, die Lücke des griechischen Rechts zu schließen, die sich daraus ergibt, dass dieses die Institution des Trusts sowie die allgemeine Institution der Treuhänderschaft nicht kennt.
II. Erlöschensgründe des Amts des Testamentsvollstreckers Im griechischen BGB werden als Erlöschensgründe des Amts des Testamentsvollstreckers der Tod und die eingetretene volle Geschäftsunfähigkeit oder die eingetretene beschränkte Geschäftsunfähigkeit (2029), die Verzichtserklärung des Testamentsvollstreckers (2030), die Entlassung seitens des Gerichts aus wichtigen Gründen – sowie wegen grober Verletzung seiner Pflichten (2031) – vorgesehen. Ist also vom Erblasser kein Ersatztestamentsvollstrecker eingesetzt oder hat der Erblasser keine entsprechende Befugnis für den eingesetzten Testamentsvollstrecker vorgesehen, selbst einen anderen Testamentsvollstrecker zu ernennen, dann führen zwangsweise die oben genannten Gründe der Geschäftsunfähigkeit u.s.w. (in der Person des Testamentsvollstreckers) zur Beendigung des Amts des Testamentsvollstreckers. Nach griechischem Recht erfolgt die Ernennung des Testamentvollstreckers nur durch das Testament oder durch eine entsprechende Erklärung des im Testament ernannten Testamentsvollstreckers, unter der Bedingung, dass Letzteres vom Testament vorgesehen wird (Art. 2017 gr. BGB). Das Gericht kann auf keinen Fall einen Testamentsvollstrecker ernennen. Besonders interessant ist die Vorschrift des Art. 2028 gr. BGB, wonach „das Amt des Testamentsvollstreckers erlischt, wenn der Erbe eine dem Ermessen des Gerichts nach hinreichende Sicherheit bietet, dass er die Verfügungen des Testaments, für die der Testamentsvollstrecker ernannt wurde, ausführen werde“. Es wird gleichzeitig anerkannt, dass auch allgemeine Gründe, die im gr. BGB nicht genannt werden, als Erlöschensgründe des Amts des Testamentsvollstreckers das Ende seiner Pflichten bewirken, z. B. der Ablauf der Frist, für deren
__________ 4 Papanikolaou, Methodenlehre des Privatsrechts (in gr. Sprache), Rz. 135 Fn. 88. 5 Ligeropoulos, Erbrecht (in gr. Sprache), § 202.
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Dimitra Papadopoulou-Klamaris
Dauer der Testamentsvollstrecker ernannt worden ist, die Vollendung bestimmter Anweisungen des Erblassers, die Ausschlagung der Erbschaft seitens des Erben, wenn der Testamentsvollstrecker nur für einen bestimmten Erben ernannt worden ist. Obwohl dies nicht ausdrücklich im gr. BGB vorgesehen ist, wird trotzdem angenommen, dass die Bestellung des Pflegers einer „ruhenden“ Erbschaft oder des Nachlassliquidators, die Bestellung des gerichtlichen Beistandes des Erben sowie die Tatsache, dass der Erbe unter Sorgerecht steht, keine Erlöschensgründe darstellen, obwohl in einigen dieser Fälle de facto eine Einstellung der Befugnisse und der Pflichten des Testamentsvollstreckers eintritt. Darüber hinaus ist es fraglich, ob die Vereinbarung zwischen dem Erben und dem Testamentsvollstrecker einen Erlöschensgrund darstellt6. Es ist allerdings offensichtlich, dass einige der oben genannten Erlöschensgründe sowohl bei dem Testamentsvollstrecker angewandt werden können, der laut Testament bestimmte Befugnisse hat, als auch bei dem Testamentsvollstrecker, der allein mit der Verwaltung der Erbschaft beauftragt wird. Andere Erlöschensgründe können in beiden Fällen keine Anwendung finden. Demnach ist die Ausführung der Bestimmungen des Testaments ein Erlöschensgrund, wenn die Vornahme bestimmter Handlungen oder der Eintritt eines bestimmten Ergebnisses im Testament vorgesehen werden. Die Durchführung der Handlung oder das Eintreten des Ergebnisses bedeuten gleichzeitig die Vollendung der Aufgaben des Testamentsvollstreckers. Es ist jedoch undenkbar, dass dieser Grund auch für den Testamentsvollstrecker-Verwalter gelten kann. Die Sicherheitsleistung seitens des Erben nach Art. 2028 gr. BGB kann ferner m. E. nicht als Erlöschensgrund speziell des Testamentsvollstrecker-Verwalters anerkannt werden. Dieser Artikel setzt eine Regelung im Testament voraus, die auf ein bestimmtes Ergebnis zielt, welches der Erbe zu erbringen sichert. Hat aber der Erblasser dem Erben gerade die Verwaltung des Nachlasses entziehen wollen, indem er einen Testamentsvollstrecker-Verwalter eingesetzt hat, so kann das Gericht diesen nicht aufgrund einer Sicherheitsleistung seitens des Erben dafür, dass er selbst das Vermögen verwalten werde, von seinem Amt ausschließen.
III. Die Gesetzeslücke in Bezug auf die zeitliche Höchstdauer des Amtes des Testamentsvollstreckers Eine interessante Frage in Bezug auf die Erlöschensgründe des Testamentsvollstreckers im griechischen Recht taucht deswegen auf, weil keine zeitliche Höchstgrenze vorgesehen wird, nach deren Ablauf die Verwaltung seitens des Testamentsvollstreckers oder die Funktion des Testamentsvollstreckers auf-
__________ 6 Papadopoulou-Klamaris, Der Testamentsvollstrecker (in gr. Sprache), § 9 Rz. 576 ff.
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Erlöschen des Amtes des Testamentsvollstreckers
hört. Es stellt sich also die Frage, ob der ernannte Testamentsvollstrecker nach griechischem Recht seine Befugnis zeitlich unbegrenzt ausüben kann. Diese Frage steht m. E. unter anderem auch im Zusammenhang mit den Gedanken des verehrten Jubilars über das Ende der Dauerschuldverhältnisse. Die allgemeine Frage lautet wie folgt: „Gibt es eigentlich schuldrechtliche Verhältnisse (die Beziehung Erblasser – Testamentsvollstrecker ist ein schuldrechtliches Verhältnis) ohne Ende?“. Das Problem taucht besonders deutlich im Falle des TestamentsvollstreckersVerwalters auf, wenn eine juristische Person oder ein Ersatztestamentsvollstrecker ernannt worden ist, so dass die Vorschrift des Art. 2029 gr. BGB nicht angewandt werden kann. Sind hingegen als Testamentsvollstrecker eine natürliche Person oder mehrere natürliche Personen ernannt worden, ohne dass der Erblasser zugleich einen Ersatztestamentsvollstrecker vorgesehen hat, greift im Zeitpunkt des Todes des Testamentsvollstreckers Art. 2029 gr. BGB ein und die Testamentsvollstreckung endet, da das gr. BGB für den Fall des Fehlens einer testamentarischen Einsetzung eines Ersatztestamentsvollstreckers die gerichtliche Bestimmung eines solchen nicht vorsieht. Der Tod der natürlichen Person bringt also das Ende des Amtes der Verwaltung mit sich, wenn im Testament kein Ersatztestamentsvollstrecker vorgesehen wird. Jedoch kann das Fehlen einer zeitlichen Höchstgrenze nicht nur beim Testamentsvollstrecker-Verwalter, sondern auch beim Testamentsvollstrecker mit bestimmten Befugnissen vorkommen; z. B. der A bestimmt den B als Erben, den Bürgermeister des Dorfes als Testamentsvollstrecker und ordnet zugleich an, dass jedes Jahr aus dem Nachlass der Betrag von 10 000 Euro dem besten Abiturienten der Dorfschule zur Verfügung steht (dies könnte u. U. auch als Vermächtnis oder Anordnung zur Gründung einer Stiftung verstanden werden). Es handelt sich hier um eine permanente Bindung des Nachlasses. Ist dies mit der gesetzlichen Regelung vereinbar? Drei Antworten aufgrund verschiedener Interessenabwägungen sind theoretisch möglich: (1) Das System der Bindung der Erbschaft (und der Erben) aufgrund der Ernennung des Testamentsvollstreckers kann dauerhaft Bestand haben. Wenn der Erbe kein Pflichtteilsberechtigter ist (wie bereits oben erläutert, wäre jede Einschränkung des Pflichtteils nach Art. 1825 gr. BGB nichtig) und zudem die Möglichkeit einer Ausschlagung existiert, ist eine andauernde Belastung des Vermögens möglich. Zwischen dem Willen des Erblassers und dem Interesse des Erben ist dem Erblasser Vorzug zu geben, so dass sein Wille respektiert wird. (2) Das Amt kann nicht andauernd gelten. Die Ernennung des Testamentsvollstreckers ohne zeitliche Begrenzung ist nichtig. Durch diese Lösung wird das Interesse des Erben bevorzugt, wobei der Wille des Erblassers vollkommen ignoriert wird. (3) Das Amt kann nicht andauernd gelten. Die Ernennung des Testamentsvollstreckers ist zwar gültig, es muss aber ein Weg gefunden werden, der sicher557
Dimitra Papadopoulou-Klamaris
stellt, dass die Verwaltung irgendwann einmal endet. Soweit keine spezielle Vorschrift existiert, ist zu prüfen, ob sich aus einer Zusammenschau mehrerer Einzelvorschriften ein allgemeines Prinzip als Grundlage für diesen Ansatz ableiten lässt. Dieses Prinzip wäre maßgebend für diese Vorschriften und gäbe den Geist des Gesetzes wieder; gleichzeitig wäre es angemessen, dieses Prinzip auf den ungeregelten Fall anzuwenden7. Es ist m. E. klar, dass die dritte Lösung den Vorzug verdient. Auf der Basis des letztgenannten methodologischen Vorgehens kann man Folgendes bemerken: 1. Im Schuldrecht wird keine schuldrechtliche Beziehung ohne Ende anerkannt. Keine schuldrechtliche Beziehung kann ewig sein und dauern. Obwohl der diesbezügliche Gedanke für alle schuldrechtliche Beziehungen Geltung beansprucht, hat eine theoretische Auseinandersetzung mit ihm überwiegend im Zusammenhang mit der strittigen Frage der Beendigung von Dauerschuldverhältnissen stattgefunden. Die grundsätzliche Form der Beendigung ist die einseitige Handlung einer Partei, die Kündigung. Die Kündigung gilt als «Ersatz der mangelnden vertraglichen Einschränkung und stellt die grundsätzliche Form der Beendigung eines Vertrages und der Aufhebung seiner zeitlichen Endlosigkeit dar» und dies gilt sogar auch für die Kündigung ohne konkreten Grund, denn anderenfalls „… würde der Vertrag ewig andauern, eine Tatsache, die die Rechtsordnung nicht akzeptieren kann“8. Das Erreichen des Zwecks, den die Parteien beabsichtigten, ist auch eine Weise den Vertrag zu beenden, z. B. ist dies der Fall bei einer Gesellschaft des gr. BGB mit dem Zweck der Gründung einer Personengesellschaft oder einer Kapitalgesellschaft. Die Beziehung zwischen dem Testamentsvollstrecker und dem Erben ist ebenfalls eine schuldrechtliche Beziehung. Auch wenn sie zwar nicht direkt im Willen der beiden Parteien, die miteinander verbunden sind, wurzelt, so ist dies doch indirekt der Fall, da sowohl der Testamentsvollstrecker als auch der Erbe das Ausschlagungsrecht hatten, nämlich der eine bezüglich seiner Ernennung und der andere bezüglich des durch die Testamentsvollstreckung belasteten Nachlasses. 2. Im gr. BGB (Artt. 767, 768) ist vorgesehen, dass eine Personengesellschaft mit unbestimmter Dauer durch Kündigung aufgelöst wird, wobei nach Art. 767 gr. BGB die Gesellschaft, die auf Lebensdauer des Gesellschafters bestimmt ist, als Gesellschaft mit unbestimmter Dauer gilt und ebenfalls durch Kündigung aufgelöst wird. Obwohl also der Gesellschafter eine solche Bedingung akzeptiert hat, kann er sich durch Kündigung vom Vertrag befreien.
__________ 7 Stathopoulos-Avgoustianakis (Hrsg.), Einführung in das Zivilrecht (in gr. Sprache), § 1 IV, S. 93; Tsatsos. K., Das Problem der Auslegung des Rechts (in gr. Sprache), S. 212; Michelakis, Einführung in das Recht (in gr. Sprache) S. 71; Papanikolaou, Methodenlehre (in gr. Sprache), Rz. 365; Doris, Studien (in gr. Sprache), S. 61. 8 Stathopoulos, Allg. Schuldrecht (in gr. Sprache), 4 Aufl. 2004, § 21 Rz. 134.
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Erlöschen des Amtes des Testamentsvollstreckers
3. Im gr. BGB werden der Fideikommiss und die fideikommissarische Substitution geregelt. Die in Frage kommenden Vorschriften des gr. BGB lauten wie folgt: Art. 1923: „Der Erblasser kann den Erben verpflichten, dass er mit dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses oder Zeitpunktes die von ihm erworbene Erbschaft oder einen Bruchteil derselben einem anderen (Nacherben) herausgebe. Eine solche Verpflichtung kann einem Nacherben nicht auferlegt werden.“ Art. 2009: „Die Anordnung des Erblassers, dass der vermachte Gegenstand von einem nach dem Erwerb des Vermächtnisses eintretenden bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis an einem anderen zufallen soll (fideikommissarische Substitution), gilt nur zugunsten eines gemeinnützigen Zweckes oder der Blutverwandten des Erblassers in gerader Linie oder bis zum dritten Grade einschließlich der Seitenlinie, die zur Zeit des Todes des belasteten ersten Vermächtnisnehmers noch vorhanden sind. Zugunsten weiterer Personen gilt eine Substitution nicht.“ Der Gesetzgeber hat es also vorgezogen, zwar keine zeitliche Grenze für die indirekte Nachfolge anzuordnen, hat aber nur einen Fideikommiss zugelassen; nur der Erbe kann verpflichtet werden, den Nachlass einem anderen weiterzugeben. Das Gleiche gilt auch für das Vermächtnis. Die Einschränkung, die dem Erben angeordnet werden kann, gilt nur zugunsten eines gemeinnützigen Zweckes oder für enge Verwandte des Erblassers. Es kann also sein, dass es in diesen beiden Fällen zwar keine zeitliche Einschränkung gibt, wohl aber eine Beschränkung bezüglich der Zahl der Erbanfälle. Es ist aber sicher, dass der Gesetzgeber nicht die andauernde Bindung des Erben durch den Willen des Erblassers gewollt hat. Diese Lösung fordern sozial-ökonomische Gründe; zu Recht verbindet man dieses Problem auch mit dem Fortleben von großen Vermögen. 4. Aus den allgemeinen Vorschriften Artt. 179, 281, 2889 gr. BGB ergibt sich, dass der Erblasser die Verwaltung des Vermögens, dessen Eigentum der Erbe erwirbt, von dem Letzteren nicht ausnehmen kann und dies auch für den Fall, dass eine solche Ausnahme auf das Misstrauen des Erblassers oder auf seine übertriebene Sorge bezüglich der Person des Erben zurückzuführen wäre.
__________ 9 Art. 179. Nichtig, als gegen die guten Sitten verstoßend, ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das die Freiheit der Person übermäßig eingeschränkt wird oder durch das jemand unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit des anderen Teils sich für sich oder für einen Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, welche den Umständen nach in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Art. 281. Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn sie offenbar die von Treu und Glauben oder von den guten Sitten oder vom sozialen oder wirtschaftlichen Zwecke des Rechtes gezogenen Grenzen überschreitet. Art. 288. Der Schldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
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Dimitra Papadopoulou-Klamaris
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass alle Rechtssubjekte in ihren Fähigkeiten und den Risiken, die sie eingehen, gleichwertig sind, es sei denn, dass sie minderjährig oder Personen mit beschränkter Geschäftsfähigkeit sind. Zwischen dem Erblasser einerseits, der den Eindruck hat, dass er alles vorsehen und vorsorgen kann, indem er seinen Willen gegenüber dem Erben durchsetzt und dem – eventuell unter der Vermutung der Geschäftsunfähigkeit stehenden – Erben andererseits, der davon ausgeht, dass er selbst das ihm gehörende Vermögen frei zu verwalten hat, bevorzugt die Rechtsordnung auf der Basis einer Interessenabwägung und durch die Anwendung der Artt. 179, 281 gr. BGB die Seite des Erben.
IV. Wann enden die Befugnisse des Testamentsvollstreckers? Nachdem der Schluss gezogen wurde, dass trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Vorschrift, welche das Ende der Befugnisse des Testamentsvollstreckers vorsehen würde, die Rechtsordnung die Beendigung seiner Befugnisse doch diktiert, taucht die Frage auf, wann die Befugnisse des Testamentsvollstreckers beendet werden. 1. Eine Lösung wäre der Tod des Erben. So würde die Last des Testamentsvollstreckers eine Generation lang dauern, wie es bei dem Fideikomiss der Fall ist. Es ist kein Zufall, dass in den Redaktionsarbeiten des gr. BGB das Amt des Testamentsvollstreckers sogar mit dem Amt des Fideikommisses verbunden wurde. 2. Eine andere Lösung wäre, dass die Ernennung des Testamentsvollstreckers 20 Jahre lang nach dem Tod des Erblassers gilt, unabhängig davon, ob zwischenzeitlich auch eine zweite usw. Erbfolge stattgefunden hat. Nach dem griechischen Recht gilt die 20jährige Verjährungsfrist als allgemeine Verjährungsfrist (Art. 249 gr. BGB); dieselbe Zeitdauer gilt auch für die Ersitzung. Sind die 20 Jahre abgelaufen, so verjährt die Erbschaftsklage und zugleich ist die Zeit der Ersitzung vollendet (Art. 1045 gr. BGB, vgl. auch § 2210 BGB). Zu Recht wird also die Meinung vertreten, dass der Gesetzgeber eine der oben genannten zwei Grenzen ausgesucht hätte, wenn er den Beendigungszeitpunkt der Befugnisse des Testamentsvollstreckers bzw. die höchste Dauer der Befugnisse des Testamentsvollstreckers geregelt hätte: entweder eine ganze Generation oder 20 Jahre nach dem Tod10. Von diesen beiden denkbaren Regelungskriterien verdient das zweite den Vorzug. Der Ablauf der 20 Jahre ist eine feste Grenze, die Dauer des Lebens des Erben ist jedoch ungewiss. Nehmen wir folgendes Beispiel an: A ernennt durch sein Testament den Testamentsvollstrecker-Verwalter. Einzige Erbin ist seine Tochter B, die im Zeitpunkt des Todes des A 40 Jahre alt ist. Die Tochter B stirbt 2 Jahre nach dem Erbfall. Im Zeitpunkt ihres Todes hat sie als einzigen Verwandten ihre Tochter C, 10 Jahre alt. Folgt man der zweiten Lösung, be-
__________ 10 Papadopoulou-Klamaris, Der Testamentsvollstrecker (in gr. Sprache), Rz. 599 ff.
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Erlöschen des Amtes des Testamentsvollstreckers
kommt C den Nachlass mit der Last des Testamentsvollstreckers, die 18 Jahre lang nach dem Erbfall dauert. Würde B bis zu ihrem 75. Lebensjahr leben, dann würde sich die Last des Testamentsvollstreckers auf 35 Jahre nach dem Tod des Erblassers erstrecken. Wäre B gerade im Zeitpunkt des Todes ihres Vaters geboren worden, so würde diese Last nur bis zu ihrem 20. Lebensjahr andauern. Meiner Ansicht nach entspricht es eher dem Willen des Erblassers, dass die Begrenzung für 20 Jahre gilt, dass sie also eher mit einem festen Zeitpunkt verbunden wird als mit einem ungewissen, auch wenn dies manchmal eine längere Dauer bedeutet. Diese Sichtweise hat außerdem den Vorteil, dass die zulässige Höchstdauer der Anordnung der Testamentsvollstreckung dem Erblasser im Zeitpunkt der Abfassung des Testaments bekannt ist.
V. Auf welcher Weise wird die maximale zeitliche Dauer der Befugnisse des Testamentsvollstreckers festgelegt? Das gr. BGB sieht überhaupt keine zeitliche Grenze, d. h. auch keine Höchstdauer der Befugnisse des Testamentsvollstreckers vor. Daraus folgt, dass sowohl das Fehlen der Bestimmung einer konkreten Zeitdauer seitens des Erblassers im Testament als auch die Bestimmung einer extrem langen Zeitdauer bezüglich der Befugnisse des Testamentsvollstreckers durch den Erblasser gem. Artt. 179 (Wucher) und 281 (Rechtsmissbrauch) gr. BGB zur Nichtigkeit derjenigen Handlungen führen würden, die nach Ablauf einer besonders langen Zeitdauer vorgenommen würden. Diese Nichtigkeit könnte vom Gericht mit einer Feststellungsklage des Erben festgestellt werden. Da jedoch diese Lösung sehr gefährlich ist, weil sie sich auf zwei Annahmen stützt, die für das Ergänzen der Gesetzeslücke im Gesetz notwendig sind (d. h. dass der Gesetzgeber aus Versehen die Obergrenze nicht geregelt hat und dass er als Grenze die Lebensdauer einer Generation oder die 20jährige Frist gesetzt hätte, hätte er dies getan) wäre der Zusatz einer expliziten Vorschrift im gr. BGB zweckmäßig, die wie folgt lauten würde: „Das Amt des Testamentsvollstreckers endet mit dem Ablauf der im Testament vorgesehenen Zeitdauer, spätestens jedoch mit Vollendung von 20 Jahren nach dem Tod des Erblassers“.
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Konstitutionalisierung des Zivilrechts in Griechenland Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Konsolidierung der mittelbaren Drittwirkung im deutschen Recht 1. Die Drittwirkungsfrage als ein Problem der Form und Methode der Einwirkung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen oder Schutzgebote auf das Privatrecht 2. Funktionelle Schranken der grundrechtlichen Einwirkungsmöglichkeit im Privatrecht 3. Das Verhältnis von Gesetzgeber und Richter als zur Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Schutzgebots beauftragten Staatsorganen III. Die Tendenz zur Konstitutionalisierung des Zivilrechts (Wo die Wohltat zur Plage wird) IV. Die Aufnahme der drei Auslegungsprinzipien im revidierten Art. 25 § 1 der griechischen Verfassung
V. Zu einer Typologie der Konstitutionalisierung des Zivilrechts 1. Die ohne zureichenden Grund erfolgte Berufung auf eine Verfassungsvorschrift als parallele Legitimationsbasis der Gerichtsentscheidung 2. Direkter Rückgriff auf ein Verfassungsprinzip bei Beiseiteschieben der einschlägigen Vorschriften des ZGB 3. Die monistische Berufung auf die verfassungsrechtliche Wertung – insbesondere auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip – und die Gefahr einer Verdunklung der wahren ratio legis 4. Der Rekurs auf den putativen Wertinhalt eines Verfassungsprinzips als Vehikel einer Rechtsfindung contra legem
I. Einleitung Mit der als Lüth-Urteil berühmt gewordenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.1.19581 vollzieht sich, wie bekannt, in der Rechtsprechung der obersten deutschen Gerichte ein Funktionswandel von ungeheurer Bedeutung für das Verhältnis von Verfassung und Privatrecht2. An diesem Tag erfährt nämlich die juristische Welt offiziel das, was uns heute fast selbstverständich erscheint, dass nämlich die Grundrechte zwar in erster Linie zur Sicherung der Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt bestimmt sind, also als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat fungieren, das Grundgesetz aber keine wertneutrale Ordnung sein will. Es enthält dagegen ein System von Wertentscheidungen, eine objektive Wertordnung, die
__________ 1 BVerfGE 7, 198 ff. 2 Näheres dazu Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 15 ff., 63 ff.
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ihre Ausstrahlung auf die gesamte Rechtsordung entfaltet und eine universale Geltung für das ganze Spektrum der Sozialverhältnisse beansprucht3. Seither wird die bis dahin herrschende Auffassung über Verfassung und Privatrecht als zwei strukturell disparate Rechtsgebiete, die nichts gemeinsames haben und nie zusammentreffen können4, völlig preisgegeben und der Einfluss des Verfassungsrechts auf das Zivilrecht nicht nur als allgemein erträglich, sondern auch als gern akzeptabel empfunden5. Niemand darf mehr daran zweifeln, dass auch das bürgerliche Recht Richtlinien und Impulse von den in der Verfassung enthaltenen Wertentscheidungen empfangen soll6. „Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm (dem Wertsystem) stehen, jede muss in seinem Geiste ausgelegt werden“, gebietet kategorisch das BVerfG7. Damit wurde die prinzipielle Beeinflussung des Zivilrechts durch die grundlegenden Wertentscheidungen der Verfassung – im Sinne der auf G. Dürig zurückgehenden Lehre von der mittelbaren Drittwirkung8 – etabliert. An die im Lüth-Urteil aufgestellten zentralen Aussagen hat sich das BVerfG auch in seiner neueren Rechtsprechung grundsätzlich gehalten9. Und der Zivilist, der bis jetzt niemals das Vorhandensein einer Unvollstängkeit in der Funktion des dogmatischen Systems des bürgerlichen Rechts, infolge seiner Verfassungsneutralität, wahrgenommen hatte, hat sich nun bereit gezeigt, die mit dieser neuen Qualifizierung der Verfassungsprinzipien angestrebten Ziele zu beherzigen. Und dies mit der Erwartung, dass mittels einer nun sozialgerechten Gestaltung seines Inhalts, unter dem Einfluss höherer in der Verfassung verankerter Gerechtigkeitskriterien, das System des Zivilrechts selbst aus dieser Entwicklung wohl erneuert, bereichert und kräftiger hervorgehen könnte10. Ob nun diese Erwartung heute als berechtigt angesehen werden kann, bleibt immer noch eine offene Frage, zumal es an Befürchtungen nicht gefehlt hat, dass ein maßloses Eindringen des verfassungsrechtlichen Denkens in das Zivilrecht zu einer Verdünnung der Eigenständigkeit seines
__________ 3 BVerfG, BVerfGE 7, 198, 205 ff.; dazu insbesondere Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 4 ff. Dass aber die Vorschriften der Verfassung kein geschlossenes Wertsystem bilden können, s. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 9. Aufl. 2004, Rz. 65; vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rz. 300 ff. 4 So etwa Diederichsen, Jura 1997, 57 ff.; vgl. auch G. Hager, JuS 2006, 769. 5 Zu der entscheidenden Rolle der mittlerweile zum Durchbruch gelangten Wertungsjurisprudenz zur Anerkennung der sog. Drittwirkung der Grundrechte s. Larenz/ Wolf, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 4 Rz. 17. 6 Zur Kritik jedoch an der Unbestimmtheit und Offenheit dieser Wertkonzeption und der durch sie hervorgerufenen Rechtsunsicherheit s. Diederichsen, Jura 1997, 57, 61; vgl. auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 7 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 63 ff. 7 BVerfG, BVerfGE 7, 198, 205. 8 Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Loseblatt, Art. 1 GG Rz. 1 ff.; ders. in FS H. Nawiasky, 1956, S. 157. 9 Ruffert (Fn. 2), S. 15 ff.; vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 43. 10 Zu diesem Zweck Bucher, SJZ 1987, 37, 47; vgl. auch G. Hager, JuS 2006, 769.
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dogmatischen Systems führen könnte11. Dass diese Gefahr noch intensiver im Bereich des griechischen Rechts auftritt, insbesondere nach der Änderung des Art. 25 § 1 der Verfassung im Jahre 2001, wird in den nachfolgenden Ausführungen darzulegen sein.
II. Die Konsolidierung der mittelbaren Drittwirkung im deutschen Recht Dass der Verfassung, wegen ihres hierarchisch höheren Ranges in der Gesamtrechtsordnung ein erheblicher Einfluss bei der Auslegung und Fortbildung des Privatrechts zukommen solle, ist heute eine geläufige Annahme. Denn ein verfassungsfreier Raum existiert nicht und alle Verfassungsvorschriften sind ausgestattet mit gewisser Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung. Dasselbe gilt zudem für den Doppelcharakter sowie auch für die Mehrdimensionalität der Funktion der Grundrechte. Seit dem Lüth-Urteil sind nämlich die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte, sondern auch Elemente einer objektiven Wertordnung, die eine „Ausstrahlungswirkung“ auch auf das Zivilrecht entfaltet12. Damit zusammenhängend wird heute allgemein anerkannt, dass zur dogmatischen Erklärung der Grundrechtswirkung im Privatrecht eine zusätzliche theoretische Grundlage der Ansatz bietet, der auf eine Schutzfunktion der Grundrechte abstellt. Nach dieser, vor allem von Canaris13 umfassend dargestellten, Konzeption verpflichten die Grundrechte – die nicht nur Eingriffsverbote, sondern auch Schutzgebote sind – den Staat, alles zu tun, um den Wertinhalt der Grundrechte zu verwirklichen. Dieses Schutzgebot, dessen Adressaten die Staatsorgane sind, vorwiegend also der Gesetzgeber und der Richter14, gilt nicht nur im Verhältnis zwischen Bürger und Staat, sondern auch in den Fällen, in denen die Gefährdung des mit dem Grundrecht geschützten Rechtsgutes von einem Privaten ausgeht. Allerdings ist dieses Schutzgebot dabei nicht als Optimum, sondern nur als „Untermaßverbot“ zu verstehen, was bedeutet, dass der vom Gesetzgeber angestrebte Schutz nicht hinter dem verfassungsrechtlich gebotenen Minimum zurückbleiben darf15.
__________ 11 So etwa Diederichsen, Jura 1997, 57 ff., wobei sogar von einer „Usurpation“ im Sinne einer Prägung auch des Privatrechts durch die Grundrechte ausdrücklich gesprochen wird. 12 Zum Doppelcharakter der Grundrechte statt vieler Hesse (Fn. 3), Rz. 279 ff. 13 S. eingehend Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227; dens., JuS 1989, 161 ff. Zum systematischen Zusammenhang von objektivrechtlichem Gehalt der Grundrechte und grundrechtlichen Schutzpflichten; vgl. auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 12 ff. 14 Dies wird nun ausdrücklich im veränderten Art. 25 § 1 II der Griechischen Verfassung von 1975/1968/2001 angeordnet. Nach dieser Vorschrift sind alle Staatsorgane verpflichtet, die unbehinderte und effiziente Ausübung der Menschenrechte zu sichern. 15 Canaris, JuS 1989, 161, 163; vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 52 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 215 ff.
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1. Die Drittwirkungsfrage als ein Problem der Form und Methode der Einwirkung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen oder Schutzgebote auf das Privatrecht Wie auch immer man die verschiedenen Funktionen der Grundrechte als dogmatische Grundlage der prinzipiell zu bejahenden verfassungsrechtlichen Wirkung im Privatrecht nutzbar machen mag, es ist sicher, dass keine Konzeption eine Antwort auf das „Wie“ der Verwirklichung des Schutzgebots bzw. der Wertentscheidung zu geben vermag. Denn gleich ob als Wertentscheidungen oder Schutzgebote gemeint, handelt es sich hier um Prinzipien mit unbestimmtem und offenem Inhalt, also nicht um unmittelbar auf Einzelfälle anwendbare Regeln, sondern um konktretisierungsbedürftige Wertungsmaßstäbe16. Und diese Konkretisierung ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, der dabei wie immer durch den Richter unterstützt und ergänzt wird. Gerade das „Wie“ der Einwirkung der verfassungsgesetzlichen Wertentscheidungen oder Schutzgebote auf das Gebiet der Privatrechtsbeziehungen stellt heute jedoch das Hauptproblem in der Diskussion über die Drittwirkung (oder horizontale Wirkung) der Grundrechte dar17. Es geht dabei vornehmlich um die dogmatische Form und die Methode, mittels derer der aus der objektiven Wertordung bzw. dem Gefüge der Schutzgebote zu entnehmende Rhythmus in unmittelbar auf den Einzelfall anwendbare Auslegungskriterien und Wertungsmaßstäben im Bereich des Zivilrechts transformiert werden kann. 2. Funktionelle Schranken der grundrechtlichen Einwirkungsmöglichkeit im Privatrecht Die Bewältigung dieser Frage – sollte man es wagen, den festen Boden der Lehre von der sog. mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zu verlassen und auf die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung überzugehen – bereitet dem Juristen unüberwindbare Schwierigkeiten. Denn einem solchen Unternehmen werden – unvermeidlich – funktionelle Schranken gesetzt, die mit der verschiedenen Struktur und Aufgabe jedes der beiden Rechtsgebieten sowie mit dem Bedürfnis zusammenhängen, das verfassungsrechtlich bestimmte Gleichgewicht zwischen Gesetzgeber und Richter in ihrer Rolle als Organe der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes zu bewahren18. Deshalb stellt es eine vernünftige, der Natur der Sache Rechnung tragende Entwicklung dar, dass sich in Deutschland, aber auch in anderen europäischen
__________ 16 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 13. Zum Unterschied zwischen Prinzip und Norm s. statt vieler Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3. Aufl. 1974, S. 48 ff., 73 ff., 95 ff. und passim. 17 S. etwa Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2005, Rz. 759 ff.; vgl. auch Hesse (Fn. 3), Rz. 350 ff. 18 Dazu vgl. Hesse (Fn. 3), Rz. 82 ff., 354 ff.; Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 66; ausführlicher Ruffert (Fn. 2), S. 223 ff. und passim.
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Ländern19, die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte durchgesetzt hat20. Diese Lehre, heute bereichert durch die auch vom BVerfG geteilte Erkenntnis, dass die verschiedenen Funktionen der Grundrechte sich reibungslos miteinander kombinieren lassen21, vermag nicht nur die Aufgabe der Verfassung und die teleologische Funktion der Grundrechte hinreichend zu berücksichtigen, sondern auch den Eigentümlichkeiten des Privatrechts Rechnung zu tragen, die der Idee einer unmittelbaren Wirkung der Verfassungsprinzipien in privatrechtlichen Beziehungen entschieden entgegenstehen22. Ausgangspunkt dieser theoretischen Konzeption ist die Einsicht, dass das autonome Verhalten der Person innerhalb einer privatrechtlichen Beziehung, die durch die prinzipielle Parität der Privatrechtssubjekte gekennzeichnet ist, streng von der Beziehung zwischen Bürger und öffentlicher Gewalt zu unterscheiden ist. Akte von Privatrechtsubjekten, also z. B. Rechtsgeschäfte oder unerlaubte Handlungen, unterliegen daher als solche nicht der unmittelbaren Bindung an die Grundrechte23. Darüber hinaus respektiert diese theoretische Annäherung den Erkenntnisvorrang des Zivilrechts24, während sie zugleich das von der Verfassung etablierte Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richter, in ihrer Rolle als an dem Konkretisierungsvorgang der verfassungsrechtlichen Wertmaßstäbe beteiligte Organe, unangetastet lässt. Was die Aufgabe der Verfassung und die normative Stuktur der Verfassungsnormen anbelangt, ist zunächst Folgendes zu bemerken: Aufgabe der Verfassung ist es nicht, Regeln aufzustellen, die als unmittelbar anwendbare Regelungsmuster bei der Entscheidung privatrechtlicher Fragen fungieren könnten. Das ist Sache des Zivilrechts, das über ein reiches verfassungskonformes Arsenal an inhaltlichen Vorgaben zu Fallentscheidung verfügt25. Die Vorschriften der Verfassung, die sich auf die Grundrechte oder die Staatseigenschaften, wie
__________ 19 Für die Schweiz s. etwa Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2005, S. 89 ff.; Bucher, SJZ 1987, 37 ff.; für Österreich Koziol/Welser, Grundriß des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 2006, S. 28 ff.; für England, nach dem Human Rights Act 1998, Markesinis, LQR 115, 46, 72 ff.; für Griechenland, allerdings vor der Verfassungsänderung von 2001, J. Iliopoulos-Strangas, Die „Drittwirkung“ der Grundrechte der Verfassung 1975 (auf griechisch), 1990; Papanikolaou, Juristische Methodenlehre und Auslegung der Rechtsgeschäfte (auf griechisch), 2001, Rz. 258 ff. 20 Aus der neueren Diskussion s. etwa Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 64 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff.; Rüthers (Fn. 17), Rz. 759 ff.; zum Näheren Ruffert (Fn. 2), S. 12 ff. 21 Grundlegend BVerfG, NJW 2001, 957 ff.; vgl. auch BVerfG, BVerfGE 81, 242, 253 ff.; 89, 214, 232. Für ein Zusammenwirken von Eingriffsverbot und Schutzgebot Canaris, JuS 1989, 161, 163; vgl. auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 12 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 146 ff.; Calliess, JZ 2006, 321 ff. 22 Dazu eingehend Ruffert (Fn. 2), S. 45 ff.; vgl. ferner Medicus, AcP 192 (1992), 35, 54 ff. 23 Dazu ausführlich Canaris, AcP 184 (1984), 201, 205 ff.; ders., JuS 1989, 161, 162. 24 Hierzu s. etwa Ruffert (Fn. 2), S. 49 ff. und passim. 25 Vgl. Hesse (Fn. 3), Rz. 279 ff., 350 ff.; Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 65 ff.; A. SchmittGlaeser, Vorverständnis als Methode, 2004, S. 215 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 45 ff., 154 ff., 221 ff., 342 ff.
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z. B das Sozialstaatsprinzip, beziehen, ganz abgesehen davon, ob sie als Eingriffsverbote oder Schutzgebote zu verstehen sind, verkörpern Prinzipien, die genau wegen ihrer Gestaltsqualität keine unmittelbar auf Einzelfälle anwendbare Regeln enthalten, sondern stets gesetzesmediatisiert sind26. Diese Prinzipien sind ursprünglich als absolute d. h. monistisch wirkende und zu Asymmetrie tendierende Größen konzipiert, so dass sie ihre Wirkung auf privatrechtliche Beziehungen, in denen sich beide Subjekte als gleichberechtigte Träger von Grundrechten gegenüber treten, nicht unvermittelt entfalten können, sondern einer Ausbalancierung der entgegengesetzten Freiheitssphären bedürfen27. Erst durch seine Abwägung mit dem Grundrecht des anderen kann das Verfassungsprinzip seine wahre normative Tragweite erhalten28. Gerade dieser Ausgleich kann aber nur mit den dogmatischen Mitteln des Zivilrechts erfolgen. In dieser Funktion kommt dem Zivilrecht ein Erkenntnisvorrang zu, der durch den traditionsbedingten Reichtum und die Feinheit seines dogmatischen Systems zu rechtfertigen ist. Mit Recht lässt sich also behaupten, dass dem Geltungsvorrang der Verfassung die Überlegenheit des Zivilrechts hinsichtlich der Verfügbarkeit von unmittelbar anwendbaren, den rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Regelungsmustern zur Bewältigung privatrechtlicher Probleme entgegen zu halten ist29. 3. Das Verhältnis von Gesetzgeber und Richter als zur Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Schutzgebots beauftragten Staatsorganen Mit dieser funktionellen Ungleichartigkeit zwischen Verfassungsprinzipien und Zivilrechtsnormen hängt die verschiedene Rolle von Gesetzgeber und Richter bei der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen oder Schutzgebote eng zusammen. In der Tat ist gerade diese Differenzierung der wichtigste Grund, der gegen eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte im Gebiet der privatrechtlichen Verhältnisse spricht. Aus der Verfassung selbst, und zwar vorwiegend aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz, ergibt sich, dass primär der einfache Gesetzgeber zur Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Wertmaßstäbe bzw. zur Verwirklichung der Schutzpflichten und zugleich zur Konfliktschlichtung berufen ist30. Das BVerfG gesteht ihm dabei sogar einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestal-
__________ 26 Hesse (Fn. 3), Rz. 354 ff.; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 13 ff., 21 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 75 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 203 ff.; im Allgemeinen vgl. Canaris/Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl. 2007, S. 240 ff., 302 ff. 27 Vgl. etwa Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 64; ferner Medicus, AcP 192 (1992), 35, 60. 28 Zum Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung, in dem – als „bewegliches System“ im Sinne Wilburgs konzipiert – die Prinzipien ihren eigentlichen Sinngehalt erst erhalten, s. Canaris/Larenz (Fn. 26), S. 302 ff. 29 So etwa Ruffert (Fn. 2), S. 45 ff.; vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 60; G. Hager, JuS 2006, 771 f. 30 Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 66; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227 ff.; Hesse (Fn. 3), Rz. 350 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 55 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 201 ff.
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tungsbereich zu31. Nur das Untermaßverbot darf er dabei nicht verletzen32. Gerade die Erkenntnis, dass nur das Untermaßverbot als Kontrollmaßstab der gesetzgeberischen Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten in Betracht kommt und nicht etwa die optimale Verwirklichung des Grundrechts33, eröffnet den Weg zur Unterscheidung zwischen verfassungskonformer und verfassungsorientierter Auslegung34. Dem Richter obliegt die selbe Aufgabe nur subsidiär, nur insoweit wie der Gesetzgeber dafür Raum gelassen hat. Sofern Letzterer eine spezielle Regelung bereits getroffen hat und diese innerhalb des von der Verfassung vorgezeichneten Rahmens liegt, hat der Richter sie zu beachten. Er darf nicht seine persönliche Wertung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen35. Die gesetzliche Regelung so zu gestalten, dass sie eine optimale oder eine verhältnismäßigere Verwirklichung des Grundrechts wiedergibt, ist dem Richter verboten. Praktisch heißt dies, dass für die Konkretisierung der Verfassungsgrundsätze durch den Richter hauptsächlich bei der Anwendung der Generalklauseln Raum bleibt, die gerade dazu bestimmt sind, das System des Zivilrechts offen für neue Wertungsvorstellungen zu halten, und zugleich eine Delegation der Konfliktlösung im Einzelfall auf den Richter enthalten36. Zu Recht wird also diese Möglichkeit bereits im Lüth-Urteil hervorgehoben37. Nach der Auffassung des BVerfG, die auch in seiner neueren Rechtsprechung bestätigt wird38, entfaltet sich der Wertgehalt der Grundrechte im Privatrecht vorwiegend durch das Medium der Generalklauseln, die dabei als „Einbruchsstellen“ der Grundrechte fungieren. Damit bekannte sich das BVerfG ersichtlich zu der auf G. Dürig zurückgehenden Lehre der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte.
III. Die Tendenz zur Konstitutionalisierung des Zivilrechts (Wo die Wohltat zur Plage wird) Während aber in Deutschland die unmittelbare Wirkung der Grundrechte, gleich ob sie als Wertenscheidungen oder Schutzgebote verstanden werden, in Privatrechtsverhältnissen heute zu Recht einhellig abgelehnt wird, hat es auf der anderen Seite an Stimmen nicht gefehlt, die einen ernsten Skeptizismus
__________ 31 32 33 34 35
BVerfG, BVerfGE 56, 54, 81; 79, 174, 201 ff. Statt vieler Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228; ders., JuS 1989, 161, 163. Ruffert (Fn. 2), S. 212 ff.; vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 59 ff. Hierzu eingehend Canaris in FS E.Kramer, 2004, S. 142 ff. Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 66; Hesse (Fn. 3), Rz. 355 ff.; vgl. auch BVerfG, BVerfGE 97, 169, 178; weiter Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (von R. Dubischar), 1968, S. 35 ff., 50 ff., 172 ff.; Canaris/Larenz (Fn. 26), S. 55, 139, 246 ff.; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 34 ff., 154 ff. 36 Hesse (Fn. 3), Rz. 300 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 231 ff. 37 BVerfG, BVerfGE 7, 198, 205 ff. 38 Vgl. etwa BVerfG, BVerfGE 81, 242, 254 ff.; 89, 214, 229 ff.
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gegen eine verfassungsrechtliche Überformung des Zivilrechts äußern. In dem Versuch, die Rechtsfindung bei einem privatrechtlichen Rechtsstreit mit den Mitteln vager Grundrechtsprinzipien zu steuern und kontrollieren, und zwar auch in den Fällen, in denen das Arsenal des dogmatischen Systems des Zivilrechts völlig ausreicht, um die richtige und gerechte Konfliktlösung zu geben, sieht man einen Faktor, der die Eigenständigheit des Zivilrechts auszudünnen droht39. In diesem Sinne wird hier von einer Konstitutionalisierung des Zivilrechts gesprochen40. Mit dem maßlosen und nicht methodisch geleiteten Eindringen des verfassungsrechtlichen Denkens in das Gebiet des Zivilrechts hört die Verfassung auf, als Inspirator, Führer und gegebenenfalls „Korrektor“ des Privatrechts zu fungieren, wie es eigentlich ihre Natur vorschreibt, und schlägt sie in einen Organisator des Rechtsschutzes der innerhalb des Privatsrechtsverhältnisses kollidierenden Grundrechtsgüter um, was eigentlich Aufgabe des einfachen Gesetzgebers und nur subsidiär des Richters ist41. Und die Ausstrahlung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen tendiert dazu, sich von einem Bereicherungs- und Bekräftigungsfaktor der Dogmatik des Zivilrechts – wie es ihrer ursprünglichen Konzeption entsprach – nunmehr zu einer Drohung für dessen Eigenständigkeit zu verwandeln. Dieses Phänomen des „Überflusses des Konstitutionalismus“42 ist in Griechenland während der letzten Jahre, vor allem nach der Änderung des Art. 25 § 1 der Verfassung im Jahre 2001, besonders spürbar geworden43. Sowohl in der Rechtsprechung unserer Zivilgerichte als auch unter den Zivilisten herrscht nun die Tendenz, bei der Entscheidung fast jeder privatrechtlichen Frage, besonders wenn in deren Rahmen Wertungsprobleme auftauchen, einen Rückgriff auf die Verfassung und die EMRK stets für nötig zu halten. Wohl ist entgegen der Befürchtung G. Dürigs noch nicht der Tag gekommen, an dem man den Vindikationsanspruch nicht mehr aus § 985 BGB (= 1094 ZGB), sondern aus Art. 14 Abs. 1 GG (= Art. 17 der Verfassung) ableitet44, zu Recht darf man indessen daran zweifeln, ob der Zivilist heutzutage noch in der Lage ist, mit dogmatischen Kategorien ausschließlich des Zivilrechts eine finale Aussage über eine privatrechtliche Wertungsfrage zu treffen, ohne der verfassungsrechtlichen Stimmigkeitskontrolle zu unterliegen.
__________ 39 So etwa Diederichsen, Jura 1997, 57 ff.; vgl. auch Ruffert (Fn. 2), S. 45 ff.; weiter Bucher, SJZ 1987, 37 ff. 40 Vgl. auch Markesinis/Unberath/Johnston, The German Law of Contract, 2. Aufl. 2006, S. 37 ff.; aber auch Schuppert/Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 9 ff.; Hess, JZ 2005, 540 ff.; G. Hager, JuS 2006, 769 ff. 41 Ph. Vegleris in Vorwort von J. Iliopoulos-Strangas (Fn. 19), S. III. 42 Vegleris (Fn. 41), S. III. Zum selben Phänomen im Privatrecht von UK und USA s. Markesinis/Unberath, The German Law of Torts, 4. Aufl. 2002, S. 28 ff. 43 Hierzu eingehend Papanikolaou, Verfassung und Eigenständigkeit des Zivilrechts (auf griechisch), 2006, Rz. 22 ff. 44 Dürig in FS Nawiasky (Fn. 8), S. 157, 175.
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Den besten Beweis für die Stichhaltigkeit dieser Befürchtung bietet wohl die berühmte Bürgschaftsentscheidung des BVerfG45. Die genuin zivilrechtliche Frage, um die es dort ging, hätte mit der richtigen Auslegung der per se nicht zu beanstandenden maßgebenden Vorschriften des BGB (§§ 138 und 242) und den im dogmatischen System des Zivilrechts bereits entwickelten Wertungskriterien genauso gut entschieden werden können, so dass die Begründung mittels der Hervorhebung der Bedeutung der Privatautonomie als verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsgutes (Art. 2 Abs. 1 GG) nichts Wesentliches hinzuzufügen hätte46. Das Bedürfnis zum Schutz des Schwächeren in Ungleichgewichtslagen – nämlich in denjenigen Vertragssituationen, in denen sich „eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt und die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend sind“47 – ist dem Zivilrecht seit jeher gut bekannt48 und die Dogmatik des geltenden Vertragsrechts hat schon seit der Zeit des Reichsgerichts verfassungskonforme Instrumente entwickelt, die es gerade möglich machen, „auf strukturelle Störungen der Vertragsparität angemessen zu reagieren“49. Das wird auch vom BVerfG selbst durch die Bezugnahme auf Wieackers Erkenntnis eindeutig anerkannt, dass jahrelang schon das herrschende Vertragsethos im deutschen Zivilrecht dasjenige einer materialen Ethik sozialer Verantwortung sei50. Was hier ferner besonders verblüffend klingt, ist die Feststellung des BVerfG, dass der BGH „die Frage, ob und inwieweit beide Vertragspartner über den Abschluß und Inhalt des Vertrages tatsächlich frei entscheiden konnten, sich nicht stellte“51. Diese Beanstandung hat offensichtlich mit dem Verfassungsrang der Privatautonomie sowie auch mit dem Sozialstaatsprinzip gar nichts zu tun, da die Abgrenzung der Regelungsfunktion der Privatautonomie und der
__________ 45 BVerfGE 89, 214. 46 Zur Affinität der in dieser Entscheidung enthaltenen dogmatischen Begründung mit der verfassungsunabhängigen Theorie von Lord Denning über „inequality of bargaining power“ und ihre Einordnung in die Doktrin von „Undue Influence“ – im Falle Lloyds Bank Ltd v. Bundy (1975, QB 326, 339) – s. Markesinis/Unberath/Johnston, The German Law of Contract, 2. Aufl. 2006, S. 40 ff. und 254 ff. 47 BVerfG, BVerfGE 89, 214, 232. 48 Vgl. Ruffert (Fn. 2), S. 342 ff.; auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 60 ff. Zu der Bedeutung dieses Leitsatzes des Beschlusses für das heutige Vertragsrecht s. Rittner, NJW 1994, 3330. 49 Vgl. BVerfG, BVerfGE 89, 214, 232 ff. Zum Versuch des BGH (s. etwa BGHZ 125, 206, 213; BGH, NJW 1997, 52, 53), nun § 138 BGB in einer der zivilrechtlichen Dogmatik entsprechenden, von verfassungsrechtlichen Erwägungen durchzogenen Weise als Schutznorm zu Gunsten des vermögenslos bürgenden Familienangehörigen aufzubauen, s. Ruffert (Fn. 2), S. 349 ff.; G. Hager, JuS 2006, 772. 50 Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, S. 24; BVerfG, BVerfGE 89, 214, 233. 51 BVerfG, BVerfGE 89, 214, 231; vgl. auch S. 234, wobei dem BGH vorgeworfen wird, in seiner angegriffenen Entscheidung hat er „das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen …“.
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damit zusammenhängende „Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört“52. Als Resultat dieser zur Mode gewordenen Auffassung ist das Phänomen anzusehen, dass oft die Grenzen, die der normativen Wirkung der Verfassungsprinzipien aus ihrer Natur gesetzt werden, verloren gehen. Meistens ist der Rekurs auf diese Prinzipien – vor allem auf den im Art. 25 § 1 IV der Verfassung verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – gar nicht nötig, manchmal sogar wird infolge eines solchen Rückgriffs die wahre ratio legis verdunkelt, während es schließlich Fälle gibt, in denen die Berufung auf verfassungsrechtliche Prinzipien eine Missachtung von Wortlaut und Zweck der zu interpretierenden Norm enthält und mithin zu einer mit den Kriterien der klassischen Methodenlehre verbotenen Rechtsfindung contra legem führt53. Zweck des vorliegenden Beitrags ist nicht, die Grundlage der neuen Erkenntnis zu erschüttern, die die richtige Rechtsfindung im Bereich der privatrechtlichen Verhältnisse im Rahmen eines aus mehreren Ebenen bestehenden Wertsystems vollzogen wissen will54, sondern die Übertreibungen aufzuzeigen, die bei der Berufung auf Verfassungsgrundsätze zu bemerken sind. Es wird vor allem das Bedürfnis betont, dass die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf diejenigen Fällen beschränkt bleibt, in denen entweder die Struktur der verfassungsrechtlichen Norm eine solche ist, die ihr erlaubt, dem Richter einen Wertmaßstab direkt anzubieten, der geeignet ist, allein die ratio decidendi im konkreten Fall zu bilden55, oder in denen in der Tat eine Zuflucht zu dem Wertgehalt des Grundrechtes für nötig gehalten wird, damit die ratio legis vollkommen erhellt wird56. Gleichzeitig sei hier mit Nachdruck betont, dass der Rekurs auf Verfassungsprinzipien im Bereich privatrechtlicher Verhältnisse auf methodisch bewährtem Weg erfolgen muss, so dass vollkommene Transparenz im Gedankengang des Rechtsfinders gesichert ist und ein oft verdecktes Beiseiteschieben von Regeln des Zivilrechts vermieden wird, die allein eine angemessene Lösung im konkreten Fall zu geben vermögen57.
__________ 52 53 54 55
BVerfG, BVerfGE 89, 214, 233. Zu dieser Typologie s. ausfühlich unter V. Hess, JZ 2005, 540, 541, 552. Das ist etwa bei der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG der Fall; so statt vieler Hesse (Fn. 3), Rz. 351. Dasselbe gilt im griechischen Recht für den Art. 22 § 1 Satz 2 der Verfassung, wonach: „Alle Arbeitsleistenden, unabhängig von Geschlecht oder anderer Diskriminierung, haben ein Recht auf gleiche Vergütung für Arbeit von gleichem Wert“. 56 Das dürfte bei dem Verbot der Knebelungsverträge nach § 138 Abs. 1 BGB der Fall sein, namentlich in Vertragssituationen, wobei es um eine weitreichende Beschränkung der Berufsfreiheit geht, wie etwa im Handelsvertreterbeschluss des BVerfG, s. BVerfGE 81, 242, 253 ff.; vgl. auch Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 67. Übrigens könnte man, mit G. Hager, JuS 2006, 771 ff., unterscheiden zwischen den Fällen (s. z. B. die Bürgschaftsentscheidung), in denen das Zivilrecht eine hinreichend durchstrukturierte Regelung mit verfassungsrechtlichem Bezug aufweist, und denjenigen, in denen es für den Konflikt zwischen den zwei verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern lediglich Generalklauseln zur Verfügung stellt (wie etwa im Lüth- oder Mephisto-Urteil, BVerfGE 30, 173). 57 Das wird besonders von Bucher, SJZ 1987, 37, 47, betont.
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IV. Die Aufnahme der drei Auslegungsprinzipien im revidierten Art. 25 § 1 der griechischen Verfassung Bis zur Verfassungsänderung von 2001 war auch in Griechenland die Lehre von der mittelbaren Wirkung der Grundrechte – wenigstens unter den Zivilisten – die vorherrschende Ansicht. In der Rechtsprechung unserer Zivilgerichte schien jedoch das Bedürfnis einer rechtstheoretischen Präzisierung des Begriffs der Drittwirkung nicht besonders spürbar zu werden. Dagegen wurde – und dies gilt auch heute noch – der Rückgriff auf Verfassungsprinzipien – hauptsächlich bei der Anwendung der Generalklauseln des griechischen ZGB – in der Regel ohne jegliche typologische Differenzierung (unmittelbare, mittelbare Drittwirkung) und zugleich ohne Bewusstsein der Methode ihrer interpretativen Verwertung im Bereich der privatrechtlichen Verhältnisse durchgeführt58. Infolgedessen blieben sowohl der Begriff als auch die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung als der wichtigsten Emanation der grundrechtlichen Drittwirkung stets verwischt59. Mit der Verfassungsänderung von 2001 und vor allem mit der Einführung der neuen Vorschriften des Art. 25 § 1, die die wichtigste Regelung des „Revisionsacquis“ ausmachen, scheint jedoch die alte Auffassung über die mittelbare Wirkung der Grundrechte nunmehr tief erschüttert zu werden und die Ansicht, dass mit dieser Regelung nunmehr die unmittelbare Wirkung der gesamten Verfassungsordnung in die griechische Rechtsordnung ausdrücklich eingeführt wird, unwiderstehlich zu sein60. Mit diesen Vorschriften hat nun der Verfassungsgesetzgeber drei funktionell miteinander zusammenhängende Auslegungsprinzipien in Bezug auf „die Rechte des Menschen als Individuums und Mitglieds des sozialen Ganzen“ aufstellen wollen, zu dem Zweck, nicht nur diesen Rechten einen möglichst weiten normativen Inhalt zu verschaffen, sondern auch eine Auslegungsmethode von höherem normativen Rang festzuschreiben, hinter der jede andere interpretative Annäherung der Verfassungsvorschriften, mit denen diese Rechte unter die Garantie des Staates gestellt werden, zurückzubleiben hat61. Diese Prinzipien sind erstens der Grundsatz der ungehinderten und wirkungsvollen Ausübung der Verfassungsrechte (Art. 25 § 1 II), der alle Staatsorgane dazu verpflichtet, die Verwirklichung des Wertinhalts des Rechts sicherzustellen. Zweitens, der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung der Verfassungs-
__________ 58 S. etwa Areopag 13/2003 Plenum, Nomiko Vima 51, 1419; Areopag 1217/2005, Nomiko Vima 54, 206; vgl. Ev. Veniselos, Das Revisionsacquis (auf griechisch), 2002, S. 138; Ph. Doris, Juristische Studien (auf griechisch), 1993, S. 27 ff. 59 Zur Notwenigkeit einer Einfügung der verfassungskonformen Auslegung in das System der juristischen Methodenlehre eingehend Canaris in FS E. Kramer (Fn. 34), S. 141 ff. 60 Veniselos (Fn. 58), S. 138; Ap. Georgiades, Allg. Teil (auf griechisch), § 6 Rz. 47 ff.; M. Stathopoulos, Schuldrecht (auf griechisch), 4. Aufl. 2004, § 1 Rz. 33 ff.; dagegen aber Pr. Dagtoglou, Grundrechte (auf griechisch), 2. Aufl. 2005, Rz. 1568; K. Chrysogonos, Grundrechte (auf griechisch), 2. Aufl. 2002, S. 63 ff. 61 Veniselos (Fn. 58), S. 131 ff.
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rechte (Art. 25 § 1 III), auf Grund dessen die Verfassungsrechte auch in den Verhältnissen zwischen Privatrechtssubjekten gelten, für die sich eignen. Drittens, das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 25 § 1 IV), das besagt, dass jede Einschränkung der Menschenrechte das von diesem Prinzip vorgeschriebene Maß zu beachten hat62. Dieser ehrgeizige und weltweit einmalige Versuch des Revisionsgesetzgebers, Auslegungsprinzipien positivrechtlich in der Verfassung zu regeln, und zwar zu dem Zweck, dass sie eine höherrangige Auslegungsmethode bilden, die die Frage der Geltung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen in allen Bereichen des sozialen Lebens erledigen würde, ist auf heftige Kritik im Schrifttum gestoßen. Dagegen wurde angeführt, dass die Auslegung des Rechts keine Sache des Verfassungsgesetzgebers ist, sondern der Judikatur63. Mit der Änderung des Art. 25 § 1 hat sich der Verfassungsgesetzgeber in fremde Angelegenheiten eingemischt. Nur die Dogmatik und die Rechtsprechung dürfen Theorien, wie die Drittwirkung, akzeptieren oder ablehnen64. Im Großen und Ganzen ist das Regelungsziel des Revisionsgesetzgebers eine Utopie geblieben65. Tatsächlich scheint hier die Regelungsabsicht des Revisionsgesetzgebers die Grenzen zu überschreiten, die die Aufgabe der Verfassung und die normative Struktur der Verfassungsnormen sowie auch das Gewaltenteilungsprinzip der Macht des Verfassungsgesetzgebers zur Bestimmung von Umfang und Form der Wirkung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen als Erkenntniskriterien bei der Schlichtung von Privatrechtskonflikten setzen. Mit dieser Entscheidung des Revisionsgesetzgebers könnte natürlich die Aufgabe der Verfassung nicht dahin wesentlich verändert werden, dass sie etwa fortan klare und detaillierte Regelungsmuster für die Entscheidung einzelner privatrechtlichen Rechtsfragen anbietet. Diese Vermittlungsfunktion verbleibt, wie wir gesehen haben, immer noch Sache des an Erkenntnismitteln und angemessenen Lösungen überlegenen Zivilrechts. Gleiches gilt auch für die Struktur der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen. Diese verbleiben, wie zuvor, Leitgedanken, Prinzipien mit geringem Aussagewert und beweglicher Struktur, so dass sie stets nicht unvermittelt, sondern erst nach dem nötigen Ausgleich mit den anderen Prinzipien des inneres Systems des Zivilrechts als justiziable Wertungsmaßstäbe auf die privatrechtlichen Konflikte einwirken können66. Darüber hinaus wäre es unrealistisch zu glauben, dass mit dieser Regelung eine wesentliche Änderung in dem vom Gewaltenteilungsprinzip und dem
__________ 62 63 64 65 66
Zu diesen Auslegungsprinzipien eingehend Veniselos (Fn. 58), S. 135 ff. G. Mitsopoulos, Akten der Akademie von Athen, 2001, S. 112 ff. So etwa Ap. Georgiades (Fn. 63), S. 128. Dazu eingehend Papanikolaou (Fn. 43), Rz. 43 ff. Vgl. F. Bydlinski, AcP 204 (2004) 309, 329 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 5. Aufl. 2006, S. 75 ff.; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 21 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 60; A. Schmitt-Glaeser (Fn. 25), S. 217 ff.; ferner auch Canaris/Larenz (Fn. 26), S. 240 ff., 302 ff.
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Prinzip der Rechtssicherheit bestimmten Verhältnis zwischen einfachem Gesetzgeber und Richter angestrebt wurde, wie der Wortlaut des Art. 25 § 1 II es zu erlauben scheint67. Ersterer wird auch nach der Anordnung des Art. 25 § 1 II das primär zuständige Staatsorgan für die Verwirklichung des in dieser Vorschrift statuierten allgemeinen Schutzgebots verbleiben und seine Gestaltungsfreiheit jenseits des Untermaßverbots ungeschmälert beibehalten. Und der Richter wird seinerseits seine nur sekundäre Rolle dabei auch behalten. Er wird auch nun nicht aufhören, der Gehilfe des Gesetzgebers zu sein, der stets dessen Wertentscheidungen mit „denkendem Gehorsam“ zu folgen hat68. Der Eindruck, den der Worthaut dieser Vorschrift erweckt, dass nämlich nunmehr Gesetzgeber und Richter zu gleichrangigen und parallel handelnden Adressaten des einschlägigen Schutzgebots, und zwar zu einer optimalen Verwirklichung dieses Gebots verpflichtet werden, ist völlig irreführend. Dementsprechend dürfte diese Vorschrift nicht dahin verstanden werden, dass sie auf methodologischer Ebene etwa die Anerkennung der sog. „verfassungsorientierten Auslegung“ als Auslegungskriterium von höherer normativen Geltung (Vorzugsregel) vorschreibt, was bis jetzt nur für die verfassungskonforme Auslegung der Fall war69. Die Frage nach der Form, in der die Einwirkung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen im Bereich der privatrechtlichen Verhältnisse erfolgt, hängt funktionell hauptsächlich mit dem Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richter als den zur Verwirklichung des allgemeinen Schutzgebots des Art. 25 § 1 II berufenen Staatsorganen zusammen. Solange es nämlich aus Gründen der demokratischen Legitimation und der Rechtssicherheit, als richtig angesehen wird, die Rolle des primär Zuständigen für die Erfüllung dieser Aufgabe dem Gesetzgeber zuzuschreiben, während dem Richter nur subsidiär die Befugnis zustehen soll, unmittelbar – d. h. unabhängig von dem gesetzgeberischen Muster – die Konkretisierung dieses Gebots vorzunehmen – nämlich nur dann, wenn ein solches Regelungsmuster gar nicht existiert oder das vorhandene infolge der Unbestimmtheit dessen Tatbestands unvollständig erscheint –, wird die Einwirkung der Verfassungsprinzipien auf die privatrechtlichen Verhältnisse unvermeidlich mittelbar bleiben. Denn unmittelbare Einwirkung der Verfassungsrechte auf die privatrechtlichen Verhältnisse bedeutet vor allem, dass dem Rechtsanwender die Möglichkeit zustehen würde, unvermittelt – d. h. ohne das vom Gesetzgeber bereit gehaltene Regelungsmuster beachten zu müssen – zu ihnen Zuflucht zu nehmen. Dies wird freilich von niemandem ernsthaft vertreten.
__________ 67 Dazu insbesondere Ruffert (Fn. 2), S. 228 ff.; vgl. auch Markesinis/Unberath/ Johnston (Fn. 46), S. 42 ff. 68 Der zitierte Ausdruck geht bekanntlich auf Heck (S. 55) zurück. Zum Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers vgl. auch Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 66; Canaris, JuS 1989, 161, 163; Hesse (Fn. 3), Rz. 354 ff.; BVerfG, BVerfGE 81, 242, 254 ff.; 97, 169, 178. 69 Zur der nötigen Differenzierung Canaris in FS E. Kramer (Fn. 34), S. 142 ff.
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Deswegen erweist sich die mit der Statuierung des Art. 25 § 1 III verbundene Regelungsabsicht des Revisionsgesetzgebers, eine Vermutung zu Gunsten der unmittelbaren Wirkung der Verfassungsrechte aufzustellen70, als eher utopisch71. Nur ausnahmsweise wird es Fälle geben – vor allem im Gebiet des Arbeitsrechts, in dem man einer strukturellen Ungleichgewichtslage oft begegnet72 –, in denen sich die Verfassungsrechte zu einer Anwendung auf privatrechtliche Verhältnisse eignen würden. In der Regel erweist sich jedoch das Verhältnis zwischen Privatrechtssubjekten, das dadurch charakterisiert wird, dass hier beide beteiligten Bürger selbst Grundrechtsträger sind und sich im Allgemeinen prinzipiell gleichberechtigt gegenüberstehen, als völlig ungeeignet, das Gebiet einer unmittelbaren Wirkung der als absolute und monistisch zu Gunsten des Bürgers wirkenden Größen konzipierten Menschenrechte auszumachen73. Insbesondere im Bereich des Vertragsrechts, in dem sich jede Einschränkung der Freiheit – soweit sie nicht in eine konkrete schwerwiegende Beeinträchtigung der Selbstbestimmung umschlägt und das Existenzminimum der betroffenen Partei nicht gefährdet74 – durch das Prinzip der Privatautonomie rechtfertigen lässt, ist eine unmittelbare Wirkung der Verfassungsrechte sehr bedenklich75. Denn die Schutzmechanismen, die die zivilrechtliche Dogmatik seit langem entwickelt hat und die das geltende Vertragsrecht bereit hält – vor allem durch die als Übermaßverbote wirkende Generalklauseln der §§ 138, 242, 315 BGB76 – werden generell als fähig anerkannt, dem geltenden Recht zu einer angemessenen Reaktion auf strukturelle Störungen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zu verhelfen77. Es genügt also die richtige Anwendung dieser Regeln des Zivilrechts, teleologisch betrachtet vor allem aus der Perspektive der von BVerfG selbst postulierten „materialen Ethik sozialer Verantwortung“78, damit der Richter das entsprechende verfassungsrechtliche Schutzgebot mit den dogmatischen Mitteln ausschließlich des Zivilrechts angemessen verwirklichen kann. Ein Rückgriff
__________
70 So Veniselos (Fn. 58), S. 136 ff. 71 Vgl. Dagtoglou, Grundrechte A, Rz. 182A; auch Chrysogonos (Fn. 60), S. 63 ff. 72 Dazu insbesondere Ruffert (Fn. 2), S. 12, 197 ff.; zu der Problematik der „sozialen Macht“ vgl. jedoch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 206 ff. Zu der Presse als der wohl wichtigsten zeitgemäßen privaten Machtquelle Markesinis, LQR 115, 47, 78 ff. 73 Schon Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz (Fn. 8), Art. 3 GG Rz. 513; vgl. auch Hesse (Fn. 3), Rz. 354; Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 65; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 205 ff.; zum „Grundsatz der beidseitigen Begründung“ als Strukturelement des Zivilrechts F. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 341 ff. 74 Zu diesen Schranken, deren Notwendigkeit alter Zivilrechtstradition entspricht, s. etwa BVerfG, BVerfGE 81, 242, 253 ff. und 89, 214, 229 ff. 75 So etwa Canaris, AcP 184 (1984), 201, 208 ff.; vgl. auch Larenz/Wolf (Fn. 5), § 4 Rz. 64 ff.; Hesse (Fn. 3), Rz. 354 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 61 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 338 ff. 76 Dazu Canaris, AcP 184 (1984), 201, 208 ff. 77 So eindeutig BVerfG, BVerfGE 89, 214, 233 f.; vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 61 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 342 ff. 78 BVerfGE 89, 214, 233 mit Bezug auf Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, S. 24.
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auf einschlägige Verfassungsprinzipien, wie etwa das Sozialstaatsprinzip, vor allem aber diejenige der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit, erweist sich hier nicht nur als überflüssig, sondern darüber hinaus als gefährlich, da er zu einer schärferen Kontrolle der Privatautonomie führen und mithin die Letztere als verfassungsrechtlich gewährleisteten Wert aushöhlen kann79.
V. Zu einer Typologie der Konstitutionalisierung des Zivilrechts Die Gefahr eines maßlosen Eindringens der durch die Neuregelung des Art. 25 § 1 der griechischen Verfassung herbeigeführten Auslegungsdynamik in den Bereich der privatrechtlichen Verhältnisse, mit der Folge, dass sie die Eigenständigkeit des Zivilrechts auszudünnen droht, ist sicher vorhanden und ernst zu nehmen. Besonders ersichtlich wird sie nunmehr wegen des reizvollen Einflusses, den die neuen dogmatischen Kategorien, die im veränderten Art. 25 § 1 aufgenommen worden sind, vermöge ihres reichen Gehalts an materialer Gerechtigkeit, auf den modernen griechischen Juristen ausüben können. Vor allem in Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt es nahe, dass er im Denken des heutigen Zivilisten zum Kultusgegenstand erhoben wird80. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, gewisse Fallgruppen herauszustellen, in denen diese Konstitutionalisierung des Zivilrechts in Griechenland festzustellen ist. 1. Die ohne zureichenden Grund erfolgte Berufung auf eine Verfassungsvorschrift als parallele Legitimationsbasis der Gerichtsentscheidung Die erste Erscheinungsform dieser Tendenz, die eigentlich die harmloseste ist, bilden diejenigen Fälle, in denen ohne zureichenden Grund parallel zu der Anwendung der einschlägigen Vorschrift des ZGB, die allein die angemessene Lösung zu geben vermag, auf eine Verfassungsvorschrift als zweite Legitimationsbasis zurückgegriffen wird. Hier hat die Verfassungsvorschrift als lex generalis mit einem im Verhältnis zu der entsprechenden zivilrechtlichen Norm in der Regel geringeren Aussagewert nichts Wesentliches hinzuzufügen, so dass der Rekurs auf sie einfach den Versuch des Richters, die richtige dogmatische Legitimationsgrundlage seiner Entscheidung zu finden, zwecklos erschwert81.
__________ 79 Grundlegend Dürig in FS H. Nawiasky (Fn. 8), S. 158 ff.; vgl. auch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 208 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 61 ff.; Hesse (Fn. 3), Rz. 300 ff.; Ruffert (Fn. 2), S. 342 ff., 348 ff. 80 Vgl. etwa Ph. Doris in FS Symvoulion Epikratias (auf griechisch), 2004, S. 229 ff.; ders. in FS Ap. Georgiades (auf griechisch), 2006, S. 149 ff.; ferner M. Stathopoulos, Schuldrecht (Fn. 60), § 1 Rz. 53 ff., § 8 Fn. 97, § 22 Rz. 3, § 23 Rz. 36 ff. 81 Vgl. Diederichsen, Jura 1997, 59 ff.
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Charakteristisch für diese Fallgruppe sind folgende Beispiele aus der Rechtsprechung: a) Im Griechischen Zivilgesetzbuch wird der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausführlich geregelt (Art. 57 und 59). Trotzdem wird oft auch auf die Verfassungsvorschriften zurückgegriffen, die den Schutz der Menschenwürde (Art. 2 § 1) und das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 5 § 1) normieren, und zwar auch in den Fällen, in denen kein Bedürfnis dafür besteht zu zeigen, dass es um einen Prinzienantagonismus auf Verfassungsebene geht82. b) Noch unergiebiger erscheint der Rückgriff auf Art. 25 § 3 der Verfassung, wobei das Verbot der missbräuchlichen Rechtsausübung zum allgemeinen Prinzip erhoben wird, in den Fällen, in denen es um die missbräuchliche Ausübung eines Rechts im engen Sinne geht, nämlich in den Fällen, die einwandfrei durch die Anwendung des in seinem Tatbestand wesentlich konkreter gestalteten und gerade als Billigkeitsklausel konzipierten Art. 281 ZGB entschieden werden können83. In diesen Fällen dient die parallele Anwendung der Verfassungsvorschrift keinem wahren Erkenntniszweck. Nur Verwirrung infolge der Verlagerung der einschlägigen Diskussion auf eine höhere Abstraktionsstufe kann diese Verdoppelung der Legitimationsbasis der richterlichen Entscheidung anrichten84. 2. Direkter Rückgriff auf ein Verfassungsprinzip bei Beiseiteschieben der einschlägigen Vorschriften des ZGB Eine andere Erscheinungsform des Phänomens der Konstitutionalisierung des Zivilrechts machen die Fälle aus, in denen das Gericht die Legitimationsbasis seines Urteils direkt in einem Verfassungsprinzip sucht, während sich für die Auflösung des konkreten privatrechtlichen Konflikts die einschlägigen Vorschriften des ZGB am besten anbieten, die aber schließlich ignoriert werden. Hier geht es um ein unzulässiges Eindringen des verfassungsrechtlichen Denkens in den Bereich des Zivilrechts, da die Grundwertung nicht zur Bereicherung oder Verstärkung der bürgerrechtlichen Begründung herangezogen wird, sondern zu deren Verbannung85. Eine solche Rolle neigt die Rechtssprechung dem in Art. 25 § 1 IV der Verfassung angeordenten Verhältnissmässigkeitsprinzip bei der Bestimmung der Höhe des Schmerzensgelds im Falle der Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die Presse zuzuschreiben86. Ein Mindestbetrag ist bei uns gesetzlich fest-
__________
82 So etwa in Areopag 1303/2005 und 1730/2002, Epitheorisi Ergatikoy Dikaioy 2004, 1230. 83 Vgl. etwa Areopag 448/1984 Plenum, Nomiko Vima 33, 61 ff., oder Areopag 1414/ 1999, Helleniki Dikaiosyni 41, 709. 84 Vgl. aus dieser Sicht Bucher, SJZ 1987, 47. 85 Hier dürfte man mit Diederichsen, Jura 1997, 57, wohl von einer „Usurpation“ sprechen. 86 Zu der Problematik im Allgemeinen vgl. auch H. P. Westermann in Canaris-Symposion, 1998, S. 125 ff.
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gesetzt worden. Einer verfassungsrechtlichen Kontrolle aus der Sicht der Art. 2 § 1 (Schutz der Menschenwürde) und 14 §§ 1, 2 (Pressefreiheit) konnte diese Bestimmung standhalten. Die Frage war nur, ob das Gericht im Einzelfall auf Grund einer direkten Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Summe des geschuldeten Schmerzensgelds unterhalb des gesetzlich bestimmten Minimums festlegen durfte. Die Frage wurde leicht bejaht87, dabei hat man jedoch völlig außer Acht gelassen, dass für der Fall einer Abweichung der konkreten Interessenlage von der sozialtypischen, die die Gesetzesvorschrift wiedergibt, das ZGB einen durchaus angemessenen Mechanismus bereit hält, nämlich die Generalklausel des Art. 281, die, wie gesagt, gerade als Billigkeitsklausel konzipiert ist und mit den dem Zivilrichter vertrauten Kriterien der Guten Sitten, Treu und Glauben und des sozialwirtschaftlichen Zwecks des Rechts arbeitet. Sollte es also das Gericht im konkreten Fall als billig empfinden, einen niedrigeren Betrag als Schmerzensgeld zuzusprechen, hätte es seine Entscheidung auf Art. 281 ZGB stützen müssen. Das ist dogmatisch der einzig richtige Weg. Dagegen war hier – nachdem die Verfassungskonformität der gesetzlichen Bestimmung des Schmerzensgelds feststand – für einen Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip kein Raum mehr88. Die Rolle dieses Prinzips muss bei der in abstracto erfolgenden Kontrolle der Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit ihm enden. Eine zivilrechtskorrigierende Funktion im Einzelfall kommt diesem Prinzip zusätzlich nicht zu. Eine solche Sozialkontrolle ist ausschließlich Sache des an dogmatisch verfeinerten Billigkeitskriterien überlegenen Zivilrechts89. Ebensowenig dürfte dieses Prinzip zu einem überzivilrechtlichen Wertungsmaßstab erhoben werden, mit dessen Hilfe jeweils die Richtigkeit der vom Richter – bei der Anwendung der Generalklauseln und der unbestimmten Rechtsbegriffe des ZGB – vorgenommenen Bestimmung des richtigen Maßes überprüft werden sollte. Dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine solche Bedeutung zuzuschreiben würde nicht nur zu einer Aushöhlung der dogmatishen Eigenständigkeit des Zivilrechts führen, sondern auch eine erhebliche Rechtsunsicherheit stiften90. 3. Die monistische Berufung auf die verfassungsrechtliche Wertung – insbesondere auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip – und die Gefahr einer Verdunklung der wahren ratio legis Der Rückgriff des Zivilrichters auf eine verfassungsrechtliche Wertung zu dem Zweck, dass an deren Licht die wahre ratio legis der anzuwendenden Vorschrift vollkommener erhellt wird, ist ja eine methodologisch durchaus legi-
__________ 87 Areopag 899/2001, Nomiko Vima 50, 977; 1667/2005, Dike 37, 412; 132/2006, Dike 37, 876. 88 So auch St. Matthias, Helleniki Dikaiosyni 47, 6. 89 Vgl. Medicus, AcP 192 (1992), 31, 61. 90 Vgl. etwa Medicus, AcP 192 (1992), 58, 61 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 217 ff., 242 ff.
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time Denkweise. Die Gefahr jedoch, um die es hier geht, bezieht sich auf diejenigen Fälle, in denen die Berufung auf ein Verfassungsprinzip monistischen Charakter in dem Sinne bekommt, dass ihr eine absolute Auslegungstragweite zugeschrieben wird, ohne dass ihre Abstimmung zu anderen die ratio legis mitbestimmenden Wertungen vorher abgewogen wird91. Dieses Phänomen kam bereits vor der Änderung des Art. 25 § 1 der Verfassung vor, und zwar hauptsächlich im Bereich des Knebelungsvertrags (Art. 179 I ZGB) bei der Konkretisierung der übermäßigen Bindung mit Hilfe entweder der Berufsfreiheit (Art. 5 § 1 der Verfassung) oder des Rechts auf Gerichtschutzgewährung (Art. 20 der Verfassung)92. Aber nachdem das Verhältnismäßigkeitsprinzip angesichts seiner ausdrücklichen Anordnung im Art. 25 § 1 IV verknüpft mit der Vorstellung, dass nunmehr eine unmittelbare Wirkung der Verfassungsprinzipien auf die privatrechtlichen Verhältnisse möglich ist, zu einem „very unruly horse“93 im Bereich des Zivilrechts zu werden droht – erscheint die Gefahr einer monistischen Berufung auf dieses Prinzip zu dem Zweck, dass die ratio der Knebelungsvorschrift oder derjenigen über die Herabsetzung der unverhältnismäßigen Vertragsstrafe (Art. 409 ZGB = § 343 BGB) aufgedeckt wird, noch wahrscheinlicher, obwohl sie in der Rechtsprechung noch nicht spürbar geworden ist. Tatsächlich vermag dieses Prinzip, das als verfassungsrechtliches Gebot zu vage formuliert ist, mit der Folge, dass ihm nur ein geringer Aussagewert und mithin eine beschränkte Erkenntnisfunktion zukommt, aus den gesetzgeberischen Wertungen, die den einschlägigen Regelungen des ZGB zugrunde liegen, wohl nur denjenigen zur Erhellung zu verhelfen, die auf die Verletzung der ausgleichenden Vertragsgerechtigkeit zurückzuführen ist. Völlig unmöglich ist es dagegen für dieses Prinzip, das Element der Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, das im Zusammenspiel mit demjenigen der Vertragsgerechtigkeit erst den Schutzeingriff des Richters in den Vertragsinhalt als gerechtfertigt erscheinen lässt, aufzufassen und wiederzugeben. Genauso unmöglich ist es freilich, dass durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip das bewegliche Verhältnis zwischen diesen beiden Elementen sowie auch die Konzeption dieser zwei Regelungen als Formen des Missbrauchs der Vertragsfreiheit des Verhandlungsstärkeren verstanden wird94. Ein solches vollständi-
__________ 91 Zu der Notwendigkeit einer wechselseitigen Ergänzung und Beschränkung vgl. statt aller Canaris/Larenz (Fn. 26), S. 157 ff., 302 ff. 92 So etwa in Areopag 620/1986, Nomiko Vima 35, 718, 720, und 316/1990, Nomiko Vima 39, 55. 93 Der Ausdurck geht auf Burrough J. zurück, der eigentlich ihn für den Begriff der „public policy“ gebraucht hatte (in Richardson v. Mellisch [1824] 2 Bing. 229, 252); s. Anson’s Law of Contract, 28. Aufl. 2002 (von J. Beatson), S. 353. 94 Dazu vgl. bereits Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S. 124 ff. und passim; ferner F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 124 ff.; Papanikolaou, Über die Grenzen des Schutzeingriffs des Richters in den Vertrag (auf griechisch), 1991, S. 270 ff., 287 ff.; vgl. aber auch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S. 301 ff.
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ges dogmatisches Verständnis kann nur mit den Mitteln des Zivilrechts erreicht werden95. 4. Der Rekurs auf den putativen Wertinhalt eines Verfassungsprinzips als Vehikel einer Rechtsfindung contra legem Die gefährlichste Form jedoch, welche die Tendenz zur Konstitutionalisierung des Zivilrechts erhalten kann, bilden diejenigen Fälle, in denen die Überschätzung eines Verfassungsprinzips den Rechtsanwender zu einer Erstreckung dessen Anwendungsbereichs auch auf Fälle verleitet, die das geltende Zivilrecht aus dem Regelungsbereich der einschlägigen Norm bewusst ausgeschlossen hat. Und dies, ohne dass die Verfassungskonformität der einschlägigen Regelung in Frage gestellt wird und, wohl das Wichtigste, ohne dass diese Erstreckung durch den wahren Wertgehalt des Prinzips gerechtfertigt werden kann96. Demzufolge führt hier die Berufung auf die verfassungsrechtliche Wertung unabweisbar zu einer methodologisch unzulässigen Rechtsfindung contra legem. a) Musterbeispiel einer solchen modernen verfassungsrechtlichen Denkweise, die mit eklatanter Einseitigkeit die Abschaffung von Regelungen des ZGB im Namen einer möglichst optimalen Verwirklichung eines Verfassungsprinzips anstrebt, bildet der vom Rechtsschriftum stammende Vorschlag für eine angeblich verfassungskonforme – sich auf Art. 2 § 1 (Schutz der Menschenwürde) und 5 § 1 (freie Entfaltung der Persönlichkeit) stützende – Auslegung der Art. 59 und 299 ZGB, so dass der in Art. 59 vorgesehene zivilrechtliche Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in allen Fällen gewährt wird, in denen ein immaterieller Schaden verursacht wird; nämlich auch in den Fällen, in denen er bloß aus der Verletzung einer Vertragsverbindlichkeit hervorgeht97. Die Betrübtheit des Glaubigers wird hier wertungsgemäß einer schweren Persönlichkeitsverletzung gleich gestellt. Diese Ansicht, die nicht nur den klaren Wortlaut des Art. 299 ZGB (= § 253 BGB) völlig außer Acht lässt, sondern auch die ratio der in dieser Vorschrift enthaltenen – mit der Natur des immateriellen Schadens zusammenhängenden – Einschränkung dessen Ersetzbarkeit – nur auf die Fälle der schweren Verletzung der Persönlichkeit (Art. 59 ZGB) und der unerlaubten Handlung (Art. 932 ZGB) – missachtet und ferner vollkommen unterlässt, zu überprüfen, ob etwa die Regelung des Persönlichkeitsschutzes in ZGB hinter dem von der Verfassung verlangten Mindestschutz zurückbleibt, versucht, die angestrebte
__________ 95 Das wird eindeutig auch vom BVerfG im Handelsvertreterbeschluss gesagt: BVerfGE 81, 242, 255 ff. Vgl. auch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 242 ff. Zu Recht empfiehlt auch Rittner, NJW 1994, 3331, äußerste Vorsicht bei der einschlägigen Operation des BVerfG. 96 Vgl. Bucher, SJZ 1987, 37, 44 ff. 97 Hauptvertreter dieser Ansicht A. Papachristou, To Syntagma 7 (1981), 42, 54 ff.; ihm folgend J. Delijannis, Helleniki Dikaiosyni 38 (1997), 489, 496; P. Kornilakis, Schuldrecht Besond. Teil I, 2005, S. 646 ff.; dagegen jedoch Areopag 1271/1988, Helleniki Dikaiosyni 31, 1240; 1210/2001, Nomiko Vima 50, 1270.
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Erweiterung des zivilrechtlichen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf methodologischer Ebene dadurch zu rechtfertigen, dass sie sich etwa als das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung des Art. 299 ZGB erklären lässt. Dass es jedoch dabei offenbar um eine Überschreitung der von der herkömmlichen Methodenlehre anerkannten Schranken dieser Methode geht, liegt auf der Hand. Ein Judizieren contra legem ist bekanntlich dem Richter grundsätzlich verboten98. b) Weiter könnte man zu dieser Fallgruppe der Konstitutionalisierung den Fall rechnen, in dem von einem Teil des Schrifttums und vereinzelt in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, die Vorschrift des Art. 1400 ZGB, die den Anspruch des Ehegatten auf den Zugewinnausgleich im Falle der Eheauflösung regelt, müsse auch auf die im Gesetz nicht geregelte freie Partnerschaft von Mann und Frau anwendbar sein99. Methodisch ließe sich diese Ansicht etwa im Wege einer verfassungskonformen Analogie (oder, richtiger, einer verfassungskonformen Extension) begründen, wobei der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 4 der Verfassung) bei der Entdeckung einer Gesetzeslücke helfen könne. In Wirklichkeit jedoch liegt hier keine Lücke vor. Eine Lücke besteht nämlich nicht, wenn die nicht geregelte Frage von dem negativen Regelungsgehalt der einschlägigen Vorschrift gedeckt wird100. Und gerade die Nichteinbeziehung der freien Partnerschaft von Mann und Frau in den Regelungsbereich des Art. 1400 ZGB stellt hier eine bewusste, negative Wertentscheidung des Gesetzgebers. Darüber hinaus scheint aus dem wahrem Wertinhalt des Gleichheitsprinzips gar nicht eine Gleichsetzung der freien Partnerschaft mit der Ehe geboten zu sein, was zu einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung praeter legem führen dürfte101. Zugleich könnte auf keinen Fall die Regelung des Art. 1400 ZGB als hinter dem von diesem Prinzip verlangten Untermaßverbot zurückbleibend angesehen werden. Dementsprechend erweist sich auch diese moderne Ansicht als ein Versuch, Wortlaut und Zweck des Gesetzes zu ignorieren102, eine höchst eindeutige zivilrechtliche Regelung beiseite zu schieben und praktisch die eigene Wertung mit Hilfe eines bloß vermeintlichen Wertgehalts des Gleichheitsprinzips durchzusetzen103. Es geht hier eigentlich um die Definition der Rechtsfindung contra legem.
__________ 98 S. etwa Canaris in FS E. Kramer (Fn. 34), S. 158 f.; F. Bydlinski (Fn. 35), S. 39 ff., 46 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2005, S. 89 ff. 99 So etwa Kounougeri-Manoledaki, Nomiko Vima 48, 1450 ff.; vgl. auch Landgericht Rhodos 206/1991, Helleniki Dikaiosyni 36, 725. 100 Hierzu F. Bydlinski (Fn. 35), S. 43 ff., 61 ff., 73 ff.; vgl. auch Canaris/Larenz (Fn. 26), S. 191 ff. 101 Zu dieser methodologischen Kategorie eingehend Canaris in FS E. Kramer (Fn. 34), S. 155 ff. 102 Vgl. BVerfG, BVerfGE 71, 81 ff., 105; 67, 382 ff., 390. 103 Auf diese Gefahr hat besonders Bucher, SJZ 1987, 37, 45, hingewiesen.
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Nachlieferung beim Stückkauf – Zu Grund, Gegenstand und Umfang der Leistungsverpflichtung – Inhaltsübersicht A. Streitstand und Streitgrund I. Die Ungelöstheit der Problematik 1. Die bisherige Lage 2. Die höchstrichterliche Entscheidung 3. Die fortbestehenden Grundsatzfragen II. Der Meinungsstand III. Der Streit als Ausdruck der Unklarheit über den materialen Rechtsgrund der neuen Gewährleistungspflicht B. Die Begründetheit des Nachlieferungsanspruchs in der Vereinbarung der Parteien I. Die grundsätzliche Unbegründetheit eines Nachlieferungsanspruchs beim Spezieskauf 1. Die Autonomiewidrigkeit des Anspruchs 2. Die untragbaren praktischen Folgen 3. Die mangelnde Berechenbarkeit von Höhe und Erfolg des Mehraufwands des Verkäufers II. Die fallweise Begründetheit der Nacherfüllung insbesondere bei „Verbrauchsgüter“-Käufen 1. Die Anerkennung der Nacherfüllung als Ausschluss von Willkür 2. Typische Fälle 3. Die Notwendigkeit einer positiven Begründung des Anspruchs aus dem konkreten Vertrag III. Die Deutung von § 439 Abs. 1 BGB als eine vertraglich begründete „Ersetzungsbefugnis“ 1. Die vertragsbezogene Beschränkung der Nacherfüllungspflichten als gesetzes- und systemkonforme Deutung
2. Die Nacherfüllungspflicht als Korrelat der Nacherfüllungsbefugnis des Verkäufers 3. Die vertragsbezogene Beschränkung der Nacherfüllung als Fortführung ihrer Entwicklungsgeschichte C. Das Scheitern der vertragsabgelösten Beschränkungsversuche I. Die Anerkennung der Korrekturbedürftigkeit des Gesetzes II. Exemplarische Begrenzungsversuche 1. Der Ausschluss des § 439 Abs. 1 BGB bei „Unmöglichkeit“ der Nacherfüllung 2. Die Beschränkung der Nacherfüllung auf vertretbare Sachen 3. Die „teilweise“ Berücksichtigung der Parteivereinbarung bei „Ersetzbarkeit“ des Leistungsobjekts a) Der unbehobene Anlagemangel b) Konzept und Folgen der Lehre aa) Die Symptome des Mangels bb) Die parteiferne Bestimmung des Leistungsobjekts cc) Die parteiferne Bestimmung des Leistungsaufwands c) Die Unhaltbarkeit der Beachtung des Parteiwillens für den Erfolg und seiner Nichtbeachtung für die Mittel der Vertragserfüllung III. Die Verfehlung der systemkonformen Rechtfertigung der Nacherfüllung als Ursache für die mangelnde Korrektur aller Mehraufwandspflichten D. Zusammenfassung
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A. Streitstand und Streitgrund I. Die Ungelöstheit der Problematik 1. Die bisherige Lage Die Frage, ob der Käufer beim Stückkauf1 die fehlerhafte Sache ablehnen und die Nach-, präziser: die Neulieferung eines vergleichbaren Gegenstands fordern kann, war bis vor kurzem heftig umstritten. Sie zählte nach allgemeiner Meinung zu den Hauptkontroversen des neuen Schuldrechts2. Und sie rechtfertigte diese prominente Position in der Tat. Denn sie wies die beiden Spezifika auf, die seit je das besondere Interesse und mit ihm die besondere Diskussionsfreudigkeit der Juristen wecken: Die Frage war – und ist – praktisch von großer Bedeutung. Das beweist schon der Umstand, dass es oft, wenn nicht typischerweise um Kaufobjekte wie den Gebrauchtwagen geht3, mithin um Dinge, die die deutsche Jurisprudenz auch über das konkrete Thema hinaus überproportional okkupieren, so dass ihnen die heutige Rechtskultur viele Zeugnisse juristischen Fleißes und Scharfsinns verdankt4. Die Problematik der Neulieferung war und ist insbesondere aber auch theoretisch von hohem Interesse. Das tritt schon auf den ersten Blick an dem Umstand zutage, dass eine undifferenzierte Bejahung der Pflicht zur Neulieferung den Verkäufer häufig zu Leistungen zwänge, die er niemals dem Käufer versprochen hat, die er aber mangels Verschuldens auch nicht als Schadensersatzleistung schuldet. Die Anerkennung eines solchen Gewährleistungsrechts würde ihn also zu einem Aufwand verpflichten, der oft, wenn nicht typischerweise durch keinen der beiden von der geltenden Ordnung geforderten Rechtfertigungsgründe getragen wäre. Das Thema erregte danach zu Recht die Gemüter: Es zwang zur Besinnung auf fundamentale Maximen des Schuld- und generell des Zivilrechts.
__________ 1 Nur hingewiesen sei darauf, dass alles für den Stückkauf Ausgeführte selbstverständlich entsprechend auch für den begrenzten Gattungskauf etwa in Form der Vorratsschuld gilt. 2 S. zu dieser Bewertung nur etwa Canaris, JZ 2003, 831; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rz. 420; Gruber, JZ 2005, 707 f.; H. Roth, NJW 2006, 2953, 2954; Gsell, JuS 2007, 97 ff.; Faust, JZ 2007, 101, 103. 3 S. etwa OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053 (und darauf fokussiert Canaris, JZ 2003, 831; Pammler, NJW 2003, 1992); OLG Schleswig, NJW-RR 2005, 1579; BGH, NJW 2006, 2839 (und darauf bezogen H. Roth, NJW 2006, 2953; Kitz, ZGS 2006, 419; Graf v. Westphalen, BB 2006, 1988; Faust, JZ 2007, 101; Gsell, JuS 2007, 97; Wertenbruch, LMK 2007, 209557); LG Hamm, NJW-RR 2005, 1220 sowie – jeweils zu Neuwagenkäufen – LG Ellwangen, NJW 2003, 517 und LG Münster, DAR 2004, 226. 4 Reiches Anschauungsmaterial bieten etwa die vielen „richterrechtlichen“ Figuren und Regeln zu den weithin geradezu gebrauchtwagenbeherrschten Fragen des Schadensersatzes, s. exemplarisch U. Picker, Die Naturalrestitution durch den Geschädigten, 2003, beispielhaft etwa S. 159 ff.
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2. Die höchstrichterliche Entscheidung Diese Lage, so könnte es scheinen und so wird in der Literatur auch bereits verkündet, besteht nicht mehr fort5. Der Streit könnte erledigt, die Problematik gelöst sein. Denn in einem mit Spannung erwarteten Urteil hat der BGH inzwischen entschieden, „die Nacherfüllung durch Lieferung einer anderen, mangelfreien Sache“ sei „auch beim Stückkauf nicht von vornherein … ausgeschlossen“6. Vielmehr sei die Möglichkeit einer Ersatzlieferung „nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss zu beurteilen“. Diesem Maßstab entsprechend sei sie „nach der Vorstellung der Parteien“ namentlich etwa dann zu bejahen, wenn die mangelhafte Kaufsache „durch eine gleichartige und gleichwertige ersetzt werden“ könne7. Dagegen sei sie „in der Regel“ bei einer gebrauchten Sache, die erst nach „persönlicher Besichtigung“ gekauft worden war, konkret bei einem Gebrauchtfahrzeug, zu verneinen8. Das Problem der Nachlieferung beim Spezieskauf hat also detaillierte höchstrichterliche Lösungsdirektiven erfahren. Und diese stimmen mit einer so oder vergleichbar auch schon zuvor vertretenen Doktrin überein9. Sie entsprechen, indem sie ausdrücklich den Willen beider Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für entscheidend erklären, insbesondere auch der schon an anderer Stelle entwickelten Lösung, die im Folgenden verteidigt und vertieft werden soll10. Eine Hauptproblematik der Schuldrechtsreform ist danach, so will es scheinen, entschärft, wenn nicht gar erledigt. 3. Die fortbestehenden Grundsatzfragen Der Schein trügt. Die Problematik der Nacherfüllung beim Stückkauf ist trotz dieser unbestreitbaren Klärungsfortschritte nach wie vor nicht wirklich gelöst:
__________
5 S. etwa St. Lorenz, NJW 2007, 1, der offenkundig erleichtert, freilich nicht ganz den Realitäten entsprechend meint, es seien, wie auch die „Kritiker (…) konstatieren, (…) die befürchteten dogmatischen und rechtspolitischen Flurschäden“ der Schuldrechtsreform „nicht eingetreten“ und der S. 4 knapp befindet, mit der sogleich zu nennenden höchstrichterlichen Entscheidung ließen sich fortan „sämtliche problematischen Fälle (…) befriedigend lösen“. 6 BGH, NJW 2006, 2839 (Zitat im Leitsatz 2). 7 So BGH, NJW 2006, 2839, 2841. 8 So BGH, NJW 2006, 2839, Leitsatz 2 und 2841; ähnlich schon die Vorinstanz OLG Schleswig, NJW-RR 2005, 1579, 1581. 9 S. etwa OLG Schleswig, NJW-RR 2005, 1579, 1581 als Vorinstanz sowie Ackermann, JZ 2002, 378, 379; P. Huber in Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 13 Rz. 20; dens., NJW 2002, 1004, 1006; M. Jacobs in Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 371, 377 ff.; Canaris, JZ 2003, 831, 835 ff., 838; St. Lorenz in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 474 BGB Rz. 17 Fn. 72; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2004, S. 93 f.; Reinicke/Tiedtke (Fn. 2), Rz. 422 ff.; D. Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 16. Aufl. 2005, Rz. 923; Schürholz, Die Nacherfüllung im neuen Kaufrecht, 2005, S. 167 ff.; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB, 2. Aufl. 2005, § 275 BGB Rz. 49, 51 sowie schon Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, 1985, S. 89 ff., bes. S. 92 und Wilhelm in FG Flume, 1998, S. 301, 316. 10 S. schon Picker, JZ 2003, 1035; dagegen Canaris, JZ 2004, 214 und wieder Picker in FS Konzen, 2006, S. 687 ff., bes. S. 705 ff., 712 ff., 715 ff.
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a) Das gilt schon deshalb, weil eine verbreitete, bisweilen direkt gegen den BGH gerichtete Lehre nach wie vor ohne Rücksicht auf den Parteiwillen über den Anspruch entscheidet und weil eine Gegendoktrin gerade unter Berufung auf diesen Willen eine Pflicht zur Nacherfüllung verneint11. Das gilt ferner und mehr noch, weil in anderen Lösungsvorschlägen zwar gleichfalls der Parteiwille als wesentlicher Gesichtspunkt genannt, weil er zugleich aber mit willensunabhängigen objektiven Kriterien wie etwa Schutzaspekten durchsetzt wird, so dass man hier Autonomie und Heteronomie unter der Hand miteinander vermengt12. Vor allem aber steht der Erledigungsthese die Offenheit einer zentralen Frage entgegen: Auch und gerade dort, wo man einen Anspruch auf Nachlieferung mit dem Hinweis auf den „durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss“ bejaht, besteht nur über die Voraussetzung Klarheit, dass die nachgelieferte Sache – immer nach dem Vertrag – „gleichartig und gleichwertig“ sein müsse. Nach wie vor ungeklärt ist dagegen, ob und unter welchem Einsatz ein solches vertragsgerechtes Ersatzobjekt vom Verkäufer auch beschafft werden muss. Nicht entschieden und bislang überhaupt nur erst vereinzelt als Problem diskutiert ist mithin die Frage, ob und bis zu welchem Mehraufwand der Verkäufer sich etwa beim Platzgeschäft über eine einzigartige Sache um einen äquivalenten Ersatz zu mühen hat und ob und wie er, falls fündig geworden, zur Wiederherstellung seines Leistungsvermögens das Risiko und die Kosten ihres Erwerbs tragen muss. b) Der BGH hat in seiner Leitentscheidung – angesichts der gegebenen Lage zu Recht – zu dieser Frage nicht Stellung genommen. Die Literatur hüllt sich, wie erwähnt, durchweg in Schweigen. Dort aber, wo man die Frage berührt, wird vertreten, eine solche Beschaffung sei ohne Rücksicht auf den Willen der beiden Parteien bis zur Grenze des § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB geschuldet. Zur Begründung lehrt man: Da „den Verkäufer beim Stückkauf auf der Primärebene der Erfüllung eine echte Leistungspflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache“ treffe, sei „es wertungsmäßig nur folgerichtig, dass diese sich auf der Sekundärebene der Gewährleistung grundsätzlich als Pflicht zur Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache“ fortsetze und damit, so die erstrebte Folge, eine nicht mehr durch den Inhalt des Vertrags begrenzte Haftung begründe13. Und ähnlich, nämlich wiederum mit dem erklärten Ziel, die Beschaffungsschuld unabhängig vom Vertragsinhalt zu bestimmen, bei der Nachlieferung also die Autonomie durch Heteronomie zu ersetzen, argumentiert man: Jenseits des „vertraglichen Versprechens“ bezüglich der zunächst
__________ 11 S. die Nachw. einerseits der Lehren, die auf objektive Kriterien wie etwa die Vertretbarkeit der Sache abstellen, u. Fn. 27, und andererseits der Lehren, die die Unmöglichkeit der Nachlieferung verfechten, u. Fn. 17. S. auch die Nachw. derer, die sich gegen die Lösung des BGH aussprechen, in Fn. 14. 12 S. dazu die Nachw. der Lehren, die ein Kriteriengemisch propagieren, u. Fn. 90. Zu Recht gegen diese Vermengung Katzenstein, ZGS 2005, 184, 187 f. 13 So Canaris, JZ 2003, 831, 836; ders. in E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2002 – Schuldrechtsmodernisierung, 2002, S. 5, 79; ähnlich H. Roth, NJW 2006, 2953, 2955 und zu ihm u. Fn. 47.
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vereinbarten Sache ordne „das heteronom gesetzte (sic!) Gewährleistungsrecht in § 439 BGB an, dass bei Mängeln der allein vereinbarte Leistungsgegenstand durch ein gleichartiges Austauschstück zu ersetzen“ sei, folgerichtig auch hier ohne Rücksicht auf das Risiko und den Aufwand, den der Vertrag für das „Leistungsprogramm“ des zunächst vereinbarten Gegenstands vorsah14. Konkret verficht man deshalb etwa im Fall eines ohne Verschulden als echt verkauften gefälschten Gemäldes, der Verkäufer habe, wenn der Eigentümer des Originals zum Verkauf bereit sei, dessen Erwerb zur Herstellung seines Erfüllungsvermögens bis zur Grenze der „Unverhältnismäßigkeit“ zu versuchen15. c) Die Notwendigkeit weiterer Klärung liegt damit zutage: Dort, wo man über die Frage der Kosten- und Risikotragung schweigt, erhellt man die Problematik der Nachlieferung allenfalls für die eher harmlosen Fälle, in denen das vertragsadäquate Ersatzstück für den Verkäufer ohne weiteren Aufwand zur Hand ist. Man schafft hier also kaum mehr als die Klärung, die schon der gesunde Menschenverstand nach kurzem Überlegen erzwingt: Man entscheidet, wie die Parteien entschieden hätten, hätten sie die später aufgedeckte Leistungsstörung in Rechnung gestellt. Dort aber, wo man die Frage der Beschaffungskosten und -risiken sieht und in dem beschriebenen Sinne löst, springen schon die sachlichen Zweifel ins Auge: Trotz des Bekenntnisses zur alleinigen Maßgeblichkeit des Willens der beiden Parteien respektiert man nicht, sondern übergeht man offenkundig die Autonomie des Verkäufers, wenn dieser zwar nur eine zumindest hypothetisch vereinbarte Ersatzsache nachleisten muss, wenn er sie aber unter einer u. U. hohen, von beiden Partnern nie auch nur erwogenen Kosten- und Risikotragung soll herbeischaffen müssen. Denn offenkundig verändert man dann das selbstbestimmte Leistungsversprechen in eine fremdbestimmte Garantie des Erfolgs. Ein solcher Umgang mit seiner im Vertrag verwirklichten Autonomie aber muss dem Verkäufer geradezu zynisch erscheinen, wenn etwa durch die Verpflichtung zur Nacherfüllung das von ihm konkret abgeschlossene risikolose und durch die Gegenleistung voll valutierte Platzgeschäft in ein für ihn risiko- und verlustreiches Beschaffungsgeschäft verkehrt wird – immer unter Beschwörung der Maßgeblichkeit seines Willens.
__________ 14 So, zunächst noch in Frageform, dann aber als Lösungsprogramm Gsell, JuS 2007, 97, 98, 102; dem entspricht es, wenn später (S. 100) das Abstellen auf den Willen beider Parteien durch den BGH kritisiert wird; s. ferner Kitz, ZGS 2006, 419 ff. Schon früher für eine heteronome Änderung des Vertragsinhalts etwa L. Haas in Haas/Medicus (u. a.), Das neue Schuldrecht, 2002, Kap. 5 Rz. 84, 143; Graf v. Westphalen in Henssler/Graf v. Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, 2. Aufl. 2003, § 439 BGB Rz. 6; Berger in Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 439 BGB Rz. 13 („gesetzliche Reaktion auf den Mangel“); Kandler, Kauf und Nacherfüllung, 2004, S. 468 f.; Brox/ Walker, Bes. Schuldrecht, 31. Aufl. 2006, § 4 Rz. 44 a. E.; Medicus, Schuldrecht II, 13. Aufl. 2006, Rz. 56; Wertenbruch, LMK 2007, 209557, sub. 3. S. demgegenüber u. bei und in Fn. 64. 15 So Canaris, JZ 2003, 831, 836; Oechsler, Schuldrecht BT – Vertragsrecht, 2003, Rz. 140 a. E.; Berger in Jauernig (Fn. 14), § 439 BGB Rz. 13 a. E.
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Nicht minderen Zweifeln begegnen aber auch die genannten dogmatischen Rechtfertigungen. Denn wenn der Ersatzgegenstand nur dann und nur deshalb geschuldet sein soll, weil dieser Austausch dem „Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss“ entspricht, so muss er real oder hypothetisch von Anfang an einen dem Vertrag entsprechenden Erfüllungsgegenstand bilden. Seine systematische Ansiedlung statt auf der autonomiebestimmten „Primär“- auf der heteronomiegeleiteten „Sekundärebene“ erscheint dann folglich auf Anhieb schon fraglich. Und vollends fraglich erscheint dann erneut, dass für diesen vom Vertrag von vornherein schon umfassten Ersatzgegenstand plötzlich grundsätzlich andere und fremdverordnete Beschaffungsgrundsätze gelten sollen. Gleichen Bedenken begegnet deshalb dann ferner auch die These von dem abrupten Austausch des „Leistungsprogramms“, die die beiden vertragsentsprechenden Leistungsobjekte einmal unter den Vorbehalt des vertraglich vorgesehenen Aufwands, einmal unter das Risiko einer nie versprochenen Mehrleistung stellt: Die beiderseits gewollte rechtsgeschäftliche Flexibilität der Parteien hätte auch hier ungewollt für eine von ihnen harte haftungsrechtliche Folgen. Schließlich drängt nicht zuletzt auch das berichtete Beispiel auf nähere Prüfung, wenn man bedenkt, dass Verkäufer wie Käufer die Echtheit des Bildes gleichermaßen „unschuldig“ unterstellten. Denn dann spricht wiederum schon auf Anhieb alles für die Bewertung, dass beide gleichermaßen „Pech gehabt“ haben und dass es deshalb gerade unter der proklamierten Maßgeblichkeit ihres Vertrags prinzipiell bei Minderung oder Rücktritt bewenden muss. Insgesamt bestätigt sich also: Der Streit über den Nachlieferungsanspruch beim Stückkauf erweist sich in zentralen Bereichen und grundsätzlichen Fragen als nach wie vor ungelöst.
II. Der Meinungsstand Der schon angeklungene Meinungsstand lässt sich kurz wie folgt präzisieren: 1. Eine breit vertretene Lehre, die vor der Schuldrechtsreform geradezu als Selbstverständlichkeit galt und die deshalb „traditionell“ genannt werden kann, lehnt die Nachlieferung beim Spezieskauf generell oder zumindest grundsätzlich weiterhin ab16. Für sie kommt diese Rechtsfolge gleichsam schon
__________ 16 Ackermann, JZ 2002, 378, 379; Buck in Westermann, Das Schuldrecht 2002, S. 126, 128; Büdenbender in Dauner-Lieb (u. a.), Das neue Schuldrecht 2002, § 8 Rz. 24; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB (Fn. 9), § 275 BGB Rz. 49; Faust in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2007, § 439 BGB Rz. 27 ff., 37; ders., ZGS 2004, 252 ff.; Gruber, JbJZivRWiss 2001, 187, 188 Fn. 1, 191 mit Fn. 11; M. Heinrich, ZGS 2003, 253, 258; P. Huber in Huber/Faust (Fn. 9), Kap. 13 Rz. 20; ders., NJW 2002, 1004, 1006; U. Huber in FS Schlechtriem, 2003, S. 523 Fn. 9, 538; M. Jacobs (Fn. 9), S. 371, 377 ff.; Katzenstein, ZGS 2005, 184, 187 f.; Laws, MDR 2002, 320, 323; St. Lorenz in Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum Neuen Schuldrecht, 2002, Rz. 505; ders., JZ 2001, 742, 743 Fn. 12, 744 (s. aber auch dens. in MünchKomm.BGB [Fn. 9], Vor § 474 BGB Rz. 17); Musielak, Grundkurs BGB, 10. Aufl. 2007, Rz. 592; Oetker/Maultzsch (Fn. 9), S. 93 f.; Olzen/Wank, Die Schuldrechtsreform 2002, Rz. 374; Petersen, Jura 2002, 461, 462; Pfeiffer in AnwKomm., 2002, Art. 3 Kauf-RL Rz. 8; ders., ZGS 2002, 23, 29 mit Fn. 38; Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 705 ff.; Reinicke/Tiedtke
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nach der Natur der Sache nicht in Betracht. Denn wie sie betont, legt allein der Wille der beiden Parteien den Leistungsgegenstand fest. Er trifft die Wahl zwischen Stück- oder Gattungskauf für das Recht wie für die Parteien verbindlich. Er schließt folglich mit der sofortigen oder späteren Spezifizierung des Kaufobjekts aus, dass eine andere als die versprochene Sache geschuldet und deshalb zur Erfüllung erbracht werden kann. Durch den Untergang des parteiautonom fixierten Vertragsgegenstands wird die Leistung nach dieser Lehre vielmehr unmöglich17. Ein anderer als der versprochene Gegenstand entspricht ihrer Auffassung nach zumindest nicht mehr der in Selbstbestimmung vereinbarten Primärleistungspflicht18. Die These, dass beim Spezieskauf „die Leistungspflicht des Verkäufers … von vornherein auf die verkaufte Sache (beschränkt)“ sei und dass deshalb „jede andere als die verkaufte Sache … von vornherein untauglich“ sei, „den vertraglich geschuldeten Zustand herbeizuführen“19, bringt diese Auffassung trefflich zum Ausdruck. 2. Dieser Sicht steht eine gleichfalls stark vertretene Auffassung gegenüber, die, weil sie ihre Entstehung und Schwungkraft der Schuldrechtsmodernisierung verdankt, als „reformerisch“ etikettiert werden könnte: Sie tritt mit gleicher Entschiedenheit für die generelle oder zumindest grundsätzliche Möglichkeit ein, wie die Gattungs-, so auch die Stückschuld im Fall der Fehlerhaftigkeit des spezifizierten Objekts durch eine andere, art- und wertgleiche Sache nachzuerfüllen20. Lässt man ihre Detailargumente zunächst noch bei-
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(Fn. 2), Rz. 422 ff.; Reinking, DAR 2002, 15, 19; Schellhammer, MDR 2002, 301, 485, 486; ders., Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen, 6. Aufl. 2005, Rz. 55, 58; D. Schwab (Fn. 9), Rz. 923; M. Schwab, JuS 2002, 1, 6; ders. in Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, 2002, S. 14 f.; Tiedtke/Schmitt, JuS 2005, 583, 586; Westermann, NJW 2002, 241, 244 (anders aber ders. in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 439 BGB Rz. 11); Wieser, NJW 2001, 121, 123; ders., JR 2002, 269; Zimmer/ Eckhold, Jura 2002, 145, 149 Fn. 59. Von der „traditionellen Auffassung“ spricht jetzt auch Faust, JZ 2007, 101, 104. So etwa BGH, NJW 2006, 2839, 2840; P. Huber in Huber/Faust (Fn. 9), Kap. 13 Rz. 20; ders., NJW 2002, 1004, 1006; St. Lorenz in Lorenz/Riehm (Fn. 16), Rz. 505; ders., JZ 2001, 742, 744; Buck (Fn. 16), S. 126, 128; Pfeiffer, ZGS 2002, 23, 29 mit Fn. 38; Gruber, JbJZivRWiss, 2001, 187, 191 mit Fn. 11; Faust in Bamberger/Roth (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 27; ders., ZGS 2004, 252, 253 und auch von Seiten prinzipieller Befürworter einer Nachlieferungspflicht etwa Matusche-Beckmann in Staudinger, Neubearb. 2004, § 439 BGB Rz. 28 („streng genommen“ sei „die Ersatzlieferung bei einem Stückkauf unmöglich“). S. etwa Ackermann, JZ 2002, 378, 379 mit Fn. 6; P. Huber in Huber/Faust (Fn. 9), Kap. 13 Rz. 20; dens., NJW 2002, 1004, 1006; M. Jacobs (Fn. 9), S. 371, 379 f.; Gruber, JbJZivRWiss 2001, 187, 191; U. Huber (Fn. 16), S. 523 f. Fn. 9; Faust, ZGS 2004, 252, 253 f.; Reinicke/Tiedtke (Fn. 2), Rz. 422; D. Schwab (Fn. 9), Rz. 923; s. auch Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, S. XXIV. So U. Huber (Fn. 16), S. 523 f. Fn. 9. OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053 f.; LG Ellwangen, NJW 2003, 517; LG Münster, DAR 2004, 226, 227; Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 411, 413; Berger in Jauernig (Fn. 14), § 439 BGB Rz. 6, 13; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2119 f.; Boerner, ZIP 2001, 2264, 2269 Fn. 58; Brox/Walker (Rn. 14), § 4 Rz. 44 a. E.; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung (Fn. 18), S. XXIV f.; ders., JZ 2003, 831 ff.; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002, S. 201; Grunewald in Erman, 11. Aufl. 2004, § 439 BGB Rz. 3; dies., Kaufrecht, Handbuch des Schuldrechts, Bd. 6, 2006, § 9 Rz. 35;
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seite21, so führt sie primär den positivistischen Grund an, es sei der erklärte, seinerseits durch die Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf22 determinierte Wille des Reformgesetzgebers gewesen, den Unterschied zwischen Gattungsund Stückkauf einzuebnen und damit die Pflicht zur Ersatzlieferung auch auf den letzteren Vertragstypus zu erstrecken23. Darüber hinaus sucht freilich auch diese Doktrin ihren Austausch des evidenten Parteiwillens gegen den unterstellten Gesetzgeberwillen material abzusichern, indem sie – wieder im Kern zusammengefasst – auf das Interesse namentlich des Käufers als des Verbrauchers verweist, der ein solches zusätzliches Gewährleistungsrecht angeblich dringend benötige24. 3. Weit weniger als die erstgenannte ist freilich diese letztere Lehre in sich homogen. Im Gegenteil hat sie bei jeweils gleitenden Übergängen und deshalb oft ohne scharfe Trennung untereinander eine Vielzahl von Zwischentheorien entwickelt. Diese versuchen – bald in mehr oder minder deutlicher Neigung zu der „traditionellen“ Doktrin, bald in mehr oder minder ausgeprägter Affinität zu den „reformerischen“ Entwürfen – je für den einzelnen Fall oder für Gruppen von Fällen differenzierende Lösungen zu entwickeln: So bejaht man unter den Anhängern dieser Lehre einen Anspruch auf Neulieferung etwa dann, „wenn auch dem Verkäufer erkennbar ist, dass das Interesse
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Gsell, JuS 2007, 97 ff.; L. Haas (Fn. 14), Kap. 5 Rz. 84, 143, 150; Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 958; Kamanabrou, ZGS 2004, 57, 60; Kandler (Fn. 14), S. 468 ff.; MatuscheBeckmann in Staudinger (Fn. 17), § 439 BGB Rz. 28 ff., 38; Medicus, Schuldrecht II (Fn. 14), Rz. 56; Oechsler (Fn. 15), Rz. 140; Pammler, NJW 2003, 1992 ff.; ders. in juris-PK, 3. Aufl. 2006, § 439 BGB Rz. 20 ff.; Putzo in Palandt, 65. Aufl. 2006, § 439 Rz. 4, 15; Saenger in HK-BGB, 5. Aufl. 2007, § 439 BGB Rz. 1; D. Schmidt in Prütting/ Wegen/Weinreich, BGB, 2006, § 439 BGB Rz. 25; Schubel in Schwab/Witt, Examenswissen zum neuen Schuldrecht, 2. Aufl. 2003, S. 177 f.; ders., JuS 2002, 316; Spickhoff, BB 2003, 589, 590; Tonner, Schuldrecht, 2005, § 8 Rz. 37 f.; Wertenbruch, LMK 2007, 209557; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 11; Graf v. Westphalen in Henssler/Graf v. Westphalen (Fn. 14), § 439 BGB Rz. 5 f. S. dazu i. E. u. unter C.II. Richtlinie 1999/44/EG v. 25.5.1999, ABl. EG Nr. L 171, S. 12. S. dazu BT-Drucks. 14/6040, S. 94 ff., 209, 230; s. aber von vornherein auch schon die Einschränkungen S. 209 und 232; zur Berufung auf diese Motive s. etwa BGH, NJW 2006, 2839, 2841; OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053, 1054; LG Ellwangen, NJW 2003, 517; L. Haas (Fn. 14), Kap. 5 Rz. 84, 150; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung (Fn. 18), S. XXIV; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 11; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 17), § 439 BGB Rz. 2, 28; D. Schmidt in Prütting/Wegen/Weinreich (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 25 („gattungsähnlich“); Bitter/ Meidt, ZIP 2001, 2114, 2116, 2119; Boerner, ZIP 2001, 2264, 2265; Spickhoff, BB 2003, 589, 590; Pammler, NJW 2003, 1992 f.; ders. in juris-PK (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 22; Kandler (Fn. 14), S. 468, 472; Kamanabrou, ZGS 2004, 57, 58; Grunewald, Kaufrecht (Fn. 20), § 9 Rz. 35; Kitz, ZGS 2006, 419, 420 f., 423; zur Fehl-, zumindest Überinterpretation dieser Einschätzungen s. noch u. unter B.III.1.c)aa). Aufschlussreich für diese Vorstellung auch schon der Gesetzesverfasser ist die im RegE geäußerte Ansicht, § 439 BGB führe „das geltende Recht“ fort. Dass der Nachlieferungsanspruch regelmäßig den Interessen beider Parteien entspreche, betonen etwa Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 958; dass dem Käufer „wohl das schneidige Schwert sofortiger Wandelung und Minderung in vielen Fällen vorzugswürdig“ erscheine, meint hingegen Gsell, JuS 2007, 97, 99 Fn. 19.
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des Käufers nicht gerade auf Erhalt eines einzigen bestimmten Stücks … gerichtet ist“, wobei § 439 Abs. 3 BGB eine „übermäßige Belastung“ des Verkäufers ausschließen soll25. Oder man stellt, so eine weitere exemplarische Lehre, ab auf den Umstand, ob der konkrete Spezieskauf „wirtschaftlich betrachtet“ oder „in Wahrheit“ doch nur einen Gattungskauf repräsentiere, wie es namentlich bei einer nur durch Konkretisierung zur Stückschuld gewordenen Leistungsverpflichtung der Fall sei26. Schließlich verlangt man, so eine offenbar zunehmend beliebte Differenzierung, den Anspruch auf Nachlieferung dann zu bejahen, wenn eine i. S. v. § 91 BGB vertretbare Sache den Gegenstand des konkreten Kaufvertrags bildet27. Insgesamt ist man also auch innerhalb dieses Lagers zwar unverkennbar bemüht, bei der Bestimmung der Gewährleistungsrechte den Inhalt des individuellen Vertrags nicht gänzlich aus dem Blick zu verlieren. Man unterscheidet sich jedoch von den erstgenannten Lehren grundsätzlich dadurch, dass man anders als diese die Regelung der Parteien, mithin die Vereinbarung, die Verkäufer und Käufer gemeinsam treffen, nicht zur alleinigen Richtschnur der Konfliktlösung macht. Und man unterscheidet sich, gemessen an diesem Maßstab der Autonomierespektierung, graduell auch untereinander.
III. Der Streit als Ausdruck der Unklarheit über den materialen Rechtsgrund der neuen Gewährleistungspflicht 1. Der beschriebene Streit über den Nachlieferungsanspruch beim Spezieskauf ist nicht nur die Folge der positivrechtlichen Änderungen, die das Kaufrecht durch die Schuldrechtsreform erfahren hat: Wie im Folgenden noch zu zeigen, würde die Neugestaltung, die § 439 BGB trifft, für sich allein die zweifelhafte Rechtsfolge nicht erzwingen. Die Kontroverse findet ihre Erklärung vielmehr auch und vor allem in einer allgemeinen Änderung der Leistungspflichten des
__________ 25 So etwa Grunewald, Kaufrecht (Fn. 20), S. 192 Rz. 35 nach dem eher kryptischen Satz, der Anspruch bestehe „immer dann, wenn der Käufer (!) auf diesem Weg das erhält, was er haben wollte“ (ohne die Herv. i. O.). Ebenso oder ähnlich dies. in Erman (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 7; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 11; Medicus, Schuldrecht II (Fn. 14), Rz. 56; Kitz, ZGS 2006, 419, 421; zur Erkennbarkeit auch Graf v. Westphalen, BB 2006, 1988, 1989. 26 S. etwa Brox/Walker (Fn. 14), § 4 Rz. 44 (dort das 1. Zitat); Canaris, JZ 2003, 831 (dort das 2. Zitat), S. 833 ff., 835, 838; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2119 f.; Oetker/Maultzsch (Fn. 9), S. 93 f.; M. Jacobs (Fn. 9), S. 371, 380; Reinicke/Tiedtke (Fn. 2), Rz. 424 ff.; Kandler (Fn. 14), S. 469 ff.; Schürholz (Fn. 9), S. 165 ff.; Wertenbruch, LMK 2007, 209557, sub. 2; ähnlich M. Heinrich, ZGS 2003, 253, 256; Kitz, ZGS 2006, 419, 421, 422. 27 So etwa RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 209; LG Ellwangen, NJW 2003, 517; LG Münster, DAR 2004, 226, 227; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2119 f.; Boerner, ZIP 2001, 2264, 2269 Fn. 58; L. Haas (Fn. 14), Kap. 5 Rz. 84 f., 150; Kandler (Fn. 14), S. 465; Spickhoff, BB 2003, 589, 590; Pammler, NJW 2003, 1992, 1993 f.; ders. in juris-PK (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 18 f.; Kamanabrou, ZGS 2004, 57, 59 f., 62; Oechsler (Fn. 15), Rz. 140; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 17), § 439 BGB Rz. 31; Saenger in HK-BGB (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 1; Tonner (Fn. 20), § 8 Rz. 37 f.; zumindest hilfsweise bei sonst zutreffender Kritik auch Gsell, JuS 2007, 97, 102.
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Schuldners. Und diese Änderung erklärt sich ihrerseits aus einem tieferen Wertungswandel, der sich in einer auch anderwärts zu verfolgenden Abkehr von der strengen Beachtung der Autonomie der Parteien bekundet: Die Verpflichtung, unabhängig von jedem Versprechen und losgelöst von jedem Verschulden bei Fehlerhaftigkeit des Kaufgegenstands eine neue, wie immer als interessengerecht und gleichwertig definierte Sache erbringen zu müssen, hat ihr Gegenstück im allgemeinen Leistungsstörungsrecht der Schuldrechtsreform. Sie überträgt auf die „kleine“ Leistungsstörung eines Mangels der Sache die für die „große“ Störung einer Leistungserschwerung getroffene Neuregelung einer voraussetzungslosen Mehrleistungspflicht des Schuldners28: § 439 Abs. 1 BGB bildet nach Störungstatbestand und Ordnungsfunktion eine Spezialvorschrift zu § 275 Abs. 2 BGB als der generellen Bestimmung29. Diese früher nur vereinzelt vertretene30, jetzt gesetzlich verordnete Entscheidung für eine versprechens- und schuldunabhängige Mehrleistungspflicht aber stellt auch ihrerseits keinen isolierten Wandel der Wertungen dar. Sie fügt sich als fundamentale Umwertung in die erwähnte Zeitströmung ein, statt der „willkürlich“-subjektiven Regelung der Parteien eine „vernünftig“objektive Gestaltung durch Gesetz und Richter zu treffen, namentlich eine solche, die den Schutz des Käufers als des vermeintlich schwächeren Partners verspricht. Die neue Mehrleistungspflicht entspricht damit generell einer Rechtsentwicklung, wie sie sich beispielhaft an der breiten Bereitschaft bekundet, vertragliche Bindungen zu fingieren, wo tatsächlich nur eine Haftung auf Schadensersatz als verschuldensunabhängige Sanktion in Betracht kommt31. Und sie stimmt speziell in den hier betrachteten Rechtsbereichen mit der gleichfalls breiten Tendenz überein, Einstandspflichten selbst dort zu bejahen,
__________ 28 S. zu dieser Veränderung und ihrer Bedeutung als einer Neugestaltung der Gefahrtragung im Zivilrecht, für die es keine materiale Rechtfertigung, deshalb auch keine Legitimation aus dem Gesamtsystem gibt, m. w. Nachw. Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687 ff., dort auch zur Gegenkritik; s. auch schon dens., JZ 2003, 1035, 1036 ff.; Wilhelm, DB 2004, 1599 ff.; Katzenstein, Jura 2005, 217, 218; Bernhard, Jura 2006, 801, 803 ff.; umfassend zu dieser Schuldrechtsreform und ihren Systembrüchen Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, passim. 29 S. dazu BT-Drucks. 14/6040, S. 232; Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 704 (dort auch Zitat des RegE); Faust in Bamberger/Roth, 2003, § 439 BGB Rz. 50. 30 S. zum früheren Meinungsstand Picker, JZ 2003, 1035, 1036 f.; dens. in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 690 ff., jew. m. w. Nachw. 31 Aus der Fülle einschlägiger Phänomene seien nur etwa so geläufige Figuren wie etwa die der Anscheinsvollmacht genannt und so breit akzeptierte Rechtsveränderungen wie etwa die Unterstellung eines Vertragsschlusses auch bei fehlendem Erklärungsbewusstsein (s. dazu namentlich BGH, BGHZ 91, 324; 109, 177; 149, 136; NJW 2005, 2620, 2621). Zur scharfen Trennung zwischen der autonomen rechtsgeschäftlichen und der heteronomen haftungsrechtlichen Bindung s. Picker, AcP 183 (1983), 369, bes. 394 f., 397 f., 410, 435, 505 ff.; Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1985, S. 288 f.; Wilhelm (Fn. 9), S. 301, 340; Ackermann, JZ 2002, 378, 380; Katzenstein, ZGS 2005, 184, 187 f.; Bernhard, Jura 2006, 801, 805 mit Fn. 57 und umfassend Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, bes. S. 17 ff., 89 ff.; 172 ff., 256 ff.; dens., Grenzen (Fn. 28), S. 6 ff.; dens., JZ 2006, 1076, 1079; s. auch Meincke, AcP 171 (1971), 19, 27 ff. Zur parallelen Problematik im Arbeitsrecht s. m. w. Nachw. Picker, NZA, 2002, 761 ff.
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wo sie, wie schon eingangs erwähnt, weder durch ein autonomes Leistungsversprechen noch durch einen heteronomen Zurechnungsgrund gerechtfertigt sind, wo sie kurz also Vermögensverschiebungen ohne causa begründen32. 2. Eine einfache Vorabüberlegung macht die Beziehung zwischen der besonderen Kauf- und der allgemeinen Schuldrechtsbestimmung und mit dieser den genannten umfassenderen Zusammenhang deutlich: Rechtstatsächlich könnte zwar ein Streit über die Pflicht zur Nachlieferung beim Stückkauf selbst in den Fällen entstehen, in denen das Vertragsversprechen, wie in den noch aufzuzeigenden Sachverhalten, eine solche Ersetzungsabsprache einschließt, in denen aber einer der beiden Partner später von dieser hilfsweise vereinbarten Liefer- oder Abnahmepflicht nichts mehr wissen will. Und wiederum rechtstatsächlich wäre die gleiche Sachlage denkbar, wenn die Nachlieferung im Fall eines verschuldeten Mangels als eine Art von Naturalherstellung gefordert würde. Rechtstheoretisch dagegen würde in solchen Konstellationen jeglicher Streitgegenstand von vornherein fehlen. Dogmatisch bestände hier also keinerlei Anlass zu Kontroversen. Denn wie im ersteren Fall die autonome Parteigestaltung, so würde im letzteren Fall der heteronome, auf die Zurechenbarkeit der Schädigung gestützte Gesetzesbefehl die materiale Begründung für den Mehraufwand liefern33. Als theoretischer und dogmatischer Streit entspringt der Disput über den Nachlieferungsanspruch beim Spezieskauf im Kern folglich einem einzigen Grund: Er folgt bei genauer Betrachtung ausschließlich daraus, dass dieser Anspruch weder eine vertragsnoch eine haftungsrechtliche Grundlage hat. Jenseits der derzeit diskussionsbeherrschenden Argumente, die auf Richtlinienabsicht oder Gesetzgeberwillen verweisen, die sich auf rechtssystematische oder -politische Schlüsse wie den Gesetzeszusammenhang oder den Verbraucherschutz stützen oder die über Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Auswechslung einer Stückschuld streiten, gilt es also zu sehen: Die anhaltend unversöhnliche Kontroverse erklärt sich aus dem bald mehr, bald minder bewussten und reflektierten Empfinden, dass die Nachlieferung als eine versprechens- und haftungsüberschreitende Mehrleistungspflicht zum Inhalt aller sonst anerkannten vertraglichen oder gesetzlichen Obligationen in Widerspruch steht. Kurz: Unser Thema existiert, weil man spürt, dass es bei seinem Gegenstand um eine Rechtsfolge geht, die sich in der positivierten Pauschalität mit den Prinzipien des Zivilrechts nicht vereinbaren lässt.
__________ 32 Zu dieser Folge im Schuld- und namentlich im Leistungsstörungsrecht s. die Nachw. in Fn. 28. 33 S. dazu, dass der Mehraufwand aufgrund eines schuldhaften Fehlverhaltens als Schadensersatz geschuldet sein kann, dass also auch der Schadensersatz statt der Leistung gem. § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich in Natur zu erbringen ist, etwa Hartmann, Die Obligation, 1875, S. 252; H. A. Fischer, Der Schaden nach dem Bürg. Gesetzbuche für das Deutsche Reich, 1903, S. 190 ff.; Lobinger, Verpflichtung (Fn. 31), S. 48 ff.; dens., Grenzen (Fn. 28), S. 222, 234, 249 ff.; Gebauer, Naturalrestitution beim Schadensersatz wegen Nichterfüllung, 2002, S. 42 f., 85 ff., 101, 203; Katzenstein, ZZP 2003, 459, 464 mit Fn. 24; Bernhard, Jura 2006, 801, 810.
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3. Liegt danach aber die Ursache allen Streits über den Anspruch auf Nachlieferung letztlich in dem Mangel eines materialen rechtlichen Grundes, so liegt es auch nahe, die Lösung des Streits durch die Behebung dieser Ursache zu versuchen. Es drängt sich dann auf, den problematischen Anspruch nur dort und nur soweit zu gewähren, wo und wie ein rechtlich anerkannter sachlicher Grund, hier also ein entsprechender Wille der beiden Parteien, für den konkreten Vertrag zu erschließen ist. Tatsächlich eröffnet eine solche streng auf die Autonomie der Parteien verpflichtete Rechtsgestaltung die im Folgenden noch einmal zu erhärtende schlüssige Lösung der Problematik34: Sie beseitigt die Unklarheit über den materialen Rechtsgrund der neuen Gewährleistungspflicht. Und sie ermöglicht so eine Deutung, die mit dem Wortlaut des Gesetzes und den Maximen des Rechts in Übereinstimmung steht, die zugleich aber auch den Bedürfnissen des praktischen Lebens gerecht wird. Denn zwar schränkt sie den umstrittenen Anspruch erheblich ein. Sie schließt ihn aber keineswegs kategorisch aus. Dagegen verkennt man, wie weiter unten zu zeigen, innerhalb der referierten Gegendoktrinen, die sich der Sache nach oder erklärtermaßen von der Beachtung des Willens der beiden Parteien entbinden, dass der Anspruch auf Nachlieferung mit der Begründbarkeit einer solchen Neu- und Mehrleistungspflicht steht oder fällt. Diesen Lehren gelingt deshalb keine gedanklich und sachlich schlüssige Lösung. Und namentlich gelingt ihnen nicht, ihr Konzept mit Recht und Gesetz in Einklang zu bringen.
B. Die Begründetheit des Nachlieferungsanspruchs in der Vereinbarung der Parteien I. Die grundsätzliche Unbegründetheit eines Nachlieferungsanspruchs beim Spezieskauf 1. Die Autonomiewidrigkeit des Anspruchs Lässt man besondere Fallgestaltungen zunächst noch beiseite und stellt man allein auf den Willen der Vertragspartner ab, so kommt ein Anspruch auf Nachlieferung beim Spezieskauf dem Grundsatz nach nicht in Betracht. In dieser Einsicht liegt der richtige Kern der zitierten anspruchsverneinenden Lehren. Diese Entscheidung ist zwar als Lösung einer lebenspraktischen Problematik nicht allein nach gedanklicher Logik zu treffen und deshalb nicht allein mit dem Argument einer „Unmöglichkeit“ zu begründen. Sie lässt sich darüber hinaus auch bei rein ökonomischer Sicht keineswegs immer zwingend verneinen. Der Anerkennung eines solchen Gewährleistungsrechts steht im Grundsatz jedoch die Autonomie der Parteien entgegen. Denn klarer als sonst springt bei dieser Form der Neu- und Mehrleistungspflicht in die Augen, dass und wie sehr sie als Pauschalregelung der gewöhnlichen Parteivereinbarung widerspricht: Im Normalfall eines echten Spezieskaufs ist im Ernst nicht bestreitbar, dass der Verkäufer des für die Partner singulären Objekts eine Leis-
__________ 34 S. dazu schon o. Fn. 10.
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tungspflicht nur für das individuelle Kaufobjekt eingeht. Entsprechend ist auch dem Käufer klar, dass er nur einen auf diese Sache beschränkten Anspruch erwirbt. Und so wenig wie er bei deren Untergang eine Ersatzsache einfordern kann oder annehmen muss35, so wenig kann er deshalb auch bei der „kleineren“ Störung eines Mangels der Sache berechtigt oder verpflichtet sein, ein nie zum Vertragsinhalt gemachtes Objekt als Vertragserfüllung zu beanspruchen oder hinzunehmen. 2. Die untragbaren praktischen Folgen Jede andere Lösung täte danach, wie auch schon früher betont36, der Autonomie der Vertragspartner greifbar Gewalt an. Ihr fehlte offenkundig die legitimatorische Deckung. Darüber hinaus aber hätte sie, eben weil sie den Parteien den Gegentyp der von ihnen gewählten Vertragsform aufzwingen würde, für beide auch praktisch untragbare Folgen: Der Verkäufer, der als Privatmann einen nicht mehr benötigten Gegenstand abstoßen wollte, hätte plötzlich zur „Nacherfüllung“ seiner ursprünglichen Stückschuld den Markt nach einem „gleichen“ Objekt abzusuchen. Er würde quasi in die Rolle eines volkswirtschaftsweit agierenden Händlers gedrängt. Der Käufer, der sich ebenfalls als Privatmann auf eine bestimmte Sache fixiert hat, müsste sich ungeachtet seines ausdrücklich erklärten und vertraglich abgesicherten individuellen Interesses mit einer „ähnlichen“ Sache abfinden lassen. Er liefe also bei häufigeren Aquisitionen Gefahr, dass ihn in seinem Lebensbereich immer mehr ungewollte Objekte umgeben. Kurz: Ein ordinärer, von den Parteien nach Rechten und Pflichten, damit nach Chancen und Risiken klar festgelegter Kaufvertrag könnte, weil man den Willen der Parteien missachtet, deren Profession und Umwelt nachhaltig ändern37.
__________ 35 Zu dem Widerspruch zwischen der Regelung der Unmöglichkeit und der der Leistungserschwerung s. schon Picker, JZ 2003, 1035, 140, 1045 f.; dens. in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 707; Lobinger, Grenzen (Fn. 28), bes., S. 101 f.; Bernhard, Jura 2006, 801, 806, 808 Fn. 96 sowie noch u. B.I.3.c). 36 S. Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 706; ferner Wieser, NJW 2001, 121, 123; Ackermann, JZ 2002, 378, 379 f.; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB (Fn. 9), § 275 BGB Rz. 26, 49. 37 Zu den Konsequenzen für den alternativen Anspruch auf Nachbesserung nach § 439 Abs. 1 BGB eingehend und m. w. Nachw. Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 708 ff. mit dem Fazit, dass aus den gleichen rechtlichen und sachlichen Gründen ebenso wenig, wie der Schuldner bei einem Abgabe- oder Platzgeschäft die Verschaffung der Sache am Markt und bei einem Spezieskauf die Lieferung eines anderen Gegenstands schuldet, auch der Verkäufer ohne besondere rechtliche Gründe zur Nachbesserung der mangelbehafteten Sache verpflichtet ist. S. auch Jakobs (Fn. 9), S. 92 ff., 96 ff.; Wilhelm (Fn. 9), S. 301, 316 Fn. 59; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB (Fn. 9), § 275 BGB Rz. 50; unzutreffend daher die Annahme von Gsell, JuS 2007, 97, 98, „auch mit der Nachbesserung“ werde „das von den Parteien vereinbarte Leistungsprogramm für den Störungsfall modifiziert“.
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3. Die mangelnde Berechenbarkeit von Höhe und Erfolg des Mehraufwands des Verkäufers Zu diesen in ihrer Autonomiewidrigkeit geradezu kuriosen Folgen kommt ein gravierender faktischer und ökonomischer Gesichtspunkt hinzu. Er klang eingangs schon an und ist als Einwand gegen die grundsätzlich anspruchsbejahenden Lehren später erneut aufzugreifen38. Hier demonstriert er, dass auch vitale vermögensmäßige Interessen der Partner des Kaufvertrags dazu zwingen, einen Anspruch auf Nachlieferung prinzipiell und also vorbehaltlich besonders gelagerter Fallgestaltungen zu verneinen: a) In allen den Fällen, in denen der Verkäufer zur Erfüllung einer Nachleistungspflicht nicht nur gleichsam hinter sich greifen müsste, um einen geeigneten Ersatzgegenstand offerieren zu können, würde ihn eine in ihrem Grund völlig offene, in ihrem Umfang völlig unberechenbare Beschaffungspflicht treffen. Schon der Wille, überhaupt einen solchen Mehraufwand zu erbringen, wird dem Verkäufer aber, immer im hier verfolgten Normalfall eines „echten“, auf ein singuläres Objekt gerichteten Spezieskaufs, grundsätzlich fehlen39. Schon der Zwang zu einem wie immer begrenzten Sonderopfer ist folglich mangels einer rechtsgeschäftlichen oder haftungsrechtlichen Rechtfertigung nicht zu begründen40. Vollends aber tritt die Untragbarkeit einer solchen zwangsweisen Nachleistungspflicht in diesen Fällen zutage, sobald man sich ihre Folgen im Realgeschehen vergegenwärtigt41: Als Ereignis, das in der Zukunft liegt, wäre der Erfolg der Beschaffungsversuche des Verkäufers niemals gesichert. Entsprechend offen blieben deshalb auch die benötigte Zeit, die erforderlichen Methoden und Mittel und insgesamt also der sachliche und geldliche Aufwand, den er zur Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit zu erbringen hätte. Und offen bliebe namentlich auch der Erfolg dieses Aufwands: Selbst bei großzügigster Bemessung dieser Mittel wäre deren Amortisation niemals sicher, ihre Frustration niemals auszuschließen. b) Das schon erwähnte, in der Literatur als Beleg für die Reichweite der Nachlieferungspflicht angeführte Beispiel des unechten Bildes42 illustriert die heillose Lage des Schuldners43: Der Fall zeigt die unlösbare Zwangssituation des Verkäufers, wenn dieser unter Aufwand immer neuer Mittel etwa für Reisen, Hotels oder sonstige
__________ 38 S. o. unter A.I.3. und u. unter C.II.3.b)cc). 39 Eingehend und m. w. Nachw. dazu Picker, JZ 2003, 1035, 1036 f.; ders. in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 705 f.; ferner Jakobs (Fn. 9), S. 92; Ernst in FS Huber, 2006, S. 167, 203 f. und selbst Berger in Jauernig (Fn. 14), § 439 BGB Rz. 4 (für nicht gewerblich handelnde Verkäufer). 40 Eingehend auch dazu Picker, JZ 2003, 1035, 1040 f. sowie ders. in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 694 ff. 41 S. auch zu diesem, für die Entscheidung des Meinungsstreits zentralen Bedenken m. w. Nachw. und eingehender Auseinandersetzung mit Gegenstimmen schon Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 696 f., 700 ff. 42 S. o. unter A.I.3.b) a. E. bei und in Fn. 15. 43 S. ferner auch das von Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 710 ff. erörterte Beispiel.
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Investitionen versucht, das echte Bild zu erwerben. Er macht seine Ausgeliefertheit deutlich, wenn etwa der Eigentümer, durch die Zwangslage seines Partners ermuntert, den Preis immer weiter erhöht, oder wenn der Käufer seinerseits über den Weiterverkauf des Bildes verhandelt und dadurch noch einmal mehr die Aufwandspflicht des Verkäufers steigert. Und er enthüllt vollends dessen schlichtweg als unzumutbar zu bewertende Lage, wenn der Ankauf allem diesem Bemühen zum Trotz dennoch mit dem vollen Verlust aller Spesen im letzten Augenblick scheitert. Zugleich aber zeigt das Beispiel weiter, dass auch der beschwichtigende Verweis auf die Beschränkung des Aufwands, die die §§ 439 Abs. 3 Satz 1 und 275 Abs. 2 Satz 1 BGB bestimmen, diese Zwangslage des Verkäufers nicht wirklich behebt. Es macht im Gegenteil deutlich, dass eine Nachlieferungspflicht in den erörterten Konstellationen nicht einmal aus diesen gesetzlichen Mehraufwandspflichten legitimiert werden kann44: Beide Neuschöpfungen der Schuldrechtsreform unterstellen den Fall, dass der Schuldner mit Hilfe des Mehraufwands seine Leistungsschwierigkeit überwindet und folglich die Gegenleistung erhält. Beide Innovationen verfehlen damit jedoch die Realität. Denn sie lassen mit der Zukunftsabhängigkeit des Erfolgs das beschriebene unvermeidliche Risiko außer Acht, dass das Bemühen um die Ersatzleistung fehlschlägt und deshalb die Gegenleistung trotz des Mehraufwands ausbleibt. Sie scheitern also, weil der Verkäufer seinen Mehraufwand „auf gut Glück“ treiben müsste, an einer faktisch und ökonomisch fehlerhaften Kalkulation. Auch die Gegenmeinung bestätigt dieses Ergebnis verklausuliert, wenn sie Bedenken mit dem Hinweis abzuwiegeln versucht, dass den Parteien „im Übrigen“ ja die Abbedingung von § 439 BGB bleibe45, wenn sie also den betroffenen Rechtsgenossen gleichsam die private Nachbesserung der staatlichen Regelungen empfiehlt. c) Tatsächlich sind solche Winkelzüge entbehrlich. Denn auch das Gesetz selbst bringt für die hier verfolgten Fälle in seinen Grundregeln unverändert zum Ausdruck, dass eine Nachlieferung grundsätzlich nicht in Betracht kommen soll. Ein einfacher, häufig betonter und nie widerlegter Erst-recht-Schluss beweist das: Geht die als Stückschuld zu leistende Sache unter, so soll der Verkäufer gemäß § 275 Abs. 1 BGB auch nach neuem Recht unzweifelhaft wegen Unmöglichkeit der Leistung befreit sein. Nach zwingender, angesichts des Willkürverbots auch für das Recht verbindlicher Logik muss er dann aber grundsätzlich auch befreit sein, wenn mit dem Mangel des Kaufgegenstands – wiederum nach einer Grundentscheidung des neuen Rechts46 – statt der totalen nur eine par-
__________ 44 Zur Problematik dieser beiden Neuregelungen als schon abstrakt-generell verfehlten Gestaltungen s. Fn. 28. 45 So etwa Gsell, JuS 2007, 97, 99; ähnlich Ernst (Fn. 39), S. 165, 204 ff. S. dazu noch u. in Fn. 75 a. E. 46 Dazu, dass spätestens seit der Schuldrechtsreform die freilich auch schon vorher postulierte Wesensgleichheit von Nicht- und mangelbehafteter Leistung nicht mehr zweifelhaft sein kann, s. m. Nachw. auch zum alten Recht Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 704.
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tielle Unmöglichkeit der versprochenen Leistung vorliegt47. Das gilt umso mehr, als der Untergang der Speziessache so wenig wie deren Mangelhaftigkeit die Neulieferung einer „entsprechenden“ Sache ausschließt: Hier wie dort wäre eben ein neues Objekt zu liefern. Und das gilt vollends angesichts des rechtlich entscheidenden Umstands, dass sachlich eine völlig identische Lage besteht: Hier wie dort wären der Aufwand und sein Frustrationsrisiko die gleichen. Das Interesse beider Parteien würde sich folglich in beiden Fällen in nichts unterscheiden48. Wenn das Gesetz also im Grundfall der Leistungsstörung den Schuldner von allen Pflichten befreit, so kann in einer dem Rechtsgedanken verpflichteten Ordnung für den unterschiedslosen Spezialfall im Prinzip nichts anderes gelten. Im Grundsatz muss deshalb auch der schuldlose Verkäufer einer als Stückschuld zu erbringenden fehlerbehafteten Sache von allen Leistungspflichten befreit sein.
__________ 47 S. zu diesem Erst-recht-Schluss, dessen Missachtung nicht zuletzt das argumentum ad absurdum aufdrängt, dass der Schuldner Glück gehabt habe und deshalb aufatmen müsse, wenn die geschuldete Sache vor der Lieferung nicht nur beschädigt, sondern vernichtet werde, m. w. Nachw. etwa Ackermann, JZ 2003, 1154 ff.; Faust, ZGS 2004, 252, 254; Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 411, 412; Gruber, JZ 2005, 707, 709 ff.; Bernhard, Jura 2006, 801, 804 f.; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB (Fn. 9), § 275 BGB Rz. 22; Picker, JZ 2003, 1035, 1038; dens. in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 697 Fn. 24, dort S. 706 ff. insbesondere auch zu dem schon rechnerisch verfehlten Argument, der Vergleich scheitere bereits an dem Umstand, dass der Verkäufer für die zweite Sache ja einen Kaufpreis erhalte (so Canaris, JZ 2003, 1156 f.; dagegen zu Recht Faust, JZ 2007, 101, 104 mit Fn. 21). Gegen den Erst-recht-Schluss, freilich mit Argumenten, die ihn eher bestätigen als widerlegen, etwa Canaris, a. a. O.; Gsell, JuS 2007, 97, 100. S. jetzt auch H. Roth, NJW 2006, 2953, 2955 (Herv. i. O.), der den Nachlieferungsanspruch zu Recht auf die „Parteivereinbarung“ zurückführt, dann aber meint, „die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit“ folgten „aus dem Gesetz“, so dass „schon die Frage nach der ‚Schlechterstellung’ des Verkäufers (…) schief gestellt“ sei. Dabei unterläuft ihm freilich selbst ein „schiefer“ Vergleich: Richtig ist zwar, dass der Schadensersatz als Rechtsfolge der „Unmöglichkeit“ aus dem Gesetz folgt. Gleiches gilt selbstverständlich aber auch beim Schadensersatz wegen eines Sachmangels. Und wie der „Nach“-Lieferungsanspruch beim Sachmangel auf der Parteivereinbarung beruht, kann folglich auch ein „Nach“-Lieferungsanspruch bei der totalen Unmöglichkeit bestehen, soweit ein dementsprechender Aufwand versprochen wurde! Genaugenommen besteht freilich hier wie dort in diesen Fällen gar keine – normativ zu verstehende – Unmöglichkeit, weil der versprochene Erfolg durch den gleichfalls versprochenen Aufwand noch erreicht werden kann, s. dazu Fn. 83–86. 48 Konsequent ist es deshalb, wenn man heute tatsächlich schon fordert, auch in den Fällen einer Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB einen Nachlieferungsanspruch anzunehmen, s. etwa Balthasar/Bolten, ZGS 2004, 411, 414. Die Konsequenz solcher Lehren, die anders als hier vertreten nicht auf den Parteiwillen abstellen, kehrt freilich die gesetzliche Regelung vollends in ihr Gegenteil um und beweist damit, dass der Ausgangspunkt nicht richtig gewählt ist. Zu Recht lehnt etwa Gruber, JZ 2005, 707, 711 f. diesen Vorschlag ab, zu Unrecht glaubt er dann freilich, „de lege lata“ seien „diese Wertungswidersprüche aber wohl nicht aufzulösen“ (S. 712). S. ferner Canaris, Schuldrechtsmodernisierung (Fn. 18), S. XXIV, der beim konkretisierten Gattungskauf eine Nacherfüllung ablehnt und das zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auf den Stückkauf ausdehnt, soweit bei ihm eine Konkretisierung eingetreten wäre, der damit aber seine Kritik in JZ 2004, 214 ff. selbst widerlegt.
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II. Die fallweise Begründetheit der Nacherfüllung insbesondere bei „Verbrauchsgüter“-Käufen 1. Die Anerkennung der Nacherfüllung als Ausschluss von Willkür Die dargelegte Lösung schließt, wie immer wieder betont, für den Stückkauf die prinzipielle Anerkennung einer Nacherfüllungspflicht des Verkäufers aus. Sie spricht dem neuen Gesetz, das in Wahrheit eine von altersher diskutierte Regelung trifft49, nicht etwa jede Berechtigung ab. Im Gegenteil macht eben der Grund, der Mehraufwandspflichten auch in Form der beiden Gewährleistungspflichten grundsätzlich als systemwidrig ausschließt, zugleich die Grenzen dieses Ausschlusses deutlich: Gerade dann, wenn man strikt auf den individuellen Vertrag als Rechtsgrund jeder Erfüllungs- und damit auch „Nacherfüllungs“-Pflicht abstellt, können diese Rechte in sogleich noch zu konkretisierenden, mehr oder minder typisierbaren Konstellationen als systemkonform zu bejahen sein. Denn gerade dann, wenn man die Vereinbarung der Parteien in ihrem vollen Sinn respektiert, kann sie hier die Anerkennung einer Nacherfüllungsbefugnis begründen. 2. Typische Fälle Die betreffenden Fälle und ihre Voraussetzungen sind an anderer Stelle näher beschrieben50. Hier reicht deshalb aus, die Ergebnisse wie folgt zusammenzufassen und zu vertiefen. a) Abgesehen von den unproblematischen Fällen, dass beide Parteien auch noch nach Entdeckung des Mangels aktuell daran interessiert sind, den Defekt durch Reparatur oder Auswechslung des Objekts zu beheben, kommt eine Nacherfüllung auch unabhängig vom späteren Willen dann in Betracht, wenn zwar nur eine Partei ein besonderes Interesse an dieser Form der Mängelbeseitigung hat, wenn aber auch das Interesse der anderen durch die Nachbesserung oder Nachlieferung uneingeschränkt gewahrt bleibt: Ihre Anerkennung verhindert hier spätere Willkür durch förmelndes oder widersprüchliches Verhalten eines der Partner. Sie hält beide Parteien an jener hypothetischen Änderungswilligkeit fest, die ihnen zu unterstellen ist, wenn sich Nachbesserung und Nachlieferung gegenüber Minderung oder Rücktritt als Alternativen erweisen, die zumindest für einen Partner von Vorteil und für den anderen zumindest gleichwertig sind51. b) Diese Bedingungen werden häufig erfüllt sein, wenn der Verkäufer schon von Berufs wegen die Fähigkeiten und Mittel besitzt und damit durch sein
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49 S. die Nachw. bei Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 712 Fn. 75. 50 S. Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, bes. S. 712 ff. 51 Vgl. auch Lobinger, Grenzen (Fn. 28), S. 243. Die Rechte legitimieren sich also auch hier nach Grund und Grenzen nicht schon „aus dem Gesetz“ und also aus der bloßen Existenz des § 439 Abs. 1 BGB. Sie sind überhaupt nicht heteronom zu begründen, sofern es an einem Verschulden fehlt. Ihr legitimierender Grund und damit ihre zwingenden Grenzen folgen vielmehr hier wie sonst ausschließlich aus dem Vertrag der Parteien.
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Marktauftreten bekundet, er sei bereit, im Beanstandungsfall vor Minderung oder Rücktritt diese Form der Gewährleistung zu erbringen. Sie kommen damit typischerweise dann in Betracht, wenn der Verkäufer als reparaturbefähigter Fachmann agiert oder wenn er gewerblich mit Sachen handelt, denen als technischen Mehrfach- oder Massenprodukten keine echte Individualität und Singularität zukommt und die deshalb beliebig ersetzt und leicht beschafft werden können. Und geradezu idealtypisch liegen sie deshalb vor, wenn es sich um „Verbrauchsgüter“, insbesondere um Massenware handelt. Denn dann sind die Kosten von Nachbesserung und Nachlieferung in der Regel begrenzt und mit hoher Wahrscheinlichkeit vorab schon fixierbar. Darüber hinaus ist hier mit derselben Wahrscheinlichkeit auch der Erfolg der Investitionen zu unterstellen. Die Voraussetzung, dass sich der Mehraufwand präsumtiv lohnt, und mit ihr die im Vertrag konkludent erklärte Bereitschaft, die Mehrkosten und die Risiken einer Nacherfüllung in Kauf zu nehmen, lassen sich also vollends hier in aller Regel bejahen52. c) In diesen, aber auch nur in derart gelagerten Konstellationen, nicht dagegen, wie nach den Gegendoktrinen, pauschal und grundsätzlich in allen Fällen ist die Möglichkeit eines Anspruchs auf Nachlieferung zu bejahen: Diese Alternative kann hier dem Verkäufer einen greifbaren Vorteil eröffnen, indem sie ihn vor Minderung oder Rücktritt bewahrt und ihm so den vollen Kaufpreis erhält. Und hier, aber wiederum in aller Regel nur hier, wird auch der Käufer, ist er nicht ohnehin einverstanden, durchweg dieser Lösung zustimmen müssen. Denn gerade bei uneingeschränkter Beachtung seines mit dem Vertragschluss bekundeten Willens wird er hier eher selten plausible Gründe dafür anführen können, dass er den Versuch der Nacherfüllung zurückweist. Sein Beharren auf Minderung oder Rücktritt wäre folglich willkürlich und deshalb als Widerspruch zu seiner Selbstbindung nicht zu beachten53. 3. Die Notwendigkeit einer positiven Begründung des Anspruchs aus dem konkreten Vertrag Gegenüber den Lehren, die die Nacherfüllung und speziell die Nachlieferung als eine „gesetzliche“ Verpflichtung betrachten, gilt es danach als Zwischenergebnis festzuhalten: a) Trotz der genannten typisierbaren Fälle bleibt es dabei, dass beim Spezieskauf eine Pflicht zur Nachlieferung grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Denn diese Pflicht kann nicht schon allein mit dem Hinweis auf das neue Gesetz material gerechtfertigt werden. Sie ist vielmehr erst aus dem konkreten
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52 Nicht von ungefähr zeichneten sich deshalb unter der Geltung des „vormodernen“ Schuldrechts gerade diese Marktsegmente durch eine entsprechende, das Gesetz verdrängende AGB-Praxis aus. S. dazu auch RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 220 l.Sp. und Fn. 76. 53 Vgl. hierzu auch Baldus, Binnenkonkurrenz kaufrechtlicher Sachmängelansprüche nach Europarecht, 1999, S. 95 f.; Ernst (Fn. 39), S. 165; zur „vertragserhaltenden Grundtendenz“ der Nacherfüllung auch Brüggemeier, JZ 2000, 529, 532 (Herv. i. O.); Jud, Schadenersatz bei mangelhafter Leistung, 2003, S. 54. S. dazu auch Fn. 62.
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Vertrag und hier zumeist indirekt aus den Interessen der Partner zu folgern. Sie lässt sich folglich nicht als gewöhnliche Rechtsfolge aller Kaufverträge begründen54. Ihre Anerkennung zwingt vielmehr dazu, ihre Begründetheit in jedem einzelnen Fall durch Auslegung zu ermitteln. Und anders als nach der Gegenmeinung55, darüber hinaus aber auch in Fortführung der bisherigen höchstrichterlichen Klärung56 ist diese Auslegung nicht auf den Leistungsgegenstand zu beschränken. Vielmehr hat sie auch den Leistungsaufwand und mit ihm das Risiko der Beschaffung einer Ersatzsache einzubeziehen. Der den Anspruch tragende Konsens der Parteien liegt also nur vor, wenn er über den Leistungserfolg hinaus auch die für ihn einzuplanende Leistungsanstrengung einschließt57. b) Damit ist ein Anspruch auf Nacherfüllung nur anzuerkennen, wenn diese Gewährleistungsform nach Objekt und Mitteln dem wirklichen oder hypothetischen Willen beider Parteien bei Vertragsschluss entspricht. Er kommt folglich in den praktisch allein problematischen Fällen eines erst zu erschließenden Willens grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn er für den einen Vertragspartner einen Vorteil, für den anderen zumindest keinerlei Nachteile schafft, wenn er also, weil schon angelegt im Vertrag, beiden Beteiligten das verschafft, was sie einander nach dessen Zielen und Zwecken zumindest hilfsweise zugesagt haben. Diese Voraussetzung ist in aller Regel erfüllt, wenn die Erforschung des Vertragszwecks ergibt, dass faktisch ohnehin kein „echter“ Stück-, sondern eher ein Gattungskauf vorliegt, wenn also der Käufer in der seit der Schuldrechtsreform viel bemühten Möbelhauskette den gewünschten Stuhl selbst aus dem Regal nimmt, den begehrten Tisch dagegen erst an der Warenausgabe erhält58. Dagegen fehlt sie ebenso regelmäßig, wenn es sich um ein für die Parteien singuläres Objekt, namentlich auch um einen gebrauchten
__________ 54 S. auch die zutreffende Formulierung in der Regierungsbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 220, dass die frühere Rechtslage dem Rechtsempfinden der Kaufvertragsparteien lediglich „in vielen Fällen“ nicht mehr entspreche. 55 S. Fn. 72. 56 S. Fn. 6 ff. 57 S. dazu, dass das Leistungsversprechen nicht rein erfolgs-, sondern auch anstrengungsbezogen ist, v. Kübel in Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung eines Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1, 1980, S. 740 f.; Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929, § 28, S. 85 ff.; Wieacker in FS Nipperdey, Bd. 1, 1965, S. 783, 801 ff.; Flume, Allg. Teil, Bd. II, 3. Aufl. 1979, § 26, 5, S. 507 ff.; Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 204; Lobinger, Grenzen (Fn. 28), passim, bes. S. 125 f., 194 ff.; Gebauer (Fn. 33), S. 71 ff.; Bernhard, Jura 2006, 801, 807; Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 690 ff. m. w. Nachw. und jüngst auch P. Schmidt, Die Unmöglichkeit der Erfüllung in Ansehung der Zeit, 2007, S. 17 ff., bes. 31 f., 44 ff. Zur Gegenansicht, die den Kaufvertrag rein erfolgsbezogen deutet, s. u. in Fn. 74. 58 S. zu diesen „IKEA-Fällen“ etwa Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2119; G. Schulze, AcP 201 (2001), 232, 236 f.; Ackermann, JZ 2002, 378, 381 f.; St. Lorenz in Lorenz/Riehm (Fn. 16), Rz. 506; Canaris, JZ 2003, 831 mit Fn. 6; M. Heinrich, ZGS 2003, 253, 256; Oetker/Maultzsch (Fn. 9), S. 93 f.; Oechsler (Fn. 15), Rz. 140; M. Jacobs (Fn. 9), S. 371, 380; Faust, ZGS 2004, 252; Medicus, Schuldrecht II (Fn. 14), Rz. 56; Reinicke/ Tiedtke (Fn. 2), Rz. 425; Kandler (Fn. 14), S. 469 ff. und bes. Schürholz (Fn. 9), S. 131 ff., 164 ff., 173 ff.
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Gegenstand handelt. Mit dem BGH und den ihm folgenden Stimmen ist deshalb speziell beim Gebrauchtwagenkauf ein Recht oder ein Anspruch auf Nachlieferung in der Tat zumeist zu verneinen, es sei denn, dem Verkäufer gelingt eine wirklich „gleiche“, sozusagen zwillingshaft ähnliche Sache zu liefern59. Und entgegen instanzgerichtlichen Reflexionen ist diese Gewährleistungsform wohl so gut wie stets auszuschließen, wenn etwa statt des mangelbehafteten tageszugelassenen Wagens nur ein fabrikneues Exemplar oder nur ein wegen seiner Ausstattung oder seines Herstellungsorts erheblich teurerer Wagen beschafft werden könnte60. c) Methodisch ist danach, eben weil es um die Verwirklichung des Willens beider Parteien und damit um die Auslegung ihrer Vereinbarung geht, wie folgt zu verfahren: Immer entgegen den Lehren, die die Nacherfüllung als eine „gesetzliche“ Verpflichtung betrachten, ist der Anspruch auf Nachlieferung nicht im Prinzip zu bejahen, dann aber im „negativen“ Verfahren aus noch zu erörternden besonderen Gründen61 fallweise doch wieder abzulehnen. Er ist vielmehr gerade umgekehrt als an sich unlegitimierte Mehraufwandspflicht grundsätzlich zu verneinen. Und nur von Fall zu Fall ist er positiv zu begründen, wenn sich ein entsprechender Wille nachweisen lässt.
III. Die Deutung von § 439 Abs. 1 BGB als eine vertraglich begründete „Ersetzungsbefugnis“ 1. Die vertragsbezogene Beschränkung der Nacherfüllungspflichten als gesetzes- und systemkonforme Deutung Mit der Anerkennung einer verschuldensunabhängigen Nachlieferungspflicht, die sich aus dem konkreten Kaufvertrag legitimiert, die durch diesen Legitimationsgrund aber auch strikt begrenzt wird, erhält der neue, systemunverträglich pauschale § 439 Abs. 1 BGB eine systemkonforme Rechtfertigung: a) So begründet und eingeschränkt, verwirklicht diese Vorschrift das fundamentale Prinzip der Bindung an die eigene Willenserklärung, das das BGB in § 119 Abs. 1 generell zum Ausdruck gebracht hat62. Denn wie dargestellt garantiert sie dann, dass sich Verkäufer wie Käufer wechselseitig festhalten können an der „verständigen Würdigung“ ihrer je eigenen Bekundungen beim Vertragschluss und damit an dem sachlichen Zweck ihres konkreten Geschäfts. Rechtlich ermöglicht die neue Vorschrift in dieser beschränkenden Deutung also, dass die von ihr dekretierten neuen Gewährleistungsrechte als
__________ 59 S. Fn. 7. 60 S. dazu OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053; LG Ellwangen, NJW 2003, 517 und LG Münster, DAR 2004, 226, 227. 61 S. u. unter C.II. 62 Zur grundsätzlichen Bedeutung dieser Vorschrift für die Gestaltungsgrenzen der Willensfreiheit im BGB, namentlich als Ausschluss jeglichen „Reurechts“ s. Lobinger, AcP 195 (1995), 274 ff. Zu Recht bezieht sich auf sie auch Canaris, JZ 2003, 831, 835 – soweit er der privatautonomen Entscheidung im hiesigen Zusammenhang Geltung einräumt.
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auch material gerechtfertigt und deshalb systemkonform anerkannt werden können, weil sie durch Auslegung des Vertrags als willensgemäß zu begründen sind63. Und rechtstatsächlich gestattet sie wie beschrieben, eine Nachbesserung oder Nachlieferung oft, wenn nicht falltypisch dort zuzulassen, wo sie zwar nur dem Interesse eines der Partner entspricht, wo sie dem des anderen aber keinen Nachteil bereitet. b) Damit steht die neue Norm nicht länger in Widerspruch zur Privatautonomie der Parteien. Vielmehr findet sie, ebenso wie die klassischen Gewährleistungsrechte, in diesem Grundwert ihre legitimatorische Basis: Auch die Nachlieferung erklärt sich dann aus dem freilich auch sonst oft verkannten, im hiesigen Kontext fatal missdeuteten Umstand, dass im Tieferen „die Gewährleistungshaftung allgemein durch den Vertrag und nicht erst durch … besondere gesetzliche Bestimmung … begründet“, dass sie also schon durch die Autonomie der Parteien und nicht erst durch die Heteronomie eines Befehls der Legislative gerechtfertigt ist64. Auch die neuen Gewährleistungsrechte fügen sich dann also systemkonform ein in die für das geltende Recht konstitutive Differenzierung zwischen autonomem Leistungsversprechen und heteronomer zurechnungsbegründeter Haftung65. c) Der Wortlaut von § 439 Abs. 1 BGB steht dieser Einordnung und den durch sie bedingten Beschränkungen nicht entgegen. Ebenso wenig hindert aber auch die Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf diese Deutung. Beide sprechen vielmehr für das dargelegte Lösungskonzept: aa) Für das allgemeine Kaufrecht besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit, dass es auch dann, wenn man zur Sicherung seines größtmöglichen Gleichlaufs mit dem Verbrauchsgüterkauf eine richtliniennahe Auslegung wählt66, keinen generellen und zwingenden Anspruch auf Nachlieferung für den Stückkauf
__________ 63 So treffend schon zum früheren Recht Jakobs (Fn. 9), S. 92 und zum neuen Recht Katzenstein, ZGS 2005, 184, 187; in grundsätzlich gleichem Sinne im Anschluss an den BGH jetzt H. Roth, NJW 2006, 2953, 2955; Graf v. Westphalen, BB 2006, 1988, 1989 und Faust, JZ 2007, 101, 103 f. 64 So mit der klärenden Ergänzung, dass andernfalls unterstellt werden müsste, es „gäbe […] ohne gesetzliche Bestimmung keine Gewährleistung des Verkäufers wegen Sachmängel“, treffend Jakobs (Fn. 9), S. 94 Fn. 188 und passim. Allerdings folgert er daraus nicht nur die Zusage der Sicherung der Äquivalenz, sondern darüber hinaus die des positiven Interesses. Dagegen mit Recht Wilhelm (Fn. 9), S. 301, 316 ff. Besonders plastisch demonstriert diese Vertragsbezogenheit der Gewährleistungsrechte die Minderung, wenn sie das von den Parteien festgelegte Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung zum Maßstab der Herabsetzung des Kaufpreises macht. – Zu der demgegenüber verfehlten Verortung des Gewährleistungsrechts auf eine nicht näher präzisierte, angeblich aber von den Vertragsabreden unabhängige „Sekundärebene“ sowie zu den daraus folgenden Fehlkonsequenzen s. auch schon o. unter A.I.3.b). 65 S. zu dieser Unterscheidung die Nachw. o. in Fn. 31. 66 S. dazu m. w. Nachw. nur Canaris, JZ 2003, 831, 837 f.; Ernst in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, Vor § 275 BGB Rz. 23; St. Lorenz in MünchKomm.BGB (Fn. 9), Vor § 474 BGB Rz. 17.
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bestimmt67. Die Regierungsbegründung selbst bringt das dadurch zum Ausdruck, dass sie für den Verkauf „einer bestimmten gebrauchten Sache“ als Regel annimmt, hier scheide die Nachlieferung „zumeist“ von vornherein aus68, und dass sie an anderer Stelle, konkret auf „Unfallwagen“ bezogen, bemerkt, es sei „Nacherfüllung … nicht bei jedem Stückkauf möglich“69. Das Gesetz und die zitierten Materialien bringen freilich zugleich zum Ausdruck, dass der Stückkauf einen solchen Anspruch ebenso wenig schon generell und zwingend ausschließen soll70. Richtigerweise ist dem Gesetz also nicht ein kategorisches Für oder Wider, sondern allein die für das geltende Recht ohnehin selbstverständliche Aussage zu entnehmen, dass der Verkäufer wie originär, so auch subsidiär einen Gegenstand liefern muss, der als erfüllungstauglich erscheint71. Diese Voraussetzung aber ist eben aus dem erklärten oder hypothetischen Willen der Vertragspartner zu ermitteln. Sie verlangt damit gerade auch nach dem Gesetz die oben entwickelte Lösung. bb) Im Grundsatz dasselbe ergibt sich auch für den Verbrauchsgüterkauf72: Wenn Art. 3 Abs. 3 Satz 1 RiL für die Nacherfüllung betont, ein entsprechender Anspruch stehe dem Verbraucher nur zu, „sofern dies nicht unmöglich … ist“, und wenn die vielbemühte 16. Begründungserwägung73 erläutert, „gebrauchte Güter“ könnten „aufgrund ihrer Eigenart im Allgemeinen nicht
__________ 67 So durchweg beide o. Fn. 16 und 20 genannten gegensätzlichen Lehren. Der Streit geht vielmehr darum, wann § 439 Abs. 3 BGB den Anspruch ausschließt. 68 S. BT-Drucks. 14/6040, S. 232. 69 S. BT-Drucks. 14/6040, S. 209; zu der fraglichen Aussagekraft dieses Textes s. freilich auch Ackermann, JZ 2002, 378, 380; Faust in Bamberger/Roth (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 28; dens., ZGS 2004, 252, 253; Schürholz (Fn. 9), S. 156. 70 Insoweit treffend, bei oft freilich allzu forcierter Deutung i. S. einer prinzipiellen Anerkennung des Nachlieferungsanspruchs etwa Canaris, JZ 2003, 831, 833; ders. in Karlsruher Forum (Fn. 13), S. 5, 79; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2120 Fn. 6; Pammler, NJW 2003, 1992; ders. in juris-PK (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 22; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 11; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 17), § 439 BGB Rz. 30; D. Schmidt in Prütting/Wegen/Weinreich (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 25; Kamanabrou, ZGS 2004, 57, 58; Schürholz (Fn. 9), S. 156; H. Roth, NJW 2006, 2953, 2954; Kitz, ZGS 2006, 419, 420; Gsell, JuS 2007, 97, 98; aber auch BGH, NJW 2006, 2839, 2841. 71 So zutreffend etwa Faust, ZGS 2004, 252, 253 mit dann freilich zu starren Folgerungen. Verfehlt dagegen, weil als Auslegungsalternative gar nicht denkbar, ist die auf weite Anerkennung einer Nachlieferungspflicht gerichtete Argumentation mit dem Wort „einer“ statt „der“ mangelfreien Sache bei Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2119 und OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053, 1054; zutr. dagegen Faust, a. a. O., Fn. 6; Canaris, JZ 2003, 831, 833; Ackermann, JZ 2002, 378, 380; Schürholz (Fn. 9), S. 155; Kandler (Fn. 14), S. 466; Kitz, ZGS 2006, 419, 420. 72 So auch Pfeiffer in AnwKomm. (Fn. 16), Art. 3 Kauf-RL Rz. 8; Faust in Bamberger/ Roth (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 27; ders., ZGS 2004, 252, 254 f.; Schürholz (Fn. 9), S. 169 f.; a. A. Gsell, JuS 2007, 97, 99. 73 Dazu etwa Ackermann, JZ 2002, 378, 381; Canaris in Karlsruher Forum (Fn. 13), S. 5, 79 f.; ders., JZ 2003, 831, 835; Spickhoff, BB 2003, 589, 590; Graf v. Westphalen in Henssler/Graf v. Westphalen (Fn. 14), § 439 BGB Rz. 6; St. Lorenz in MünchKomm. BGB (Fn. 9), Vor § 474 BGB Rz. 17; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 17), § 439 BGB Rz. 29; D. Schmidt in Prütting/Wegen/Weinreich (Fn. 20), § 439 BGB Rz. 25; H. Roth, NJW 2006, 2953, 2954; Gsell, JuS 2007, 97, 99.
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Nachlieferung beim Stückkauf
ersetzt werden“, so dass der Verbraucher „bei diesen Gütern … i. d. R. keinen Anspruch auf Ersatzlieferung“ besitze, so decken sich die hermeneutischen Resultate: Wie für die BGB-, so drängt sich auch für die Richtlinienregelung die Auslegung auf, dass es für den Nachlieferungsanspruch beim Stückkauf auf den einzelnen Fall und konkret auf die Erfüllungstauglichkeit der Ersatzsache ankommt. Will man also auch den Richtliniengebern nicht die Absurdität unterstellen, sie hätten die Feststellung dieser Eigenschaft des Kaufgegenstands bei der Nacherfüllung der Autonomie der Parteien entzogen, so bleibt auch nach diesem Regelwerk allein der individuelle Vertrag für die Lösung bestimmend. 2. Die Nacherfüllungspflicht als Korrelat der Nacherfüllungsbefugnis des Verkäufers Immer in der dargestellten beschränkenden Deutung erfüllt § 439 Abs. 1 BGB aber zugleich auch eine systemkonforme Funktion: a) So interpretiert, verwischt er nicht fundamentale Unterschiede zwischen den Rechtsgeschäftstypen. Er ebnet nicht mit der Gegenmeinung die Differenzierung zwischen Platz- und Beschaffungsgeschäft oder zwischen Speziesund Gattungskauf ein. Er wandelt nicht mit der Zuweisung des vollen Leistungsrisikos bezüglich der nachzuliefernden Sache den Kaufvertrag unter der Hand in einen Werkvertrag um74. Und er kreiert namentlich auch nicht das Ungetüm einer Haftung, die weder durch rechtsgeschäftliche Bindung noch durch zurechenbares Verhalten gerechtfertigt ist. In der hier vertretenen Deutung schafft er primär überhaupt keine Gewährleistungspflicht. Vielmehr gewährt er in Beachtung des realen oder hypothetischen Willens der Kaufvertragspartner allem voran dem Verkäufer ein Gewährleistungsrecht: Er gibt diesem eine Art Ersetzungsbefugnis bezüglich seiner herkömmlichen Gewährleistungspflichten. Er lässt also zu, dass der Verkäufer sich dort, wo es ihm geschäftlich vernünftig erscheint, durch Nachbesserungs- oder Nachlieferungsrechte gegen Forderungen nach Minderung oder Rücktritt sichert. b) Freilich hält das neue Gesetz den Verkäufer auf Verlangen des Käufers an dieser Befugnis auch fest. Es bindet ihn, wenn er ihre Ausübung bei Vertragsschluss zumindest schlüssig bekundet, wenn er sie also, wie in den beschriebenen Fällen, etwa durch unmissverständliche Demonstration seiner geschäft-
__________
74 Mit dieser Tendenz etwa BT-Drucks. 14/6040, S. 268; Canaris in Karlsruher Forum (Fn. 13), S. 5, 22, 26; ders., JZ 2003, 831, 836; ders., JZ 2004, 214, 223 f.; ders. (Hrsg.), Schuldrechtsreform 2002, 2002, S. 311 f.; H. Roth, JZ 2001, 543, 545 f.; Westermann, NJW 2002, 241, 242 f. („Gleichklang zwischen … Kauf- und Werkvertrag“); ders. in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 123; Matusche-Beckmann in Staudinger (Fn. 17), § 439 BGB Rz. 2; Kamanabrou, ZGS 2004, 57, 59; Oechsler (Fn. 15), Rz. 75; Gsell, JuS 2007, 97, 98 f.; s. auch schon Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach deutschem Reichsrecht, 1903, S. 176 ff.; Krückmann, AcP 101 (1907), 1, 15 f.; Kreß, Lehrbuch des Allg. Schuldrechts, 1929, S. 177, 189, 401 ff.; G. H. Roth, JuS 1968, 101, 107; Willoweit, JuS 1988, 833 ff. Zur Gegenmeinung s. o. in Fn. 57 und u. in Fn. 94, 102.
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lichen Präferenzen konkludent reklamiert und damit dem Partner auch zusagt75: Wer als Werkstattunternehmer seinen Kunden durch sein Geschäftsgebaren bedeutet, dass er eher gewillt ist, eine professionsgemäße Reparatur selbst auszuführen als sie nach „teurerer“ Minderung dem Konkurrenten zu überlassen, oder wer als reich bestückter Verbrauchswarenhändler erkennen lässt, dass er lieber eine Ersatzsache liefern als den Verlust des Kaufpreises hinnehmen will, der muss sich auch später bei seinem geschäftlichen „Wort“ nehmen lassen. Er muss also bei entsprechender Forderung seines Käufers auch dann nacherfüllen, wenn ihm diese Gewährleistungsalternative wegen Sinneswandels oder veränderter Umstände jetzt nicht mehr „passt“. c) Allein insoweit begründet also § 439 Abs. 1 BGB bei systementsprechender Deutung auch neue Gewährleistungspflichten. Nur nach seinem sekundären Effekt, nämlich als Korrelat zu der genannten „Ersetzungsbefugnis“ des Verkäufers schafft er also über die tradierten Figuren von Minderung oder Rücktritt hinaus neue Rechte des Käufers. Damit bleiben diese, wie immer neu zu betonen, im Rahmen des durch den konkreten Vertrag begründeten Leistungsversprechens. Sie finden in ihm also ihre materiale Rechtfertigung. Und wie in ihrer Begründung, so fügt sich die neue Vorschrift in dieser Beschränkung also auch nach ihrer Funktion bruchlos ein in ein Zivilrecht, dessen rechtsgeschäftliche Regeln durch den Grundsatz der Selbstbestimmung der Parteien bestimmt sind. 3. Die vertragsbezogene Beschränkung der Nacherfüllung als Fortführung ihrer Entwicklungsgeschichte In dieser Einordnung schafft der neue § 439 Abs. 1 BGB schließlich auch nichts grundsätzlich Neues oder dem bisherigen Recht prinzipiell Fremdes. Im Gegenteil schafft er, derart beschränkt, geschichtliche Kontinuität und damit Erhalt und Fortführung des lange Bedachten76:
__________ 75 Dazu, dass der Inhalt eines Leistungsversprechens gerade dann durch Auslegung zu ermitteln ist, wenn er nicht ausdrücklich erklärt wurde, s. nur Lobinger, Grenzen (Fn. 28), S. 139 ff., 194 ff.; Gebauer (Fn. 33), S. 72; Wilhelm, DB 2004, 1599, 1600; Bernhard, Jura 2006, 801, 807; Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 698, 714 f. Zu eng ist es demgegenüber, wenn H. Roth, NJW 2006, 2953, 2955 „allein die ‚eigentliche Auslegung’“ für „ausschlaggebend“ hält, während „für eine dem hypothetischen Parteiwillen verpflichtete ergänzende Vertragsauslegung (…) kein Raum“ sei, „weil die dafür vorausgesetzte Regelungslücke durch geeignetes vorhandenes dispositives Recht, nämlich durch § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB geschlossen werden“ könne. Das verkennt, dass „das sog. dispositive Recht … so eingerichtet sein [soll], daß es den Interessen und dem muthmaßlichen Willen der Parteien entspricht, es soll die specielle Vereinbarung der Parteien überflüssig, nicht aber (…) sie nothwendig machen“, so Jhering, JhJb 7 (1865), 376, 387 (Zitat), 390 (Herv. i. O.) und dazu Bernhard, ZGS 2005, 226, 227. Dazu, dass dispositive Gefahrtragungsregeln „im Normalfall nicht die (Wertungen) des Gesetzgebers, sondern die der Vertragsparteien“ umsetzen, umfassend Lobinger, Grenzen (Fn. 28), S. 141 ff. (Zitat S. 156). Die Auslegung zu früh beendend auch Gsell, JuS 2007, 97, 101. 76 Zur Bedeutung der Rechtsgeschichte für die Rechtsdogmatik näher Picker, AcP 201 (2001), 763 ff.
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Nachlieferung beim Stückkauf
a) Der heutige Gesetzgeber verwirklicht und erweitert bei dieser Deutung nur das, was seine Vorgänger, wie schon erwähnt, bereits früher ins Auge gefasst, dann aber aus Gründen der Rechtsicherheit verworfen hatten. Er denkt in der theoretischen Konzeption die lange Genese der beiden Gewährleistungsrechte als einer Befugnis fort und zu Ende, die schon die Schöpfer des BGB aus „Rücksicht auf Treu und Glauben und die Billigkeit gegen den Verkäufer“ erwogen hatten77. Und er rezipiert so in der praktischen Umsetzung einen Rechtsgebrauch, den später die gewerblichen Verkäufer vor allem von technischen Massenprodukten als „Recht zur zweiten Andienung“ in ihren AGB gleichsam positivierten78. Er übernimmt dieses Recht also dort, wo es die Parteien in der beschriebenen Weise zum Vertragsinhalt machen. Und er verstärkt es zu einem Gewährleistungsrecht auch des Käufers. b) Damit setzt sich zwar der heutige Gesetzgeber über die hellsichtigen Bedenken der früheren Gesetzesverfasser hinweg. Er nimmt also die damals befürchteten und für die Zukunft weiter zu befürchtenden „zahlreichen“ und „unerquicklichen“ Folgestreitigkeiten in Kauf, die unvermeidlich daraus entspringen, dass sich Erfolg und Kosten der Nacherfüllung niemals sicher vorhersagen lassen. Er bezweckt damit aber, einem nicht minder triftigen Postulat zu entsprechen: Mit der Befugnis beider Parteien, statt Minderung oder Rücktritt Nachbesserung oder Nachlieferung anzubieten oder zu fordern, so lange das mangels unerwünschter, namentlich schädlicher Folgen dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des anderen Partners entspricht, zieht das neue Recht in der Tat nur „die sozusagen ‚natürliche’ Konsequenz“79, die sich aus einer autonomiewahrenden Auslegung der Leistungsversprechen von Verkäufer und Käufer „heute in vielen Fällen“80 ergibt. Es trägt kurz also unter Wahrung seiner Maximen der Wirklichkeit Rechnung. c) Insgesamt geht es bei einer geschichts- und systemkonformen Deutung des neuen § 439 Abs. 1 BGB folglich nicht um das oft geradezu pathetisch verkündete Ziel, einen diffusen „Verbraucherschutz“ zu eröffnen. Das Anliegen dieser Norm ist dann nicht die einseitige Protektion eines hilfsbedürftigen Käufers, die, wie sich zeigte, oft gerade gegen den Schützling ausschlagen kann, wenn er mit unerwünschten Reparaturen und Ersatzlieferungen „beglückt“
__________ 77 Ein Nachbesserungsrecht des Verkäufers war schon im ALR I 5 §§ 325 f. sowie in § 932 ABGB enthalten. Es wurde in der 2. Kommission diskutiert, s. dazu Protokolle Bd. I, S. 697 (dort das Zitat, Herv. v. mir); zu ihnen gerade auch für die gegenwärtige Diskussion klärend m. w. Nachw. Jakobs (Fn. 9), bes. S. 96 ff.; s. dazu auch Flume, AcP 193 (1993), 89, 100 ff. Zur Frage einer Nachbesserungspflicht s. nur etwa Adler, ZHR 75 (1914), 453, 458 f.; Krückmann, LZ 1915, Sp. 1559, 1563 ff.; Erman, JZ 1960, 41, 42 f.; Peters, JZ 1978, 92 ff. 78 S. dazu schon o. Fn. 52; s. ferner auch Jakobs (Fn. 9), bes. S. 96 ff., U. Huber in Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 1, 1981, S. 647, 866 ff.; St. Lorenz, NJW 2003, 1417 sowie auch schon Picker, JZ 2003, 1035, 1036 Fn. 5. 79 So anschaulich U. Huber, Gutachten (Fn. 78), S. 647, 867 und 866, dort für die Nachbesserung. 80 BT-Drucks. 14/6040, S. 220, ähnlich S. 89 („in den meisten Fällen“); dazu auch BGH, NJW 2006, 2839, 2841.
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wird. Nicht weniger als den Käufer als „Verbraucher“ schützt diese Vorschrift dann auch den Verkäufer als „Unternehmer“. Sie schützt mit einem Wort beide Parteien. Denn sie wahrt, richtig gedeutet, mit deren Autonomie ihre beiderseits selbstbestimmten Interessen.
C. Das Scheitern der vertragsabgelösten Beschränkungsversuche I. Die Anerkennung der Korrekturbedürftigkeit des Gesetzes Wie der Meinungsstand zeigt, kommen auch die Gegenmeinungen nicht umhin, § 439 Abs. 1 BGB mehr oder minder massiv zu beschränken81. Dessen völlig wortlautgetreue Anwendung auch auf die Pflicht zur Nachlieferung findet, soweit ersichtlich, nirgends Vertreter82. Die allzu pauschale Fassung der Norm wird allenthalben erkannt. Und im Effekt zielen auch die Korrekturversuche in die Richtung der hier vertretenen Lösung. Weil man jedoch den systemkonformen Legitimationsgrund dieser Pflicht nicht erkennt oder – unter dem Eindruck des neuen Gesetzes – nicht anerkennt, verfehlt man schon konzeptionsgemäß die entscheidenden Gesichtspunkte für die erstrebte Berichtigung des Gesetzes.
II. Exemplarische Begrenzungsversuche 1. Der Ausschluss des § 439 Abs. 1 BGB bei „Unmöglichkeit“ der Nacherfüllung So ist es schon argumentatorisch zumindest nicht glücklich, wenn selbst die grundsätzlichen Gegner einer Nachlieferungspflicht beim Spezieskauf die Einschränkung des Gesetzes damit begründen, diese Erfüllungsform sei hier „in dogmatischer Hinsicht … unmöglich“83. Denn dadurch versteckt man die sachliche Wertung hinter pseudo-deskriptiven Begriffen: Die Nacherfüllung ist hier allein deshalb „unmöglich“, weil die Leistungspflicht nach der Parteiabsprache auf eine bestimmte Sache beschränkt sein sollte. Spätestens aber unter einer Neuregelung, die sich als Fortschritt zugute hält, das normative Verständnis der „Unmöglichkeit“ durch deren Beschränkung auf „echte“ und „faktische“ Unmöglichkeiten überwunden zu haben84, spätestens unter einer Regelung also, die sich einer naturalistischen Klärung berühmt, ist die sachliche Präzision auch sprachlich geboten: Auf einer Nachlieferung können hier weder Verkäufer noch Käufer bestehen, nicht weil sie dem Effekt nach nicht vorstellbar oder nicht durchführbar wäre. Ihr Anspruch scheitert, weil und wenn diese Nachlieferung nicht zum zumindest unterstellbaren Inhalt ihres
__________ 81 82 83 84
S. o. unter A.I.3.b). S. o. Fn. 20; sehr weitgehend freilich Berger in Jauernig (Fn. 14), § 439 BGB Rz. 13. So P. Huber in Huber/Faust (Fn. 9), Kap. 13 Rz. 20; s. ferner die Nachw. o. in Fn. 17. S. dazu m. w. Nachw. schon Picker, JZ 2003, 1035, 1041 f.
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Nachlieferung beim Stückkauf
Vertrags gemacht wurde85. Sie ist folglich „unmöglich“ nicht aus realen, sondern aus normativen, nämlich aus rechtlich-legitimatorischen Gründen86. 2. Die Beschränkung der Nacherfüllung auf vertretbare Sachen Nicht mehr nur nicht hinreichend deutlich, sondern sachlich verfehlt ist ferner das schon erwähnte, heute beliebte, offenkundig durch den Regierungsentwurf inspirierte Korrekturunterfangen, das die Nachlieferung beim Spezieskauf auf die Fälle vertretbarer Sachen beschränkt87: Diese objektive Kategorisierung der körperlichen Gegenstände verfolgt ausweislich der Bestimmungen, in denen sie das Gesetz in Bezug nimmt, völlig andere als die hier in Rede stehenden Zwecke88. Das liegt auf der Hand und gehörte bislang auch zum Allgemeingut, solange man hinter der Differenzierung zwischen Stück- und Gattungskauf die parteiautonome Festlegung eines bestimmten Leistungsprogramms erblickt. Denn dann kann sich einerseits etwa der Kauz zwar einen Sack Kartoffeln als Speziesschuld ausbedingen. Umgekehrt aber kann auch der Neureiche etwa 10 Picassos als Gattungsschuld ordern. Der mangelnde Zusammenhang zwischen den beiden Sachkategorien und der hier zu lösenden Problematik ist aber selbst von dem Ausgangspunkt der Gegenmeinung aus offensichtlich. Denn auch dann, wenn man die Nachlieferungspflicht als willensunabhängige „gesetzliche“ Pflicht und damit als eine echte Haftung begreift, fehlt erkennbar jeder Kontakt zwischen dem gewählten Unterscheidungsgesichtspunkt und der behaupteten Folge: Dass dem Käufer eine solche Wohltat stets und also auch ohne seinen Willen bei vertretbaren Sachen, dagegen niemals und mithin auch nicht bei entsprechendem Willen in Fällen unvertretbarer Sachen zuteil werden soll, lässt sich rational nicht begründen.
__________ 85 Es ist daher unzutreffend, wenn P. Huber, NJW 2002, 1004, 1006 auch „beim Kauf eines Massenartikels im Kaufhaus“ die Parteien auf die Möglichkeit verweist, einen neuen Vertrag abzuschließen, aber einen Nachlieferungsanspruch mit dem Argument ablehnt, die „Parteivereinbarung“ beziehe sich „beim Stückkauf ausschließlich auf den konkret individualisierten Kaufgegenstand“; ebenso ders. in Huber/Faust (Fn. 9), Kap. 13 Rz. 20; zu diesen Fällen schon o. bei und in Fn. 58. Zu formal auf die Unterscheidung zwischen Stück- und Gattungskauf anstatt primär auf den Willen der Parteien abstellend auch Reinicke/Tiedtke (Fn. 2), Rz. 423 ff. und Faust, JZ 2007, 101, 103 f. 86 Zutreffend Ackermann, JZ 202, 378, 379 mit Fn. 6; M. Jacobs (Fn. 9), S. 371, 379; Lobinger, Grenzen (Fn. 28), S. 18 f., 139 ff.; Bernhard, Jura 2006, 801, 806, 807; P. Schmidt (Fn. 57), S. 47 ff. 87 S. die Nachw. in Fn. 27. 88 Daher zu Recht gegen diese Differenzierung etwa P. Huber, NJW 2002, 1004, 1006; M. Jacobs (Fn. 9), S. 371, 379 f.; Oetker/Maultzsch (Fn. 9), S. 94; Faust, ZGS 2004, 252, 254; ders., JZ 2007, 101, 103; Grunewald, Kaufrecht (Fn. 20), § 9 Rz. 35; H. Roth, NJW 2006, 2953, 2955 f.; Gsell, JuS 2007, 97, 100, 102 (eingeschränkt) und bes. Canaris, JZ 2003, 831, 835, dort auch zum RegE; das Argument freilich, dass dieser Begriff der „RiL fremd“ sei, sollte bei einem der Sache nach in seinen Wertungen stimmigen Recht zumindest nicht an erster Stelle stehen. Zu der eigenen Lösung des Autors, auch dazu, ob etwas gewonnen ist, wenn man mit ihm statt auf die Vertretbarkeit auf die „Ersetzbarkeit“ der Sache abstellt (so auch ders. in Karlsruher Forum [Fn. 13], S. 5, 80), noch im folg. Text bei Fn. 92.
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Im Gegenteil: Ein derart vom Interesse der Beteiligten abgehobener fallweiser Gewährleistungsschutz wäre sinn-, weil zusammenhanglos und damit willkürlich. 3. Die „teilweise“ Berücksichtigung der Parteivereinbarung bei „Ersetzbarkeit“ des Leistungsobjekts a) Der unbehobene Anlagemangel Eine schlüssige Korrektur des Gesetzes gelingt, wie schon angedeutet und hier wieder aufzugreifen89, schließlich auch dann nicht, wenn man mit einer weiteren auf Kompromisse zielenden Lehre den Parteiwillen nur partiell, nämlich nur auf der „Primärebene der Erfüllung“, nicht aber auch auf der „Sekundärebene der Gewährleistung“ für allein beachtlich erklärt, wenn man also zwar die Art der nachzuliefernden Sache, nicht aber mehr den für ihre Beschaffung geschuldeten Aufwand allein aus der Vereinbarung der Parteien erschließt90. Der entscheidende Mangel der Neuregelung wird also auch dann nicht behoben, weil man den Grunddefekt des Korrekturversuchs nicht behebt, wenn man weiterhin daran festhält, dass die „Grundlage“ des Anspruchs auf Nachlieferung „nicht auf Rechtsgeschäft, sondern auf Gesetz“ beruhe und wenn man von dieser Prämisse aus glaubt, „lediglich“ konzedieren zu dürfen, dass „seine Voraussetzungen und damit auch seine Grenzen … teilweise (!) im Wege der – erforderlichenfalls auch ergänzenden – Vertragsauslegung zu bestimmen“ sein können91. Selbst die zusätzliche Konzession dieser Lehre an die Privatautonomie, ihr Zugeständnis, die Nachlieferung müsse die „Ersetzbarkeit“ der ursprünglich geschuldeten Sache und deshalb die „Gleichwertigkeit“ und „Gleichartigkeit“ der Ersatzsache zur Voraussetzung haben92, gleicht dann die Verdrängung des Parteiwillens nicht wieder aus. Und so wenig wie das rechtlich verwegene Unternehmen, als Innovation der Schuldrechtsreform eine „Erfolgsbezogenheit der Erfüllungspflicht als hinter § 275 Abs. 2 BGB stehende Basiswertung“ zu postulieren93 und daraus konkret für den Kaufvertrag eine „Typusveränderung“ zu erschließen, durch die er mehr oder minder weit dem Werkvertrag gleichgestellt werde94, so wenig kann auch der schon sprach-
__________ 89 S. o. unter A.I.3.b) und c). 90 So Canaris, JZ 2003, 831, 836; Gsell, JuS 2007, 97, 99 ff., 102 und Kitz, ZGS 2006, 419, 420 ff., der diese Ansicht zu Unrecht auch dem BGH unterstellt; s. auch Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 16), § 439 BGB Rz. 11 a. E. 91 So Canaris, JZ 2003, 1156; die Kriterien sind i. O. hervorgehoben. 92 So Canaris, JZ 2003, 831, 835 f., 838; ähnlich Spickhoff, BB 2003, 589, 590. 93 So Canaris, JZ 2004, 214, 223; ebenso schon ders., JZ 2003, 831, 836 („Modellwechsel“). 94 S. die Nachw. in Fn. 74. Eine umfassende, alle wesentlichen Meinungen beachtende und alle entscheidenden Gesichtspunkte berührende Widerlegung dieser hier aus Platzgründen nicht weiter verfolgbaren Theorien von der strikten Erfolgsbezogenheit rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten findet sich bei Lobinger, Grenzen (Fn. 28), bes. S. 194 ff. Dort heißt es in greifbar lebensnaher Bewertung, es widerstreite „bereits jeder Empirie“ (S. 195), „daß der Schuldner mit dem Vertragschluß verspricht, sich und seine Interessen ohne jede Einschränkung, gleichsam für alle Fälle
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lich aparte Versuch, Spezieskäufe wegen ihrer „funktionellen Verwandtschaft“ in einen „ähnlichen Vertrag wie einen Gattungskauf“ umzudeuten95, sachlich oder hermeneutisch noch Rettung bieten. Im Gegenteil führen solche Bemühungen um die Wiedereinschränkung einer zu weit geratenen Vorschrift gerade deshalb, weil sie die grundsätzliche Beachtlichkeit der Privatautonomie nicht bestreiten, den hier verfolgten Anlagemangel der erörterten Korrekturversuche besonders deutlich vor Augen. b) Konzept und Folgen der Lehre aa) Die Symptome des Mangels Lassen wir offen, wie es um die dogmatische Luzidität einer These bestellt ist, die kategorial unterscheiden will zwischen der „Voraussetzung“ und der „Grundlage“ eines Anspruchs, um daran die dann tatsächlich kategoriale, weil fallentscheidende Differenzierung zu knüpfen, dass zwar für die erstere, nicht aber für die letztere allein der Parteiwille maßgeblich sein soll. Lassen wir ferner unausgemalt, in welchem Maße die Rechtsicherheit gefährdet, in welche Lage nämlich der Richter gebracht wird, wenn man ihm als Entscheidungsmaßgabe vorgibt, den Inhalt des Vertrags „teilweise“ zu beachten. Lassen wir schließlich auch unerörtert, was an sachlicher Klärung gewonnen sein soll, wenn man durch die Beschwörung einer nicht näher präzisierten „Verwandtschaft“ zwischen Gattungs- und Stückkauf deren reale und begriffliche Gegensätzlichkeit aufheben will96, und welchen Argumentationswert man sich davon verspricht, dass man anstelle der zu Recht verworfenen Unterscheidung zwischen „vertretbaren“ und „unvertretbaren“ Sachen die zwischen „ersetzbaren“ und „unersetzbaren“ Gütern verficht, so lange für diese Qualifizierung
__________ und zur Gänze, dem Ziel der Gläubigerbefriedigung unterzuordnen“ (S. 196), „so daß ihn nur noch die Rechtsordnung, quasi zum nachträglichen Schutz vor sich selbst, mit ihren öffentlichrechtlichen Waffen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit Rettung verschaffen könnte“ (S. 195). Und mit der Eingängigkeit des Selbstverständlichen wird dort gegenüber einem solchen wirklichkeitsfremden Verständnis des Leistungsversprechens hervorgehoben, dass im Gegenteil „die prinzipielle Beschränktheit“ des Verpflichtungswillens „im Hinblick auf den für die Gläubigerbefriedigung erforderlichen Aufwand“ eben eine Selbstverständlichkeit sei, die als solche auch „nicht eigens“ klargestellt werden müsse (S. 196). S. ferner U. Huber (Fn. 16), S. 521, 553 ff., 562 f. mit Fn. 110; Wilhelm, DB 2004, 1599, 1604; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB (Fn. 9), § 275 BGB Rz. 52; Bernhard, Jura 2006, 801, 805; P. Schmidt (Fn. 57), S. 31 f.; Picker in FS Konzen (Fn. 10), S. 687, 694 f. Fn. 20; s. auch Fn. 33 sowie Fn. 101. 95 So Canaris, JZ 2003, 831, 835 f. (Zitat S. 836). Abzustellen ist also nicht auf objektiv gefundene Vertrags(unter)arten, sondern auf den – auch anstrengungsbezogen gedeuteten – Willen der Parteien; s. auch Fn. 85. 96 Zu Recht erklärt Gsell, JuS 2007, 97, 98 die schon im RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 94 ff., 209, 230 versuchte und o. in Fn. 23 angesprochene Einebnung beider dem Recht in Wahrheit vorgegebener Vertragstypen als „naiv“; s. ferner Wieser, NJW 2001, 121, 123; Ackermann, JZ 2002, 378, 379 und 380 f., 385; P. Huber in Huber/ Faust (Fn. 9), Kap. 13 Rz. 20; Schürholz (Fn. 9), S. 93, 155; Dauner-Lieb in AnwKomm.BGB (Fn. 9), § 275 BGB Rz. 49; Faust, JZ 2007, 101, 103 f.
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nicht allein der Parteiwille bestimmend sein soll. Alle diese offensichtlich aporematischen Fragen sprechen schon als solche für sich. Sie sind offenkundig die Symptome eines Anlagemangels, und sie haben folglich in ihm ihren tieferen Grund. Sie erfordern deshalb, erledigen sich aber auch mit dessen Klärung. bb) Die parteiferne Bestimmung des Leistungsobjekts Wie gezeigt soll nach der erörterten Lehre – daraus erklären sich die zitierten Begrenzungsversuche – die Privatautonomie zwar maßgeblich sein zur Bestimmung dessen, was als „Erfüllung“ geschuldet wird. Sie soll jedoch nicht mehr oder nicht mehr allein darüber entscheiden, mit welchem Aufwand die „Nacherfüllung“ im Fall eines Mangels erbracht werden müsse. Vielmehr soll insoweit der Anspruch auf Nacherfüllung, obwohl „zwar grundsätzlich mit dem … Erfüllungsanspruch identisch“, „in mehrfacher Hinsicht Modifikationen“ aufweisen97. Diese Vorstellung von zwei zwar prinzipiell identischen, zugleich aber auch prinzipiell differenten Forderungsrechten strapaziert jedoch nicht nur die Logik. Sie ist auch sachlich verfehlt, und sie stellt eben die tiefere Ursache dar, die das referierte Bemühen um sinnvolle Gesetzeskorrekturen vereitelt. Denn allem voran führt sie zu gravierenden Fehlkonsequenzen schon im Bezug auf das Leistungsobjekt: Ist man sich darüber einig, dass der von den Parteien geschlossene Vertrag festlegt, was – notfalls auch nur hilfsweise – tauglich sein soll zu seiner Erfüllung, so lässt sich, wie eingangs schon angedeutet, auch die Nacherfüllung, die gerade die eingeplante hilfsweise Lösung zu realisieren bezweckt, allein aufgrund des Vertrags bestimmen. Alles andere wäre für den Verkäufer der Zwang zur Leistung nie versprochener Dinge. Man würde von ihm also nicht mehr „Erfüllung“, sondern der Sache nach Wiedergutmachung fordern. Entsprechend liefe diese Lösung für den Käufer jedenfalls dann auf eine Leistung aufgrund von Oktroi hinaus, wenn er einen unerwünschten Gegenstand annehmen müsste, weil die Neulieferung eines vertragsgerechten Objekts ausscheidet oder für den Verkäufer nicht zumutbar ist: Auch er erhielte dann durch die Nacherfüllung nicht mehr einen zumindest hilfsweise vereinbarten Gegenstand. Er erwürbe einen Ersatz letztlich nach Gusto des Richters, falls dieser gerade und nur das Ersatzobjekt als für beide Parteien „zumutbar“ ansieht. Damit würde für beide Parteien die vertraglich ausbedungene Leistung fremdbestimmt und ohne die Rechtfertigung von Zurechnungsgründen grundsätzlich verändert: Sie würde „modifiziert“ zum Schadensersatz als dem begrifflichen und sachlichen Gegensatz von „Erfüllung“.
__________ 97 So Canaris, JZ 2003, 831, 836.
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Nachlieferung beim Stückkauf
cc) Die parteiferne Bestimmung des Leistungsaufwands Die erörterte Vorstellung verfälscht den Vertrag darüber hinaus aber und vor allem auch im Hinblick auf den zu leistenden Aufwand. Denn gerade auch dieser Leistungsinhalt ist nicht ohne oder unter nur „teilweiser“ Beachtung des Vertrags zu bestimmen. Vielmehr ist er, wie das Leistungsobjekt, allein aus ihm zu erschließen. Eine kurze Besinnung erhellt das und bestätigt damit die eingangs genannten Vermutungen zur Gewissheit: Wer einen Gegenstand zu verkaufen erwägt, pflegt vorher zu überlegen, ob und wie er ihn zu leisten vermag. Er pflegt dementsprechend zu prüfen, ob er das Objekt schon in seiner Verfügungsmacht hat oder ob und wie er es erst noch anderweitig beschaffen muss. Alle diese Überlegungen aber stellt er an auch und vor allem im Hinblick auf den für die Erfüllung zu erbringenden Aufwand. Denn dessen Beurteilung ist maßgeblich mitbestimmend für den später geforderten Kaufpreis: Mit diesem müssen sich die Beschaffungskosten amortisieren. Mit der Missachtung dieses parteiautonomen Rechenwerks durch die erörterte Lehre würden folglich die finanzielle Kalkulation und mit ihr die ökonomische Basis des konkreten Vertrags übergangen. Darüber hinaus entscheidet der einzuplanende Aufwand aber namentlich auch über den später gewählten Typ des Vertrags: Vor allem er gibt den Ausschlag, ob der Verkäufer einen Spezies- oder Gattungskauf, ein Platz- oder Beschaffungsgeschäft vereinbart. Die Missachtung der Parteivereinbarung würde hier folglich mit der Einebnung dieser grundsätzlich verschiedenen Rechtsgeschäftstypen eine elementare Rechtsformenwahl der Vertragspartner ignorieren: Mit dem Vorliegen eines Mangels würde sich der Spezieskauf zum Gattungskauf wandeln, würde das Abgabegeschäft zum Beschaffungsgeschäft. Beim geringsten Defekt des Kaufgegenstandes schlüge der gewählte Vertragstyp folglich in sein Gegenteil um – mit allen von den Parteien beim Vertragschluss nicht auch nur erwogenen Rechten und Pflichten. Dass damit jeder private Verkauf zum unabsehbaren Risiko wird, weil keiner der Partner mehr sicher sein kann, zu schulden und zu erhalten, worauf er sich durch den Vertragsschluss festgelegt und deshalb namentlich auch finanziell eingestellt hat, liegt auf der Hand. Nicht minder lässt sich darüber hinaus aber auch schon heute erkennen, dass man damit für das praktisch wichtigste Rechtsgeschäft einen Kautelaraufwand provozieren würde, dessen volkswirtschaftliche Kosten nicht leicht zu verkraften wären. Beides wurde drastisch schon vor Augen geführt durch den Fall eines „schuldlos“ als echt offerierten Bildes, das sich später als Fälschung erweist, während das echte Gemälde – und damit doch wohl auch a maiore ad minus das „ähnliche“ Stück etwa aus der Schule des Künstlers – u. U. auf dem Markt zu erwerben wäre98. Und beides wird als rechtliche Fehlgestaltung auch nicht widerlegt durch das suggestive weitere Beispiel, dass ja auch dann, wenn der Verkäufer nicht Eigentümer der Sache wäre, im Prinzip dieselbe Einstandspflicht gelte99: Wieso hier
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98 S. Canaris, JZ 2003, 831, 836. 99 So Canaris, JZ 2003, 831, 836.
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sicher sein soll, was dort höchst begründungsbedürftig erscheint, ist nicht zu erkennen. Und richtig ist denn auch im Normalfall, zumal es hier wie dort nur um einen Geldaufwand geht, die gerade entgegengesetzte Entscheidung: Das Versprechen, eigene Rechte zu übertragen, schließt gewöhnlich nicht das Versprechen ein, diese auch anderwärts zu beschaffen100. Im Gegenteil zeigt der letztere wie der erstere Fall: Nach Objekt und Aufwand müsste der Schuldner eine „Nacherfüllung“ erbringen, für die er nie ein Leistungsversprechen auch nur erwogen, die er folglich nie eingeplant hat und für die er ohne weitere Zurechnungsgründe auch nicht haftbar sein darf, so lange sich Recht und Jurisprudenz nicht dazu hinreißen lassen, den bloßen Vertragschluss zum Tatbestand einer Art von Gefährdungshaftung zu denaturieren. c) Die Unhaltbarkeit der Beachtung des Parteiwillens für den Erfolg und seiner Nichtbeachtung für die Mittel der Vertragserfüllung Die bedenklichen Folgen der erörterten Lehren sind danach greifbar. Vor allem aber enthüllen sie den hier primär verfolgten Grund ihres Scheiterns bei der Korrektur der verfehlten Neuregelung: Nach allem zeigt sich, dass sich die Beachtung des Parteiwillens nicht aufteilen lässt, indem man sie für den Erfolg des konkreten Geschäfts bejaht, für die einzusetzenden Mittel aber bestreitet. Es bestätigt sich damit, dass die Privatautonomie, will man sie nicht im Kern entleeren, neben der Vereinbarung dessen, was durch den Vertrag bewirkt werden soll, zugleich auch bestimmt, wie es erreicht werden soll. Denn weil zwar der Gläubiger primär am Ergebnis, der Schuldner aber zumindest auch an der Begrenzung der Mittel interessiert ist, weil jedoch keiner der Partner im ordinären Vertrag seine Interessen ohne Abstriche durchsetzt, entscheidet der im Vertrag gefundene Ausgleich darüber, welcher Aufwand vom Schuldner erbracht werden muss, um den vereinbarten Erfolg zu erzielen101. Eben weil folglich neben dem vereinbarten Leistungsobjekt auch der geplante Leistungsaufwand als zentraler Faktor den Vertragsinhalt festlegt, kann die Vereinbarung der Parteien für ihn keine andere und mithin auch keine geringere Bedeutung als für jenen besitzen. Und eben weil so die vertraglich geschuldete Leistung immer notwendig beides festlegt, kann nicht anders als für die Erfüllung auch für die Nacherfüllung allein diese Vereinbarung maßgeblich sein, um neben dem Gegenstand auch den Aufwand der Ersatzleistung zu bestimmen102.
__________ 100 S. zu diesem Beispiel auch Bernhard, Jura 2006, 801, 809 ff. 101 S. Lobinger, Grenzen (Fn. 28), passim; P. Schmidt (Fn. 57), S. 44 ff. sowie die Nachw. oben in Fn. 57. 102 Die Ablehnung der Lehre von der „Erfolgsbezogenheit“, die das Ergebnis als isolierten Erfolg betrachtet, bedeutet also kein Wiederbelebung der konträren „Lehre“ von der „Kraftanstrengung“, die allein den Einsatz bestimmter Mittel und also ein bloßes Bemühen um den Erfolg als geschuldet ansah. S. zu dieser vor allem von Brecht, JhJb 53 (1908), 213, 226, 248 entwickelten Lehre Jakobs (Fn. 57), S. 202 ff. und bes. Lobinger, Grenzen (Fn. 28), S. 207. Geschuldet wird vielmehr „die Verbindung von beidem, und das heißt: die Zuordnung des Erfolgs in Abhängigkeit von dem zur Erzielung dieses Erfolgs vereinbarten Aufwand …“, so treffend Lobinger, a. a. O., S. 201. Dort S. 208 ff. m. w. Nachw. auch zu der bei diesem Ausgangspunkt
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Nachlieferung beim Stückkauf
III. Die Verfehlung der systemkonformen Rechtfertigung der Nacherfüllung als Ursache für die mangelnde Korrektur aller Mehraufwandspflichten 1. Der Anspruch auf Nachlieferung beim Spezieskauf macht danach deutlich, dass alle Versuche einer plausiblen Korrektur des als verfehlt erkannten neuen Gewährleistungsrechts notwendig scheitern, weil und so lange sie vertragsabgelöste Kriterien zur Beschränkung des Gesetzes verwenden: Sie setzen der zu Recht kritisierten Grenzenlosigkeit des § 439 Abs. 1 BGB – ähnlich wie der zum Tummelplatz freier Quantitätskreationen geratene Mehraufwandspflicht nach § 275 Abs. 2 BGB103 – willkürliche Grenzen. Denn sie verfehlen, weil sie den Mangel einer materialen Legitimation der Neuregelung und damit deren entscheidenden Defekt nicht erkennen oder nicht anerkennen, schon den Ansatzpunkt der geforderten Korrektur: Sie erkennen oder anerkennen nicht den Parteiwillen als den entscheidenden Legitimationsgrund jeder vertraglich begründeten Pflicht zur „Erfüllung“ und damit auch jeder „Nacherfüllungs“Verpflichtung, die nach den Maßstäben des geltenden Rechts mangels culpa nur im autonomen Versprechen ihr rechtliches Fundament finden kann. Notwendigerweise verfehlen sie damit aber auch das entscheidende Kriterium des systemgerechten Begrenzungsversuchs. Und mit dem dogmatischen Fehlgriff muss wiederum zwangsläufig auch das Ergebnis misslingen: Die sachlichen Resultate der Gesetzeskorrekturen bleiben ohne Zusammenhang mit deren Anlass. Sie treffen deshalb eine bald zufällige, bald gewaltsame Lösung. 2. Zwar zielen alle diese Versuche, wie die vorangegangene Prüfung bestätigt, intuitiv in die in der Tat gebotene Richtung. Gerade dadurch aber wird ihr grundsätzliches, weil eben kriterienbedingtes Versagen deutlich: Wenn man auf die „Unmöglichkeit“ der Nachlieferung als Begrenzung abstellt, so verfehlt man, wie gezeigt, das eigene Ziel, so lange man unaufgedeckt lässt, dass nicht irgendeine naturgesetzliche Realität, sondern allein die Unvereinbarkeit mit dem vertraglich Vereinbarten diese Bewertung gebietet. Wenn man ferner die „Vertretbarkeit“ oder „Ersetzbarkeit“ des Kaufobjekts für maßgeblich hält, weil man glaubt, der Vertrag werde nur so interessengerecht „nacherfüllt“, so bleibt man bei einem schiefen und deshalb dysfunktionalen Kriterium stehen. Denn man missachtet, dass dem wirklichen Interesse beider Parteien nicht durch objektive Eigenschaften des Ersatzgegenstandes entsprochen wird, sondern allein durch dessen Übereinstimmung mit den subjektiven Wünschen der Partner. Und wenn man schließlich Spezieskäufe in „funktionelle Gattungskäufe“ uminterpretiert, so versteigt man sich nur deshalb in solche hybriden Konstrukte, weil man trotz aller Ansätze in die richtige Richtung nicht wirk-
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unproblematischen Behandlung der Zweifelsfälle: Zwar hat der Schuldner das Leistungshindernis darzulegen und zu beweisen; gelingt das aber, so bietet der vom Gläubiger angeführte Vertrag, enthält dieser keine besonderen Risikoübernahmen und fehlt es auch an einem Verschulden des Schuldners, keine Rechtsgrundlage für das Verlangen, das Leistungshindernis zu überwinden. 103 S. dazu Lobinger, Grenzen (Fn. 28), S. 161 ff.; Bernhard, Jura 2006, 801, 803 f.; Picker, JZ 2003, 1035, 1037 f. und dazu die Kritik von Canaris, JZ 2004, 214 ff.
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lich Ernst macht mit der einfachen Einsicht, dass die Parteien auch beim Stückkauf die hilfsweise Leistung einer anderen Sache eingeplant haben können. 3. Insgesamt bestätigt sich also am Nachlieferungsanspruch beim Spezieskauf die vorangegangene prinzipielle Kritik104: Ohne Not, aber mit gravierenden Folgen verfehlt man hier, wie generell für die in § 275 Abs. 2 BGB bestimmte Mehrleistungspflicht, die systemgerechte Einschränkung des Gesetzes. Man muss sie innerhalb der erörterten Lehren verfehlen, weil man missachtet, dass es zwischen der kraft Privatautonomie begründeten Leistungspflicht und der durch heteronome Zurechnungsgründe legitimierten Haftung kein tertium gibt105. Man scheitert, weil man nicht den Parteiwillen als den einzigen Maßstab beachtet, der die als Erfüllung oder Nacherfüllung geschuldete Leistung in beide Richtungen, nämlich in Richtung auf das Objekt wie in Richtung auf den Aufwand bestimmt.
D. Zusammenfassung I. Eine verschuldensunabhängige Pflicht zur Nachlieferung (und Nachbesserung) kommt beim Stückkauf nur in Betracht, wenn dies dem wirklichen hypothetischen Wilen beider Parteien beim Vertragsschluss entspricht. II. Wie das Objekt der Nacherfüllung, so muss auch der zu seiner Beschaffung erforderliche Aufwand vom (hypothetischen) Willen beider Parteien beim Vertragsschluss umfasst sein. Anders würde die Mehraufwandspflicht – im Gegensatz zu den ebenfalls verschuldensunabhängigen Rechten auf Minderung und Rücktritt, die sich streng an dem von den Parteien vereinbarten beiderseitigen Aufwand orientieren – in eine Einstandspflicht denaturiert, die mangels Versprechens keine vertragliche und mangels Verschuldens keine haftungsrechtliche Grundlage hätte. Der Sache nach würde also eine Art von Gefährdungshaftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung durch (substitutive) Naturalherstellung geschaffen. III. Praktisch kommt eine Nachlieferung danach nur in Betracht, wenn – wie freilich durchweg bei Verbrauchsgüterkäufen – zumindest eine Partei bei Vertragsschluss erkennbar ein Interesse an dieser Form der Mängelbeseitigung hat und das Interesse der anderen Partei dadurch zu diesem Zeitpunkt uneingeschränkt gewahrt bleibt.
__________ 104 S. dazu die Nachw. o. Fn. 10. 105 S. auch dazu schon o. bei Fn. 31.
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Die Anpassung von langfristigen Verträgen an bei Vertragsschluss unvorhergesehene und unvorhersehbare Umstände im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Die Funktion der ergänzenden Vertragsauslegung III. Vollständig erfüllte Verträge und ergänzende Vertragsauslegung 1. Grundsatz 2. Ausnahmen
3. Feststellung der vollständigen Erfüllung im Wege der Auslegung IV. Vorrang ergänzender Vertragsauslegung vor § 313 BGB V. Verjährung und Leistungsklage VI. Zusammenfassung
I. Problemstellung Selbstverständliches – und sei es noch so wichtig – wird bei Vertragsverhandlungen in aller Regel nicht ausdrücklich erklärt; es wird vielmehr schlüssig miterklärt1. Ein Kunde, der im Textilgeschäft einen Pullover kaufen will, weil ihm dessen Farbe gefällt, erklärt dem Verkäufer nicht, dass er den grünen Pullover kaufen will, sondern begnügt sich in aller Regel mit den Worten, dass er diesen Pullover (den er in der Hand hält) kaufen wolle. Gleichwohl besteht heute dank Flume2 – entgegen Zitelmann3 und Larenz4 – Einvernehmen darüber, dass die Eigenschaften eines Gegenstandes auch beim Spezieskauf
__________ 1 Zur schlüssigen Willenserklärung vgl. bereits Henle, Ausdrückliche und stillschweigende Willenserklärung nach dem BGB, 1910. Angesichts des grundsätzlichen Vorrangs der verbalen vor den nonverbalen Erkenntnismitteln für den Willen (§ 133 BGB) hat die Parömie: „Protestatio facto contraria non nocet“ keine Grundlage im geltenden Recht; näher dazu Säcker in MünchKomm.BGB, Bd. 1, 5. Aufl. 2006, Einl. Rz. 108 ff. m. w. N. 2 Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948, S. 13 ff.; ders., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, 3. Aufl. 1979, S. 474; Kegel, AcP 150 (1949), 356; v. Caemmerer in FS M. Wolf, 1952, S. 3, 18; Goltz, Motivirrtum und Geschäftsgrundlage im Schuldvertrag, 1973, S. 190 ff.; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I/2, 15. Aufl. 1960, S. 1045 ff. m. w. N. 3 Wollte der Käufer infolge eines Irrtums im Stadium der Erklärungsbildung andere Eigenschaften als diejenigen erklären, die nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen den Inhalt des objektiven Erklärungstatbestandes bilden, so kann er seine Willenserklärung wegen Irrtums über die Sollbeschaffenheit nach § 119 Abs. 1 BGB folgerichtig anfechten; vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, 1879, S. 319 ff., 439 ff.; Leonhardt, Der Allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1900, S. 362. 4 Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3. Aufl. 1963, S. 20 f.; ders., Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 5. Aufl. 1980, § 20 II b, S. 345.
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miterklärt werden können, wesentliche Eigenschaften der Sache in aller Regel konkludent miterklärt sind und dann zusammen mit der raumzeitlichen Bestimmung der Kaufsache den Inhalt der Willenserklärung bilden5. Aber nicht nur Eigenschaften, d. h. der Sache unmittelbar anhaftende wertund preisbestimmende Faktoren, sondern auch alle sonstigen Tatumstände/Erwartungen, die mit der Sache nur mittelbar verbunden sind, können zum Inhalt eines Vertrages gemacht werden6. Besteht über ihren Eintritt Zweifel, so werden die Parteien diesen Zweifel zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen machen und ggfs. eine Bedingung vereinbaren. Sehen die Parteien das Vorliegen bzw. den Eintritt des Tatumstandes dagegen als gewiss an, so kommen sie gar nicht auf die Idee, den Vertrag im Wege der Bedingung von dem Eintritt des für sie gewissen Ereignisses abhängig zu machen. Wer einen „Verlobungsring“ kauft oder nach einem tragischen Schicksalsschlag „Trauerkleidung“ kauft, geht von dem Zustandekommen des Verlöbnisses bzw. von der bevorstehenden Bestattung des Toten aus. Er wird daher den Kaufvertrag unbedingt und nicht bedingt abschließen. Brennt die Braut am Tag vor der Verlobung mit einem anderen durch oder wird der unter Tage Verschüttete doch noch wie durch ein Wunder7 gerettet, so stellt sich die Frage, ob der Käufer den Kaufpreis wegen Unmöglichkeit der Zweckerreichung zurückverlangen kann. Die gleiche Frage stellt sich, wenn jemand einen Tanzsaal für ein Fest oder ein Fenster zum Betrachten eines Festzuges mietet und unerwartet ein behördliches Tanzverbot ausgesprochen wird bzw. der Festzug aus Sicherheitsgründen einen anderen Weg nimmt. Auch hier haben die Parteien, da sie das Tanzverbot bzw. die Verlegung des Zuges nicht in ihr Kalkül einbezogen haben, auf die Vereinbarung einer Bedingung verzichtet. Willenserklärungstheoretisch gleich liegt der Fall, wenn die Parteien bei Vertragsschluss gemeinsam einen gravierenden, werterhöhenden Faktor übersehen und deshalb einen niedrigeren Kaufpreis vereinbaren. Beide Parteien sind sich z. B. darüber einig, dass das Bild eine Kopie eines berühmten Gemäldes von Monet ist. Später stellt sich heraus, dass es sich um das Original handelt. Oder: Beide Parteien gehen beim Grundstückskauf davon aus, dass das Grundstück auf Dauer unbebaubar sein wird. Unerwartet wird es nach einigen Jahren zum Baugrundstück. Oder: Beide Parteien gehen beim Abschluss eines Abfindungsvergleichs davon aus, dass das Unternehmen, auf das sich der Vergleich bezieht, auf Dauer gemeinnützig bleiben und deshalb praktisch unveräußerlich sein werde. Jahre nach Vertragsschluss hebt der Gesetzgeber die Gemeinnützigkeitsbindung auf. Der Eigentümer verlangt höhere Mieten und veräußert das Unternehmen zum Wert von 3 Mrd. Euro, während
__________ 5 Vgl. dazu zusammenfassend Ennecerus/Nipperdey (Fn. 2), § 166, S. 1030 ff.; Kramer in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 119 BGB Rz. 78 ff. 6 Vgl. dazu zutr. Kegel, AcP 150 (1949), 356, 362; Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 1960, S. 59 ff.; früher bereits Riezler in Staudinger, BGB, 7./8. Aufl. 1912, § 119 III 3, S. 477; Planck/Flad, BGB, 4. Aufl. 1913, § 119 BGB Erl. II 4; Oertmann, Allg. Teil des BGB, 3. Aufl. 1927, S. 367. 7 BILD textete: „Gott bohrte mit“.
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Anpassung langfristiger Verträge an unvorhergesehene Umstände
bei den Vergleichsverhandlungen ein „Buchwert“ von 30 Mio. Euro zugrunde gelegt wurde. Selbstverständliches wird nicht zum Gegenstand einer Bedingung (auch nicht einer „implied condition“ oder einer „unentwickelten Voraussetzung“8) gemacht. Gleichwohl ist in allen Fällen über den fraglichen Umstand, der den Käufer bzw. Mieter zum Abschluss des Vertrages veranlasst hat (Verlobung, Trauerfall, Tanzfest, Krönungszug), gesprochen worden. Deshalb fragt sich, ob nach allgemeinen Auslegungssätzen der betreffende Umstand Bestandteil der Willenserklärung geworden ist. Im Verlobungs- und Trauerfall wird man dies verneinen müssen, weil die Mitteilung des Kaufmotivs in diesen Fällen nur narrative, anekdotische Bedeutung hat und der Verkäufer den Umstand weder zum Gegenstand seiner Willensbildung noch seiner Willenserklärung macht. Er bleibt daher ohne Einfluss auf das genetische Synallagma von Leistung und Gegenleistung. Der Ring ist nicht teurer oder billiger, weil er als Verlobungsring gekauft wird. Der Preis der Kleidung ist unabhängig von dem Umstand, ob sie als Trauerkleidung getragen wird oder nicht. Die Höhe des Mietpreises wird dagegen durch den vereinbarten Nutzungszweck und Nutzungstermin geprägt. Die Höhe der Fenstermiete bzw. der Saalmiete ist abhängig von der Eignung zur Sicht auf den Festzug bzw. zur Nutzung als Tanzsaal. Die Höhe der Abfindung beim Vergleich richtet sich nach dem von beiden Parteien zugrunde gelegten Wert des Abfindungsobjekts. In all diesen Fällen hat sich der Vertragspartner im Vertrag das Ziel seines Kontrahenten zu Eigen gemacht und das Entgelt unter Berücksichtigung der Eignung der Mietsache für die Erfüllung der Ziele seines Vertragspartners festgelegt. Es versteht sich daher vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit von selbst, dass der Verkäufer/Vermieter keinen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt haben kann, wenn der Nutzungszweck als der für die Preisbemessung wesentliche Aspekt entfällt. Ebenso muss ein Sach-Besserungsanspruch bestehen, wenn das Objekt der Abfindung nach Vertragsschluss aufgrund unvorhersehbarer Umstände um ein Vielfaches höher zu bewerten ist; denn aufgrund der völlig veränderten Situation entspricht das Synallagma von Leistung und Gegenleistung nicht mehr der bilateralen Rentabilitätsstruktur, wie sie bei Vertragsschluss von den Parteien vereinbart war9.
__________ 8 Zitelmann selbst hielt sein restriktives Verständnis, was vielfach übersehen wird (vgl. z. B. Fikentscher, Die Geschäftsgrundlagenlehre als Frage des Vertragsrisikos, 1971, S. 3 ff.; Rothoeft, System der Irrtumslehre als Methodenfrage der Rechtsvergleichung, 1968, S. 64 ff., rechtspolitisch nur für vertretbar, wenn der Gesetzgeber seine Lehre von der Voraussetzung als „notwendige Ergänzung“ zu seinem restriktiven Konzept der Irrtumsanfechtung in das BGB aufnehme (vgl. Zitelmann in Verhandlungen des 20. DJT, Bd. IV, 1889, S. 151, 155); ferner Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung, 1850; Lenel, Die Lehre von der Voraussetzung, AcP 74 (1889), 213 und 79 (1892), 49; kritisch dazu bereits Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, 1972, S. 408 ff.; ferner Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 392 ff. 9 Zur Rentabilitätsvermutung vgl. BGHZ 71, 234, 238; der Gedanke taucht in der Sache bereits in RGZ 127, 245, 248 f. auf, ohne dass der Begriff selber verwendet wurde.
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Problematisch ist nur, wie die notwendige Vertragsanpassung konstruktiv zu begründen ist. Soweit die Eigenschaften bzw. die sonstigen mit dem Leistungsgegenstand verknüpften Faktoren bei den Vertragsverhandlungen von einer Seite als für sie wesentlich zum Ausdruck gebracht werden, vom Vertragspartner ohne Widerspruch entgegengenommen und in einer entsprechenden Gestaltung des Vertragsinhalts (z. B. in der Entgelthöhe) ihren Ausdruck finden, hat das Reichsgericht im Falle von Irrtümern über die gemeinsame Berechnungs- oder Kalkulationsgrundlage bzw. über sonstige vereinbarte Motive durch Zulassung einer Anfechtung nach § 119 BGB bzw. bei nachträglicher Zweckstörung durch analoge Anwendung der §§ 275, 323 BGB a. F. im Grundsatz zutreffend reagiert. Es hat § 119 Abs. 1 BGB analog angewandt, wenn der betreffende Umstand als gemeinsame Kalkulations- oder Berechnungsgrundlage das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung geprägt hat und hierbei ein Irrtum unterlief (Lehre vom erweiterten Inhaltsirrtum)10. Dagegen hat Flume11 allerdings zu Recht eingewandt, dass in diesen Fällen die sachgerechte Lösung bereits mit Hilfe ergänzender Vertragsauslegung gefunden werden könne, ohne dass ein Ausweichen in die Irrtumsanfechtung oder in die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage erforderlich sei. Bei nachträglicher Änderung vertragsrelevanter Umstände, die den mit dem Leistungsaustausch vereinbarten (weiteren) Zweck unerreichbar machen, hat das Reichsgericht12 m. E. zutreffend §§ 275, 323 BGB a. F. (= §§ 275, 325 BGB) angewandt und die Leistung des Vermieters, einen Ballsaal zur Verfügung zu stellen, im Falle eines behördlichen Tanzverbots als „unmöglich“ gekennzeichnet. Tritt nachträglich eine das vereinbarte Synallagma von Leistung und Gegenleistung zugunsten einer Partei dramatisch ändernde Situation ein, so ist, wenn keine Besserungsklausel13 vereinbart ist, im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu klären, wie die Parteien auf diesen nachträglich eingetretenen Umstand reagiert hätten, wenn sie dies vorhergesehen hätten. Steigt z. B. ein in der DDR verkauftes Grundstück durch die Wiedervereinigung Deutschlands um ein Vielfaches an Wert oder steigt nach gesetzlichem Wegfall der Gemeinnützigkeit (vgl. § 293 Abs. 3 SGB VI) der Wert der nunmehr frei veräußerbaren Wohnungen um mehr als das Hundertfache, so stellt sich unter dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung die Frage, welche Auswirkungen
__________ 10 Vgl. dazu exemplarisch RG, JW 1903, Beil. 5, 40 (dazu Dernburg, Die allgemeine Lehre des bürgerlichen Rechts des Deutschen Reichs und Preußens, 1902, S. 486); RGZ 85, 322 ff.; RGZ 84, 65 ff.; RGZ 105, 406; RG, JW 1921, 738; RGZ 149, 235 ff.; zuletzt RGZ 163, 324; offengelassen vom BGH, LM Nr. 8 zu § 119 BGB; BGH, JR 1971, 415; kritisch BGH, WM 1980, 875 ff.; ferner Giesen, JR 1971, 403; Larenz (Fn. 4), § 20 II a, S. 2 ff. 11 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, 3. Aufl. 1979, S. 299 ff. 12 Vgl. RGZ 90, 102; RGZ 94, 46; RGZ 101, 79; RGZ 102, 272; dazu Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, 1969, S. 145 ff.; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, 1971, S. 188 ff.; Larenz (Fn. 4), S. 72 ff. 13 Vgl. zu der Vielfalt möglicher Anpassungsklauseln Säcker in Gedächtnisschrift J. Sonnenschein, 2003, S. 597 ff.
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Anpassung langfristiger Verträge an unvorhergesehene Umstände
dieser Umstand auf den Vertrag hat. Diese Fälle werfen zudem Abgrenzungsprobleme zum Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf14.
II. Die Funktion der ergänzenden Vertragsauslegung Haben die Vertragsparteien bei den Vertragsverhandlungen für sie wesentliche Umstände auch für die Zukunft als gegeben unterstellt, so stellt sich die Frage, welchen Inhalt der Vertrag unter Berücksichtigung der später eingetretenen nicht vorhergesehenen Veränderung der Wirklichkeit hat. Dies ist keine Frage der erläuternden Auslegung eines Rechtsgeschäfts, da die Parteien mit der späteren Änderung der Realität bei Vertragsabschluss nicht gerechnet hatten und deshalb auch nicht geregelt haben, welche Rechtsfolgen sich daraus für die Stabilität des Vertrages ergeben sollten. Fest steht nur, dass in allen Fällen die Parteien den Vertrag nicht so abgeschlossen hätten, wie sie ihn tatsächlich abgeschlossen haben. Es geht bei dieser Frage zunächst um ein Problem der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB. Es muss deshalb der subjektiv-hypothetische gemeinsame Parteiwille ermittelt werden. Dies kann dann ggf. zu einer Ergänzung oder Reduktion (Korrektur) des Vertrags führen15. So, wie es Aufgabe der gesetzesergänzenden richterlichen Rechtsfortbildung ist, Regelungslücken im Gesetz so zu schließen, wie der Gesetzgeber sie geschlossen hätte, wenn er das regelungsbedürftige Problem gesehen und entschieden hätte, ist es die Funktion der ergänzenden Vertragsauslegung, Regelungslücken im Vertrag so zu schließen, wie die Parteien sie geschlossen hätten, wenn sie die ungeregelt gebliebene Frage bedacht hätten16. In einem solchen Falle fällt der ergänzenden Auslegung die Aufgabe zu, unter Orientierung am hypothetischen Willen der Vertragsparteien, d. h. unter teleologisch folgerichtigem, loyalem „Zu-Ende-Denken“ der bestehenden Regelung auf die zu schließende Lücke hin eine vernünftige, interessengerechte Lösung zu finden. Das am Treu und Glauben (§ 157 BGB) orientierte loyale „Zu-EndeDenken“ findet also nicht statt aus dem Nachempfinden der realen Kräfteverhältnisse bei Vertragsschluss nach dem Motto: „Was hätte die intellektuell und wirtschaftlich stärkere Partei noch soeben im Rahmen der Rechtsordnung zu Ihren Gunsten durchsetzen können?“, sondern findet statt nach dem Motto: „Was hätten faire Vertragsparteien vereinbart, wenn sie den später eingetretenen Umstand vorhergesehen und ihn bereits bei Vertragsschluss berücksichtigt hätten?“ Es geht also nicht um eine virtuelle Rekonstruktion der faktischen historischen Vertragsverhandlungssituation, sondern um eine normative Ausfüllung der Lücke am Maßstab immanenter Vertragsgerechtig-
__________ 14 Vgl. dazu Nicklisch, BB 1980, 949; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen in Schuldverträgen, 1981, S. 125 ff., 114 ff. 15 Vgl. dazu und zum Folgenden Säcker in MünchKomm.BGB (Fn. 1), Einl. Rz. 149 ff.; ferner Köhler in Festgabe Bundesgerichtshof, Bd. I, 2000, S. 295 ff., der von Reduktion des Vertrages spricht; Larenz (Fn. 4), S. 166, der von korrigierender Vertragsauslegung spricht. 16 Vgl. BAG, AP Nr. 245 zu § 242 BGB; BGHZ 49, 91, 103.
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keit17. Die ergänzende Vertragsauslegung enthält insoweit immer eine objektiv-normative Komponente18. Zum hypothetischen Willen führt damit (anders als zum wirklichen Willen) nicht die Psychologie, sondern die Interessenabwägung: „Während der reale Parteiwille, auch der stillschweigend vorhandene, Gegenstand der rechtlichen Betrachtung ist, ist der hypothetische Wille deren Ergebnis“19. Eine durch ergänzende Auslegung auszufüllende Vertragslücke liegt entsprechend diesen Grundsätzen vor, wenn nach Abschluss des Vertrages ein den Parteien nicht bekanntes und für sie auch nicht vorhersehbares Risiko eintritt, das das ausgewogene Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einschneidend verändert. Bei einem Austauschvertrag, insbesondere bei einem Vergleichsvertrag, der darauf abzielt, ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zwischen den Parteien herzustellen, besteht eine Rentabilitätsvermutung20. Wird das von den Parteien hergestellte Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung durch nachträglich eintretende unvorhergesehene und unvorhersehbare Umstände ernsthaft gestört, so hätten die Parteien, wenn sie bei Vertragsschluss diese Umstände geregelt hätten, „das seinerzeit fern liegende, in seinen Konsequenzen nicht absehbare Risiko als redliche Partner“21 berücksichtigt und fair geregelt22. Erforderlich ist folglich, dass die Vertragsparteien einen der Regelung bedürftigen Punkt übersehen haben, weil sie ihn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben. Dabei muss sich die ergänzende Vertragsauslegung im Wege loyalen Zu-Ende-Denkens des von verständigen und fairen Vertragsparteien Gewollten aus dem gesamten Sinnzusammenhang des Vereinbarten ergeben. Das Synallagma von Leistung und Gegenleistung nach dem Bewertungsplan der Parteien muss dabei gewahrt bleiben. Der Vertragsgegenstand darf daher durch die ergänzende Vertragsauslegung nicht erweitert werden.
__________ 17 Aus der gleichen Erwägung hat die Rechtsprechung, soweit nicht über § 307 BGB eine (offene) Inhaltskontrolle erfolgte, bei der Auslegung unvollständiger oder unklarer Geschäftsbedingungen nicht die Auslegung gewählt, die im wirtschaftlichen Ergebnis den Zielen des AGB-Verwenders am nächsten kam, sondern eine Interpretation bevorzugt, die gem. §§ 157, 242 BGB zu einer zweiseitig-angemessenen Lösung führte; vgl. Brandner, AcP 162 (1963), 237 ff.; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, 1983, S. 131 ff.; Medicus, JuS 1965, 209 ff. 18 Die einseitig-subjektivistische Theorie der ergänzenden Vertragsauslegung trägt diesem Aspekt nicht ausreichend Rechnung; vgl. die Nachweise bei Säcker in MünchKomm.BGB (Fn. 1), Einl. Rz. 147 f. m. N. in Fn. 386. 19 Kegel in Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, Vor Art. 7 EGBGB Rz. 352; Säcker in FS Beys, 2003, S. 1391 ff. 20 Vgl. BGHZ 71, 234, 238; vgl. näher Fn. 9. 21 BGH, BB 2000, 900; BGH, NJW-RR 2000, 894; ebenso BGH, NJW-RR 1987, 458. 22 Vgl. RGZ 87, 211, 213; BGHZ 9, 273, 277 f.; BGHZ 40, 91, 103; BGH, NJW-RR 1995, 1360; BGH, BB 1994, 2234, 2235; BGH, NJW 1994, 2757, 2758; Busche in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 157 BGB Rz. 27; Wolf in Soergel (Fn. 19), § 157 BGB Rz. 123; Roth in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1996, § 157 BGB Rz. 15 m. w. N.
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Anpassung langfristiger Verträge an unvorhergesehene Umstände
Enthält ein Vertrag also einen im Lichte der späteren Entwicklung offen gebliebenen Punkt, ist die Schließung einer solchen bei Vertragsschluss noch verdeckten Regelungslücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung geboten23. Geht es dabei um eine Regelungslücke im Vertrag, die nach dem Sinn des Vertragsganzen interessengerecht durch eine dispositive Gesetzesregel geschlossen werden kann, so ist diese anzuwenden. Überall da aber, wo „entweder die Atypik, Besonderheit oder Individualität eines konkreten Sachverhalts oder wo die Atypik, Besonderheit oder Individualität der von den Parteien gesetzten rechtsgeschäftlichen Regelung“24 nicht im nachgiebigen Gesetzesrecht abgebildet wird und daher die Anwendung einer dispositiven Rechtsregel nicht möglich ist, kann die sachgerechte Lösung – nur das wird dem Wesen des Vertrages als einer subjektiv-volitiven, individuellen Regelung gerecht – nur unter Orientierung an dem hypothetischen Parteiwillen ermittelt werden25. Die Rechtsgeschäftsauslegung hat dabei die einander entgegengesetzten Interessen der Vertragsparteien unter „Zu-Ende-Denken“ des im Vertrag schon getroffenen Interessenkompromisses zu versöhnen. Dabei ist es vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit gleichgültig, ob die (offene oder verdeckte) Vertragslücke auf einer nachträglichen Änderung von tatsächlichen Umständen oder auf Grund einer nachträglichen Änderung der Rechtslage basiert, sofern der Umstand zu einer gravierenden Verschiebung der Wertungsgrundlage des Vertrages führt26. So handelt es sich z. B. bei der gesetzlichen Aufhebung der Gemeinnützigkeit der Wohnungsbaugesellschaften im Jahre 1989 und der gesetzlich eröffneten Möglichkeit zum privatnützigen Verkauf (§ 293 Abs. 3 SGB VI) um eine nachträgliche Veränderung der Gesetzeslage, die auf jeden Vertrag einwirkt, der vom Fortbestand der Gemeinnützigkeit ausging und deshalb einen diesem Umstand Rechnung tragenden niedrigen Kaufpreis oder Mietzins vorsah27. Diese spätere, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung grundlegend beeinflussende Gesetzesänderung wäre von fairen Vertragspartnern bei Vertragsabschluss für die Zukunft berücksichtigt worden, wenn sie den Eintritt dieses Umstandes vorhergesehen hätten. Zerstört der später eintretende Umstand die von den Parteien hergestellte Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung, so ist zu prüfen, ob sich nicht bei folgerichtigem Zu-Ende-Denken des Vertrages für den nachträglich28 aufgetretenen regelungsbedürftigen Punkt
__________ 23 Vgl. die Nachw. in Fn. 19; außerdem RGZ 92, 318, 320; RGZ 129, 80, 88; RGZ 136, 178, 185; BGHZ 74, 370, 376 f. 24 Vgl. Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht, 1966, S. 86. 25 Vgl. Sandrock (Fn. 24), S. 86. 26 Vgl. dazu bereits zutr. Wieacker in FS Wilburg, 1965, S. 229 ff. 27 Vgl. zutreffend BGH, NJW-RR 2006, 1383 f. 28 Vgl. zur nachträglichen Lücke BGHZ 84, 1, 7 = NJW 1982, 2184: Rückübereignung eines zur Abwendung einer Enteignung veräußerten Grundstücks, nachdem der Enteignungszweck weggefallen war; BGH, NJW-RR 1994, 1163, 1165: zur Anpassung des Erbbauzinses bei Erhöhung der Bodenkosten; BGH, NJW-RR 2000, 894, 895: Zur Frage, wer die Mehrkosten einer privaten Erschließung zu tragen hat.
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eine vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit stillschweigend-impliziert mitgeschriebene Regelung ergibt. Ist dies zu bejahen, so stellt sich von vornherein nicht mehr die Frage, ob die Geschäftsgrundlage des Vertrages gemäß § 313 BGB entfallen ist29. Es ist demgemäß zu prüfen, was die Parteien nach dem von ihnen gewollten Vertragszweck bei sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie den späteren Ablauf der Dinge vorausgesehen und den offen gebliebenen Punkt bedacht hätten30. Ausgangspunkt ist dabei, wie dargelegt, stets der hypothetische Parteiwille sowie die für den konkreten Vertrag nach gemeinsamer Wertung maßgebenden Umstände31. Dabei kommt es auf den Maßstab von Treu und Glauben an; d. h. die Lückenfüllung des Vertrages muss den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werden, Leistung und Gegenleistung müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen32. Zudem darf die ergänzende Vertragsauslegung weder zu einer „Abänderung, Einschränkung oder Ergänzung des erklärten Vertragswillens noch zu einer Umänderung des Vertrages, sondern bloß zu einer Ergänzung des Vertragsinhalts“ führen33. Diese Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung sind auch auf Vergleichsvereinbarungen anzuwenden. Nachträglich eintretende tatsächliche oder rechtliche Umstände, die die Vergleichsgrundlage wesentlich berühren, können in gleicher Weise eine Ergänzung oder Anpassung des Vergleichs gebieten wie bei jedem anderen Vertrag; § 779 BGB regelt dies ausdrücklich klarstellend für das
__________ 29 Vgl. dazu Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörung in Schuldverträgen, 1981, S. 99 ff.; Cashin-Ritaine, Jb.J.ZivRWiss. 2001, 61; Eidenmüller, JURA 2001, 824; Fikentscher (Fn. 8), S. 34 ff.; Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, 2003, S. 248 ff.; Lettl, JuS 2001, 144, 457, 661; Nicklisch, BB 1980, 949; Bayreuther, Die Vertragsanpassung beim Wegfall der Geschäftsgrundlage, 2004, S. 21 ff. 30 So ständige Rspr. des Bundesgerichtshofs seit BGHZ 9, 273, 278 = NJW 1953, 937; BGHZ 127, 138, 142 = NJW 1994, 3287; BGH, NJW 2002, 2310, 2311; Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 60 (1996), 661, 686; Armbrüster in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 157 BGB Rz. 20. 31 BGH, NJW 1995, 1212, 1213: Die ergänzende Vertragsauslegung darf nicht zu einem Ergebnis führen, das dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien widerspricht; OLG Hamm, NZV 1994, 435, 436: Das Gericht bejahte darin, dass die Parteien, hätten sie bedacht, dass hinsichtlich der Zusatzversorgungsansprüche kein gesetzlicher Forderungsübergang stattfindet, einen entsprechenden Vorbehalt vereinbart hätten; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 28 Rz. 116; Armbrüster in Erman (Fn. 30), § 157 BGB Rz. 20. 32 BGHZ 90, 69, 78 = NJW 1984, 1177; Mayer-Maly/Busche in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 157 BGB Rz. 41; BGH, NJW 1978, 695, 696; BGH, NJW-RR 2000, 894; BGH, NJW 2002, 2310, 2311. In BGH, NJW 1993, 1976, 1978 heißt es, dass im Zweifel davon auszugehen sei, dass die Parteien das Vernünftige gewollt haben, vgl. auch BGH, NJW 1994, 1537, 1538. 33 BGHZ 23, 282, 285 = WM 1957, 398 und BGH, WM 1969, 1237, 1239. Eine Änderung, die eine ergänzende Vertragsauslegung notwendig gemacht hätte, verneinte der BGH in diesem Falle allerdings.
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Anpassung langfristiger Verträge an unvorhergesehene Umstände
anfängliche Fehlen der Vergleichsgrundlage (§ 313 Abs. 2 BGB)34. Unterliegen die Vergleichsparteien gemeinsam einem Motivirrtum, ist § 779 BGB als lex specialis abschließend35. Für den nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen. Dies gilt auch bei nachträglicher Änderung gesetzlicher Rechtsnormen, die die Vertragsgrundlage berühren36. Voraussetzung der ergänzenden Vertragsauslegung ist das Vorliegen einer Regelungslücke, d. h. einer planwidrigen Unvollständigkeit in der vertraglichen Einigung. Diese liegt vor, wenn die Parteien das nachträglich eingetretene Ereignis geregelt hätten, wenn sie bei Vertragsschluss das Ereignis bedacht hätten37. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes stellt allerdings „nicht alles, worüber in einem Vertrag eine Regelung fehlt, schon eine Vertragslücke dar“, die durch Auslegung auszufüllen ist38. Eine durch Auslegung auszufüllende Vertragslücke liegt vielmehr nur dann vor, wenn ein „Vertrag innerhalb des tatsächlich gegebenen Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen der Parteien eine ersichtliche Lücke aufweist“39. Erforderlich ist folglich, dass die Vertragsparteien einen Punkt übersehen haben, weil sie ihn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben40. Dabei muss sich das Resultat der ergänzenden Vertragsauslegung als vernünftige Folge im Wege loyalen, kohärenten ZuEnde-Denkens des von verständigen Vertragsparteien Gewollten aus dem Sinnzusammenhang des Vereinbarten ergeben41, ohne dass die Vertragsergänzung zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führt42. Das genetische
__________ 34 Vgl. z. B. BGH, WM 1964, 547; BGH, WM 1984, 432; BGH, ZIP 1995, 276; BGH, NJW 2000, 2497, 2498; BGH, NJW-RR 1995, 413, 414 und BAG, ZIP 2000, 1781, 1786; Marburger in Staudinger (Fn. 22), § 779 BGB Rz. 84 ff.; Roth in Staudinger (Fn. 22), § 242 BGB Rz. 666 m. w. N. u. a. zum Prozess- und zum Unterhaltsvergleich; Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 779 BGB Rz. 13. 35 BGH, BB 1970, 1191, 1192. 36 BGH, NJW 1958, 1540; NJW 1987, 1770; Habersack in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 779 BGB Rz. 62. 37 Ständige Rspr., vgl. RGZ 87, 211, 213; BGHZ 9, 273, 277; BGHZ 40, 91, 103; BGH, NJW-RR 1995, 1360; BGH, BB 1994, 2234, 2235; BGH, NJW 1994, 2757, 2758; Busche in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 157 BGB Rz. 27; Wolf in Soergel (Fn. 19), § 157 BGB Rz. 123; Roth in Staudinger (Fn. 22), § 157 BGB Rz. 15 m. w. N. 38 So der BGH ausdrücklich in dem Urt. v. 10.7.1963, BGHZ 40, 91, 103; vgl. zuvor bereits BGH, Urt. v. 22.4.1953, BGHZ 9, 273, 277: Eine Vertragslücke ist ein „innerhalb seines tatsächlichen Rahmens offen gebliebener Punkt“; vgl. auch Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 538: eine Lücke sei zu bejahen, wenn die von den Parteien vereinbarte Regelung eine Bestimmung vermissen lässt, „die erforderlich ist, um den ihr zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen“; Armbrüster in Erman (Fn. 30), § 157 BGB Rz. 16: „nicht jede fehlende Regelung stellt (…) eine solche Vertragslücke dar“; Roth in Staudinger (Fn. 22), § 157 BGB Rz. 15. 39 BGHZ 40, 91, 103. 40 Ständige Rspr., vgl. BGHZ 90, 69, 73; BGH, NJW 1984, 1177; BGH, NJW 2001, 2464; BGH, NJW 2002, 2310; Armbrüster in Erman (Fn. 30), § 157 BGB Rz. 16. 41 BGHZ 40, 91, 104. 42 Vgl. BGHZ 40, 91, 103.
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Synallagma von Leistung und Gegenleistung nach dem Bewertungsplan der Parteien („Rentabilitätsvermutung“) muss gewahrt bleiben43. Eine Vertragslücke liegt hingegen nicht vor, wenn eine Vereinbarung bewusst abschließend sein sollte oder wenn sich die offen gebliebene Frage unmittelbar aus dem Gesetz erschließt44.
III. Vollständig erfüllte Verträge und ergänzende Vertragsauslegung 1. Grundsatz Die Frage, ob Verträge an nachträglich veränderte Umstände angepasst werden müssen, hat sich insbesondere nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in den Jahren nach 1990 gestellt. Die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten und die dadurch eingetretenen grundlegenden wirtschaftlichen und rechtlichen Änderungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR haben bei einer Vielzahl von Verträgen das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung erheblich gestört45. Soweit diese Verträge in der DDR abgeschlossen und beidseitig erfüllt wurden, soll nach der Rechtsprechung der Grundsatz gelten, dass diese Verträge grundsätzlich unangetastet bleiben und nicht nachträglich durch Neubewertung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung korrigiert werden, und zwar auch dann nicht, wenn die Geltendmachung von Ansprüchen noch nicht am Verjährungseinwand scheitert.
__________ 43 RGZ 87, 211, 213; RGZ 92, 318, 320; RGZ 129, 80, 88; RGZ 136, 178, 185; BGHZ 9, 273, 277; BGHZ 40, 91, 104; BGHZ 74, 370, 376. 44 Vgl. BGHZ 111, 110, 115; BGH, NJW 2002, 2310; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1455 f.; Ehricke, RabelsZ 60 (1996), 661, 669; Armbrüster in Erman (Fn. 30), § 157 BGB Rz. 16. So verneinte der Bundesgerichtshof eine Vertragslücke beispielsweise in einem Kaufvertrag, in dem eine Bestimmung darüber fehlte, ob der Käufer berechtigt ist, einen seinem Abnehmer durch Mängel der Sache entstehenden weiteren Schaden geltend zu machen, da sich die Ausgestaltung der nicht geregelten Frage unmittelbar aus dem Gesetz ergebe (BGHZ 40, 91, 103). Er bejahte sie hingegen bei einem Auseinandersetzungsvergleich, der keine Regelung der durch den Tod des Erblassers zwischen den Parteien entstehenden Rechtsbeziehungen enthielt und damit „innerhalb seines tatsächlichen Rahmens einen offen gebliebenen Punkt“ nicht ansprach (BGHZ 9, 273, 277). Eine Vertragslücke nahm der Bundesgerichtshof auch im Falle eines Vertrags über Bauerwartungsland an, in dem die Parteien irrtümlich angenommen hatten, das Risiko der Bebaubarkeit lückenlos (zu Lasten des Verkäufers) geregelt zu haben. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass aus einem von den Parteien übersehenen Grunde die Erwartung künftiger Bebaubarkeit enttäuscht wurde. Die dadurch entstandene Vertragslücke war nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen (BGHZ 74, 370, 376). Ähnlich gelagert war der „Roggenklausel“-Fall, bei dem die Vertragsparteien sich gerade durch die vereinbarte Roggenklausel gegen Kaufkraftschwankungen schützen wollten. Die planwidrige Lücke entstand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Jahre 1958, als die Roggenklauseln ihre Tauglichkeit als Mittel der Wertsicherung aufgrund der Einführung der EWG-Agrarmarktordnung und der damit verbundenen staatlichen Subventionen verloren. Während die Lebenshaltungskosten von 1958 bis 1978 um 96,18 % anstiegen, erhöhte sich im selben Zeitraum der Roggenpreis nur um 5,11 % (vgl. BGHZ 81, 135, 137). 45 Vgl. Grüneberg in Palandt (Fn. 34), § 313 BGB Rz. 66.
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Anpassung langfristiger Verträge an unvorhergesehene Umstände
Diese Betrachtung wird mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit gerechtfertigt, weil jede andere Bewertung zu einer Instabilität bei einer nicht überschaubaren Anzahl von Altverträgen geführt hätte46. Die künftige Entwicklung einer empfangenen Leistung liege allein in der Sphäre des Leistungsempfängers und gehe den Leistungserbringer nichts mehr an. Wenn ein Vertrag von beiden Seiten voll erfüllt sei, soll eine Vertragsanpassung selbst dann nicht in Betracht kommen, wenn durch den späteren Wegfall des staatlichen Nutzungsrechts die zu einem Spottpreis verkaufte Ackerfläche eine außergewöhnliche Wertsteigerung erfahren hat47. Der Umstand, dass es in vielen Fällen zu einem erheblichen Vermögenswertzuwachs auf Seiten einer Vertragspartei und damit zu Missverhältnissen zwischen Leistung und Gegenleistung gekommen sei, könne allein noch kein Grund sein, Verträge, die auf dem Gebiet der früheren DDR geschlossen worden seien, neu aufzurollen. Beiderseitig vollständig erfüllte Rechtsverhältnisse stellten grundsätzlich einen Rechtfertigungsgrund für die auf ihrer Grundlage vollzogenen Vermögensverschiebungen dar48. 2. Ausnahmen Bei einem besonders krassen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung, d. h. in Fällen ganz besonders schwerer, außergewöhnlicher Unzumutbarkeit, macht der BGH eine Ausnahme von vorstehend dargestelltem Grundsatz49 und will eine Anpassung jedenfalls in solchen Fällen zulassen, wo dem notleidend gewordenen Vertrag (häufig ist es ein Abfindungsvergleich50) ein gesetzliches Schuldverhältnis zugrunde lag, das durch den Vertrag geregelt werden sollte. Erweist sich in solchen Fällen die vertraglich getroffene Regelung aufgrund unvorhergesehener und unvorhersehbarer Umstände (z. B. nachträglich eintretende gravierende gesundheitliche Spätschäden eines Unfalls) als völlig inadäquat, so ist eine Vertragsanpassung auch dann noch geboten, wenn
__________ 46 BGHZ 131, 209, 218 = NJW 1996, 990, 992 f.; Horn, DZWiR 1992, 45, 49; Prölss/ Armbrüster, DtZ 1992, 203, 206; Drexl, Die politische und wirtschaftliche Wende der DDR, DtZ 1993, 194, 196, 199; Bultmann, NJW 1994, 5, 11; Matthiessen, DZWiR 1994, 493, 496 für DDR-Wirtschaftsverträge. 47 Vgl. BGHZ 131, 209, 219 = NJW 1996, 990, 993. 48 So auch BGH, NJW 1991, 1535; BGH, LM § 242 (Bb) Nr. 33; BGH, WM 1962, 625; BGH, LM BGB § 242 (Bb) Nr. 87; BGHZ 113, 310, 314; BGHZ 131, 209, 217; BGH, LM BGB § 242 (Bb) Nr. 18; Roth in Staudinger (Fn. 22), § 242 BGB Rz. 625; Teichmann in Soergel (Fn. 19), § 242 BGB Rz. 233, 236, 264; Roth in MünchKomm.BGB, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, § 242 Rz. 328 f., 333–335; Werner in Erman (Fn. 30), § 242 BGB Rz. 194; Görk, Deutsche Einheit und Wegfall der Geschäftsgrundlage, VVF 1995, 22. 49 Vgl. BGH, NJW 1996, 990; Roth in Staudinger (Fn. 22), § 242 BGB Rz. 625 und § 242 Rz. 733; Drexl (Fn. 46), S. 196 ff. Methodisch ist das gewählte Kriterium nicht befriedigend, weil die Zweiteilung der Unzumutbarkeit in „gewöhnliche“ und „außergewöhnliche“ Unzumutbarkeit (vgl. BGH, VersR 1961, 382) zu einer Unschärfe der Konturen dieses Rechtsbegriffs – etwa im Hinblick auf §§ 275 Abs. 2 und 626 Abs. 1 Satz 2 BGB – führt. 50 Vgl. BGH, NJW 1957, 1395; BGH, BB 1966, 140 f.; OLG Schleswig, NJOZ 2001, 2340; Dollmann, BB 2005, 2297.
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die im Vertrag ausdrücklich geregelten Leistungen sämtlich erbracht sind51; denn ein Rückgriff auf das gesetzliche Schuldverhältnis ist in aller Regel nicht mehr möglich, da deliktsrechtliche Ansprüche verjährt sein dürften. Die Anpassung kann im Wege ergänzender Vertragsauslegung vorgenommen werden; denn loyale Vertragspartner hätten, wenn sie die schwerwiegenden Spätschäden als Möglichkeit vorhergesehen hätten, keinen Ausschluss aller weiteren Ansprüche vereinbart, sondern für diesen Fall eine adäquate Schadenstragungsregel vereinbart und so die vertragliche Regelungslücke geschlossen. Ein Gleiches muss in Wiedergutmachungsfällen gelten. Auch hier bleiben die Alteigentümer gemäß § 935 BGB Eigentümer der ihnen entzogenen Vermögensgegenstände52. Auch eine gutgläubige Ersitzung kommt nicht in Betracht (§ 937 Abs. 2 BGB). Verzichten sie gegen eine geringfügige finanzielle Entschädigung auf ihr Eigentum und damit zugleich auf gesetzliche Wiedergutmachungsansprüche, so stellt sich auch hier die Frage, ob nicht aus ergänzender Vertragsauslegung ein Besserungsanspruch besteht, wenn nachträglich durch unerwartete tatsächliche oder gesetzliche Umstände (z. B. Wegfall von Veräußerungsbeschränkungen) der Vermögensgegenstand in seinem Wert um ein Vielfaches steigt53. Die Frage ist in diesen Fällen m. E. richtigerweise zu bejahen. Bei Unwirksamkeit des Vergleichs nach § 779 BGB wegen gemeinsamen Motivirrtums würden die ursprünglichen gesetzlichen, innerhalb der gesetzlichen Anmeldungsfristen erhobenen Wiedergutmachungsansprüche gleichfalls fortbestehen. Eine ergänzende Vertragsauslegung muss diesem Umstand nach Treu und Glauben berücksichtigen. In allen anderen Fällen, wenn kein gesetzliches Schuldverhältnis mit seiner normativen Ordnungsstruktur den Hintergrund der vertraglichen Regelung bildet, wird man mit der Rechtsprechung54 an der Endgültigkeit und Irreversibilität des vollständig abgewickelten Vertrages im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens festhalten müssen. Etwas anderes gilt dann, wenn ein Vertrag noch nicht (vollständig) erfüllt ist. Bei einer nachträglich eintretenden erheblichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Umstände, die zu einer gravierenden Äquivalenzstörung führen, besteht ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages55. So stellte der Bundes-
__________ 51 Vgl. BGH a. a. O. (Fn. 50). 52 Vgl. Säcker, Eigentumsverlust durch staatliche Einziehung und Veräußerung „entarteter Kunst“, in FS Konzen, 2006, S. 847 f. m. w. N. 53 BGH, NJW 1993, 2176; BGH, NJW 1995, 1891; OLG Frankfurt, DtZ 1993, 27. 54 BGH, NJW-RR 1986, 945; OLG Köln, NJW 1994, 3236; Habersack in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2006, § 779 BGB Rz. 68 f.; Marburger in Staudinger (Fn. 22), § 779 BGB Rz. 84. 55 Betreffend Nutzungsverträge über Grundstücke, die Freizeit- und Erholungszwecken dienten und deren im Nutzungsvertrag vorgesehene Nutzung nach der Wiedervereinigung nicht mehr möglich war vgl. BGHZ 150, 102, 105 = NJW 2002, 2098, 2099; bzgl. unbefristeter und unentgeltlicher Nutzungsverträge zwischen ehemaligen DDR-Konsumgenossenschaften vgl. BGH, NJW 1994, 2688, 2690; bzgl. Erbbauverträgen BGHZ 77, 194, 198 und BGHZ 86, 167, 169 sowie BGH, NJW-RR 1994, 1163, 1164 betreffend die Erhöhung eines Erbbauzinses bei Fehlen einer vertraglichen Anpassungsklausel; BGH, NJW 1995, 1345, 1346; bzgl. Pensionsverträgen BGH, BB
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Anpassung langfristiger Verträge an unvorhergesehene Umstände
gerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 1980 betreffend eines 1939 vereinbarten Erbbauzinses fest, dass die Vertragsparteien sich „als verständige Menschen der Begrenztheit ihrer Erkenntnismöglichkeiten bewusst“ waren und die Entwicklung der bei Bemessung des Kaufpreises zugrundegelegten Verhältnisse in der Zukunft nicht auf 60 Jahre hinaus für zuverlässig überschaubar gehalten hätten. Verträge mit einer so langen Laufzeit führten stets „in die nicht absehbare Zukunft“56. Der Erbbauzins sei daher entsprechend der Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen57. Ebenso hat der Bundesgerichtshof entschieden, als es um die Auswirkungen des Wegfalls der Gemeinnützigkeit ging, den die Parteien zu einem Zeitpunkt vereinbart hatten, als noch niemand an die spätere gesetzliche Aufhebung der Gemeinnützigkeit dachte58. 3. Feststellung der vollständigen Erfüllung im Wege der Auslegung Die Frage, wann ein Vertrag vollständig erfüllt ist, kann erst entschieden werden, wenn der Vertragsinhalt im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt ist; denn die zur Schließung einer primären oder sekundären vertraglichen Regelungslücke gemäß § 157 BGB herausgebildeten immanenten, stillschweigend kraft Sachzusammenhangs mitgeschriebenen Regelungen sind genauso Vertragsbestandteil wie die ausdrücklichen Regelungen. So wie geschriebenes Gesetzesrecht durch ungeschriebenes bzw. stillschweigend-implizit mitgeschriebenes Gesetzesrecht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ergänzt wird59, so ist auch eine vertragliche Regelung als geplantes Sinnganzes vom Standpunkt vertragsimmanenter Gerechtigkeit bei planwidriger Unvoll-
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1970, 1191, 1192; BGHZ 122, 32, 40 = ZIP 1995, 1931, 1932 (zu § 32 Abs. 2 DMBilG) sowie sonstige Wirtschaftsverträge, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geschlossen und noch nicht voll erfüllt wurden vgl. BGHZ 120, 10, 20 sowie BGHZ 131, 209, 213 ein erfülltes DDR-Grundstücksgeschäft betreffend, wonach „die Wandlung des Wertungsmaßstabs (…) allenfalls bei noch nicht erfüllten Verträgen, um die es hier aber nicht geht, ein auf den Vertrag gestütztes Anspruchsverlangen als unzulässige Rechtsausübung erscheinen lassen“ könnte. BGHZ 77, 194, 198. BGHZ 77, 194, 200; vgl. auch BGHZ 73, 225, 227 zum Maßstab der Erhöhung aufgrund einer vertraglichen Anpassungsklausel. In anderen Fällen führte die Überlassung der Nutzung mit Rechtsbindungswillen konkludent zu einem Vertrag mit dem Inhalt, der den tatsächlich zwischen den Beteiligten geübten Gepflogenheiten entsprach, so der Bundesgerichtshof in BGH, NJW 1994, 2688, 2690. In wieder anderen Konstellationen entschied der Bundesgerichtshof, dass eine Vertragsanpassung eines Nutzungsvertrages nur durch Einräumung eines außerordentlichen Kündigungsrechts zu erreichen sei; vgl. auch BGHZ 125, 281, 284 = NJW 1983, 2692; zur Anpassung eines Nutzungsvertrages durch Einräumung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung BGHZ 150, 102, 105 = NJW 2002, 2098, 2099. Betreffend eines Einfuhrvertrages erfolgte die Anpassung dadurch, dass keine weitere Herabsetzung eines Importabgabepreises wegen Ausbleibens von DDR-Haushaltsmitteln vorgenommen werden dürfe, vgl. BGHZ 122, 32, 40 = ZIP 1995, 1931, 1932. Das Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (WGG) trat am 31.12. 1989 außer Kraft; vgl. BGH, NJW-RR 2006, 1383 ff. Vgl. exemplarisch BGH, ZIP 2004, 993 – Gelatine; näher dazu Säcker in FS Reuter, 2005, S. 1 ff.
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ständigkeit zu komplettieren. Ein Gericht darf mit dem Rechtssatz, dass ein beidseitig erfüllter Vertrag keiner Vertragsergänzung oder Vertragsanpassung zugänglich ist60, erst dann einsetzen, wenn es geprüft hat, ob der Vertrag nicht im Wege ergänzender Auslegung eine Bestimmung (z. B. eine Nachbesserungsklausel) enthält, die bei Eintritt des äquivalenzzerstörenden Umstands eine Zusatzleistung vorsieht. In diesem Falle liegt gerade kein vollständig erfüllter beidseitiger Vertrag vor. Es wäre ein Rückfall in Zeiten einer formal argumentierenden, Gerechtigkeitsfragen ignorierenden Jurisprudenz, wenn ohne vorherige und ergänzende Lücken schließende Interpretation ein Vertrag als eindeutig vollständig erfüllt gekennzeichnet würde. Zwar findet sich in der Rechtsprechung immer wieder der Satz, dass eine „eindeutige“ bzw. „klare und eindeutige“ Regelung keiner Auslegung mehr zugänglich sei (sog. sense-clair-doctrine)61. Sie hat diesen Satz ungeachtet der Schwierigkeiten einer wissenschaftstheoretischen Bestimmung des Wortes „eindeutig“ aufgestellt62. Die Eindeutigkeitsregel hat eine lange historische Tradition („Interpretatio cessat in claris“63) und wird gewöhnlich auf Paulus L. 25 § 1 D. 32 zurückgeführt: „Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio.“ Dieser Satz ist indes, wie in der heutigen methodenwissenschaftlichen Literatur allgemein anerkannt wird, unhaltbar64. Die Feststellung, dass ein Gesetzestext eindeutig klar ist, setzt in jedem Fall eine
__________ 60 C. Hirsch, ZMR 2007, 1; Briesemeister, EWiR 1996, 233; Prölss/Armbrüster, DtZ 1992, 203. 61 RG, JW 1912, 69; BGH, NJW 1956, 1553; BVerfGE 4, 331, 351; Ramm, ArbuR 1962, 356; Bachof, JZ 1963, 697; Burckhardt, Methode und System des Rechts, 1936, S. 271; ebenso die nach wie vor weit verbreitete „Plain Meaning Rule“ im stärker formalistisch argumentierenden angloamerikanischen Recht; vgl. dazu Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 65. Im englischen Recht gipfelte die senseclair-Regel in der Formulierung von Lord Esher (Law Reports, 1 Queen’s Bench 290): „If the words of an Act are clear, you must follow them, even though they lead to a manifest absurditiy“ (vgl. dazu Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts I, 3. Aufl. 1996, S. 259). Auch in der Praxis des französischen Rechts findet sich immer wieder die aus dem Entwurf zum Code civil stammende Regel: „Quand une loi est claire, il ne faut point en éluder la lettre sous prétexte d’en pénétrer l’esprit“ (Tit. V., Art. 5, P. A. Fenet, Recueil complet des travaux préparatoires du Code civil, II, Paris 1827, S. 7). 62 Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik, 1957, S. 128, 146; Kramm, Rechtsnorm und semantische Eindeutigkeit, Diss. Erlangen 1970, S. 21. 63 Eingehend dazu Schott, „Interpretatio cessat in claris“ – Auslegungsfähigkeit und Auslegungsbedürftigkeit in der juristischen Hermeneutik, in Schröder, Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 2001, S. 157. 64 Ebenso Enneccerus/Nipperdey (Fn. 2), § 57 II, III; Esser, Grundsatz und Norm, 3. Aufl. 1974, S. 123, 253; Herschel in FS Molitor, 1962, S. 166; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. 1948, S. 133; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 361; Claus, JZ 1961, 660; Rittner, Die Ausschließlichkeitsbindungen in dogmatischer und rechtspolitischer Betrachtung, 1957, S. 63; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320; Weinsheimer, NJW 1959, 566; Bund, Juristische Logik und Argumentation, 1983, S. 167; Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 62; Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 153; einschränkend Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. 2001, S. 597.
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Verständigung über seinen Inhalt und damit eine Auslegung voraus: Die Feststellung, ein Text sei nicht auslegungsbedürftig, kann nur bedeuten, „dass über die einschlägige Interpretation Einigkeit besteht“65. Der Richter, der trotz Streits um die richtige Interpretation sich auf die Eindeutigkeitsmaxime bezieht, entzieht sich damit in Wahrheit einer sachlichen Begründung.
IV. Vorrang ergänzender Vertragsauslegung vor § 313 BGB Die für abgeschlossene Verträge zutreffend entwickelte „Rechtsfriedens“-Rechtsprechung66 stellt somit keine Grenze für die ergänzende Vertragsauslegung dar; da sich erst im Lichte der ergänzenden Vertragsauslegung ergibt, ob ein Vertrag bereits vollständig erfüllt ist oder nicht. Die ergänzende Vertragsauslegung passt ein Rechtsgeschäft an veränderte Umstände nicht mit konstitutiver Wirkung an, wie es beim nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB geschieht67. Sie vervollständigt vielmehr deklaratorisch den ursprünglichen Vertrag um die fehlende Regelung, so wie die Gesetzesinterpretation eine unvollständige Norm (wie z. B. § 904 Satz 2 BGB) ergänzt durch die nicht geschriebenen, aber zur gesetzeszweckgerechten Anwendung notwendigen Tatbestandselemente (im Beispiel des § 904 Satz 2 BGB durch die Person des zum Ausgleich Verpflichteten)68. Mittels ergänzender Vertragsauslegung wird ein vom Standpunkt seiner immanenten Teleologie lückenhafter, ergänzungsbedürftiger Vertrag vollständig, indem er um die fehlende, zur Schließung der Regelungslücke notwendige Bestimmung ergänzt wird. Oder es wird eine Vertragsbestimmung, die durch nachträgliche unvorhersehbare Entwicklungen ihre intendierte Wirkung verfehlt, durch eine Bestimmung ersetzt, die die von beiden Parteien mit der Regelung angestrebte Zielsetzung unter Beachtung der im ursprünglich vereinbarten genetischen Synallagma enthaltenen Rentabilitätsvermutung erreicht. Der ergänzenden Vertragsauslegung geht es um (deklaratorische) Erhellung des aus dem Vertragsganzen abzuleitenden Vertragssinns, der hinter unvollständigen und beim Blick auf die Zukunft nicht ausreichend durchdachten Formulierungen verborgen ist. Die nachträgliche Sichtbarmachung von vertraglichen Regelungen, die die Parteien bei Vorausbedenken bestimmter, in der Zukunft
__________ 65 Viehweg, ARSP 47 (1961), 523. 66 Vgl. dazu Janssen, Neue Aktualität für das alte Rechtsinstitut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung?, ZRP 1991, 418; Grunewald, Auswirkungen eines Irrtums über politische Entwicklungen in der DDR, NJW 1991, 1208, 1212; BayObLG, NJW 1991, 1237. 67 Vgl. zuletzt Bayreuther (Fn. 29), S. 13, der von einer in § 313 BGB wurzelnden „materiellen Gestaltungskompetenz“ des Gerichts spricht, das mit dem Leistungsurteil zugleich „implizit“ die zur Leistungserbringung notwendige Vertragsanpassung vornehme; vgl. ebenso Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 48), § 315 BGB Rz. 47 und Rieble in Staudinger (Fn. 22), § 315 BGB Rz. 235; Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, 2076, 2077; Hey in FS Canaris, 2002, S. 21, 34 f.; Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, 921, 924; Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 48), § 313 BGB Rz. 88; Säcker in FS Beys (Fn. 19), S. 1391, 1392 ff. 68 Vgl. dazu Säcker in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 904 BGB Rz. 3, 16 m. w. N.
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möglicherweise eintretender Ereignisse getroffen hätten, führt dazu, dass die den Anspruch aus ergänzender Vertragsauslegung geltend machende Partei gegen ihren Kontrahenten sofort eine Leistungsklage erheben kann. Die Vertragsergänzung im Wege der Auslegung (§ 157 BGB) hat daher Vorrang vor dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Erst der gemäß § 133 BGB ausgelegte und ggf. gemäß § 157 BGB ergänzte Vertrag berechtigt zur Frage, ob er gemäß § 313 BGB anzupassen ist, weil auch im Lichte der Ergänzungen, die der Vertrag gemäß § 157 BGB erfahren hat, die Vertragsgrundlage nicht mehr gegeben ist69. Enthält der gemäß § 157 BGB ergänzte Vertrag noch unerfüllte Ansprüche, die erst bei Eintritt eines im Vertrag nicht erfassten künftigen Umstandes fällig werden, so beginnt die Verjährungsfrist für solche Ansprüche auch erst mit deren Fälligkeit. Es ist also zunächst festzustellen, ob Verträge, die z. B. vor der Wiedervereinigung in der DDR abgeschlossen wurden, bzgl. der durch die Vereinigung hervorgerufenen gravierenden Wertveränderungen eine immanente Regellücke enthalten, die die Parteien durch eine an die Einheit Deutschlands anknüpfende Besserungsklausel geschlossen hätten. Daher ist zu ermitteln, was die Parteien bei Erwartung des Eintritts der Wiedervereinigung unter Beachtung von Treu und Glauben für diesen Fall vereinbart hätten70. In aller Regel weist die explizit getroffene vertragliche (Teil-)Regelung in Form einer „fernwirkenden Wertung“ (Heck) der Antwort die Richtung. Haben die Parteien als Gegenleistung ein Entgelt vereinbart, das künftige Wertsteigerungen pauschal mit umfasst, so steht dem Käufer der Gewinn aus späterer Lageveränderung allein zu. Ist das vertragliche Entgelt dagegen ohne Berücksichtigung der später eingetretenen wertsteigernden Umstände kalkuliert und realisiert die begünstigte Partei die Wertsteigerung, die als Folge unerwarteter nachträglicher gravierender Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage eingetreten ist, so kann eine angemessene, interessengerechte Lösung aus der Seh- und Wertungsweise vertragsloyaler Parteien nur gefunden werden, wenn dieser Umstand durch eine Partizipation an der Wertsteigerung berücksichtigt wird71. Ein Gleiches gilt, wenn eine Partei als Folge einer unerwarteten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage nachträglich mit erheblichen Kosten belastet wird, die die Parteien nicht vorhergesehen haben72. Ist z. B. der Kaufpreis beim Erwerb eines Wohnungsbestandes maßgeblich durch den Umstand der Gemeinnützigkeit und der daraus folgenden Vermögensbindung geprägt und enthält der Vertrag keine Regelung für den Fall, dass es kraft Gesetzes später zu einer Entlassung der Wohnungen aus der Vermögens-
__________
69 Vgl. Roth in Staudinger (Fn. 22), § 157 BGB Rz. 15. 70 Vgl. BGHZ 81, 135, 138, 141 sowie BGH, WM 1961, 694, 695 der eine Vertragslücke verneinte, da für den konkreten Fall die später eingetretene Veränderung der Verhältnisse (Spaltung Berlins) für die geltend gemachten Ansprüche bedeutungslos sei; ferner Roth in Staudinger (Fn. 22), § 157 BGB Rz. 21. 71 Vgl. auch BGH, NJW 1993, 2935; BGH, NJW-RR 1993, 1378; BGHZ 90, 69, 74; zur Ausfüllungsbedürftigkeit einer Regelungslücke vgl. Busche in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 157 BGB Rz. 34 m. w. N.; Roth in Staudinger (Fn. 22), § 157 BGB Rz. 15. 72 Vgl. BGH, NJW-RR 2000, 894.
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bindung kommt, so haben die Parteien angesichts der Unvorhersehbarkeit dieses Umstands unbewusst außer Acht gelassen, sich darüber zu verständigen, was geschehen solle, wenn die Gemeinnützigkeit von Gesetzes wegen aufgehoben wird und der Wert der Wohnungen dadurch „explodiert“. Mit Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) am 31.12. 1989 zerbrach das Synallagma von Leistung und Gegenleistung. Damit entstand in Altverträgen eine Regelungslücke, die vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit zu schließen war, wenn die Wohnungen an private Investoren nunmehr zum vollen Marktwert weiterveräußert wurden. Faire Vertragsparteien hätten, wenn sie dies vorhergesehen hätten, nicht vereinbart, dass im historischen Kaufpreis von wenigen Millionen auch der vielfache Wertzuwachs im Falle der Aufhebung der Gemeinnützigkeitsbindung mit abgegolten sein sollte. Hätten die Parteien vorhergesehen, dass die Gemeinnützigkeitsbindung durch Gesetz aufgehoben wird und die Wohnungen anschließend an eine private Investorengesellschaft verkauft werden, so hätten sie als loyale Partner diesen Fall vorsorgend geregelt. Es liegt eine planwidrige Lücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auszufüllen ist73. Zur Vermeidung eines krassen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung hätten die Parteien nach Treu und Glauben eine Regelung mit folgendem Sinngehalt in den Vertrag aufgenommen: „Für den Fall, dass die Gemeinnützigkeit aufgehoben und das Wohnungsvermögen veräußert wird, wird der Verkäufer am Erlös, den der Käufer erzielt, hälftig beteiligt.“
Ohne eine solche Vertragsergänzung wäre der Vertrag, hätten die Parteien die Möglichkeit der Weiterveräußerung ohne Bindung an die Gemeinnützigkeit vorhergesehen, nie zustande gekommen. Die Parteien hätten, wenn sie diese Änderung der für den Kaufpreis maßgeblichen Berechnungsgrundlage als möglich vorausgesehen hätten, eine an diese Änderung anknüpfende Resolutivbedingung in den Vertrag aufgenommen, wenn sie den Vertrag im Falle des Eintritts dieses Umstands nicht mehr gewollt hätten. Hätten sie den Vertrag dagegen auch unter diesen Umständen gewollt, so hätten sie eine Besserungsklausel in den Vertrag aufgenommen, um das vertraglich vereinbarte Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung langfristig zu sichern und eine völlig unverhältnismäßige Bereicherung einer Partei auszuschließen. Bei den
__________ 73 Vgl. auch den vom BGH entschiedenen Fall der Rückzahlung von Altkreditschulden einer VEB-Nachfolge-GmbH (Urt. v. 11.10.1994, BGH, NJW 1995, 47, 48 = BGHZ 127, 212, 218). Bei dem VEB handelte es sich um einen „verlustgeplanten“ Betrieb, der wegen der Preisbindung seiner Produkte auf staatliche Preis-, Verlust- und Fondsstützungen angewiesen war, um seine Verpflichtungen erfüllen zu können. Der Bundesgerichtshof bejahte hier nach dem Wegfall aller Bindungen eine Verpflichtung zur Rückzahlung der Altkreditschulden, die er sonst verneint hätte. Die volkseigenen Betriebe konnten nicht frei wirtschaften wie private Gesellschaften. Der Wegfall der Bindungen für den VEB mit dem Übergang vom sozialistischen zum marktwirtschaftlichen System führte dazu, dass er die Mittel zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten selbst erwirtschaften musste, zugleich aber auch alle Bindungen entfielen, die früher zu Verlusten führten. Die Vorteile aus der Befreiung von den Bindungen ließen die Rückzahlung von Altkreditschulden gerechtfertigt erscheinen.
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eingangs genannten Festzug- und Tanzsaalfällen könnte die ergänzende Vertragsauslegung nur zu dem Ergebnis kommen, dass die Parteien, wenn sie an die Möglichkeit der Verlegung des Festzuges bzw. an ein behördliches Tanzverbot am Abend des Tages, für den der Saal gemietet war, gedacht hätten, sie die Auflösung des Vertrages vereinbart und eine entsprechende Klausel in den Vertragstext aufgenommen hätten; denn ein Festhalten am Vertrag zu einem verringerten Entgelt machte unter den veränderten Umständen, vom Zweck des Vertrages her gedacht, keinen Sinn. Die ergänzende Vertragsauslegung greift also immer dann ein, wenn die Parteien einen für den konkreten Vertragsschluss maßgeblichen Umstand bei Vertragsschluss überhaupt nicht in Frage gestellt haben, sondern von seinem Fortbestand als Bemessungsgrundlage für die Höhe des Kaufpreises ausgegangen sind. Hätten die Parteien im Gemeinnützigkeitsfall an diesen für das Äquivalenzverhältnis fundamentalen Umstand gedacht, so hätten sie nach Treu und Glauben als faire Vertragspartner eine Besserungsklausel in Form einer Beteiligung am späteren Veräußerungserlös vereinbart. Daher ist bei Wegfall des fraglichen Umstands der Vertrag noch nicht erfüllt; denn die Zusatzleistung gemäß der konkludenten Besserungsklausel ist noch nicht erbracht. Allein eine in den Vertragstext integrierte Klausel, die den Umstand der Aufhebung der Gemeinnützigkeitsbindung und den dadurch ermöglichten Weiterverkauf berücksichtigt, wird den Anforderungen an die Ausgewogenheit des vereinbarten Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit gerecht. Ohne eine solche Ergänzung träte der Vertrag in Widerspruch zu dem von loyalen Parteien gemäß ihrem hypothetischen Willen Gewollten74.
V. Verjährung und Leistungsklage Nach ständiger Rechtsprechung75 können die Parteien zur Durchsetzung ihres Anspruchs, der sich aus ergänzender Vertragsauslegung ergibt, unmittelbar auf Beteiligung am Veräußerungserlös klagen. Der Vertrag wird „automatisch“ durch die stillschweigend mitgeschriebene Klausel ergänzt, und zwar rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses. Einer vorherigen Feststel-
__________ 74 Vgl. BGHZ 40, 91, 104 = NJW 1963, 2071; BGHZ 134, 60, 65 = NJW 1997, 521; BGH, NJW 1998, 1480; Armbrüster in Erman (Fn. 30), § 157 BGB Rz. 22, 23; Ehricke, RabelsZ 60 (1996), 661, 684 f. und zu den Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung S. 688 ff.; Busche in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 157 BGB Rz. 34 m. w. N. und Rz. 45 zu den Schranken der ergänzenden Vertragsauslegung und der unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstandes; Heinrichs in Palandt (Fn. 34), § 157 BGB Rz. 7; Wolf in Soergel (Fn. 19), § 157 BGB Rz. 125; Roth in Staudinger (Fn. 22), § 157 BGB Rz. 24. 75 Vgl. BGH, VIZ 1995, 644, 645: Die Abfindungsklausel zum Ausgleich aller unter das Bundesrückerstattungsgesetz fallenden Ansprüche der Antragsteller „ist jedoch nach ihrem Sinn und Zweck gemäß §§ 133, 157 BGB dahin auszulegen, dass sie weitergehende Ansprüche nur insoweit ausschließt, als sie nach dem Gesetzesstand im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses unter das Bundesrückerstattungsgesetz fallen konnten.“
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lung der Lücken schließenden Vertragsergänzung durch richterliches Urteil bedarf es dazu nicht76. Der im Wege ergänzender Vertragsauslegung begründete, neben die ausdrücklich vereinbarten Ansprüche tretende Anspruch wird, auch wenn die anderen Ansprüche bereits voll erfüllt sind, fällig erst mit dem Eintritt des Ereignisses, an das die Vertragsergänzung anknüpft, und verjährt dann nach allgemeinen Grundsätzen, soweit die Parteien nicht eine Befristung für die Berücksichtigung nachträglicher Umstände, die das Synallagma von Leistung und Gegenleistung erschüttern, ausdrücklich oder konkludent vereinbart haben77. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage geht es dagegen um die Anpassung von (noch) bestehenden Leistungspflichten. Sind diese bereits vollständig gemäß § 362 BGB erfüllt, bevor die nachträgliche Änderung der Wertungsgrundlage i. S. von § 313 Abs. 1 BGB eintritt, so besteht kein Anknüpfungspunkt mehr für einen Anspruch auf Vertragsanpassungsverhandlungen bzw. auf sofortige richterliche Vertragsanpassung78. Die Verkürzung der Verjährungsfristen seit dem 1.1.2002 zwingt die Parteien in Zukunft dazu, sorgfältig zu überlegen, ob die Wertungsgrundlagen, auf denen sie einen Vertrag aufbauen, so stabil sind, wie sie denken, und vorsorglich Revisions- und Verhandlungsklauseln79 in einen Vertrag einzubauen, wenn und wie lange sie bestimmte zukünftige gegenwärtig unvorhersehbare Umstände, selbst wenn sie diese heute als unproblematisch ansehen, berücksichtigt wissen wollen.
VI. Zusammenfassung 1. Selbstverständliches, das von beiden Parteien nicht in Frage gestellt wird, bleibt bei Vertragsverhandlungen häufig unausgesprochen, und mag es noch so wesentlich für das Zustandekommen und die spätere Erfüllung des Vertrages sein. Ändern sich nach Vertragsschluss die als selbstverständlich angesehenen Umstände, ohne dass die Parteien dies vorhergesehen haben und vorhersehen konnten, geht die erläuternde Auslegung (§ 133 BGB) ins Leere; denn diese kann nur erhellen, entbergen und sichtbar machen, was Gegenstand des psychisch-realen Willens der Parteien ist. 2. Lässt der Vertrag eine Frage, die die Parteien bei Kenntnis der späteren Entwicklung geregelt hätten, offen, so ist die Lücke im Wege ergänzender Ver-
__________ 76 Vgl. dazu ausführlich Bayreuther (Fn. 29), S. 10 ff., 24. 77 BGHZ 55, 340, 341 f.; 59, 72, 74; Grothe in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 199 BGB Rz. 4 f.; Peters in Staudinger, BGB, Neubearb. 2004, § 195 BGB Rz. 21, 31, § 199 BGB Rz. 3, 45; Mansel/Budzikiewicz, Das neue Verjährungsrecht, 2002, § 3 Rz. 77 f., 104. 78 Vgl. dazu Larenz (Fn. 4), S. 134; J. Schmidt in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1995, § 242 BGB Rz. 1188, 1190; Stadler in Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 313 BGB Rz. 27; Roth in MünchKomm.BGB (Fn. 1), § 313 BGB Rz. 72; RGZ 106, 396, 401; RGZ 163, 333; BGHZ 2, 384; BGHZ 58, 131, 209, 216; BGHZ 355, 363; BGH, NJW 1983, 2143, 2144; BGH, NJW 2001, 1206. 79 Vgl. dazu Säcker in FS Beys (Fn. 19), S. 1 ff.; vgl. dazu auch Lörcher, DB 1996, 1269; Wolf, ZiP 1987, 341; Harms, DB 1983, 322.
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tragsauslegung gemäß dem hypothetischen Parteiwillen zu schließen. Der hypothetische Parteiwille ist nicht im Wege spekulativer Willensanreicherung zu ermitteln, zu ihm führt vielmehr die Frage: Wie hätten loyale und vernünftige Parteien vom Standpunkt immanenter Vertragsgerechtigkeit, d. h. nach Treu und Glauben (§ 157 BGB) die Frage geregelt? Erforderlich ist eine normative Interessenabwägung unter Zu-Ende-Denken des konkreten Vertrages. Dabei sind die einschlägigen Wertungen des dispositiven Gesetzesrechts zu beachten, sofern diese vom gewählten Vertragstypus her passen. 3. Die normative Interessenabwägung erfolgt ohne Ansehung eines bestehenden intellektuellen und wirtschaftlichen Übergewichts einer Partei. Die ergänzende Vertragsauslegung übernimmt damit eine Funktion, die § 307 BGB bei der Inhaltskontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen gleicht, d. h. unbillige Regelungen im Individualvertrag werden durch die ergänzende Vertragsauslegung nicht verstärkt, sondern teleologisch reduziert. 4. Ergänzende Auslegung setzt nicht voraus, dass das Festhalten am unergänzten Vertrag einer Partei nicht zugemutet werden kann. Die Voraussetzungen für eine Vertragsergänzung nach § 157 BGB sind bei Vorliegen einer immanenten Regelungslücke erfüllt, ohne dass eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB vorliegen muss. 5. Die Rechtsprechung wendet bei vollständig erfüllten Verträgen im Interesse der Rechtssicherheit § 157 BGB nur bei besonders schwerer, außergewöhnlicher Unzumutbarkeit an. Gerechtfertigt wird dies damit, dass die Entwicklung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung nach Abwicklung des Vertrages nur noch die Individualsphäre der Parteien berühre. Von vollständiger Erfüllung kann aber erst gesprochen werden, wenn sich nach erläuternder und ergänzender Auslegung des Vertrages ergibt, dass alle wechselseitigen Forderungen erfüllt sind. 6. Für die Verjährung von Leistungsansprüchen, die sich aus ergänzender Vertragsauslegung ergeben, gelten keine Besonderheiten; sie verjähren wie gleichartige Ansprüche, die aus erläuternder Auslegung des Vertrages abgeleitet sind, u. U. also erst lange Zeit nach Vertragsschluss, nachdem z. B. der Anspruch auf Rückübertragung wegen späteren Wegfalls des vereinbarten Übereignungszwecks oder der Anspruch aus einer zeitlich nicht begrenzten Besserungsklausel fällig geworden ist.
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Testamentarische Vorsorge für die persönlichen Belange pflegebedürftiger Angehöriger Inhaltsübersicht I. Sorgeverhältnisse unter Lebenden und die Legitimität der Sorge für Überlebende 1. Die Zurückhaltung des BGB gegenüber „immateriellen Interessen“ 2. Keine Herrschaft der Toten über die Lebenden II. Die Bedürfnislage eines Erblassers zur Vorsorge nach seinem Tode für Sorge-, Unterhalts- oder Betreuungsbedürftige 1. Die fehlende Nachwirkung des Familienrechts 2. Der Familienbezug der Vermögensnachfolge 3. Das Schweigen des BGB zur personalen Verantwortung über den Tod hinaus III. Reaktionen der Kautelarjurisprudenz am Beispiel des Behindertentestaments 1. Der Sachverhalt
2. Die sozialrechtliche Ausgangslage 3. Die „klassische Lösung“ 4. Auflagen und Testamentsvollstreckung zum Zweck persönlicher Vorsorge? IV. Erbrechtliche Instrumente personenbezogener Vorsorge 1. Verbindung der Testamentsvollstreckung mit einer Vorsorgevollmacht? 2. Möglichkeiten bei einem Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament 3. Mangelnde Eignung institutioneller Betreuer oder Vollstrecker 4. Die Dogmatik der Verknüpfungen 5. Die Subsidiarität der Betreuung 6. Vorsorge für persönliche Belange als Aufgabe der Kautelarjurisprudenz
I. Sorgeverhältnisse unter Lebenden und die Legitimität der Sorge für Überlebende 1. Die Zurückhaltung des BGB gegenüber „immateriellen Interessen“ Bürgerliches Recht ist nicht nur Vermögensrecht1. Aber die vielfach schon im römischen und gemeinen Recht entwickelten Figuren des geltenden deutschen
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1 Der folgende Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines am 8.12.2006 auf Einladung der Japan Adult Guardianship Law Association in Tokyo gehaltenen Vortrages. – Im 19. Jahrhundert war der Vermögensbezug bekanntlich für das Schuldrecht, immerhin den Kern des „Vermögensrechts“ auch im heutigen Verständnis, umstritten, vgl. H. Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. II, 19. Jahrhundert, 1989, S. 430 f. m. N. Bei der Formulierung des BGB war man sich jedoch einig, auf das Erfordernis eines Vermögenswertes für das wirksame Schuldverhältnis zu verzichten, W. Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines BGB, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1 AT, 1980, S. 13 ff.; Motive und Protokolle bei B. Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialien zum BGB, Bd. II Recht der Schuldverhältnisse, 1899, S. 13, 501.
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Privatrechts sind nicht alle gleich gut für die Verwirklichung materieller, also geldwerter, und immaterieller, also ideeller Zwecke geeignet2. Zuweilen hat der Gesetzgeber erst lange nach dem Inkrafttreten des BGB Verhältnisse, die durch ideelle Zwecke geprägt sind, ausdrücklich in seinen Regelungskanon aufgenommen und dann die Zuflucht zu Formeln eines „soft law“ genommen, weil sich solche Verhältnisse gegen eine vollständige Beschreibung durch das überkommene Regelungsmuster von Ansprüchen sperren3. So formuliert § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB: „Ehegatten … tragen füreinander Verantwortung.“ Im gleichen Sinne heißt es in § 1618a BGB: „Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.“ Solche Regelungen scheinen einerseits selbstverständliche Grundlagen von Ehe und Familie zu nennen; andererseits sind sie als Generalklauseln rechtspraktisch nur schwer zu konkretisieren: Weigert sich ein Ehegatte, die Verantwortung für den anderen zu tragen, mag dies ein Schritt auf dem Weg zur Trennung und Scheidung sein. Eine rechtlich wirksame Hilfe, die Übernahme der Verantwortung zu erzwingen, steht hingegen schon aus der Natur der Sache heraus nicht zur Verfügung. § 888 Abs. 3 ZPO dokumentiert dies gewissermaßen nur mit der Anordnung fehlender Vollstreckbarkeit eines auf die Solidarität gestützten prozessualen Anspruchs, und ohne Aussicht auf Vollstreckung erscheint auch schon die Erhebung der Klage wenig sinnvoll, so dass oft schon das Rechtsschutzbedürfnis für sie zu verneinen sein dürfte4. Ähnlich steht es mit der Solidarität zwischen den Generationen. Hier wirkt sich nicht nur die gleichsam „naturgegebene“ Widerstandskraft der Familie gegenüber der Verrechtlichung ihrer Innenbeziehungen aus. Mit guten Gründen ist auch vom Recht selbst die Schwelle für den Eingriff des Staates zur Wahrnehmung seines „Wächteramtes“ (wo es überhaupt vorgesehen ist) hoch gelegt5: Die Zuständigkeit des Familiengerichts zur Abwehr von Gefahren für minderjährige Kinder nach § 1666 BGB beginnt erst bei Missbrauch, Vernachlässigung oder Versagen und nur, wenn die Eltern zur Abwendung der Gefahr für das Kindeswohl „nicht gewillt oder nicht in der Lage sind.“ Sorge und Vorsorge für Andere sind dem BGB demnach nicht unbekannt. Aber das Gesetz behandelt sie doch in der Regel mit Zurückhaltung. Außerhalb der eben geschilderten familienrechtlichen Solidaritätsbeziehungen sind sie kaum zu finden, und selbst dort handelt es sich bei ihnen zum Teil eher um den Gegenstand wohlmeinender sozialethischer Grundsätze als „handfest“ ausführbarer Rechtsvorschriften6. Dies hat seinen tieferen Grund in der traditionellen
__________
2 Vgl. dazu die noch ungedruckte Tübinger Habilitationsschrift von R. Schaub zum Sponsoring-Vertrag. 3 Zu Anspruch und Einrede als Rückgrat der zivilrechtlichen (Lehr-)Methode D. Medicus, AcP 174 (1974), 313 ff. 4 D. Schwab, Familienrecht, 14. Aufl. 2006, Rz. 127. 5 Vgl. zu § 1666 BGB und zu dem die Verhältnismäßigkeit ausdrücklich fordernden § 1666a BGB BVerfGE 24, 119, 145; BVerfGE 60, 79, 89. 6 Aufschlussreich dazu die „Entmythologisierung“ der auf Josef Kohler zurückgehenden Fehldeutung der Geschäftsführung ohne Auftrag als „Menschenhilfe“ durch C. Wollschläger, Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1976, insbes. S. 28 ff.
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ethischen Grundlage des gesamten geltenden Zivilrechts: der Selbstbestimmung oder Autonomie des Einzelnen. Fürsorge für Andere oder gar deren Betreuung enthält immer ein Moment der Fremdbestimmung7. Deshalb scheint es auf Anhieb richtig, wenn der Gesetzgeber die private Fürsorge für andere vorsichtig behandelt. Diese Grundhaltung des Gesetzgebers zeigt sich verstärkt bei Rechtsverhältnissen nach dem Tode eines der Beteiligten. Wenn Fremdbestimmung im Privatrecht generell nicht wünschenswert und nur als Ausnahmeerscheinung hinzunehmen ist, gilt dies erst recht für die Fremdbestimmung durch einen schon Gestorbenen. Solche Fremdbestimmung ist selbst dann nicht ohne weiteres akzeptabel, wenn sie im Gewande der Fürsorge für die Überlebenden auftritt. Macht man sich dies klar, scheint das Thema des folgenden, meinem Bielefelder und Tübinger Fakultätskollegen Harm Peter Westermann gewidmeten Beitrages kaum weitere Überlegungen wert: Eine testamentarische Vorsorge für die persönlichen Belange eines Angehörigen scheint im System des deutschen Privatrechts nach der maßgeblichen Grundlage dieses Systems kein legitimes Anliegen zu sein. 2. Keine Herrschaft der Toten über die Lebenden In der Tat gibt es in Deutschland Rechtsprechung und eine ausgedehnte literarische Diskussion um die illegitime Herrschaft des verstorbenen Erblassers über die Lebenden. Ihr Ausgangspunkt ist das Recht des Erblassers, testamentarische Zuwendungen unter eine Bedingung zu stellen8. In §§ 2074, 2075 BGB ist die Zulässigkeit einer solchen Gestaltung vorausgesetzt. Zu den dort genannten Bedingungen gehören auch die Potestativbedingungen, also Umstände und Verhaltensweisen, die der potentielle Empfänger der Zuwendung nach eigenem Willen gestalten, herbeiführen oder verhindern kann9. Unzulässig sind nach richtiger Ansicht derartige Bedingungen für letztwillige Zuwendungen dann, wenn der Erblasser durch die Bedingung Angehörigen, deren Lebensgestaltung er mitgeprägt hat, „eine selbstbestimmte Lebensführung nur unter Inkaufnahme gravierender wirtschaftlicher Nachteile gewähren
__________ 7 Vgl. hierzu nur die grundlegende Monographie von V. Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, 2000, passim, sowie zur Ambivalenz speziell der rechtlichen Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB als „Eingriff und Leistung“ Bienwald in Staudinger, BGB, Bearb. 2006, § 1896 BGB Rz. 3 ff. 8 Vgl. zur Bedingung als erbrechtliches Instrument MünchKomm/Westermann, BGB, 5. Aufl. 2006, § 162 Rz. 2, 3, 15 u.ö.; ausführlich zu Bedingungen hinsichtlich des Verhaltens oder der Lebensführung von Bedachten in letztwilligen Verfügungen Otte in Staudinger, BGB, Bearb. 2002, § 2074 BGB Rz. 30 ff. m.zahlr.N. sowie Rz. 34 ff. (Beurteilungskriterien). 9 Strukturell gleich liegen Klauseln, die eine erbrechtliche Stellung schon zum Zeitpunkt des Erbfalls von der Erfüllung „potestativer“ Voraussetzungen abhängig machen, wie im Fall „Hohenzollern“ die Ebenbürtigkeitsklausel, vgl. einerseits BGHZ 140, 118 ff. und andererseits den aufhebenden Kammerbeschluss des BVerfG, NJW 2004, 2008 ff.
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will“10. Ein Beispiel hierfür aus der älteren Rechtsprechung des BGH11 ist der Fall einer Erbeinsetzung unter der Bedingung, dass sich der eingesetzte Abkömmling scheiden lässt. Einige Stimmen in der Literatur gehen so weit, sogar jede Bedingung für unzulässig zu halten, die ein Verhalten in der Privatsphäre des Bedachten betrifft12. Diese Auffassung mag gegenüber Bedingungen in Testamenten zu streng sein13. Sie zeigt aber, auf welche ausgeprägte Animosität der Versuch des Erblassers stößt, mit seiner Verfügung andere als wirtschaftliche Ziele zu verfolgen.
II. Die Bedürfnislage eines Erblassers zur Vorsorge nach seinem Tode für Sorge-, Unterhalts- oder Betreuungsbedürftige Für unser Thema der Vorsorge zugunsten der Person eines Angehörigen scheint hiernach folgende typische Gegenüberstellung nahe zu liegen: Personelle Fürsorgebeziehungen zwischen zwei Personen sind Gegenstand des Familienrechts. Das Erbrecht hingegen dient ausschließlich der Weitergabe von Vermögenswerten14. Zur Perpetuierung familienrechtlicher Fürsorge über den Tod des Verpflichteten hinaus scheint das Erbrecht wenig oder gar nicht geeignet zu sein. Die Weitergabe des Vermögens mit einer Einwirkung auf die Person des Hinterbliebenen zu verknüpfen, erweckt sogar den Verdacht einer missbräuchlichen und daher unzulässigen Verwendung erbrechtlicher Mittel. 1. Die fehlende Nachwirkung des Familienrechts Dieser erste Eindruck wird durch die familienrechtlichen Regelungen noch vertieft: Das wichtigste familiäre Sorgeverhältnis, die elterliche Sorge, ist gleichsam abgeschottet gegen das Erbrecht. Beim Tod der Eltern haben diese zwar das Recht, durch letztwillige Verfügung den Vormund zu benennen (§ 1777 Abs. 3 BGB) oder jemanden ausdrücklich von der Vormundschaft auszuschließen (§ 1782 BGB). Auch die Ergänzung der Vormundschaft durch einen Gegenvormund ist möglich (§ 1792). Den Inhalt der vormundschaftlichen Tätigkeit bestimmen jedoch ausschließlich die gesetzlichen Regelungen und deren Anwendung durch das Vormundschaftsgericht. Anordnungen über die Art der Sorgeausübung durch den Vormund oder gar dessen Benennung unter der
__________ 10 So die treffende Formel von Otte in Staudinger (Fn. 8), § 2074 BGB Rz. 31a. 11 JZ 1956, 279 = FamRZ 1956, 130. Ausführlich dazu (mit berechtigter Kritik) J. P. Meincke in FS Kaser, 1976, S. 437 ff. 12 B. Keuk, FamRZ 1972, 9, 13 ff.; W. Schlüter, Erbrecht, 15. Aufl. 2004, Rz. 208. 13 Ablehnend dazu u. a. Otte in Staudinger (Fn. 8), § 2074 BGB Rz. 32; zur Ablehnung neigend wohl auch Sack in Staudinger, BGB, Bearb. 2003, § 138 BGB Rz. 437. 14 Zu den Auflockerungen, die sich aus einem weiten erbrechtlichen „Vermögensbegriff“ ergeben, Marotzke in Staudinger, BGB, Bearb. 1999, § 1922 BGB Rz. 113, 115 und – zu besonderen Rechtspositionen – 117 ff. – Zur partiellen Inkompatibilität von Erb- und Familienrecht G. Schiemann in FS D. Schwab, 2005, S. 549.
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Bedingung persönlichen Wohlverhaltens sind nicht vorgesehen und daher auch nicht zulässig15. Im gleichsam umgekehrten Fall des Todes des Kindes ist das Ende der Sorgerechtsbeziehung so selbstverständlich, dass das Gesetz es gar nicht ausdrücklich bestimmt. Nur wenn die Erben nach dem Tod des Kindes nicht die Möglichkeit haben, ihre Interessen wahrzunehmen, haben die Eltern nach § 1698b BGB eine Art Notgeschäftsführungsbefugnis. Sie dient aber gerade nicht dem Kind, z. B. der Wahrung seiner postmortalen Persönlichkeitsrechte16. Vielmehr handelt es sich um eine reine Vermögensfürsorge. Dasselbe wie für die elterliche Sorge gilt für die Unterhaltsbeziehung zwischen Verwandten. Sie endet nach § 1615 Abs. 1 BGB mit dem Tode des Unterhaltspflichtigen ebenso wie des Unterhaltsberechtigten17. In gleicher Weise ist nach § 1360a Abs. 3 BGB die Unterhaltsbeziehung zwischen Ehegatten geregelt. Nur für den Unterhalt nach der Scheidung sieht § 1586b BGB etwas anderes vor: Beim Tode des Verpflichteten wird aus der Unterhaltspflicht eine Nachlassverbindlichkeit, die jedoch durch den Betrag des hypothetischen Pflichtteils des überlebenden Ehegatten nach §§ 1931, 2303 Abs. 2 BGB beschränkt ist. Für die Berechnung des Pflichtteils sind dann nach § 1586b Abs. 2 BGB die Pflichtteilserhöhungen nach § 1931 Abs. 3 und 4 BGB wegen des Güterstandes der früheren Eheleute nicht anzuwenden. 2. Der Familienbezug der Vermögensnachfolge Mit dem Erbfall reduziert sich die personelle Beziehung, die unter Lebenden bestand, nach dem Gesetz auf eine reine Vermögensbeziehung18. Folgerichtig ist daher die testamentarische Regelung immer nur eine Regelung der Vermögensnachfolge. Dies enthält freilich insofern sehr erhebliche Möglichkeiten, für überlebende Angehörige vorzusorgen, als nun einmal die Ausstattung mit Vermögen eine besonders wichtige Seite der persönlichen Beziehung ist. Gerade die persönliche Fürsorge bedarf der finanziellen Grundlage. Dies wird unterstützt durch die Regelung der gesetzlichen Erbfolge, die überwiegend solchen Personen zugute kommt, zu denen unter Lebenden mindestens irgend-
__________ 15 Davon zu unterscheiden ist das Recht und u. U. auch die Pflicht des Vormundschaftsgerichts, einen Vormund wegen seines Verhaltens zu entlassen, vgl. hier nur Holzhauer in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1777 BGB Rz. 4, 5. 16 Vgl. Coester in Staudinger, BGB, Bearb. 2005, § 1689b BGB Rz. 1, zur Totenfürsorge durch die nächsten Familienangehörigen Peschel-Gutzeit in Staudinger, Bearb. 2002, § 1626 BGB Rz. 59 Nr. 15. 17 Stirbt der Verpflichtete, ist dies keineswegs selbstverständlich, Hammermann in Erman (Fn. 15), § 1615 BGB Rz. 4. Anders war es z. B. bis zum 30.6.1970 hinsichtlich des Unterhaltsanspruchs des (damals sog.) unehelichen Kindes. Der Wegfall dieser Regelung wurde durch den bis zum 30.6.1998 geltenden Erbersatzanspruch und die Pflichtteilsberechtigung des Kindes kompensiert. 18 Dazu, dass der Vermögensbegriff in § 1922 BGB umfassender zu verstehen ist als nach allgemeinem Vermögensbegriff, aber Marotzke in Staudinger (Fn. 14), § 1922 BGB Rz. 113 und zur Frage der Rechtsnachfolge bei Persönlichkeitsrechten einschließlich des eigenen Körpers Rz. 117 ff.
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wann eine Unterhaltsbeziehung bestand, und gerade für diese Personen ist sogar bei Enterbung noch ein Pflichtteil vorgesehen19. 3. Das Schweigen des BGB zur personalen Verantwortung über den Tod hinaus Vor allem im Verhältnis zu den nächsten Angehörigen, z. B. zum überlebenden Ehepartner oder einem Abkömmling, genügt der geschilderte Charakter des Erbrechts den Wünschen und Sorgen potentieller Erblasser nicht. Sie möchten über die rein finanzielle Ausstattung hinaus etwas von der personalen Verantwortung und von dem seelischen und kommunikativen Beistand weiter tragen, die das Familienrecht unter Eheleuten (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB) und zwischen Eltern und Kindern (§ 1618a BGB) postuliert. Sie möchten vielleicht eine dritte Person, der sie vertrauen, gleichsam in Vertretung für sich selbst dazu verpflichten, etwas von der personalen Fürsorge, die sie zu ihren Lebzeiten leisten oder bei längerer Lebenszeit auf sich zukommen sehen, zu übernehmen. Das BGB schweigt zu diesem Bedürfnis.
III. Reaktionen der Kautelarjurisprudenz am Beispiel des Behindertentestaments Anstelle gesetzlicher Vorgaben scheint wenigstens in einem besonders wichtigen Bereich die Kautelarjurisprudenz diese Lücke des Erbrechts geschlossen zu haben: Mit viel Fantasie und großer Umsicht sind in den letzten zwei Jahrzehnten Modelle für ein „Behindertentestament“ entwickelt worden20. Die Rechtsprechung hat die zunächst gefundene „Standardlösung“ wiederholt akzeptiert und hierbei einen Gesichtspunkt betont, der den eben genannten Überlegungen der Erblasser nahe kommt: Das „Behindertentestament“ wird dann für unbedenklich gehalten, wenn seine Verwirklichung zu einer Verbesserung der Lebensqualität des Behinderten führt21. 1. Der Sachverhalt Die typische Situation, in der Erblasser ein „Behindertentestament“ errichten wollen, lässt sich folgendermaßen beschreiben22: Die Eltern oder ein Elternteil eines behinderten Kindes möchten durch die erbrechtliche Gestaltung die Versorgung dieses Nachkommen nach ihrem Tode sicherstellen. Sie werden also
__________ 19 Hiermit soll freilich nicht gesagt sein, dass die Pflichtteilsberechtigung ihrerseits unterhaltsrechtlich legitimiert sei oder werden sollte, vgl. Otte, AcP 202 (2002), 350 f. und schon Schiemann in FS D. Schwab, 2005, S. 550 f., beide m. N. (auch zur Gegenansicht). 20 Grundlegend M. Bengel, ZEV 1994, 29 ff.; ausführliche Darstellung etwa bei H. Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, 2. Aufl. 2000, Rz. 1048. 21 BGHZ 111, 36, 40 ff.; BGHZ 123, 368, 374 ff. 22 Moderne und differenzierte Darstellung von J. Mayer in Mayer/Bonefeld/Wälzholz/ Weidlich, Testamentsvollstreckung, 2. Aufl. 2005, Rz. 583 ff.
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in erster Linie überlegen, diesen Nachkommen erbrechtlich bevorzugt zu bedenken. Zudem sind sie sich darüber im Klaren, dass der Nachkomme voraussichtlich des persönlichen Beistandes bedarf. Deshalb sind sie aufgeschlossen dafür, den als Erben eingesetzten Nachkommen mit einer Testamentsvollstreckung zu unterstützen oder zu belasten. Eine ähnliche Lage kann sich gegenüber dem Ehegatten (auch dem gleichgeschlechtlichen Partner) oder sogar gegenüber einem eigenen Elternteil ergeben: Der Erblasser oder die Erblasserin hat z. B. einen Angehörigen der älteren Generation gepflegt und dadurch dessen Heimunterbringung wie auch die Einsetzung eines Betreuers vermieden. Für den Fall des eigenen Todes soll die Versorgung dann wenigstens finanziell dadurch einigermaßen abgesichert sein, dass die pflegebedürftige Person erbrechtlich bevorzugt wird. Im Verhältnis zu einem Ehegatten kann gleichfalls eine derartige Bedürftigkeit schon zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bestehen. Hier besonders wird der Erblasser aber auch daran denken, dass der überlebende Partner vielleicht erst später einmal zum Pflege- und Betreuungsfall wird. Auch dafür soll erbrechtlich vorgesorgt werden. 2. Die sozialrechtliche Ausgangslage Ohne erbrechtliche Beratung kann eine Gestaltung gemäß dieser Motivationslage zu einer bösen Überraschung führen, wenn der Erblasser gestorben ist und der Bedachte wegen seiner Pflegebedürftigkeit Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt23. Wenn der behinderte Erbe etwas aus dem Nachlass erhält, gilt sozialhilferechtlich das Nachrangprinzip (§ 2 Abs. 1 SGB XII), wonach Sozialhilfe nicht bekommt, wer sich selbst helfen oder die erforderliche Hilfe von anderen beanspruchen kann. Der Leistungsberechtigte muss sein eigenes Vermögen und Einkommen im gesetzlich festgelegten Umfang einsetzen (§§ 85–91 SGB XII). Mit Ausnahme des in § 90 Abs. 2 SGB XII näher festgelegten sog. Schonvermögens gilt dies für das gesamte verwertbare Vermögen. Vom Bestand des Bargeldes verbleibt ihm nur der sog. „Notgroschen“ nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Die Leistung der Kautelarjurisprudenz besteht nun vor allem darin, Gestaltungen entwickelt zu haben, mit deren Hilfe vermieden wird, dass der Bedachte wegen der an ihn fließenden erbrechtlichen Zuwendungen den Anspruch auf Sozialleistungen verliert oder gar nicht erst erwirbt24. Hierbei ist noch zu beachten, dass die Sozialhilfe nach § 91 SGB XII auch in der Form eines Darlehens gewährt werden kann, falls der sofortige Verbrauch oder die Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder aber für den Betroffenen eine Härte darstellen würde. Auf das Erbe, das dem Behinderten angefallen ist, kann der Sozialhilfeträger ohnehin zugreifen. Aber auch wenn ein behindertes Kind auf den Pflichtteil verwiesen wird, kann der Sozialhilfe-
__________ 23 Überblick über die sozialrechtlichen Grundlagen bei J. Mayer (Fn. 22). 24 Vgl. dazu bereits Fn. 20, 22.
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träger nach dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe den Pflichtteilsanspruch auf sich überleiten25. 3. Die „klassische Lösung“ Die „klassische Lösung“ des Problems sieht in groben Zügen folgendermaßen aus: Das behinderte Kind wird in Höhe eines Erbteils, der mindestens geringfügig über dem gesetzlichen Pflichtteil liegen muss, zum nicht befreiten Vorerben eingesetzt und für diesen Erbteil wird ein Testamentsvollstrecker bestellt. Mehr als der Pflichtteil muss deshalb zugewendet werden, weil sonst die Einsetzung eines Nacherben sowie die Testamentsvollstreckung nach § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB wegfällt. Bei einem Erbteil (oder nach anderen Vorschlägen26 einem Vermächtnis) über dem Wert des Pflichtteils bliebe dem Berechtigten hingegen nur die Ausschlagungsmöglichkeit nach § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB oder bei Zuwendung eines Vermächtnisses nach § 2307 Abs. 1 Satz 1 BGB; und das Ausschlagungsrecht geht nach h. M.27 nicht auf den Sozialhilfeträger über. Mit der Erbeinsetzung wird somit erreicht, dass der ererbte Nachlassanteil vom Kind jedenfalls nicht vollständig verwertet und daher auch nicht im sozialhilferechtlichen Sinne eingesetzt werden kann. Als Nacherben werden die Abkömmlinge des behinderten Kindes, falls keine vorhanden, seine Geschwister oder andere Verwandte eingesetzt. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. Der oder die Nacherben sind Rechtsnachfolger des ursprünglichen Erblassers, nicht des Vorerben. Dadurch wird erreicht, dass die Sozialbehörden auch nicht nach dem Tode des Behinderten auf den Nachlass zugreifen können, was ihnen gegenüber Erben des Leistungsempfängers nach § 102 SGB XII möglich wäre28. Welch schwierige Überlegungen hier anzustellen sind, zeigt folgende Erwägung: Bei Vorhandensein eines behinderten Abkömmlings wird der Erblasser auch an den überlebenden Ehegatten denken. Ihm wird der Erblasser eine möglichst vollständige Verfügungsfreiheit über das gemeinsame Vermögen sichern wollen. Dies könnte der Anlass sein, das behinderte Kind seinerseits nur als ersten Nacherben nach dem Tod des überlebenden Partners einzusetzen und zugleich als Vorerben vor weiteren (Nach-)Erben29. Hierdurch würde aber ein starker Druck auf den Betreuer des Behinderten entstehen, dessen Erbschaft auszu-
__________ 25 Der BGH (FamRZ 2005, 448 = NJW-RR 2006, 223) verhilft dem Träger der Sozialhilfe zur Durchsetzung des Anspruchs auf indirektem Wege: Haben die Erblasser eine Strafklausel für den Fall der Erhebung des (ersten) Pflichtteilsanspruchs angeordnet, soll diese nicht gelten, wenn der Sozialhilfeträger und nicht der Pflichtteilsberechtigte selbst den Anspruch geltend macht; vgl. kritisch dazu Muscheler, ZEV 2005, 119. 26 Dazu J. Mayer (Fn. 22), Rz. 601 ff. m. Nachw. 27 Edenhofer in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 2306 BGB Rz. 9 m. N.; Haas in Staudinger, Bearb. 2006, § 2317 BGB Rz. 48 f.; offen gelassen vom BGH (oben Fn. 25). 28 Vgl. noch zur Vorgängervorschrift § 92c BSHG Marotzke in Staudinger (Fn. 14), § 1922 BGB Rz. 364. 29 So Litzenburger, RheinNotZ 2004, 138, 146.
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schlagen, um den Pflichtteil geltend machen zu können30. Hat, wie es typischerweise der Fall ist, der überlebende Ehegatte die weitgehende Verfügungsmacht des befreiten Vorerben und zudem noch eine lange Lebenserwartung, bleibt dem Behinderten wenig Hoffnung auf den Erwerb eines werthaltigen Nachlasses nach Eintritt des Nacherbfalls. Schlägt der Betreuer des Behinderten nicht aus und verlangt er nicht den Pflichtteil, trägt er daher ein erhebliches Haftungsrisiko. Inhaber eines etwaigen Haftungsanspruchs ist der Behinderte. Aber sein Anspruch wird nach § 93 SGB XII wiederum auf den Sozialhilfeträger übergeleitet31. Als „normalem“ Vorerben stehen dem Behinderten die Erträge aus dem Nachlass zu. Zudem ist der Vorerbe über die Substanz der Erbschaft, abgesehen von Grundstücksgeschäften und Schenkungen, verfügungsbefugt nach §§ 2112, 2113 BGB. Sowohl die Vorerbschaft selbst als auch die Erträge könnte mindestens teilweise die Sozialbehörde demnach trotz Anordnung der Vorerbschaft abschöpfen. Den sinnvollen Interessenausgleich zwischen der Sozialbehörde und dem Behinderten bewirkt die schon erwähnte Einsetzung eines Testamentsvollstreckers mit einer ausführlichen Verwaltungsanordnung nach § 2216 Abs. 2 Satz 1 BGB32. Denn über Vermögen, das der Testamentsvollstreckung unterliegt, kann der Erbe nach § 2211 Abs. 1 BGB überhaupt nicht verfügen, und auch die Gläubiger des Erben können nach § 2214 BGB darauf nicht zugreifen. Die Auszahlung der laufenden Erträge gerade so, dass die „Schonleistungen“ für den Behinderten ausgeschöpft werden, muss in der Verwaltungsanordnung geregelt werden. Im Übrigen wird man den Erbteil des behinderten Vorerben möglichst so wählen, dass die voraussichtlichen Erträge nicht zu weit über die „Schonbeträge“ hinausgehen. 4. Auflagen und Testamentsvollstreckung zum Zweck persönlicher Vorsorge? Als wichtigstes Anliegen der Kautelarjurisprudenz bei der testamentarischen Vorsorge für Behinderte erweist sich nach alledem die Bewahrung des Nachlasses vor dem Zugriff der Sozialbehörden33. Dieses Ziel mag – wie in anderen Zusammenhängen die Ersparnis von Steuern – legitim sein34. Die Fantasie bei
__________ 30 Ebenso J. Mayer (Fn. 22), Rz. 589. – Die „Zuständigkeit“ des Betreuers für die Ausschlagung ist in der Verweisung des § 1908i BGB auf § 1822 Nr. 2 BGB vorausgesetzt. Konkrete Umschreibungen der Betreuerpflichten hat der Gesetzgeber unterlassen, vgl. die Kritik hieran (für die Vermögenssorge) bei Bienwald in Staudinger (Fn. 7), § 1908i BGB Rz. 4. Solche Pflichten sind zur Ausfüllung der Haftungsgrundlage nach §§ 1908i, 1833 BGB von der Rechtsprechung zu entwickeln. Im Ergebnis wird man die im obigen Text angegebene Leitlinie kaum bezweifeln können. 31 Der Übergang nach § 116 SGB X scheitert allerdings daran, dass der Anspruch gegen den Vormund (oder den Betreuer) mit der Sozialleistung nicht kongruent ist, vgl. zu diesem Erfordernis Lange in Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 11 C II 6. U. a. zur Schließung dieser Lücke im Lichte des Nachrangprinzips ist § 93 Abs. 1 SGB XII weiter gefasst als § 116 SGB X. 32 Gutes Beispiel hierfür bei J. Mayer (Fn. 22), Rz. 600. 33 So deutlich z. B. D. Weidlich, ZEV 2001, 94 ff. 34 Vgl. nur Otte in Staudinger (Fn. 8), Vorbem. zu §§ 2064 ff. Rz. 174.
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der Gestaltung letztwilliger Verfügungen hierauf zu konzentrieren, erscheint aber kaum sachgerecht. Primär geht es den Erblassern darum, für versorgungsbedürftige Angehörige eine möglichst angemessene Regelung zu finden35. Erst wenn hierfür eine Lösung gefunden ist, stellt sich die Frage, ob die beabsichtigte Zuwendung an den versorgungsbedürftigen Angehörigen möglicherweise die wirtschaftliche Situation des Zuwendungsempfängers gar nicht verbessert, stattdessen aber anderen Angehörigen einen möglichen Vermögensvorteil nimmt. Die Lösungen zur Vermeidung einer Nachlassbeteiligung der Sozialbehörden sind so kompliziert36, dass die Überlegungen der Rechtsberater ganz von diesen Lösungen dominiert werden. Dadurch vernachlässigen sie wesentliche Teile dessen, was den Erblassern am Herzen liegt. Deren Sorge gilt nämlich nicht nur der materiellen Ausstattung, sondern mindestens so sehr auch der tatsächlichen Betreuung des Vermögensempfängers nach dem eigenen Tod. Überlegungen zur rechtlichen Gestaltung dieses Anliegens werden aber kaum jemals angestellt. Es scheint, dafür bleibt der Kautelarjurisprudenz nach allen Anstrengungen für das sozialrechtlich „unschädliche“ Behindertentestament kein Potential mehr übrig. Weitere Gründe mögen die Abstinenz der Kautelarjurisprudenz gegenüber den personenrechtlichen Anliegen der Erblasser mitbestimmen: Erbrecht dient nun einmal in Deutschland – wie wohl überall37 – nur der Nachfolge in das Vermögen. Dies ergibt sich schon aus der wichtigsten erbrechtlichen Norm, der Eingangsvorschrift des Fünften Buches des BGB: Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht das Vermögen auf die Erben über. Von etwas anderem als dem Vermögen scheint also im deutschen Recht bei der Regelung von Rechtsverhältnissen nach dem Tode von vornherein gar keine Rede zu sein38. Bei näherer Untersuchung lässt sich dieser Eindruck jedoch mindestens relativieren. So stellt das BGB dem Erblasser immerhin mit der Auflage ein Instrument zur Verfügung, das nicht nur für vermögensrechtliche Zwecke eingesetzt werden kann39. Auch die schon erwähnte Rechtsfigur der Bedingung kann – vorsichtig gehandhabt – dazu verwendet werden, ein nicht (nur) vermögensmäßig bestimmtes Verhalten zu steuern oder sogar herbeizuführen. Zweifelsfrei kann der Erblasser einen Testamentsvollstrecker mit der Aufgabe betrauen, die Herbeiführung oder die Verhinderung des Bedingungseintritts zu
__________ 35 Darauf stellt auch der BGH (oben Fn. 21) entscheidend zur Legitimation des „Behindertentestamentes“ ab. 36 Sie sind auch bei keiner Gestaltungsvariante ohne jedes Risiko, vgl. J. Mayer (Fn. 22), Rz. 593 ff., 608 f. 37 Vgl. zur „Verstaatlichung“ der piae causae des Mittelalters und der frühen Neuzeit und zu ihrer Entwicklung in Richtung der „gemeinnützigen Stiftung“ H. Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. I Älteres Gemeines Recht, 1985, S. 593 ff., Bd II (oben Fn. 1), S. 612. 38 Zu den „anderen Regeln“ für den Körper und die Persönlichkeitsrechte des Erblassers nach dem Tode Marotzke in Staudinger (Fn. 14), § 1922 BGB Rz. 117 ff. 39 Überblick über die nicht vermögensrechtliche Bedeutung der Auflage bei Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich (PWW), BGB, 2. Aufl. 2007, § 2192 BGB Rz. 1 ff.; J. Mayer in AnwaltKomm., BGB, 2. Aufl. 2007, vor § 2192 BGB Rz. 8 ff.
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überwachen (je nachdem, ob mit einer aufschiebenden oder – im allgemeinen besser geeignet – einer auflösenden Bedingung gearbeitet wird40). Ferner kann es zu den Pflichten des Testamentsvollstreckers gehören, für die Vollziehung von Auflagen zu sorgen. Dies ergibt sich ohne weiteres aus § 2203 BGB, wonach der Testamentsvollstrecker die letztwilligen Verfügungen des Erblassers auszuführen hat41. Obendrein zeigt die Vorschrift des § 2205 Satz 3 BGB, die dem Testamentsvollstrecker unentgeltliche Verfügungen regelmäßig verbietet, dass der Testamentsvollstrecker immerhin durchaus rein sittliche Pflichten sogar unentgeltlich erfüllen kann und auf den „Anstand“ Rücksicht nehmen soll. Dies gilt keineswegs nur für die dort erwähnten Schenkungen, sondern kann für die Aufgabenbeschreibung des Testamentsvollstreckers verallgemeinert werden42. Die vielleicht wichtigste Regelungsbefugnis des Erblassers gegenüber dem Testamentsvollstrecker ist freilich auf „den Nachlass“ bezogen, also auf die vermögensrechtliche Seite dessen, was der Erblasser nach seinem Tode festlegen will: Die Verwaltungsanordnungen des Erblassers nach § 2216 Abs. 2 BGB spezifizieren die Vollstreckertätigkeit des § 2216 Abs. 1 BGB, und die dort niedergelegte „ordnungsgemäße Verwaltung“ dient allein dem Nachlass43. Dennoch sollte die Kautelarjurisprudenz auch an dieser Grenze nicht resignieren. An einer anderen – m. E. sogar nicht einmal mehr überall ernsthaft bestehenden44 – Grenze der Testamentsvollstreckerbefugnisse hat sich die Beratungspraxis bekanntlich verschiedene Ersatzkonstruktionen einfallen lassen: bei der Fortführung eines Einzelunternehmens oder der Verwaltung des Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters. Nach der früheren, bis heute allerdings nicht ausdrücklich aufgegebenen Rechtsprechung45 sollte die entsprechende Testamentsvollstreckertätigkeit daran scheitern, dass der Testamentsvollstrecker nach § 2206 Abs. 1 Satz 1 BGB nur „den Nachlass“ verpflichten kann. Dies aber sollte mit dem Handeln als persönlich haftender Einzelunternehmer oder Gesellschafter in unüberbrückbarem Widerspruch stehen. Die Kautelarjurisprudenz hat deshalb Auswege gefunden, etwa durch eine Vollmacht der Erben an den Testamentsvollstrecker zu deren persönlicher Verpflichtung oder die Übernahme einer treuhänderischen Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker selbst46. Diesem Vorgang entsprechend soll-
__________ 40 Otte in Staudinger (Fn. 8), § 2065 Rz. 11; Beck in AnwaltKomm. (Fn. 39), § 2065 BGB Rz. 30, beide m. N. 41 Schiemann in PWW (Fn. 39), § 2194 BGB Rz. 1 a. E. 42 Generell zur Wahrnehmung „ideeller Interessen“ durch den Testamentsvollstrecker Reimann in Staudinger, Bearb. 2003, § 2203 BGB Rz. 36 m. N. 43 Weidlich in AnwaltKomm. (Fn. 39), § 2216 BGB Rz. 2; ähnlich Reimann in Staudinger (Fn. 42), § 2216 BGB Rz. 5. Zur Berücksichtigung ideeller Interessen des Erblassers durch den Testamentsvollstrecker als „nicht originäre Aufgabe“ außer Fn. 42 aber auch BGH, FamRZ 1992, 657; Reimann a. a. O., Vorbem. zu §§ 2197 ff. BGB Rz. 5. 44 Dazu genauer Schiemann in FS Medicus, 1999, S. 513 ff. 45 RGZ 132, 138, 144. 46 Überblick dazu: Schiemann in PWW (Fn. 39), vor § 2197 BGB Rz. 3 ff.; Weidlich in AnwaltKomm. (Fn. 39), § 2205 BGB Rz. 34 ff.
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te es möglich sein, für den Testamentsvollstrecker auch im Bereich der Sorge für Angehörige Lösungen jenseits der Grenze der „Vermögensorientierung“ des Testamentsvollstreckungsrechts zu finden.
IV. Erbrechtliche Instrumente personenbezogener Vorsorge 1. Verbindung der Testamentsvollstreckung mit einer Vorsorgevollmacht? Man könnte dem Vorschlag, der hier zu unterbreiten ist, sogleich Folgendes entgegen halten: Die rechtliche Institution zur Personensorge für Erwachsene sei die Betreuung, und diese familienrechtliche Einrichtung habe nichts mit dem Erbrecht und der Testamentsvollstreckung zu tun. Soweit hiermit der vom Vormundschaftsgericht nach § 1897 Abs. 1 BGB zu bestellende rechtliche Betreuer mit den Aufgaben nach §§ 1896, 1901 ff. BGB gemeint wäre, träfe ein solcher Einwand gewiss ohne weiteres zu. Die Betreuung ist jedoch nach § 1896 Abs. 2 BGB subsidiär gegenüber privatautonomen Gestaltungen durch den potentiell zu Betreuenden selbst. Zudem gibt es Pflege- und Fürsorgebedürfnisse unterhalb der Schwelle, oberhalb deren eine rechtliche Betreuung erforderlich wird. Für beide Fälle ist eine Vorsorge sehr sinnvoll47. Sie betrifft keineswegs nur den Einsatz von Vermögenswerten, sondern sogar in erster Linie Entscheidungen und Entscheidungsmöglichkeiten für den persönlichen Bereich48: tatsächliche Versorgung wegen Alters oder Krankheit, Hilfe bei der Wahl einer passenden Wohnung, eines geeigneten Altenheims oder einer ambulanten Pflegeeinrichtung, Unterstützung bei der Aufrechterhaltung und Begründung sozialer Kontakte, Entscheidungen über die Art ärztlicher Behandlung bei Demenz oder Gehirninfarkt49 und vieles mehr. Es geht also um alles, was Gegenstand einer Vorsorgevollmacht, auch einer Patientenverfügung oder eines „Patiententestamentes“ sein kann; es geht aber auch um viele tatsächliche Leistungen für eine adäquate Lebensqualität. Entscheidungen über solche Fragen scheinen freilich, wenn kein Betreuer bestellt worden ist, ausschließlich in die Zuständigkeit des (potentiell) zu Betreuenden und zu Versorgenden selbst zu fallen und schon deshalb nichts mit der letztwilligen Verfügung eines Ehegatten (für den anderen) oder z. B. einer Tochter für die alte Mutter oder der Eltern für ein volljähriges behindertes Kind zu tun zu haben. Daher ist auch die Vorsorge für solche Fälle durch
__________ 47 Muster einer solchen „Vorsorgevollmacht“ z. B. bei M. Winkler, Vorsorgeverfügungen, 2. Aufl. 2005, darin § 2 Abs. 2 ausführlich zur Personensorge. Ausführlich zur Vorsorgevollmacht Bienwald in Staudinger (Fn. 7), § 1896 BGB Rz. 115 ff. 48 Gerade für solche Entscheidungen hat der Gesetzgeber des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes zum 1.1.1999 in §§ 1904 Abs. 2, 1906 Abs. 5 BGB die Vorsorgevollmacht in den Gesetzestext aufgenommen, allerdings in den geregelten Sonderfällen zugleich mit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung verknüpft. 49 Vgl. zur kaum noch überschaubaren Diskussion um Patientenverfügungen und den autonomen Gestaltungsspielraum für die letzte Lebensphase hier nur T. Verrel, Gutachten zum 66. Dt. Juristentag 2006, S. C 47 ff.
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eine Vollmacht zunächst allein Sache des Sorgebedürftigen50. Es dabei bewenden zu lassen, ist jedoch nur dann richtig, wenn man solche Fragen rechtlich isoliert und ohne Beachtung des Lebenszusammenhanges behandelt. Praktisch wird es dem potentiellen Erblasser oft genug darauf ankommen, neben seinen Vermögensangelegenheiten auch sein besonderes Vorsorgeanliegen für einen Angehörigen zu regeln. Die Auskunft, dafür gebe es kein rechtliches Instrument, oder sogar, dafür sei er – der Erblasser – gar nicht zuständig, wird den Ratsuchenden nicht befriedigen. 2. Möglichkeiten bei einem Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament Als Hilfe bietet sich an, den zu Versorgenden selbst am Zustandekommen der Regelung durch den Erblasser mit einer eigenen Regelung zu beteiligen. Wenn der potentielle Erblasser oder die potentielle Erblasserin im Hinblick auf sein oder ihr Versorgungsanliegen eine „Gesamtlösung“ erreichen will, sollten die Elemente, die erbrechtlich gestaltet werden können, mit den Elementen verbunden werden, die nur durch den möglicherweise (oder voraussichtlich) einmal zu Versorgenden festgelegt werden können. Dafür bietet sich die Wahl eines Vertrages an. Allerdings kann sich ein potentieller Erblasser nicht vertraglich zu einer letztwilligen Verfügung verpflichten, § 2302 BGB. Aber er kann diese Verfügung unmittelbar in die Form eines Vertrages gießen, indem er einen Erbvertrag mit dem zu Versorgenden schließt51. Dadurch wird die vermögensrechtliche Seite der Vorsorge als Erbeinsetzung, Vermächtnis oder Auflage bindend. Dies gibt demjenigen, der versorgt werden soll, die Sicherheit für die von ihm zu erteilende Vorsorgevollmacht. Diese Sicherheit ist weniger juristischer als psychologischer Art. Denn die Vollmacht könnte durchaus ohne die Aussicht auf die Vermögensausstattung erteilt werden. Aber durch die Gleichzeitigkeit von Erbeinsetzung und Vorsorgevollmacht wird der Gesamtcharakter der gewünschten Regelungen deutlich52: Der möglicherweise zu versorgende Teil erkennt die Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit des Versorgungsanliegens beim potentiellen Erblasser und wird dadurch regelmäßig geneigt sein, auch selbst zur Regelung durch die Vorsorgevollmacht beizutragen. Wenn beide Einzelregelungen – erbvertragliche Zuwendung und Vorsorgevollmacht des Zuwendungsempfängers – auf solche Weise miteinander verbunden werden, liegt es besonders nahe, der Person, die zu den Vorsorgemaßnahmen
__________ 50 Zu Vorsorgevollmachten gesetzlicher Vertreter für Kinder und Jugendliche unten Fn. 53, 54. Soweit die „Vollmacht“ ärztliche Tätigkeiten betrifft, wird man auf die Grundsätze zur Einwilligung durch den Sorgebedürftigen selbst zurückgreifen müssen, vgl. BGHZ 29, 33; BGH, NJW 1972, 335; NJW 1974, 1947; BGHZ 105, 51, zustimmend z. B. Coester in Staudinger (Fn. 16), § 1626 BGB Rz. 96. Eingehend zur Diskussion Taupitz, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag 2000, S. A 52 ff. m. N. 51 Vgl. zur Verbindung des Erbvertrages mit anderen Vereinbarungen und Erklärungen Kanzleiter in Staudinger, Bearb. 2006, Einl. zu §§ 2274 ff. BGB Rz. 8 m. N. 52 Allgemein zu solchen Verbindungen mit einem Erbvertrag R. Knieper, DNotZ 1968, 331 ff.
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vom überlebenden Vertragspartner bevollmächtigt wird, durch den Erblasser die Vermögenssorge als Testamentsvollstrecker zu übertragen. Noch einfacher erscheint die Verbindung von Testamentsvollstreckung und Vorsorgevollmacht, wenn die Eltern oder der sorgeberechtigte Elternteil eines behinderten Minderjährigen einem Dritten Vorsorgevollmacht für das Kind erteilt haben53. Sogar noch nach der Volljährigkeit des Abkömmlings dauert die Wirksamkeit einer solchen Vollmacht an54. Es handelt sich hierbei um eine zulässige und in der Sache notwendige Nachwirkung der elterlichen Sorge. Liegt eine derartige, von den Eltern erteilte Vorsorgevollmacht vor, können die Eltern in einem miteinander abgeschlossenen Erbvertrag oder in einem gemeinschaftlichen Testament ohne weiteres den Bevollmächtigten zusätzlich zum Testamentsvollstrecker bestellen. Auch hier hat allerdings die Anordnung der Testamentsvollstreckung nicht die Wirkung, dass beim Tode des einen Ehegatten der andere für seinen eigenen Nachlass definitiv an diese Anordnung gebunden ist55. Die Testamentsvollstreckung für den Nachlass des zuerst Verstorbenen bleibt aber jedenfalls bestehen. 3. Mangelnde Eignung institutioneller Betreuer oder Vollstrecker Gestaltungen der geschilderten Art passen kaum für Testamentsvollstrecker oder Vorsorgevertreter, die diese Aufgaben professionell oder institutionell wahrnehmen, wie Rechtsanwälte oder Banken die Testamentsvollstreckung56, Vereine und Behörden die Betreuung nach § 1900 BGB. Mindestens bisher steht dem schon entgegen, dass es sich bei beiden Tätigkeiten, wenn sie professionell betrieben werden, um sehr unterschiedliche Dienstleistungen handelt: Im Vordergrund der Testamentsvollstreckung stehen rechtliche Regelungen und Entscheidungen zur Vermögensanlage57, im Mittelpunkt der Vorsorgevertretung daneben soziale, psychische und medizinische Hilfen für den Vertretenen. Vor allem aber ist die „Doppelrolle“ als eine Art Treuhänder des Erblassers und zugleich als Vertreter des versorgungsbedürftigen Erben nur hinnehmbar, wenn der Inhaber beider Ämter zugleich das besondere Vertrauen des Erblassers genießt und dem Erben persönlich nahe steht. Andernfalls sind Interessenkollisionen kaum vermeidbar. Ohnehin sollte deshalb die Testa-
__________ 53 Vgl. zur Fortdauer einer in gesetzlicher Vertretung erteilten Vollmacht über das Erreichen des Geschäftsfähigkeitsalters hinaus schon RGZ 41, 263; zum Spannungsverhältnis zwischen Für- und Vorsorge durch die Eltern einerseits und der Selbstbestimmung des Kindes andererseits grundlegend J. Gernhuber, FamRZ 1962, 89, 94. 54 Allgemein zur „Nachwirkung“ der elterlichen Sorge BVerfGE 72, 155 („Erbengemeinschaftsfall“). Folgerungen für die Vorsorgevollmacht zieht Bienwald in Staudinger (Fn. 7), § 1896 BGB Rz. 120. 55 § 2270 Abs. 3 BGB ist insofern stärker als ein gemeinsamer Wille der Eheleute bei Testamentserrichtung, die Testamentsvollstreckung wechselseitig festzulegen, BayObLG, FamRZ 1988, 660. 56 Zur Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung durch Banken schon vor Geltung des künftigen § 5 Abs. 2 Rechtsdienstleistungsgesetz BGH, NJW 2005, 968 und 969. 57 Ausführlich dazu J. Mayer (Fn. 22), Rz. 97 ff., zu den verschiedenen Anlageformen Rz. 139 ff. mit Übersicht Rz. 178.
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mentsvollstreckung auf den Erbteil oder das Vermächtnis des Versorgungsbedürftigen und Vertretenen beschränkt werden. Dass sich in solchen Fällen Vertretung des Erben oder Vermächtnisnehmers und Testamentsvollstreckung über dessen Nachlassberechtigung aber nicht ausschließen, lehrt wieder die Kombination von Testamentsvollstreckung und „Vollmachtlösung“ im Bereich der Unternehmens- und Gesellschafternachfolge58. 4. Die Dogmatik der Verknüpfungen Aus dem Bisherigen ergibt sich zunächst nur, dass Testamentsvollstreckung für den Nachlass oder einen Nachlassteil und Vorsorge für jemanden, der tatsächlich der Betreuung bedarf, in einem Gestaltungsakt gemeinsam geregelt werden können. Noch nichts ist hiermit gesagt über die inhaltliche Verknüpfung der beiden Regelungen. Es ist ja nicht damit getan, dass Vorsorgevollmacht und Testamentsvollstreckung gleichzeitig begründet werden. Erforderlich ist – jedenfalls aus der Sicht des Erblassers – deren dauerhafte Verknüpfung. Eine sofortige Bindung des Erblassers an seine letztwillige Verfügung ist zwar durch Erbvertrag begründbar. Ist der Vertragspartner zur Zeit des Vertragsschlusses unter elterlicher Sorge oder nur durch einen Vorsorgevertreter rechtlich handlungsfähig, steht dies dem Abschluss des Erbvertrages nicht entgegen, weil nach §§ 2274, 2275 BGB nur der Erblasser, nicht sein Vertragspartner unbeschränkt geschäftsfähig sein und den Erbvertrag persönlich abschließen muss. Die Vorsorgevollmacht hingegen ist jedenfalls dann, wenn sie von einem Geschäftsfähigen selbst erteilt worden ist, so lange nach § 168 Satz 2 BGB widerruflich, bis eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit des zu Vertretenden eintritt. Nach diesem Zeitpunkt bleibt sie gem. §§ 168 Satz 1, 672 Satz 1 BGB bestehen. Man kann daran denken, die Unsicherheit bis dahin durch einen rechtsgeschäftlichen Ausschluss des Widerrufs zu überbrücken59. Angesichts des Gewichts einer Vorsorgevollmacht erscheint dies aber zunächst bedenklich. Denn anerkanntermaßen ist eine unwiderrufliche Generalvollmacht wegen ihres Charakters als „Selbstentmündigung“ unzulässig60. Das hierdurch begründete Bedenken lässt sich jedoch überwinden: Zum einen aus dem Zweck gerade der Vorsorgevollmacht selbst; sie soll ja erst dann wirksam werden, wenn die „Mündigkeit“ – also die volle Geschäftsfähigkeit – des Vollmachtgebers aus gesundheitlichen Gründen ohnehin erlischt; infolge dessen führt sie die „Selbstentmündigung“ nicht herbei, sondern mildert gerade die Folgen der auf andere Weise entstandenen Einschränkung der Selbstbestimmung. Zum anderen
__________ 58 Nach der „Standardlösung“ bestimmt der Erblasser testamentarisch eine Auflage zu Lasten der Erben, dem Testamentsvollstrecker Vollmacht zu erteilen, vgl. (mit Kritik) Weidlich in AnwaltKomm. (Fn. 39), § 2205 BGB Rz. 36 m. N. 59 Vgl. zu den Möglichkeiten (und Grenzen) der Unwiderruflichkeit durch Vertrag oder einseitige Erklärung Schilken in Staudinger, Bearb. 2003, § 168 BGB Rz. 11, 17 m. zahlr. Nachw. 60 BGH, NJW 1988, 2603 und wohl allg. Meinung, Schilken in Staudinger (Fn. 59), § 168 BGB Rz. 9 m. N.
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empfiehlt es sich, zur Vermeidung einer Gefahr der Unwirksamkeit den Inhalt der Vorsorgevollmacht im Einzelnen möglichst genau zu beschreiben61. Und schließlich bleibt bei einer nachhaltigen Störung der Vertrauensgrundlage die Kündigung des Auftrags aus wichtigem Grund mit der Folge, dass dann auch die Vollmacht erlischt, § 168 Satz 1 BGB. Kommt es dem Erblasser auf die dauernde Verbindung von Testamentsvollstreckung und Vorsorgevollmacht entscheidend an, kann er die Kündigung des Auftrages zur Ausübung der Vollmacht wie auch – soweit möglich – deren Widerruf zur auflösenden Bedingung der Testamentsvollstreckung machen62. Besser als die gleichzeitige Vernichtung sowohl der Testamentsvollstreckung als auch der Vollmacht ist es allerdings, Anreize dafür zu schaffen, dass der Testamentsvollstrecker und – soweit noch geschäftsfähig – der Fürsorgebedürftige die Vollmacht ausüben und dulden. Dies kann stärker gesichert werden, wenn es der Erblasser zum Gegenstand von Auflagen macht63. Mit einer Auflage belastet werden kann aber nur, wer aus dem Nachlass begünstigt wird. Beim Testamentsvollstrecker ist dies – trotz der gesetzlich vorgesehenen Vergütung – mit der Übertragung des Amtes allein nicht der Fall64. Deshalb muss ihm zusätzlich etwa ein Vermächtnis ausgesetzt werden. Oft wird für die Kombination von Testamentsvollstreckung und Vorsorgevollmacht auch jemand in Frage kommen, der ohnehin als Miterbe, Nacherbe oder Vermächtnisnehmer bedacht werden soll, z. B. ein Bruder, eine Schwester oder ein Abkömmling des Fürsorgebedürftigen65. Zweckmäßigerweise ist dann auch diese Zuwendung wieder mit einer auflösenden Bedingung zu versehen für den Fall, dass der Empfänger die Auflage nicht erfüllt. 5. Die Subsidiarität der Betreuung Die zuletzt erwähnten Mittel der Auflage und der Bedingung stehen dem Erblasser auch dann zur Verfügung, wenn der Testamentsvollstrecker nicht selbst als Bevollmächtigter oder bei der persönlichen Erbringung von Fürsorgeleistungen tätig werden soll oder kann. Insbesondere kann der Erblasser Vermächtnisse zu dem Zweck aussetzen, dass deren Empfänger solche Leistungen zu erbringen haben. Nach §§ 2151, 2156 BGB kann für derartige Fälle dem Testamentsvollstrecker die Befugnis eingeräumt werden, zum passenden Zeitpunkt, also insbesondere nach Eintritt der Fürsorgebedürftigkeit, sowohl die
__________ 61 So etwa bei Winkler (oben Fn. 47). 62 Zur bedingten Einsetzung des Testamentsvollstreckers hier nur Edenhofer in Palandt (Fn. 27), § 2197 BGB Rz. 1; Weidlich in AnwaltKomm. (Fn. 39), § 2197 BGB Rz. 5 m. N. 63 Zur „verhaltensbewirkenden“ Auflage J. Mayer in AnwaltKomm. (Fn. 39), vor § 2192 BGB Rz. 14 und (zu den Grenzen) 16. 64 Reimann in Staudinger (Fn. 42), Vorbem. zu §§ 2197 ff. BGB Rz. 47. 65 W. Zimmermann in FS D. Schwab, 2005, S. 1099, 1111, bezeichnet solche Konstellationen als „nicht selten“.
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Person des Vermächtnisnehmers als auch die Art der Leistung an den Vermächtnisnehmer festzusetzen66. Eine solche Gestaltung sollte – wenn sie umfassend genug das Fürsorgebedürfnis regelt – eine Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB ebenso vermeiden können wie eine Vorsorgevollmacht. Denn die Subsidiarität der Betreuung besteht nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht nur gegenüber einer Vorsorgevollmacht sondern auch gegenüber „anderen Hilfen“. Bisher haben sich Rechtsprechung und Literatur noch wenig mit der Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs befasst67. Gelegentlich wird er sogar entgegen dem klaren Wortlaut des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB mit der Vollmacht gleichgesetzt68. Im Übrigen wird erwogen, generell „die Familie“, sogar bloß Nachbarn und Bekannte genügen zu lassen, ferner das Heimpersonal eines Alten- oder Pflegeheims und ambulante soziale Dienste69. Im Vergleich zu solchen Vorschlägen ist eine angemessene testamentarische Regelung mit dem Zweck der Fürsorge für den Bedürftigen und der institutionellen Sicherung der Zweckverfolgung durch Anordnung einer Testamentsvollstreckung mindestens gleichwertig. 6. Vorsorge für persönliche Belange als Aufgabe der Kautelarjurisprudenz Überblickt man die hier nur skizzierten Wege zur Vorsorge für pflegebedürftige Angehörige in letztwilligen Verfügungen oder im Zusammenhang mit ihnen, ergibt sich demnach eine Reihe von Ansätzen, die eine weitere Vertiefung und Ausarbeitung lohnen. Die Kautelarjurisprudenz sollte sich der Sorgen von Erblassern um das persönliche Wohl von Angehörigen jenseits ihrer Vermögenslage verstärkt annehmen und dieses immaterielle Ziel mit den Instrumenten zum Übergang materieller Werte beim Tod des Erblassers sinnvoll verknüpfen. So kann sie vom Erbrecht her einen Beitrag dazu leisten, Pflege- und Betreuungsbedürftige durch Vollmachtlösungen und andere Hilfen zu unterstützen. Insbesondere eine Weiterentwicklung der Befugnisse von Testamentsvollstreckern zu Mitteln der persönlichen Vorsorge für Angehörige ist möglich und wäre sehr zu wünschen.
__________ 66 Vgl. zum sog. „Supervermächtnis“ (nach G. Langenfeld, JuS 2002, 351, 352) besonders übersichtlich J. Mayer in AnwaltKomm. (Fn. 39), § 2151 BGB Rz. 22. 67 Einführend in das Problem etwa Holzhauer in Erman (Fn. 15), § 1896 BGB Rz. 36 ff., insbes. (auch zur Begründung des Regierungsentwurfs) 36 c. 68 So die Überschriften von Bienwald in Staudinger (Fn. 7), § 1896 BGB vor Rz. 114 und vor Rz. 120. 69 Diederichsen in Palandt (Fn. 27), § 1896 BGB Rz. 12; Bienwald in Staudinger (Fn. 7), § 1896 BGB Rz. 141, vgl. dort Rz. 144 zu den problematischen Fällen übermäßiger Fremdbestimmung.
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Die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung beim Vertrag zugunsten Dritter in rechtsvergleichender Perspektive Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung – Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme 1. Deutschland 2. Frankreich 3. England 4. Vereinigte Staaten von Amerika 5. Regelungsvorschläge auf europäischer und internationaler Ebene
2. Einvernehmliche Aufhebung durch die Vertragsparteien oder einseitiger Widerruf durch den Versprechensempfänger? 3. Unaufhebbarkeit infolge bloßer Parteivereinbarung? 4. Unaufhebbarkeit infolge Zustimmung oder Vertrauens des Dritten? IV. Schlussbemerkungen
III. Die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung – Würdigung 1. Grundsätzliche Aufhebbarkeit oder Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung?
I. Einführung Die zunehmende europäische Integration hat in den letzten Jahren zu einem wahren Boom der Rechtsvergleichung in den Kerngebieten des Privatrechts geführt. Ihren Ursprung fand diese Entwicklung in der Überzeugung, dass die Herausbildung eines europäischen Binnenmarktes einherzugehen hat mit einer Vereinheitlichung – oder wenigstens einer Harmonisierung – des Zivilrechts, vor allem des privaten Vermögensrechts, auf einer breiteren Basis. Man mag zu diesem Bestreben in rechtspolitischer Hinsicht stehen wie man will – unbestreitbar ist jedenfalls die erhebliche Vitalisierung, die die Disziplin der Rechtsvergleichung durch die zahlreichen Projekte der Entwicklung oder Wiederentdeckung eines „gemeineuropäischen Zivilrechts“ erfahren hat. In jüngster Zeit scheinen die mit dieser Mission befassten Kommissionen und Arbeitsgruppen nur so aus dem Boden zu schießen: Nachdem zunächst vor allem die von Ole Lando gegründete „Kommission für Europäisches Vertragsrecht“ mit der Ausarbeitung ihrer „Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts“ das akademische Interesse auf sich zog1, stehen wir inzwischen einer
__________ 1 Kommission für Europäisches Vertragsrecht, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Deutsche Ausgabe von von Bar/Zimmermann, Teile I und II, 2002, Teil III, 2005.
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Vielzahl verschiedener, teilweise konkurrierender Projekte gegenüber: Die Arbeit der Lando-Kommission wird inzwischen für die verbleibenden Bereiche des Schuld- und Sachenrechts durch die „Study Group on a European Civil Code“ unter der Leitung von Christian von Bar fortgeführt2. Daneben besteht aber seit 1992 auch eine „European Group on Tort Law“, die ihrerseits eigene „Principles of European Tort Law“ erarbeitet und bereits veröffentlicht hat3. Unabhängig davon hat die Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler in Pavia unter der Leitung von Giuseppe Gandolfi Arbeiten an einem „Europäischen Vertragsgesetzbuch“ aufgenommen und 2001 einen Vorentwurf für einen Ersten Teil vorgelegt4. Wieder eine andere Gruppe hat sich in Trient um Mauro Bussani und Ugo Mattei gebildet und widmet sich der vergleichenden Herausarbeitung eines „Common Core of European Private Law“5. Eine zentrale Rolle spielt bei all diesen Projekten naturgemäß die vergleichende Auseinandersetzung mit den grundlegenden Prinzipien und Rechtsinstituten der jeweils behandelten Rechtsgebiete. Gerade hierin liegt ihr besonderer wissenschaftlicher Reiz. Die Arbeiten und Ergebnisse der Arbeitsgruppen bieten damit eine hervorragende Gelegenheit, die Lösungen des eigenen Rechts vor dem Hintergrund der ausländischen Regelungen und der vorgeschlagenen gesamteuropäischen Grundsätze kritisch zu überprüfen. Dies soll im folgenden Beitrag für ein grundlegendes Rechtsinstitut des Vertragsrechts unternommen werden, nämlich den Vertrag zugunsten Dritter. Die Vorstellung, dass sich durch eine vertragliche Vereinbarung einem vertragsfremden Dritten ein durchsetzbares Forderungsrecht zuwenden ließe, vermochte sich erst in relativ neuer Zeit durchzusetzen6. Bis ins 19. Jahrhundert hinein folgte man in Europa zumindest im Grundsatz der traditionellen Regel des römischen Rechts „alteri stipulari nemo potest“. Vor allem mit dem Aufblühen des Versicherungswesens war dieser Grundsatz aber zunehmenden Anfechtungen ausgesetzt. Doch vollzog sich das Abrücken von der lange tradierten Regel naturgemäß nur schrittweise. Dies zeigt sich insbesondere am französischen und englischen Recht.
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2 Bereits veröffentlicht: von Bar, Benevolent Intervention in Another’s Affairs, 2006; Hesselink u. a., Commercial Agency, Franchise and Distribution Contracts, 2006; Barendrecht u. a., Service Contracts, 2006. 3 European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law, Wien 2005. 4 Gandolfi (Coordinateur), Code Européen des Contrats, Avant-projet, Livre Premier, Mailand 2004. 5 Aus den bisherigen Veröffentlichungen z. B. Zimmermann/Whittaker (Hrsg.), Good Faith in European Contract Law, Cambridge 2000; Gordley (Hrsg.), The Enforceability of Promises in European Contract Law, Cambridge 2001; Bussani/Palmer (Hrsg.), Pure Economic Loss in Europe, Cambridge 2003; Kieninger (Hrsg.), Security Rights in Movable Property in European Private Law, Cambridge 2004; Werro/Palmer (Hrsg.), The Boundaries of Strict Liability in European Tort Law, Bern 2004; Sefton-Green (Hrsg.), Mistake, Fraud and Duties to Inform in European Contract Law, Cambridge 2005. 6 Zur geschichtlichen Entwicklung näher Zimmermann, The Law of Obligations, Kapstadt 1990, S. 34–45; Kötz, Rights of Third Parties. Third Party Beneficiaries and Assignment, in International Enyclopedia of Comparative Law, Vol. VII, Chapter 13, 1992, Rz. 4–17; ders., Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 371–376.
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Aufhebbarkeit der Drittberechtigung beim Vertrag zugunsten Dritter
Der französische Code civil von 1804 war in der Behandlung des Vertrags zugunsten Dritter noch stark durch die restriktive Haltung des römischen Rechts geprägt7: In zwei zentralen Bestimmungen (Art. 1119 und 1165) legt der Code civil den Grundsatz nieder, dass eine vertragliche Vereinbarung nur Wirkungen inter partes entfaltet. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht dann Art. 11218. Danach ist ein Vertrag zugunsten Dritter zwar wirksam, jedoch nur in zwei bestimmten Fällen – nämlich zum einen, wenn sich der Versprechensempfänger mit der Vereinbarung auch für sich selbst eine Leistung versprechen lässt und damit ein eigenes Interesse an der Erfüllung des Versprechens erwirbt, und zum anderen, wenn die Leistung an den Dritten Auflage einer Schenkung des Versprechensempfängers an den Versprechenden ist. In der Folgezeit erwies sich diese Formel jedoch als zu eng. Insbesondere war die Wirksamkeit von Lebensversicherungsverträgen bei einer strengen Handhabung des Art. 1121 zweifelhaft. Die Cour de cassation fand einen Ausweg darin, dass sie als eigenes Interesse des Versprechensempfängers auch einen immateriellen Vorteil, einen „profit moral“, für ausreichend erachtete9. Dieser liegt etwa bei einer Lebensversicherung in der Gewissheit, dass beim Tod die Versicherungsleistung entsprechend dem Willen des Versicherungsnehmers an den Begünstigten ausbezahlt wird. Ein solches wenigstens immaterielles Interesse ließ sich aber regelmäßig finden, solange nur die Begründung eines eigenen Forderungsrechts des Dritten vereinbart wurde. Damit hatte sich Frankreich in der Anerkennung vertraglicher Drittberechtigungen letztlich von den Schranken des Art. 1121 Satz 1 gelöst10. Größer war der Widerstand der Rechtsprechung bekanntlich in England. Exemplarisch ist der „leading case“ Tweddle v. Atkinson aus dem Jahre 186111: Hier hatten zwei Väter anlässlich der Hochzeit ihrer Kinder untereinander vereinbart, dass jeder an den Bräutigam eine bestimmte Summe zahlen sollte. Dabei wurde ausdrücklich bestimmt, dass dem Ehemann ein eigenes Klagerecht gegen die Väter zustehen sollte. Nach dem Tode seines
__________ 7 Vgl. Ghestin/Jamin/Billiau, Traité de droit civil: Les effets du contrat, Paris, 3. Aufl. 2001, Rz. 963 f.; Marty/Raynaud, Droit civil: Les obligations, Tome I Les sources, Paris, 2. Aufl. 1988, Rz. 280; Kötz, Europ. Vertragsrecht (Fn. 6), S. 374 f.; Zimmermann, JZ 2007, 1, 4. 8 Art. 1121: „On peut pareillement stipuler au profit d’un tiers lorsque telle est la condition d’une stipulation que l’on fait pour soi-même ou d’une donation que l’on fait à un autre. Celui qui a fait cette stipulation ne peut plus la révoquer si le tiers a déclaré vouloir en profiter.“ 9 S. die Leitentscheidung Cass. civ. (16.1.1888), D.P. 1888.1.77 = S. 1888.1.121. 10 Dazu Ghestin/Jamin/Billiau (Fn. 7), Rz. 965; Marty/Raynaud (Fn. 7), Rz. 283; Mazeaud/Chabas, Leçons de droit civil, Tome II, Vol. 1: Obligations, théorie générale, Paris, 9. Aufl. 1998, Rz. 774, 780; Starck/Roland/Boyer, Droit civil. Les obligations, 2. Contrat, Paris, 6. Aufl. 1998, Rz. 1509–1511; Terré/Simler/Lequette, Droit civil. Les obligations, Paris, 9. Aufl. 2005, Rz. 516; Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 11, 19; ders., Europ. Vertragsrecht (Fn. 6), S. 374 f., 377; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 460 f. 11 Tweddle v. Atkinson, (1861) 1 B. & S. 393 = 121 E.R. 762. Zum geschichtlichen Hintergrund der Entscheidung eingehend Palmer, Paths to Privity, San Francisco 1992; dazu auch Zimmermann, ZEuP 1995, 167–170.
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Schwiegervaters verklagte der Ehemann dessen Testamentsvollstrecker auf Erfüllung des Versprechens. Das Gericht wies die Klage ab. Die Vorstellung, dass jemand aus einem Vertrag klagen könne, ohne selbst aus dem Vertrag verklagt werden zu können, wurde als „ungeheuerliche Vorstellung“ angesehen12. Bedeutung für die Ablehnung eines eigenen Klagerechts des Dritten erlangten im englischen Common Law zwei Gesichtspunkte13: zum einen der Grundsatz der „privity of contract“, d. h. der Relativität des Vertragsverhältnisses, zum anderen das für das Vertragsrecht des Common Law spezifische Erfordernis einer „consideration“, d. h. einer Gegenleistung für das Leistungsversprechen: Weil der begünstigte Ehemann selbst keine „consideration“ erbracht hatte, hatte er gegenüber seinem Schwiegervater kein Recht, die Erfüllung des Zahlungsversprechens zu verlangen. Das Gegenleistungsversprechen seines eigenen Vaters trug nur einen Vertragsanspruch des Vaters selbst, nicht auch einen solchen des Ehemanns: „Consideration must move from the promisee.“14 Diese Regel hielt sich in England bis in die jüngste Vergangenheit15, sah sich aber wachsender Kritik16 nicht nur im Schrifttum, sondern vor allem auch in
__________ 12 Tweddle v. Atkinson, (1861) 1 B. & S. 393 (398): „It would be a monstrous proposition to say that a person was a party to the contract for the purpose of suing upon it for his own advantage, and not a party to it for the purpose of being sued.“ (Crompton J.). – Anders noch Dutton v. Poole, (1678) 2 Lev. 210 = 83 Eng. Rep. 523; Überblick über die frühere Rechtsprechung bei Treitel in Chitty on Contracts, Vol. I: General Principles, London, 29. Aufl. 2004, Rz. 18-019. 13 Vgl. den berühmten Ausspruch von Viscount Haldane, L.C., in Dunlop Pneumatic Tyre Co. v. Selfridge & Co. Ltd., [1915] A.C. 847, 853: „My Lords, in the law of England certain principles are fundamental. One is that only a person who is a party to a contract can sue on it. Our law knows nothing of a jus quaesitum tertio arising by way of a contract. … A second principle is that if a person with whom a contract not under seal has been made is to be able to enforce it consideration must have been given by him to the promisor or to some other person at the promisor’s request.“ Zur traditionell engen Verknüpfung beider Gesichtspunkte auch Beatson, Anson’s Law of Contract, Oxford, 28. Aufl. 2002, S. 422 f. Zu den gleichwohl bestehenden Unterschieden beider Ansätze Beatson, a. a. O., S. 423 f.; Treitel, The Law of Contract, London, 11. Aufl. 2003, S. 587. Zur Problematik auch Law Commission Report Nr. 242 (1996), http://www.lawcom.gov.uk/docs/lc242.pdf, Rz. 6.1-6.17 (S. 68–73); Peter, Verträge zugunsten Dritter im englischen und deutschen Recht unter Berücksichtigung des Contracts (Rights of Third Parties) Act 1999, 2001, S. 16–20; Rösch, Vertragliche Ansprüche Dritter in England und Deutschland, 2006, S. 26 f.; Lorenz in FS Kaufmann, 1993, S. 709, 718 f.; ders., JZ 1997, 105, 106; Zimmermann, JZ 1995, 477, 487. 14 Treitel in Chitty on Contracts (Fn. 12), Rz. 3-036 (m. w. N.); ders. in Birks (Hrsg.), English Private Law, Vol. II, Oxford 2000, Rz. 8.39. 15 Vgl. insb. Beswick v. Beswick, [1968] A.C. 58; dazu auch Lorenz in FS Kaufmann (Fn. 13), S. 717 f. Weitere Nachw. bei Treitel in Chitty on Contracts (Fn. 12), Rz. 18019. 16 Überblick m. w. N. bei Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 3.1-3.28 (S. 39– 50); Burrows, LMCLQ 1996, 467, 468–471; Beatson (Fn. 13), S. 427 f.; Rösch (Rn. 13), S. 57–63. Vgl. aber die diametral entgegengesetzte Beurteilung der „third party rule“ bei Stevens, L.Q.R. 120 (2004), 292–323 (m. w. N. S. 320 Fn. 169).
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der Rechtsprechung ausgesetzt17. Lord Diplock bezeichnete sie 1983 als anachronistische Schwäche des englischen Rechts, die diesem schon seit langem zur Schande gereichte18. In manchen Entscheidungen wurde sogar offen eine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung erwogen19. Schließlich wurde doch noch der Gesetzgeber tätig: Im Jahre 1999 wurde der Vertrag zugunsten Dritter durch den „Contracts (Rights of Third Parties) Act“ auch ins englische Recht eingeführt20. Auch wenn es in der Rechtsvergleichung angesichts der gegenwärtigen Konzentration auf die Ermittlung „gemeineuropäischer“ Grundsätze ein wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint, soll hier auch ein Blick über den Atlantik geworfen werden. Denn Rechtsvergleichung als Quelle rechtswissenschaftlicher Erkenntnis macht nicht an den Grenzen Europas Halt. Vor allem angesichts des noch zarten Alters des Vertrags zugunsten Dritter in England ist das Recht der Vereinigten Staaten als weiterer Rechtsordnung des Common Law von besonderem Interesse21. Dort war dem Vertrag zugunsten Dritter ein weitaus günstigeres Schicksal beschert als im englischen Mutterland. Bezeichnend ist eine im Jahre 1859, also zwei Jahre vor Tweddle v. Atkinson, ergangene Entscheidung aus New York: das Urteil in Sachen Lawrence v. Fox22: In einem Darlehensvertrag hatten die Parteien vereinbart, dass der Darlehensnehmer den Darlehensbetrag von 300 $ unmittelbar an einen Gläubiger des
__________ 17 Die Regel war überhaupt nur deshalb tolerabel, weil ihre Defizite einerseits durch gesetzliche Sonderregeln, insbesondere für Versicherungen, andererseits durch das Rechtsinstitut des „trust“ (insbesondere als „trust of a promise“) ausgeglichen wurden; dazu (und zu weiteren Ersatzmöglichkeiten für den Vertrag zugunsten Dritter) z. B. Smith, Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, Oxford, 6. Aufl. 2005, S. 343–352; Beatson (Fn. 13); Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 2.8-2.62 (S. 9–34); Peter (Fn. 13), S. 20–64; Rösch (Fn. 13), S. 29–39; Lorenz in FS Kaufmann (Fn. 13), S. 719–724; Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 142–148. Vgl. auch Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 15; ders., Europ. Vertragsrecht (Fn. 6), S. 375 f.; Zweigert/Kötz (Fn. 10), S. 464 f. 18 Swain v. Law Society, [1983] 1 A.C. 598, 611. Vgl. ferner die deutliche Kritik Lord Dunedins (der gleichwohl die Geltung der Regel unangetastet lassen wollte) in Dunlop Pneumatic Tyre Co. v. Selfridge & Co. Ltd., [1915] A.C. 847, 855; aus neuerer Zeit außerdem Darlington Borough Council v. Wiltshier Northern Ltd., [1995] 1 W.L.R. 68, 76 f. (Steyn L.J.). 19 Beswick v. Beswick, [1968] A.C. 58, 72 (Lord Reid); Woodar Investment Development Ltd. v. Wimpey Construction U.K. Ltd., [1980] 1 All E.R. 571, 591 = [1980] 1 W.L.R. 277, 300 (Lord Scarman). 20 Zum Gesetz und seiner Entstehungsgeschichte Peter (Fn. 13), S. 89–97. – Bereits der frühere Entwurf eines Vertragsgesetzbuchs von McGregor sah die Möglichkeit eines Vertrags zugunsten Dritter vor; s. McGregor, Contract Code, drawn up on behalf of the English Law Commission, Mailand 1993, Art. 641–649, S. 285–300. Das damalige Projekt wurde indes aufgegeben. Zu der hier relevanten Regelung des Entwurfs unten Fn. 51. 21 Gerade für die hier untersuchte Fragestellung erachtet den US-amerikanischen Lösungsansatz für besonders fruchtbar Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 48 a. E. 22 Lawrence v. Fox, 20 N.Y. 268 (1859). Eingehend zu den näheren Umständen dieses Falls und Verfahrens Waters, Harv. L. Rev. 98 (1985), 1109, 1116–1148; zur Einordnung der Entscheidung in die Entwicklung in England und den USA Karsten, Law & Hist. Rev. 9 (1991), 327–381; Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1362 f.
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Darlehensgebers auszahlen sollte; dem Gläubiger sollte ein entsprechendes eigenes Forderungsrecht zustehen. Das New Yorker Gericht erkannte dieses Recht an: Der Grundsatz der „privity“ wurde als nicht ausreichend erachtet, um dem erklärten Parteiwillen entgegen zu stehen, und als „consideration“ genügte die Auszahlung des Darlehens durch den Versprechensempfänger23. Ähnlich entschieden die Gerichte anderer Staaten24. Damit war der Vertrag zugunsten Dritter spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten anerkannter Bestandteil des Common Law25. Der Vertrag zugunsten Dritter ist somit nicht nur – spätestens seit 1999 – ein „gemeineuropäisches“ Rechtsinstitut, sondern ein solches, das über die Grenzen Europas hinaus Anerkennung gefunden hat – wie das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt, zum Teil sogar, bevor das „Mutterrecht“ selbst die Anerkennung vollzogen hat. Somit verwundert es wenig, dass sich nicht nur die europäisch geprägten Lando-Grundregeln26 und der Gandolfi-Entwurf27 für die Zulässigkeit eines Vertrags zugunsten Dritter aussprechen, sondern auch die über Europa hinaus zielenden Unidroit-Grundregeln der internationalen Handelsverträge28. An diese grundsätzliche Entscheidung ist aber eine Reihe von Folgefragen geknüpft, aus denen deutlich wird, dass – jenseits der Anerkennung des Prinzips als solchen – durchaus noch Divergenzen zwischen den einzelnen Rechtsordnungen im Detail bestehen29. Eine dieser Fragen soll im Folenden näher untersucht werden: nämlich die, ob und unter welchen Voraussetzungen das Forderungsrecht des Dritten in einer Weise verfestigt ist, dass es von den Vertragsparteien ohne seine Zustimmung nicht mehr geändert oder aufgehoben werden kann. Gerade auf diese Frage haben die einzelnen nationalen Rechtsordnungen ebenso wie die Regelvorschläge auf europäischer Ebene durchaus unterschiedliche Antworten gefunden. Die Fragestellung lässt sich anhand der Fallkonstellationen in den bereits angesprochenen Leitentscheidungen aus England und New York verdeutlichen: Unterstellt, das englische Recht hätte schon damals den Vertrag zugunsten Dritter anerkannt: Hätten die Väter in Tweddle v. Atkinson ihr Zahlungsver-
__________ 23 Die Regel „consideration must move from the promisee“ (oben bei Fn. 14) gilt nicht in den Vereinigten Staaten; entscheidend ist nur, dass überhaupt eine „consideration“ als Gegenleistung für das Leistungsversprechen ausgehandelt wurde; vgl. Farnsworth, Contracts, New York, 4. Aufl. 2004, S. 49 f. (§ 2.3); Perillo, Calamari and Perillo on Contracts, St. Paul, 5. Aufl. 2003, S. 175 f. (§ 4.2); Restatement of the Law, Second, Contracts, St. Paul 1981, § 71 (4). 24 Einen eingehenden Überblick über die im Einzelnen wechselhafte Entwicklung der Rechtsprechung gibt Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1365–1374; vgl. auch Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 17. 25 Vgl. nur Restatement of the Law [First], Contracts, St. Paul 1932, §§ 133, 135, 136; Restatement, Second, Contracts (Fn. 23), §§ 302, 304. 26 Art. 6:110 der Grundregeln. 27 Art. 72 Europ. Vertragsgesetzbuch. 28 Art. 5.2.1 der Unidroit-Grundregeln in der Neufassung von 2004; s. Bonell (Hrsg.), An International Restatement of Contract Law, 3. Aufl. 2004, S. 504 sowie (zur Aufnahme einer diesbezüglichen Regel) S. 41. 29 Vgl. insb. Palmer, Eur. Rev. Priv. L. 2003, 8, 11 f.
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sprechen einvernehmlich wieder aufheben können? Ist hierfür von Bedeutung, ob der Ehemann von der Vereinbarung bereits erfahren hat oder ob er die ihm gewährte Begünstigung in irgendeiner Form „angenommen“ oder im Vertrauen darauf Dispositionen getroffen hat? Oder hätte in Lawrence v. Fox der Darlehensgeber die Zahlungsvereinbarung zugunsten seines Gläubigers wieder aufheben und stattdessen ein wertvolles Pferd des Darlehensnehmers an Erfüllungs Statt annehmen können? Betrachten wir zunächst, welche Antworten die verschiedenen Rechtsordnungen auf diese Fragen gefunden haben.
II. Die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung – Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme 1. Deutschland Beginnen wir zunächst mit dem deutschen Recht. Die maßgebliche Regelung ist im Grundsatz in § 328 Abs. 2 BGB enthalten. Nach dieser Vorschrift ist aus der vertraglichen Vereinbarung, hilfsweise aus den Umständen, nicht nur zu entnehmen, ob und unter welchen Umständen der Dritte überhaupt ein eigenes Forderungsrecht erwerben soll, sondern auch, „ob den Vertragschließenden die Befugnis vorbehalten sein soll, das Recht des Dritten ohne dessen Zustimmung aufzuheben oder zu ändern“. Entscheidend ist also allein der – erforderlichenfalls aus den Umständen zu erschließende – Vertragsinhalt. Dabei geht das Gesetz davon aus, dass auch die einvernehmliche Aufhebung eines entsprechenden Vorbehalts bedarf30. Ergibt sich ein solcher nicht zumindest aus den Umständen, so ist den Parteien also die Änderung oder Aufhebung der Drittberechtigung verwehrt. Der Dritte erhält dann mit Vertragsschluss ein unentziehbares Forderungsrecht. Ein Beispiel dafür, dass sich ein Aufhebungsvorbehalt aus den Umständen ergeben kann, ist die Vereinbarung im Rahmen eines Kaufvertrags, dass der Käufer dem Makler gegenüber verpflichtet sein soll, die Provision zu zahlen. Hier können die Parteien des Kaufvertrags im Zweifel auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt die Vereinbarung zugunsten des Maklers aufheben31. Je nachdem, wie großzügig man aus den Umständen einen solchen Aufhebungsvorbehalt abzuleiten bereit ist, verringert sich natürlich quantitativ der Anwendungs-
__________ 30 Gottwald in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 328 BGB Rz. 35; Jagmann in Staudinger, BGB, 2004, § 328 BGB Rz. 69; Hadding in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, § 328 BGB Rz. 72 (vgl. aber unten Fn. 36); Bayer, Der Vertrag zugunsten Dritter, 1995, S. 241 f. Vgl. auch Palmer, Eur. Rev. Priv. L. 2003, 8, 24. 31 OLG Hamm v. 28.4.1960, NJW 1960, 1864, 1865; OLG Hamm v. 8.12.1997, VersR 1998, 850, 851; OLG Celle v. 4.10.1985, WM 1985, 1455, 1456; OLG Frankfurt v. 27.5.1986, NJW-RR 1986, 1176, 1177; Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 35; Jagmann in Staudinger (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 73; Westermann in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 328 BGB Rz. 8. Vgl. andererseits aber auch BGH v. 15.1.1986, NJW 1986, 1165, 1166; OLG Hamburg v. 2.6.1998, NJW-RR 1999, 351; OLG Frankfurt v. 5.11.2003, MDR 2004, 679.
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bereich der Grundregel. Gleichwohl bleibt es nach der in Deutschland herrschenden Meinung dabei: Der Grundsatz ist die Unaufhebbarkeit, die zu begründende Ausnahme die Aufhebbarkeit32. Nur vereinzelt will man unter Verweis auf den typischen Parteiwillen das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren und eine Bindung der Parteien nur bei Bestehen eines besonderen Grundes (insbesondere natürlich bei ausdrücklicher Vereinbarung) annehmen33. Ein einseitiger Widerruf der Drittberechtigung durch eine Vertragspartei bedarf jedenfalls nach allgemeiner Meinung eines entsprechenden Vorbehalts in der Vereinbarung34. Damit ist die Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung nach deutschem Recht eng verknüpft mit der Entstehung der Berechtigung als solcher. Eine technische Möglichkeit, den Parteien die Kontrolle über das Drittrecht zu belassen, liegt somit darin, die Entstehung der Berechtigung überhaupt aufzuschieben35. Ein solches bestimmt etwa § 331 Abs. 1 BGB bei Leistungen, die erst nach dem Tode des Versprechensempfängers bewirkt werden sollen: Da die Drittberechtigung hiernach erst mit dem Todesfall entsteht, ist sie bis dahin uneingeschränkt aufhebbar36. Erst mit dem Tode des Versprechensempfängers tritt dann mit der Berechtigung als solcher zugleich auch die Unaufhebbarkeit ein und schützt den Dritten vor einer Beeinträchtigung seines Rechts durch die Erben37. Derselbe Grundsatz gilt gemäß §§ 166, 180 VVG für Kapitallebensund Kapitalunfallversicherungen. Tatsächlich bestehen in den hier untersuchten Rechtsordnungen durchweg Sonderregeln für Versicherungsverträge, durch die im Hinblick auf die bestehende Interessenlage von den allgemeinen Grund-
__________ 32 Deutlich Jagmann in Staudinger (Fn. 30), § 328 Rz. 69; vgl. auch Raab, Austauschverträge mit Drittbeteiligung, 1999, S. 473 f.; zurückhaltender Bayer (Fn. 30), S. 243. 33 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 489; Bayer (Fn. 30), S. 244; Raab (Fn. 32), S. 475–477. Kritisch Rösch (Fn. 13), S. 169 f. Dazu auch unten III.1. 34 Vgl. nur Gottwald in MünchKomm.BGB (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 35; Jagmann in Staudinger (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 72. 35 Solange das Recht des Dritten noch nicht entstanden ist, ist eine Aufhebung nach allgemeiner Meinung möglich; s. etwa Jagmann in Staudinger (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 69; Hadding in Soergel (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 72. 36 Zu demselben Ergebnis kommt man beim Vertrag zugunsten Dritter im Allgemeinen, wenn man wie Hadding entgegen der im Gesetz, insb. §§ 328, 333 BGB, zum Ausdruck gekommenen rechtlichen Ausgestaltung des Vertrags zugunsten Dritter einen Rechtserwerb (entsprechend der Acceptationstheorie) nur bei einer Annahme seitens des Dritten anerkennen will; dazu näher Hadding in FS Zajtay, 1982, S. 185– 214 (insb. 201–210); ders. in Soergel (Fn. 30), vor § 328 BGB Rz. 13–15. Dies hätte zur Folge, dass die Drittbegünstigung bis zur Annahme noch nicht entstanden wäre und damit durch die Vertragsparteien frei aufhebbar bliebe; so explizit auch Hadding in FS Zajtay, S. 210 f. Zwar wird eben dieses Ergebnis für die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung auch hier für vorzugswürdig gehalten (vgl. unten III., insb. 4). Unnötig ist es aber, diese Frage an die Entstehung des Rechts als solchen anzukoppeln (dazu auch unten III.1, insb. bei Fn. 91). In dieser letzteren Hinsicht ist der Auffassung Haddings die insoweit eindeutige gesetzliche Regelung entgegen zu halten; s. auch Gernhuber (Fn. 33), S. 468 f.; Jagmann in Staudinger (Fn. 30), vor § 328 BGB Rz. 25 m. w. N. 37 Vgl. etwa Westermann (Fn. 31), § 331 BGB Rz. 2; Jagmann in Staudinger (Fn. 30), § 331 BGB Rz. 10; Bayer (Fn. 30), S. 242.
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sätzen abgewichen wird – in England etwa von der traditionellen Ablehnung vertraglicher Drittberechtigungen38. Auf diese Sonderregeln kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Immerhin erweckt aber die Notwendigkeit einer Sonderregel für die an sich geradezu paradigmatischen Versicherungsfälle zumindest eine gewisse Skepsis, ob mit der allgemeinen Regel die Interessenlage wirklich zutreffend erfasst wird. Wie dem auch sei: Im Hinblick auf die sogleich zu untersuchenden Regelungen anderer Staaten ist eine Feststellung wichtig: Nach deutschem Recht ergibt sich die Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung gemäß § 328 Abs. 2 allein aus dem Vertragsinhalt39. Es bedarf weder der Beteiligung des Dritten in Form einer Zustimmung oder Annahme noch überhaupt einer Kenntnis des Dritten von der ihn begünstigenden Vereinbarung40. 2. Frankreich Gleichsam den Gegenpol zur Lösung des deutschen Rechts bildet das französische. Die einschlägige Regelung ist in Satz 2 des Art. 1121 Code civil enthalten. Danach ist ein Widerruf der drittbegünstigenden Vereinbarung nicht mehr möglich, wenn der Dritte erklärt hat, dass er die versprochene Leistung in Anspruch nehmen will41. Grundsätzlich ist die Drittberechtigung also widerruflich. Unwiderruflich wird sie erst durch die Annahme seitens des Begünstigten42. Nur auf diesen Akt des Begünstigten kommt es an. Auf den Inhalt des Leistungsversprechens und den Willen der Vertragsparteien stellt
__________ 38 Vgl. oben Fn. 17. 39 Vgl. etwa BGH v. 28.11.1973, WM 1974, 14, 15; BGH v. 25.4.1975, NJW 1975, 1360; BGH v. 22.4.1982, WM 1982, 902 f. 40 Deutlich insb. RG v. 4.6.1909, RGZ 71, 325, 327 f.: „Es kann deshalb, wenn nicht ein gegenteiliger Wille der Vertragschließenden festgestellt ist, keine Rede davon sein, daß der Dritte dem Vertrage beigetreten sein müsse, um sich auf die darin bedungene Unwiderruflichkeit seiner Benennung und den daraus … sich ergebenden (in den Vertragsabschluß fallenden) Zeitpunkt seines Rechtserwerbs berufen zu dürfen …“. In casu ging es indes um eine Lebensversicherung, bei der der Versicherungsschein der begünstigten Ehefrau ausgehändigt worden war. Insofern war auch ein Beitritt der Begünstigten zu erwägen, der einer späteren Beeinträchtigung ihres Rechts hätte entgegenstehen können. Diesen Gesichtspunkt ließ das RG a. a. O. – nach seinem Ausgangspunkt konsequent – ausdrücklich außer Betracht. – Vgl. auch Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 41. 41 Die Annahme kann auch konkludent erfolgen, insbesondere durch Klageerhebung; s. etwa CA Bordeaux v. 18.2.1891, S. 1892.2.89 (91); vgl. auch Cass. req. v. 25.4.1853, D.P. 1853.1.161 (wo aber die Klageerhebung erst nach dem Widerruf erfolgte); im Einzelnen Légier, Contrats et obligations. Stipulation pour autrui, Juris-Classeur civil, 1995, Rz. 152 ff., insb. Rz. 158 m. w. N. Vgl. auch unten Fn. 73 zum US-amerikanischen Recht. 42 In dieser Hinsicht nicht ganz klar Cass. civ. v. 4.2.1986, Gaz. Pal. 1986, 370 (Esteban c. Frappier): Aufhebung eines in einem Mietvertrag zugunsten des Nachbarbetriebs enthaltenen Konkurrenzverbots wurde mangels Mitwirkung des begünstigten Nachbarn für unwirksam erachtet, ohne dass auf den Einwand der fehlenden Annahme seitens des Nachbarn näher eingegangen worden wäre; vgl insofern auch die Anm. von Barbier, ebda.
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das Gesetz dagegen nicht ab. Damit sind die Verhältnisse nach dem Gesetzeswortlaut gerade entgegengesetzt zum deutschen Recht43: In Deutschland entscheidet prima facie allein der Parteiwille, in Frankreich allein das Verhalten des Drittbegünstigten44. Dass der Parteiwille wirklich generell keine Rolle spielen soll, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als zweifelhaft. So wird das Widerrufsrecht gem. Art. 1121 Satz 2 ganz überwiegend als dispositiv erachtet45: Der Versprechensempfänger kann also auf sein Widerrufsrecht verzichten und die Drittberechtigung unabhängig von einer Annahme seitens des Dritten unwiderruflich stellen. Auch eine vertragliche Erweiterung der Widerruflichkeit wird zumindest im Grundsatz für zulässig erachtet: die Vertragsparteien können somit die Drittberechtigung in der Weise begründen, dass sie unabhängig von einer Annahme widerruflich bleiben soll46. Jedoch soll im Falle einer unentgeltlichen Zuwendung im Valutaverhältnis nach verbreiteter Auffassung die Vereinbarung eines über Art. 1121 hinausgehenden Widerrufsvorbehalts ausgeschlossen sein, da ein solcher mit dem Grundsatz der Unwiderruflichkeit von Schenkungen unvereinbar sei47; ein Widerruf wäre demzufolge nur nach Maßgabe der Regeln über den Widerruf unentgeltlicher Zuwendungen (insb. Art. 953 ff., 1096 Code civil) zulässig48. Die Differenzierung erscheint indes wenig überzeugend, denn auch und vor allem entgeltliche Verträge sind im Grundsatz unwiderruflich. Erachtet man den Vorbehalt eines Widerrufsrechts trotz Annahme durch den Drittbegünstigten im Falle einer entgeltlichen Zu-
__________ 43 Vgl. auch Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 48. 44 Soweit ersichtlich nicht angesprochen wird die Frage, ob die Annahme durch den Dritten nur bei vorheriger Aufforderung seitens der Vertragsparteien (oder nur einer der Vertragsparteien, insb. des Versprechensempfängers) beachtlich ist; zu dieser Frage auch unten III.4, insb. bei Fn. 110. Man wird daraus schließen können, dass kein derartiges Erfordernis besteht. 45 Ghestin/Jamin/Billiau (Fn. 7), Rz. 1021; Légier (Fn. 41), Rz. 112, 124; BaudryLacantinerie/Barde, Traité théorique et pratique de droit civil. Des obligations, T. I, Paris, 3. Aufl. 1906, Rz. 175; Demogue, Traité des obligations en général, II. Effets des obligations, Tome VII, Paris 1933, Rz. 794; vgl. auch Brockmann, Der Vertrag zugunsten Dritter im französischen Recht mit rechtsvergleichenden Hinweisen zum deutschen Recht, 1981, S. 107 f. Anders wohl die Anm. von L.-P. zu Cass. civ. v. 20.3.1944, D. 1944, J. 107 (108); vgl. auch Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 48 (sowie Rz. 44), wo aber die Gegenmeinung wohl überbetont wird. – Selbst wenn man das Widerrufsrecht als solches für unverzichtbar hält, kann der Versprechensempfänger sein Widerrufsrecht jedenfalls dadurch beenden, dass er für eine Annahme durch den Begünstigten sorgt; vgl. Kötz, a. a. O. 46 Demogue (Fn. 45), Rz. 796; Planiol/Ripert/Esmein, Traité pratique de Droit civil français, Tome VI: Obligations, Première Partie, Paris, 2. Aufl. 1952, Rz. 360 a. E.; Légier (Fn. 41), Rz. 125; vgl. auch Brockmann (Fn. 45), S. 108 f. 47 Planiol/Ripert/Esmein (Fn. 46), Rz. 360 a. E.; Légier (Fn. 41), Rz. 126. 48 Zur Problematik auch Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 44 a. E. – Die einzige Möglichkeit, sich den Widerruf in weitergehendem Ausmaß vorzubehalten, besteht dann darin, dem Dritten die Existenz des Vertrags zu verheimlichen; vgl. Ferid, Das Französische Zivilrecht, 1. Bd.: Allgemeine Lehren, Recht der Schuldverhältnisse, 1971, Rz. 2 E 26.
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wendung an den Dritten für wirksam, so müsste dies erst recht bei einer allenfalls weniger bestandskräftigen unentgeltlichen Zuwendung gelten49. Soweit der Widerruf möglich ist, bedarf es nach französischem Recht (anders als nach deutschem Recht) zur Beseitigung der Drittberechtigung nur einer entsprechenden Erklärung des Versprechensempfängers. Eine einvernehmliche Aufhebung ist damit natürlich ebenfalls möglich, sie ist aber grundsätzlich nicht erforderlich50. Das Widerrufsrecht des Versprechensempfängers ergibt sich zudem ohne weiteres aus dem Gesetz, ohne dass es eines entsprechenden Vorbehalts im Vertrag bedürfte. Ausgeschlossen ist allein der einseitige Widerruf durch den Versprechenden. 3. England Wieder anders entscheidet das englische Recht. Der Contracts (Rights of Third Parties) Act von 199951 widmet dieser Frage eine eher umfangreiche Vorschrift in Section 252. Der Inhalt der Regelung ist jedoch relativ einfach: Gemäß Abs. 1 ist auch hier die Drittberechtigung durch die Parteien zunächst aufhebbar, jedoch nur einvernehmlich. Ausgeschlossen ist die Aufhebung dann, wenn der Dritte dem Versprechenden die Annahme des Rechts erklärt hat oder Dis-
__________ 49 Zu Recht gegen eine Einschränkung im Hinblick auf die Regeln über den Widerruf von Schenkungen daher Marty/Raynaud (Fn. 7), Rz. 290 (mangels vertraglicher Bindung gegenüber dem Dritten); vgl. auch Trib. civ. de la Seine v. 31.5.1913, D.P. 1913.2.361 m. Anm. Dupuich. 50 Etwas anderes kann sich ergeben, wenn der Versprechende ein eigenes Interesse am Fortbestand der Drittberechtigung hat (etwa weil auch er den Dritten versorgt wissen will); vgl. Ghestin/Jamin/Billiau (Fn. 7), Rz. 1021; Marty/Raynaud (Fn. 7), Rz. 304; Planiol/Ripert/Esmein (Fn. 46), Rz. 358; Légier (Fn. 41), Rz. 116; aus der Rechtsprechung. Cass. req. v. 30.7.1877, S. 1878.1.55. 51 In dem Entwurf eines „Contract Code“ von McGregor war mit Art. 647 Abs. 2 eine Regelung vorgesehen, die inhaltlich der deutschen Regelung entspricht; s. McGregor (Fn. 20), S. 295–297. Hierauf wird im Folgenden nicht weiter eingegangen. 52 Die Vorschrift lautet: „(1) Subject to the provisions of this section, where a third party has a right under section 1 to enforce a term of the contract, the parties to the contract may not by agreement rescind the contract, or vary it in such a way as to extinguish or alter his entitlement under that right without his consent if – (a) the third party has communicated his assent to the term to the promisor; (b) the promisor is aware that the third party has relied on the term; or (c) the promisor can reasonably be expected to have foreseen that the third party would rely on the term and the third party has in fact relied on it. (2) The assent referred to in subsection (1)(a) above – (a) may be by words or conduct; and (b) if sent to the promisor by post or other means, shall not be regarded as communicated to the promisor until received by him. (3) Subsection (1) is subject to any express term of the contract under which (a) the parties to the contract may by agreement rescind or vary the contract without the consent of the third party, or (b) the consent of the third party is required in circumstances specified in the contract instead of those set out in subsection (1)(a) to (c).“ Die Abs. 4 bis 7 enthalten ergänzende Sonderregeln, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
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positionen im Vertrauen auf die Vereinbarung getroffen hat und der Versprechende diese kannte oder kennen musste. Neben die Zustimmung als rechtsgeschäftlichen Akt tritt hier also das schutzwürdige Vertrauen des Dritten als Grund für die Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung53. Man spricht insofern von „Kristallisierung“ („crystallisation“) der Drittberechtigung54. Eine Sonderstellung nimmt das englische Recht bei der Bestimmung der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Vertragspartei ein: Es kommt insofern allein auf den Versprechenden an55: Ihm gegenüber muss die Annahme erklärt werden und sein Kenntnisstand entscheidet über den Vertrauensschutz zugunsten des Begünstigten. Diese besondere Betonung der Person des Versprechenden dürfte auf die traditionelle Ausrichtung des englischen Vertragsrechts auf das einseitige Leistungsversprechen des Schuldners zurückzuführen sein: Da es um die Unaufhebbarkeit der Leistungspflicht gerade des Versprechenden geht, müssen die hierzu erforderlichen Akte in Bezug auf seine Person verwirklicht sein56. Dass die Begründung der Drittberechtigung regelmäßig auf einem Zuwendungsinteresse allein des Versprechensempfängers beruht, bleibt bei dieser Sichtweise außer Betracht. Immerhin bedarf es aber zur Beseitigung der Drittberechtigung eines gemeinsamen Aktes beider Vertragsparteien. Aus Abs. 3 ergibt sich, dass die Regelung in Abs. 1 dispositiv ist. Die Vertragsparteien können die Aufhebungsmöglichkeit gegenüber Abs. 1 also sowohl erweitern als auch einschränken. Insbesondere können die Parteien vereinbaren, dass die Drittberechtigung unabhängig vom Eintritt einer der Fälle des ersten Absatzes aufhebbar bleibt57. Andererseits soll es nach Auffassung der Law Commission den Parteien aber nicht möglich sein, von vornherein die Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung zu vereinbaren; denn hierin läge eine unangemessene Einschränkung der Vertragsfreiheit, der keine schutzwürdigen Interessen des Dritten gegenüberstünden58. Nach dieser – im englischen Schrifttum überwiegend kritisierten59 – Auffassung wäre gerade der Regelfall des deutschen Rechts nach englischem Recht ausgeschlossen60.
__________ 53 Kritik an der Alternativität des englischen Ansatzes bei Smith (Fn. 17), S. 363 f. (vgl. auch unten III.4, insb. bei Fn. 107). 54 Vgl. Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.2 (S. 101), Rz. 9.11 (S. 104). 55 Diese Besonderheit des englischen Rechts betont Palmer, Eur. Rev. Priv. L. 2003, 8, 27. 56 Vgl. insofern auch Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.20 (S. 106); Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 156. 57 Dazu näher Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.37-40 (S. 111 f.). 58 Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.45-47 (S. 113); im Anschluss daran ebenso die Deutung bei Rösch (Fn. 13), S. 172; Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 157 (beide in der Sache aber kritisch). AM Burrows, LMCLQ 2000, 540, 547; Stevens, L.Q.R. 120 (2004), 292, 310; grundsätzlich auch Tettenborn, J.B.L. 1996, 602, 606 (mit Fn. 16). Zur Problematik näher unten III.4. 59 Beale, J.C.L. 9 (1995), 103, 122; Tettenborn, J.B.L. 1996, 602, 606; Andrews, C.L.J. 60 (2001), 353, 362. Zur Problematik auch Peter (Fn. 13); Rösch (Fn. 13), S. 164. 60 Vgl. insofern auch Peter (Fn. 13), S. 182 f.
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4. Vereinigte Staaten von Amerika In den Vereinigten Staaten unterlag die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung im Laufe der Zeit wechselnden Prinzipien, die durch die Rechtsprechung der Gerichte zum jeweiligen einzelstaatlichen Recht entwickelt wurden. Begrifflich geht es bei der Unaufhebbarkeit um das sogenannte „vesting“ der Drittberechtigung61. Vor dem Hintergrund einer zunächst uneinheitlichen Rechtsprechung62 unterschieden die Verfasser des Ersten Restatement of Contracts von 1932 zwischen sogenannten „creditor beneficiaries“, das heißt Drittbegünstigten, denen gegenüber der Versprechensempfänger im Valutaverhältnis verpflichtet war, und sogenannten „donee beneficiaries“, denen gegenüber keine solche Verpflichtung bestand63. Die Berechtigung eines „donee beneficiary“ sollte nach dem Ersten Restatement bereits mit Vertragsschluss unaufhebbar sein (sofern sich die Parteien nicht ein Änderungsrecht vorbehalten hatten), während die Berechtigung eines „creditor beneficiary“ grundsätzlich aufhebbar blieb, solange nicht der Dritte Klage erhoben oder in anderer Weise seine Position im Vertrauen auf das Versprechen geändert hatte64. Die Bevorzugung von „donee beneficiaries“ beruhte im Wesentlichen auf der sachlich zweifelhaften Übertragung der Regeln über die Unwiderruflichkeit von Schenkungen65 und wurde in der Rechtsprechung der meisten Staaten nach und nach aufgegeben66. Als gegenwärtiger Stand des US-amerikanischen Rechts soll hier die im Zweiten Restatement of Contracts von 1979 befürwortete Lösung zugrunde gelegt werden67, die von der Rechtsprechung in einer Reihe von Bundesstaaten als
__________ 61 Vgl. nur Farnsworth (Fn. 23), S. 673 (§ 10.8); Perillo (Fn. 23), S. 686 (§ 17.11). 62 Vgl. den Überblick bei Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1414 f., und in Tweeddale v. Tweeddale, 93 N.W. 440 (Wis. 1903). 63 Restatement, First, Contracts (Fn. 25), § 133 (1). 64 Restatement, First, Contracts (Fn. 25), §§ 142, 143; dazu auch Farnsworth (Fn. 23), S. 674 (§ 10.8); Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1415 f.; Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Tn. 45. 65 Vgl. aus neuerer Zeit noch Biggins v. Shore, 565 A.2d 737, 741 f. (Pa. 1989); dazu auch (kritisch) Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1416 f. Zur parallelen Problematik im französischen Recht oben Fn. 47–49. 66 Abgelehnt wurde die Sonderstellung eines „donee beneficiary“ etwa in McCulloch v. Canadian Pacific Railway Co, 53 F.Supp. 534, 545 f. (D.Minn. 1943); Salesky v. Hat Corp. of America, 144 N.Y.S.2d 965 (N.Y. App. Div. 1963). Vgl. auch Farnsworth (Fn. 23), S. 674 f. (§ 10.8); Perillo (Fn. 23), S. 686 f. (§ 17.11); Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1418 (m. w. N.); Summers, Cornell L. Rev. 67 (1982), 880, 882, 885 f. (m. w. N.); Kötz, IECL VII/13 (Fn. 6), Rz. 45. – Vgl. andererseits aber Biggins v. Shore, vorige Fn. 67 Restatement, Second, Contracts (Fn. 23), § 311: „Variation of a Duty to a Beneficiary. (1) Discharge or modification of a duty to an intended beneficiary by conduct of the promisee or by a subsequent agreement between promisor and promisee is ineffective if a term of the promise creating the duty so provides. (2) In the absence of such a term, the promisor and promisee retain power to discharge or modify the duty by subsequent agreement.
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maßgeblich angesehen worden ist68. Darin wird zunächst die frühere Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Begünstigten aufgegeben. Was sodann die inhaltliche Ausgestaltung des Aufhebungsrechts angeht, bietet das Restatement eine interessante Kombination aus den bislang dargelegten Lösungen. Der Grundsatz folgt aus § 311 Abs. 2: Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind die Vertragsparteien befugt, die Drittberechtigung einvernehmlich aufzuheben oder zu ändern. Ein besonderer Vorbehalt ist nicht erforderlich69. Ein anderes kann sich gemäß Abs. 1 insbesondere aus der vertraglichen Vereinbarung ergeben: Die Drittberechtigung kann also allein durch die Vereinbarung der Parteien unaufhebbar gemacht werden70. Insofern gilt dasselbe wie im deutschen Recht, nur dass das Verhältnis von Regel und Ausnahme gegenüber der herrschenden Auffassung in Deutschland umgekehrt ist: Die Drittberechtigung ist grundsätzlich aufhebbar, sofern nicht ein abweichender Parteiwille festgestellt wird. Nach Abs. 3 kann sich die Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung aber auch aus anderen Umständen ergeben. Wie im englischen Recht ist die Aufhebung ausgeschlossen, wenn der Dritte seine Zustimmung zum Leistungsversprechen erklärt71 oder Dispositionen im Vertrauen auf dieses Versprechen getroffen hat72. Eine wichtige Präzisierung enthält das Restatement hinsichtlich der Voraussetzungen für die Beachtlichkeit einer Zustimmung des Begünstigten. Diese setzt nämlich voraus, dass der Dritte von einer der Parteien zur Erklärung
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(3) Such a power terminates when the beneficiary, before he receives notification of the discharge or modification, materially changes his position in justifiable reliance on the promise or brings suit on it or manifests assent to it at the request of the promisor or promisee. (4) If the promisee receives consideration for an attempted discharge or modification of the promisor’s duty which is ineffective against the beneficiary, the beneficiary can assert a right to the consideration so received. The promisor’s duty is discharged to the extent of the amount received by the beneficiary.“ S. etwa Olson v. Etheridge, 686 N.E.2d 563, 568–570 (Ill. 1997); Bridgman v. Curry, 398 N.W.2d 167, 172 f. (Iowa 1986); Detroit Bank & Trust Co. v. Chicago Flame Hardening Co., Inc., 541 F.Supp. 1278, 1283 (N.D.Ind. 1982); Farnsworth (Fn. 23), S. 674 (§ 10.8); Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1418. – Anders aber z. B. Biggins v. Shore, 565 A.2d 737 (Pa. 1989) (für Befolgung der Regel des Ersten Restatement: sofortiges „vesting“ bei „donee beneficiaries“, vgl. oben bei Fn. 64, 65; mit dissenting opinion von Papadakos); Midwest Grain Products of Illinois v. Productization, Inc., 228 F.3d 784, 790 (7th Cir. 2000) (betr. Recht von Oklahoma; grundsätzliche Aufhebbarkeit der Drittberechtigung bis zur Geltendmachung). Detroit Bank & Trust Co. v. Chicago Flame Hardening Co., Inc, 541 F.Supp. 1278, 1283 f. (N.D.Ind. 1982). Dazu Restatement, Second, Contracts (Fn. 23), § 311 Comm. a, b (betr. stillschweigenden Ausschluss), f. Aus der Rechtsprechung z. B. Copeland v. Beard, 115 So. 389, 391 (Ala. 1928) (zu dieser Entscheidung auch unten Fn. 109); Bridgman v. Curry, 398 N.W.2d 167, 172 f. (Iowa 1986); grundsätzlich auch Perillo (Fn. 23), S. 686 (§ 17.11). Aus der Rechtsprechung z. B. Morstain v. Kircher, 250 N.W. 727 (Minn. 1933). Sowohl auf assent als auch auf reliance stellt ab Gifford v. Corrigan, 22 N.E. 756, 757 f. (N.Y. 1889).
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über die Zustimmung aufgefordert wurde. Erfährt er auf sonstige Weise von der vertraglichen Vereinbarung zu seinen Gunsten, so kann er nicht allein durch seine Zustimmung die Aufhebungsmöglichkeit beseitigen. Diese Einschränkung gilt indes nur hinsichtlich der Zustimmung. Vertrauensdispositionen schließen die Aufhebung der Drittbegünstigung nach dem Restatement auch dann aus, wenn der Dritte auf anderem Wege von der vertraglichen Vereinbarung erfahren hat73. 5. Regelungsvorschläge auf europäischer und internationaler Ebene Auch die Regelungsvorschläge auf europäischer und internationaler Ebene nehmen alle zur Frage der Aufhebbarkeit der Drittberechtigung Stellung. So bestimmt etwa Art. 72 Abs. 4 des Gandolfi-Entwurfs, dass die Parteien den Vertrag einvernehmlich ändern oder aufheben können, solange der begünstigte Dritte nicht erklärt hat, dass er das ihm durch den Vertrag übertragene Recht ausüben will74. Auch Art. 5.2.5 der Unidroit-Grundregeln legt die Aufhebung in die Hände der Vertragsparteien, nur ist hiernach die Aufhebung ausgeschlossen, wenn der Begünstigte das ihm eingeräumte Recht angenommen oder vernünftigerweise im Vertrauen darauf gehandelt hat. Von besonderem Interesse ist aus vergleichender Sicht die Regelung, für die sich die Lando-Kommission in ihren „Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts“ entschieden hat, da diese inhaltlich über eine bloße Kombination der bereits untersuchten Regelungsmöglichkeiten hinausgeht. Die maßgebliche Bestimmung ist in Art. 6:110 Abs. 3 enthalten75. Danach gilt zunächst wieder als Grundsatz die Widerruflichkeit der Drittberechtigung76. Beseitigt werden kann das Recht des Dritten einseitig durch den Versprechensempfänger; einer Mitwirkung des Versprechenden bedarf es nicht. Insofern folgen die Grundregeln dem Vorbild des französischen Rechts. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Versprechenden; dass der Widerruf auch dem Dritten zur Kenntnis gebracht wird, ist nach Art. 6:110 Abs. 3 nicht notwendig77.
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73 Restatement, Second, Contracts (Fn. 23), § 311 Comm. g. Die in Absatz 3 außerdem genannte Klageerhebung durch den Dritten lässt sich sowohl als (konkludente) Zustimmung zum Vertrag (in diesem Sinne Restatement, Second, Contracts, § 311 Comm. h) als auch als Maßnahme im Vertrauen auf das Leistungsversprechen verstehen (in diesem Sinne noch Restatement, First, Contracts, § 143); vgl. auch Gifford v. Corrigan, 22 N.E. 756, 757 f. (N.Y. 1889). Ihr kommt damit keine eigenständige systematische Bedeutung zu. 74 S. Gandolfi (Fn. 4), S. 463 sowie Kommentar S. 151–157. 75 Art. 6:110 Abs. 3 lautet: „Der Versprechensempfänger kann durch Mitteilung gegenüber dem Versprechenden dem Dritten seinen Anspruch auf Erfüllung entziehen, es sei denn: (a) der Dritte hat vom Versprechensempfänger die Mitteilung erhalten, sein Recht sei unwiderruflich; oder (b) der Versprechende oder der Versprechensempfänger hat von dem Dritten die Mitteilung erhalten, dass er das Recht annehme.“ 76 Vgl. Art. 6:110, Kommentar H mit Beispielen 5 und 6. 77 Insofern kritisch Palmer, Eur. Rev. Priv. L. 2003, 8, 26.
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Als Ausschlussgründe für das Widerrufsrecht sieht Abs. 3 zwei Fälle vor: Buchstabe b folgt wiederum der französischen Regel, dass die Annahme des Rechts durch den Dritten den Widerruf ausschließt. Präzisierend wird angeführt, dass die Annahme dem Versprechenden oder dem Versprechensempfänger gegenüber erklärt werden kann. Aus dem Text der Regelung selbst ergibt sich demgegenüber nicht, ob die Annahme unabhängig davon beachtlich ist, auf welche Weise der Dritte von seiner Berechtigung Kenntnis erlangt hat. Nach dem der Regelung beigefügten offiziellen Kommentar soll aber eine vorherige Mitteilung durch eine der Parteien erforderlich sein; hat der Dritte also nur zufällig von der Vereinbarung erfahren, so ist seine Annahme demnach unbeachtlich78. Anders als nach englischem und US-amerikanischem Recht (sowie den Unidroit-Grundregeln) genügen Dispositionen des Dritten im Vertrauen auf das Leistungsrecht als solche nicht, um die Widerruflichkeit zu beenden. Allerdings kann, wie der offizielle Kommentar darlegt, in der Mitteilung einer solchen Disposition eine konkludente Annahme im Sinne von Abs. 3 (b) liegen79. Eine eigenständige Regelung enthält Buchstabe a des dritten Absatzes: Danach ist ein Widerruf ausgeschlossen, sobald der Dritte vom Versprechensempfänger die Mitteilung erhalten hat, dass sein Recht unwiderruflich sei. Eine besondere Annahmeerklärung durch den Dritten ist dann nicht erforderlich. Der Versprechensempfänger kann somit die Drittberechtigung durch einseitigen Akt (ohne Mitwirkung des Versprechenden oder des Dritten) unwiderruflich machen – eine Konsequenz daraus, dass der Widerruf ohnehin allein in den Händen des Versprechensempfängers liegt. Nicht ganz eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob die Parteien die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung gegenüber diesen Grundsätzen auch erweitern oder beschränken können. Da die Regelungen der Principles grundsätzlich dispositiv sind80, spricht jedenfalls nichts gegen die Zulässigkeit einer Vereinbarung, dass die Berechtigung des Dritten allgemein oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses widerruflich bleiben soll; dann ändert auch die Annahme durch den Dritten nichts an dieser Widerruflichkeit81. Zweifelhafter ist dagegen, ob sich auch allein aus einer Vereinbarung der Parteien die Unwiderruflichkeit der Drittberechtigung ergeben kann. Dagegen spräche, dass Abs. 3 sowohl in lit. a als auch in lit. b einen Akt durch den oder gegenüber dem Dritten voraussetzt; andererseits ließe sich natürlich auch insofern auf die Disponibilität dieser Regelung verweisen82.
__________ 78 Art. 6:110, Kommentar H bei Beispiel 7; dazu auch (skeptisch) Palmer, Eur. Rev. Priv. L. 2003, 8, 26 f. 79 Art. 6:110, Kommentar H mit Beispiel 8. 80 Art. 1:102 Abs. 2; darauf stellt in diesem Zusammenhang ab Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 155 f. 81 So ist wohl der Kommentar H mit Beispiel 9 zu verstehen. 82 So insb. Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 155 f. Zur Problematik auch unten III.3.
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III. Die Aufhebbarkeit der Drittberechtigung – Würdigung Es ist ein breites Spektrum verschiedener Regelungsalternativen und -kombinationen, die die rechtsvergleichende Bestandsaufnahme zutage gebracht hat: zum Teil soll die Frage der Aufhebbarkeit nach der Parteivereinbarung zu beurteilen sein, zum Teil will man primär auf die Annahmeerklärung oder die Vornahme von Vertrauensakten durch den Begünstigten abstellen. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die wesentlichen Grundentscheidungen näher untersucht werden. 1. Grundsätzliche Aufhebbarkeit oder Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung? Zunächst ist die Frage nach der gesetzlichen „default rule“ zu beantworten: Soll die Drittberechtigung grundsätzlich durch die Parteien aufhebbar sein oder nicht? Hier hat sich gezeigt, dass die Haltung der herrschenden Meinung zum deutschen Recht im internationalen Vergleich eher singulär ist. Alle anderen der untersuchten Rechtsordnungen gehen im Grundsatz von der Aufhebbarkeit oder Widerruflichkeit aus. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass die Entstehung der Drittberechtigung aus dem Vertrag zugunsten Dritter ihre Grundlage allein im Willen und Interesse der vertragschließenden Parteien findet83. Der Versprechensempfänger mag zwar beim Abschluss eines solchen Vertrags in vielen Fällen auch oder vor allem das Interesse des Dritten im Blick haben. Dieses Interesse kommt aber allein in dem Ausmaß zum Tragen, wie es sich der Versprechensempfänger zu eigen gemacht hat und weiterhin zu eigen macht84. Angesichts dessen muss man davon ausgehen, dass sich zumindest der Versprechensempfänger im Zweifel nicht der Dispositionsmöglichkeit über die Drittberechtigung begeben möchte. Dem entspricht die grundsätzliche Aufhebbarkeit der Drittberechtigung85. Dagegen wird nun (nicht nur, aber vor allem in Deutschland) vorgebracht, die grundsätzliche Aufhebbarkeit durch die Parteien vertrage sich nicht mit der Zuerkennung eines echten Rechts zugunsten des Dritten: erwachse diesem aus dem Vertrag ein solches Recht, so könnten die Parteien (ohne einen entsprechenden Vorbehalt) nicht mehr befugt sein, dieses Recht ohne die Mitwirkung seines Inhabers zu beeinträchtigen. In der Sache erachtet man damit die Auf-
__________ 83 Dazu vor allem Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1385–1389; vgl. auch Terré/Simler/Lequette (Fn. 10), Rz. 528; Ghestin/Jamin/Billiau (Fn. 7), Rz. 1017. 84 So in aller Klarheit auch Raab (Fn. 32), S. 476 (unter treffender Betonung der unterschiedlichen Bindungswirkung im Vergleich zu einem dreiseitigen Vertrag); vgl. in diesem Zusammenhang auch Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1414. 85 Dazu, dass die Interessen der Vertragsparteien grundsätzlich gegen eine Bindung sprechen, insb. auch Raab (Fn. 32), S. 475 f.; vgl. auch oben bei Fn. 33. Gegen eine Berücksichtigung dieser Interessen de lege lata Rösch (Fn. 13), S. 169.
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hebung der Drittberechtigung als einen unzulässigen Vertrag zu Lasten eines Dritten86. Eine solche Argumentation erscheint zwar auf den ersten Blick bestechend, sie vermag aber nicht zu überzeugen. Tatsächlich spiegelt sich in ihr letztlich die formal-begriffliche Denkweise wieder, die lange Zeit der Anerkennung einer Drittberechtigung aus einem Vertrag überhaupt entgegenstand – nur jetzt unter umgekehrtem Vorzeichen: Nachdem man sich angesichts der unbestreitbaren Bedürfnisse des Rechtsverkehrs zur Aufgabe des „alteri stipulari“Grundsatzes entschlossen hat, meint man nun umgekehrt, die Berechtigung des Dritten müsse begriffsnotwendig gegenüber dem Eingriff durch die Parteien geschützt sein87. Das einstige Defizit in der Anerkennung vertraglicher Drittberechtigungen ist damit umgeschlagen in ein Höchstmaß an Schutz88. Folgert man indes die Schutzwürdigkeit des Dritten nicht ohne weiteres aus der Zuerkennung eines Rechts als solcher, sondern betrachtet man die spezifische Situation beim Vertrag zugunsten Dritter, so wird deutlich, dass das Verbot eines Vertrags zugunsten Dritter89 hier gar nicht zum Tragen kommt. Denn
__________ 86 So oder ähnlich Bayer (Fn. 30), S. 241 f. (folge „auch daraus, daß mit erfolgtem Rechtserwerb allein der Dritte als Rechtsinhaber zu Verfügungen über die Forderung befugt ist“); Jagmann in Staudinger (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 69 („im Begriff des Rechtserwerbs und seinem Statusschutz begründet“). Vgl. auch RG v. 2.2.1921, RGZ 101, 275, 276 f. (betr. Rücktritt nach § 326 a. F. BGB: „Der Rücktritt des Versprechensempfängers würde überdies auch einen Eingriff in das Recht des Dritten enthalten, weil dieses Recht hinfällig wird, sobald der Vertrag zur Auflösung kommt. … Das aber würde auf eine Entziehung des dem Dritten zustehenden Rechtes hinauslaufen, die höchstens zulässig ist, wenn das Recht ein widerrufliches war.“ In casu kam es hierauf aber nicht an, da das Recht des Dritten ohnehin nicht als unwiderrufliches begründet worden war und der Dritte in den Rücktritt eingewilligt hatte.); Rösch (Fn. 13), S. 168 f. (vgl. aber unten Fn. 88); Lorenz in FS Kaufmann (Fn. 13), S. 727; Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 157. – Ähnliche Bedenken findet man auch in Frankreich; s. etwa Mazeaud/Chabas (Fn. 10), Rz. 795 („aucune explication satisfaisante ne la justifie sur le terrain de la logique“, „dérogeant au principe en vertu duquel nul ne peut être privé contre son gré de droits dont il est titulaire“). In aller Deutlichkeit auch Tweeddale v. Tweeddale, 93 N.W. 440, 443 (Wis. 1903): „It is plainly illogical to hold that immediately upon the completion of the transaction between the immediate parties thereto, the law operates upon their acts and creates the element of privity between the promisor and the third person, and at the same time to hold that such third person’s status as regards the promise may be changed thereafter without his consent.“ 87 Exemplarisch die Argumentation Tweeddale v. Tweeddale, oben Fn. 86. – Diese Schlussfolgerung bildete denn auch – angesichts der damit verbundenen Einschränkung der Autonomie der Vertragsparteien – ein erhebliches Hindernis für die Anerkennung des Vertrags zugunsten Dritter in England; Treitel in Chitty on Contracts (Fn. 12), Rz. 18-093; ders., Law of Contract (Fn. 13), S. 588; Beatson (Fn. 13), S. 427; vgl. auch Andrews, C.L.J. 60 (2001), 353, 361 f.; Lorenz in FS Kaufmann (Fn. 13), S. 724; dazu, dass in der Aufhebbarkeit der Drittberechtigung eine zentrale Frage der englischen Reform lag, auch Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.1 (S. 101). 88 In diesem Sinne auch deutlich Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1417; vgl. ferner Rösch (Fn. 13), S. 173. 89 Genauer geht es in den hier diskutierten Fällen um eine Verfügung zu Lasten Dritter.
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die Unzulässigkeit einer vertraglichen Aufhebung oder Änderung des Rechts eines Dritten ergibt sich im Allgemeinen daraus, dass ein solches Recht im Hinblick auf seine Entstehung der Disposition der Parteien entzogen ist: Handelt es sich um ein rechtsgeschäftlich begründetes Recht, so war der Dritte (oder sein Vertreter) regelmäßig an dieser Begründung beteiligt; der Schutz seiner Privatautonomie ebenso wie seines aus der Beteiligung an dem Rechtsgeschäft erwachsenden Vertrauens steht einer Änderung oder gar Aufhebung der von ihm privatautonom begründeten Rechte durch andere selbstverständlich entgegen. Handelt es sich um ein kraft Gesetzes begründetes Recht, so steht eben diese gesetzliche Anordnung einer Änderungs- oder Aufhebungsbefugnis anderer hinsichtlich dieses Rechts entgegen. Beide Gesichtspunkte kommen hinsichtlich der Drittberechtigung beim Vertrag zugunsten Dritter jedoch nicht ohne weiteres zum Tragen: denn hier ist es zunächst allein der Wille der Vertragsparteien, der das Recht des Dritten zur Entstehung bringt, ohne dass eine Mitwirkung des Dritten an diesem Vorgang erforderlich wäre. Dementsprechend gibt es keinen Grund, den Vertragsparteien eine Aufhebung oder Änderung der Drittberechtigung zu versagen, solange nicht der Dritte in irgendeiner, noch näher zu bestimmenden Weise an dem Vertrag beteiligt ist oder hierauf in schutzwürdiger Weise vertraut hat. Solange dies nicht geschehen ist, sollte also der Fortbestand der Drittberechtigung in den Händen derer liegen, die sie erschaffen haben90. Entstehung und Verfestigung der Drittberechtigung gegenüber dem Willen der Vertragsparteien sind nach alledem zu differenzierende Fragen, die nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zu beantworten sind91. 2. Einvernehmliche Aufhebung durch die Vertragsparteien oder einseitiger Widerruf durch den Versprechensempfänger? Daran schließt sich die Frage an, in wessen Händen die Beseitigung der Drittberechtigung liegen soll, soweit eine solche noch möglich ist: Bedarf es einer einvernehmlichen Aufhebung durch die Vertragsparteien oder genügt ein einseitiger Widerruf durch eine Vertragspartei? Da nach dem soeben Gesagten die Drittberechtigung grundsätzlich aufhebbar sein sollte, kommen schutzwürdige Interessen des Dritten hier noch nicht ins Spiel; es geht also allein um die Interessen der Vertragsparteien92. Dass ein einseitiger Widerruf durch den Versprechenden als Schuldner ausgeschlossen ist, dürfte im Regelfall außer Zweifel stehen: Die Leistungspflicht gegenüber dem Dritten ist Teil der vertraglich
__________ 90 Deutlich in diesem Sinne etwa Planiol/Ripert/Esmein (Fn. 46), Rz. 357; Légier (Fn. 41), Rz. 111. Vgl. auch Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.10 (S. 103); sowie die oben Fn. 83-85 Genannten. 91 Insofern ist die Kritik an der vom französischen Recht beeinflussten Regelung der European Principles bei Zimmermann, JZ 1995, 477, 488 („ansonsten überwundene Konsensualkonstruktion“) und Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 155, nicht berechtigt (vgl. ferner unten Fn. 111). 92 Raab (Fn. 32), S. 472 f.
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übernommenen Verpflichtung des Versprechenden, von der sich dieser nicht einseitig lösen darf93. Anders ist indes die Lage hinsichtlich des Versprechensempfängers. Dieser ist es, der im Regelfall allein Leistungszwecke gegenüber dem Dritten verfolgt. Daher erscheint es gerechtfertigt, ihm auch die Entscheidung über den Fortbestand der Drittberechtigung zu überlassen. Etwas anderes würde sich nur dann ergeben, wenn schutzwürdige Belange des Versprechenden berührt wären. Doch geht es hier allein um die Beseitigung des Forderungsrechts des Dritten94. Der Versprechende ist hierdurch regelmäßig nicht nachteilig betroffen. Der Versprechensempfänger sollte daher befugt sein, das Forderungsrecht des Dritten einseitig zu widerrufen95. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Berechtigung zu einer einseitigen Inhaltsänderung der versprochenen Leistung96: Der Gläubiger kann nunmehr natürlich nicht ohne weiteres Leistung an sich selbst oder einen anderen verlangen, da sich hierdurch das Leistungsprogramm des Schuldners zu dessen Lasten verschieben kann97. Doch betrifft diese Frage allein das interne Pflichtengefüge zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger98. Einwände gegen die Widerruflichkeit der Drittberechtigung als solcher ergeben sich hieraus nicht. Damit erweist sich auch insofern die Regelung des französischen Rechts und der European Principles als vorzugswürdig99. 3. Unaufhebbarkeit infolge bloßer Parteivereinbarung? Zu entscheiden ist sodann, ob die Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung allein kraft entsprechender Parteivereinbarung herbeigeführt werden kann oder ob es insofern eines weiteren Aktes unter Einbeziehung des Begünstigten bedarf. Hier liegt die Entscheidung weniger klar auf der Hand. Einigen sich die Parteien, dass das Recht des Dritten selbst einvernehmlich nicht soll aufgehoben werden können, so wollen sie sich damit offensichtlich im Interesse des Dritten endgültig binden. Angesichts der privatautonomen Entscheidung
__________ 93 Raab (Fn. 32), S. 471 f.; Palmer, Eur. Rev. Priv. L. 2003, 8, 25. 94 Dies betont zu Recht Raab (Fn. 32), S. 472. 95 Ebenso Palmer, Eur. Rev. Priv. L. 2003, 8, 25. – Auch in dieser Hinsicht sind somit die Voraussetzungen für die Verfestigung des Rechts gegenüber denjenigen seiner Entstehung autonom zu bestimmen (vgl. soeben zu Fn. 91); unbegründet daher die Bedenken bei Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 155. 96 Klare Differenzierung beider Fragen zum Beispiel bei Baudry-Lacantinerie/Barde (Fn. 45), Rz. 170; vgl. auch Brockmann (Fn. 45), S. 112 f. Im neueren Schrifttum wird die Differenzierung mitunter ein wenig verwischt; vgl. etwa Marty/Raynaud (Fn. 7), Rz. 290; Terré/Simler/Lequette (Fn. 10), Rz. 528; andererseits aber Ghestin/Jamin/ Billiau (Fn. 7), Rz. 1021; Légier (Fn. 41), Rz. 139. 97 Oft wird aber auch unter diesem Gesichtspunkt eine Substitution möglich sein (insb. wenn der Anspruch auf eine Geldzahlung gerichtet ist); vgl. Raab (Fn. 32), S. 472; Bayer (Fn. 30), S. 248 f.; Baudry-Lacantinerie/Barde (Fn. 45), Rz. 170. 98 Vgl. insofern auch Jagmann in Staudinger (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 70. 99 In diesem Sinne auch Bayer (Fn. 30), S. 248 f.
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der Parteien100 erscheint ein darüber hinausgehender Akt zur Herbeiführung der Unaufhebbarkeit überflüssig. Insofern sprechen gute Gründe für die Lösung des deutschen, englischen und US-amerikanischen Rechts. Indes verbleiben Zweifel: Wenn die Vereinbarung der Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung letztlich nichts anderes ist als eine weitere Vereinbarung der Parteien, die in der Sache dem Dritten zugute kommen soll, warum soll diese dann von größerer Bestandskraft sein als die Vereinbarung der eigentlichen Drittberechtigung selbst? Denn hier besteht ja noch kein die Bindung der Parteien verfestigender Annahme- oder Vertrauensakt auf Seiten des Dritten. Es geht also allein um die privatautonome Selbstbindung der Parteien. Und insofern ist zu bedenken, dass wir auch sonst grundsätzlich die Möglichkeit einer einvernehmlichen Aufhebung früherer Selbstbindung anerkennen101 – ein geläufiges Beispiel hierfür ist die Zulässigkeit einer einvernehmlichen, formlosen und unter Umständen sogar stillschweigenden Aufhebung von Schriftformklauseln102. In dieser Hinsicht erscheint daher die von der Law Commission für das englische Recht befürwortete Lösung entgegen der hieran verbreitet geübten Kritik103 als zumindest erwägenswert, meines Erachtens sogar als vorzugswürdig. Natürlich ist die Privatautonomie der Parteien anzuerkennen – zu einer Bindung gegenüber dem Dritten führt sie aber nicht allein infolge ihres (was das Verhältnis zum Dritten anbelangt: rein internen) Einvernehmens, sondern erst, wenn ein weiterer Akt auf Seiten des Begünstigten hinzukommt. 4. Unaufhebbarkeit infolge Zustimmung oder Vertrauens des Dritten? Dies führt zwangsläufig zur nächsten Frage: Welcher Art muss dieser Akt des Begünstigten sein, der zur Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung führt? Hier haben sich als grundsätzliche Alternativen einerseits die Zustimmung des Dritten und andererseits die Vornahme von Dispositionen im Vertrauen auf die versprochene Leistung erwiesen104. Nach den bisherigen Überlegungen geht
__________ 100 Für die Maßgeblichkeit der Privatautonomie der Parteien in diesem Zusammenhang etwa Müller, RabelsZ 67 (2003), 140, 155, 157. Auch soweit man in Deutschland grundsätzlich von der Aufhebbarkeit der Drittberechtigung ausgeht, will man einer von den Parteien vereinbarten Unaufhebbarkeit Wirkung zuerkennen; vgl. insb. Raab (Fn. 32), S. 471 m. w. N. 101 Darauf stellt auch ab der Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.46 (S. 113). Zur „Ungewöhnlichkeit“ der insofern für Verträge zugunsten Dritter geltenden Regel auch Gernhuber (Fn. 33), S. 488 f. 102 Vgl. zum deutschen Recht nur Gernhuber (Fn. 33), S. 631 f. m. w. N.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, S. 264–267 (§ 15 III 2). Die Nähe beider Gesichtspunkte ebenso wie ihre unterschiedliche Behandlung im deutschen Recht illustriert BGH v. 22.4.1982, WM 1982, 902. 103 Vgl. oben bei Fn. 58, 59. 104 Einen weitergehenden Schutz befürworten (aus der Sicht des englischen Rechts) Adams/Beyleveld/Brownsword, M.L.R. 60 (1997), 238, 257: ausreichend sei bereits die – durch die Vertragsparteien veranlasste – Kenntnis vom Vertrag. Eine derartige Regelung enthält auch Art. 6:110 Abs. 3 lit. a der Lando-Grundregeln.
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es darum, eine Bindung der Vertragsparteien, insbesondere des Versprechensempfängers, gegenüber dem Dritten zu begründen. Ihre Grundlage muss diese Bindung notwendig in der Privatautonomie der Parteien finden. Vor diesem Hintergrund ist der auf Seiten des Dritten notwendige Akt näher zu bestimmen. Betrachtet man das Problem unter diesem Blickwinkel, so erscheint eine echte vertragliche Bindung der Parteien gegenüber dem Dritten unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zweifelhaft. Denn soweit man im Allgemeinen keine rechtsgeschäftliche Bindung auf bloße Vertrauensakte gründet, ist kein Grund ersichtlich, speziell für die Bindung gegenüber dem Drittberechtigten anders zu entscheiden105. In dieser Hinsicht mögen für das US-amerikanische Recht besondere Erwägungen anzustellen sein, da dort die Vornahme von Dispositionen im Vertrauen auf ein Leistungsversprechen als alternativer Grund für die Durchsetzbarkeit des Versprechens neben der „consideration“ anerkannt ist106. Sonst aber ist eine vertragliche Bindung aufgrund von Vertrauensdispositionen des Begünstigten nicht geboten. Dementsprechend wird auch im englischen Schrifttum zu Recht darauf hingewiesen, dass es einen gewissen Widerspruch bedeutet, wenn der Contracts (Rights of Third Parties) Act an bloße Vertrauensakte des Drittberechtigten den Schutz seines Erfüllungsinteresses in Form der Unaufhebbarkeit der Drittberechtigung knüpft107. Die Konsequenz einer vorwerfbaren Enttäuschung des Vertrauens des Dritten in den Fortbestand seines Rechts sollte somit nicht in der Unbeachtlichkeit der Aufhebungsvereinbarung, sondern in einer Schadenshaftung auf das Vertrauensinteresse liegen108. Keinen Bedenken begegnet dagegen die Annahme einer Bindung der Parteien gegenüber dem Dritten infolge seiner Zustimmung. Jedoch sind in dieser Hinsicht noch einige Präzisierungen veranlasst. Der Grund für die Unaufhebbarkeit der Drittberechtung liegt in diesem Fall in einer vertraglichen Bindung der Parteien gegenüber dem Dritten. Damit sollten die Anforderungen an die Zu-
__________ 105 Anders anscheinend Gernhuber (Fn. 33), S. 488 f. 106 S. insbesondere Restatement, Second, Contracts (Fn. 23), § 90. Zur Parallelität der Fragestellung auch Summers, Cornell L. Rev. 67 (1982), 880, 890 Fn. 63. Die Parallele zur – in England in weit geringerem Ausmaß anerkannten – „doctrine of promissory estoppel“ zieht auch der Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.19 (S. 106), Rz. 9.33 (S. 109). – Zur Bedeutung der „consideration“ im Zusammenhang mit einer Annahme des Drittbegünstigten sogleich. 107 S. insb. Smith (Fn. 17), S. 363 f.; Adams/Beyleveld/Brownsword, M.L.R. 60 (1997), 238, 256 f. Gesehen wird die Problematik auch im Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 9.19 (S. 105 f.), jedoch mit der eigentümlichen Konsequenz, dass man deshalb auf das Erfordernis nachteiligen Vertrauens verzichtete, sondern jeden Vertrauensakt für ausreichend erachtete (schlichte „reliance“ an Stelle von „detrimental reliance“). 108 Gegen Zuerkennung von „expectation damages“ aufgrund von „reliance“ auch dezidiert Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1418 f. Zur Möglichkeit einer Haftung unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo im deutschen Recht insb. Hadding in Soergel (Fn. 30), § 328 BGB Rz. 73; Gernhuber (Fn. 33), S. 489.
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stimmung des Dritten grundsätzlich an den Anforderungen für eine Begründung vertraglicher Bindung ausgerichtet werden109. Vor diesem Hintergrund ist dann eine Frage zu beurteilen, die in den untersuchten Rechtsordnungen nicht immer klar beantwortet wird: Führt die Zustimmung des Dritten generell zur Unaufhebbarkeit seines Rechts oder nur dann, wenn sie auf Aufforderung durch eine der Parteien erklärt wurde? Im letzteren Sinn entscheiden das Restatement und die Lando-Grundregeln – meines Erachtens zu Recht. Denn nach den bisherigen Überlegungen ist die Verfestigung der Drittberechtigung gegenüber den Vertragsparteien an einen entsprechenden privatautonomen Akt der Parteien im Verhältnis zum Dritten zu knüpfen. An einem solchen fehlt es, wenn der Abschluss des Vertrags dem Dritten gar nicht von den Parteien mitgeteilt wurde, sondern auf anderem Weg bekannt wurde. Nur wenn der Dritte von einer der Vertragsparteien (das heißt grundsätzlich: vom Versprechensempfänger) hierzu aufgefordert wurde, sollte er mit seiner Zustimmung die Unaufhebbarkeit seiner Berechtigung herbeiführen können110. Dabei ist zu beachten, dass die an den Dritten gerichtete Erklärung nicht nur seiner Information dienen darf, sondern auf die Herbeiführung einer Bindung ihm gegenüber gerichtet sein muss111. Freilich wird sich ein solcher Inhalt häufig konkludent aus einer entsprechenden Mitteilung entnehmen lassen112.
__________ 109 Deutlich im Sinne einer vertraglichen Bindung gegenüber dem Dritten vor allem die viel zitierte US-amerikanische Entscheidung Copeland v. Beard, 115 So. 389, 391 (Ala. 1928): „Coming then to the question of when the [third party beneficiary’s] right of action against the promisor becomes fixed, we think it properly determinable on the basic law of contracts. So long as the contract … is between the [promisee] and his promisor only, the [third party beneficiary] is not a party thereto. He can become so only by his consent. At the same time, the contract, in the nature of it, is an open offer to the [third party]. His assent while the offer is open is all that is required. When the minds of all parties consent to the same thing at the same time, and such consent is communicated between them, the contract is complete. … The tripartite contract being consummated, it cannot be rescinded without the consent of all.“ Zur Bedeutung der „acceptance“ in diesem Sinne auch Fried, Contract as Promise, Cambridge 1981, S. 44 f.; Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1420 f. Weniger klar dagegen die Einordnung in Restatement, Second, Contracts (Fn. 23), § 311 Comm. h: „This rule rests in part on an analogy to the law of offer and acceptance and in part on the probability that the beneficiary will rely in ways difficult or impossible to prove.“ Für das englische Recht grundsätzlich in diesem Sinne auch Smith (Fn. 17), S. 363. Zur Bindung im Falle eines dreiseitigen Vertrags ferner Raab (Fn. 23), S. 476. 110 Insofern sollten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze gelten, wie sie im deutschen Recht § 415 Abs. 1 BGB für die Schuldübernahme vorsieht. 111 Dazu auch Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1420. – Damit ist den Bedenken bei Zimmermann, JZ 1995, 477, 488, Rechnung getragen: Der Versprechensempfänger braucht dem Dritten den Vertrag nicht zu verheimlichen, um sich das Widerrufsrecht vorzubehalten, solange er ihn nicht auffordert, eine Bindung durch Zustimmung herbeizuführen. 112 Was andererseits die Zustimmung des Dritten angeht, kommt im deutschen Recht ferner eine Anwendung von § 151 BGB in Betracht. Auch eine Analogie zu § 516 Abs. 2 BGB ist zu erwägen. Diese Fragen können hier nicht weiter verfolgt werden.
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Eine Besonderheit ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem consideration-Erfordernis des englisch-amerikanischen Rechts113. Denn auch wenn dieses für die Begründung der Drittberechtigung unerheblich sein mag, folgt daraus nach dem hier befürworteten Ansatz noch nicht, dass es für die Frage der Bindung der Parteien gegenüber dem Dritten verzichtbar wäre. Nun ist aber sowohl nach englischem als auch US-amerikanischem Recht eine „consideration“ auch in dieser Hinsicht entbehrlich. Hierin liegt zweifellos eine gewisse Auflockerung gegenüber den allgemeinen Regeln des Common Law über die Voraussetzungen vertraglicher Bindung114. Man mag dies dadurch rechtfertigen, dass die „consideration“ für die Verpflichtung des Versprechenden immerhin vom Versprechensempfänger erbracht wird und dies als „Seriositätsindiz“115 für die Durchsetzbarkeit der Verpflichtung auch durch den Dritten für ausreichend erachtet wird116.
IV. Schlussbemerkungen Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die hier untersuchte Frage nach der Aufhebbarkeit der Drittberechtigung beim Vertrag zugunsten Dritter den Kernbereich dieses Rechtsinstituts betrifft. Denn die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend geprägt durch das dogmatische Verständnis von der Eigenart der Drittberechtigung und ihrer rechtlichen Begründung. Auch hat sich angesichts der festgestellten Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen gezeigt, dass über eben diese Eigenart – jenseits der nunmehr generellen Anerkennung des Vertrags zugunsten Dritter im Grundsatz – keineswegs übereinstimmende Vorstellungen bestehen. Ein wesentliches Ergebnis der rechtsvergleichenden Untersuchung lag darin, dass es verfehlt wäre, die Voraussetzungen für die Bestandskraft der Drittberechtigung gegenüber dem Willen der Vertragsparteien mit jenen ihrer Entstehung gleichzusetzen. Die hier befürwortete Lösung beruht auf dem Grundgedanken, dass eine Bindung der Vertragsparteien gegenüber dem Dritten im Grundsatz keinen anderen Regeln folgen sollte als die Begründung vertraglicher Bindungen im Allgemeinen. Man mag zweifellos in der einen oder anderen Einzelfrage eine abweichende Lösung bevorzugen. Dies ist unausweichlich – geht es doch nicht allein um bloße Ableitungen aus einem ab-
__________ 113 Dazu oben bei Fn. 14. 114 Vgl. Law Commission Report Nr. 242 (Fn. 13), Rz. 6.13 (S. 72) („… our proposed reform not only affords a third party better rights than a gratuitous promisee, it also allows the claim of the third party, who has provided no consideration, to trump the rights of the contracting parties, who have provided consideration and hence have earned each other’s promise, to vary or cancel the contract“) sowie Rz. 6.15 (S. 73); im selben Sinne Burrows, LMCLQ 1996, 467, 483. Zur Problematik auch Vogt, Verträge zu Rechten Dritter, insbesondere auf den Todesfall, mit einem englischen Versprechensempfänger, 1999, S. 116 f. 115 Zu dieser Einordnung des consideration-Erfordernisses insb. Zweigert/Kötz (Fn. 10), S. 384–390; Kötz, Europ. Vertragsrecht (Fn. 6), S. 86 f. 116 So insb. Eisenberg, Colum. L. Rev. 92 (1992), 1358, 1370 f.
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strakt-begrifflichen Verständnis der „Rechtsnatur“ des Vertrags zugunsten Dritter, sondern vor allem auch um eine rechtspolitische Entscheidung über den angemessenen Schutz des Begünstigten vor einer nachträglichen Entziehung seiner Berechtigung. Dass aber beide Aspekte miteinander in Einklang zu bringen sind, ist – hoffentlich – ein weiteres Ergebnis der vorangegangenen Überlegungen. Schließlich hat sich auch in diesem Zusammenhang wieder einmal erwiesen, dass bei solchen Entscheidungen die Rechtsvergleichung einen wertvollen Beitrag zu leisten vermag, indem sie den Blick für die Regelungsproblematik schärft und einen reichen Bestand an Lösungsvorschlägen erschließt. So hat die rechtsvergleichende Umschau wohl deutlich gemacht, dass die hier untersuchte Problematik allein in den Grenzen des deutschen Bürgerlichen Rechts wohl doch noch nicht umfassend ausgelotet ist. Andererseits ist es gerade der auf Grundlage und in Weiterentwicklung der nationalen Rechtsordnungen erarbeitete Vorschlag der Lando-Kommission, der in besonderem Ausmaß die nach den hier gefundenen Ergebnissen vorzugswürdige Regelung verwirklicht hat. Selbst wenn wir von einem wirklich „gemeineuropäischen“ Zivilrecht noch ein wenig entfernt sein mögen, liegt doch schon hierin ein nicht geringes Verdienst.
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Der rechtliche Grund im griechischen Bereicherungsrecht Inhaltsübersicht 1. Der allgemeine Bereicherungsanspruch nach griechischem Recht
4. Zweiter Grund: Das Gesetz
2. Rechtsgrund der Bereicherung – Allgemeines
6. Gleichzeitige Rechtfertigung durch Wille und Entgelt
3. Erster Grund: Der Wille des Entreicherten
7. Schlussfolgerung
5. Dritter Grund: Das Entgelt
1. Der allgemeine Bereicherungsanspruch nach griechischem Recht Das griechische Zivilgesetzbuch (grZGB), das am 23.2.1946 in Kraft getreten ist, hat den Bereicherungsanspruch generalklauselartig anerkannt. Art. 904 § 1 Satz 1 bestimmt: „Wer sich ohne rechtlichen Grund aus dem Vermögen eines anderen oder zu dessen Schaden bereichert hat, ist zur Herausgabe des Vorteils verpflichtet.“ Vorbild für diese Vorschrift war im Grunde § 812 BGB, aber noch mehr in seiner allgemeinen Fassung Art. 62 § 1 des schweizerischen Obligationenrechts. Auf die Art und Weise der Vermögensverschiebung (ob durch Leistung oder in sonstiger Weise) wird nicht abgestellt. Anders als die deutsche bereicherungsrechtliche Entwicklung haben sich griechische Theorie und Rechtsprechung an die Generalklausel des Art. 904 I 1 grZGB als direkt verbindliche Norm gehalten und ihre Voraussetzungen einheitlich interpretiert. Allerdings erkennen sie auch besondere Bereicherungsansprüche als Anwendungsfälle der Generalklausel an (z. B. die condictio indebiti, die condictio causa data causa non secuta, die condictio ob causam finitam, ob turpem vel iniustam causam1 etc.). Die verbindliche Generalklausel schließt auch die Ausgestaltung einer weiteren Typologie von Anwendungsfällen des Bereicherungsanspruchs nicht aus. Weiterhin gibt es Fälle von fehlgeschlagenen Leistungen, bei denen die Rückabwicklung nicht nach den Grundsätzen der Bereicherungsherausgabe, sondern nur zwischen den Leistungspartnern erfolgt, unabhängig davon, ob es sich bei diesen um den Bebzw. den Entreicherten handelt, (was in Fällen von Dreiecksverhältnissen relevant ist). Liegen solche Ausnahmefälle nicht vor, so gelangt der allgemeine Bereicherungsanspruch zur Anwendung, dessen Funktion in der Herausgabe der Bereicherung an die Person ist, auf deren Kosten sie erlangt worden ist.
__________ 1 Diese besonderen Kondiktionen werden in Art. 904 I 2 als Anwendungsfälle des allgemeinen Bereicherungsanspruchs ausdrücklich erwähnt.
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Die nachfolgenden Betrachtungen betreffen nur den allgemeinen Bereicherungsanspruch, für den nach griechischer Theorie und Rechtsprechung ein weiter Anwendungsraum verbleibt. Deswegen erwies es sich als notwendig, einheitliche Voraussetzungen des allgemeinen Tatbestands des Art. 904 I 1 auszugestalten. Das Vorliegen einer Bereicherung auf der Seite des Anspruchsschuldners und die Herkunft dieser Bereicherung vom Vermögen des Anspruchsberechtigten bzw. ihre Verschiebung auf dessen Kosten haben als Voraussetzungen wenig Schwierigkeiten bereitet. Jedoch bei der Bestimmung der zentralen (und für die Institution der ungerechtfertigten Bereicherung charakteristischen) Voraussetzung des Fehlens eines rechtlichen Grundes für die Bereicherung („ohne rechtlichen Grund“) herrschte lange Zeit Unsicherheit und Vagheit. Wenn man sich auf alle Bereicherungsfälle beziehen wollte, verband man den Rechtsgrund mit dem Zweck der Parteien oder des Rechts überhaupt2 oder mit der Billigkeit bzw. der Rechtsidee, deren Verletzung die Rechtsgrundlosigkeit begründen sollte (so vor allem die Theorie). Kasuistischer bestimmte man den Rechtsgrund, wenn man nur einen Bereicherungsfall erklären wollte, wobei man sich z. B. auf die Nichtigkeit, Unwirksamkeit des Vertrags usw., aufgrund dessen die Vermögensverschiebung erfolgt war, oder auf die Verletzung einer Rechtsnorm berief (so vor allem die Rechtsprechung). Der Verfasser dieser Zeilen hat sich in seiner griechischen Habilitationsschrift über die Grundsätze des Bereicherungsrechts (1972) mit diesem Problem auseinander gesetzt und versucht, den allgemeinen Begriff der Rechtsgrundlosigkeit nach Art. 904 I 1 grZGB in der Weise zu konkretisieren, dass sämtliche Bereicherungsfälle lückenlos gedeckt werden, so dass die Einheitlichkeit des allgemeinen Bereicherungsanspruchs gemäß dem Geist dieses Artikels aufrecht erhalten bleibt. Seiner These haben sich seitdem die meisten Stimmen in der Theorie und indirekt auch in der Rechtsprechung angeschlossen3. Nach dieser These, der die nachfolgenden Ausführungen gewidmet sind, wird zunächst positiv bestimmt (was leichter ist), welches die rechtsrelevanten Faktoren sind, die einen
__________ 2 Im Zweckbegriff findet der mit dieser Festschrift geehrte Jubilar (in seiner Monographie über „Die causa im französischen und deutschen Recht“, 1967) die causa im Recht (nicht nur im Bereicherungsrecht). Entscheidend ist für H. P. Westermann (a. a. O., S. 78 ff.) der vereinbarte oder (in Ermangelung einer Zweckvereinbarung) der vom Recht anerkannte typische Zweck einer Vermögenszuwendung. So überwindet der Verfasser zutreffend den Streit, ob der subjektive Parteienzweck oder der objektive Geschäftsgrund den Ausschlag geben soll. Allerdings lässt er so, zugegebenermaßen, die ohne Leistung erfolgte Bereicherung (z. B. die Fälle der Eingriffskondiktion) außerhalb der Causa-Problematik. 3 S. u. a. Papantoniou, AllgT, § 69 III; Ap. Georgiadis, Allg. SchR, § 55 Nr. 26; Ast. Georgiadis, Allg. SchR § 17 bis Nr. 24, Kornilakis, Bes. SchR, § 66 III S. 408 ff.; Karakatsanis, Fragen des Zivilrechts, 1978, S. 86; Ingesiloglou, Der Rechtsgrund im Bereicherungsrecht, Arm 1976, 422 ff.; Yessiou-Faltsi/Ladas, Dike 1991, 436; Papazissi, Der Vertrag zugunsten Dritter, 1983, S. 123; Lazaratos, Dike 1997, 811; Areopag 560/1974, NoB 1975, 147; 379/1975, NoB 1975, 1154; 235/1984, NoB 1985, 266; 1616/1999, EllDni 2000, 437 usw.
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Rechtsgrund der Bereicherung darstellen, so dass danach, bei Fehlen all dieser die Bereicherung rechtfertigenden Faktoren, der Schluss gezogen werden kann, dass die in Art. 904 I 1 negativ ausgedrückte Voraussetzung der Rechtsgrundlosigkeit vorliegt.
2. Rechtsgrund der Bereicherung – Allgemeines Art. 904 I 1 grZGB verlangt, dass die Bereicherung „ohne rechtlichen Grund“ erfolgt ist, also dass sie ungerechtfertigt ist. Zunächst einmal ist festzustellen, dass der rechtliche Grund der Bereicherung nicht notwendig mit dem Rechtsgrund der Rechtsgeschäfte identisch ist. Im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung findet sich der kritische Punkt im rechtlichen Grund der Erhaltung der Bereicherung. Der Rechtsgrund ist ein Behaltenstitel. Es ist anzunehmen, dass dieser Grund gemäß dem Zweck des Bereicherungsrechts weiter und substantieller als der technische Begriff der causa des römischen Rechts aufzufassen ist, selbst wenn er in vielen Fällen damit zusammenfällt. Der Grund der Bereicherung lässt sich nicht allein mit der rein technischen Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft erklären und ebenso wenig mit der formellen Art und Weise der Vermögensverschiebung, sondern nur mit substantiellen Prinzipien und Kriterien. Art. 904 I 1 beantwortet nicht von sich aus die Frage, wann ein rechtlicher Grund vorliegt und wann nicht. Zu Hilfe kommen selbstverständlich auch andere Bestimmungen, auf die Art. 904 I 1 (stillschweigend) verweist. Damit könnte ein Verweis auf die Rechtsordnung im ganzen und den allgemeineren Geist, der wohl in vielen besonderen Bestimmungen Ausdruck findet, gemeint sein. Kritisch sind aber zugleich auch Aufgabe und Sinn des Rechtsinstituts der ungerechtfertigten Bereicherung selbst, wie sie sich in allen Bestimmungen des Bereicherungsrechts manifestiert und vor allem in der Generalklausel. Letztere hat zwar keine Selbständigkeit hinsichtlich der Bestimmung des rechtlichen Grundes, doch darf sie auch nicht vollkommen eines derartigen wesentlichen Inhalts entblößt werden. Letztendlich kommt es der Interpretation zu, festzulegen, wann Art. 904 I 1 grZGB eine Bereicherung als ungerechtfertigt (ohne rechtlichen Grund) oder als gerechtfertigt ansieht, wobei man von Regelungen außerhalb des Bereicherungsrechts ausgeht, ohne jedoch die Ziele dieses Rechts aus dem Blick zu verlieren.
3. Erster Grund: Der Wille des Entreicherten a) Die gewöhnliche, vielleicht sogar die gewöhnlichste, wesentliche Rechtfertigung der Bereicherung und folglich der rechtliche Grund für ihre Erhaltung ist der Wille des Entreicherten, der meistens in einem Verpflichtungsvertrag zwischen ihm und dem Bereicherten enthalten ist (der erste hatte sich verpflichtet, dem zweiten den erlangten Vorteil zu leisten; folglich muss er dessen Erhaltung durch den zweiten anerkennen und hinnehmen). Die Kraft des Willens zur Rechtfertigung der Bereicherung leitet sich von der Privatautonomie 683
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ab, die das gesamte Vermögensrecht durchzieht (vornehmlich als Vertragsfreiheit). Wer mit freiem und rechtswirksamem Willen einem anderen einen Vorteil gewährt hat, bindet sich selbst, und er kann sich nicht über seine freiwillige Handlung sowie über den Glauben, den der Bereicherte in sie gesetzt hat, hinwegsetzen und die Rückgabe des Vorteils verlangen. Insbesondere: b) Aus dem Prinzip der Privatautonomie und der sich daraus ergebenden Selbstbindung der Person lässt sich, wie gesagt, der Wille des Entreicherten als Rechtsgrund der Bereicherung ableiten. Der Wille einer dritten Person kann die Bereicherung nicht rechtfertigen. Privatautonomie und Selbstbindung bedeuten, dass jeder sich selbst binden und somit rechtmäßigen nachteiligen Auswirkungen auf sein Vermögen aussetzen kann mit seinem eigenen Willen und nicht mit dem Willen eines Dritten (s. auch Art. 415 grZGB über den Vertrag zu Lasten eines Dritten4). Der Wille entfaltet seine Rechtfertigungskraft, wenn er vom Recht als wirksam anerkannt wird. Dies trifft in erster Linie auf den in einem Rechtsgeschäft enthaltenen Willen zu (der sich hauptsächlich in Verträgen findet), sofern er gültig ist, d. h. sofern die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind. Die Geschäftsunfähigkeit, der rechtswidrige Inhalt, die Nichteinhaltung einer vorgeschriebenen Form oder das Vorliegen eines anderen Unwirksamkeitsgrundes machen so die aufgrund dieses Willens eingetretene Bereicherung ungerechtfertigt. Dasselbe gilt auch für die Bereicherung in dem Maße, wie sie nicht durch den Vertragsinhalt gedeckt ist und demnach nicht durch den vertraglichen Willen. Rechtfertigende Kraft kann indessen auch der nicht rechtsgeschäftliche Wille entfalten, und zwar wiederum als Ausfluss des Prinzips der Privatautonomie und der Selbstbindung. Das ist der Fall beispielsweise bei einem freiwilligen Realakt oder bei sonstigen Liberalitätshandlungen bzw. Unterlassungen, die den Sinn haben, dass wir es hinnehmen, dass ein Dritter in unsere Vermögenssphäre eingreift und aus diesem Eingriff Nutzen zieht. Dieses Verhalten kann die rechtmäßige Ausübung meiner Rechte bedeuten (z. B. Art. 1000 grZGB, der § 903 Abs. 1 BGB entspricht). Auch bei diesen freiwilligen Handlungen bzw. Unterlassungen bildet der Wille einen rechtlichen Grund für die Bereicherung, nur soweit er rechtverbindlich ist in dem Sinne, dass er, wenn er den Inhalt eines Rechtsgeschäfts bilden würde, gültig wäre und die Selbstbindung seines Trägers zur Folge hätte. Anders ausgedrückt, müssen die Voraussetzungen für die Gültigkeit des im Rechtsgeschäft enthaltenen Willens analog angewendet werden, was in erster Linie praktische Bedeutung hinsichtlich der für die Geschäftsfähigkeit bestehenden Regeln hat. c) Wenn die ursprüngliche Willenserklärung nachträglich ihre Geltung verliert (z. B. Anfechtung wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung, Rücktritt, Wider-
__________ 4 Art. 415 grZGB lautet: „Wer einem anderen versprochen hat, dass ein Dritter eine Leistung bewirken werde, hat, soweit aus dem Vertrag nicht ein anderes zu entnehmen ist, Schadenersatz zu leisten, wenn der Dritte die Leistung verweigert.“
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Der rechtliche Grund im griechischen Bereicherungsrecht
ruf der Schenkung oder des Auftrags, Befreiung wegen schuldloser Leistungsunmöglichkeit, Eintritt einer auflösenden Bedingung, Vertragslösung durch das Gericht nach Art. 388 grZGB über den Wegfall der Geschäftsgrundlage usw.), fällt damit auch der rechtliche Grund der Bereicherung weg, und es öffnet sich der Weg zur Bereicherungsherausgabe (soweit keine besondere Rückabwicklung für den betreffenden Fall vorgesehen ist). Soweit die Wirkung eines Rechtsgeschäfts nicht aufgehoben wird, behält der Wille, selbst wenn der Aufhebungsgrund vorhanden ist (sofern dieser nicht ipso iure Wirkung entfaltet), seine Geltung und rechtfertigt die Erhaltung der Bereicherung. Ein vorliegender Mangel beeinträchtigt nicht die die Bereicherung rechtfertigende Kraft des Willens, außer wenn er die Wirkung des im Rechtsgeschäft enthaltenen Willens berührt. Es versteht sich von selbst, dass hier von der Aufhebung des (schuldrechtlichen) Verpflichtungsgeschäfts und nicht von dem darauf folgenden Verfügungsgeschäft die Rede ist. Wenn letzteres aufgehoben wird (z. B. wegen Anfechtung), erlangt der Entreicherte in der Regel von selbst (s. Art. 184 grZGB, der § 142 Abs. 1 BGB entspricht) das Recht wieder, dessen er sich durch dieses Rechtsgeschäft (Verfügungsgeschäft) begeben hatte, z. B. das Eigentum, und so wird er effizienter geschützt, beispielsweise durch eine Klage auf Herausgabe. Viele Aufhebungsarten beziehen sich allein auf Verpflichtungsgeschäfte (z. B. Rücktritt von einem gegenseitigen Vertrag, Widerruf einer Schenkung usw.), d. h. sie haben nur schuldrechtliche Wirkung und berühren nicht das Verfügungsgeschäft. d) Das Rechtsgeschäft (in der Regel Vertrag), das den rechtlichen Grund für die Bereicherung liefert, ist das Verpflichtungsgeschäft, d. h. das Rechtsgeschäft, mit dem sich der Entreicherte zur Bereicherung der anderen Partei verpflichtet, selbst wenn diese Verpflichtung zeitlich mit der Leistung und dem Eintritt der Bereicherung zusammenfällt. Auch bei den Verträgen mit sofortiger Erfüllung, d. h. jenen, bei denen die Leistung sofort erbracht wird, ohne dass vorher eine entsprechende Verpflichtung eingegangen worden wäre, kann das Bestehen eines Verpflichtungsvertrags in aller Regel nicht angezweifelt werden. Die Übernahme der betreffenden schuldrechtlichen Verpflichtung (einer Verpflichtung, die zur selben Zeit entstanden und erloschen ist, aber logisch immerhin einen Augenblick lang bestand) gibt den Grund her für die Erhaltung der Leistung. Bei Erfüllungsgeschäften oder bei Realakten der Zahlung findet sich also deren Rechtsgrund in einem (logisch vorausgehenden, wenn auch zeitlich mit der Erfüllung zusammenfallenden) Verpflichtungsgeschäft. Selbstverständlich ist eine kausale Verpflichtung erforderlich; eine abstrakte gibt keinen Bereicherungsgrund her. e) Falls die Willenserklärung an eine Bedingung oder sonstige Bestimmung geknüpft ist, versteht es sich von selbst, dass die Bereicherung nur gerechtfertigt ist, sofern die Bedingung erfüllt bzw. die Bestimmung eingehalten wird. Falls das nicht geschieht, entfällt auch der rechtliche Grund für die Bereicherung. Das hat unter anderem praktische Bedeutung für die Schenkungen unter Auflage (z. B. eine Schenkung mit der Auflage, dass der Empfänger den Unterhalt des Gebers übernimmt, u. Ä.). 685
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f) Die Besonderheiten der Dreiecksverhältnisse können hier nicht untersucht werden (vgl. unten Fn 9).
4. Zweiter Grund: Das Gesetz a) In bestimmten Fällen rechtfertigt das Gesetz direkt und nicht über die Privatautonomie die Erhaltung der Bereicherung (unmittelbare Gründe aus dem Gesetz: causae ex lege). Der rechtliche Grund kann entweder aus einer bestimmten Gesetzesvorschrift hervorgehen oder aus dem allgemeineren Geist der Gesetzgebung5. Die Tatsache, dass der rechtliche Grund nicht notwendig durch den Vertrag oder durch eine besondere gesetzliche Vorschrift gegeben sein muss, sondern auch darin liegen kann, dass eine Tätigkeit von der Rechtsordnung allgemein gebilligt wird, soweit sie nicht rechtliche Beschränkungen und Verbote außer Acht lässt, wird verkannt von jener Meinung, die sich de lege ferenda gegen den einheitlichen allgemeinen Anspruch der ungerechtfertigten Bereicherung stellt. Insbesondere: b) Der Gesetzgeber hat natürlich die Macht, trotz eventuellen Fehlens eines anderen rechtlichen Grundes einen Vorteil zu billigen und so eine Rechtfertigung für die Erhaltung der Bereicherung zu liefern. Die Annahme eines direkten aus dem Gesetz zu entnehmenden Grundes im Fall, dass die betreffende Gesetzesvorschrift nicht klar ist, ist eine Frage der Auslegung der Vorschrift. Da sich dabei Zweifel einstellen können, sieht der Gesetzgeber bisweilen etwas in der entgegengesetzten Richtung vor, d. h. er stellt klar, dass in dem konkreten Fall kein Rechtsgrund für die Bereicherung gegeben ist und der Vorteil demzufolge herauszugeben ist. So beispielsweise bezüglich der Art. 1057 ff. grZGB (§§ 946 ff. BGB) Art. 1063 grZGB (§ 951 BGB). Causa ex lege beinhalten nach h. M. die Bestimmungen für den Eigentumserwerb durch Ersitzung, nicht jedoch Art. 1036 grZGB (= § 932 BGB). Einen solchen Grund für die Erhaltung der Bereicherung finden wir auch in den Bestimmungen, welche Naturalobligationen begründen und allgemein rechtfertigen, dass, was ohne Schuld geleistet wurde, behalten wird und nicht herauszugeben ist (z. B. Art. 272 § 2, 498 § 2, 512, 845, 849 Abs. 2, 1348 § 2 grZGB, die den §§ 214 Abs. 2, 518 Abs. 2, 534, 762, 766 Abs. 3, 1301 Abs. 2 BGB entsprechen, usw.). c) Der direkt aus dem Gesetz hervorgehende Bereicherungsgrund findet sich nicht immer in einer bestimmten Vorschrift. Er kann sich, wie gesagt, auch aus dem allgemeineren Geist der Gesetzgebung ergeben. Aus ihm kann sich also ableiten, dass die Rechtsordnung die Bereicherung gutheißt. Manchmal kommen z. B. Vermögensänderungen durch den rechtgemäßen Verlauf des Wirtschaftslebens oder durch die Ausübung von Rechten oder im Rahmen der
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5 Vgl. auch die gewöhnliche Erwähnung in der griechischen Rechtsprechung, dass grundsätzlich der rechtliche Grund nach Art. 904 grZGB als Quelle das Gesetz oder den Vertrag hat.
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allgemeinen Handlungsfreiheit auf der privatrechtlichen Ebene vor. Das Prinzip der freien Ausübung der Rechte sowie der Entwicklung und Gestaltung der rechtlichen Sphäre jedes Individuums, natürlich innerhalb der Grenzen des Gesetzes, gibt in der griechischen Rechtsordnung die am weitesten gehende causa ex lege her, welche die Bereicherung rechtfertigt, die jede Person durch ihre entsprechende Tätigkeit erwirbt (z. B. lauterer Wettbewerb im Handel, rechtgemäße Verwertung von Grundvermögen usw.). Wenn diese Tätigkeit jedoch über die gesetzlichen Grenzen hinausgeht (s. beispielsweise Art. 1000, 1001, 1003 ff. grZGB, die den §§ 903, 905, 906 ff. BGB entsprechen – ferner: unlauterer Wettbewerb), wird abgesehen von anderen besonderen Folgen, die vorgesehen sein können, auch die Billigung durch die Rechtsordnung, d. h. der rechtliche Grund der Bereicherung, aufgehoben. Dann muss der Vorteil, sofern auch die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind, dem Entreicherten zurückgegeben werden (außer wenn letzterer sich nicht auf die Norm, gegen die verstoßen wurde, berufen kann, weil diese etwa den Schutz nicht der Interessen des Entreicherten zum Zweck hat, sondern z. B. nur den des allgemeinen Interesses). d) Einen direkt im Gesetz enthaltenen Grund finden wir auch in Art. 905 § 1 grZGB. Danach ist die Rückforderung einer nicht geschuldeten Leistung ausgeschlossen, wenn der Leistende wusste, dass die Schuld nicht bestand. Auch Art. 906 grZGB gibt einen direkten Grund für das Behalten des Vorteils, wenn die betreffende Leistung entweder wegen einer besonderen sittlichen Verpflichtung oder aus Gründen des Anstands erfolgt ist (vgl. § 814 BGB). Die obigen Bestimmungen (Art. 905, 906 grZGB) sprechen von der Rückforderung einer nicht geschuldeten Leistung. Es entspricht jedoch dem von ihnen verfolgten Zweck, dass sie sich auch auf andere Bereicherungsfälle analog anwenden lassen.
5. Dritter Grund: Das Entgelt a) Der Wille des Entreicherten jedoch und direkt das Gesetz decken nicht, wie die griechische Rechtsprechung früher glaubte, sämtliche Fälle des rechtlichen Bereicherungsgrundes. Das Behalten des Vorteils, das sich nicht auf einen der beiden obigen rechtlichen Gründe stützt, ist nicht notwendig ungerechtfertigt. Es kann seine Begründung (im Sinne des rechtlichen Grundes des Art. 904 grZGB) auch in dem Entgelt finden, das der Bereicherte gegebenenfalls (dem Entreicherten oder auch einem Dritten) gewährt hat, um den Vorteil zu erwerben. Wenn diesem Erwerb ein entsprechender Vermögensverlust bzw. ein finanzielles Opfer des Bereicherten gegenüber steht, als Gegenpreis des Erwerbs, liegt keine ungerechtfertigte Bereicherung, die zurückzugeben wäre, vor, sofern der betreffende Verlust den Erwerb deckt; oder die Bereicherung besteht nur in dem Maße, wie der Erwerb gegebenenfalls über den Verlust hinausgeht, d. h. in der betreffenden Differenz. Der Empfänger darf nicht ärmer werden, als er vor seiner Bereicherung war. Das Rechtsinstitut der ungerechtfertigten Bereicherung zielt nur auf den Entzug des erworbenen Vorteils. Es 687
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versteht sich, dass das Entgelt ein Gegengewicht zur Bereicherung darstellen soll, das im Verkehr mit ihr ausgetauscht werden kann (s. u. zu d). Es liegt ferner auf der Hand, dass das Entgelt praktische Bedeutung als Rechtfertigungsgrund der Bereicherung erlangt, wenn es nicht im Rahmen eines Vertrags mit dem Entreicherten gegeben wurde, denn in einem solchen Fall würde bereits der Vertrag die Bereicherung rechtfertigen (s. u. zu 6). Beispiele: 1) A verkauft B eine Sache und übergibt sie ihm, wobei er den Preis entgegennimmt. Die Sache wird in den Händen von B ohne dessen Verschulden vernichtet (oder geht verloren). Der Verkauf war nichtig. Dass A den Kaufpreis behält, findet keine Rechtfertigung im vertraglichen Willen von B. Gerechtfertigt wird es jedoch durch die Gegenleistung von A. Andernfalls müsste A den Preis herausgeben, ohne jedoch die Sache zu erhalten (Art. 909 grZGB = § 818 Abs. 3 BGB). 2) A glaubt irrtümlich, eine Schuld gegenüber B zu haben. Auf Anweisung des letzteren zahlt er den betreffenden Betrag direkt an C, der Gläubiger von B aus einem wirksamen Verkauf ist. C hat sich nicht ungerechtfertigt bereichert. Sollte er von A beklagt werden, wird er ihm als Rechtsgrund nicht den Kaufvertrag mit B entgegenhalten, der für A res inter alios acta ist (Relativitätsprinzip schuldrechtlicher Verträge), sondern die Gegenleistung als factum (allen gegenüber), die er B erbracht hat oder schuldet6. (Wer hier der tatsächlich ungerechtfertigt Bereicherte ist, gegen den sich der Entreicherte wenden kann, ist eine andere Frage.)
Insbesondere: b) Man kann nicht annehmen, dass der Empfänger einer Bereicherung, der für den Erwerb ein Opfer auf sich genommen hat, in Konflikt gerät mit dem Zweck des Rechtsinstituts der ungerechtfertigten Bereicherung und der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa), deren Ausdruck das Bereicherungsrecht ist, bzw. mit dem Prinzip des Ausgleichs beim Austausch von Gütern. Ausgleich bedeutet den Entzug der reinen Bereicherung, die möglicherweise erzielt wurde, nicht jedoch jeder Bereicherung, die zwar festgestellt wurde, aber woanders ihren Ausgleich findet (vgl. auch Art. 909 grZGB = § 818 Abs. 3 BGB). So müssen wir annehmen, dass Art. 904 grZGB grundsätzlich (abgesehen von Ausnahmen, bei denen aus einem besonderen Grund die Verknüpfung zwischen Bereicherung und Gegenleistung getrennt wird) davon ausgeht, daß die Bereicherung, die mit einer Gegenleistung erlangt wurde (als Gegengewicht zu ihr) gerechtfertigt ist und erhalten bleibt. Im übrigen stimmt diese Auslegung mit der Natur der Sache überein: Die Gegenleistung bildet, über die Ausnahmefälle der Leistungen schenkungshalber hinaus, die Antriebskraft des wirtschaftlichen Lebens, während sie gleichzeitig gemäß den gemeingültigen vernünftigen Vorstellungen in einer Gesellschaft, gemäß der sozialen Wirklichkeit (die, in eine historische Tradition eingebunden, internationale Gültigkeit hat) und gemäß der Psychologie der am Geschäftsleben Beteiligten, die natürliche Erklärung aber auch die Rechtfertigung für die Vermögensverschie-
__________ 6 Genau aus diesem Grunde wäre die Bereicherung von C, wenn es sich bei dem Vertrag um eine Schenkung von B an C gehandelt hätte, gegenüber A nicht gerechtfertigt (s. auch Art. 913 gr ZGB bzw. § 822 BGB).
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bungen in sich birgt. Die Rechtfertigungskraft der Gegenleistung wird voll durch Art. 913 grZGB (= § 822 BGB) bestätigt: Derjenige, welcher am Ende der Bereicherte ist, kann nicht gegenüber dem – mit ihm nicht vertraglich verbundenen – Entreicherten seine durch Schenkung einer anderen dazwischen geschalteten Person erlangte Bereicherung rechtfertigen; er kann dem Entreicherten jedoch (durch Umkehrschluss, basierend auf Art. 913 grZGB) den Erwerb durch entgeltlichen Vertrag entgegenhalten trotz des Prinzips der Relativität der Verträge. Der Unterschied liegt darin, dass im letzten Fall der Bereicherte für seine Bereicherung ein Entgelt gibt, das seinem Erwerb gegenüber steht. Einen zusätzlichen Beweis für die Rechtfertigungskraft des Entgelts finden wir schließlich auch in den Bereicherungsfällen „wegen Nichteintritts des bezweckten Erfolgs“. Das ist häufig der erwartete Ausgleich der Leistung, ein Ausgleich, der nicht Gegenstand einer Verpflichtung war, auf den der Leistende also keinen Anspruch hat. c) Die Nützlichkeit und Notwendigkeit des Entgelts als rechtlichen Grundes der Bereicherung kann unter anderem in den Fällen von nichtigen gegenseitigen Verträgen, in den Fällen von faktischen Vertragsverhältnissen und in den Fällen von Immobilienverkäufen mit einem Scheinpreis (niedriger als der tatsächliche) demonstriert werden. aa) Wenn im ersten Fall (nichtiger gegenseitiger Vertrag) die Leistungen bereits erfüllt sind, die eine jedoch nicht mehr rückerstattet werden kann, weil sie beispielsweise nicht mehr vorhanden ist, hat sich der Empfänger der noch vorhandenen Leistung (und Leistender bezüglich der nicht mehr vorhandenen Leistung) nicht ungerechtfertigt bereichert, obwohl er seine Bereicherung nicht auf einen wirksamen Vertrag stützen kann. Der rechtliche Grund findet sich darin, dass er das (nicht mehr vorhandene) Entgelt gegeben hat. Würden wir dessen Rechtfertigungskraft leugnen, müssten wir den Empfänger der noch vorhandenen Leistung zur Rückgabe verpflichten, ohne ihm die Möglichkeit zu verschaffen, seine eigene Leistung zurückzuverlangen, da diese ja nicht mehr existiert (Art. 909 grZGB = § 818 Abs. 3 BGB)7. Das liefe auf einen Verlust dieser Person hinaus, was im Widerspruch zum Zweck dieses Rechtsinstituts stünde (s. o. Beispiel 1). Auf die erwähnte richtige Lösung läuft auch die in Deutschland herrschende Saldotheorie hinaus, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung. Nach dieser Theorie werden die beiden Leistungen eines nichtigen gegenseitigen Vertrags nicht rückabgewickelt durch getrennte voneinander unabhängige Ansprüche (wie es nach der entgegengesetzten Zweikondiktionentheorie der Fall wäre), sondern sie werden trotz der Nichtigkeit des sie verbindenden Vertrags als einheitliche miteinander verknüpfte Vermögenstransaktion betrachtet. In dieser einheitlichen Betrachtung wird auch ihr Wert mit einbezogen, selbst wenn die eine Leistung verloren gegangen ist, so dass die Differenz zwi-
__________ 7 In bestimmten Fällen löst das Gesetz selbst durch besondere Regelungen das Problem (s. beispielsweise gr ZGB Art. 391 ff., 547 ff. – vgl. §§ 346, 437 BGB). In den übrigen Fällen ergibt sich die Lösung aus den Ausführungen im Text.
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schen ihnen (der „Saldo“) gefunden wird und nur ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zuerkannt wird, d. h. der Anspruch auf Herausgabe der Differenz an den Empfänger der Leistung mit dem geringeren Wert8. Es ist das als Rechtsgrund der Bereicherung verstandene Entgelt, das die Saldotheorie rechtfertigt. Der Empfänger der erhalten gebliebenen Leistung kann nicht den Anspruch der ungerechtfertigten Bereicherung gegen seinen Vertragspartner geltend machen, weil der letztere seine Bereicherung verloren hat (Art. 909 grZGB); der Empfänger der verloren gegangenen Leistung, der diesen Anspruch gegen den ersteren erhebt, welcher seine Bereicherung behält, wird zunächst einmal zurückgewiesen werden (Ausnahmen s. weiter unten), weil diese Bereicherung den Rechtsgrund für ihre Erhaltung in dem gegebenen Entgelt findet (d. h. in der verloren gegangenen Leistung), weswegen sie auch gerechtfertigt ist. Der Verlust des Entgelts in Händen seines Empfängers, d. h. innerhalb seiner Rechtssphäre, beeinträchtigt nicht die Rechtfertigungskraft des Entgelts, die bereits mit seiner Hergabe entstand. Wenn der Wert der erhalten gebliebenen Leistung größer ist als der der untergegangenen, ist selbstverständlich die erstere Leistung nur in dem Ausmaß gerechtfertigt, wie sie von der zweiten gedeckt wird. Demzufolge kann für die Differenz der Anspruch der ungerechtfertigten Bereicherung erhoben werden, denn außerhalb des Rahmens des gültigen Vertrags (wo der Wille, solange der Vertrag wirksam bleibt, grundsätzlich auch den Austausch ungleicher Leistungen rechtfertigt) entwickelt das Entgelt seine Rechtfertigungskraft aufgrund seines objektiven Werts: Leistungen ungleichen Werts rechtfertigen einander grundsätzlich in dem Ausmaß, wie sie einander decken. bb) Bei den faktischen Vertragsverhältnissen gibt es keinen gültigen Willen, welcher die Leistungen, die im Rahmen dieser Beziehungen erbracht werden, rechtfertigt. Eine Rechtfertigung können die Leistungen jedoch in dem gezahlten Entgelt finden. Es stellt das Gegengewicht im obigen Sinne dar. Wenn demnach trotz der Nichtigkeit eines Dauervertrags, z. B. Vermietung einer
__________ 8 S. u. a. Weintraud, Die Saldotheorie, 1931; Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, Rz. 1172 ff. Kritisch zur Saldotheorie (Larenz-) Canaris, Schuldrecht II 2, 13. Aufl. 1994, § 73 III 7. Sein Einwand, dass die Saldotheorie „kein immanentes Kriterium dafür besitzt, die Maßgeblichkeit des Zurechnungsgedankens in ihr Lösungskonzept zu integrieren“, wird u. E. befriedigt, wenn man in dieser Theorie die Wirkung des Entgeltskriteriums als Rechtsgrund der Bereicherung sieht. Dazu dass andererseits Canaris (a. a. O. und unter 2b) sich auf die Ungerechtigkeit der Saldotheorie bei Vorleistungsfällen (Lieferung und darauffolgende Zerstörung der Kaufsache, bei Nichtigkeit des Kaufvertrags, bereits vor Zahlung des Kaufpreises) beruft, kann Folgendes gesagt werden: Der Wegfall des Bereicherungsanspruchs in diesen Fällen ist die Folge des § 818 Abs. 3 BGB, nicht der Saldotheorie. Dieser Paragraph begünstigt den (gutgläubigen) Bereicherten auch in anderen Bereicherungsfällen. Außerdem trägt immer der Vorleistende die Gefahr seiner ohne Sicherung erbrachten Vorleistung. Geschützt werden kann er trotzdem (§§ 819 ff. BGB, § 122 BGB bei Anfechtung wegen Irrtums, § 346 Abs. 2 beim Rücktrittsrecht etc.). Näheres dazu haben wir in unserer oben (unter 1) erwähnten griechischen Monographie, S. 258 f., 261 ff. ausgeführt (wo auch Schutzmöglichkeiten des vorleistenden Verkäufers erwähnt werden, falls der Käufer die Kaufsache vor ihrer Zerstörung bereits gebraucht bzw. verwertet hatte).
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Sache oder Arbeitsvertrag, die Mietsache benutzt und der Mietzins bezahlt wird bzw. die Arbeit geleistet und der Lohn ausgezahlt wird, können Mietzins bzw. Lohn nicht zurückverlangt werden, denn dass sie von ihrem Empfänger behalten werden, findet seine Rechtfertigung in dem gegebenen Entgelt, d. h. der Nutzung der Mietsache bzw. der geleisteten Arbeit. Ein Bereicherungsanspruch wird lediglich bezüglich der gegebenenfalls bestehenden Differenz zwischen dem (objektiven oder marktüblichen) Wert der beiden ausgetauschten Güter anerkannt. cc) Schließlich findet sich in den (in Griechenland üblichen) Fällen von Immobilienverkäufen, in denen (normalerweise aus steuerlichen Gründen) ein Scheinpreis angegeben wird, der niedriger als der tatsächlich zu zahlende ist, die richtige Lösung, sofern von einem gültigen Vertrag nur hinsichtlich des darin angegebenen Preises ausgegangen wird, hinreichend in dem Gedanken des Entgelts als rechtlicher Grund der Bereicherung. Wenn im konkreten Fall beide Leistungspflichten in vollem Ausmaß erfüllt sind, also auch hinsichtlich des nicht angegebenen Teils des Preises, taucht das Problem der Rückerstattung dieses Teils auf. Denn ein rechtlicher Grund aus dem Vertrag (d. h. aus dem Geschäftswillen der Parteien) zum Behalten der Bereicherung liegt nur bezüglich der Immobilie und des angegebenen Preises vor, nicht aber bezüglich des nicht angegebenen Preises. Indessen wird der nicht angegebene Teil des Preises, welchen der Verkäufer vereinnahmt hat, gewöhnlich, teilweise oder ganz, durch den tatsächlichen Wert der Immobilie gedeckt, d. h. durch ein Entgelt von Seiten des Verkäufers, das in dem Wert der verkauften Immobilie besteht, welcher über den angegebenen Preis hinausgeht. Dieses Entgelt hat dem Käufer der Verkäufer der Immobilie (Empfänger des Mehrpreises) gewährt. Die Rückforderung des mehr gezahlten Preises ist nur möglich für den Teil, der nicht durch das Entgelt (tatsächlicher Wert der Immobilie) gedeckt ist, das der Verkäufer gegeben hat. Dies gilt natürlich, wie bereits gesagt, unter zwei Annahmen: einerseits muss der Verkäufer bereits auch den nicht angegebenen Preis entgegengenommen haben, und andererseits wird davon ausgegangen, dass der Vertrag nur bezüglich des angegebenen Preises wirksam bleibt. Wichtig ist hier zu zeigen, ob und in welchen Fällen das Entgelt Rechtfertigungskraft für die Erhaltung der Bereicherung entfalten kann. Das bedeutendste Feld jedoch, auf dem der praktische Wert des Entgelts als Rechtsgrund der Bereicherung augenscheinlich wird, bieten die Dreiecksverhältnisse (s. o. Beispiel 2), auf die hier nicht näher eingegangen werden kann9. d) Das Entgelt muss nicht notwendig dem Kläger (Entreicherten) gegeben werden. Es genügt, dass die Bereicherung gerechtfertigt ist und nicht die Entreicherung. Der Empfänger der Bereicherung, der dafür ein Entgelt, sei es auch einem Dritten, gegeben hat, verstößt nicht gegen das Ausgleichsgebot der iustitia commutativa; er erlangt keine pure Bereicherung, er wird nicht ungerechtfertigt bereichert. Wenn er zur Herausgabe verpflichtet würde, dann hätten
__________ 9 Vgl. Stathopoulos, Bereicherungsherausgabe oder Rückabwicklung im Bereicherungsrecht, in FS Sontis, 1977, S. 203 ff.
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wir keinen Entzug der Bereicherung sondern eine Entreicherung des Empfängers. Das Entgelt soll im Verkehr ein austauschfähiges Gut sein. Bereicherung und Entgelt bilden also zwei Transaktionsobjekte, die (nach dem Willen der Parteien oder gemäß den Umständen) in einer Austauschverbindung untereinander stehen und sich gegenseitig rechtfertigen. Die rein technische Art ihrer Verbindung (vertragliche Leistung und Gegenleistung, vertragliche Leistung unter der Bedingung oder allgemeiner unter der Voraussetzung einer anderen Leistung usw.) ist irrelevant. Jedoch ist ein derartiger kausaler Zusammenhang zwischen dem Gewinn und dem Opfer des Bereicherten erforderlich, dass sich annehmen lässt, dass das eine den Gegenpreis darstellt, der dem anderen gegenüber steht, mit ihm „ausgetauscht“ wird (Entgelt für den Erwerb der Bereicherung). Das Entgelt deckt möglicherweise die Bereicherung nur zum Teil. Das ist anhand objektiver Kriterien zu beurteilen (im Geschäftsverkehr herrschende Auffassungen, aber auch die besonderen konkreten Umstände). Dann bleibt der nicht gedeckte Teil der Bereicherung ungerechtfertigt und ist herauszugeben. Obwohl für die Bereicherung ein Entgelt gegeben wurde, reicht dies ausnahmsweise nicht zur Rechtfertigung der Bereicherung aus, 1) wenn seine Hergabe, und insbesondere seine Verbindung zur Bereicherung, rechts- oder sittenwidrig ist oder gegen Treu und Glauben oder das Verbot des Rechtsmissbrauchs verstößt, und 2) wenn im konkreten Fall das Gesetz eine technische Rückabwicklung und nicht die Herausgabe der Bereicherung anordnet10.
6. Gleichzeitige Rechtfertigung durch Wille und Entgelt Es ist gewöhnlich (z. B. in den wirksamen gegenseitigen Verträgen), dass die Bereicherung des Empfängers sich sowohl auf den Willen der anderen Partei als auch auf das Entgelt, das er selbst gibt, stützt, so dass jeder dieser beiden Faktoren (Wille und Entgelt) allein schon einen hinreichenden Grund für die Rechtfertigung der Bereicherung, d. h. ihren rechtlichen Grund, darstellt. Aber selbst dann decken die beiden Gründe die Bereicherung nicht notwendigerweise im selben Ausmaß. Im Rahmen der Privatautonomie wird eine objektive Gleichheit des Wertes von Leistung und Gegenleistung (Bereicherung und Entgelt) nicht verlangt; die Bestimmung des Entgelts folgt der subjektiven Einschätzung der Parteien (mit bestimmten Einschränkungen, s. z. B. Art. 179 grZGB = § 138 Abs. 2 BGB). Der Gewinn der einen Vertragspartei wegen des größeren objektiven Werts der von ihr empfangenen Leistung im Vergleich zu ihrer eigenen Leistung ist folglich, da gedeckt durch den Willen der anderen Vertragspartei, eine nach Art. 904 grZGB gerechtfertigte Bereicherung. Im Gegensatz dazu wird der Wert des Entgelts als selbständiger Grund der Bereicherung nicht unter dem Prisma der subjektiven Einschätzung der Parteien (deren
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10 S. dazu Stathopoulos in FS Sontis (Fn. 9), S. 213 ff., 238 f.
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Wille nicht untersucht wird) betrachtet, sondern unter dem der Auffassungen im Geschäftsverkehr.
7. Schlussfolgerung Die Voraussetzung des Fehlens eines rechtlichen Grunds ist erfüllt, wenn keiner der drei analysierten rechtlichen Gründe für die Bereicherung (Wille – Gesetz – Entgelt) vorliegt, von denen auch einer allein für deren Rechtfertigung ausreicht. Es sei noch darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber (wie eingangs gesagt wurde) in bestimmten Fällen von fehlgeschlagenen Leistungen eine Rückabwicklung (ausdrücklich oder stillschweigend) anordnet, die nicht nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts, d. h. unabhängig von dessen Voraussetzungen, erfolgen soll. Dann kommt die Rückabwicklungs- und nicht die Bereicherungsfunktion des Herausgabeanspruchs, mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen, zur Geltung (so z. B. in §§ 346 ff., 357, 437 BGB).
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Leistungsstörungen bei Export- und Kompensationsgeschäften im Außenhandel Inhaltsübersicht I. Einleitung und Problemstellung II. Rechtliche Einordnung des Kompensationsgeschäfts als Tausch oder Doppelkauf III. Einordnung der Kompensationsabrede als Vorvertrag IV. Einwendungsdurchgriff 1. Die allgemeinen Voraussetzungen eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB
2. Lieferung mangelhafter Ware 3. Zahlungsverzug des Importeurs beim Exportvertrag 4. Leistungsstörungen beim Kompensationsgeschäft V. Leistungsstörungen bei Beteiligung eines Countertraders VI. Zusammenfassung
I. Einleitung und Problemstellung Das Allgemeine und das Besondere Schuldrecht sind neben dem Gesellschaftsrecht die tragenden Säulen des gewichtigen wissenschaftlichen Werks Harm Peter Westermanns. Bei den hier in Rede stehenden Leistungsstörungen bei Kompensationsgeschäften im Außenhandel zeigen sich Probleme aus beiden Bereichen des Schuldrechts in einem atypischen Zusammenhang. Ausgangspunkt für ein Kompensationsgeschäft, das auch als Gegengeschäft bezeichnet wird, ist der Export von Waren aus einem Industriestaat mit harter Währung in ein Entwicklungsland mit schwacher Währung1. Im Zusammenhang mit der Einigung über einen Exportvertrag als Ausgangsgeschäft verpflichtet sich der Exporteur, im Gegenzug Waren aus dem Entwicklungsland abzunehmen und damit ein Kompensationsgeschäft abzuschließen. Die Verpflichtung zum Abschluss eines Kompensationsgeschäfts wird in der Regel aber nicht in den Exportvertrag aufgenommen, sondern ist Gegenstand einer separaten, u. U. auch mündlichen Vereinbarung. Diese Trennung zwischen Ausgangsgeschäft und Kompensationsgeschäft beruht im Wesentlichen auf drei Gründen: Die Finanzierung des Exportvertrags durch eine Bank und insbesondere der Abschluss einer Exportkreditversicherung würde im Falle einer unmittelbaren vertraglichen Verbindung wegen Entstehung zusätzlicher Leistungsstörungsrisiken erschwert oder sogar unmöglich2. Hinzu kommt, dass bei Erforderlich-
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1 Vgl. dazu Enderlein, Handbuch der Außenhandelsverträge, Bd. 4, 1983, S. 252 ff.; Lurger, Handbuch der Internationalen Tausch- und Gegengeschäfte, 1992, S. 71 f.; Karl, JZ 1988, 643 ff.; Niggemann, RIW 1987, 169 ff. 2 Enderlein (Fn. 1), S. 260; Lurger (Fn. 1), S. 215; Niggemann, RIW 1987, 169, 172.
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keit einer staatlichen Genehmigung für Lieferverträge mehrere Behörden zuständig sein können, die Zuständigkeit im konkreten Einzelfall von der Warenart abhängen kann und darüber hinaus eine direkte Kompensationsvereinbarung möglicherweise nicht genehmigungsfähig ist3. Letztlich ist die Einschaltung eines Dritten, der als Countertrader4 bezeichnet wird und für eine beteiligte Partei die Sachleistung erbringen oder abnehmen soll, einfacher durchzuführen, wenn die Sachleistungen Gegenstände getrennter Verträge sind. In wirtschaftlicher Hinsicht werden bei Kompensationsgeschäften im Ergebnis Sachleistungen getauscht. Denn sowohl der Exporteur mit Sitz in einem Industriestaat als auch der Importeur mit Sitz in einem Entwicklungsland erbringen Sachleistungen. Der wirtschaftliche Vorteil des Gesamtgeschäfts besteht für das Entwicklungsland und seine Vertragspartei darin, dass durch das Kompensationsgeschäft (Gegengeschäft) die für die Erfüllung des ersten Exportvertrags benötigten Devisen wieder zurückfließen5. In rechtlicher Hinsicht stellt sich zunächst die Frage, ob es sich bei solchen Geschäften bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts um einen einheitlichen Tauschvertrag i. S. des § 480 BGB oder um zwei Kaufverträge (Doppelkauf) handelt6. Harm Peter Westermann behandelt die Frage im Rahmen der Kommentierung des § 4807. Liegt ein Doppelkauf vor, so besteht das zentrale Problem darin, ob Leistungsstörungen bei der Durchführung eines Vertrags das andere Kaufrechtsverhältnis beeinflussen. Kann also beispielsweise der Exporteur aus dem Industriestaat die Abnahme und Bezahlung der Kompensationsware verweigern, wenn der Importeur aus dem Entwicklungsland mit der Zahlung des Kaufpreises für die Exportware in Verzug gerät? Die Problematik verschärft sich, wenn dem Exporteur auf der Grundlage einer sog. Third-Party-Klausel die Befugnis eingeräumt wird, für die Durchführung des Kompensationsgeschäfts einen Countertrader einzuschalten8. Die Beteiligung eines Countertraders spielt insbesondere bei sog. Produktabnahmeverträgen (Buy-Back-Vereinbarungen) eine Rolle. Der Exporteur aus dem Industriestaat liefert hier eine Anlage, mit der der Importeur Waren herstellt, die auch für die Bezahlung der Anlage verwendet werden. Beispiel: Der Exporteur aus dem Industriestaat liefert eine Anlage, mit der Kokosnüsse sortiert und versandfertig verpackt werden können. Im Gegenzug verpflichtet sich der Exporteur über einen längeren Zeitraum zur Abnahme von Kokosnüssen im Wert der Anlage. Hier ist offensichtlich, dass der Anlagenbauer keine Verwendung für die Kokosnüsse hat und auch von vornherein nicht über längere Zeit das Risiko des Weiterverkaufs abgenommener Kokosnüsse übernehmen will. Es kann daher vereinbart werden, dass dem Exporteur das Recht zusteht, einen Countertrader, im Beispielsfall also einen Obstimporteur, zu benennen, der direkt mit dem Vertragspartner aus dem Entwicklungs-
__________ 3 Vgl. Enderlein (Fn. 1), S. 260. 4 Vgl. zu Leistungsstörungen im Fall der Einschaltung eines Countertraders unten V. 5 Vgl. Lurger (Fn. 1), S. 71 f.; Fülbier, DB 1992, 977 ff.; Karl, JZ 1988, 645 f.; Niggemann, RIW 1987, 169 f. 6 Vgl. zu dieser Einordnung unten II. 7 Westermann in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 480 BGB Rz. 5. 8 Vgl. dazu unten V.
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Leistungsstörungen im Außenhandel
land einen Liefervertrag abschließt oder zumindest die Abnahmeverpflichtung des Exporteurs aus einem von den Hauptparteien abgeschlossenen Kompensationsgeschäft (Gegengeschäft) übernimmt. Kommt es im Hinblick auf den Anspruch und die Verpflichtung des Countertraders zu Leistungsstörungen, so stellt sich die Frage, inwieweit diese von den Hauptparteien zu verantworten sind und ob sie auf den ursprünglichen Exportvertrag durchschlagen.
II. Rechtliche Einordnung des Kompensationsgeschäfts als Tausch oder Doppelkauf Die von den Parteien gewählte Bezeichnung der Geschäfte ist für die rechtliche Einordnung nicht ausschlaggebend. Die Verpflichtung zur Erbringung einer Geldleistung spricht in der Regel gegen das Vorliegen eines Tauschvertrags und für die Annahme eines Kaufvertrags, weil durch dieses Element das für den Kauf charakteristische Umsatzinteresse und nicht das für den Tausch erforderliche Austauschinteresse zum Ausdruck kommt. Die Besonderheit des Kompensationsgeschäfts besteht aber darin, dass bei einer Gesamtbetrachtung beide Parteien neben der Geldleistung eine Sachleistung erbringen und sich die Geldzahlungen letztlich neutralisieren. Die Einordnung sowohl des Exportvertrags als auch des Kompensationsgeschäfts als Kaufvertrag kann daher nicht allein mit der Verpflichtung beider Parteien zur Zahlung eines Geldbetrags begründet werden. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Tausch und Doppelkauf ist vielmehr, ob die beiderseitigen Verpflichtungen zur Erbringung einer Sachleistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) stehen. Ist dies der Fall, so liegt ein Tauschvertrag vor9. Ein solches Synallagma zwischen zwei Sachleistungen ist bei den hier in Rede stehenden Kompensationsgeschäften in der Regel nicht gegeben10, weil jede Partei trotz eines Zusammenhangs zwischen beiden Liefervereinbarungen ihre Sachleistung primär gegen Zahlung eines Geldbetrags erbringt. Es handelt sich um einen Doppelkauf11. Mit der Ablehnung eines Synallagmas in Bezug auf die beiden Sachleistungen scheidet zwar bei Auftreten von Leistungsstörungen eine vertragsübergreifende Anwendung der Einrede des nicht erfüllten Vertrags aus § 320 BGB aus. Damit ist aber nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass aufgrund eines bestehenden Zusammenhangs zwischen beiden Verträgen Leistungsstörungen „durchschlagen“ und insbesondere § 273 BGB Anwendung findet12.
__________ 9 Grunewald in Erman, 11. Aufl. 2004, § 480 BGB Rz. 2; Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 7), § 480 BGB Rz. 2; Weidenkaff in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 480 BGB Rz. 4; Mader in Staudinger, Neubearb. 2004, § 480 BGB Rz. 2; Gehrlein in Bamberger/Roth, 2003, § 480 BGB Rz. 2. 10 Enderlein (Fn. 1), S. 259; Lurger (Fn. 1), S. 69; Karl, JZ 1988, 643, 645; Niggemann, RIW 1987, 169 f. 11 Westermann in MünchKomm.BGB (Fn. 7), § 480 BGB Rz. 5; Fülbier, DB 1992, 977 ff.; Groh in FS Döllerer, 1988, S. 158. 12 Vgl. dazu IV. 1.
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III. Einordnung der Kompensationsabrede als Vorvertrag Von dem in der Regel vorliegenden Doppelkauf und damit von beiden Kaufverträgen (Exportvertrag und Kompensationsgeschäft/Gegengeschäft) zu unterscheiden ist die Verpflichtung der Parteien zum Abschluss eines Kompensationsgeschäfts. Ohne eine solche Verpflichtung lässt sich ein rechtlicher Zusammenhang zwischen beiden Lieferverträgen nicht begründen. Im Exportvertrag findet sich aus den oben (I.) dargestellten Gründen eine dahingehende Verpflichtung in der Regel nicht. Aus denselben Gründen fehlt dann regelmäßig auch eine Bezugnahme auf eine separate Abrede über ein Kompensationsgeschäft13. Haben sich die Parteien darüber verständigt, dass der Abschluss eines Kompensationsgeschäfts Voraussetzung für den Abschluss des Exportvertrags ist, so ist eine darauf bezogene ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung als Vorvertrag einzuordnen14. Gegen die Annahme eines Vorvertrags wird eingewandt, dass in Bezug auf das Kompensationsgeschäft (Gegengeschäft) sowohl der Preis als auch die Liefermenge noch unbestimmt sei15. Haben sich die Parteien zumindest über die Notwendigkeit der Vornahme eines Kompensationsgeschäfts verständigt, so ergibt sich aus dem Charakter des Kompensationsgeschäfts, dass die Liefermenge sich am Volumen des Exportvertrags als Ausgangsgeschäft orientiert. Nicht erforderlich für die Annahme eines Vorvertrags ist eine exakte Festlegung des Preises für die Kompensationsware. Es genügt vielmehr, dass die Parteien sich über das Prinzip der Preisfestsetzung – z. B. die Zugrundelegung von bestimmten Marktpreisen – geeinigt haben16. Sind sich die Parteien über die Notwendigkeit eines Kompensationsgeschäfts und die Art der Kompensationsware einig, so sind sie sich auch bei fehlender exakter Festlegung der Liefermenge und des Preises sicher, dass das Kompensationsgeschäft als zweiter Liefervertrag ordnungsgemäß abgeschlossen und durchgeführt wird. Die Verneinung eines Vorvertrags wäre mit dem übereinstimmenden Parteiwillen nicht vereinbar. Auch das Ergebnis wäre alles andere als befriedigend, weil der Exporteur nach Erbringung seiner Leistung und Erhalt des Kaufpreises den Abschluss des Kompensationsgeschäfts verweigern könnte. Er würde also allenfalls durch das Risiko eines Abbruchs der Geschäftsbeziehungen mit dem Vertragspartner aus dem Entwicklungsland von der Ablehnung eines Kompensationsgeschäfts abgehalten. Dieses Ergebnis hält auch die Gegenauffassung17 für unangemessen. Als rechtliche Sanktion soll nach dieser Auffassung eine Haftung aus culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) wegen Verletzung einer Schutzpflicht eingreifen18. Auch diese Argumentation überzeugt nicht. Besteht
__________ 13 Enderlein (Fn. 1), S. 260; Lurger (Fn. 1), S. 215; Fülbier, DB 1992, 977 f.; Niggemann, RIW 1987, 169, 172. 14 Enderlein (Fn. 1), S. 266; Fülbier, DB 1992, 977 f.; Niggemann, RIW 1987, 169, 173; a. A. Karl, JZ 1988, 646 f. 15 Karl, JZ 1988, 643, 646. 16 Vgl. Enderlein (Fn. 1), S. 262. 17 Karl, JZ 1988, 643, 647. 18 Karl, JZ 1988, 643, 647.
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nämlich kein Vorvertrag und damit keine rechtliche Verpflichtung zum Abschluss eines Kompensationsgeschäfts, so kann die Verweigerung des Abschlusses eines Kompensationsgeschäfts keine Pflichtverletzung darstellen19. Gegen die Annahme eines Vorvertrags kann auch nicht angeführt werden, dass bei schriftlichen Verträgen die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit gilt20. Diese Beweisregel findet zwar grundsätzlich auch auf Exportverträge Anwendung, sie greift aber in der Regel nicht zu Lasten von mündlichen oder konkludenten Gegengeschäftsabreden ein, sofern die fehlende Aufnahme der Abrede über das Kompensationsgeschäft in den Exportvertrag als Ausgangsgeschäft auf den oben (I.) dargestellten Problemen bezüglich der Erlangung einer Exportkreditversicherung und einer staatlichen Genehmigung beruht. Wenn also der Abschluss einer Exportkreditversicherung nur bei Fehlen einer Verpflichtung zur Durchführung eines Kompensationsgeschäfts im Exportvertrag möglich ist, kann das Fehlen einer Kompensationsabrede nicht vermutet werden. Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass ausdrückliche oder konkludente Abreden über die Durchführung eines Kompensationsgeschäfts einen verbindlichen Vorvertrag darstellen. Dieser Vorvertrag ist Grundlage für einen Zusammenhang zwischen beiden Lieferverträgen und damit Grundlage für vertragsübergreifende Rechtsfolgen von Leistungsstörungen.
IV. Einwendungsdurchgriff 1. Die allgemeinen Voraussetzungen eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB Aus den bereits dargelegten Gründen (II.) besteht zwischen der Sachleistung des Exportvertrags und der Sachleistung des Kompensationsgeschäfts kein Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) i. S. d. § 320 BGB. Gleichwohl ist bei Bestehen einer Kompensationsabrede der spätere Abschluss eines Kompensationsgeschäfts nach dem übereinstimmenden Parteiwillen Voraussetzung für den Abschluss des Exportvertrags. Der Exportvertrag kann nicht ohne die Be-
__________ 19 So zu der allgemeinen Problematik der Verweigerung eines Vertragsschlusses nach Inaussichtstellung eines Vertrags Wertenbruch, ZIP 2004, 1525, 1529; Kindl in Erman (Fn. 9), § 311 BGB Rz. 34; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, S. 616; Medicus in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I, 1981, S. 479, 498; Grunewald, JZ 1984, 708 ff.; a. A. Küpper, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo, 1988, S. 270; Lutter, Der Letter of Intent, 3. Aufl. 1998, S. 77. 20 Vgl. zu dieser allgemeinen Beweisregel BGH, BGHZ 20, 109, 111; BGH, NJW 1980, 1680 f.; BGH, NJW-RR 1989, 1323 f.; BGH, NJW 1999, 1702, 1703; BGH, NJW 2002, 3164 f.; Einsele in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 125 BGB Rz. 39; Palm in Erman (Fn. 9), § 125 BGB Rz. 17; Heinrichs in Palandt (Fn. 9), § 125 BGB Rz. 15; Hertel in Staudinger (Fn. 9), § 125 BGB Rz. 92 (zweifelnd bei Schriftform); Ahrens in Prütting/Wegen/Weinreich, 2006, § 125 BGB Rz. 26; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1999, § 125 BGB Rz. 2.
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reitschaft des Exporteurs zum Bezug von Kompensationsware geschlossen werden21. Es kann also gesagt werden, dass der Exportvertrag mit dem in Aussicht genommenen Kompensationsgeschäft steht und fällt. Die im Grundsatz gegebene Selbstständigkeit der beiden Kaufverträge und die fehlende synallagmatische Verknüpfung der Sachleistungen steht zwar bei Leistungsstörungen einer vertragsübergreifenden Anwendung des § 320 BGB entgegen22. Das bestehende Abhängigkeitsverhältnis kann aber eine ausreichende Grundlage für das Entstehen eines Zurückbehaltungsrechts i. S. d. § 273 BGB sein. Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Schuldner aus „demselben rechtlichen Verhältnis“ einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat. Erforderlich ist also eine sog. Konnexität der Ansprüche. Dieses Tatbestandsmerkmal des § 273 BGB ist weit auszulegen23. Die Konnexität setzt nicht voraus, dass die sich gegenüberstehenden Ansprüche ihre Grundlage in demselben Rechtsverhältnis haben24. Es genügt vielmehr eine Grundlage in Gestalt eines „innerlich zusammenhängenden, einheitlichen Lebensverhältnisses“25. Beruhen die Ansprüche jeweils auf Verträgen, so müssen diese „in einem solchen natürlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den der anderen Seite zustehenden Anspruch geltend gemacht und durchgesetzt werden könnte“26. Ein solcher Zusammenhang ist zwischen Exportvertrag und Kompensationsgeschäft zu bejahen27. Nach der Rechtsprechung kommt in dem Fall, dass die Ansprüche auf verschiedenen Verträgen beruhen, eine Anwendung des § 273 BGB insbesondere dann in Betracht, wenn eine dauernde Geschäftsverbindung vorliegt28. Im Vergleich zu den Ansprüchen aus einer ständigen Geschäftsverbindung i. S. dieser Rechtsprechung muss bei den hier behandelten Kompensationsgeschäften erst recht die Konnexität bejaht werden. Denn in wirtschaftlicher Hinsicht werden, obwohl zwei separate Kaufverträge abgeschlossen werden, Sachleis-
__________ 21 Enderlein (Fn. 1), S. 257, 264; Fülbier, DB 1992, 977; Niggemann, RIW 1987, 169, 172 ff. 22 Fülbier, DB 1992, 977, 978 f.; Niggemann, RIW 1987, 169, 177. 23 BGH, BGHZ 92, 194, 196; BGH, BGHZ 115, 99, 103 f.; BGH, NJW 1991, 2645, 2646; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 1156 f.; Kuckuk in Erman (Fn. 9), § 273 BGB Rz. 15; Krüger in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 273 BGB Rz. 13; Heinrichs in Palandt (Fn. 9), § 273 BGB Rz. 9. 24 BGH, BGHZ 115, 99, 103; Kuckuk in Erman (Fn. 9), § 273 BGB Rz. 15; Krüger in MünchKomm.BGB (Fn. 23), § 273 BGB Rz. 13. 25 BGH, BGHZ 115, 99, 103; BGH, NJW 1991, 2645, 2646; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 1156 f.; Kuckuk in Erman (Fn. 9), § 273 BGB Rz. 15; Krüger in MünchKomm.BGB (Fn. 23), § 273 BGB Rz. 13. 26 BGH, BGHZ 115, 99, 103 f.; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 1156 f.; Kuckuk in Erman (Fn. 9), § 273 BGB Rz. 15; Heinrichs in Palandt (Fn. 9), § 273 BGB Rz. 9. 27 So auch Lurger (Fn. 1), S. 238 f.; a. A. Fülbier, DB 1997, 977, 978 f. Von Niggemann, RIW 1987, 169, 177 wird diese Frage offen gelassen. 28 RG, RGZ 68, 32, 34; RG, RGZ 78, 334, 336; RG, Recht 1917, Nr. 1585; BGH, BGHZ 54, 244, 250; OLG Düsseldorf, NJW 1978, 703 f.; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 1156 f.; Kuckuk in Erman (Fn. 9), § 273 BGB Rz. 15; Krüger in MünchKomm.BGB (Fn. 23), § 273 BGB Rz. 16.
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tungen getauscht29. Durch das Kompensationsgeschäft fließen die für die Finanzierung des Imports einer Sache an den Exporteur aus dem Industriestaat geleisteten Devisen wieder zurück in das Entwicklungsland. Dass die Parteien keinen Tauschvertrag im technischen Sinne abschließen und damit kein echtes Synallagma begründen, das zur Anwendung des § 320 BGB führen würde, beruht im Wesentlichen auf den bereits dargestellten Problemen bezüglich der Exportkreditversicherung und der Erteilung von behördlichen Warenverkehrsgenehmigungen30. Hinzu kommt, dass das Kompensationsgeschäft in zeitlicher Hinsicht nach Abwicklung des Exportvertrags durchgeführt werden soll und daher der Umfang der Leistung und der Preis für die Kompensationsware noch nicht exakt bestimmt werden kann. Aufgrund des gegebenen natürlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn Ansprüche aus einem Vertrag ohne Rücksicht auf den anderen Vertrag geltend gemacht und durchgesetzt werden könnten. Mit Bejahung der für ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB notwendigen Konnexität ist aber noch nicht gesagt, welche Leistungsstörungen im Einzelfall ein Zurückbehaltungsrecht begründen. Nach § 273 Abs. 1 BGB besteht das Zurückbehaltungsrecht trotz Konnexität nicht, sofern sich aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergibt. Dies ist eine Frage der Auslegung. 2. Lieferung mangelhafter Ware Liefert der Exporteur aus dem Industriestaat mangelhafte Ware, so wird dadurch weder die Durchführung des Exportvertrags noch die des Kompensationsgeschäfts endgültig in Frage gestellt. Dem Importeur steht bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts gem. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB ein Nacherfüllungsanspruch zu. Bei Lieferung größerer Maschinen oder sonstiger Anlagen dürfte die Notwendigkeit von Nachbesserungsarbeiten ohnehin keine Seltenheit sein. Da in der Regel neu hergestellte Sachen exportiert werden, wird die Durchführung des Exportvertrags bei Unmöglichkeit der Nachbesserung aufgrund der Möglichkeit einer Ersatzlieferung regelmäßig nicht gefährdet. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass der Exporteur aus dem Industriestaat unverzüglich den Nacherfüllungsanspruch des Importeurs erfüllt. Gerät der Exporteur allerdings mit der Erfüllung des Nacherfüllungsanspruchs des Importeurs aus dem Entwicklungsland in Verzug, so kommt zum Tatbestand der pflichtwidrigen Lieferung einer mangelhaften Kaufsache eine weitere Pflichtverletzung hinzu, die das nicht unerhebliche Risiko begründet, dass die Durchführung des Exportvertrags nach einer erfolglosen Nachfristsetzung endgültig scheitert. Der Importeur kann daher, sofern das Kompensationsgeschäft noch nicht abgeschlossen wurde, die Eingehung einer dahingehenden Verpflichtung nach § 273 Abs. 1 BGB einstweilen verweigern. Entsprechendes gilt im Falle eines bereits abgeschlossenen Kompensationsgeschäfts in Bezug auf die Erbringung der Sachleistung. Die Einrede aus § 273 BGB bei Verzug des
__________ 29 Vgl. oben I. 30 Vgl. oben I.
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Exporteurs bezüglich der Erfüllung des Nacherfüllungsanspruchs erlangt insbesondere dann praktische Bedeutung, wenn der Importeur den Kaufpreis bereits gezahlt hat und ihm daher die Einrede des nicht erfüllten Vertrags aus § 320 BGB nicht mehr zur Seite steht. Scheitert die Durchführung des Exportvertrags im Falle der Lieferung einer mangelhaften Sache endgültig, weil die Nacherfüllung innerhalb einer gesetzten Nachfrist nicht durchgeführt wird oder fehlschlägt, so entfällt die Geschäftsgrundlage für das Kompensationsgeschäft. Entsprechendes gilt, wenn die Nacherfüllung von vornherein unmöglich ist. Der Exportvertrag ist Geschäftsgrundlage des Kompensationsgeschäfts, weil einerseits nach dem Parteiwillen das Kompensationsgeschäft einen Exportvertrag als Ausgangsgeschäft voraussetzt, andererseits aber der Exportvertrag keine unmittelbare Verpflichtung zur Eingehung des Kompensationsgeschäfts enthält31. Eine Vertragsanpassung im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB scheidet bei Wegfall des Exportvertrags regelmäßig aus. Das im Falle einer nicht möglichen Vertragsanpassung gegebene Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB steht aber nach der vertraglichen Risikoverteilung nur dem Käufer des Exportvertrags und damit dem Schuldner der Sachleistung des Kompensationsgeschäfts zu. Nur diese Vertragspartei ist der „benachteiligte Teil“ i. S. d. § 313 Abs. 3 BGB. Der Vertragspartner aus dem Entwicklungsland (Importeur) kann daher bei Scheitern des Exportvertrags frei darüber entscheiden, ob er das Kompensationsgeschäft durchführt. Die für den Fall des Verzugs des Exporteurs bezüglich der Erfüllung des Nacherfüllungsanspruchs dargelegten Rechtsfolgen gelten entsprechend, wenn der Exporteur bereits mit der ursprünglichen Lieferverpflichtung in Verzug gerät. 3. Zahlungsverzug des Importeurs beim Exportvertrag Gerät der Importeur aus dem Entwicklungsland mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug, so kann der Exporteur zunächst bezogen auf diesen Exportvertrag gem. §§ 281, 323 BGB eine Nachfrist setzen. Zahlt der Importeur auch innerhalb einer Nachfrist den Kaufpreis nicht, so kann der Exporteur vom Vertrag zurücktreten und Schadensersatz statt der Leistung verlangen. In der Regel wird aber der Exporteur kein Interesse an der Rücknahme der Sache haben, so dass eine Durchsetzung des Kaufpreisanspruchs einschließlich Verzugszinsen eher den Interessen des Exporteurs entspricht. Im Hinblick auf das Kompensationsgeschäft kann der Exporteur des ersten Vertrags, solange der Importeur sich im Zahlungsverzug befindet, den Abschluss des Geschäfts bzw. dessen Durchführung gem. § 273 BGB verweigern. Tritt der Exporteur aufgrund des Zahlungsverzugs des Importeurs nach erfolgloser Nachfristsetzung vom Exportvertrag zurück, so entfällt auch hier die Geschäftsgrundlage für das
__________ 31 Vgl. oben I., III. Vgl. zur Abgrenzung zwischen Vertragsinhalt und Geschäftsgrundlage Hohloch in Erman (Fn. 9), § 313 BGB Rz. 18; Grüneberg in Palandt (Fn. 9), § 313 BGB Rz. 10; Stadler in Jauernig, 12. Aufl. 2007, § 313 BGB Rz. 8.
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Kompensationsgeschäft. Der Exporteur muss also nicht die Kompensationsware abnehmen und bezahlen. 4. Leistungsstörungen beim Kompensationsgeschäft Kommt es bei der Durchführung des Kompensationsgeschäfts zu Leistungsstörungen, so stellt sich die Frage der Auswirkungen auf den Exportvertrag. Ist dieser von beiden Seiten bereits vollständig erfüllt worden, so entspricht es dem übereinstimmenden Parteiwillen, dass dieser Vertrag auch bei vollständigem Scheitern des Kompensationsgeschäfts nicht rückabgewickelt wird. Das Kompensationsgeschäft ist zwar Geschäftsgrundlage des Exportvertrags, die Aufhebung des bereits erfüllten Exportvertrags bei Scheitern des Kompensationsgeschäfts stellt aber keine den Interessen der Parteien entsprechende Rechtsfolge dar. Scheitert das Kompensationsgeschäft, weil der Importeur aus dem Entwicklungsland die von ihm geschuldete Kompensationsware entweder gar nicht oder nicht fehlerfrei liefern kann, so kann der Exporteur des ersten Vertrags vom Kompensationsgeschäft zurücktreten mit der Folge, dass er von der Kaufpreiszahlungsverpflichtung befreit wird. Einen etwaigen Schaden wegen Nichtlieferung der Kompensationsware kann er nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB ersetzt verlangen. Dass der Importeur aus dem Entwicklungsland keine fehlerfreie Kompensationsware liefern kann, ist ein typisches Risiko des gesamten Geschäfts. Die Aufhebung eines bereits durchgeführten Exportvertrags wäre für den Importeur eine unangemessene Sanktion, die durch ein Interesse des Exporteurs nicht gerechtfertigt werden kann. Ist dagegen der Exportvertrag zum Zeitpunkt des Lieferverzugs beim Kompensationsgeschäft noch nicht erfüllt, so kann der Exporteur gem. § 273 BGB die Lieferung einstweilen verweigern, sofern er ein Interesse an der Kompensationsware hat. Ist dies nicht der Fall, so kann er den Exportvertrag erfüllen und sich vom Kompensationsgeschäft lösen, sofern die Kompensationsware auch nach Fristsetzung nicht geliefert wird. Gerät der Exporteur des ersten Vertrags mit der Abnahme und/oder Bezahlung der Kompensationsware in Verzug, so stellt sich die Frage, ob der Verkäufer der Kompensationsware von einem bereits abgewickelten Exportvertrag zurücktreten kann. Auch dies ist zu verneinen. Der Verkäufer der Kompensationsware kann den Kaufpreisanspruch einschließlich der Verzugszinsen und eines darüber hinausgehenden Nichterfüllungsschadens gerichtlich geltend machen. In der Regel wird ein Rücktritt vom Exportvertrag auch nicht dem Interesse des Importeurs entsprechen, weil die importierte Sache weiter benötigt wird. Schließlich würde ein Rücktritt vom Exportvertrag die Rechtslage für den Importeur überhaupt nicht verbessern. Denn er müsste den bereits gezahlten Kaufpreis zurückfordern und diesen Anspruch notfalls gerichtlich geltend machen. Insoweit macht es also keinen Unterschied, ob der Verkäufer der Kompensationsware den Anspruch auf den Kaufpreis für diese Ware oder einen Rückzahlungsanspruch infolge eines Rücktritts vom Exportvertrag als erstem Vertrag geltend macht.
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V. Leistungsstörungen bei Beteiligung eines Countertraders Der Lieferant des Exportvertrags hat in der Regel kein Interesse an der Kompensationsware. Das Kompensationsgeschäft wird in der Regel nur deshalb abgeschlossen, weil ansonsten der Exportvertrag nicht zustande kommt. Beispiel: Der Exporteur einer Maschine verpflichtet sich im Rahmen eines Kompensationsgeschäfts zur Abnahme und Bezahlung von Orangensaftkonzentrat und Soja. In einem solchen Fall wird häufig vereinbart, dass der Exporteur des Ausgangsvertrags in Bezug auf die Abwicklung des Kompensationsgeschäfts einen Dritten als Countertrader einbeziehen kann32. Wird die Kompensationsware vom Käufer und damit vom Exporteur des ersten Vertrags an einen Dritten weiterverkauft, so berühren Leistungsstörungen in Bezug auf diesen Vertrag grundsätzlich nicht das Kompensationsgeschäft und schon gar nicht den Exportvertrag. Die weitere Verwendung der Kaufsache ist alleiniges Risiko des Käufers. Schließt dagegen der Countertrader aufgrund einer Third-Party-Klausel den Liefervertrag unmittelbar mit dem Verkäufer der Kompensationsware ab, so stellt sich bei Leistungsstörungen in Bezug auf diesen Vertrag die Frage der Haftung des Exporteurs des ersten Vertrags und damit des originären Vertragspartners des Kompensationsgeschäfts. Insoweit sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden: die Nicht- oder Schlechtlieferung seitens des Verkäufers der Kompensationsware einerseits und die Verletzung der Abnahme- und/oder Kaufpreiszahlungspflicht durch den Countertrader andererseits. Dass ein Liefervertrag über Kompensationsware das Risiko einer Nicht- oder Schlechtlieferung in sich trägt, ist dem Countertrader als auf die konkrete Ware spezialisiertem Händler bekannt. Für ihn ist ohne Weiteres ersichtlich, dass der Exporteur des ersten Vertrags insoweit keine Risiken übernehmen will. Bei fehlender ausdrücklicher Regelung der Problematik im Vertrag mit dem Countertrader ist daher aufgrund einer Vertragsauslegung davon auszugehen, dass dem Countertrader nur gegen den Verkäufer der Kompensationsware, nicht aber gegen den Exporteur des ersten Exportvertrags Ansprüche bei Pflichtverletzungen des Lieferanten zustehen. Wenn also im Beispielsfall der Countertrader als Orangensafthersteller vom Verkäufer der Kompensationsware mangelhaftes Orangensaftkonzentrat erhält und dieser Liefervertrag endgültig scheitert, kann der Countertrader den Exporteur der Maschine nicht subsidiär in Anspruch nehmen. Verletzt dagegen der Countertrader die Abnahme- und/oder Zahlungspflicht aus dem Liefervertrag über die Kompensationsware, so ist die Frage der Haftung des Exporteurs des ersten Vertrags anders zu beurteilen. Die Einschaltung des Countertraders liegt in erster Linie im Interesse des Exporteurs des ersten Vertrags, weil dieser die Kompensationsware nicht selbst verwenden kann. Fehlt eine besondere Regelung der Problematik im Vertrag über das Kompensationsgeschäft, so ist nicht davon auszugehen, dass die Einschaltung des
__________ 32 Enderlein (Fn. 1), S. 257 f.; Lurger (Fn. 1), S. 249 ff.; Fülbier, DB 1997, 977, 979 f.; Karl, JZ 1988, 642 f.; Niggemann, RIW 1987, 169, 172.
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Countertraders und der unmittelbare Abschluss des Liefervertrags durch diesen für den Exporteur des ersten Geschäfts zu einer schuldbefreienden Wirkung führen33. In der Regel liegt nur eine Erfüllungsübernahme vor34. Da der Verkäufer der Kompensationsware mit der Erfüllungsübernahme einverstanden ist und den Liefervertrag mit dem Countertrader abschließt, muss der Verkäufer im Falle der Nichterfüllung von Pflichten des Countertraders diesem zunächst eine Nachfrist setzen. Denn solange der Liefervertrag als Kompensationsgeschäft nicht aufgehoben wird, ergäbe die subsidiäre Inanspruchnahme des Exporteurs des ersten Vertrags keinen Sinn, weil dieser die Ware nicht abnehmen, sondern allenfalls Druck auf den Countertrader ausüben könnte. Wird der Liefervertrag mit dem Countertrader dagegen durch Rücktritt des Verkäufers aufgehoben, so ist der Fall so zu beurteilen, als wenn der Countertrader von vornherein den Abschluss eines Liefervertrags verweigert hätte. Es greift dann eine subsidiäre Abnahme- und Zahlungsverpflichtung des Exporteurs des ersten Vertrags als des originären Schuldners des Kompensationsgeschäfts ein. Entsteht dem Verkäufer der Kompensationsware durch die Pflichtverletzung des Countertraders ein Schaden, so muss subsidiär auch der Exporteur des ersten Vertrags dafür einstehen35. Der Exporteur des ersten Vertrags ist dann auf Regressansprüche gegen den Countertrader beschränkt. Eine schuldbefreiende Wirkung der Einschaltung des Countertraders kann zwar zwischen dem Exporteur des ersten Vertrags und dem Importeur aus dem Entwicklungsland vereinbart werden, dies entspricht aber nicht dem Interesse des Importeurs und dürfte daher nur schwer bei den Vertragsverhandlungen durchsetzbar sein. Denn der Importeur aus dem Entwicklungsland müsste die Bonität und Zuverlässigkeit von zwei ausländischen Vertragspartnern prüfen. Die Vertragsrisiken sind daher angemessen verteilt, wenn die Einschaltung des Countertraders letztlich auf Risiko des Exporteurs des ersten Vertrags erfolgt. Denn dieser kann das Risiko von Pflichtverletzungen des Countertraders durch eine sorgfältige Auswahl vor Ort am besten beherrschen.
VI. Zusammenfassung Exportvertrag und Kompensationsgeschäft sind in der Regel nicht als Tauschvertrag, sondern als Doppelverkauf einzuordnen. Eine vertragsübergreifende Anwendung der Einrede des nicht erfüllten Vertrags aus § 320 BGB scheidet damit aus. Die im Zusammenhang mit dem Abschluss des Exportvertrags getroffene Kompensationsabrede ist als verbindlicher Vorvertrag anzusehen. Eine Haftung aus culpa in contrahendo bei Verweigerung des Abschlusses eines
__________ 33 Vgl. Lurger (Fn. 1), S. 249 ff.; Fülbier, DB 1997, 977, 980; Niggemann, RIW 1987, 169, 172. 34 Enderlein (Fn. 1), S. 257 f.; Lurger (Fn. 1), S. 249 ff.; Fülbier, DB 1997, 977, 980; Niggemann, RIW 1987, 169, 172. 35 Vgl. zu diesen allgemeinen Rechtsfolgen einer Erfüllungsübernahme Westermann in Erman (Fn. 9), § 329 BGB Rz. 5; Gottwald in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 329 BGB Rz. 19 ff.; Grüneberg in Palandt (Fn. 9), § 329 BGB Rz. 6.
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Kompensationsgeschäfts ist daher abzulehnen. Es besteht insoweit eine Verpflichtung aus Vertrag. Grundlage für vertragsübergreifende Rechtsfolgen von Leistungsstörungen ist das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB. Liefert der Exporteur mangelhafte Ware und gerät er mit der Nacherfüllung in Verzug, so kann der Importeur aus dem Entwicklungsland den Abschluss des Kompensationsgeschäfts bzw. dessen Erfüllung einstweilen gem. § 273 BGB verweigern. Scheitert der Exportvertrag wegen Nichterfüllung der Nacherfüllungsverpflichtung, so entfällt die Geschäftsgrundlage für das Kompensationsgeschäft. Gerät der Importeur mit der Bezahlung der Exportware in Verzug, so kann der Exporteur den Abschluss bzw. die Durchführung des Kompensationsgeschäfts gem. § 273 BGB verweigern. Tritt der Exporteur aufgrund des Zahlungsverzugs des Importeurs vom Exportvertrag zurück, so entfällt die Geschäftsgrundlage für das Kompensationsgeschäft. Leistungsstörungen beim Kompensationsgeschäft beeinflussen nicht einen bereits beiderseitig erfüllten Exportvertrag. Die Rechtsfolgen beschränken sich auf das Kompensationsgeschäft. Schließt ein auf Seiten des Exporteurs eingeschalteter Countertrader unter Übernahme der Verpflichtung aus der Kompensationsabrede den Liefervertrag (Kompensationsgeschäft) mit dem Importeur des Exportvertrags ab, so haftet der Lieferant der Exportware als Sachleistungsgläubiger des Kompensationsgeschäfts nicht für Leistungsstörungen auf Seiten des Schuldners der Kompensationsware. Erfüllt dagegen der Countertrader endgültig seine Pflichten aus dem Liefervertrag nicht, so ist subsidiär der Exporteur zur Abnahme und/oder Bezahlung der Kompensationsware verpflichtet.
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Friedrich Graf von Westphalen
Preisänderungsklauseln gegenüber Verbrauchern – grenzenlose Aporie in der Praxis? Inhaltsübersicht I. Preisanpassungsklauseln 1. Begriffliches: Preisanpassungsklauseln 2. Begriffliches: Preisvorbehaltsklauseln II. Preisanpassungsklauseln – Wirksamkeitskriterien 1. Kostenelementsklausel – Keine Gewinnsteigerung 2. Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB a) Entwicklung der Rechtsprechung b) Überprüfbarkeit durch den Verbraucher aa) Allgemeine Kriterien bb) Erforderliche Gewichtung der Kostenelemente 3. Grenzen des Transparenzgebots 4. Der Verbraucher als durchschnittlicher, rechtlich nicht vorgebildeter Verbraucher 5. Vertragslösungsrecht a) Bisherige Judikatur b) Das BGH-Urteil v. 13.12.2006 c) Vertragslösungsrecht – Intransparenz der Preisanpassungsklausel? aa) Abweichende Meinung in der Literatur bb) Der Rettungsanker in der BGH-Entscheidung vom 13.12.2006?
d) Weitere Erfordernisse aa) Sonderkündigungsrecht bb) Kein sonstiger Kostennachteil – Zumutbarkeit des Wechsels des Vertragspartners 6. § 308 Nr. 5 BGB als Instrument des Vertragslösungsrechts a) Wirksamkeitsvoraussetzungen aa) Berechtigtes Interesse des Verwenders bb) Erklärung von materiellrechtlicher Bedeutung b) Gelegenheit zum Widerspruch c) Besonderer Hinweis auf die Bedeutung der Frist – § 308 Nr. 5b BGB d) Widerspruch oder Kündigung? 7. Zwischenergebnis III. Preisvorbehaltsklauseln 1. BGH-Judikatur a) Vertragshändlerverträge b) BGH-Judikatur im Verbraucherbereich 2. Eigene Auffassung a) Anknüpfen an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten b) Anknüpfen an sonstige Kriterien c) Zusätzlicher Gewinn? d) Vertragslösungsrecht? aa) Allgemeine Erwägungen bb) Lösungsvorschlag IV. Zusammenfassung
Den Jubilar, dem immer die Wahrung der Vertragsfreiheit sehr am Herzen gelegen hat1, wird es sicherlich auch ein wenig grämen, wenn die Recht-
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1 Kritisch bereits Westermann in Heinrichs/Löwe/Ulmer, Zehn Jahre AGB-Gesetz, 1987, S. 135, 148 ff.
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sprechung des BGH es Unternehmern nahezu unmöglich macht, bei Dauerschuldverhältnissen mit Verbrauchern eine – wirksame – Preisänderung zu erreichen – ungeachtet dessen, ob das Unternehmen eine Preisanpassung oder eine Preisvorbehaltsklausel verwendet. Denn die Hürden, die die Rechtsprechung in letzter Zeit für die Wirksamkeit – insbesondere für die Transparenz dieser Klauseln i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – errichtet hat, sind hier unüberwindlich. Und der Folgen sind viele, wovon hier im Einzelnen zu sprechen sein wird.
I. Preisanpassungsklauseln Die aufgrund von § 2 Abs. 2 PaPkG erlassene PreisklauselVO (PrKV) v. 23.9. 19982 stellt für die Vertragspraxis verschiedene Klauseltypen zur Verfügung, die von ihrem Zweck her übereinstimmend dazu dienen, eine Wertsicherung zu erreichen, die insbesondere bei langfristigen Vertragsverhältnissen im Interesse des Lieferers geboten ist. So unterscheidet die PrkV danach, ob es sich um einen Leistungsvorbehalt i. S. v. § 1 Nr. 1 PrkV, um eine Spannungsklausel nach § 1 Nr. 2 PrkV oder um eine Kostenelementsklausel gem. § 1 Nr. 3 PrkV handelt. Alle Klauseln sind ausdrücklich von einer Genehmigungspflicht freigestellt. Da es im folgenden darum geht, die Rechtsprechung des BGH einer kritischen Prüfung zu unterziehen, sollen hier zunächst Preisanpassungsklauseln – in ihrer Struktur als Kostenelementsklauseln – näher untersucht werden; sodann ist auch ein Blick auf Preisvorbehaltsklauseln zu richten, weil diese – häufig übersehen – nach der Rechtsprechung des BGH andere Probleme im Rahmen ihrer Wirksamkeit gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB aufwerfen als eine Preisanpassungsklausel in Form einer Kostenelementsklausel3. 1. Begriffliches: Preisanpassungsklauseln Bei langfristigen Lieferverträgen sind Preisanpassungsklauseln regelmäßig in die Form einer Kostenelementsklausel gekleidet. Sie dienen – wie der BGH zutreffend festgestellt hat4 – dem Zweck, dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulationen abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne – trotz nachträglicher, ihn belastende Kostensteigerungen – zu sichern. Es geht also darum, das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bei langfristigen Verträgen zu wahren. Dies wird – so der BGH5 – vor allem in der Weise erreicht, dass ein (wirksame) Kostenelementsklausel dem Unternehmer als AGB-Verwender davor bewahrt, vorsorglich schon bei Vertragsabschluss Risikozuschläge in seine Kalkulation einzubauen. Vielmehr kann er darauf vertrauen, dass nachvertragliche Kostensteigerungen ihn – je nach der Struktur der verwendeten Kostenelementsklausel – berechtigen, den Preis entsprechend anzupassen.
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BGBl. I, 3043. BGH, NJW-RR 2005, 1717; BGH, ZIP 2007, 914; vgl. auch Borges, ZIP 2007, 1437 ff. BGH, NJW-RR 2005, 1717. BGH, NJW-RR 2005, 1717; BGH, ZIP 2007, 914.
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2. Begriffliches: Preisvorbehaltsklauseln Demgegenüber sind Preisvorbehaltsklauseln dadurch charakterisiert, dass ihnen eine Vereinbarung zugrunde liegt, nach denen die Höhe der Geldschuld bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen – freilich: auch aufgrund von zwischenzeitlich eingetretenen Umständen – durch den Lieferer als AGB-Verwender selbst neu in angemessener Weise oder nach Billigkeit festgesetzt werden soll6. Damit sind zwei entscheidende Unterschiede beider Klauseltypen bezeichnet: Bei einer Kostenelementsklausel in Form einer Preisanpassungsklausel ist es so, dass die Preisanpassung quasi automatisch stattfindet; sie ist praktisch das mathematische Ergebnis einer Änderung der in Bezug genommenen Kostenelemente. Demgegenüber bedarf die Anpassung des Preises im Rahmen einer Preisvorbehaltsklausel – unter Beachtung der für sie maßgeblichen Merkmale – des Zugangs einer entsprechenden Anpassungserklärung7. Doch die Neufestsetzung des Preises unterliegt im Zweifel, sofern keine anderweitige Vereinbarung getroffen worden ist, der Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB8.
II. Preisanpassungsklauseln – Wirksamkeitskriterien Da Preisanpassungsklauseln nach der insoweit zutreffenden Rechtsprechung des BGH immer als Preisnebenabreden qualifiziert werden9, ist der Kontrollbereich von § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB ohne weiteres eröffnet10. 1. Kostenelementsklausel – Keine Gewinnsteigerung Die Rechtsprechung des BGH verfolgt bei der Kontrolle von Preisanpassungsklauseln, bei denen es sich um Kostenelementsklauseln handelt, eine sehr rigide Haltung i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB: Sie erklärt nämlich rigoros, dass der Lieferer/AGB-Verwender verpflichtet sei, die Schranke von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beachten, so dass es ihm verwehrt ist, zu Lasten des Verbrauchers als Vertragspartner, „über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus, den zunächst vereinbarten Preis ohne jede Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen“11. Darüber hinaus ist, wie noch zu zeigen ist, das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB in vielfältiger Weise zu respektieren.
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BGHZ 81, 135, 142; Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 245 BGB Rz. 33. BGH, NJW 1974, 1464. Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 245 BGB Rz. 34. BGH, NJW-RR 2005, 1717; BGHZ 93, 252, 255 f. – ständige Rechtsprechung. Hierzu Roloff in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 307 BGB Rz. 46 f.; Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 307 BGB Rz. 60 f.; Coester in Staudinger, Bearb. 2006, § 307 BGB Rz. 313 f. 11 BGH, WM 1980, 1120, 1121; BGH, WM 1985, 199, 200; BGH, NJW-RR 1988, 819, 821; BGH, NJW 1990, 150, 116; BGH, NJW-RR 2005, 1717.
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2. Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB a) Entwicklung der Rechtsprechung Es ist wohl nichts dagegen einzuwenden, wenn der BGH in seiner Entscheidung v. 16.3.198812 darauf abstellt, dass eine Preisanpassungsklausel, welche allein auf den Tatbestand von „Kostensteigerungen“ abstellt13 nicht in der vom Transparenzgebot eingeforderten Eindeutigkeit erkennen lässt, „in welchem Bereich diese Kostensteigerungen auftreten müssen“14. Noch lässt diese Klausel mit hinreichender Deutlichkeit i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB die Schlussfolgerung zu, „in welchem Umfang“ Kostensteigerungen vorliegen müssen, damit eine Preisanpassung – hier handelt es sich um einen VideoWartungsvertrag – in Betracht kommt. Zu Recht wandte der BGH daher bei der Interpretation der Klausel das Prinzip der „kundenfeindlichsten“ Auslegung an15. Er meinte „nach dem Wortlaut der Klausel“ könne selbst eine „geringfügige Kostensteigerung in irgendeinem Bereich“ zum Anlass genommen werden, die für die Durchführung des Wartungsvertrages geschuldete Monatspauschale zu erhöhen, zumal die Preisanpassung hier „nicht etwa auf das Ausmaß von Kostensteigerungen im Wartungs- und Reparaturbereich beschränkt“ war. Dies aber sei nach § 307 Abs. 1 BGB zu beanstanden. Dieser Argumentationsstrang wird im Kern auch im Urteil des BGH v. 12.7.198916 aufgegriffen, denn der BGH beanstandet, dass die Klausel17 in einem Mietvertrag über eine Fernmeldeanlage nicht erkennen lasse, inwieweit eine entsprechende Änderung der Miete dem Grunde oder der Höhe nach bei einer „Neufestsetzung des Listenpreises“18 beschränkt sei. Dies führe – so der BGH – zu einer „beliebigen, durch zwischenzeitlichen Kostenanstieg nicht begrenzten Erhöhung des Listenpreises“19. Darin sah der BGH – wiederum: durchaus zu Recht – eine unwirksame (nachträgliche) „Verschiebung des Leistungs/Preisverhältnisses zu Lasten des Vertragspartners“20, welches zur Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 Abs. 1 BGB führte. Von besonderer praktischer Bedeutung sind sodann die beiden Kerosin-Entscheidungen des BGH v. 19.11.200221. Hier meinte der BGH, dem Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sei nur dann genügt, wenn der Vertragspartner des Verwenders „den Umfang der auf ihn zukommenden Preissteigerungen bei Vertragsabschluss aus der Formulierung der Klausel erkennen
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BGH, NJW-RR 1988, 819, 821. BGH, NJW-RR 1988, 819, 821. BGH, NJW-RR 1988, 819, 821. BGH, NJW-RR 1988, 819, 821. BGH, NJW 1990, 115, 116. Sie lautete: „Wird im Zusammenhang mit Lohnänderungen in der Fernmeldeindustrie die bei der Vermieterin übliche listenmäßige Miete erhöht oder ermäßigt, so ändert sich die Miete dieses Vertrages entsprechend …“. BGH, NJW 1990, 115, 116. BGH, NJW 1990, 115, 116. BGH, NJW 1990, 115, 116. BGH, NJW 2003, 507; BGH, NJW 2003, 746.
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und die Berechtigung einer von dem Klauselverwender vorgenommenen Erhöhung an Hand der Ermächtigungsklausel selbst messen kann“22. Mit anderen Worten: Das Gebot einer hinreichenden Transparenz der Preisanpassungsklausel fordert, dass die Klausel so eindeutig gestaltet ist, dass der Kunde in der Lage ist, die Berechtigung der jeweiligen Preisanpassung auf Grund des Klauseltextes selbst nachzuvollziehen. Doch in dem Urteil des BGH v. 21.9. 200523 taucht dann erstmals ein weiteres, neues Kriterium auf, mit dem die Wirksamkeit einer Preisanpassungsklausel im Sinn der Transparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB künftig zu messen ist. Der BGH verlangt nämlich – mathematisch korrekt – eine „Gewichtung der in Betracht kommenden Kostenelemente im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Kalkulation“ des Preises24. Damit knüpft der BGH – zumindest im Ansatz nachvollziehbar – daran an, dass ein Preisanstieg im Rahmen eines langfristigen Liefervertrages (Dauerschuldverhältnis) – bei gleich bleibendem Gewinn im Übrigen – immer durch einen entsprechenden Anstieg der unterschiedlichsten Kostenelemente verursacht ist. So zutreffend diese Feststellung allemal ist. Es gilt indessen folgendes zu bedenken: Die in einer Preisanpassungsklausel verankerten Kostenelemente sind – abhängig von dem jeweiligen Produkt – höchst unterschiedlich und komplex; sie sind abhängig von der Zahl der Vorprodukte, deren Kosten in die Gestehungskosten des jeweiligen Endprodukts eingehen. Je größer ihre Zahl ist, desto schwieriger aber ist es, rein mathematisch betrachtet, eine zutreffende „Gewichtung der einzelnen Kostenelemente“ in nachvollziehbarer Weise vorzunehmen, die die Kalkulation des Lieferanten/AGB-Verwenders des Endprodukts tatsächlich beeinflussen. Dabei gilt es zu sehen, dass eine Klausel vom BGH als nicht hinreichend transparent eingeordnet wird, die auf eine Änderung der „Gestehungspreise in Flüssiggas“ hinweist25, und zwar auch dann, wenn die Klausel – zusätzlich – „Material-, Lohn-, Transport- und Lagerkosten oder die Mineralöl- bzw. Mehrwertsteuersätze“ als Kostenelemente anführt26. Nichts anderes gilt für eine Klausel, die lediglich an die „Änderungen“ des Einstandspreises und/oder der Kosten anknüpft, wie der BGH in seinem Urteil v. 13.12.200527 festgestellt hat. b) Überprüfbarkeit durch den Verbraucher aa) Allgemeine Kriterien Von ganz entscheidender Bedeutung für die nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderliche Beurteilung der Transparenz ist es, dass der BGH in seinem Urteil
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BGH, NJW 2003, 507, 509; wortgleich in BGH, NJW 2003, 746, 747. BGH, NJW-RR 2005, 1717. So auch BGH v. 13.12.2006, ZIP 2007, 914. BGH, NJW-RR 2005, 1717. BGH, NJW-RR 2005, 1717. BGH, ZIP 2007, 914, 915.
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v. 23.9.200528 sowie in seiner weiteren Entscheidung v. 13.12.200629 darauf abstellt, dass nur solche Kostenelemente als Basis für eine Preisanpassungsklausel herangezogen werden dürfen, die der Kunde mit „zumutbaren Mitteln“ in Erfahrung bringen und daher auch überprüfen kann30. Das ist kaum nachvollziehbar, liegt aber im Trend der Judikatur. Sofern nämlich das jeweilige Vertragsprodukt keinen allgemein bekannten und für den Verbraucher ohne weiteres auch zugänglichen Marktpreis aufweist, wird es sich bei allen Kostenelementen, die einer Kalkulation, einer Preisbildung und dann auch einer Preisanpassung zugrunde liegen, immer um „betriebsinterne Berechnungsgrößen“ des Verwenders handeln31. Diese kann der Kunde schlechterdings nicht in Erfahrung bringen; die Kalkulation ist immer zu Recht ein wohl gehütetes Geheimnis des Lieferanten. Die Regeln des Wettbewerbs gebieten dies; sie verlangen gerade nicht, dass der Lieferant eine Kalkulation offen legt, wenn er eine Preisanpassung durchsetzen will. Denn der Wettbewerb wird schon darüber richten, ob denn eine Preisanpassung marktgerecht ist oder vom Markt und damit auch vom Wettbewerb zurückgewiesen wird. So gesehen erweist sich die auf sehr weitreichende Transparenz zielende Forderung des BGH, die Kalkulation offenzulegen, als sachfremd. Damit wird im Ergebnis vom AGB-Verwender etwas Unmögliches, mindestens aber etwas Unzumutbares verlangt. Es ist absurd, vom Verwender zu fordern, dass er seinen Kunden – etwa: auf der Internetseite – die einzelnen Kostenelemente in ihrer „Gewichtung“ bekannt gibt, damit der Kunde in der Lage ist, bei einer Preisanpassung zu überprüfen, ob die Berechnung zutreffend erfolgt ist32. Doch genau darum geht es, wenn der BGH verlangt, der Kunde müsse auf Grund des Inhalts der Preisanpassungsklausel von sich aus in der Lage sein, die Berechtigung des neuen, des angepassten Preises zu überprüfen. Mag sein, dass der BGH hiervon jetzt ein wenig abrückt. Denn er verlangt in seiner bislang letzten Entscheidung33 nur noch, dass dem Kunden insoweit jedenfalls eine „realistische Möglichkeit“ offenstehen muss, „Preiserhöhungen auf ihre Berechtigung zu überprüfen“. Aber in der Sache macht dies keinen Unterschied. bb) Erforderliche Gewichtung der Kostenelemente Denn diese „realistische Möglichkeit“34 zugunsten des Kunden wird wiederum dadurch erheblich für den Verwender erschwert, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass der BGH – zusätzlich – für die Wirksamkeit einer Preisanpassungsklausel jetzt auch noch verlangt, dass die jeweils textierte Klausel jedenfalls dann keine Preisanpassung – aufgrund ihrer konkreten Ausformulierung – gestatten darf, „wenn nur einer der aufgeführten Kostenfaktoren nach oben sich
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BGH, NJW-RR 2005, 1717, 1718. BGH, ZIP 2007, 914. BGH, NJW-RR 2005, 1717 f.; vgl. BGH, ZIP 2007, 914, 915. BGH, NJW-RR 2005, 1717. So auch BGH, NJW 2003, 507, 509; BGH, NJW 2003, 746, 747. BGH, ZIP 2007, 914, 915. BGH, ZIP 2007, 914, 915.
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verändert hat, die Gesamtkosten wegen eines Kostenrückgangs in anderen Bereichen aber nicht gestiegen sind“35. Dies aber kann der Lieferant als AGBVerwender nur dann redlicherweise beachten, wenn er alle für die Herstellung/ Lieferung seines Produkts maßgebenden Kostenfaktoren im Einzelnen in einer mathematischen Preisklausel aufschlüsselt, diese sodann exakt gewichtet, so dass eine Preisanpassung – aufgrund geänderter Kosten – nur dann in Betracht kommen kann, wenn sich – per Saldo – die Kosten tatsächlich verändert haben. Die dem Kunden vom BGH eingeräumte Überprüfungsbefugnis setzt also eine vollständige Transparenz aller Kostenelemente voraus, die – bislang jedenfalls – ein wohl gehütetes und auch von der Rechtsordnung geschütztes Betriebsgeheimnis des Lieferanten waren. Eine auch noch so geringe Unschärfe in der Erfassung der Kostenelemente und ihrer jeweiligen – produktbezogenen – Gewichtung führt nämlich mathematisch zwingend dazu, dass der Verwender in der Lage ist, einen zusätzlichen Gewinn zu erwirtschaften, was allemal die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nach sich zieht36. 3. Grenzen des Transparenzgebots Ein weiterer Gedanke tritt hinzu, weil auch die immanenten Grenzen des Transparenzgebots zu beachten sind: Nach der Rechtsprechung des BGH war es bislang so, dass die Pflicht des Verwenders nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, nur im Rahmen des Möglichen bestand37. So gesehen besteht auch Einigkeit darüber, dass AGBKlauseln im Hinblick auf die Grenzen des Transparenzgebots nicht so kompliziert gefasst sein dürfen, dass sie den Durchschnittsverbraucher schlechthin überfordern38. Nimmt man daher das Merkmal des „Möglichen und Zumutbaren“39 für die Ausfüllung des Transparenzgebots zum Nennwert, dann handelt es sich bei dem vom BGH an eine Preisanpassungsklausel gestellten Transparenzanforderungen darum, das Transparenzgebot weit oberhalb des „rechtlich und tatsächlich Zumutbaren“40 anzusiedeln. Denn die Kalkulation praktisch offen zu legen, geht in der Tat zu weit. Diese Forderung stößt – wie erwähnt – auf die berechtigten Geheimhaltungsinteressen des AGB-Verwenders. Dass diese auch im Rahmen von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu respektieren sind, folgt aus dem allgemeinen Grundsatz: Eine unangemessene Benachteiligung des Kunden ist nur dann nach § 307 Abs. 1 BGB zu bejahen, wenn der AGB-Verwender seine eigenen Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne auch dessen Belange zu bedenken und diese in
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35 BGH, NJW-RR 2005, 1717, 1718. 36 BGH, NJW-RR 2005, 1717. 37 BGH, NJW 1998, 3114, 3116; Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 307 BGB Rz. 18; Coester in Staudinger (Fn. 10), § 307 BGB Rz. 194 ff.; Roloff in Erman (Fn. 10), § 307 BGB Rz. 22. 38 BGH, NJW-RR 2005, 1496, 1498; BGH, NJW 2004, 1738; Coester in Staudinger (Fn. 10), § 307 BGB Rz. 195. 39 BGH, NJW-RR 2005, 1796, 1798. 40 BGH, NJW 2004, 1738.
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angemessener Weise zum Ausgleich zu bringen41. Unter dieser Perspektive aber wird man schwerlich so weit gehen dürfen, wie der BGH dies bei Kostenelementsklauseln getan hat42, indem er zum einen eine „Gewichtung“ der in Ansatz gebrachten Kostenelemente fordert43 und auf der anderen Seite kategorisch verlangt, dass der Verwender keinen zusätzlichen Gewinn realisieren kann44. Dies gilt vor allem dann, wenn auf der einen Seite Kostensteigerungen, auf der anderen Seite Kostensenkungen mehr oder weniger gleichzeitig in Rede stehen45. Anders gewendet und schärfer formuliert: Gestattet man dem AGB-Verwender weiterhin seine Kostenkalkulation – entgegen der Forderung des BGH – geheim zu halten, dann ist es nicht zu verhindern, dass eine Preisänderung auch dazu führt, dass sich der Gewinn gegenüber dem Zeitpunkt verändert, der bei Vertragsabschluss kalkuliert wurde. Doch ist dies für den Verbraucher keineswegs ein unangemessener Nachteil i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB, weil ja dann – wie noch zu zeigen sein wird – alles entscheidend darauf ankommt, ob dem Kunden ein adäquates Vertragslösungsrecht eingeräumt wird. Denn dann kann er die Konsequenzen einer angeblich ungerechtfertigten Gewinnsteigerung dadurch vermeiden, dass er den Lieferanten wechselt. 4. Der Verbraucher als durchschnittlicher, rechtlich nicht vorgebildeter Verbraucher Doch der entscheidende, bereits kurz angedeutete Einwand gegen ein so verstandenes Transparenzerfordernis liegt letztlich auf einer anderen Ebene: Es geht um die realistische Einschätzung der mathematischen Fähigkeiten eines durchschnittlichen Verbrauchers. Denn der BGH46 weist dem Verbraucher bei Preisanpassungsklauseln eine Überprüfungskompetenz zu, die erhebliche mathematische Fähigkeiten voraussetzt. Denn nur dann, wenn der Verbraucher in der Tat in der Lage ist, eine alle Kostenfaktoren erfassende und entsprechend gewichtete Kostenelementsklausel – variable und Gemeinkosten gleichermaßen – zutreffend zu überprüfen, dann nützt ihm die vom BGH geforderte Transparenz. Nur dann schließt sie eine unangemessene Benachteiligung aus47. Demgegenüber ist festzuhalten, dass der BGH den Verbraucher immer als rechtlich nicht vorgebildet bezeichnet48. Doch ist hinzuzusetzen, dass der BGH – gerade auch unter dem Gesichtswinkel des Transparenzgebots gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – dem Verbraucher insoweit folgerichtig ledig-
__________ 41 BGH, NJW 2005, 1774, 1775; BGH, NJW 2000, 1110, 1112; Basedow in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2003, § 307 BGB Rz. 31; Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 307 BGB Rz. 8. 42 BGH, NJW-RR 2005, 1717; BGH, ZIP 2007, 914. 43 BGH, NJW-RR 2005, 1717; BGH, ZIP 2007, 914. 44 BGH, NJW 1990, 115, 116; BGH, NJW-RR 2005, 1717. 45 Vgl. BGH, NJW-RR 2005, 1717. 46 BGH, NJW-RR 2005, 1717, 1718. 47 BGH, NJW 2003, 507, 509; BGH, NJW-RR 2005, 1717. 48 Vgl. BGH, NJW 1998, 3114, 3116.
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lich zugemutet hat, bei einer Klausel die mathematischen Grundrechenarten zu beherrschen, als es um den Kauf eines 24-bändigen Lexikons ging49. In diesem Zusammenhang sprach der BGH davon, dass jedenfalls „simple Berechnungen unter Zuhilfenahme des Einmaleins“ den durchschnittlichen Verbraucher nicht überfordern50, weil es ja – der BGH ist insoweit fast großzügig – auf die Beherrschung „besonderer Rechenschwächen im Einzelfall“ nicht ankommt. Das entspricht im Übrigen auch der typisierenden-abstrakten Bewertung von AGB-Klauseln im Rahmen der richterlichen Inhaltskontrolle gem. § 307 ff. BGB51. Zu bedenken ist indessen, dass diese simplen Rechenkünste keineswegs ausreichen, um eine halbwegs sauber textierte Preisanpassungsklausel zutreffend zu erfassen. Die Preisanpassungsklausel im Urteil des BGH v. 21.9.200552 wies immerhin neben den „Gestehungspreisen“ noch sechs weitere – ungewichtete – Kostenelemente auf53, die Eingang in die neue Preisfestsetzung finden sollten. Das in der vom BGH geforderten Gewichtung nachzurechnen und auch nachzuvollziehen, ist für einen Verbraucher nicht machbar, wenn er nur die einfachen Grundrechenarten beherrschen darf. Denn es geht um die Bewältigung einer nicht ganz einfachen Dreisatzaufgabe, bei der auch noch das anteilige Element der nicht variablen Kosten zu berücksichtigen ist. Das anzumerken ist schon deswegen wichtig, weil im Blick auf die von einem Verbraucher zu fordernden mathematischen Fertigkeiten auch noch die Ergebnisse der PISA-Studien zu berücksichtigen sind. Mehr noch: Selbst wenn der Lieferant/AGB-Verwender alle einschlägigen – gewichteten – Kostenelemente im Detail dem Kunden offen legt, kann der Verbraucher sie keinesfalls von sich aus überprüfen, ohne die gesamte Kalkulation des Lieferanten selbst in Augenschein zu nehmen und zu kontrollieren. Nur dies stellt eine hinreichend sichere Überprüfung dar, die es ausschließt, dass der Verwender doch noch an einer Stelle versteckt einen Gewinn als „Leckerli“ einschließt. Solche Aufgaben zu bewältigen dürfte oft selbst ein Hochschulstudent nicht in der Lage sein, es sei denn, er hat Betriebswirtschaft studiert und ist bereits in die Geheimnisse betriebswirtschaftliche Kostenkalkulationen eingeweiht. 5. Vertragslösungsrecht Somit stellt sich sowohl im Rahmen der allgemeinen Grenzen des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB als auch im Blick auf die erforderlichen mathematischen Fähigkeiten des Verbrauchers eine Aporie ein, weil die aufgezeigte Rechtsprechung des BGH nach beiden Seiten eine mehr oder weniger krasse Überforderung zum Gegenstand hat. Daher fragt es sich, ob dieses Dilemma dadurch beseitigt werden kann, dass der Verwender dem Verbrau-
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BGH, NJW 1993, 2052. BGH, NJW 1993, 2052, 2054. Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 307 BGB Rz. 4 m. w. N. BGH, NJW-RR 2005, 1717. „Material-, Lohn-, Transport- und Lagerkosten oder die Mineralöl- bzw. Mehrwertsteuersätze“.
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cher auch für den Fall ein wirksames Vertragslösungsrecht einräumen darf, in dem die Preisanpassungsklausel die Grundsätze verletzt, die der BGH zu § 307 Abs. 1 Satz2 b GB einfordert54. Das ist nicht sicher, wenn man den bisherigen Bestand der BGH-Judikatur durchforstet. a) Bisherige Judikatur Der BGH hat bekanntlich in früheren Entscheidungen55 ein Vertragslösungsrecht als Kompensation dafür vorgesehen, dass es dem AGB-Verwender nicht möglich ist, eine Konkretisierung der für die Kostenanpassung jeweils notwendigen Voraussetzungen exakt und rechnerisch nachvollziehbar vorzunehmen. Das ist, wenn man die BGH-Entscheidung in Sachen Flüssiggas I zugrunde legt56, kaum darstellbar. Denn die dort verwendete Preisanpassungsklausel enthielt eine als nachhaltig eingestufte Intransparenz und damit eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die entscheidende Frage ist daher: Ist dieses Vertragslösungsrecht zugunsten des Kunden auch dann eine angemessen Kompensation i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB, wenn unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung v. 13.12.200657 die Wirksamkeit einer Preisanpassungsklausel in ihrer Gestalt als Kostenelementsklausel am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB scheitert? Anders gefragt, ist dieses Urteil als möglicher Wendepunkt für die Praxis anzusehen, weil ja die Vorgängerentscheidung58 sich nicht mit einem Lösungsrecht zu befassen hatte? b) Das BGH-Urteil v. 13.12.2006 Der VIII. Senat lässt ausdrücklich offen, ob es in dieser Entscheidung dem AGB-Verwender „nicht möglich“ war, „künftige Preiserhöhungen zu begrenzen und die hierfür notwendigen Voraussetzungen zu konkretisieren“. Demzufolge lässt der BGH59 auch die Antwort auf die weitere Frage offen, welche „Anforderungen“ an ein Recht des Kunden gestellt werden müssen, sich vom Vertrag zu lösen, sofern eine Preisanpassungsklausel – und der entsprechend geänderte Preis – dazu Anlass gibt. Dass der Kunde indessen auf Grund der Klauselgestaltung klar erkennen muss, ob ihm überhaupt ein Recht zur Lösung vom Vertrag im Fall einer Preisanpassung zusteht, ist sicherlich im Rahmen des zu beachtenden Transparenzgebots gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB eine zutreffende Erkenntnis. Von ihr ist auszugehen. Der BGH fordert jedoch in Anlehnung an eine frühere Entscheidung60, dass ein Vertragslösungsrecht nur dann geeignet ist, die Auswirkungen einer unangemessen benachteiligenden Preisanpassungsklausel hinreichend zu kompensie-
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BGH, NJW-RR 2005, 17171; BGH, ZIP 2007, 914. BGHZ 90, 69, 78 f.; BGH, NJW 1986, 3134, 3136. BGH, NJW-RR 2005, 1717. BGH, ZIP 2007, 914, 916 f. BGH, NJW-RR 2005, 1717. BGH, NJW-RR 2005, 1717. BGH, NJW 1980, 2518, 2519.
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ren, wenn es gleichzeitig mit dem Wirksamwerden der Preisanpassung realisiert werden kann61. Dies wiederum setzt zwingend voraus, dass der AGBVerwender den Kunden mit einer angemessenen Vorankündigungsfrist darüber unterrichtet, ob eine Preisanpassung vorgenommen werden soll62. Auch das ist als berechtigt anzuerkennen. Daher stellt sich die Frage, ob eine hinreichende Ankündigungsfrist und ein entsprechendes, eindeutiges Vertragslösungsrecht des Kunden geeignet sein, eine ansonsten als unangemessen zu beurteilende Preisanpassungsklausel zu sanieren. c) Vertragslösungsrecht – Intransparenz der Preisanpassungsklausel? aa) Abweichende Meinung in der Literatur In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, ein Vertragslösungsrecht komme im Rahmen einer Preisanpassungsklausel nur dann in Betracht, wenn es dem AGB-Verwender i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht möglich ist, die für die jeweilige Preisänderung erforderlichen Kostenfaktoren im Einzelnen in einer für den Verbraucher nachvollziehbaren Weise zu konkretisieren63. Folgt man dieser Auffassung, dann wäre ein Vertragslösungsrecht in der BGHEntscheidung v. 20.9.200564 nicht geeignet, die Unangemessenheit der Klausel zu beseitigen. Denn hier hatte der Verwender nach Ansicht des BGH nicht alles in seiner Macht Stehende getan, um eine wirksame Preisanpassungsklausel zu formulieren. Umgekehrt: Ein Vertragslösungsrecht ist nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn es sozusagen der einzige, jedenfalls der letzte Rettungsanker des Verwenders ist, weil ihm eine Konkretisierung der Kostenfaktoren nicht möglich oder der dadurch entstehenden Intransparenz nicht sinnvoll ist65. In dieser Sicht wäre dann ein Vertragslösungsrecht nur dann als angemessener Interessenausgleich i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB zu bewerten, wenn zuvor die Formulierung der Kostenelementsklausel nicht am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB scheitert. bb) Der Rettungsanker in der BGH-Entscheidung vom 13.12.2006? Auffallend ist in diesem Kontext ja ohnedies, dass die Rechtsprechung des BGH die Angemessenheit eines Vertragslösungsrechts für mehr als 20 Jahre nicht mehr als Kompensation für eine unangemessene Preisanpassungsklausel in Erwägung gezogen hat66. Das spricht eigentlich für die soeben apostrophierte Meinung von der inzwischen erkennbaren Aporie, eine wirksame Klausel
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61 BGH, ZIP 2007, 914, 916. 62 Schöne in Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Loseblatt, Stromlieferverträge Rz. 86. 63 Roloff in Erman (Fn. 10), § 309 BGB Rz. 14; Coester-Waltjen in Staudinger (Fn. 10), § 309 BGB Rz. 21; ähnlich auch Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl. 2006, § 309 Nr. 1 BGB Rz. 18; zurückhaltender Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 309 BGB Rz. 8. 64 BGH, NJW-RR 2005, 1717. 65 Coester-Waltjen in Staudinger (Fn. 10), § 309 BGB Rz. 21; so wohl auch Wolf/ Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1994, § 10 Nr. 5 Rz. 14. 66 Hierzu BGH, NJW 1985, 2328; BGH, ZIP 2007, 914.
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zu textieren. Doch es springt gleichzeitig ins Auge, dass der BGH in seiner Entscheidung v. 13.12.200667 immerhin Voraussetzungen für das Eingreifen des Vertragslösungsrechts fixiert hat, die an eine „unangemessen benachteiligende Preisanpassungsklausel“68 anknüpfen. Der BGH nimmt also – so sind jedenfalls seine Ausführungen zu verstehen – billigend in Kauf, dass eine intransparente Preisanpassungsklausel vorliegt, um daran seine Erwägungen zum erforderlichen Lösungsrecht zu entfalten. Der AGB-Verwender ist nämlich verpflichtet, die Ausübung des Preisanpassungsrechts dem Kunden rechtzeitig im voraus anzukündigen, um ihm auf diese Weise Gelegenheit zu geben, sich – bei Wirksamwerden der Preisanpassung – vom Vertrag zu lösen69. Dass es unter diesen Voraussetzungen nicht auf die Transparenz einer Preisanpassungsklausel ankommt, wird indessen durch folgende Erwägung stabilisiert: Würde man nämlich der vorhin wiedergegebenen Meinung in der Literatur folgen, dann würde ein Lösungsrecht praktisch nichts bringen. Denn wenn die vom Verwender formulierte Preisanpassungsklausel in Form einer Kostenelementsklausel uneingeschränkt wirksam ist, weil hinreichend transparent i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, dann ist der Verbraucher gar nicht weiter schützenswert; ein Lösungsrecht wäre nichts anderes als ein überflüssiges Geschenk. Dies zu gewähren, liegt aber gar nicht im Interesse des Verwenders, weil er ja Gefahr läuft, dass ein Kunde – trotz der Angemessenheit der Preisanpassung – den Vertrag kündigt und sein Heil bei einem Wettbewerber sucht. Ganz anders ist die Begründung, wenn man bedenkt, dass das Lösungsrecht gegenüber einer eigentlich als intransparent eingestuften Preisanpassungsklausel kompensatorischen Charakter haben könnte. Denn dann kann sich der Kunde vom Vertrag lösen. So gesehen ist es auch gleichgültig, aus welchen Gründen die Preisanpassungsklausel an § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB oder am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB scheitert. Denn in keinem Fall erleidet der Kunde einen Nachteil, wenn und soweit er in der Lage ist, bei Wirksamwerden der Preisanpassung sich – ohne weiteres – den Vertrag zu kündigen. Die Unwirksamkeit einer Preisanpassung tangiert ihn gar nicht. Damit aber scheidet auch eine unangemessene Benachteiligung des Kunden i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB aus. Denn die intransparente Preisanpassungsklausel entfaltet keinen weiteren Effekt; sie läuft leer, weil sich der Kunde gegenüber ihren unangemessenen Auswirkungen schützen kann, indem er den Vertrag beendet. Der zuvor dargestellten Auffassung in der Literatur ist also nicht zu folgen. d) Weitere Erfordernisse Doch ist es wichtig, noch weitere Ansatzpunkte herauszuarbeiten, welche bei einer Preisanpassungsklausel zu beachten sind, um deren Unangemessenheit i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 BGB zu verhindern.
__________ 67 BGH, ZIP 2007, 914. 68 BGH, ZIP 2007, 914, 916. 69 BGH, ZIP 2007, 914, 916.
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aa) Sonderkündigungsrecht Da Dauerschuldverhältnisse auf eine bestimmte Zeitdauer abgeschlossen sind, kann man den weitreichenden Fährnissen, die auf eine volle Transparenz der Preisgestaltung abzielenden BGH-Judikatur nur dadurch entrinnen, dass der AGB-Verwender dem Kunden ein außerordentliches Vertragslösungsrecht bei Wirksamwerden der Preisanpassung konzediert. Die Entscheidung des BGH v. 13.12.200670 ist insoweit eindeutig: Wenn das Vertragslösungsrecht erst nach Wirksamwerden der Preiserhöhung eingreift, dann wird der Kunde durch die Unangemessenheit der Preiserhöhung i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB benachteiligt. Dieser Nachteil kann dann nicht mehr durch ein – erst später eingreifendes – Vertragslösungsrecht in angemessener Weise kompensiert werden. Dieses Recht muss vielmehr in hinreichend transparenter Form ausgebaut sein; es muss in einer unmittelbaren Verbindung mit dem Preisanpassungsrecht vorgesehen werden. Ein Hinweis auf sonstige allgemeine Kündigungsregeln reicht nicht aus. Dies ist selbst dann anzunehmen, wenn es sich um Dauerschuldverhältnisse handelt, bei denen kurze ordentliche Kündigungsfristen vorgesehen sind. Denn ein Vertragslösungsrecht, welches eine an sich unangemessene Preisanpassungsklausel kompensieren soll, muss diesen Effekt in voller Transparenz klauselmäßig unmittelbar gewährleisten. bb) Kein sonstiger Kostennachteil – Zumutbarkeit des Wechsels des Vertragspartners Des Weiteren hat der BGH in seinem Urteil v. 13.12.200671 angemerkt, dass das Vertragslösungsrecht dann keine angemessene Kompensation i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB darstellt, wenn der Kunde dieses Recht nur mit sonstigen erheblichen Kosten ausüben kann. Denn diese Nachteile sind dann geeignet, den Kunden von einer vorzeitigen Kündigung des Vertrages abzuhalten und ihn zu zwingen, die – unangemessene – Preisanpassung zu tolerieren. Man wird aber noch einen weiteren Schritt ins Auge fassen müssen. Nur dann ist das Vertragslösungsrecht für den Kunden eine angemessene Kompensation, wenn gleichzeitig sichergestellt ist, dass der Kunde ohne weiteres in der Lage ist, seinen Bedarf bei einem anderen AGB-Verwender ohne große Mühen und Nachteile einzudecken. Mit anderen Worten: Der Wechsel des Vertragspartners muss dem Kunden aufgrund eines im Zusammenhang mit einer Preisanpassungsklausel wirksam werdenden Vertragslösungsrechts ohne weiteres möglich und auch zumutbar sein. Denn der kompensatorische Charakter eines Vertragslösungsrechts hängt auch davon ab, dass der Kunde auf diese Weise in der Lage ist, der als unangemessen eingestufte Preisanpassung durch Wechsel des Vertragspartners zu entfliehen. Trifft dies nicht zu, besteht das Risiko, dass das Vertragslösungsrechts praktisch nur auf dem Papier steht, was i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB dann nicht ausreichend ist.
__________ 70 BGH, ZIP 2007, 914. 71 BGH, ZIP 2007, 914.
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6. § 308 Nr. 5 BGB als Instrument des Vertragslösungsrechts Die das Vertragslösungsrechts betreffenden Sentenzen, die der BGH in seinem Urteil v. 13.12.200572 niedergelegt hat, deuten darauf hin, dass AGB-Verwender künftig die Möglichkeit haben dürfte, dieses Vertragslösungsrechts in Dauerschuldverhältnisse zu verankern, sofern sie die Tatbestandsvoraussetzungen von § 308 Nr. 5 BGB im Übrigen beachten. a) Wirksamkeitsvoraussetzungen aa) Berechtigtes Interesse des Verwenders Anerkanntermaßen ist die Erklärungsfiktion des § 308 Nr. 5 BGB nur dann wirksam, wenn der AGB-Verwender ein berechtigtes Interesse an ihrer Verwendung hat73. Dies ist immer dann zu bejahen, wenn es sich um Verträge im Massenverkehr handelt, weil dann die Keule der Änderungskündigung ein zu teures und kaum adäquat einsetzbares Instrument ist, um eine Anpassung des Preises an die geänderten Kostenelemente in wirksamer Weise vorzunehmen. Welche Anforderungen insoweit an das berechtigte Interesse des Verwenders i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB zu stellen sind, lässt sich nicht ohne weiteres sagen; doch ist im Zweifel davon auszugehen, dass der AGB-Verwender ein höherrangiges und auch berechtigtes Interesse daran hat, eine Preisanpassung im Rahmen von § 308 Nr. 5 BGB zu bewirken als zu einer Änderungskündigung zuflucht zu nehmen. Denn das berechtigte Interesse des AGB-Verwenders an einer fortdauernden Kundenbindung wird eher dadurch erreicht wird, dass § 308 Nr. 5 BGB mobilisiert wird, zumal ja dann – wie noch zu zeigen sein wird – das Widerspruchsrecht beim Kunden verbleibt, um eine Bindung an den geänderten Vertragsinhalt zu vermeiden. Demgegenüber muss bei einer Änderungskündigung die Initiative vom Verwender ausgehen und stellt – jedenfalls aus der Sicht des betroffenen Kunden – dem AGB-Verwender, wie bei allen Kündigungserklärungen, kein besonders günstiges Zeugnis aus. bb) Erklärung von materiell-rechtlicher Bedeutung Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des BGH der Verbotstatbestand von § 308 Nr. 5 BGB dann keine Anwendung findet, wenn es sich um den Tatbestand eines Vertragsabschlusses handelt74. Hingegen findet § 308 Nr. 5 BGB uneingeschränkt dann Anwendung, wenn es sich um die Fiktion einer rechtsgeschäftlichen Erklärung handelt, die materiell-rechtlich von Bedeutung ist75. Geschützt werden soll das
__________ 72 BGH, ZIP 2007, 914. 73 Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 308 BGB Rz. 27. 74 BGH, NJW 2001, 292, 299; OLG Koblenz, NJW 1989, 2950, 2951; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 63), § 308 Nr. 5 BGB Rz. 6; Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 308 BGB Rz. 25; Kirchhoff, NJW 2005, 2951, 2953. 75 Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 65), § 10 Nr. 5 BGB Rz. 14; Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 308 BGB Rz. 25.
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Schweigen des Kunden76. Denn es gilt der allgemeine Grundsatz, dass Schweigen im Rechtsverkehr keine rechtsgeschäftliche Bedeutung entfaltet. Demzufolge stellt sich zunächst die Frage, ob die Vereinbarung einer Preisänderung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses die Vertragsdurchführung oder den Tatbestand eines neu abgeschlossenen Vertrages zum Gegenstand hat. Würde man nämlich § 308 Nr. 5 BGB in den Rang einer Änderungskündigung heben, dann würde es sich zweifelsfrei deswegen um einen Neuabschluss handeln, weil in der Änderungskündigung das Angebot zur Fortsetzung des Vertrages zu geänderten Bedingungen liegt77. Doch genau dies bewirkt § 308 Nr. 5 BGB deswegen nicht, weil – wie bereits angedeutet – die Fiktion daran anknüpft, dass der Kunde – trotz Einräumens einer hinreichenden Erklärungsfrist – geschwiegen hat78. Folglich betrifft das Wirksamwerden einer Preisanpassungsklausel den Tatbestand der Vertragsdurchführung, weil der Kunde es ja in der Hand hat, durch rechtzeitige Ausübung seines Widerspruchsrechts sicherzustellen, dass der Vertrag sich ohne Preisanpassung – wie bisher – fortsetzt. b) Gelegenheit zum Widerspruch § 308 Nr. 5 BGB verlangt daher folgerichtig, dass der AGB-Verwender in der betreffenden Klausel die Voraussetzungen von § 308 Nr. 5a BGB beachtet. Folglich muss der Verwender dem Kunden sowohl in der Klausel als auch im Rahmen eines individuellen Anschreibens bei Beginn der Frist auf die besondere Bedeutung seines Schweigens hinweisen. Gleichzeitig muss er ihm eine angemessene Frist zur Erklärung einräumen, ob er der geplanten Änderung des Vertrages durch Schweigen zustimmen oder ausdrücklich widersprechen will. Das führt unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung v. 13.12.200679 dazu, dass man zunächst verlangen muss, dass der AGB-Verwender seine Absicht, eine Preisanpassung vorzunehmen, rechtzeitig im voraus dem Kunden mitteilt. Die insoweit zu beachtende Frist ist allemal nach der Rechtsprechung des BGH angemessen, wenn sie einen Zeitraum von sechs Wochen erfasst80. Doch stellt sich die Frage, ob auch eine kürzere Erklärungsfrist mit § 308 Nr. 5a BGB im Einklang steht, weil die Literatur mit Recht davon ausgeht, dass dies immer dann zutrifft, wenn bei einer objektiv generalisierenden Betrachtungsweise sowie unter Berücksichtigung der bei Geschäften der vorliegenden Art typischen Umstände das Ergebnis der Bilanzierung dieser beiderseitigen Interessen der Parteien dahin zielt, eine Angemessenheit oder Unangemessenheit der Frist im Rahmen von § 308 Nr. 5a BGB zu bejahen81. Geht
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76 Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 308 BGB Rz. 25; Roloff in Erman (Fn. 10), § 308 BGB Rz. 39. 77 Statt aller Weidenkaff in Palandt (Fn. 6), vor § 620 BGB Rz. 40. 78 H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 63), § 308 Nr. 5 BGB Rz. 11. 79 BGH, ZIP 2007, 914. 80 BGH, NJW 1999, 1865. 81 H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 63), § 308 Nr. 5 BGB Rz. 10; Wolf/Horn/ Lindacher (Fn. 65), § 10 Nr. 5 BGB Rz. 23; Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 308 BGB Rz. 26.
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man von dieser Erwägung aus, so wird man – abhängig von dem jeweiligen Geschäftstyp – auch eine kürzere Frist, etwa von 4 Wochen für angemessen erachten dürfen82. Doch ist hierbei gleichwohl zu bedenken, dass der BGH – ein wenig überspitzt formulierend – davon ausgegangen ist: Der durchschnittliche Bundesbürger verbringt inzwischen häufig Urlaube, die drei Wochen dauern, so dass eine vierwöchige Frist nicht mehr als angemessen i. S. v. § 308 Nr. 5a BGB zu bewerten sein könnte83. Ob man das als ein sonderlich überzeugendes Argument werten kann, mag dahinstehen. Zu berücksichtigen ist indessen, dass die dieser Erwägung zugrunde liegende BGH-Entscheidung v. 17.3.199984 eine Bedingungsanpassungsklausel in einer Rechtsschutzversicherung betraf. Eine solche Änderung schließt naturgemäß eine wesentlich schwierigere Prüfung ein als etwa bei einem Zeitschriftenabonnement oder sonstigen Dauerschuldverhältnisse des Massenverkehrs. Daher erscheint es gerechtfertigt, im Zweifelsfall davon auszugehen, dass auch eine vierwöchige Prüfungs- und Widerspruchsfrist hinreichend angemessen ist. c) Besonderer Hinweis auf die Bedeutung der Frist – § 308 Nr. 5b BGB Erforderlich ist des weiteren, dass der AGB-Verwender i. S. v. § 308 Nr. 5b BGB den Kunden – entsprechend den Vorgaben der jeweiligen Klausel – tatsächlich bei Beginn der Frist auf die vorgesehene Bedeutung seines Verhaltens – nämlich: des Schweigens – „besonders“ hinweist. Dies setzt voraus, dass die jeweilige Mitteilung so gestaltet ist, dass der Kunde bei gewöhnlicher Prüfung des Textes in der Lage ist, die Bedeutung des Hinweises tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen85. Trifft dies nicht zu, dann ist die Klausel nach § 308 Nr. 5b BGB unwirksam; die Fiktion geht ins Leere86. Umgekehrt: Wird diese Voraussetzung sowohl im jeweiligen Schreiben als auch in der Klausel selbst beachtet, dann bestehen gegen die Wirksamkeit einer solchen Klauselgestaltung keine Bedenken. Daher ist das Vehikel des § 308 Nr. 5 BGB geeignet, unwirksame Preisanpassungsklauseln in Form einer Kostenelementsklausel in Dauerschuldverhältnissen zu sanieren. d) Widerspruch oder Kündigung? Geht man davon aus, dass die Interessen des Kunden hinreichend gewahrt sind, wenn der Verwender ihm die Möglichkeit eröffnet, einer Preisanpassung zu widersprechen, dann steht gleichzeitig ein Doppeltes fest: Zum einen ist es dann nicht erforderlich, dem Kunden ein Vertragslösungsrecht in Form eines Sonderkündigungsrechts einzuräumen, obwohl die BGH-Entscheidung
__________ 82 Vgl. auch Becker in Bamberger/Roth, 2003, § 308 BGB Rz. 15; für kürzere Fristen Roloff in Erman (Fn. 10), § 308 BGB Rz. 45; Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 308 BGB Rz. 26; Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 65), § 10 Nr. 5 BGB Rz. 23. 83 BGH, NJW 1999, 1865. 84 BGH, NJW 1999, 1865. 85 BGH, NJW 1985, 617, 619. 86 Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 308 BGB Rz. 26a.
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v. 13.12.200687 dies nahe zu legen scheint. Es reicht vielmehr aus, dem Kunden ein Widerspruchsrechts zu gewähren. Denn auch dieses führt dazu, dass die jeweilige Preisanpassung nicht wirksam wird. Das Angebot des Verwenders auf Änderung des Vertrages geht dann mangels Annahme ins Leere. Der Kunde wird dadurch hinreichend gegenüber der möglichen Intransparenz einer Anpassungsklausel geschützt. Der jeweilige Vertrag setzt sich dann zu den „alten“ Preisen fort. Das ist ein ebenso wirksamer Schutz wie ein Sonderkündigungsrecht. Denn seine Ausübung setzt sogleich voraus, dass der Kunde den Lieferanten wechselt, während das Widerspruchsrecht ihm in der Regel noch eine hinreichende Zeit bietet, bevor er selbst den Vertrag dann kündigt oder das Kündigungsrecht des Verwenders abwartet. Folglich reicht es aus, wenn dem Kunden auch im Rahmen einer Preisanpassungsklausel ein Widerspruchsrecht i. S. v. § 308 Nr. 5 BGB eingeräumt wird; eines Sonderkündigungsrechts bedarf es nicht zwingend. 7. Zwischenergebnis Die strikte BGH-Judikatur, die bei Kostenelementsklauseln i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vom Verwender im praktischen Ergebnis verlangt, die einzelnen Kostenfaktoren seiner Kalkulation offen zu legen, damit der Kunde in der Lage ist, diese im Einzelnen zu überprüfen, ist abzulehnen. Sie ist zwar mathematisch korrekt angelegt. Aber sie überfordert den Verwender, weil sie ihn zwingt, seine Kalkulation vor den Augen der Kunden und damit auch denen des Wettbewerbs zu offenbaren. Das ist überzogen. Auch der Verbraucherschutz erfordert nicht eine so weitreichende Ausdehnung des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Hinzu kommt, dass der gewöhnliche Verbraucher gar nicht in der Lage ist, die einzelnen Kostenelemente – ordnungsgemäß gewichtet – nachzuprüfen, weil er damit als durchschnittlicher Verbraucher überfordert ist. Doch ein Ausweg bietet sich im Rahmen von § 308 Nr. 5 BGB an: Dem Verbraucher ist ein Vertragslösungsrecht in Form eines Widerspruchsrechts oder eines eigenen Sonderkündigungsrechts einzuräumen. Das muss mit hinreichend langer Vorankündigungsfrist geschehen; diese muss in der Regel vier Wochen betragen. Ausdrücklich muss der Verwender dann auch die Erfordernisse des § 308 Nr. 5b BGB beachten und den Kunden in klarer und eindeutiger Weise auf das ihm bei Wirksamwerden der Preisanpassung zustehende Widerspruchs- oder Sonderkündigungsrecht hinweisen. Dieses muss der Kunde im Ergebnis – also auch bei Einräumen eines Widerspruchsrechts – ohne zusätzlichen Mühen und Kosten ausüben können. Nur so ist er effektiv in der Lage, sich gegenüber einer Preisanpassungsklausel zu schützen. Doch dieser Schutz greift nach der hier vertretenen Meinung auch dann ein, wenn die Preisanpassungsklausel intransparent i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist. Denn das Widerspruchs- oder Vertragslösungsrecht stellt sicher, dass die Nachteile einer intransparenten oder sonst unwirksamen Preisanpassungs-
__________ 87 BGH, ZIP 2007, 914.
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klausel nicht zum Zuge gelangen. Der Kunde kann sich also selbst schützen; er ist nicht darauf angewiesen, dass der Verwender zunächst eine wirksame Preisanpassungsklausel formuliert und dann noch zusätzlich dem Kunden für den Fall einer Preisänderung ein Lösungsrecht gewährt. Das ist im Sinn eines Verbraucherschutzes nach § 307 Abs. 1 BGB nicht gefordert; dem Kunden ist es anzusinnen und auch zuzumuten, zumindest teilweise durch Ausübung eines Widerspruchs- oder Kündigungsrechts für sein eigenes rechtsgeschäftliches Schicksal Sorge zu tragen.
III. Preisvorbehaltsklauseln Die Definition einer Preisvorbehaltsklausel nach § 1 Nr. 1 PrkV geht davon aus, dass der Verwender berechtigt ist, den Preis zu ändern, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die aber an ein bestimmtes Ermessen gebunden sind, so dass dann auch – im Ergebnis – eine Billigkeitskontrolle des letztlich neu festgesetzten Preises nach § 315 Abs. 3 BGB stattfinden kann. Der entscheidende Unterschied zu einer Preisanpassungsklausel in Form einer Kostenelementsklausel besteht darin, dass die Anpassung nicht automatisch erfolgt, sondern dass die Neufestsetzung des Preises einem Ermessen unterworfen ist88. Diese definitorische Unterscheidung ist von ausschlaggebender Bedeutung im Blick auf die Maßstäbe, welche für die richterliche Inhaltskontrolle von Preisvorbehaltsklauseln heranzuziehen sind. Diese sind nämlich ganz und gar anders gestaltet als bei Vorliegen einer Kostenelementsklausel. 1. BGH-Judikatur a) Vertragshändlerverträge Zu den inhaltlichen Grenzen von Preisvorbehaltsklauseln hat die Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit Leistungsvorbehalten Stellung genommen, welche sich häufig in Vertragshändlerverträgen wieder finden. Danach darf sich ein Verwender ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nur dann vorbehalten, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht89. Wenn aber die einseitige Änderung wesentlicher Vertragsbestimmungen in Rede steht – und dazu zählt mit Sicherheit auch der jeweils vereinbarte Preis im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses – dann müssen schwerwiegende Gründe dies rechtfertigen90. Erforderlich ist aber weiterhin, dass die Voraussetzungen und der Umfang des Leistungsbestimmungsrechts tatbestandlich hinreichend konkretisiert sind91. Zudem sind die berechtigten Belange des Kunden klauselmäßig ausreichend zu wahren.
__________ 88 Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 245 BGB Rz. 32; Grothe in Bamberger/Roth (Fn. 82), § 244 BGB Rz. 16. 89 BGH, ZIP 2005, 1785, 1791 – Honda. 90 BGH, ZIP 2005, 1785, 1791 – Honda. 91 BGH, ZIP 2005, 1785, 1791 – Honda; BGH, ZIP 2000, 138, 145 – Kawasaki; BGH, ZIP 1994, 461, 466 f. – Daihatsu.
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Diese Ergebnisse gelten auch, wenn eine Preisänderungsbefugnis vereinbart wird, wie dies in der Honda-Entscheidung des BGH der Fall war. Die Klausel, welche unter Beachtung der vorgenannten Kriterien als unwirksam gem. § 307 Abs. 1 BGB verworfen wurde, hatte folgenden Wortlaut: „Honda fakturiert die Vertragsware zu dem am Tag der Auslieferung an den Händler gültigen Händlereinkaufspreisen“92. Daran knüpfte die wesentliche Argumentation des BGH. Denn es wurden in der Klausel keine Gründe genannt, bei deren Vorliegen das bedungene Änderungsrecht des Verwenders eingreifen konnte. Insbesondere wurden keine einschränkenden Voraussetzungen angegeben, welche bei einer Herabsetzung der Spanne für den Händler als Folge der Preisänderung zu beachten gewesen wären. Denn der Händler kann sich – so der BGH – bei einer so textierten Klausel nicht einmal darauf verlassen, dass die in der jeweiligen Auftragsbestätigung angegebenen Preise verbindlich sind93. Vielmehr gibt die Klausel dem Verwender die Möglichkeit, einseitig in die Kalkulationsgrundlagen des Händlers durch eine Herabsenkung der Spanne einzugreifen, so dass die Verdienstchancen des Händlers geschmälert werden, ohne dass diesem dafür eine wie auch immer gearteter angemessener Ausgleich zuteil wird94. b) BGH-Judikatur im Verbraucherbereich Die bislang einzige BGH-Entscheidung zu einer Preisvorbehaltsklausel im Verbraucherbereich datiert v. 19.10.199995. Hier hatte eine Bank für die Bearbeitung von Pfändungen bei einem Girokonto oder einem Sparguthaben ein Entgelt von „bis zu 75 DM“ reklamiert96. Darin sah der BGH zum einen ein einseitiges Preisbestimmungsrecht, zum anderen aber maß er die Wirksamkeit dieser Klausel am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB97. Die entscheidenden Argumente beziehen sich daher auch auf diese beiden Gesichtspunkte: Zum einen – so der BGH – verstoßen einseitige Änderungsbefugnisse, welche dem Verwender ein uneingeschränktes Änderungsrecht vorbehalten, deswegen gegen das Transparenzgebot, weil der Kunde nicht vorhersehen kann, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang ihn höhere oder weitere Gebühren treffen. Zum anderen können solche Klauseln nur hingenommen werden, wenn sie – bei unsicherer Entwicklung der Verhältnisse – „als Instrument der Anpassung notwendig sind, und den Anlass, aus dem das Bestimmungsrecht entsteht, sowie die Richtlinien und Grenzen seiner Ausübung möglichst konkret angeben“98. Nur unter diesen Voraussetzungen – so der zweite amtliche Leitsatz dieses Urteils – sind einseitige Bestimmungsvorbehalte in ihrer Struktur als Preisnebenabreden mit dem Transparenzgebot vereinbar99.
__________ 92 93 94 95 96 97 98 99
BGH, ZIP 2005, 1785 – Honda. BGH, ZIP 2005, 1785, 1791 – Honda. BGH, ZIP 2005, 1785, 1791 – Honda. BGH, NJW 2000, 651. BGH, NJW 2000, 651. BGH, NJW 2000, 651, 652. BGH, NJW 2000, 651, 652; vgl. auch BGH, NJW 1985, 623, 627. BGH, NJW 2000, 651.
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Dabei steht nach der Rechtsprechung des BGH auch fest, dass eine Kontrolle des Preises nach § 315 Abs. 3 BGB nicht ausreicht; sie steht insbesondere der Anwendung der vorerwähnten Grundsätze einer richterlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht entgegen100. Damit ist gleichzeitig der entscheidende Ansatzpunkt gewonnen: Richtlinien und Grenzen des dem Verwender vorbehaltenen Preisvorbehaltsrechts müssen in transparenter Weise festgelegt werden, damit dann der tatsächlich bestimmte Preis seinerseits noch der Billigkeitskontrolle des § 315 Abs. 3 BGB unterworfen werden kann101, sofern sich nicht beide Parteien über seine Billigkeit verständigen. 2. Eigene Auffassung a) Anknüpfen an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten Sieht man einmal davon ab, dass auch eine Preisvorbehaltsklausel, wie der BGH in seiner Honda-Entscheidung zu Recht betont hat102, auch unter der Perspektive der Auftragbestätigung des Händlers – also: des Individualvertrages – zu bewerten ist, dann stellt sich gegenüber einem Verbraucher in erster Linie die Frage, wie denn die „Richtlinien und Grenzen“ einer Preisvorbehaltsklausel103 in hinreichend transparenter Weise umschrieben werden können. Dass nämlich der auch vom BGH insoweit geforderte „Anlass“104 für die Ausübung eines Preisvorbehalts relativ unproblematisch textiert werden kann, liegt auf der Hand. Denn es dürfte insoweit ausreichen, auf die „allgemeine Preis- und Kostenentwicklung“ abzustellen, weil damit die jedem Verbraucher leicht erkennbare Tendenz zur inflationären Geldentwertung angesprochen ist. Ob man auch insoweit auf branchenspezifische Gesichtspunkte wird rekurrieren müssen, erscheint fraglich. Hierbei ist nämlich zu bedenken, dass es sich hierbei regelmäßig um mehr oder weniger besondere Aspekte der einzelnen Branche handelt, welche dem Verbraucher nicht ohne weiteres erkennbar und daher auch nicht nachprüfbar sind105. Damit wäre dem Verbraucher im Sinn einer hinreichend einfach nachvollziehbaren Information kaum gedient. Die Bezeichnung der „Grenze“, bis zu der eine Preisvorbehaltsklausel tatsächlich eingesetzt werden kann, könnte allerdings an frühere Rechtsprechungsergebnisse der BGH-Judikatur anknüpfen. Denn der BGH hatte das bei Kostenelementsklauseln eingreifende Vertragslösungsrecht an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten geknüpft106. Erreichte dann die Preisänderung eine bestimmte Marke oberhalb der allgemeinen Lebenshaltungskosten (vier-Personen-Haushalt), dann wurde eine unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB verneint. Das könnte man auch bei der Textie-
__________ 100 101 102 103 104 105 106
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BGH, NJW 1980, 2518; Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 309 BGB Rz. 8. Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 315 BGB Rz. 9. BGH, ZIP 2005, 1785, 1791 – Honda. BGH, NJW 2000, 651. BGH, NJW 2000, 651. Darauf abstellend BGH, NJW-RR 2005, 1717 – allerdings Kostenelementsklausel. BGH, NJW 1984, 1174 – Tagespreisklausel.
Preisänderungsklauseln gegenüber Verbrauchern
rung einer Preisvorbehaltsklausel furchtbar machen, was allerdings nicht im Blick auf eine Vertragslösungsrecht zu verstehen ist, sondern dahin, dass die zu bezeichnende „Grenze“, bis zu deren Erreichen sich der Verwender auf die Klausel berufen kann, mit einem bestimmten Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten eines 4-Personen-Haushalts – etwa 2 v. H. – bezeichnet wird. Dieser Ansatz könnte auch gewählt werden, wenn es darum geht, die vom BGH weiter geforderten „Richtlinien“107 für die Ausübung eines Preisvorbehalts zu umschreiben. Dann würde sich die so umschriebene Preisvorbehaltsklausel insgesamt an der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten ausrichten. Das wäre für den Verbraucher hinreichend nachvollziehbar und würde von ihm auch nicht als benachteiligend angesehen. Denn das von ihm im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses bezogene Produkt würde dann sich ebenso wie die inflationäre Geldentwicklung – also: entsprechend – verteuern. b) Anknüpfen an sonstige Kriterien Gerade dann, wenn man bedenkt, dass die Rechtsprechung des BGH bei der Verwendung von Preisvorbehaltsklauseln verlangt, dass diese den „Anlass“, die „Richtlinien“ und auch die „Grenzen“ soweit wie möglich konkretisieren, dann stellt sich die weitere Frage, ob außerhalb des Anknüpfens an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten noch sonstige Parameter verfügbar sein können, die dem Gebot hinreichender Transparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen. Das mag sein, erscheint aber auf den ersten Blick deswegen zweifelhaft, weil man die BGH-Forderung als berechtigt ansehen muss: Dem Kunden nutzen nur solche Parameter zur Ausfüllung einer Preisvorbehaltsklausel, die er auch ohne weiteres selbst auf ihre Richtigkeit nachprüfen kann, wenn der Verwender mit Hilfe dieser Klausel einen neuen Preis festsetzt108. Unterstützt wird dieser Ansatz auch durch die erst später zu unterbreitende Erwägung, dass der Kunde ja das Recht hat, gegenüber einem neu festgesetzten Preis die richterliche Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB in Ansatz zu bringen. Dann aber ist der Verwender ohnedies verpflichtet, den entsprechenden Nachweis zu führen, weil die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der von ihm getroffenen Entscheidung ihm obliegt109. Spätestens dann ist der Verwender verpflichtet, die Kriterien seiner Preisfindung offenzulegen. c) Zusätzlicher Gewinn? Doch im Blick auf eine mögliche Parallele zu der Rechtsprechung betreffend Kostenelementsklauseln110 stellt sich die Frage, ob es denn auch bei Vereinbarung einer Preisvorbehaltsklausel unwirksam ist, wenn der Verwender in
__________ 107 108 109 110
BGH, NJW 2000, 651. BGH, NJW-RR 2005, 1717. Statt aller Hager in Erman (Fn. 10), § 315 BGB Rz. 19. BGH, NJW 2005, 1717; BGH, ZIP 2007, 914.
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der Lage ist, einen höheren, weil zusätzlicheren Gewinn zu erzielen als bei Abschluss des Vertrages kalkuliert. Das ist zu verneinen. Denn nur die mathematische Struktur einer Kostenelementsklausel, nicht aber die einer Preisvorbehaltsklausel schließt es aus, dass der Verwender sich einen über die Kostensteigerung hinausreichenden Gewinn verschafft. Zudem unterliegt – und das ist ganz entscheidend – die Preisvorbehaltsklausel anders als die Kostenelementsklausel der richterlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB111. Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH selbst dann, wenn eine behördliche Genehmigung vorausging112. Soweit also im Rahmen einer Preisvorbehaltsklausel die technisch-rechnerische Möglichkeit besteht, dass der Verwender einen zusätzlichen Gewinn erwirtschaftet, ist dies deswegen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB irrelevant, weil die richterliche Preiskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB hier eingreift, die aber ihrerseits nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB bei Kostenelementsklausel und dem auf diese Weise ermittelten neuen Preis zwingend ausscheidet. Daher ist es unschädlich, wenn eine Preisvorbehaltsklausel dem Verwender einen zusätzlichen Gewinn ermöglicht, weil dann der Kunde ohne weiteres in der Lage ist, diesen Preis auf seine Billigkeit im Sinn des § 315 Abs. 3 BGB überprüfen zu lassen. Das ist ein hinreichender Schutz. d) Vertragslösungsrecht? aa) Allgemeine Erwägungen Zu fragen bleibt aber, ob im Unterschied zu einer Kostenelementsklausel eine Preisvorbehaltsklausel auch dann wirksam ist, wenn sie „Anlass, Richtlinien und Grenzen“113 der Ausübung des Preisänderungsrechts nicht in transparenter Weise umschreibt, als Kompensation aber dem Kunden ein Vertragslösungsrecht einräumt, wie dies der BGH in seinem Urteil v. 13.12.2006114 für eine Kostelementsklausel gesehen hat. Dagegen könnte auch hier die Erwägung sprechen, dass die richterliche Inhaltskontrolle es unbedingt einfordert, dass die Voraussetzungen einer Preisvorbehaltsklausel in transparenter Weise umschrieben werden115. Doch auch bei einer Preisvorbehaltsklausel wird man anerkennen müssen, dass es Situationen gibt, in denen es dem AGBVerwender schlechterdings nicht möglich und daher auch nicht zumutbar ist, die Voraussetzungen einer Preisvorbehaltsklausel so transparent zu umschrieben, dass sie den Test des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB erfüllen. Dann kann die darin liegende Unangemessenheit der Vertragsgestaltung nur dadurch überwunden werden, dass der Verwender dem Kunden ein Lösungsrecht gewährt. Denn dieses stellt dann sicher, dass er von der Intransparenz i. S. v. § 307
__________ 111 112 113 114 115
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Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 315 BGB Rz. 16. BGH, NJW 2006, 684, 686. BGH, NJW 2000, 651. BGH, ZIP 2007, 914. Hierzu für den Bereich der Kostenelementsklausel Roloff in Erman (Fn. 10), § 309 BGB Rz. 14 – allerdings ohne hinreichende Differenzierung zwischen den einzelnen Erscheinungsformen einer Preisänderungsklausel.
Preisänderungsklauseln gegenüber Verbrauchern
Abs. 1 Satz 2 BGB gar nicht erst erfasst wird. Diesen Gedanken wird man aber auch noch um einen weiteren Schritt ergänzen müssen: Selbst dann, wenn der Verwender durchaus in der Lage wäre, eine transparente Preisvorbehaltsklausel zu textieren, wird man ihm das Recht nicht aus der Hand schlagen dürfen, dem Verbraucher – gleichsam als Kompensation für eine unwirksame Klausel – ein Vertragslösungsrecht einzuräumen. Denn im Ergebnis beseitigt dieses Recht das Wirksamwerden einer unangemessenen Benachteiligung des Kunden i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dagegen ließe sich allerdings vorbringen, der Kunde bedürfe eines solchen Schutzes deswegen nicht, weil er ja das Recht hat, in jedem Fall die Billigkeit des Preises nach § 315 Abs. 3 BGB zu überprüfen. Anders gewendet und schärfer formuliert: Das bei einer Kostenelementsklausel – trotz ihrer Unwirksamkeit – eingreifende Vertragslösungsrecht wird bei Verwendung einer Preisvorbehaltsklausel durch das Recht der richterlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB ersetzt. Dieses Recht ist gegenüber dem Verwender sogar deswegen ein sehr scharfes Schwert, weil er ggfs. gezwungen sein kann, seine Kalkulation offenzulegen, um die Billigkeit des von ihm im Rahmen der Vorbehaltsklausel neu festgesetzten Preises zu untermauern116. Dieser Weg ist bei Verwendung einer Kostenelementsklausel durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nachhaltig versperrt, weil eine gerichtliche Inhaltskontrolle des Preises ausscheidet. Hier besteht eben nur die Möglichkeit, mit Hilfe eines Vertragslösungsrechts eine ansonsten eingreifende unangemessene Benachteiligung des Kunden i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB zu vermeiden. bb) Lösungsvorschlag Fragt man also, ob der Weg über § 315 Abs. 3 BGB oder der über die Einräumung eines Vertragslösungsrechts zu bevorzugen ist, um eine an sich unwirksame Preisvorbehaltsklausel zu sanieren, dann fällt es schwer, hier eine abschließende Entscheidung zu treffen. Vielmehr spricht einiges dafür, von einer Gleichgewichtigkeit auszugehen, so dass der Verwender die Wahl hat, in welcher Weise er Vorsorge für den Fall trifft, dass eine Preisvorbehaltsklausel an § 307 Abs. 1 BGB scheitert. Natürlich ist nicht zu verkennen, dass der Verbraucher bei einer Klage nach § 315 Abs. 3 BGB das Prozessrisiko trägt. Dieses entfällt bei einem Vertragslösungsrecht. Doch ist auch hier gar nicht sicher, ob der Verbraucher – angesichts einer ungewissen Marktlage – immer die richtige Wahl trifft, einen neuen Lieferanten für die von ihm benötigten Produkte oder Leistungen zu erhalten, der in der Tat ein mindestens gleichwertiges Produkt und darüber hinaus auch noch einen günstigeren, jedenfalls gleichen Preis auf Sicht anbietet. Damit aber wird klar: Es kann und darf nicht Sache des von den §§ 305 ff. BGB beabsichtigten Verbraucherschutzes sein, dem Verbraucher jedes Markt- und Vertragsrisiko abzunehmen. Ein Mindestmaß an Eigenverantwortung muss auch dem Verbraucher zugewiesen werden.
__________ 116 Hierzu BGH, NJW 2005, 2919, 2921; Grüneberg in Palandt (Fn. 6), § 315 BGB Rz. 19; Hager in Erman (Fn. 10), § 315 BGB Rz. 21.
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Nimmt man diesen Gesichtspunkt als den letztlich auch entscheidenden Maßstab, dann wird man dem Verwender – wie bereits angedeutet – die Wahlfreiheit zwischen der ausdrücklichen Einräumung einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB und dem Vertragslösungsrecht lassen, sofern die von ihm verwendete Preisvorbehaltsklausel aus welchen Gründen immer an den strengen Anforderungen des Transparenzgebots des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zerbricht.
IV. Zusammenfassung Die Anforderungen, welche die Rechtsprechung des BGH im Blick auf die Transparenz einer Preisänderungsklausel in Form einer Kostenelementsklausel und einer Preisvorbehaltsklausel stellt, sind übertrieben hoch. Ihnen kann in der Praxis kaum entsprochen werden. Denn die transparente Darlegung der für die Preisfestsetzung maßgebenden Kostenelemente zwingt den Verwender praktisch dazu, seine Preiskalkulation zu offenbaren, weil nur so die vom BGH eingeforderte „Gewichtung“117 der einzelnen Kostenelemente möglich ist. Täte der Verwender dies, würde er mit Sicherheit die rechnerischen Fähigkeiten des durchschnittlichen Verbrauchers überfordern. Das wäre für die Erfüllung des dem Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB innewohnenden Verständlichkeits- und Informationsgebot118 ungenügend. Daher reicht es aus, wenn der Verwender dem Kunden – trotz einer unwirksamen Kostenelementsklausel – ein Vertragslösungsrecht in Form eines Widerspruchs oder eines Sonderkündigungsrechts einräumt. Das rechtliche Vehikel hierfür ist § 308 Nr. 5 BGB, weil der Kunde im Rahmen des danach im zwingend einzuräumen Widerspruchsrecht in der Lage ist, sich von den Folgen einer ansonsten eingreifenden unangemessenen Benachteiligung – sie ist Folge des Wirksamwerdens der Preisänderung – zu befreien. Bei Verwendung einer Preisvorbehaltsklausel gelten die gleichen Erwägungen. Auch hier muss es ausreichen, wenn der Verwender dem Kunden ein Vertragslösungsrecht in dem beschrieben Sinn einräumt. Äquivalent hierzu ist aber auch das bei Preisvorbehaltsklausel notwendigerweise eingreifende Recht des Kunden, eine gerichtliche Billigkeitskontrolle des neu festgesetzten Preises nach § 315 Abs. 3 BGB einzufordern. Damit wird nicht die richterliche Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB ersetzt oder verdängt. Vielmehr beruht das Eingreifen des § 315 Abs. 3 BGB auf der besonderen Struktur einer Preisvorbehaltsklausel, die auf Erwägungen von Billigkeit und Ermessen aufgebaut ist, wie ein Blick auf § 1 Nr. 1 PrKV belegt.
__________ 117 BGH, NJW-RR 2005, 1717. 118 Statt aller Heinrichs in Palandt (Fn. 6), § 307 BGB Rz. 22.
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Sachenrechtsmodernisierung Inhaltsübersicht I. Ausgangslage 1. Eigentum und Sachbegriff 2. Konsequenzen II. Bestandsaufnahme 1. Neue Eigentumsformen
2. Kreditsicherung 3. Exemplarische Konstellationen und Argumentationen III. Handlungsbedarf und Chancen
Die heftigen Stürme, die die Schuldrechtsmodernisierung begleitet und bei denen, die dank geographischer Gegebenheiten nicht im Zentrum des Orkans standen, eher Verwunderung ausgelöst haben, sind abgeflaut. Die Wogen haben sich allmählich geglättet, so dass es nicht verwundert, wenn nun die Sachenrechtsmodernisierung1 als die nächste große Herausforderung benannt wird. In diesem Beitrag soll untersucht werden, ob ein solcher Handlungsbedarf besteht. Es lässt sich kaum ein geeigneterer Ort für die Diskussion dieser Fragestellung denken als eine Harm Peter Westermann gewidmete Festschrift. Er war in der Schlussphase der Schuldrechtsreform eine zentrale Figur und er ist neben vielem anderen und sicher nicht zuletzt Sachenrechtler. Um einen Bedarf nach einer „Modernisierung“2 feststellen zu können, muss zunächst eine Bestandsaufnahme erfolgen. Diese betrifft zwei Stufen: Zuerst die Grundkonzeption des Sachenrechts unter Einbeziehung des Vermögensrechts, und dann den Vergleich mit der heutigen Handhabung des Gesetzes.
I. Ausgangslage Das Sachenrecht des BGB beruht auf einer Reihe von axiomatischen Grundannahmen, die untereinander zusammenhängen und einander wechselseitig bedingen. Sie werden ergänzt durch die sog. Sachenrechtsprinzipien, eine Kette von ebenfalls interdependenten Grundsätzen, die dem System des Sachenrechts zugrunde liegen und zugleich dessen Anwendung bestimmen sollen.
__________ 1 Eidenmüller, Internationale Entwicklungen im Recht der Kreditsicherheiten, in Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung Bd. 24 (Hrsg. Hadding/Hopt/ Schimansky), 2005, S. 117, 154. 2 Der Begriff wird hier bewusst beibehalten, obwohl er – wie im Schuldrecht – weder besonders passend, noch hilfreich ist.
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1. Eigentum und Sachbegriff Das System des BGB basiert auf einem für alle Gegenstände des Sachenrechts gleichen Eigentumsbegriff und einem diesem korrespondierenden Sachbegriff. Das hat vielfältige Folgen, deren erste und gerade heute aktuelle die ist, dass Immobiliar- und Mobiliarsachenrecht als Einheit begriffen und behandelt werden. Dem ist 1907, insoweit in deutlicher Anlehnung an das noch ganz neue BGB das Schweizer ZGB gefolgt3. Das war keineswegs selbstverständlich. Das Schweizer Obligationenrecht von 1883 umfasste, ehe es 1912 in das ZGB integriert wurde4, weite Teile des Mobiliarsachenrechts, weil diese dem „Verkehrsrecht“ zugerechnet wurden. Dafür bestand, und das war sicher von Bedeutung, eine Gesetzgebungskompetenz, wichtiger war jedoch die Überzeugung, dass dieser von Goldschmidt5 geprägte Begriff einen Teil der Rechtsordnung kennzeichnete, in dem gemeinsame Kriterien, wie Flexibilität und Effizienz, notwendig und maßgebend waren. Dieser funktionelle Ansatz, auf den am Ende zurückzukommen sein wird, wurde zugunsten des einheitlichen Sachenrechts aufgegeben, das in seinen elementaren Ansätzen dem gleichen Konzept folgt wie das BGB. Es ist dasjenige, das auf dem von Savigny entwickelten System des Sachen- und Vermögensrechts aufbaut. Basis und Zentrum dieses Systems ist der Begriff des abstrakten, totalen und absoluten Eigentums. Zwar verwenden die Verfasser des BGB nicht diese Schlagworte, die in der Diskussion des 19. Jahrhunderts entwickelt worden waren6. Sie leiten das alles aus dem System des Savignyschen Vermögensrechts ab, das der Autor des Vorentwurfs strikt befolgt und teilweise wörtlich übernommen hatte7. Es gehört nun zu den bekannten Eigenheiten der Savignyschen Systematik, dass sie axiomatisch deduktiv, eben ein echtes System ist. Das bedeutet, dass mit der Grundentscheidung die Folgen programmiert sind. Diese Grundentscheidung umfasst zwei zentrale Elemente: Das Sachenrecht und das Obligationenrecht bilden zusammen das Vermögensrecht, sie stehen jedoch vollkommen selbständig nebeneinander und hängen in ihren Wirkungen nicht voneinander ab. Dieses „autonome“ Sachenrecht muss
__________ 3 Dem ZGB werden vielfach Eigenschaften zugesprochen, die es vom „trockenen, doktrinären“ BGB unterscheiden. Richtig ist, dass der Verfasser Eugen Huber der Gedankenwelt Otto von Gierkes, mit dem er befreundet war, nahe stand und etliche Ansätze zu gemeinschaftlichem Denken in das ZGB eingebaut hat, die später als „sozial“ bezeichnet wurden. In der Konzeption des Sachenrechts folgt Huber aber dem auf Savigny zurückgehenden System. 4 Dazu und zum Folgenden Wiegand, Sachenrecht im Obligationenrecht, in Caroni, Das Obligationenrecht 1883–1993, Bern 1984, S. 107 ff. 5 Levin Goldschmidt, ZHR 1 (1858), 1 ff. 6 Wiegand, Zur theoretischen Begründung der Bodenmobilisierung in der Rechtswissenschaft: Der abstrakte Eigentumsbegriff, in Coing/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. III, 1976, S. 118 ff. 7 Dazu Johow, Der Begriff des Sachenrechts und dessen selbständige Stellung in dem bürgerlichen Gesetzbuche (Berlin 1880). Diese Einleitung zum Vorentwurf des Sachenrechts, die alle wesentlichen Merkmale des späteren BGB fixiert, ist in weiten Teilen eine allerdings ausgezeichnete Zusammenfassung der relevanten Kernelement des Savignyschen Systems.
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deshalb selbstreferenzierend sein. Das wird erreicht durch die Einführung des neuen Eigentumsbegriffs. Das Eigentum ist abstrakt, total und absolut. Damit schneidet man nicht nur die Verbindungen zum breiteren, vielfältig aufgefächerten und mehrfach zugeordneten Eigentum der Naturrechtsgesetzbücher8 ab, sondern auch die Verbindung zum „daneben stehenden“ Obligationenrecht9. Deshalb ist das Eigentum abstrakt im doppelten Sinn: Es ist – wie einleitend erwähnt – für alle Gegenstände, an denen Herrschaftsrechte begründet werden können, das gleiche Eigentum und erlaubt weder Abstufungen noch Differenzierungen. Es ist aber auch in dem Sinne abstrakt, dass schuldrechtliche Beziehungen, welcher Art auch immer, seinen Inhalt nicht beeinflussen10. Das Eigentum ist absolut, weil es keine anderen Rechte an der Sache zulässt, und es ist total, weil es keine Aufsplitterung der Herrschaftsrechte ermöglicht. Aus diesem Verständnis des Eigentums folgt ohne weiteres, dass es nur an körperlichen, begrenzten Gegenständen bestehen kann, an denen „Herrschaft“ ausgeübt werden kann11. Konsequenterweise musste der Sachbegriff diesem Verständnis angepasst12 und gegenüber dem naturrechtlichen Sachbegriff13 verengt werden. Das ist im heutigen § 90 konsequent geschehen. Nicht ganz so rigoros waren die Verfasser des ZGB, das in Art. 713 bestimmt: „Gegenstand des Fahrniseigentums sind die ihrer Natur nach beweglichen körperlichen Sachen sowie die Naturkräfte, die der rechtlichen Herrschaft unterworfen werden können und nicht zu den Grundstücken gehören“. Diese Erweiterung ist an sich vollkommen systemwidrig, sie ist aber weitgehend folgenlos geblie-
__________ 8 Die Unterschiede sind in zahlreichen Untersuchungen dargestellt worden, darauf wird später näher zurück zukommen sein. 9 Immerhin hatte Savigny schon 1850 festgehalten (Obligationenrecht I 5): „In dem gesamten Rechtsverkehr der heutigen Zeit ist dem Einfluss des Obligationenrechts eine augenscheinlich fortschreitende Wichtigkeit, von anderen Teilen des Rechtes, zuzuschreiben, indem darin die Bedürfnisse und Richtungen der Gegenwart vorzugsweise ihre Befriedigung finden“. Er schließt daraus, dass das Sachenrecht neben dem Obligationenrecht steht und dass das Obligationenrecht umgekehrt nicht mehr eine Funktion des Sachenrechts ist – wie etwa im Code Civil. 10 Dieser Aspekt ist für die zu untersuchenden Fragestellungen wichtiger als das „Abstraktionsprinzip“ bei der Übertragung dinglicher Rechte, das zwar ebenfalls eine Ausprägung der Autonomie des Sachenrechts darstellt, aber eine andere Bedeutung hat. Das ergibt sich schon daraus, dass im Schweizer ZGB, das – wie erwähnt – auf der gleichen Systematik beruht, die hier zu beschreibenden Probleme in derselben Weise auftreten, obwohl die Übereignung als kausal angesehen wird; kritisch dazu Honsell, Tradition und Zession – kausal oder abstrakt?, in FS Wolfgang Wiegand, 2005, S. 349 ff. 11 Johow (Fn. 7), S. 17 ff. 12 Zur Korrelation von Eigentums- und Sachbegriff Dulkeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, 1951, S. 34 f. 13 Dieser findet sich bis heute in § 285 ABGB: „Alles was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient, wird im rechtlichen Sinne eine Sache genannt“, zur heutigen Handhabung, die weitgehend auf die Körperlichkeit abstellt Koziol, Bürgerliches Recht I, 12. Aufl. 2002, S. 216 ff.
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ben14. Wichtiger ist aber, dass sie die eigentlichen mit der Restriktion des Sachbegriffs verbundenen Probleme nicht löst. Die Problematik dieser systematischen Fixierung ist schon während des Gesetzgebungsverfahrens thematisiert worden. So schreibt Gierke schon 1889: „Das undeutsche Dogma des Entwurfs, dass in der Welt des Sachenrechts für schöpferische Thaten der beteiligten Volkskreise kein Raum ist, muss fallen! Es unterbindet die Lebensadern der künftigen Rechtsentwicklung und bedroht uns mit Verknöcherung und Erstarrung!“ Sieht man einmal vom germanistischen Pathos ab, so sind Analyse und Prognose im Kern durchaus zutreffend, wie die spätere Problembeschreibung bestätigen wird. Auf der anderen Seite war es natürlich nicht allein die Überzeugungskraft des Savignyschen Systemdenkens, die den Ausschlag gab, sondern die damit verbundenen rechtspolitischen und ökonomischen Vorteile oder Hoffnungen. Das System, so wie es sich präsentierte und verstanden wurde, versprach Rechtssicherheit in zweifacher Hinsicht, es sollte die reibungslose Zirkulation der Güter ebenso gewährleisten wie die Klarheit der Verhältnisse in der Vollstreckung. Ein weiterer Vorteil bestand darin, dass die Sachenrechtsprinzipien, die sich mit Selbstverständlichkeit aus diesem System ergaben und ihm gewissermaßen immanent waren, geeignet schienen, diese Ziele zu sichern und zu fördern. Das gilt in besonderem Masse vom Bestimmtheitsgrundsatz, dem numerus clausus der dinglichen Rechte und dem umfassenden und übergreifenden Publizitätsprinzip. 2. Konsequenzen Der abstrakte Eigentumsbegriff verbietet jegliche Differenzierung des Eigentums nach Erscheinungsform und Arten; denn das Eigentum umfasst immer die gleichen, jedem Eigentümer in gleicher Weise zustehenden Befugnisse. Deren Aufteilung unter mehreren Eigentümern ist ausgeschlossen. Man kann einem anderen keine Eigentümerbefugnis übertragen – wie das im usus modernus und im Naturrecht üblich war: Das signifikanterweise so genannte Nutzungseigentum umfasste die Nutznießung und ein „Eigentumspartikel“ (particula proprietatis)15. Die sachenrechtliche Begründung solcher Befugnisse kann nur durch beschränkte dingliche Rechte erfolgen, die das Eigentum belasten, aber nicht teilen. Deren Inhalt muss aber schon deswegen notwendigerweise im Sachenrecht fixiert sein. Darüber hinaus verbietet die Selbständigkeit des Sachenrechts eine Ausgestaltung dieser Rechte durch schuldrechtliche Verträge. Der sachen-
__________ 14 Es ging den Gesetzesverfassern vor allem um Einordnung der Elektrizität und der Wasserkraft. 15 So etwa Johann Heinrich Berger, Oeconomia juris ad usum hodiernum accommodati (1712) Lib. II, II; Begriff und Bild des Eigentumspartikels verwendet Mülbert (Das inexistente Anwartschaftsrecht und seine Alternativen, AcP 202 [2002], 912 ff.) für sein Modell des zeitlich segmentierten Eigentums, allerdings ohne historischen Bezug.
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rechtliche Typenzwang, der im krassen Gegensatz zur schuldrechtlichen Vertragsfreiheit steht, dient außerdem dem Schutz Dritter (Verkehrsschutz) und der Schaffung klarer Grundlagen für die Vollstreckung. Der numerus clausus dinglicher Rechte ist multifunktionell, er ist systemimmanent und dient zugleich der Absicherung des gesamten Konzeptes. Das Gleiche gilt in ganz ähnlicher Weise für das Spezialitätsprinzip. Ansatzpunkt ist die Beschränkung des Eigentumsrechts auf körperliche Sachen, das notwendigerweise eine bestimmte Sache betreffen muss. Daraus folgt mit Selbstverständlichkeit, dass auch die Übertragung dieses Rechtes sich wiederum auf eine bestimmte Sache beziehen muss. Dieses auch als Bestimmtheitsgrundsatz bezeichnete Prinzip findet aber weit darüber hinaus, etwa bei allen Verfügungsgeschäften Anwendung16. Besonders häufig wird es im Bereich der Kreditsicherung verwendet, dort allerdings vielfach im Zusammenhang mit Transparenzargumenten und damit im Rahmen der Publizitätsfrage. Die Publizität war das dominierende und alles verbindende Postulat des Sachenrechtssystems und der skizzierten Prinzipien. Es hat indessen nie die Rolle spielen können, die ihm vom Gesetzgeber zugedacht wurde. Dennoch gilt das Publizitätsprinzip bis heute als das sachenrechtliche Prinzip schlechthin. Es wird deshalb bei allen der im Folgenden zu untersuchenden Punkte zu berücksichtigen sein.
II. Bestandsaufnahme 1. Neue Eigentumsformen Das BGB hatte den Eigentumsvorbehalt vorgefunden und ihn auf traditionelle Art geregelt. Dabei konnte die vor allem nach dem zweiten Weltkrieg geradezu explodierende Verwendung nicht vorgesehen werden, noch viel weniger die Entstehung der Anwartschaft als Gegenstand des Vermögensrechtes und des Rechtsverkehrs. In der Sache kann heute – ungeachtet immer wieder belebter dogmatischer Diskussionen über die Rechtsnatur der Anwartschaft17 – kein Zweifel daran bestehen, dass ein neues dingliches Recht entstanden ist. Ebenso wenig kann bezweifelt werden, dass die Entstehung neuer dinglicher Rechte durch Rechtsfortbildung zulässig ist18. Darauf wird zurückzukommen sein, doch darum geht es hier nicht. Es geht vielmehr darum, dass bei der Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts eine funktionelle Teilung des Eigentums stattfindet – das ist in zahlreichen Untersuchungen19 dargestellt worden und
__________ 16 Seine Verwendung beruht auf einer Reihe von Ansätzen, die ineinander greifen, aber noch nicht hinreichend untersucht sind und gelegentlich in terminlogischen Differenzierungsversuchen ihren Niederschlag finden. 17 Eindringlich zuletzt Mülbert, AcP 202 (2002), 912 ff. 18 Das ist heute unstreitig: Canaris, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, in FS Flume I, 1978, S. 371, 376; Wiegand, Numerus clausus der dinglichen Rechte. Zur Entstehung und Bedeutung eines zentralen zivilrechtlichen Dogmas, in FS Kroeschell, 1988, S. 623, 640 ff. 19 Statt aller etwa L. Raiser, Dingliche Anwartschaften, 1961.
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bedarf keiner näheren Begründung mehr20 – und dass das BGB diesen tatsächlichen und ökonomisch maßgeblichen Zustand nicht sachgerecht nachvollziehen und abbilden kann. Der abstrakte Eigentumsbegriff steht der notwendigen Differenzierung entgegen, die folgendermaßen vorzunehmen wäre: Das „vorbehaltene“ Eigentum ist ebenso wenig Volleigentum wie das berühmte „wesensgleiche minus“ des Anwartschaftsberechtigten. Mit der Qualifikation als Anwartschaft wird dessen Stellung unterbewertet, während die Position des Vorbehaltsberechtigten als gewöhnlicher Eigentümer überbewertet ist. Konsequent wäre es gewesen, neben dem Volleigentum zwei neue Eigentumsformen anzuerkennen, anstatt am Prinzip des immer und überall gleichen Eigentums festzuhalten. Genau diesen Weg hat man beim Treuhandeigentum eingeschlagen, hat ihn aber nicht konsequent verfolgt. Das Reichsgericht hatte in seiner berühmten Entscheidung aus dem Jahre 189921 ausdrücklich das formell-juristische dem materiell-wirtschaftlichen Eigentum gegenübergestellt. In diesem Urteil werden aus der faktischen Aufteilung des Eigentums insolvenzrechtliche Konsequenzen gezogen, indem dem Treugeber ein Aussonderungsrecht (gegen den formell/juristischen Eigentümer!) zugebilligt wird. In ausdrücklicher Auseinandersetzung mit diesem Urteil hält wenig später das Schweizer Bundesgericht fest, dass eine solche Aufteilung nicht in Betracht komme, sondern „dass auf den absoluten Begriff des Eigentums, im eigentlichen (‚juristischen‘) Sinne des Wortes abgestellt“ werden müsse22. Während also die Rechtsprechung in der Schweiz bei fiduziarischen Übertragungen strikt am absoluten, abstrakten Eigentumsbegriff festhielt, hat die deutsche Judikatur ihn schon vor Inkrafttreten des BGB aufgegeben. Dennoch hat man in der Folgezeit daran festgehalten, dass es immer nur einen Eigentümer gibt, der die Eigentumsbefugnisse ausübt. Das „wirtschaftliche Eigentum“ wurde nie als solches anerkannt, sondern nur im Rahmen der Vollstreckung und Insolvenz berücksichtigt. Das hat dazu geführt, dass der Treuhänder ungeachtet seiner schuldrechtlichen Bindung als Eigentümer handeln und insbesondere Verfügungen treffen kann, die selbst dann wirksam sind, wenn die fiduziarische Bindung dem Kontrahenten bekannt ist. Zur Abmilderung dieser allseits als unbefriedigend empfundenen Folgen hat man zahlreiche Konstruktionen „erfunden“, denen eines gemeinsam ist: Sie sind dogmatisch fragwürdig und wenig überzeugend23; sie weisen damit die typischen Merkmale aller Fehlerkompensationen auf und resultieren daraus, dass man den
__________ 20 Allein der Umstand, dass man die Geltendmachung von Rechten dem Vorbehaltsverkäufer und Anwartschaftsberechtigtem durch analoge Anwendung von § 432 oder § 1281 gemeinsam zuweist (dazu Wiegand in Staudinger [2004] Anh zu §§ 929 ff. BGB Rz. 26), belegt die faktische Anerkennung der Eigentumsteilung. 21 RGZ 45, 80 ff., dazu etwa Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, 1973, S. 42 ff. 22 BGE 39 II 800, 809; eingehend dazu Wiegand, Trau, schau wem – Treuhandrecht in der Schweiz und in Deutschland, in FS Coing II, 1982, S. 565, 568 ff. 23 Zusammenstellung bei Wiegand in Staudinger (Fn. 20), Anh zu §§ 929 ff. BGB Rz. 331 ff.
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Schritt zur Anerkennung eines spezifischen, fiduziarischen Eigentums nicht vollziehen wollte. Das hätte sich vor allem beim Sicherungseigentum aufgedrängt, das in noch wesentlich größerem Umfang als der Eigentumsvorbehalt zu einem zentralen Element des Kreditsicherungsrechts geworden ist und sich längst zu einem eigenen Typus von Eigentum entwickelt hat. Funktionell handelt es sich auch hier (wie beim Eigentumsvorbehalt) um eine Aufteilung des Eigentums. Sicherungseigentum wird als Unterart des Treuhandeigentums insolvenz- und vollstreckungsrechtlich speziell behandelt, aber eine „Anerkennung“ als besondere Form des Eigentums ist wiederum nicht erfolgt. Angesichts der massenhaften Verbreitung und Verwendung hätte das nahe gelegen. So bleibt es auch hier dabei, dass gegenüber Dritten der Sicherungsnehmer alleiniger Eigentümer ist und als solcher Verfügungsbefugnis und alle anderen Eigentümerrechte allein ausüben kann24. 2. Kreditsicherung Das Festhalten an den überkommenen Eigentumskategorien hat von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen, im Bereich der Kreditsicherung notwendige Anpassungen und Veränderungen vorzunehmen. Dass solche Schritte erforderlich gewesen wären, ist an sich seit langem zumindest für die Mobiliarsicherheiten unbestritten. Der Deutsche Juristentag hat schon 1908 über den Eigentumsvorbehalt an Maschinen und 1912 über die Zulässigkeit der Sicherungsübereignung diskutiert25. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Situation sich auf Grund der Kapitalknappheit der Deutschen Wirtschaft verschärft hatte, sind die Diskussionen wieder aufgenommen worden, wobei der Vater des Jubilars eine Schlüsselfigur war26. Schließlich hat Drobnig27 in seinem Gutachten zum 51. Deutschen Juristentag eine umfassende Analyse der Situa-
__________ 24 Eine zumindest diese unbefriedigende Situation vermeidende Lösung schlägt N. Wiegand vor (Die Sicherungsgesellschaft – Der Sicherungsvertrag bei der Sicherungsübereignung als BGB-Gesellschaftsvertrag, 2006), der auf der Basis einer BGBGesellschaft zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer Gesamthandseigentum am Sicherungsgut annimmt. 25 Diese Frage war lange Zeit kontrovers, was auf ungenügender Kenntnis über den Gesetzgebungsvorgang beruhte. Durch die Abhandlung von Gaul, Lex commissoria und Sicherungsübereignung, AcP 168 (1968), 352, 357 ff. ist hinreichend geklärt, dass die Gesetzesverfasser die Möglichkeit der Sicherungsübereignung zumindest erkannt und sie anders als der Gesetzgeber in der Schweiz durch Art. 717 ZGB nicht ausgeschlossen haben. Dazu m. w. N. Wiegand, Zur Reform des Kreditsicherungsrechts – Der UNCITRAL legislative Guide on Secured Transactions und das nationale Recht, in FS Norbert Horn, 2006, S. 177 ff. 26 Harry Westermann, Interessenkollision und ihre richterliche Wertung bei den Sicherungsrechten an Fahrnis und Forderungen, 1954; ders. Gesetzliche Regelung der Sicherungsübereignung von Warenlagen und des Eigentumsvorbehalts, 41. DJT 1956 BD 2/F. 27 Empfehlen sich gesetzliche Massnahmen zur Reform der Mobiliarsicherheiten?, 51. DJT 1976.
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tion vorgelegt und Reformvorschläge unterbreitet, die wie alle vorangehenden nicht umgesetzt wurden. Eine Chance dazu wurde schließlich im Zuge der Insolvenzreform verpasst. Man hat zwar sachlich richtig dort angesetzt, wo der Konflikt der Sicherungsrechte relevant wird, aber hat sich auf die rein insolvenzrechtliche Lösung beschränkt und somit nur versucht, die Symptome zu kurieren. Obwohl es zu den jedem Gesetzgeber geläufigen Selbstverständlichkeiten gehört, dass zwischen Sachenrecht und Vollstreckungsrecht eine Interdependenz besteht, sind Korrekturen der sachenrechtlichen Ausgangslage unterblieben. Es verwundert deshalb nicht, dass die eigentlichen Defizite des Sicherungssystems nicht beseitigt wurden. Auf schlagende Weise wird das dadurch belegt, dass entgegen allen Erwartungen die Poolvereinbarungen nicht nur nicht verschwunden sind, sondern weiterhin erhebliche Bedeutung haben28. Symptomatisch ist weiterhin, dass nach Erledigung der eine epochale Debatte auslösenden Frage der nachträglichen Übersicherung jetzt die Diskussion um die anfängliche Übersicherung29 voll entbrannt ist. Dies zeigt, dass alle in den zuvor erwähnten Untersuchungen und in zahllosen anderen Publikationen aufgestellten Postulate nach vermehrter Publizität und Restriktion der überbordenden Sicherungsrechte30 nicht umgesetzt wurden. Es geht hier nicht darum, diesen kaum ernsthaft bestrittenen Befund weiter zu vertiefen, sondern ihn im Hinblick auf die Fragestellung zu analysieren. Dabei ist neben der Fixierung auf den abstrakten Eigentumsbegriff vor allem der Umgang mit den daraus resultierenden Sachenrechtsprinzipien31 von Bedeutung. Die Entstehung des Treuhand- und des Vorbehaltseigentums sowie der Eigentumsanwartschaft haben zu neuen Eigentumsrechten geführt, auch wenn diese nicht „offiziell“ als solche anerkannt und behandelt werden32. Damit ist die Zahl der dinglichen Rechte (hier Eigentum) in jedem Fall erweitert worden. Dies ist kein „Verstoß“ gegen den numerus clausus der dinglichen Rechte, sondern eine zulässige Rechtsfortbildung. Bei der Verwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes sind verschiedene, oben schon angedeutete Ansätze33 zu unterscheiden: Primär ergibt sich aus dem Eigentumsbegriff dessen Beziehung und Begrenzung auf ein spezielle Sache. Daraus folgt seine Relevanz für die sachenrechtlichen Verfügungen; das damit zugleich verbundene Postulat der Identifizierung des Verfügungsgegenstands ergibt sich aber auch aus dem Begriff der Verfügung34 selbst. Das gilt jedenfalls
__________ 28 Dazu Wiegand in Staudinger (Fn. 20), Anh zu §§ 929 ff. Rz. 303 ff. 29 Dazu Lwowski, Anfängliche und nach nachträgliche Übersicherung, in Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung (Fn. 1), S. 107 ff. 30 Exemplarisch Drobnig (Fn. 27), S. 54 ff. 31 S. oben S. 734. 32 Dazu oben S. 735. 33 S. 735. 34 Grundlegend Wilhelm, Begriff und Theorie der Verfügung, in Coing/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. II, 1977, S. 213 ff.
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für die hier zur Diskussion stehenden zuordnungsändernden Verfügungen35, durch die Rechte übertragen werden. Dazu gehört auch die Zession, bei der bis heute über den erforderlichen Grad der Bestimmtheit gestritten wird. Wichtig im vorliegenden Zusammenhang ist nur ein Aspekt, der sich daraus ergeben hat. Schon 1907 hat das Reichsgericht im Rahmen der damals durch von Tuhr36 ausgelösten Debatte um die Zulässigkeit der Vorauszession den Begriff der „Bestimmbarkeit“ eingeführt und diese als für die Abtretung als hinreichend angesehen. In der folgenden Analyse wird sich zeigen, dass dieser Begriff variabel eingesetzt wird. Schließlich wird der Bestimmtheitsgrundsatz in einer Dritten für die Kreditsicherung wichtigen Funktion verwendet: Grundsätzlich kann nur eine bestimmte Forderung gesichert werden. Dieses Bestimmtheitserfordernis stellt eine Konkretisierung des Akzessorietätsprinzips dar37. Auch hier sind Literatur und Rechtsprechung seit langem dazu übergegangen, die Bestimmbarkeit genügen zu lassen. Dieser vielfältig verwendete Bestimmtheitsgrundsatz wird häufig verbunden, aber auch vermischt mit Publizitätserwägungen. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der das ganze Sachenrecht dominierende Publizitätsgrundsatz mal im Sinne von Erkennbarkeit, mal im Sinne von Rechtsklarheit und manchmal auch als eine Mischung von beiden verstanden und angewandt wird. Deshalb ist, bevor einzelne Beispiele zu diskutieren sind, in Erinnerung zu rufen, dass Publizität nichts anderes bedeutet als die Sichtbarmachung der Zuordnung und deren Veränderung38. Diese ist notwendig, weil nur dadurch und deshalb die absolute Wirkung der dinglichen Rechte gerechtfertigt und zugleich gewährleistet werden kann. Die Verfasser des Schweizer ZGB haben das so ausgedrückt: „Das Sachenrecht hat den dinglichen Rechten jene genaue Abgrenzung und zuverlässige Erkennbarkeit zu verschaffen, die für den Verkehr mit ihnen zur Herstellung der Rechtssicherheit und zugleich der Beweglichkeit, die für die Mehrzahl derselben zum eigentlichen Lebenselement gehören, unerlässlich sind. Weit mehr als auf andern Rechtsgebieten bedarf es hier einer einfach gehaltenen, klaren, leicht und unverzüglich wahrnehmbaren Ordnung“39. So verstanden hat Publizität jedoch zwei Funktionen, die bis heute eine wesentliche Rolle spielen: Zum einen geht es um die Sichtbarmachung, darüber hinaus aber um das Postulat der leichten und schnellen Wahrnehmbarkeit. Dieser letzte Punkt spielt in den zu besprechenden Beispielen eine große Rolle. Gerade deshalb ist es wichtig zuvor noch eine
__________ 35 So die treffende Charakterisierung bei Westermann/Westermann, Sachenrecht, 7. Aufl. 1998, 20 f. Zum weit umfassenderen Begriff des Verfügungsgeschäfts Larenz/ Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 23 IV; zu den auf Gegenstände bezogenen Verfügungen grundlegend Sohm, Der Gegenstand, ein Grundbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuches, in FS Degenkolb, 1905, auf den das Bestimmtheitspostulat bei derartigen Verfügungen zurückgeht. 36 JZ 1904, 54. 37 Wiegand in Staudinger (2002), § 1204 BGB Rz. 11 m. w. N. 38 Westermann/Westermann (Fn. 36), 18 f. 39 Huber, Erläuterungen zum Vorentwurf [des ZGB], Band II, Bern 1914, S. 12; Hervorhebung im Original.
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Klarstellung anzubringen. Publizität muss, auch wenn das nicht immer leicht ist, von Klarheit und Eindeutigkeit der Zuordnung unterschieden werden. Das war ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers, das immer wieder betont wurde. Dem dienen die Zuordnungsregelungen des III. Abschnitts40, aber auch die hier beschriebenen Grundstrukturen (Eigentumsbegriff) und die daraus abgeleiteten Prinzipien. Diese zielen ganz unabhängig von der Sichtbarmachung darauf ab, die Zuordnung der dinglichen Rechte zweifelsfrei zu gewährleisten. Gerade dieser Gesichtspunkt ist zunehmend vernachlässigt worden, wie die nun zu erörternden Konstellationen und deren Lösung zeigen. 3. Exemplarische Konstellationen und Argumentationen Bei der Übereignung nach § 929 wird der Bestimmtheitsgrundsatz durch die Tradition gewährleistet, weil dadurch sichergestellt ist dass die „Beteiligten eine gemeinsame auf individuell bestimmte Gegenstände gerichtete Vorstellung haben und es ihr Wille ist, dass das Eigentum an diesen Gegenständen übergehen soll“41. Sobald die Übergabe von Hand zu Hand entfällt, muss sie durch andere Kriterien ersetzt werden. Beim Besitzkonstitut bezieht sich das Besitzmittlungsverhältnis auf die bestimmte(n) Sache(n), die der Veräußerer in Besitz hat. Auch dieses Kriterium entfällt bei der Übereignung durch antizipiertes Besitzkonstitut. Für diesen Fall soll nach allgemeiner Auffassung die Bestimmbarkeit genügen, die dann gegeben ist, wenn bei Erlangung des Besitzes feststeht, ob überhaupt, und bei mehreren, welche Gegenstände übereignet sind42. Zusätzlich wird von zahlreichen Autoren und der Rechtsprechung verlangt, dass die Übereignung durch eine Ausführungshandlung sichtbar gemacht werden müsse43. Es geht hier nicht darum, erneut nachzuweisen, dass dieses Erfordernis keine gesetzliche Grundlage hat und nicht zur Voraussetzung für die Wirksamkeit der Übereignung gemacht werden kann44. Von Interesse ist vielmehr das Postulat selber. Es besteht aus einer Kombination und Vermischung von Elementen der Rechtsgeschäftslehre, Publizitätserwägungen und Folgerungen aus der Kreditsicherungsdebatte. Das ist darauf zurückzuführen, dass die antizipierte Übereignung durch Konstitut die dominierende Form der Sicherungsübereignung ist und insbesondere bei Warenlagern mit wechselndem Bestand und bei der Übertragung von Verarbeitungsprodukten das zentrale Element darstellt.
__________ 40 41 42 43
Verarbeitung, Verbindung, Vermischung, dazu unten S. 742. BGHZ 21, 52, 55. Zum Beispiel BGH, NJW 1991, 2144, 2146 und 1992, 1161. Eingehend Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, 1933, S. 132 ff.; RGZ 73, 415, 418 und vor allem 140, 229, 231; der BGH hat diese Rechsprechung fortgeführt (unten bei Fn 45). 44 Heute h. M., statt aller Westermann/Westermann (Fn. 36), § 41 III 2; dass der BGH sich dieser Auffassung angeschlossen hat, erscheint zweifelhaft, da der von Westermann angeführte Fall (BGHZ 73, 253) den Sonderfall eines gesetzlichen Besitzmittlungsverhältnisses betraf (Ehe).
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Der BGH hat, die Rechtsprechung des Reichsgerichts fortführend, für die Übereignung des Warenlagers mit wechselndem Bestand die oben genannten Kriterien weiter entwickelt und in folgender Formel zusammengefasst: „Für die nicht im Ursprungsbestand enthaltenen, sondern erst später hinzutretenden einzelnen Sachen muss infolge eines einfachen, nach außen erkennbaren Geschehens in dem für den Eigentumsübergang maßgeblichen Zeitpunkt für jeden Dritten ohne weiteres ersichtlich sein, welche individuell bestimmten Sachen übereignet werden sollen“45. Es ist evident, dass diese Wendung aus der oben angedeuteten Vermischung verschiedener Elemente besteht, die nun im Einzelnen zu erläutern sind. Dass der Eigentumserwerb sich auf bestimmte Sachen beziehen muss, ergibt sich aus den Prämissen, die für die Ausbildung des Bestimmtheitsgrundsatzes maßgebend waren. Daraus folgt aber auch mit Selbstverständlichkeit, dass es dabei nur um die Vorstellung und den Willen der Parteien gehen kann, die die Verfügung vornehmen46. Die Bezugnahme auf Dritte ist deshalb weder geboten noch sachgerecht. Dennoch ist diese sog. „Beobachterklausel“ von der Rechtsprechung zur Konkretisierung des Bestimmtheitsgrundsatzes entwickelt und konstant angewandt worden, wenn es bei der Sicherungsübereignung darum geht, die davon erfassten und die nicht betroffenen Sachen zu unterscheiden. Dafür soll die Bestimmbarkeit genügen, die nach der Beobachterklausel gegeben ist, wenn „jeder, der die Vereinbarung kennt“47, diese Unterscheidung treffen kann. Es geht auch hier nicht darum, die Mängel der Beobachterklausel48 erneut aufzuzeigen, sondern um den Ansatz als solchen. Bei näherer Betrachtung der Formel und Analyse der einschlägigen Urteile zeigt sich nämlich, dass es um die Erkennbarkeit durch Dritte geht und damit um ein Publizitätsargument. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Verlangen nach einem „einfachen, nach außen erkennbaren Geschehen“, mit anderen Worten um eine Sichtbarmachung durch eine „Ausführungshandlung“. Darauf, dass eine solche im Konzept des § 930 keinen Platz hat, ist bereits hingewiesen worden. Das gilt auch dann, wenn die Übereignung zu Sicherungszwecken erfolgt. Immerhin mag eine solche Handlung das bei der antizipierten Sicherungsübereignung (erforderliche) Andauern des Übereignungswillens bestätigen und deshalb als Beweismittel dienen, auf die materielle Wirksamkeit hat das keinen Einfluss. Das gleiche gilt für die Forderung nach einem Geschehen, das einfach und leicht erkennbar ist. Dass Sicherungsgeschäfte als solche erkennbar sein sollten, ist ein Kernanliegen dieses Beitrags, auf das am Ende einzugehen ist. Der Gesetzgeber hat jedoch bei der Übereignung durch Besitzkonstitut bewusst auf ein Publizitätsmerkmal verzichtet. Wenn man ein solches Zeichen bei einer Sicherungsübereignung verlangt, so liegt darin ein mehrfacher Systemverstoß. Denn dass es eine Übereignung zu Sicherungs-
__________ 45 46 47 48
WM 1986, 594 im Anschluss an RGZ 140, 223, 225. Vgl. dazu das Zitat aus BGHZ 21, 252, 255 (oben bei Fn. 41). BGH, WM 1988, 346, 347. Ausführlich Wiegand in Staudinger (Fn. 20), Anh zu §§ 929 ff. BGB Rz. 97 ff.; vgl. auch Oechsler in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Anh. §§ 929–936 BGB Rz. 6.
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zwecken ist, ergibt sich nur aus dem Grundgeschäft, dessen Inhalt und Wirksamkeit für die Übereignung an sich irrelevant ist. Da wir keine Differenzierung der Eigentumsarten kennen, ist der Sicherungszweck ebenfalls irrelevant, weil es Sicherungseigentum als Kategorie nicht gibt. Dass wir ihm in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung einräumen49, ist zwar zu begrüßen, aber ebenfalls nur unter Verletzung der zwei zuvor genannten Maximen möglich. Infolgedessen kann es sich nur um die Umsetzung eines rechtspolitischen Postulats handeln, für die aber jegliche gesetzliche Grundlage fehlt. Dass darüber hinaus auch noch verlangt wird, dass es sich um einen einfachen Vorgang handeln müsse, beruht auf einem verbreiteten Missverständnis von Publizität. Das hat zum Teil der BGH selbst ausgelöst, indem er in der erwähnten Entscheidung50 über die Ehe als Besitzmittlungsverhältnis auf die Schnelligkeit und Leichtigkeit der Feststellung abgestellt hat, was andere zu der Formulierung angeregt hat, das Bestimmungsverfahren müsse einfach sein51. Eine solche Forderung hat weder etwas mit Publizität zu tun und lässt sich auch aus dem Bestimmtheitserfordernis nicht ableiten. Beide verlangen weder Schnelligkeit noch Einfachheit, sondern Eindeutigkeit und Klarheit. Ehe Schlüsse zu ziehen sind, muss Folgendes klargestellt werden: Die hier beschriebenen Argumentationen beruhen im Wesentlichen auf dem Bestreben, die Ausuferung der Sicherungsrechte zu bremsen und ihre Kollisionen zu reduzieren. Sinn der Beschreibung war es allein, aufzuzeigen, dass dies alles unter Missachtung und meist direkter Verletzung des sachenrechtlichen Grundkonzeptes des BGB und der Sachenrechtsgrundsätze geschieht. Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig verlängern, etwa durch die Rechtsprechung zur Sicherungsübereignung von Warenlagern mit sog. gemischten Beständen, bei denen der Bestimmtheitsgrundsatz genau entgegen seiner Intention und Funktion eingesetzt und die Verfügung über darin enthaltene Vorbehaltsware zugelassen wird52. Neben den zuvor genannten Gründen ist dafür wiederum das Fehlen klarer Eigentumskategorien als Ursache zu nennen. Ähnliches gilt für die Probleme, die bei der Schaffung neuer Eigentumsrechte durch Verarbeitung53 entstehen. Sinn dieser Vorschriften ist es, Klarheit der Zuordnung zu schaffen, wenn die bisherigen Eigentumsrechte durch neues Eigentum abgelöst werden. Ist der Verarbeiter selber als Hersteller anzusehen, so gehen bestehendes Vorbehaltseigentum wie Anwartschaftsrechte unter. Es entsteht „normales“ Eigentum des Herstellers, das dann durch (meist antizipierte) Übereignung nach den oben dargelegten Grundsätzen übertragen wird.
__________ 49 Dazu oben S. 736. 50 BGHZ 73, 253, 254. 51 Jauernig/Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 930 BGB Rz. 46 f.; vgl. aber den Text von Huber (Fn. 39), der ebenfalls die schnelle Wahrnehmbarkeit als Kriterium der Publizität (miss-)versteht. 52 Zusammenfassende Darstellung und Kritik bei Wiegand in Staudinger (Fn. 20), Anh zu §§ 929 ff. BGB Rz. 109 ff. 53 Das Folgende gilt im Prinzip für alle Fälle der Neuordnung der Eigentumsrechte in den §§ 946 ff.
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In den (seltenen) Fällen, in denen eine wirksame Herstellervereinbarung vorliegt, erwirbt dieser unmittelbar das neu entstandene Eigentum. In beiden Fällen stellt sich die Frage nach der Rechtsnatur dieses Eigentums, das in den meisten Fällen an die Stelle vorbehaltenen Eigentums tritt. Selbstverständlich kann es sich nur um Sicherungseigentum54 handeln. Die Systematik des Gesetzes erlaubt aber in beiden Fällen an sich keinen Rückgriff auf die schuldrechtliche Vereinbarung und auch keine Qualifizierung dieses Eigentums. Auch hier werden die Grundmaximen und Prinzipien des Sachenrechts beiseite geschoben, weil sie nicht praktikabel und sachgerecht sind.
III. Handlungsbedarf und Chancen Die Skizze der Grundlagen des Sachenrechts und die punktuelle Bestandsaufnahme dienten ausschließlich dem Zweck aufzuzeigen, dass die praktische Handhabung sich weit von diesen Grundlagen entfernt hat. Dieser Befund ist nicht neu. Wenn er jetzt Anlass zum Nachdenken gibt, dann aus zwei Gründen: Zum einen hat die Schuldrechtsmodernisierung gezeigt, dass Reformprozesse, selbst wenn sie im Einzelnen kontrovers sind, innovativ und im Hinblick auf die Korrelation von Recht und Rechtsentwicklung einen Fortschritt bedeuten. Nun waren die Vorbedingungen für die Schuldrechtsmodernisierung insofern günstig als eine mehr als zwanzigjährige Vorarbeit geleistet und zudem ein Handlungsbedarf durch europarechtliche Vorgaben entstanden war. Im Sachenrecht könnte sich ein gewisser Handlungsdruck aus den weltweit in Gang gekommenen Bemühungen um eine Verbesserung des Kreditsicherungsrechts55 ergeben, die alle darauf abzielen, den Zugang zu Krediten zu vereinfachen und diese zu verbilligen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der UNCITRAL Draft Legislative Guide on Secured Transactions56, dessen Annahme und Publikation für das Jahr 2007 vorgesehen ist. Das Projekt hat aber bereits heute erhebliche Vorwirkungen, weil zahlreiche Länder mit Anpassungsarbeiten begonnen57 haben. Kern des Guide ist ein Sicherheitenregister, das als Publizitätsmittel dient. Dass im Bereich des deutschen Kreditsicherungsrechts eine grundlegende Neuorientierung erfolgen muss, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden58. Dass dabei die seit langem verloren gegangene Rechtssicherheit durch neue und
__________ 54 Grundlegend Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung VI, 1986, § 63. 55 Zusammenfassende Übersicht bei Eidenmüller (Fn. 1), S. 120 ff.; Wiegand (Fn. 25), S. 186 ff. 56 . 57 So existiert in Österreich eine entsprechende Arbeitsgruppe im Justizministerium, während Ungarn im Rahmen des geplanten neuen Zivilgesetzbuches einen Abschnitt über Proprietary Security Rights vorgesehen ist, der weitgehend dem UNCITRAL Guide folgt. 58 So auch nachdrücklich und eindringlich Eidenmüller (Fn. 1) und ders., Die Dogmatik der Zession vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung, AcP 204 (2004), 457 ff.
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geeignetere Formen der Publizität wieder gewonnen werden muss, dürfte ebenfalls unbestritten sein. Deshalb wäre eine Reform nach dem Modell des UNCITRAL Guide eine echte Option. Die dogmatischen Hürden und generellen Vorbehalte, etwa gegen ein Register, dürften leichter zu überwinden sein als bei der Schuldrechtsmodernisierung; sie sind im Übrigen in den umliegenden Ländern dieselben59. Ehe man diesen sicher notwendigen Schritt tut, stellen sich zwei Fragen: Soll man eine „nationale“ oder eine „supranationale“ Lösung anstreben, und soll man sich mit der Kreditsicherung begnügen. Der Titel dieses Beitrags will andeuten, was der Beitrag selbst aufzeigen soll, dass die Zeit für eine Sachenrechtsmodernisierung gekommen ist. Dabei könnte die Notwendigkeit der Reform der Kreditsicherung die treibende Kraft sein, aber Modernisierung müsste weit darüber hinausgehen. Die neu entstandenen Eigentumsformen müssen als solche anerkannt und das System diesen Veränderungen angepasst werden. Selbstverständlich sind die aus dem Konzept des BGB resultierenden Sachenrechtsgrundsätze auf ihre weitere Verwendbarkeit ebenso zu überprüfen wie der auf die Körperlichkeit zugeschnittene Sachbegriff. Daraus ergibt sich, dass zunächst ein nationaler Weg einzuschlagen ist, der zu einer den Eigenheiten der deutschen Sachenrechtsordnung entsprechenden Modernisierung führt. Dabei sind die Bestrebungen um eine Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts ebenso zu berücksichtigen wie die internationalen Bemühungen zur Reform des Kreditsicherungsrechts. Deshalb ist die Modernisierung so durchzuführen, dass sie den Zugang zu diesen supranationalen Regelungen nicht versperrt. Gerade deswegen sollte man die Sachenrechtsmodernisierung nicht hinauszögern und sie jetzt in Angriff nehmen. Sie könnte sich zunächst jedenfalls im Sinne des Verkehrsrechts60 auf das Mobiliarsachenrecht beschränken Dazu bedarf es natürlich geeigneter Köpfe. Niemand wäre mehr prädestiniert dafür als der Jubilar.
__________ 59 Zu den Umsetzungsfragen in Deutschland, Österreich und der Schweiz Wiegand (Fn. 25), S. 188 ff. 60 S. oben Fn. 5.
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Der Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche Unterschiede im deutschen, englischen und US-amerikanischen Recht
Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Englisches und US-amerikanisches Recht 1. Formen der injunctions 2. Injunctions als Rechtsbehelf der equity bei torts 3. Anwendungsbereich 4. Kein ausreichender Schutz durch Schadensersatz 5. Abwägung als Voraussetzung 6. Öffentliches Interesse 7. Injunctions regelmäßig gegeben 8. US-amerikanisches Recht nach der eBay-Entscheidung
a) Gewährung einer injunction nicht die Regel b) Konsequenzen der eBay-Entscheidung c) Geltung nicht nur für geistiges, sondern auch für Sacheigentum 9. Zwischenergebnis III. Rechtsvergleichende Betrachtungen 1. Sacheigentum 2. Geistiges Eigentum a) Patentrecht b) Urheberrecht IV. Fazit
I. Einleitung „I see there is a cultural gap!“ Dieser Ausspruch ist die Pointe einer Anekdote aus dem schier unerschöpflichen Vorrat an Geschichten, aus dem Harm Peter Westermann schöpft und der nicht nur kennzeichnend für ihn als Lehrenden und Vortragenden ist, sondern auch seine wissenschaftliche Arbeit prägt, indem sie sich nicht nur durch juristischen Scharfsinn, sondern auch durch ihre Lebensnähe auszeichnet. In der Anekdote ging es um den Versuch des Jubilars und eines weiteren deutschen Juraprofessors, einem englischen Richter das deutsche Kapitalersatzrecht zu erläutern, welcher darauf mit dem zitierten Ausspruch reagierte. Eine kulturelle Kluft zwischen dem deutschen und angloamerikanischen Recht ist nicht nur im Gesellschaftsrecht, sondern auch beim Schutz des Eigentums zu vermuten, dem sich Harm Peter Westermann in seiner Eigenschaft als Sachenrechtler ja auch gewidmet hat. Inwieweit eine derartige Kluft besteht, sei in der vorliegenden Skizze anhand des Schutzes des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche untersucht, bei dem sich das deutsche, englische und USamerikanische Recht sowohl hinsichtlich der Dogmatik als auch hinsichtlich der praktischen Ergebnisse unterscheiden. Dabei wird hier der Begriff des geis745
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tigen Eigentums verwendet, der zwar umstritten ist1, der aber hier zumindest insofern passt, als es sowohl beim Sacheigentum als auch beim geistigen Eigentum um ein absolutes Recht und dessen Schutz durch Unterlassungsansprüche geht. Die Frage nach dem Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums gewinnt dabei nicht zuletzt aufgrund der vielbeachteten eBayEntscheidung des US Supreme Court zum Patentrecht aus dem vorletzten Jahr2 an Aktualität, in der die bisherige Praxis der US-Rechtsprechung zum Schutz von Patenten durch die Gewährung von Unterlassungsansprüchen zurückgewiesen wurde, und die aufgrund ihrer Argumentation nicht nur den Patentschutz, sondern auch denjenigen des Urheberrechts und des Sacheigentums betrifft. Diese Entscheidung wirft nicht nur die Frage auf, wie die Praxis der US-Rechtsprechung in Zukunft aussehen wird, sondern auch, inwieweit hinsichtlich des Schutzes des Eigentums durch Unterlassungsansprüche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen im US-amerikanischen, englischen und deutschen Recht. Dieser Frage geht der folgende Beitrag nach. Er konzentriert sich auf die negatorische Haftung und ihre Entsprechungen im angloamerikanischen Recht, also Unterlassungsansprüche gegen Beeinträchtigungen der physischen Integrität von Sachen, insbesondere Grundstücken, und gegen Patent- und Urheberrechtsverletzungen. Der Beitrag geht dabei zunächst auf die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen dem englischen und dem US-amerikanischen Recht ein und vergleicht diese sodann mit dem deutschen Recht.
II. Englisches und US-amerikanisches Recht Trotz ihres gemeinsamen Ausgangspunktes unterscheiden sich das englische und das US-amerikanische Recht hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen für den Erlass einer injunction, wobei im US-amerikanischen Recht zwischen der Rechtslage vor und nach der eBay-Entscheidung des US Supreme Court differenziert werden muss. Die Gewährung von Unterlassungsansprüchen beruht im englischen und USamerikanischen Recht auf einem gemeinsamen Ausgangspunkt, der injunction als Rechtsinstitut der equity. Während im deutschen Recht der Eigentumsschutz durch Unterlassungsansprüche im Rahmen der negatorischen Haftung eigenständig geregelt ist, gehört er im angloamerikanischen Recht zum tort law, das grundsätzlich dem deutschen Deliktsrecht entspricht, setzt also grundsätzlich Schadensersatzansprüche voraus3. Das tort law ist nicht auf
__________ 1 Gegen die Verwendung des Begriffs etwa Rehbinder, Urheberrecht, 14. Aufl. 2006, Rz. 97; befürwortend aber etwa Götting, GRUR 2006, 353, 357 f.; Jänich, Geistiges Eigentum – eine Komplementärerscheinung zum Sacheigentum, 2002, S. 349 ff. und passim; Ohly, JZ 2003, 545, 546 f.; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 3. Aufl. 2005, Rz. 23. 2 eBay Inc. v. MercExchange, LLC, 126 S. Ct. 1837 (2006) = GRURInt 2006, 782 ff. (im folgenden eBay); dazu etwa Ntouvas, GRURInt 2006, 890. 3 Vgl. in Bezug auf die vindikatorische Haftung auch Huber, RabelsZ 62 (1998), 59, 104 ff.
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damages, also Schadensersatz, beschränkt, sondern kann auch auf eine injunction gerichtet sein, die ein Verhalten zum Gegenstand hat. Auch die Verletzung des geistigen Eigentums stellt einen tort da4, der Unterlassungsansprüche zur Folge haben kann5. 1. Formen der injunctions Dabei werden injunctions in verschiedener Weise unterschieden. Zunächst wird zwischen prohibitory und mandatory injunctions differenziert; erstere sind auf eine Unterlassung gerichtet, letztere auf ein Tun6. Weiter wird zwischen ordinary injunctions for continued or repeated wrongs, die die Fortsetzung oder Wiederholung einer Beeinträchtigung zum Gegenstand haben, und quia timet injunctions, die eine bisher nur drohende Beeinträchtigung betreffen, unterschieden7. Schließlich ist die final bzw. perpetual injunction von der interlocutory bzw. interim injunction zu trennen. Erstere ist endgültig und setzt die Feststellung der drohenden Verletzung voraus, während letztere vorläufig ist und nur den status quo bis zur endgültigen Entscheidung sichert8; die injunction wird dabei mit der vorbeugenden Unterlassungsklage verglichen9. Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind nur die final bzw. perpetual injunctions, nicht aber die interlocutory bzw. interim injunctions einschließlich ihrer Sonderformen der Mareva Injunction und der Anton Piller Order10. 2. Injunctions als Rechtsbehelf der equity bei torts Die injunctions gehören zur equity, die das common law ergänzt, welches als remedy nur damages kennt11. Die Gewährung einer injunction setzt demgemäß voraus, dass ein tort, also ein Delikt, begangen wurde oder zu werden
__________ 4 Vgl. für das englische Patentrecht Kellenter in Triebel u. a. (Hrsg.), Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995, Rz. 879. 5 Vgl. für das Patentrecht Kellenter (Fn. 4), Rz. 883. 6 Für das englische Recht Burrows, Remedies for torts and breach of contract, 3. Aufl. 2004, S. 517; Henrich/Huber, Einführung in das englische Privatrecht, 3. Aufl. 2003, S. 42; Hanbury/Martin, Modern equity, 16. Aufl. 2001, S. 759 f.; für das amerikanische Recht Dobbs, Law of remedies, 2. Aufl. 1993, S. 163 f., der weiter zwischen reparative and preventive injunctions unterscheidet; Dobbs, The law of torts, 2000, S. 1047. 7 Vgl. für das englische Recht Burrows (Fn. 6), S. 513; Henrich/Huber (Fn. 6), S. 97; ähnlich für preventive injuncions im amerikanischen Recht Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 164. 8 Für das englische Recht Burrows (Fn. 6), S. 513; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property, 6. Aufl. 2007, Rz. 2–31; Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 760; für das amerikanische Recht Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 184. 9 So Henrich/Huber (Fn. 6), S. 42. 10 Dazu etwa von Bernstorff, Einführung in das englische Recht, 3. Aufl. 2006, S. 195 f. 11 Für das englische Recht etwa Henrich/Huber (Fn. 6), S. 42; für das amerikanische Recht etwa Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 167.
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droht12. Dass ein tort in der Vergangenheit begangen wurde, begründet allerdings allein noch keine injunction; vielmehr muss dann eine Wiederholungsgefahr hinzutreten13. Als Rechtsinstitut der equity steht die Gewährung einer injunction grundsätzlich in der discretion, also dem Ermessen, des Gerichts14. Die Nichtbefolgung einer injunction wird als contempt of court insbesondere mit der Verhängung einer Haftstrafe oder Geldbuße geahndet15. 3. Anwendungsbereich Im englischen Recht haben die injunctions vor allem torts und dort insbesondere nuisance und trespass, die das Sacheigentum betreffen, zum Gegenstand16, was speziell für die auf Unterlassung gerichteten prohibitory injunctions gilt17. Auch im Bereich des geistigen Eigentums werden in der Regel injunctions gewährt18, die fast immer auf ein Unterlassen gerichtet sind19. Im US-amerikanischen Recht vor der eBay-Entscheidung wurde ebenfalls davon ausgegangen, dass die injunction ein normales Rechtsmittel gegen trespass oder nuisance ist20 und dass sie üblicherweise auch Anwendung zum Schutz des geistigen Eigentums findet21. 4. Kein ausreichender Schutz durch Schadensersatz Sowohl das das englische als auch das US-amerikanische Recht vor der eBayEntscheidung gehen davon aus, dass eine injunction als Rechtsinstitut der equity nur gewährt wird, wenn die Gewährung von damages, also Schadensersatz, als Rechtsbehelf des common law nicht ausreicht, um das Eigentum zu
__________ 12 Für das englische Recht Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 2–37; Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 817; für das amerikanische Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 165, für trespass to land auch S. 496. 13 Für das englische Recht Proctor v. Bailey (1889) 42 Ch.D. 390; Burrows in Clerk & Lindsell on torts, 18 Aufl. 2000, Rz. 30-05. 14 So allgemein für das angloamerikanische Recht von Mühlendahl, IIC 2007, 377; für das englische Recht auch Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 2–37; Rogers in Winfield and Jolowicz on tort, 17. Aufl. 2006, Rz. 22–48; für das US-amerikanische Recht etwa Reimann (Fn. 11), S. 167; vgl. auch eBay, GRURInt 2006, 782, 783; für das Patentrecht auch Götting/Fikentscher in Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, 2001, Kap. 7 Rz. 131. 15 Für das englische Recht etwa Henrich/Huber (Fn. 6), S. 42; Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 2–31; Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 762; vgl. Director-General of Fair Trading v. Smith’s Concrete (1991) 4 All E.R. 150, CA; für das amerikanische Recht Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 162 i. V. m. 130; Reimann (Fn. 11), S. 167. 16 Vgl. Henrich/Huber (Fn. 6), S. 42; Rogers (Fn. 14), Rz. 22–48. 17 Burrows (Fn. 6), S. 514, für prohibitory quia timet injunctions auch S. 420. 18 Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 2–37. 19 Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 2–31. 20 So Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 168, für die Verletzung der physischen Integrität von Grundstücken auch S. 513. 21 Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 168.
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Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche
schützen22. Dabei wird im englischen Recht nicht nur davon ausgegangen, dass Schadensersatz dort kein ausreichender Rechtsbehelf ist, wo der Schaden nicht bestimmbar ist oder Geld keinen vollständigen Ersatz bietet, sondern auch angenommen, dass die Möglichkeit des Schadensersatzes der injunction dort nicht entgegensteht, wo die Gewährung von damages letztendlich dazu führen würde, dass der Störer dem Betroffenen sein Recht zwangsweise abkaufen kann23. Jedenfalls in England wird dementsprechend angenommen, dass die Unangemessenheit der Gewährung von bloßem Schadensersatz als Voraussetzung der Gewährung einer injunction eine zunehmend geringere Rolle spielt24. 5. Abwägung als Voraussetzung Das englische und das bisherige amerikanische Recht unterscheiden sich hinsichtlich der Notwendigkeit einer Abwägung zwischen den Interessen des Störers und des Gestörten als Voraussetzung zur Gewährung einer injunction. Im englischen Recht werden prohibitory injunctions unabhängig von der damit verbundenen Belastung für den Störer gewährt25, anders bei der mandatory injunction26. Lediglich bezüglich der Berücksichtigung der Geringfügigkeit der Beeinträchtigung zugunsten des Störers hat die Rechtsprechung geschwankt27, wobei die jüngere Rechtsprechung die Geringfügigkeit überwiegend nicht berücksichtigt. Im US-amerikanischen Recht wurde demgegenüber schon bisher davon ausgegangen, dass die Gewährung einer injunction jeweils die Abwägung voraussetzt, ob Schadensersatz ausreichend ist28, und dass bei dieser Abwägung die
__________ 22 Vgl. für das englische Recht London and Blackwall Ry v. Bross (1886) 31 Ch.D. 354 at 369, per Lindley L.J.; Henrich/Huber (Fn. 6), S. 42; Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 769; Rogers (Fn. 14), Rz. 22–48; für das amerikanische Recht Dobbs, torts (Fn. 6), S. 1338. 23 Shelfer v. City of London Electric Lighting Co (1895) Ch. 287 at 315 f., per Lindley L.J.; Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 769 ff.; Rogers (Fn. 14), Rz. 22–48. 24 Worthington, Equity, 2. Aufl. 2006, S. 33. 25 Pennington v. Brinsop Hall Coal Co (1877) 5 Ch.D. 769 – Kosten der Schließung des Unternehmens des Schädigers von 190 000 £ gegen über nuisance mit einem jährlichen Schaden von 100 £ irrelevant; vgl. auch Redland Bricks Ltd v. Morris (1970) AC 652 at 664, per Lord Upjohn – finanzielle Schwierigkeiten des Störers irrelevant; Rogers (Fn. 14), Rz. 22–48; kritisch Burrows (Fn. 6), S. 518. 26 Vgl. Redland Bricks Ltd v. Morris (1970) AC 652 at 666, per Lord Upjohn; Burrows (Fn. 6), S. 539. 27 Für Berücksichtigung Llandudno U.D.C. v. Woods (1899) 2 Ch. 705; Behrens v. Richards (1905) 2 Ch. 614; Armstrong v. Sheppard and Short Ltd (1959) 2 Q.B. 384 at 396–397, per Lord Evershed M.R.; Harrow London Borough Council v. Donohue (1995) 1 E.G.L.R. 257; auch Burrows (Fn. 6), S. 516 f.; Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 770; dagegen John Trenberth Ltd v. National Westminster Bank Ltd (1979) 123 S.J. 388; Patel v. W. H. Smith (Eziot) Ltd (1987) 1 W.L.R. 853; Nachor Brewhouse Developments Ltd v. Berkley Houses (Docklands Developments) Ltd (1987) 38 BuldL.R. 82; auch Rogers (Fn. 14), Rz. 22–48. 28 So für nuisance Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 518.
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Vorteile der injunction ihre Nachteile überwiegen müssen29. Die Gewährung einer injunction setze grundsätzlich voraus, dass die Interessen des Verletzers dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt werden30. Soweit eine injunction gegen nuisance gerichtet ist, ist damit eine Abwägung unter Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten sowohl bei der Feststellung einer drohenden nuisance als auch bei der Feststellung, ob die injunction eine angemessenes Rechtsmittel für die drohende nuisance darstellt, vorzunehmen, wobei die moderne Sicht offenbar die Abwägung bereits im Rahmen der nuisance für vorzugswürdig hält31. In die Abwägung, ob die Gewährung von damages ausreicht oder injunctions notwendig sind, fließen dabei auch spezifisch USamerikanische Gesichtspunkte ein, wie etwa die Möglichkeit von treble damages, wobei offenbar davon ausgegangen wird, dass deren präventive Wirkung die Gewährung von injunctions überflüssig machen kann32, was die eigenständige Bedeutung der injunctions gegenüber den damages mindern würde. 6. Öffentliches Interesse Entsprechend seiner zurückhaltenden Position zur Abwägung als Voraussetzung der Gewährung einer injunction berücksichtigt das englische Recht auch das öffentliche Interesse im Rahmen der Voraussetzungen der injunction allenfalls eingeschränkt. Die berühmte Entscheidung, in der das öffentliche Interesse an einem Cricket-Platz über das Interesse der Anwohner gestellt wurde, nicht durch Cricket-Bälle gestört zu werden33, ist weder mit der früheren noch mit der späteren Rechtsprechung zu vereinbaren34 und ist demgemäß als falsch entschieden angesehen worden35. Das öffentliche Interesse wiegt nicht schwerer als private Rechte36. Im US-amerikanischen Recht wird demgegenüber angenommen, dass bei der Abwägung auch öffentliche Interessen und soziale Nützlichkeit zu berücksichtigen sind, wobei sie sowohl für als auch gegen den Störer ins Gewicht fallen können37. Ähnlich wird auch ökonomischen Gesichtspunkten Relevanz für die Abwägung zugesprochen38.
__________ 29 Boomer v. Atlantic Cement Co., 26 N.Y.2d 219, 159 N.E.2d 870, 309 N.Y.S.2d 312 (1970); Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 166, 519; Dobbs, torts (Fn. 6), S. 1339. 30 Vgl. für die Grundstücksnutzung Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 518 ff. 31 Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 518–519 unter Verweis auf Restatement (Second) of torts § 826(b) (1979). 32 So Mulder, 22 Berkeley Technology Law Journal 67 (2007) at 85 f. 33 Miller v. Jackson (1977) Q.B. 966. 34 Vgl. Shelfer v. City of London Electric Lighting Co (1895) 1 Ch. 287; Kennaway v. Thompson (1981) Q.B. 88; Elliot v. Islington LBC (1991) 10 E.G. 145. 35 So Rogers (Fn. 14), Rz. 22–49. 36 Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 762; für prohibitive injunctions auch Burrows (Fn. 6), S. 518. 37 Avery/Mayer, Das US-Patent, 3. Aufl. 2003, Rz. 913; Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 521. 38 Dobbs, torts (Fn. 6), S. 1338–1339.
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Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche
Soweit im englischen Recht im Anschluss insbesondere an das US-amerikanische Recht eine weniger große Bereitschaft zur Gewährung von injunctions gefordert worden ist39, ist dem entgegen gehalten worden, dass die Gewährung von injunctions die Regel bleiben sollten und das öffentliche Interesse nur in Ausnahmefällen Schadensersatzansprüche an Stelle einer injunction rechtfertigen könne40. Zudem hat die Forderung bisher keinen Niederschlag in der Rechtsprechung gefunden. 7. Injunctions regelmäßig gegeben Im englischen Recht wird davon ausgegangen, dass beim Schutz existierender Rechte die Gewährung einer injunction die Regel sei, während die Nichtgewährung die Ausnahme darstellt, die nur in besonderen Fällen gegeben sei41. Darüber hinaus wird angenommen, dass injunctions zunehmend leichter zu erlangen seien42. Auch die Verletzung geistigen Eigentums begründe regelmäßig einen Unterlassungsanspruch43. Insbesondere für prohibitory injunctions wird angenommen, dass sie bei der Beeinträchtigung von Rechten ohne Schwierigkeiten zu erlangen seien44, soweit Wiederholungsgefahr gegeben ist45. Dementsprechend werde bei Eigentumsbeeinträchtigungen fast immer eine prohibitory injunction gewährt46. Vor allem gegen die Fortsetzung von unerlaubten Handlungen gerichtete prohibitory injunctions werden als selbstverständlich angesehen47. Für die quia timet injunction wird demgegenüber festgestellt, dass sie nicht häufig gewährt werde48. Dies wird jedoch auf die besonderen Voraussetzungen des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs zurückgeführt. Denn für eine quia timet injunction wird neben den Voraussetzungen für ordinary injunctions49 auch verlangt, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden sehr hoch sei50 und dass die Schäden sehr bald einzutreten drohten51; insoweit genüge es
__________ 39 Tromans, (1982) Cambridge Law Journal, 87, 97 ff. 40 Burrows (Fn. 6), S. 526 f. 41 Pride of Derby and Derbyshire Angling Association Ltd v. British Celanese Ltd (1953) Ch 149 at 181, per Lord Evershed M.R.; Burrows (Fn. 6), S. 515; Hanbury/ Martin (Fn. 6), S. 771; zur Kritik vgl. Burrows (Fn. 6), S. 522 ff. 42 Worthington (Fn. 24), S. 33. 43 Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 2–37. 44 Rogers (Fn. 14), Rz. 22–48. 45 Vgl. Burrows (Fn. 13), Rz. 30-05. 46 Burrows (Fn. 6), S. 522; Worthington (Fn. 24), S. 32. 47 Morris v. Redland Bricks Ltd (1970) A.C. 652 at 664, per Lord Upjohn – „as of course“; Burrows (Fn. 13), Rz. 30-04. 48 So Rogers (Fn. 14), Rz. 22–52. 49 Burrows (Fn. 6), S. 543. 50 Att-Gen v. Nottingham Corp (1904) 1 Ch. 673; Morris v. Redland Bricks Ltd (1970) A.C. 652 at 665, per Lord Upjohn; Burrows (Fn. 13), Rz. 30-15; Hanbury/Martin (Fn. 6), S. 761. 51 Lemos v. Kenned Leigh Developents (1961) 105 S.J. 178.
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nicht „timeo“ zu sagen52. Allerdings ist inzwischen in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit insofern keinen absoluten Standard darstelle, sondern jeweils aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen sei, so dass unter Umständen auch eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit genügen könne53, woraus abgeleitet worden ist, dass quia timet injunctions heute möglicherweise leichter gewährt würden als in der Vergangenheit54. Auch im US-amerikanischen Recht wurde bisher davon ausgegangen, dass eine drohende Beeinträchtigung regelmäßig eine injunction begründe. So wurden injunctions üblicherweise beantragt und dementsprechend erlassen, um torts bezüglich Eigentumsverletzungen zu verhindern55 und dabei als angemessener Anspruch gegen sonst fortdauernde Beeinträchtigungen durch nuisance angesehen56. Der traditionellen Voraussetzung für eine injunction, dass andere Rechtsbehelfe nicht ausreichend sind, wurde nur noch geringe Bedeutung zugemessen57. Insbesondere wurde bei drohenden Beeinträchtigungen für die physische Integrität von Grundstücken gewöhnlich davon ausgegangen, dass bloßer Schadensersatz unangemessen sei, weil das Grundstück und seine Eigenschaften typischerweise einzigartig und unvergleichbar seien, so dass Geld keinen Ersatz darstelle58. Auch wenn eine injunction im US-amerikanischen Recht ebenfalls regelmäßig gegeben ist, ist dort jedoch aufgrund der größeren Bedeutung der Abwägung und der Berücksichtigung der Interessen des Beklagten und der öffentlichen Interessen gegenüber dem englischen Recht grundsätzlich eine größere Bereitschaft zu konstatieren, eine injunction zu verweigern59. Auch im Patentrecht gab es eine lange Tradition, in der überwältigenden Mehrzahl der Fällen einer Patentverletzung eine injunction zu gewähren60. Die eBay-Entscheidung des US Supreme Court ist demgemäß als Beendigung einer jahrzehntelangen Praxis der amerikanischen Rechsprechung wahrgenommen worden, bei Patentverletzungen ganz selbstverständlich eine injunction zu gewähren61. 8. US-amerikanisches Recht nach der eBay-Entscheidung Vor der eBay-Entscheidung des US Supreme Court unterschieden sich das englische Recht und das US-amerikanische Recht insbesondere hinsichtlich des
__________
52 Att-Gen for Canada v. Ritchie Contracting and Supply Co Ltd (Fn. (1919) AC 999 at 1005, per Lord Dunedin; vgl. auch Burrows (Fn. 6), S. 544 f.; Rogers (Fn. 14), Rz. 22–52. 53 Hooper v. Rogers (1975) Ch 43, CA, at 50, per Russell L.J. 54 Burrows (Fn. 13), Rz. 30-15. 55 Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 168. 56 Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 518. 57 Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 166. 58 Dobbs, remedies (Fn. 6), S. 512; anders Shapo, Principles of Tort Law, 2. Aufl, 2003, S. 193 f. 59 Vgl. auch Shapo (Fn. 58), S. 193 f. 60 Vgl. eBay, GRURInt 2006, 782, 783, Chief Justice Roberts concurring; Avery/Mayer (Fn. 37), Rz. 913. 61 So etwa Mulder, 22 Berkeley Technology Law Journal 67 (2007) at 68; Weingaertner/ Carnaval, European Intellectual Property Review 2006, 493.
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Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche
Abwägungserfordernisses, stimmten aber hinsichtlich ihres dogmatischen Ausgangspunktes überein und gingen insbesondere beide davon aus, dass eine injunction in der Regel zu gewähren sei. Die Unterschiede zwischen ihnen beschränkten sich vor allem darauf, inwieweit im Rahmen der Ausnahmen zu dieser Regel eine Interessenabwägung notwendig sei und in diese auch öffentliche Interessen einfließen. Demgegenüber stellt sich nach der eBay-Entscheidung die Frage, ob das englische und das US-amerikanische Recht nunmehr zumindest hinsichtlich der Voraussetzung für eine injunction substanziell divergieren. a) Gewährung einer injunction nicht die Regel In der eBay-Entscheidung ging es um ein Patent der Beklagten MercExchange, das die von der Klägerin eBay bei ihren Online-Auktionen im Internet verwendete Option „Sofort Kaufen“ zum Gegenstand hat. Der District Court hatte MercExchange in der ersten Instanz aufgrund der darin liegenden Patentverletzung zwar Schadensersatz zugesprochen, jedoch eine injunction verweigert62. Der Court of Appeal for the Federal Circuit hatte MercExchange in der zweiten Instanz neben dem Schadensersatz auch eine Anordnung zur Unterlassung der Patentverletzung zugesprochen63. Der Supreme Court hat demgegenüber entschieden, dass in Patentstreitigkeit weder eine allgemein Regel gelte, dass ein Unterlassungsanspruch gegeben sei, wenn die Verletzung sowie die Gültigkeit des Patents feststehe und keine besonderen Umstände gegeben seien, noch dass umgekehrt ein Unterlassungsanspruch kategorisch ausgeschlossen werden dürfe; vielmehr läge die Gewährung einer injunction im Ermessen der District Courts nach Maßgabe des herkömmlichen four-factor-Tests gemäß den Prinzipien der equity64. Damit wurde die jahrzehntelange Praxis des Federal Circuit, bei Patentverletzungen ganz selbstverständlich eine injunction zu gewähren65, durch die eBayEntscheidung beendet66, auch wenn die Anwendung der Prinzipien der equity nun nicht umgekehrt dazu führt, dass einem Patentinhaber, der die Patentnutzung verbietet, grundsätzlich keine injunction zusteht67. Nach dem fourfactor-Test setzt der Unterlassungsanspruch der equity vielmehr voraus, (1) dass dem Kläger ein irreparabler Schaden entstanden ist, (2) dass dieser mit den Mitteln des sonstigen Rechts, insbesondere durch eine finanzielle Entschädigung nicht angemessen kompensiert werden kann, (3) dass eine Interessen-
__________ 62 MercExchange, L.L.C. v. eBay, Inc. and Half.com, Inc., 275 F.Supp.2d 695 (E.D.Va. 2003). 63 MercExchange, L.L.C. v. eBay, Inc. and Half.com, Inc., 401 F.3d 1323 (Fed. Cir. 2005). 64 eBay, GRURInt 2006, 782, 873. 65 Vgl. etwa W.L. Gore & Assocs. v. Garlock, Inc., 842 F.2d 1275, 1281 (Fed. Cir. 1988); Richardson v. Suzuki Motor Co., 868 F.2d 1226 at 1247 (Fed. Cir. 1989). 66 Weingaertner/Carnaval, European Intellectual Property Review 2006, 493; Mulder, 22 Berkeley Technology Law Journal 67 (2007) at 68. 67 Weingaertner/Carnaval, European Intellectual Property Review 2006, 493, 494.
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abwägung ergibt, dass der Beklagte durch die Unterlassungspflicht nicht übermäßig beschwert wird, und (4) dass der Unterlassungsanspruch nicht dem öffentlichen Interesse widerspricht68. Der Supreme Court sieht die Rechtsgrundlage für die e-Bay-Enscheidung in § 283 US-PatG, wonach injunctions entsprechend den Grundsätzen der equity erlassen werden „können“69. Die Gleichstellung der Patente mit dem Eigentum (personal property) in § 261 US-PatG, die gemäß § 154(a) (1) US-PatG auch das Recht beinhaltet, andere von der patentierten Erfindung auszuschließen, beziehe sich dabei nur auf die Schaffung des Rechts, nicht jedoch notwendig auf die damit verbundenen Rechtsfolgen; maßgeblich für diese blieben gemäß § 283 US-PatG die Grundsätze der equity70. Dies entspreche auch der Rechtsprechung im Urheberrecht, wo die Gerichte gemäß § 502(a) US Copyright Act eine injunction gewähren „können“, wo sie dies für angemessen halten71. b) Konsequenzen der eBay-Entscheidung Die eBay-Entscheidung hat offen gelassen, wie der four-factor-Test richtig anzuwenden ist72, und lediglich festgestellt, dass der Erlass einer injunction im Ermessen der Tatsacheninstanz stehe73. Demgemäß hat eine heftige Debatte begonnen, welche Auswirkungen die Entscheidung habe. Die bisher ergangene Rechtsprechung der Instanzgerichte ist uneinheitlich, allerdings überwiegen die Fälle, in denen eine injunction gewährt wurde74 Bereits in der Entscheidung ist in einer concurring opinion, also einer abweichenden Begründung, darauf hingewiesen worden, dass die Gewährung eine injunction in der großen Mehrzahl der Fälle einer Patentverletzung einer mindestens auf das frühe vorletzte Jahrhundert zurückgehenden Tradition entspreche; diese Tradition präge auch die heutige Anwendung der equity – einer Seite Geschichte komme insoweit das Gewicht eines Buchs voller Logik zu75. Dementsprechend ist die bisherige Regel des Federal Circuit, dass Patentverletzungen regelmäßig zu einer injunction führen, als Faustregeln für den four-factor-Test aufgefasst worden, weshalb es für durchaus möglich gehalten wird, dass die eBay-Entscheidung an der gerichtlichen Entscheidungspraxis wenig ändere76. Allerdings ist in einer anderen concurring opinion
__________ 68 eBay, GRURInt 2006, 782, 782, 783 (Leitsatz 1 der Redaktion); mit Verweis auf Weinberger v. Romero-Barcelo, 456 U.S. 305, 312–313 (1982); Amoco Production Co. v. Gambell, 480 U.S. 531, 542 (1987); vgl. auch Ntouvas, GRURInt 2006, 889, 890. 69 eBay, GRURInt 2006, 782, 783; vgl. etwa auch Ntouvas, GRURInt 2006, 889, 890. 70 eBay, GRURInt 2006, 782, 783 f. 71 eBay, GRURInt 2006, 782, 783 mit Verweis auf New York Times Co. v. Tasini, 533 U.S. 483, 505 (2001). 72 Weingaertner/Carnaval, European Intellectual Property Review 2006, 493, 495. 73 eBay, GRURInt 2006, 782, 783 f. 74 Vgl. die Internetseite „http://www.thefireofgenius.com/injunctions“ (Stand 22.8.2007). 75 eBay, GRURInt 2006, 782, 783, Chief Justice Roberts concurring. 76 So Weingaertner/Carnaval, European Intellectual Property Review 2006, 493, 495 f.
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Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche
dagegen eingewendet worden, dass die Tradition, in der Regel injunctions zu gewähren, nur die Anwendung des four-factor-Tests auf die Situation in der Vergangenheit reflektiere, während für die heutigen Fälle jeweils geprüft werden müsse, ob die Tradition noch Geltung beanspruchen könne77. Demgemäß ist angenommen worden, dass es durch die eBay-Entscheidung für Patentinhaber schwieriger geworden sei, gegen Patentverletzungen mit einer injunction vorzugehen78. Auch die allgemeine Wahrnehmung, dass die eBay-Entscheidung die jahrzehntelange Praxis des Federal Circuit, bei Patentverletzungen ganz selbstverständlich eine injunction zu gewähren, beendet habe79, spricht dafür, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer injunction verschärft worden sind. Demgemäß sind bereits eine Reihe Konstellationen und Gesichtspunkte genannt worden, bei deren Vorliegen keine injunction zu gewähren sei. So ist schon in der eBay-Entscheidung im Rahmen einer concurring opinion die Auffassung vertreten worden, dass eine injunction im Rahmen des four-factorTests etwa dann nicht mit dem öffentlichen Interesse vereinbar sei, wenn das Patent nur einen kleinen Anteil eines Produkts betreffe und die injunction dem Patentinhaber nur einen unangemessenen Verhandlungsvorteil verschaffe80. Allgemeiner ist in der Literatur davon gesprochen worden, dass im Patentrecht Fallgestaltungen existierten, in denen eine injunction unangemessen sei, weil sie nicht nur das verbotene Verhalten erfassten und mit negativen Konsequenzen für weitere Innovationen und das Wirtschaftswachstum verbunden seien81. Angenommen wird etwa, dass die Gewährung einer injunction von der ehrlichen Absicht des Patentinhabers abhänge, sein verletztes Patent geschäftlich umzusetzen und damit nicht bloß wirklich innovative Unternehmen zu erpressen82. Diese Ansicht kann sich zwar auf das erstinstanzliche Urteil und eine concurring opinion der eBay-Entscheidung stützen, dass die Gewährung von injunctions solche Firmen bevorzuge, die lediglich auf die Erzielung von Lizenzeinnahmen gerichtet sind83. Inwieweit tatsächlich eine derartige Regel existiert, bleibt jedoch aufgrund der eBay-Entscheidung zumindest offen. Denn dort ist das erstinstanzliche Urteil gerade mit der Erwägung zurückgewiesen worden, dass eine injunction nicht bereits durch die fehlende Absicht des Patentinhabers zur eigenen geschäftlichen Verwertung seines Patents ausgeschlossen werde, wobei das Gericht etwa universitäre Forscher oder Einzelerfinder im Auge hatte, für die es vorzugswürdig sei, ihre Erfindung zu lizenzieren, statt sie selbst zu verwerten und den damit verbundenen Aufwand ins-
__________ 77 eBay, GRURInt 2006, 782, 784. 78 Weingaertner/Carnaval, European Intellectual Property Review 2006, 493, 495. 79 Weingaertner/Carnaval, European Intellectual Property Review 2006, 493, 493; Mulder, 22 Berkeley Technology Law Journal 67 (2007) at 68. 80 eBay, GRURInt 2006, 782, 784, Justice Kennedy concurring. 81 Lemley/Weiser, 85 Texas Law Review 783, 784 f. et passim (2007). 82 Ntouvas, GRURInt 2006, 889, 893. 83 eBay, GRURInt 2006, 782, 784, Justice Kennedy concurring; vgl. auch Tang, 20 Harvard Journal of Law and Technology, 235, 243 (2006).
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besondere finanzieller Art in Kauf zu nehmen84. Folgt man dem, erscheint es auch nicht per se unangemessen, wenn ein Erfinder seine Erfindung nicht selbst lizenziert, sondern den Aufwand und die Unwägbarkeiten, die damit verbunden sind, vermeidet, indem er sein Patent an eine Dritten veräußert, der sich auf die Lizenzierung spezialisiert hat; aus Sicht des Erfinders handelt es sich um eine Form der Refinanzierung. Ähnlich ist versucht worden, die Entscheidungspraxis nach der eBay-Entscheidung auf den Grundsatz zurückzuführen, dass eine injunction nur zu gewähren sei, wenn Patentinhaber und Verletzer in direktem Wettbewerb stünden, nicht aber, wenn zwischen ihnen nur indirekter Wettbewerb bestehe85. Auch dieser Grundsatz scheint mit der genannten Erwägung der eBay-Entscheidung, dass der four-factor-Test die Gewährung von injunctions an universitäre Forscher oder Einzelerfinder, die ihre Erfindung nicht selbst verwerten, nicht ausschließe, unvereinbar, da dann notwendig kein direkter Wettbewerb zu den Verwertern der Erfindung besteht. Während die bisher genannten Gesichtspunkte und Konstellationen auf einer ex-post-Betrachtung der Situation zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung der injunction beruhen, bezieht sich ein weiterer Gesichtspunkt auf den Inhalt des Patents. In einer concurring opinion in der eBay-Entscheidung ist darauf hingewiesen worden, dass der four-factor-Test vor allem gegen die Gewährung einer injunction bei Patenten über Geschäftsmethoden sprechen könne, die in der Vergangenheit kaum eine Rolle gespielt hätten und deren Qualität häufig zweifelhaft sei86. Dies hätte zwei Arten von Patenten zur Konsequenz, deren unterschiedliche Qualität in unterschiedlichem Schutz resultiert. Eine derartige Zweiteilung erscheint jedoch mit dem US-PatG kaum vereinbar, da dieses hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Patenten nicht zwischen verschiedenen Arten von Patenten unterscheidet und auch nicht erkennbar ist, dass es beim Schutz der Patente auf deren Inhalt und Qualität ankommt. Die Grundsätze der equity und der four-factor-Test sind jedenfalls bisher in der Rechtsprechung nicht auf den Inhalt und die Qualität des beeinträchtigten Rechts bezogen worden. c) Geltung nicht nur für geistiges, sondern auch für Sacheigentum Die eBay-Entscheidung betrifft zunächst nur die Gewährung von Unterlassungsansprüchen im Patentrecht, so dass sich die Frage stellt, inwiefern ihr auch Bedeutung für das sonstige geistige Eigentum, insbesondere das Urheberrecht, und für das Sacheigentum zukommt. Die Auffassung, dass das Sacheigentum und das geistige Eigentum zwar Berührungspunkte hätten, jedoch
__________ 84 eBay, GRURInt 2006, 782, 783. 85 Mulder, 22 Berkeley Technology Law Journal 67 (2007) at 80 ff. 86 eBay, GRURInt 2006, 782, 784, Justice Kennedy concurring; vgl. auch Ntouvas, GRURInt 2006, 889, 891 f.
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weitgehend eigenständig seien87 und der Schutz des geistigen Eigentums flexibler als derjenige des Sacheigentums sein solle88, findet dabei keine Stütze in der eBay-Entscheidung. Denn diese stellt zwar zum Teil spezifische Betrachtungen zum Patentrecht an, wird aber gerade damit begründet, dass die etablierten Grundsätze der equity auch im Patentrecht gelten89. Aus ihr lässt sich nicht ableiten, dass unterschiedliche Regeln für das Sacheigentum und das geistige Eigentum gelten oder dass Patente nicht als Eigentum angesehen werden können. Auch die These, dass innerhalb des geistigen Eigentums zwischen dem Patent- und dem Urheberrecht dahingehend differenziert werden könne, dass das Urheberrecht deliktsähnlich sei, während das Patentrecht dem Eigentum ähnele90, lässt sich nicht auf die eBay-Entscheidung stützen. Denn diese begründet die Ablehnung der Regel des Federal Circuit, wie erwähnt, gerade damit, dass dies der Praxis zum Copyright Act entspreche. Nach der eBay-Entscheidung dürften der four-factor-Test also nicht nur bei Patenten oder sonstigem geistigem Eigentum, sondern auch für das Sacheigentum ernstzunehmende Voraussetzung für die Gewährung von injunctions sein. 9. Zwischenergebnis Die Gewährung von injunctions im englischen und US-amerikanischen Recht beruht damit zwar auf denselben dogmatischen Ausgangspunkten, indem die injunctions ein Rechtsbehelf der equity sind, der nicht gegeben ist, wenn damages ausreichen. Ihre Anwendung differiert jedoch, was insbesondere angesichts der eBay-Entscheidung des US Supreme Court gilt. Während in England eine injunction gegen Verletzungen des Sacheigentums und des geistigen Eigentums in der Regel gewährt und nur in Ausnahmefällen verweigert wird, ist das US-amerikanische Recht in Bezug auf die Gewährung von injunctions zurückhaltender. Die Gewährung einer injunction setzt jeweils eine echte Abwägung voraus, die anhand des four-factor-Tests vorgenommen wird, der insbesondere auch die Belastung des Beklagten durch die injunction und das öffentliche Interesse berücksichtigt.
III. Rechtsvergleichende Betrachtungen Im deutschen Recht sind die Unterlassungsansprüche für das Sacheigentum in § 1004 I BGB geregelt; für das geistige Eigentum gelten spezielle Regelungen, so etwa § 139 PatG und § 97 UrhG. Die prozessualen Ansprüche auf Arrest und einstweilige Verfügung gemäß §§ 916 ff. ZPO sind wie die interlocutory bzw. interim injunction auf eine vorläufige Regelung gerichtet und nicht Gegenstand dieses Beitrags.
__________
87 Menell, UC Berkeley Public Law Research Paper No. 965083 (SSRN: http://ssrn. com/abstract=965083), S. 30 ff.; weitergehend gegen die Bezeichnung von patents als property Tang, 20 Harvard Journal of Law and Technology, 235, 244 f. 88 Menell (Fn. 87), S. 40 ff. 89 eBay, GRURInt 2006, 782, 783. 90 Smith, 90 Virginia Law Review 1742 (2004).
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1. Sacheigentum Entsprechend ihrer eigenständigen Regelung sind die Unterlassungsansprüche zum Schutz des Sacheigentums im deutschen Recht Gegenstand eines eigenen Rechtsinstituts, der negatorischen Haftung, und demgemäß anders als im angloamerikanischen Recht kein spezieller Rechtsbehelf des Deliktsrechts. Allerdings steht die negatorische nicht unverbunden neben der deliktischen Haftung, sondern zwischen ihnen besteht, wie an anderer Stelle dargelegt91, ein funktionelles Ergänzungsverhältnis, in dem beide der Abgrenzung der Freiheitssphären der Rechtssubjekte dienen und sich dabei funktionell ergänzen, indem die negatorische Haftung zukunftsbezogen eingreift, bevor es zu einem Nachteil in einer Sphäre kommt, während die deliktische Haftung vergangenheitsbezogen greift, wenn ein solcher Nachteil eingetreten ist. Hinsichtlich ihrer Voraussetzungen wird für die negatorische Haftung gemeinhin angenommen, dass Unterlassungsansprüche ohne weiteres bestehen, wenn eine Beeinträchtigung des Eigentums des Klägers einzutreten droht und der Beklagte Störer ist, wobei die Eintrittsgefahr nicht nur als Wiederholungsgefahr gegeben ist, wenn eine Beeinträchtigung bereits stattgefunden hat, sondern als Erstbegehungsgefahr auch, wenn die Gefahr einer erstmaligen Beeinträchtigung besteht92. Anders als im angloamerikanischen Recht würde der Unterlassungsanspruch damit „ohne weiteres“ bestehen93 und weder ein Delikt voraussetzen, noch könnte er dadurch ausgeschlossen werden, dass Schadensersatz als Rechtsfolge ausreicht oder eine allgemeine Interessenabwägung zuungunsten des Klägers ausgeht. Demgegenüber können die negatorische und deliktische Haftung, wie an anderer Stelle dargelegt94, auch hinsichtlich ihrer zentralen Voraussetzungen auf gemeinsame Voraussetzungen zurückgeführt werden, indem sie sich nicht nur funktionell ergänzen, sondern auch insofern die gleiche Struktur aufweisen, als beide auf der Tatbestandsebene nicht nur eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs im Sinne eines Erfolges voraussetzen, sondern neben Kausalität und Zurechnung auch eine Verkehrspflichtverletzung des Beklagten. Auch für die negatorische Haftung reicht es nicht aus, dass das Verhalten des Beklagten kausal für die drohende oder andauernde Beeinträchtigung ist95; vielmehr bedarf es wie bei der deliktischen Haftung der Verletzung eines Verhaltensstandards, um dem Beklagten das Risiko der drohenden Beeinträchtigung zuzurechnen und eine Verhaltenspflicht zu ihrer Vermeidung aufzuerlegen.
__________ 91 Siehe meine vom Jubilar betreute Habilitationsschrift Risikoschutz durch Privatrecht – Eine Untersuchung zur negatorischen und deliktischen Haftung unter besonderer Berücksichtigung von Umweltschäden, vorgelegt an der Universität Tübingen 2007, Erscheinen in Vorbereitung. 92 Siehe etwa Ebbing in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1004 BGB Rz. 76 ff.; Medicus in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 1004 BGB Rz. 15 ff., 95 ff. 93 Vgl. Ntouvas, GRURInt 2006, 889, 890 m. Fn. 11. 94 Siehe meine Habilitationsschrift (Fn. 91). 95 Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3088; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl. 1994, § 86 V 1 a (S. 694).
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Demgemäß hat insbesondere die Rechtsprechung in jüngerer Zeit für die Störereigenschaft des § 1004 Abs. 1 BGB einen Verstoß gegen Sicherungspflichten vorausgesetzt96, die mit den Verkehrs(sicherungs)pflichten gleichgesetzt worden sind97. Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar zunächst vor allem auf Störungen zwischen nachbarschaftlichen Grundstücken, die auf Naturereignissen beruhen. Die Voraussetzung einer Pflichtverletzung ist aber auf alle Störungen zu erstrecken98 und gilt nicht nur für das Grundstückseigentum99, da der in der Beeinträchtigung liegende Erfolg und seine Verursachung sowie die Abwesenheit von Duldungspflichten nicht nur bei Beeinträchtigungen des Grundstückseigentums, sondern auch bei Beeinträchtigungen an beweglichen Sachen noch keine negatorische Haftung begründen können100. Der Verstoß gegen eine Verkehrspflicht ist mithin notwendige Voraussetzung der negatorischen Haftung. Der negatorische Unterlassungsanspruch setzt damit zwar anders als die injunction kein Delikt als solches voraus, beruht aber, vom Verschulden abgesehen, weithin auf gemeinsamen Voraussetzungen, so dass sich das deutsche und angloamerikanische Recht insoweit stark ähneln. Die sowohl von der deliktischen als auch von der negatorischen Haftung vorausgesetzten Verkehrspflichten beruhen auf einer Interessenabwägung101. Dabei wird den zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkten, insbesondere der Eintrittswahrscheinlichkeit, der Größe des drohenden Schadens und dem Rang des bedrohten Rechtsguts, gemeinhin die wirtschaftliche Belastung des potentiell Verantwortlichen gegenübergestellt102, die allerdings erst dort zu berücksichtigen ist, wo sie unzumutbar wird103, so dass sich sagen lässt, dass die Interessenabwägung grundsätzlich von einem Vorrang des Schutzes des Betroffenen ausgeht104. In der Abwägung finden daneben auch Gesichtspunkte des Allgemeininteresses Berücksichtigung105.
__________ 96 So etwa BGH, BGHZ 90, 255, 266 f.; BGH, BGHZ 157, 33, 41 f.; BGH, NJW 2004, 603, 604; BGH, NJW 2004, 1035, 1036; J. Wenzel, NJW 2005, 241, 242. 97 Vgl. BGH, NJW-RR 2001, 1208 f.; Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3088 f.; J. Wenzel, NJW 2005, 241, 242; ähnl. für die Geltung der Dogmatik der Garantenstellung und der Verkehrspflichten für die Beseitigungspflicht Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, 8. Aufl. 2000, § 62 II 1 (S. 259 f.). 98 Vgl. für Störungen aufgrund technischer Defekte auch BGH, BGHZ 157, 33, 42; ablehnend Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3088 f. 99 So aber offenbar J. Wenzel, NJW 2005, 241, 242. 100 Vgl. auch Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3088; Larenz/Canaris (Fn. 95), § 86 V 1 a (S. 694); ähnl. J. Wenzel, NJW 2005, 241. 101 Dazu näher meine Habilitationsschrift (Fn. 91). 102 So etwa BGH, BGHZ 58, 149, 156 ff.; BGH, NJW-RR 2003, 1103, 1104; BGH, NJWRR 2005, 251, 252; Schiemann in Erman (Fn. 92), § 823 BGB Rz. 10; Larenz/Canaris (Fn. 95), § 76 III 4 b (S. 414); Wagner in MünchKomm.BGB (Fn. 92), § 823 BGB Rz. 249 f. 103 So auch BGH, BGHZ 112, 74, 75 f.; Spindler in Beckscher Online-Kommentar zum BGB, § 823 BGB Rz. 225; vgl. auch Wagner in MünchKomm.BGB (Fn. 92), § 823 BGB Rz. 225. 104 So Schiemann in Erman (Fn. 92), § 823 BGB Rz. 81. 105 Vgl. etwa Schiemann in Erman (Fn. 92), § 823 BGB Rz. 10.
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Ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB setzt weiter die drohende Verwirklichung des durch die Verkehrspflichten erfassten Risikos voraus, also das Bestehen einer Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, deren genaue Voraussetzungen jedoch noch weitgehend offen sind. Sie werden einerseits dahingehend verstanden, dass die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung nicht genüge106; vielmehr müsse die Gefahr ernsthaft drohen107. Andererseits brauche die Beeinträchtigung nicht mit Gewissheit einzutreten, vielmehr genüge eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, die die ernsthafte Möglichkeit des Eintritts der Gefahr begründe108. Diese allgemeinen Feststellungen bedürfen der Konkretisierung, wobei bisher insbesondere auf die zeitliche Nähe der Verwirklichung des Risikos abgestellt und verlangt wurde, dass die Beeinträchtigung unmittelbar bevorstehend drohe109 oder zumindest alsbald zu erwarten sein müsse110. Hinsichtlich der für die drohende Verwirklichung notwendigen Eintrittswahrscheinlichkeit bedarf es, wie an anderer Stelle dargelegt wurde111, wiederum einer Interessenabwägung, die gegenüber der Interessenabwägung zur Bestimmung der Verkehrspflichten eigenständig ist, indem sie zwar aufgrund derselben Gesichtspunkte, aber in Bezug auf den Inhalt gerade der negatorischen Haftung erfolgt. Dabei ist die Interessenabwägung zur Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit grundsätzlich strenger als diejenige zur Feststellung der Verkehrspflichten als gemeinsame Voraussetzung von negatorischer und deliktischer Haftung. Die negatorische Haftung setzt damit regelmäßig eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit voraus als die deliktische Haftung. Demgemäß kann die Interessenabwägung zur Bestimmung der Verkehrspflichten ergeben, dass diese bestehen, während die Interessenabwägung zur Bestimmung der Eintrittsgefahr zu dem Ergebnis kommt, dass diese noch nicht gegeben ist. Dies hat zur Konsequenz, dass nicht nur für die injunction im angloamerikanischen Recht, wo dies ausdrücklich vorausgesetzt wird, sondern auch für den negatorischen Unterlassungsanspruch des deutschen Rechts eine Situation bestehen muss, in der der Schutz des Klägers nicht nur einen deliktischen Schadensersatzanspruch gebietet, sondern auch einen Unterlassungsanspruch. Zudem ähnelt das deutsche Recht insoweit dem US-amerikanischen, nicht aber dem englischen Recht, als in die Interessenabwägung zur Feststellung der Eintrittsgefahr auch öffentliche Interessen einfließen können und die Belastung des Beklagten durch die Unterlassungspflicht zu berücksichtigen ist. Allerdings kommt der Belastung des Beklagten nur eingeschränkte Bedeutung zu, weil sie nur bei Unverhältnismäßig zu berücksichtigen ist; auch dem Allgemeininteresse kommt insoweit geringere Bedeutung zu, als es in der Abwägung nur einen Gesichtspunkt unter vielen darstellt und nicht, wie im fourfactor-Test, als eigenständige Voraussetzung den Unterlassungsanspruch da-
__________ 106 107 108 109 110 111
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So etwa Medicus in MünchKomm.BGB (Fn. 92), § 1004 BGB Rz. 96. So etwa Ebbing in Erman (Fn. 92), § 1004 BGB Rz. 76. BGH, NJW 1997, 55. Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 2000, S. 179. Gursky in Staudinger, 13. Neubearb. 2006, § 1004 BGB Rz. 207. Siehe meine Habilitationsschrift (Fn. 91).
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von abhängig macht, dass er nicht dem öffentlichen Interesse widerspricht. Die Interessenabwägung als Voraussetzung der Eintrittsgefahr bei § 1004 Abs. 1 BGB führt daher in aller Regel nicht dazu, dass ein Unterlassungsanspruch grundsätzlich ausscheidet, sondern nur dazu, dass er mangels hinreichender Eintrittswahrscheinlichkeit noch nicht gegeben ist; es geht also nicht um das „Ob“ der negatorischen Haftung, sondern nur um ihr „Wann“, das allerdings auch nie eintreten kann. 2. Geistiges Eigentum Im Rahmen des geistigen Eigentums sei hier vor allem der Schutz von Patenten, der Gegenstand der eBay-Entscheidung war, und der Schutz von Urheberrechten, auf den dort Bezug genommen wurde, erörtert. a) Patentrecht Die Unterlassungsansprüche im Patentrecht setzen gemäß § 139 Abs. 1 PatG die Benutzung einer patentierten Erfindung entgegen den §§ 9–13 PatG voraus, wobei § 9 Satz 2 PatG eine positive Definition der Patentverletzung enthält. Insoweit gleicht das deutsche Recht dem angloamerikanischen Recht, wo sec. 60(1) UK Patents Act 1977 und § 271(a) US-PatG ebenfalls die Patentverletzung positiv definieren, was in Bezug auf das englische Patentrecht nicht überrascht, da dieses wie das deutsche ein Produkt der europäischen Rechtsangleichung ist, so dass sie sich nur wenig unterscheiden112. Die in § 9 Satz 2 PatG definierte Patentverletzung ähnelt insofern der positiven Definition der Verletzung des Sacheigentums als Voraussetzung der vindikatorischen Haftung gemäß § 985 BGB, so dass offen erscheint, inwiefern die Patentverletzung entsprechend der Verletzung des Sacheigentums einen Verstoß gegen eine Verkehrspflicht voraussetzt. Allerdings besteht hier zumindest insofern eine Parallele zum Schutz des Sacheigentums durch die negatorische und deliktische Haftung, als dann auch beim Schutz der patentierten Erfindung die Patentverletzung als Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs gemäß § 139 Abs. 2 PatG positiv definiert ist, also keinen Verstoß gegen eine Verkehrspflicht voraussetzt. Als Patentverletzer wird demgemäß gemeinhin der Alleinund Mittäter sowie der Beteiligte und der mittelbare Täter der Patentverletzung angesehen, ohne dass insoweit eine Abwägung der Interessen der Verletzer und des Patentinhabers für erforderlich gehalten wird113. Nur für die Störerhaftung, deren Grundlage in der negatorischen Haftung gesehen wird114, wird diskutiert, ob der Unterlassungsanspruch neben der willentlichen und adäquat kausalen Mitwirkung an der Herbeiführung der rechts-
__________ 112 Kellenter (Fn. 4), Rz. 856. 113 Vgl. etwa Mes, Patentgesetz, 2. Aufl. 2005, § 139 PatG Rz. 39 ff.; Rogge/Grabinski in Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl. 2006, § 10 PatG Rz. 19 ff. 114 BGH, GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor; kritisch Köhler in Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, 25. Aufl. 2007, § 8 UWG Rz. 2.3.
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widrigen Beeinträchtigung115 an weitere Voraussetzungen geknüpft ist. So soll etwa der Inhaber eines Telefonanschlusses nicht bereits deshalb für Patentverletzungen eines Dritten haften, weil dieser die Nummer des Anschlusses in seiner Werbung als Anlaufadresse für die Anbahnung von Geschäften angegeben habe116. Soweit statt der negatorischen Figur der Störerhaftung nicht eine deliktsrechtliche Betrachtungsweise befürwortet wird117, stellt sich damit für den Störer die Frage, ob der gegen ihn gerichtete Unterlassungsanspruch nur bei Vorsatz gegeben ist118 oder ob er zumindest eine Prüfungspflicht voraussetzt119, so dass der Störungszustand entfiele, wenn er nicht ohne weiteres oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwand erkennbar wäre120, wobei die Prüfungspflicht eine umfassende und einzelfallbezogene Interessenabwägung voraussetzen würde121. Damit würde zumindest der patentrechtliche Unterlassungsanspruch des Störers wie der negatorische Unterlassungsanspruch eine Pflichtverletzung voraussetzen, die wiederum auf einer Interessenabwägung beruht. Ähnlich genügt zumindest die bloß fahrlässige Setzung einer notwendigen und wesentlichen Bedingung für die Patentverletzung eines Dritten jedenfalls dann nicht zur Begründung einer unmittelbaren Patentverletzung, wenn sie in der Lieferung von Mitteln zur Benutzung der geschützten Erfindung und damit der Patentverletzung liegt, da dann die speziellere Regelung der mittelbaren Patentverletzung gemäß § 10 PatG eingreift und deren Voraussetzungen vorliegen müssen122. Auch insoweit gleicht das deutsche Recht dem angloamerikanischen Recht, das in sec. 60(2) UK Patents Act 1977 und § 271(c) US-PatG ebenfalls die mittelbare Patentverletzung regelt123. Nach § 10 PatG soll der mittelbare Patentverletzer regelmäßig Vorsatz bezüglich der Bestimmung des angebotenen oder gelieferten Mittels zu der unmittelbaren Patentverletzung haben müssen124. Soweit das Mittel auch patentfrei verwendet werden kann, begründe § 10 PatG nur ein eingeschränktes Verbot des Angebots und der Lie-
__________ 115 BGH, GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor; Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 41. 116 BGH, GRUR 1999, 977 – Räumschild; Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 41. 117 So für das Wettbewerbsrecht Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm (Fn. 114), § 8 UWG Rz. 2.14 ff. 118 Vgl. Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 41; im Wettbewerbsrecht etwa BGH, GRUR 2001, 181, 184 – Dentalästhetika; BGH, GRUR 2003, 624, 626 – Kleidersack. 119 So BGH, GRUR 1999, 977 – Räumschild; Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 41; für das Urheberrecht auch BGH, NJW 1999, 1960 – Möbelklassiker; zweifeln Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm (Fn. 114), § 8 PatG Rz. 2.17. 120 Vgl. Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 41; im Wettbewerbsrecht etwa BGH, GRUR 1997, 313, 315 – Architektenwettbewerb; BGH, GRUR 2003, 969, 970 – Ausschreibung von Vermessungsleistungen; BGH, GRUR 2004, 693, 695 – Schöner Wetten. 121 So für das Urheberrecht Haedicke, GRUR 1999, 397, 399 ff.; vgl. für das Wettbewerbsrecht auch v. Gierke, WRP 1997, 892. 122 BGH, GRUR 2007, 313, 314 f. – Funkuhr II; anders allgemein für die bewusste und willentliche Mitverursachung der Patentverletzung BGH, GRUR 2002, 599 – Funkuhr I; Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 41; kritisch dazu Brandenburg, Mitt. 2005, 205. 123 Vgl. für das englische Recht Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 6–18; für das amerikanische Recht Avery/Mayer (Fn. 37), Rz. 888. 124 So BGH, GRUR 2001, 228, 231 – Luftheizgerät; Mes (Fn. 113), § 10 PatG Rz. 15 ff.
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ferung des Mittels125, so dass die Unterlassungspflicht nur auf Vorkehrungen gerichtet sei, deren Umfang vor allem von der mit dem Angebot oder der Lieferung verbundenen Gefährdung der patentierten Erfindung abhänge, so dass etwa Hinweispflichten oder die Vereinbarung einer gegebenenfalls strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung genügen können126. Auch bei der mittelbaren Patentverletzung genügt die Kausalität für eine drohende Patentverletzung nicht „ohne weiteres“ zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs127. Vielmehr wird bereits zur Feststellung der Patentverletzung eine Interessenabwägung vorausgesetzt. Zudem setzt der Unterlassungsanspruch des § 139 Abs. 1 PatG wie derjenige des § 1004 Abs. 1 BGB das Vorliegen einer Eintrittsgefahr in Form der Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr voraus128. Wie bei § 1004 Abs. 1 BGB wird die Wiederholungsgefahr regelmäßig vermutet129 und werden bei der Erstbegehungsgefahr konkrete Anhaltspunkte verlangt, dass eine verbotene Patentverletzung unmittelbar bevorsteht130. Wann eine Verletzung unmittelbar bevorsteht und eine hinreichende, insbesondere nicht nur theoretische Eintrittsgefahr131 besteht, bedarf dabei der näheren Bestimmung. Die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte sind allerdings bisher offen geblieben. Demgemäß wurde der Unterlassungsanspruch auch nicht von einer Abwägung der Interessen der Beteiligten abhängig gemacht. Demgegenüber scheint es vorstellbar, eine Parallele zwischen § 1004 Abs. 1 BGB und § 139 Abs. 1 PatG zu ziehen und auch die für den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch notwendige Eintrittsgefahr aufgrund einer Abwägung der Interessen des Klägers und des Beklagten im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Dies würde einerseits über die bisherige Praxis im englischen Recht hinausgehen, andererseits hinter dem US-amerikanischen Recht nach der eBay-Entscheidung zurückbleiben, indem die Abwägung im deutschen Recht eher auf ein „Wann“ der Unterlassungspflicht gerichtet ist als auf ein „Ob“. b) Urheberrecht Im Urheberrecht wird zunächst wie im Patentrecht davon ausgegangen, dass für Urheberrechtsverletzungen jeder gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 UrhG haftet, der die Rechtsverletzung begeht oder daran teilnimmt, soweit sein Verhalten adäquat kausal für die Rechtsverletzung ist, wobei die Setzung einer
__________ 125 BGH, GRUR 2004, 758, 763 – Flügelradzähler; Mes (Fn. 113), § 10 PatG Rz. 39; Scharen in Benkard (Fn. 113), § 10 PatG Rz. 24. 126 Mes, GRUR 1998, 281, 283; vgl. auch LG Düsseldorf, Mitt. 2000, 108 – WC-Körbchen II. 127 Vgl. Ntouvas, GRURInt 2006, 889, 890. 128 Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 48. 129 So etwa BGH, GRUR 2003, 1031, 1033 – Kupplung für optische Geräte; Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 49 ff. 130 So etwa Fritzsche (Fn. 109), S. 179); Mes (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 53 ff.; Rogge/ Grabinski in Benkard (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 28. 131 Vgl. BGH, GRUR 2002, 612 – Nicola; Rogge/Grabinski in Benkard (Fn. 113), § 139 PatG Rz. 28.
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Ursache genüge, soweit es nicht nach der Lebenserfahrung unwahrscheinlich sei, dass gerade diese Ursache zu der Verletzung geführt habe132. Dabei wird dem Patentrecht entsprechend als Verletzer aufgefasst, wer die Rechtsverletzung adäquat kausal begeht, indem er eine unbefugte Nutzungshandlung gem. §§ 15 ff. UrhG vornimmt133, während für die Störerhaftung, die in der negatorischen Haftung wurzelt134, die willentliche Leistung eines adäquat-kausalen und verhinderbaren Beitrags zur Rechtsverletzung verlangt wird135, wobei eine Pflicht zum Tätigwerden bestehen muss136, die wiederum die Zumutbarkeit der Verhinderung der Rechtsverletzung voraussetzt137 und eine flexible Anwendung des Unterlassungsanspruchs ermöglicht138. Auch hier setzt also bereits die Rechtsverletzung eine Abwägung voraus139. Zudem setzt der Unterlassungsanspruch eine Begehungsgefahr voraus, für die als Erstbegehungsgefahr das ernsthafte Drohen einer zukünftigen Verletzung verlangt wird140. Auch hier stellt sich also das Problem, ab wann eine Verletzung ernsthaft droht, wobei es nicht ausgeschlossen erscheint, diesen Zeitpunkt in Parallele zu dem Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB aufgrund einer Abwägung der Interessen des Verletzten und des Verletzers zu bestimmen. Darüber hinaus gewährt § 101 Abs. 1 UrhG eine Ablösungsbefugnis durch Zahlung eines angemessenen Geldbetrages in Höhe der üblichen Lizenzgebühr, wenn die Verletzung schuldlos ist, der Unterlassungsanspruch zu einem unverhältnismäßig großen Schaden des Verletzers führen würde und die Abfindung in Geld für den Verletzten zumutbar ist141. Diese Ablösungsbefugnis beruht darauf, dass aufgrund einer Abwägung der Interessen des Verletzers und des Verletzten ein Schadensanspruch ausreichend und ein Unterlassungsanspruch nicht angezeigt erscheint, und entspricht damit der zentralen Vor-
__________ 132 BGHZ 42, 118, 124 – Personalausweise; Wild in Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 97 UrhG Rz. 35; v. Wolff in Wandke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 2. Aufl. 2006, § 97 UrhG Rz. 13. 133 Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2006, § 97 UrhG Rz. 23; Wild (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 17. 134 Dreier (Fn. 133), § 97 UrhG Rz. 33; Backhaus in Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Loseblatt, § 97 UrhG Rz. 28; v. Wolff (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 13. 135 BGH, GRUR 1999, 418, 419 – Möbelklassiker; BGHZ 158, 236, 251 – InternetVersteigerung; Dreier (Fn. 133), § 97 UrhG Rz. 33; Backhaus (Fn. 134), § 97 UrhG Rz. 28; v. Wolff (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 13 f.; vgl. für das englische Recht auch Cornish/Llewelyn (Fn. 8), Rz. 12–35. 136 Backhaus (Fn. 134), § 97 UrhG Rz. 28; Dreier (Fn. 133), § 97 UrhG Rz. 33; v. Wolff (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 15; Wild (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 36a. 137 BGH, GRUR 1984, 54, 55 f. – Kopierläden; BGH, GRUR 1999, 418, 420 – Möbelklassiker; Backhaus (Fn. 134), § 97 UrhG Rz. 28; v. Wolff (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 15. 138 Backhaus (Fn. 134), § 97 UrhG Rz. 29. 139 Vgl. BGH, NJW 2004, 2158 – Schöner Wetten; Dreier (Fn. 133), § 97 UrhG Rz. 33; Wild (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 36a. 140 Dreier (Fn. 133), § 97 UrhG Rz. 43; für konkretes Drohen Wild (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 43; v. Wolff (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 33. 141 Dreier (Fn. 133), § 97 UrhG Rz. 44.
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Schutz des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche
aussetzung der Anwendung der equity im angloamerikanischen Recht. In diesem Sinne lässt sich also nicht ohne weiteres sagen, dass die Möglichkeit des Schadensersatzes im kontinentaleuropäischen Recht den Unterlassungsanspruch nie ausschließe142. Soweit zudem eine Aufbrauchfrist angenommen wird, bei der es dem Verletzer in absoluten Ausnahmefällen erlaubt wird, trotz Feststellung seiner Rechtsverletzung hieraus bereits hervorgegangene Vervielfältigungsstücke zu verbreiten, wenn ihm sonst erhebliche Nachteile entstehen würden143, beruht diese ebenfalls auf einer Interessenabwägung und ähnelt insoweit dem angloamerikanischen Recht.
IV. Fazit Die kurze Skizze des Schutzes des Sacheigentums und des geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche im deutschen, englischen und US-amerikanischen Recht zeigt überraschende Ergebnisse. Zunächst besteht die vermutete kulturelle Kluft zwischen dem deutschen und dem angloamerikanischen Recht nur hinsichtlich der dogmatischen Konstruktion, indem die Unterlassungsansprüche im angloamerikanischen Recht eine Erweiterung des Deliktsrechts darstellen, das als normale Rechtsfolge der Eigentumsverletzung nur Schadensersatzansprüche vorsieht, so dass Unterlassungsansprüche als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme erscheinen, während die Unterlassungsansprüche im deutschen Recht Gegenstand der von der deliktischen Haftung unabhängigen negatorischen Haftung sind und dort regelmäßig zu bestehen scheinen, wenn eine Beeinträchtigung des Eigentums droht. Sobald man jedoch die praktische Anwendung in die Betrachtung einbezieht, ergibt sich ein durchaus differenziertes, um nicht zu sagen zerklüftetes Bild. In England ist die Gewährung von Unterlassungsansprüchen trotz der dogmatischen Einschränkung, dass Schadensersatz nicht ausreichend sein dürfe, die Regel, die nur in verhältnismäßig eng begrenzten Ausnahmefällen keine Anwendung findet. In den USA ist die Gewährung von Unterlassungsansprüchen zumindest seit der eBay-Entscheidung nicht die Regel, sondern abhängig von dem four-factor-Test. In Deutschland hängt die Gewährung trotz des dogmatischen Ausgangspunktes nicht nur davon ab, ob die Eintrittswahrscheinlichkeit gegeben ist144. Vielmehr ist zumindest beim Schutz des Sacheigentums nicht nur bei der Frage, ob eine Rechtsverletzung gegeben sein kann, sondern auch bei der Frage, ob die drohende Rechtsverletzung einen Unterlassungsanspruch auslöst, auch eine Abwägung zwischen den Interessen des Verletzers und des Verletzten notwendig. Zudem erscheint es nicht ausgeschlossen, dass auch
__________ 142 So aber offenbar von Mühlendahl, IIC 2007, 377 f. 143 Lütje in Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2000, § 101 UrhG Rz. 15; Wild (Fn. 132), § 97 UrhG Rz. 97 u. § 101 UrhG Rz. 13; ablehnend Bohne in Wandke/Bullinger (Fn. 132), § 101 UrhG Rz. 3; differenzierend Dreier (Fn. 133), § 101 UrhG Rz. 9. 144 So aber von Mühlendahl, IIC 2007, 377 f.
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beim Schutz des geistigen Eigentums bei der Frage, ob und vor allem wann eine drohende Rechtsverletzung Unterlassungsansprüche auslöst, eine Abwägung erforderlich ist oder bereits durch gesetzliche Regelungen vorgenommen worden ist. Hinsichtlich der praktischen Anwendung und der dafür erforderlichen Interessenabwägung stellt mithin nicht der Ärmelkanal, sondern der Atlantik die Kluft dar, da Deutschland hier gewissermaßen zwischen England und den USA, aber näher an England steht. Denn das englische Recht gewährt nur in bestimmten Fällen keinen Unterlassungsanspruch und berücksichtigt die Belastung des Verletzers und das öffentliche Interesse nicht. Dem entspricht zumindest beim geistigen Eigentum die überkommene Auffassung im deutschen Recht. Aber auch soweit man dort die Gewährung des Unterlassungsanspruchs von einer Abwägung abhängig macht, steht das deutsche Recht dem englischen Recht insoweit nahe, als die Belastung des Verletzers und das öffentliche Interesse nur eingeschränkt berücksichtigt werden und es bei der Abwägung weniger um das „Ob“ als um das „Wann“ des Unterlassungsanspruchs geht. Demgegenüber räumt das US-amerikanische Recht der Belastung des Verletzers und dem öffentlichen Interesse den Rang einer eigenständigen Voraussetzung im Rahmen des four-factor-Tests ein und betrachtet die Gewährung von Unterlassungsansprüchen demgemäß nicht als Regel. Auf der Wertungsebene kommt dem Inhaber des Sach- oder geistigen Eigentums demgemäß in England und Deutschland eine stärkere Stellung zu als in den USA, wo eine stärkere Bereitschaft besteht, eine rein finanzielle Kompensation ausreichen zu lassen. Im englischen und deutschen Recht ist der Schutz des Sach- und geistigen Eigentums durch Unterlassungsansprüche demgemäß die Regel, im US-amerikanischen Recht nicht. Dieser Sonderweg der USA145 findet seinen Grund womöglich darin, dass dort das Patent- und das Urheberrecht, die entsprechend Art. I (1)(8) der US-Verfassung der Förderung der Wissenschaft und Künste dienen146, stärker utilitaristisch aufgefasst und auf die Förderung des Allgemeinwohls bezogen werden147, während dem Eigentum in Europa über den wirtschaftlichen Wert hinaus ein eigenständiger Wert zugebilligt wird, was sich in der zumindest in Kontinentaleuropa überwiegenden Auffassung zeigt, dass es sich beim geistigen Eigentum auch um ein Persönlichkeitsrecht handelt. Allgemein wird dem amerikanischen Patentrecht eine größere Zurückhaltung bezüglich der aus einem Patent folgenden Exklusivität konstatiert148. Jenseits dieser eher grundsätzlichen Überlegungen erscheint es auch denkbar, die Unterschiede darauf zurückzuführen, dass Patente in den USA großzügiger gewährt werden als in Europa, wie sich insbesondere bei den
__________ 145 So für den Schutz des geistigen Eigentum von Mühlendahl, IIC 2007, 377, 380. 146 Götting/Fikentscher (Fn. 14), Kap. 7 Rz. 4, 209; Reimann (Fn. 11), S. 163 f. 147 Vgl. Avery/Mayer (Fn. 37), Rz. 29; für das Urheberrecht auch Reimann (Fn. 11), S. 164; ähnlich Götting/Fikentscher (Fn. 14), Kap. 7 Rz. 209. 148 Vgl. Avery/Mayer (Fn. 37), Rz. 29 f.; Götting/Fikentscher (Fn. 14), Kap. 7 Rz. 209.
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Patenten für Geschäftsmethoden zeigt149, wodurch ein Bedürfnis entsteht, auf der Rechtsfolgenseite hinsichtlich der Qualität der Patente zu differenzieren, wie dies in der concurring opinion von Justice Kennedy in der eBay-Entscheidung anklingt150. Unabhängig davon kann die Skizze aber als Beleg dafür dienen, dass die dogmatische Konstruktion nicht notwendig auch die praktischen Ergebnisse bestimmt. Denn, wie dargelegt, divergieren einerseits die Wertungen im angloamerikanischen Recht trotz des gemeinsamen dogmatischen Ausgangspunktes und konvergieren andererseits die Wertungen im deutschen und englischen Recht trotz der unterschiedlichen dogmatischen Ausgangspunkte.
__________ 149 Vgl. dazu nur Avery/Mayer (Fn. 37), Rz. 19 ff.; Götting/Fikentscher (Fn. 14), Kap. 7 Rz. 15 f.; Reimann (Fn. 11), S. 165; zur Zulassung der Patentierung von Geschäftsmethoden State Street Bank & Trust Company v. Signature Financial Group, 148 F.3d 1368 (Fed. Cir. 1998), cert. den. 525 U.S 1093 (1999); zurückhalten jetzt aber KSR Intern. Co. v. Teleflex Inc., 127 S.Ct. 1727 (2007). 150 Vgl. GRURInt 2006, 782, 784.
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Zur Formbedürftigkeit der Veräußerung künftiger GmbH-Anteile Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Entstehungsgeschichte des Formerfordernisses i. S. d. § 15 Abs. 4 GmbHG III. Die Rechtsprechung des BGH zur Formlosigkeit von Treuhandverträgen über künftige Geschäftsanteile IV. Der Meinungsstand im Schrifttum
2. Nicht haltbare Interpretation der Entscheidung BGHZ 141, 207 3. Die Grenzen der ratio legis des § 15 Abs. 4 GmbHG 4. Der Handel mit „künftigen“ GmbHAnteilen 5. Künftiger Anteilserwerb und Formzwang nach § 2 GmbHG VI. Ergebnisse
V. Stellungnahme 1. Präzisierung der Entscheidung BGHZ 141, 207 zur Ausnahme von § 15 Abs. 4 GmbHG
I. Einleitung Seit Inkrafttreten des GmbHG von 1892 bedarf „… eine Vereinbarung, durch welche die Verpflichtung eines Gesellschafters zur Abtretung eines Geschäftsanteils begründet wird“, notarieller Form (§ 15 Abs. 4 GmbHG). Entsprechendes gilt nach § 15 Abs. 3 GmbHG für die Abtretung des Geschäftsanteils an einer GmbH. Auf die in jüngerer Zeit mit erwägenswerten Gründen geforderte ersatzlose Streichung dieser Formbestimmungen1 ist das Bundesjustizministerium im Jahre 2006 in seinem Referentenentwurf zur Novellierung des GmbHG2 nicht einmal eingegangen. Sehr zweifelhaft ist die Reichweite der Formvorschrift in Fällen, in denen es um einen erst in Zukunft entstehenden Geschäftsanteil geht. In einem in der Praxis verbreiteten Standardkommentar zum GmbHG heißt es dazu, „nicht formbedürftig“ seien Vereinbarungen, welche die Abtretung eines „erst noch zu schaffenden“ Geschäftsanteils betreffen, sofern also die Abrede „vor Be-
__________
1 Heidenhain, ZIP 2001, 721 ff.; ders., ZIP 2001, 2113 ff.; zumindest für Einschränkung bei Einschaltung von Rechtsanwälten König, ZIP 2004, 1838, 1842; entschieden für Beibehaltung demgegenüber Kanzleiter, ZIP 2001, 2105 ff.; Priester, DNotZ 2001, Sonderheft, S. 52, 59 f. 2 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 29.5.2006 (im Internet abrufbar unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/1236.pdf); auch der RegE v. 23.5.2007 (ebenfalls abrufbar auf den Seiten des BMJ) enthält insofern keine Äußerung.
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urkundung“ des Gesellschaftsvertrags getroffen werde3. Diese These leuchtet bei formaler Betrachtung ein: Wenn die GmbH noch gar nicht errichtet ist, lässt sich argumentieren, ein nicht existierender Geschäftsanteil könne nicht Gegenstand förmlich zu vollziehender Veräußerung sein. In der Praxis wird jedenfalls zunehmend, nicht zuletzt unter Hinweis auf eine BGH-Entscheidung zur Erwerbstreuhand aus dem Jahre 19994, angenommen, die Übertragung künftiger Geschäftsanteile an einer GmbH sei formlos möglich5. Auf der anderen Seite ist z. B. die Veräußerung einer erst zu errichtenden Eigentumswohnung ohne Weiteres der Formvorschrift der § 4 Abs. 3 WEG, § 311 b Abs. 1 BGB unterworfen6. Das formale Argument, ein grundsätzlich formgebundenes Rechtsgeschäft betreffend die Veräußerung eines erst in Zukunft vorhandenen Gegenstandes müsse formlos möglich sein, solange der Gegenstand noch nicht existiere, wird also schon durch diesen Standardfall der „künftigen“ Eigentumswohnung widerlegt. Für die Kautelarpraxis ist von zentraler Bedeutung, dass Klarheit über die Formbedürftigkeit besteht, soweit künftige Geschäftsanteile einer GmbH zu veräußern sind. In Zeiten, in denen das Formerfordernis, welches der Gesetzgeber des GmbHG von 1892 für die Veräußerung von Geschäftsanteilen der GmbH aufgestellt hat, vielfach sogar für Anachronismus gehalten wird7, könnte das Thema unseren Jubilar interessieren, zumal er aufgrund seiner ungewöhnlichen Vielseitigkeit auch im GmbH-Recht Experte ist.
II. Die Entstehungsgeschichte des Formerfordernisses i. S. d. § 15 Abs. 4 GmbHG Die Anteile an Personengesellschaften hat der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts gar nicht für übertragbar gehalten. Die uns heute geläufige Vorstellung, dass die Mitgliedschaft in der Personengesellschaft nach dem Modell der Zession veräußert werden kann8, war auch nach Inkrafttreten des BGB von 1896 etwa bis Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mit dem damaligen Grundverständnis von einer Personengesellschaft vereinbar9. Die 1861 vom Gesetzgeber des ADHGB geschaffenen Publikumsgesellschaften AG und KGaA sollten demgegenüber durch Anteile in Gestalt von echten
__________ 3 Fastrich in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, § 15 GmbHG Rz. 35 unter Hinweis auf BGH, BGHZ 141, 207, 211 f. = NJW 1999, 2594, 2595 sowie OLG Celle, NZG 2001, 368 ff.; OLG Frankfurt, GmbHR 1992, 368 ff.; Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 5 Rz. 17. 4 BGH, BGHZ 141, 207 ff. 5 Vgl. dazu beispielhaft LG Hamburg, Urt. v. 3.9.2007 – 410 O 14/07. 6 S. statt aller Bärmann/Pick, 17. Aufl. 2006, § 4 WEG Rz. 9 f. m. w. N. 7 S. die Nachw. in Fn. 1. 8 Vgl. dazu nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1324; Ulmer in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 719 BGB Rz. 25, 33. 9 Vgl. die Nachw. bei Flume, BGB AT I/1, Die Personengesellschaft, 1977, S. 346 Fn. 1; K. Schmidt (Fn. 8), S. 1321 f.; RG, RGZ 83, 312, 314 f.
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Zur Formbedürftigkeit der Veräußerung künftiger GmbH-Anteile
Wertpapieren geprägt sein, die denkbar einfach in Umlauf gebracht werden können10. Als der Gesetzgeber Ende des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit erkannt hatte, insbesondere für den Mittelstand eine weitere Kapitalgesellschaft zur Verfügung zu stellen, stand von vornherein nicht zur Diskussion, die Anteile an dieser Gesellschaft zu verbriefen, geschweige denn i. S. v. Umlaufpapieren11. Zwar steht es den Gründern der GmbH frei, die Geschäftsanteile jeweils zum Gegenstand einer Urkunde zu machen12. Solche „Papiere“ hätten aber nicht das Geringste mit (unechten oder echten) Wertpapieren i. S. v. Rekta- oder gar Umlaufpapieren zu tun13. Der Zweck solcher Schriftstücke läge allenfalls in einer geringfügigen Beweisfunktion14. Der Gesetzgeber des GmbHG von 1892 hat die GmbH nur um der Haftungsbeschränkung ihrer Mitglieder willen als juristische Person konzipiert, in der Sache aber für eine Personengesellschaft gehalten15. In der Personengesellschaft war die Unveräußerlichkeit der Mitgliedschaft auch unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Interessen der Gesellschafter, ihre Investitionsentscheidung revidieren zu können, unproblematisch. Die Personengesellschaft konnte mangels abweichender Vereinbarung seit jeher gekündigt werden, mit der Folge einer Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters zum Verkehrswert (§ 738 BGB; §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB), und die vom gesetzlichen Regelungsmodell abweichenden Kündigungs- und Abfindungsklauseln unterliegen jedenfalls einer strengen Inhaltskontrolle16. Grundlegend anders verhielt es sich von Anfang an in der GmbH: Die Mitgliedschaft in der Kapitalgesellschaft ist als Folge des Grundsatzes der Kapitalerhaltung nach dem gesetzlichen Leitbild unkündbar17, als privatautonomen
__________ 10 S. dazu v. Hahn, ADHGB 1861, Bd. 2, 1867, Art. 271 ADHGB §§ 5, 7. 11 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Protokolle des Deutschen Reichstages, Bd. 141, VIII. Legislaturperiode (1890–1892), S. 3738: „Die Uebergabe von Antheilscheinen oder ähnlichen Urkunden kommt als Erfordernis der Abtretung nicht in Betracht. Die Ausstellung solcher Urkunden durch die Gesellschaft ist deshalb im Entwurf überhaupt nicht vorgesehen.“. 12 S. Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11): „Andererseits braucht dieselbe auch nicht untersagt zu werden.“; vgl. auch Ebbing in Michalski, 2002, § 14 GmbHG Rz. 37. 13 S. dazu Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, 16. Aufl. 2004, § 14 GmbHG Rz. 8; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 4. Aufl. 2002, § 14 GmbHG Rz. 42; Winter/ Seibt in Scholz, 10. Aufl. 2006, § 14 GmbHG Rz. 64 f. 14 S. Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11): „Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß für größere Gesellschaften, bei welchen nicht leicht jeder Gesellschafter ein Exemplar oder eine beglaubigte Abschrift des unterzeichneten Gesellschaftsvertrages erhalten kann, die Aushändigung einer Bescheinigung sich häufig als zweckmäßig erweisen wird. Solche Bescheinigungen haben dann aber nur die Bedeutung von Beweisurkunden rücksichtlich des Verhältnisses zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft.“; s. ferner die Nachw. in Fn. 13. 15 Treffend Flume, BGB AT I/2, Die juristische Person, 1983, S. 61 f. 16 S. dazu nur Ulmer in MünchKomm.BGB (Fn. 8), § 723 BGB Rz. 76, § 738 BGB Rz. 41 ff.; BGH, BGHZ 135, 387, 389 f. 17 S. nur Flume (Fn. 15), S. 281.
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Aktstyp der Beendigung dieser Gesellschaft kennt das Gesetz nur die Auflösung durch Gesellschafterbeschluss (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG). Der Gesetzgeber des GmbHG von 1892 stand deshalb vor der Problematik, dass die Gesellschafter der GmbH aufgrund des personalistischen Charakters dieser Gesellschaftsform einerseits nicht befugt sein sollten, ihre Mitgliedschaft gleichsam wie Aktien an Dritte weiterzugeben, andererseits aber die in der Personengesellschaft selbstverständliche Kündigungsmöglichkeit von vornherein ausscheiden musste. Die sich daraus ergebende Unmöglichkeit, die Mitgliedschaft während des Bestandes der GmbH irgendwie zu liquidieren, ließ den Gesetzgeber einem Kompromiss den Vorzug geben. In der Regierungsbegründung zu § 15 GmbHG 1892 heißt es dazu, dass die Veräußerlichkeit der Geschäftsanteile – anders als im Falle der Personengesellschaft – anerkannt werden müsse, weil die einzige Alternative, nämlich das Kündigungsrecht, „… bei einer Gesellschaft, in welcher die sämtlichen Gesellschafter ausschließlich mit ihren Einlagen haften und das Gesellschaftsvermögen das alleinige Befriedigungsobjekt für die Gläubiger der Gesellschaft bildet, keinesfalls in Frage kommen (sc. kann). Den letzteren (sc. Gläubigern) würde es dabei an jeder genügenden Sicherheit und der Gesellschaft selbst an einer dauernden Gewähr ihrer finanziellen Grundlage fehlen, wie sie für die Zwecke, welchen die neue Gesellschaftsform (sc. GmbH) dienen soll, nicht zu entbehren ist. Will man daher das in der Gesellschaft angelegte Vermögen der Theilnehmer der eigenen Verfügung derselben und dem Zugriff ihrer Gläubiger nicht gänzlich entziehen – was jedenfalls nicht angängig ist –, so bleibt nur übrig, die Veräußerlichkeit der Antheilsrechte im Prinzip anzuerkennen (§ 15 Absatz 1)“18.
Im Folgenden hebt die Regierungsbegründung zum GmbHG 1892 aber eindeutig hervor, dass der Charakter der Mitgliedschaft in der GmbH – ganz anders als im Falle der Aktiengesellschaft – keineswegs darauf gerichtet sei, „… durch Herstellung einer größeren Zahl gleichwerthiger Antheilsrechte die Veräußerung derselben im Handelsverkehr zu erleichtern“19.
Bei der Veräußerung von Geschäftsanteilen an der GmbH handele es sich vielmehr um ein „Hülfsmittel …, welches zwar für den Bedürfnisfall den Gesellschaftern die Realisierung ihrer Antheilsrechte ermöglichen, den Karakter der Mitgliedschaft als eines der Regel nach dauernden Verhältnisses aber nicht beseitigen soll“20.
Vor diesem Hintergrund sind die im Falle der Übertragung von Aktien nicht vorgesehenen Formbestimmungen zu sehen, die der Gesetzgeber bei Übertragung von Geschäftsanteilen an der GmbH eingeführt hat. Die Regierungsbegründung erläutert sie wie folgt: „Entscheidendes Gewicht ist auf die Form zu legen, welche für die Übertragung der Geschäftsantheile vorgeschrieben wird; denn die formalen Voraussetzungen der Übertragung müssen in erster Linie Gewähr dafür bieten, dass die Antheilsrechte der neuen
__________ 18 Vgl. Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11), S. 3728. 19 Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11), S. 3729. 20 S. Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11), S. 3729.
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Zur Formbedürftigkeit der Veräußerung künftiger GmbH-Anteile Gesellschaft nicht zu einem Gegenstand des Handelsverkehrs werden. Hierzu genügt es nicht, die Ausstellung von Inhaberpapieren über die Geschäftsantheile oder die Anwendung des Indossaments als Mittel der Übertragung der auf Namen lautenden Antheilsscheine auszuschließen; denn auch die Übertragung durch eine den Antheilsscheinen beigefügte einfache Cessionserklärung würde unter Umständen ausreichen, um die für einen Handel mit den Antheilen nothwendige Leichtigkeit der Veräußerung zu begründen. Man wird vielmehr weitergehen und eine Form für die Übertragung wählen müssen, für welche die von der Gesellschaft ihren Mitgliedern etwa ausgestellten Bescheinigungen ganz ohne rechtliche Bedeutung sind. Der Herstellung eines marktgängigen Werthpapiers wird jedenfalls am wirksamsten entgegengetreten, wenn die bezeichneten Urkunden überhaupt nicht die rechtliche Funktion erhalten, die Übertragung der Antheilsrechte zu vermitteln. Andererseits muss, wenn die Übertragung ohne die Grundlage eines zur Legitimation des Erwerbers dienenden Antheilsscheines zugelassen wird, die Form des Übertragungsaktes selbst eine derart authentische sein, dass Zweifel und Unklarheiten über die Tathsache der Übertragung nicht entstehen können. Aus diesen Gründen rechtfertigt es sich, die Veräußerung der Geschäftsantheile durch die Gesellschafter nicht anders als durch notariellen oder gerichtlichen Vertrag zu gestatten (§ 15 Absatz 2). … Für die neue Gesellschaft wird die Formvorschrift auch auf obligatorische Geschäfte, welche zur Veräußerung von Geschäftsantheilen verpflichten, auszudehnen sein, da der spekulative Handel mit Gesellschaftsbetheiligungen, welcher hier verhindert werden soll, sich vornehmlich in Geschäften der bezeichneten Art zu vollziehen pflegt (§ 15 Absatz 3)“21.
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Formbestimmungen des § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG ausweislich der Regierungsbegründung aus dem Jahre 1891 in erster Linie den Überlieferungshintergrund haben, dass die Anteilsrechte an der GmbH unter keinen Umständen „zu einem Gegenstande des Handelsverkehrs werden“ sollten22. Da eine Verbriefung der Mitgliedschaft die Gefahr der „Herstellung eines marktgängigen Werthpapiers“ bedeutet hätte, wurde von ihr abgesehen. Die Übertragung der Mitgliedschaft, die gar nicht verbrieft ist, sollte deshalb in einer solch „authentischen Form“ zu erfolgen haben, dass Zweifel und Unklarheiten über die Tatsache der Übertragung bzw. der Entstehung der Übertragungsverpflichtung nicht aufkommen können23. In Rechtsprechung und Lehre ist auf der Grundlage des § 15 Abs. 4 GmbHG unstreitig, dass diese Formvorschrift alle Arten von Kausalgeschäften, insbesondere auch die bedingte Verpflichtung zu einer zukünftigen Übertragung erfasst24.
__________ 21 22 23 24
Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11), S. 3729. Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11), S. 3729. Protokolle des Deutschen Reichstages (Fn. 11), S. 3729. Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 3), § 15 GmbHG Rz. 30 ff.; Lutter/Bayer in Lutter/ Hommelhoff (Fn. 13), § 15 GmbHG Rz. 28 ff.; Roth/Altmeppen, 5. Aufl. 2005, § 15 GmbHG Rz. 81; Winter/Löbbe in Ulmer/Habersack/Winter, 2005, § 15 GmbHG Rz. 40 ff., 84; Winter/Seibt in Scholz (Fn. 13), § 15 GmbHG Rz. 47 ff.; Heinrichs in Palandt, 66. Aufl. 2007, Einf. v. § 145 BGB Rz. 3; Ebbing in Michalski (Fn. 12), § 15 GmbHG Rz. 76 jew. m. w. N.
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III. Die Rechtsprechung des BGH zur Formlosigkeit von Treuhandverträgen über künftige Geschäftsanteile Die Rechtsprechung zur Formlosigkeit von Treuhandverhältnissen betreffend künftige Geschäftsanteile an einer GmbH wurde durch ein Urteil vom 19.4.1999 begründet25. Ihr lag ein Fall zugrunde, in welchem der Treugeber drei Jahre nach Abschluss des Treuhandvertrages vom Treuhänder die Abtretung des Geschäftsanteils verlangt hatte, nachdem beide Vertragsparteien im Zuge streitiger Auseinandersetzungen den Treuhandvertrag fristlos gekündigt hatten. Der Beklagte (Treuhänder) hatte sich unter anderem auf die Formungültigkeit des Treuhandvertrages berufen, der nur privatschriftlich abgefasst worden war. Das Berufungsgericht hatte der Klage mit dem Argument stattgegeben, die Beurkundung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG sei bei Treuhandverträgen dann und deswegen nicht erforderlich, weil sich die Herausgabepflicht des Treuhänders nach Beendigung des Treuhandvertrages schon aus dem Gesetz (§ 667 BGB) ergebe. Dann sei die Formvorschrift des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG weder unmittelbar noch ihrem Sinne nach anzuwenden. Der II. Zivilsenat des BGH ist dem mit folgenden Erwägungen entgegengetreten: „Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist mit dieser Feststellung nichts für die Entscheidung der Frage gewonnen, ob wegen dieser zwangsläufigen Rechtsfolge des Treuhandvertrages (sc. § 667 BGB) das Geschäft nach § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG beurkundungsbedürftig ist oder nicht. Maßgebend ist vielmehr, ob nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift das Beurkundungserfordernis auch für solche Rechtsgeschäfte gilt, die zwar nicht ausdrücklich, aber zwangsläufig – zumindest befristet oder bedingt – die Verpflichtung zur Geschäftsanteilsübertragung begründen“26.
Der BGH hat dazu mit Nachdruck hervorgehoben, dass GmbH-Anteile nach dem Sinn und Zweck des § 15 Abs. 4 GmbHG nicht zum freien Handelsgut gemacht werden sollen: „Anders als die im Wesentlichen dem Schutz vor Übereilung dienende Vorschrift des § 313 BGB (sc. § 311 b Abs. 1 BGB n. F.) zielt § 15 Abs. 4 GmbHG … nicht nur darauf ab, den im Hinblick auf § 16 GmbHG besonders wichtigen Beweis der Anteilsinhaberschaft zu gewährleisten, sondern soll auch vereiteln, dass GmbH-Anteile Gegenstand des freien Handelsverkehrs werden. … Wollte man … eine derartige formfrei geschlossene Vereinbarungstreuhand zulassen, wäre damit im Ergebnis der Rechtsprechung des Senats der Boden entzogen, nach der die formlose Abtretung von Ansprüchen auf Übertragung eines Geschäftsanteils von der Rechtsordnung schlechthin und nicht nur dann nicht anerkannt werden kann, wenn im Einzelfall die Absicht der Umgehung der Formvorschrift festgestellt wird (BGHZ 75, 352, 354 f.)“27.
Eine Ausnahme hat der BGH nur für den Fall anerkannt, dass die Treuhandvereinbarung bereits vor dem Abschluss des notariellen Gesellschaftsvertrages
__________ 25 BGH, BGHZ 141, 207 ff. 26 BGH, BGHZ 141, 207, 211. 27 BGH, BGHZ 141, 207, 211 f.
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getroffen wird. Eine solche Treuhandvereinbarung könne, da weder ein Geschäftsanteil „vorhanden“ noch dessen Entstehen „in die Wege geleitet“ sei „und nur noch von der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister“ abhänge, „formfrei geschehen“28. In einem einschlägigen Beschluss des BGH vom 12.12.200529 heißt es im Leitsatz: „Ein Treuhandvertrag hinsichtlich eines GmbH-Geschäftsanteils unterliegt dem Formzwang des § 15 Abs. 4 GmbHG nur dann nicht, wenn er sich auf noch nicht existente Geschäftsanteile bezieht und vor der Beurkundung des Gesellschaftsvertrages geschlossen wird.“
In den Gründen wird ausgeführt, dass die Formvorschrift sich nicht nur auf einen bereits gehaltenen Geschäftsanteil erstrecke, der Gegenstand einer Treuhandabrede werden solle (Vereinbarungstreuhand), „… sondern nach dem Sinn der Formvorschrift in gleicher Weise für eine Treuhandabrede, die sich auf vorhandene, aber noch zu erwerbende, bei Beendigung des Treuhandverhältnisses jedoch an den Treugeber herauszugebende Geschäftsanteile bezieht. Anders ist dies nur zu beurteilen, wenn die Treuhandabrede im Vorgründungsstadium geschlossen wird, sich aber weder auf bestehende noch nach Abschluss des notariellen Gründungsvertrages künftig mit der Eintragung der GmbH entstehende Geschäftsanteile bezieht“30.
IV. Der Meinungsstand im Schrifttum In einer die Rechtsprechung des BGH zu Treuhandvereinbarungen generalisierenden Weise gehen manche davon aus, dass alle Vereinbarungen, welche die Veräußerung eines erst noch zu schaffenden Geschäftsanteils betreffen, also vor Beurkundung des Gesellschaftsvertrages getroffen werden, nicht formbedürftig seien31. Umgekehrt halten andere die These für unrichtig, nach welcher bei Treuhandverträgen die notarielle Form nicht einzuhalten sei, wenn das Treuhandverhältnis schon vor Errichtung der GmbH vereinbart werde32. Die wohl überwiegende Ansicht referiert demgegenüber nur die Rechtsprechung des BGH zur Treuhand an Geschäftsanteilen und differenziert heute danach, ob es sich um eine sog. „Erwerbstreuhand“ handele, die formlos vereinbart werden könne, oder um eine Vereinbarungs- bzw. Übertragungstreuhand. In den beiden letztgenannten Fällen beziehe sich das Treuhandverhältnis auf einen bereits bestehenden Geschäftsanteil, während die formlos gültige Erwerbstreuhand ungeachtet des Umstandes, dass sie ex lege die Pflicht zur
__________ 28 29 30 31 32
BGH, BGHZ 141, 207, 213 mit Hinweis auf BGH, BGHZ 19, 69 f. BGH, BB 2006, 1646. BGH, BB 2006, 1646. Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 3), § 15 GmbHG Rz. 35 m. w. N. Ebbing in Michalski (Fn. 12), § 15 GmbHG Rz. 208; Armbrüster, DNotZ 1997, 762, 764 jew. m. w. N.
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Abtretung des Geschäftsanteils nach Beendigung des Treuhandverhältnisses begründe (§ 667 BGB), nur den Fall betreffe, dass sich der Treuhänder für den Treugeber an der Gründung einer GmbH beteiligen solle. Die Beurkundungspflicht greife in solchen Fällen nicht ein, da sich erstens die Abtretungsverpflichtung des Treuhänders gegenüber dem Treugeber aus der gesetzlichen Herausgabepflicht (§ 667 BGB) ergebe und zweitens die Vorschrift nach ihrem Normzweck (Verhinderung eines Anteilshandels) nicht betroffen sei“33.
V. Stellungnahme 1. Präzisierung der Entscheidung BGHZ 141, 207 zur Ausnahme von § 15 Abs. 4 GmbHG Die Argumentation, im Falle der Erwerbstreuhand dürfe man die Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG teleologisch reduzieren, „da im Verhältnis zwischen Treugeber und Treuhänder gerade kein Anteilshandel stattfindet, den es zu verhindern gilt“34, besagt nichts zur Formbedürftigkeit einer Veräußerung der Treugeberstellung. Beachtet man die in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung BGHZ 141, 207, stellt der BGH aber gerade darauf ab, dass jeder Treugeber durch Veräußerung seiner Rechtsposition den Geschäftsanteil zum Handelsgut machen könne, was die notarielle Form des Treuhandvertrages rechtfertige: „Wollte man … eine derartige formfrei geschlossene Vereinbarungstreuhand zulassen, wäre damit im Ergebnis der Rechtsprechung des Senates der Boden entzogen, nach der die formlose Abtretung von Ansprüchen auf Übertragung eines Geschäftsanteils von der Rechtsordnung schlechthin und nicht nur dann nicht anerkannt werden kann, wenn im Einzelfall die Absicht der Umgehung der Formvorschrift festgestellt wird“35.
Der Treugeber kann seine Rechtsposition aber auch dann zum Handelsgut machen oder weitere Treuhandverträge mit Dritten abschließen, wenn der Treuhandvertrag sich auf einen Geschäftsanteil bezieht, der im Zuge einer bevorstehenden Errichtung der GmbH erst noch geschaffen werden soll. Die Veräußerlichkeit der Rechtsstellung des Treugebers hängt davon nicht ab. Man kann nämlich auch mit künftigen GmbH-Anteilen Handel treiben, ebenso wie man künftig erst entstehende Ware veräußern kann etc.
__________ 33 So Winter/Seibt in Scholz (Fn. 13), § 15 GmbHG Rz. 230; vgl. auch Winter/Löbbe in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 24), § 15 GmbHG Rz. 195: „Verpflichtet sich der Treuhänder, den Anteil durch Beteiligung an der Gesellschaftsgründung … zu erwerben (Erwerbstreuhand), kann die Formbedürftigkeit nicht aus der Abtretungsverpflichtung des Treuhänders gegenüber dem Treugeber abgeleitet werden. … Vielmehr ist die Vorschrift des § 15 Abs. 4 in diesen Fällen mit Blick auf ihren Normzweck teleologisch zu reduzieren, da im Verhältnis zwischen Treugeber und Treuhänder gerade kein Anteilshandel stattfindet, den es zu verhindern gilt.“; ähnlich auch Lutter/ Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 13), § 15 GmbHG Rz. 59 ff.; weitere Nachw. bei Schulz, GmbHR 2001, 282 ff. 34 Winter/Löbbe in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 24), dort auch weitere Nachw. 35 BGH, BGHZ 141, 207, 212 mit Hinweis auf BGH, BGHZ 75, 352, 354 f.
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Zur Formbedürftigkeit der Veräußerung künftiger GmbH-Anteile
Der BGH hat in der Grundsatzentscheidung vom 19.4.1999 ohne Blick auf eine Anteilsveräußerung durch den Treugeber lediglich argumentiert: „Dies (sc. Treuhandvereinbarung vor Errichtung der GmbH) konnte, da weder ein Geschäftsanteil vorhanden war noch dessen Entstehung in die Wege geleitet und nur noch von der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister abhängig war, formfrei geschehen“36.
Diese Ausnahme vom Formerfordernis i. S. d. § 15 Abs. 4 GmbHG hat nichts mit einem Handel von Geschäftsanteilen zu tun. In ihr kommt die – zutreffende – Erwägung zum Ausdruck, dass die aufschiebend bedingte Verpflichtung des Treuhänders, einen von ihm noch zu übernehmenden Geschäftsanteil nach Beendigung des Treuhandvertrages an den Treugeber abtreten zu müssen (§ 667 BGB), den Treuhandvertrag nicht schon wegen dieser künftigen gesetzlichen Verpflichtung der Form des § 15 Abs. 4 GmbHG unterwerfen kann. Denn diese künftige Verpflichtung aus § 667 BGB ist nicht Inhalt einer Anteilsübertragung oder der darauf gerichteten Verpflichtungserklärung, sondern gleichsam die Folge eines anderen Rechtsgeschäfts (Treuhand), zu deren Abwicklung die Abtretung des Geschäftsanteils gehört37. Dann gilt das Formerfordernis des § 15 Abs. 4 GmbHG richtiger Ansicht nach grundsätzlich nicht. Die Frage kann an dieser Stelle aber noch dahingestellt bleiben38. Denn zur ganz anderen Frage, ob der Treugeber vor Errichtung der GmbH seine Stellung formlos veräußern kann, hat der BGH auch nicht ansatzweise (!) Stellung genommen. 2. Nicht haltbare Interpretation der Entscheidung BGHZ 141, 207 Wollte man die Rechtsprechung des BGH demgegenüber so verstehen, wie sie inzwischen im Sinne einer Verallgemeinerung interpretiert wird39, so wäre der Gesetzeszweck, den Handel mit Geschäftsanteilen möglichst zu erschweren40, nicht erreicht, sondern geradezu auf den Kopf gestellt: Jedermann könnte formfrei mit Geschäftsanteilen einer noch nicht errichteten GmbH Handel treiben! Etwas anderes gälte erst ab dem Zeitpunkt der Errichtung. Vorgründergesellschafter könnten in privatschriftlichen oder gar mündlichen Verträgen ihre künftige Rechtsstellung an einer GmbH zum freien Handelsgut machen! Jeder Erwerber könnte bis zur Errichtung formlos unzählige Nachmänner akquirieren! Die knapp begründete Ausnahme vom Formerfordernis, die der BGH im Falle der Erwerbstreuhand konzediert41, kann und darf so nicht interpretiert werden. In Wirklichkeit ist anzunehmen, dass der II. Zivilsenat des BGH die bezeichnete Ausnahme in seinem Urteil vom 19.4.1999 an die Besonderheit der Treu-
__________
36 BGHZ 141, 207, 213. 37 Dazu und zu weiteren Parallelbeispielen Roth/Altmeppen (Fn. 24), § 15 GmbHG Rz. 82 f. 38 Näher sogl. V. 3. 39 Dazu die Nachw. in Fn. 3. 40 S. dazu II. 41 BGH, BGHZ 141, 207, 213.
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hand vor Errichtung der GmbH, keineswegs aber auf eine Veräußerung der Rechtsstellung des Treugebers in diesem Zeitraum bezogen wissen will42. Der entscheidende, notarieller Form bedürftige Akt ist in dieser Situation die Gründung der GmbH (§ 2 GmbHG), und der Treuhänder ist an diesem förmlichen Akt in seiner Rolle als mittelbarer Stellvertreter seines Geschäftsherrn, des Treugebers, beteiligt. Dann – und insofern ist die bezeichnete Ausnahme im Sinne der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH von selbstverständlicher Richtigkeit – muss nicht auch noch der Treugeber und Geschäftsherr, etwa wegen seines künftigen Anspruchs aus § 667 BGB, am förmlichen Akt der Errichtung der GmbH beteiligt sein, um der bereits vereinbarten Erwerbstreuhand zur Gültigkeit zu verhelfen. Doch die Übertragung der Treugeberstellung ist nach heute völlig herrschender Ansicht vom Formerfordernis des § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG erfasst43. Der II. Zivilsenat des BGH hat auch nicht ansatzweise zu erkennen gegeben, dass die von ihm entwickelte Ausnahme vom Formerfordernis bei der Erwerbstreuhand44 zugleich den Treugeber und seinen Nachmann insofern von den Formerfordernissen des § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG entbinde, als der Treugeber seine Stellung etwa formlos verkaufen und übertragen könne. Eine dahin gehende Interpretation der Rechtsprechung liefe auf die bereits erwähnte – dem Gesetzeszweck krass widersprechende – verallgemeinernde These hinaus, der Handel mit künftigen GmbH-Anteilen müsse formlos möglich sein, wenn und weil das Stadium der Errichtung der GmbH noch nicht erreicht sei. Der BGH hat etwas Derartiges weder behauptet, noch ließe es sich schlüssig begründen. Interpretiert man die BGH-Rechtsprechung in diesem Punkt zutreffend, so ergibt sich daraus genau das Gegenteil: Der BGH wird die Übertragung der Rechtsstellung des Treugebers, der vor Errichtung der GmbH an einen Dritten seine Ansprüche veräußern will, die er aufgrund des Treuhandvertrages erworben hat, konsequent der Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG unterwerfen. Insbesondere in der Entscheidung BGHZ 141, 207 hat der BGH nämlich dargelegt, dass die Veräußerung von Ansprüchen, die auf Verschaffung eines Geschäftsanteils an der GmbH gerichtet sind, jedenfalls der Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG unterliegt, weil auch in dieser Variante mit dem Geschäftsanteil Handel getrieben wird45. Diese Erwägung deckt sich mit der eingehenden Begründung, die der Gesetzgeber im Regierungsentwurf von 1891 zu dem Formerfordernis dargelegt hat46. Endlich wären die Rechtsprechung und h. M., nach welcher die Übertragung der Treugeberstellung von
__________ 42 BGH, BGHZ 141, 207, 213. 43 S. Winter/Seibt in Scholz (Fn. 13), § 15 GmbHG Rz. 230; Fastrich in Baumbach/ Hueck (Fn. 3), § 15 GmbHG Rz. 57; Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 13), § 15 GmbHG Rz. 63; Roth/Altmeppen (Fn. 24), § 15 GmbHG Rz. 51, 79 jew. m. w. N. 44 BGH, BGHZ 141, 207, 213. 45 BGH, BGHZ 141, 207, 212 (Fn. 35). 46 Näher II.
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Zur Formbedürftigkeit der Veräußerung künftiger GmbH-Anteile
§ 15 Abs. 3 und 4 GmbHG erfasst sein soll47, unschlüssig, wenn vor Errichtung (warum?) etwas anderes gälte. 3. Die Grenzen der ratio legis des § 15 Abs. 4 GmbHG Der historische Gesetzgeber wollte die Übertragung von Anteilen an der GmbH mit Rücksicht auf ihren der Personengesellschaft entsprechenden Charakter erschweren48. Aus historischer Sicht darf man dazu nicht vergessen, dass der Gesetzgeber die Übertragung der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft seinerzeit für unmöglich hielt49. Nachdem die gesellschaftsrechtliche Dogmatik darüber hinweggegangen ist, besteht der Unterschied in der Verkehrsfähigkeit von Anteilen an der Personengesellschaft einerseits und der GmbH andererseits heute darin, dass erstere mangels abweichender Vereinbarung vinkuliert sind (§§ 718, 719 BGB; §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB), während die Vinkulierung im Falle der GmbH besonders vereinbart werden muss (§ 15 Abs. 5 GmbHG). Betrachtet man die Motive des historischen Gesetzgebers genau, sollte der Formzwang in Gestalt notarieller Beurkundung Beweiszwecken dienen, wenn und weil die Veräußerung von Anteilen an der GmbH – anders als im Falle der AG – nicht „wertpapiermäßig“ erfolgt50. Das Problem der tatsächlichen Nachweisbarkeit zu dem hier interessierenden Veräußerungsvorgang stellt sich in der Praxis allerdings bis auf den heutigen Tag vielfach, eben weil die Mitgliedschaft in der GmbH nicht verbrieft ist und auch die Liste der Gesellschafter, die beim Handelsregister zu hinterlegen ist51, keine Richtigkeitsgewähr hinsichtlich des aktuellen Gesellschafterbestandes bietet. Zwar kann auch der Notar die damit zusammenhängenden Probleme nicht verhindern, sie aber im Vorfeld erläutern und die am Veräußerungsgeschäft beteiligten Personen dazu anhalten, für weitere Klärung zu sorgen, wenn Anlass dafür besteht. Endlich kann die vom Gesetzgeber des Jahres 2007 erneut getroffene Entscheidung für eine Beteiligung des Notars am Veräußerungsgeschäft zur Aufklärung der Parteien, namentlich des Erwerbers hinsichtlich der Risiken beitragen, die sich aus der Mitgliedschaft in einer GmbH ergeben. Aus dem Gesagten folgt weiter, dass die notarielle Form dann und nur dann einen Sinn macht, wenn es um Verträge geht, deren Inhalt eine Verpflichtung zur Übertragung des Geschäftsanteils begründen soll. Darauf gerichtete einseitige Rechtsgeschäfte bedürfen nach allgemeiner Ansicht notarieller Form nicht52, weil sich das Beweisproblem ebenso wenig stellt wie dasjenige einer Belehrung des Erwerbers über seine Rechte und Pflichten nach dem GmbHG.
__________ 47 48 49 50 51 52
S. dazu die Nachw. in Fn. 43. S. dazu eingehend II. S. die Nachw. in Fn. 9. S. die Nachw. in Fn. 11–21. Vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG. S. nur die Nachw. bei Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 3), § 15 GmbHG Rz. 31; Roth/Altmeppen (Fn. 24), § 15 GmbHG Rz. 82.
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Bei Verträgen, deren Inhalt nicht auf Veräußerung des Geschäftsanteils gerichtet ist, gibt es ebenfalls keinen Raum für die Anwendung des § 15 Abs. 4 GmbHG53. Das gilt insbesondere auch für Verträge, deren Ziel im Sinne des beabsichtigten wirtschaftlichen Erfolges nicht die Veräußerung des Geschäftsanteils, diese vielmehr nur eine selbstverständliche Abwicklungsnebenfolge ist. So macht es keinen Sinn, einen Geschäftsbesorgungsvertrag dann und deswegen dem Formzwang notarieller Beurkundung zu unterwerfen, wenn und weil der Geschäftsbesorger irgendwann dazu verpflichtet ist, seinem Geschäftsherrn den Geschäftsanteil an einer GmbH (oder auch ein Grundstück, § 311 b Abs. 1 BGB) herauszugeben (§ 667 BGB)54. Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob dieser Geschäftsanteil bei Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages schon existiert oder nicht55. Wer etwa treuhänderisch für einen anderen einen Geschäftsanteil erwerben soll, muss bei dem Erwerbsvorgang in seiner Person die Formerfordernisse erfüllen, im Falle der Neugründung der GmbH nach Maßgabe des § 2 GmbHG, beim derivativen Erwerb gelten für ihn § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG. Der Treuhandvertrag hat demgegenüber nicht die Veräußerung eines Geschäftsanteils vom Treuhänder an den Treugeber zum Inhalt, schon gar nicht im Sinne eines Umsatzgeschäftes, an welches der historische Gesetzgeber bei Schaffung des Formerfordernisses gedacht hat56. Wäre es anders, käme es zudem nicht darauf an, ob der Geschäftsanteil bei Abschluss des Treuhandvertrages schon existiert oder nicht57. Anders verhält es sich selbstverständlich mit einer Abtretung des Anspruchs auf Verschaffung des Geschäftsanteils, den der Treugeber hat (§ 667 BGB)58: Dieses Rechtsgeschäft ist auf die Veräußerung eines Geschäftsanteils an der GmbH gerichtet und damit formgebunden. Der Treuhandvertrag ist in solchen Fällen allenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 2 GmbHG notariell zu beurkunden59. Die Erfüllung der Verschaffungspflicht des Geschäftsbesorgers aus § 667 BGB hat nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 GmbHG (selbstverständlich) förmlich zu erfolgen. 4. Der Handel mit „künftigen“ GmbH-Anteilen Nach allem kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, dass der Handel mit künftigen GmbH-Anteilen von der ratio des § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG erfasst sein muss. An den Nachweis der beteiligten Personen, der Legitimation des
__________ 53 S. Roth/Altmeppen (Fn. 24), § 15 GmbHG Rz. 82. 54 Zutr. bereits RG, RGZ 54, 75, 79 (betr. § 313 BGB a. F.); BGH, BGHZ 19, 69, 70; BGH, WM 1971, 306, 307; weitere Nachw. bei Roth/Thöni, 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 245, 274; Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl. 1992, § 2 GmbHG Rz. 67; missverständlich, wenn nicht sogar unrichtig insoweit das obiter dictum in BGH, BGHZ 141, 207, 211 (o. Fn. 26). 55 Die gegenteilige heutige Ansicht in Rspr. und Lehre (dazu III. und IV.) geht fehl und beruht auf einem missglückten obiter dictum in BGH, BGHZ 141, 207, 211 (Fn. 26). 56 Eingehend II. sowie Fn. 54. 57 S. dazu die Nachw. in Fn. 33 sowie Ebbing in Michalski (Fn. 12), § 15 GmbHG Rz. 208 ff.; Roth/Altmeppen (Fn. 24), § 15 GmbHG Rz. 83. 58 Dazu Fn. 43. 59 Dazu sogl. V. 5.
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Veräußerers, der wirksam begründeten rechtsgeschäftlichen Verpflichtung zur Veräußerung und ihres Vollzuges sind aus den vom historischen Gesetzgeber dargelegten Gründen die Formanforderungen zu stellen, derer es bedarf, weil Geschäftsanteile an der GmbH nicht verbrieft sind60. Der Umstand, dass künftige Anteile an einer GmbH von vornherein nicht verbrieft sein können, ändert nichts an der Einschlägigkeit der ratio legis. Das vom Gesetzgeber gesehene Beweisproblem stellt sich sogar in besonderem Maße, wenn die GmbH, um deren Geschäftsanteile es geht, noch nicht einmal errichtet ist. Auch der auf Rechtsberatung hinauslaufende Zweck des Formerfordernisses kann schon Geltung beanspruchen, wenn das bindende Kausalgeschäft sich auf eine künftige Übertragung des Geschäftsanteils an einer GmbH bezieht. Die Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 199961 handelt demgegenüber gar nicht von dem Fall des § 15 Abs. 4 GmbHG, weil die Erwerbstreuhand nicht auf ein Umsatzgeschäft hinsichtlich eines Geschäftsanteils an einer GmbH gerichtet ist62. 5. Künftiger Anteilserwerb und Formzwang nach § 2 GmbHG In der Praxis gibt es verschiedene Vertragstypen, die letztlich darauf gerichtet sind, den Erwerbern Anteile an einer vom Veräußerer noch zu gründenden GmbH zu verschaffen. Paradigmatisch ist ein Optionsvertrag, kraft dessen der Verkäufer sich hinsichtlich eines konkreten Verkaufsangebots (put-Option) und der Käufer sich hinsichtlich eines entsprechenden Kaufangebots (callOption) schon zu einem Zeitpunkt bindet, in welchem die GmbH als Trägerin und Zielgesellschaft für ein bestimmtes Unternehmen noch geschaffen werden muss, sei es durch Neugründung oder Umwandlung. Der Verkäufer verpflichtet sich in dieser Situation aber schon dazu, sich an der Gründung dieser GmbH zu beteiligen; im Falle der Einmann-Gesellschaft soll er allein gründen. Die Gründung einer GmbH bedarf nach § 2 GmbHG der notariellen Beurkundung. Entsprechendes gilt für Umwandlungsmaßnahmen, die der Errichtung einer GmbH dienen sollen (§§ 6, 125 Satz 1, 197 Satz 1 UmwG i. V. m. § 2 GmbHG). Die Formvorschrift soll den Gesellschaftern anlässlich der Errichtung einer GmbH nach ständiger Rechtsprechung insbesondere „die Bedeutsamkeit der von ihnen abzugebenden Willenserklärungen zum Bewusstsein bringen“ und die Beratung durch einen amtlich bestellten Notar gewährleisten. Um die Gesellschafter davor zu bewahren, voreilig Verpflichtungen einzugehen, die sich aus einer GmbH-Gründung ergeben, bedarf deshalb insbesondere auch ein Vertrag, in welchem sich künftige Gesellschafter zur Errichtung einer GmbH verpflichten, nach ständiger Rechtsprechung und völlig h. M. im Schrifttum in
__________ 60 S. die Nachw. in Fn. 11–21. 61 BGH, BGHZ 141, 207 ff. 62 Dazu V. 3.
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entsprechender Anwendung des § 2 GmbHG notarieller Form63. Nichts anderes kann dann für eine Verpflichtung zur Umwandlung in eine GmbH gelten64. Allerdings ist das Formerfordernis analog § 2 GmbHG auf den Fall beschränkt, dass der Gründungsvorvertrag eine echte Verpflichtung zur Errichtung der GmbH enthalten soll und nicht nur der bloßen Vorbereitung und Planung dient65. Die Frage ist insofern eher theoretischer Natur, als aus einem formnichtigen Gründungsvorvertrag ohnehin kein Erfüllungsanspruch entstehen kann66, während ein notariell beurkundeter Gründungsvorvertrag kaum jemals auf rechtlich unverbindliche „bloße Vorbereitung und Planung“ der Errichtung einer GmbH konzipiert sein wird. Im Schrifttum wird die Formbedürftigkeit von Gründungsvorverträgen einer GmbH mit Recht davon abhängig gemacht, dass jede Vertragspartei notfalls zum Abschluss des Vertrages verurteilt werden kann67. Dies ist schon mit Rücksicht auf § 894 ZPO, der die entsprechende Willenserklärung mit Rechtskraft des Urteils ersetzt, zu fordern. In der hier interessierenden Konstellation verpflichtet sich aber nur ein Vertragsteil gegenüber seinem Kontrahenten (dem künftigen Erwerber des Geschäftsanteils) dazu, die GmbH zu errichten (Einmann-Gesellschaft) oder an der Errichtung – mit einer oder mehreren anderen Personen – mitzuwirken. Gleichwohl muss auch eine solche Verpflichtungserklärung, die auf Gründung der GmbH gerichtet ist und einklagbar sein soll, schon wegen der Bedeutsamkeit der Gründung einer GmbH vom Sinn und Zweck der Formvorschrift des § 2 GmbHG erfasst sein68. Insbesondere kann nicht angenommen werden, der Gründungsvorvertrag sei formfrei möglich, wenn nicht alle künftigen Gesellschafter an ihm beteiligt sind. Maßgebend ist allein, dass jede bindende und damit einklagbare Erklärung, die sich auf Gründung einer GmbH bezieht, nach dem Willen des Gesetzgebers an die Beteiligung eines Notars geknüpft ist. Die Alternative, dass man sich zur Gründung einer GmbH gar nicht verpflichten kann, solange nicht sämtliche Gesellschafter entsprechende Erklärungen abgeben, wäre nichts weiter als eine petitio principii, die nach dem Grundsatz
__________ 63 Ständige Rechtsprechung seit RG, RGZ 43, 136, 139; 66, 116, 121; 106, 174, 176; 130, 73, 75; 149, 385, 395; 126, 129, 138; übernommen von BGH, ZIP 1988, 89, 90 = NJWRR 1988, 288 ff. = BB 1988, 159 ff.; Karsten Schmidt in Scholz (Fn. 13), § 11 GmbHG Rz. 12; Emmerich in Scholz (Fn. 13), § 2 GmbHG Rz. 78; Fastrich in Baumbach/ Hueck (Fn. 3), § 2 GmbHG Rz. 29; Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 13), § 2 GmbHG Rz. 3; Michalski (Fn. 12), § 2 GmbHG Rz. 7; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff (Fn. 13), § 2 GmbHG Rz. 85; Roth/Altmeppen (Fn. 24), § 2 GmbHG Rz. 48; weitere Nachw. bei Flume in FS Geßler, 1971, S. 3, 18 f. 64 Heckschen in Widmann/Mayer, Loseblatt, § 6 UmwG Rz. 33 (Stand: Oktober 2006); Lutter/Drygala in Lutter, 3. Aufl. 2004, § 6 UmwG Rz. 3; Priester in Lutter, § 126 UmwG Rz. 13; Marsch-Barner in Kallmeyer, 3. Aufl. 2006, § 4 UmwG Rz. 8, § 5 UmwG Rz. 1; Schröer in Semler/Stengel, 2003, § 6 UmwG Rz. 4, § 126 UmwG Rz. 10. 65 Vgl. die Nachw. in Fn. 63. 66 Vgl. nur BGH, NJW-RR 1988, 288 ff. = ZIP 1988, 89 ff. 67 Vgl. die Nachw. bei Roth/Altmeppen (Fn. 24), § 2 GmbHG Rz. 48. 68 Vgl. dazu die Nachw. in Fn. 63; zur Umwandlung in eine GmbH s. Fn. 64.
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der Vertragsfreiheit ausscheiden muss. Die umgekehrte Alternative, dass eine einklagbare Verpflichtung zur Gründung einer GmbH formlos möglich sein müsse, solange sich nicht alle künftigen Gesellschafter entsprechend verpflichten, widerspricht aber der ratio legis des § 2 GmbHG in eklatantem Maße. Die Verpflichtung zur Übertragung künftiger GmbH-Anteile, die den Veräußerer zugleich zur Gründung oder zur Mitwirkung an der Gründung einer GmbH verpflichten soll, unterliegt nach allem (auch) dem Formerfordernis des § 2 GmbHG. Entsprechendes gilt für Geschäftsanteile, die aus einer künftigen Umwandlungsmaßnahme hervorgehen sollen69. Das Gründungsversprechen ist hier zwar allein dem Kausal- und Erfüllungsgeschäft zur Anteilsübertragung gewidmet, davon aber gedanklich auch dann zu scheiden, wenn – was praktisch der Regelfall sein dürfte – nur eine notarielle Urkunde zu diesem geschäftlichen Vorgang errichtet wird. Letzterer bedarf es hier also gleich aus mehreren Gründen, obgleich nur ein „erst noch zu schaffender Geschäftsanteil“ übertragen werden soll70.
VI. Ergebnisse 1. Die Verpflichtung zur Übertragung künftiger GmbH-Anteile ist entgegen einer sich tendenziell ausbreitenden Ansicht, die eine im Ergebnis zutreffende Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 1999 zur Erwerbstreuhand (BGHZ 141, 207) fehlerhaft interpretiert, formbedürftig (§ 15 Abs. 4 GmbHG). Der Treuhandvertrag unterliegt demgegenüber auch dann nicht dem Formzwang (§ 15 Abs. 4 GmbHG), wenn der Geschäftsanteil, auf den sich die Treuhand bezieht, bei Vertragsabschluss schon existiert. Aufgrund eines zumindest missverständlichen obiter dictum in besagter BGH-Entscheidung wird insoweit heutzutage – zu Unrecht – zwischen schon bestehenden und künftigen Geschäftsanteilen differenziert. 2. Ratio legis des Beurkundungszwangs i. S. d. § 15 Abs. 4 GmbHG ist in erster Linie die Dokumentation, Verifizierbarkeit und Beweisbarkeit des wirtschaftlich bedeutsamen Vorgangs der Veräußerung eines Geschäftsanteils an der GmbH, weil seine formlose Veräußerung für die Praxis erhebliche Rechtssicherheitsprobleme begründen würde. Einseitige Rechtsgeschäfte und solche Verträge, deren Inhalt gar nicht auf Veräußerung des Geschäftsanteils gerichtet, letztere vielmehr nur eine Abwicklungsnebenfolge des auf einen anderen wirtschaftlichen Erfolg gerichteten Vertrages ist, werden vom Formerfordernis des § 15 Abs. 4 GmbHG deshalb nicht erfasst. Der Treuhandvertrag ist in diesem Sinne nicht auf Veräußerung eines Geschäftsanteils gerichtet, gleich, ob der Geschäftsanteil bei Vertragsabschluss ein gegenwärtiger oder künftiger ist. Die Veräußerung der Treugeberstellung ist umgekehrt formgebunden (§ 15 Abs. 3 und 4 GmbHG), auch wenn es den Geschäftsanteil noch gar nicht gibt (Erwerbstreuhand).
__________ 69 Dazu Fn. 64. 70 Vgl. aber die Nachw. in Fn. 3.
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3. Verpflichtet sich der Veräußerer, was im Zusammenhang mit künftigen GmbH-Anteilen oftmals vorkommt, an der Gründung einer GmbH mitzuwirken, um dem Erwerber die dabei entstehende Mitgliedschaft abzutreten, ergibt sich ein weiteres Formerfordernis aus § 2 GmbHG analog bzw. aus entsprechender Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des UmwG (§§ 6, 125 Satz. 1, 197 Satz 1 UmwG i. V. m. § 2 GmbHG). Denn die einklagbare Verpflichtung zur Mitwirkung an der Errichtung einer GmbH unterliegt aus Gründen der Bedeutsamkeit solcher Rechtsgeschäfte den Formvorschriften zum eigentlichen Gründungsakt. Daran ändert der Umstand nichts, dass in den hier interessierenden Fällen oftmals nur einer von mehreren Gesellschaftern, welche die GmbH errichten sollen, in einem Vertrag mit dem künftigen Erwerber das Gründungsversprechen erklärt.
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Die gerichtliche Kontrolle der Bewertung der Sacheinlage bei der gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Sachverhalt im Freigabeverfahren ThürOLG 6 W 452/06 III. Rechtsschutz gegen die Überbewertung der Sacheinlage bei der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss IV. Die Konstellation der gemischten Barund Sacheinlage
1. Gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung mit gekreuztem Bezugsrechtsausschluss 2. Gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung mit einheitlicher Beschlussfassung 3. Speziell: Umstrukturierungen im Konzern V. Ausblick de lege ferenda
I. Einleitung Sachkapitalerhöhungen sind für die Mitaktionäre in zweifacher Hinsicht problematisch: Zum einen verringert sich ihre Quote, soweit sie an der Kapitalerhöhung nicht teilnehmen, weil ihr Recht zum Bezug der neuen Aktien ausgeschlossen ist. Zum anderen riskieren sie – zusätzlich zu ihrem Quotenverlust – Vermögensverluste, falls die Sacheinlage überbewertet ist, also nicht dem Wert der für sie ausgegebenen neuen Aktien entspricht. Aufgabe eines sachgerechten Aktienrechts ist die Bereitstellung einer Regelung, die ökonomisch sinnvolle Sachkapitalerhöhungen ermöglicht, jedoch zugleich auch gewährleistet, dass eine ungerechtfertigte Bevorteilung des Sacheinlegers verhindert wird. Der gesetzliche Schutzmechanismus soll darüber hinaus auch noch möglichst effektiv funktionieren. Diesem Anspruch wird die lex lata noch nicht in jeder Hinsicht gerecht; de lege ferenda werden daher bereits seit längerem Korrekturen gefordert. Es würde den Jubilar allerdings sicherlich langweilen, wollte man diese, im Schrifttum heute weitgehend einmütig unterbreiteten Vorschläge, in dieser Festschrift nochmals in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen1. Gegenstand dieses Beitrags soll vielmehr ein Rechtsproblem sein, das in der Wissenschaft bislang noch wenig Beachtung gefunden hat, jedoch sowohl den gesellschaftsrechtlichen Dogmatiker als auch den Praktiker Harm Peter Westermann interessieren dürfte. Es handelt sich um das Problem der Gewährung effektiven Rechtsschutzes für Aktionäre, die im Falle einer gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung eine Überbewertung der Sacheinlage geltend machen.
__________ 1 Ausf. Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 544 ff.; vgl. weiter M. Winter in FS Ulmer, 2003, S. 699, 719 ff. Dazu noch in aller Kürze unter V.
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Auf die Thematik aufmerksam wurde der Verfasser dieses Beitrags in seiner Eigenschaft als kommissarischer Vorsitzender des für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten zuständigen 6. Zivilsenats des Thüringer OLG im Rahmen eines Freigabeverfahrens nach dem durch das UMAG2 neu geschaffenen § 246a AktG. Soweit ersichtlich, handelt es sich bei dem Beschluss vom 12.10.20063 um die erste gerichtliche Entscheidung zu dieser Problematik. In der Sache wird der im Praktikerschrifttum bislang vorherrschenden Auffassung widersprochen, dass ein Kapitalerhöhungsbeschluss nicht wegen (objektiver) Überbewertung der Sacheinlage anfechtbar sein soll, wenn statt einer doppelten Beschlussfassung mit einem gekreuzten Bezugsrechtsausschluss eine einheitliche gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung vorgenommen wird.
II. Der Sachverhalt im Freigabeverfahren ThürOLG 6 W 452/06 Die Hauptversammlung der Carl Zeiss Meditec AG hatte am 10.3.2006 beschlossen, ihr Grundkapital von 32 523 844 Euro um 48 785 766 Euro auf 81 309 610 Euro zu erhöhen, und zwar in der Weise, dass die neuen Aktien teils gegen Sacheinlage, teils gegen Bareinlage mit einem Bezugsverhältnis von 2:3 zu einem Bezugspreis von 10,10 Euro ausgegeben werden; dabei wurde der mit 52,6 % am Grundkapital beteiligten Carl Zeiss AG gestattet, als Sacheinlage die Carl Zeiss Surgical GmbH einzubringen. Die Carl Zeiss, Inc. – eine US-Tochter der Carl Zeiss AG und mit 12,4 % an ihrer Schwestergesellschaft beteiligt – war berechtigt, als Sacheinlage die Carl Zeiss Surgical, Inc. einzubringen. Für die einzubringende Carl Zeiss Surgical GmbH sollte die Carl Zeiss AG 25 426 038 neue Aktien erhalten, für die einzubringende Carl Zeiss Surgical, Inc. die Carl Zeiss, Inc. 6 074 256 neue Aktien. Alle übrigen Aktionäre konnten die neuen Aktien nur gegen Bareinlage beziehen. Im Wege der Beschlussanfechtung wurde unter anderem eine Überbewertung der Sacheinlage geltend gemacht4.
III. Rechtsschutz gegen die Überbewertung der Sacheinlage bei der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss Mit einer Sachkapitalerhöhung ist in aller Regel ein Ausschluss des Bezugsrechts für jene Aktionäre verbunden5, die nicht als Sacheinleger zugelassen
__________ 2 Gesetz zur Unternehmensintegrität und zur Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. I, S. 2802. 3 Thüringer OLG, Beschl. v. 12.10.2006 – 6 W 452/06, abgedruckt in ZIP 2006, 1989 = AG 2007, 31 = OLG-NL 2006, 243 (Carl Zeiss Meditec). 4 Vgl. wegen weiterer Einzelheiten ThürOLG (Fn. 3). Weitere Sachverhalte bei Hennerkes/Binge, AG 1996, 119, 122. 5 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 183 AktG Rz. 8, § 186 AktG Rz. 34; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1989, § 186 AktG Rz. 78; Peifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 183 AktG Rz. 32; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 167.
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sind6. Grundsätzlich bedarf jeder Bezugsrechtsausschluss der sachlichen Rechtfertigung im Sinne der Kali+Salz-Rechtsprechung des BGH7. Voraussetzung ist somit: Der Bezugsrechtsausschluss muss im Interesse der Gesellschaft liegen sowie darüber hinaus für den angestrebten Zweck erforderlich und im Hinblick auf die Interessen der Mitaktionäre auch verhältnismäßig sein8. Diese Voraussetzungen gelten nach deutschem Aktienrecht auch für eine Sachkapitalerhöhung9. Die Tatsache, dass in verschiedenen ausländischen Rechtsordnungen Sachkapitalerhöhungen auch ohne ausdrücklichen Ausschluss des Bezugsrechts zulässig sind und deshalb auch in Art. 29 der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Kapitalrichtlinie) ein Bezugsrecht der Aktionäre nur im Falle einer Barkapitalerhöhung europarechtlich vorgeschrieben ist, nicht aber bei der Sachkapitalerhöhung10, steht dieser (strengeren) Regelung im deutschen Aktienrecht nicht entgegen11. Zu Recht hat vielmehr der EuGH – anders als noch Generalanwalt Tesauro12 – darauf hingewiesen, dass es den Mitgliedstaaten frei steht, ein Bezugsrecht für den Fall der Kapitalerhöhung durch Sacheinlagen vorzusehen13. Daher gilt: Erforderlich ist der Bezugsrechtsausschluss nur, wenn die Sacheinlage nicht unter Einsatz von Barmitteln (Barkapitalerhöhung) erworben werden
__________ 6 Gem. § 183 Abs. 1 Satz 1 AktG sind im Kapitalerhöhungsbeschluss der Gegenstand der Sacheinlage und die Person, von der die AG den Gegenstand erwerben soll, anzugeben. 7 BGHZ 71, 40 – Kali+Salz. 8 Auch nach der Siemens-Nold-Entscheidung des BGH in BGHZ 136, 133 sind die Kali+Salz-Grundsätze für die reguläre Kapitalerhöhung unbestritten; vgl. nur Hüffer (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 26 ff.; Peifer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 71 ff.; für das genehmigte Kapital ist dies umstritten; nach zutreffender Auffassung wurden indes auch dort die materiellen Kali+Salz-Voraussetzungen nicht aufgegeben, sondern allein die Holzmann-Berichtspflichten aus BGHZ 83, 319 korrigiert; vgl. dazu ausf. Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 203 AktG Rz. 116 ff.; wie hier auch Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 63 ff.; Hüffer (Fn. 5), § 203 AktG Rz. 35; a. A. Henze, ZHR 167 (2003), 1, 3; Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 574 ff. 9 Hüffer (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 34; Wiedemann in Großkomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 167. 10 Dazu ausf. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, Rz. 358; Wiedemann in Großkomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 16 ff.; rechtsvergleichend Bagel, Der Ausschluß des Bezugsrechts in Europa, 1999. 11 So die ganz h. M.: Hüffer (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 34a; Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 19, 167; vgl. weiter Bayer/J. Schmidt in Bayer/Habersack (Hrsg)., Aktienrecht im Wandel, 2007, Kap. 18 Rz. 67; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006, § 6 Rz. 72; a. A. etwa Kindler, ZHR 158 (1994), 339, 352 ff. 12 Tesauro in Rs C-83/91, WM 1992, 1570, 1572 – Meilicke/ADV-ORGA; ders., EuGH Slg 1996-I, 6017, 6019 ff. – Siemens/Nold. 13 EuGH Slg 1996-I, 6017, 6034 ff. = NJW 1997, 721 – Siemens-Nold. Vgl. Vorlagebeschluss BGH, AG 1995, 227; dazu Drinkuth, IStR 1997, 312; Grundmann (Fn. 10), Rz. 359 f.; Habersack (Fn. 11), § 6 Rz. 73; Kindler, ZGR 1998, 35, 41 ff.; Wiedemann, JZ 1997, 1058.
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kann14. Soweit der Sacheinleger bereits Aktionär ist, kann der Bezugsrechtsausschluss unter dem Aspekt der Gleichbehandlung (§ 53a AktG) unverhältnismäßig sein, wenn keine gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung vorgenommen wird; denn mit einer solchen gemischten Kapitalerhöhung lassen sich die bisherigen Beteiligungsquoten der Aktionäre ohne weiteres aufrecht erhalten15. Anfechtbar ist der Kapitalerhöhungsbeschluss in zweifacher Richtung: Zum einen nach der in § 255 Abs. 1 AktG mit Verweis auf § 243 AktG nur wiederholten allgemeinen Anfechtungsregelung, speziell dann, wenn die formellen Voraussetzungen für die Kapitalerhöhung (§§ 182, 183 AktG) oder für den Bezugsrechtsausschluss (§ 186 AktG) nicht vorliegen, zum anderen aber insbesondere auch dann, wenn der formell rechtmäßige Bezugsrechtsausschluss nach den Kali+Salz-Grundsätzen des BGH sachlich-materiell nicht gerechtfertigt ist16. Zum anderen ist aber analog § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG anfechtbar auch die formell rechtmäßige Beschlussfassung einer Sachkapitalerhöhung mit einem sachlich-materiell gerechtfertigten Bezugsrechtsausschluss, wenn die Sacheinlage (objektiv) überbewertet wurde17. Der Wortlaut der im Rahmen der Aktienrechtsreform 1965 neu in das Gesetz aufgenommenen anfechtungsrechtlichen Spezialvorschrift des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG regelt zwar allein den Fall, dass die „Anfechtung, wenn das Bezugsrecht der Aktionäre ganz oder zum Teil ausgeschlossen worden ist, auch darauf gestützt werden (kann), dass der sich aus dem Erhöhungsbeschluss ergebende Ausgabebetrag oder der Mindestbetrag, unter dem die neuen Aktien nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig ist“. Die Regelung zielt damit zunächst nur auf eine Barkapitalerhöhung, bei der das Bezugsrecht der Aktionäre ganz oder teilweise ausgeschlossen ist18. Jedoch ist heute allgemein anerkannt, dass die Vorschrift des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG auch auf die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen analog Anwendung findet19. Ist nämlich die Sacheinlage überbewertet, dann
__________
14 Hüffer (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 34; Hefermehl/Bungeroth in Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff, AktG, 1989, § 186 AktG Rz. 122; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 79; Peifer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 90; Wiedemann in Großkomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 168. 15 So zuerst Lutter, ZGR 1979, 401, 406 f.; vgl. weiter ders. in KölnKomm.AktG (Fn. 5) § 186 AktG Rz. 79 sowie ebenso: Hüffer (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 34; Hefermehl/ Bungeroth in G/H/E/K (Fn. 14), § 183 AktG Rz. 37; ausf. Schockenhoff Gesellschaftsinteresse und Gleichbehandlung beim Bezugsrechtsausschluß, 1988, S. 65 ff.; für das genehmigte Kapital auch Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 203 AktG Rz. 134. 16 BGHZ 71, 40 – Kali+Salz; zustimmend Hüffer (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 25 ff.; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 78 ff.; Peifer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 71 ff.; Wiedemann in Großkomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 134 ff. m. w. N.; ausf. zum Ausschluss des Bezugsrechts auch Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 203 AktG Rz. 52 ff., 61 ff. m.z.w.N. 17 Ausf. Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 534; ders., ZHR 168 (2004), 132, 140 f., 156. 18 Hüffer (Fn. 5), § 255 AktG Rz. 6; Martens in FS Röhricht, 2005, S. 987, 991. 19 Grundlegend BGHZ 71, 40, 50 ff.; Hüffer (Fn. 5), § 255 AktG Rz. 7; K. Schmidt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 255 AktG Rz. 5; Martens in FS Röhricht (Fn. 18), S. 987, 991 ff. m. w. N.
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findet im Ergebnis eine „Quersubventionierung“ des Sacheinlegers zu Lasten der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre statt20. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 255 Abs. 2 AktG ist es jedoch, im Rahmen einer Kapitalerhöhung erfolgte Vermögensverschiebungen zu unterbinden, die im Ergebnis die Altaktionäre (oder einen Teil der Aktionäre) benachteiligen21. Ist daher das Bezugsrecht der Aktionäre zugunsten eines Sacheinlegers ausgeschlossen, so ist regelmäßig ein doppeltes Bewertungsverfahren erforderlich: Zum einen muss der Wert der neuen Aktien, zum anderen auch der Wert der Sacheinlage festgestellt werden; beide Werte sind grundsätzlich auch nach denselben Bewertungsmethoden zu ermitteln22.
IV. Die Konstellation der gemischten Bar- und Sacheinlage Die gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung wurde in der Praxis als Reaktion auf BGHZ 71, 40 (Kali+Salz) entwickelt. Ausgangspunkt ist der (zutreffende) Standpunkt der h. M., dass eine Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss nur dann verhältnismäßig und damit sachlich gerechtfertigt sei, wenn ausnahmsweise eine gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung aufgrund der Besonderheiten des Sachverhalts (z. B. Sanierungsfall) nicht in Betracht komme (oben III.). Allerdings sind in der Praxis zwei Varianten zu unterscheiden: 1. Gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung mit gekreuztem Bezugsrechtsausschluss Im Anschluss an Marcus Lutter erfolgte eine gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung in der Praxis rechtstechnisch zunächst im Wege einer doppelten Beschlussfassung: Einerseits wurde eine Barkapitalerhöhung beschlossen mit einem Bezugsrechtsausschluss für den Sacheinleger, andererseits eine Sachkapitalerhöhung mit einem Bezugsrechtsausschluss für die übrigen Aktionäre (sog. gekreuzter Bezugsrechtsausschluss)23. In dieser Konstellation der gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung aufgrund einer doppelten Beschlussfassung ist der jeweilige Bezugsrechtsausschluss regelmäßig sachlich gerechtfertigt und rechtmäßig, insoweit daher eine erfolgreiche Anfechtung nicht möglich. Die im Rahmen der Sachkapitalerhöhung vom Bezugsrecht ausge-
__________ 20 So zutreffend Habersack, Die Mitgliedschaft – ein subjektives und „sonstiges“ Recht, 1995, S. 260; vgl. auch Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 515. 21 Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 515; Hüffer (Fn. 5), § 255 AktG Rz. 2; ausf. Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl. 1996, S. 262 ff.; zur europäischen Perspektive auch Grundmann (Fn. 10), Rz. 358. 22 Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 92; Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 534 f.; Lappe, BB 2000, 313, 315. 23 Lutter, ZGR 1979, 401, 406 f.; ders. in KölnKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 79 a. E., 83 a. E.; vgl. weiter Groß, AG 1993, 449, 453 f.; vgl. auch zum gekreuzten Bezugsrechtsausschluss bei einer Kapitalerhöhung mit unterschiedlichen Aktiengattungen: Krieger in MünchHdb.GesR, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 56 Rz. 61, 72; Peifer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 94; ausf. Scheifele, BB 1990, 497 ff.
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schlossenen Aktionäre sind indes nicht gehindert, die Beschlussfassung wegen Überbewertung der Sacheinlage gem. § 255 Abs. 2 AktG (analog) anzufechten24. 2. Gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung mit einheitlicher Beschlussfassung a) Rechtstechnisch lässt sich das Ergebnis einer unveränderten Beteiligungsquote aber auch durch einen einheitlichen Kapitalerhöhungsbeschluss erreichen, nämlich in der Weise, dass ein Teil der Aktionäre zum Bezug von neuen Aktien gegen Bareinlagen, ein anderer Teil zum Bezug von neuen Aktien gegen Sacheinlagen berechtigt wird25. Der Unterschied zur Variante mit gekreuztem Bezugsrechtsausschluss wird vor allem darin gesehen, dass im Falle der einheitlichen gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung gar kein Bezugsrechtsausschluss stattfinde und somit auch nicht förmlich beschlossen werden müsse26. b) Mit dem Rechtsschutz der Aktionäre im Falle einer Überbewertung der Sacheinlage haben sich in dieser Konstellation Rechtsprechung und Wissenschaft in der Vergangenheit noch nicht näher beschäftigt27. Allein das Praktikerschrifttum hat dieser Frage bislang Beachtung geschenkt; dabei gelangt die Mehrzahl der Autoren zu dem Ergebnis, dass eine Möglichkeit zur Beschlussanfechtung wegen Überbewertung der Sacheinlage ausgeschlossen sei28. Die festgestellte Rechtsschutzlücke wurde geradezu als Vorteil dieser rechtstechnischen Konstruktion gesehen. Dieser Standpunkt überzeugt indes nicht. Vielmehr ist auch in dieser Konstellation ein Anfechtungsrecht analog § 255 Abs. 2 AktG gegeben29: c) Normzweck des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG ist der Schutz des Aktionärs vor einer vermögensmäßigen Entwertung seiner Beteiligung (oben III.). Eine solche Verwässerung tritt im Falle der Sachkapitalerhöhung dann ein, wenn das
__________ 24 Ausf. hierzu Scheifele, BB 1990, 497 ff. m. w. N. 25 Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K (Fn. 14), § 183 AktG Rz. 35; Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 23), § 56 Rz. 74 Fn. 193; Wiedemann in Großkomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 145; vgl. weiter Groß, AG 1993, 449, 453 f.; Hennerkes/Binge, AG 1996, 119, 121; Lappe, BB 2000, 313 ff.; vgl. auch bereits Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 81. 26 So ausdrücklich Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K (Fn. 14), § 183 AktG Rz. 35; Wiedemann in Großkomm.AktG (Fn. 5), § 186 AktG Rz. 183; Groß, AG 1993, 449, 453 f.; Lappe, BB 2000, 313, 316 f.; Aha, BB 2002, 2225, 2227; a. A. allerdings wohl Peifer in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 183 AktG Rz. 38, § 186 AktG Rz. 99. 27 In den führenden Aktienrechtskommentaren wird der Rechtsschutz der Aktionäre für diese Konstellation weder speziell behandelt noch gar problematisiert. Offen gelassen wurde die Problematik von OLG Frankfurt/M v. 1.7.1998 – 21 U 166/97, AG 1999, 231, 233 (Überbewertung wurde verneint). 28 So ausdrücklich Groß, AG 1993, 449, 453 f.; Lappe, BB 2000, 313, 316 f.; Aha, BB 2002, 2225, 2227. 29 Ebenso in der Tendenz auch Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 23), § 56 Rz. 35.
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Wertverhältnis zwischen den neuen Aktien und der zu erwerbenden Sacheinlage nicht gewahrt ist, weil die Sacheinlage überbewertet wurde30. Das Verwässerungsrisiko besteht jedoch nicht nur, wenn allein der Sacheinleger zum Bezug der neuen Aktien zugelassen ist (Fall der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss zugunsten des Sacheinlegers), sondern in vergleichbarer Weise auch dann, wenn eine gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung erfolgt. Zwar werden im Rahmen einer gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung die Stimmrechtsquoten der Aktionäre nicht verändert; jedoch werden auch in dieser Konstellation die Aktionäre, die ihre Bareinlagen zum festgesetzten Ausgabebetrag der neuen Aktien erbringen, gegenüber dem Sacheinleger benachteiligt, wenn dieser die neuen Aktien erwerben kann, ohne eine gleichwertige Gegenleistung zu erbringen. d) Zweck einer gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung ist es, die Mitgliedschaftsrechte aller Aktionäre ohne Veränderung ihrer Quote auch in dem Fall zu erhalten, dass eine Sacheinlage von einem Altaktionär erworben wird. Diese Form der Kapitalerhöhung wird deshalb gewählt, weil andernfalls das Risiko besteht, dass der Bezugsrechtsausschluss sachlich nicht gerechtfertigt ist (dazu ausf. oben III.). Entscheidend für den Rechtsschutz im Falle der Überbewertung der Sacheinlage kann nun aber nicht die gewählte rechtstechnische Konstruktion sein. Selbst wenn man mit der h. M. auf einen formalen Bezugsrechtsausschluss im Falle der einheitlichen gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung deshalb verzichtet, weil die durch das Bezugsrecht zu sichernden Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre formal nicht beeinträchtigt werden (oben IV.2.a)31, bedeutet dies nicht, dass damit auch die Überprüfung des angemessenen Wertes der Sacheinlage im Wege der Beschlussanfechtung analog § 255 Abs. 2 AktG ausgeschlossen ist. Der Normzweck des § 255 Abs. 2 AktG spricht vielmehr auch hier für die Zulässigkeit einer gerichtlichen Wertkontrolle32. Auch bei einer gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung, die im Rahmen einer einheitlichen Beschlussfassung erfolgt, besteht das identische Verwässerungsrisiko wie im Falle einer doppelten Beschlussfassung mit gekreuztem Bezugsrechtsausschluss. Es ist nicht überzeugend, wenn allein aufgrund einer abweichenden Gestaltung für dasselbe Ergebnis ein unterschiedliches Rechtsschutzsystem zur Anwendung kommen soll. Die gegenteilige, rein formale Argumentation erinnert vielmehr an die (unzutreffende) Begründung, mit der vor BGHZ 71, 40 sogar jede Wertkontrolle der Sacheinlage durch die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre in Abrede gestellt wurde33.
__________ 30 Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 520; Hüffer (Fn. 5), § 255 AktG Rz. 7; Wiedemann in Großkomm.AktG (Fn. 5), § 183 AktG Rz. 69. 31 Das Thüringer OLG (Fn. 3) hat diese Frage offengelassen; vgl. zum Meinungsstand Fn. 26. 32 Wie das Thüringer OLG (Fn. 3) bislang nur Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 23), § 56 Rz. 35. 33 Siehe nur Schilling in Großkomm.AktG, 3. Aufl. 1973, § 255 AktG Anm. 3 mit 7; a. A. jedoch bereits Zöllner in KölnKomm.AktG, 1. Aufl., § 255 AktG Rz. 7.
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3. Speziell: Umstrukturierungen im Konzern Die Notwendigkeit, sachgerechten Rechtsschutz gegen eine mögliche Überbewertung der Sacheinlage zur Verfügung zu stellen, gilt in besonderer Weise im Falle einer konzerninternen Umstrukturierung. Ist der beherrschende Aktionär zugleich der Sacheinleger, dann besteht im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Einlageverpflichteten nämlich nicht dieselbe Gewähr einer „Vertragsrichtigkeit“, wie dies im Falle der Sacheinlage durch einen Dritten aufgrund der nicht nur rechtlichen, sondern auch faktischen Unabhängigkeit der Verwaltung jedenfalls im Grundsatz der Fall ist34. Das generelle Verwässerungsrisiko, das aufgrund der bestehenden Bewertungsspielräume einer jeden Sachkapitalerhöhung immanent ist35, wird hier noch zusätzlich gesteigert36. Zutreffend hat daher auch das BVerfG in seiner Motometer-Entscheidung37 ausgeführt, dass Eingriffe in die Eigentumsposition der Aktionäre zugunsten des Mehrheitsaktionärs nur zulässig sind, wenn zugunsten der Aktionärsminderheit ausreichende Schutzvorkehrungen vorhanden sind. Nach Auffassung des BVerfG kommt hierfür sowohl ein Spruchverfahren als auch ein Anfechtungsklageverfahren in Betracht; stets müsse jedoch ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden und insbesondere die vom Mehrheitsaktionär an die Gesellschaft zu leistende Gegenleistung überprüft werden können38.
V. Ausblick de lege ferenda Im Schrifttum wird bereits seit längerer Zeit nahezu einmütig die Auffassung vertreten, dass das Recht zur Beschlussanfechtung gem. § 255 Abs. 2 AktG (analog) durch ein Spruchverfahren ersetzt werden sollte39. Vorschläge für eine rechtstechnische Ausgestaltung liegen bereits seit längerem auf dem Tisch40. Die hiergegen geltend gemachten Bedenken41 überzeugen nicht.
__________
34 Vgl. dazu Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 535; ders., ZHR 168 (2004), 132, 168 ff.; für die Verschmelzung auch Lutter/Drygala in Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 5 UmwG Rz. 18. 35 Zur Problematik der korrekten Bewertung von Sacheinlagen ausf. Pentz in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 27 AktG Rz. 37 ff. m. w. N. 36 Ähnlich Martens (Fn. 18), S. 987, 1005: strikte Preis- oder Bewertungskontrolle erforderlich, weil Vermutung der Wahrnehmung einseitiger Parteiinteressen. 37 BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, ZIP 2000, 1670 ff. 38 Siehe zu dieser Entscheidung Hanau, NZG 2002, 1040, 1042 ff.; Neye, EWiR 2000, 913; speziell zur Anwendung auf Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital auch Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 168 ff. m. w. N.; vgl. auch ders. in MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 203 AktG Rz. 124. 39 Grundlegend Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 544 ff.; vgl. weiter ders., ZHR 168 (2004), 132, 159 ff.; zuletzt Bayer/J. Schmidt, NZG 2006, 841, 844; ebenso Reichert, ZHR Beiheft 71, 2002, S. 166, 187; J. Vetter, ZHR 168 (2004), 8, 24 ff.; M. Winter (Fn. 1), S. 699, 719 ff.; vgl. auch DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2000, 802, 803; in diesem Sinne auch die Beschlussfassung auf dem 63. DJT, O 76 (Beschluss I 12 b). 40 Grundlegend Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 544 ff.; vgl. weiter M. Winter (Fn. 1), S. 699, 719 ff. m. w. N. 41 Siehe Regierungskommission Corporate Governance, bei Baums (Hrsg.), Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 152.
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Der Gesetzgeber hat diese Forderung im Rahmen des UMAG allerdings nicht aufgegriffen, sondern statt dessen das Freigabeverfahren auf KapitalerhöhungsSachverhalte erweitert (§§ 255 Abs. 3, 248a AktG)42. Diese rechtspolitische Entscheidung ist zu Recht als halbherzig und praxisuntauglich kritisiert worden43. Aus der Sicht der Rechtspraxis ist es höchst bedauerlich, dass sich der Gesetzgeber den weitergehenden Vorschlägen aus Wissenschaft und Praxis bislang aus nicht nachvollziehbaren Gründen verweigert hat44. Die unbefriedigende Rechtslage begründet nach wie vor das Risiko, dass Kapitalerhöhungen nicht zeitnah in das Handelsregister eingetragen werden können, weil Aktionäre – zu Recht oder zu Unrecht – die Kapitalerhöhung mit der Begründung angreifen, die Gegenleistung für die neuen Aktien sei unangemessen. Es ist keineswegs sicher, dass stets eine Freigabeentscheidung zugunsten der Gesellschaft ergehen wird; selbst wenn dies der Fall ist, geht der Freigabe im Regelfall ein kosten- und zeitaufwändiges einstweiliges Rechtsschutzverfahren voraus, häufig gefolgt dann von einem ebenfalls aufwändigen Hauptsacheverfahren45. Unter Berücksichtigung sowohl der Interessen der Gesellschaft (Zeitgewinn, kein Anfechtungsrisiko) als auch der Aktionäre (die im Falle einer objektiven Überbewertung eine Ausgleichsleistung erhalten) ist für Streitigkeiten über Bewertungsfragen generell ein Spruchverfahren einem Anfechtungsklageverfahren vorzuziehen. Der Gesetzgeber sollte daher seine ablehnende Haltung nochmals überdenken und bei nächster Gelegenheit korrigieren. Im Rahmen einer solchen gesetzlichen Regelung sollte dann auch klargestellt werden, dass eine Überprüfung der Werthaltigkeit der Sacheinlage auch im Falle einer gemischten Bar- und Sachkapitalerhöhung möglich ist.
__________ 42 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15/5092, S. 27. 43 Ausf. M. Winter in FS Happ, 2006, S. 363, 375 ff.; kritisch zum Konzept des UMAG auch Veil, AG 2005, 567, 572. 44 So ausdrücklich auch Thüringer OLG (Fn. 3). 45 Das Hauptsacheverfahren im Fall der Carl Zeiss Meditec-Kapitalerhöhung (Thüringer OLG – Az. 6 U 802/06) hat sich nach Hinweisbeschluss des Senats (Vorbereitung einer Beweisaufnahme) durch Rücknahme der Berufungen erledigt.
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Ulrich Bälz
Konzernbildung und Umwandlung unter kirchlichen Dienstleistern – Eine verbandsrechtliche Problemskizze* Inhaltsübersicht I. Zur Fragestellung II. Verbandsmacht und Trägerfreiheit III. Kirchliche Zuordnung karitativdiakonischer Träger 1. Zuordnung als Problem typengesetzlich gefestigter Organisationsformen 2. Angliederung durch Verbände a) Caritasverbände b) Diakonische Werke c) Modell und Wirklichkeit
3. Kirchlicher Verband und kirchliche Träger IV. Konzernbildung kirchlicher Träger 1. Organisationsfreiheit und mitgliedschaftliche Grundpflicht des Trägers 2. Lockerung der Schranken durch Abwandlung des Mitgliedschaftsverhältnisses 3. Sanktionen V. Umwandlung kirchlicher Träger VI. Ausblick
I. Zur Fragestellung Die späte höchstrichterliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft bürgerlichen Rechts1 hat die von Harm Peter Westermann in seiner Habilitationsschrift am Beispiel der Personengesellschaften richtungsweisend herausgearbeiteten Typengesetzlichkeiten, die der inhaltlichen Ausgestaltung personenvertraglicher Organisationsformen einen festen Rahmen vorgeben, noch einmal in ein neues Licht gerückt2. Das zeigt sich in voller Deutlichkeit freilich erst, wenn man nicht mit dem BGH in „etwas halbherziger Erfassung der Situation“3 bei der Anerkennung solcher Rechtsfähigkeit „nach außen“ stehen bleibt, also die Augen nicht davor verschließt, dass Rechtsfähigkeit einer Außengesellschaft mit eigenem Vermögen notwendig auch rechtliche Selbständigkeit „nach innen“ gegenüber ihren Gesellschaftern und deren eigenem Vermögen bedeutet. Denn dann erweist sich der auf die Gründung einer Personengesellschaft bürgerlichen Rechts gerichtete Gesellschaftsvertrag natürlicher Personen als Grundform des personenrechtlichen Organisationsvertrages zur Errichtung einer juristischen Person und enthüllen sich in den Typengesetzlichkeiten die elementaren Normativbedingungen, unter denen unsere Rechtsordnung die privatautonome Schaffung selbständi-
__________ * Die Ausführungen beruhen auf Anregungen aus der Praxis. 1 BGHZ 146, 341; dazu H. P. Westermann, NZG 2001, 289. 2 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970. 3 H. P. Westermann, NZG 2001, 289.
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ger Rechtsträger auch schon ohne konstitutiven Eintrag in ein öffentliches Register ermöglicht4. Als solche „Typengesetzlichkeiten“ der Personengesellschaften hat Westermann seinerzeit die durch einen personenrechtlichen Vertrag geschaffene Gemeinschaftsorganisation, die Selbstorganschaft und die grundsätzliche Gleichbehandlung der Gesellschafter ermittelt5. Mit der Rechtssubjektivität dieser Organisation ist die akzessorische Haftung als weitere Typengesetzlichkeit dazugekommen6, hat aber auch der Grundsatz der Gleichbehandlung noch schärferes Profil gewonnen: Eine ungleiche Ausgestaltung der Mitgliedschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Gesellschaftern und der auch ihnen gegenüber selbständigen Gesellschaft ist nicht willkürlich, wenn er sich mit der Aufgabe der Gesellschaft rechtfertigen lässt7. Darüber hinaus wird so auch das gemeinsame Fundament von personengesellschaftlicher „Gruppe“ und kapitalgesellschaftlichem „Verband“8 sichtbar: An die rechtsfähige, grundsätzlich unter Selbstorganschaft und akzessorischer Mithaftung der Gesellschafter geführte Personengesellschaft und ihre Abwandlungen schließen die auch ihrerseits noch als Personengesellschaften strukturierten Vorgesellschaften an, die sich mit einem Registereintrag in für die Fremdorganschaft offene und die Haftung auf das alleinige Vermögen der Gesellschaft beschränkende Kapitalgesellschaften verwandeln9. Im Recht der verbundenen Unternehmen hat sich dieselbe Gesamtstruktur auf einer höheren Ebene gleichsam noch ein weiteres Mal reproduziert: Dem personenrechtlichen Organisationsvertrag natürlicher Personen entspricht der personenrechtliche Organisationsvertrag juristischer Personen auf die Bildung polykorporativer Gruppen und Verbände10. Sein im konzernrechtlichen Gleichordnungs- und Beherrschungsvertrag ausgebildetes Modell ist folgerichtig ebenfalls wieder eigenen Typengesetzlichkeiten unterworfen, die seiner privatautonomen inhaltlichen Ausgestaltung Grenzen setzen11. Die nachfolgenden Bemerkungen sollen die Aufmerksamkeit auf atypischhybride Strukturen lenken, in den die auf dieser doppelten organisationsvertraglichen Grundlage ausgebildeten und typengesetzlich gefestigten Organisationsformen sich wiederum in ungewöhnlicher Weise mischen und verbinden und damit den Rahmen bilden, dessen selbständige Ausfüllung „innerhalb der
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4 Kritisch, aber zurückhaltender H. P. Westermann, NZG 2001, 289; ders. in Westermann (Hrsg.), Handbuch der Personengesellschaften, Loseblatt, Rz. I 16 f. Auf die umfangreiche Diskussion ist hier nicht erneut einzugehen; zum eigenen Standpunkt Bälz in FS Zöllner, 1998, Bd. 1, S. 35 und MünchHdb. GesR I, 2. Aufl. 2004, § 100 Rz. 56 ff., 70 ff. 5 H. P. Westermann (Fn. 2), S. 133 ff. und passim. 6 BGHZ 146, 341, 358 f. 7 Zum Meinungsstand: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 II 4 m. w. N. 8 Dazu schon H. P. Westermann (Fn. 2), S. 10 ff. 9 Eingehender Bälz (Fn. 4), S. 35, 58 ff. m. w. N. 10 Näher zum personenrechtlichen Organisationsvertrag aus nachstehend verfolgter Sicht Bälz (Fn. 4), S. 35, 47 ff.; ders., AG 1992, 277, 300 ff. 11 Zu dieser Verallgemeinerung: Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006, §§ 30 V, 31 IV 1; K. Schmidt (Fn. 7), §§ 17 III und IV, 39, 43 III.
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Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ der besonderen Regelungsmacht der Religionsgemeinschaften vorbehalten ist. Den unmittelbaren Anlass geben soziale Dienstleister, die sich mit Maßnahmen einer Restrukturierung ihrer Einrichtungen zu dem kirchlichen Verband, dem sie als rechtlich selbständige Träger angehören, in Widerspruch setzen.
II. Verbandsmacht und Trägerfreiheit Die Interdependenz von Sozialstaat und Wirtschaft ist ein gern bemühter Gemeinplatz. Freilich hat man dabei für gewöhnlich nur die Steuer- und Beitragskraft der gewerblichen Wirtschaft im Auge. Auch in der „Dienstleistungsgesellschaft“ weniger geschärft ist dagegen das allgemeine Bewusstsein dafür, dass die von den umlagefinanzierten und staatlich regulierten und bezuschussten kollektiven Sicherungssystemen erbrachten Sozialleistungen und erst recht die eigentlichen, ohne Gegenleistung von Bund, Ländern und Gemeinden gewährten sozialen Hilfeleistungen – von der Jugendhilfe bis zur Altenpflege, vom Kindergarten bis zum Seniorenheim – ohne die sozialen Träger der „freien“ (nicht öffentlichen) und „gemeinnützigen“ (nichtgewerblichen) Dienstleistungswirtschaft schon gar nicht effizient und zielgerecht umgesetzt werden können. Das hochkomplizierte Räderwerk dieser Wechselbeziehung wird dadurch ein ganzes Stück transparenter, dass die „freigemeinnützigen“ Träger – als selbständige juristische Personen organisierte Unternehmen – weitgehend in fünf großen Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege zusammengefasst sind. Unter diesen nehmen die Verbände der beiden großen Kirchen, der Caritasverband auf katholischer und das Diakonische Werk auf evangelischer Seite, mit jeweils fast einer halben Million hauptamtlich Beschäftigter den mit Abstand breitesten Raum ein12. Für alle „freigemeinnützigen“ sozialen Einrichtungen ist von einem charakteristischen Beweggrund ihres Engagements mit einer spezifischen Aufgabe oder auch gruppenbezogenen Interessen auszugehen. Das gilt ungeachtet der abnehmenden weltanschaulichen Prägung unserer Gesellschaft nach wie vor in besonderem Maße auch für die Einrichtungen von Caritas und Diakonie. Die öffentliche Hand muss demgegenüber ihre Zuschüsse von messbaren Leistungen und nachprüfbaren Erfolgen der Träger abhängig machen und auch sicherstellen, dass ihre Aktivitäten im Interesse der das Angebot in Anspruch nehmenden Bürger neutralen Beurteilungskriterien zugänglich bleibt. Für die privaten Träger kommt hinzu, dass sie mit ihren Einrichtungen häufig ein zwar schwer messbares, aber vielfältiges „Mehr an Leistung“ erbringen, deshalb
__________ 12 Zur Ortsbestimmung der freien Wohlfahrtspflege BVerfGE 22, 180. Aus dem Schrifttum: Goll, Die freie Wohlfahrtspflege als eigener Wirtschaftssektor, 1991; Flierl, Freie und öffentliche Wohlfahrtspflege, 2. Aufl. 1992; Rauschenbach/Sachße/Olk (Hrsg.), Von der Wertgemeinschaft zum Dienstleistungsunternehmen, 1995; Brenner, Diakonie im Sozialstaat, 2. Aufl. 1996; Klug, Wohlfahrtsverbände zwischen Markt, Staat und Selbsthilfe, 1997; Ludemann/Negwer, Rechtsformen kirchlicher Einrichtungen, 2000.
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aber etwa die Arbeit eines kirchlichen Krankenhauses weniger kostengünstig erscheinen kann als die Tätigkeit eines städtischen oder universitären Klinikums. Das bedeutet für sie immer wieder die Gefahr, aufgrund solcher „Mehrleistungen“ existentiell wichtige staatliche Subventionen zu verlieren oder das sie auszeichnende – und gerade bei kirchlichen Trägern weitgehend noch immer erwartete – „Mehrangebot“ einschränken zu müssen13. Zur Einbindung in die staatlichen Förderungs- und Kontrollstrukturen – aber von ihr streng zu trennen – kommt für Caritas und Diakonie noch die besondere Verhältnisbestimmung karitativ-diakonischer Einrichtungen zu ihrer Kirche hinzu. Historisch gesehen haben diese Einrichtungen sich jeweils unabhängig von der verfassten Kirche entwickelt. Daher hat die klare Unterscheidung zwischen Einrichtungen der Caritas bzw. der Diakonie und den Kirchen eine lange und feste Tradition. Zugleich vermitteln, zumindest aber ermöglichen die kirchlichen Verbände den ihnen angeschlossenen Einrichtungen auch eine kirchliche Zuordnung, kraft deren sie an der nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich gesicherten, ordnenden und verwaltenden Selbstbestimmung der jeweiligen Amtskirche teilhaben. Die bekannteste Folge ist das besondere kirchliche Arbeitsrecht. Die mit der Vermittlung durch die Verbände für die „Zuordnung“ der karitativ-diakonischen Einrichtungen zu den Kirchen entwickelte Lösung kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur ihre tatsächliche Tragweite stark differiert, sondern auch schon ihre rechtlichen Grundlagen nach wie vor nicht eindeutig feststehen14. Die anhaltende Verknappung der staatlichen Fördermittel, die immer weiter ausdifferenzierte Regulierung ihrer Vergabe und Kontrolle ihres Erfolgs sowie auch der tendenzielle Rückgang des von Caritasverband und Diakonischem Werk verteilbaren Aufkommens der Kirchensteuer erhöhen seit Jahren den Druck auf die angeschlossenen Träger, die betriebswirtschaftliche Effizienz ihrer karitativ-diakonischen Einrichtungen nach den Methoden moderner Unternehmensführung ständig zu steigern. Dieser Druck ist in dem zentralen Arbeitsbereich der Pflege dadurch nochmals erheblich gewachsen, dass seit der Einführung der Pflegeversicherung die freigemeinnützigen Träger auch mit gewerblichen Anbietern auf dem Markt für soziale Dienstleistungen konkurrieren. Erschwerend wirkt dabei vor allem, dass die für die Beschäftigung ihrer Mitarbeiter geltenden kirchlichen Tarife, an welche die karitativ-diakonischen Einrichtungen mit der Anwendung des kirchlichen Arbeitsrechts gebunden sind, nicht unerheblich über den von anderen auf diesem Markt tätigen Trägern gezahlten Vergütungen liegen. Die unternehmerische Umstrukturie-
__________ 13 Zum Verhältnis von öffentlicher Hand und Verbänden und kirchlichen Verbänden im Besonderen: Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. II, 2. Aufl. 1995, S. 665; Broll, Steuerung kirchlicher Wohlfahrtsverbände durch die verfasste Kirche, 1999; Rogge, Staatliche Finanzkontrolle freier Wohlfahrtspflege, 2001. 14 Dazu vorläufig: Falterbaum, Caritas und Diakonie, 2000; Glawatz, Die Zuordnung privatrechtlich organisierter Diakonie zur evangelischen Kirche, 2003.
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rung ihrer Einrichtungen, mit der die kirchlichen Träger diesem Druck zu begegnen suchen, zielt meist auf eine Umschichtung ihrer karitativ-diakonischen Kernfunktionen, häufig aber auch auf eine Aussonderung rein technischer Hilfsfunktionen in unternehmerisch voll beherrschte Tochtergesellschaften. Die Tochtergründung wird weithin schon in der Absicht vorgenommen, die neue, etwa mit dem Betrieb aller bei ihr zusammengefassten Pflegeheime oder mit den Aufgaben eines Rechenzentrums betraute Tochtergesellschaft des Trägers außerhalb einer Mitgliedschaft im Caritasverband bzw. Diakonischen Werk zu führen; damit soll der als nicht konkurrenzfähig betrachtete kirchliche Tarif für die Pflegekräfte unterboten oder umgekehrt für technische Spezialisten überboten werden können. Über solche Gründungsvorgänge hinaus sind vor allem im Krankenhausbereich mit der Verschmelzung größerer Träger zunehmend auch Umstrukturierungen zu verzeichnen, die vollends auf die Rechtsform und innere Verfassung der beteiligten Mitgliedsträger selbst einwirken15. Im Zentrum der damit in diesem Beziehungsgefüge ausgelösten Spannungen steht das Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Caritasverband bzw. Diakonischem Werk und dem einzelnen Träger. Die Ausbildung eines eigenen kirchlichen Arbeitsrechts beruht darauf, dass in Zuordnung zur Kirche wahrgenommenes, karitativ-diakonisches Pflegen, Heilen, Lehren, Betreuen oder Erziehen sich nach kirchlichem Selbstverständnis in der tätiger Nächstenliebe verpflichteten Dienstgemeinschaft der Mitarbeitenden vollzieht16. Als Sachwalter des kirchlichen Auftrags können Caritasverband und Diakonisches Werk daher um der Wahrung der Kirchlichkeit der Träger willen nicht untätig zusehen, wenn diese sich der ihnen vorgeschriebenen Anwendung des kirchlichen Arbeitsrechts durch ein Ausweichen auf nichtkirchliche Tochtergesellschaften entziehen. Aber der Konflikt ist noch tiefer und umfassender angelegt. Wenn die Träger ihre Einrichtungen durch Konzernbildung an die Bedürfnisse des sozialen Marktes anpassen, und erst recht, wenn sie sich auf diesem Markt mit Maßnahmen der Umwandlung ganz neu aufstellen, müssen sie darauf bedacht sein, das für die Verteilung der öffentlichen Fördermittel oder die Einbindung in die öffentlichen Sicherungssysteme ebenso wie für die Teilhabe an den kirchlichen Mitteln oder etwa die Gewährschaft für eine Zusatzversorgung ihrer Mitarbeiter erforderliche „Gütesiegel“ der Mitgliedschaft im Caritasverband oder Diakonischen Werk zu bewahren. Umgekehrt können Caritasverband und Diakonisches Werk nicht schon selbstverständlich hinzunehmen haben, dass der Träger mit der Gründung einer von ihm beherrschten, aber dem Verband nicht ebenfalls angehörenden Tochtergesellschaft sich einer Kontrolle der Verwendung seiner Ressourcen entzieht. Ebenso können sie schwerlich schon einfach gezwungen sein, einem Träger, der durch Verschmel-
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15 Richardi, Preisgabe kirchlicher Einrichtungen durch Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft, in FS Listl, 1999, S. 481. Umfassend: v. Campenhausen, Gutachtliche Stellungnahme zur Frage der Zuordnung privatrechtlich organisierter Diakonie zur evangelischen Kirche, 2002, S. 41 ff. 16 Richardi, Die Dienstgemeinschaft als Grundprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts, in FS Rüfner, 2003, S. 727; BVerfGE 70, 138, 165 f.
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zung oder Spaltung seine ursprüngliche Rechtsform verloren hat, weiterhin als ihr Mitglied zu betrachten. Der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme liegt bei einer eindeutigen Bestimmung von Inhalt und Wirkungsweise der – hier durch den kirchlichen Verband vermittelten oder jedenfalls vermittelbaren – „Zuordnung“ des karitativdiakonischen Trägers zu „seiner“ Kirche. Dabei sind theologische und rechtliche, kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Fragen auseinander zuhalten. Die theologisch in der alleinigen Definitionsmacht der Kirche liegende und mit der Zuordnung des selbständigen Trägers zur verfassten Kirche geschützte Kirchlichkeit der karitativ-diakonischen Einrichtung liegt der Bestimmung der Zuordnung als solcher voraus. Eine weitere Frage ist, ob und in welchem Umfang die jeweilige Kirche mit ihrem internen Recht dieser Kirchlichkeit in rechtlicher Gestaltung Raum geben will. Davon wiederum zu unterscheiden ist die staatskirchenrechtliche, also nicht nach kirchlichem, sondern mit dem allgemeinen Recht zu beantwortende Frage nach dem Rahmen, in dem der Kirche eine solche besondere, autonome Regelungsmacht verfassungsrechtlich zugesprochen wird. Und auch dieser verfassungsrechtliche Rahmen, so die im Folgenden zu begründende These, konkretisiert sich nur in rechtlichen Figuren, die als typengesetzlich gefestigte Organisationsformen dem allgemeinen Organisationsrecht zugrunde liegen.
III. Kirchliche Zuordnung karitativ-diakonischer Träger Nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV ordnen und verwalten die Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten nicht schlechthin frei, sondern innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes in eigener Verantwortung. Diese in institutioneller Erweiterung des Schutzes ungestörter Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 1 GG staatskirchenrechtlich gewährleistete Autonomie umfasst die Berechtigung, sich als selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit eigener Normsetzung, eigener Verwaltung und eigener Gerichtsbarkeit zu konstituieren. Hiervon haben beide christlichen Kirchen Gebrauch gemacht. Von Kultus und Lehre ausgehend als einzelne, genuin eigene Bereiche der Kirchen zu betrachten sind namentlich Verfassung und innere Organisation, freie Ämterverteilung, Ausbildung der Geistlichen, Regelung der Rechte und Pflichten der Mitglieder, Dienst- und Arbeitsrecht, Besteuerungsrecht, Vermögensverwaltung und nicht zuletzt die Entwicklung und eigenständige Ausgestaltung karitativ-diakonischer Tätigkeiten17. Die Weiträumigkeit dieser Autonomie in „kirchlichen Angelegenheiten“ wird folgerichtig in der Weiträumigkeit des „für alle geltenden Gesetzes“ als ihrer Schranke gespiegelt. Damit ist freilich nur die Ausgangskonstellation beschrieben. Diese gewinnt jedoch dadurch eine weit reichende, zusätzliche Dimension, dass dieselbe autonome, Regelungsmacht sich über die jeweilige verfasste Amtskirche hinaus auch auf Einrichtungen erstrecken kann, die von selbstän-
__________ 17 BVerfGE 46, 74.
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digen, nach privatem Recht organisierten juristischen Personen getragen werden. 1. Zuordnung als Problem typengesetzlich gefestigter Organisationsformen In welcher Weise die Vorschriften des allgemeinen, für alle geltenden Gesetzes das kirchliche Selbstbestimmungsrecht konkret eingrenzen, ist nicht immer ohne Schwierigkeiten zu ermitteln. Jedenfalls aber bleiben mit der von ihnen gewählten Mantelform der öffentlichen Körperschaft18 beide Amtskirchen als solche an eine strukturelle Kompatibilität mit den allgemeinen Formen des Rechts der öffentlichrechtlichen Personen und personenrechtlicher Organisation überhaupt gebunden. Das äußert sich nicht nur in der Ausrichtung von kirchlicher Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung an rechtsstaatlichen Standards, sondern mündet auch in einen in vielerlei Gestalt auftretenden Typenzwang, der die selbstbestimmte Abwandlung des allgemeinen Gesetzes im Interesse der Einheit der Rechtsordnung kanalisiert19. So etwa schon bei der Ausgestaltung der elementaren Rechte und Pflichten der Mitglieder. Machen die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts von ihrer Dienstherrenfähigkeit Gebrauch, können sie sich nur in dem Rahmen bewegen, den das staatliche Recht für Dienstverhältnisse vorsieht. Wo sie die Beziehungen zu ihren Mitarbeitern vertraglich regeln, bildet das allgemeine Arbeitsrecht mit seinen elementaren Standards die Grundlage, auf der auch die – unter dem Leitbild der Dienstgemeinschaft sehr erheblichen – kirchlichen Abwandlungen erst zum Tragen kommen können. Im kollektiven Dienst- und Arbeitsrecht hat der staatliche Gesetzgeber die Kirchen zugunsten eigener Regelungen schon selbst von der Anwendung des Tarifvertrags- und des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen20. Nach allgemeiner, vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung entwickelter und gefestigter Überzeugung, wennschon ohne eine eindeutige Grundlage im Wortlaut der Verfassung selbst21, erstreckt sich die autonome, ordnende und verwaltende Regelungsmacht der jeweiligen Amtskirche darüber hinaus aber auch auf bereits bestehende, als juristische Personen privaten Rechts organisierte selbständige Einrichtungen, die dieser Kirche „zugeordnet“ sind. Das betrifft vor allem Einrichtungen von Caritas und Diakonie, die in der Rechtsform einer „privaten Körperschaft“ als eingetragener Verein oder gemeinnützige GmbH bzw. einer „privaten Anstalt“ als rechtsfähige Stiftung geführt werden. Unter welchen Voraussetzungen man von einer solchen kirchlichen Zuordnung auszugehen hat, ist jedoch noch immer umstritten22. Praktisch geht es
__________ 18 BVerfGE 83, 341, 357 spricht von „Mantelbegriff“. Umfassend P. Kirchhof, in Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1994, S. 651 ff. 19 Exemplarisch BVerfGE 70, 138, 162 ff.; vgl. weiter Falterbaum (Fn. 14), S. 17 ff., Glawatz (Fn. 14), S. 43 ff.; je m. w. N. 20 Umfassend Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 3. Aufl. 2000. 21 Vgl. Art. 138 Abs. 2 WRV (Art. 140 GG). 22 Grundlegend: Smend, ZevKR 4 (1955) 71. Zum heutigen Stand umfassend Glawatz (Fn. 14).
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meist um die Frage, ob kraft der Teilhabe des Trägers an der kirchlichen Autonomie auf seine Beschäftigungsverhältnisse mit den Mitarbeitern kirchliches Arbeitsrecht anzuwenden bzw. ob seine Einrichtung von der Anwendung des BetrVG ausgenommen ist. Nach der Judikatur des BVerfG23 kommt es darauf an, ob eine Einrichtung unbeschadet ihrer Rechtsform und unabhängig vom Grad ihrer kircheninternen Weisungsgebundenheit in der Zusammenschau typischer Merkmale nach ihrem gesamten Erscheinungsbild und ihren Zielsetzungen der Kirche zuzurechnen ist. Im Einzelnen ist erforderlich, dass der Träger mit seiner Einrichtung eine Grundfunktion der Kirche – „ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt“24 – wahrnimmt, eine dauernde organisatorische Verbindung zu der Kirche unterhält und von der Kirche anerkannt ist. Dabei ist die Beurteilung der jeweiligen Kirchenleitung und nicht die Sicht des Trägers maßgeblich. Die nach wie vor nicht voll ausgetragene Auseinandersetzung bewegt sich vor allem dann immer wieder im Kreise, wenn nach vermeintlich objektiven Merkmalen der „Kirchlichkeit“ einer Einrichtung gesucht wird, die deren rechtliche Zuordnung zur Kirche belegen sollen, obwohl nach dem Sinn der der verfassten Kirche zugebilligten Autonomie über ihren Auftrag in der Welt und über Kirchlichkeit als in solchem Auftrag tätig gelebten Glauben ausschließlich die Kirche selbst zu befinden hat. Stattdessen ist die Zuordnung zur Kirche von der in ihrem Schutz stehenden Kirchlichkeit klar zu unterscheiden und in streng rechtlichen Kategorien zu erfassen. Damit wird zur Kernfrage, dass die autonome, selbstbestimmte Regelungsmacht der verfassten Kirche mit ihrer Erstreckung auf die der Kirche „zugeordnete“ selbständige Einrichtung zur Fremdbestimmung der Kirche über die Einrichtung wird. Denn Träger der Regelungsmacht bleibt auch dann nur die verfasste Amtskirche als solche. Da jedoch die kirchliche Regelungsmacht auch – wenn nicht erst recht – als Fremdbestimmung den Schranken des für alle geltenden Gesetzes unterliegt, verdichtet sich die Fragestellung zur Frage nach Strukturformen des allgemeinen Organisationsrechts, in denen sich solche Fremdbestimmung darstellen lässt. Die in den allgemeinen Strukturformen des privaten Organisationsrechts verfasste Körperschaft (Verein) oder Anstalt (Stiftung) bindet die juristische Person und ihre Organe und Mitglieder bzw. Nutzer mit ihrer Satzung allein an sich selbst. Eine satzungsgemäße Fremdbestimmung durch einen außenstehenden Dritten und so auch durch die verfasste Kirche ist mit der für die Rechtsfähigkeit einer juristischen Person konstitutiven Eigenbestimmung von Verein oder Stiftung grundsätzlich unvereinbar. Umgekehrt reichen Kirchengesetz und kirchliche Verwaltungsmacht nach allgemeinem Organisationsrecht über die eigene Verfassung der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts und ihre Teilkörperschaften, Mitglieder und Organe nicht hinaus, mag die Kirche im Übrigen etwa auch als Mitglied eines von ihr mitgegründeten Vereins oder kraft vorbehaltener Befugnisse gegenüber einer von ihr selbst er-
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23 BVerfGE 24, 236; 46, 73; 53, 366; 57, 220; 70, 138. 24 BVerfGE 46, 73, 74 (LS).
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richteten Stiftung auf eine andere, selbständige juristische Person Einfluss nehmen können. Die im Ergebnis gleichwohl auch vom BVerfG gebilligte, umfassende Fremdbestimmung der verfassten Kirche über die ihr zugeordnete, rechtlich selbständige Einrichtung25 ist in den Formen des allgemeinen Organisationsrechts vielmehr allein in einem von beiden Beteiligten in freier Selbstbestimmung geschlossenen Organisationsvertrag darstellbar. Dieser zwischen zwei juristischen Personen geschlossene, personenrechtliche Organisationsvertrag, mit dem der eine Rechtsträger sich voll der Fremdbestimmung durch den anderen unterstellt, hat sein in der Verallgemeinerung des aktienrechtlichen Modells (§ 291 Abs. 1 AktG) gewonnenes Vorbild im konzernrechtlichen Beherrschungsvertrag26. Da keine – auch keine selbst schon mit Aufgaben des Heilens, Pflegens, Erziehens, Betreuens oder Lehrens befasste – selbständige Einrichtung sich gegen ihren Willen einer Kirche zuordnen lassen muss, keine solche Einrichtung aber auch die Zuordnung zu einer Kirche beanspruchen kann, liegt in der von der jeweiligen Kirche ausgesprochenen, förmlichen „Anerkennung“ als karitativdiakonische Einrichtung dieser Kirche ein zwischen Amtskirche als öffentlichrechtlicher Körperschaft und rechtlich selbständigem, privatem Träger frei vereinbarter Vertrag27. Dabei spielt keine Rolle, ob die Amtskirche (selbst oder mit Teilkörperschaften) dem als karitativ-diakonischer Verein organisierten Träger zugleich auch als Mitglied angehört, und ebenso, ob die als ein solcher karitativ-diakonischer Träger bestimmte Stiftung von der jeweiligen Amtskirche selbst oder von einem weltlichen Stifter errichtet worden ist28. Der auf Beherrschung und Unterordnung gerichtete, spezifisch organisationsrechtliche Regelungsgehalt des Vertrages betrifft allein das unmittelbare Verhältnis der beteiligten juristischen Personen. Wie die Errichtung eines körperschaftlichen Rechtssubjekts durch den auf eine solche Gründung gerichteten personenrechtlichen Organisationsvertrag und wie die Errichtung einer rechtsfähigen Stiftung durch den dazu erforderlichen personenrechtlichen Organisationsakt, ist auch diese dem beherrschungsvertraglichen Vorbild folgende Verbundstruktur der organisationsvertraglichen Angliederung einer rechtlich selbständigen Einrichtung an die verfasste Kirche an zwingende typengesetzliche Merkmale gebunden. Mit dem Abschluss des Vertrages – und solange er besteht – geht der allein von der Amtskirche definierte, der selbständigen Einrichtung erteilte und in ihre Verantwortung übernommene kirchliche Auftrag der satzungsmäßigen Aufgabe der Einrichtung mit satzungsändernder Wirkung vor und unterstellt sich die Einrichtung der die Wahrung des kirchlichen Auftrags sichernden, ordnenden und verwalten-
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25 BVerfGE 83, 341, 356 ff. 26 Eingehender Bälz, AG 1992, 277, 285 ff.; vgl. oben zu Fn. 10 und 11. 27 Es versteht sich, dass die Amtskirche damit nur – in zweckbezogener Interpretation – als Adressat einer bestimmten organisationsvertraglichen Regelung angesprochen ist. Dem kommt die Frage nach der Qualifikation der öffentlichen Hand als „Unternehmen“ am nächsten; vgl. Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 15 AktG Rz. 13 ff. m. w. N. 28 Die uneigennützig – gemeinnützige Betätigung steht der Qualifikation des Trägers als „Unternehmen“ nicht entgegen.
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den Regelungsmacht der Kirche29. Im Gegenzug zu dieser Inanspruchnahme der Ressourcen des Trägers für den kirchlichen Auftrag hat die Amtskirche dem Träger gegenüber fördernd mit ihrem eigenen Vermögen einzustehen30. Gemäß Art. 4 Abs. 2 GG muss sowohl die Kirche als auch der Träger berechtigt sein, jederzeit das Beherrschungsverhältnis zu lösen. Der Vertrag ist für beide Seiten ein Grundlagengeschäft, das der Mitwirkung der dafür zuständigen Organe bedarf. Für seine Wirksamkeit ist ohne Belang, in welchem Umfang die Amtskirche über ihre allgemeine organisationsgeschäftliche Autonomie hinaus tatsächlich auch von ihrer besonderen staatskirchenrechtlichen Autonomie, d. h. von der Befugnis Gebrauch macht, der ihr zugeordneten selbständigen Einrichtung eigene kirchliche Regeln „ordnend“ vorzugeben und ihren Vollzug „verwaltend“ zu überwachen. Die Angliederung der Einrichtung an die jeweilige Amtskirche in Ausfüllung dieser eigenständigen Mantelform organisationsvertraglicher Beherrschung kann von lockerer Aufsicht bis zur tatsächlichen Leitung der Einrichtung durch die Kirche selbst reichen. 2. Angliederung durch Verbände Im Regelfall lässt sich der Träger einer karitativ-diakonischen Einrichtung der jeweiligen Kirche freilich nicht unmittelbar, sondern – vermöge der Mitgliedschaft in einem kirchlichen Verband (Caritasverband, Diakonisches Werk) – nur mittelbar zuordnen. Die unmittelbare Zuordnung zur Kirche bildet praktisch nur eine Option für Sonderfälle. Die Kehrseite der ausgedehnten verbandlichen Pyramidalstrukturen ist eine in weiten Teilen „durchaus ärgerliche Verworrenheit“ der einschlägigen Rechtsvorschriften31. Das ist im vorliegenden Zusammenhang freilich nur anzudeuten. Die einzelnen Einrichtungen sind historisch zunächst ohne äußeren Zusammenhang zur jeweiligen Kirche in privater Initiative entstanden und haben sich nur allmählich in überregionalen Verbänden (Innere Mission 1849, Caritasverband 1897) zusammengeschlossen. Auch die Bildung dieser Verbände hat sich in weitgehender Unabhängigkeit von der katholischen und evangelischen Kirche vollzogen. Auf der im Ergebnis hier allein interessierenden Ebene der Diözesen bzw. Landeskirchen zeigt die Entwicklung auch nachfolgend ein für beide Kirchen äußerlich weithin vergleichbares Bild32. Der heutigen rechtlichen Erfassung der fraglichen Beziehungen sind einheitlich zunächst wieder dieselben, von eigenen Typengesetzlichkeiten geprägten beherrschungsvertraglichen Strukturformen des allgemeinen Organisations-
__________ 29 Allgemein zu dieser – wieder in den vorliegenden Zusammenhang zu übersetzenden – Typengesetzlichkeit Bälz, AG 1992, 277, 288 f. 30 So in – wiederum entsprechender – Übersetzung der typengesetzlich zwingenden Verlustübernahme (§ 302 AktG) bei Beherrschung in gewerblicher Zweckverfolgung; vgl. Bälz, AG 1992, 277, 288 f. 31 Falterbaum (Fn. 14), S. 2. 32 Näher zum Folgenden: Falterbaum (Fn. 14), S. 9 ff., 29 ff.; Glawatz (Fn. 14), S. 64 ff.
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rechts zu Grunde zu legen. Darüber hinaus sind hier nun aber diese Strukturformen im Zusammenwirken von allgemeiner Organisationsfreiheit und besonderer kirchlicher Organisationsmacht noch auf besondere Weise zu erweitern. Dabei strebt die rechtliche Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten im Vergleich beider Kirchen stärker auseinander. a) Caritasverbände Auf katholischer Seite ist der seit 1903 als eingetragener Verein bürgerlichen Rechts geführte Deutsche Caritasverband nicht vor 1916 erstmals von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) als kirchlicher Spitzenverband anerkannt worden33. Er gliedert sich in die Caritasverbände der einzelnen Diözesen, die ihm als rechtlich selbständige Mitglieder angehören. Die 1965 und 1981 erneuerte kirchliche Anerkennung hat dadurch noch an Gewicht gewonnen, dass die Reform des Codex Iuris Canonici die DBK kirchenrechtlich zum Rechtssubjekt erhoben und auch den Deutschen Caritasverband kirchenrechtlich immerhin als „privaten“ (wennschon nicht gleichfalls rechtsfähigen) Verein darstellbar gemacht hat. Der Verband steht unter der Aufsicht der DBK. Seine Geschäftsstelle nimmt die Aufgaben einer Zentralstelle der DBK wahr. Seine Auflösung und grundlegende Satzungsänderungen bedürfen der Zustimmung der DBK. Weitere Einzelheiten der diffizilen Verhältnisbestimmung können hier dahinstehen. Aus der Sicht des als juristische Person organisierten, einzelnen karitativen Trägers, der seinerseits dem Caritasverband einer Diözese als rechtlich selbständiges Mitglied angehört, kommt es entscheidend auf das Rechtsverhältnis des jeweiligen Diözesenverbandes zum örtlichen Diözesenbischof an. Sieht man von wenigen Ausnahmen34 einer innerhalb der Amtskirche selbst geführten Organisation ab, stellen die Diözesenverbände in freier Initiative der Träger gegründete, als eingetragene Vereine bürgerlichen Rechts organisierte Zusammenschlüsse dar, die kirchenrechtlich als private eigenverantwortliche Verbände unter kirchlicher Aufsicht zu behandeln sind35. Bei im Übrigen erheblicher Variationsbreite im Einzelnen garantiert die jeweilige Satzung ein Aufsichtsrecht des Ortsbischofs, wird wohl in allen Diözesen der erste Vorsitzende und der Caritasdirektor vom Bischof ernannt und bedürfen Satzungsänderungen und eine Entscheidung über die Auflösung des Verbandes der Genehmigung des Bischofs, wobei das Vermögen an die Diözese fällt. In vielen Fällen werden die karitative Abteilung des bischöflichen Generalvikariats und die Leitung des Caritasverbandes in Personalunion geführt. Im Übrigen verwalten sich die Verbände durch die Mitglieder selbst und ist die kirchliche Einflussnahme auf die in der Satzung geregelten Befugnisse beschränkt.
__________ 33 Falterbaum (Fn. 14), S. 33 ff. 34 So wird etwa der Caritasverband der Diözese Meißen als unselbständiger Teil der Amtskirche geführt; dazu und zu weiteren Fällen Falterbaum (Fn. 14), S. 46 ff. 35 Eingehender Falterbaum (Fn. 14), S. 46 ff.
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Der Schwerpunkt der karitativ-sozialen Arbeit liegt ganz bei den Mitgliedseinrichtungen der Diözesencaritasverbände. Die Rechtsträger dieser sozialen Dienste sind der Aufsicht des Verbandes bzw. des Ortsbischofs nur insoweit unterworfen, als es in ihrer eigenen Satzung vorgesehen ist. Dabei ist zu beachten, dass die Mustersatzungen des Deutschen Caritasverbandes und kirchliche Empfehlungen von den Mitgliedern nicht immer auch tatsächlich übernommen worden sind. b) Diakonische Werke Den entsprechenden Spitzenverband auf evangelischer Seite bildet – in seiner heutigen Form seit 1976 – das als eingetragener Verein bürgerlichen Rechts organisierte Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)36. Die Kirche hatte in der Zeit des Nationalsozialismus die Innere Mission, die bis dahin als eigene Organisationsstruktur neben der Organisationsstruktur der offiziellen Kirche bestanden hatte, mit deren Einverständnis zum Schutz vor staatlichem Zugriff zu ihrem „Bestandteil“ erklärt. Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf sie daneben zur Linderung der Kriegsfolgen ein unselbständiges, kircheneigenes Hilfswerk. Im Diakonischen Werk der EKD wurden Innere Mission und Hilfswerk zusammengeführt und rechtlich verselbständigt. Die Grundordnung der EKD und das von ihr erlassene Diakoniegesetz bezeichnen die „diakonisch-missionarischen Werke“ als „Wesens- und Lebensäußerung der Kirche“. Dem Spitzenverband gehören als rechtlich selbständige Mitglieder die EKD und die als Landesverbände gebildeten Diakonischen Werke der einzelnen Gliedkirchen sowie verschiedener Freikirchen an. Der Verband ist an Weisungen der EKD gebunden. Die Wahl seines Präsidenten und Satzungsänderungen bedürfen der Zustimmung der EKD. Die Einzelheiten dieser engen Verbindung zur EKD, die geradezu mit einer Organstellung des Diakonischen Werks in der EKD verglichen wird, können auch hier wieder dahinstehen. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen37 einer innerhalb der Amtskirche selbst organisierten Diakonie sind die als diakonische Landesverbände fungierenden Diakonischen Werke der einzelnen Gliedkirchen freie, als eingetragene Vereine bürgerlichen Rechts organisierte Zusammenschlüsse von als juristische Personen verselbständigten Trägern diakonischer Einrichtungen; weitere Mitglieder können als Träger tätige kirchliche (Teil-)Körperschaften sein38. Aus der Sicht der Träger kommt es auch hier nicht auf ihren mittelbaren Anschluss an den Spitzenverband, sondern auf das Verhältnis zu ihrem eigenen Landesverband und dessen Verhältnis zur Landeskirche entscheidend an. Nach den Diakoniegesetzen der Landeskirchen wird deren diakonischer Auftrag von ihren Diakonischen Werken wahrgenommen. Die Satzungen der Diakonischen
__________ 36 Näher Glawatz (Fn. 14), S. 18 ff.; Falterbaum (Fn. 14), S. 61 ff. 37 Das Diakonische Werk der Pfälzischen Landeskirche ist als deren Teil öffentlichrechtlich organisiert; dazu Glawatz (Fn. 14), S. 27. 38 Glawatz (Fn. 14), S. 27 ff.; Falterbaum (Fn. 14), S. 61 ff.
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Werke bezeichnen diese ausdrücklich als freie Zusammenschlüsse der Träger, räumen der jeweiligen Landeskirche aber in unterschiedlichem Umfang insgesamt sehr weit reichende Befugnisse ein. Das betrifft vor allem die Besetzung von Leitungsposten mit kirchlichen Amtsträgern, die Zustimmung zu Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern und zu Änderungen der Satzung sowie die Aufsicht über die Wirtschaftsführung des Verbandes. Die Auflösung kann nur im Benehmen mit der Landeskirche eingeleitet werden, doch liegt der Letztentscheid beim Diakonischen Werk. Dessen Vermögen fällt dann an die Landeskirche. Der Schwerpunkt der diakonisch-sozialen Arbeit liegt bei den Mitgliedseinrichtungen. Die Träger sind nach der Verbandssatzung in der Regel vor allem verpflichtet, Leitungsfunktionen mit kirchennahen Personen zu besetzen, ihre Wirtschaftsführung der Aufsicht und Änderungen ihrer eigenen Satzungen der Zustimmung des Diakonischen Werks zu unterwerfen und auf die Rechtsverhältnisse mit ihren Mitarbeitern das kirchliche Arbeitsrecht anzuwenden. Sie sind aber – von den unmittelbar der Amtskirche angehörenden Trägern abgesehen – frei, jederzeit aus dem Verband auszutreten. Im Übrigen verwalten sich die Träger selbst und werden ihre Mitgliedspflichten ausdrücklich auf die in der Satzung des Diakonischen Werks genannten Einzelpflichten beschränkt. Der kirchliche Einfluss wird durch Richtlinien des Spitzenverbandes zu Anforderungen an die Satzungen der Landesverbände sowie der Träger unterstützt, denen diese auch weitgehend nachgekommen sind. c) Modell und Wirklichkeit Dieses hier wenigstens überschlägig wiedergegebene, einigermaßen disparate Bild verbandsrechtlicher Gestaltungen gilt es kritisch zu sichten und zu ordnen. Soll die in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes gewährleistete, autonome Regelungsmacht der jeweiligen Kirche als ordnende und verwaltende Fremdbestimmung durch den Verband und über ihn selbst hinaus sich auch auf die ihm als seine Mitglieder angeschlossenen karitativ-diakonischen Träger erstrecken, muss der in den zwingenden Formen des allgemeinen Organisationsrechts gebildete strukturelle Verbund sich entsprechend verlängern und ausbauen lassen. Das Modell dieser damit wesentlich komplexeren organisationsrechtlichen Angliederung ergibt sich, wenn man den zugrundeliegenden Organisationsgeschäften wieder genauer nachgeht. Mit der Entgegennahme der „Anerkennung“ der jeweiligen, als öffentlichrechtliche Körperschaft verfassten Kirche (Diözese, Landeskirche) übernimmt der im freien Zusammenschluss der rechtlich selbständigen Träger (Verein, Stiftung, GmbH) gebildete und in der Form des eingetragenen Vereins nach bürgerlichem Recht organisierte Verband (Diözesancaritasverband, Diakonisches Werk der Landeskirche) ein Stück des Auftrags der Kirche und unterstellt sich der zur Sicherung dieses Auftrags von der Verfassung garantierten autonomen Regelungsmacht der Kirche. Die kirchliche Anerkennung gilt nach ihrem Sinn und Zweck nicht abstrakt nur dem Verband als solchen, sondern seiner konkreten Funktion als Zusammenschluss zur Förderung der die unmit809
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telbare karitativ-diakonische Arbeit leistenden Mitglieder. Jedenfalls aber setzt eine durch den Verband vermittelte Zuordnung auch dieser rechtlich selbständigen Träger zur Kirche voraus, dass der dem Verband von der Kirche erteilte Auftrag entsprechend erweitert wird: Der beherrschte Verband wird ermächtigt, den von ihm in Verantwortung gegenüber der Kirche verwalteten Auftrag an die Mitglieder zu vergeben, sowie zu dessen Sicherung im Wege der Delegation mit der autonomen Regelungsmacht der Kirche ausgestattet. Sind diese Voraussetzungen gegeben, nimmt der einzelne Träger mit seinem Beitritt als Mitglied ein Stück kirchlichen Auftrages entgegen und unterstellt sich seinerseits der vom Verband wahrgenommenen Regelungsmacht der Kirche. In welchem Umfang überhaupt und mit welchen Maßgaben im Einzelnen die Kirche gegenüber dem Verband und der Verband gegenüber den Trägern von dieser, normsetzenden und normvollziehenden Regelungsmacht jeweils auch tatsächlich Gebrauch machen, bleibt ihrem Ermessen vorbehalten. Solange aber – was hiervon scharf zu unterscheiden ist – der zwischen Verband und Kirche als beteiligten juristischen Personen geschlossene, personenrechtliche Organisationsvertrag besteht, ist mit der Unterstellung des Verbandes unter die Kirche der Zweck des Verbandes voll auf den kirchlichen Auftrag ausgerichtet und geht der kirchliche Auftrag der eigenen Aufgabe des beherrschten Verbandes mit satzungsändernder Wirkung vor. Ebenso ist, solange das durch ein personenrechtliches Organisationsgeschäft (Gründung, Beitritt) zwischen dem einzelnen Träger und dem Verband als juristischen Personen begründete Mitgliedschaftsverhältnis besteht, der Zweck des Trägers voll auf das von ihm übernommene Stück kirchlichen Auftrags ausgerichtet und geht dieser Auftrag seiner eigenen Aufgabe vor: Der Träger ist beherrschtes Mitglied des Verbandes. Zum Vorrang des kirchlichen Auftrages vor der Satzung des Verbandes und des Trägers kommt als weiteres, ebenfalls typengesetzliches Merkmal hinzu, dass die Kirche den Verband mit ihren und der Verband den Träger mit seinen selbst verfügbaren Mitteln angemessen zu fördern hat39. Das Unterordnungsverhältnis zwischen Verband und Kirche und das Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Träger und Verband bleiben aber mit Rücksicht auf Art. 4 Abs. 1 GG beiderseits zwingend auflösbar. Da der Caritasverband der einzelnen Diözese die kirchliche Anerkennung seines Bischofs nicht gegen seinen Willen hinnehmen muss, ist die für die staatskirchenrechtliche Zuordnung des Verbandes und seiner Mitglieder zur katholischen Kirche erforderliche organisationsvertragliche Grundlage an sich gegeben. So wenig selbst inhaltlich voll übereinstimmende Aussagen in Kirchenverfassung und Verbandssatzung dieses vertraglich hergestellte Einvernehmen ersetzen können, lassen doch auch sie weitere Aufschlüsse für eine ergänzende Auslegung zu. Dass in diesem Einvernehmen wirklich eine eigenverantwortliche Betrauung des Verbandes mit Aufgaben der Kirche zu sehen ist, liegt indes nach der rechtstheologischen Tradition der katholischen Kirche und der kirchenrechtlichen Stellung des Verbandes als privater, nicht ebenfalls
__________ 39 Vgl. oben zu Fn. 29 und 30.
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rechtsfähiger Verein, zudem aber auch im Blick auf das ausgeprägte Selbständigkeitsbewusstsein der Diözesenverbände und der ihnen angeschlossenen Träger eher fern. Darüber ist jedoch hier nicht zu befinden. Denn jedenfalls hängt die entsprechende, nach dem für alle geltenden Gesetz mögliche Betrauung des Verbandes von der Entscheidung des zuständigen Bischofs ab40. Ohne eine solche Betrauung des Caritasverbandes mit einem kirchlichen Auftrag kann es freilich auch keine Delegation der an diesen Auftrag gebundenen, autonomen kirchlichen Regelungsmacht geben. Das wird vor allem erheblich, wenn der Verband oder schon die Kirche selbst einen Träger für sein Verhalten zur Rechenschaft ziehen will, sich dann aber für die Mitgliedspflichten des Trägers über das bürgerliche Vereinsrecht hinaus nicht auch auf in dessen Rahmen autonom gesetztes kirchliches Recht berufen kann41. Im Verhältnis zwischen den Einzelverbänden der Diakonie und ihrer Landeskirche gibt es ausgeprägte organisationsvertragliche Vereinbarungen. Die in ihnen geregelte eigenverantwortliche Inpflichtnahme des einzelnen Diakonischen Werks und der ihm angeschlossenen Träger mit Stücken des kirchlichen Auftrags kommt dem protestantischen Verständnis vom Laienpriestertum der Gläubigen schon von vornherein entgegen. Die auf sie gestützte Zuordnung des einzelnen Diakonischen Werks und seiner selbständigen Mitgliedseinrichtungen zur jeweiligen Landeskirche wird durch die Diakoniegesetze der Kirchen untermauert, die die Betrauung ihres Landesverbandes und seiner Träger mit dem diakonischen Auftrag der Kirche und die damit verbundene Delegation der kirchlichen Autonomie an den Verband detailliert regeln. Die Satzungen der Diakonischen Werke wiederum verstehen deren diakonische Aufgabe mit der Kernformel der Grundordnung der EKD auch ihrerseits durchgängig als Wesens- und Lebensäußerung der Kirche42. Dies und die fortgeschrittene gesamtkirchliche Vereinheitlichung des Mitgliedschaftsverhältnisses zwischen einem Diakonischem Werk und seinen Trägern gibt dem jeweiligen Landesverband geradezu die Stellung einer kirchlichen Sonderverwaltung. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hält folgerichtig den Nachweis der staatskirchenrechtlichen Zuordnung eines diakonischen Trägers zur evangelischen Kirche für erbracht, wenn der Träger Mitglied in einem Diakonischen Werk ist43. Wie immer hiernach tatsächlich zu entscheiden ist, festzuhalten bleibt: Der in der Rechtsform des eingetragenen Vereins nach privatem bürgerlichem Recht organisierte Verband und die ebenfalls als privatrechtliche juristische Personen organisierten Träger als seine Mitglieder lassen sich der Fremdbestimmung durch die als öffentlichrechtliche Körperschaft autonomes Recht setzende und vollziehende Kirche allein im Wege eines organisationsvertraglichen Beherrschungsverhältnisses zwischen Kirche und Verband und dessen Verlängerung durch die Delegation der autonomen Regelungsmacht an den Verband öffnen.
__________ 40 Dazu – mit Bezug auf c. 299 § 3 CIC – näher Falterbaum (Fn. 14), S. 38 f. und 46 ff. 41 Vgl. Falterbaum (Fn. 14), S. 42 ff. (Schwangerschaftsberatung). 42 Vgl. Art. 15 Abs. 1 S. 2 GO EKD. Zu den Diakoniegesetzen eingehend Christoph, ZevKR 34 (1989), 406. 43 BAGE 102, 74.
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Die immer wiederholten Anstrengungen, entsprechende Bindungswirkungen im Verhältnis zwischen Verband und Kirche aus der Satzung des Verbandes bzw. im Verhältnis von Träger und Verband aus der Satzung des Trägers zu entwickeln und eine entsprechende Satzungspraxis zu rechtfertigen, können wenig überzeugen44. Um die in der Satzung des Verbandes vorgesehene Besetzung von Leitungsfunktionen mit kirchlichen Amtspersonen durchzusetzen, kann die Kirche grundsätzlich nicht aus der Satzung, sondern nur aus dem mit dem Verband geschlossenen Organisationsvertrag vorgehen. Um die auch in der Satzung des Trägers festgeschriebene Anwendung des kirchlichen Arbeitsrechts auf die Verträge mit seinen Mitarbeitern durchzusetzen, kann der Verband sich nicht auf die Satzung des Trägers berufen, sondern allein aus dem mit diesem organisationsgeschäftlich begründeten Mitgliedschaftsverhältnis vorgehen. Die satzungsmäßige Einräumung echter und gegebenenfalls einklagbarer Rechte an die Kirche bzw. an den Verband als außenstehende Dritte stößt auf Grenzen für eine Konstituierung von Verband bzw. Träger als gemäß Art. 9 Abs. 1 GG in freiem Zusammenschluss gebildete, selbstbestimmte juristische Personen überhaupt. Sie erscheint nur umso prekärer, als die Kirchen – wie die Ausnahmen auf katholischer wie evangelischer Seite anschaulich belegen – dieselben karitativ-diakonischen Aufgaben auch innerhalb ihrer amtskirchlichen Organisation wahrnehmen können45. Jedenfalls aber bleibt dieser Weg unbehelflich, wenn es – wie hier im Verhältnis von Verband und Kirche und im Verhältnis von Träger und Verband – darum geht, die eigene satzungsmäßige Aufgabe einer juristischen Person der von einer anderen juristischen Person übernommenen Aufgabe vollständig unterzuordnen46. Dafür sieht das allgemeine Organisationsrecht nur einen personenrechtlichen Organisationsvertrag zwischen den beteiligten juristischen Personen vor, der hier vermöge der Delegation der kirchlichen Regelungsmacht über die Beherrschung des Verbandes durch die Kirche hinaus auch zur Beherrschung der Träger durch den Verband führt. Diese Unterordnung unter den karitativ-diakonischen Auftrag ist schlechthin umfassend zu verstehen. Solange der Organisationsvertrag zwischen Kirche und Verband besteht und solange der Träger dem Verband als Mitglied angehört, ist für andere satzungsmäßige Aufgaben des Verbandes bzw. des Trägers kein Raum: Verband und Träger haben also keine weltlich-kirchliche „Doppelexistenz“ als privatrechtlich organisierte Rechtsträger und kirchliche Auftragnehmer. Sie haben vielmehr so lange einen je einheitlichen Status als kirch-
__________ 44 Zu dieser Technik wechselseitiger Bezugnahme: v. Campenhausen, Gutachten (Fn. 15), S. 11 ff. und Falterbaum (Fn. 14), S. 96 ff. je m. w. N. Allgemeiner: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, § 16 (S. 137 f.); Muckel, Kirchliche Vereine in der staatlichen Rechtsordnung, in Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1994, S. 827 ff. 45 Oben Fn. 34 und 37. Wie hier Falterbaum (Fn. 14), S. 96 f. m. w. N. mit Bezug auf BVerfGE 83, 341, 356. 46 Dazu BVerfGE 83, 341, 360.
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licher Verband und kirchlicher Träger, davor und danach einen ebenso einheitlichen Status als privater Verband und privater Träger47. Im Übrigen kann freilich auch dann, wenn die vorstehend entwickelten Anforderungen erfüllt werden, dem Verband die Rechtsform des Trägers nicht gleichgültig sein, in welcher dieser dem Verband als Mitglied beitritt. In der Rechtsform und der entsprechenden Binnenverfassung äußert sich nicht nur das Selbstverständnis des Trägers, sondern hängt auch für den Verband entscheidend ab, in welcher Weise der Träger den vom Verband vergebenen kirchlichen Auftrag zu erfüllen verspricht. Insbesondere sind die Einflussmöglichkeiten des Verbands wesentlich verschieden je nachdem, ob der Träger seinerseits als eingetragener Verein, als Stiftung oder als GmbH organisiert ist48. Dementsprechend geht einer Aufnahme als Mitglied, von der Kompatibilität der satzungsmäßigen Aufgabe des Trägers mit dem kirchlichen Auftrag abgesehen, immer auch eine sorgsame Prüfung der Organisationsform voraus. 3. Kirchlicher Verband und kirchliche Träger Ein karitativ-diakonischer Verband, so ist zusammenzufassen, ist ein kirchlicher Verband, wenn er durch eine beherrschungsvertragliche Vereinbarung mit der jeweiligen Kirche die Verfolgung seiner satzungsmäßigen Aufgabe dem karitativ-diakonischen Auftrag der Kirche unterordnet und sich damit auch der autonomen Regelungsmacht der Kirche unterstellt. Ein dem kirchlichen Verband als Mitglied angehörender karitativ-diakonischer Träger ist ein kirchlicher Träger, wenn er mit seinem Beitritt die Verfolgung seiner satzungsmäßigen Aufgabe dem, statt von der jeweiligen Kirche selbst, von dem Verband vergebenen Auftrag der Kirche unterordnet und sich damit der an den Verband delegierten autonomen Regelungsmacht der Kirche unterstellt. Der als eingetragener Verein nach bürgerlichem Recht organisierte kirchliche Verband ist ein mit der Autonomie der als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Kirche staatskirchenrechtlich belehnter Verband. Der gleichfalls als juristische Person des privaten Rechts organisierte Träger nimmt als Mitglied in diesem Verband einen staatskirchenrechtlich gebundenen Status ein. Von daher sind nunmehr auch die organisationsrechtlichen Umstrukturierungen zu beurteilen, die der Träger mit seinen Einrichtungen vornimmt.
IV. Konzernbildung kirchlicher Träger Mit der Beherrschung eines kirchlichen Trägers nicht durch einen eigenen Organisationsvertrag mit der Kirche, sondern vermöge seiner Mitgliedschaft in
__________ 47 Von „Doppelexistenz“ spricht dagegen Muckel (Fn. 44), S. 839; zustimmend v. Campenhausen, Staatskirchenrecht (Fn. 44), § 16 (S. 138). 48 Eingehender Falterbaum (Fn. 14), S. 93 ff.
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einem durch Organisationsvertrag von der Kirche beherrschten kirchlichen Verband betritt man noch kaum genauer erschlossenes organisationsrechtliches Neuland. Die offenen Fragen betreffen die grundsätzlichen Schranken der Organisationsfreiheit des Trägers in diesem Verband, deren mögliche Lockerung durch eine Abwandlung des Mitgliedschaftsverhältnisses und, wo ein Pflichtverstoß des Trägers nicht zu vermeiden oder doch nicht zu heilen ist, auch die rechtlichen Sanktionen. Damit ist vor allem auf die im Wege der Gründung von – meist gemeinnützigen – GmbHs erfolgenden Maßnahmen der Restrukturierung einzugehen, mit denen die Träger dem wachsenden Druck auf dem sozialen Markt zu begegnen suchen. In der Sache geht es um eine faktische Konzernbildung karitativ-diakonischer Unternehmen durch allein oder zumindest mehrheitlich beherrschte Tochtergesellschaften. 1. Organisationsfreiheit und mitgliedschaftliche Grundpflicht des Trägers Mit dem Beitritt zum Verband hat der Träger seine Zweckverfolgung vollständig dem an Stelle der Kirche vom Verband vergebenen kirchlichen Auftrag unterstellt. Daraus ergibt sich für ihn – noch vor allen in der Satzung ausgewiesenen und ausdrücklich beschränkten Einzelpflichten eines Mitglieds des Verbandes – schon die ungeschriebene allgemeine Loyalitätspflicht, alles ihm Zumutbare für die Erfüllung des kirchlichen Auftrages zu tun und alles zu unterlassen, was einer solchen uneingeschränkten Erfüllung entgegensteht. Mit der in allein eigener Entscheidung vorgenommenen Gründung einer Tochtergesellschaft49 verletzt der Träger diese Grundpflicht gegenüber dem Verband, weil er insoweit seine Betätigung (Management und Personalarbeit) und das ihr dienende Vermögen (Sach- und Finanzvermögen) der Erfüllung des kirchlichen Auftrages entzieht und der mit der Tochtergesellschaft betriebenen Zweckverfolgung zuwendet. Dabei ist zusätzlich auch an Einstandspflichten aus für die Tochtergesellschaft gestellten Sicherheiten und der konzernrechtlichen Haftung zu denken. Diese Pflichtverletzung ist mit der Gründung der Tochtergesellschaft als solcher unabhängig davon tatbestandlich vollendet, welche Absichten der Träger mit ihr verfolgt hat: Der zweckwidrige Abfluss von personellen und materiellen Ressourcen bleibt sich gleich, ob nun die Vermeidung bestimmter kirchlicher Normvorgaben wie insbesondere der Anwendung des kirchlichen Arbeitsrechts auf die Verträge mit den Mitarbeitern oder ganz unmittelbar eine Verlagerung oder Auslagerung bestimmter unternehmerischer Funktionen die Gründung der Tochtergesellschaft veranlasst hat. Dabei ist die vom Verband wiederum gegenüber der Kirche zu verantwortende Erfüllung des kirchlichen Auftrages und die auf ihn bezogene Verletzung der mitgliedschaftlichen Grundpflicht des Trägers immer auch in Verbindung mit der mit ihr korrelierenden Förderpflicht der Kirche gegenüber dem beherrschten Verband und des Verbandes gegenüber dem beherrschten Träger zu sehen.
__________ 49 Ausführlich Glawatz (Fn. 14), S. 76 ff. m. w. N.
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2. Lockerung der Schranken durch Abwandlung des Mitgliedschaftsverhältnisses Trotzdem stehen unternehmerische Eigenbestimmung und mitgliedschaftliche Fremdbestimmung des kirchlichen Trägers einander nicht schon von vornherein unversöhnlich gegenüber. Die meisten Satzungen der kirchlichen Verbände sehen vor, dass einzelne Träger auf ihren Antrag in begründeten Ausnahmen von bestimmten Mitgliedspflichten entbunden werden können. Eine entsprechende, einverständliche Abwandlung des Mitgliedschaftsverhältnisses zwischen dem Verband und dem einzelnen Träger ist aber grundsätzlich auch dann möglich, wenn durch die Gründung einer Tochtergesellschaft schon die ungeschriebene mitgliedschaftliche Grundpflicht des Trägers berührt wird. Allerdings ist eine solche vertragliche Änderung des konkreten Mitgliedschaftsverhältnisses, die den Grundpflichtverstoß des Trägers heilt oder schon von vornherein vermeidet, mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Träger nur vereinbar, wenn sie aus dem vom Verband vergebenen und verwalteten Auftrag der Kirche zu rechtfertigen ist50. Die Anpassung der Mitgliedschaft bleibt damit eine Frage der Zweckbindung der zur Erfüllung des kirchlichen Auftrages bestimmten, personellen und materiellen Ressourcen des Trägers oder genauer ihrer möglichen Kompensation. Diese ist in zweifacher Weise denkbar. Der eine Weg besteht darin, dass die Tochtergesellschaft sich auch ihrerseits dem kirchlichen Auftrag unterstellt, dem die ihm zunächst entfremdeten Mittel damit wieder rechtlich neu zugewendet werden. Die andere Möglichkeit ergibt sich, wenn und soweit die Zweckverfolgung der Tochtergesellschaft die Betätigung des Mutterträgers oder auch eines anderen kirchlichen Trägers immerhin tatsächlich unterstützt und die für die Tochtergesellschaft aufgewendeten Ressourcen damit jedenfalls im tatsächlichen Erfolg gleichfalls der Erfüllung des kirchlichen Auftrages zugute kommen. Soll auch die Tochtergesellschaft wieder gleiche Kernaufgaben des Heilens, Pflegens, Erziehens, Betreuens oder Lehrens wahrnehmen und sie wie der kirchliche Träger nicht gewerblich, sondern uneigennützig verfolgen, kann der Verband seine Einwilligung in die Tochtergründung und damit in die entsprechende Änderung des konkreten Mitgliedschaftsverhältnisses mit dem Träger davon abhängig machen, dass auch die Tochtergesellschaft dem Verband als Mitglied beitritt. Dabei mag zusätzlich, sofern in der Satzung des Verbandes vorgesehen, etwa auch eine Befreiung von der Anwendung des kirchlichen Arbeitsrechts in Betracht kommen. Wo eine Mitgliedschaft auch der Tochtergesellschaft im Verband an dessen Satzung scheitert, ist stattdessen eine unmittelbare organisationsrechtliche Zuordnung der Tochtergesellschaft zur Kirche denkbar. Beide Mal werden damit die der Erfüllung des kirchlichen Auftrages zunächst entfremdeten personalen und materiellen Ressourcen organisationsrechtlich dem kirchlichen Auftrag wieder dienstbar gemacht. Der Träger erhält so die Möglichkeit, innerhalb des vom Verband betreuten Aufgabenspektrums seine Betätigung durch Arbeitsteilung oder Bündelung, Aus-
__________ 50 Vgl. oben zu Fn. 7.
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gründung oder Neuaufnahme konfliktfrei auf einen oder auch mehrere weitere Träger zu verlagern, also etwa seine bisher neben anderen unselbständigen Einrichtungen betriebenen Krankenhäuser in einer Tochtergesellschaft selbständig zusammenzufassen oder mit einer solchen neuen Gesellschaft daneben nun auch den Betrieb von Pflegeheimen aufzunehmen51. Löst der kirchliche Träger demgegenüber mit der Restrukturierung aus seinen karitativ-diakonischen Aufgaben nur einzelne Funktionen wie Reinigung, Wäscherei, Essensversorgung, Buchhaltung und Rechnungswesen o. Ä. heraus, um sie als selbständige Aufgaben der Tochtergesellschaft zu übertragen, kommt weder eine mittelbare kirchliche Zuordnung auch der Tochtergesellschaft als Mitglied des kirchlichen Verbandes noch stattdessen ihre unmittelbare Zuordnung zur Kirche in Betracht: Solche Hilfsaufgaben können für sich genommen nicht Gegenstand eines Auftrages der Kirche, eine solche Gesellschaft selbst kein kirchlicher Träger sein. Doch kann der Verband seine Zustimmung zur Gründung der Tochtergesellschaft und die damit verbundene Änderung des Mitgliedschaftsverhältnisses mit dem Träger hier davon abhängig machen, dass die Tochtergesellschaft ausschließlich für den Träger oder etwa auch für andere kirchliche Träger bei deren Aufgabenerfüllung unterstützend tätig wird. Denn mit einer solchen Hilfsfunktion der Tochtergesellschaft kommen die mit deren Gründung der Zweckverfolgung des Trägers für den Verband entzogenen Ressourcen dem vom Verband bzw. von der Kirche selbst verwalteten Auftrag immerhin tatsächlich wieder zugute. Der Bereich einer solchen nicht durch die anderweitige Bindung der zweckentfremdeten Ressourcen selbst, sondern durch den Erfolg aus ihrem tatsächlichen Einsatz möglichen Kompensation wird jedoch überschritten, wenn die Tochtergesellschaft für Dritte auch gewerblich tätig wird: Eine Gewinnerzielung liegt jenseits des Auftrages der Kirche. Innerhalb dieser Grenzen ist damit aber auch für ein konfliktfreies Outsourcing von Servicefunktionen in selbständige Tochterunternehmen, die für den kirchlichen Träger nur noch unterstützend tätig sein sollen, der erforderliche Gestaltungsraum vorhanden52. Im Übrigen ist der Verband nicht nur berechtigt, sondern in seinem Verhältnis zur Kirche auch verpflichtet, seine Einwilligung in die Änderung des Mitgliedschaftsverhältnisses mit dem Träger von den genannten Voraussetzungen abhängig zu machen: Der Unterstellung des Trägers unter die an den Verband delegierte Regelungsmacht der Kirche geht die Unterstellung des Verbandes unter die von der Kirche selbst ausgeübte Regelungsmacht voraus. Umgekehrt entspricht der Förderverantwortung des Verbandes gegenüber dem Träger die Förderverantwortung der Kirche gegenüber dem Verband. 3. Sanktionen Als Gegenstück ist der kirchliche Verband nicht nur berechtigt, sondern gegenüber der Kirche auch verpflichtet, den Loyalitätsverstoß des kirchlichen
__________
51 Dazu Glawatz (Fn. 14), S. 77 ff. 52 Dazu Glawatz (Fn. 14), S. 111 ff.
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Trägers zu sanktionieren, wenn er sich nicht, wie dargestellt, schon vermeiden oder doch heilen lässt. Hat die Tochtergesellschaft ebenfalls wieder karitativdiakonische und damit für einen „kirchlichen“ Auftrag taugliche Aufgaben, richtet sich der Anspruch gegen den Träger nunmehr darauf, die Tochtergesellschaft zum Beitritt zum Verband oder zu einer unmittelbaren Zuordnung zur Kirche zu bewegen. Hat die Tochtergesellschaft nur „weltliche“ Hilfsaufgaben, kann der Verband vom Träger verlangen dafür Sorge zu tragen, dass die Tochtergesellschaft keine gewerbliche Tätigkeit für Dritte aufnimmt. Daneben kommen im Blick auf die Förderverantwortung von Verband und Kirche auch Schadensersatzansprüche gegen den Träger in Betracht. In letzter Konsequenz ist der Verband berechtigt, den Träger aus dem Verband auszuschließen.
V. Umwandlung kirchlicher Träger Maßnahmen einer Umwandlung (Formwechsel, Verschmelzung, Spaltung) stellen im Unterschied zur Konzernbildung durch Gründung von Tochtergesellschaften außergewöhnliche, gewissermaßen einmalige Maßnahmen der Restrukturierung eines Unternehmens dar. Von einem kirchlichen Träger vorgenommen, beendigen sie dessen Mitgliedschaft im kirchlichen Verband. Die konkrete Rechtsform und die ihr entsprechende innere Verfassung des Trägers sind, wie dargelegt, nicht nur für sein Selbstverständnis, sondern auch aus der Sicht des Verbandes von entscheidender Bedeutung. Mit seiner Umwandlung53 entzieht der Träger der Entscheidung des Verbandes über seine Aufnahme nachträglich den Boden. Das gilt schon für den reinen Formwechsel: Dem Verband kann nicht gleichgültig sein, ob er, statt wie bisher einen eingetragenen Verein, künftig eine GmbH zum Mitglied hat. Das gilt erst recht für die Verschmelzung des Trägers mit anderen Trägern und für seine Spaltung. Gleichviel, ob und mit welchem Ziel dabei die gesetzlichen Techniken der „Identität“ von früherem und jetzigem Träger und der „Gesamtnachfolge“ des einen in das Vermögen des anderen zur Anwendung kommen: Auch wenn der vom Verband als eingetragener Verein oder als GmbH aufgenommene Träger nach der Verschmelzung oder Spaltung selbst weiter besteht, ist diese juristische Person jetzt zwar noch dieselbe, jedenfalls aber wegen ihrer anderen Organisationsstruktur nicht mehr die gleiche54. Sie hat ihren staatskirchenrechtlich gebundenen Status als beherrschtes Mitglied eines mit der Regelungsmacht der Kirche belehnten, kirchlichen Verbandes ebenso verloren, wie ihn etwa auch ein als Stiftung organisierter Träger verliert, der zum Zweck von Formwechsel, Verschmelzung oder Spaltung aufgelöst werden muss, ehe sein Vermögen im Wege der Einzelnachfolge auf einen eingetragenen Verein als neuen Träger übertragen bzw. verteilt werden kann55.
__________ 53 Vgl. Glawatz (Fn. 14), S. 137 ff. 54 Kritisch dazu K. Schmidt (Fn. 7), § 12 IV 2 m. w. N. 55 Vgl. zu Fn. 47.
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Im Ergebnis nimmt der kirchliche Träger gleichviel, ob er die Beendigung der Mitgliedschaft beabsichtigt oder nicht, mit der Umwandlung nur dieselbe Freiheit wahr, die er schon durch das Recht zum Austritt hat. Hier wie dort entsteht dadurch allein beim kirchlichen Verband noch kein Entscheidungsbedarf. Über eine mögliche Aufnahme des nach der Umwandlung nunmehr vorhandenen Trägers in den Verband ist beiderseits neu zu befinden.
VI. Ausblick Die vorstehend skizzierten Überlegungen haben nicht die Autonomie der Kirchen nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV als solche zum Gegenstand, sondern die Allgemeinformen des Organisationsrechts als „das für alle geltende Gesetz“, in dessen Rahmen diese ordnende und verwaltende Regelungsmacht der Kirchen vom Grundgesetz gewährleistet wird. Die mit diesen Organisationsformen ermöglichte und vom BVerfG gebilligte Erstreckung solcher Regelungsmacht auf außerhalb der verfassten Amtskirche rechtlich selbständig organisierte kirchliche Verbände und kirchliche Träger ist freilich – nicht nur im Verhältnis zu den sonstigen Wohlfahrtsverbänden und sozialen Trägern, sondern in einer zunehmend säkular geprägten Gesellschaft überhaupt – ungewöhnlich genug, um die damit als Fremdbestimmung wirkende kirchliche Autonomie auch selbst ins Blickfeld zu rücken. Auch kirchlicherseits wird durchaus gesehen, dass die mit einer solchen Angliederung erzeugte Zuordnung selbständiger juristischer Personen zur verfassten Kirche längerfristig nur aufrecht zu erhalten sein wird, wenn die dafür verfügbaren Rechtsformen von den Beteiligten überzeugend ausgefüllt werden56. Das hängt im hier beleuchteten Zusammenhang von einer deutlichen Entscheidungspraxis der kirchlichen Verbände ab: Bringt der kirchliche Träger die für eine Betrauung mit einem kirchlichen Auftrag taugliche Tochtergesellschaft für deren Zuordnung zur Kirche nicht bei, ist auch für ihn selbst im kirchlichen Verband kein legitimer Platz. Kommt die Tochtergesellschaft für eine solche Zuordnung nach ihrer Aufgabe nicht in Betracht, ist auch für den Träger selbst im kirchlichen Verband kein legitimer Platz, wenn er durch die Tochtergesellschaft gewerbliche Ziele verfolgt und sie nicht auf die bloße Unterstützung der karitativ-diakonischen Tätigkeit anderer Träger beschränkt. Ohne solche Deutlichkeit wird im einen Fall die vor allem am Leitbild der Dienstgemeinschaft der Mitarbeitenden gemessene Binnenplausibilität, im anderen Fall das unlösbar mit der Uneigennützigkeit des Handelns verbundene Außenprofil einer spezifisch „kirchlichen“ Zuordnung rechtlich selbständiger Einrichtungen aufgeweicht und geht so schließlich auch der vom BVerfG anerkannte, tragende Grund dieser Zuordnung überhaupt verloren. Jedenfalls aber lässt sich die hier vorgestellte, atypisch-hybride Verbundsstruktur des von einer öffentlichrechtlichen Körperschaft beherrschten Verbandes
__________ 56 Statt vieler: Glawatz (Fn. 14), S. 143 ff.
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mit privatrechtlichen juristischen Personen als beherrschten Mitgliedern nur in den für eine rechtsgeschäftliche Einräumung von Fremdbestimmung über andere juristische Personen vorgesehenen Allgemeinformen des Organisationsrechts fassen. Damit muss freilich auch diese rechtliche Gestaltung sich zugleich wieder eigenen Typengesetzlichkeiten fügen, wie sie Harm Peter Westermann schon für die Ursprungsformen personenrechtlicher Organisation in bis heute vorbildlich gebliebener Weise herausgearbeitet hat.
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Die Limited & Still Bemerkungen zur Stillen Gesellschaft im deutschen Kollisionsrecht
Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlagen 1. Die private limited company by shares a) Die Limited mit effektivem Verwaltungssitz in England b) Die zugezogene Limited 2. Die stille Gesellschaft deutschen Rechts 3. Stille Gesellschaft und englisches Recht a) Die „stille Gesellschaft“ englischen Rechts b) Stille Gesellschaft deutschen Rechts in England?
III. Anwendbares Recht 1. Gesellschaftsstatut versus Vertragsstatut 2. Rechtswahl 3. Objektive Anknüpfung 4. Zwischenergebnis IV. Handelsgewerbe und Kaufmannseigenschaft 1. Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft 2. Kaufmannseigenschaft der Limited V. Der zu verteilende Gewinn VI. Fazit
I. Einleitung Spätestens mit seinem Urteil in der Rechtssache Inspire Art1 hat der EuGH der Private Limited Company englischen Rechts zum Durchbruch in Deutschland verholfen. Angelockt von wirklichen oder vermeintlichen Kosten2- oder Haftungsvorteilen3 haben in der Folge tausende von deutschen Unternehmern Limiteds gegründet4. Dieser anfängliche Run auf die Limited hat zwar mit der Zeit etwas nachgelassen, das rechtliche Thema „Limited“ gewinnt jedoch weiterhin zunehmend an Aktualität. Ob die in den vergangenen Jahren gegründeten Limiteds im juristischen Tagesgeschäft tatsächlich eine Konkurrenz und
__________ 1 EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs C 167/01, Slg. 2003, I-10155. 2 Zum Kostenvorteil kritisch etwa Happ/Holler, DStR 2004, 730, 734 ff. 3 Zur Durchgriffshaftung Zöllner, GmbHR 2006, 1, 7 f. Zum Eigenkapitalersatz s. die entgegenstehenden Ansichten bei Müller, BB 2006, 837, 838 (keine Anwendung der Eigenkapitalersatzvorschriften) und Zöllner, GmbHR 2006, 1, 5 f. (Eigenkapitalersatzregeln haben insolvenzrechtlichen Charakter und sind deshalb anzuwenden). Zur Kapitalerhaltung s. etwa Happ/Holler DStR 2004, 730, 733 f. 4 Ende 2005 wurde die Anzahl der Limiteds in Deutschland schon auf mindestens 25 000 geschätzt, vgl. Zöllner, GmbHR 2006, 1, 2; zu weiteren Statistiken Happ, ZHR 169 (2005), 6 m. w. N. sowie Kornblum, GmbHR 2007, 25, 33.
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Uwe Blaurock
Alternative zur GmbH darstellen, wird sich erst nach längerer Zeit erweisen5. Mittlerweile ist eine unübersehbare Flut von allgemeinen oder speziellen Beiträgen zur Limited erschienen; zur stillen Beteiligung deutschen Rechts an einer Limited englischen Rechts findet sich bislang jedoch nur wenig6. Dabei kommt dieser Gestaltung mit zunehmender Anzahl der Limiteds auf deutschem Boden durchaus Bedeutung zu. Da die stille Gesellschaft als Innengesellschaft keiner Publizität unterliegt, fehlen statistische Erkenntnisse darüber, in welchem Umfang stille Beteiligung an Limiteds vorkommen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch deutsche Limited-Gründer von der in Deutschland durchaus beliebten Finanzierung durch stille Beteiligungen Gebrauch machen. Allerdings bestehen Unsicherheiten, inwieweit dies rechtlich möglich ist und welche Besonderheiten im Einzelnen bestehen.
II. Grundlagen 1. Die private limited company by shares Bei der hier mit „Limited“ bezeichneten Gesellschaftsform handelt es sich um die „private limited company by shares“ englischen Rechts7. Die Limited ist eine Kapitalgesellschaft und entspricht funktional der deutschen GmbH8, insbesondere bietet sie die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung9. Gegenüber der GmbH hat sie jedoch wesentliche Vorteile: Die Gründung nimmt in der Regel wesentlich weniger Zeit in Anspruch10, es ist kein Mindestkapital vorgesehen11, Kapitalaufbringung und -erhaltung spielen keine Rolle und die Limited genießt im internationalen Wirtschaftsverkehr eine höhere Bekanntheit als die GmbH.
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5 Zur Konkurrenzsituation der deutschen GmbH H. P. Westermann, GmbHR 2005, 4 und ZIP 2005, 1849. 6 Heinz, Die englische Limited, 2. Aufl. 2006, § 20 Rz. 10 f., der diese Konstruktion in zwei kurzen Sätzen pauschal ablehnt; Kessler/Eicke, DStR 2005, 2101, 2106 f., die diese Konstruktion ohne weiteres zulassen. Zur Besteuerung und Umqualifizierungsproblematik der grenzüberschreitenden stillen Gesellschaft s. Fu, Die stille Gesellschaft im internationalen Steuerrecht aus deutscher Sicht, 1997; Glessner, Die grenzüberschreitende stille Gesellschaft im Internationalen Steuerrecht, 1999; Höötmann, Die stille Gesellschaft als Finanzierungsalternative bei grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit, 2001. 7 Genauer gesagt: Des englischen und walisischen Rechts, da England und Wales eine gemeinsame Rechtsordnung haben, vgl. Heinz (Fn. 6), § 1 Rz. 1; Triebel, Die Limited in Deutschland, 2006, Rz. 24. 8 Triebel (Fn. 7), Rz. 35 f., der aber auch auf Ähnlichkeiten mit der deutschen AG hinweist; zur steuerlichen Vergleichbarkeit s. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, S. 1076, 1114 u. 1119. 9 Vgl. Just, Die englische Limited in der Praxis, 2005, Rz. 72 f. 10 Nach Kessler/Eike, DStR 2005, 2101, 2107 dauert dies zwischen 24 Stunden und 1 Woche gegenüber der Gründung einer GmbH, die zwischen 24 Stunden und 6 Wochen in Anspruch nimmt; Zöllner, GmbHR 2006, 1, 10 weist jedoch darauf hin, dass der Zeitvorteil je nach registergerichtlichem Bezirk in Deutschland auch nur marginal sein kann. 11 Triebel (Fn. 7), Rz. 109; Römermann, Private Limited Company in Deutschland, 2006, II. Rz. 7.
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Die Limited & Still
Bei der Beurteilung der rechtlichen Situation der Limited & Still sollen im folgenden zwei verschiedene Konstellationen unterschieden werden: einerseits die in England tätige Limited, die lediglich aus Gründen der Finanzierung stille Beteiligungen an deutsche Investoren ausgibt und andererseits die in England gegründete und eingetragene Limited, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat und auch nur hier tätig ist (zugezogene Limited). a) Die Limited mit effektivem Verwaltungssitz in England Für die Limited mit effektivem Verwaltungssitz in England ist die Situation unproblematisch. Für sie selbst gelten auch dann keine Besonderheiten, wenn sie in Deutschland als Investoren stille Gesellschafter beteiligt. Sie wird nach englischem Recht gegründet und im Company House von England oder Wales eingetragen. Sie hat in England ihr domicile, ihr registered office und ihre residence12 und in Deutschland keine besonderen personellen oder sachlichen Mittel. Die Eintragung einer selbständigen Niederlassung i. S. v. § 13d HGB ist weder geboten noch möglich, da in Deutschland keine räumlich und organisatorisch selbständige Einheit betrieben wird13. Dies gilt auch für den Fall, dass in Deutschland eine personell und sachlich ausgestattete Kapitalsammelstelle eingerichtet wird, von welcher aus Investoren angeworben werden und die als Anlaufstelle für die stillen Beteiligten fungiert. Hierdurch ergibt sich keine selbständige Niederlassung; mit der Suche nach Investoren würde eine solche Kapitalsammelstelle nicht die gleichen oder gleichartige Geschäfte wie die Hauptniederlassung tätigen, sondern reine Hilfsgeschäfte. Die Erledigung solcher Hilfsgeschäfte reicht für die Begründung einer selbständigen Niederlassung nicht aus14. b) Die zugezogene Limited Die Sitztheorie kann nach den Entscheidungen des EuGH in Sachen Centros15, Überseering16 und Inspire Art17 innerhalb der Europäischen Union nicht mehr angewandt werden. Es sind daher auch Scheinauslandsgesellschaften, die ausschließlich im Inland tätig sind, anzuerkennen. Der Zuzug nach Deutschland erfolgt dergestalt, dass die Limited eine Zweigniederlassung am Ort des effektiven Verwaltungssitzes in Deutschland gründet und diese nach §§ 13d-g HGB eintragen lässt18. Ein Vollumzug der Limited, sei es unter gleichzeitiger Eintra-
__________ 12 Zu den Begriffen domicile, registered office und residence Triebel (Fn. 7), Rz. 38 ff. 13 Zum Kriterium der räumlich und organisatorischen Selbständigkeit: Krafka in MünchKomm.HGB, Bd. 1, 2. Aufl. 2005, § 13d HGB Rz. 9 ff.; Rinne, Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen im deutschen Kollisions- und Sachrecht, 1997, S. 28 ff. 14 S. etwa Hopt in Baumbach/Hopt, 32. Aufl. 2006, § 13 HGB Rz. 3. 15 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – Rs C-212/97, Slg. 1999, I-9919. 16 EuGH, Urt. v. 5.11.2002 – Rs C-208/00, Slg. 2002, I-1459. 17 EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs C-167/01, Slg. 2003, I-10155. 18 Hierzu Klose-Mokroß, DStR 2005, 972 ff.; Süß, DNotZ 2005, 180 f.
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gung einer Hauptniederlassung in Zuzugs- und Wegzugsland19 oder im Wege der statutarischen Sitzverlegung in das Zuzugsland20, ist jedoch noch nicht möglich. Der Zweigniederlassung dabei kommt keine Rechtspersönlichkeit zu21, dies unterscheidet sie von einer selbständigen Tochtergesellschaft. Die Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland bleibt damit eine englische Gesellschaft mit allen Verpflichtungen, die sich aus dem englischen Recht ergeben. Aus der Tatsache, dass sie jetzt auch ihre Verwaltungstätigkeit in Deutschland entfaltet, können sich nunmehr aber Konsequenzen für stille Beteiligung ergeben, die von ihr eingeräumt werden. 2. Die stille Gesellschaft deutschen Rechts Der stille Gesellschafter beteiligt sich an dem Handelsgewerbe des Inhabers mit einer Vermögenseinlage. Er hat die Einlage dabei so zu leisten, dass sie in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts übergeht (§ 230 Abs. 1 HGB). Als Innengesellschaft verfügt die stille Gesellschaft nicht über ein gesamthänderisch gebundenes Vermögen22. Aus den in dem Betrieben geschlossenen Geschäften wird allein der Inhaber berechtigt und verpflichtet (§ 230 Abs. 2 HGB). Eine Außenhaftung des stillen Gesellschafters besteht daher nicht23. Dem stillen Gesellschafter steht nach § 232 HGB ein Anteil am Gewinn zu, an den Verlusten nimmt er teil, soweit dies nicht ausgeschlossen wurde; er hat nach § 233 nur geringe Kontrollrechte; an den stillen Reserven ist er nicht beteiligt24. Von diesem gesetzlichen Grundtypus der typischen stillen Gesellschaft kann durch Vereinbarung der Beteiligten abgewichen werden. Je nach Intensität der Abweichungen entsteht dadurch eine atypische stille Gesellschaft, wobei die Unterscheidung insbesondere für die Besteuerung von Bedeutung ist25. Bei der stillen Gesellschaft erschöpft sich das Verhältnis der Beteiligten nicht in rein schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Inhaber und stillem Gesellschafter; vielmehr wird sie durch den gemeinsamen Zweck „Betrieb eines Handelsgewerbes“ geprägt26. Hierdurch unterscheidet sie sich vom partiarischen Darlehen27.
__________ 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Heinz (Fn. 6), § 2 Rz. 24. Klose-Mokroß, DStR 2005, 971; Kessler/Eicke, DStR 2005, 2102. Krafka in MünchKomm.HGB (Fn. 13), § 13d HGB Rz. 10. Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, Rz. 4.11; Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB, Bd. 3, 2. Aufl. 2007, § 230 HGB Rz. 9 u 79 f. Blaurock (Fn. 22), Rz. 12.98 ff.; Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 13. Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 235 HGB Rz. 21; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 14), § 235 HGB Rz. 1. Dazu Blaurock (Fn. 22), Rz. 1.29, 4.26 und zur steuerrechtlichen Unterscheidung zwischen typischer und atypischer stiller Gesellschaft Rz. 20.47. Blaurock (Fn. 22), Rz. 4.6 ff. Blaurock (Fn. 22), Rz. 8.17; Bezzenberger/Keul in MünchHdb.GesR, Band 2, 2. Aufl. 2004, § 73 Rz. 10.
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Die Limited & Still
Voraussetzung dafür, dass von einer stillen Gesellschaft deutschen Rechts gesprochen werden kann, ist die Anwendbarkeit des deutschen Rechts, insbesondere der §§ 230 ff. HGB, auf das Gesellschaftsverhältnis. Auf die Frage des für die Limited & Still anzuwendenden Rechts wird im folgenden unter III. eingegangen. Nach § 230 Abs. 1 HGB erfordert eine stille Gesellschaft die Beteiligung an dem Handelsgewerbe eines anderen. Die h. M. folgert daraus, dass ein handelsrechtliches, also kaufmännisches Unternehmen vorliegen muss28. Das Erfordernis eines Handelsgewerbes wird allgemein mit der Kaufmannseigenschaft des Inhabers gleichgestellt29. Die Kaufmannseigenschaft des Inhabers ist daher notwendig, aber auch ausreichend für die Begründung einer stillen Gesellschaft30. Die Beteiligung an einem nichtkaufmännischen Unternehmen hingegen begründet nach herrschender Meinung keine stille Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, auf welche die Vorschriften der stillen Gesellschaft gegebenenfalls analog angewandt werden können31. Wenn eine handelsrechtliche stille Gesellschaft mit einer Limited in Betracht kommen soll, dann ist mithin Voraussetzung, dass einer Limited Kaufmannseigenschaft zukommen kann (hierzu unten IV.). Dem stillen Gesellschafter steht ein Anteil am Gewinn zu (§§ 231 Abs. 1, 232 Abs. 2 HGB). Die Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters kann auch bei atypischer Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages nicht ausgeschlossen werden. Die Feststellung des maßgeblichen Gewinns ist schon nach deutschem Recht problematisch; bei der Limited & Still können zusätzlichen Probleme der Gewinnermittlung hinzukommen (hierzu unten V.). 3. Stille Gesellschaft und englisches Recht a) Die „stille Gesellschaft“ englischen Rechts Dem englischen Recht ist die stille Gesellschaft als reine Innengesellschaft fremd32. Wenn die Voraussetzungen einer stillen Gesellschaft vorliegen, würde nach englischem Recht eine partnership33 bestehen. Als sleeping oder dormant partner wird der nicht nach außen auftretende und daher unbekannte partner
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28 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 19; OLG Köln v. 29.5.1995 – 19 U 83/94, NJW-RR 1996, 27, 28; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 14), § 230 HGB Rz. 5. 29 Van Venrooy, Die Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft im deutschen Internationalen Privatrecht, 1985, S. 45. 30 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 19 m. w. N. 31 Blaurock (Fn. 22) Rz. 5.2 f.; Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 19 und 24 m. w. N.; a. A. OLG Köln v. 29.5.1995 – 19 U 83/94, NJW-RR 1996, 27, 28. 32 Blaurock (Fn. 22), Rz. 3.78; Triebel/Hodgson/Kellenter/G. Müller, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995, Rz. 801; Hohloch in Hohloch (Hrsg.), EU Handbuch Gesellschaftsrecht, Stand 2001, Vereinigtes Königreich, Rz. 24. 33 Die partnership ist im Partnership Act 1890 geregelt und lässt sich in etwa mit der deutschen OHG vergleichen, wenn auch der Begriff der partnership weiter ist als derjenige der OHG, hierzu Triebel/Hodgson/Kellenter/G. Müller (Fn. 32), Rz. 788.
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einer partnership bezeichnet34. Als echter partner haftet der sleeping partner unbeschränkt, soweit für die partnership gehandelt wurde35. Das englische Recht folgt damit dem Grundsatz, dass derjenige, der einen Anteil am Gewinn eines Unternehmens erhält, auch den Gläubigern des Unternehmens gegenüber haften soll36. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bildet jedoch das partiarische Darlehen englischen Rechts, welches in section 2 paragraph 3 (d) des Partnership Act 1890 explizit geregelt und von der partnership abgegrenzt wird: (3) The receipt by a person of a share of the profits of a business is prima facie evidence that he is a partner in the business, but the receipt of such a share, or of a payment contingent on or varying with the profits of a business, does not of itself make him a partner in the business; and in particular[…] (d) The advance of money by way of loan to a person engaged or about to engage in any business on a contract with that person that the lender shall receive a rate of interest varying with the profits, or shall receive a share of the profits arising from carrying on the business, does not of itself make the lender a partner with the person or persons carrying on the business or liable as such. Provided that the contract is in writing, and signed by or on behalf of all the parties thereto …
Die Abgrenzung des partiarischen Darlehens von der partnership erfolgt nicht wie im deutschen Recht anhand des gemeinsamen Zwecks37, sondern anhand einer Beurteilung, ob die Stellung des Darlehensgebers der eines Gesellschafters entspricht38. Wenn auch die Auskehrung eines Gewinnanteils prima facie für eine partnerStellung spricht, so ist die Intensität der Kontroll-, Mitsprache- und Überwachungsrechte für die Begründung einer partner-Stellung höher als es für eine Qualifizierung als stille Gesellschaft deutschen Rechts notwendig wäre. Bei der deutschen stillen Gesellschaft können z. B. die Kontrollrechte des § 233 Abs. 1 HGB ausgeschlossen werden39. Sind sich die Parteien über den gemeinschaftlichen Zweck einig, liegt auch in diesem Fall eine stille Gesellschaft und
__________ 34 Die Figur des sleeping partners ist im Partnership Act 1890 nicht genannt, sie ist eine Schöpfung der englischen Rechtspraxis. Einen Niederschlag hat der Begriff sleeping partner jedoch im Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-UK 1964/70 in Art. VI Abs. 4 2. Hs. gefunden. Dieser ist jedoch einseitig formuliert und betrifft wohl nur aus Deutschland abfließende Gewinnanteile, d. h. Einkünfte englischer Kapitalgeber, die an einem in Deutschland ansässigen Unternehmen als stille Gesellschafter beteiligt sind, Vogler/Lehner, DBA-Kommentar, 4. Aufl. 2003, Art. 10 Rz. 165. Im DBA ist daher der echte deutsche stille Gesellschafter gemeint. 35 Lindley & Banks, Partnership, 18th ed. 2002, Rz. 5–30. 36 Lindley & Banks, Partnership, 18th ed. 2002, Rz. 5–33 ff. 37 Dazu Blaurock (Fn. 22), Rz. 8.16 ff., wobei aber auch hier Kontroll-, Mitsprache- und Überwachungsrechte Indizfunktion haben, s. Rz. 8.34. 38 Dazu Morse, Partnership Law, 5th ed. 2003, S. 54 ff. und 63. 39 Näher Blaurock (Fn. 22), Rz. 12.89, im Einzelnen jedoch strittig; s. zur Dispositivität der einzelnen Informationsrechte Schlitt, Die Informationsrechte des stillen Gesellschafters in der typischen stillen Gesellschaft und in der stillen Publikumsgesellschaft, 1996, S. 93 ff.
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nicht ein partiarisches Darlehen vor. Nach englischem Recht wäre das Rechtsverhältnis mangels ausreichender Intensität der Mitwirkungs- und Kontrollrechte keine partnership sondern ein partiarisches Darlehen. Wirtschaftliche Beteiligungen am Handelsgewerbe eines anderen, die nach deutschem Recht als stille Beteiligungen gelten, können nach englischem Recht mithin als partiarische Darlehen angesehen werden. Dies hat insbesondere für Konstellationen Bedeutung, die in Deutschland als typische stille Gesellschaft behandelt würden. Jedoch droht mit zunehmender Intensität einer Einflussmöglichkeit nach englischem Recht die Qualifikation als partner und damit die persönliche Haftung40 und zwar auch schon dann, wenn noch nicht eine Intensität erreicht ist, die in Deutschland zur Annahme einer Mitunternehmerschaft führen würde. b) Stille Gesellschaft deutschen Rechts in England? Aus dem Umstand, dass die stille Gesellschaft dem englischen Recht fremd ist, ist der Schluss gezogen worden, dass eine stille Gesellschaft deutschen Rechts an einer Limited nicht möglich sei41. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn auf das stille Gesellschaftsverhältnis englisches Recht anzuwenden wäre; anders liegt es dagegen dann, wenn deutsches Recht anzuwenden ist. Ist deutsches Recht anzuwenden, dann ist allerdings in einem zweiten Schritt zu fragen, wie diese deutsche Gesellschaftsform in England zu behandeln ist. Probleme ergeben sich hier insbesondere hinsichtlich der Besteuerung und der Außenhaftung des stillen Gesellschafters. Die steuerrechtliche Praxis behilft sich dabei schon seit langem mit Typenvergleichen42, d. h. die ausländische Rechtsform wird entsprechend einer vergleichbaren inländischen Rechtsform behandelt. Bezüglich der Außenhaftung wird es insbesondere zu Problemen kommen, wenn englische Gerichte englisches Recht anwenden43 und die typische stille Gesellschaft nach den für englische partiarische Darlehen geltenden Grundsätzen behandeln sowie bei der atypischen stillen Gesellschaft eine partnership und daher eine Außenhaftung des sleeping partners annehmen. Eine stille Beteiligung an dem Handelsgeschäft einer Limited enthält insoweit stets ein Haftungsrisiko.
III. Anwendbares Recht Da die stille Gesellschaft als Rechtform nur im deutschen und nicht im englischen Recht zur Verfügung steht, stellt sich daher die Frage, unter welchen Voraussetzungen das deutsche Kollisionsrecht zur Anwendung des deutschen
__________ 40 S. auch Burmester, Ausgewählte international-steuerrechtliche Probleme der stillen Gesellschaft, in Haarmann (Hrsg.), Unternehmensstrukturen und Rechtsformen im internationalen Steuerrecht, Band 7, 1996, S. 122, 129. 41 So Heinz (Fn. 6), § 20 Rz. 10 f. 42 Glessner (Fn. 6), S. 97 ff. und 101 ff.; Fu (Fn. 6), S. 52 f. 43 Zum Heimwärtsstreben Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2001, § 7 I.
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Rechts führt, wobei im folgenden davon ausgegangen wird, dass ein deutscher Gerichtsstand gegeben ist. 1. Gesellschaftsstatut versus Vertragsstatut Als Anknüpfungsmöglichkeiten kommen dabei die Artt. 27 ff. EGBGB (Anknüpfung vertraglicher Schuldverhältnisse) oder eine gesellschaftsrechtliche Anknüpfung in Betracht. Das deutsche gesellschaftsrechtliche Kollisionsrecht geht bislang von der Sitztheorie aus und bestimmt das Gesellschaftsstatut nach dem Ort der tatsächlichen Verwaltung, bzw. des effektiven Verwaltungssitzes44. Die Tatsache, dass zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union infolge der Rechtsprechung des EuGH mittlerweile de facto allgemein die Gründungstheorie gilt, ändert an diesem grundlegenden Ausgangspunkt jedenfalls dann nichts, wenn im konkreten Anknüpfungszusammenhang die Niederlassungsfreiheit keine Rolle spielt. Eine solche Situation ist bei einer Außengesellschaft freilich kaum vorstellbar – sie wäre nur im Verhältnis zu Nicht-EU-Staaten gegeben. Anders liegt es aber bei einer Innengesellschaft, da hier das fehlende Auftreten nach außen gerade dazu führt, dass die Niederlassungsfreiheit für sie keine Bedeutung hat. Anders gewendet geht es dabei aus der Sicht des deutschen IPR auch um die Frage, ob die Bereichsausnahme in Art. 37 Satz 1 Nr. 2 EGBGB auch für Innengesellschaften gilt. Wäre dies so, dann wäre das Gesellschaftsstatut zwingend objektiv zu bestimmen. Lässt man Art. 37 Satz 1 Nr. 2 EGBGB dagegen nicht eingreifen, ginge man also von einer schwerpunktmäßig rein vertragsrechtlichen Grundlage aus, dann wäre einerseits eine freie Rechtswahl der Beteiligten ermöglicht sowie andererseits bei Fehlen einer Rechtswahl auf die Anknüpfungsregeln für Schuldverhältnisse abzustellen. Hier besteht größere Flexibilität, die den unterschiedlichen Gestaltungen Rechnung tragen kann. Die stille Gesellschaft tritt zwar als solche nicht nach außen auf, so dass die der Regelung in Art. 37 Satz 1 Nr. 2 EGBGB zugrunde liegenden Schutzüberlegungen dem ersten Anschein nach nicht eingreifen. Auf der anderen Seite existieren zur Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks auch im Innenverhältnis unterschiedlich verfestigte Beteiligungsformen, bei denen man durchaus diese Schutzgedanken berücksichtigen könnte. In vielen Fällen werden beide Anknüpfungen zum gleichen Ergebnis kommen. So ist die stille Gesellschaft, die zwischen einem deutschen Stillen und einer zugezogenen Limited in Deutschland geschlossen wurde und bei welcher der Gesellschaftsvertrag ausdrücklich die Geltung deutschen Rechtes anordnet, international-gesellschaftsrechtlich nach deutschem Recht zu beurteilen, da der effektive Verwaltungssitz in jedem Fall nur in Deutschland liegen kann. Wird der Vertrag nach internationalem Vertragsrecht beurteilt, ist aufgrund der Rechtswahl der Beteiligten ebenfalls deutsches Recht anzuwenden.
__________ 44 Von Bar, Internationales Privatrecht, 2. Bd., 1991, Rz. 619 ff.; Kropholler (Fn. 43), § 55 I 2.
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Unterschiedliche Ergebnissen sind jedoch in folgenden Fällen möglich: (1) Ein Inländer schließt mit einer zugezogenen Limited einen Vertrag über eine stille Gesellschaft, wobei die Anwendbarkeit des englischen Rechts vereinbart wird. Bei gesellschaftsrechtlicher Anknüpfung wäre der Vertrag nach deutschem Recht zu beurteilen, da der effektive Verwaltungssitz in jedem Fall in Deutschland liegt; es wäre zwingend deutsches Recht anzuwenden. Bei einer Beurteilung nach internationalem Vertragsrecht wäre aufgrund der Rechtswahl dagegen englisches Recht anzuwenden, das dann u. U. zur Annahme einer partnership oder eines partiarischen Darlehens führen würde. (2) Ein Inländer schließt mit einer Limited mit statutarischen Sitz und effektivem Verwaltungssitz in England einen Vertrag über eine stille Gesellschaft unter Wahl des deutschen Rechts. Geht man von schuldvertraglicher Anknüpfung aus, so spielt die effektive Verwaltung der stillen Gesellschaft in England keine Rolle, vielmehr ist nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB das gewählte Recht maßgeblich. Unterbleibt eine Rechtswahl, unterliegt der Vertrag nach internationalem Vertragsrecht dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist, Art. 28 Abs. 1 EGBGB. Hier kommt es also darauf an, wo die charakteristische Leistung erbracht wird. Jedenfalls bei der typisch stillen Gesellschaft ist dies die Einlageleistung durch den Stillen. Man kommt im genannten Fall dann zur Anwendbarkeit des deutschen Rechts. Bei gesellschaftsrechtlicher Anknüpfung dagegen ist zunächst nach dem Ort des effektiven Verwaltungssitzes der stillen Gesellschaft zu fragen. Dieser kann mit dem effektiven Verwaltungssitz der Limited übereinstimmen, dies ist jedoch keinesfalls zwingend. Wenn man den effektiven Verwaltungssitz am Verwaltungssitz der Limited sieht, bedeutet dies, dass die Beteiligten keine Rechtsformwahl treffen können, sondern zwingend an englisches Recht gebunden sind. In der Rechtsprechung wurde zur kollisionsrechtlichen Einordnung der stillen Gesellschaft soweit ersichtlich nur selten Stellung genommen. In seiner Entscheidung vom 13.9.2004 geht der BGH davon aus, dass die Bereichsausnahme gemäß Art. 37 Satz 1 Nr. 2 EGBGB für stille Gesellschaften als nur interne Beteiligungen an einem Unternehmen nicht gilt und damit eine (auch konkludente) Rechtswahl nach Art. 27 EGBGB möglich ist45. Auch in der Literatur wird überwiegend angenommen, für die stille Gesellschaft als Innengesellschaft sei das internationale Vertragsrecht einschlägig und Verträge über solche Gesellschaften unterlägen daher den Artt. 27 ff. EGBGB46. Dies ergibt sich aus dem Schutzzweck der einzelnen Statuten. Im Internationalen Vertragsrecht gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Dadurch wird den Interessen der Parteien und den Bedürfnissen des internationalen Handels am
__________ 45 BGH, Urt. v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706, 3708. 46 Martiny in MünchKomm.BGB, 10. Bd., 4. Aufl. 2006, Art. 37 EGBGB Rz. 45; Spickhoff in Bamberger/Roth, 1. Aufl. 2003, Art. 37 EGBGB Rz. 4; Hohloch in Erman, 11. Aufl. 2004, Art. 37 EGBGB Rz. 5; von Hoffmann in Soergel, Bd. 10, 12. Aufl. 1996, Art. 37 EGBGB Rz. 48–50; Hausmann in FS Jayme, 2004, S. 305, 319; Fu (Fn. 6), S. 42.
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besten Rechnung getragen47; denn die beteiligten Personen gehen für einen Austauschvertrag freiwillig die Verbindung ein, um ihre jeweils eigenen Zwecke zu verfolgen. Der weitgehend dispositive Charakter der vertragsrechtlichen Regelungen kommt den Parteien bei den vielfältigen möglichen Austauschbeziehungen entgegen. Das Internationale Gesellschaftsrecht hingegen geht davon aus, dass sich Personen zusammenschließen, um innerhalb einer Verbindung gemeinsam am Rechtsverkehr, also nach außen hin, teilzunehmen. Wesensmerkmal von Personenvereinigungen im Sinne des Internationalen Gesellschaftsrechts ist daher eine nach außen erkennbare Organisation und die eigenständige Teilnahme der Verbindung am Rechtsverkehr48. Aus diesem Grund spielt im Internationalen Gesellschaftsrecht das Verkehrsschutzinteresse eine gewichtigere Rolle, wohingegen die Privatautonomie zurücktreten muss. Die stille Gesellschaft ist ein nicht rechtsfähiges Gebilde, bei dem die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern trotz des vereinbarten gemeinsamen Zwecks im Wesentlichen nur schuldrechtlicher Natur sind. Als reine Innengesellschaft tritt die stille Gesellschaft nach außen nicht in Erscheinung; Verkehrsschutzinteressen spielen keine Rolle, vielmehr liegt das Gewicht in einem von der Privatautonomie geprägten Bereich. Damit passen für die Anknüpfung die Regeln des Internationalen Vertragsrechts eher als diejenigen des Internationalen Gesellschaftsrechts. Von Bar befürwortet für die BGB-Gesellschaft dagegen allgemein einschließlich der Innengesellschaften die Anwendung des Internationalen Gesellschaftsrechtes und bezieht hier auch die stille Gesellschaft mit ein. Seiner Ansicht nach fehlt es bei Leistungsvereinigungsverträgen praktisch stets an einer für den gesamten Vertrag charakteristischen Leistung im Sinne von Art. 28 Abs. 2 EGBGB. Bei diesen Verträgen verständigen sich die Vertragspartner auf einen gemeinsamen Zweck, es fehle daher an der Leistung eines Vertragspartners, die der Unternehmung das Gepräge zu geben vermag und so die Anknüpfung an den Staat der engsten Verbindung nach Art. 28 EGBGB ermöglicht49. Bei der Zusammenlegung der Ressourcen entstehe zudem fast immer ein vom Privatvermögen der Gesellschafter getrenntes Sondervermögen, das selbst als Wirtschaftssubjekt am Markt auftreten soll und dazu der Teil- oder sogar der Vollrechtsfähigkeit bedarf. Dieser Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber ihren Gründern und Mitgliedern müsse auch das Kollisionsrecht Rechnung tragen50. Man könne darüber diskutieren, ob es den Vertragspartnern einer „Gelegenheitsgesellschaft ohne körperschaftliche Organisation“ freigestellt sein soll, das auf ihren Zusammenschluss anzuwendende Recht frei zu wählen und wenigstens in Fragen des Innenverhältnisses einer Gesellschaft subjektiv
__________ 47 Fu (Fn. 6), S. 41 f.; von Bar (Fn. 44), Rz. 412; Martiny in MünchKomm.BGB (Fn. 46), Art. 27 EGBGB Rz. 8. 48 Fu (Fn. 6), S. 42; ähnlich auch von Bar (Fn. 44), Rz. 617. 49 Von Bar (Fn. 44), Rz. 645. 50 Von Bar (Fn. 44), Rz. 617.
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angeknüpft werden könnte, doch seien der Privatautonomie im übrigen erhebliche Grenzen gesetzt51. Für die im Rechtsverkehr als solche auftretenden Außengesellschaften trifft dies zweifellos zu. Für die Innengesellschaft und hier insbesondere die stille Gesellschaft lässt sich dies jedoch nicht sagen. Zwar ist bei der stillen Gesellschaft die charakteristische Leistung in der Tat nur schwer zu bestimmen und eine objektive Anknüpfung nach Art. 28 EGBGB daher schwierig durchzuführen. Dies gilt jedoch genauso für die Bestimmung des effektiven Verwaltungssitzes der stillen Gesellschaft. Es ist nämlich nicht danach zu fragen, wo der Inhaber seinen effektiven Verwaltungssitz hat, sondern wo der effektive Verwaltungssitz der stillen Gesellschaft selbst liegt. Es kommt also darauf an, wo der Tätigkeitsort der Geschäftsführung (der stillen Gesellschaft) und der Vertretungsorgane ist, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung (der stillen Gesellschaft) effektiv in laufende Geschäftführungsakte umgesetzt werden52. Die stille Gesellschaft hat jedoch weder Organe noch Bevollmächtigte53. Der Inhaber führt seine eigenen Geschäfte, nicht die der stillen Gesellschaft. Die Feststellung des effektiven Verwaltungssitzes nach den herkömmlichen Definitionen bereitet bei der stillen Gesellschaft damit schon erhebliche begriffliche Schwierigkeiten. Auch das Argument der vermögens- und haftungsmäßigen Verselbständigung greift bei der stillen Gesellschaft nicht. Die stille Gesellschaft deutschen Rechts verfügt gerade nicht über ein Gesellschaftsvermögen, das eine verselbständigte Vermögensmasse bilden würde54. Die Einlage des stillen Gesellschafters geht in das Vermögen des Inhabers über und im Außenverhältnis haftet lediglich der Inhaber für die im eigenen Namen geschlossenen Rechtsgeschäfte. Er haftet demnach für eigene Verbindlichkeiten, nicht für solche der stillen Gesellschaft55. Der stille Gesellschafter hingegen haftet grundsätzlich überhaupt nicht im Außenverhältnis56. Da es sich bei der stillen Gesellschaft um eine reine Innengesellschaft handelt, treten Dritte auch nicht in Beziehung zu der stillen Gesellschaft, sondern allein in Beziehung zum Inhaber. Es besteht daher kein Bedarf, Haftungsfragen aus Verkehrsschutzgründen der Disposition der Vertragspartner zu entziehen. Dasselbe gilt für Fragen der Geschäftsfähigkeit oder der Vertretungsverhältnisse, da die stille Gesellschaft weder Rechtspersönlichkeit57 noch eine organschaftliche Vertretung58 besitzt.
__________ 51 Von Bar (Fn. 44), Rz. 618. 52 BGH, Urt. v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, 2194 f.; von Bar (Fn. 44), Rz. 621. 53 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 10; Neu in Becksches Hdb.PersG, 2. Aufl. 2002, § 13 Rz. 22. 54 Blaurock (Fn. 22), Rz. 4.11; Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 9 u 79 f. 55 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 12. 56 Blaurock (Fn. 22), Rz. 4.11; Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 13; Neu in Becksches Hdb.PersG (Fn. 53), § 13 Rz. 22. 57 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 8. 58 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 230 HGB Rz. 10.
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Problematisch in diesem Zusammenhang ist jedoch der Umstand, dass verschiedene ausländische Rechtsordnungen, insbesondere auch die englische, eine der stillen Gesellschaft entsprechende Konstruktion gar nicht kennen bzw. Gebilden, die der deutschen stillen Gesellschaft entsprechen, eine vermögens- und haftungsmäßige Verselbständigung gegenüber ihren Gründern beimessen. Aus der Sicht dieser Staaten käme dann jedenfalls für den letzteren Fall eine Anknüpfung nach Regeln des Internationalen Gesellschaftsrechts in Betracht. Soweit ein deutsches Gericht zu entscheiden hat, käme indessen deutsches Kollisionsrecht zur Anwendung. Bei der Auslegung über Reichweite und Abgrenzung der in den Kollisionsnormen auftauchenden Begriffe ist dann von derjenigen Rechtsordnung auszugehen, die die jeweilige Kollisionsnorm aufgestellt hat; für die Frage der Qualifikation maßgeblich ist die lex fori59. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Rechtsbegriffe der deutschen Kollisionsnorm mit dem deutschen materiellen Recht übereinstimmen müssen. Nach herrschender Ansicht sind die Begriffe ihrer kollisionsrechtlichen Funktion nach auszulegen, insbesondere ist dabei auch rechtsvergleichend vorzugehen60. Im Einzelnen ist sehr umstritten, wie weit diese Auslegung gehen soll. Ein durch Rechtsvergleichung gefundenes „internationales“ IPR scheitert jedoch an der Verschiedenartigkeit der betroffenen Rechtsordnungen61. Bei einer Konstruktion, die international so verschiedenartig geregelt ist, wie es bei der stillen Gesellschaft der Fall ist, wird man sich international nicht auf einen „Grundtypus“ oder auf eine international „richtige“ Qualifikation als „überwiegend gesellschaftsrechtlich“ oder „überwiegend schuldrechtlich“ einigen können. Zudem lassen die meisten Länder, auch wenn sie die stille Gesellschaft nicht kennen, schuldrechtliche Ersatzlösungen zu62. Die stille Gesellschaft ist daher in Deutschland nach den Grundsätzen des internationalen Vertragsrechts, mithin den Artt. 27 ff. EGBGB zu beurteilen. Die Bereichsausnahme für das Gesellschaftsrecht greift bei der stillen Gesellschaft nicht. 2. Rechtswahl Die Vertragspartner haben somit nach Art. 27 EGBGB die Möglichkeit zu wählen, welchem Recht sie ihr Vertragsverhältnis unterstellen wollen. Diese
__________ 59 BGH, Urt. v. 19.12.1958 – IV ZR 87/58, NJW 1968, 717, 718; Hohloch in Erman (Fn. 46), 11. Aufl. 2004, Einl. Art. 3 EGBGB Rz. 38; Kropholler (Fn. 43), § 16 I.; Heldrich in Palandt, 66. Aufl. 2007, Einl. v. Art. 3 EGBGB Rz. 27. 60 BGH, Urt. v. 22.3.1967 – IV ZR 148/65, NJW 1967, 2109, 2112; Kropholler (Fn. 43), § 17; Heldrich in Palandt (Fn. 59), Einl. v. Art. 3 EGBGB Rz. 27; die Notwendigkeit der rechtsvergleichenden Auslegung ergibt sich insbesondere aus dem EVÜ, Magnus in Staudinger, 13. Bearb. 2002, Vorbem. zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 41. Zur Qualifikation und zur Auslegung ausführlich Sonnenberger in MünchKomm.BGB, Bd. 10, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR Rz. 493. 61 So auch Sonnenberger in MünchKomm.BGB (Fn. 60), Einl. IPR Rz. 510. 62 Z. B. als partiarisches Darlehen in England, s. oben II.3.a). Für Möglichkeiten in den USA vgl. Höötmann (Fn. 6), S. 79 f. Burmester (Fn. 40), S. 129.
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Rechtswahlvereinbarung kann ausdrücklich oder aber auch konkludent erfolgen63. Unproblematisch sind diejenigen Fälle, in denen eine ausdrückliche Rechtswahl nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. EGBGB getroffen wurde. Eine solche ausdrückliche Rechtswahl ist zu empfehlen. Wenn mit einer Limited ein stiller Gesellschaftsvertrag geschlossen werden soll, dann kommt – da das englische Recht die stille Gesellschaft nicht vorsieht – von vornherein nur das deutsche Recht in Betracht. Fehlt es an einer ausdrücklichen Rechtswahl kann sich aus den Umständen ergeben, dass die Parteien das Vertragsverhältnis einer bestimmten Rechtsordnung unterstellen wollten. Damit eine solche konkludente Rechtswahl vorliegt, muss sich dies mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben, Art. 27 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. EGBGB. Ob eine Rechtswahl getroffen wurde, und wenn ja welche, ist nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln. Zunächst ist der Wortlaut der Vereinbarung maßgeblich. Sodann sind in einem zweiten Schritt die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen64. Dass eine Rechtswahl getroffen wurde, kann sich dabei etwa daraus ergeben, dass der Gesellschaftsvertrag in deutscher Sprache abgefasst ist, den Begriff der stillen Gesellschaft sowie sonstige Begriffe des deutschen Gesellschaftsrechts verwendet, auf Vorschriften des deutschen Rechts verweist oder sich die Parteien in einem späteren Prozess auf Vorschriften deutschen Rechts berufen65. 3. Objektive Anknüpfung Wurde keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen und lässt sich dem Erklärungsakt oder den Begleitumständen nicht mit hinreichender Sicherheit eine konkludente Rechtswahl entnehmen, so ist das anzuwendende Recht nach Art. 28 EGBGB zu bestimmen. Nach Art. 28 Abs. 1 EGBGB unterliegt der Vertrag mangels Rechtswahl dem Recht des Staates, mit welchem er die engste Verbindung aufweist. Nach Abs. 2 wird vermutet, dass der Vertrag die engsten Verdingungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. ihre Hauptverwaltung oder die die Leistung erbringende Niederlassung hat. Diese Vermutung ist jedoch nicht anzuwenden, wenn sich die
__________ 63 Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 27 EGBGB Rz. 11; Heldrich in Palandt (Fn. 59), Art. 27 EGBGB Rz. 5. 64 BGH, Urt. v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, NJW-RR 2000, 1002, 1003 m. w. N. 65 BGH, Urt. v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706, 3708; BGH, Urt. v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, NJW 2000, 1002, 1004, worin aber klargestellt wird, dass die übereinstimmend im Prozess geäußerte irrige Auffassung, eine bestimmte Rechtsordnung sei maßgeblich, nicht zu einer Rechtswahl führt. Ausführlich zur konkreten Rechtswahl Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 27 EGBGB Rz. 13 ff.
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charakteristische Leistung nicht bestimmen lässt (Art. 28 Abs. 2 Satz 3) oder wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist (Art. 28 Abs. 5). Unproblematisch dürfte demnach die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei der zugezogenen Limited sein. Unabhängig davon, worin man bei der stillen Gesellschaft die charakteristische Leistung erblickt, so befinden sich gewöhnlicher Aufenthaltsort, und leistende Niederlassungen der Beteiligten in jedem Fall in Deutschland. Sollte man der Ansicht sein, dass sich bei der stillen Gesellschaft keine charakteristische Leistung bestimmen lässt, dann müsste man zumindest nach Art. 28 Abs. 5 EGBGB zur Anwendung deutschen Rechts kommen, da Verbindungen praktisch nur nach Deutschland bestehen. Bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts bezüglich einer stillen Beteiligung an einer Limited mit effektivem Verwaltungssitz in England kommt es jedoch entscheidend darauf an, worin die charakteristische Leistung bei der stillen Gesellschaft besteht und ob eine solche überhaupt bestimmt werden kann. Charakteristisch ist für einen Vertrag diejenige Leistung, die ihn von anderen Verträgen unterscheidet66. Dies bedeutet, dass die Entgeltleistung in der Regel nicht die charakteristische Leistung darstellt67. Die herrschende Meinung geht bei der Bestimmung der charakteristischen Leistung im Wege einer Vertragstypeneinordnung vor. Grundgedanke der Vertragstypeneinordnung ist, dass Verträge mit gleicher Funktion und mit gleicher Interessenlage das gleiche kollisionsrechtliche Schicksal teilen sollen68. Es ist also nach einfach zu beurteilenden Vertragsgrundtypen zu suchen und ein Vergleich zur stillen Gesellschaft zu ziehen. Die typische stille Gesellschaft hat Ähnlichkeiten mit einem partiarischen Darlehensvertrag. Beim Darlehen besteht nach allgemeiner Ansicht die charakteristische Leistung in der Hingabepflicht des Darlehensgebers69. Bei der typischen stillen Gesellschaft kommen aber gegenüber dem partiarischen Darlehen noch weitere Pflichten und Rechte der Parteien hinzu. Diese ergeben sich zum Teil aus der Gewinnabhängigkeit des Entgeltes, zum Teil aus der gemeinsamen Zweckverfolgung. Zu diesen Rechten und Pflichten gehören etwa die Informationsrechte des stillen Gesellschafters nach § 233 HGB, gegebenenfalls eine Verlustbeteiligung nach § 231 HGB sowie die durchsetzbare Verpflichtung des Inhabers die Geschäfte aufzunehmen und zu führen70. Damit
__________ 66 Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 28; Martiny in MünchKomm.BGB (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 33; von Bar (Fn. 44), Rz. 495. 67 Magnus in Staudinger (Fn. 60), Art. 28 EGBGB Rz. 70; Martiny in MünchKomm.BGB (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 33. 68 Magnus in Staudinger (Fn. 60), Art. 28 EGBGB Rz. 75; Martiny in MünchKomm.BGB (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 34 f. 69 Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 37; s. a. von Bar (Fn. 44), Rz. 496, der aber in Fn. 388 beim Sparvertrag diese Ansicht in Hinblick auf die Verzinsungspflicht und sonstiger Dienstleistungen in Frage stellt. 70 Blaurock (Fn. 22), Rz. 12.4 und 12.9 ff.
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entfernt sich die typische stille Gesellschaft in ihrer Interessenlage durchaus vom Grundtypus des normalen Darlehens. Gleichwohl liegt der Schwerpunkt der typischen stillen Gesellschaft, insbesondere bei ausgeschlossener Verlustbeteiligung, auf der Hingabe der Geldmittel durch den stillen Gesellschafter. Die Gegenleistung kann als bloße Entgeltleistung gesehen werden, die der Höhe nach durch die Gewinnabhängigkeit bestimmt ist. Die Kontrollrechte des stillen Gesellschafters dienen hauptsächlich der Überprüfbarkeit der richtigen Berechnung. Der Schwerpunkt des Interesses liegt wie beim Darlehen in dem Finanzierungsinteresse des Inhabers, die „prägende“71 Leistung ist daher die Hingabe von Geldmitteln durch den stillen Gesellschafter72. In räumlicher Hinsicht ist nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 EGBGB das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes oder der Hauptverwaltung bzw. nach Satz 2 bei beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit des Leistenden das Recht am Ort der leistenden Niederlassung maßgeblich. Bei den hier zu beurteilenden Fällen, bei denen der in Deutschland ansässige typische stille Gesellschafter leistet, ist der Leistungsort damit in jedem Fall in Deutschland. Bei der typischen stillen Gesellschaft ist bei objektiver Anknüpfung also deutsches Recht maßgeblich. Anders ist die Situation dagegen bei der atypischen stillen Gesellschaft, jedenfalls in der Form der mitunternehmerischen stillen Gesellschaft. Bei dieser Gestaltung kommen zusätzlich insbesondere Geschäftsführungs- und Vermögensbeteiligungsrechte des stillen Gesellschafters hinzu73. Es verschiebt sich damit bei der atypischen stillen Gesellschaft die Interessenlage verglichen mit der typischen stillen Gesellschaft beträchtlich; eine Vergleichbarkeit mit einem Darlehensverhältnis besteht kaum noch. Eine Einordnung der atypisch stillen Gesellschaft z. B. als Geschäftsbesorgungsverhältnis74 würde die Einlageleistung des stillen Gesellschafters nicht hinreichend berücksichtigen. Es ist vielmehr so, dass bei der atypischen stillen Gesellschaft wegen der Komplexität der Rechte und Pflichten jede Schwerpunktlokalisierung die Bedeutung der anderen Leistung vernachlässigen
__________ 71 Zum Begriff der prägenden bzw. überragenden Leistung W. Meier, Die einfache Gesellschaft im Internationalen Privatrecht, 1980, S. 109 f., der die Bestimmung der „überragenden“ Leistung anhand einer gemischt quantitativen und qualitativen Gewichtung vornimmt und bei der schweizerischen einfachen Gesellschaft die Geschäftsführungsleitung als überragend bewertet. 72 Vgl. auch von Bar (Fn. 44), Rz. 502, der bei Verträgen mit anderstypischer Gegenleistung (wozu m. E. auch die stille Gesellschaft gezählt werden könnte) darauf abstellt, welche Leistung von den Parteien selbst als die wichtigere angesehen wird. Bei der typischen stillen Beteiligung (jedenfalls wenn eine Verlustbeteiligung ausgeschlossen ist) dürfte m. E. nach auch eine solche Bestimmung der charakteristischen Leistung aus der Sicht der Parteien zum Ergebnis kommen, dass Hingabe der Geldmittel die wichtigere und daher charakteristische Leistung ist. Dies scheint auch von Bar so zu sehen, vgl. Rz. 645, auch wenn er diesem Ergebnis nicht folgen will, sondern von einer gesellschaftsrechtlichen Anknüpfung ausgeht. 73 Blaurock (Fn. 22), Rz. 4.28 und 4.32. 74 Charakteristische Leistung ist die Leistung der Geschäftsbesorgers, vgl. Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 47; von Bar (Fn. 44), Rz. 496.
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würde. Daher scheitert bei der atypischen stillen Gesellschaft der Versuch der Bestimmung der charakteristischen Leistung. Wo keine charakteristische Leistung feststellbar ist, ist die Vermutung des Art. 27 Abs. 2 EGBGB nicht anzuwenden. Die engste Verbindung ist vielmehr anhand der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln75. Gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 2 EGBGB kann auch eine getrennte Beurteilung einzelner Vertragsteile erfolgen, wenn sich diese vom Vertrag abspalten lassen. Nach allgemeiner Ansicht soll dies aber nur ausnahmsweise erfolgen, weil sonst die Gefahr besteht, dass das innere Gleichgewicht des Vertrages zerstört wird76. Gerade dies ist bei der stillen Gesellschaft zu befürchten. Die einzelnen Leistungen und Pflichten sind eng miteinander verbunden; diese enge Verbindung würde durch eine Aufspaltung zerstört. Hinzu kommt, dass die stille Gesellschaft international so verschieden geregelt ist, dass sich die Rechtsordnungen zweier Staaten kaum zu einem sinnvollen Vertragskonstrukt zusammenführen lassen. Es ist daher nach einer einheitlichen Anknüpfung des gesamten Vertrages zu suchen. Die herrschende Ansicht nimmt für Innengesellschaften die engste Verbindung dort an, wo der gemeinsame Zweck verfolgt wird77. Für die typische stille Gesellschaft kann dem aus den oben genannten Gründen nicht gefolgt werden. Bei der atypischen stillen Gesellschaft ist dies jedoch richtig: Da eine Aufspaltung der Leistung nicht sinnvoll ist und ein Schwerpunkt bei der einen oder anderen leistenden Partei nicht ausgemacht werden kann, ist nach demjenigen zu suchen, was die Parteien verbindet. Dies ist bei der atypischen stillen Gesellschaft der gemeinsam verfolgte Zweck, nämlich der Abschluss von Handelsgeschäften auf gemeinschaftliche Rechnung78. Bei der Limited mit effektivem Verwaltungssitz in England werden diese Handelsgeschäfte vom effektiven Verwaltungssitz aus getätigt79. Die engste Verbindung besteht daher in diesen Fällen nach England, so dass das englische Recht anzuwenden ist. Bei der zugezogenen Limited dagegen werden die Handelsgeschäfte von der eingetragenen Zweigniederlassung in Deutschland aus getätigt, was zur Anwendbarkeit deutschen Rechts führt.
__________ 75 Martiny in MünchKomm.BGB (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 57. 76 Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 19; Martiny in MünchKomm.BGB (Fn. 46), Art. 28 EGBGB Rz. 23 f. und Art. 37 EGBGB Rz. 52. 77 Hausmann in FS Jayme, 2004, S. 320; Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts, 1970, Rz. 1144; Martiny in MünchKomm.BGB (Fn. 46), Art. 37 EGBGB Rz. 52; Fu (Fn. 6), S. 42; Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 37 EGBGB Rz. 5; von Hoffmann in Soergel (Fn. 46), Art. 37 EGBGB Rz. 49. 78 Blaurock (Fn. 22), Rz. 4.7. 79 Grasmann (Fn. 77), Rz. 1144 verortet die gemeinsame Zweckverfolgung dort, wo das Handelsgeschäft des Kaufmanns betrieben wird und ins Handelsregister eingetragen ist. Werden mehrere selbständige Handelsgeschäfte in verschiedenen Staaten betrieben und der Gesellschaftsvertrag regelt nicht, an welchem die stille Beteiligung bestehen soll, so soll auf weitere zusätzliche Merkmale wie etwa der Wohnsitz oder der Ort des Vertragsabschlusses zurückgegriffen werden.
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4. Zwischenergebnis Beim Abschluss des Vertrages über die stille Gesellschaft ist eine Rechtswahl nach Art. 27 EGBGB möglich. Fehlt es an einer ausdrücklichen oder konkludenten Rechtswahlvereinbarung, so ist bei einer typischen oder atypischen stillen Beteiligung an einer zugezogenen Limited sowie bei einer typischen Beteiligung an einer Limited mit effektivem Verwaltungssitz in England deutsches Recht anzuwenden. Bei einer atypischen Beteiligung an einer Limited mit effektivem Verwaltungssitz in England ist englisches Recht anzuwenden. Eine stille Gesellschaft deutschen Rechts ist daher bei fehlender Rechtswahlvereinbarung in dieser Konstellation nicht möglich.
IV. Handelsgewerbe und Kaufmannseigenschaft Bei Feststellung der für eine stillen Gesellschaft notwendigen Kaufmannseigenschaft der Limited sind zwei Fragen zu unterscheiden: Die Frage nach der Anknüpfung des Kaufmannsbegriffs und die Frage nach der Beurteilung der Kaufmannseigenschaft ausländischer Rechtsgebilde nach deutschem Recht. 1. Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft Die Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft ist im deutschen IPR umstritten80. Im Grunde handelt es sich dabei um die Frage, ob es sich bei der Beurteilung der Kaufmannseigenschaft um eine selbständige Vorfrage oder um eine unselbständige Teilfrage handelt81. Da die Kaufmannseigenschaft tatbestandliche Voraussetzung einer handelsrechtlichen Norm (hier § 230 HGB im Hinblick auf das Handelsgewerbe) ist, handelt es sich um eine Teilfrage. In der Regel unterliegen Teilfragen dem auf die Hauptfrage anwendbaren Recht82. Die Teilfrage ist in diesem Fall eine unselbständige und richtet sich nach dem Wirkungsstatut. Wird die Anknüpfung der Teilfrage jedoch durch gesetzgeberische Entscheidung oder durch Rechtsfortbildung verselbständigt, dann handelt es sich um eine von der Hauptfrage unabhängig anzuknüpfenden Vorfrage83.
__________ 80 Kindler in MünchKomm.BGB, Bd. 11, 4. Aufl. 2006, IntGesR Rz. 138. 81 Van Venrooy (Fn. 29), S. 7. 82 Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 137 f.; Hagenguth, Die Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft im internationalen Privatrecht, 1981, S. 127, der auf S. 128 Fn. 1 darauf hinweist, dass die Begriffe „Teilfrage“ und „Vorfrage“ uneinheitlich gebraucht werden. So verstehen von Bar und Mankowski unter „Teilfragen“ nur Fragen, die durch besondere Kollisionsnormen geregelt werden; für die davon abzugrenzenden „Vorfragen“ vertreten sie ein selbständige Anknüpfung, von Bar/ Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, 2003, § 7 Rz. 185 und 195 ff. Nach Hohloch in Erman (Fn. 46), Einl. zu Art. 3 EGBGB Rz. 42 ist für Vorfragen nach h. M. das maßgebliche Recht grundsätzlich gesondert zu bestimmen; der Begriff „Teilfrage“ taucht in diesem Zusammenhang allerdings nicht auf. Jedoch lässt auch Hohloch eine unselbständige Anknüpfung zu, wenn dies aufgrund einer Interessenabwägung notwendig erscheint (Rz. 43). 83 Hierzu Hagenguth (Fn. 82), S. 128. Vgl. auch Kropholler (Fn. 43), § 41 I; Hohloch in Erman (Fn. 46), Art. 37 EGBGB Rz. 13.
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Obwohl für die Beurteilung der Kaufmannseigenschaft keine gesetzgeberische Sonderanknüpfungsregel besteht und ungeschriebene Sonderanknüpfungen eher die Ausnahme sein sollten, werden in der Literatur verschiedene Ansätze zu einer einheitlichen Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft vertreten84. Nach einer älteren Auffassung stellt die Kaufmannseigenschaft einen selbständigen Anknüpfungspunkt dar, der unabhängig von dem jeweiligen Wirkungsstatut an das Recht der gewerblichen Niederlassung anknüpft85. Dies sei aus zwei Gründen interessengerecht: Zum einen soll der Erlass von Berufsausübungsregeln dem Staat vorbehalten werden, in dem das Gewerbe ausgeübt wird. Zum anderen kommt die Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft an den Ort der gewerblichen Niederlassung auch dem Kaufmann entgegen, da dieser sich in der eigenen Rechtsordnung besser auskennt. Die Interessen des Vertragspartners werden nicht zurückgesetzt, da die Kaufmannseigenschaft im Sinne der Begründung zusätzlicher Pflichten nur zu Lasten des Kaufmanns wirke86. Sind mehrere Niederlassungen vorhanden, ist sinnvollerweise auf die sachnächste Niederlassung abzustellen87. Dieser Auffassung wurde schon früh entgegengehalten, dass in manchen Staaten ein dualistisches Zivilrecht fehlt und der Begriff des Kaufmanns nicht bekannt ist88. So gibt es z. B. im englischen Recht weder den Begriff des Kaufmanns noch des Gewerbes; auch aus den anerkannten Handelsbräuchen ergibt sich kein dem Kaufmann äquivalentes Rechtsinstitut, an das angeknüpft werden könnte89. Deshalb wird vorgeschlagen, ausgehend von der prinzipiellen Anknüpfung an den Ort der gewerblichen Niederlassung in den Fällen des fehlenden Kaufmannsbegriffs ausnahmsweise ein Ersatzrecht, nämlich das dem Rechtsgeschäft zugrunde liegenden Rechts anzuwenden90. Auf diese Weise kommt man in diesen Fällen zur Anknüpfung nach dem Wirkungsstatut. Der Unternehmer ist dann Kaufmann, wenn seine Tätigkeit, würde sie im Staate des Ersatzrechtes ausgeübt werden, dort als kaufmännische gelten würde91. Das Festhalten am Prinzip der Anknüpfung an den Ort der gewerblichen Niederlassung lässt sich damit begründen, dass dies den beteiligten Interessen am besten gerecht wird. Wo es aber an einem Sonderrecht für Kaufleute fehlt, besteht kein schützenswertes Interesse des Kaufmanns, nach Maßgabe seines gewohnten Rechts als Kaufmann oder Nichtkaufmann behandelt zu werden. Eine Sonderanknüpfung ist in diesen Fällen daher nicht notwendig.
__________ 84 Ausführliche Darstellung der verschiedenen Anknüpfungsmöglichkeiten und Ansichten Hagenguth (Fn. 82), S. 130 ff. 85 Hagenguth (Fn. 82), S. 143 f.; von Bar (Fn. 44), Rz. 609; Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 137. 86 Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 141–143 m. w. N. 87 Strittig, so Hagenguth (Fn. 82), S. 182. 88 Von Bar (Fn. 44), Rz. 610. 89 Hagenguth (Fn. 82), S. 212 ff. 90 Hagenguth (Fn. 82), S. 228 ff. 91 Hagenguth (Fn. 82), S. 230.
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Diskutiert werden insbesondere auch die selbständige Anknüpfung an den Ort des Gründungsaktes92 und an den Ort des Domizils des Kaufmanns93 sowie Systeme der Mehrfachanknüpfung94 oder einer normzweckorientierten Anknüpfung95. Eine breite Ansicht in der Literatur begreift den Kaufmannsbegriff als unselbständige Teilfrage und knüpft nach dem Wirkungsstatut, also der lex causae an96. Als Hauptargument wird vorgebracht, dass es bei einer selbständigen Anknüpfung zu dem Problem kommen kann, dass die Kaufmannseigenschaft nach einem Recht beurteilt werden muss, das diesen Begriff gar nicht kennt97. Dies müsste dann wieder durch Mehrfachanknüpfung oder Modifikationen überwunden werden. In einer Vielzahl von Fällen, dürften die selbständige Anknüpfung an den Ort der Niederlassung und die unselbständige Anknüpfung nach dem Wirkungsstatut zur Anwendung des selben nationalen Rechts kommen. So ist bei der Beteiligung an einer zugezogenen Limited die sachnächste Niederlassung in Deutschland zu suchen, wo auch nach dem Wirkungsstatut angeknüpft werden muss. Das Niederlassungsstatut und das Wirkungsstatut kommen jedoch insbesondere zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn überhaupt keine Niederlassung in Deutschland besteht, z. B. bei einer Limited mit tatsächlichem Verwaltungssitz in England, und wenn aufgrund einer Rechtswahl deutsches Recht auf das Beteiligungsverhältnis anzuwenden ist. Die selbständige Anknüpfung an den Ort des statutarischen Sitzes oder des Gründungsaktes werden regelmäßig zur Anwendung englischen Rechts kommen. Die Anknüpfung an den Ort der Niederlassung ist jedoch nicht der richtige Weg. Dem Problem der fehlenden Kaufmannseigenschaft im Ausland mag man mit dem ausnahmsweise eingreifenden Ersatzrecht beikommen. Jedoch lässt sich keine befriedigende Erklärung dafür geben, warum prinzipiell eine Sonderanknüpfung notwendig sein soll. Begründet wird die Anknüpfung nach dem Ort der gewerblichen Niederlassung damit, dass dies den beteiligten Interessen
__________ 92 Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 146. 93 Dazu Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 151, Hagenguth (Fn. 82), S. 160. 94 Von Bar (Fn. 44), Rz. 612 will anhand einer zweistufigen Prüfung zunächst prüfen ob die Kaufmannseigenschaft nach dem Recht der ausländischen gewerblichen Niederlassung vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so folgt in einem zweiten Schritt die Prüfung der Kaufmannseigenschaft nach deutschem Recht. 95 Van Venrooy (Fn. 29), S. 27 ff. will den Anknüpfungspunkt je nach Zweck der handelsrechtlichen Sachnorm bestimmen (Zwecknormtheorie). Ablehnend dazu Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 152. 96 S. Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 154 mit ausführlichen Nachweisen. 97 Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 155 und 158 ff., wo er ausführt, dass sich aus der Börsengesetznovelle 1989 eine gesetzgeberische Entscheidung für die Beurteilung der Kaufmannseigenschaft nach dem Wirkungsstatut entnehmen lässt.
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am besten gerecht werde98. Jedoch wird eine solche pauschale Aussage über die Interessenlage den Interessen der beteiligten Partner keineswegs immer gerecht, denn es kann sehr wohl Interessen des nichtkaufmännischen Vertragspartners geben, die gerade durch die Feststellung des Kaufmannsbegriffs berührt werden. Zum einen kann die Verneinung der Kaufmannseigenschaft negative Folgen für den Vertragspartner haben, wenn nach der lex causae für einen Kaufmann etwa verschärfte Rügepflichten oder Verjährungsvorschriften gelten. Zum anderen zeigt aber gerade das Beispiel der stillen Gesellschaft, dass bestimmte Konstruktionen oder Gestaltungen der lex causae gar nicht möglich sind, wenn die Kaufmannseigenschaft einem anderen Rechtssystem entnommen wird und dieses nicht kompatibel zur lex causae ist. Das schützenswerte Interesse des Staates der gewerblichen Niederlassung an der Regelung der Kaufmannseigenschaft dürfte sich regelmäßig auf die Frage beschränken, ob öffentlich-rechtliche Pflichten bestehen, die die Kaufmannseigenschaft voraussetzen. Dieses Interesse mag für eine Beurteilung nach inländischem Recht sprechen, soweit über eine inländische Hauptfrage des öffentlichen Rechts entschieden werden muss. Das Bedürfnis für eine selbständige Anknüpfung des Kaufmannsbegriffs lässt sich dadurch jedoch nicht begründen. Die Erkenntnis, dass die einheitliche Anknüpfung des Kaufmannsbegriffs nach einem „kaufmännischen Personalstatut“99 weder interessengerecht noch notwendig ist, führt auch zur Ablehnung einer Anknüpfung an den statutarischen Sitz oder den Ort des Gründungsaktes100. 2. Kaufmannseigenschaft der Limited Die Bestimmung der Kaufmannseigenschaft im Rahmen der §§ 230–236 HGB richtet sich jedenfalls dann nach deutschem Recht, wenn das Beteiligungsverhältnis selbst (als lex causae) aufgrund der Sachnähe oder einer Rechtswahl nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Ob ein ausländisches Gebilde nach deutschem Recht Kaufmann ist, ist eine Frage der Substitution, das zur Anwendung berufene Sachrecht ist also auszulegen101. Nach deutschem Recht ergibt sich aus § 6 Abs. 1 HGB, dass Handelsgesellschaften Kaufmannseigenschaft zukommt. Welche Gesellschaften Handelsgesellschaften sind, bestimmt das Gesetz an anderer Stelle, so für die GmbH in § 13 Abs. 3 GmbHG und für die Aktiengesellschaft in § 3 Abs. 1 AktG. Ob eine ausländische Gesellschaft als Handelsgesellschaft angesehen werden kann, hängt davon ab, inwieweit dieses ausländische Gebilde auf Grund seiner Struktur dem in Betracht gezogenen Gesellschaftstyp des deut-
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Hagenguth (Fn. 82), S. 231. So Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 162. S. auch van Venrooy (Fn. 29), S. 27. Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 171 m. w. N.; Rinne (Fn. 13), S. 191 m. w. N.; Sonnenberger in MünchKomm.BGB (Fn. 60), Einl. IPR Rz. 618.
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schen Rechts im Wesentlichen gleicht102. Die einer GmbH gleich zu achtende ausländische Kapitalgesellschaft ist also „Handelsgesellschaft“ und damit Kaufmann, auch wenn sie einen nichtwirtschaftlichen Geschäftsbetrieb hat103. Auf die Frage, ob die Gesellschaft selbst gewerblich tätig ist, kommt es daher nicht an. Im Kreis der Rechtsordnungen der EG-Mitgliedsstaaten wird man von der Gleichwertigkeit der in den einzelnen Richtlinien angesprochenen Kapitalgesellschaftstypen ausgehen dürfen. Demgemäß finden sich die ausländischen Entsprechungen der AG, der KGaA und der GmbH in Art. 1 der Publizitätsrichtlinie104. Die Publizitätsrichtlinie umfasst alle englischen „companies incorporated with limited liability“105. Als unter den Companies Act fallende Gesellschaft ist die Limited eine corporation106, der auch beschränkte Haftung zukommt. Ohne entscheiden zu müssen, ob die Limited eher der GmbH oder eher der AG gleicht, wird man die §§ 3 Abs. 1 AktG, 13 Abs. 3 GmbHG so auslegen müssen, dass sie auch die Limited umfassen. Die Limited ist daher Handelsgesellschaft, der nach § 6 Abs. 1 HGB Kaufmannseigenschaft zukommt.
V. Der zu verteilende Gewinn Soweit die Beteiligten keine Vereinbarung über die Ermittlung des maßgeblichen Gewinns getroffen haben, ist bei der Berechnung zunächst vom Handelsbilanzgewinn des Inhabers auszugehen107. Da § 232 Abs. 1 HGB im Gegensatz zu § 120 Abs. 1 HGB nicht auf die Bilanz verweist, besteht Einigkeit darüber, dass der Handelsbilanzgewinn entsprechend dem Sinn und Zweck der stillen Gesellschaft korrigiert werden muss. Welche Korrekturen vorgenommen werden müssen, ist jedoch im Einzelnen umstritten108. Die Berechnung des Gewinns ist schon nach deutschem Recht schwierig und streitträchtig. In der Kautelarpraxis wird daher dringend empfohlen, im stillen Gesellschaftsvertrag die Berechnung des Gewinns genau zu regeln109. Als Grundlage der Gewinnberechnung dient in der Praxis oftmals die Steuerbilanz110.
__________
102 Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 179 m. w. N.; Hohloch in Erman (Fn. 46), Einl. Art. 3 EGBGB Rz. 47; Kropholler (Fn. 43), § 33 II Nr. 2. 103 Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 182. 104 Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 80), IntGesR Rz. 181 m. w. N. 105 Richtlinie Nr. 68/151/EWG v. 9.3.1968, ABl. L 65 S. 8–12 (1. gesellschaftsrechtliche Richtlinie), Beitritt des Vereinigten Königreichs 27.3.1972, ABl. L 73 S. 89. 106 Zum Begriff der „corporation“ Kelly/Holmes/Hayward, Business Law, 4th ed. 2002, Chapter 13.2. 107 Blaurock (Fn. 22), Rz. 14.18; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 14), § 232 HGB Rz. 3; kritisch für die typische stille Gesellschaft Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 232 HGB Rz. 14. 108 S. dazu Wachter, Die Gewinnermittlung und Gewinnverteilung in der stillen Gesellschaft, 1996; ferner Blaurock (Fn. 22), Rz. 14.33 ff.; Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 232 HGB Rz. 5 ff. 109 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 22), § 232 HGB Rz. 4. 110 Weigl, Stille Gesellschaft und Unterbeteiligung, in Becksche Musterverträge, Bd. 33, 2. Aufl. 2004, S. 56; Blaurock (Fn. 22), Rz. 14.32.
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Uwe Blaurock
Die englische Limited hat handelsrechtlich nach englischem Recht zu bilanzieren, und zwar auch dann, wenn es sich um eine zugezogene Limited handelt111. Wurde hinsichtlich der Gewinnermittlung für die stille Gesellschaft keine Vereinbarung getroffen, so ergibt sich die zusätzliche Schwierigkeit, dass die Parteien klären müssen, ob von der englischen Handelsbilanz oder bei der zugezogenen Limited ersatzweise von einer zusätzlich vorliegenden Buchhaltung nach deutschem Recht oder aber der deutschen Steuerbilanz auszugehen ist. Auch wenn feststeht, von welchem Zahlenwerk ausgegangen werden soll, muss dann geklärt werden, welche Bereinigungen nötig sind. In dieser Situation ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Streitigkeiten zwischen den Beteiligten kommt noch höher, als dies bereits allein unter Anwendbarkeit des deutschen Rechts der Fall ist. Zudem ist für deutsche Investoren und Berater nur schwer prognostizierbar, welche Auswirkungen fremde Buchführungsvorschriften auf den Gewinn haben und welche Korrekturen nötig sind. Gerade bei der Limited & Still ist daher eine detaillierte Vereinbarung zur Gewinnermittlung und Gewinnverteilung unerlässlich. Bei der zugezogenen Limited empfiehlt es sich dabei, von der deutschen Steuerbilanz auszugehen und dem Einzelfall angemessene Korrekturen zu vereinbaren. Bei der Limited mit Verwaltungssitz in England wird der Inhaber regelmäßig von seiner englischen Buchhaltung ausgehen wollen. Gerade hier ist aber für den Stillen eine möglichst konkrete Regelung der Gewinnermittlung entscheidend.
VI. Fazit Die stille Gesellschaft deutschen Rechts ist mehr als ein qualifiziertes Schuldverhältnis; die Verfolgung des gemeinsamen Zwecks bindet die Gesellschafter zu einer Risikogemeinschaft zusammen. Dies äußert sich z. B. in der Anwendung der Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft bei Mängeln des Gesellschaftsvertrages sowohl bei der typischen als auch der atypischen stillen Gesellschaft, in der Behandlung der Auflösung der stillen Gesellschaft sowie in der steuerlichen Qualifikation als Mitunternehmerschaft bei gesteigerter Einflussmöglichkeit des Stillen und einer internen Beteiligung an den Unternehmenswerten. Trotz des fehlenden Außenverhältnisses ist die stille Gesellschaft ein verfestigtes Gebilde, in gewisser Hinsicht eine auf das Innenverhältnis beschränkte Kommanditgesellschaft, was auch auf den gemeinsamen historischen Wurzeln112 der stillen Gesellschaft und der Kommanditgesellschaft beruht. Bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung ergibt sich bei der Abgrenzung von Gesellschaftsstatut und Vertragsstatut jedoch eine andere Trennlinie. Hier ist
__________ 111 So zu Recht die h. M., vgl. Triebel (Fn. 7), Rz. 679; Heinz (Fn. 6), § 15 Rz. 8; Just (Fn. 9), Rz. 246; a. A. Römermann, Die Private Limited Company in Deutschland, 2006, VI Rz. 75; Kessler/Eicke, DStR 2005, 2101, 2103. 112 Zu diesen Blaurock (Fn. 22), Rz. 3.3 ff.
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Die Limited & Still
für die gesellschaftsrechtliche Bereichsausnahme in Art. 37 Satz 1 Nr. 2 EGBGB der Verkehrsschutz die entscheidende Grundlage. Da der stille Gesellschafter in dieser Eigenschaft mit Dritten nicht in Kontakt kommt, spielt der Drittschutz keine Rolle. Daher ist es geboten, allein das Vertragsstatut maßgeblich sein zu lassen und den Gesellschaftern damit auch die Rechtswahlfreiheit zu eröffnen. Die stille Gesellschaft liegt als Innengesellschaft auf der Grenze zwischen Gesellschaftsrecht und Vertragsrecht. Je nachdem, um welche Rechtsfragen es im Einzelnen geht, sind die Antworten entweder dem einen oder dem anderen Bereich zu entnehmen. Für die kollisionsrechtliche Anknüpfung ist dies das Vertragsrecht. Bei der Limited & Still führt die Tatsache, dass die stille Gesellschaft, insbesondere das Konzept einer Gewinnbeteiligung ohne Außenhaftung, dem englischen Recht fremd ist, zu erheblichen Problemen. Eine Limited & Still ist jedoch nach deutschem Recht dann durchaus möglich, wenn es sich um eine zugezogene Limited handelt und an dieser in Deutschland stille Gesellschafter beteiligt werden oder wenn an einer Limited mit Verwaltungssitz in England deutsche stille Gesellschafter beteiligt sind. Die Limited ist dabei Handelsgesellschaft und damit Kaufmann. Eine stille Gesellschaft mit ihr ist daher selbst dann möglich, wenn die Limited als solche keinen gewerblichen Geschäftsbetrieb hat.
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Petra Buck-Heeb
Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht – Corporate Governance-Regeln für die GmbH? Inhaltsübersicht I. Der Ausgangspunkt II. Corporate Governance 1. Allgemeines 2. Bedarf an Kodex-Regeln für die GmbH 3. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensführung als Alternativmodell? 4. Kodex: Übernahme oder Neuschaffung
III. Mögliche Regelvorgaben 1. Freiwilligkeit 2. Aufteilung 3. Das Aufsichtsorgan 4. Das Leitungsorgan IV. Bindungswirkung 1. Pflicht zur Entsprechenserklärung 2. Außenwirkung 3. Innenwirkung V. Resümee
I. Der Ausgangspunkt Selbstregulierung ist zu einem viel gebrauchten Schlagwort geworden1. Im Gesellschaftsrecht finden sich diesbezüglich unterschiedliche Anknüpfungspunkte. So kann man die Diskussion um die Rechtsnatur der Satzung2 und die hierzu – im Gegensatz zur Vertragstheorie – vertretene Normtheorie unter dem Aspekt der privaten Rechtsetzung sehen. Man kann sich in das Schlachtgetümmel um die „Richtigkeit“ der Vertragstheorie, der Normtheorie, einer modifizierten Vertragstheorie oder gar einer Verneinung jeglicher Relevanz dieser Theorien3 stürzen. Oder man kann sich mit der Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen der Publikumsgesellschaften befassen, die teilweise durch eine Verobjektivierung von einer rein vertragsrechtlichen Sichtweise wegführt und jedenfalls eine gewisse Hinwendung zur Annahme privater Rechtsetzung andeutet. Man kann aber auch das Augenmerk auf andere
__________ 1 Der Jubilar hat sich schon vor geraumer Zeit mit dem Aspekt der Selbstregulierung auseinandergesetzt, s. H. P. Westermann, Unternehmensrechtspolitik in Selbstregulierung? Rechtsvergleichende Bemerkungen zu den niederländischen Fusionsverhaltensregeln, in FS Möhring, 1975, S. 319 ff.; ders., Vorwort zu Sabrowsky, Selbstregulierung im Wirtschafts- und Unternehmensrecht. Die niederländischen Fusionsverhaltensregeln im europäischen Vergleich, 1978, S. 5 ff. Zu den Merkmalen der Selbstregulierung s. etwa Sabrowsky, a. a. O., S. 175 ff. 2 Dazu allgemein Reuter, Die Verbände in der Privatrechtsordnung, in FS 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 211, 214 ff.; s. auch H. P. Westermann in Erman, 11. Aufl. 2004, § 25 BGB Rz. 2 m. w. N.; Heider in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 2 AktG Rz. 34 ff.; s. a. den Verweis auf die amerikanische Gesellschaftsrechtswissenschaft bei Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 685 f. 3 Bachmann, Private Ordnung, Grundlage ziviler Regelsetzung, 2006, S. 110 f.
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Selbstregulierungsansätze im Gesellschaftsrecht richten. Ins Blickfeld rückt hierbei der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK)4, der im Schrifttum als Musterbeispiel der gesellschaftsrechtlichen Selbstregulierung hervorgehoben wird5. Dieser Kodex richtet sich gemäß seiner Präambel ausdrücklich an börsennotierte Aktiengesellschaften, empfiehlt sich aber auch für nicht börsennotierte (Aktien-)Gesellschaften6. Nun hat sich der Jubilar zwar auch mit dem Aktiengesellschaftsrecht beschäftigt, weitaus häufiger aber mit dem GmbHRecht oder dem Recht der Personengesellschaften. Deshalb soll hier eine Fragestellung aufgegriffen werden, die sich am Schnittpunkt dieser gesellschaftsrechtlichen Erscheinungsformen bewegt: die nach einer Corporate Governance für die GmbH7. Im Schrifttum wird der Aspekt einer Corporate Governance in Bezug auf andere Gesellschaftsformen als die (börsennotierte) Aktiengesellschaft8 immer wieder knapp aufgeworfen und teilweise kritisch beäugt9. Im Wesentlichen kreisen die Überlegungen10 nicht um das Ob eines Kodex, sondern um die Frage, ob der geltende DCGK – quasi in analoger Anwendung – in einigen Teilen
__________ 4 Deutscher Corporate Governance Kodex der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung v. 12.6.2006, abrufbar unter: www. corporate-governance-code.de. 5 Borges, ZGR 2003, 508 ff.; Kirschbaum/Wittmann, JuS 2005, 1062 ff.; Kümpel, Bankund Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Ziff. 8.47 ff. Kritisch zur Frage, ob wirklich eine private Regulierung vorliegt Heintzen, ZIP 2004, 1933, 1936 (staatliche Maßnahmen ohne Regelungscharakter) als Erwiderung auf Seidel, ZIP 2004, 285 ff. (dagegen wiederum Seidel, NZG 2004, 1095 f.); kritisch auch Köndgen, AcP 206 (2006), 477, 496, der von „rule making in the shadow of law“ spricht; ähnlich auch Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 160, der – mit Fragezeichen – von einer mittelbaren Rechtsquelle ausgeht. 6 Präambel, Abs. 11. Vgl. Haas in Michalski, 2002, § 43 GmbHG Rz. 66, der von einer „Ausstrahlungswirkung auch auf die (jedenfalls größeren) GmbH“ spricht. Zur „europäischen“ Entwicklung s. Hopt, ZGR 2000, 779 ff.; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht – Der Aktionsplan und die ersten Durchführungsmaßnahmen, in FS Röhricht, 2005, S. 235, 243 ff.; s. auch Förster, ZIP 2006, 162 ff. 7 Teilweise stellt sich diese Frage auch für die KG, insbesondere die GmbH & Co. KG. 8 Diesbezüglich sehen etwa die – nicht verbindlichen – OECD-Principles of Corporate Governance ausdrücklich vor, dass die dort niedergelegten Grundsätze hauptsächlich für börsennotierte Unternehmen gelten, sie aber im Einzelfall „auch eine nützliche Handreichung zur Verbesserung der Unternehmensführung in nicht börsennotierten Unternehmen darstellen, wie beispielsweise in Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und staatlichen Unternehmen“, s. AG 1999, 340, 341; näher zu den Principles Hommelhoff, ZGR 2002, 238 ff. 9 S. Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433, 1434; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, Vor § 35 GmbHG Rz. 11 ff.; Weipert, Handlungsbedarf für kleine und mittlere Unternehmen: Corporate Governance und Ausrichtung auf die Herausforderungen von Basel II, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, 2004, S. 133 ff. 10 Vgl. auch Thümmel, BB 2004, Nr. 27, Die erste Seite; Strenger, BB 2003, Nr. 32, Die erste Seite, die beide die Bezeichnung „mittelständische Unternehmen“ verwenden; Lange, BB 2005, 2585 ff.; ders., GmbHR 2006, 897 ff., der von „Familienunternehmen“ spricht. Zur Abgrenzung dieser Begriffe Lange, BB 2005, 2585.
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auch für andere als börsennotierte Gesellschaften Geltung erlangen kann, oder ob ein eigener Kodex auszuarbeiten ist. Diese Diskussion erscheint allerdings zu kurz gegriffen und blendet zahlreiche im Voraus zu klärende Faktoren aus. Voraussetzung dieser Überlegung ist nämlich, dass man die Sinnhaftigkeit von Corporate Governance-Regeln überhaupt anerkennt und solche Regeln für die GmbH als erforderlich ansieht. Das kann unter verschiedenen Gesichtspunkten angezweifelt werden. Der Beitrag versucht, Fragestellungen zu strukturieren und erste Antworten zu formulieren.
II. Corporate Governance 1. Allgemeines Unabhängig davon, ob man Corporate Governance als den letzten „Schrei der internationalen juristischen Mode“ ansehen will11 oder nicht, ist jedenfalls inzwischen eine schier unübersehbare Zahl an Publikationen zu diesem Thema zu verzeichnen, so dass bei den nachfolgenden Erwägungen auf allzu Bekanntes getrost verzichtet werden kann. Überlegungen zu Corporate GovernanceRegeln für die GmbH setzen voraus, dass man Corporate Governance-Regeln im Allgemeinen12 als notwendig erachtet. Schon in Bezug auf den DCGK für die (börsennotierte) Aktiengesellschaft gibt es dazu keine einheitliche Meinung im Schrifttum. Während die einen die Akzeptanz dieses selbstregulatorischen Akts und die damit erzielten Vorteile loben13, halten die anderen von einem (freiwilligen) Kodex nur wenig14. Ohne auf diesen Punkt näher eingehen zu müssen, ist jedenfalls in der Praxis die allgemeine Akzeptanz des DCGK seit seiner Schaffung im Jahre 2002 von Jahr zu Jahr gestiegen15. Er hat sich als Ausdruck einer guten Corporate Governance in der Wirtschaft fest etabliert16. Eine andere Frage ist, ob man es als eine Bankrotterklärung der Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht ansehen muss, dass einige Empfehlungen inzwischen in Gesetzesform gegossen wur-
__________ 11 Hopt, Corporate Governance: Aufsichtsrat oder Markt? – Überlegungen zu einem internationalen und interdisziplinären Thema, in Hommelhoff u. a. (Hrsg.), Max Hachenburg: dritte Gedächtnisvorlesung 1998, Heidelberg 2000, S. 9, 10. 12 Zur Unterscheidung zwischen interner und externer Corporate Governance Hopt, Gesellschaftsrecht im Wandel, in FS Wiedemann, 2002, S. 1013, 1022 ff.; ders., ZGR 2000, 779, 783 ff. 13 Von Werder/Talaulicar, DB 2006, 849 ff.; dies., DB 2005, 841 ff.; Kirschbaum/ Wittmann, JuS 2005, 1062, 1065. 14 Vgl. nur Ehrhardt/Nowak, AG 2002, 336, 344 f.; den Bedarf für einen DCGK ablehnend auch Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 161 AktG Rz. 2. 15 Oser/Orth/Wader, BB 2004, 1121 ff.; s. a. (mit Einschränkungen) Mutter, Corporate Governance in der Praxis, in Abeltshauser/Buck (Hrsg.), Corporate Governance, 2004, S. 23 ff. 16 Vgl. von Werder, Ausführungen anlässlich des Pressegesprächs vom 21. April 2006, S. 7, abrufbar unter www.bccg.tu-berlin.de.
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den17, oder ob man es als eine Art Siegeszug formulieren kann, indem man betont, dass der Impuls für – allgemeinverbindliches – Gesetzesrecht von freiwilligen Regelungen ausgeht, die lediglich diejenigen binden, die sie anerkennen. 2. Bedarf an Kodex-Regeln für die GmbH a) Zwar ist der aus dem angloamerikanischen Recht übernommene Begriff „Corporate Governance“18 als solcher inzwischen recht abgegriffen und meint nichts anderes als die Optimierung der Leitungs- und Kontrollfunktion im Rahmen unternehmerischer Tätigkeit19. Es lassen sich ihm aber immer wieder neue Aspekte für die Rechtsetzung und Rechtsanwendung abgewinnen20. „Gute Unternehmensführung“ ist an und für sich nicht nur für eine (börsennotierte) Aktiengesellschaft, sondern auch für andere Gesellschaftsformen, wie etwa die GmbH, vorteilhaft. b) Abgesehen davon, dass sich für die Leitungs- und Aufsichtspersonen (Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglied) Haftungsrisiken in Bezug auf Sorgfaltspflichtverletzungen möglicherweise mindern lassen21, kann eine gute Corporate Governance auch bei der Kreditvergabe durch die Banken eine bedeutende Rolle spielen22. Insbesondere im Hinblick auf Basel II23 lassen sich eine gesteigerte Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe sowie niedrigere Kapitalkosten für eine Konzentration auf eine gute Corporate Governance ins Feld führen24. Dieser Punkt wird außer Betracht gelassen, wenn im Schrifttum teilweise lediglich darauf abgehoben wird, dass die Corporate Governance dem Wunsch institutioneller Investoren nach besserer Unternehmensführung und Transparenz entspringe, nicht börsennotierten Gesellschaften aber der Zugang
__________ 17 Vgl. das Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen v. 3.8.2005, das am 11.8.2005 in Kraft getreten ist (BGBl. I, S. 2267). S. auch § 289 Abs. 2 Nr. 5 HGB, der nunmehr zwingend vorschreibt, dass im Lagebericht auf die Grundzüge des Vergütungssystems des Vorstands einzugehen ist. Nach dieser Gesetzesänderung ist der praktische Anwendungsbereich für die Kodex-Empfehlung Ziff. 4.2.3. entfallen, dazu Vetter, ZIP 2006, 257, 260. 18 Einen guten Einblick in die US-amerikanische Corporate Governance-Debatte gibt Rock, AG 1995, 291 ff. 19 Assmann, AG 1995, 289. 20 Zur Diskussion um einen Public Corporate Governance Kodex für öffentliche Banken Kirschbaum, BKR 2006, 139 ff.; s. a. Mülbert, BKR 2006, 349 ff. 21 Näher dazu unten IV. 22 Strenger, BB 2003, Nr. 32, Die erste Seite. 23 Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforderungen (überarbeitete Rahmenvereinbarung), Juni 2004; ders., International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards, November 2005 (aktualisierte Fassung). Eine Inkorporation in das Europäische Gemeinschaftsrecht erfolgte durch die Eigenmittelrichtlinie vom Juni 2006 (Neufassung der Bankenrichtlinie und der Kapitaladäquanzrichtlinie), in das deutsche Recht durch die 7. KWG-Novelle; dazu Mülbert, BKR 2006, 349, 351 f., 353. 24 Strenger, BB 2003, Nr. 32, Die erste Seite; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 9), Vor § 35 GmbHG Rz. 13; allgemein hierzu Ehlers, NJW 2005, 3256 ff.
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Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht
zum Kapitalmarkt fehle25. Eine Außengerichtetheit ergibt sich zwar nicht wie bei der börsennotierten Aktiengesellschaft durch Anleger, aber z. B. bei einer etwaigen Fremdfinanzierung durch Banken. Jedenfalls aber werden im Schrifttum Verteilungs- und Kontrollprobleme bei geschäftsführenden Mehrheits- und nicht geschäftsführenden Minderheitsgesellschaftern angeführt, die durch eine Corporate Governance zu lösen seien26. Hinzu kommt noch die Frage, ob und wenn ja, inwiefern sich die Corporate Governance auch in den Dienst des Gläubigerschutzes stellen lässt. Der Jubilar hat in einem Beitrag zu den Gesellschafter- und Geschäftsführerpflichten im Vorfeld der Insolvenz auch auf den Aspekt der Corporate Governance bei der GmbH hingewiesen27. Zudem soll das Problem der Nachfolge durch Corporate Governance-Empfehlungen zu lösen sein28. Ein juristisch weniger griffiges Argument für eine gute Governance wird schließlich auch darin gesehen, dass durch zunehmende Transparenz ein besseres Verständnis aller am Unternehmen Interessierter, d. h. auch Kunden und Lieferanten, erreicht wird29. Anfügen lässt sich schließlich noch, dass gerade angesichts der vielbeklagten Ausuferung der Geschäftsführerhaftung30 eine Konkretisierung einzelner Pflichten in einem Kodex hilfreich sein kann. Hinzu kommt, dass eine Corporate Governance-bezogene Rechtfertigung hinsichtlich der Unternehmensführung immerhin auf EU-Ebene nicht ausschließlich auf börsennotierte Aktiengesellschaften begrenzt ist. So müssen aufgrund der am 5.9.2006 in Kraft getretenen Richtlinie zur Änderung der EU-Rechnungslegungsrichtlinien (4. und 7. Richtlinie)31, die bis Mitte 2008 in deutsches Recht umzusetzen ist, grundsätzlich alle kapitalmarktorientierten Unternehmen jährlich eine umfangreiche Erklärung zur Unternehmensführung veröffentlichen (Art. 1 Abs. 7 RL, sog. Corporate-Governance-Bericht). Unter den Begriff „kapitalmarktorientierte Unternehmen“ fallen nicht allein börsennotierte Gesellschaften i. S. des § 3 Abs. 2 AktG, sondern auch Gesellschaften, die Bonds oder vergleichbare Wertpapiere auf dem geregelten Markt ausgeben32. Zwar können es die EU-Mitgliedstaaten ausreichen lassen, dass diese nur Angaben zum internen Kontroll- und Risikomanagementsystem sowie zu den Übernahmehindernissen machen müssen, hier zeigt sich aber, dass Corpo-
__________ 25 Lange, BB 2005, 2585, 2587. 26 Lange, BB 2005, 2585, 2587. 27 H. P. Westermann, DZWiR 2006, 485, 488; s. auch die Überlegungen zu einer gläubigerschützenden Corporate Governance bei der GmbH Burgard, ZIP 2002, 827 ff. 28 Weipert in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Fn. 9), S. 133. 29 Strenger, BB 2003, Nr. 32, Die erste Seite. 30 Vgl. nur etwa Uwe H. Schneider in Scholz, 9. Aufl. 2000, § 43 GmbHG Rz. 11. 31 RL 2006/46/EG v. 14.6.2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/ EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahres- und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen. 32 Lanfermann/Maul, BB 2006, 2011, 2013; Lentfer/Weber, DB 2006, 2357, 2359.
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rate Governance jedenfalls für andere kapitalmarktorientierte Gesellschaften als börsennotierte Aktiengesellschaften durchaus schon die Praxis ist. c) Trotz der genannten Vorteile ist aber zweifelhaft, inwiefern die vom Gesetz eingeräumte Gestaltungsfreiheit bei der GmbH durch Corporate GovernanceRegeln eingeschränkt werden sollte. Sofern man in der Satzung der GmbH eine private Normsetzung sieht33, fragt sich, ob diese durch eine private (Kodex-)Normsetzung überlagert werden sollte. Verneint wird der Bedarf an Corporate Governance-Regeln für die GmbH auch unter dem Gesichtspunkt, dass er mit zunehmendem Gesellschaftereinfluss auf die Unternehmensführung sinkt, da kein öffentliches Bekenntnis zur Pflichtentreue notwendig ist, wo die Leitungsorgane den Gesellschaftern gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig sind34. Auch wenn die Gesellschafter der GmbH großen Einfluss auf das Leitungsorgan haben, kann allein aus diesem Grund die Erforderlichkeit von Corporate Governance-Regeln noch nicht verneint werden. Einzubeziehen sind auch die bereits erwähnten Außen- und Haftungsaspekte. 3. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensführung als Alternativmodell? Das Gesetz ist in seinen Vorgaben sowohl für das Leitungs- als auch für das Aufsichtsorgan sehr knapp und beschränkt sich auf eine – ausfüllungsbedürftige – Generalklausel. Danach haben die Geschäftsführer in den Angelegenheiten der GmbH die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden (§ 43 Abs. 1 GmbHG). Für den Aufsichtsrat einer GmbH findet sich in § 52 Abs. 1 GmbHG unter anderem ein Verweis auf § 116 AktG, der wiederum auf § 93 AktG zur Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder Bezug nimmt. Die Überlegungen zur Formulierung von Corporate Governance-Regeln für die GmbH in einem Kodex (rechtliche Ebene) überschneiden sich mit den auf betriebswirtschaftlicher Ebene angestellten Bemühungen um die Schaffung von sog. Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensführung35. Kernpunkte dieser Grundsätze sind die angemessene Vorbereitung von Leitungsentscheidungen, deren Ausrichtung innerhalb der Grenzen der gesicherten Erkenntnisse und bewährten Erfahrungen sowie der Ausübung einer angemessenen Kontrolle36. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Rechtsnatur solcher Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung sind umstritten. Zur Klärung
__________ 33 Dazu etwa Emmerich in Scholz, 10. Aufl. 2006, § 2 GmbHG Rz. 6 f. m. zahlreichen w.N. 34 Weipert in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Fn. 9), S. 133, 140 ff. 35 Dazu Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 9), Vor § 35 GmbHG Rz. 14. Vgl. auch die Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts angestellten Überlegungen zur Formulierung von Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensführung für die Aktiengesellschaft, von Werder, DB 1995, 2177 ff., welche die in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG erwähnten Sorgfaltsanforderungen an den Vorstand konkretisieren und daher eine Ausfüllung der gesetzlichen Generalklausel darstellen sollten. 36 Näher dazu von Werder, DB 1995, 2177 ff.; von Werder/Maly/Pohle/Wolff, DB 1998, 1193 ff.
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Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht
dieses Punktes könnte möglicherweise auf die schon seit geraumer Zeit bestehenden „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“ zurückgegriffen werden. Aber auch deren Rechtsnatur ist nach wie vor umstritten. Zwar mögen bestimmte zentrale Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung als kodifiziertes Recht gelten37, wenn sie im Gesetz festgeschrieben sind38. Zu Recht wird ihnen normativer Charakter zuerkannt39. Die rechtliche Einordnung nicht kodifizierter Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung40 bereitet aber nach wie vor Schwierigkeiten. Sie werden als Gewohnheitsrecht, als Handelsbrauch, als kaufmännisches Standesrecht oder außerrechtliche Fachnormen gesehen41 oder auch als zum Teil Gewohnheitsrecht, zum Teil Handelsbrauch eingeordnet42. Andere fassen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung als Normbefehl in der Form eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf43. Ein Unterschied zwischen den Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensführung und den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung besteht darin, dass das HGB in den Vorschriften über die Buchführung ausdrücklich auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verweist (§ 238 Abs. 1 Satz 1 HGB). Auch andere Regelungen des HGB, wie etwa § 243 Abs. 1 HGB, legen fest, dass die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung einzuhalten sind. Abgesehen davon ist ausgesprochen umstritten, wie diese zu ermitteln sind. Angeboten werden die induktive, die deduktive oder die gemischt induktiv-deduktive Ermittlung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung wie auch eine Ermittlung durch eine interdisziplinäre oder eine hermeneutische Methode44. Anhaltspunkte für die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung geben jedenfalls neben dem Gesetz45 auch die Rechtsprechung sowie „private Rechtsetzer“46. Aufgrund der Unterschiedlichkeit, aber auch aufgrund der noch bestehenden Unklarheiten hilft die rechtliche Einordnung der nicht kodifizierten Grund-
__________ 37 Euler, BB 2002, 875. 38 Zu den normierten Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung im HGB Förschle in BeckBilKomm., 6. Aufl. 2006, § 243 HGB Rz. 31 ff. 39 Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 30), § 43 GmbHG Rz. 71. 40 Als ein solcher gilt etwa der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Bilanzrecht, s. Wiedmann in Ebenroth/Boujong/Joost, 2003, § 243 HGB Rz. 7. 41 Merkt in Baumbach/Hopt, 32. Aufl. 2006, § 238 HGB Rz. 11. 42 Merkt in Baumbach/Hopt (Fn. 41), § 238 HGB Rz. 11. 43 So etwa Förschle in BeckBilKomm. (Fn. 38), § 243 HGB Rz. 12; Merkt in Baumbach/ Hopt (Fn. 41), § 238 HGB Rz. 11; dezidiert dagegen Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, 4. Aufl. 2005, Rz. 62. 44 Förschle in BeckBilKomm. (Fn. 38), § 243 HGB Rz. 12 ff. m. w. N.; IdW (Hrsg.), WP Handbuch, Bd. I, 13. Aufl. 2006, Abschnitt E Rz. 5 ff. 45 Vgl. Wiedmann in Ebenroth/Boujong/Joost (Fn. 40), § 243 HGB Rz. 5, die für die Aufstellung des Jahresabschlusses die wichtigsten im HGB kodifizierten GoB aufzählen. 46 Dazu sollen in Bezug auf die Buchführungspflicht des § 238 HGB etwa die Fachgutachten und Stellungnahmen des IdW zählen, die Fachliteratur (wobei diesbezüglich auf die „gesicherten Erkenntnisse der Betriebwirtschaftslehre“ abgehoben wird), die Standards des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRS) sowie die International Accounting Standards (IAS) bzw. International Financial Reporting Standards (IFRS), vgl. Merkt in Baumbach/Hopt (Fn. 41), § 238 HGB Rz. 11.
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sätze ordnungsmäßiger Buchführung bei der rechtlichen Qualifizierung der Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensführung nicht weiter. Ob man letztere allein als unverbindliche Handlungsanweisungen sehen kann47, ist fraglich. Jedenfalls werden die Bemühungen der betriebswirtschaftlichen Forschung, die generalklauselartige Vorgabe im Gesetz durch Grundsätze hinsichtlich des Verhaltens eines ordentlichen Geschäftsleiters zu konkretisieren, auch im Hinblick auf den rechtlichen Umgang mit den Pflichten- und Sorgfaltsstandards bei der Unternehmensleitung und -überwachung nicht unbeachtet bleiben können48. 4. Kodex: Übernahme oder Neuschaffung Ob der DCGK (zumindest in Teilbereichen) auf andere als (börsennotierte) Aktiengesellschaften angewendet werden könnte oder ob es eines eigenen Regelwerkes bedarf, hängt von einer Analyse der gegebenen regulatorischen Vorgaben des DCGK und der Möglichkeit einer Übertragung ab. Dabei müssen die strukturellen Unterschiede zwischen einer (börsennotierten) Aktiengesellschaft und einer GmbH berücksichtigt werden. Die unterschiedliche Gesellschafts- und Inhaberstruktur wird ebenso in die Überlegungen einzubeziehen sein wie die Unterschiede in der Finanzierung49. Die Problematik einer Übernahme der bestehenden Regeln des DCGK liegt zudem darin, dass diesem überwiegend eine kapitalmarktorientierte Denkweise zugrunde liegt. Eine Kapitalmarktorientierung ist zwar auch bei anderen Gesellschaften denkbar, etwa wenn sie Schuldverschreibungen oder Genussscheine begeben. Fasst man Corporate Governance jedoch weiter, so geht es bei guter Corporate Governance um die zweckmäßige rechtliche Strukturierung der obersten Leitungsorgane50. Ziel des DCGK ist es zum einen, den Anlegern ein möglichst verständliches Bild von der Führungs- und Kontrollstruktur in der Gesellschaft zu verschaffen, weshalb auch zahlreiche gesetzliche Regelungen des Aktien- und des Kapitalmarktrechts im DCGK wiederholt werden. Zum anderen will der Kodex den Unternehmensorganen Verhaltensempfehlungen zur Verbesserung ihrer Corporate Governance-Strukturen geben. Zwar wird teilweise vertreten, dass die erstere Zielsetzung für „mittelständische Unternehmen“ offenkundig keine Rolle spiele, da der Kreis der Anteilseigner regelmäßig geschlossen und eine Werbung um Anleger unnötig sei51; dem kann aber nur im Grundsatz zuzustimmen sein. Anders könnte dies für nicht börsennotierte Gesellschaften zu sehen sein, wenn es sich im konkreten Fall um eine GmbH & Co. KG in Form einer Publikumspersonengesellschaft handelt, die der Kapitalaufnahme dient52. Auch wenn die Gründung einer Publikumspersonengesellschaft gerade
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47 48 49 50 51 52
Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 30), § 43 GmbHG Rz. 71 m. w. N. Kritisch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 9), § 43 GmbHG Rz. 19. Vgl. Strenger, BB 2003, Nr. 32, Die erste Seite. Uwe H. Schneider, DB 2000, 2413. Thümmel, BB 2004, Nr. 27, Die erste Seite. Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 161 HGB Rz. 106.
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deshalb gewählt wird, um nicht den starren, zwingenden Normen des Aktienrechts zu unterliegen, spricht dies noch nicht grundsätzlich gegen die Einführung eines – auf freiwilliger Ebene geltenden – Kodex. Die zweite Zielsetzung des Kodex wird zu Recht als auch für die GmbH zentral angesehen. Die Kehrseite der Flexibilität dieser Gesellschaftsformen sei oftmals eine Schwäche bei der Organisation und Kontrolle der Gesellschaft53. Gerade hier könnte der DCGK mit seinen Vorgaben für das Leitungsorgan und – so in der Gesellschaft vorhanden – das Überwachungsorgan eingreifen. Wenn eine Übertragbarkeit auf andere Gesellschaftsformen abgelehnt wird, könnte ein eigens ausgearbeiteter Kodex insbesondere in Bezug auf einige Kernbereiche des GmbH-Rechts als hilfreich angesehen werden. Inwiefern eine „Übertragung“ für (börsennotierte) Aktiengesellschaften geltender Corporate Governance-Regeln auf die GmbH möglich ist, ist auch eine dogmatische Frage. Eine „analoge“ Anwendung wird ausscheiden, da Analogie regelmäßig unter anderem eine planwidrige Regelungslücke voraussetzt, was für den vorliegenden Fall so nicht passt. Problematisch ist zudem, dass sich nicht auf den ersten Blick feststellen lässt, welche Regeln auf die GmbH übertragbar sein können und welche nicht. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der DCGK grundsätzlich nur für diejenigen Unternehmen verbindlich ist, die ihn anerkennen. Eine lückenlose Anerkennung in Bezug auf eine GmbH würde aufgrund der zahlreichen Unterschiede zur Aktiengesellschaft ohnehin nicht in Betracht kommen. Daher empfiehlt es sich, ein eigenes GmbH-Regelwerk in privater Rechtsetzung auszuarbeiten. Die Frage nach dem Inhalt lässt sich aber durchaus unter Zuhilfenahme des DCGK beantworten, indem diejenigen Regeln, die auch für die GmbH anwendbar sein können, gegebenenfalls modifiziert übernommen werden. Eine Berücksichtigung von aktienrechtlichen Vorgaben im GmbH-Recht ist schließlich der Rechtsanwendung nicht fremd54.
III. Mögliche Regelvorgaben Es kann hier nicht der Ort sein, detaillierte Regelvorgaben zu formulieren. Dazu ist diese Aufgabe zu komplex. Es können aber erste generelle Überlegungen angestellt werden.
__________ 53 Thümmel, BB 2004, Nr. 27, Die erste Seite. 54 Vgl. nur etwa den Verweis in § 52 Abs. 1 GmbHG auf das Aktiengesetz. S. a. Goette, Zur entsprechenden Anwendung des § 242 Abs. 2 AktG im GmbH-Recht, in FS Röhricht, 2005, S. 115 ff. Diskutiert wird auch, § 91 Abs. 2 AktG (Schaffung eines Früherkennungs-Systems durch den Vorstand) für die GmbH vorzusehen, dazu Westermann, DZWiR 2006, 485, 487 m. w. N.; bejahend etwa Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 30), § 43 GmbHG Rz. 78a, allerdings ohne Begründung; diese Frage steht auch im Zusammenhang mit derjenigen nach den Grundregeln ordnungsmäßiger Unternehmensführung, s. Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 30), a. a. O.
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1. Freiwilligkeit Wie auch immer man Kodex-Regeln für andere als (börsennotierte) Aktiengesellschaften ausgestalten mag, ist schon vorweg festzuhalten, dass dem verantwortlichen Leitungs- bzw. Aufsichtsorgan, wie schon dem Vorstand oder Aufsichtsrat bezüglich des DCGK, die Anwendung des Kodex offen steht. Auch hier muss also – aufgrund der Freiwilligkeit – zum einen die KodexBefolgung generell abgelehnt, zum anderen eine einzelne Empfehlung aus bestimmten Gründen nicht befolgt werden können. Damit ist die Flexibilität trotz Regelvorgaben gewahrt. 2. Aufteilung Die DCGK-Regelungen lassen sich in drei Gruppen einteilen: Informationsteil, Anregungsteil und Empfehlungsteil. Die nachfolgenden Überlegungen hinsichtlich eines GmbH-Kodex konzentrieren sich auf letzteren. Ob es für die GmbH Sinn machen kann, in einen eigenständigen Kodex (nur hier stellt sich diese Frage) einen Informationsteil aufzunehmen, der bereits bestehende gesetzliche Regelungen wiedergibt, soll hier dahingestellt bleiben. Gemünzt ist dieser informative Teil des DCGK vor allem auf ausländische Investoren55, so dass dessen Erforderlichkeit in Bezug auf einen GmbH-Kodex bezweifelt werden kann. Auch der Erwägung, ob Anregungen des DCGK übernommen werden können oder neu formuliert werden sollten, soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Sie sind für das den Kodex anerkennende Unternehmen nicht verbindlich, sondern dienen potentiellen Investoren zur gezielten Beachtung bestimmter Maßnahmen der Unternehmensführung in der entsprechenden Gesellschaft und zur Hinwirkung auf die Einhaltung dieser Maßnahmen56. Abgestellt wird nachfolgend daher allein auf Verhaltensempfehlungen zu einer möglichst guten Unternehmensführung in Bezug auf den Vorstand, den Aufsichtsrat oder aber Vorstand und Aufsichtsrat bzw. einzelne Organmitglieder (best practice). Einzubeziehen ist dabei nicht nur die Bemühung um die Schaffung von Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensführung, sondern auch der Umstand, dass nicht nur für die (börsennotierten) Aktiengesellschaften57, sondern auch für die GmbHs schon seit geraumer Zeit sog. Checklisten im Hinblick auf gute Governance vorliegen58.
__________ 55 Cromme, ZIP 2002, 452; Seidel, ZIP 2004, 285, 293. 56 Kirschbaum/Wittmann, JuS 2005, 1062, 1064. 57 S. etwa die DVFA-Scorecard for German Corporate Governance der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA). Zu den Checklisten auch Mutter, Corporate Governance in der Praxis, in Abeltshauser/Buck (Fn. 15), S. 23, 29 m. w. N. 58 S. www.capital-governance-advisory.com/Standpunkte; Strenger, BB 2003, Nr. 32, Die erste Seite.
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3. Das Aufsichtsorgan Im DCGK nehmen die Bestimmungen zur Überwachung des Leitungsorgans breiten Raum ein. Im Mittelpunkt steht vor allem die Ausgestaltung des Aufsichtsrats59. Auch in der GmbH finden sich Aufsichtsgremien. Ein fakultativer Aufsichtsrat kann sich bezüglich der ihm obliegenden Aufgaben elementar vom Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft unterscheiden. Daher sind nach § 52 Abs. 1 GmbHG die wichtigsten Regelungen des Aktienrechts nur hilfsweise entsprechend anwendbar. Dagegen ist in der mitbestimmungspflichtigen GmbH ein obligatorischer Aufsichtsrat zu bilden, wobei im Wesentlichen – abgesehen von einzelnen Unterschieden – aktienrechtliche Vorschriften übernommen werden. Dass mittelbar die aufsichtsratsbezogenen Regelungen des DCGK auch Auswirkungen auf den (fakultativen) Aufsichtsrat der GmbH haben können, wurde bereits im Schrifttum erkannt. Allerdings fehlt bislang eine empirische Untersuchung hinsichtlich der tatsächlichen Effekte. Der DCGK soll aber jedenfalls indirekte Bedeutung haben, „soweit dort Grundsätze über die ordnungsgemäße, arbeitsteilige Führung eines Unternehmens formuliert sind, deren Einhaltung als Organpflicht angesehen werden kann“60. Sobald ein obligatorischer Aufsichtsrat vorhanden ist oder in der Satzung für das fakultative Aufsichtsgremium (Überwachungs-)Aufgaben vorgesehen sind, die mit denen des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft verglichen werden können, stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der Kodex-Regeln. Es spricht nichts dafür, dass der Aufsichtsrat der nicht börsennotierten Akteingesellschaft anderen Standards folgen sollte als der fakultative Aufsichtsrat der GmbH61. Auf die GmbH übertragbar sind sicherlich diejenigen Teile des DCGK, die sich mit den Aufgaben des Aufsichtsrats und denen des Aufsichtsratsvorsitzenden (Ziffer 5.2 DCGK), mit der Zusammensetzung des Aufsichtsrats und der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder (Ziffer 5.4 DCGK) sowie mit der Vermeidung von Interessenkonflikten (Ziffer 5.5 DCGK) beschäftigen. Ob auch die Teile, die sich mit der Bildung von Ausschüssen befassen, übertragbar sind, ist dagegen schon fraglich62. Denkbar ist eine Übernahme für Ziffer 5.3.1 DCGK, wonach der Aufsichtsrat fachlich qualifizierte Ausschüsse bilden soll. Dies macht zwar für kleine Unternehmen, auch wenn sie einen (fakultativen) Aufsichtsrat haben, häufig nur wenig Sinn, dieser Punkt findet jedoch auch in Ziffer 5.3.1 DCGK Berücksichtigung, indem diese Empfehlung nur „abhängig von den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens und der Anzahl seiner Mitglieder“ gelten soll. Dagegen wird die Bildung eines Prüfungsausschusses (Audit Committee), wie dies in der – schon in Bezug auf deren Notwendigkeit
__________ 59 S. etwa Dörner, Der Aufsichtsratsvorsitzende im Lichte verschärfter Corporate Governance-Vorschriften, in FS Röhricht, 2005, S. 809 ff.; Buck, Aufsichtsratspflichten als Elemente der Corporate Governance, Die Einrichtung von Prüfungsausschüssen, in Abeltshauser/Buck (Fn. 15), S. 55 ff. 60 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 9), Vor § 35 GmbHG Rz. 13. 61 Thümmel, BB 2005, Nr. 27, Die erste Seite; Lange, GmbHR 2006, 897, 898. 62 Weitergehend aber Thümmel, BB 2005, Nr. 27, Die erste Seite.
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bei börsennotierter Gesellschaften umstrittenen63 – Ziffer 5.3.2 DCGK vorgesehen ist, für die GmbH nur selten zweckmäßig sein. 4. Das Leitungsorgan Einer Übertragung der Empfehlungen des DCGK für den Vorstand auf die GmbH ist allerdings mit Vorsicht zu begegnen. Schließlich unterscheiden sich der Vorstand einer Aktiengesellschaft und der Geschäftsführer einer GmbH elementar. So ist bei der Aktiengesellschaft der Vorstand unzweifelhaft als das Leitungsorgan zu identifizieren, während dies bei der GmbH anders sein kann. Die Geschäftsführer der GmbH leiten die Gesellschaft nicht unabhängig und unter eigener Verantwortung, sondern die Gesellschafter fällen die maßgeblichen Entscheidungen zur Unternehmenspolitik und zur Geschäftsführung. Zwar wird zwischen dem Organ Geschäftsführer und dem Organ Gesellschafterversammlung bei der GmbH regelmäßig ganz oder teilweise Personenidentität herrschen64, dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlich anderen Stellung des GmbH-Geschäftsführers im Vergleich zum Vorstand einer Aktiengesellschaft.
IV. Bindungswirkung 1. Pflicht zur Entsprechenserklärung Lässt man sich grundsätzlich auf die Festlegung von eigenständigen oder dem DCGK entlehnten Kodexregeln ein, ist zu klären, ob und wie die Einhaltung solcher Regelungen für die GmbH gesichert werden kann65. Bei börsennotierten Gesellschaften sind Vorstand und Aufsichtsrat nach § 161 AktG verpflichtet, einmal im Jahr mit der sog. Entsprechenserklärung einen Bericht darüber abzugeben, ob sie den Kodex einhalten und welche der Empfehlungen des Kodex sie gegebenenfalls nicht befolgen, soweit sie Abweichungen für geboten halten („comply or explain“). Geht man im Anschluss an eine empirische Untersuchung davon aus, dass die Befolgungsquote hinsichtlich der Empfehlungen und Anregungen des DCGK tendenziell von der Größe der Gesellschaften abhängt66, kommt der Frage, wie eine Einhaltung von Corporate GovernanceRegeln für die GmbH gesichert werden sollte bzw. kann, entscheidende Bedeutung zu. § 161 AktG bezieht sich lediglich auf börsennotierte Gesellschaften, so dass für nicht börsennotierte Gesellschaften ein direkter Bezug zu § 161 AktG
__________ 63 Buck, Aufsichtsratspflichten als Elemente der Corporate Governance, Die Einrichtung von Prüfungsausschüssen, in Abeltshauser/Buck (Fn. 15), S. 55 ff. 64 Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2006, § 31 Rz. 1. 65 Zur Problematik des Enforcement von Corporate Governance-Regeln Wymeersch, Corporate Governance Codes and Their Implementation, in FS Horn, 2006, S. 619, 623 ff. 66 Von Werder, Ausführungen anlässlich des Pressegesprächs v. 21.4.2006, S. 7, abrufbar unter www.bccg.tu-berlin.de.
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fehlt. Es bleibt nun die Erwägung, ob § 161 AktG analog anwendbar sein könnte. Dies ist jedoch zweifelhaft. Zu beachten ist, dass an die Nichteinhaltung des § 161 AktG grundsätzlich keine direkte Sanktionsfolge geknüpft ist. Die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung stellt lediglich eine organschaftliche Verpflichtung im Innenverhältnis dar67. Eine Außenhaftung der Gesellschaft wird regelmäßig ebenso ausscheiden wie eine Haftung des betreffenden Organmitglieds68. Die einzige direkte Folge wird ein Vermerk des Wirtschaftsprüfers sein, da die Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG eine Pflichtangabe ist69. Über die Abgabe der Entsprechenserklärung ist nach § 285 Abs. 1 Nr. 16 HGB bzw. § 316 Nr. 8 HGB im (Konzern-)Anhang des Jahresabschlusses zu berichten70. 2. Außenwirkung In Bezug auf börsennotierte Aktiengesellschaften wird damit erwartet, dass eine „Bestrafung“ derer, die sich nicht an den DCGK halten, letztendlich durch den Kapitalmarkt, d. h. die Reaktion der Anleger auf diesem, erfolgt71. Dies kann für nicht börsennotierte Gesellschaften wie die GmbH so nicht zutreffen. Allenfalls wird sich hier die Nichteinhaltung von entsprechenden Corporate Governance-Grundsätzen ohne hinreichende Gründe bei einer Kreditvergabe durch Banken negativ auswirken, indem sich im Zweifel ein Kredit verteuert. Um jedoch die Einhaltung der Governance-Grundsätze darzulegen, bedarf es keiner gesonderten Entsprechenserklärung, sondern die Übereinstimmung wird individuell von der Bank abgefragt werden können. Hier besteht grundsätzlich kein Bedarf, der Öffentlichkeit Schlüsselinformationen zur guten Unternehmensführung und -aufsicht zugänglich zu machen. 3. Innenwirkung Abgesehen von diesem Außeneffekt ist aber auch die Innenwirkung zu beachten. Entspricht ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied nicht den Empfehlungen des DCGK, könnte dieses damit die Sorgfalt, welche die Leitungsund Überwachungspersonen einhalten müssen, verletzt haben. Dies ist dann der Fall, wenn der im Gesetz in den §§ 93 Abs. 1, 116 AktG generalklauselartig vorgeschriebene Sorgfaltsmaßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters oder Aufsichtsratsmitglieds durch die Vorgaben des DCGK
__________ 67 Mülbert, Selbstverpflichtung zu künftigem Verhalten, Deutscher Corporate Governance Kodex, „Girokonto für jedermann“, Selbstverpflichtung von Pfandbriefinstituten, in FS Konzen, 2006, S. 561, 564 m. w. N.; a. A. Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 161 AktG Rz. 73; s. a. Kort, Die Außenhaftung des Vorstands bei der Abgabe von Erklärungen nach § 161 AktG, in FS Raiser, 2005, S. 203 ff. 68 Vgl. nur etwa Hüffer (Fn. 14), § 161 AktG Rz. 28 ff. mit zahlreichen w.N. 69 Dazu Ruhnke, AG 2003, 371, 373 ff. 70 Nach § 325 Abs. 1 Satz 1 HGB ist die Erklärung zusammen mit den Abschlussunterlagen zum Handelsregister der Gesellschaft einzureichen. 71 S. nur Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168 f. m. w. N.; dagegen aber die empirische Kapitalmarktforschung von Nowak/Rott/Mahr, ZGR 2005, 252 ff., insbes. 279.
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konkretisiert wird. Im Schrifttum ist heftig umstritten, ob die Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft u. U. haften, wenn sie Empfehlungen des DCGK nicht beachten. Bejahen die einen bei Nichtbeachtung des Kodex einen Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebene Sorgfaltspflicht72, lehnen dies andere wiederum mit dem Argument ab, die Empfehlungen dürften wegen ihres unverbindlichen Charakters nicht haftungsbestimmend werden73. Sie seien schließlich keine staatliche Rechtsetzung74. Dass hier private Rechtsetzung vorliegt, ist zwar zutreffend. Fraglich ist jedoch, ob schon allein deshalb mögliche Auswirkungen dieser Regelungen auf die Ausfüllung des gesetzlich vorgegebenen Rahmens abzulehnen sein sollen. Bei der Klärung dessen, was der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entspricht, werden die Gerichte auf ein festgestelltes Verhalten guter Corporate Governance zurückgreifen müssen. Jedenfalls diejenigen Empfehlungen, die von der überwiegenden Zahl der (börsennotierten) Aktiengesellschaften beachtet werden, können als Konsens der Wirtschaft hinsichtlich „Ordentlichkeit und Gewissenhaftigkeit“ des Leitungsorgans gewertet werden. In Frage gestellt werden kann dies allein für diejenigen Kodexregelungen, die überwiegend auf Ablehnung stoßen75. Hier wird im Einzelfall zu klären sein, ob die Verletzung einer solchen Empfehlung (schon) als durch die organschaftliche Sorgfaltspflicht des Organmitglieds vorgegebene Pflicht gesehen werden kann. Die Tatsache, dass der Kodex und damit seine Empfehlungen rechtlich unverbindlich sind, muss nicht zwingend ausschließen, dass damit mittelbare Wirkungen etwa im Hinblick auf Haftungsnormen einhergehen. Vorausgesetzt man folgt der Ansicht, dass die Nichteinhaltung von KodexEmpfehlungen unmittelbar Auswirkungen auf die Innenhaftung der Leitungsbzw. Überwachungspersonen haben kann76, könnte man im Hinblick auf eine
__________ 72 Lutter, ZHR 166 (2002) 523, 540 ff.; ders., ZGR 2001, 236; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 166 f.; ders., AcP 202 (2002), 143, 170 f. 73 Bachmann, WM 2002, 2137, 2138; ablehnend gegenüber einer Ausstrahlungswirkung auch Claussen/Bröcker, AG 2000, 483 f.; Hefermehl/Spindler in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 93 AktG Rz. 36; differenzierend zwischen einer Haftung wegen Verletzung der allgemeinen und einer konkretisierten Sorgfaltspflicht Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 161 AktG Rz. 190 ff. 74 Hüffer (Fn. 14), § 161 AktG Rz. 27. 75 Dies betrifft etwa die Empfehlung hinsichtlich eines angemessenen Selbstbehalts bei D&O-Versicherungen für Vorstand und Aufsichtsrat sowie die individualisierten Angaben zur Vorstandsvergütung; s. von Werder, Ausführungen anlässlich des Pressegesprächs v. 21.4.2006, S. 6, abrufbar unter www.bccg.tu-berlin.de. 76 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Seibt, AG 2002, 249, 251; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 166 f.; ders., AcP 202 (2002), 143, 170 f. Kritisch Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433, 1436; einschränkend auch Borges, ZGR 2003, 508, 518 ff., wonach die Empfehlungen sich erst mit der Akzeptanz durch die maßgeblichen Verkehrskreise zu einem unverzichtbaren Standard verdichten müssen, damit dieser dann in Bezug auf § 93 AktG herangezogen werden könne; so auch Thümmel, BB 2005, Nr. 27, Die erste Seite. Grundsätzlich ablehnend Bachmann, Private Ordnung, Grundlagen ziviler Regelsetzung, 2006, S. 46; ders., WM 2002, 2137, 2138.
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Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht
(mittelbare) Bindungswirkung darauf abheben, dass auch die Organe von Gesellschaften anderer Rechtsformen die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters bzw. Aufsichtsrats zu beachten haben (§ 43 GmbHG, § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 161 AktG). Im Wesentlichen wird auch hier umstritten sein, ob den GmbH-Kodexempfehlungen normausfüllende Qualität zukommt und sie zur Auslegung der Sorgfaltsanforderungen herangezogen werden oder ob sich diese erst im Laufe der Zeit zu Standards entwickeln können, deren Nichtbeachtung eine Haftung nach der jeweiligen Haftungsnorm für die Leitungs-/Aufsichtsperson auszulösen vermag.
V. Resümee Dass eine gute Corporate Governance einem Unternehmen, sei es nun börsennotiert oder nicht, gewisse Vorteile bringt, dürfte kaum bestritten werden. Nicht ganz geklärt scheint noch immer, ob der Kosten-Nutzen-Effekt dabei noch gewahrt ist. Auch wenn man (freiwillige) Corporate Governance-Regeln generell als sinnvoll für ein Unternehmen ansieht, sind Zweifel angebracht, ob entsprechende Regeln für GmbHs notwendig sind. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Umstandes, dass die faktische Akzeptanz des DCGK und die empirischen Ergebnisse bezüglich seiner positiven Auswirkungen auseinandergehen. Darin könnte eine Hinnahme von Unvermeidlichem liegen, die mit Aufwand und Kosten verbunden ist, aber nur bedingt wirtschaftlichen Nutzen bringt, indem die mittelbaren (Haftungs-)Folgen einer Nichtbeachtung des Kodex abgewendet werden. Immerhin besteht nicht die Gefahr, dass die Rolle, die Corporate Governance für Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH und deren Leitungs- und Aufsichtsgremien spielen kann, unterschätzt wird. Vielmehr ist hier ein gewisser Eifer – oder sollte man sagen: Übereifer – an Selbstregulierungsbemühungen zu verzeichnen. Schließlich befasst sich auch die Betriebswirtschaftswissenschaft mit der Formulierung von Verhaltensregeln für Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglieder einer GmbH. Eine rechtliche Ausformulierung von Sorgfaltsanforderungen in einem Kodex-Regelwerk erscheint daher auf den ersten Blick nicht ganz so dringlich. Die vielfältigen Bemühungen verwundern aber dann nicht mehr, wenn man – abgesehen von dem umstrittenen Haftungsaspekt – berücksichtigt, dass insbesondere in Anbetracht von Basel II eine Standardisierung dessen, was gute Governance ist, an Bedeutung gewinnt. Gesellschaften – hier: GmbHs – können erst dann zuverlässig die Bankkonditionen beeinflussende Governance-Maßnahmen ergreifen, wenn ihnen ein Katalog an Verhaltensregeln, die vor allem durch die Kapitalgeber akzeptiert werden, vorliegt.
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Gedanken und Erinnerungen an das Kapitalersatzrecht Inhaltsübersicht I. Westermanns Position zum Kapitalersatz II. Die Gesinnungsgenossen
IV. Das MoMiG V. Eigenkapital ist heilig, Darlehen sind das nicht
III. Worum geht es?
In einem Festschriftbeitrag können persönliche Anmerkungen über Erkenntnisse des mit der Festschrift Ausgezeichneten enthalten sein. In Festschriftbeiträgen ist es auch erlaubt, dass die Autoren ihre eigene Meinung darstellen und persönliche Sichtweisen zur Geltung bringen. Es ist also auszugehen von diesem Grundverständnis, dass Festschriftbeiträge unter anderem diese geschilderte Funktion haben, im Gewand des wissenschaftlichen Schrifttums personelles zum Klingen zu bringen. Diese personelle Sichtweise ist in Artikeln in Fachzeitschriften weniger üblich. So verstanden ist zuerst zu berichten über das Judiz, das Harm Peter Westermann zu dem Komplex der kapitalersetzenden Darlehen bewiesen hat.
I. Westermanns Position zum Kapitalersatz Westermann hat im Scholz1 seit vielen Auflagen neben der Einleitung und den §§ 5 und 20 sowie § 19 die §§ 30 bis 32 GmbHG aus dem hier behandelten Gesamtzusammenhang der Kapitalerhaltung kommentiert. Die direkt zum Thema führenden §§ 32a und b GmbHG werden im Scholz von Karsten Schmidt kommentiert. Überdies hat Westermann auch die §§ 33 und 34 GmbHG kommentiert, die den Erwerb eigener Geschäftsanteile sowie die Einziehung von Geschäftsanteilen regeln. Diese Kommentierungsteile stehen hier in unserer Betrachtung des Kapitalerhalts nicht im Mittelpunkt des Interesses. Die Kommentierung der §§ 30 bis 32 GmbHG von Westermann orientiert sich streng am Gesetz, hält sich fern von jeder übersteigerten Begriffsbildung, wie z. B. dem „Vermögensgefährdungsschutz“, arbeitet mit einem herkömmlichen Begriff des Eigenkapitals und hält sich fern vom Kosmos des Kapitalersatzrechtes, das er als ein Sonderrecht bezeichnet2. Im einzelnen sieht Westermann in den §§ 30, 31 GmbHG, die den Schutz des Gesellschaftskapitals vorschreiben, zwar „den zentralen Gedanken der Kapitalerhaltung“3, aber er
__________ 1 Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 10. Aufl. 2006. 2 Westermann in Scholz (Fn. 1), § 30 GmbHG Rz. 3. 3 Westermann in Scholz (Fn. 1), § 30 GmbHG Rz. 1.
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Carsten P. Claussen
bleibt der herkömmlichen Sicht der „bilanziellen Betrachtung“ treu, wonach Kapitalerhaltung sich zunächst auf der Passivseite der Bilanz darstellt, in dem § 30 GmbHG das Stammkapital vor einer Auszahlung an die Gesellschafter schützt, also Unterbilanzen verbietet4. Auf der Aktivseite spielen sich nur Wertberichtigungen und Abschreibungen ab, die das Gesellschaftsvermögen vermindern und auf diesem Wege das Stammkapital mindern können5. Es muss also erlaubt sein, dass einem solventen Gesellschafter ein jederzeit rückzahlbares Darlehen gewährt werden darf, weil dies nur ein Aktivtausch ist. Ebenso weiß Westermann eine klare Grenze zu ziehen von einer Ausweitung des Grundsatzes des § 30 Abs. 1 GmbHG zu einem Verbot sich später als nachteilig erweisenden Rechtsgeschäften, wie z. B. ein überteuertes Grundstück oder ein Softwarepaket mit einem zweifelhaften good-will von einem Dritten zu erwerben6. Reserve klingt auch an gegenüber der herrschenden Meinung, dass Sanierungsdarlehen auch dann zu passivieren sind, wenn sie mit einem Rangrücktritt ausgestattet sind. Diese Position macht Eindruck, weil sonst unklar ist, welchen Sinn der Rangrücktritt sonst haben soll, als der Sanierung zum Erfolg zu verhelfen7. Ebenso zurückhaltend ist seine Meinung zu den aus dem Kapitalersatzrecht stammenden Ausdrücken der „Finanzierungsfolgeverantwortung“. Schon viel früher als die bisher zitierte 10. Auflage des Scholz bekannte sich Westermann zu einer reservierten Haltung gegenüber der Expansion des Kapitalersatzrechtes. Dies geschah in den früheren Auflagen des Scholz und anderwärts. Aus jenen Jahren stammt die Arbeit über kapitalersetzende Darlehen „als Gegenstand von Verrechnungsabreden“, wo zu lesen ist, dass „Aspekte dieses Themakreises … die Rechtsunsicherheit immer noch zu erhöhen drohen“8. Etwas entfernter und mehr auf der bankrechtlichen Linie liegt die Arbeit über „Banken als Kreditgeber und Gesellschafter“9. Aber am Schluss dieser Arbeit10 kommt er auf unser Problem zu sprechen und plädiert für eine „privilegierte Behandlung“ von Sanierungsdarlehen, die nicht zu nachrangigem Haftkapital zurückgestuft werden sollen. Das gleiche Thema beherrscht die Schrift, die er zusammen mit Rümker im Jahre 198711 herausgab. Dort wird der Gesamtkomplex der kapitalersetzenden Darlehen nach damaligem Diskussionsstand mit präziser Literaturverarbeitung ausgebreitet, auch nicht verschwiegen, dass
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4 Westermann in Scholz (Fn. 1), § 30 GmbHG Rz. 16 – auch „wertbezogener Stammkapitalschutz“ genannt von Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 30 GmbHG Rz. 7. 5 Zum ganzen Komplex aus neuerer Zeit BGHZ 157, 72 ff.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 2006, § 30 GmbHG Rz. 10 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 2003, § 30 GmbHG Rz. 93. 6 Westermann in Scholz (Fn. 1), § 30 GmbHG Rz. 4. 7 Westermann in Scholz (Fn. 1), § 30 GmbHG Rz. 15. 8 Westermann, Kapitalersetzende Darlehen eines GmbH-Gesellschafters als Gegenstand von Verrechnungsabreden, in FS Oppenhoff, 1985, S. 535. 9 Westermann, ZIP 1982, 379 ff. 10 Westermann, ZIP 1982, 386 ff. 11 Rümker/Westermann, Kapitalersetzende Darlehen, WM-Skript 1987.
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damals wie später die Rechtsordnung, nämlich des II. Senats des BGH, wie die herrschende Meinung in der Wissenschaft die Position von Westermann nicht teilte, sondern eher kritisierte. In dieser Arbeit von Rümker/Westermann – heute 20 Jahre alt – wird in seriöser Weise der Gesamtkomplex der kapitalersetzenden Darlehen in Rechtsprechung und Literatur auf 80 Seiten präsentiert. Es werden die beiden „Schutzkonzeptionen“ des früheren Rechts herausgestellt – die eine Schutzkonzeption wird vom Gesetz in den §§ 32a, 32b GmbHG geregelt und die „insolvenzrechtliche Lösung“ genannt. Die andere „Schutzkonzeption“ liegt in den Händen des fortgeltenden Richterrechtes und wird die „gesellschaftsrechtliche Lösung“ genannt. Auf die Rechtsanwendungsprobleme, die aus dieser Zweispurigkeit folgten, wird hingewiesen, auch dass sich diese Zweispurigkeit erstmalig und einmalig im deutschen Rechtsleben einstellte. Insgesamt handelt es sich um eine präzise Aufbereitung der damals herrschenden Rechtslage, streng sachlich, ohne Ansätze zu einer „Fundamentalkritik“, die alle Rechtsideen zu diesem Bereich in Bausch und Bogen ablehnte, sondern mit Maß und Mitte urteilte. Heute ist dieses Werk mit Respekt zur Hand zu nehmen und festzustellen, dass die damaligen Diskussionsteilnehmer über 20 Jahre hinweg bei ihrem Thema – das kapitalersetzende Darlehen – und ihrer Position treu blieben und kaum einen Deut hiervon abgewichen sind. Juristische Wissenschaft und ihre Vertreter erweisen sich hier als eine verlässliche und mit Gedächtnis ausgestattete Community! Auf der gleichen Linie kritischer, aber stets sachlicher Beobachtung, steht die Arbeit über kapitalersetzende Darlehen bei der Publikums-KG12. Hier stellt Westermann Fragen zu unserem Thema, „was eigentlich das ‚Kapital’ ist, das ‚ersetzt’ wird“ und die andere Frage „wann findet eine ‚Rückzahlung’ statt und aus welchen Umständen entnehmen wir die Ersatzfunktion?“ Alle diese Fragen führen in ein kaum noch beherrschbares und keine Fragen beantwortendes Rechtsfeld – so kann man zusammenfassen. Westermann ließ unser Thema der kapitalersetzenden Darlehen nicht los, sondern es verfolgt ihn bis in unsere Tage. So formuliert er in der FS für Zöllner13 seinen Appell zur „Rechtsrückbildung im Gesellschaftsrecht“, vor allem im Kapitalersatzrecht mit seiner Doppelspurigkeit, und dort speziell mit der Kritik an der Neufassung des § 32a Abs. 3 GmbHG aus dem Jahr 1998. Damals war Westermann noch guter Hoffnung, dies im Wege der teleologischen Reduktion der Kapitalersatzgrundsätze zu erreichen. Dieser kurze Ausflug in das reiche Juristen- und Autorenleben von Westermann mag ausreichen, um zu erklären, warum er neben anderen zum „Fundamentalkritiker“ des Kapitalersatzrechts14 ausgerufen wurde.
__________ 12 Westermann in FS Fleck, 1988, S. 423 ff. 13 Westermann in FS Zöllner, 1998, S. 607 ff. 14 Karsten Schmidt, GmbHR 2005, 799.
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II. Die Gesinnungsgenossen Westermann war mit seiner Position nicht alleine, aber weit davon entfernt, eine herrschende oder auch nur akzeptierte Position zu vertreten. Gesinnungsfreunde fand Westermann bei Grunewald15, natürlich bei seinem Koautor Rümker und dem Verfasser dieses Beitrages, bei dem die Debatte um den Kapitalersatz öffentlich zu werden im Jahr 1983 begann. Dem Verfasser ist noch lebhaft in Erinnerung, wie auf dem 3. Bankrechtssymposium der ZHR vom Januar 198316 über Kapitalersatzrecht debattiert wurde. Schon das Äußere war anders als heute: Das 3. Bankrechtssymposium der ZHR war damals eine übersichtliche Versammlung von etwa 30 Juristen, von denen ein Drittel dem BGH als Richter oder als Rechtsanwälte verbunden waren, ein weiteres Drittel waren in der Bankpraxis tätige Juristen sowie ein Drittel Hochschullehrer17, die damals zu den fleißigsten Diskutanten gehörten und bis auf die Genannten unisono die Rechtsidee vom Kapitalersatz für gutes Recht hielten und Personen, die dieser Rechtsidee kritisch gegenüber standen, nicht immer mit Samthandschuhen anfassten. Der kleine Kreis, der schon damals dem Kapitalersatzrecht kritisch gegenüberstand, blieb aber seiner Überzeugung treu und schrieb sich die Finger wund, um die Botschaft, das Kapitalersatzrecht könne auf Abwege führen, sei unpraktisch und damit wohlfahrtsmindernd, wissenschaftlich und praktisch zu verbreiten18, allerdings anfangs ohne erkennbare Resonanz. Deshalb war es ein Trost – vielleicht der einzige Trost – zu wissen, dass man mit unserem Jubilar eines Sinnes war. Dies verschob den Sympathiepegel füreinander nach oben und förderte vor allem die Erkenntnis, auf der rechten Spur zu fahren, trotz der Kritiker, die uns entweder als finstere Lobbyisten oder ungebildete Praktiker oder als beides betrachteten.
III. Worum geht es? Damit soll es genug sein mit den persönlichen Erinnerungen eines alten Mannes. Denn die alten Männer haben bekanntlich eine Tendenz, ihr Bild von der Vergangenheit im Verlauf der Jahre immer glorreicher zu sehen und zu verkünden. Deshalb soll mit der Vergangenheitsbetrachtung jetzt Schluss sein und die Sachfrage beantwortet werden, worum es den Kritikern des Kapitalersatzrechtes geht. Dem Kosmos des Kapitalersatzrechtes in der letzten Ausprägung wurde und wird folgendes entgegengehalten: 1. dass Kapital ex definitione nicht „ersetzt“ werden kann, sondern ein Unikat ist;
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15 Grunewald, GmbHR 1997, 7 ff. 16 Karsten Schmidt, ZHR 147 (1983), 165; Claussen, ZHR 147 (1983), 195. 17 Wenn man diese Zahlen vergleicht mit den heutigen Präsenzen von 125 Teilnehmern, sind diese jährlich stattfindenden Symposien marktwirtschaftlich gesehen eine Erfolgsgeschichte mit Boomcharakter. 18 Claussen, AG 1984, 20; ders., ZIP 1990, 1173; ders. in FS Forster, 1992, S. 139; ders., GmbHR 1994, 9; ders., GmbHR 1996, 316.
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2. die deutsche Ausformung des Kapitalersatzrechtes international keinen Vergleich kannte und kennt. Andere Rechtsordnungen sehen Regelungen vor, in denen die Gesellschafterleistungen zurückgestuft werden19; 3. dass das Eigenkapitalersatzrecht wegen seiner Komplexität20 nicht mehr verstehbar und kaum noch beherrschbar ist, was in der großen Literaturproduktion21 deutlich wird, wohl auch die Gerichte über Gebühr belastet mit Prozessen, die Kapitalersatz zum Gegenstand haben22; 4. das Eigenkapitalersatzrecht kann sich sanierungsfeindlich auswirken23, ebenso kann es zum Schaden der Gläubiger ausschlagen; 5. das Eigenkapitalersatzrecht ist investitionshemmend, weil der aus einer Investition fließende Nutzen sich auf eine ausgeweitete Eigenkapitalbasis breiter verteile; 6. das Eigenkapitalersatzrecht kann zu Ungerechtigkeiten führen. Beispiel: Eine betagte Erbtante will ihrem Patensohn, der Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH ist, mit einer Geldspritze helfen. Aber sie will dies partout nicht als Gesellschafterin tun sondern nur als Gläubigerin einer Darlehensforderung an ihren Patensohn. Wird ein solcher Fall ebenso behandelt wie ein windiger Geschäftsführer/Gesellschafter, der sein Geld als Darlehen anstelle als Kapital in seine GmbH einlegt, weil er nur die Chance nutzen will und das Risiko zu vermeiden sucht, stellt sich die Gerechtigkeitsfrage; 7. das Eigenkapitalersatzrecht will den überkommenen Eigenkapitalmangel in Deutschland im Mittelstand als das finanzwirtschaftliche Kernübel nicht ausreichend deutlich machen sondern eher mit unzulänglichen Mitteln angehen24; 8. die Ausweitung des Kapitalersatzrechtes scheint keine Grenzen zu kennen25. So wurden die Darlehensgewährungen an eine GmbH auf Darlehen dieser GmbH an verbundene Unternehmen ausgeweitet; das Eigenkapitalersatzrecht wurde ausgeweitet auf Bürgschaften oder andere Sicherheiten von Gesellschaften durch § 32a Abs. 2 GmbHG; auf die Stundung von Forderungen, das sog. Stehenlassen; den Darlehensgebern/Gesellschaftern werden gleichgestellt Unterbeteiligte, stille Gesellschafter, Treuhänder,
__________ 19 Huber/Habersack, ZGR 2006, Sonderheft 17, 384. 20 Hommelhoff in VGR (Hrsg.), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 116. 21 In der jüngsten Kommentierung von Ulmer/Habersack in Großkomm.GmbHG, 2006, umfasst die Kommentierung der §§ 32a und 32b GmbHG 157 Seiten mit 736 Fußnoten und Literaturverzeichnissen von einleitend drei Seiten und in den Text eingebundenen Literaturverzeichnissen mit sechs Seiten Literaturhinweise. 22 Von 1970–1985 gab es zu unserer Kenntnis 10 BGH-Urteile, ab 1985 folgten so viele BGH-Entscheidungen, dass es Karsten Schmidt „den Atem verschlagen hat“, ZIP 1990, 69. 23 Hierzu Huber/Habersack, ZGR 2006, Sonderheft 17, 403–404. 24 Zum Ganzen auch Götz, Juristische und ökonomische Analyse des Eigenkapitalersatzrechts, 2001, S. 167 ff.; Engert, ZGR 2004, 813. 25 Zum ganzen Claussen, GmbHR 1996, 317–319.
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Familienangehörige, Drittleistungen für Rechnung eines Gesellschafters26; alle Spielarten von Finanzierungsgeschäften mit Sachwerten wurden eigenkapitalmäßig verstrickt, wie die Nutzungsüberlassung von Grundstücken und die Betriebsaufspaltung. Diese Ausweitungen des Kapitalersatzrechts waren stets als Verschärfung verstanden worden. Nur an die lohnsteuerpflichtige Gehaltszahlung an den Geschäftsführer/Gesellschafter wagte sich das Kapitalersatzrecht nicht heran, aber dort wird der Rahmen vom Grundsatz der steuerlichen Angemessenheit abgesteckt. Was darüber hinausgeht, ist eine verdeckte Gewinnausschüttung27. Auch hat sich das Kapitalersatzrecht nicht an die Problematik, welches Eigenkapital für welche Gesellschaft ausreichend oder angemessen sei, herangearbeitet28, was auch eine lex imperfecta geworden wäre, wenn man das versucht hätte; 9.
in Krisenzeiten erwies sich das Kapitalersatzrecht als ungeeignet, dringend zu lösende Finanzierungsprobleme bewusst zu machen, zumindest erwies sich das Kapitalersatzrecht als investitionshindernd und damit als krisenverschärfend. Dies wurde deutlich in der Phase der Wiedervereinigung Deutschlands nach 1990. Damals mussten durch das Gesetz zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften, 2. Vermögensänderungsgesetz vom 10.7.1992, die §§ 32a und 32b des GmbH-Gesetzes nicht für anwendbar erklärt werden auf Kredite, welche die Treuhandanstalt einer Gesellschaft gewährte, auch nicht auf Kredite, für die die Treuhandanstalt eine Sicherheit bestellt oder verbürgt hat. Nur so konnte man der Finanzierungsnot damals beikommen. – Der nächste Fall der Ungeeignetheit der Rechtsidee vom Kapitalersatz ereignete sich 1998. Damals wurden Vorschläge zur Ermöglichung von Sanierungen aufgegriffen und die als „Sanierungsprivilegien“ bezeichnete Vorschrift des § 30a Abs. 3 Satz 3 GmbHG eingeführt. – Das Steuerrecht – ein ökonomisch bedeutsames Rechtsfeld – kennt keine eigenkapitalersetzende Darlehen. Für das Steuerrecht sind Darlehen, ob eigenkapitalersetzend oder nicht, Verbindlichkeiten29, die geeignet sind, Zinsverbindlichkeiten der GmbH gegenüber dem Gläubiger entstehen zu lassen, die zu Lasten des Gewinnes zu passivieren sind. – Diese Modifikationen oder Außerkraftsetzungen des Kapitalersatzrechtes wurden als Vorboten einer bevorstehenden Grundsatzreform gesehen30;
10. die nebeneinander stehenden gesetzlichen, eher insolvenzrechtlichen Regeln neben den richterrechtlichen eher gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen31 entwickelten sich zunehmend problematisch. Rechtsstaatliche Argumente und dogmatische Grundsätze wurden gegen dieses Nebeneinander angeführt32;
__________ 26 27 28 29 30 31 32
Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 5), § 32a GmbHG Rz. 21 ff. BFH, BStBl. II 2000, S. 547. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 5), § 32a GmbHG Rz. 2. BFM in GmbHR 1992, 382; BFHE 166, 356. Vgl. auch Claussen, GmbHR 1994, 10; ders., GmbHR 1996, 316 ff. Grundlegend BGHZ 90, 370. BDI/Hengeler Mueller, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, 2006, S. 32; Tilman Bezzenberger in FS Bezzenberger, 2000, S. 30 ff.
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11. Dieser Prozess zog sich über die 90er Jahre hinweg bis hin zu dem Ruf, dass das Kapitalersatzrecht reformiert werden solle. Diese Argumente verbanden sich in den Anfangsjahren des neuen Jahrhunderts mit europarechtlichen Gesichtspunkten um die Stichworte Centros, Überseering und Inspire Art33, die allesamt den Zugang von Rechtsformen des europäischen Auslands nach Deutschland eröffneten. Es kam der Vorschlag des Rickford reports34, der die Frage nach der Nützlichkeit und Preiswürdigkeit des Kapitals stellte. Alle diese Anregungen führten hin zu dem Ruf, dass das GmbH-Recht allgemein, das Kapitalersatzrecht insbesondere reformiert werden müsse35. Dies alles ist nun Geschichte, aber Geschichte ist nicht, dass in dieser Frage zwischen unserem Jubilar und dem Skribenten dieses Beitrages in dieser Frage stets Gleichklang geherrscht hat.
IV. Das MoMiG Das alles ist deshalb Geschichte, weil am 29.5.2006 der Reformentwurf eines „Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechtes und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ veröffentlicht wurde, der kurz und bündig vorschreibt: „Die §§ 32 a und 32 b werden aufgehoben“, und zwar im GmbHGesetz. Eine ähnliche Rechtsidee kehrt in veränderter Gestalt in der InsO wider36. Zwar ist es ein primäres Ziel dieser Reform, die Rechtsform GmbH mit ausländischen konkurrierenden Rechtsformen wettbewerbsfähig zu machen und Missbräuche der Rechtsform zu verhindern37, speziell den Zufluss von britischen Limiteds in Deutschland eindämmen. Hierzu gehört auch, dass das Mindeststammkapital auf 10.000 Euro festgesetzt wird, § 5 GmbHG-RE. Eine Neuordnung der Übertragung von Geschäftsanteilen schließlich – Verzicht auf notarielle Beurkundung – wurde nicht erwogen. Hier – in diesem Zusammenhang – kommt es nur auf das neue „Gesellschafterdarlehens“-Recht an. Hervorzuheben ist zunächst und zuvorderst und als der wichtigste Erfolg dieser gesetzlichen Neuregelung, dass es den Ausdruck und den Charakter von „Eigenkapitalersatz“ nicht mehr gibt, ebenso wie die Adjektive „eigenkapitalersetzend“ aus der deutschen Rechtssprache verschwinden38. Das ist deshalb zu begrüßen, weil diese Wortschöpfung nahe an einer contradictio in adiecto angesiedelt ist, also schon sprachlich keine geglückte Erfindung war. Damit ist
__________ 33 Centros, NJW 1999, 2027; Überseering, NJW 2002, 3614; Inspire Art, NJW 2003, 3331. 34 Rickford Report Reforming Capital, European Business Law Review (EBLR) 2004, 919 ff. 35 BDI/Hengeler Mueller (Fn. 32), S. 46–47; Huber/Habersack (Fn. 23), S. 432; Ekkenga, WM 2006, 1995. 36 So schon 1987 vorgeschlagen von Rümker/Westermann (Fn. 11), S. 69. 37 Amtliche Begründung des MoMiG, RegE, S. 33. 38 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 29.5.2006, S. 56.
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alsbald Schluss39 und die GmbH-Praxis und die Juristen werden in Zukunft von „Gesellschafterdarlehen“ sprechen und sich darunter etwas Präzises vorstellen können. Dies geschieht durch die schon erwähnte Streichung der §§ 32a und b GmbHG40 und die Aufnahme in der InsO, aber mit geändertem Wortlaut. Dies geschieht in der Weise, dass der Referentenentwurf des MoMiG in § 39 InsO einen neuen Absatz 5 einfügt sowie einen neuen § 44a InsO schafft, in dem die Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen und diesen gleichstehenden Rechtsinstituten festgelegt wird. Der Gedanke setzte sich durch, dass es weder ethisch noch gedanklich noch dogmatisch, auch sprachlich einen „Ersatz“ für Eigenkapital geben könne41. Die Überzeugungskraft dieses Gedankens war deutlich, die Reform ist bei den Rechtsunterworfenen und deren Beratern aber auch bei der Wissenschaft angekommen, es findet sich kein Verteidiger des „Kapitalersatzes“42. Die Duplizität von Rechtsprechungsregeln und Novellenregeln wird ebenfalls aufgehoben. 2006 brachte nach alldem den ersten Federstrich in Gestalt des Referentenentwurfs eines neuen GmbHG, dem alsbald der zweite Federstrich des Gesetzgebers in der Form der Verabschiedung eines reformierten GmbHG folgen wird, „der ganze Bibliotheken zu Makulatur werden lässt“43. Die Diskussion dieser GmbH-Rechtsänderung war vielfältig und von Sachkunde und Engagement getragen44. Wichtig ist für unseren Zusammenhang, dass der Ausdruck „kapitalersetzend“ im neuen Gesetz nicht mehr auftaucht und damit ein Wertungswiderspruch aus der deutschen Rechtssprache eliminiert wird.
V. Eigenkapital ist heilig, Darlehen sind das nicht Alle vorstehend ausgebreiteten Argumente gegen die Rechtsidee von kapitalersetzenden Darlehen sind bekannt und so oft ausgetauscht, dass die Wiederholung ermüdet. Nur das oben unter der Nr. 1 angeführte Argument gegen die kapitalersetzenden Darlehen wird seltener erwähnt, obgleich es für einen, der
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39 Mit einer Verabschiedung eines reformierten GmbHG wird für 2008 gerechnet. 40 Ebenso anstößig ist die neue Wortschöpfung: Gesellschafterfremdfinanzierung, als wenn ein Gesellschafter ein „Fremder“ sein könne oder wie ein Fremder finanzieren könne, so aber Tillmann, GmbHR 2006, 1289. 41 „Die größte Veränderung“ meint Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 7. 42 „Überwältigend ist die Zustimmung“ zu dieser Reform, so Seibert, DB Forum Recht 2007, 22. 43 Julius v. Kirchmann, 1849. 44 Zu diesem Reformvorhaben haben sich u. a. geäußert Flesner, NZG 2006, 641; Mülbert, WM 2006, 1977; Noack, DB 2006, 1475; Tillmann, GmbHR 2006, 1289; Bayer/Lieder, GmbHR 2006, 1121 zum cash-pool; Seibert, GmbHR 2006, 241; ders., ZIP 2006, 1157; ders., DB Forum Recht 2007, 22; Haas, GmbHR 2006, 729; vor dem RefE publizierten zur Sache Karsten Schmidt, GmbHR 2005, 797 ff., mit der zukunftsorientierten Überschrift „Von Eigenkapitalersatz in der Krise zur Krise des Eigenkapitalrechts“, allerdings noch mit Fragezeichen und kritisch; ders., GmbHR 2007, 1, mit „gespaltenem Gesamturteil“; ders., ZIP 2006, 1965 ff.; Huber/Habersack, ZGR 2006, Sonderheft 17, 372; Lutter, ZGR 2006, Sonderheft 17, 1; Hommelhoff in VGR (Fn. 20), S. 115; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189; Ekkenga, WM 2006, 1986; Westermann, GmbHR 2005, 4.
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die Finanzverantwortung in einer GmbH trägt, aber auch für die Verantwortungsträger für die gesellschaftsrechtliche Ordnung im Lande, das Wichtigste ist: Das Argument von der Alleinstellung des Eigenkapitals, das eine Umwidmung oder Umtaufe verbietet. Denn richtiges Eigenkapital ist durch nichts und niemand zu „ersetzen“ oder „auszutauschen“45, sondern von höherer, ein Alleinstellungsmerkmal ausmachender Qualität. Allein die folgenden Qualitäten sind nicht austauschbar: – Eigenkapital setzt die dauerhafte Vermögensüberlassung voraus46. – Die Risikoträgerschaft des Kapitals, nämlich die Geeignetheit, Verluste abzudecken, das sog. „Verlustauffangpotential“. Im Insolvenzfall darf die Rückzahlung nicht gefordert werden47, vgl. auch § 10 Abs. 2 und 5 KWG. – Diese Risikotragungsfunktion des Kapitals wirkt sich schicksalsträchtig bei den Kennziffern, die von Banken, Analysten und Ratingagenturen angewandt werden48, insbesondere dem Rating nach Basel II, aus. Denn diese Kennziffern entscheiden über das Ob einer Kreditgewährung und über die Kosten des Kredites. – Eigenkapital ist unverzinslich, es besteht ein Verzinsungsverbot, § 57 Abs. 2 AktG49. – Eigenkapital darf nicht besichert werden. – Eigenkapital darf erst nach Befriedigung aller Gläubiger zurückgefordert werden50. – Eigenkapital wird aus dem Jahresüberschuss bedient, § 57 Abs. 3 AktG51. – Dem Eigenkapital obliegt i. d. R. die Stimmrechtszuteilungsmechanik. – Das Eigenkapital ist die Messlatte für Kapitalerhöhungen. – Das Eigenkapital ist das Korrelat für die Befreiung der tätigen Unternehmerpersonen von der persönlichen Haftung52 neben der Publizität der Kapitalgesellschaften.
__________ 45 Zust. wohl Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 515: Der Qualität nach unterscheidet man zwischen Eigenkapital und Fremdkapital; wohl a. A. Hommelhoff, ZGR 1988, 473, der von „erzwungenem Haft- und Ersatzkapital“ spricht. 46 Wiedemann in FS Beusch, 1993, S. 497, aber mit der Möglichkeit, im Einzelfall die Dauerfestigkeit zu modifizieren. 47 Drukarczyk, Finanzierung, 8. Aufl., S. 255. 48 IDW Eingabe: Eckpunkte für die Gestaltung von internationalen Rechnungslegungsstandards, WPg 2006, 991. 49 Baums in FS Horn, 2006, S. 249 ff.; bei der GmbH kann es bei Satzungserlaubnis feste Verzinsungszusagen geben, sofern sie auf den Bilanzgewinn beschränkt sind, Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 5), § 29 GmbHG Rz. 62. 50 Drukarczyk (Fn. 47), S. 256. 51 Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 1 AktG Rz. 12; Wiedemann in FS Beusch (Fn. 46), S. 898. 52 Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964, S. 39.
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– Damit ist das Eigenkapital – immer Stammkapital und Grundkapital einschließend – Inbegriff der juristischen Person und damit der Kapitalgesellschaft. Das Vorhandensein von Eigenkapital ist zwingendes Gründungserfordernis. – Das Stammkapital ist notwendiger Satzungsinhalt, § 6 AktG, § 3 GmbHG. – Der Verlust des Eigenkapitals ist der Auslöser der Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 Satz 2 GmbHG und § 19 InsO. – Das Eigenkapital hat eine Prestige- und Seriositätsfunktion, die sich in verschiedenen Publizitätspflichten äußert53, aber darüber hinausgeht. Alle diese juristisch und wirtschaftlich bedeutsamen Qualitäten hat nur das Eigenkapital. Das Darlehen hat keine dieser Qualitäten und kann sie auch nicht durch Umwidmung erhalten54. Einzig die Finanzierungsfunktion kann von Eigenkapital und Darlehen gleichermaßen ausgeübt werden, was sich daraus ergibt, dass beide Finanzmittel i. d. R. aus Geld bestehen. Aber auch diese Gemeinsamkeit ist nicht immer gegeben, denn bei der Kapitalerhöhung durch Sacheinlage werden Eigenmittel geschaffen ohne Geldleistung, wie es auch Sachdarlehen gibt. – Was sonst bleibt als Gemeinsamkeit von Eigenkapitalaufbringung und Gesellschafterdarlehen, das sind die Personen, von denen die Mittel herstammen. Aber auch diese Verbindung ist nicht so deutlich, dass die Personen stets deckungsgleich sein müssen. Für die Qualifizierung als Kapitalersatz nach altem Recht genügt es auch, wenn Dritte Darlehen der GmbH gewähren, die gesellschafterbesichert sind, § 32a Abs. 2 GmbHG und umgekehrt: Dritte geben Darlehen, wobei das Geld aus Gesellschafterkreisen kommt. So verlaufen sich die wenigen Gemeinsamkeiten von Darlehen und Eigenkapital in kleinen Feldern und treffen nicht den Hauptpunkt, nämlich dass Eigenkapital das Schicksalskonto der GmbH ausmacht. Es ist Ausdruck für das Ansehen und die Kreditwürdigkeit der Kapitalgesellschaft55. Ohne Eigenkapital hat kaum eine GmbH eine Überlebenschance auf Dauer, ohne Darlehen hingegen ist ein langes Leben der GmbH zu erwarten. So ist Eigenkapital qualitätsmäßig ein einsamer Solitär, der keinen Vergleich kennt. An dieser Solitärstellung des Eigenkapitals gerüttelt und diese Solitärstellung verwässert zu haben ist der Vorwurf, den sich die Rechtsidee vom kapitalersetzenden Darlehen anhören muss, und es kann die Rechtsidee vom kapitalersetzenden Darlehen nicht trösten, dass sie nicht alleine der Vorhalt trifft,
__________ 53 Zum Beispiel: § 35a Abs. 1 Satz 2 GmbHG – sofern Angaben zum Kapital erfolgen, müssen sie das Stammkapital angeben; das Kapital wird neben dem Bilanzergebnis zur wichtigsten Aussage der §§ 325 ff. HGB. 54 Zum ganzen Swoboda, Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital, 1985, S. 42; Drukarczyk, Finanzierung, 6. Aufl., S. 170, bis 9. Aufl. 55 Mitunter können diese Qualitäten auch durch ein Unternehmenskonzept ausgeglichen werden, das von der Gründung an hohe Gewinne einfährt, die dann Eigenkapital darstellen, nämlich Gewinnrücklagen. Aber solche Unternehmenskonzepte sind selten und dem Verfasser kaum begegnet.
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sondern die „Verwässerer“ mannigfaltig sind. Zu nennen sind die Erfinder von Kernkapital, Ergänzungskapital erster Klasse – gewillkürt oder erzwungenes Ergänzungskapital, Ergänzungskapital zweiter Klasse und Drittrangmittel in § 10 KWG56, alles Erfindungen von Kapitalien, die zwar von klassischen Eigenkapitalien ausgehen, sich aber dem Fremdkapital auf diese oder jene Weise annähern. Hier geht es nicht um die Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen, die das zukünftige Recht richtigerweise alsbald vorschreibt, sondern um die Gleichmachung, zumindest um die Annäherung der Fremdmittel an die Eigenmittel, um die Verwässerung des herkömmlichen Eigenkapitalbegriffs, letztlich um die Nivellierung eines elementaren Qualitätsunterschiedes. Diese Nivellierung des Qualitätsunterschiedes zwischen Eigen- und Fremdmitteln hatte in der Rechtsidee von den kapitalersetzenden Darlehen einen Anfang und weitete sich in andere Felder als Aufweichung der Eigenkapitaldefinition aus, mit unguten Folgen. Zu denken ist an die Praxis mancher Private Equity-Gesellschaften, die die Rechtsidee der kapitalersetzenden Darlehen derart auf die Spitze treiben, dass sie die Kaufpreise für ein Unternehmen bis zu 90 % mit Krediten finanzieren57, wofür das deutsche Kapitalersatzrecht Pate stand. Im einzelnen: Private Equity-Gesellschaften kaufen Unternehmen, die sie für interessant erachten, vorzugsweise durch den Ankauf von „non-performing“ Darlehen zu günstigen Preisen, mit nachfolgenden „Dept to Equity Swaps“, was bedeutet, dass der frühere Eigentümer verschwindet und die Private Equity-Organisation von der Gläubigerin in die Eigentümerstellung wechselt. Ein anderes Modell ist der direkte Kauf durch die Private Equity-Gesellschaft zu einem Kaufpreis, der einen hohen Anteil von Darlehen enthält. Hernach wird die Targetgesellschaft und mit der das Darlehen schuldende Newco fusioniert. Dies bedeutet, dass die kaufgegenständliche Targetgesellschaft den Kaufpreis für sie selbst zu hohen Prozentsätzen selbst entrichtet. Dadurch werden der Targetgesellschaft Zinslasten aufgebürdet, die sie nicht immer bedienen können. So entstehen „Non Proforming Loans“, die für Deutschland zum Ende 2006 188 Mrd. Euro ausmachen sollen58 mit Top-Down Schätzung bis zu 300 Mrd. Euro. Diese non-performing loans werden sodann an Hedgefonds verkauft, die ihre Zertifikate an private Anleger vertreiben59. In jedem Fall wird die herkömmliche Sicht, ein Käufer sollte imstande sein, den vereinbarten Kaufpreis mit einem gehörigen Anteil Eigenkapital zu entrichten, missachtet. Das Risiko steigt
__________ 56 Hierzu Boos/Fischer/Schulte-Matthes, KWG, 2. Aufl. 2004, § 10. 57 Uwe H. Schneider, AG 2006, 578; Sanio (Präsident der BaFin), FAZ v. 13.1.2007, S. 22; Baur, Going public 2007/2, 60; Heller, Fiduka, Ausblick 2007, S. 7. – Alle äußern sich besorgt über die alle bisherigen Parameter sprengende Volumina der Leveraged Finanzierungen und deren Seriosität. Heller sieht in diesen Finanzierungen für 2007 „das größte Risiko für die Finanzmärkte“. 58 Berechnung von Deutsche Bank, nach Alix, Going public 2007/2, 60. 59 Was daraus wird, lehren die Fälle Grohe Armaturenhersteller aus Hemer, Sainsburry, ein großer englischer Supermarktbetreiber, Märklin und der Strumpfhersteller Kunert, die Automobilzulieferer TMD Friction und Kiekert, die allesamt von Private Equity Finanziers übernommen wurden und alsbald Probleme u. a. wegen der hohen Zinslast bekamen.
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überproportional. Diese Finanzierung heißt Leveragefinanzierung60; sie erteilt Dispens von dem Grundsatz, dass der Käufer das Geld für den Ankauf eines Wirtschaftsgutes auf der Bank haben sollte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die von Private Equity-Gesellschaften betriebenen Leveragefinanzierungen einen Trend aufweisen, indem sie das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital überstrapazieren, weil sie die Unvergleichbarkeit der beiden Finanzierungen verdrängen. Eine neue Dimension erreicht die Nivellierung des Unterschieds zwischen Eigen- und Fremdkapital bei den „Hybridanleihen“. Wo diese Anleihen zwischen Eigen- und Fremdkapital dogmatisch, rechtsethisch und nach ihrer Qualität einzuordnen sind, bleibt offen. Sicher ist, dass diese Hybridanleihen für manche Unternehmen von Interesse sind. Zu denken ist in einem weiteren Sinne an die Stock-options, die anfangs als Motivationsvehikel für Gründerunternehmen geeignete Instrumente waren, weil sie den Mitarbeitern Anteil an ihrer Aufbauleistung verschafften. Bilanzrechtlich waren sie billig abgegebene Aktien, also Eigenkapital, ohne dass ein Gegenwert im Rechenwerk reflektiert wurde. Ob dies der herkömmlichen Definition des Eigenkapitals immer entspricht, soll hier als Frage stehen bleiben61. Immerhin geschah diese „Verwässerung“ oder „Nivellierung“ des Eigenkapitals zu einem überzeugenden Zweck. Damit soll Schluss sein mit den Vorhaltungen gegen den Kapitalersatz, weil sofort der Einwand kommt, diese „Sündenfälle“ wären auch ohne Kapitalersatzrecht eingetreten, weil der Markt sie erfunden hat. Aber Märkte werden von Menschen gemacht und viele Menschen kennen den Qualitätsunterschied zwischen Eigen- und Fremdkapital und halten dieses Wissen für beherzigenswert. Hier soll dieser Ausflug in das Recht der „kapitalersetzenden“, alsbald Gesellschafter-Darlehen als schöne Gelegenheit genutzt werden, sich an eine Phase der mit Westermann gemeinsam durchschrittenen Vergangenheit zu erinnern, und zwar immer im Gleichschritt und Gleichklang.
__________ 60 Leverage gibt es seit langem, aber die Dimension ist neu; Drukarczyk (Fn. 47) spricht darüber seit der 1. Aufl. 1983. 2005 stiegen die Leveraged Equity Finanzierungen auf 218 Mrd. Euro in Europa mit Schwerpunkt Deutschland. Für 2006 wurden 700 Mrd. $ genannt. Erinnernswert ist der Einsatz bei den conglomerats, d.s. Gesellschaften, die viele Geschäftszwecke verfolgen, also kein Kerngeschäft kennen und sich mit Leverage-Finanzierung ausstatten, wie seiner Zeit die ITT, die durch BGHZ 65, 15, GmbH-Rechtsgeschichte schrieb, allerdings nicht mit Leveraging. Inzwischen sind die Bücher bei ITT geschlossen, wie sich die Idee des Konglomerats als nicht stabil sondern als kurzfristige Modeerscheinung erwies. Zum Ganzen vergleiche auch Seibt, ZHR 171 (2007), 282 f. 61 Vgl. Baums in FS Claussen, 1997, S. 3 ff.; Claussen in FS Horn, 2006, S. 313, 326.
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Die Europäische Union und die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers: Eine unendliche Geschichte Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Hintergrund 1. Strukturrichtlinie 2. Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft 3. Widerstände 4. Der zweite Anlauf 5. Ende der Diskussion III. Neue Anläufe 1. Grünbuch 2. Folgen 3. Mitteilung der EU Kommission 1998 4. Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft (2001) 5. Mitteilung der EU Kommission 2003
6. Neue Abschlussprüferrichtlinie 7. Forum und Studie IV. Die Studie von London Economics 1. Marktkonzentration 2. Versicherungsschutz 3. Wegfall einer oder mehrerer der Big 4-Gesellschaften 4. Haftungsbegrenzung 5. Konsultation a) Haftungshöchstgrenze („Cap“) b) Marktkapitalisierung als Maßstab c) Prüfungshonorar(e) als Bemessungsgrundlage d) Proportionalhaftung V. Aussichten
I. Einleitung Die Europäische Kommission hat am 4.10.2006 eine umfangreiche Studie über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers vorgelegt1. Die von dem Beratungsunternehmen London Economics erarbeitete Studie enthält Aussagen zu der Struktur des Marktes für Abschlussprüfungsdienstleistungen, zu dem Versicherungsschutz für Abschlussprüfer, zu den Folgen des Wegfalls einer der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften („Big 4“ – Deloitte Touche Tohmatsu, Ernst & Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers) sowie zu dem Zusammenhang zwischen der Haftung des Abschlussprüfers und der Qualität der Abschlussprüfung. Zentrales Anliegen der Studie ist die Frage, ob die Rechtsvorschriften über die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers in der EU reformiert werden sollten, insbesondere ob es sich empfiehlt, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit der Höhe nach zu begrenzen. Die Verfasser der Studie befürworten die Einführung einer betragsmäßigen Beschränkung der
__________ 1 Study on the Economic Impact of Auditors’ Liability Regimes (Markt/2005/24/F), Final Report to EC-DG Internal Market and Services by London Economics in association with Professor Ralf Ewert, Goethe University, Frankfurt am Main, Germany (September 2006) (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/auditing/ liability/index_en.htm).
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Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers; sie betonen aber, dass es wegen der Unterschiede zwischen den Kapitalmarkt orientierten und den Kapitalmarkt unabhängigen Unternehmen sowie den unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten insoweit keine einheitliche Lösung für alle gesetzlichen Abschlussprüfungen in allen Mitgliedstaaten geben könne. Die Studie setzt sich deshalb mit unterschiedlichen Modellen einer Haftungsbeschränkung intensiv auseinander. Mit einem am 18.1.2007 veröffentlichten Konsultationspapier hat die EU Kommission die betroffenen Kreise eingeladen, sich bis zum 15.3.2007 zu der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers und ihre Auswirkungen auf die europäischen Kapitalmärkte zu äußern2. Die Studie von London Economics bildet einen wichtigen Meilenstein auf dem langen und steinigen Weg zu einer Europäisierung der Regeln über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers3. Ziel des vorliegenden Beitrags, der Harm Peter Westermann in kollegialer Verbundenheit gewidmet ist, ist es, die langjährigen Bemühungen der EU Kommission um eine Angleichung der Regeln über die zivilrechtliche Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers auszuleuchten und die Vorschläge der Studie von London Economics zu den möglichen Lösungen einer betragsmäßigen Beschränkung der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit in der EU daraufhin zu untersuchen, ob eine Umsetzung der Vorschläge aus rechtlichen und ökonomischen Gründen sinnvoll erscheint.
II. Hintergrund Die materiellrechtlichen und prozessualen Regeln der EU-Mitgliedstaaten über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers weichen stark von einander ab4. Die EU Kommission hat daher schon in den
__________ 2 S. WPg 2007, 99. 3 Zu Funktion und Bedeutung der Abschlussprüfung für die europäischen und internationalen Kapitalmärkte s. Ebke, Kapitalmarktinformationen, Abschlussprüfung und Haftung, in FS Yamauchi, 2006, S. 105, 106–115. 4 S. nur Buijink/Maijoor/Meuwissen/van Witteloostuijn, The Role, Position and Liability of the Statutory Auditor within the European Union, 1996, S. 92–99; W. Doralt, Haftung der Abschlussprüfer, 2005, S. 69–203; Ebke, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der wirtschaftsprüfenden, steuer- und rechtsberatenden Berufe in internationalen Vergleich, 1996, S. 5–52; Ebke, Auditors’ Liability to Third Parties: Adventures in Comparative Law, Obiter 1989–1990, 9; Ebke, Die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers in der Europäischen Union, ZVglRWiss 100 (2001), 62, 65–75; Ebke/Antonio de la Garza, Por un sistema uniforme de responsabilidad del auditor en la administración de justicia europea, Revista de Investigaciones Juridicas 1994, 349; Ebke/Struckmeier, The Civil Liability of Corporate Auditors: An International Perspective, 1994, S. 25–32; Heukamp, Abschlussprüfer und Haftung, 2000; Koziol/ Doralt (Hrsg.), Abschlussprüfer: Haftung und Versicherung, 2004; Land, Wirtschaftsprüferhaftung gegenüber Dritten in Deutschland, England und Frankreich, 1996; Leicht, Die Qualifikation der Haftung von Angehörigen rechts- und wirtschaftsberatender Berufe im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, 2002, S. 92–173; Rosenboom, Abschlussprüfung und Haftung nach portugiesischem Recht, 2004;
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70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnen5, Vorschläge für eine Angleichung der einschlägigen haftungsrechtlichen Regeln der Mitgliedstaaten zu erarbeiten6. 1. Strukturrichtlinie Ersten Niederschlag fanden die Bemühungen der EU Kommission in dem Vorschlag einer fünften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe (Strukturrichtlinie) aus dem Jahre 19727. Der Vorschlag sah eine Rechnungsprüfung durch unabhängige Sachverständige vor. Bezüglich der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit der mit der Rechnungsprüfung beauftragten Personen verwies der Richtlinienvorschlag auf die Bestimmungen über die Haftung der Mitglieder der Leitungs- und Aufsichtsorgane. Danach wäre es Sache der Mitgliedstaaten gewesen, die zivilrechtliche Haftung des Abschlussprüfers für den Ersatz von Schäden zu regeln, die die Gesellschaft, ein Aktionär oder ein Dritter durch schuldhaftes Verhalten des Rechnungsprüfers bei der Erfüllung seiner Aufgaben erleidet. Der Richtlinienentwurf gab den Mitgliedstaaten jedoch vor, eine der Höhe nach unbeschränkte und grundsätzlich verschuldensabhängige Haftung gegenüber der geprüften Gesellschaft, den Aktionären sowie Dritten vorzusehen. Die ebenfalls vorgegebenen Mindestverjährungsfristen wären vergleichsweise kurz gewesen8. 2. Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft Die Verfasser des Entwurfs des Statuts für eine Europäische Aktiengesellschaft schlugen eine ähnliche Richtung ein. Nach dem geänderten Verordnungsvorschlag des Statuts für eine Europäische Aktiengesellschaft vom April 19759 sollte der Abschlussprüfer der geprüften Gesellschaft, den Aktionären der geprüften Gesellschaft und sonstigen Dritten unbeschränkt für Schäden haften, die diese Personen infolge einer schuldhaften Verletzung der Bestimmungen des Statuts durch den Prüfer oder infolge der Verletzung der dem Prüfer bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben obliegenden Pflichten entstehen. Der Abschlussprüfer sollte sich nach Art. 209 Abs. 2 Satz 2 des Verordnungsvor-
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Wölber, Die Abschlussprüferhaftung im europäischen Binnenmarkt, 2004, S. 49–140; UNCTAD (Hrsg.), Responsibilities and Liabilities of Accountants and Auditors: Proceedings of a Forum, 1996. Zu den auf dem Gebiet der Abschlussprüfung tätigen europäischen und internationalen Gremien und Organisationen s. WPK Magazin 3/2006, 14–15. Ebke, Wirtschaftsprüfung und Dritthaftung, 1983, S. 2–3. Zu Sinn und Zweck einer Harmonisierung der Regeln über die Jahresabschlussprüfung in der EU instruktiv Richter, Harmonisierung der Jahresabschlussprüfung in der Europäischen Union, WPK-Mitt. 2003, 78. ABl.EG 1972 C 131/49. Zu Einzelheiten s. Kaminski, Vorschlag einer 5. Richtlinie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, WPg 1972, 633. Ebke/Bert, Vereinheitlichung der Abschlussprüfung in Europa durch Rechtsprechung, EWS 1993, 229, 230. Bull.EG Beilage 4/75.
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schlags von seiner Haftung aber „befreien“ können, „wenn er nachweist, dass ihn kein Verschulden trifft“ (Umkehr der Beweislast)10. 3. Widerstände Der Entwurf einer Strukturrichtlinie und der Vorschlag des Statuts für eine Europäische Aktiengesellschaft gingen mit ihren Vorschlägen bezüglich der Haftung des Abschlussprüfers über das Recht einiger Mitgliedstaaten – namentlich Deutschlands – weit hinaus11. In Deutschland stießen die Vorstellungen der EU Kommission daher – nicht nur seitens der Wirtschaftsprüfer12 – auf Widerstand13. Es wurde vor allem in Zweifel gezogen, ob sich die EG mit den vorgeschlagenen Haftungsbestimmungen noch innerhalb der Schranken ihrer Rechtsangleichungskompetenz bewegt14. Bezweifelt wurde außerdem die Notwendigkeit einer Rechtsangleichung auf diesem Gebiet15. Kritisch vermerkt wurde ferner das Fehlen einer betragsmäßigen Haftungsbegrenzung in den Vorschlägen der Kommission16. Massive Bedenken wurden
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10 Ebke, Risikoeinschätzung und Haftung des Wirtschaftsprüfers und vereidigten Buchprüfers – international, WPK-Mitt. Sonderheft April 1996, 17, 28. S. ferner Wölber (Fn. 4), S. 42. 11 Zu Einzelheiten des deutschen Rechts der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers gegenüber der geprüften Gesellschaft sowie gegenüber Dritten s. nur Ebke in MünchKomm.HGB, Bd. 4, 2. Aufl. 2007, § 323 HGB Rz. 20–170; Ebke, Die Haftung des Abschlussprüfers, in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 2007, S. 349, 362–383; Hirte, Berufshaftung, 1996, S. 57–71; Hopt/Merkt in Baumbach/Hopt, 32. Aufl. 2006, § 323 HGB Rz. 7–12; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, § 41 GmbHG Rz. 166–179; Wiedmann, Bilanzrecht, 1999, § 323 HGB Rz. 8–23; Winkeljohann/Hellwege in BeckBilKomm, 6. Aufl. 2006, § 323 HGB Rz. 100–140 und 170–224; Zimmer in Ulmer (Hrsg.), HGB-Bilanzrecht, 2. Teilbd., 2002, § 323 HGB Rz. 25–59. 12 Zu der Kritik seitens des Berufsstandes s. Zilias, Harmonisierung der Haftungsvorschriften für Abschlussprüfer in den Mitgliedstaaten der EG, WPg 1974, 69; Harbers, Stellung und Aufgaben des Wirtschaftsprüfers in den Harmonisierungsrichtlinien der EG, WPg 1978, 313, 316–317; Geisendörfer, Die Entwicklung des Wirtschaftsprüferberufes im Hinblick auf den Europäischen Binnenmarkt 92, WPg 1989, 667, 671. 13 S. dazu näher Ebke (Fn. 6), S. 2–4. 14 Sonnenberger, Rechtsangleichung als Aufgabe und Problem der Europäischen Gemeinschaft (dargestellt an Beispielen aus der Angleichung des Gesellschaftsrechts), ZfRV 15 (1974), 244, 251; Sonnenberger/Coester, Feststellung und Prüfung des Jahresabschlusses der Aktiengesellschaften im Gemeinsamen Markt, AG 1974, 177, 183; Ebke, In Search of Alternatives: Comparative Reflections on Corporate Governance and the Independent Auditor’s Responsibilities, Nw. U. L. Rev. 79 (1984), 663, 666– 667. Aus neuerer Zeit Baus, Die Dritthaftung der Wirtschaftsprüfer zwischen Vertrag und Delikt – Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und englischen Rechts, ZVglRWiss 103 (2004), 219, 257 („… fehlte es jedoch bereits an der Angleichungskompetenz …“); Land (Fn. 4), S. 203. 15 Vgl. Ebke, Abschlussprüferhaftung im internationalen Vergleich, in FS Trinkner, 1995, S. 493, 517. 16 In der EU sind gesetzliche Haftungsbeschränkungen für gesetzliche Abschlussprüfer die Ausnahme; außer Deutschland beschränken derzeit nur Belgien, Griechenland, Österreich und Slowenien die Haftung des Pflichtprüfers. Vgl. Klaas, Unabhängige Studie zur Abschlussprüferhaftung in den Mitgliedstaaten der EU, WPg 2006, 1489,
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nicht zuletzt gegen die vorgeschlagene Haftung des Prüfers gegenüber Dritten für Fahrlässigkeit geäußert, die dem damaligen deutschen Recht fremd war17. 4. Der zweite Anlauf Die Bedenken gegen die vorgeschlagene Angleichung der mitgliedstaatlichen Vorschriften über die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers verhallten nicht ungehört. In dem geänderten Vorschlag einer fünften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie aus dem Jahre 1983 war die ursprüngliche Vorgabe, die Mitgliedstaaten sollten die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers gegenüber Aktionären und sonstigen Dritten gesetzlich regeln, nicht mehr enthalten18. Die Mitgliedstaaten sollten lediglich verpflichtet werden, die zivilrechtliche Haftung des Abschlussprüfers gegenüber der geprüften Gesellschaft zu regeln. Der geänderte Entwurf der Strukturrichtlinie aus dem Jahre 1983 stellte jedoch klar, dass die Regelungen der Strukturrichtlinie über die Haftung des Abschlussprüfers gegenüber der geprüften Gesellschaft „keine Einschränkung der persönlichen Haftung … gegenüber Aktionären und Dritten nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts der Mitgliedstaaten“ bedeuten sollten (Art. 62 i. V. m. Art. 19). Diese Regelung wurde in die Fassung des Vorschlags einer fünften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie vom Dezember 1990 unverändert übernommen19. Der zweite geänderte Vorschlag für eine Verordnung über das Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft vom August 1989 enthielt dagegen keine Regelung mehr bezüglich der Haftung des Jahresabschlussprüfers20. Entsprechendes gilt für den geänderten Statutsentwurf vom Mai 199121. 5. Ende der Diskussion Die Diskussion über die fünfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie wurde 1991 eingestellt22. Die Verhandlungen über das Statut für eine Europäische Aktien-
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1491. Zur Diskussion in Österreich über die Verfassungsmäßigkeit der Haftungsbeschränkung s. W. Doralt (Fn. 4), S. 109–111; W. Doralt/Stöger, Zur Verfassungsmäßigkeit des § 275 Abs. 2 HGB aF, ÖBA 2003, 265; a. A. (verfassungsrechtlich unbedenklich) Holoubek/Karollus/Rummel, Die Haftung des Abschlussprüfers im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes, ÖBA 2002, 953. Zu neueren Entwicklungen in Großbritannien s. Jänig, Die Company Law Reform Bill: Zur Reform des Gesellschaftsrechts im Vereinigten Königreich, RIW 2006, 270, 275. Zu neueren Entwicklungen in der Schweiz s. Doralt, Haftungsbegrenzung für die Revisionsstelle – Notwendigkeit oder Privileg?, SZW/RSDA 2006, 168. S. statt aller Ebke (Fn. 6), S. 35–72. Zur Jahresabschlussprüfung nach der revidierten fünften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie s. Forster, Die Jahresabschlußprüfung im Spiegel der Erörterung der Unternehmensrechtskommission sowie des Regierungsentwurfs eines Bilanzrichtlinien-Gesetzes und des Entwurfs einer 5. Richtlinie, in FS Werner, 1984, S. 131. ABl.EG 1991 Nr. C 7/4. Kritisch dazu Kaminski/Marks, Die Qualität der Abschlussprüfung in der internationalen Diskussion, in FS Havermann, 1995, S. 247, 281–282. Ebke/Bert (Fn. 8), EWS 1993, 229, 230. ABl.EG 1991 Nr. C 176/1. Vgl. Edwards, EC Company Law, 1999, S. 154.
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gesellschaft scheiterten (vorerst) am 25.5.1999 am Widerstand Spaniens23. Die Bestrebungen, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers zu europäisieren, wurden dadurch nicht behindert24.
III. Neue Anläufe Schon in der zweiten Hälfte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde das Problem der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers auf EUEbene erneut aufgegriffen. 1. Grünbuch Im Oktober 1996 stellte die EU Kommission ihr Grünbuch über die „Rolle, Stellung und Haftung des Abschlußprüfers in der Europäischen Union“ vor25. Darin regte die Kommission an, das Problem der Haftung des Abschlussprüfers im Zusammenhang mit der Klärung der Rolle und Stellung des Abschlussprüfers in der Unternehmensverfassung (Corporate Governance) zu erörtern26. Im Mittelpunkt des Interesses stand wiederum die Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers27. Nach Ansicht der EU Kommission besteht „kein offensichtlicher Grund, die Haftung des Abschlußprüfers auf das geprüfte Un-
__________ 23 Vgl. Ebke, Das Schicksal der Sitztheorie nach dem Centros-Urteil des EuGH, JZ 1999, 656, 661. 24 Die Dienstleistungshaftungs-Richtlinie v. 25.2.2004, KOM (2004) 2 endg., hat auf die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers unmittelbar keine Auswirkungen. Art. 17 Nr. 15 der Richtlinie nimmt nämlich die „gesetzlich vorgeschriebene Buchprüfung“ von dem Herkunftslandprinzip aus. Zum Hintergrund der Richtlinie s. Klaas, Der Vorschlag einer EU-Dienstleistungsrichtlinie und seine Auswirkungen auf den Berufsstand der deutschen Wirtschaftsprüfer, WPg 2004, 389; Fliess, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers unter Berücksichtigung internationaler Entwicklungen, in Baetge (Hrsg.), Rechnungslegung und Prüfung, 1994, S. 161, 191–192; Wölber (Fn. 4), S. 43– 44. 25 ABl.EG 1996 Nr. C 321/1. S. dazu näher Wölber (Fn. 4), S. 44–46; Kleekämper/König, Die Haftung des Abschlussprüfers, in Dörner/Menold/Pfitzer/Oser (Hrsg.), Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung, 2. Aufl. 2003, S. 957, 959– 960; Mertin/Schmidt, Internationale Harmonisierung der Anforderungen an die Abschlussprüfung auf der Grundlage der Verlautbarungen der IFAC, WPg 2001, 317, 330–331. 26 Zur Rolle und Stellung des Abschlussprüfers in der Corporate Governance s. etwa Baetge/Lutter, Abschlussprüfung und Corporate Governance, 2003; Lutter (Hrsg.), Der Wirtschaftsprüfer als Element der Corporate Governance, 2001; Mößle, Abschlussprüfer und Corporate Governance, 2003. 27 Unter „Dritthaftung“ versteht man die zivilrechtliche Haftung des (gesetzlichen) Abschlussprüfers gegenüber solchen Personen die – ohne Partei des Prüfungsvertrages zwischen dem Abschlussprüfer und der prüfungspflichtigen Gesellschaft zu sein („Dritte“) – im berechtigten Vertrauen auf einen (uneingeschränkt) bestätigten, aber fehlerhaften Jahresabschluss für sie nachteilige vermögenswirksame Entscheidungen getroffen und entsprechende Maßnahmen ergriffen haben. Zu diesem Personenkreis zählen beispielsweise gegenwärtige und frühere Gesellschafter, Anleger, Unternehmenserwerber, Kreditgeber, Lieferanten, Konkursgläubiger, Arbeitnehmer und der Fiskus. Vgl. Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 85.
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ternehmen zu beschränken, zumal die Pflichtprüfung im öffentlichen Interesse erfolgt“; es sei allerdings „wohl angebracht, die Haftung auf Beträge zu begrenzen, die dem Ausmaß der Pflichtverletzung entsprechen“28. Die EU Kommission räumte aber ein, dass „Aktionen im Rahmen der EU … sich auf diesem Gebiet schwierig gestalten“, weil „die Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten im Bereich der zivilrechtlichen Haftung sehr unterschiedlich“ seien29. Es sei zu überdenken, „ob die negativen Auswirkungen der fortdauernden Unterschiede bei den Bestimmungen über die Haftung von Abschlußprüfern wichtig genug sind, ein Tätigwerden der EU zu rechtfertigen …“30. 2. Folgen Das Grünbuch war am 5./6.12.1996 Gegenstand einer Konferenz in Brüssel31. Ziel der Konferenz war es, den betroffenen Kreisen Gelegenheit zu geben, zu den Positionen des Grünbuchs Stellung zu nehmen, und ihnen ein Forum zu bieten, auf dem ein Aktionsplan zur Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfung innerhalb der EU erarbeitet werden kann. Dem Grünbuch lag eine Studie des Maastrichter Forschungszentrums für Rechnungswesen und Prüfung (Maastricht Accounting and Auditing Research Centre – MARC) zugrunde (MARC-Studie)32. Die Fédération des Experts Comptables Européens (FEE) hatte im Vorfeld der Konferenz zu den in der MARC-Studie angesprochenen Fragen – namentlich den Haftungsfragen – ebenfalls eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben33. Die Haftungsproblematik war auf der Brüsseler Konferenz auch Gegenstand eines Vortrags aus Sicht des deutschen Rechts34. Die EU Kommission fasste das Ergebnis der Konferenz bezüglich der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers wie folgt zusammen: „There was general agreement that the issue of professional liability was of a great complexity and warrants further examination, without prejudice to the question of whether action at EU level is required or not“35.
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28 ABl.EG 1996 Nr. C 321/1,15 (Tz. 5.6). 29 ABl.EG 1996 Nr. C 321/1,15 (Tz. 5.7). 30 ABl.EG 1996 Nr. C 321/1,15 (Tz. 5.7). Zu dem Ziel eines Binnenmarktes für Prüfungsdienstleistungen s. Buijink/Maijoor/Meuwissen/van Witteloostuijn (Fn. 4), S. 113–134; Ebke, ZVglRWiss 100 (2001), 62, 80–85. 31 Die auf der Konferenz gehaltenen Vorträge sind abgedruckt in European Commission (Hrsg.), Act of the Conference on the Role, the Position and the Liability of the Statutory Auditor within the European Union, 1997 (englische Fassung) und in Commission Européenne (Hrsg.), Actes de la conférence sur le rôle, le statut et la responsabilité du contrôleur légal des comptes dans l’Union européenne, 1997 (französische Fassung). Die deutsche Fassung der auf der Konferenz gehaltenen deutschen Vorträge von Schülen, Hense und Ebke ist abgedruckt in WPK-Mitt. 1997, 15–24. 32 S. Buijink/Maijoor/Meuwissen/van Witteloostuijn (Fn. 4). 33 S. Fédération des Experts Comptables Européens (Hrsg.), The Role, Position and Liability of the Statutory Auditor in the European Union/Rôle, statut et responsabilité du contrôleur légal des comptes dans l’Union européenne, 1996. 34 Ebke, Zivilrechtliche Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers, WPK-Mitt. 1997, 22. 35 S. „Tentative Conclusions of the Conference“, abgedruckt in European Commission (Hrsg.), Act of the Conference (Fn. 31), S. 15, 17 (Tz. 5).
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3. Mitteilung der EU Kommission 1998 Im Mai 1998 veröffentlichte die EU Kommission eine Mitteilung über ihr künftiges Vorgehen. Darin erklärte sie ihre Absicht, die verschiedenen Regelungen bezüglich der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers näher untersuchen zu wollen. Nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse werde sie in der Lage sein, zu entscheiden, ob in diesem Bereich Initiativen erforderlich sind oder nicht36. 1998 beauftragte die EU Kommission die internationale Anwaltssozietät Thieffry & Partner, Paris, mit der Erstellung eines rechtsvergleichenden Gutachtens. Das Gutachten (Thieffry-Studie) wurde das Anfang 2001 vorgelegt37 und in der Folge intensiv erörtert38. Wesentlich neue Erkenntnisse konnte die Studie freilich nicht zu Tage fördern. 4. Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft (2001) Die Thieffry-Studie entfaltete auch keine unmittelbaren Wirkungen: Das Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft aus dem Jahre 200139 enthält keine Regelung bezüglich der Haftung des Abschlussprüfers40. Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. (c) (ii) beurteilt sich die Haftung des Abschlussprüfers einer SE nach „den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründete Aktiengesellschaft Anwendung finden würden“. 5. Mitteilung der EU Kommission 2003 Am 21.5.2003 veröffentlichte die EU Kommission eine Mitteilung über die Stärkung der Abschlussprüfung41. Darin wird vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Enron-Gruppe42 und anderer Rechnungslegungsskandale
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36 S. „Communication from the Commission on the Statutory Audit in the European Union: The Way Forward“, ABl.EG 1998 Nr. C 143/12, 15 (Tz. 3.15). S. dazu van Hulle, Communication from the Commission on the Statutory Audit in the European Union: The Way Forward, Eur.Bus.L.Rev. 1998, 298. 37 European Commission, A Study on Systems of Civil Liability of Statutory Auditors in the Context of a Single Market for Auditing Services in the European Union, 15.1.2001 (abrufbar unter www.europa.eu.int). 38 S. nur Ebke, ZVglRWiss 100 (2001), 62; Kleekämper/König (Fn. 25), S. 960–961; Heppe, Nach dem Vertrauensverlust – Ist es an der Zeit, die Dritthaftung deutscher Abschlussprüfer zu verschärfen?, WM 2003, 714, 721–724; Wölber (Fn. 4), S. 47. 39 VO (EG) Nr. 2157/2001 v. 8.10.2001, ABl.EG Nr. L 294/1 v. 10.11.2001 – dazu Ebke, Die Europäische Aktiengesellschaft ist da – und jetzt?, EWS 2002 Heft 1 („Die erste Seite“). 40 Zu Einzelheiten s. Wölber (Fn. 4), S. 42. 41 S. „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Stärkung der Abschlussprüfung in der EU“ (KOM/2003/286 [final]), ABl.EG 2003 Nr. C 236/2 v. 2.10.2003. S. dazu IDW Stellungnahme, Mitteilung der EU-Kommission: Stärkung der Abschlussprüfung in der EU, WPg 2003, 668; Gehringer, Die Prüfung befreiender Konzernabschlüsse nach § 292a HGB, WPg 2003, 849, 856–858; Wiesner, In Brüssel werden die Grundlagen der Abschlussprüfung neu geordnet, ZIP 2003, 1186. 42 S. dazu statt aller Rapoport/Dharan (Hrsg.), Enron: Corporate Fiascos and Their Implications, 2004.
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(z. B. WorldCom, FlowTex, Parmalat)43 ein Zehn-Punkte-Aktionsplan für den Bereich der Abschlussprüfung aufgestellt, um das Vertrauen der Anleger in die Kapitalmärkte und das öffentliche Vertrauen in die Profession der Abschlussprüfer zu stärken44. Ziel war unter anderem die Modernisierung und Ergänzung der achten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Prüferbefähigungs-Richtlinie). Regelungsprioritäten der Kommission in dem Zehn-Punkte-Aktionsplan waren die Stärkung der Unabhängigkeit der gesetzlichen Abschlussprüfer45, die Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung und die Vertiefung des Europäischen Binnenmarktes für Abschlussprüferdienstleistungen46. Zur Haftung des Abschlussprüfers heißt es in der Mitteilung: „Die Kommission betrachtet die Haftung von Abschlussprüfern in erster Linie als Mittel zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung und glaubt nicht, dass eine Harmonisierung oder Begrenzung der Haftung nicht notwendig ist. Es könnte jedoch Bedarf bestehen die weitergehenden wirtschaftlichen Auswirkungen der geltenden Haftungsregelungen zu untersuchen“47. 6. Neue Abschlussprüferrichtlinie Die EU Kommission legte am 16.3.2004 einen Entwurf für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses und zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates vor48. Der Richtlinienvorschlag erfasste weite Bereiche der gesetzlichen Abschlussprüfung: von der Zulassung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften über Ethik-, Unabhängigkeits- und Prüfungsstandards bis hin zur Sicherstellung einer wirksamen
__________ 43 Zum Parmalat-Fall s. Scarso, Parmalat: Corporate Governance und die Rolle des Abschlussprüfers nach italienischem Recht, GesRZ 2004, 291. S. ferner In re Parmalat Securities Litigation, Bondi v. Grant Thornton International et al., 377 F. Supp.2d 390 (S.D.N.Y. 2005) und 421 F.Supp.2d 703 (S.D.N.Y. 2006). 44 Wölber (Fn. 4), S. 47–48. 45 Zu Einzelheiten der Empfehlung der EU Kommission „Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU – Grundprinzipien“ (ABl.EG Nr. L 191/22 v. 19.7.2002) vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den USA s. Ebke, Corporate Governance and Auditor Independence: The Battle of the Private Versus the Public Interest, in: Ferrarini/Hopt/Winter/Wymeersch (Hrsg.), Reforming Company Law and Takeover Law in Europe, 2004, S. 507; S. Schmidt, Neue Anforderungen an die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers: SEC-Verordnung im Vergleich mit den Empfehlungen der EUKommission und den Plänen der Bundesregierung, BB 2003, 779; Niehus, Unabhängigkeit des Abschlussprüfers – Empfehlung der EU-Kommission – Hintergrund und Überblick, WPK-Mitt. 2002, 182. 46 S. dazu die Überblicke bei van Hulle/Lanfermann, Europäische Entwicklungen zur Abschlussprüfung vor dem Hintergrund des Sarbanes-Oxley Act, WPg Sonderheft 2003, 102, 106–109 und Wiesner, ZIP 2003, 1186. 47 S. „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Stärkung der Abschlussprüfung in der EU“ (21.5.2003), S. 17 (Tz. 3.10). 48 KOM(2004) 177.
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Berufsaufsicht und deren internationale Zusammenarbeit49. In dem Richtlinien-Entwurf der EU Kommission war das Thema der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers ebenso ausgeklammert wie in dem Entwurf des Ministerrats vom 1.12.200450. In einer Stellungnahme vom 15.12.2004 begrüßte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss den Richtlinie-Entwurf, mit dem „ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für die Abschlussprüfung geschaffen“ werde51. Im Berichtsentwurf des Berichterstatters des federführenden Rechtsausschusses, Doorn MEP, erging (wohl auf Initiative von Berufsangehörigen aus Mitgliedsstaaten, in denen keine gesetzliche Begrenzung der Berufshaftung des Abschlussprüfers besteht) eine Aufforderung an die EU Kommission zur Durchführung einer Studie zur Haftungssituation und zur Unterbreitung von Vorschlägen für eine angemessene Ausgestaltung des Haftungssystems52. Diese Aufforderung fand in dem weiteren Verfahren ihren Niederschlag in einem neuen Art. 30a der von dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments am 21.6.2005 und vom Europäischen Parlament am 28.9.2005 in erster Lesung verabschiedeten Fassung des Entwurfs der Abschlussprüferrichtlinie53. Art. 30a lautete: „Die Kommission legt vor Ende 2006 einen Bericht über die Auswirkungen der derzeitigen nationalen Haftungsregelungen für Abschlussprüfungen auf den Europäischen Kapitalmärkten und auf die Versicherungsbedingungen für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, einschließlich einer Analyse der Begrenzungen für finanzielle Haftungen vor. Die Kommission stützt sich gegebenenfalls auf öffentliche Konsultationen. Die Kommission übermittelt, wenn sie es gegebenenfalls für angemessen hält, im Ergebnis des Berichts Empfehlungen an die Mitgliedstaaten.“ Die von dem Rechtsausschuss verabschiedete Fassung der Abschlussprüferrichtlinie enthielt darüber hinaus einen neuen Erwägungsgrund (Erwägungsgrund 27A), der verschiedene Argumente für eine angemessene Haftungsbegrenzung anführte. Erwägungsgrund 27A lautete: „Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sind dafür verantwortlich, dass sie ihre Arbeit mit Sorgfalt durchführen, und sollten daher für die finanziellen Schäden, die darauf zurückzuführen sind, dass sie nicht die erforderliche Sorgfalt aufgewendet haben, zur Verantwortung gezogen werden. Die Fähigkeit der Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, eine abdeckende Berufshaftpflichtversicherung zu
__________ 49 S. dazu näher M. Schmidt, Die 8. EU-Richtlinie: Anlass für eine verstärkte Regulierung der Berufsausübung des Wirtschaftsprüfers?, WPg 2005, 203; Klein/Tielmann, Die Modernisierung der Abschlussprüferrichtlinie, WPg 2004, 501. 50 Klein/Klaas, Die Entwicklung der neuen Abschlussprüferrichtlinie in den Beratungen von Kommission, Ministerrat und Europäischem Parlament, WPg 2006, 885, 893; Lanfermann, Neue EU-Richtlinie zur Abschlussprüfung, WPK Magazin 1/2006, 40, 42; Ulrich, Internationale Anerkennung der Gleichwertigkeit der Aufsichtssysteme ist das Ziel, WPK Magazin 1/2006, 6, 10. 51 S. die Stellungnahme v. 15.12.2004, ABl.EG Nr. C 157/115 v. 28.6.2005 (Tz. 3.1 und 3.2). 52 Klein/Klaas, WPg 2006, 885, 893. 53 A6-0224/2005 (endg.).
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erwerben, muss unberührt bleiben. Dies wäre nicht der Fall, wenn Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften einer unbeschränkten finanziellen Haftung unterliegen würden. Außerdem könnte eine uneingeschränkte Haftung oder sogar unverhältnismäßig hohe Haftungsobergrenzen zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem Prüfungsmarkt führen, indem diese größeren Gesellschaften einseitig zu Gute kämen. Daher sollte diese Richtlinie die Mitgliedstaaten auffordern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Last der finanziellen Haftung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften einzuschränken. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Haftungssysteme der Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden können, sollten in dieser Richtlinie nur die Ziele vorgegeben werden, nicht aber die Instrumente, die die Mitgliedstaaten einsetzen sollten oder können, um dieses Ziel zu verwirklichen“54. Zur Begründung des neuen Erwägungsgrundes wird angeführt: „Unbeschränkte Haftung ist nicht versicherbar. Die Mitgliedstaaten müssen deshalb für ein geeignetes Haftungssystem sorgen“55. Die endgültige Fassung der Abschlussprüferrichtlinie vom 17.5.2006 wurde am 9.6.2006 im Amtsblatt der EU veröffentlicht56. Die Richtlinie trat am 29.6.2006 in Kraft. Damit begann die Umsetzungsfrist von 24 Monaten57. In Erwägungsgrund 19 der Abschlussprüferrichtlinie heißt es: „Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sind dafür verantwortlich, dass sie ihre Arbeit mit Sorgfalt durchführen, und sollten daher für die finanziellen Schäden, die darauf zurückzuführen sind, dass sie nicht die erforderliche Sorgfalt aufgewendet haben, zur Verantwortung gezogen werden. Die Fähigkeit der Abschlussprüfer und der Prüfungsgesellschaften, eine Berufshaftpflichtversicherung zu erwerben, kann davon abhängig sein, ob sie einer unbeschränkten finanziellen Haftung unterliegen. Diese Fragen beabsichtigt die Kommission unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Haftungssysteme der Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden können, zu prüfen.“ Art. 31 der Abschlussprüferrichtlinie sieht vor, dass die „Kommission … vor dem 1. Januar 2007 einen Bericht über die Auswirkungen der derzeitigen nationalen Haftungsregelungen für Abschlussprüfungen auf die Europäischen Kapitalmärkte und auf die Versicherungsbedingungen für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, einschließlich einer objektiven Analyse der Begrenzungen für finanzielle Haftungen vor[legt]. Die Kommission stützt sich gegebenenfalls auf öffentliche Konsultationen.“ Art. 31 Satz 3 stellt es der EU Kommission frei („wenn sie es für ange-
__________ 54 A6-0224/2005 (endg.), S. 23. 55 A6-0224/2005 (endg.), S. 23. 56 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl.EG Nr. L 157/87 v. 9.6.2006. 57 Zu Einzelheiten der Richtlinie s. Klein/Klaas, WPg 2006, 885; Tiedje, Die neue EURichtlinie zur Abschlussprüfung, WPg 2006, 593. Zu den Erwartungen des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer an den deutschen Gesetzgeber bezüglich der Umsetzung der neuen Abschlussprüferrichtlinie s. Naumann/Feld, Die Transformation der neuen Abschlussprüferrichtlinie – Erwartungen des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer an den deutschen Gesetzgeber, WPg 2006, 873.
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messen hält“), Empfehlungen an die Mitgliedstaaten auszusprechen58. Die Kommission hat damit einen sehr weiten Handlungs- und Gestaltungsspielraum. 7. Forum und Studie Am 15.11.2005 richtete die EU Kommission ein beratendes Forum („Forum on Auditors’ Liability“) ein. Das Forum setzt sich zusammen aus Vertretern von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Investmentbanken, börsennotierten Gesellschaften, Pensions- und Investmentfonds, Versicherungen sowie Universitäten aus acht EU-Mitgliedstaaten59. Aufgabe des Forum ist es, die europaweite Datenerhebung für die in Auftrag zu gebende Studie zu unterstützen, die ökonomischen Fragen im Zusammenhang mit der Haftung des Abschlussprüfers zu erörtern und die Studie zu begleiten und zu würdigen60. Anfang 2006 erhielt das Beratungsunternehmen London Economics den Auftrag, eine Untersuchung über die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Änderung der Haftungsregelungen, über den Wettbewerb auf dem Markt für Wirtschaftsprüfung und die Verfügbarkeit von Versicherungen zu erstellen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten im Herbst 2006 veröffentlicht werden61. Bereits im April 2006 legte London Economics der EU Kommission einen (nicht zur Veröffentlichung bestimmten) Zwischenbericht vor62. Die endgültige Fassung der Studie vom September 2006 wurde von der EU Kommission am 4.10.2006 veröffentlicht63.
IV. Die Studie von London Economics Die Studie hat einen Umfang von 332 Seiten. Der Anhang umfasst 114 Seiten, das „Executive Summary“ 24 Seiten. Die Studie beschreibt in ihrem ersten Teil die gegenwärtige Marktlage für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in der EU. Im zweiten Teil wird der Versicherungsmarkt dargestellt. Der dritte Teil setzt sich mit den wahrscheinlichen kurz- und langfristigen Wirkungen des etwaigen Wegfalls einer oder mehrerer der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auseinander. Im vierten Teil finden sich Ausführungen zu den
__________ 58 Empfehlungen sind rechtlich zwar nicht verbindlich (Art. 249 EG), können faktisch aber weit reichende Wirkungen entfalten, wie die Empfehlung der EU Kommission bezüglich der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers (oben Fn. 45) zeigt. 59 S. Pressemitteilung der EU Kommission v. 15.11.2005 (abrufbar unter europa.eu.int/ comm/internal_market/auditing/liability). Zu den deutschen Beteiligten s. Ulrich, WPK Magazin 3/2006, 6, 10. 60 Klaas, WPg 2006, 1489, 1490. 61 Klein/Klaas, WPg 2006, 885, 893. S. ferner „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Stärkung der Abschlussprüfung in der EU“ (21.5.2003), S. 17 (Tz. 3.10). 62 S. London Economics, Study on the Economic Impact of Auditors’ Liability Regimes (Markt/2005/24/F) (April 2006). 63 S. oben Fn. 1; dazu Schattka, Zwischen Existenzgefährdung und Privilegierung: Ergebnisse der Kommissionsstudie zur Abschlussprüferhaftung in der Europäischen Union, GPR 2007, 138.
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wirtschaftlichen Auswirkungen alternativer Haftungsregeln. Der fünfte Teil befasst sich mit Möglichkeiten, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit zu begrenzen. Im sechsten und letzten Teil der Studie findet sich eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse. 1. Marktkonzentration Die Verfasser der Studie kommen zu dem Schluss, dass der Markt für Abschlussprüfungsdienstleistungen für große und sehr große Unternehmen in hohem Maße konzentriert ist und von den Big 4 mit ihren internationalen Netzwerken64 beherrscht wird65. Die Verfasser nehmen an, dass sich die Marktstrukturen auf absehbare Zeit nicht wesentlich verändern werden; insbesondere halten sie es für unwahrscheinlich, dass mittelständische Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in den kommenden Jahren auf diesen Märkten als neue Anbieter auftreten werden66. Begründet wird das mit Markteintrittsschranken wie Ansehen, Kapazitäten, Größe der (internationalen) Netzwerke, unbeschränkte Haftung in vielen Mitgliedstaaten und begrenzter Versicherungsschutz67. Daher seien mittelständische Prüfungsunternehmen auf absehbare Zeit nicht wirklich in der Lage, die Lücke zu füllen, die entstehen würde, wenn eine oder mehrere der Big 4 etwa infolge einer katastrophalen Haftpflicht wegfallen sollten68.
__________ 64 Zu den Gründen für die Errichtung internationaler Netzwerke durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften s. Ebke, Internationaler Dienstleistungshandel, Unternehmenskooperation und das Problem des „Holding-out“, in FS Mestmäcker, 1996, S. 863, 867–870; F. Immenga, Internationale Kooperation und Haftung von Dienstleistungsunternehmen, 1998, S. 62–84. 65 London Economics Studie (Fn. 1), S. 16–29. Zur Lage in Deutschland s. ohne Verf., Anbieterstruktur und Mandatsverteilung im Wirtschaftsprüfungsmarkt, WPK Magazin 1/2006, 16. 66 Diese Aussage von London Economics dürfte wesentlich geprägt sein von den Erfahrungen mit dem Wegfall von Arthur Andersen nach dem Niedergang von Enron. Theoretisch ist allerdings auch denkbar, dass in einem Katastrophenfall die nicht unmittelbar betroffenen nationalen Mitgliedsunternehmen (Member Firms) eines internationalen Netzwerkes ohne das bzw. die unmittelbar betroffene(n) Mitgliedsunternehmen die internationale Kooperation fortsetzen und sich in dem betroffenen Land bzw. den betroffenen Ländern neue Partnerunternehmen suchen; zu berücksichtigen sind in solchen Fällen jedoch die nicht unerheblichen Haftungsrisiken (z. B. Haftung für Netzwerkpartner, „successor liability“ etc.). Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 170 Fn. 15, hält es außerdem für möglich, dass „beim Zusammenbruch oder Zerfall einer weiteren großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die ‚zweite Liga’ der internationalen Prüfungsgesellschaften einen Wachstumsschub“ erhalten und „im Ergebnis beispielsweise wieder fünf große Prüfer entstehen“. Die Verfasser der London Economics Studie beurteilen die Chancen für ein Zusammenwachsen kleiner und mittlerer Wirtschaftsprüfungsgesellschaften dagegen skeptisch: London Economics Studie (Fn. 1), S. 61–70. 67 London Economics Studie (Fn. 1), S. 40–47. 68 London Economics Studie (Fn. 1), S. 134 („… middle-tier firms are unlikely to become a major substitute for one of the Big-4 firms if one of these Big-4 firms were to disappear“.) (Hervorhebung im Original).
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2. Versicherungsschutz Die Verfasser der Studie weisen außerdem darauf hin, dass der Versicherungsschutz für die Berufshaftpflicht des Abschlussprüfers in den vergangenen Jahren spürbar abgenommen hat69. Nach den Feststellungen von London Economics decken die Versicherungen heute weniger als 5 % der Haftungsansprüche, denen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in vielen EU-Mitgliedstaaten ausgesetzt sind70. Nach Aussage von London Economics waren am 31.10.2005 28 Schadensersatzforderungen gegen EU-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften von jeweils mehr als 79 Mio. Euro anhängig; in elf Fällen sähen sich EU-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit Ansprüchen in Höhe von 160 Mio. Euro bis 785 Mio. Euro konfrontiert; in fünf Fällen seien Ansprüche von mehr als 785 Mio. Euro geltend gemacht geworden71. Überdies seien die Versicherungsprämien in den letzten Jahren stark gestiegen. Das gelte sowohl für die Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung als auch für die Prämien für die Rückversicherung der eigenen Captive-Versicherung72. Wenn die Berufshaftpflichtversicherung und die Captive-Versicherung zur Deckung der Haftpflicht nicht ausreichen, geht – so betont die Studie – die Haftung letztlich zulasten des Einkommens der Partner der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft73 und möglicherweise auch zulasten der übrigen Netzwerkgesellschaften74. Konstant hohe Schadensersatzforderungen könnten am Ende sogar den Bestand einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gefährden. Die Verfasser der Studie weisen ferner darauf hin, dass die hohen Haftungsrisiken auch nachteilige Auswirkungen auf die Attraktivität des Berufs des Wirt-
__________ 69 London Economics Studie (Fn. 1), S. 76–117. 70 London Economics Studie (Fn. 1), S. XXXIII-XXXIV und 99. 71 London Economics Studie (Fn. 1), S. XXXIII und 88. Außerhalb der EU ist das Risiko, wie es scheint, noch größer. Der weltweit tätige Versicherungsmakler und Unternehmensberater AON Professional Risks (APR) berichtet in seiner Stellungnahme zu dem Konsultationspapier der EU Kommission (oben Fn. 2), dass es seit dem 1.1.1998 weltweit 27 sog. „mega claims“ gegeben hat. Darunter versteht AON Klagen gegen Abschlussprüfer mit Schadensersatzforderungen von mehr als 1 Mrd. USD bzw. Fälle, in denen der Abschlussprüfer zusammen mit anderen (z. B. der geprüften Gesellschaft und deren Geschäftsführer) auf Schadenersatz von mehr als 10 Mrd. USD verklagt wurden. 72 London Economics Studie (Fn. 1), S. XXXIII und 92–93. Zu Einzelheiten der Captive Insurance s. Bialek, Captive-Versicherung und deutsches Körperschaftsteuerrecht, 1993; Niquille, Risiko-Finanzierung, 1987. 73 London Economics Studie (Fn. 1), S. XXXIV und 104. 74 London Economics Studie (Fn. 1), S. 92. Zu den möglichen Gründen für eine Haftung des Netzwerkes bzw. von Netzwerkpartnern s. Ebke, Haftung bei Rechnungslegung und Prüfung international, in Ballwieser/Coenenberg/von Wysocki (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechnungslegung und Prüfung, 3. Aufl. 2002, S. 1085–1099; Ebke (Fn. 64), S. 870–878; F. Immenga (Fn. 64), S. 255–316. S. ferner OLG Düsseldorf, BB 1995, 2234 = RIW 1995, 1025; BGH, BB 1995, 2235 = RIW 1995, 1026 (Nichtannahmebeschluss); In re Parmalat Securities Litigation, Bondi v. Grant Thornton International et al., 377 F. Supp.2d 390 (S.D.N.Y. 2005) und 421 F.Supp.2d 703 (S.D.N.Y. 2006).
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schaftsprüfers haben und sich negativ auf den Wunsch auswirken können, Partner einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu werden75. 3. Wegfall einer oder mehrerer der Big 4-Gesellschaften Eingehend beschäftigt sich die Studie mit dem Problem des Wegfalls einer oder mehrerer der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften76. Nach Einschätzung von London Economics würde der Untergang einer der Big 4 „erhebliche Probleme“ verursachen, falls das Angebot an Prüfungsdienstleistungen wesentlich absinke77. Probleme könne es insbesondere in einigen Industrien oder Branchen geben – so beispielsweise für die Abschlussprüfung von Finanzinstituten, weil für diese Tätigkeit besondere Kenntnisse und Befähigungen erforderlich seien und die Prüfung des Abschlusses eines Finanzinstituts als besonders risikoreich angesehen werde78. In einigen Mitgliedstaaten böten nur noch zwei der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Abschlussprüfungen für Finanzinstitute an79. Besonders problematisch wird es auf dem Abschlussprüfungsmarkt nach Auffassung von London Economics dann, wenn innerhalb kurzer Zeit zwei der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aus dem Markt ausscheiden würden. In einem solchen Fall werde nicht nur das Vertrauen der Anleger beeinträchtigt, vielmehr werde auch die Anpassung an die neue Marktlage schwierig80. 4. Haftungsbegrenzung Vor dem Hintergrund der dargestellten Feststellungen und Annahmen kommen die Verfasser der Studie von London Economics zu dem Ergebnis, dass eine Begrenzung der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit notwendig ist, um das Risiko einer Haftung mit katastrophalen Folgen für die betreffende Prüfungsgesellschaft, den Markt für Abschlussprüfungsdienstleistungen und die Volkswirtschaft insgesamt zu reduzieren81. Die theoretische Analyse habe ergeben, dass eine unbeschränkte Haftung eine Situation herbeiführen könne, in der die Kosten der unbeschränkten Haftung die
__________ 75 76 77 78
London Economics Studie (Fn. 1), S. XXXV und 105. London Economics Studie (Fn. 1), S. 119–133. London Economics Studie (Fn. 1), S. 134. S. dazu aus der deutschen Prüfungspraxis IDW PS 520: Besonderheiten und Problembereiche bei der Abschlussprüfung von Finanzdienstleistungsinstituten, WPg 2001, 982; IDW PS 521: Die Prüfung des Wertpapierdienstleistungsgeschäfts nach § 36 WpHG bei Finanzdienstleistungsinstituten, WPg 2001, 989 und WPg 2006, 470; IDW PS 522: Prüfung der Adressenausfallrisiken und des Kreditgeschäfts von Kreditinstituten, WPg 2002, 1254. 79 London Economics Studie (Fn. 1), S. 135. 80 London Economics Studie (Fn. 1), S. 135–136. 81 Kritisch zu den zugrunde liegenden Prämissen W. Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 170 („… Fall einer ‚special interest group’. Die Rechtsetzung erfolgt unter dem merkbaren Einfluss eines Teils der Normadressaten“).
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Vorteile übersteigen82. Die Studie bestärkt mit dieser Schlussfolgerung der Sache nach die EU Kommission; diese hatte schon 2003 in ihrer Mitteilung über die Stärkung der Abschlussprüfung betont, dass in der EU eine Begrenzung der Haftung erforderlich sei83. Die Verfasser der London Economics Studie kommen aufgrund eigener (empirischer) Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine Haftungsbegrenzung keinen signifikanten Einfluss auf die Qualität der Abschlussprüfung hat84. In ihrer Pressemitteilung vom 4.10.2006 geht die EU Kommission auf diesen Aspekt der Studie allerdings nicht ein85. Haftungsbegrenzungen sind nach Ansicht von London Economics darüber hinaus geeignet, die Konzentration auf dem Prüfungsmarkt hinsichtlich der Prüfung großer Gesellschaften zu reduzieren86. Haftungsbegrenzungen können nach Ansicht von London Economics außerdem dazu beitragen, das Problem des Nachwuchses gerade bei den großen Prüfungsgesellschaften abzumildern. Die Einführung einer betragsmäßigen Begrenzung der Fahrlässigkeitshaftung für gesetzliche Abschlussprüfer würde für die Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten eine grundlegende Neuerung bedeuten. Derzeit beschränken in der EU nämlich nur Belgien, Deutschland, Griechenland, Österreich und Slowenien die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers bei Fahrlässigkeit87. Die Ansätze und Regelungen der genannten Länder unterscheiden sich dabei erheblich88. In Großbritannien ist eine Beschränkung der Haftung des Prüfers gegenüber der geprüften Gesellschaft neuerdings vertraglich mit Zustimmung der Aktionäre zulässig89; eine solche Beschränkung dürfte in der Praxis jedoch kaum große Bedeutung erlangen. Dem Parlament liegt außerdem ein Gesetzesentwurf vor, der die proportionale Haftung („proportional liability“) des gesetzlichen Abschlussprüfers bei Fahrlässigkeit einführen soll; danach haftet der Prüfer nur für den Anteil des Schadens, der seinem Verursachungsbeitrag entspricht. 5. Konsultation Mit einem am 18.1.2007 veröffentlichten Konsultationspapier hat die EU Kommission die betroffenen Kreise eingeladen, sich bis zum 15.3.2007 zu den Vorschlägen der London Economics-Studie hinsichtlich der Auswirkungen der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers auf die europäischen Kapitalmärk-
__________ 82 London Economics Studie (Fn. 1), S. XLI („… the theoretical analysis shows that unlimited liability may result in a situation where the economic costs of unlimited liability exceed the benefits“.). 83 S. oben den Text bei Fn. 47. 84 London Economics Studie (Fn. 1), S. 154–158. 85 Zu den Auswirkungen des Schweigens der EU Kommission s. Klaas, WPg 2006, 1489, 1491. 86 London Economics Studie (Fn. 1), S. 164–166. 87 S. Klaas, WPg 2006, 1489, 1491. S. ferner oben Fn. 16. 88 Zu Einzelheiten s. Ebke, ZVglRWiss 100 (2001), 62, 71–74; London Economics Studie (Fn. 1), S. 186–188. 89 S. dazu W. Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 170–171; Jänig, RIW 2006, 270, 275.
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te, insbesondere zu den Möglichkeiten einer Haftungsbegrenzung zu äußern90. Bezüglich der Haftungsbegrenzung hat die Kommission vier „Modelle“ zur Diskussion gestellt: (1) Die Einführung einer betragsmäßig festen Höchstgrenze („cap“) auf europäischer Ebene; (2) die Einführung einer Haftungshöchstgrenze, die auf der (anhand der Marktkapitalisierung gemessenen) Größe des geprüften Unternehmens beruht; (3) die Einführung einer Höchstgrenze, bei der die Höhe der Prüfungsgebühren, die der Prüfer seiner Auftraggeberin für die Abschlussprüfung in Rechnung gestellt hat, mit einem bestimmten Faktor multipliziert wird; und (4) die Einführung des Grundsatzes der Proportionalhaftung („proportional liability“). a) Haftungshöchstgrenze („Cap“) Die Überlegung, für die Haftung des Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit eine betragsmäßig feste Haftungshöchstgrenze („Cap“) EU-weit einzuführen, ist grundsätzlich zu begrüßen91. Damit würde sich erstmals in der Geschichte der Pflichtprüfung europaweit eine Erkenntnis durchsetzen, die schon bei Einführung der Abschlussprüfung in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht nur in Deutschland92, sondern auch in den USA93 verbreitet war, dass nämlich „erfahrungsgemäß bei Bilanzprüfungen geringfügige Versehen zu ungewöhnlich großen Schäden führen können und dass ein Prüfer zum Nutzen seiner Arbeit von der drückenden Besorgnis, unbeschränkt zum Ersatz verpflichtet zu sein, befreit werden“ muss94. Eine europäische Haftungshöchstgrenze würde sicherstellen, dass unabhängig davon, nach welchem mitgliedstaatlichen Recht sich Voraussetzungen und Inhalt des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs beurteilen95, die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers bei Fahrlässigkeit jedenfalls innerhalb der EU der Höhe nach begrenzt
__________ 90 S. WPg 2007, 99. 91 Grundsätzlich kritisch gegenüber gesetzlichen Haftungshöchstgrenzen für Abschlussprüfer W. Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 173–179 („systemwidriger Eingriff in das Schadensersatzrecht“ und „verfassungsrechtlich bedenklich“). S. auch W. Doralt/ Koziol, Abschlussprüferhaftung in Österreich, in Koziol/W. Doralt (Hrsg.), Abschlussprüfer: Haftung und Versicherung, 2004, S. 91, 115 („… problematisch und im Bereich der Verschuldenshaftung unserer Rechtsordnung sonst völlig fremd“). 92 Vgl. Ebke (Fn. 6), S. 41. 93 S. nur die berühmte New Yorker Entscheidung in der Rechtssache Ultramares Corporation v. Touche & Co., 174 N.E. 441, 444 (N.Y. 1931), in der der angesehene und einflussreiche Richter Benjamin Nathan Cardozo schrieb: „If liability for negligence exists, a thoughtless slip or blunder, the failure to detect a theft or forgery beneath the cover of deceptive entries, may expose accountants to a liability in an indeterminate amount for an indeterminate time to an indeterminate class“. Zu Einzelheiten der Ultramares-Entscheidung s. Ebke (Fn. 6), S. 152–162. 94 Vgl. Schmölder, Überprüfte Regelung der aktienrechtlichen Pflichtrevision im Entwurf einer Novelle zum Versicherungsaufsichtsgesetz, JW 1930, 3687. 95 Zu Einzelheiten des Kollisionsrechts der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers gegenüber der geprüften Gesellschaft bzw. Dritten s. zuletzt Ebke in MünchKomm. HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 171–195. S. ferner Ebke, WPK-Mitt. Sonderheft April 1996, 17, 32–34; F. Immenga (Fn. 64), S. 325–347; Leicht (Fn. 4), S. 68–92 und 142– 199; Wölber (Fn. 4), S. 166–186.
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ist96. Sinnvoll und wirksam wäre eine solche Haftungsobergrenze freilich nur, wenn die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen festschreiben würden, dass die Haftung des Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit nicht nur gegenüber der geprüften Gesellschaft, sondern auch gegenüber Dritten (z. B. Anlegern, Kreditgebern und Lieferanten) betragsmäßig entsprechend begrenzt ist – und zwar unabhängig davon, auf welchem Rechtsgrund der Anspruch beruht (z. B. Vertrag, Delikt, Sonderprivatrecht, Richterrecht)97. Die EU Kommission könnte in ihrer Empfehlung außerdem vorsehen, dass es den 27 Mitgliedstaaten freisteht, die festgelegte Haftungsobergrenze zu unterschreiten, sofern die vorgesehenen Obergrenzen angesichts der wirtschaftlichen, rechtlichen oder sonstigen Gegebenheiten des betreffenden Landes als unverhältnismäßig oder unangemessen anzusehen sind98. Dadurch wäre die von vielen befürwortete Freiheit und Flexibilität der Mitgliedstaaten gewährleistet99. Den Mitgliedstaaten sollte darüber hinaus gestattet werden, anstelle einer einheitlichen Obergrenze für alle prüfungspflichtigen Gesellschaften (sog. „single-cap model“)100 unterschiedliche Haftungshöchstgrenzen für verschiedene Kategorien von Gesellschaften zu schaffen. Denkbar ist eine Differenzierung der Haftungshöchstgrenzen danach, ob es sich bei der prüfungspflichtigen Gesellschaft um ein börsennotiertes oder börsenunabhängiges Unternehmen handelt (sog. „dual-cap model“). Diesen Weg gehen derzeit Belgien und Deutschland101. Die Höhe der Haftungsbegrenzung könnte sich aber auch – wie heute schon im österreichischen Recht (§ 275 öHGB)102 – nach der Größe der geprüften Gesellschaft richten. Für die Umschreibung der Größenklassen kämen beispielsweise die auf Europäischen Richtlinien beruhenden Kriterien des § 267 HGB in Betracht (sog. „multiple-cap model“). Für
__________ 96 Ob die Anwendung einer gesetzlichen Beschränkung der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers in Verfahren vor Gerichten außerhalb der EU gesichert ist, ist eine andere Frage. Zu den kollisionsrechtlichen Grundsätzen der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers in den USA s. Ebke, Die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers im Internationalen Privatrecht, in FS Sandrock, 2000, S. 243, 257– 266. Zu der Frage, ob die Haftungssummenbegrenzungen nach § 323 Abs. 2 Satz 1 und 2 HGB „zwingende Vorschriften“ im Sinne des Art. 34 EGBGB sind, s. Ebke, WPK-Mitt. Sonderheft April 1996, 17, 33 Fn. 189. 97 Zu den vielfältigen Rechtsgrundlagen der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers in den EU-Mitgliedstaaten s. statt vieler Ebke, ZVglRWiss 100 (2001), 62, 65–75 m. w. N. 98 Zu der Frage, ob es Abschlussprüfern erlaubt ist bzw. erlaubt sein sollte, mit der geprüften Gesellschaft eine Erweiterung bzw. Unterschreitung der gesetzlichen Haftungsgrenzen individuell zu vereinbaren, s. aus Sicht des deutschen Rechts Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 73; aus Sicht des österreichischen Rechts W. Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 172–173. 99 Eine für alle prüfungspflichtigen Gesellschaften in allen Mitgliedstaaten geltende einheitliche Haftungshöchstgrenze (sog. „one-size-fits-all-EU-wide approach“) wird von Seiten des Berufsstandes ebenfalls als „nicht Ziel führend“ angesehen. Vgl. Klaas, WPg 2006, 1489, 1491. 100 Ein solches Modell gilt in Slowenien: London Economics Studie (Fn. 1), S. 186. 101 Zu Einzelheiten s. Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 7 und 72; Winkeljohann/Hellwege, in: BeckBilKomm (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 130–133. 102 Zu Einzelheiten s. W. Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 172.
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die Prüfung der größten Kapitalmarktunternehmen (z. B. DAX 30) ließe sich erforderlichenfalls eine eigene vierte Größenklasse schaffen. Zu erwägen wäre außerdem, ob – wie heute schon in Österreich – für bestimmte Industrien oder Branchen (z. B. Banken oder Versicherungen) besondere Haftungshöchstgrenzen eingeführt werden sollten103. Unabhängig von der Frage der konkreten Ausgestaltung einer europäischen Höchstgrenze für die Fahrlässigkeitshaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers sollte die EU Kommission bei der Festlegung der jeweiligen Obergrenzen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Versicherbarkeit der Haftung im Auge behalten, was in der neuen Abschlussprüferrichtlinie ohnehin bereits angelegt ist104. b) Marktkapitalisierung als Maßstab Eine andere Frage ist, ob die (verschiedenen) Höchstgrenzen fest oder variabel sein sollten. Feste Obergrenzen haben den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für sich. In ihrem Konsultationspapier vom Januar 2007 hat die EU Kommission ausdrücklich die Frage aufgeworfen, ob eine der Höhe nach variable Begrenzung der Fahrlässigkeitshaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers börsennotierter Unternehmen in Abhängigkeit von der (anhand der Marktkapitalisierung gemessenen) Größe des geprüften Unternehmens angemessen und geeignet („appropriate“) sei. Eine derartige Bemessungsgrundlage würde den Mitgliedstaaten Flexibilität eröffnen, die in Anbetracht der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten von einigen als wünschenswert angesehen wird105. Allerdings ist zu bedenken, dass bei den großen und größten börsennotierten Unternehmen in der EU eine Marktkapitalisierung in Milliardenhöhe keine Seltenheit ist und die Obergrenze daher nur einen extrem kleinen Bruchteil der „Größe“ der geprüften Gesellschaft ausmachen darf, wenn die Haftung versicherbar bleiben soll. c) Prüfungshonorar(e) als Bemessungsgrundlage Die Überlegung, die Haftungshöchstgrenze (pro Abschlussprüfung) an ein Vielfaches des aus der konkreten Prüfung erzielten Prüfungshonorars zu koppeln106, ist nicht neu. So hat Goerdeler schon 1977 auf dem Bochumer Symposion vorgeschlagen, die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit „auf das Zehnfache des vereinnahmten Honorars, mit einer Mindesthaftungssumme von 400 000 DM und einer Höchsthaftungssumme von 4 Mio. DM“ zu beschränken107. Budde hat sich auf demselben Symposion
__________ 103 104 105 106
W. Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 172 Fn. 36. S. dazu oben Fn. 54–55. Klaas, WPg 2006, 1489, 1491. Zu Einzelheiten der Vergütung des gesetzlichen Abschlussprüfers in Deutschland s. Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 318 HGB Rz. 31–34 m. w. N. 107 Goerdeler in Busse von Colbe/Lutter (Hrsg.), Wirtschaftsprüfung heute: Entwicklung oder Reform? – Ein Bochumer Symposion, 1977, S. 32. Vgl. Strobel, Zum Referentenentwurf des Bilanzrichtlinie-Gesetzes, DB 1980, 1225, 1233 („… ein Vielfaches des Prüfungshonorars …“).
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für eine Abstufung der Haftungshöchstsumme „nach dem Umfang der jeweils betreuten Pflichtprüfungsmandate“ ausgesprochen108. In den USA hat namentlich Fiflis eine Koppelung der Haftungshöchstgrenze an die von dem geprüften Unternehmen in einem bestimmten Zeitraum erzielten Gebühren befürwortet109. Andere wollen die Haftungshöchstgrenze dagegen an den Gesamteinnahmen der betroffenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft festmachen110. In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Diskussion über die Koppelung der Haftungshöchstgrenzen an die Einnahmen intensiv fortgeführt. Der SPD-Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Transparenz und Beschränkung der Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft (Transparenz und Wettbewerbsgesetz) sah unter Anderem eine Erhöhung der Haftungssumme des damaligen § 323 Abs. 2 Satz 1 HGB auf das Hundertfache (!) der vereinbarten Prüfungsvergütung vor111. Die Vielfalt der Vorschläge unterstreicht die Problematik des Lösungsansatzes. Den Ansatz kann man bereits konzeptionell mit Fragezeichen versehen. Die (nach der neuen Abschlussprüferrichtlinie offen zu legende) Höhe des aus einer bestimmten Abschlussprüfung erzielten Honorars112 ist nämlich nicht zwangsläufig ein Kriterium für die Qualität der Abschlussprüfung und hat mit dem Ausmaß der Pflichtverletzung des Prüfers (das nach Ansicht der EU Kommission Maßstab für die Höhe der Haftung sein soll113) nichts zu tun. Das Honorar
__________ 108 Budde in Busse von Colbe/Lutter (Fn. 107), S. 236. 109 Fiflis, Current Problems of Accountants’ Responsibilities to Third Parties, 28 Vand.L.Rev. 31, 113 Fn. 304 (1975) („… a multiple of fees received from the client during a particular period“.). 110 So etwa das American Law Institute in seinem Federal Securities Code § 1708(c)(2) (A)(B) (1 % der Bruttoeinnahmen des der Erhebung der Klage vorausgegangenen Geschäftsjahres der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bis maximal $ 1 Mio.). Zustimmend etwa Chalmers, Over-Accountable Accountants?, A Proposal for Clarification of the Legal Responsibilities Stemming from the Audit Function, 16 Wm. & Mary L. Rev. 71 (1974); Jaenicke, The Effect of Litigation on Independent Auditors, 1977, S. 60–62; Sommer in Wilson/Phelps (Hrsg.), Lawyers and Accountants on Trial: Professional Liability, 1975, S. 25. 111 BT-Drucks. 13/367 v. 30.1.1995, S. 1, 4. 112 Für Unternehmen, die einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 5 WpHG in Anspruch nehmen, besteht – im Einklang mit der Empfehlung der EU Kommission v. 16.5.2002 über die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU (s. oben Fn. 45) und internationalen Tendenzen (s. dazu Niehus, Corporate Governance: Das Honorar und der Abschlussprüfer – Stärkung der Unabhängigkeit durch Offenlegung?, WPg 2002, 616, 619–622) – aufgrund des Bilanzrechtsreformgesetzes v. 4.12.2004 (BGBl. I, S. 3166) eine Pflicht zur Offenlegung der Honorare für die Abschlussprüfung, sonstige Beratungs- und Bewertungsleistungen, Steuerberatungsleistungen und sonstige Leistungen im Anhang zum Jahresabschluss der geprüften Gesellschaft (§§ 285 Satz 1 Nr. 17, 314 Abs. 1 Nr. 9 HGB). Zu Einzelheiten s. Lenz/Möller/Höhn, Offenlegung der Honorare für Abschlussprüferleistungen im Geschäftsjahr 2005 bei DAX-Unternehmen, BB 2006, 1787. Art. 49 der am 29.6.2006 in Kraft getretenen neuen Abschlussprüferrichtlinie v. 17.5.2006 (oben Fn. 56) dehnt die Pflicht zur Offenlegung der Honorare des Abschlussprüfers auf alle prüfungspflichtigen Gesellschaften aus. S. dazu Naumann/Feld, WPg 2006, 873, 882. 113 S. oben Fn. 28.
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kann allenfalls ein Anhaltspunkt für die Angemessenheit der Haftungshöchstsumme sein114. Theoretisch besteht Einigkeit mit der London Economics Studie darüber, dass die Anknüpfung der Haftungsobergrenzen an die vereinnahmten Prüfungsgebühren (aus der konkreten Prüfung!) ökonomisch nur Sinn macht, wenn der Multiplikator so niedrig ist, dass einerseits die Versicherbarkeit der Haftungssumme gewährleistet und damit das Risiko des Marktaustritts des Abschlussprüfers beherrschbar ist, andererseits aber der Schutz der Geschädigten nicht auf der Strecke bleibt. Ökonomisch sinnvoll wäre dieses Model einer Haftungsbeschränkung wohl nur, wenn es mit einer Haftungshöchstsumme gekoppelt würde115. Ein besonderes Augenmerk wird man bei der Anknüpfung der Haftungsobergrenzen an die vereinnahmten Prüfungsgebühren außerdem auf die Berechnungsgrundlage lenken müssen, um zukünftigen Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Anspruchsteller und dem Abschlussprüfer vorzubeugen116. Es bedarf darüber hinaus klarer Regelungen für Fälle, in denen der Abschlussprüfer keinen Anspruch auf ein Prüfungshonorar hat und deshalb kein Honorar verlangen darf oder ein rechtsgrundlos erlangtes Honorar zurückzahlen muss. So führt etwa die anfängliche Besorgnis der Befangenheit des gewählten Abschlussprüfers nach § 319 Abs. 2 HGB zur Nichtigkeit des Prüfungsauftrags sowie des Prüfungsvertrags und damit zum Verlust des Honoraranspruchs des Prüfers117, nicht aber zur Nichtigkeit des testierten und festgestellten Jahresabschlusses118. Auch wenn derartige Fälle vor dem Hintergrund von DCGK 7.2.1. Abs. 1 Satz 1 selten vorkommen werden119, geben sie Anlass zu der Frage, welche Haftungshöchstsumme in solchen Fällen gelten soll. Schwierige Fragen können sich ferner bei gerichtlicher Bestellung des Abschlussprüfers (§ 318 Abs. 4 Satz 2)120, bei Übernahme des Prüfungsauftrages nach Kündigung des Prüfungsauftrags durch den vorher bestellten Prüfer (Mandatsvorgänger)121 und für den Fall stellen, dass ein Ersatzprüfer an die Stelle des bestellten Abschlussprüfers tritt122. Wenn der Abschlussprüfer im Rahmen des rechtlich
__________ 114 Zu der Indizwirkung s. auch W. Doralt, SZW/RSDA 2006, 168, 174. 115 Vgl. London Economics Studie (Fn. 1), S. 204. 116 Zu den Honorarbestandteilen, die nach geltendem Recht (§§ 285 Satz 1 Nr. 17, 314 Abs. 1 Nr. 9 HGB) offen zu legen sind, s. Lenz/Möller/Höhn, BB 2006, 1787, 1788– 1789. 117 Gelhausen/Heinz, Der befangene Abschlussprüfer, seine Ersetzung und sein Honoraranspruch – eine aktuelle Bestandsaufnahme auf der Grundlage des Bilanzrechtsreformgesetzes, WPg 2005, 693, 700; Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 319 HGB Rz. 36. 118 Gelhausen/Heinz, WPg 2005, 693, 699; Frings, Pflichtverletzungen des Abschlussprüfers – ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit?, WPg 2006, 821, 830; Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 319 HGB Rz. 34; Paal, Rechtsfolgen und Rechtsbehelfe bei Inhabilität des Abschlussprüfers, DStR 2007, 1210, 1213. 119 S. dazu näher Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 319 HGB Rz. 37. 120 S. dazu Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 318 HGB Rz. 74. 121 Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 318 HGB Rz. 95. 122 Zur Wahl eines Ersatzprüfers s. WP-Handbuch 2006, Bd. I, 13. Aufl. 2006, S. 162 Rz. A 534; Winkeljohann/Hellwege in BeckBilKomm (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 37 a. E.
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Zulässigen („Grundsatz der eigenverantwortlichen Verwertung“) Prüfungsergebnisse eines anderen externen Abschlussprüfers übernimmt123, wird sein Honorar häufig niedriger ausfallen als wenn er von Anfang zum Prüfer bestellt worden wäre. In derartigen Fällen wirkt sich die Flexibilisierung, die mit der Koppelung der Haftungshöchstgrenze an das von dem Abschlussprüfer vereinnahmte Prüfungshonorar erreicht wird, unter Umständen zum Nachteil der Geschädigten aus, wenn man nur das Honorar des später bestellten, testierenden Prüfers in die Berechnungsgrundlage einfließen lässt. d) Proportionalhaftung Die europaweite Einführung einer Proportionalhaftung (proportional liability) ist im Grundsatz zu begrüßen, denn sie ist – bei entsprechender Ausgestaltung – geeignet, unter allen Beteiligten eine faire Risikoverteilung herzustellen124. In Rechtsordnungen wie der deutschen, in denen in Fällen einer Dritthaftung des Abschlussprüfers sowohl der Einwand eines Mitverschuldens der geprüften Gesellschaft als auch der Einwand eines Mitverschuldens des geschädigten Dritten nach herrschender Meinung zum Tragen kommen können125, würde jedenfalls das Problem des Rückgriffs des Abschlussprüfers im Innenverhältnis gegenüber der gesamtschuldnerisch mithaftenden (möglicherweise insolventen) geprüften Gesellschaft gemildert, wenn die Haftung des Abschlussprüfers im Außenverhältnis gegenüber dem geschädigten Dritten von vornherein nach dem Verursachungsbeitrag des Prüfers beschränkt wäre. Das Prinzip der proportionalen Haftung würde außerdem solchen gesamtschuldnerisch Mithaftenden (z. B. Geschäftsführern und Beratern der geprüften Gesellschaft) entgegenkommen, deren zivilrechtliche Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit der Aufstellung und Prüfung des Jahresabschlusses der Höhe nach unbegrenzt ist.
__________ 123 S. IDW PS 320: Verwendung der Arbeit eines anderen externen Prüfers, WPg 2004, 593 (in Tz. 5 heißt es dazu: „Bei einer eigenverantwortlichen Verwertung hat der Abschlussprüfer zu beurteilen, in welchem Ausmaß und mit welcher Gewichtung die Prüfungsergebnisse Dritter verwendet werden können“). Zu der gesetzlich geregelten Übernahme der Prüfungsergebnisse eines anderen externen Abschlussprüfers (§ 317 Abs. 3 Satz 2 oder 3 HGB) s. Noodt, Konzernabschlussprüfung nach internationalen Prüfungsvorschriften – Wesentliche Änderungen des neuen ED ISA 600 gegenüber dem aktuell geltenden IDW PS 320, WPg 2006, 894. 124 Zu den rechtlichen und geschichtlichen Hintergründen des „apportionment of damages among joint tortfeasors“ im Common Law s. nur Prosser/Keeton, Torts, 5. Aufl. 1984, S. 475–477. S. ferner Bublick, The End Game of Tort Reform: Comparative Apportionment and Intentional Torts, 78 Notre Dame L. Rev. 355 (2003). 125 Die Einzelheiten sind freilich umstritten: Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 74–75; Winkeljohann/Hellwege, in: BeckBilKomm (Fn. 11) § 323 HGB Rz. 204; Land (Fn. 4), S. 106–107; Mirtschink, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Dritten, 2006, S. 194–202; Sommerschuh, Berufshaftung und Berufsaufsicht: Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Notare im Vergleich, 2002, S. 183–184.
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Das Risiko einer Haftung mit katastrophalen Folgen für den Abschlussprüfer ist mit der Einführung einer Proportionalhaftung freilich noch nicht gebannt. Das folgt daraus, dass sich in vielen Fällen der genaue Verursachungsbeitrag des Abschlussprüfers nicht mit mathematischer Genauigkeit bestimmen lässt und in den meisten europäischen Rechtsordnungen entsprechende Erfahrungswerte aus der Rechtsprechung derzeit nicht vorliegen. Verbleibende Ungewissheiten können insbesondere bei Vergleichsverhandlungen Schwierigkeiten bereiten und zu unverhältnismäßig hohen Vergleichssummen zulasten des Prüfers führen126. Eine proportionale Haftung muss daher mit einer Haftungshöchstgrenze kombiniert werden.
V. Aussichten Die Brüsseler Konferenz zu dem Grünbuch von 1996127 und die verschiedenen von der EU Kommission in Auftrag gegebenen Studien (MARC-Studie128, Thieffry-Studie129 und London Economics Studie130) zeigen, dass die Ansichten der EU-Mitgliedstaaten und der betroffenen Kreise über die Frage der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers, insbesondere seiner Haftung gegenüber Dritten noch sehr weit auseinander liegen. Einigkeit scheint unter den EU-Mitgliedstaaten nur darüber zu bestehen, dass das zivile Haftungsrecht – zusammen mit dem Berufsrecht131 und dem Aufsichtsrecht132 – besser als das Strafrecht (von krassen Fällen abgesehen)133 geeignet ist, den notwendigen Schutz der geprüften Gesellschaft, der Anleger sowie anderer Dritter zu vermitteln134. Außerdem wächst die Erkenntnis, dass die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit sowohl gegenüber der geprüften Gesellschaft als auch gegenüber Dritten der Höhe nach beschränkt werden muss, wenngleich über die Ausgestaltung entsprechender Haftungshöchstgrenzen („cap“) noch kein Konsens besteht. Es ist kaum damit zu rechnen, dass sich die EU-Mitgliedstaaten in absehbarer Zeit auf eine europäische Regelung (Richtlinie, Verordnung) der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers einigen werden135. Eine – in Art. 31 Satz 2 der neuen Abschluss-
__________ 126 S. nur Kornhauser/Revesz, Settlements Under Joint and Several Liability, 68 N.Y.U.L.Rev. 427 (1993). 127 S. oben Fn. 32. 128 S. oben Fn. 33. 129 S. oben Fn. 38. 130 S. oben Fn. 1. 131 S. dazu Buijink/Maijoor/Meuwissen/van Witteloostuijn (Fn. 4), S. 149. 132 S. Art. 32 der neuen Abschlussprüferrichtlinie (Fn. 56); dazu London Economics Studie (Fn. 1), S. 148–150. S. ferner van Hulle, Anforderungen an ein wirksames Enforcement aus Sicht der EU-Kommission, WPg Sonderheft 2001, 30. 133 Steinberg, Emerging Capital Markets: Proposals and Recommendations for Implementation, 30 Int. Law. 715, 723–725 (1996). 134 Ebke, Rechnungslegung und Abschlussprüfung im Umbruch, WPK-Mitt. Sonderheft Juni 1997, 12, 21. 135 Diese Ansicht wird von vielen deutschen Autoren geteilt. S. die Nachw. bei Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 223.
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prüfer-Richtlinie bereits angelegte – Empfehlung der EU-Kommission an die Mitgliedstaaten, die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit gegenüber der geprüften Gesellschaft und gegenüber Dritten der Höhe nach zu begrenzen und den Grundsatz der proportionalen Haftung des Prüfers einzuführen, liegt näher136. Freilich sind mit einer solchen Empfehlung aus juristischer Sicht noch längst nicht alle Probleme gelöst. Schwierige juristische Fragen ergeben sich insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung einer betragsmäßigen Haftungsbegrenzung des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit. Eine derartige Begrenzung kann sinnvoll nur für eine konkrete Abschlussprüfung und nicht für jeden Anspruchsteller gelten. Treten Dritte mit der geprüften Gesellschaft (bzw. ihrem Insolvenzverwalter) in Wettbewerb um die Verteilung der begrenzten Haftungssumme, stellen sich schwierige Verteilungsfragen. Einigkeit besteht heute weitgehend darüber, dass es kein „Windhundrennen“ geben darf, bei dem derjenige Geschädigte, der als erster ein vollstreckbares Urteil erlangt, bis zur Erschöpfung der Haftungssumme Ersatz seines Vermögensschadens erhält und die übrigen Geschädigten bei Erschöpfung der Haftungssumme leer ausgehen137. Alternative Lösungen wie das „Insolvenzmodell“138 oder das „Fondsmodell“139 sind erst in Ansätzen erkennbar. In diesem Zusammenhang stellt sich auch noch einmal die Frage nach der Möglichkeit einer kollektiven Rechtsverfolgung. Eine Haftungshöchstgrenze würde auch nicht ohne weiteres alle Fragen der Versicherbarkeit lösen. Man denke nur an das Problem der unbeschränkten Jahreshöchstleistung, falls man – wie oben angedacht140 – für die Prüfung der großen und größten börsennotierten Unternehmen (z. B. DAX 30) eine eigene Haftungshöchstgrenze festlegen sollte. Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass eine Haftungsobergrenze für Fälle von Fahrlässigkeit dazu führen könnte, dass geschädigte Dritte ihre Ansprüche verstärkt auf die Behauptung vorsätzlicher Pflichtverletzungen des Prüfers (z. B. § 826 BGB, fraud, intentional misrepresentation) zu stützen versuchen werden, um die Haftungsobergrenze zu umge-
__________ 136 Andere Erfolg versprechende Maßnahmen zur Begrenzung vor allem der Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers sollten in der gegenwärtigen Diskussion ebenfalls nicht außer Betracht bleiben. S. dazu Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 164; Mai, Das Management des Haftungsrisikos der Wirtschaftsprüfer, 1994, S. 189–350. 137 Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 160. S. auch Kleekämper/König (Fn. 25), S. 967; Nonnenmacher, Stärkung der Abschlussprüfung durch strengere Unabhängigkeitsregeln und erweiterte Haftung?, Der Konzern 2003, 476, 478 („Es darf kein Windhundrennen geben“). 138 S. dazu Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 160. Für dieses Modell jetzt auch Heukamp, Brauchen wir eine kapitalmarktrechtliche Dritthaftung von Wirtschaftsprüfern?, ZHR 169 (2005), 471, 478. 139 W. Doralt (Fn. 4), S. 197–200. 140 S. oben bei Fn. 102–103.
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hen141; in Deutschland hätte ein solches Vorgehen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Versicherungsschutz des Prüfers (§ 152 VVG, § 4 Abs. 1 Nr. 1 WPBHV)142. Fragen über Fragen! Aus juristischer Sicht bleibt der schwierige und langwierige Prozess der Europäisierung der zivilrechtlichen Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers also spannend.
__________ 141 Vgl. London Economics Studie (Fn. 1), S. 159 („… for strategic reasons, plaintiffs may pursue a case of intentional misstatement as the recovery could be higher, provided courts rule in their favour or firms settle to avoid the protracted costs of a case with a potentially uncertain outcome“). 142 Zu Einzelheiten s. Ebke in MünchKomm.HGB (Fn. 11), § 323 HGB Rz. 108.
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Die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Geschichte, Zweck III. Verstoß gegen Art. 81 EGV?
IV. Zeitungen, Zeitschriften oder was sonst? V. Nur vertikale Preisbindung VI. Schluss
I. Einleitung Seit der siebten Novelle von 2005 enthält das GWB in § 30 erstmals einen speziell auf Zeitungen und Zeitschriften zugeschnittenen Tatbestand. Gegenstand der Regelung sind die Voraussetzungen und Modalitäten der Preisbindung für die beiden genannten Presseerzeugnisse. Die grundsätzliche Erlaubnis der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften in Abweichung von dem Kartellverbot des § 1 GWB findet sich in Abs. 1 der Vorschrift. Abs. 2 des § 30 GWB fügt hinzu, dass die Preisbindungsvereinbarung schriftlich abzufassen ist, während Abs. 3 dem Bundeskartellamt die zum Ausgleich für das Preisbindungsprivileg unabdingbare Missbrauchsaufsicht überträgt. Die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften hatte bis in das Jahr 2002 das Schicksal der durchweg durchaus im Vordergrund des Interesses stehenden Buchpreisbindung geteilt und neben dieser nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. Das änderte sich erst, als im Jahre 2002 die Buchpreisbindung eine eigenständige Regelung in dem eigenartigen Buchpreisbindungsgesetz vom 2.9.2002 erfuhr1. Seitdem beruht die Buchpreisbindung auf Gesetz und nicht mehr wie früher auf Vereinbarungen zwischen den Beteiligten, den Verlagen und den Buchhändlern, womit in erster Linie bezweckt wurde, die dem deutschen Gesetzgeber besonders am Herzen liegende Buchpreisbindung nach Möglichkeit der Reichweite des gefürchteten generellen Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen durch Art. 81 EGV zu entziehen. Für die vertragliche Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften sah man dagegen seinerzeit noch nicht einen vergleichbaren „Handlungsbedarf“, so dass man es (nur) insoweit bei der bisherigen Regelung, gekennzeichnet durch die Erlaubnis der vertraglichen Preisbindung in Abweichung seinerzeit noch von § 14 GWB von 1998 und heute von § 1 GWB von 2005, beließ. So erklärt sich die Beschränkung des Anwendungsbereichs jetzt des § 30 GWB von 2005 auf Zeitungen und Zeitschriften.
__________ 1 BGBl. I, S. 3448, 3670 = GRUR 2003, 38; s. dazu statt aller Emmerich in FS Immenga, 2004, S. 111; Franzen/Wallenfels/Russ, PreisbindungsG, 4. Aufl. 2002.
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Das Ergebnis der geschilderten Entwicklung ist, dass die bis vor kurzem neben der Buchpreisbindung kaum beachtete Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften auf einmal ein gewisses, gleichwohl nach wie vor beschränktes Interesse in Literatur und Rechtsprechung gefunden hat2. Dies rechtfertigt es vielleicht, hier einmal einen Blick auf verschiedene Fragen zu werfen, die mit der neuen gesetzlichen Regelung verbunden sind. Die Hoffnung ist dabei, dass die folgenden Zeilen die Aufmerksamkeit des Jubilars finden mögen, der schon „kraft Amtes“ stets ein besonderes Interesse an Fragen des Buch- und Zeitschriftenvertriebs hatte und dem diese Zeilen in alter Verbundenheit gewidmet sind.
II. Geschichte, Zweck Die besonderen Probleme, die mit der gesetzlichen Regelung der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften verbunden sind, werden erst deutlich, wenn man die Preisbindung für die genannten Presseerzeugnisse vor dem Hintergrund der generellen Problematik der Buchpreisbindung sieht. Deshalb ist es unerlässlich, hier zunächst einen kurzen Blick auf die jüngste Entwicklung bei der Buchpreisbindung zu werfen3. Die Buchpreisbindung, bekanntlich in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, einem Preiskartell, durch massiven Druck auf die Verleger durchgesetzt, geriet hundert Jahre später erneut in schweres Wasser, als man nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union der Problematik der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung nicht mehr ausweichen konnte, da, wie man wissen muss, rund 80 % der in Österreich verkauften Bücher aus Deutschland stammen. Die unvermeidliche Folge war die Anwendbarkeit des Art. 81 EGV auf die Preisbindungsvereinbarungen und insbesondere auf den sogenannten Sammelrevers. Der Konflikt zwischen den Verlagen und der Europäischen Kommission war damit vorprogrammiert. Die Einzelheiten dieser vor allem in den neunziger Jahren wiederum von dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit zum Teil schier unglaublichen Methoden geführten Auseinandersetzung mit der Kommission interessieren
__________ 2 Aus der Rechtssprechung s. insbesondere BGH v. 22.9.2005, NJW-RR 2006, 409 = GRUR 2006, 161 = AfP 2005, 555 = WuW/E DER 1604 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH v. 7.2.2006, BGHZ 166, 154 = NJW 2006, 2627 = GRUR 2006, 773 = WM 2006, 1601 = WRP 2006, 1113 – Stern/Probeabonnement; aus der vorausgegangenen Rechtsprechung s. vor allem noch BGH v. 1.12.1981, BGHZ 82, 238 = NJW 1982, 644; aus dem Schrifttum s. statt aller Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 30; Jestaedt in Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 10. Aufl. 2006, § 30; J. B. Nordemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2: GWB, 2006, § 30. 3 S. zum Folgenden schon ausführlich Emmerich (Fn. 1); ders., EBOR 2 (2001), 553 = in Liber amicorum Mestmäcker, Den Haag 2003, S. 125; ders., Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, § 23 Rz. 6 ff. (S. 302 ff.); ders. in Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 6 ff.
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hier nicht4. Festzuhalten ist lediglich das Ergebnis der Auseinandersetzung, wie so häufig ein Kompromiss, gekennzeichnet durch die Ersetzung der vertraglichen Buchpreisbindung durch eine gesetzliche Preisbindung nach französischem und österreichischem Vorbild unter Ausklammerung des grenzüberschreitenden Buchhandels innerhalb der Europäischen Union5. Grundlage des Kompromisses waren die bekannten Urteile des Gerichtshofs aus den Jahren 1985 und 2000 in den Fällen Leclerc und Echirolles6. Wie schon angedeutet, hoffte man, die Buchpreisbindung dergestalt nach Möglichkeit der Reichweite des Art. 81 EGV entziehen zu können, freilich um den Preis der „Opferung“ der Preisbindung im grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der Europäischen Union (§ 5 BuchpreisbindungsG). Es ist durchaus zweifelhaft, ob der skizzierte Kompromiss bei der Buchpreisbindung auf die Dauer tragfähig ist. Hier interessiert jedoch allein die Frage, warum nicht gleich im Jahre 2002 eine entsprechende „Lösung“ für die Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften versucht wurde. Der Grund liegt in bestimmten Eigenarten des Pressevertriebs, auf die deshalb als nächstes kurz einzugehen ist7: Zeitungen und Zeitschriften werden über unterschiedliche Kanäle abgesetzt. Nach Möglichkeit vertreiben die Verlage ihre Erzeugnisse selbst, bei Zeitungen vor allem durch Hauszustellung oder im Abonnement auf dem Postweg. Wo dies jedoch nicht möglich ist, erfolgt der Vertrieb überwiegend, nicht generell über die sogenannten Monopolgrossisten. Direkt beliefert werden in der Regel nur Bahnhofsbuchhandlungen und vergleichbare Händler. Unter Monopolgrossisten versteht man Buch- und Zeitschriftengroßhändler, die in ihrem Gebiet über ein Monopol verfügen. Konkurrierende Großhändler gibt es lediglich in Berlin und Hamburg. Die Besonderheit dieses Vertriebssystems von den Verlagen über die Monopolgrossisten an die Buch- und Zeitschriftenhändler besteht auf der einen Seite in dem sog. Dispositionsrecht der Verlage und der Großhändler in Verbindung mit der Preisbindung jedenfalls des Einzelhandels und auf der anderen Seite in dem Remissionsrecht der beiden Handelsstufen. Als Dispositionsrecht bezeichnet man die Befugnis der Verlage und der Grossisten zur einseitigen Bestimmung der Verlagserzeugnisse, die ihnen ihre Vertragspartner, die Grossisten bzw. die Händler, abnehmen müssen. Grundlage sind die Geschäftsbedingungen der Verlage und der Großhändler sowie bei den
__________ 4 Die skandalösen Einzelheiten bei K. van Miert, Markt, Macht und Wettbewerb, 2000, S. 144 ff. 5 Wegen der Einzelheiten s. die §§ 1 und 3–5 des BuchpreisbindungsG. 6 EuGH v. 10.1.1985, Slg. 1985, 17, 32 ff. Tz. 15 ff. – Leclerc; EuGH v. 3.10.2000, Slg. I-8224, 8234 Tz. 24 ff. – Echirolles. 7 S. zum Folgenden statt aller Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Stellungnahme zur Pressefusionskontrolle v. 24.4.2004, WuW 2004, 622; B. v. Becker, ZUM 2002, 171 = in Martinek/Semler/Habermeier, Hdb. des Vertriebsrechts, 2. Aufl. 2003, § 44 (1178 ff.); Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 15 ff.; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 3 ff.; Möschel, WRP 2004, 857; ders., JZ 2004, 1060.
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letzteren – als Monopolisten – außerdem das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB8. Seinen Ausgleich findet das den Handel erheblich belastende Dispositionsrecht der Lieferanten (Verlage und Großhandel) in dem Remissionsrecht der Abnehmer, worunter man die Befugnis der Händler versteht, nicht verkaufte Zeitungen und Zeitschriften an ihre Lieferanten auf deren Kosten zurückzugeben, so dass die Händler nicht das Vertriebsrisiko tragen müssen. Verankert ist dieses Remissionsrecht u. a. in § 6 der Verkehrsordnung des Deutschen Buchhandels, häufig auch „Buchhändlerische Verkehrsordnung“ genannt, einer Konditionenempfehlung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels9. Soweit Zeitungen nach dem Gesagten über den Handel vertrieben werden, besteht wohl durchgängig eine Preisbindung, beruhend auf Verträgen zwischen den Verlagen, den Großhändlern und den Händlern. Das früher vor allem bei Büchern allgemein übliche Sammelreversverfahren wird nur noch bei einem Teil der Zeitschriften praktiziert; gemeint ist damit die Zusammenfassung der Preisbindung zahlreicher Verlage in einer von einem Treuhändler verwalteten Urkunde. Daneben setzt sich aber auch bei den Zeitschriften immer mehr die individuelle Vereinbarung der Preisbindung zwischen den Verlagen und den Händlern durch10. Außerdem gibt es schon seit jeher zahlreiche preisbindungsfreie Zeitschriften. Das Dispositionsrecht der Verlage und der Großhändler, der sogenannten Grossisten, die Monopole der letzteren, die Preisbindung und das Remissionsrecht des Handels hängen nach einer verbreiteten Meinung eng zusammen, weil es nur auf ihrer Grundlage möglich sei, die aus kulturpolitischen Erwägungen erwünschte Überallerhältlichkeit von Zeitungen und Zeitschriften zum selben Preis sicherzustellen. Auch die Bundesregierung hat im Jahre 2002 genau mit diesen Erwägungen die Beibehaltung der vertraglichen Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften gerechtfertigt11. Dahinter steht die Überlegung, dass die Zeitungs- und Zeitschriftenhändler allein unter der Bedingung des Remissionsrechts überhaupt bereit seien, sämtliche Zeitungen und Zeitschriften zu führen, die ihnen die Verlage und der Großhandel aufgrund ihres Dispositionsrechts anbieten, und dass auf der anderen Seite das daraus folgende Remissionsrecht des Handels für die Verlage und den Großhandel nur unter der Bedingung der Preisbindung wirtschaftlich tragbar sei.
__________ 8 S. Emmerich, Kartellrecht (Fn. 3), § 29 Rz. 67 (S. 380). 9 Gebilligt durch BGHZ 82, 238, 240 ff. = NJW 1982, 644 – Dispositionsrecht; Einzelheiten bei v. Becker, ZuM 2002, 171, 173 ff. 10 S. außer den Genannten (Fn. 7) noch Franzen/Wallenfells/Russ (Fn. 1), PreisbindungsG § 1 GWB Rz. 18 ff., § 15 GWB Rz. 1 ff. (S. 27, 164 ff.); Wallenberger, NJW 2002, 2914. 11 S. die Begründung zum RegE des Buchpreisbindungsgesetzes, BT-Drucks. 14 (2002)/ 9196, S. 14; zustimmend BGHZ 166, 154 = NJW-RR 2006, 409 = AfP 2005, 555 = GRUR 2006, 1616 = WuW/E DER 1604, 1606 f.; ebenso schon BGHZ 82, 238, 240 ff. = NJW 1982, 644; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2005, 46. Kap. Rz. 3 ff. (S. 404 ff.).
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Diese Überlegungen sind keineswegs zwingend; zuzugeben ist lediglich, dass das Dispositionsrecht der Verlage und des Großhandels auf der einen Seite und das Remissionsrecht des Handels auf der anderen Seite zusammenhängen und sich wohl gegenseitig bedingen. Daraus kann jedoch weder die Notwendigkeit der Gebietsmonopole der Grossisten noch die der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften gefolgert werden, wie schon daran deutlich wird, dass es zum Beispiel in Berlin und Hamburg eben keine Gebietsmonopole des Pressegrossos gibt und dass viele Zeitschriften seit jeher ohne Preisbindung auskommen. Für Internetzeitungen liegt das ohnehin auf der Hand.
III. Verstoß gegen Art. 81 EGV? Soweit nach dem Gesagten bei Zeitungen und Zeitschriften heute noch eine vertragliche Preisbindung praktiziert wird, gilt sie wohl ausnahmslos auch für den grenzüberschreitenden Handel in der Europäischen Union, insbesondere im Verhältnis zwischen Deutschland, Österreich und einigen anderen deutschsprachigen Gebieten wie etwa Südtirol. Das wirft unvermeidlich die Frage nach der Vereinbarkeit des Preisbindungsprivilegs (§ 30 GWB) mit dem vorrangigen Art. 81 EGV auf, da § 30 GWB anders als das BuchpreisbindungsG keinen Vorbehalt für den grenzüberschreitenden Handel mit Zeitungen und Zeitschriften enthält. Nach § 4 des BuchpreisbindungsG gilt die Buchpreisbindung, von Umgehungsfällen abgesehen, nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums. Eine weitgehend wörtlich übereinstimmende Regelung enthielt auch das GWB in den Jahren 2000 bis 2002 in Gestalt des § 15 von 1998, dem unmittelbaren Vorläufer des heutigen § 30 GWB von 2005. Der Vorbehalt für den grenzüberschreitenden Handel war jedoch bereits 2002 bei Beschränkung des Anwendungsbereichs der genannten Vorschrift (§ 15 von 1998) auf Presseerzeugnisse wieder gestrichen worden, weil man seinerzeit die der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften von Art. 81 EGV drohenden Gefahren anders als bei Büchern als vergleichsweise gering einschätzte12. Die Bundesregierung stützte sich dabei in erster Linie auf eine Stellungnahme der Kommission aus dem Jahre 1999 zu der belgischen Pressepreisbindung, in der die Kommission betont hatte, die Besonderheit des Pressevertriebs bestehe darin, dass der Händler nicht Eigentümer der Presseerzeugnisse werde und wegen seines Remissionsrechts auch nicht das Vertriebsrisiko trage. Dieses Risiko trage vielmehr allein der Verlag, wofür ihm zum Ausgleich das Preisbindungsrecht zugebilligt werden müsse13. Die Kommission hatte aus diesen Gründen seinerzeit eine Freistellung der Preisbindung für Presseerzeugnisse nach Art. 81 Abs. 3 EGV ins Auge gefasst, – womit sich, beiläufig bemerkt, unter dem System der Legalausnahme § 30
__________ 12 S. die Begründung des RegE des Buchpreisbindungsgesetzes, BT-Drucks. 14 (2002)/ 9196, S. 14; ebenso z. B. Waldenberger, NJW 2002, 2914, 2916 f. 13 S. Kommission, 29. Wettbewerbsbericht 1999, Brüssel 2000, S. 181 f. – AMP.
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GWB als überflüssig erwiese14. Von der Bundesregierung ist dagegen aus der angedeuteten großzügigen Haltung der Kommission gegenüber der Preisbindung für Presseerzeugnisse 2002 der Schluss gezogen worden, dass die unbeschränkte Beibehaltung des Preisbindungsprivilegs für Zeitungen und Zeitschriften, und zwar auch im grenzüberschreitenden Handel, unbedenklich sei, so dass anders als bei Büchern ein Vorbehalt für den grenzüberschreitenden Handel in dem jetzigen § 30 GWB entbehrlich sei15. Das Problem hat mehrere Facetten, die sorgfältig getrennt werden müssen. Zunächst geht es um die Frage, ob die vertikale Preisbindung für Presseerzeugnisse überhaupt unter Art. 81 Abs. 1 EGV fällt. Denn nur wenn diese Frage zu bejahen sein solle, stellt sich anschließend die Frage nach einer Freistellung der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften aufgrund des Art. 81 Abs. 3 EGV sowie jetzt des § 2 GWB. Die Anwendbarkeit des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen aufgrund des Art. 81 Abs. 1 EGV auf die Preisbindung für Presseerzeugnisse wird im Schrifttum vor allem unter zwei Gesichtspunkten bezweifelt, einmal wegen der fehlenden Eignung der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, zum anderen wegen des Fehlens einer Wettbewerbsbeschränkung, wobei man sich insbesondere auf das bekannte Handelsvertreterprivileg beruft. Beide Überlegungen sind indessen nicht überzeugend. Orientiert man sich in dem ersten Punkt an den Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels aus dem Jahre 200416, so mag die Eignung der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten bei zahlreichen lokalen und regionalen Tageszeitungen in der Tat zweifelhaft sein. Daraus kann man jedoch schwerlich die generelle Unanwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EGV auf die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften folgern17, weil die Situation insoweit bei den überregionalen Tageszeitungen und bei vielen Zeitschriften, die europaweit vertrieben werden, durchaus anders zu beurteilen sein dürfte. In derartigen Fallgestaltungen lässt sich deshalb der Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EGV auf die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr ausweichen. Auch diese Frage hat verschiedene Aspekte. Zunächst kann man sich fragen, ob die Rechtsprechung des EuGH zur (gesetzlichen) Buchpreisbindung, die sogenannte Leclerc-Doktrin, auf die vertragliche Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften übertragen werden kann18. Dafür mag manches sprechen. Das
__________
14 S. J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 87; Jestaedt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 12. 15 S. die Begründung (Fn. 12); zustimmend Jestaedt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 12; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 86 f.; Waldenberger, NJW 2002, 2914; wegen der Einzelheiten s. auch Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 18, 36, 107. 16 ABl. 2004 Nr. C 101/82. 17 Anders offenbar J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 86. 18 S. dazu Emmerich in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 11; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 86.
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würde aber zugleich bedeuten, dass – von Umgehungsfällen abgesehen – der grenzüberschreitende Handel mit Presseartikeln ebenso wie bei Büchern (s. § 4 BuchpreisbindungsG) entgegen den Vorstellungen der Gesetzesverfasser doch von dem Preisbindungsprivileg des § 30 GWB ausgenommen werden müsste, etwa analog § 4 BuchpreisbindungsG, – womit § 30 GWB freilich viel von seiner praktischen Bedeutung einbüßte19. Bleibt die Frage nach der Übertragbarkeit des sogenannten Handelsvertreterprivilegs auf den Pressevertrieb: Der Gerichtshof hat bekanntlich schon früh entschieden, dass auf Preisabsprachen zwischen Geschäftsherr und Handelsvertreter Art. 81 Abs. 1 EGV unter bestimmten Voraussetzungen keine Anwendung finden könne, wobei der Gerichtshof vor allem den Gesichtspunkt der Eingliederung des Handelsvertreters in die Vertriebsorganisation des Geschäftsherrn betont hatte20. Bei der Übertragung dieser Doktrin auf Fälle der vorliegenden Art ist indessen Zurückhaltung geboten, und dies gleich aus mehreren Gründen: Zunächst darf man nicht aus den Augen verlieren, dass jede Form der vertikalen Preisbindung zwischen Unternehmen auf verschiedenen Wirtschaftsstufen zu den schwerwiegensten Kernbeschränkungen gehört (s. Art. 81 Abs. 1 Hs. 2 lit. a EGV), für die grundsätzlich keine Freistellungsmöglichkeit besteht. Folgerichtig findet auch die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999 für Vertikalvereinbarungen vom 22.12.199921 nach ihrem Art. 4 lit. a generell keine Anwendung, wenn eine vertikale Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar die Beschränkung der Möglichkeiten des Käufers bezweckt, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen. Art. 1 lit. g der Verordnung fügt außerdem hinzu, dass Käufer in diesem Sinne auch Unternehmen sind, die für Rechnung anderer Unternehmen tätig werden. Das hört sich so an, als ob fortan für das Handelsvertreterprivileg gleichfalls kein Raum mehr sei. Dem steht jedoch entgegen, dass die Kommission zugleich in den Vertikalleitlinien vom 13.10.200022 die Voraussetzungen präzisiert hat, unter denen sie fortan (nur noch) das Handelsvertreterprivileg anerkennen will. Dazu gehören nun in der Tat – mit Billigung des EuGH – (unter anderem) das fehlende Eigentum des Vertreters an der Vertragsware sowie die Verlagerung des Vertriebsrisikos auf den Geschäftsherrn infolge des Remissionsrechts des Vertreters23. Das mag, obwohl der Pressevertrieb – natürlich – nicht unter § 84 HGB fällt, zumindest auf den ersten Blick, dafür sprechen, das Handelsvertreterprivileg
__________ 19 In diesem Sinne z. B. J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 86. 20 Wegen der Einzelheiten s. Emmerich in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2007, Art. 81 Abs. 1 Rz. 251 ff.; ders., Kartellrecht (Fn. 3), § 4 Rz. 90 ff. (S. 80 ff.); zuletzt EuGH v. 14.12.2006, EuZW 2007, 150 – CEPSA; Rittner in FS U. Huber, 2006, S. 1095, 1110 ff. 21 ABl. Nr. L 336/21. 22 ABl. Nr. C 291/1, 4 Tz. 12 ff. (auch abgedruckt z. B. bei Bechtold/Bosch u. a., EGKartellrecht, 2005, S. 996, 998 ff.). 23 Leitlinien (Fn. 22), Tz. 16; ebenso EuGH v. 14.12. 2006, EuZW 2007, 150 – CEPSA.
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auf den Pressevertrieb zu übertragen24. Die Folge wäre freilich, dass sich § 30 GWB endgültig als überflüssig erwiese, – womit dann auch kein Raum mehr für das Schriftformerfordernis des § 30 Abs. 2 GWB sowie für die Missbrauchsaufsicht des BKartA nach § 30 Abs. 3 GWB wäre – einfach deshalb, weil die vertikale Preisbindung für Presseartikel gar nicht unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EGV und damit auch nicht unter § 1 GWB fiele25. Die Gesetzesverfasser sehen dies indessen anders, und zwar mit guten Gründen. Wichtig ist vor allem, dass bei den Zeitungs- und Zeitschriftenhändlern offenkundig die Eingliederung in den Betrieb ihrer jeweiligen Lieferanten fehlt, worauf der EuGH vorrangig das Handelsvertreterprivileg stützt, so dass für die Anwendung dieses Privilegs z. B. kein Raum ist, wenn Handelsvertreter gleichzeitig für eine Vielzahl von Unternehmen tätig werden, die ihrerseits wieder mit zahlreichen Handelsvertretern zusammenarbeiten, und zwar deshalb, weil die Handelsvertreter dann als selbständige Absatzmittler erscheinen26. Aus denselben Erwägungen heraus ist, beiläufig bemerkt, auch die Eigenschaft der Buchgroßhändler als Handelsvertreter zu verneinen, obwohl ihnen ebenfalls vielfach von den Verlagen ein Remissionsrecht eingeräumt wird27. Wollte man die Dinge anders sehen, so würde sich im übrigen das ganze Buchpreisbindungsgesetz gleichfalls als gegenstandslos erweisen. Die hier befürwortete Sicht der Dinge entspricht genau der Einschätzung der Rechtslage durch die Kommission, wie sie gleichermaßen in der erwähnten Stellungnahme zu der belgischen Preisbindung für Presseerzeugnisse28 wie in den Vertikalleitlinien von 1999 zum Ausdruck kommt, nach denen für die Anwendung des Handelsvertreterprivilegs unter anderem dann kein Raum ist, wenn der Absatzmittler verpflichtet ist, in Absatzförderungsmaßnahmen zu investieren oder wenn er von sich aus in geschäftsspezifische Ausrüstungen, Räumlichkeiten oder Mitarbeiterschulungen investiert29, wie es wohl durchweg für den Zeitungs- und Zeitschriftenhandel zutreffen dürfte. Genau deshalb erwägt die Kommission auch nur die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EGV auf den Pressevertrieb. Vor diesem Hintergrund besagt der umstrittene Art. 1 lit. g der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999 wohl lediglich, dass auf sogenannte unechte Handelsvertreter, d. h. solche, die wie die Zeitungs- und Zeitschriftenhändler dem Art. 81 EGV unterfallen, dann auch die Gruppenfreistellungsverordnung Anwendung findet30.
__________ 24 So in der Tat Jestaedt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 12; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 87. 25 So in der Tat Jestaedt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 12; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 87. 26 Grdlg. EuGH v. 1.10.1987, Slg. 1987, 3821, 3827 ff. – Flämisches Reisebüro. 27 S. v. Becker, ZUM 2002, 171, 177 f. = in Martinek/Semler/Habermeier (Fn. 7), S. 1178 ff. 28 29. Wettbewerbsbericht 1999, Brüssel 2000, S. 181 f. – AMP. 29 Leitlinien Tz. 16, 2. und 5. Spiegelstrich in Verb. mit Tz. 17; ebenso EuGH v. 14.12.2006, EuZW 2007, 150 – CEPSA. 30 S. z. B. Bechtold/Bosch, EG-Kartellrecht, VO Nr. 2790/1999 Art. 1 Rz. 23, Art. 4 Rz. 8 (S. 378 f., 398).
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Dies führt unmittelbar zu Art. 81 Abs. 3 EGV und zu § 2 GWB von 2005 und damit letztlich zu der Frage, ob nicht der Pressevertrieb von der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999 profitieren kann. In der Tat dürften die Marktanteilsschwellen des Art. 3 der genannten Verordnung bei dem Pressevertrieb nur selten überschritten sein, abhängig freilich letztlich von der schwierigen Marktabgrenzung bei Presseerzeugnissen (s. dazu Art. 9 der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999). Diese Frage kann hier nicht weiter vertieft werden. Insgesamt wird aber doch deutlich, dass in der Tat die der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften von Art. 81 Abs. 1 EGV drohenden Gefahren als eher gering einzustufen sind.
IV. Zeitungen, Zeitschriften oder was sonst? Anders als noch § 15 GWB von 1998 regelt heute § 30 GWB von 2005 allein die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften, während die praktisch weit bedeutsamere Buchpreisbindung seit 2002 eine besondere Regelung in dem bereits mehrfach erwähnten Buchpreisbindungsgesetz von 2002 gefunden hat31. Buchpreisbindung und die Preisbindung für Presseerzeugnisse gehen seitdem getrennte Wege – mit der Folge, dass es auf einmal notwendig geworden ist, innerhalb der Verlagserzeugnisse zwischen Büchern (die dem Buchpreisbindungsgesetz unterfallen) sowie Zeitungen und Zeitschriften im Sinne des § 30 GWB zu unterscheiden. Weder das Buchpreisbindungsgesetz von 2002 noch das GWB definieren jedoch, was im Sinne der jeweiligen Regelung unter Büchern oder unter Zeitungen zu verstehen sein soll. § 2 Abs. 1 des Buchpreisbindungsgesetzes bestimmt lediglich, dass zu den Büchern im Sinne dieses Gesetzes auch Musiknoten, kartographische Produkte sowie die Substitute und Kombinationsprodukte gehören, nicht jedoch fremdsprachige Bücher (§ 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 und Abs. 2 BuchpreisbindungsG)32. Sucht man an anderen Stellen nach weiterhelfenden Begriffsbestimmungen, so wird man zunächst bei der bereits erwähnten Buchhändlerischen Verkehrsordnung fündig. Nach ihr sind unter Zeitungen und Zeitschriften periodisch erscheinende Druckwerke mit mindestens zwei Ausgaben im Jahr in gleicher Form und Aufmachung zu verstehen, die Beiträge mehrerer Autoren enthalten, für eine unbegrenzte Erscheinungsdauer konzipiert sind und abonniert werden können33. Vergleichbare Begriffsbestimmungen finden sich in verschiedenen Landespressegesetzen. Im Anschluss hieran wird das unterscheidende Kriterium von Büchern und Presseerzeugnissen überwiegend in der periodischen Erscheinungsweise der letzteren sowie in den unterschiedlichen Vertriebswegen von Büchern und Presseerzeugnissen gesehen; freilich verschieben sich die Grenzen gerade in dem zuletzt genannten Punkt zunehmend, da Zeitschrif-
__________ 31 BGBl. I, S. 3448, 3670 = GRUR 2003, 38. 32 Wegen der Einzelheiten s. Emmerich in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 19 ff.; Jestaedt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 16 ff.; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 12 ff.; Franzen/Wallenfels/Russ (Fn. 1), § 2 (S. 41 ff.). 33 § 7 Nr. 1 der VerkehrsO; s. v. Becker, ZuM 2002, 171, 174 ff.
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ten in wachsendem Maße auch über den Buchhandel vertrieben werden. Man denke nur an das breite Spektrum der Fachzeitschriften. Satz 2 des § 30 Abs. 1 GWB erstreckt das Preisbindungsprivileg für Zeitungen und Zeitschriften im Anschluss an die vorausgegangene Rechtsprechung34 und in Übereinstimmung mit dem § 2 Abs. 1 Nr. 3 des BuchpreisbindungsG von 2002 außerdem auf die sogenannten Substitute, d. h. auf Produkte, die Zeitungen oder Zeitschriften reproduzieren oder substituieren und bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlagstypisch anzusehen sind. Gemeint sind damit wohl in erster Linie Zeitungen und Zeitschriften, die in elektronischer Form erscheinen, vorausgesetzt, dass sie bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend „verlagstypisch“ anzusehen sind, womit gesagt sein soll, dass ihr Vertriebsweg im wesentlichen dem herkömmlichen Vertriebsweg für Presseerzeugnisse entsprechen muss35. Entscheidend ist, anders gewendet, letztlich die Ersatzfunktion für Zeitungen oder Zeitschriften, so dass das betreffende elektronische Medium Lesestoff enthalten muss, der herkömmlich den Benutzern auf dem Weg über Zeitungen oder Zeitschriften zur Verfügung gestellt wird. Nicht erforderlich ist dagegen, dass zugleich eine gedruckte Version vorliegt; vielmehr fallen auch Zeitungen und Zeitschriften, die von vornherein nur noch über das Internet verbreitet werden, unter § 30 Abs. 1 Satz 2 GWB, so dass sie preisbindungsfähig sind. Die genaue Grenzziehung interessiert hier nicht, wohl aber die Frage, wie man etwa bei Zeitungen, die nur noch in elektronischer Form erscheinen, weiterhin das Preisbindungsprivileg des § 30 GWB rechtfertigen will, da hier naturgemäß für ein Dispositionsrecht der Verlage ebensowenig wie für ein Remissionsrecht des Handels Raum ist. Im Schrifttum wird zu diesem Zweck, ein offenbares Verlegenheitsargument, auf die drohende Gefahr für die Lückenlosigkeit der Preisbindung bei Freigabe der Preise im Internet hingewiesen36. Aber damit wäre nur wieder einmal bewiesen, dass eine Intervention gegen den Wettbewerb (hier in Gestalt des überflüssigen § 30 GWB) stets alsbald als Rechtfertigung für die nächste „noch grundlosere“ Intervention herhalten muss. Freilich dürfte sich die praktische Relevanz dieses „Problems“ in sehr engen Grenzen halten, da Internetzeitungen nahezu ausschließlich von den Verlagen selbst herausgegeben werden, die damit ohnehin die Preisgestaltung in der Hand behalten. Fragen der Preisbindung stellen sich daher hier von vornherein in der Regel überhaupt nicht. § 30 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 GWB von 2005 eröffnet schließlich noch die Möglichkeit der Preisbindung bei sogenannten kombinierten Produkten, vorausgesetzt, dass eine Zeitung oder Zeitschrift im Vordergrund steht. Vorbild der gesetzlichen Regelung war insoweit § 2 Abs. 1 Nr. 4 des Buchpreisbindungs-
__________ 34 S. insbes. BGH v. 11.3.1997, BGHZ 135, 74, 78 ff. = NJW 1997, 1911 – CD-ROM. 35 S. Bechtold, Kartellgesetz, 3. Aufl. 2002, § 15 KartG Rz. 9; Emmerich in Immenga/ Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 23 ff.; Franzen/Wallensfels/Russ (Fn. 1), § 15 Rz. 4 (S. 166 ff.); Jesteadt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 19 f.; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 14 ff.; Wallenberger, NJW 2002, 2914, 2918. 36 So z. B. J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 16.
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gesetzes, nach dem zu den Büchern im Sinne dieses Gesetzes gleichfalls kombinierte Objekte gehören, bei denen eines der dort genannten Erzeugnisse (Bücher, Musiknoten, kartographische Produkte oder Substitute) die Hauptsache bildet. Wie weit danach tatsächlich die Preisbindung für Presseerzeugnisse auf kombinierte Produkte erstreckt werden kann, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt37. Die Frage ist von einiger Brisanz, da sich Kombinationsprodukte auf dem Pressemarkt zunehmender Beliebtheit erfreuen, um den Absatz insbesondere von Zeitschriften „anzukurbeln“, wofür sich so schöne deutsche Wörter wie „Add-ons, Gadgets und Covermounts“ eingebürgert haben. Beispiele sind die Kombination einer Zeitschrift mit Rezepten, mit geringwertigen Küchengeräten38 oder mit einer Sonnenbrille39. In der Frage der Zulässigkeit derartiger Kombinationsprodukte sind unterschiedliche Tendenzen festzustellen: Während die einen Autoren – vor allem mit Rücksicht auf die wettbewerbspolitische Problematik des § 30 GWB – das Gesetz insoweit möglichst restriktiv handhaben wollen, so dass im wesentlichen nur eine Kombination von Presseerzeugnissen mit anderen Produkten in Betracht kommt, die einen zusätzlichen Informationsgehalt besitzen40, setzt sich in jüngster Zeit immer mehr die gegenteilige Auffassung durch, nach der § 30 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 GWB auch eine Kombination von Zeitungen und Zeitschriften mit anderen, an sich nicht preisbindungsfähigen Waren zulässt41. Dieser weitergehenden Auffassung hat sich mittlerweile auch der BGH angeschlossen und deshalb die Kombination einer Frauenzeitschrift mit einer Sonnenbrille gestattet. Zur Begründung hat der BGH vor allem auf den weitgespannten Zweck des § 30 GWB abgestellt, aus dem sich ergebe, dass es nur darauf ankomme, ob sich das kombinierte Produkt nach Ankündigung, Aufmachung und Vertriebsweg aus Sicht des Verbrauchers insgesamt noch als Presseerzeugnis darstelle. Bei der Verbindung einer Frauenzeitschrift mit einer Sonnenbrille sei dies der Fall, weil die Zeitschrift über den normalen Vertriebsweg vertrieben werde und die Sonnenbrille ersichtlich nur als kostenlose Zugabe diene42. In einem Teil des Schrifttums wird darüber hinaus sogar mit Rücksicht auf den weitergehenden Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 4 BuchpreisbindungsG die Zulassung einer Kombination von Presseerzeugnissen mit
__________ 37 S. im Einzelnen Bechtold (Fn. 35), § 15 Rz. 9; Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 25–30; Franzen/Wallenfels/Russ (Fn. 1), § 15 Rz. 5 (S. 168); Freytag/Gerlinger, WRP 2004, 537; Jesteadt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 21–23; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 17 f.; Soppe, WRP 2005, 565. 38 OLG Hamburg v. 4.12.1997, NJW 1998, 1085 = WuW/E DER 66, 67 f. – Pastabesteck. 39 BGH v. 22.9.2005, NJW-RR 2006, 409 = AfP 2005, 555 = GRUR 2006, 161 = WuW/E DER 1604. 40 So Bechtold (Fn. 35), § 15 Rz. 4; Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 30; Franzen/Wallensfels/Russ (Fn. 1), § 15 Rz. 5 (S. 168); Soppe, WRP 2005, 565, 567. 41 So Freytag/Gerlinger, WRP 2004, 537, 540; Jesteadt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 22; J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 18. 42 BGH v. 22.9.2005, NJW-RR 2006, 409 = AfP 2005, 555 = GRUR 2006, 161, 163 = WuW/E DER 1604, 1607.
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Dienstleistungen, z. B. einer Frauenzeitschrift mit einem Gutschein für eine Frisur gefordert43. Das Bedenkliche einer solchen betont großzügigen Interpretation des Preisbindungsprivilegs des § 30 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 GWB für kombinierte Produkte liegt auf der Hand. § 30 GWB darf keinen bequemen Weg eröffnen, durch die Verbindung beliebiger Waren oder gar Dienstleistungen mit Presseerzeugnissen durch die Hintertür die bereits 1973 überwunden geglaubte Preisbindung für Markenartikel zumindest partiell wieder einzuführen. Deshalb ist daran festzuhalten, dass die genannte Vorschrift nur eine Kombination von Zeitungen und Zeitschriften mit Produkten gestattet, die einen eigenen Informationsgehalt besitzen, und auch dies nur unter der weiteren Voraussetzung, dass nach dem äußeren Erscheinungsbild, dem Preisverhältnis und dem Vertriebsweg die Zeitung oder Zeitschrift für die jeweils angesprochenen Verbraucherkreise im Vordergrund steht, so dass es sich letztlich eben um eine Zeitung oder Zeitschrift mit Zusatzinformationen handelt44.
V. Nur vertikale Preisbindung § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB gestattet seinem Wortlaut nach allein die „vertikale Preisbindung“ für Zeitungen und Zeitschriften. Den Gegensatz bildet – natürlich – die horizontale Preisbindung, so dass § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB – ebenso wie insbesondere die §§ 3 Abs. 1, 20 Abs. 1 und 28 GWB – weiterhin die Aufgabe stellt, zwischen horizontalen und vertikalen Vereinbarungen zu unterscheiden, obwohl an sich mit der 7. GWB-Novelle von 2005 im Anschluss an Art. 81 Abs. 1 EGV die intrikate Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Vereinbarungen aufgegeben werden sollte. Die genannten Vorschriften des GWB von 2005 machen aber deutlich, dass es offenbar in der Natur der Sache liegende Unterschiede zwischen horizontalen und vertikalen Vereinbarungen gibt, die auch unter dem Regime der Generalklausel des § 1 GWB ebenso wie bei Art. 81 Abs. 1 EGV zu einer unterschiedlichen Behandlung horizontaler und vertikaler Vereinbarungen zwingen. In dieselbe Richtung weisen unverkennbar die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999 vom 22.12. 1999 für Vertikalvereinbarungen45 sowie die ganz unterschiedlichen Vertikalund Horizontalleitlinien der Kommission von 2000 und 200146. Bei der somit weiterhin nötigen Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Vereinbarungen im Rahmen des § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB fällt der Blick naturgemäß zunächst auf die Praxis zu den früheren §§ 1 und 14 GWB von 1998, die noch generell zwischen (horizontalen) Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen (so § 1 GWB a. F.) und
__________ 43 So J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 18; anders zu Recht Soppe, WRP 2005, 565, 567. 44 S. die Genannten (Fn. 41); ebenso LG Hamburg, Beschl. v. 11.7.2004 – 312 O 621/04; Urt. v. 31.8.2004 – 407 O 183/04. 45 ABl. Nr. L 336/21. 46 ABl. 2000 Nr. C 291/1; 2001 Nr. C 3/2.
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Die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften
„Vertikalvereinbarungen“ (so die §§ 14 bis 18 GWB a. F.) unterschieden. Viel gewonnen wäre damit freilich angesichts der verworrenen und widersprüchlichen Rechtsprechung zu § 1 GWB a. F. nicht, gekennzeichnet durch eine Konkurrenz zahlreicher unterschiedlicher inkonsistenter Abgrenzungskriterien47. Im Schrifttum wird statt dessen teilweise vorgeschlagen, zur Abgrenzung auf die Kriterien des Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999 für Vertikalvereinbarungen zurückzugreifen48. Vertikalvereinbarungen sind danach Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren (unter anderem) weiter verkaufen können. Die genannten Kriterien mögen in der Tat von Fall zu Fall bei der Grenzziehung hilfreich sein. Letztlich entscheidend kann aber nur der Zweck der ausdrücklichen Beschränkung des Preisbindungsprivilegs für Presseerzeugnisse auf „vertikale Preisbindungen“ sein. Und über diesen kann nun kein Zweifel bestehen: Durch § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB soll verhindert werden, dass unter dem Deckmantel der „vertikalen“ Preisbindung für Presseerzeugnisse Preiskartelle der Verleger praktiziert werden. Preiskartelle gelten allgemein als schwerster Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EGV und damit auch gegen § 1 GWB. Sie bilden gleichsam den „Kern“ der stets verbotenen und grundsätzlich auch nicht freistellungsfähigen Kernbeschränkungen, der sogenannten hardcoreKartelle, wie die Europäische Kommission zu betonen nicht müde wird49. Hält man sich dies vor Augen, so sollte – in § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB! – die Abgrenzung zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen nicht schwerfallen: Eine horizontale und damit weiterhin verbotene Wettbewerbsbeschränkung liegt immer schon dann vor, wenn die Preisbindung das Ergebnis einer Vereinbarung des die Preisbindung einführenden Herstellers von Zeitungen oder Zeitschriften, d. h. des Verlegers mit anderen Unternehmen bildet, bei denen es sich gleichermaßen um andere Verleger wie um sonstige Unternehmen einschließlich der Groß- und Einzelhändler handeln kann. Denn in jedem Fall liegt dann ein – immer verbotenes – Preiskartell vor, das nicht freistellungsfähig ist. Für die Anwendung des § 30 Abs. 1 GWB ist daher nur Raum, wenn die Einführung der Preisbindung auf dem autonomen Entschluss des betreffenden Verlegers beruht und gerade deshalb „vertikalen“ Charakter trägt. Mit der Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Preisbindungen in § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB ist folglich nichts anderes als die herkömmliche Unterscheidung zwischen der autonomen und der heteronomen Preisbindung gemeint. Damit ist zugleich gesagt, dass der preisbindende Verlag immer der
__________ 47 S. zuletzt Emmerich, Kartellrecht (Fn. 3), § 20 Rz. 14 ff. (S. 265 ff.) m. N. 48 S. J. B. Nordemann (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 19 ff. 49 S. z. B. die Horizontal-Leitlinien von 2001 Tz. 25, ABl. Nr. C 3/2; die Leitlinien zu Art. 81 Abs. 3 v. 27.4.2004 Tz. 23, ABl. Nr. C 101/97.
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Volker Emmerich
„Herr der Preisbindung“ bleiben muss, wie es üblicherweise ausgedrückt wird, so dass er auf die Preisbindung auch jederzeit wieder einseitig verzichten kann50. Nicht nur eine Abstimmung mit anderen Verlegern über die Einführung der Preisbindung führt somit (unstreitig) in den Anwendungsbereich des Kartellverbots (§ 1 GWB; Art. 81 EGV), sondern ebenso jede Absprache darüber mit anderen Unternehmen einschließlich insbesondere der Groß- und Einzelhändler. Denn auch dann überwiegen die horizontalen Elemente, so dass es sich um eine verbotene Kernbeschränkung und nicht mehr um eine „bloße“ vertikale Preisbindung im Sinne des § 30 Abs. 1 GWB handelt. Die Bedenken, die sich daraus gegen das bei Zeitschriften teilweise noch praktizierte Sammelreversverfahren ergeben, liegen auf der Hand, da dieses System – zumal bei Einschaltung eines gemeinsamen Treuhänders der Verlage –, realistisch gesehen, nur aufgrund einer konkludenten Abstimmung der Beteiligten über ihre gemeinsame Vorgehensweise funktionieren kann. Zu Recht wird deshalb z. B. das Sammelreversverfahren in der Schweiz – auf in jeder Hinsicht vergleichbarer gesetzlicher Grundlage – durchweg als verbotenes Kartell eingestuft51. Die abweichende deutsche Praxis verdient keine Zustimmung52.
VI. Schluss Die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften verdankt, nüchtern betrachtet, ebenso wie die Buchpreisbindung ihr Überleben allein der Angst der Politiker vor den Verlegern, auf deren Wohlwollen sie angewiesen zu sein meinen. Alles andere ist Ideologie, sonst nichts. Insbesondere gibt es keinen zwingenden sachlichen Zusammenhang zwischen dem Remissionsrecht des Handels und der Preisbindung, da bei einer Aufhebung der Preisbindung die Preise für Zeitungen und Zeitschriften nicht etwa steigen, sondern sinken würden. Es wird daher Zeit, endlich mit den Privilegien für Verlagserzeugnisse in Gestalt des überflüssigen Buchpreisbindungsgesetzes und des § 30 GWB Schluss zu machen, damit Bücher und Zeitschriften billiger und damit für die Leser ebenso wie für die wissenschaftlichen Bibliotheken wieder erschwinglich werden.
__________ 50 S. statt aller Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 40, 48, 50, 97 m. N.; Jesteadt (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 25. 51 Grdlg. SchweizBG v. 14.8.2002, BGE 129 (2003) II, S. 18, 29 ff.; v. 6.2.2007, WuW/E KRInt 147; Schweiz. Wettbewerbskommission, 21.3.2005, WuW/E KRInt 89, 90 f. Tz. 31 ff.; Schweiz. Rekurskommission v. 11.7.2006, WuW/E KRInt 137; s. im Einzelnen Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Fn. 2), § 30 GWB Rz. 43–45. 52 S. BGH v. 9.7.1985, LM Nr. 32 zu § 1 GWB = NJW-RR 1986, 259 = WuW/E BGH 2175; BGH v. 21.11.1989, LM Nr. 18 zu § 16 GWB (Bl. 2 f.) = NJW 1990, 1993 = WuW/E BGH 2615; dagegen wie hier LG Düsseldorf, WuW/E LG/AG 589 ff.
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Wandelbare Vorzugsaktien, insbesondere aus genehmigtem Kapital* Inhaltsübersicht I. Grundlagen II. Präzisierung des Themas und Gang der Darstellung III. Zulässigkeit wandelbarer Vorzugsaktien im Allgemeinen 1. Kennzeichen wandelbarer Vorzugsaktien 2. Zulässigkeit und Ausgestaltung des Wandlungsrechts a) Auflösend bedingter oder befristeter Vorzug b) Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien im Wege des „Aktientauschs“ aa) Austausch der Aktienurkunde bb) Urkundenaustausch als Voraussetzung des Wegfalls des Vorzugs
cc) Austausch der Mitgliedschaft 3. Zwischenergebnis IV. Ermächtigung des Vorstands zur Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien 1. Der aktienrechtliche Rahmen im Überblick 2. Ermächtigung des Vorstands zur Festlegung der Aktiengattung 3. Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien im Besonderen 4. Zwischenergebnis V. Zur Frage der Zurechnung bedingter Stimmrechte nach § 22 WpHG und § 30 WpÜG 1. Grundlagen 2. Folgerungen für die Erwerbsposition der Vorzugsaktionäre 3. Zwischenergebnis VI. Resümee
I. Grundlagen In einem vor knapp zehn Jahren erschienenen Beitrag hat Harm Peter Westermann die juristische Methodenlehre um das Phänomen der „Rechtsrückbildung“ bereichert1. Als Beispiel der „richterlichen Rechtsrückbildung“ hat er seinerzeit namentlich die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH zum Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital ausgemacht, die, ausgehend von dem „Holzmann“-Urteil2 und flankiert durch die Neuregelung § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG und damit durch einen Akt der „gesetzgeberischen Rechtsrückbildung“3, in das „Siemens/Nold“-Urteil vom 23.6.19974 gemündet ist
__________ * Herrn RA Stephan F. Oppenhoff, Linklaters, Frankfurt a. M., danke ich für anregende Gespräche. 1 Westermann in FS Zöllner, Bd. 1, 1998, S. 607 ff. 2 BGH, BGHZ 83, 319, 321 ff. 3 Eingefügt durch Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994 (BGBl. I, S. 1961). 4 BGH, BGHZ 136, 133.
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Mathias Habersack
und seitdem ihren zumindest vorläufigen Abschluss in den beiden Urteilen vom 10.10.2005 in Sachen „Commerzbank/Mangusta“5 gefunden haben dürfte. Nach „Siemens/Nold“ genügt es nämlich für eine wirksame Ermächtigung des Vorstands zum Ausschluss des Bezugsrechts gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG, dass die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird. Der Vorstand darf zwar von der Ermächtigung nur Gebrauch machen, wenn das konkrete Vorhaben den Ausschluss des Bezugsrechts rechtfertigt; auch sieht er sich insoweit der Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft und den Aktionären ausgesetzt6. Die mit „Siemens/Nold“ einher gehende Zulässigkeit der Vorratsermächtigung7 gibt jedoch den Aktionären die Möglichkeit, die Stellung des Vorstands innerhalb der AG ganz ungemein zu stärken. Eine ganz vergleichbare Entwicklung ist auf dem Gebiet der „ungeschriebenen“ Hauptversammlungszuständigkeiten“ festzustellen. Insoweit hat zwar der II. Zivilsenat des BGH in seinen „Gelatine“-Entscheidungen vom 26.4.20048 bei Lichte betrachtet nur entschieden, dass die gut zwanzig Jahre zuvor ergangene „Holzmüller“-Entscheidung9 – entgegen großzügigeren Tendenzen in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum10, aber ganz im Einklang mit dem Jubilar11 – beim Worte zu nehmen und ungeschriebene Zuständigkeiten der Hauptversammlung deshalb nur „ausnahmsweise und in engen Grenzen anzuerkennen“ seien. Spätestens der Nichtannahmebeschluss des Senats vom 20.11.200612 hat indes in aller Deutlichkeit das von vielen Vorständen als Gespenst empfundene „Holzmüller“-Urteil endgültig seines Drohpotentials beraubt. Denn in diesem Beschluss bestätigt der BGH, was schon aus „Gelatine“ herauszulesen und vor „Gelatine“ anzuerkennen war13, dass nämlich ein Mediatisierungseffekt von der Beteiligungsveräußerung gerade nicht ausgeht und deshalb Veräußerungsvorgänge schon ihrer Art
__________ 5 BGH, BGHZ 164, 241 und 249. 6 Zur Geltendmachung der Rechtswidrigkeit des Bezugsrechtsausschlusses durch den Aktionär im Wege der Unterlassungs- und der Feststellungsklage s. BGH, BGHZ 164, 249, 254 ff. sowie bereits BGH, BGHZ 136, 133, 140 f.; zur materiell-rechtlichen Lage, insbesondere zu Ansprüchen der Aktionäre gegen Gesellschaft und Organwalter, s. Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 203 AktG Rz. 173 ff.; Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 129 ff.; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 203 AktG Rz. 38 f.; Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 574 ff.; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 258 ff.; ders., DStR 1998, 533 ff., 537. 7 Hüffer (Fn. 6), § 203 AktG Rz. 29. 8 BGH, BGHZ 159, 30; BGH, NZG 2004, 575; dazu Goette, AG 2006, 522 ff.; Arnold, ZIP 2005, 1573 ff.; Habersack, AG 2005, 137 ff.; Reichert, AG 2005, 150 ff. 9 BGH, BGHZ 83, 122. 10 Vgl. die Nachw. bei Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, Vor § 311 AktG Rz. 41 ff., 46 ff. 11 Westermann, ZGR 1984, 352 ff.; ders. in FS Koppensteiner, 2001, S. 259 ff. 12 BGH, ZIP 2007, 24 mit Anm. von v. Falkenhausen. 13 Vgl. neben den Nachw. in Fn. 8 bereits Habersack, DStR 1998, 533, 534 ff.; zu weit. Nachw. s. dens. in Emmerich/Habersack (Fn. 10), Vor § 311 AktG Rz. 43 f.
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nach nicht unter „Gelatine“ fallen, vielmehr allein unter den Voraussetzungen des § 179a AktG der Mitwirkung der Hauptversammlung bedürfen. Vor diesem Hintergrund können die Aktionäre die Leitungsbefugnisse des Vorstands in erster Linie durch die Ausgestaltung des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands steuern und limitieren14. Von dieser Möglichkeit machen die Aktionäre indes, wie ein Blick auf die Satzungen von Publikumsgesellschaften zeigt, so gut wie keinen Gebrauch. Statt dessen geben sie dem Vorstand über Gegenstandsbestimmungen, die in sachlicher Hinsicht kaum Begrenzungen aufweisen und zudem die Verfolgung des Unternehmensgegenstands durch Tochtergesellschaften und den Erwerb und die Veräußerung von Beteiligungen erlauben, größtmögliche Handlungsfreiheit. Zumal im Zusammenspiel mit einem großzügig bemessenen genehmigten Kapital nebst der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss sowie einer Ermächtigung zum Erwerb und zu Veräußerung eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG lässt sich deshalb für viele Gesellschaften eine von den Aktionären selbst zu verantwortende dramatische Schwächung der Hauptversammlung feststellen. Da die Ausübung des genehmigten Kapitals und der Ausschluss des Bezugsrechts schon nach § 204 Abs. 1 Satz 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen und der Aufsichtsrat im Übrigen regelmäßig aufgrund von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG an bedeutenden Erwerbsund Veräußerungsvorgängen mitwirkt, geht mit der Schwächung der Hauptversammlung nicht nur eine Stärkung des Leitungsorgans, sondern zugleich eine solche des Überwachungsorgans einher, so dass die Entwicklung nicht den im Aufsichtsrat repräsentierten maßgeblich beteiligten Aktionären, wohl aber dem Kleinaktionär zum Nachteil gereicht. Nicht zuletzt hieraus dürfte sich die Freigiebigkeit der Hauptversammlung denn auch erst erklären.
II. Präzisierung des Themas und Gang der Darstellung Angesichts des dargelegten Hintergrundes mag es auf das Interesse des Jubilars stoßen, einen zwar nicht im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion stehenden, dogmatisch indes nicht minder reizvollen und praktisch zudem überaus bedeutsamen Bereich des Vorstandshandelns einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Die Rede ist von der Entscheidung über den Inhalt der in Ausübung eines genehmigten Kapitals geschaffenen Aktienrechte im Allgemeinen und über die Aktiengattung im Besonderen. Nach § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG entscheidet hierüber und über die Bedingungen der Aktienausgabe der Vorstand, soweit die Ermächtigung keine Bestimmungen enthält. Auch insoweit begegnet also das bereits im Zusammenhang mit der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung und zum Bezugsrechtsausschluss angedeutete Phänomen, dass die Hauptversammlung Entscheidungen, die für die Aktionäre von großer Bedeutung sind, selbst treffen, aber auch auf Vorstand und Aufsichtsrat delegieren kann. Dies sei im Folgenden am Beispiel wandelbarer Vorzugsaktien er-
__________
14 Zu den Grenzen dieser Befugnis s. aber auch OLG Stuttgart, ZIP 2007, 231; AG Stuttgart, NZG 2006, 598.
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läutert. Bei diesen Aktien handelt es sich um Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, die mit dem Recht des Aktionärs oder auch der Gesellschaft ausgestattet sind, die Umwandlung der Aktie in Stammaktien verlangen zu können. Die Frage ist zunächst, ob solche Aktien de lege lata überhaupt – sei es durch reguläre Kapitalerhöhung oder durch Ausübung eines genehmigten Kapitals – begeben werden können. Ihr ist in einem ersten Schritt (unter III.) nachzugehen; dabei sollen auch mögliche Motive für die Ausgabe wandelbarer Aktien dargestellt werden. In einem zweiten Schritt (unter IV.) ist zu fragen, ob der Vorstand zur Ausgabe solcher Aktien ermächtigt werden kann und, wenn ja, ob eine entsprechende Ermächtigung der Konkretisierung bedarf. Mit der Rechtsnatur wandelbarer Vorzugsaktien eng zusammen hängt schließlich die Frage, ob diese Aktien auch schon vor Umwandlung in Stammaktien bei Ermittlung der Melde- und Kontrollschwellen des WpHG und des WpÜG zu berücksichtigen sind; ihr ist unter V. nachzugehen.
III. Zulässigkeit wandelbarer Vorzugsaktien im Allgemeinen 1. Kennzeichen wandelbarer Vorzugsaktien Wandelbare Vorzugsaktien sind als solche nicht im AktG geregelt. Im Kern handelt es sich bei ihnen indes um Vorzugsaktien im Sinne der §§ 139 ff. AktG. Ihre Besonderheit besteht allein darin, dass sie ein Recht auf Umtauch in Stammaktien verkörpern. Sie sind damit einer Wandelschuldverschreibung vergleichbar, unterscheiden sich indes von dieser schon im Ansatz dadurch, dass nicht eine Anleihe in Grundkapital einzutauschen ist15, vielmehr allein die Aktiengattung geändert werden soll. Dagegen kann der Umstand, dass eine Wandelschuldverschreibung nach dem Wortlaut des § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG durch das Wandlungsrecht des Anleihegläubigers (und nicht der Gesellschaft) gekennzeichnet ist, während wandelbare Vorzugsaktien auch mit einem Wandlungsrecht der Gesellschaft ausgestattet sein können16, vernachlässigt werden. Denn nach heute wohl herrschender Meinung schließt es auch § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht aus, Anleihen zu begeben, die mit einem Umtauschrecht der Gesellschaft oder mit einer Wandlungspflicht des Gläubigers ausgestattet sind. Die Frage ist allein, ob auch insoweit § 221 AktG anzuwenden ist; dies wiederum ist zu bejahen17. Wandelbare Vorzugsaktien gewähren, ihre Zulässigkeit unterstellt, dem Wandlungsberechtigten ein hohes Maß an Flexibilität hinsichtlich der Ausgestal-
__________ 15 Zur Rechtsnatur der Wandelschuldverschreibung und des Umtauschrechts s. noch unter V.2., ferner Habersack in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 221 AktG Rz. 27 ff., 223 ff. 16 Näher dazu unter III.2.a). 17 Habersack in MünchKomm.AktG (Fn. 15), § 221 AktG Rz. 11, 52 f. m. w. N.; eingehend zur Pflichtwandelanleihe Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, 2000; Rozijn, ZBB 1998, 77 ff.; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266 f.; Kleidt/ Schierbeck, BKR 2004, 18 ff.
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tung der Aktienrechte. Was zunächst ein Wandlungsrecht der Gesellschaft betrifft18, so würde es ihr die Möglichkeit verschaffen, auf die Gesamtzahl der Stimmrechte und damit auf das Stimmengewicht unter den Aktionären Einfluss zu nehmen. Zwar handelt es sich bei dem Stimmrecht um ein mitgliedschaftliches Recht, dessen Ausübung grundsätzlich im Belieben des Aktionärs steht, weshalb sich die Umwandlung von Vorzugs- in Stammaktien nicht notwendigerweise auf die Beschlussfassung der Aktionäre auswirken muss. Zumal bei nicht börsennotierten Gesellschaften sowie ganz allgemein bei nicht nur atomistisch beteiligten Aktionären dürfte aber die Ausübung bestehender Rechte doch den Regelfall bilden. Praktisch bedeutsamer dürfte indes ein Wandlungsrecht des Aktionärs sein. Es verschafft dem Aktionär die Möglichkeit, den Vorzug bei Verteilung des Gewinns bei Bedarf aufzugeben und sich im Gegenzug das mit einer Stammaktie verbundene Stimmrecht zu verschaffen. Eine solche Umwandlung mag sich etwa anbieten, wenn der Aktionär – etwa aufgrund einer bereits eingetretenen oder sich abzeichnenden Veränderung im Aktionariat – auf Einflussnahme angewiesen ist. 2. Zulässigkeit und Ausgestaltung des Wandlungsrechts Die Frage der Zulässigkeit wandelbarer Vorzugsaktien ist auf das Engste mit der Ausgestaltung des Wandlungsrechts verknüpft. Insoweit sind schon im Ansatz zwei Ebenen auseinander zu halten: Zu unterscheiden ist zwischen der materiell-rechtlichen, den Inhalt der Mitgliedschaften betreffenden Ebene einerseits (dazu unter a) und der wertpapierrechtlichen und damit die Verlautbarung des Inhalts der Mitgliedschaftsrechte betreffenden Seite andererseits (dazu unter b). a) Auflösend bedingter oder befristeter Vorzug Nach § 141 Abs. 4 AktG gewähren die Aktien das Stimmrecht, wenn der Vorzug aufgehoben ist. Im Allgemeinen gehen dem ein Beschluss der Hauptversammlung und ein Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 1 AktG voraus. Mit Vorliegen der Voraussetzungen des § 141 Abs. 4 AktG ändert sich der Inhalt der bestehenden Aktienrechte; aus Vorzugsaktien werden Stammrechte, ohne dass sich an der Identität der Mitgliedschaften etwas ändert und ohne dass es der Schaffung neuer Mitgliedschaften in Form von Stammaktien bedarf19. Zu einem Wegfall des Vorzugs kann es freilich auch anderweitig kommen. Die herrschende Lehre hält namentlich die Ausgabe von mit auflösend bedingtem oder befristetem Vorzug ausgestatteten Vorzugs-
__________ 18 Zu dessen Zulässigkeit s. unter III.2.a). 19 Die Rechtslage unterscheidet sich damit von derjenigen bei Ausübung des mit einer Wandelschuldverschreibung verbundenen Wandlungsrechts, s. dazu Habersack in MünchKomm.AktG (Fn. 15), § 221 AktG Rz. 225 ff.
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aktien zumindest im Grundsatz für zulässig20. Soweit demgegenüber im älteren Schrifttum die Zulässigkeit eines auflösend bedingten Vorzugs unter Hinweis auf die damit verbundene Unsicherheit verneint wird21, vermag dies jedenfalls dann nicht zu überzeugen, wenn der Eintritt der auflösenden Bedingung nicht vom Zufall abhängt, sondern eine vom Wandlungsberechtigten abzugebende Erklärung oder gar einen Vollzugsakt wie etwa den Austausch der Aktienurkunden voraussetzt22. Rechtsunsicherheit entsteht dann weder auf Seiten der Gesellschaft noch auf Seiten des Vorzugsaktionärs. Die Mitaktionäre wiederum erfahren aufgrund der Mitteilungspflichten nach § 20 AktG, §§ 21 ff. WpHG von bedeutsamen Wandlungsvorgängen. Vor diesem Hintergrund bestehen auch keine Bedenken gegen die Ausgabe von Vorzugsaktien, bei denen der Vorzug unter der auflösenden Bedingung einer Wandlungserklärung des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft steht. Zwar handelt es sich hierbei um eine Potestativbedingung, mithin um eine Bedingung, deren Eintritt vom Willen eines Beteiligten abhängt; gegen deren Zulässigkeit im Allgemeinen bestehen indes ebenso wenig Bedenken wie gegen ihre Verwendung im Falle der Vorzugsaktie23. Da die auflösende Bedingung den Vorzug und damit unmittelbar die Mitgliedschaft als solche betrifft, erlangt das Wandlungsrecht seinerseits mitgliedschaftlichen – und damit gleichsam dinglichen – Charakter; denn das Wandlungsrecht steht nicht nur dem Ersterwerber der Aktie, sondern auch dessen Rechtsnachfolgern zu. Mit Abgabe der Erklärung kommt es deshalb zum Wegfall des Vorzugs und damit gemäß § 141 Abs. 4 AktG zum Erwerb des Stimmrechts, mithin zur Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien und damit zu einer Änderung des Inhalts der Aktienrechte im Sinne des § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG24. Eines Beschlusses der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 1, 3 AktG bedarf es insoweit selbst dann nicht, wenn das Erlöschen des Vorzugs nicht vom Willen des Vorzugsaktionärs abhängt, sondern, wie namentlich bei befristeten Vorzügen, schlicht durch Zeitablauf eintritt oder, wie bei anderen als Potestativbedingungen, vom Eintritt künftiger ungewisser Ereignisse abhängt25. Die Vorzugsaktien tragen vielmehr den Grund der späteren Rechtsänderung von Anfang an in sich, so dass es, worauf im Schrifttum zu Recht hingewiesen wird, bei
__________ 20 G. Bezzenberger in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 139 AktG Rz. 27, 28; Hüffer (Fn. 6), § 139 AktG Rz. 10, § 141 AktG Rz. 11; vgl. auch Semler in MünchHdb.GesR, Bd. 4: Aktiengesellschaft, 3. Aufl. 2007, § 38 Rz. 22; Werner, AG 1974, 69, 70; für auflösend bedingte Vorzüge einschränkend T. Bezzenberger, Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, 1991, S. 77 f.; auflösend bedingte Vorzüge ablehnend Zöllner in KölnKomm.AktG, 1. Aufl. 1973, § 139 AktG Rz. 13. 21 Zöllner in KölnKomm.AktG (Fn. 20), § 139 AktG Rz. 13; für Unzulässigkeit einer dem Zufall überlassenen auflösenden Bedingung T. Bezzenberger (Fn. 20), S. 78. 22 Näher dazu sogleich im Text. 23 Vgl. zur Rechtslage im Allgemeinen Westermann in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 158 BGB Rz. 18 ff. 24 Vgl. dazu Hüffer (Fn. 6), § 141 AktG Rz. 22. 25 Brändel in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1992, § 11 AktG Rz. 43; Bezzenberger in Großkomm.AktG (Fn. 20), § 139 AktG Rz. 29; Hüffer (Fn. 6), § 141 AktG Rz. 11.
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Lichte betrachtet schon an einer Beeinträchtigung des Vorzugs fehlt26. Auch für das Erfordernis eines Sonderbeschlusses der Stammaktionäre nach § 179 Abs. 3 AktG ist kein Raum. Der satzungsändernde Beschluss der Hauptversammlung legitimiert vielmehr auch die mit dem Eintritt der auflösenden Bedingung einhergehende „Verwässerung“ der Stimmrechte der Stammaktionäre. Bei Lichte betrachtet handelt es sich bei dem Beschluss nach § 141 Abs. 1 AktG um einen Sonderbeschluss, der die mit dem Eingreifen des § 141 Abs. 4 AktG verbundene „Verwässerung“ der Stimmrechte legitimiert27. Für den Fall, dass die Ausgabe der wandelbaren, d. h. mit auflösend bedingtem Vorzug ausgestatteten Vorzugsaktien auf satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung zurückgeht, erübrigt sich deshalb ein erneuter Beschluss der Stammaktionäre nach § 141 Abs. 1 AktG. Der Wegfall des Vorzugs tritt dann vielmehr durch Herbeiführung der auflösenden Bedingung und damit auf der Grundlage des Inhalts der Mitgliedschaft der Vorzugsaktionäre ein; er findet aus Sicht der Stammaktionäre seine Legitimation in dem Beschluss über die Ausgabe der Aktien. Kann somit im Grundsatz von der Zulässigkeit eines auflösend bedingten Vorzugs ausgegangen werden, so soll nach wohl herrschender Meinung anderes für den Fall gelten, dass der Eintritt der Bedingung vom Willen der Gesellschaft abhängt28. Dabei hat man vor allem den Fall vor Augen, dass das Erlöschen des Vorzugs für den Fall vorgesehen ist, dass während einer bestimmten Zeit kein für die Zahlung der Vorzugsdividende und die Nachzahlung ausreichender Gewinn erzielt wird; eine entsprechende Bedingung käme einem unzulässigen Aufhebungsvorbehalt gleich29. Selbst wenn man dem mit Blick auf die Möglichkeit einer Vereitelung des Nachzahlungsrechts aus § 140 Abs. 2 AktG folgen wollte, wäre es indes keineswegs veranlasst, ein Wandlungsrecht der Gesellschaft generell auszuschließen, also auch dann, wenn der Vorzugsbetrag in der Vergangenheit geleistet worden ist. Das AktG nimmt es auch in anderem Zusammenhang hin, dass die Aktionäre der Verwaltung Einfluss auf die Zusammensetzung des Aktionariats einräumen; zu denken ist nur an die Ermächtigung zu Erwerb und Veräußerung eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG und an die Ausgabe vinkulierter Namensaktien nach § 68 Abs. 2 AktG. Vorbehaltlich etwa sich aus §§ 140 Abs. 2, 141 Abs. 1 AktG ergebender Beschränkungen muss es den Aktionären dann aber auch möglich sein, die Begebung wandelbarer Vorzugsaktien mit der Maßgabe zu beschließen, dass die – durch den Vorstand vertretene – Gesellschaft eine entsprechende Wandlungserklärung gegenüber dem jeweiligen Inhaber der Vorzugsaktie abgibt. Erst Recht bestehen keine Bedenken, das Erlöschen des Vorzugs nicht nur an eine
__________ 26 Hüffer (Fn. 6), § 141 AktG Rz. 11; Werner, AG 1971, 69, 70. 27 Vgl. T. Bezzenberger (Fn. 20), S. 79, 177 f.; zum Verhältnis zwischen § 141 Abs. 1 und § 179 Abs. 3 AktG (grundsätzlicher Vorrang des § 141 Abs. 1 AktG) s. Hüffer (Fn. 6), § 179 AktG Rz. 42; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1995, § 179 AktG Rz. 140; s. ferner OLG Köln, NZG 2002, 966, 967 – Metro. 28 Brändel in Großkomm.AktG (Fn. 25), § 11 AktG Rz. 43; G. Bezzenberger in Großkomm.AktG (Fn. 20), § 139 AktG Rz. 27; T. Bezzenberger (Fn. 20), S. 78. 29 Vgl. die Nachw. in voriger Fn.
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Umtauscherklärung des Aktionärs, sondern zusätzlich an eine Mitwirkungshandlung der Gesellschaft zu knüpfen; dies gilt jedenfalls dann, wenn der Vorzugsaktionär einen Anspruch auf Mitwirkung hat und deshalb der Eintritt der Bedingung nicht im freien Belieben der Gesellschaft steht. b) Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien im Wege des „Aktientauschs“ Von einer Umwandlung der Vorzugs- in eine Stammaktie im Wege des Wegfalls des Vorzugs zu unterscheiden ist ein etwaiges Recht des Vorzugsaktionärs, die von ihm gehaltene Vorzugsaktie als solche zurückzugeben und hierfür eine Stammaktie zu erhalten, mithin das – im Folgenden als „Umtauschrecht“ zu bezeichnende – Recht des Vorzugsaktionärs auf Aktientausch. Insoweit lässt sich immerhin für die Zeit vor Inkrafttreten des AktG 1965 feststellen, dass mit einem entsprechenden Umtauschrecht versehene und damit wandelbare Vorzugsaktien durchaus verbreitet waren30. So bestimmte § 5 Abs. 7 der Satzung der Schultheiss-Patzenhofer Brauerei-Aktiengesellschaft von 1932/1933, dass jeder Inhaber von Vorzugsaktien berechtigt sein sollte, durch eine mit einmonatiger Frist für Ende Februar bzw. Ende August jeden Jahres abzugebende Erklärung gegenüber der Gesellschaft die Umwandlung seiner Vorzugsaktien in Stammaktien zu verlangen. Die Erklärung war durch eingeschriebenen Brief unter gleichzeitiger Einreichung der umzuwandelnden Vorzugsaktien gegenüber der Gesellschaft abzugeben. § 6 Abs. 4 der Satzung der Orenstein-Koppel und Lübecker Maschinenbau AG von 1940 räumte den Vorzugsaktionären ein vergleichbares Recht ein und verpflichtete die Gesellschaft, insoweit dem Umtauschverlangen zu entsprechen, als die zum Ende eines Geschäftsjahres vorliegenden Umtauschanträge einem bestimmen Nominalbetrag entsprechen; im Übrigen dagegen sollte die Gesellschaft zum Umtausch nur berechtigt sein. In jedem Fall war die Erklärung durch eingeschriebenen Brief unter gleichzeitiger Einreichung der umzuwandelnden Vorzugsaktien abzugeben. Eine Dissertation aus dem Jahre 1957 geht denn auch – wenn auch ohne Problemvertiefung – von der aktienrechtlichen Zulässigkeit entsprechender Satzungsbestimmungen aus31. Bei Lichte betrachtet ist freilich auch insoweit schon im Ansatz danach zu unterscheiden, ob es lediglich zu einem Austausch der Aktienurkunden oder zu einer Ersetzung der Mitgliedschaft kommen soll. aa) Austausch der Aktienurkunde In Betracht kommt zunächst, dass sich der Vorgang im rein deklaratorisch wirkenden Austausch der die Mitgliedschaft verbriefenden Aktienurkunde erschöpft. Ein solcher Urkundenaustausch ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Verbriefung der Mitgliedschaft in einer Aktienurkunde ihrerseits nur deklaratorischen Charakter hat, weshalb auch die Rechtsänderung nach § 141
__________
30 Zum Folgenden s. U. Keinath, Die Vorzugsaktie, Diss. Würzburg 1957, S. 114 ff. 31 Keinath (Fn. 30), S. 115 f.; zust. T. Bezzenberger (Fn. 20), S. 79; s. ferner v. Godin/ Wilhelmi, 4. Aufl. 1971, § 11 AktG Anm. 9.
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Abs. 4 AktG unabhängig von einer entsprechenden Änderung des Urkundentextes eintritt32. Die Aktienurkunde legitimiert zwar den Inhaber als Gesellschafter der AG, weshalb es im Interesse sowohl der Gesellschaft als auch des Aktionärs liegt, dass die Urkunde den Inhalt der Mitgliedschaft und damit insbesondere die Aktiengattung der wahren Rechtslage entsprechend wiedergibt. Die Anforderungen an die Aktienurkunde sind denn auch in § 13 AktG geregelt. Danach bedarf es nicht nur der Unterzeichnung der Urkunde durch den Vorstand oder einen Bevollmächtigten. Für den Fall, dass mehrere Aktiengattungen bestehen, muss sich vielmehr aus der Aktienurkunde zweifelsfrei ergeben, welcher Gattung die verbriefte Mitgliedschaft angehört33. Der Umtausch der Aktie wäre danach nichts anderes als die Hergabe der Aktienurkunde und die Ersetzung derselben durch eine – die kraft materiellen Rechts eingetretene Änderung der Aktiengattung verlautbarende – neue Aktienurkunde. So ist namentlich für den in § 24 AktG geregelten Fall der Umwandlung der Inhaber- in eine Namensaktie und den umgekehrten Vorgang der Umwandlung der Namens- in eine Inhaberaktie anerkannt, dass die „Umwandlung“ die Mitgliedschaft des Aktionärs unberührt lässt und sich in der Abänderung des Urkundentextes oder in der Ausstellung neuer Aktienurkunden sowie gegebenenfalls in der Eintragung in das Aktienregister, mithin in bloßen Verwaltungshandlungen des Vorstands, erschöpft34. Übertragen auf das Umtauschrecht des Vorzugsaktionärs würde das bedeuten, dass der auflösend bedingte Vorzug als solcher durch den mit entsprechender Gestaltungserklärung erfolgenden Eintritt der auflösenden Bedingung wegfällt und sodann der Inhalt der Aktienurkunde an die nach § 141 Abs. 4 AktG eingetretene Rechtslage anzupassen wäre, was praktisch am ehesten durch Ersetzung der Aktienurkunde durch eine neue Urkunde geschehen könnte. Auf diese Ersetzung der Aktienurkunde wäre dem Aktionär ein Rechtsanspruch einzuräumen, dessen Erfüllung freilich rein deklaratorische Bedeutung hätte. In diesem Sinne sind wohl die erwähnten Satzungsbestimmungen der Orenstein-Koppel und Lübecker Maschinenbau AG und der Schultheiss-Patzenhofer Brauerei-Aktiengesellschaft zu verstehen. bb) Urkundenaustausch als Voraussetzung des Wegfalls des Vorzugs In Betracht kommt darüber hinaus, die Ersetzung der Aktienurkunde in den Tatbestand der auflösenden Bedingung für den Wegfall des Vorzugs einzubeziehen und hierdurch den Eintritt der materiell-rechtlichen Rechtsänderung zugleich von der – an sich nur deklaratorischen Charakter aufweisenden – Verlautbarung der Rechtsänderung in der Urkunde abhängig zu machen. Auch in diesem Fall bliebe es zwar bei der Vorschrift des § 141 Abs. 4 AktG, wonach die Aktien mit Aufhebung der Vorzüge das Stimmrecht gewähren; der die Um-
__________ 32 Allg. zum deklaratorischen Charakter der Verbriefung s. BGH, WM 1991, 1880; Brändel in Großkomm.AktG (Fn. 25), § 10 AktG Rz. 10. 33 Brändel in Großkomm.AktG (Fn. 25), § 13 AktG Rz. 9. 34 Vgl. Röhricht in Großkomm.AktG, 4. Aufl., 1997, § 24 Rz. 8; Brändel in Großkomm.AktG (Fn. 25), § 10 AktG Rz. 44; Hüffer (Fn. 6), § 24 AktG Rz. 4.
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wandlung begründende Tatbestand der Aufhebung des Vorzugs wäre indes gestreckt, beinhaltete also den im Falle eines Gattungswechsels an sich nur deklaratorischen Publizitätstatbestand. Eine derartige Ausgestaltung der auflösenden Bedingung sieht sich keinen prinzipiellen Bedenken ausgesetzt. Auch das von der wohl herrschenden Meinung bejahte Verbot einer vom Willen der Gesellschaft abhängigen auflösenden Bedingung35 wäre jedenfalls dann nicht berührt, wenn dem Aktionär, der sich für die Umwandlung entscheidet, ein Rechtsanspruch gegen die Gesellschaft auf Austausch der Aktienurkunde eingeräumt würde und dessen Erfüllung sodann den Eintritt der auflösenden Bedingung bewirkte. Denn der Eintritt der so formulierten Bedingung hinge dann vom Willen des Aktionärs und zusätzlich davon ab, dass die Gesellschaft einer Rechtspflicht nachkommt; eine Potestativbedingung in dem Sinne, dass die Gesellschaft über die Umwandlung der Aktie entscheidet, könnte hierin nicht erblickt werden. Im Übrigen ist schon fraglich, ob die Unzulässigkeit einer auflösenden Bedingung den hier interessierenden Fall betreffen kann, dass der Aktionär den Wegfall des Vorzugs begehrt und dieser Wegfall an zusätzliche Bedingungen geknüpft wird. Denn das Verbot soll, wie im Einzelnen dargelegt worden ist, die Umgehung des § 141 Abs. 1 AktG und damit den Wegfall der Vorzüge gegen den Willen der Vorzugsaktionäre verhindern, nicht aber umgekehrt den vom Aktionär gewollten Wegfall des Vorzugs erschweren. cc) Austausch der Mitgliedschaft Von der Ersetzung der Aktienurkunde schon im Ansatz zu unterscheiden ist der Austausch der Mitgliedschaften: Während die Ersetzung der Aktienurkunde eine nach materiellem Recht eingetretene Änderung des Inhalts der Aktienrechte verlautbart oder – bei entsprechender Gestaltung der auflösenden Bedingung – selbst Teil der Inhaltsänderung ist, verhält es sich bei dem Austausch der Mitgliedschaften so, dass der Aktionär seine in der Vorzugsaktie verkörperte Mitgliedschaft auf die Gesellschaft oder einen Dritten überträgt und im Gegenzug eine neue – nunmehr in einer Stammaktie verkörperte – Mitgliedschaft erhält. Eine derartige „Umwandlung“ ist zwar von § 141 AktG nicht erfasst, kann aber nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze des Aktienrechts ohne weiteres vollzogen werden. In Betracht kommt namentlich, dass die Gesellschaft die Vorzugsaktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG erwirbt und einzieht, um sodann den Aktionären im Gegenzug durch Kapitalerhöhung geschaffene neue Stammaktien (oder auch im Bestand gehaltene Stammaktien) zu überlassen36. Die Einzelheiten eines derartigen Aktientauschs brauchen hier nicht entfaltet zu werden. Es genügt die Feststellung, dass sich ein derartiger Vorgang von der in § 141 AktG geregelten Änderung des Inhalts bestehender Aktienrechte schon kategorial unterscheidet: Mag er auch im Ergebnis auf die „Umwandlung“ der Vorzugs- in eine Stammaktie zielen, so erschöpft er sich
__________ 35 Vgl. unter a). 36 Näher zum Ganzen Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859, 863 ff., 868 ff.
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doch nicht in einer bloßen Änderung des Inhalts bestehender Aktienrechte. Er gründet vielmehr auf zusätzlichen Kapitalmaßnahmen wie dem Rückerwerb eigener Aktien nebst Einziehung derselben sowie der Ausgabe neuer Aktien, die entweder entsprechende Beschlüsse der Hauptversammlung oder entsprechende Ermächtigungen des Vorstands durch die Hauptversammlung voraussetzen und schon deshalb über den Rahmen des § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG hinausgehen. 3. Zwischenergebnis Vorzugsaktien können mit der Maßgabe ausgegeben werden, dass der Vorzug unter der auflösenden Bedingung einer Wandlungserklärung des Aktionärs steht; selbst gegenüber einer Bedingung, die auf die Wandlungserklärung der Gesellschaft abstellt, bestehen allenfalls insoweit Bedenken, als hierdurch einem Nachzahlungsanspruch des Vorzugsaktionärs die Grundlage entzogen werden könnte. Mit Abgabe der Wandlungserklärung kommt es zum Wegfall des Vorzugs und damit gemäß § 141 Abs. 4 AktG zur Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien, ohne dass es eines Beschlusses der Hauptversammlung oder eines Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre bedarf. Die nachfolgende Ersetzung der bestehenden Aktienurkunde durch eine neue Urkunde hat grundsätzlich nur deklaratorischen Charakter. Es bestehen indes keine Bedenken dagegen, die Urkundenersetzung in den Tatbestand der auflösenden Bedingung für den Wegfall des Vorzugs einzubeziehen und hierdurch den Eintritt der materiell-rechtlichen Rechtsänderung zugleich von der Verlautbarung der Rechtsänderung in der Urkunde abhängig zu machen.
IV. Ermächtigung des Vorstands zur Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien 1. Der aktienrechtliche Rahmen im Überblick Insbesondere der Vorschrift des § 204 Abs. 2 AktG lässt sich entnehmen, dass Vorzugsaktien ohne Stimmrecht im Sinne der §§ 139 ff. AktG auch im Wege der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals geschaffen werden können37. Nach dieser Vorschrift können nämlich für den Fall, dass die Gesellschaft bereits über Vorzugsaktien verfügt, Vorzugsaktien, die bei Verteilung des Gewinns oder des Gesellschaftsvermögens den bereits bestehenden Vorzugsaktien vorgehen oder gleichstehen, nur ausgegeben werden, wenn die dem Vorstand von der Hauptversammlung erteilte Ermächtigung es vorsieht. Die Vorschrift setzt freilich voraus, dass bereits Vorzugsaktien bestehen. Ist das nicht der Fall, sollen also erstmals Vorzugsaktien ausgegeben werden, ist § 204 Abs. 2 AktG nicht anwendbar38. Statt dessen findet § 204 Abs. 1 AktG Anwendung, dessen Satz 1 bestimmt, dass der Vorstand über den Inhalt der
__________ 37 Unstreitig, vgl. G. Bezzenberger in Großkomm.AktG (Fn. 20), § 139 AktG Rz. 37. 38 Vgl. statt aller Hüffer (Fn. 6), § 204 AktG Rz. 11.
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Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe entscheidet, soweit die Ermächtigung durch die Hauptversammlung keine Bestimmungen enthält, und dessen Satz 2 die Entscheidung des Vorstands an die Zustimmung des Aufsichtsrats bindet. Weitere Vorschriften über die Ausgabe von Vorzugsaktien im Rahmen eines genehmigten Kapitals enthält das AktG nicht. Insbesondere betrifft die in § 202 Abs. 2 Satz 4 AktG in Bezug genommene Vorschrift des § 182 Abs. 2 AktG nur den Fall, dass mehrere Gattungen von stimmberechtigten Aktien vorhanden sind, wozu Vorzugsaktien gerade nicht zählen39. Die Vorschrift des § 182 Abs. 1 Satz 2 AktG schließlich betrifft, soweit sie für die Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht Erleichterungen des Mehrheitserfordernisses des § 182 Abs. 1 Satz 1 AktG ausschließt, nur die ordentliche Kapitalerhöhung durch Beschluss der Hauptversammlung. Im Rahmen des genehmigten Kapitals findet sie ihre Entsprechung in § 202 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG, dem zufolge der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung einer Mehrheit von drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals bedarf und die Satzung (nur) eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen kann. Allerdings dürfte ein auf die Ausgabe von Vorzugsaktien bezogenes besonderes satzungsmäßiges Mehrheitserfordernis im Sinne des § 182 Abs. 1 Satz 2 AktG auch für einen Ermächtigungsbeschluss im Sinne des § 202 Abs. 2 Satz 2 AktG Geltung beanspruchen. 2. Ermächtigung des Vorstands zur Festlegung der Aktiengattung Was die Frage betrifft, ob der Vorstand im Rahmen der Ausnutzung des genehmigten Kapitals auch die Aktiengattung festlegen und deshalb auf der Grundlage einer allgemein gehaltenen, mithin die Gattung der neuen Aktien nicht konkretisierenden Ermächtigung die Ausgabe von Vorzugsaktien beschließen kann, so findet sich in Rechtsprechung und Schrifttum ein – soweit ersichtlich – einhelliges Meinungsbild. So hat der BGH in seiner – zwar noch zum AktG 1937 ergangenen, indes nach wie vor Geltung beanspruchenden – Grundsatzentscheidung vom 6.10.1960 in Sachen Minimax ausgeführt, dass der Vorstand in der Lage ist, die ihm von der Hauptversammlung erteilte Ermächtigung zur Ausgabe neuer Aktien durch Schaffung von Vorzugsaktien auszunutzen40. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass der Vorstand, von dem Fall bereits vorhandener Vorzugsaktien abgesehen, auch berechtigt sei, den Inhalt der auszugebenden Aktien zu bestimmen; hierzu aber gehöre auch die Bestimmung der Aktiengattung. Das OLG Schleswig ist dem in einer neueren Entscheidung gefolgt41. Zwar hatte es das Gericht mit einem Ermächtigungsbeschluss zu tun, der explizit die Ausgabe von Vorzugsaktien vorsah; doch hat sich das Gericht auch unabhängig hiervon für die Befugnis des Vorstands ausgesprochen, im Falle einer allgemein gehaltenen Ermächtigung
__________ 39 Hüffer (Fn. 6), § 182 AktG Rz. 19 m. w. N. 40 BGH, BGHZ 33, 175, 188. 41 OLG Schleswig, AG 2005, 48, 49.
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Vorzugsaktien auszugeben. Auch das aktuelle Schrifttum stimmt dem BGH einhellig zu42. Der einhelligen Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum ist zu folgen. Für sie spricht bereits die Vorschrift des § 204 Abs. 2 AktG, der für den besonderen Fall, dass bereits Vorzugsaktien bestehen, eine Ermächtigung zur Ausgabe weiterer Vorzugsaktien verlangt. Ihr lässt sich e contrario entnehmen, dass es einer solchen Ermächtigung im Allgemeinen, d. h. bei erstmaliger Begebung von Vorzugsaktien, nicht bedarf. Diesem Befund entspricht es, dass es § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich den Aktionären überlässt, über alle vom Gesetz nicht zwingend geregelten Fragen betreffend den Inhalt der Aktien und die Bedingungen der Aktienausgabe selbst zu entscheiden und hierdurch die Ermächtigung des Vorstands entsprechend einzuschränken43. Die Aktionäre können deshalb den Vorstand gezielt zur Ausgabe von Vorzugsaktien ermächtigen oder umgekehrt dem Vorstand die Ausgabe von Vorzugsaktien untersagen44. Sie können aber auch auf entsprechende Einschränkungen verzichten und hierdurch dem Vorstand einen „breiten Entscheidungsspielraum“ einräumen45. Diese Kompetenzverlagerung wiederum fügt sich ein in die eingangs erwähnte jüngere Rechtsprechung des BGH zum genehmigten Kapital, die durch das Bestreben motiviert ist, dem Institut des genehmigten Kapitals die Flexibilität zu belassen, „die den Gesellschaften zur Verfügung stehen muss, um auf dem nationalen und internationalen Markt rasch und erfolgreich auf vorteilhafte Angebote oder sich ansonsten bietende Gelegenheiten reagieren und Möglichkeiten zur Unternehmenserweiterung … insbesondere im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre ausnutzen zu können“46. Nichts anderes gilt für die Ermächtigung des Vorstands, nach Maßgabe des § 204 Abs. 1 AktG über den Inhalt der Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe zu entscheiden: Soweit nicht die Hauptversammlung selbst entsprechende Festsetzungen trifft, geht mit der Einräumung des genehmigten Kapitals die Ermächtigung des Vorstands einher, seinerseits die gebotenen Festsetzungen zu treffen. Diese Kompetenzverlagerung ist, worauf Lutter sehr zu Recht hinweist, im Rahmen des wohldurchdachten und abgestuften Zuständigkeitsgefüges der §§ 202 ff. AktG durchaus sinnvoll: „Ein Vorstand, der zur Ausnutzung eines genehmigten Kapitals ermächtigt ist, muss flexibel auf Situationen am Kapitalmarkt reagieren können, auf dem etwa aufgrund ge-
__________ 42 Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 6), § 204 AktG Rz. 30; G. Bezzenberger in Großkomm.AktG (Fn. 20), § 139 AktG Rz. 37; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2005, § 40 Rz. 30; Hirte in Großkomm.AktG (Fn. 6), § 204 AktG Rz. 7, 9; Hüffer (Fn. 6), § 204 AktG Rz. 4; Krieger in MünchHdb.GesR, Bd. IV: Aktiengesellschaft, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 33; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1995, § 204 AktG Rz. 7; a. A. noch Barz in Großkomm.AktG, 3. Aufl. 1973, § 60 AktG Rz. 5. 43 Vgl. KG AG 1996, 421, 423; Hirte in Großkomm.AktG (Fn. 6), § 204 AktG Rz. 7; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 204 AktG Rz. 4, 6 f. 44 Vgl. OLG Schleswig, AG 2005, 48, 49; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 204 AktG Rz. 7. 45 So zu Recht Busch in Marsch-Barner/Schäfer (Fn. 42), § 40 Rz. 30. 46 BGH, BGHZ 136, 133, 136.
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samtwirtschaftlicher Faktoren die Aufnahmebereitschaft des Anlegerpublikums für Stammaktien geringer ist als für die (rentenähnlichen) stimmrechtslosen Vorzugsaktien“47. Ist somit im Einklang mit der in Rechtsprechung und Schrifttum einhelligen Meinung davon auszugehen, dass der Vorstand, soweit nicht die Ermächtigung durch die Hauptversammlung ein anderes bestimmt, im Rahmen des aktienrechtlich allgemein Zulässigen auch die Gattung der neuen Aktien festlegen kann, so bedeutet dies, dass die Ermächtigung Kompetenzen beinhaltet, die ansonsten als materielle Satzungsänderung der Hauptversammlung vorbehalten sind48. Denn nach § 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG muss die Satzung unter anderem die Gattung der Aktien und die Zahl der Aktien jeder Gattung bestimmen; wird nach Gründung eine neue Aktiengattung geschaffen, so bedarf es grundsätzlich einer Satzungsänderung. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Gewinnbeteiligung: Soll von dem Grundsatz des § 60 Abs. 1 AktG abgewichen werden, so bedarf es hierzu nach § 60 Abs. 3 AktG im Allgemeinen einer entsprechenden Satzungsregelung. Beide Festlegungen können indes nach § 204 Abs. 1 AktG von der Hauptversammlung auf den Vorstand übertragen werden. Dieser kann mit anderen Worten von der ihm eingeräumten Ermächtigung im Rahmen des § 204 Abs. 1 AktG unabhängig davon Gebrauch machen, ob der Inhalt der zu schaffenden Aktienrechte – und damit insbesondere die Gattung der neuen Aktien – bereits eine Grundlage in der Satzung der Gesellschaft findet. Zwar hat es nach §§ 189, 203 Abs. 1 AktG auch für das genehmigte Kapital dabei zu bewenden, dass die Erhöhung des Grundkapitals erst mit Eintragung der Durchführung wirksam wird. Während allerdings bei Schaffung einer neuen Aktiengattung durch die Hauptversammlung der hierfür erforderlichen Satzungsänderung – zusammen mit der Eintragung – konstitutive Bedeutung zukommt, verhält es sich im Falle des § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG so, dass die bisherige Satzung mit erfolgter Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals unrichtig geworden ist, soweit sie Angaben über die Höhe des Grundkapitals, die Anzahl und Aufteilung der Aktien und die Aktiengattungen enthält49. Es bedarf dann zwar mit Blick auf § 181 Abs. 1 Satz 2 AktG der Berichtigung der Satzung50. Doch kann nach § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG der Aufsichtsrat ermächtigt werden, die Fassung der Satzung an die eingetretenen
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47 Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 204 AktG Rz. 7, ähnlich Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 6), § 204 AktG Rz. 7 mit Hinweis darauf, dass Einschränkungen im Sinne des § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG a. E. unüblich seien, da sie dem Zweck des genehmigten Kapitals zuwiderliefen, dem Vorstand einen möglichst weitgehenden Spielraum einzuräumen. 48 Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 204 AktG Rz. 7. 49 Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 203 AktG Rz. 55; Hirte in Großkomm.AktG (Fn. 6), § 203 AktG Rz. 50; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 6), § 203 AktG Rz. 28. 50 Zur Frage, ob eine berichtigte Fassung bereits vor Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung vorliegen muss oder noch nachgereicht werden kann, s. Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 203 AktG Rz. 56; Hirte in Großkomm.AktG (Fn. 6), § 203 AktG Rz. 51; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 6), § 203 AktG Rz. 28; Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 42) § 58 Rz. 52.
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materiell-rechtlichen Änderungen anzupassen51. Dies gilt auch insoweit, als der Vorstand erstmals Vorzugsaktien ausgegeben hat. Die Ermächtigung des Aufsichtsrats nach § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG erfasst auch die Anpassung dieses Teils der Satzung an die materiell-rechtlich bereits mit Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung erfolgte Rechtsänderung52. 3. Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien im Besonderen Der Vorstand kann nach den vorstehend getroffenen Feststellungen nicht nur ausdrücklich zur Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien ermächtigt werden; nach § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG ist er vielmehr auch auf der Grundlage einer allgemeinen, die Gattung der neuen Aktien nicht präzisierenden Ermächtigung zur Ausgabe wandelbarer Aktien berechtigt. Verzichten die Aktionäre darauf, die Ermächtigung einzuschränken, so geht die Befugnis, den Inhalt der Aktienrechte zu bestimmen, auf den Vorstand über, dessen Gestaltungsbefugnis dann derjenigen entspricht, die auch die Hauptversammlung hätte, würde sie selbst über die Ausgabe der Vorzugsaktien entscheiden. Wie für die Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien im Wege der Satzungsänderung53 gilt auch für die Ausgabe solcher Aktien nach § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG, dass für das Erfordernis eines zusätzlichen Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 1, 3 AktG oder der Stammaktionäre nach § 179 Abs. 3 AktG kein Raum ist. Mit der Einräumung des genehmigten Kapitals hat die Hauptversammlung ihre Befugnis zur Festlegung des Inhalts der neuen Aktien auf den Vorstand übertragen, so dass dieser – im Rahmen der Ermächtigung – anstelle der Hauptversammlung handeln kann. Ist aber der Vorstand nach § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Ausgabe von Vorzugsaktien und zur Ausstattung derselben mit auflösend bedingtem Vorzug berechtigt, so gilt für die durch Eintritt der Bedingung herbeigeführte „Verwässerung“ der Stimmrechte der bisherigen Stammaktionäre, dass sie ihre Legitimation in der Satzungsbestimmung über das genehmigte Kapital findet. Eines weiteren Beschlusses der Stammaktionäre nach § 179 Abs. 3 AktG – sei es im Zusammenhang mit der Ausgabe der Vorzugsaktien oder im Rahmen der Wandelungserklärung der Vorzugsaktionäre – bedarf es deshalb nicht. 4. Zwischenergebnis Vorbehaltlich des § 204 Abs. 2 AktG können wandelbare Vorzugsaktien auch aus genehmigten Kapital geschaffen werden, sofern nicht die dem Vorstand von der Hauptversammlung eingeräumte Ermächtigung ein anderes bestimmt. Eines zusätzlichen Beschlusses der Stamm- oder der Vorzugsaktionäre bedarf es weder hinsichtlich der Ausgabe noch hinsichtlich der Umwandlung der Aktien.
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51 Vgl. Lutter, Hirte, Krieger, jew. a. a. O. (Fn. 50), ferner Hüffer (Fn. 6), § 202 AktG Rz. 4. 52 Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 203 AktG Rz. 56. 53 Dazu unter III. 2. a).
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V. Zur Frage der Zurechnung bedingter Stimmrechte nach § 22 WpHG und § 30 WpÜG 1. Grundlagen Vorzugsaktien bleiben bei Berechnung der Melde- und Kontrollschwellen der §§ 21 Abs. 1 WpHG und 29 Abs. 2 WpÜG unberücksichtigt, solange nicht das Stimmrecht nach § 140 Abs. 2 AktG wieder auflebt54. Fraglich ist allerdings, ob sich die Vorzugsaktionäre die durch Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien entstehenden Stimmrechte nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG, § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG auch schon vor dieser Umwandlung und damit vor Eintritt der auflösenden Bedingung zurechnen lassen müssen. Danach nämlich stehen Stimmrechten des Meldepflichtigen oder Bieters Stimmrechte aus Aktien gleich, die der Meldepflichtige oder Bieter durch eine Willenserklärung erwerben kann. Der Zurechnungstatbestand unterscheidet sich damit nicht unwesentlich von demjenigen des § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG, wonach auch solche Aktien zuzurechnen sind, deren Übereignung das meldepflichtige Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unternehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verlangen kann. Im Rahmen des § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG genügt es nämlich, dass das Unternehmen einen wirksamen schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung der Aktien hat55. Demgegenüber setzt die Zurechnung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG, § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG nach – zu Recht – herrschender Meinung voraus, dass der Bieter oder Meldepflichtige den dinglichen Erwerbstatbestand durch seine Willenserklärung vollenden und hierdurch den Rechtsübergang bewirken kann56. Soweit sich im Schrifttum zu § 22 Abs. 1 Satz 1 WpHG noch die gegenteilige Ansicht findet, bezieht sich dies überwiegend auf Nr. 6 der Vorgängerfassung 57. Deren Änderung durch das Gesetz zur Rege-
__________ 54 Vgl. statt aller Möller in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, 2005, § 29 WpÜG Rz. 18; zur abweichenden Rechtslage nach § 20 Abs. 1 bis 3 AktG s. Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 10), § 20 AktG Rz. 18, 28; Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 20 AktG Rz. 12, 24. 55 Vgl. Hüffer (Fn. 6), § 20 AktG Rz. 4; Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 10) § 20 Rz. 23 m. w. N. 56 Für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG s. Walz in Haarmann/Schüppen, FrankfurtKomm.WpÜG, 2. Aufl. 2006, § 30 WpÜG Rz. 48; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, 2003, § 30 WpÜG Rz. 16; Diekmann in Baums/Thoma, Loseblatt Stand Mai 2007, § 30 WpÜG Rz. 55; a. A. Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider (Fn. 54), § 30 WpÜG Rz. 65 ff. – Für § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG s. Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 2004, § 22 WpHG Rz. 10; Hüffer (Fn. 6), Anh. § 22 AktG Rz. 5; Nachw. zur Gegenansicht s. in Fn. 57. 57 Vgl. Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 54), Anh. § 22 AktG Rz. 33; Burgard, BB 1995, 2069, 2076; Uwe H. Schneider, AG 1997, 81, 83 f.; für Einbeziehung schuldrechtlicher Positionen auch im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG n. F. aber Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, Anh. § 22 AktG Rz. 19; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 22 WpHG Rz. 93 ff. mit umf. Nachw.
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lung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20.12.200158 war indes von dem Bestreben getragen, für einen Gleichlauf von WpÜG und WpHG zu sorgen, um hierdurch Irritationen am Kapitalmarkt zu vermeiden. Der Entstehungsgeschichte des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG und der damit einher gehenden Änderung des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG lässt sich wiederum klar entnehmen, dass der Gesetzgeber schuldrechtliche Ansprüche nicht erfasst sehen wollte. So heißt es in der Amtlichen Begründung, dass das WpÜG den Begriff des Erwerbs „grundsätzlich im engen Sinne, d. h. im Sinne der Erlangung des Eigentums“ verwende und „an den Stellen, an denen schuldrechtliche Grundgeschäfte dem Eigentumserwerb gleichgestellt werden,“ dies ausdrücklich so anordne59. Und weiter: „Nach Nummer 5 werden daher nur solche Sachverhalte erfasst, auf Grund derer zum Eigentumserwerb der Aktien durch den Bieter nur noch seine Willenserklärung erforderlich ist. … Schuldrechtliche Vereinbarungen, die einen Lieferanspruch beinhalten oder – z. B. im Fall des Erwerbs von Wandelanleihen oder von Optionen, die erst das Recht zum Abschluss eines Kaufvertrags einräumen – einen solchen erst begründen, lösen daher keine Zurechnung nach Nummer 5 aus. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund geboten, dass eine Zurechnung von Stimmrechten – mit der gravierenden Folge eines Pflichtangebots – nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Bieter über eine Position verfügt, die die Ausübung der Stimmrechte nicht von Unwägbarkeiten abhängig macht, die der Bieter nicht beeinflussen kann. Diese können beispielsweise darauf beruhen, dass dem Verkäufer Einwendungen oder ein Rücktrittsrecht zustehen oder er seine Lieferverpflichtungen nicht erfüllen kann.“
Angesichts dieser klaren Verlautbarung des gesetzgeberischen Willens und in Ermangelung abweichender Vorgaben der Richtlinie über Übernahmeangebote (deren Art. 5 stellt auf das „Halten“ von Wertpapieren und damit auf die dingliche Ebene ab) ist deshalb zumindest für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG davon auszugehen, dass die Zurechnung nur in Betracht kommt, wenn der Bieter den dinglichen Erwerbstatbestand durch seine Willenserklärung vollenden und hierdurch den Rechtsübergang bewirken kann. Ihre Bestätigung findet die hier vertretene Ansicht in der Vorschrift des § 31 Abs. 6 WpÜG, die, worauf bereits die Materialien hinweisen, ausdrücklich dem Erwerb von Wertpapieren Vereinbarungen gleichstellt, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann. Dem Gesetz liegt also eindeutig die bewusste Unterscheidung zwischen bloß schuldrechtlichen und dinglichen Erwerbspositionen zugrunde. Für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG kann dies nur bedeuten, dass schuldrechtliche Positionen die Zurechnung keinesfalls zu begründen vermögen. Auch aus § 25 WpHG in der Fassung durch das TransparenzrichtlinieUmsetzungsgesetz60 lässt sich schließlich nichts Gegenteiliges herleiten. Soweit danach in bestimmten Finanzinstrumenten verbriefte Rechte auf
__________ 58 BGBl. I, S. 3822. 59 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 54. 60 Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG) v. 5.1.2007, BGBl. I, S. 10.
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Erwerb von mit Stimmrecht versehenen Aktien zuzurechnen sind, lässt sich dem vielmehr im Gegenschluss entnehmen, dass es auch im Rahmen des § 22 WpHG grundsätzlich bei der Nichtberücksichtigung bloß schuldrechtlicher Positionen zu bewenden hat. 2. Folgerungen für die Erwerbsposition der Vorzugsaktionäre Die vorstehend getroffenen Feststellungen erlauben es zunächst, das Wandlungsrecht des Inhabers einer Wandelanleihe dem Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG zu entziehen, und zwar wiederum im Einklang mit der Amtlichen Begründung. Denn die Ausübung dieses Wandlungsrechts räumt dem Anleihegläubiger eine Ersetzungsbefugnis ein, der zufolge er mit Ausübung des Wandlungsrechts das Anleiheverhältnis in ein auf Verschaffung von Aktien gerichtetes Rechtsverhältnis begründen kann61. Der Gläubiger hat danach also zwar eine Gestaltungsbefugnis; deren Ausübung gewährt ihm indes erst einen Anspruch auf Verschaffung von Aktien, nicht dagegen die Aktien selbst, so dass die Zurechnung ausscheiden muss62. Nicht zurechenbar sind gewiss auch Vorzugsaktien, deren Umwandlung in Stammaktien eine entsprechende Erklärung der Gesellschaft voraussetzt. Am anderen Ende der Skala findet sich hingegen das Recht des Vorzugsaktionärs, durch Ausübung eines ihm eingeräumten Gestaltungsrechts und unabhängig von dem Austausch der Aktienurkunden die Umwandlung seiner Vorzugsaktien in Stammaktien herbeizuführen. Ist der Vorzug allein durch eine entsprechende Wandlungserklärung des Aktionärs auflösend bedingt, so hat es dieser in der Hand, durch einseitige Erklärung die Stimmrechte zur Entstehung zu bringen. Dass es sodann noch der Umschreibung der Aktienurkunden bedarf, ändert an dem materiell-rechtlichen Erwerb der Stimmrechte nichts und kann deshalb auch die Zurechnung nicht hindern. Die Rechtslage unterscheidet sich insoweit von derjenigen beim abgeleiteten Erwerb von Aktien, soweit dieser sich, wie im Regelfall, nach wertpapierrechtlichen Grundsätzen vollzieht und deshalb neben der dinglichen Einigung noch die Übergabe der Urkunde oder ein Übergabesurrogat voraussetzt. Wieder anders verhält es sich bei dem durch Wandlungserklärung und Urkundentausch auflösend bedingten Vorzug. Bei ihm kann die Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien nicht schon durch Gestaltungserklärung des Vorzugsaktionärs herbeigeführt werden. Nachdem die Ersetzung der Aktienurkunde Teil der auflösenden Bedingung und damit Voraussetzung für den Wegfall der Vorzüge ist, bedarf es vielmehr zur Erlangung der Stimmrechte zusätzlich der Aushändigung einer neuen – auf Stammaktien lautenden –
__________ 61 Näher dazu Habersack in MünchKomm.AktG (Fn. 15), § 221 AktG Rz. 225 ff. 62 S. bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 54; ferner v. Bülow in KölnKomm. WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rz. 96, Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 57), § 22 WpHG Rz. 112, die jew. noch darauf hinweisen, dass die vom Wandelgläubiger zu beanspruchenden Aktien regelmäßig noch gar nicht entstanden sind.
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Urkunde; erst hierdurch tritt, wie im Einzelnen unter III. 2. b) dargelegt worden ist, die Rechtsfolge des § 141 Abs. 4 AktG ein. Auf die Aushändigung einer solchen Urkunde hat der Vorzugsaktionär zwar Anspruch, die Erfüllung desselben erfordert indes entsprechende Erfüllungshandlungen seitens der Gesellschaft. Angesichts dessen fehlt es an der in der Amtlichen Begründung herausgestellten und auch von der herrschenden Meinung geforderten Voraussetzung, dass zum Eigentumserwerb der Aktien durch den Bieter nur noch seine Willenserklärung erforderlich ist63. Die Rechtsstellung des Inhabers der wandelbaren Vorzugsaktien entspricht dann vielmehr im Ergebnis derjenigen des Wandelgläubigers: Wie dieser muss er zur Erlangung der Stimmrechte einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Gesellschaft durchsetzen. Anders als im Fall der Wandelanleihe existiert zwar die – nach Abgabe der Wandlungserklärung und Austausch der Aktienurkunde das Stimmrecht verkörpernde – Aktie als solche bereits; dies allein vermag indes die Zurechnung keinesfalls zu begründen. 3. Zwischenergebnis Damit kann festgehalten werden, dass wandelbare Vorzugsaktien als solche keine Zurechnung nach §§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG rechtfertigen, wenn die Vorzüge unter der auflösenden Bedingung nicht nur einer Umwandlungserklärung des Aktionärs, sondern darüber hinaus auch der Ersetzung der Aktienurkunden stehen und die Bedingung noch nicht eingetreten ist. Verhält es sich dagegen so, dass der Vorzug allein unter der auflösenden Bedingung einer entsprechenden Wandlungserklärung des Aktionärs steht, so ist die Zurechnung geboten.
VI. Resümee Das AktG steht wandelbaren Vorzugsaktien – anders als rückerwerbbaren Aktien64 – aufgeschlossen gegenüber. Dies gilt zunächst hinsichtlich der Aktiengattung als solcher. Darüber hinaus ermöglicht es § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht nur, dass die Aktionäre den Vorstand ausdrücklich zur Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien ermächtigen. Vorbehaltlich des § 204 Abs. 2 kann der Vorstand vielmehr auch ein nicht näher konkretisiertes genehmigtes Kapital zur Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien nutzen. Das durch „Siemens/ Nold“ gestärkte genehmigte Kapital erweist sich damit auch in inhaltlicher Hinsicht als überaus flexibel. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die in den wandelbaren Vorzugsaktien verkörperten bedingten Stimmrechte vor Aus-
__________ 63 So für die noch ausstehende Übergabe der Aktienurkunde ausdrücklich und zutr. Diekmann in Baums/Thoma (Fn. 56), § 30 WpÜG Rz. 57. 64 Für Einführung de lege ferenda Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 235 f.; zuvor bereits Habersack in FS Lutter, 2000, S. 1329 ff.
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übung des Wandlungsrechts nur dann nach §§ 22 Abs. 1 Satz 1 WpHG, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG zuzurechnen sind, wenn die Umwandlung allein durch entsprechende Gestaltungserklärung und unabhängig von einem Austausch der Aktienurkunden erfolgt, dürfte die Ausgabe wandelbarer Vorzugsaktien – sei es im Rahmen einer regulären Kapitalerhöhung oder aus genehmigtem Kapital – von Fall zu Fall eine interessante Alternative zu den etablierten Aktiengattungen darstellen.
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Vom konzessionierten Wirtschaftsverein zur Aktiengesellschaft – Wege des Umwandlungsrechts Inhaltsübersicht I. Anlass der Fragestellung 1. Fortbestand des konzessionierten Wirtschaftsvereins als Gesellschaftsform? 2. Eingrenzung des Themas II. Vermögensrechtliche Ausgangslage der Mitglieder des konzessionierten Wirtschaftsvereins 1. Inhalt der Mitgliedschaft 2. Vermögensrechte des Mitglieds? III. Umwandlung durch Formwechsel in eine Aktiengesellschaft 1. Zulässigkeit 2. Ablauf des Formwechsels 3. Umwandlungsbericht, insbesondere „künftige Beteiligung der Anteilsinhaber“ 4. Berücksichtigung der konkreten Interessenlage
5. Fazit 6. Änderung der Mitgliederstruktur vor einem Formwechsel 7. Ausgestaltung der Aktien nach einem Formwechsel, weiterhin körperschaftliche Struktur IV. Umwandlung durch Ausgliederung des Unternehmens auf eine Aktiengesellschaft 1. Zulässigkeit 2. Satzungsmäßige Voraussetzungen 3. Anwendbare Vorschriften des UmwG 4. Ablauf der Ausgliederung zur Neugründung 5. Ausgliederungsbericht und Ausgliederungsplan V. Vergleich von Ausgliederung durch Neugründung einer AG und Formwechsel in eine AG
Um einen Eindruck von der außerordentlichen Spannweite der rechtlichen Materien zu gewinnen, denen Harm Peter Westermann sich wissenschaftlich gewidmet hat, ist am ehesten ein Blick in den von Walter Erman begründeten Kommentar zum BGB ratsam, der nunmehr seit langem von dem Jubilar herausgegeben wird1. Sowohl zu wesentlichen Kernbereichen des Zivilrechts (Allgemeines Schuldrecht, Bereicherungsrecht) als auch zu den Grundmodellen deutscher Gesellschaftsformen, dem Verein und der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, stammen die fundierten, sorgsam abwägenden Erläuterungen aus der Feder von Harm Peter Westermann. Doch weit darüber hinausgehend hat der Jubilar sein stetes Interesse an allen Bereichen des Gesellschaftsrechts in zahlreichen Stellungnahmen dokumentiert2. So mag die langjährige fach-
__________ 1 Vgl. zuletzt 11. Aufl. 2004. 2 Erwähnt seien nur: Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970; Handbuch der Personengesellschaften, Loseblatt; Scholz, GmbHG, Bd. 1, 10. Aufl. 2006, Bearbeitung der Einleitung, §§ 30–32, 33, 34; BGBVereinsrecht vor 100 Jahren und heute, in Gedächtnisschrift für Sonnenschein, 2003, S. 617 ff.
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Walther Hadding
liche und persönliche Verbundenheit mit besonderem Dank ihren Ausdruck in einem gesellschaftsrechtlichen Beitrag finden, der vielleicht in absehbarer Zeit praktische Relevanz gewinnen wird.
I. Anlass der Fragestellung 1. Fortbestand des konzessionierten Wirtschaftsvereins als Gesellschaftsform? Wer gewisse rechtspolitische Tendenzen beobachtet, dem erscheint die gesetzliche Anerkennung eines Vereins, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und der die Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung erlangt hat (§ 22 BGB), für die Zukunft nicht gesichert. Schon in dem „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft“, der im Jahr 1995 von Bundestagsabgeordneten und der Fraktion der SPD eingebracht wurde3, sah man „kein Bedürfnis nach einem vereinsrechtlich betriebenen Wirtschaftsunternehmen“. Der wirtschaftliche Verein werde „genutzt, notwendigen Offenlegungs- und Rechnungslegungspflichten zu entgehen“. „Fehlende Kontrolle der Unternehmensverwaltungen“ sei „im großen Umfang auch bei Vereinen zu beobachten“. Schon damals wurde vorgeschlagen, § 22 BGB zu streichen und dadurch den konzessionierten Wirtschaftsverein als Gesellschaftsform abzuschaffen. Nunmehr ist das Bundesministerium der Justiz (Referat I B 1) mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vereinsrechts“, Stand 25.8.2004, hervorgetreten4, in dem ebenfalls die Streichung von § 22 BGB vorgesehen ist. Der konzessionierte Wirtschaftsverein soll als grundsätzlich zulässige Gesellschaftsform („allgemeine Rechtsform“) ersatzlos entfallen und nur noch kraft einiger sondergesetzlicher Vorschriften zur Wahl stehen5. Ob eine solche gesetzgeberische Maßnahme sachgerecht ist, soll hier nicht erneut aufgegriffen werden6. Anzuknüpfen ist vielmehr an Abs. 3 eines § 11, der nach Art. 2 des genannten Entwurfs dem Art. 229 EGBGB angefügt werden soll: „Ein wirtschaftlicher Verein, dem … nach § 22 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Rechtsfähigkeit verliehen wurde, gilt mit Ablauf der Frist des Absatzes 1 als aufgelöst, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird oder der Verein sich nicht vorher in eine andere Rechtsform nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes umgewandelt oder die Rechtsform eines Vereins nach § 21 des Bürgerlichen Gesetzbuchs angenommen hat.“
__________
3 Vgl. BT-Drucks. 13/367 (Ziff. 2 zu Art. 4). 4 Vgl. Schreiben des BMJ v. 31.8.2004 – Az. I B 1 – 3411/1 – 14211/2004 (im Internet abrufbar unter www.jura.uni-duesseldorf.de/dozenten/noack). 5 Es handelt sich um Lohnsteuerhilfevereine (§§ 13 ff. StBerG), Verwertungsgesellschaften (§ 1 Abs. 4 Satz 1 UrhwahrnehmungsG), Erzeugergemeinschaften (§ 3 Abs. 1 MarktstrukturG), Forstbetriebsgemeinschaften (§§ 16–20, 37 f. BundeswaldG). 6 Reuter, NZG 2005, 738, 744, hat konstatiert, „daß sich möglicherweise ein Bedarf für wirtschaftliche Vereine in der jüngeren Vergangenheit neu entwickelt hat“. Vgl. zur Kritik dieses Entwurfs insgesamt Hadding, ZGR 2006, 137–166 m. Nachw. der Stellungnahmen in Fn. 7; außerdem noch A. Bergmann, ZGR 2005, 654–685 (hauptsächlich zum nicht eingetragenen Verein); Heermann, ZHR 170 (2006), 247 ff.; Segna, Rpfleger 2006, 449 ff.
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Nach Abs. 1 jenes Art. 229 § 11 EGBGB des Entwurfs sollen wirtschaftliche Vereine grundsätzlich „für eine Frist von zehn Jahren“ ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fortbestehen. In der Begründung zu Art. 2 des genannten Entwurfs7 wird erläutert, dass „die Umwandlung nach dem UmwG in eine eingetragene Genossenschaft oder eine Kapitalgesellschaft zumutbar“ erscheine. Für die eingetragene Genossenschaft wird dies ausgeführt. Im Übrigen wird erwähnt, dass „vor allem ein sog. Formwechsel“ in Betracht komme. „Dieser ändert die Vermögensordnung des Vereins nicht; es wird unter Identitätswahrung die korporative Struktur geändert“. 2. Eingrenzung des Themas a) Mit den wiedergegebenen Aussagen aus dem BMJ ist die zu erörternde Thematik umrissen. Trifft es zu, dass für die Mitglieder und Organe eines konzessionierten Wirtschaftsvereins, die auch nach der langen Übergangsfrist von zehn Jahren den „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ nicht aufgeben und sich nicht in einen sogenannten Idealverein (§ 21 BGB) zurückziehen wollen, bei einer Umwandlung nach dem UmwG „vor allem ein sog. Formwechsel“ in Betracht kommt? Ändert ein „Formwechsel“ des konzessionierten wirtschaftlichen Vereins in eine Kapitalgesellschaft (AG, KGaA, GmbH) zwar „die korporative Struktur“, nicht aber „die Vermögensordnung“ des Vereins? Welche Wege können nach dem UmwG beschritten werden und welche Rechtswirkungen sind damit verbunden? Dies soll hier exemplarisch für den Fall dargelegt werden, dass die Beteiligten die Umwandlung des konzessionierten Wirtschaftsvereins in eine Aktiengesellschaft anstreben. b) Nicht eingegangen wird hingegen auf die Möglichkeit, den „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“, also das von dem konzessionierten Wirtschaftsverein als Rechtsträger betriebene Unternehmen, entweder unmittelbar kraft Beschlusses der Mitgliederversammlung (Grundlagengeschäft)8 oder nach beschlossener Auflösung des Wirtschaftsvereins im Rahmen der Liquidation (§§ 41, 45, 47–53 BGB) zu veräußern (asset deal). In Erfüllung eines entsprechenden Verpflichtungsgeschäfts wäre das gesamte Vermögen des wirtschaftlichen Vereins auf den Erwerber zu übertragen9. Der wirtschaftliche Verein würde dann als „werbende“ oder in Liquidation befindliche juristische Person zunächst fortbestehen, ähnlich einem sogenannten „GmbH-Mantel“. Allerdings wäre der wirtschaftliche Verein der Empfänger eines gezahlten Preises, über dessen Verwendung zu befinden wäre, falls die Satzung dies nicht regelt. Schließlich wird nicht einbezogen die schon anderwärts näher dargelegte Verschmelzung eines Vereins, der als juristische Person rechtsfähig ist10.
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7 BMJ (Fn. 4), S. 29, 31. 8 Vgl. zur Beschlussfassung im Verein BGHZ 83, 35 ff. = NJW 1982, 1585; BGH, NJW 1987, 2430 = WM 1987, 651. 9 Eine „Vermögensübertragung“ mit Gesamtrechtsnachfolge (§§ 174–189 UmwG) entfällt, weil der rechtsfähige wirtschaftliche Verein keine Kapitalgesellschaft ist (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG gegenüber § 3 Abs. 2 Nr. 1 UmwG für die Verschmelzung). 10 Vgl. Hadding/Hennrichs in FS Boujong, 1996, S. 203; dies. in Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, §§ 99–104a UmwG.
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II. Vermögensrechtliche Ausgangslage der Mitglieder des konzessionierten Wirtschaftsvereins Um beurteilen zu können, ob bei einem konzessionierten Wirtschaftsverein „vor allem“ ein umwandlungsrechtlicher „Formwechsel“ in Betracht kommt, der angeblich „die Vermögensordnung des Vereins“ nicht ändert11, muss man sich als Ausgangslage vergegenwärtigen, welche vermögensrechtliche Stellung den Mitgliedern eines konzessionierten Wirtschaftsvereins zukommt. 1. Inhalt der Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft als die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten ist die Stellung des Mitglieds im Rechtsverhältnis zu dem Verein. Aus diesem Rechtsverhältnis zwischen dem Mitglied und dem Verein gehen die einzelnen Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten hervor; sie bilden den Inhalt des Rechtsverhältnisses. Maßgebend dafür, welche einzelnen Mitgliedschaftsrechte und -pflichten aus dem Rechtsverhältnis entstehen, ist in erster Linie die Satzung des Vereins, gegebenenfalls mit allen auf dieser Rechtsgrundlage beschlossenen Vereinsordnungen, ferner etwaige besondere Abreden beim Eintritt oder Beschlüsse und sonstige Maßnahmen von Vereinsorganen sowie die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften. Aus dem Zusammenwirken dieser Regelungen ist im konkreten Fall die Rechtslage zwischen dem Mitglied und dem Verein herzuleiten. Dies gilt sowohl für sogenannte Idealvereine (§ 21 BGB) als auch für Wirtschaftsvereine (§ 22 BGB), und zwar unabhängig davon, auf welche Weise sie Rechtsfähigkeit erlangt haben12. 2. Vermögensrechte des Mitglieds? Die einzelnen Mitgliedschaftsrechte (vgl. § 38 Satz 2 BGB) lassen sich nach ihrem Inhalt hauptsächlich in Mitverwaltungsrechte und Vorteilsrechte einteilen13. Zu den Vorteilsrechten, die als Rechte auf die Teilhabe an den Vorteilen aus der Verfolgung des Vereinszwecks zu kennzeichnen sind, gehören auch Vermögensrechte des Mitglieds, die allerdings nur ausnahmsweise bestehen. Denn in der Regel entstehen aus dem Rechtsverhältnis zum Verein nicht irgendwelche mitgliedschaftlichen Vermögensrechte, wie etwa ein „Anteil“ des einzelnen Mitglieds am Vereinsvermögen oder ein Anspruch auf einen „Gewinnanteil“14. Auch beim Ausscheiden ergibt sich deshalb in der Regel kein Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben (anders bei den Gesamthand-Personalgesellschaften gemäß § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB). Als vermögens-
__________ 11 Vgl. BMJ (Fn. 7). 12 Vgl. dazu näher Hadding in FS Kraft, 1998, S. 137 ff. 13 Vgl. Hadding in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, § 38 BGB Rz. 16 m. Nachw. auch zu anderer Terminologie. 14 Vgl. Ballerstedt, Mitgliedschaft und Vermögen beim rechtsfähigen Verein, in FS Knur, 1972, S. 1, 15 ff.
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rechtlicher Bestandteil der Mitgliedschaft kommt meistens nur eine Teilhabe bei einem Anfall des Vereinsvermögens an die vorhandenen Mitglieder bei der Auflösung des Vereins unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 BGB in Betracht. Allerdings kann in der Satzung vorgesehen werden, dass die Mitglieder an Erträgnissen aus den Maßnahmen zur Erreichung des Vereinszwecks zu beteiligen sind. Die Mitgliedschaft umfasst dann während ihrer Dauer als vermögensrechtlichen Bestandteil einen aus dem Rechtsverhältnis zum Verein jeweils entstehenden vermögensrechtlichen Anspruch, der beim Ausscheiden einen Anspruch auf Abfindung ergeben kann. Als Ausgangspunkt muss man sich also vergegenwärtigen, dass es bei dem konzessionierten wirtschaftlichen Verein als Rechtsträger grundsätzlich keine gesellschaftsrechtlichen Anteile in den Händen der Mitglieder (oder von Dritten) gibt, die als Bestandteile der Mitgliedschaft (oder anderweitig) die insgesamt im Unternehmen bestehenden Vermögenswerte repräsentieren. Die bisher von dem konzessionierten wirtschaftlichen Verein getragenen Vermögenswerte in Gestalt eines wirtschaftlichen Unternehmens können daher einem Fortbestand mit Anteilen in den Händen der bisherigen Mitglieder oder anderer Personen nur dadurch zugänglich gemacht werden, dass eine Umwandlung durchgeführt wird, die einen anderen Rechtsträger ergibt, bei dem gesellschaftsrechtliche Anteile bestehen. Dies führt zu der Frage nach Wegen des Umwandlungsrechts für den konzessionierten Wirtschaftsverein, hier mit dem Ziel einer Aktiengesellschaft als nunmehrigem Rechtsträger.
III. Umwandlung durch Formwechsel in eine Aktiengesellschaft 1. Zulässigkeit a) „Ein Rechtsträger kann durch Formwechsel eine andere Rechtsform erhalten“ (§ 190 Abs. 2 UmwG). Es findet kein Vermögensübergang statt. Der identisch bleibende Rechtsträger ändert nur seine Qualifizierung im System der Gesellschaftsformen; er ist derselbe Rechtsträger in einem anderen „Rechtskleid“. Formwechselnde Rechtsträger können unter anderem „rechtsfähige Vereine“ sein (§ 191 Abs. 1 Nr. 4 UmwG), also auch rechtsfähige wirtschaftliche Vereine (§ 22 BGB). Rechtsträger neuer Rechtsform können bei der Umwandlung eines rechtsfähigen Vereins durch Formwechsel nur Kapitalgesellschaften oder eingetragene Genossenschaften sein (§§ 272 Abs. 1, 191 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 UmwG). „Kapitalgesellschaften“ sind gemäß § 191 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG Aktiengesellschaften (AG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Hier soll allein eine AG als Rechtsträger neuer Rechtsform im Vordergrund des Interesses stehen, so dass auf die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Formwechsels vom konzessionierten wirtschaftlichen Verein in eine AG einzugehen ist. Von den Beteiligten Rechtsträgern her ist ein solcher Formwechsel rechtlich zulässig. b) Es ist davon auszugehen, dass in der geltenden Satzung eines konzessionierten wirtschaftlichen Vereins ein „Formwechsel“ in der Regel nicht ausdrück937
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lich angesprochen ist. Eher kommt es vor, dass in der Satzung die „Umwandlung“ geregelt wird. Dies umfasst dann ersichtlich in erster Linie den Formwechsel des wirtschaftlichen Vereins als bisherigem Rechtsträger. Es kann auch sein, dass die Terminologie in den Vorschriften der Satzung eines wirtschaftlichen Vereins (z. B. „Vereinigung, Verschmelzung, Umwandlung sowie die Übertragung des Vereinsvermögens“) noch aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des gegenwärtig geltenden Umwandlungsgesetzes am 1.1.1995 stammt. Ein Vorbehalt, nach dem die Satzung des rechtsfähigen wirtschaftlichen Vereins einem Formwechsel entgegensteht (§ 272 Abs. 2 UmwG), wird in der Regel nicht gegeben sein. Dies ist entscheidend. Es sind dann die gesetzlichen Vorschriften, insbesondere des Umwandlungsgesetzes, maßgebend. 2. Ablauf des Formwechsels Für den Ablauf des Formwechsels eines rechtsfähigen wirtschaftlichen Vereins in eine AG kommt es auf die folgenden gesetzlich vorgesehenen Schritte an: – Erstattung des Umwandlungsberichts (§§ 192, 274 Abs. 1, 229 UmwG), – ggf. Prüfung des Abfindungsangebots (§§ 208, 30 Abs. 2 UmwG), – Einberufung der Mitgliederversammlung nebst Auslegung des Umwandlungsberichts in dem Geschäftsraum und Versendung auf Verlangen (§§ 274 Abs. 1 Satz 1, 229, 230 Abs. 2, 231 Satz 1, 260 Abs. 1 UmwG), – Auslegung des Umwandlungsberichts und mündliche Erläuterung des Entwurfs des Umwandlungsbeschlusses zu Beginn der Verhandlung in der Mitgliederversammlung durch den Vorstand (§§ 274 Abs. 2, 239 UmwG), – Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung (§§ 193 Abs. 1, 194 Abs. 1, 275 Abs. 1 und Abs. 2 UmwG i. V. m. einschlägigen Satzungsregelungen, 276 UmwG), – Gründungsprüfung beim Formwechsel in eine AG (§§ 197 Satz 1, 277, 264 UmwG i. V. m. §§ 33–35 AktG), – Anmeldung und Eintragung des Formwechsels (§§ 198, 199, 278, 222 Abs. 1 und Abs. 3 UmwG), – Bekanntmachung des Formwechsels (§§ 279, 201 UmwG), – Benachrichtigung der Anteilsinhaber (§§ 281 Abs. 1, 267, 268 UmwG). Unter diesen Maßnahmen interessiert vornehmlich die Erstattung des Umwandlungsberichts gemäß § 192 Abs. 1 und Abs. 2 UmwG. Denn in dem Umwandlungsbericht müssen alle rechtlichen und wirtschaftlichen Modalitäten des Formwechsels, die für die Beteiligten bedeutsam sind, enthalten sein und näher dargelegt werden. Sodann ist die Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung entscheidend. Hierzu kommt es in erster Linie auf die einschlägigen Satzungsregelungen an, die gegenüber den gesetzlichen Anforderungen „größere Mehrheiten und weitere Erfordernisse bestimmen“ können (§ 275 Abs. 2 Satz 3 UmwG). Die übrigen Schritte sind – abgesehen von der Gründungsprüfung für die AG als neue Rechtsform – eher formaler/techni938
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scher Art. Näher einzugehen ist daher auf die Notwendigkeit und den gebotenen Inhalt des Umwandlungsberichts. 3. Umwandlungsbericht, insbesondere „künftige Beteiligung der Anteilsinhaber“ a) Nach der gesetzlichen Regelung ist ein Umwandlungsbericht gemäß § 192 Abs. 1 und Abs. 2 UmwG nur dann nicht erforderlich, wenn an dem formwechselnden Rechtsträger nur ein Anteilsinhaber beteiligt ist oder wenn alle Anteilsinhaber auf seine Erstattung durch notariell beurkundete Erklärungen verzichten (§ 192 Abs. 3 UmwG). Diese Regelung bleibt auch beim Formwechsel eines rechtsfähigen Vereins „unberührt“ (§ 274 Abs. 1 Satz 2 UmwG). „Anteilsinhaber“ sind nach der Begriffsbestimmung in § 2 UmwG auch die Mitglieder von rechtsfähigen Vereinen, selbst wenn ihnen in der Regel kein „Anteil“ am Vereinsvermögen als Bestandteil der Mitgliedschaft zusteht. Möglich wäre also, dass alle Mitglieder eines rechtsfähigen wirtschaftlichen Vereins durch notariell beurkundete Erklärung auf die Erstattung des Umwandlungsberichts verzichten. Ob sich dies jeweils erreichen lässt, hängt von den Umständen des konkreten Falls ab. Nicht erforderlich wäre ein Umwandlungsbericht sonst nur, wenn die Anzahl der Vereinsmitglieder auf eins herabgesunken und die staatliche Verleihung der Rechtsfähigkeit noch nicht widerrufen worden ist (§ 49 Abs. 2 VwVfG). b) Geht man von dem Erfordernis eines Umwandlungsberichts aus, so hat der Vorstand als Vertretungsorgan des wirtschaftlichen Vereins als formwechselnder Rechtsträger „einen ausführlichen schriftlichen Bericht zu erstatten, in dem der Formwechsel und insbesondere die künftige Beteiligung der Anteilsinhaber an dem Rechtsträger rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden“ (§ 192 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung des Rechtsträgers sowie auf die Folgen für die Beteiligung der Anteilsinhaber ist hinzuweisen (§ 192 Abs. 1 Satz 2; entsprechend § 8 Abs. 1 Satz 2 UmwG). „Der Umwandlungsbericht muss einen Entwurf des Umwandlungsbeschlusses enthalten“ (§ 192 Abs. 1 Satz 3 UmwG). Bestandteil des Berichts ist ferner eine beizufügende Vermögensaufstellung, in der die Gegenstände und Verbindlichkeiten des formwechselnden Rechtsträgers, das heißt des konzessionierten wirtschaftlichen Vereins, mit dem wirtschaftlichen Wert anzusetzen sind, der ihnen am Tage der Erstellung des Berichts beizulegen ist (§ 192 Abs. 2 UmwG). c) An dieser Stelle soll das Augenmerk darauf gerichtet werden, dass in dem Umwandlungsbericht „insbesondere die künftige Beteiligung der Anteilsinhaber an dem Rechtsträger rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden“ muss (§ 192 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Hierzu muss man sich vergegenwärtigen, dass der formwechselnde Rechtsträger mit der Eintragung in das Register als solcher in der im Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform weiter besteht (§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Der in die Rechtsform einer AG gewechselte wirtschaftliche Verein ist mithin kein neuer Rechtsträger, sondern hat nur ein anderes „Rechtskleid“. Dementsprechend sind die 939
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Anteilsinhaber des „formwechselnden Rechtsträgers“, das heißt die Mitglieder des bisherigen wirtschaftlichen Vereins, weiterhin an demselben Rechtsträger „nach den für die neue Rechtsform geltenden Vorschriften beteiligt“ (§ 202 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 UmwG). Die Mitglieder des wirtschaftlichen Vereins werden also durch den Rechtsformwechsel Aktionäre. Ihre Beteiligung bleibt identisch, nur die einzelnen Mitgliedschaftsrechte wandeln sich rechtsformspezifisch. Das geschieht grundsätzlich nur so, dass die Anteilsinhaber im gleichen Verhältnis wie bisher beteiligt bleiben15. Dies wird für den Formwechsel eines rechtsfähigen Vereins in eine Kapitalgesellschaft in § 280 Satz 1 UmwG noch einmal unmissverständlich klargestellt: „Durch den Formwechsel werden die bisherigen Mitgliedschaften zu Anteilen an der Gesellschaft neuer Rechtsform …“. Die Vereinsmitglieder sollen grundsätzlich mit gleich hohen Anteilen, also nach Köpfen, an der Gesellschaft in neuer Rechtsform beteiligt werden16. An die Stelle der Mitgliedschaft im Verein können nicht nur volle Anteile an der Gesellschaft neuer Rechtsform (zum Beispiel AG) treten, sondern auch „Teilrechte“ (§ 280 Abs. 1 Satz 1 am Ende UmwG), auf die § 266 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 3 UmwG entsprechend anzuwenden ist (§ 280 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Beim Formwechsel des Vereins in eine AG muss auf jedes Mitglied, das an der Gesellschaft neuer Rechtsform (AG) beteiligt wird, als Aktionär mindestens eine volle Aktie entfallen (§ 273 UmwG). d) Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung hat es den Anschein, dass bei einem Formwechsel des konzessionierten wirtschaftlichen Vereins in eine AG sämtliche bisherigen Vereinsmitglieder gleichrangig zu Aktionären werden, denen jeweils die gleiche Anzahl Aktien bezogen auf das in der neuen Satzung festzulegende Grundkapital der AG zufällt. Es ist aber meistens so, dass den Mitgliedern des wirtschaftlichen Vereins, die oft auch natürliche Personen sind, bislang überhaupt nicht irgendeine Beteiligung im Sinne eines vermögensrechtlichen Bestandteils ihrer Mitgliedschaft zukommt. Insofern haben bisher alle Mitglieder die gleiche Rechtsstellung. Es bleibt aber bei der grundsätzlichen Regelung, dass alle Mitglieder des identischen Rechtsträgers „einen gleich hohen Anteil erhalten“, nämlich die gleichrangige und im Umfang gleiche Beteiligung am Grundkapital der Gesellschaft neuer Rechtsform (AG). 4. Berücksichtigung der konkreten Interessenlage a) Eine derartige Rechtsfolge des Formwechsels eines konzessionierten wirtschaftlichen Vereins in eine AG kann angesichts der bisher nicht gegebenen Rechtsstellung der Mitglieder des wirtschaftlichen Vereins hinsichtlich „seines Vermögens“ oft nicht befriedigen. Da der Formwechsel von einem wirtschaftlichen Verein in eine AG die Verfassung des Rechtsträgers (vgl. § 25 BGB) ändert, ist der Umwandlungsbeschluss auf eine Satzungsänderung gerichtet.
__________
15 Vgl. Kübler in Semler/Stengel, UmwG, 2003, § 202 UmwG Rz. 23. 16 Vgl. Krieger in Lutter (Fn. 10), § 276 UmwG Rz. 9 m. Nachw.
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Die bisherige Satzung des wirtschaftlichen Vereins entfällt und wird durch die Satzung der AG ersetzt. b) Die Umstände können ergeben, dass man, um die Interessenlage der Beteiligten zu berücksichtigen, nach einer rechtlichen Lösung suchen muss, die im Ergebnis das Vermögen des wirtschaftlichen Vereins in Gestalt des bisher betriebenen Unternehmens auch bei einem Formwechsel in eine AG durch Teilhabe an den Aktien in einem bestimmten Verhältnis nur auf bestimmte Mitglieder oder Dritte verteilt. Ein Weg dahin ist bei näherem Zusehen nach einer besonderen Vorschrift in § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG eröffnet. Für den Formwechsel eines rechtsfähigen Vereins trägt die spezifische Regelung in § 276 Abs. 2 UmwG der Gegebenheit Rechnung, dass die Vereinsmitgliedschaft in aller Regel keinen Anteil am Vermögen des rechtsfähigen Vereins vermittelt17. Deshalb wird in einer abschließenden Aufzählung („nur“) vorgesehen, nach welchen abweichenden Maßstäben die Beteiligung der Mitglieder an dem Rechtsträger in neuer Rechtsform gestaltet werden kann, „wenn nicht alle Mitglieder einen gleich hohen Anteil erhalten sollen“. Bei einem Formwechsel des wirtschaftlichen Vereins in eine AG kommt z. B. im Hinblick auf eine besondere Interessenlage die Heranziehung von § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG in Betracht. Die Beteiligung der Mitglieder am Grundkapital der Gesellschaft neuer Rechtsform darf gemäß § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG nach einem in der Satzung des Vereins bestimmten „Maßstab für die Verteilung des Vermögens“ festgelegt werden. Einen solchen Maßstab kann die Satzung des wirtschaftlichen Vereins etwa in einer Regelung über den Anfall des Vermögens nach Beendigung einer Liquidation enthalten. Dieser satzungsmäßige „Maßstab für die Verteilung des Vermögens“ kann gemäß § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG ergeben, dass bei einem Formwechsel des wirtschaftlichen Vereins in eine AG die Beteiligung am Grundkapital entsprechend der Regelung über den Anfall des Vereinsvermögens nach Beendigung einer Liquidation festgelegt werden darf. c) Für die Regelung der künftigen Beteiligung der Anteilsinhaber an der AG als neuem Rechtsträger des wirtschaftlichen Vereins, die in dem Umwandlungsbericht „rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden“ und in dem Umwandlungsbeschluss enthalten sein muss (§§ 192 Abs. 1 Satz 1, 276, 218 Abs. 1 Satz 1 UmwG, § 54 AktG), könnte ein rechtliches Hindernis dann entstehen, wenn ein Dritter, der bislang nicht Mitglied des wirtschaftlichen Vereins ist, an dem Rechtsträger des Unternehmens in der Rechtsform einer AG beteiligt werden soll. In § 276 Abs. 2 UmwG werden nämlich abweichende Maßstäbe für die „Beteiligung der Mitglieder … am Grundkapital“ für zulässig erachtet, „wenn nicht alle Mitglieder einen gleich hohen Anteil erhalten sollen“. Doch kann dies bei näherem Zusehen dem entwickelten Ergebnis durch Anwendung von § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG letztlich nicht entgegenstehen.
__________ 17 Regierungsbegründung in Ganske, Umwandlungsrecht, 2. Aufl. 1995, S. 259; Katschinski in Semler/Stengel (Fn. 15), § 276 UmwG Rz. 2.
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aa) Zum einen ist rechtlich zu beachten, dass „die Verteilung des Vermögens“ bei einem rechtsfähigen Verein nach einem in der Satzung bestimmten Maßstab (§ 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG) praktisch wohl nur nach einer Auflösung oder Entziehung der Rechtsfähigkeit sowie der sich anschließenden Liquidation im Wege der „Ausantwortung“ an die „Anfallberechtigten“ vorkommt (§§ 45, 47, 49 Abs. 1 Satz 1, 51, 53 BGB). Der „Anfall“ des Vereinsvermögens findet aber gemäß § 45 Abs. 1 BGB in erster Linie, das heißt vorrangig, „an die in der Satzung bestimmten Personen“ statt. Die Anfallberechtigten können in der entsprechenden Satzungsbestimmung selbst unmittelbar festgelegt sein. Dies ist dann allein und ohne weiteres maßgebend. Die in der Satzung als Anfallberechtigte bestimmten Personen müssen keinesfalls Mitglieder des Vereins, sondern können auch außenstehende Dritte sein, und zwar natürliche oder juristische Personen oder sonst rechtsfähige Gemeinschaften (zum Beispiel eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder ein nicht eingetragener oder konzessionierter Verein). Das geht daraus hervor, dass die Satzung oder das nach ihr zuständige Vereinsorgan (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 BGB) hinsichtlich der Bestimmung der Person(en) des/der Anfallberechtigten grundsätzlich frei ist. Erst wenn es nämlich an einer Bestimmung des/der Anfallberechtigten fehlt, „fällt das Vermögen, wenn der Verein nach der Satzung ausschließlich den Interessen seiner Mitglieder diente, an die zur Zeit der Auflösung oder Entziehung der Rechtsfähigkeit vorhandenen Mitglieder zu gleichen Teilen“ (§ 45 Abs. 3 BGB). Wenn daher § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG als einen in der Satzung des formwechselnden Vereins bestimmten Maßstab für die Beteiligung am Grundkapital der Gesellschaft neuer Rechtsform eine Regelung „für die Verteilung des Vermögens“ zulässt, dann können Anteilsinhaber (sprich Aktionäre) aufgrund des Formwechsels in eine AG auch in der Satzung unmittelbar bestimmte „Anfallberechtigte“ im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 BGB werden, selbst wenn sie bisher nicht Mitglieder des Vereins waren. Nur wenn auch diese rechtliche Möglichkeit eröffnet ist, gewinnt die Anerkennung eines in der Satzung bestimmten Maßstabs für die Verteilung des Vermögens (§ 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG) einen praktischen Anwendungsbereich und damit ihren Sinn. bb) Im Übrigen bleibt immer noch der Weg gangbar, dass der Dritte vor dem Formwechsel in eine AG in den wirtschaftlichen Verein als Mitglied aufgenommen wird. 5. Fazit Als Fazit ist festzuhalten: Der zulässige Formwechsel eines rechtsfähigen wirtschaftlichen Vereins in eine Aktiengesellschaft kann als Tatbestand einer Umwandlung von der Mitgliederversammlung durch die Ja-Stimmen der anwesenden Mitglieder des wirtschaftlichen Vereins beschlossen werden; Enthaltungen bleiben unberücksichtigt. Der Ablauf des Formwechsels besteht in einer Reihe gesetzlich vorgesehener Schritte. In einem Umwandlungsbericht ist insbesondere „die künftige Beteiligung der Anteilsinhaber an dem Rechtsträger“ rechtlich und wirtschaftlich zu erläutern und zu begründen. Durch den Formwech942
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sel werden „die bisherigen Mitgliedschaften zu Anteilen an der Gesellschaft neuer Rechtsform“ (§ 280 Satz 1 UmwG), so dass hiernach nur alle Mitglieder des wirtschaftlichen Vereins gleichrangig und in gleichem Umfang Aktien erhalten würden, obwohl bisher die Mitglieder keinen unmittelbaren „Anteil“ am Vermögen des wirtschaftlichen Vereins hatten. Es kann also keine Rede davon sein, dass ein Formwechsel „die Vermögensordnung des Vereins“ nicht ändere (vgl. Fn. 7). Eine konkrete Interessenlage, die ein anderes Verhältnis der Beteiligung an der AG erfordert, kann aufgrund der besonderen Vorschrift in § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG Berücksichtigung finden. Die Anteile an der Gesellschaft neuer Rechtsform (hier: Aktien) können nach einem in der Satzung des Vereins bestimmten „Maßstab für die Verteilung des Vermögens“ zugerechnet werden. Hiernach kann in dem Umwandlungsbeschluss, dessen Entwurf im Umwandlungsbericht enthalten sein muss, festgelegt werden, dass bestimmte Mitglieder oder auch Dritte in bestimmtem Umfang Aktien erhalten. 6. Änderung der Mitgliederstruktur vor einem Formwechsel a) Bei einem Formwechsel des wirtschaftlichen Vereins in eine Aktiengesellschaft mag es sein, dass man den durch die Ausnahmeregelung des § 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG eröffneten Weg einer Zuweisung der Aktien nach dem Maßstab der Verteilung des Vermögens, wie er sich aus der Satzung ergibt, nicht gehen will. Ein dieser Lösung entsprechender Erwerb der Aktien durch bestimmte Beteiligte lässt sich unter diesen Umständen auch dadurch erreichen, dass vor dem Formwechsel in eine AG die Mitgliederstruktur des wirtschaftlichen Vereines verändert wird. Denn im Grundsatz fallen bei einem Formwechsel in eine AG die Aktien, die anstelle der Mitgliedschaften in dem Verein entstehen, gleichrangig und zu gleichen Teilen den bislang vorhandenen Mitgliedern zu, die dadurch zu Aktionären werden. Soll ein Dritter einen Teil der neuen Aktien erhalten, so muss er vor dem Formwechsel als Mitglied in den wirtschaftlichen Verein aufgenommen werden. b) Allerdings wird man auch bei dieser Lösung für die Verteilung der Aktien der Gesellschaft neuer Rechtsform letztlich auf den ausnahmsweise nach der Satzung zulässigen Maßstab der „Verteilung des Vermögens“ zurückgreifen müssen (§ 276 Abs. 2 Nr. 5 UmwG i. V. m. der Satzung). Denn nur so lässt sich statt gleicher Anteilsrechte für die Mitglieder eine Verteilung der Aktien in einem anderen Verhältnis und auch auf Dritte rechtfertigen. 7. Ausgestaltung der Aktien nach einem Formwechsel, weiterhin körperschaftliche Struktur a) Bei einem Formwechsel muss der Umwandlungsbericht einen Entwurf des Umwandlungsbeschlusses enthalten (§ 192 Abs. 1 Satz 3 UmwG), in dem seinerseits die Satzung der neuen AG festgestellt werden muss (§ 276 Abs. 1 i. V. m. § 218 Abs. 1 Satz 1 UmwG entsprechend). Die Feststellung der Satzung der AG umfasst, welche Person(en) als Aktionär(e) welche Arten und etwaige 943
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Gattungen von Aktien übernehmen (§§ 2, 23 Abs. 2 AktG). Es ist vorzusehen, ob das zu bestimmende Grundkapital der AG in Nennbetragsaktien oder in Stückaktien zerlegt sein soll (§§ 8 f. AktG). Ferner ist zu regeln, ob Inhaberaktien oder/und Namensaktien ausgegeben werden (§§ 10, 68 AktG). Schließlich ist festzulegen, ob alle Aktien gleiche Rechte verkörpern oder ob unterschiedliche Gattungen von Aktien bestehen sollen, namentlich mit unterschiedlichen Rechten hinsichtlich einer Gewinnverteilung (§§ 11, 58 Abs. 3 AktG). In Betracht kommen zum Beispiel Vorzugsaktien, aber ohne Stimmrecht (§ 12 AktG). Von der Ausgestaltung der Aktien hängt auch ihre Veräußerbarkeit nebst Modalitäten ab. Neuerdings wird vertreten – wenngleich im Hinblick auf Kapitalgesellschaften, auf die Profi-Sportabteilungen ausgegliedert worden sind –, dass auch Aktien ohne vermögensrechtlichen Inhalt (Ansprüche auf Gewinnanteile am Liquidationserlös) zulässig seien. b) Soweit mit dem Formwechsel in eine AG eine Änderung der Satzung des rechtsfähigen wirtschaftlichen Vereins verbunden ist, wäre an sich nach § 33 Abs. 2 BGB eine staatliche Genehmigung erforderlich. Die Vorschrift ist jedoch abdingbar (§ 40 BGB). Davon kann in der Satzung Gebrauch gemacht worden sein, so dass dieses Erfordernis dann entfällt. c) Hält man sich vor Augen, dass eine AG ebenso wie ein Verein als ihr Grundmodell – früher sprach man noch von „Actienverein“ – körperschaftlich organisiert ist, dann ändert sich durch den Formwechsel eines konzessionierten Wirtschaftsvereins in eine AG insoweit nichts. Dieses wichtige Strukturelement, nämlich das Angelegtsein auf eine Fluktuation der Mitglieder18, bleibt erhalten. Die „korporative Struktur“ wird also gerade nicht geändert19.
IV. Umwandlung durch Ausgliederung des Unternehmens auf eine Aktiengesellschaft 1. Zulässigkeit Anstelle eines Formwechsels des wirtschaftlichen Vereins in eine Aktiengesellschaft (vgl. oben III.) kommt als Weg einer Umwandlung auch eine Ausgliederung des wirtschaftlichen Unternehmens auf eine zu gründende Aktiengesellschaft in Betracht. a) Die mögliche Umwandlungsart der „Spaltung“ kennt als Unterfall neben der „Aufspaltung“ (§ 123 Abs. 1 UmwG) und der „Abspaltung“ (§ 123 Abs. 2 UmwG) den Tatbestand der „Ausgliederung“ (§ 123 Abs. 3 UmwG). Hiernach kann ein übertragender Rechtsträger aus seinem Vermögen einen Teil oder mehrere Teile ausgliedern (1.) zur Aufnahme auf einen schon bestehenden übernehmenden Rechtsträger oder (2.) zur Neugründung „durch Übertragung
__________ 18 Vgl. dazu Hadding in Hadding (Hrsg.), Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935, 1999, S. 147, 166 ff. 19 Vgl. aber BMJ (Fn. 7).
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dieses Teils oder dieser Teile jeweils als Gesamtheit auf einen … von ihm dadurch gegründeten neuen … Rechtsträger gegen Gewährung von Anteilen … dieses Rechtsträgers … an den übertragenden Rechtsträger“. Der letztere Fall (§ 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG) wird auch als „Ausgründung“ bezeichnet. Im Unterschied zu der Abspaltung gehen bei der Ausgliederung die Anteile des übernehmenden oder neuen Rechtsträgers nicht an die Anteilsinhaber (Mitglieder) des übertragenden Rechtsträgers; vielmehr stehen die Anteile des übernehmenden oder neuen Rechtsträgers aufgrund einer Ausgliederung dem übertragenden Rechtsträger selbst zu. Außerdem kann bei der Ausgliederung auch das gesamte Vermögen des übertragenden Rechtsträgers im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) übertragen werden: Totalausgliederung20. Nach einer Totalausgliederung besteht das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers nur noch aus den Anteilen des übernehmenden Rechtsträgers (Ausgliederung zur Neugründung), oder des neuen Rechtsträgers, so dass der übertragende Rechtsträger zu einer Holdinggesellschaft wird. Die Zulässigkeit der Totalausgliederung auf nur einen übernehmenden oder neuen Rechtsträger wird ebenso nahezu einhellig bejaht21. b) An einer Ausgliederung kann als übertragender Rechtsträger ein konzessionierter wirtschaftlicher Verein beteiligt sein (§ 124 Abs. 1 UmwG), und zwar auch dann, wenn er aufgelöst ist und seine Fortsetzung beschlossen werden kann (§ 124 Abs. 2, § 3 Abs. 3 UmwG entsprechend). Vorausgesetzt wird, dass die Satzung des Vereins oder Vorschriften des Landesrechts der Ausgliederung nicht entgegenstehen (§ 149 Abs. 1 UmwG)22. Wenn in der Satzung des wirtschaftlichen Vereins von „Umwandlung“ (neben „Vereinigung, Verschmelzung und Übertragung des Vereinsvermögens“) gesprochen wird, so umfasst dies ersichtlich nicht nur den Formwechsel, sondern auch die Tatbestände einer Spaltung, insbesondere einer Ausgliederung (vgl. schon oben III. 1. b)). Als übernehmender oder neuer Rechtsträger kann an einer Ausgliederung eine Aktiengesellschaft beteiligt sein (§ 124 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Eine vollständige Ausgliederung des Vermögens des wirtschaftlichen Vereins in Gestalt des wirtschaftlichen Unternehmens im Wege der Übertragung „als Gesamtheit“ auf eine von dem wirtschaftlichen Verein dadurch gegründete neue Aktiengesellschaft (AG) ist daher rechtlich zulässig. Wichtig ist die Feststellung, dass aufgrund einer solchen Totalausgliederung sämtliche so oder so ausgestalteten Aktien („Anteile“) zu 100 v. H. dem als Holdinggesellschaft fortbestehenden werbenden wirtschaftlichen Verein als solchem zustehen. Freilich wäre bei einer Fortsetzung des Unternehmens durch die AG als neuen
__________ 20 Einhellige Ansicht, vgl. Teichmann in Lutter (Fn. 10), § 123 UmwG Rz. 21; Kallmeyer in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006, § 123 UmwG Rz. 12 m. Nachw.; Stengel/ Schwanna in Semler/Stengel (Fn. 15), § 123 UmwG Rz. 17. 21 Vgl. Teichmann in Lutter (Fn. 10), § 123 UmwG Rz. 23; Schwarz in Widmann/ Mayer, UmwG, Loseblatt Stand 2000, § 123 UmwG Rz. 7.3; Hörtnagl in Schmitt/ Hörtnagl/Stratz, 4. Aufl. 2006, § 123 UmwG Rz. 22; Dehmer, UmwG, 2. Aufl. 1995, § 123 UmwG Rz. 22; Stengel/Schwanna in Semler/Stengel (Fn. 15), § 123 UmwG Rz. 17 m. Fn. 31; Kallmeyer in Kallmeyer (Fn. 20), a. a. O.; H. Schmidt, AG 2005, 26. 22 Vgl. Hadding/Hennrichs in Lutter (Fn. 10), § 149 UmwG Rz. 8, 10.
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Rechtsträger mit der bisher von dem wirtschaftlichen Verein geführten Firma über den nunmehrigen Namen des wirtschaftlichen Vereins als Holdinggesellschaft nachzudenken, um eine Verwechslungsgefahr zu vermeiden (vgl. § 18 Abs. 1 UmwG, trotz Ausnahmen in § 125 Satz 1 UmwG). Die Mitglieder des übertragenden Rechtsträgers sind von der Ausgliederung nicht unmittelbar betroffen. 2. Satzungsmäßige Voraussetzungen Für die Willensbildung auf Seiten des wirtschaftlichen Vereins über die Totalausgliederung des Unternehmens auf eine dadurch neu gegründete AG gilt nach der Satzung zumeist Entsprechendes wie für eine Auflösung, eine Vermögensübertragung oder einen Formwechsel: In der Mitgliederversammlung ist ein einstimmiger Beschluss durch die Ja-Stimmen aller anwesenden Mitglieder als einzeln Stimmberechtigten erforderlich; Enthaltungen sind unerheblich. Für den Beschluss über eine Ausgliederung als Umwandlung, die „nicht der Vorbereitung einer Verschmelzung dient“, muss die gesetzlich vorgesehene qualifizierte Mehrheit (§§ 125 Satz 1, 103 UmwG) erreicht werden. 3. Anwendbare Vorschriften des UmwG Welche Vorschriften des Zweiten Buches des UmwG über die Verschmelzung (§§ 2–122) auf die Ausgliederung anwendbar sind oder nicht, ergibt sich zum einen hinsichtlich allgemeiner Vorschriften aus der Verweisung mit bestimmten Ausnahmen in § 125 Satz 1 und Satz 2 UmwG23. Wenn eine „Spaltung zur Aufnahme“ in Rede steht – also eine auf dieses Ziel gerichtete Ausgliederung –, sind unmittelbar die §§ 126–134 UmwG heranzuziehen. Geht es hingegen um eine „Spaltung zur Neugründung“, sind als besondere Vorschriften die §§ 135– 137 UmwG maßgebend. Nach § 135 Abs. 1 Satz 1 UmwG sind auf die Spaltung eines Rechtsträgers zur Neugründung, also auch auf die volle Ausgliederung des Unternehmens des wirtschaftlichen Vereins auf eine neu gegründete AG, die erwähnten Vorschriften des Zweiten Abschnitts über die Spaltung zur Aufnahme (§§ 126-13 UmwG) entsprechend anzuwenden, „jedoch mit Ausnahme der §§ 129 und 130 Abs. 2 sowie der nach § 125 entsprechend anzuwendenden §§ 4, 7 und 16 Abs. 1 und des § 27“. Diese Wiedergabe des Gesetzesinhalts verdeutlicht, warum vom „Verweisungs-Dschungel“ des UmwG gesprochen wird. Vergleichsweise klar lautet sodann § 135 Abs. 2 UmwG: „Auf die Gründung des neuen Rechtsträgers sind die für die jeweilige Rechtsform des neuen Rechtsträgers geltenden Gründungsvorschriften anzuwenden, soweit sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt. Den Gründern steht der übertragende Rechtsträger gleich. Vorschriften, die für die Gründung eine Mindestzahl der Gründer vorschreiben, sind nicht anzuwenden“.
__________ 23 Vgl. näher Stengel/Schwanna in Semler/Stengel (Fn. 15), § 125 UmwG Rz. 9.
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4. Ablauf der Ausgliederung zur Neugründung24 Bei einer zutreffenden Verknüpfung der anwendbaren einschlägigen Vorschriften (oben 3.) ergibt sich der folgende Ablauf für den Spaltungstatbestand „Ausgliederung“ des Unternehmens aus dem wirtschaftlichen Verein auf eine gegründete AG als neuen Rechtsträger: a) Zunächst ist ein Spaltungsbericht (Ausgliederungsbericht) zu erstellen. Das Vertretungsorgan des übertragenden Rechtsträgers, also der Vorstand des konzessionierten wirtschaftlichen Vereins, hat einen „Spaltungsbericht“ zu erstatten (§ 135 Abs. 1 i. V. m. § 127 Satz 1 UmwG entsprechend). Ein Spaltungsbericht – vergleichbar dem Umwandlungsbericht beim Formwechsel (vgl. oben III. 3. a) bis c)) – ist bei einem rechtsfähigen Verein nur dann entbehrlich, wenn alle „Anteilsinhaber“ (Mitglieder) hierauf durch notariell beurkundete Erklärungen verzichten (§§ 135 Abs. 1 Satz 1, 127 Satz 2 i. V. m. § 8 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 Satz 2 UmwG). b) Erforderlich ist sodann ein Spaltungsplan (Ausgliederungsplan). Das Vertretungsorgan des übertragenden Rechtsträgers hat den Spaltungsplan aufzustellen, der die Satzung des neuen Rechtsträgers (AG) enthalten muss und als einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung notariell zu beurkunden ist (§§ 136 Satz 1, 125 Satz 1 i. V. m. § 6 und § 37 UmwG). Der Mindestinhalt des Spaltungsplans richtet sich nach § 135 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 126 Abs. 1 UmwG entsprechend. Auf die Einzelheiten ist zurückzukommen (unten 5. b)). Von der Einberufung der Mitgliederversammlung an sind die Unterlagen gemäß §§ 125 Satz 1, 101 Abs. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 UmwG im Geschäftsraum des Vereins auszulegen. Den Mitgliedern ist auf Verlangen unverzüglich und kostenlos eine Abschrift zu erteilen (§ 101 Abs. 2 UmwG). Auch in der Mitgliederversammlung sind die in § 101 Abs. 1 UmwG genannten Unterlagen zur Einsichtnahme auszulegen (§ 102 UmwG). c) Es folgt der Spaltungsbeschluss. Die Versammlung der Anteilsinhaber (Mitglieder) des übertragenden Rechtsträgers (wirtschaftlicher Verein) muss den Beschluss der Ausgliederung zur Neugründung der AG fassen, der notariell zu beurkunden ist (§§ 135 Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 i. V. m. § 13 Abs. 3 UmwG). Vgl. dazu oben 2. d) Schließlich muss die Anmeldung und Eintragung stattfinden. Das Vertretungsorgan des übertragenden Rechtsträgers hat die Ausgliederung beim Register seines Sitzes (§ 137 Abs. 2 UmwG) und den neuen Rechtsträger bei dem Registergericht, in dessen Bezirk er seinen Sitz haben soll, zur Eintragung anzumelden (§ 137 Abs. 1 UmwG). Dabei muss die Spaltungsart angegeben werden, das heißt hier: die Ausgliederung zur Neugründung. Abzugeben ist auch die Erklärung, dass keine Klagen entgegenstehen (vgl. § 16 Abs. 2 UmwG). Als Anlagen sind beizufügen: Notariell beglaubigte Abschrift der Satzung des neuen Rechtsträgers (AG); notariell beglaubigte Abschrift der Niederschrift des Beschlusses der Mitgliederversammlung über die Ausgliederung; der Ausglie-
__________ 24 Vgl. Hadding/Hennrichs in Lutter (Fn. 10), § 149 UmwG Rz. 11 ff.
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derungsbericht; die Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers. Ein Bericht über eine Prüfung der Ausgliederung gemäß §§ 9–12, 100 Satz 1 UmwG muss nicht eingereicht werden, weil diese bei der Ausgliederung entfällt (§ 125 Satz 2 UmwG). Mit der Eintragung der Ausgliederung im Register des übertragenden Rechtsträgers treten die in § 131 UmwG vorgesehenen Wirkungen ein (§ 135 Abs. 1 Satz 1 UmwG), insbesondere der Übergang des Vermögens einschließlich der Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers „als Gesamtheit“ auf den neuen Rechtsträger (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UmwG). Nicht rechtsgeschäftlich übertragbare Gegenstände verbleiben in der Inhaberschaft des übertragenden Rechtsträgers (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UmwG). Bei der Ausgliederung wird der übertragende Rechtsträger entsprechend dem Spaltungsplan (§ 136 Satz 2 UmwG) der Anteilsinhaber der Anteile an dem neuen Rechtsträger (§ 131 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 UmwG). 5. Ausgliederungsbericht und Ausgliederungsplan a) In dem schriftlichen Ausgliederungsbericht (als Spaltungsbericht) hat das Vertretungsorgan des übertragenden Rechtsträgers (hier: Vorstand des wirtschaftlichen Vereins) ausführlich die Ausgliederung und den Ausgliederungsplan (als Spaltungsplan) oder seinen Entwurf im einzelnen rechtlich und wirtschaftlich zu erläutern und zu begründen (§§ 135 Abs. 1 Satz 1, 127 Satz 1 UmwG). Da bei der Totalausgliederung die Anteile des neuen Rechtsträgers (hier: Aktien) vollständig und allein dem übertragenden Rechtsträger (hier: wirtschaftlicher Verein) zufallen, braucht über ihre Verteilung nichts ausgeführt zu werden. Die Mitgliedschaften bei dem übertragenden Rechtsträger (hier: Rechtsstellungen der Mitglieder des wirtschaftlichen Vereins) bleiben unverändert. Eine Aufteilung unter den Mitgliedern des übertragenden Rechtsträgers findet nicht statt und ist deshalb auch nicht zu erläutern. Zu begründen ist nur, dass die Anteile an dem neu zu gründenden Rechtsträger (hier: Aktien) einen angemessenen Gegenwert für das auf die AG übergehende Vermögen bilden25. b) Der im Ausgliederungsbericht zu erläuternde Ausgliederungsplan über die Ausgliederung zur Neugründung oder sein Entwurf gewinnt die Anforderungen an seinen Inhalt aus §§ 136, 135 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 126 Abs. 1; 125 Satz 1, 37 UmwG (vgl. schon oben 4. b)). Wichtig ist vor allem, dass der Ausgliederungsplan die Satzung des neuen Rechtsträgers (hier: AG) enthalten muss, die mit ihm notariell zu beurkunden ist (§ 125 Satz 1 i. V. m. §§ 37; 36 Abs. 1, 6 UmwG). Der notwendige Inhalt der Satzung ergibt sich aus § 23 Abs. 3 bis Abs. 5 AktG. Es ist über die Ausgestaltung der Aktien zu entscheiden. Im Übrigen ist das gesamte Recht der Gründung einer AG zu beachten (§ 36 Abs. 2 Satz 1 UmwG), gegebenenfalls modifiziert durch §§ 73–77 UmwG. Mithin sind auf die Bestellung von Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer der
__________
25 Vgl. Gehling in Semler/Stengel (Fn. 15), § 127 UmwG Rz. 35; Kallmeyer in Kallmeyer (Fn. 20), § 127 UmwG Rz. 7; Veil, ZIP 1998, 361, 363.
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Vom konzessionierten Wirtschaftsverein zur Aktiengesellschaft
neuen AG die §§ 30, 31 AktG anwendbar. Die Bestellung ist durch das Vertretungsorgan des übertragenden Rechtsträgers (hier: wirtschaftlicher Verein) vorzunehmen. Da jede Gründung einer AG im Rahmen einer Verschmelzung oder Spaltung durch Neugründung als eine Sachgründung zu beurteilen ist26, müssen allerdings die Anteilsinhaber (Mitglieder) des übertragenden Rechtsträgers der Bestellung des Aufsichtsrats zustimmen (vgl. § 76 Abs. 2 Satz 2 UmwG; § 31 AktG). Der übertragende Rechtsträger als Gründer der AG im Wege der Ausgliederung hat einen schriftlichen Gründungsbericht zu erstatten (§ 32 Abs. 1 AktG), in dem neben den Erfordernissen von § 32 Abs. 2 und Abs. 3 AktG auch sein bisheriger Geschäftsverlauf und seine Lage darzulegen sind. Da die Ausgliederung durch Neugründung eine Sachgründung ist, müssen die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der AG sowie die Gründungsprüfer eine Gründungsprüfung durchführen (§ 33 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 AktG).
V. Vergleich von Ausgliederung durch Neugründung einer AG und Formwechsel in eine AG Aus dem Blickwinkel der Fragestellung, auf welchen umwandlungsrechtlichen Wegen die im Unternehmen des wirtschaftlichen Vereins bestehenden Vermögenswerte sich auf eine AG als (neuen) Rechtsträger überführen lassen, hängt die Wahl zwischen einer Ausgliederung des gesamten Unternehmens auf eine neu zu gründende AG oder einem Formwechsel des wirtschaftlichen Vereins als gegenwärtigem Rechtsträger in eine AG von den angestrebten Rechtsfolgen ab. Die vollständige Ausgliederung des Unternehmens auf eine neu gegründete AG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge lässt den wirtschaftlichen Verein als übertragenden Rechtsträger bestehen und bewirkt, dass die Anteile an der AG als neuem Rechtsträger in vollem Umfang dem rechtsfähigen wirtschaftlichen Verein zufallen, der dadurch zu einer 100 %igen Holdinggesellschaft hinsichtlich der AG wird. Sämtliche rechtlichen Fragen zur Verteilung und dem etwaigen Verbleib der Aktien des Rechtsträgers neuer Rechtsform, wie sie sich bei einem Formwechsel in eine AG für die bisherigen Mitglieder des wirtschaftlichen Vereins stellen (vgl. oben III. 4. c), d) sowie insbesondere 5.), treten bei der Ausgliederung durch Neugründung einer AG nicht auf. Bei dieser Art der Umwandlung wird nur der fortbestehende wirtschaftliche Verein selbst alleiniger Aktionär. Die Willensbildung darüber, was sodann mit diesem erlangten Vermögen in Gestalt von Aktien der neu gegründeten AG geschieht, fällt nunmehr wiederum in die Zuständigkeit der Mitgliederversammlung des wirtschaftlichen Vereins. Ihr obliegt die Willensbildung durch Beschlussfassung, ob und an wen dieses neue Vereinsvermögen in Gestalt der Aktien veräußert und übertragen werden soll und ob sodann die Auflösung mit sich anschließender Liquidation und Verteilung des verbleibenden Vermögens stattfinden soll. Es bedarf in diesem Zusammenhang auch keiner etwa vorgängigen Änderung der Mitgliederstruktur des wirtschaftlichen Vereins, um auf
__________ 26 Vgl. Ihrig, GmbHR 1995, 622, 624; Bärwaldt in Semler/Stengel (Fn. 15), § 36 UmwG Rz. 50.
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diesem Weg ein angemessenes Ergebnis hinsichtlich einer Verteilung der Vermögenswerte zu erreichen. Schließlich tritt bei dieser Gestaltung nicht die von der Finanzverwaltung ernstlich aufgeworfene Frage auf, ob ein Erwerb der Aktien des Rechtsträgers in neuer Gesellschaftsform auf Seiten der Mitglieder (oder eines Dritten) des bisherigen wirtschaftlichen Vereins eine Schenkungssteuerpflicht auslöst27. Als Fazit ist daher festzuhalten: Unter den vorgestellten umwandlungsrechtlichen Möglichkeiten mit dem Ziel, die im Unternehmen eines wirtschaftlichen Vereins vorhandenen Vermögenswerte auf eine AG zu überführen, erscheint die vollständige Ausgliederung zur Übertragung auf eine neu gegründete AG vorzugswürdig, weil dann die Aktien dem wirtschaftlichen Verein als Rechtsträger zufallen und sodann über die Aktien zweckmäßig in die eine oder andere Richtung durch Beschluss der Mitgliederversammlung disponiert werden kann.
__________ 27 Vgl. dazu J. Peters, BB 1997, 1981.
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H. P. Westermann, Holzmüller & Co1 Die ZGR rief und alle kamen, darunter auch zwei charmante Damen. Frau Wendeling-Schröder und Frau Grunewald gaben dem Auge schönen Halt. Das Motto der Tagung war eindeutig und klar: Über den Konzern ich hier Vieles lern’. Am Anfang sprach Professor Westermann, der ging an Holzmüller vorsichtig ’ran. Die Entscheidung sei ja nicht ganz schlecht, aber sie sei ihm auch nicht recht. Dieser Vortrag war gut akademisch, aber keineswegs anämisch. Dr. Heinsius war viel schärfer dann, man merkte ihm so richtig an: Die Holzmüller- Entscheidung findet er gräulich, ja mehr als das, ganz abscheulich! Ihn stört schon, dass sich neue Gedanken um das alte Aktienrecht ranken. Die Aktionäre zu befragen, will er nicht so gern ertragen. Wie schon der alte Fürstenberg hält er den Aktionär für’n dummen Zwerg. Da das Management alles besser weiß, ist Holzmüller für ihn ein böser … Viel Beifall fand das in der Diskussion, über Holzmüller ergoss sich Spott und Hohn. Die Richter Stimpel und Fleck taten sich am Schluss erhitzen, das ließen sie doch nicht auf sich sitzen. Es sei doch alles gut gemeint und nur der Missbrauch sei der Feind. Allein an die erheblichen Fälle hätten sie gedacht, die den Aktionären schweren Schaden gebracht. Als Ergebnis ist jetzt manchem klar:
__________ 1
Tischgedicht auf dem 4. ZGR- Symposium am 20/21.1.1984, jedenfalls in persönlicher Hinsicht immer noch aktuell; „Holzmüller“ bezieht sich bekanntlich auf die BAG- Entscheidung vom 25.2.1982, BGHZ 83,122. Die auf dem Symposium gehaltenen Vorträge sind in ZGR 1984, 352 ff. abgedruckt.
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Holzmüller doch ein Holzweg war. Die Entscheidung sei besser ignoriert, damit das Unternehmen gut floriert. Kollege Martens sprach nach der Pause. Das war ’ne große Sause. Warum der Konzern muss sein, wurde zunächst erklärt; es ist gut, dass man dies endlich erfährt. Am bestem führe man die Töchter an langer Leine, im Konzern stimmt´s, sonst freilich nicht, wie ich meine. Auch im Konzern Vertrauen ehrt, wurden wir sodann belehrt. Überhaupt komme ein Durchgriff häufig zum Tragen, manchen Zuhörern schlug dies auf den Magen. In der Diskussion gab es viele Fragen, die wollten etwa besagen: Wenn wir auch alles prima fanden, ganz haben wir es nicht verstanden. Das macht aber nichts, denn der Martens ist jung, und wird noch oft erklären mit großem Schwung. Rechtsanwalt Weinmann nahm dann das Wort, er berichtete aus der Praxis Hort. Bei Höchst werden Moleküle, aber kaum Arbeitsverhältnisse gespalten, diese bleiben meist ungeteilt erhalten. Auf einen Konzernbetriebsrat hat man dort verzichtet, so hoch ward die Betriebsverfassung nicht geschichtet. Weinmann zeigte, dass die Praxis gut funktioniert, wird sie nicht durch falsche Theorien lädiert. Von meinem eigenen Vortrag sei nur erwähnt, dass ich bei seiner Ausarbeitung gestöhnt. Der Beifall war dann schöner Lohn für der Ferienarbeit Fron. Das heutige Thema mir gut gefällt, denn hier ging es um Schönes, um Geld. Allerdings meist um solches, das fehlt oder von Gläubigern ist entlehnt. Der Vortrag von Schneider war pyramidal, seine Effekte kolossal. Er will für solidere Finanzierung sorgen, damit die Konzerne weniger borgen. Viel Beifall hat dies nicht gefunden, die Praxis fühlte sich geschunden. Mertens war dann brillant wie immer, von seinem Thema hatt’ ich freilich keinen Schimmer.
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Kübler berichtete dann über den Fall der AEG, der den Gläubigern tat sehr weh. Hier haben sich die Töchter von der Leine gerissen anstatt die Fahne der Konzerntreue zu hissen. Kübler zeigte, wie sich das ändern lässt, damit der Konzern auch im Konkurs bleibt fest. Zum Schluss sei noch ein Tier genannt, das mindestens zweimal Erwähnung fand. Das war natürlich der Elefant, in der Dresdner Bank als Maskottchen zur Hand. So war es sinnvoll, dass er als Beispiel gewählt, von Geist und Tier des Hauses beseelt. Erst sah man den Elefanten nur als Silhouette an einer sehr sensiblen Stätte. Dr. Heinsius sperrte ihn aus dem Konzernporzellanladen aus, dafür gebührte ihm viel Applaus. Mertens sperrte das Tier erst in den Zoo, dort tut er mir leid, der arme Jumbo; dann ließ er ihn auch noch sterben, damit ihn andere können ökonomisch beerben. Dann schieden wir mit frohem Mut, das ZGR- Symposion war mal wieder gut. Ist ja auch klar: Am Steuer waren Goerdeler, Westermann, Wiedemann und Lutter und bei denen ist immer alles in Butter.
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Hans Hanau/Christoph Ann
Unbeschränkte Haftung des eintretenden Gesellschafters für Altverbindlichkeiten der GbR? Zur Notwendigkeit und Begründbarkeit einer „Kommanditgesellschaft bürgerlichen Rechts“
Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Die GbR als Rätsel 2. Grundstürzende Entwicklung durch die Rechtsprechung 3. Gravierende Haftungsfolgen insbesondere für neu eintretende Gesellschafter 4. Anliegen dieses Beitrags II. Analyse der Rechtsprechung zur Eintrittshaftung 1. Herleitung der Eintrittshaftung a) Schwäche der Analogiebildung b) Schwäche der Analogiebasis 2. Konsequenzen für das System der Personengesellschaften a) GbR als kleine OHG aa) Missachtung von § 105 Abs. 1 HGB – Abkoppelung vom Erfordernis des Betreibens eines Handelsgewerbes
bb) Missachtung von § 105 Abs. 2 HGB – Beseitigung der Option für Gewerbetreibende cc) BGH auf dem Weg zur Einheitspersonengesellschaft dd) Verfassungswidrigkeit? b) Haftungsdilemma bei Eintritt in eine Freiberufler-GbR aa) Keine Ausweichmöglichkeit auf Kommanditistenstellung bb) Analogie zu § 8 Abs. 2 PartGG? III. Notwendige Ergänzung des BGHModells 1. Kommanditistenstellung als Ausweg 2. § 176 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 HGB analog IV. Ergebnisse und Schluss
I. Einleitung 1. Die GbR als Rätsel Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts galt lange Zeit als rätselhaftes1 oder sogar unbekanntes2 Wesen. Sie weise widersprüchliche Züge auf und passe deshalb nicht in die gängigen Kategorien3. Die Bewältigung ihrer dogmatischen Struktur bereitete erhebliche Schwierigkeiten, und manche meinten gar, sie habe Züge eines Mysterienspiels angenommen4. Einig war man sich immerhin
__________ 1 Hommelhoff, ZIP 1998, 8. 2 Ulmer, Die Gesamthandsgesellschaft – ein noch immer unbekanntes Wesen?, AcP 198 (1998), 113. 3 Zöllner in FS Kraft, 1998, S. 701. 4 Weber-Grellet, Die Gesamthand – ein Mysterienspiel?, AcP 182 (1982), 316.
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darüber, dass die GbR eine der schwierigsten und wegen ihrer großen praktischen und ökonomischen Bedeutung auch lohnendsten Fragen des Gesellschaftsrechts bilde. 2. Grundstürzende Entwicklung durch die Rechtsprechung Diese Komplexität wurde seit Anfang des neuen Jahrtausends nun – scheinbar – auf einen Schlag reduziert, indem der Bundesgerichtshof in einer der spektakulärsten richterlichen Rechtsfortbildungen seit Inkrafttreten des BGB5 den vermeintlichen gordischen Knoten einfach durchschlug. In einer Reihe aufeinander folgender Entscheidungen hat er seit 1999 ein schneidiges System zur Haftungsverfassung der GbR entwickelt oder – richtiger – aus der wissenschaftlichen Debatte übernommen. 3. Gravierende Haftungsfolgen insbesondere für neu eintretende Gesellschafter Gravierende Folgen hat diese Entwicklung vor allem für neu eintretende Gesellschafter einer Außen-GbR mit Gesamthandsvermögen. War sich der BGH mit dem ganz überwiegenden Schrifttum jahrzehntelang einig gewesen, dass es für eine Haftung von Neugesellschaftern auch für Altschulden keine gesetzliche Grundlage gebe, sollen diese Sozien jetzt aufgrund einer analogen Anwendung von § 130 HGB auch für solche Altverbindlichkeiten einstehen müssen6. Solche Konsequenzen betreffen nun insbesondere unternehmerisch tätige GbR: Etwa eine Gesellschaft von Kleingewerbetreibenden, der sich ein weiterer Gesellschafter anschließt, oder eine Freiberufler-GbR – insbesondere eine Rechtsanwaltssozietät –, in die ein neuer Sozius eintritt. Gerade ein solcher Junganwalt, der beim Eintritt kaum einen hinreichenden Einblick in die Vermögensverhältnisse der Kanzlei haben wird7, muss dann ggf. seinen Berufsstart mit einem Schuldenberg beginnen8.
__________ 5 Canaris, ZGR 2004, 69 f. 6 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 = NJW 2003, 1803. Zust. etwa Arnold/ Dötsch, DStR 2003, 1398; Habersack/Schürnbrand, JuS 2003, 739; Kleindiek in FS Röhricht, 2005, S. 315, 329; Reiff, VersR 2003, 773; Schäfer, ZIP 2003, 1225, 1229 ff.; K. Schmidt, NJW 2003, 1897, 1901; ders., NJW 2005, 2801, 2806; Ulmer, ZIP 2003, 1113, 1115. 7 Zu den Informationsdefiziten des Neugesellschafters Armbrüster, ZGR 2005, 34, 53. 8 Zur Praxisrelevanz des Themas zwei Zahlen: Laut Bundesrechtsanwaltskammer (http://www.brak.de/seiten/08_02.php) waren am 1.1.2007 in Deutschland knapp 140 000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zugelassen. Diese Zahl wächst jährlich um gut 4 %. Jedes Jahr beginnen also rund 7000–9000 junge Frauen und Männer ihre Anwaltstätigkeit. Davon gründet die ganz überwiegende Zahl keine eigene Kanzlei, sondern „steigt“, wie der Volksmund sagt, in eine bestehende Kanzlei „ein“.
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Unbeschränkte Haftung des Eintretenden für Altverbindlichkeiten der GbR?
4. Anliegen dieses Beitrags Die inhaltliche Angemessenheit und dogmatische Stimmigkeit dieser Rechtsfortbildung stehen bekanntlich seit langem im Streit. Harm Peter Westermann hat unlängst geäußert, angesichts der Fülle der vor Erlass des Urteils warnenden und nach dem Urteil ablehnenden Stimmen möchte man wünschen, der 2. Senat des BGH möge sich die Entscheidung noch einmal überlegen9. In der Hoffnung, dem Jubilar, dem beide Verfasser für ihren wissenschaftlichen Werdegang viel verdanken, damit eine Freude zu bereiten, soll deshalb im Folgenden die neue Rechtsprechung auf ihre Schlüssigkeit hin überprüft und ihren Konsequenzen nachgegangen werden. Dabei ist zunächst die Konsistenz der Herleitung einer solch weitgehenden Eintrittshaftung zu untersuchen – und zwar sowohl was die Begründung einer Analogie zu § 130 HGB als auch was die Tauglichkeit der Analogiebasis selbst betrifft (unter II.1.). Anschließend ist nach der Stimmigkeit des Ergebnisses im System des Personengesellschaftsrechts zu fragen (unter II.2.). Und schließlich soll überlegt werden, ob sich das Modell des BGH nicht wenigstens auf Basis seiner eigenen Prämissen sinnvoll ergänzen und zu einem stimmigeren Gesamtbild führen lässt (unter III.).
II. Analyse der Rechtsprechung zur Eintrittshaftung 1. Herleitung der Eintrittshaftung a) Schwäche der Analogiebildung Selbst wenn man mit dem BGH10 die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR mit Gesamthandsvermögen anerkennt und auch die, dann konsequente, Entscheidung für die Akzessorietätstheorie mitvollzieht – bereits hieran kann man mit guten Gründen zweifeln11 –, bedeutet dies zunächst nur, dass die Gesellschaft selbst Schuldnerin ist und dass für die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten jeder der Gesellschafter persönlich haftet, die der Gesellschaft in dem Moment angehörten, als diese die fragliche Verbindlichkeit einging. Zwanglos folgt daraus weiter, dass Gesellschafter auch nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft weiterhaften, denn natürlich darf kein Gesellschafter seine Haftung einfach dadurch loswerden können, dass er die Gesellschaft verlässt. Aber lässt sich zusätzlich zur persönlichen Haftung aller aktuellen Gesellschafter und zur Fortdauer dieser Haftung über den Zeitpunkt ihres Austritt aus der Gesellschaft hinaus auch eine persönliche Haftung aller künftig eintretenden Gesellschafter begründen, also eine persönliche Rückwärtshaftung? In
__________ 9 In FS Konzen, 2006, S. 957, 968. 10 Erstmals im Urteil v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 11 Zu beidem grundlegend kritisch Zöllner in FS Gernhuber, 1993, S. 563 ff.; ders. in FS Kraft (Fn. 3), S. 701 ff.; Beuthien, JZ 2003, 715; ders., JZ 2003, 969; ders., NJW 2005, 855, 858.
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dem vom BGH 2003 entschiedenen Fall12 war es bezeichnenderweise um einen jungen Rechtsanwalt gegangen, der neu in eine Sozietät eingetreten war. Von ihm hatte ein ehemaliger Mandant der Sozietät stattliche 172 500 DM Gebührenvorschuss aus der Zeit vor dem Eintritt des Junganwalts zurückgefordert. Die Beitrittshaftung, die der 2. Senat damit für die GbR begründet hat, stützt er im Wesentlichen auf folgende Argumente: Erstens entspreche die persönliche Haftung aller Gesellschafter – auch zukünftiger – dem Wesen der Personengesellschaft: Sie verfüge nicht über eigenes, zu Gunsten ihrer Gläubiger gebundenes Garantiekapital. Vielmehr könnten die Gesellschafter jederzeit, uneingeschränkt und sanktionslos auf das Gesellschaftsvermögen zugreifen. Dieser Zugriffsmöglichkeit müsse als notwendiges Gegenstück die persönliche Haftung aller Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten gegenüberstehen, auch der neu eingetretenen. Wer durch seinen Eintritt so auf das Gesellschaftsvermögen zugreifen könne wie die Altgesellschafter, müsse auch so haften wie diese. Zweitens entspreche die grundsätzliche Eintrittshaftung von Neugesellschaftern für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft auch gesetzlichen Grundwertungen, sei also keineswegs ein Überraschungsgeschenk an die Gläubiger. Beleg dafür sei das kodifizierte deutsche Recht, das überall dort, wo es diese Frage regele, zumindest eine grundsätzliche Mithaftung neu eintretender Gesellschafter vorsehe; außer in § 130 HGB z. B. auch in § 173 HGB, § 8 Abs. 1 PartGG und Art. 26 Abs. 2 EWIV-VO13. Drittens vermeide nur eine strenge Eintrittshaftung inakzeptable Ergebnisse, denn ohne diese Haftung bräuchten neu eintretende Gesellschafter für alle vor ihrem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten dann nicht aufzukommen, wenn diese nur früh genug begründet worden seien. In Dauerschuldverhältnissen oder langfristigen Verträgen könnten Gläubigern so im Extremfall durch Austritt aller Gesellschafter und Ablauf aller Nachhaftungsfristen sämtliche Haftungsschuldner abhanden kommen. Viertens entlaste die strenge Eintrittshaftung nach § 130 HGB die GbRGläubiger, denn sie müssten nun nicht mehr den bei der GbR wegen ihres Publizitätsmangels heiklen Nachweis führen, dass ein in Anspruch genommener Gesellschafter bereits zu dem Zeitpunkt Mitglied der GbR gewesen sei, als diese die fragliche Verbindlichkeit begründete. Und fünftens schließlich stärke eine einheitliche Haftungsverfassung von OHG und GbR die Rechtssicherheit: Da sich bei gewerblich tätigen Gesellschaften der Übergang von einer GbR zu einer OHG in Abhängigkeit von Art und vor
__________ 12 Oben Fn. 6. 13 Zum Haftungskonzept der EWIV im Zusammenhang mit der Entscheidungen des OLG Düsseldorf, NZG 2002, 284, das die vom 2. BGH-Zivilsenat in seiner o. g. Entscheidung vom April 2003 zugelassene analoge Anwendung von § 130 HGB auf GbRs abgelehnt hatte, sowie der Entscheidung des OLG Hamm, NZG 2002, 282, das diese Analogie zugelassen hatte, s. Baumann/Rößler, NZG 2002, 793, 794. Zu diesen OLG-Entscheidungen auch Bruns, ZIP 2002, 1602; Grams, BRAK-Mitt 2002, 60.
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allem Umfang der Geschäfte aufgrund der fehlenden Handelsregistereintragung oft unmerklich vollziehe, schafften unterschiedliche Haftungsverfassungen dieser Gesellschaftsformen erhebliche Unsicherheiten. Ob diese Argumente tatsächlich überzeugen können, darf mit der früher überwiegenden14 und auch heute noch prominent vertretenen15 Ansicht im Schrifttum freilich bezweifelt werden: Zunächst scheint sich aus dem Vergleich mit den Kapitalgesellschaften tatsächlich ein Schutzbedürfnis der Gesellschaftsgläubiger herleiten zu lassen. Anders als Kapitalgesellschaften verfügen Personengesellschaften in der Tat nicht über ein Stamm- oder Grundkapital, dessen Deckung durch Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften geschützt wird. Das daraus erwachsende Risiko kennen die Gläubiger aber und müssen es hinnehmen. Gesellschafter verhalten sich den Gesellschaftsgläubigern gegenüber ja keineswegs pflichtwidrig, wenn sie das Gesellschaftsvermögen anders als zur Erfüllung von deren Forderungen verwenden. Ebensowenig wie ein Gläubiger darauf vertrauen darf, dass ihm das bei Vertragsschluss (noch) vorhandene Vermögen jedes einzelnen Gesellschafters als Haftungsmasse zur Verfügung stehen wird, gilt dies auch für das Gesellschaftsvermögen. Zudem können sich die Gläubiger ja stets an diejenigen Gesellschafter halten, die der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Schuldbegründung angehörten. Zweitens ist es zwar richtig, dass den GbR-Gläubigern ihre Schuldner erhalten bleiben müssen. Das ist durch die Anordnung einer Nachhaftung in § 736 BGB jedoch hinreichend gewährleistet. Warum aber sollten die Gläubiger darüber hinaus neue Schuldner dazu erhalten? Hier drängt sich doch die Rede vom Überraschungsgeschenk an die Gläubiger16 auf, die sich der BGH ausdrücklich verbeten hat17. Gegenstück für das Fehlen eines Garantiekapitals bei der GbR ist allein die persönliche Haftung der Gesellschafter, die bei Entstehung der Verbindlichkeit vorhanden gewesen waren. Sie haften unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen; auch nach ihrem Austritt und das zu Recht. Die Einbeziehung auch aller künftigen Gesellschafter, die später vielleicht einmal dazukommen werden, übersteigt hingegen die berechtigten Erwartungen der Gläubiger. Drittens ist auch das Bedenken nicht stichhaltig, die Nachhaftungsregelung für ausgeschiedene Gesellschafter sei nicht ausreichend und müsse durch die Erstreckung der Haftung auch auf neu eintretende Gesellschafter kompensiert
__________ 14 Etwa Baumann, JZ 2001, 895, 900 ff., 904 f.; ders., JZ 2002, 402, 403; Baumann/ Rößler, NZG 2002, 793, 794; Dauner-Lieb in FS Ulmer, 2003, S. 73; Lange, NZG 2002, 401; ders., NJW 2002, 2002 f.; Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, Köln 2000, 182; Westermann, NZG 2001, 289, 294; Wiedemann, JZ 2001, 661, 664; Späth, DStR 2002, 1966, 1967; Zöllner in FS Kraft (Fn. 3), S. 714 f.; für Freiberufler-GbR Sieg, WM 2002, 1432, 1436 f. 15 Insb. Armbrüster, ZGR 2005, 34 ff.; Boehme, NZG 2003, 764; Canaris, ZGR 2004, 69 ff.; Wälzholz, NotBZ 2003, 249. 16 So Dauner-Lieb in FS Ulmer (Fn. 14), S. 76. 17 BGH (Fn. 6), NJW 2003, 1803, 1804 unter II 1 a.
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werden. Die über § 736 Abs. 2 BGB anwendbare Vorschrift des § 160 HGB gewährleistet immerhin eine Nachhaftung für einen Zeitraum von 5 Jahren. Der Gläubiger kann deshalb auch ein Dauerschuldverhältnis rechtzeitig beenden, bevor ihm sämtliche bei Vertragsschluss vorhandenen Gesellschafter abhanden gekommen sind. Zudem könnte hier über die Annahme eines konkludenten Schuldbeitritts geholfen werden, denn es ist von erheblicher Plausibilität, dass der Neugesellschafter konkludent kumulativ in bestehende Dauerschuldverhältnisse eintritt, die der Verwirklichung des Gesellschaftszwecks dienen18, z. B. in das Mietverhältnis für das Geschäftsbüro der Gesellschaft. Wer die vom Gesetz für die GbR vorgesehene Nachhaftungsregelung für unzureichend hält, müsste im Übrigen konsequenterweise bei §§ 736 Abs. 2 BGB, 160 HGB ansetzen, statt einfach auf die anders gelagerten Vorschriften für die OHG auszuweichen. Nicht recht einleuchten will viertens, warum die Eintrittshaftung analog § 130 HGB Teil des „Wesens der Personengesellschaft“ sein soll. In Art. 26 Abs. 2 EWIV-VO wird sie abdingbar gestellt, obwohl ja bekanntlich auch die EWIV Personengesellschaft ist. Ganz so eindeutig sind die Dinge also offenbar nicht. Schwierigkeiten bereitet fünftens der Hinweis auf die PartG. Zwar gilt nach § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG die OHG-Eintrittshaftung auch für die PartG19. Soll daraus aber ein Argument für die Angemessenheit einer solchen Regelung auch für die GbR folgen, muss redlicherweise auch das Haftungsprivileg in § 8 Abs. 2 PartGG erwähnt werden, das die Konzentration der Haftung auf den handelnden Gesellschafter vorsieht. Es müsste dann mit gleicher Berechtigung auch für die GbR in Anspruch genommen werden können. Zudem hatte der Gesetzgeber Freiberuflern durch die Einführung der an die OHG angelehnten PartG gerade die Alternative zwischen deren Haftungskonzept und dem der GbR anbieten wollen. Dieses Angebot würde durch die Angleichung von OHG und GbR konterkariert20. Sechstens: Natürlich ist es für Gläubiger einer GbR eine große Entlastung, wenn alle aktuellen Gesellschafter für sämtliche Schulden ihrer Gesellschaft haften, auch für Altschulden. Die Gläubiger müssen dann nicht mehr den Nachweis von Eintrittszeitpunkten erbringen, der angesichts der fehlenden Registerpublizität sehr heikel sein kann. Freilich handelt es sich dabei nur um ein schlichtes Vereinfachungsinteresse21. Es kann schon deshalb nicht durchschlagen, weil die fehlende Registerpublizität vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt ist. Feststellungsschwierigkeiten liegen also in der Natur der Sache. Im Übrigen verfügt der Gläubiger durchaus über Informationsmöglichkeiten hinsichtlich der Zusammensetzung des Gesellschafterkreises: Bei bedeutenderen Geschäften ist es üblich, sich eine Gesellschafterliste oder eine schriftliche
__________ 18 Vgl. Canaris, ZGR 2004, 69, 116. 19 Vgl. dazu und zum Verhältnis der §§ 8 PartGG und 51a Abs. 2 BRAO zueinander Arnold, BB 1996, 597. 20 Dauner-Lieb in FS Ulmer (Fn. 14), S. 80. 21 So auch Schäfer (Fn. 6), S. 1230.
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Bestätigung der Zugehörigkeit zur Gesellschaft durch jeden Gesellschafter geben zu lassen, sofern nicht ohnehin alle Gesellschafter auftreten22. Lässt sich ein derartiger zuverlässiger Überblick im Einzelfall nicht verschaffen, so kann der Vertragspartner auf Barzahlung bestehen oder besondere Sicherheiten fordern. Gleiches gilt siebtens für das vom BGH angeführte Interesse an einheitlichen Haftungsstrukturen von OHG und GbR. Nach der neuen Rechtsprechung braucht der Gläubiger nicht mehr die gelegentlich schwierige Feststellung zu treffen, mit welcher Gesellschaftsform er es zu tun hat. Abgrenzungsschwierigkeiten können jedoch nicht dazu herhalten, Besonderheiten der einen Rechtsform zugunsten einer anderen einfach zu beseitigen23. Im Übrigen ist das Argument, OHG und GbR bräuchten kongruente Haftungsstrukturen, für Freiberufler-GbRs ohnehin nicht stichhaltig, weil für das Betreiben einer freiberuflichen Tätigkeit die Rechtsform einer OHG mangels Gewerbeeigenschaft ohnehin nicht in Betracht kommt. Hingewiesen sei achtens schließlich auch noch auf eine Folge der Eintrittshaftung, die Neugesellschafter besonders belastet: Diese müssten dann auch für solche Gesellschaftsaltschulden haften, deren Existenz die Mitgesellschafter ihnen bei den Beitrittsverhandlungen arglistig verschwiegen haben. Der Neugesellschafter könnte dann zwar seine Beitrittserklärung nach § 123 BGB anfechten, nur würde ihm das gerade für die Beitrittshaftung nicht mehr helfen. Hier wären die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anwendbar, und danach hat die Anfechtung bekanntlich keine Rückwirkung, sondern ermöglicht lediglich ex nunc die Lösung von der Beteiligung24. b) Schwäche der Analogiebasis Können die Gründe für die analoge Anwendung des § 130 HGB schon nicht überzeugen, verliert die Analogie noch weiter an Überzeugungskraft, wenn man sich der Analogiebasis zuwendet. Denn ein Großteil der eben aufgeführten Argumente richtet sich nicht nur gegen die analoge Anwendbarkeit, sondern bereits gegen die inhaltliche Angemessenheit von § 130 HGB selbst. Seine ratio gilt zu Recht als dürftig und diffus25. Auch für die OHG lässt sich also die Berechtigung einer Haftungserstreckung auf die Neueintretenden mit Fug und Recht bezweifeln. Ihren Anhängern gilt sie als Schlussglied einer „homogenen Haftungsverfassung der Personengesellschaft“26. § 130 HGB soll demnach sicherstellen, dass der Gesellschafter kraft Gesetzes für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet. Die Frage, von wem und von wann die Verbindlichkeit stammt, werde im Außenrecht der Personengesellschaften nicht gestellt. Dies sei die Botschaft des § 130 HGB. Das ist schön formuliert und
__________ 22 23 24 25 26
Armbrüster, ZGR 2005, 34, 54. So auch Armbrüster, ZGR 2005, 34, 54. Armbrüster, ZGR 2005, 34, 53. Dauner-Lieb in FS Ulmer (Fn. 14), S. 85; Canaris, ZGR 2004, 69, 115. K. Schmidt, NJW 2005, 2801, 2807.
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mag dem rechtsästhetischen Bedürfnis nach einer möglichst kompakten, um nicht zu sagen schneidigen Haftungsverfassung entgegenkommen. Ein echtes Sachargument liefert diese Aussage aber nicht27. Erweist sich § 130 HGB somit bereits in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich als zweifelhaft, spricht alles dagegen, ihn auch noch durch Analogiebildung zu erweitern. 2. Konsequenzen für das System der Personengesellschaften Stimmt schon die Untauglichkeit der Herleitung einer Beitrittshaftung höchst bedenklich, so verstärkt sich dieser Eindruck noch, wenn man sich die Konsequenzen dieser Rechtsprechung für das System der Personengesellschaften verdeutlicht. a) GbR als kleine OHG Der BGH hat aus der Außen-GbR eine kleine OHG gemacht: Hinsichtlich der Haftungsverfassung sind sämtliche Unterschiede eingeebnet. aa) Missachtung von § 105 Abs. 1 HGB – Abkoppelung vom Erfordernis des Betreibens eines Handelsgewerbes Orientiert man das Recht der Außen-GbR am Regelungsmodell der §§ 128 ff. HGB, werden die in § 105 Abs. 1 HGB vorgesehenen Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer OHG weitgehend hinfällig. Denn nach dieser Vorschrift hängt die Anwendung des Rechts der OHG grundsätzlich davon ab, dass der Zweck der Gesellschaft auf den Betrieb eines Handelsgewerbes i. S. v. § 1 Abs. 2 HGB unter gemeinsamer Firma gerichtet ist28. Die Gesellschaft muss also jedenfalls ein Gewerbe betreiben und zudem einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern. Beides liegt bei der GbR nun einmal nicht vor, sonst wäre sie ja bereits OHG. Der BGH verzichtet aber nicht nur auf das kumulative Vorliegen dieser Voraussetzungen, sondern koppelt sich schon vom Erfordernis des Gewerbebetriebs ab, indem er das Recht der OHG auch auf Freiberufler erstreckt. Damit setzt er sich in offenen Widerspruch zum Gesetzgeber, der erst 1998 grds. auf dem Betrieb eines Handelsgewerbes als Voraussetzung für die Entstehung einer Personenhandelsgesellschaft beharrt hatte und sich – trotz vehement vorgetragener Reformvorschläge aus der Wissenschaft29 – gerade nicht zur Anknüpfung an jedwede unternehmerische Betätigung hatte entschließen können.
__________ 27 Canaris, ZGR 2004, 69, 114 merkt hierzu an, entgegen K. Schmidt sei hier nicht der „Sieg der richtigen Rechtskonstruktion“ zu feiern, sondern der „Sog der einfachen Rechtskonstruktion“ zu beklagen. 28 Canaris, ZGR 2004, 69, 77. 29 Etwa K. Schmidt, DB 1994, 515.
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bb) Missachtung von § 105 Abs. 2 HGB – Beseitigung der Option für Gewerbetreibende Darüber hinaus wird die von § 105 Abs. 2 HGB eröffnete Option für Kleingewerbetreibende, sich durch Eintragung in das Handelsregister in eine OHG zu verwandeln, ausgehöhlt, wenn die Gesellschaft ohnehin, auch schon als GbR, haftungsrechtlich wie eine OHG behandelt wird30. Dem lässt sich nicht entgegnen, die Gesellschaft könne durch ihr Verharren im formalen GbR-Status immerhin den sonstigen strengen Vorschriften des Handelsrechts wie vor allem der Buchführungs- und Bilanzierungspflicht entgehen. Denn das widerspricht dem zur Verteidigung der strengen Akzessorietätshaftung vorgetragene Argument31, die Annäherung an das Recht der OHG sei nicht zuletzt deshalb vertretbar, weil den Gesellschaftern durch Ausübung der Option des § 105 Abs. 2 HGB die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch Ausweichen in die Rechtsform der KG offen stünde32. cc) BGH auf dem Weg zur Einheitspersonengesellschaft Canaris33 fasst diese Entwicklung in den Worten zusammen, hierdurch sei die Außen-GbR nicht nur kleine Schwester der OHG, „sondern ihr eineiiger Zwilling oder gar ihr roher großer Bruder, der sich nicht kaufmännische AußenGesellschaften von der Gelegenheits-GbR über die KleingewerbetreibendenGbR bis zur Freiberufler-GbR gewaltsam gefügig macht und in das ProkrustesBett einer Einheitspersonengesellschaft zwängt“. Mit dem differenzierenden System der lex lata sei das keinesfalls vereinbar. dd) Verfassungswidrigkeit? Canaris34 sieht hierhin nicht nur eine grobe Verletzung der gesetzlichen Systematik, sondern gleich in mehrerer Hinsicht einen Verfassungsbruch. Ein solches Contra-legem-Judizieren überschreite die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung und sei ein Verstoß gegen das Prinzip des Vorrangs des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG, weil es das Ende der GbR als eigenständiger Gesellschaftsform bedeute. Außerdem liege hierin eine Verletzung von Art. 9 (Vereinigungsfreiheit) und Art. 12 GG (Berufsfreiheit) der betroffenen Gesellschafter. Denn es lasse sich nun ausgerechnet bei den Gesellschaften, bei denen das Bedürfnis nach Gläubigerschutz i. d. R. allenfalls gering wiegt, oft kein praktikabler Ausweg finden, um der extrem strengen Haftung aus § 130 HGB analog zu entgehen. Die Möglichkeit, in die Gründung einer KG oder einer GmbH aus-
__________ 30 Dauner-Lieb in FS Ulmer (Fn. 14), S. 77, 80; Canaris, ZGR 2004, 69, 77. 31 Etwa K. Schmidt, JZ 2003, 585, 590; Reiff, ZIP 1999, 517, 526. S. auch schon BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483, 3485 unter B I 4. 32 Canaris, ZGR 2004, 69, 75 f. 33 ZGR 2004, 69, 77 f. 34 ZGR 2004, 69, 116 ff.
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zuweichen, sei meist aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht vorhanden. Das gelte in ganz besonderer Weise für die Stellung der Freiberufler. b) Haftungsdilemma bei Eintritt in eine Freiberufler-GbR aa) Keine Ausweichmöglichkeit auf Kommanditistenstellung Für Freiberufler ist die Geltung dieses strengen Haftungsregimes besonders unangemessen. Lässt sich für die kleingewerbliche GbR immerhin noch sagen, sie stehe sozusagen latent an der Schwelle zur OHG – durch Option nach § 105 Abs. 2 HGB oder durch Überschreiten der Schwelle zum kaufmännischen Geschäftsbetrieb nach § 105 Abs. 1 HGB –, ist die OHG Freiberuflern nach deutschem Recht35 ex definitione verschlossen, denn sie betreiben ja kein Gewerbe36. Die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung durch den Eintritt als Kommanditist ist damit von vornherein ausgeschlossen. Auch der Verweis auf die Rechtsform der GmbH hilft nicht weiter. Hier geht es um den Beitritt zu einer bestehenden Gesellschaft. Und diese lässt sich nicht rückwirkend in eine GmbH verwandeln. bb) Analogie zu § 8 Abs. 2 PartGG? Das gilt gleichermaßen für die Möglichkeit, auf die PartG auszuweichen. Für den Eintretenden käme das ebenfalls zu spät. Dem Eintretenden ließe sich also allenfalls dadurch helfen, dass man § 8 Abs. 2 PartGG analog auf die Freiberufler-GbR anwendet37. Der 2. Senat hat diese Möglichkeit immerhin ausdrücklich offengelassen38. Wenn die Haftung auf die Handelnden beschränkt wäre, müsste der Neueintretende wenigstens nicht für Berufshaftpflichtfälle aus der Vergangenheit einstehen. In der Literatur ist der Weg über § 8 Abs. 2 PartGG analog aber auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen39. Diese Norm sei eine nicht verallgemeinerungsfähige Sonderbestimmung, die die Publizität des Partnerschaftsregisters voraussetze. Wichtiger noch scheint freilich ein anderer Aspekt, denn weitere Zweifel an der Analogiefähigkeit von § 8 Abs. 2 PartGG erwachsen aus der paradoxen Struktur dieser Haftungskonzentration: Im Unterschied zu einer Haftungsbeschränkung im Gesellschaftsvertrag können die letztlich privilegierten Partner die Rechtsfolge gar nicht selbst auslösen. Die Haftungskonzentration ergibt sich vielmehr nur rein faktisch dadurch, dass einer der Partner tatsächlich
__________ 35 Anders das seit 1.1.2007 in Kraft befindliche öUGB, das die OHG (dort nun OG genannt) für Freiberufler geöffnet hat. 36 Canaris, ZGR 2004, 69, 76. 37 So etwa Sieg, WM 2002, 1432, 1435. 38 BGH (Fn. 6), NJW 2003, 1803, 1805 unter II 1 b. 39 S. nur Armbrüster, ZGR 2005, 34, 55 m. w. N. in Fn. 103.
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tätig wird. Nur dann werden die anderen Partner enthaftet. Bildhaft könnte man diesen Zusammenhang als „Gesellschafter-Mikado“ bezeichnen40: „Wer sich zuerst bewegt, verliert.“ Wagt sich ein Gesellschafter gerade deshalb nicht aus der Deckung, weil er die Haftungsfolge vermeiden möchte, haftet er gleichwohl gem. § 8 Abs. 1 PartGG – es sei denn, ein anderer Partner befasst sich doch mit der Sache. Ob dieses eigenartige Institut als Exportartikel für andere Gesellschaftsformen taugt, ist in der Tat zweifelhaft. Schließlich wäre die Hilfe durch § 8 Abs. 2 PartGG auch nur von begrenzter Reichweite. Im vom BGH zu entscheidenden Fall wurde der beklagte Junganwalt für einen Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung eines Honorarvorschusses und nicht aus Berufshaftung in Anspruch genommen. Da insoweit § 8 Abs. 2 PartGG nicht weitergeholfen hätte, konnte der BGH die Frage der Anwendbarkeit offenlassen.
III. Notwendige Ergänzung des BGH-Modells Kann das vom BGH favorisierte Haftungssystem für die GbR, insbesondere wegen der Erstreckung auf die akzessorische Eintrittshaftung, schon nicht überzeugen, so ist doch leider nicht anzunehmen, dass der BGH davon bald wieder Abschied nehmen wird. Im Gegenteil hat er erst im Dezember 2005 noch einmal klargemacht, dass für die GbR nun tatsächlich die strenge OHGEintrittshaftung gelten soll41. Nicht nur aus pragmatischen Gründen scheint es deshalb geboten, dann wenigstens im Rahmen der Vorgaben des BGH eine „zweitbeste“ Lösung zu suchen. Immerhin schwebt ja über dem Konzept des Gerichts das Verdikt der Verfassungswidrigkeit, das nur durch substanzielle haftungsbegrenzende Korrekturen entkräftet werden könnte. Eine solche Lösung drängt sich u. E. geradezu auf, denn der BGH hat sein System nicht zu Ende gedacht: Es lässt sich sinnfällig um einen entscheidenden missing link ergänzen und so doch noch zu einem halbwegs stimmigen – oder für den Neugesellschafter wenigstens erträglichen – Gesamtbild abrunden. 1. Kommanditistenstellung als Ausweg Eine angemessene Lösung kann u. E. nur darin bestehen, dem eintretenden Gesellschafter die Möglichkeit zu eröffnen, durch eigene Gestaltung und Initiative seine Haftung generell und damit auch die Eintrittshaftung zu begrenzen. Ihn dafür – wie es der BGH 1999 vorgesehen hat – auf Vereinbarungen mit den Gesellschaftsschuldnern zu verweisen ist viel zu aufwendig und wird in aller Regel auch nicht zum Ziel führen, weil die Gläubiger an einer solchen
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40 Mülbert, AcP 199 (1999), 38, 96: „Catch 22-Charakter“. 41 Urteil v. 12.12.2005 – II ZR 283/03, NJW 2006, 765, in Bezug genommen im Urteil v. 9.10.2006 – II ZR 193/05, ZIP 2007, 79.
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Vereinbarung im Zweifel nicht interessiert sein werden. Dem Neugesellschafter muss vielmehr die Möglichkeit eröffnet werden, eine entsprechende Haftungsbegrenzung – jenseits von beschränkenden Vertretungsregelungen42 – selbst und unmittelbar im Gesellschaftsvertrag zu verankern. Erfreulicherweise ist eine solche Gestaltung im Recht der OHG bekanntlich ausdrücklich vorgesehen: OHG-Gesellschafter können jederzeit in eine Kommanditistenstellung wechseln, und Neugesellschafter können von vornherein eine solche Stellung vereinbaren. Sie haften dann gem. §§ 171, 172 HGB nur mit bzw. in Höhe ihrer Einlage. Das gilt gem. § 173 HGB ausdrücklich auch für Altschulden. Im Recht der OHG ist die Strenge der persönlichen Gesellschafterhaftung also durch die Möglichkeit der Haftungsbegrenzung entscheidend gemildert. Für die GbR ist eine solche Möglichkeit im Gesetz nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber hatte ja auch keinen Anlass, eine solche Haftungsbeschränkung zu regeln, weil sie nach der traditionellen Gesamthandslehre und auch noch nach der Doppelverpflichtungstheorie problemlos durch entsprechende Beschränkung der Vertretungsmacht der geschäftsführenden Gesellschafter erreicht werden konnte. Da sich die Haftungsverfassung der Außen-GbR neuerdings weitestgehend am Vorbild der OHG orientieren soll, scheint es nur konsequent – und dringend geboten –, jetzt auch noch den letzten Schritt zu gehen und die Regelung über die Kommanditistenstellung analog auf die GbR anzuwenden. 2. § 176 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 HGB analog Einer solchen Lösung könnte allerdings entgegenzustehen, dass die Kommanditistenstellung im HGB aufs Engste mit der Registerpublizität der Gesellschaft verknüpft ist. Der Rechtsverkehr soll sich ja vor einem Abschluss mit der Gesellschaft über die beschränkte Haftung des Kommanditisten informieren können und wissen, worauf er sich einlässt. Diese Plattform ist einer „Kommanditgesellschaft bürgerlichen Rechts (KGbR)“43 naturgemäß verschlossen. Aber auch für dieses Manko findet sich unmittelbar im Gesetz die passende Kompensation: § 176 Abs. 1 Satz 1 HGB regelt, dass der Kommanditist einer Gesellschaft, die schon vor der Eintragung ihren Geschäftsbetrieb aufnimmt, nur dann beschränkt mit seiner Einlage haftet, wenn dem Gläubiger die Beteiligung als Kommanditist bekannt war. § 176 Abs. 2 HGB sieht vor, dass diese Regelung für einen neu eintretenden Kommanditisten entsprechend für den Zeitraum zwischen Eintritt und Eintragung gilt. Die Registerpublizität wird hier also durch eine Individualpublizität ersetzt. Die Individualpublizität ist auch nicht zwingend mit der Registerpublizität
__________ 42 S. dazu nur Westermann in FS Konzen (Fn. 9), S. 964 ff. m. w. N. 43 Zum anders gelagerten Fall einer KGbR als Ergebnis einer gescheiterten KG-Gründung, damals noch unter Zugrundelegung der traditionellen Gesamthandslehre, K. Schmidt, DB 1973, 653 ff., 703 ff.
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verknüpft: § 176 Abs. 1 Satz 1 HGB setzt nicht voraus, dass es je zur Eintragung der Gesellschaft kommt44. Damit ist schon die Brücke zur eintragungsunwilligen oder -unfähigen GbR geschlagen: Dieses Verfahren lässt sich passgenau auch auf sie anwenden45. Gegen die Analogie scheint allerdings § 176 Abs. 1 Satz 2 HGB zu sprechen, der diese Haftungsprivilegien für diejenigen Gesellschaften ausschließt, die den KG-Status erst durch Eintragung erlangen können. Dieser Ausschluss müsste konsequenterweise erst recht für diejenigen GbRs gelten, die von vornherein nicht auf die Eintragung angelegt sein können. Im Ergebnis besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass diese Vorschrift – im Kontext der neuen Rechtsprechung – historisch überholt ist und sich auch die künftigen Kommanditisten einer kleingewerblichen künftigen KG bei entsprechender Gläubigerinformation auf die Haftungsbefreiung berufen können. GbR-Gesellschafter würden sonst strenger haften als Gesellschafter einer noch nicht eingetragenen vollkaufmännischen KG46. § 176 Abs. 1 Satz 2 HGB ist so gesehen eine Reminiszenz an die Zeit vor dem Obsiegen der Akzessorietätslehre, als eine Haftungsbegrenzung – wie gerade erwähnt – noch unschwer durch entsprechende Begrenzung der Vertretungsmacht des geschäftsführenden Gesellschafters erreicht werden konnte. Dem gerade entwickelten Konzept könnte weiter entgegengehalten werden, Publizität könne aus logischen Gründen immer nur für die Zukunft hergestellt werden. Für eine Begrenzung der Rückwärtshaftung des Neugesellschafters wäre dann nichts gewonnen. Auch dieser Einwand greift jedoch nicht durch, denn für § 176 Abs. 2, Abs. 1 HGB ist völlig unstreitig, dass der Neukomman-
__________ 44 Mülbert, AcP 199 (1999), 38, 100 f. 45 In diesem Sinne schon Mülbert, AcP 199 (1999), 38, 100 f. Die Kritik von Ulmer, ZIP 1999, 554, 560 und Reiff, ZIP 1999, 1329, 1330 ff., hierbei handele es sich um eine freischwebende Rechtsfigur, die den Regelungsplan des Gesetzgebers unterlaufe, kann angesichts der freischwebenden Rechtsfortbildung des BGH, deren sonst untragbare Konsequenzen die KGbR ja nur mildern soll, schwerlich überzeugen (dazu, dass der BGH insbesondere bei der analogen Anwendung von § 130 HGB den Voraussetzungen einer zulässigen Rechtsfortbildung in keiner Weise genügt, eingehend Canaris, ZGR 2004, 69, 78 ff.). Für die Schaffung einer KGbR de lege ferenda angesichts der durch den Rechtsprechungsschwenk verschärften Haftungsrisiken für GbR-Gesellschafter Baumann, BB Die erste Seite 2003, Nr. 37. 46 Die Begründungen variieren im Einzelnen: Für eine teologische Reduktion von § 176 Abs. 1 Satz 2 HGB J. Wagner, NJW 2001, 1110, 1112; für die analoge Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 2. Hs HGB Dauner-Lieb in FS Lutter, 2000, S. 835, 846; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1605 f.; Mülbert, AcP 199 (1999), 38, 96 ff.; Armbrüster, ZGR 2005, 34, 60 f. stellt unmittelbar auf das fehlende Schutzbedürfnis des Gläubigers bei Publizität der Haftungsbeschränkung ab. A. A. und für die weitere uneingeschränkte Anwendbarkeit von § 176 Abs. 1 Satz 2 HGB Koller in Koller/Roth/Morck, HGB, 6. Aufl. 2007, § 176 HGB Rz. 6, weil kein Anlass bestehe, die Gesellschafter von nicht eingetragenen Gesellschaften i. S. v. § 105 Abs. 2 HGB gegenüber sonstigen GbR zu privilegieren; dieses Argument wird aber gegenstandslos, wenn man – wie hier vertreten – auch für die GbR die Möglichkeit einer Kommanditistenstellung annimmt.
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ditist für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten nur beschränkt nach §§ 171, 172, 173 HGB haftet47. Die Altgläubiger konnten ja nicht auf die Haftung des Neugesellschafters vertraut haben. Publizieren KGbR und Neukommanditist die Haftungsbeschränkung hinreichend – die genaue Höhe der Haftsumme braucht dabei nicht mitgeteilt werden –, muss also auch der Neukommanditist für die Altschulden analog § 173 HGB nur mit seiner Einlage einstehen. Dem dürfte auch die BGH-Rechtsprechung zur Unzulässigkeit einer „GbR mbH“ nicht entgegenstehen. Der 2. Senat hat zwar schon 1999 einer Beschränkung der Gesellschafterhaftung durch gesellschaftsvertragliche Abreden insoweit einen Riegel vorgeschoben48, indem er den Gesellschaftern einer so firmierenden Gesellschaft eine Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen versagte. Denn die Gesellschafterhaftung könne nur durch eine individualvertragliche Vereinbarung mit dem Gläubiger ausgeschlossen werden. Dieses Urteil war jedoch ersichtlich von der Sorge getragen, den Gläubigern stehe in einem solchen Fall gar kein persönlich haftender Gesellschafter als Ausgleich für die im Unterschied zur GmbH fehlenden Vorschriften über die Aufbringung eines Mindestkapitals und entsprechender Kapitalerhaltungsregeln gegenüber, so dass die Gesellschafter nicht gehindert wären, die Gesellschaft mit nur minimalem oder gar ganz fehlendem Haftungsfonds zu betreiben49. Bei einer KGbR besteht zu einer solchen Befürchtung hingegen kein Grund. Hier können sich die Gläubiger jedenfalls bei den Komplementären schadlos halten. Sollte der BGH gleichwohl auch die Konstellation gemeint haben, dass nur die Haftung einzelner Gesellschafter gesellschaftsvertraglich beschränkt werden soll, könnte die Entscheidung heute insofern keinen Bestand mehr haben. Sie ist zu einem Zeitpunkt ergangen, als sich der BGH noch nicht für die analoge Anwendbarkeit von § 130 HGB ausgesprochen hatte. Er hatte deshalb noch keinen Anlass gehabt, die Auswirkungen des Verbots einer gesellschaftsvertraglichen Haftungsbeschränkung auf ein solch striktes Haftungsregime zu bedenken.
IV. Ergebnisse und Schluss Als Ergebnis unserer Überlegungen ist damit festzuhalten: 1. Die strenge Eintrittshaftung, die der BGH GbR-Gesellschaftern neuerdings auferlegt, lässt sich weder aus dem Gesetz rechtfertigen, noch ist sie interessengerecht. Wahrscheinlich ist sie sogar verfassungswidrig.
__________ 47 S. nur Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, § 176 HGB Rz. 35; BGHZ 82, 209, 215 = NJW 1982, 883, 885. 48 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483. 49 Ebenda unter B I 4.
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2. Solange der BGH trotz dieser dogmatischen Einwände an seiner Rechtsprechung festhält, muss konsequenterweise wenigstens auch GbR-Gesellschaftern die Möglichkeit eingeräumt werden, zur Haftungsbegrenzung auf eine Kommanditistenstellung auszuweichen. Eine hinreichende Analogiebasis findet sich in § 176 HGB. Der Wunsch des Jubilars erweist sich damit als überaus berechtigt. Es ist in der Tat zu hoffen, dass sich der BGH seine Entscheidung doch noch einmal überlegt.
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Vom besonderen Vertreter zur actio pro socio – Das Klagezulassungsverfahren des § 148 AktG auf dem Prüfstand Inhaltsübersicht I. Die Entscheidung des HansOLG Hamburg vom 19.1.2007 1. Zum intertemporalen Recht 2. Zum Ermessen des besonderen Vertreters II. Zum Klagezulassungsverfahren 1. Mehrheit von antragstellenden Aktionären 2. Der Antragsgegner 3. Das zuständige Gericht und die Maßgeblichkeit der ZPO 4. Die Beiladung 5. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG (Nachweis des Aktienerwerbs vor Kenntniserlangung)
6. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG (vergebliche Aufforderung der Gesellschaft) 7. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG (Verdacht grober Verstöße) 8. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG (dem Antrag entgegenstehende Gründe des Gesellschaftswohls) 9. Zur Formulierung des Antrages 10. Zur Darlegungs- und Beweislast 11. Zusammenfassung
Der nachfolgende, Harm Peter Westermann gewidmete Beitrag knüpft an eine Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (HansOLG Hamburg) vom 19.1.2007 an1. Die Entscheidung befasst sich mit der intertemporalen Geltung des am 1.11.2005 in Kraft getretenen Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG)2. Harm Peter Westermann und der Unterzeichner waren auf unterschiedliche Weise im Verfahren tätig und der zu Ehrende möge Nachsicht walten lassen, wenn die Entscheidung nochmals aufgegriffen wird. In der Auseinandersetzung zwischen den Verfahrensbeteiligten ging es darum, ob mit dem Inkrafttreten des UMAG die verfahrensrechtliche Position einer eine Haftungsklage nach altem Recht (§ 147 AktG a. F.) betreibenden Minderheit am 1.11.2005 durch das neue Klagezulassungsverfahren des § 148 Abs. 1 und 2 AktG übergangslos ersetzt worden ist. Die vom HansOLG Hamburg bejahte Frage gibt Anlass, nochmals auf diese interessante, in ihrer zeitlichen Bedeutung allerdings beschränkte Problematik einzugehen. Darüber hinaus soll die Entscheidung des HansOLG Hamburg eine Art Vorlage für die Erörte-
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1 HansOLG Hamburg, AG 2007, S. 331 f. 2 BGBl. I 2005, S. 2801 ff.
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rung einiger sich zum neuen Klagezulassungsverfahren noch stellender Fragen bilden. Dieses Verfahren ist zwar sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes intensiv in der Literatur erörtert worden3. Die Diskussion ist aber keineswegs abgeschlossen.
I. Die Entscheidung des HansOLG Hamburg vom 19.1.2007 1. Zum intertemporalen Recht Der Beschluss des HansOLG Hamburg hat über den konkret entschiedenen Fall hinaus Bedeutung für das allgemeine intertemporale Verfahrensrecht und im Besonderen für die Überleitung des Minderheitenschutzes zur Geltendmachung behaupteter Schadensersatzansprüche von dem bisherigen, in der Fassung des KonTraG4 geltenden § 147 AktG a. F. („legislatorische Totgeburt“5) zu dem neuen, in § 148 AktG geregelten Klagezulassungsverfahren. Hinsichtlich des intertemporalen Verfahrensrechts hat der Senat zutreffend auf dem Boden der herrschenden Auffassung den Grundsatz bekräftigt, dass beim Fehlen von Überleitungsvorschriften neues Prozessrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an gilt6. Das UMAG hatte Überleitungsvorschriften nur zu § 123 Abs. 2 und Abs. 3 AktG und zu § 125 Abs. 2 AktG für die Formalien zur Einladung zu Hauptversammlungen vorgesehen. Im Übrigen waren im Gesetz Überleitungsregelungen nicht enthalten. Die Besonderheit des entschiedenen Falles bestand darin, dass die Parteien darüber stritten, ob ein nach altem Recht durch Mehrheitsbeschluss zur Durchsetzung eines Minderheitenverlangens wirksam bestellter besonderer Vertreter noch nach dem Recht, das zum Zeitpunkt seiner Bestellung galt, vom Gericht abberufen werden konnte, falls dafür die – zwischen den Verfahrensbeteiligten streitigen – tatbestandlichen Voraussetzungen vorlagen. Die das Verfahren betreibende Minderheitsaktionärin hatte vorgetragen, dass das an die Stelle des alten Minderheitenverfahrensrechts getretene besondere Klagezulassungsverfahren des § 148 AktG n. F. einen unzulässigen rückwirkenden Eingriff in eine rechtlich geschützte Rechtsstellung darstelle. Dazu hat das HansOLG Hamburg festgestellt, dass ungeachtet der Erschwernisse, die sich für eine klagende Minderheit, insbesondere in den Klagezulassungsvoraussetzungen von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 AktG, stellen und die sich möglicherweise negativ auf die geltend gemachten Ansprüche auswirken, es sich bei diesen Voraussetzungen um Prozessrecht handelt. Das subjektive Recht der Minderheit beziehe sich auf den materiellen Schadensersatzanspruch gegen das in Anspruch genommene Organ und nicht darauf, wie dieser im Einzelnen prozessual geltend zu machen sei. Untermauert hat das Gericht diese Auffassung durch einen Vergleich der vor
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Vgl. z. B. die Nachweise bei Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, Fn. 2. BGBl. I 1998, S. 786 ff. Bork, RWS-Forum 10, GesellschaftsR 1998, S. 53, 68. Vgl. nur BGH, BGHZ 12, 254, 266 und BGH, BGHZ 114, 1, 3; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 301 ZPO Rz. 3.
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und nach dem Inkrafttreten des UMAG insgesamt bestehenden prozessualen Chancen der Minderheit auf Durchsetzung eines behaupteten Schadensersatzanspruches. Entscheidendes Gewicht gelegt hat der Senat dabei zum einen auf die neu geschaffene eigene Prozessführungsbefugnis der Minderheit, durch die das Institut des besonderen Vertreters beseitigt wurde, und zum anderen auf die insgesamt für die Minderheit günstige Kostentragungsregelung. Der Beschluss des HansOLG Hamburg bestätigt darüber hinaus die Auffassung anderer Gerichte, die für unterschiedlich gelagerte Fälle die sofortige Ersetzung des alten Aktienrechts durch das neue Recht in der Fassung des UMAG bejaht haben. Das OLG Hamm hat dazu entschieden, dass im Hinblick auf das Fehlen von Übergangsregelungen die Neufassung des § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG, die eine unrichtige Informationserteilung als Anfechtungsgrund bei den in der Norm genannten Fällen ausschließt, auf solche Anfechtungsklagen Anwendung finde, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängig waren7. Das OLG Frankfurt hat beschlossen, dass die durch das UMAG eingeführten Beschränkungen des Anfechtungsrechts (§§ 243 Abs. 4, 245 Nr. 1 und 3 AktG) mangels Übergangsregelungen in zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des UMAG laufenden Freigabe- und Anfechtungsverfahren zu berücksichtigen sind8. Mit diesen Entscheidungen von drei Oberlandesgerichten dürfte für noch nicht entschiedene Fälle die richtige Richtung gewiesen sein. 2. Zum Ermessen des besonderen Vertreters Die Entscheidung des HansOLG Hamburg hat über die konkret entschiedene Rechtsfrage, die nur von begrenzter zeitlicher Bedeutung ist, in zwei knappen obiter dicta eine Rechtsauffassung zu einer Problematik geäußert, die auch für die Zukunft Bedeutung haben könnte. Es geht um das Ermessen des besonderen Vertreters im Rahmen der Prüfung des von ihm geltend zu machenden Schadensersatzanspruches. Dazu hatten sich im Hinblick auf eine missglückte, jedenfalls aber unklare Gesetzesfassung in § 147 AktG a. F. zwei Meinungen gebildet. Nach der einen Auffassung stand bei einem durch die Minderheit gemäß § 147 Abs. 2 AktG a. F. in Gang gesetzten Verfahren dem bestellten Vertreter kein Ermessen bei der Prüfung einer hinreichenden Aussicht der Klage auf Erfolg zu9. Diese Auffassung stützte sich in einem argumentum e contrario darauf, dass nach dem Gesetzeswortlaut von § 147 Abs. 3 Satz 3 AktG a. F. dieses Ermessen nur gegeben war, wenn Tatsachen vorlagen, die den dringenden Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung Schaden zugefügt wurde. In § 147 Abs. 2 AktG fehlte eine entsprechende Regelung oder Bezugnahme auf § 147 Abs. 3 Satz 3 AktG. Andere Autoren hingegen hatten, ungeachtet des divergierenden Gesetzeswortlautes, auch in einem durch die Minderheit ge-
__________ 7 OLG Hamm, NZG 2007, 897. 8 OLG Frankfurt, AG 2006, 249. 9 Schröer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 147 AktG Rz. 45.
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mäß § 147 Abs. 2 AktG a. F. in Gang gesetzten Verfahren dem besonderen Vertreter die Rechte und Pflichten aus § 147 Abs. 3 Satz 3 AktG a. F. zugebilligt10. Die Frage nach einem Ermessen des besonderen Vertreters und seinem Umfang hat sich mit der Neufassung des Verfahrensrechts keinesfalls erledigt. Ungeachtet der im Schrifttum und in der Gesetzesbegründung geäußerten Kritik am Institut des besonderen Vertreters hat das UMAG nämlich an dieser Einrichtung für den Fall festgehalten, dass ein Schadensersatzanspruch nicht von der Minderheit geltend gemacht wird, sondern die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit dies beschlossen hat. Anknüpfend an das alte Recht kann eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von einer Million Euro erreichen, beim Gericht des Sitzes der Gesellschaft den Antrag stellen, den von der Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreter durch eine andere Person zu ersetzen, wenn dies für eine gehörige Geltendmachung des Anspruches zweckmäßig erscheint (§ 147 Abs. 2 Satz 2 AktG n. F.). Auch für diesen Fall findet sich wieder die Bestimmung des § 147 Abs. 2 AktG a. F. ohne den das Prüfungsrecht des besonderen Vertreters regelnden Wortlaut des § 147 Abs. 3 Satz 2 AktG a. F. Da das Gesetz keine unterschiedlichen Formulierungen mehr enthält, dürfte für die Zukunft das argumentum e contrario entfallen und sich nach allgemeinen Grundsätzen wieder die Frage stellen, welche Befugnisse dem besonderen Vertreter im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens zustehen. Hierzu darf aus der Entscheidung des HansOLG Hamburg die Auffassung entnommen werden, dass der besondere Vertreter die Klage nicht erheben muss, wenn er die Erhebung „nach eigener Einschätzung für unzulässig oder unbegründet“ hält11. Allerdings dürfte dies nach neuem Recht in der Praxis kaum mehr relevant werden. Denn künftig steht der besondere Vertreter nicht mehr vor der Entscheidung, ob und inwieweit ein etwaiges missbräuchliches Verhalten der Minderheit in seine Prüfung einzubeziehen ist. Die Organe der Gesellschaft werden sich zur Vermeidung eigener Haftung wegen unterlassener Verfolgung sehr wohl überlegen, ob ein Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung sie nicht zwingt, die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches selbst in die Hand zu nehmen und sie nicht einem besonderen Vertreter zu überlassen12. Weil dem § 147 AktG aller Voraussicht nach wenig praktische Bedeutung zukommen wird, soll hier nicht der interessanten Problematik nachgegangen werden, ob eine Minderheit dann noch das Verfahren von § 148 AktG betreiben kann, wenn der von der Mehrheit gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG gewählte Vertreter nach Prüfung der Sach- und Rechtslage von einer Klageerhebung absieht.
__________ 10 Hölters in FS Wiedemann, 2002, S. 975, 988; vermittelnd: Bezzenberger in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 147 AktG Rz. 56. 11 Vgl. HansOLG Hamburg, AG 2007, S. 331, 332. 12 Siehe auch K. Schmidt, NZG 2005, 796, 799.
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II. Zum Klagezulassungsverfahren Zum neuen Verfahren des § 148 AktG stellen sich, wie bereits eingangs bemerkt, eine Reihe von Fragen, die insbesondere im Hinblick darauf diskussionswürdig und -bedürftig sind, weil die Praxis noch nicht hinreichende Erfahrungen gesammelt hat und es keine einschlägige Rechtsprechung gibt. Ihnen soll im Folgenden nachgegangen werden. 1. Mehrheit von antragstellenden Aktionären Der Antrag auf Einleitung des Klagezulassungsverfahrens kann von Aktionären gestellt werden, die zusammen über das nach § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG erforderliche Quorum (den einhundertsten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 100 000 Euro) verfügen. Wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, können sich mehrere Aktionäre, die alleine nicht über das Quorum verfügen, mit Hilfe des Aktionärsforums des § 127a AktG zusammenschließen und gemeinsam den Antrag stellen. Es ist aber denkbar und zulässig, dass mehrere Aktionäre für sich allein bereits über das Quorum verfügen und einen separaten Antrag stellen. Möglich ist es schließlich, dass sich nach dem Bekanntwerden eines Zulassungsantrags neue Gruppierungen von Aktionären mit dem erforderlichen Quorum bilden, um ebenfalls einen Antrag zu stellen. Für derartige Fälle stellt sich materiell die Frage der Zulassung nachträglicher Anträge (dazu unten zu lit. c) und formal die Frage der prozessualen Stellung einer solchen Mehrheit von Antragstellern. a) Verbinden sich mehrere Aktionäre und vereinbaren sie, gemeinsam ein Klagezulassungsverfahren einzuleiten, handelt es sich bei der entsprechenden Vereinbarung um einen Vertrag, in dem sich die Vertragspartner gegenseitig zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise verpflichten. Dieser Vertrag ist als Gesellschaftsvertrag im Sinne von § 705 BGB zu qualifizieren13. Falls keine besonderen Absprachen getroffen werden, endet die BGB-Gesellschaft mit der Erreichung des gemeinsamen Zweckes (§ 726 BGB). Das ist die rechtskräftige Zulassung zur Klageerhebung oder ein rechtskräftiger negativer Beschluss. Besondere Probleme stellen sich, wenn der Zusammenschluss mehrerer Aktionäre mit Hilfe des Aktionärsforums erfolgt. In der Regel wird man die Aufforderung zum gemeinsamen Vorgehen noch nicht als Angebot zum Abschluss eines Gesellschaftsvertrages und wohl nicht einmal als invitatio ad offerendum werten können. Die Schwelle für einen Zurechnungstatbestand nach §§ 30 Abs. 2 WpÜG, 22 Abs. 2 WpHG dürfte in der Regel noch nicht überschritten sein14. Wenn keine abweichenden Vereinbarungen getroffen worden sind, verlangt das gemeinsame Vorgehen in der Form einer BGB-Gesellschaft auf Seiten der
__________
13 So auch die Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 21; Spindler, NZG 2005, 825, 828. 14 Dazu Spindler, NZG 2005, 825, 828.
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Aktionäre Klarheit darüber, dass in der BGB-Gesellschaft das Prinzip der Einstimmigkeit und der gemeinschaftlichen Geschäftsführung gilt. Dieses erfordert eine Vereinbarung dahingehend, wie man gemeinschaftlich vorgehen will, insbesondere, mit welchen Mehrheiten in der Gesellschafterversammlung beschlossen, wer mit der Verfahrensvertretung beauftragt und wie die Kostentragung geregelt werden soll. Hierüber wird sehr häufig nicht Einigkeit hergestellt werden können. Das Gleiche gilt bei unterschiedlichen taktischen Vorstellungen über das Vorgehen gegenüber dem in Anspruch zu nehmenden Organ. In derartigen Fällen kann jeder Aktionär oder können verschiedene Aktionärsgruppen einen eigenen Antrag stellen, allerdings nur dann, wenn sie jeweils das Quorum aufbringen15 und für sie die Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AktG (dazu im Folgenden) vorliegen. b) Schon weil es sich bei dem Antrag auf Klagezulassung nicht um eine Klageerhebung handelt, bestehen unter dem Gesichtspunkt der Rechtshängigkeit keine prozessualen Probleme. Aus diesem Grunde ist nicht zu befürchten, dass es zu einem Wettlauf darüber kommt, welcher Aktionär als erster seinen Antrag einreicht. Wenn die einzelnen Aktionäre oder Aktionärsgruppen jeweils für sich die Antragsvoraussetzungen des § 148 Abs. 1 AktG erfüllen, lässt das Gesetz mehrere parallel oder nacheinander gestellte Anträge zu und sind mehrere Klagen zulässig (vgl. § 148 Abs. 4 Satz 4 AktG), wenn dem nicht das Gesellschaftswohl entgegensteht16. Das Gericht wird separat eingegangene Anträge zunächst getrennt behandeln. Es sollte aber prozessual zulässig sein, dass die verschiedenen Antragsverfahren zu einem einheitlichen Verfahren zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden. Diese Möglichkeit sieht das Gesetz in § 148 Abs. 4 Satz 4 AktG zwar nur nach positivem Abschluss des Klagezulassungsverfahrens für dann erhobene Klagen vor. Das Gesetz schneidet hier in etwas versteckter Form für mehrere nacheinander erhobene Haftungsklagen den Einwand der Rechtshängigkeit ab. Es ist nicht einzusehen, weshalb ungeachtet einer fehlenden Verweisungsnorm diese Bestimmung nicht schon für das Klagezulassungsverfahren selbst gelten sollte. Auf diese Weise kann der Erhebung mehrerer Klagen entgegengewirkt werden. Mehrere Aktionäre, die nicht gemeinsam eine antragstellende Minderheit darstellen, handeln als Streitgenossen und da das streitige Rechtsverhältnis (Anspruch gegen die Organperson) allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann, als notwendige Streitgenossen (§ 62 ZPO). Die Vorschrift von § 62 ZPO hat ihren Standort zwar in den das Klageverfahren regelnden Vorschriften. Ihrer analogen Anwendung auf das der Klage vorausgehende Klagezulassungsverfahren stehen aber Bedenken nicht entgegen17. Da – anders als im Falle der beizuladenden Gesellschaft (dazu unten zu 4.) – die
__________ 15 S. zu den weiteren Problemen bei der Annahme einer BGB-Gesellschaft auch Spindler, NZG 2005, 825, 828. 16 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 148 AktG Rz. 18. 17 Wie hier auch die Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 20 f.
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Interessen der antragstellenden Aktionäre parallel gerichtet sind, bestehen keine Einwände dagegen, dass im Falle der Säumnis eines Streitgenossen dieser durch die nicht säumigen Streitgenossen als vertreten anzusehen ist (§ 62 Abs. 1 ZPO). c) Probleme können sich ergeben, wenn die Antragstellung durch mehrere selbständig oder in Gesellschaft handelnde Aktionäre nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt, sondern zwischen dem ersten Antrag und folgenden Anträgen ein längerer Zeitraum liegt. Wenn Folgeanträgen nicht der Einwand der Rechtshängigkeit nach § 261 ZPO entgegengehalten werden kann, stellt sich die Frage, ob es zeitliche Grenzen gibt, die formal einem Klagezulassungsantrag entgegengehalten werden können, wenn dieser Antrag erst gestellt wird, nachdem der Erstantrag bei Gericht eingegangen ist. Das Gesetz enthält hierzu keine Aussage. Sowohl die Regierungsbegründung18 wie das Schrifttum lassen es als denkbar erscheinen, dass derartigen „Nachzüglern“ materiell der Einwand aus § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG entgegengehalten werden kann, weil solchen Anträgen und ihnen folgenden Klagen ein überwiegendes Interesse der Gesellschaft entgegenstehe. Es fragt sich, ob man die sachgerechte Eingrenzung im Sinne der Rechtssicherheit nicht besser formalisieren sollte. Im Schrifttum und in Stellungnahmen wird beispielsweise gesagt, es könne ein nachträglicher Antrag und eine nachträgliche Klage dann noch zugelassen werden, wenn die Antragsteller und Kläger eine wesentlich bessere und vertrauenswürdigere anwaltliche Betreuung vorweisen könnten19. Dieses Argument verfängt nicht! Soll der Richter im Klagezulassungsverfahren entscheiden, welcher Anwalt der bessere ist oder woher soll er wissen, welche Informationen die einschlägigeren sind? Auch bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage müssen innerhalb der Klagefrist die relevanten Gründe vorgetragen werden20. Gedient wäre den Interessen der Gesellschaft, die durch mehrere hintereinander zu führende Klagezulassungsverfahren und Klagen regelmäßig sehr beeinträchtigt werden, wenn es nach Art der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG eine Frist gäbe, nach der ein Antrag nicht mehr gestellt und deshalb eine neue Klage nicht mehr erhoben werden kann. Die Rechtsprechung hat für den Fall der Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH in Anlehnung an § 246 Abs. 1 AktG als „Leitbild“21 entschieden, dass es für die GmbH im Grundsatz ebenfalls die einmonatige Anfechtungsfrist gilt, wenn nicht beson-
__________ 18 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22 f. 19 So die Stellungnahme der DSW auf S. 17, zu finden unter www.dsw-info.de/uploads/ medial/DSW-Stellungnahme-UMAG.pdf. 20 Dazu RGZ 91, 316, 323; 125, 143, 156; 131, 192, 195 f.; BGH, BGHZ 15, 177, 180 f.; 32, 318, 322 f.; 120, 141, 156 f.; OLG Dresden, AG 2001, 489, 490; OLG Hamburg, AG 2003, 46, 47; K. Schmidt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 246 AktG Rz. 22 ff.; Hüffer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2001, § 246 AktG Rz. 41; Hüffer (Fn. 16), § 246 AktG Rz. 26; Semler in MünchHdb.AG, 2. Aufl. 1999, § 41 Rz. 75; a. A. Zöllner in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 246 AktG Rz. 18 ff. 21 OLG Brandenburg, GmbHR 1998, 1037, 1038; Hüffer, ZGR 2001, 833, 864 f.
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dere Gründe dem entgegenstehen. Die Aktionäre sind zwar nicht so wie die Gesellschafter einer GmbH auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen, so dass der zwischen diesen geltende Vertrauensschutz nicht unbesehen auf das Verhältnis mehrerer, einen einen Klagezulassungsantrag stellender Aktionäre übertragen werden kann. Aber ähnlich wie bei einer aktienrechtlichen Anfechtungsklage hat bei einem Klagezulassungsverfahren die Gesellschaft ein berechtigtes Interesse daran, zu wissen, bis zu welchem Zeitpunkt sie noch mit neuen Anträgen rechnen kann. Will man diesem Gedanken nahetreten, fragt sich natürlich, wie lang die Frist bemessen sein soll. Hier könnte, wie bei der GmbH, als „Leitbild“ eine Einmonatsfrist in Betracht gezogen werden oder an die Überlegungen der Regierungsbegründung zur Angemessenheit einer Frist für die Klageerhebung durch die Gesellschaft22 gedacht werden. Da der Beginn der Frist an ein eindeutiges Datum geknüpft sein muss, bietet es sich bei der börsennotierten Gesellschaft analog § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG (Frist für die Beteiligung als Nebenintervenient) an, die Einmonatsfrist mit der Veröffentlichung der rechtskräftigen Zulassung der Klage (§ 149 Abs. 1 AktG) beginnen zu lassen. Bei der nichtbörsennotierten Aktiengesellschaft gibt es andere Kommunikationskanäle, die den Aktionären die Möglichkeit geben, über die Klagezulassung Kenntnis zu erlangen23. Bei diesen Gesellschaften könnte man für den Beginn des Laufs der Frist an die Rechtskraft des Zulassungsbeschlusses anknüpfen. 2. Der Antragsgegner Das Gesetz bestimmt in § 148 Abs. 2 Satz 4 AktG, dass dem Antragsgegner vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Es sagt aber nicht ausdrücklich, wer dieser Antragsgegner ist24. Aus § 148 Abs. 2 Satz 7 AktG, nach dem die Gesellschaft im Zulassungsverfahren beizuladen ist, ergibt sich im Umkehrschluss, dass nur die beklagte Partei des Hauptverfahrens Antragsgegner im Vorverfahren sein kann25. Dies ist die in Anspruch genommene Person. 3. Das zuständige Gericht und die Maßgeblichkeit der ZPO Über den Antrag auf Klagezulassung entscheidet das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Ist bei dem Landgericht eine Kammer für Handelssachen gebildet, so entscheidet diese anstelle der Zivilkammer (§ 148 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AktG). Es handelt sich um eine ausschließliche Zuständigkeit26.
__________ 22 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22. 23 Vgl. Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 24. 24 Hüffer nennt die Vorschrift deshalb insoweit „defizitär“, Hüffer (Fn. 16), § 148 AktG Rz. 11. 25 Hüffer (Fn. 16), § 148 AktG Rz. 11. 26 Schröer in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 147 AktG Rz. 66; Hüffer (Fn. 16), § 147 AktG Rz. 9; Bezzenberger in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 147 AktG Rz. 56.
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Bei größeren Landgerichten mit mehreren Kammern für Handelssachen sieht die Geschäftsordnung häufig eine Aufteilung der Zuständigkeiten einerseits für Angelegenheiten der nach Maßgabe der Verfahrensvorschriften der ZPO zu behandelnden Streitfälle und andererseits für Streitfälle vor, die der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen sind. Diese funktionelle Zuordnung richtet sich danach, ob das Verfahren ein Verfahren der ZPO oder des FGG ist. Auch wenn das Klagezulassungsverfahren Elemente des FGG-Verfahrens aufweist, handelt es sich nach ganz herrschender Ansicht um ein zivilprozessuales Verfahren27. Diese Auffassung kann sich zum einen auf die Entwurfsbegründung berufen, in der festgestellt wird, dass das Klagezulassungsverfahren dem eigentlichen Klageverfahren vor dem Prozessgericht vorgeschaltet ist und es sich dabei um ein Verfahren nach der Zivilprozessordnung handelt28. Mittelbar ergibt sich dies auch aus dem FGG, und zwar durch die Änderung von § 145 FGG (vgl. UMAG, Art. 2, § 16). Im alten Katalog des FGG für sonstige Zuständigkeiten des Amtsgerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurde nämlich die Angabe „§ 147 Abs. 2 und 3“ durch die Angabe „§ 147 Abs. 2“ ersetzt und § 148 AktG nicht in den Zuständigkeitskatalog aufgenommen. Lediglich das Verfahren zur Bestellung des besonderen Vertreters zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Hauptversammlung (§ 147 Abs. 2 AktG) unterliegt, wie nach altem Recht, dem FGG. Die Regelung der Zuständigkeit bei ein und demselben Gericht entspricht derjenigen, wie sie in anderen, dem eigentlichen Klageverfahren vorgeschalteten Verfahren geregelt ist (z. B. § 16 Abs. 3 UmwG, wo ausdrücklich im Gesetzestext festgehalten ist, dass für den Beschluss das für die Klage zuständige Gericht zuständig ist). Die Zuordnung des Verfahrens zu den Vorschriften der ZPO hat außer für die funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen Bedeutung für die Beweiserhebung durch das Gericht (dazu weiter unten zu 10.). 4. Die Beiladung Irritationen hat die vom Regierungsentwurf in das Gesetz übernommene Regelung ausgelöst, dass im Zulassungsverfahren (wie später in einem Klageverfahren) die Gesellschaft „beizuladen ist“29. Dieser Regelung vorangegangen war eine Formulierung im Referentenentwurf, nach der die Gesellschaft im Zulassungsverfahren angehört werden sollte (§ 147a Abs. 2 Satz 2 Referentenentwurf), während für das Klageverfahren keinerlei Beteiligung und sogar das Verbot der Nebenintervention in § 147a Abs. 3 Satz 3 AktG vorgesehen war. Die Regierungsbegründung enthält keinerlei Hinweise, weshalb und wie die Gesellschaft beizuladen ist, sondern beschränkt sich auf die Feststellung: „Die
__________ 27 Hüffer (Fn. 16), § 148 AktG Rz. 10; Spindler, NZG 2005, 865, 868; Koch, ZGR 2006, 769, 775; Schröer, ZIP 2005, 2081, 2086. 28 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22 f. 29 Vgl. DAV-Stellungnahme zum Regierungsentwurf, NZG 2005, S. 388, 391.
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Gesellschaft ist im Zulassungsverfahren, wie auch im Hauptverfahren beizuladen“30. An anderer Stelle bemerkt die Regierungsbegründung zur Beiladung der Minderheit, dass diese „nach dem Vorbild der §§ 65 Abs. 2, 66 VwGO“ erfolge31. Soweit ersichtlich, haben sich bisher erst Zieglmeier32 und Paschos/Neumann33 eingehend mit der Frage beschäftigt, was der Gesetzgeber gemeint haben mag oder meinen durfte, wenn er ohne Verweisung auf die in anderen Gesetzen stehenden Verfahrensregelungen von „Beiladung“ spricht. Ein allgemeines Institut der Beiladung gibt es als solches nicht. Die Beiladung ist vielmehr in unterschiedlichen Gesetzen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen geregelt. Sie ist enthalten in öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen (§ 65 VwGO, § 75 FGG, § 60 FGO) und ferner im Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (§ 12 KapMuG). Das KapMuG ist bezeichnenderweise am gleichen Tage in Kraft getreten wie das UMAG. Gesetzestechnisch müsste es eigentlich naheliegen, unter „Beiladung“ die in der ZPO genannten Fälle der „Beiladung“ zu verstehen, denn nach dem erklärten Willen der Gesetzesbegründung finden die Vorschriften der ZPO auf das Klagezulassungsverfahren Anwendung (vgl. dazu oben zu 3.). Die entsprechenden Bestimmungen der ZPO, es handelt sich um § 640e ZPO und § 856 Abs. 3 ZPO (letztere Vorschrift kennt den Begriff der „Beiladung“ als solchen nicht), haben aber keine Beiladung im gesetzestechnischen Sinne zum Inhalt. Zieglmeier nennt sie „Beiladungssplitter“. Sie können nicht gemeint sein, wenn der Gesetzgeber des UMAG von „beiladen“ spricht und dazu noch sagt, „Vorbild“ (für was?) seien die §§ 65 Abs. 2, 66 VwGO. Sinn und Zweck dieser Vorschriften der ZPO ist es, einem Dritten, der durch die in einem anhängigen Verfahren ergehende Entscheidung in seinen Rechten betroffen werden kann, Mitteilung vom Rechtsstreit und die Möglichkeit zur Streithilfe zu geben. Man könnte deshalb anstelle von „Beiladung“ zutreffender von „Zuladung“ sprechen34. Wenn bei der Beiladung im Klagezulassungsverfahren ersichtlich nicht von „Beiladungen“ im Sinne der ZPO die Rede sein kann, verbleibt in der Tat nur die in § 65 VwGO genannte Beiladung, auf welche die Regierungsbegründung verweist und dort, wegen der Notwendigkeit einer einheitlichen Feststellung, die notwendige Beiladung im Sinne von § 65 Abs. 2 VwGO. Diese unterscheidet sich von dem Parallelinstitut der streitgenössischen Nebenintervention der ZPO dadurch, dass sie von Amts wegen angeordnet wird. In einem den Regeln der ZPO unterliegenden Verfahren haben es die Beteiligten in der Hand, ob sie einem Rechtsstreit beitreten wollen oder nicht, bei einer notwendigen Beiladung besteht diese Handlungsoption nicht (vgl. § 65 Abs. 2 VwGO). Die Ge-
__________ 30 31 32 33 34
Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22 f. Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 24. Zieglmeier, ZGR 2007, 145, 153 ff. Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, 1783. Wie hier: Stettner, Das Verhältnis der notwendigen Beiladung zur notwendigen Streitgenossenschaft im Verwaltungsprozess, Univ. Diss. 1974, S. 18.
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sellschaft wird also selbst dann in den Rechtsstreit als Verfahrensbeteiligte einbezogen, wenn sie das gar nicht will. Es kann durchaus auf Seiten der Gesellschaft Überlegungen geben, sich in das Verfahren nicht automatisch einbeziehen zu lassen, sondern sich – jedenfalls zunächst – abwartend zu verhalten. Diese Möglichkeit ist ihr durch das Gesetz genommen, wenn im Sinne von § 65 Abs. 2 VwGO die Einbeziehung der Gesellschaft als Beteiligte in das Verfahren stets von Amts wegen zwingend erfolgt. Bedenklich ist die Übernahme eines Instituts der VwGO in ein der ZPO unterliegendes Verfahren insbesondere aber deshalb, weil die Beiladung der VwGO, wie auch anderer öffentlich-rechtlicher Prozessordnungen, Ausfluss des Untersuchungsgrundsatzes ist. Die für die Entscheidung relevanten Tatsachen sind im Verwaltungsprozess vom Gericht von Amts wegen zu ermitteln. Unzulässig wäre es, aus der Übernahme eines Instituts der VwGO Rückschlüsse auf die Darlegungs- und Beweislast zu ziehen. Diese beurteilt sich vielmehr ausschließlich nach den Grundsätzen der ZPO. Sie ist im Einzelnen in § 148 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AktG geregelt (vgl. dazu unten zu 10.). Wenn man also auch im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut die Beiladung nicht in eine streitgenössische Nebenintervention im Sinne von § 66 ff. ZPO umdeuten kann35, wird man die Beiladung jedenfalls mit Vorsicht behandeln müssen und gegebenenfalls im Wege teleologischer Reduktion sie so auszugestalten haben, dass aus dem ZPO-Verfahren kein Verwaltungsverfahren wird. 5. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG (Nachweis des Aktienerwerbs vor Kenntniserlangung) Verfügt ein Aktionär oder verfügen mehrere Aktionäre über das erforderliche Quorum des § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG, müssen sie für einen Klagezulassungsantrag als erstes nachweisen (zum Nachweis vgl. unten zu 10.), dass sie ihre Aktien vor dem Zeitpunkt erworben haben, in dem sie, oder, im Falle der Gesamtrechtsnachfolge, ihre Rechtsvorgänger „von den behaupteten Pflichtverstößen oder dem behaupteten Schaden aufgrund einer Veröffentlichung Kenntnis erlangen mussten“ (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG). Aus dieser Antragsvoraussetzung kann sich in dreifacher Weise für den/die Antragsteller ein Problem ergeben: a) Es stellt sich zunächst die Frage, was das Gesetz mit „Veröffentlichung“ meint. Die Begründung erläutert hierzu, gemeint seien „Veröffentlichungen in Breitenmedien, der Wirtschaftspresse oder weit verbreiteten Onlinediensten“36. Diese Aufzählung, zu der die Ad-hoc-Veröffentlichung in der durch §§ 3a und 5 WpAIV geregelten Form gehört, nennt sicherlich die wich-
__________ 35 So aber wohl Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 155 f.; wie hier Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, 1784, die der gesetzlichen Regelung vollen Umfangs zustimmen. 36 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 24.; dazu auch Paschke in Kompaktkommentar Gesellschaftsrecht, 2007, § 148 Rz. 3.
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tigsten Veröffentlichungsmedien. Sie ist aber nicht abschließend. Im Hinblick auf das Erfordernis der Gleichzeitigkeit der Informationen wird man bei börsennotierten Gesellschaften die Information in der lokalen Wirtschaftspresse noch nicht als beachtliche Information ansehen können: Bei „kleinen“ Aktiengesellschaften mit lokalem Aktionärskreis kann das anders sein. b) Problematisch ist die Voraussetzung, dass die Kenntnis von den behaupteten Pflichtverstößen „oder“ dem behaupteten Schaden vor dem Aktienerwerb bestanden haben muss. Die Antragsvoraussetzung der nicht zu vertretenden Unkenntnis von dem eingetretenen Schaden ist im Gesetzgebungsverfahren erst durch den Rechtsausschuss eingefügt worden. Der Referenten- und der Regierungsentwurf hatten lediglich auf die Kenntnis der beanstandeten Pflichtverstöße abgestellt. Die weitere Voraussetzung der Kenntnis von dem behaupteten Schaden ist vom Rechtsausschuss mit der Begründung in das Gesetz aufgenommen worden, mit dieser Einschränkung solle verhindert werden, dass Kläger Aktien erst nach dem Bekanntwerden eines Schadens aufkaufen in der Erwartung, dass man da, wo ein Schaden entstanden ist, auch ein Fehlverhalten finden werde37. Diese Einschränkung kann im Einzelfall eine empfindliche Beschneidung der Aktionärsrechte darstellen. Wer in der Zeitung liest, dass seine Gesellschaft einen empfindlichen Schaden erlitten hat und einen gefallenen Kurs zum Anlass nimmt, in der Hoffnung auf wieder steigende Kurse „einzusteigen“ (die Gesellschaft wird dies begrüßen), kann später kein Klagezulassungsverfahren mehr in Gang setzen. Mit der Gesetzesänderung hat man zwar mit Blick auf die in der Regel kleine Schar der professionell streitbaren Aktionäre die Schwelle angehoben. Man hat gleichzeitig damit aber die anderen Aktionäre, die meistens die Mehrheit bilden, in ihren rechtlichen Möglichkeiten beschnitten. c) Offen ist, was das Gesetz damit meint, dass die Aktionäre von den behaupteten Pflichtverstößen oder dem behaupteten Schaden Kenntnis „erlangen mussten“. Die Gesetzesbegründung enthält keine Angaben dazu, welche Anforderungen an das „Kennenmüssen“ zu stellen sind. Die in der Gesetzesbegründung vorgenommene Unterscheidung der Aktionärsgruppen zwischen „langfristig unternehmerisch beteiligten Aktionären“ und „Anlegeraktionären“ gibt keinen Hinweis und lässt eher vermuten, dass der Sorgfaltsmaßstab, den der Aktionär hier in den eigenen Angelegenheiten anzuwenden hat, ein sehr hoher ist. Das Gesetz hat offensichtlich nur den sorgfältigen und stets informierten Aktionär im Auge. Wer im Urlaub, obwohl ihm Internet und Presse zur Verfügung stehen, es unterlässt, sich zu informieren und bei allgemein steigenden Kursen eine bestimmte Aktie kauft, könnte hiernach später ein Klagezulassungsverfahren nicht in Gang setzen! Ähnliches gilt für ausländische Aktionäre. Zutreffend dürfte es sein, auf den „durchschnittlichen, verständigen“ Aktionär abzustellen38.
__________ 37 Beschlüsse des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 15/5693, S. 17; dazu auch Seibt, WM 2004, 2137, 2144. 38 Spindler, NZG 2005, 865, 866.
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6. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG (vergebliche Aufforderung der Gesellschaft) Die Antragsvoraussetzung, dass die Aktionäre nachweisen müssen, die Gesellschaft unter Setzung einer angemessenen Frist vergeblich aufgefordert zu haben, selbst Klage zu erheben, kann Probleme schaffen39. Das gilt weniger für die Art der Aufforderung zur Klageerhebung. Das Gesetz nennt hierfür keine besonderen Formerfordernisse. Die Aktionäre müssen bei ihrer Aufforderung nur darauf achten, dass sie diese im Klagezulassungsverfahren nachzuweisen haben (dazu unten zu 10.a). Ein solcher Nachweis kann in der Regel nur in Schriftform erbracht werden. Ausreichend ist aber eine Aufforderung in der Hauptversammlung, die vom Notar zur Niederschrift genommen wird. Handelt es sich um mehrere Aktionäre, die das Quorum bilden, so werden sie darauf zu achten haben, dass eine in der Hauptversammlung erklärte Aufforderung als im Namen aller das Quorum bildenden Aktionäre erklärt und zu Protokoll genommen wird. Probleme können sich hinsichtlich der „Angemessenheit“ der Frist stellen. Was eine angemessene Frist ist, ist Sache des Einzelfalls. Die in der Regierungsbegründung genannte Frist von zwei Monaten40 kann unter Umständen zu kurz sein. Da das Gesetz nicht nur das Bekanntwerden von Pflichtverstößen als relevant ansieht, sondern ferner die vorausgehende Kenntnis eines Schadens (siehe dazu oben zu 5.b), muss vermieden werden, dass nach der Devise „wo ein Schaden ist, muss auch ein zum Schadensersatz Verpflichteter sein“, Aktionäre, bei denen die Antragsvoraussetzungen nach § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG vorliegen, bereits nach Kenntnis eines Schadens die Gesellschaft auffordern, die Haftungsklage einzureichen. Es macht einen Unterschied, ob die Gesellschaft ohne vorangegangene Diskussion zur Klageerhebung aufgefordert wird oder mit den antragstellenden Aktionären bereits kontrovers verhandelt worden ist oder gar eine Sonderprüfung durchgeführt wurde. Die einer Haftungsklage oftmals vorangehende Sonderprüfung ist ein gutes Beispiel dafür, dass man die angemessene Frist nicht formal im Sinne der Regierungsbegründung auf zwei Monate festsetzen darf. Wenn gemäß § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG „Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer Unredlichkeit oder groben Gesetzesverletzung begründen“, gleichzeitig aber eine Sonderprüfung beantragt und beschlossen wurde, um zu ermitteln, ob der Verdacht gerechtfertigt ist, sollte eine angemessene Frist erst mit der Beendigung der Sonderprüfung zu laufen beginnen. 7. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG (Verdacht grober Verstöße) Die größte Hürde für die einen Antrag auf Klagezulassung stellenden Aktionäre besteht in der Zulassungsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
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39 K. Schmidt, NZG 2005, 796, 800. 40 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22.; zu dieser Frist siehe auch Paschke in Kompaktkommentar Gesellschaftsrecht, 2007, § 148 Rz. 4.
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AktG. Danach müssen Tatsachen vorliegen (zur Darlegungs- und Beweislast siehe 10.), die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch „Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden“ entstanden ist. Mit dieser Antragsvoraussetzung hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten der Minderheit zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft bewusst erschwert. Das ist im Schrifttum kritisiert worden41. Der Gesetzgeber hat diese Erschwernis, die bereits die Regierungskommission Corporate Governance42 vorgeschlagen hatte, aber nicht isoliert in das Gesetz aufgenommen. Sie ist vielmehr Teil einer zustimmungswürdigen Gesamtregelung. Mit dieser hat der Gesetzgeber einerseits die Antragsquoren ganz erheblich herabgesetzt und andererseits, zum generellen Ausgleich der hierdurch für die Gesellschaft entstandenen Gefahren missbräuchlicher Klagen, die materielle Schwelle der Antragsvoraussetzung angehoben. Bei der Abwägung der für die Minderheitsaktionäre hierdurch entstandenen Vor- und Nachteile fällt ins Gewicht, dass die Minderheit nicht mehr wie nach altem Recht nur ein auf ein Quorum gestütztes Initiativrecht hat. Sie kann die Wahrung ihrer Rechte vielmehr selbst in die Hand nehmen, ohne von den Entscheidungen eines besonderen Vertreters abhängig zu sein. Dieses neue Recht wird durch eine faire Kostenregelung unterstützt. Schließlich müssen die Aktionäre im Antragsverfahren Unredlichkeit und gröbliche Verfehlung nicht nachweisen, sondern nur die Tatsachen vortragen und beweisen, aus denen sich ein Verdacht ergibt (dazu unten zu 10.b). Dabei ist klarzustellen, dass der Nachweis für den Verdacht einer Unredlichkeit oder eines groben Fehlverhaltens nur Voraussetzung für die Einleitung des Klagezulassungsverfahrens ist. Können die Antragsteller einen solchen Verdacht beweisen und wird dann die Klage zugelassen, ist diese selbst dann begründet, wenn die besonderen Voraussetzungen des Klagezulassungsverfahrens nicht vorliegen, sich aber ein Anspruch aus § 93 AktG herleiten lässt. Was meint das Gesetz nun mit „Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung“? a) Der Gesetzestext selbst gibt keine Hinweise43. Das überrascht nicht. Offensichtlich im Hinblick auf die wohl gegebene Unmöglichkeit, das vom Gesetz Gewollte noch deutlicher im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck zu bringen, hat der Gesetzgeber auf eine nun schon über 100 Jahre alte „bewährte“ Formulierung zurückgegriffen, von der man trotz oder wegen ihres ansehnlichen und
__________ 41 Vgl. Weiss/Buchner, WM 2005, 162, 169; Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, Univ. Diss. 2006, S. 916; Seibt, WM 2004, 2137, 2140, 2142; Thümmel, DB 2004, 471, 473 f.; Ulmer, DB 2004, 859, 863; Kling, DZWiR 2005, 45, 54; dieses Erfordernis befürwortend und zustimmend: Hüffer (Fn. 16), § 148 AktG Rz. 8; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 12 Rz. 30; Diekmann/ Leuering, NZG 2004, 249, 250; Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, 1780; Fleischer, NJW 2005, 3525, 3526; Zieglmeier, ZGR 2007, 145, 152. 42 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rz. 73. 43 Seibert in FS Priester, 2007, S. 763, 765, begründet dies damit, dass es stets das Einfachste sei, vorhandene Begriffe zu übernehmen. Dies berge die geringsten Gefahren eines „gesetzgeberischen Fehlgriffs“.
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über mehrere Gesetzesformulierungen sich hinschleppenden Alters sagen muss, dass es sich – bis jetzt – um totes Recht gehandelt hat. Die Formulierung wurde erstmals im Jahr 1884 in § 222a Abs. 1 ADHGB aufgenommen. Sie hat sich dann über § 266 Abs. 1 HGB von 1900, § 122 Abs. 1 AktG 1937, § 142 Abs. 2 AktG 1965 und § 147 Abs. 3 i. d. F. des KonTraG v. 1998 wortgleich in die jetzige Formulierung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG gerettet. Parallel dazu wurde sie in anderen Regelungen der genannten Gesetze verwendet44. Es verhält sich mit diesen Formulierungen wie mit einer ständigen Rechtsprechung, bei der jede Entscheidung auf eine vorangegangene verweist und man bei der historisch ersten einschlägigen Entscheidung feststellen muss, dass sie eigentlich nicht viel an Begründung hergibt. Man findet in den Begründungen der vorgenannten Gesetze keinerlei Anhaltspunkte, die zur Ausfüllung der Begriffe herangezogen werden könnten. Die einzige – erste und letzte – Gesetzesbegründung ist der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG aus dem Jahre 1884 zu entnehmen, in der der Gesetzgeber offen einräumt, dass er sich zu einer verbalen Erläuterung der Begriffe nicht imstande sieht. Es heißt dort (bezogen auf den Antrag auf Sonderprüfung): „Zur Stellung des Antrages bei Gericht verlangt sodann der Entwurf, dass die Aktie des Antragstellers oder der Antragsteller den zehnten Theil des Grundkapitals betragen und dass dem Gerichte glaubhaft gemacht wird, dass bei der Gründung, Geschäftsführung oder Liquidation der Gesellschaft Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages vorgekommen sind. Eine nähere Spezialisierung der Fälle kann das Gesetz nicht geben; es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Wahrscheinlichkeit, wenn nicht einer Unredlichkeit, so doch einer groben Gesetz- oder Statutwidrigkeit vorliegt, und es bleibt hiernach dem freien Ermessen des Handelsgerichtes überlassen, den zu prüfenden Hergang zu bestimmen und den Umfang der Prüfung zu begrenzen“45.
b) Auch aus der Rechtsprechung lassen sich keine Anhaltspunkte für die Ausfüllung der Gesetzesbegriffe entnehmen. Soweit ersichtlich, gibt es keine – jedenfalls findet man im Schrifttum keine – Hinweise auf gerichtliche Entscheidungen, auf die der Gesetzgeber des Jahres 1884 gehofft hatte. c) Schweigen die Gesetzesbegründungen und fehlen gerichtliche Entscheidungen, verwundert es nicht, dass einen die Kommentare ebenfalls weitgehend im Stich lassen. Dort findet man überwiegend nur Ausführungen zur Frage, welche tatbestandlichen Anforderungen an die Darlegungen zum Verdacht zu stellen sind46. Die älteren Kommentare zitieren im Wesentlichen nur den Ge-
__________ 44 Dazu im Einzelnen K. Schmidt, NZG 2005, 796, 797; Seibt, WM 2004, 2137, 2140. 45 Vgl. Begründung des Gesetzes, abgedr. in Schubert/Hommelhoff (Hrsg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 471. 46 Beispielhaft: Baumbach/Hueck in Aktiengesetz, 11. Aufl. 1961, § 118; Schlegelberger/ Quassowski, AktG, 2. Aufl. 1937, § 118 Rz. 15; Zöllner in KölnKomm.AktG (Fn. 20), § 142 AktG Rz. 32; so auch Seibt, WM 2004, 2137, 2140.
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setzeswortlaut47. Aus den Kommentierungen zu § 142 AktG 1965, in der die Gesetzesformulierung bereits vor Inkrafttreten des UMAG als Voraussetzung für einen Minderheitenantrag auf Sonderprüfung enthalten war, ist hinzuweisen auf Godin/Wilhelmi48, Wilsing/Neumann und Jänig49. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der materiellen Tatbestandsvoraussetzung fehlt in der Regel. Die Erklärung für dieses Phänomen findet man in der Diskussion beispielsweise auf dem 63. Deutschen Juristentag, die zur Reform des Minderheitenrechts geführt hat. Nach altem Recht bestanden im Hinblick auf eine Verfahrensstruktur, die dem Aktionär nicht das scharfe Schwert der eigenen Klage in Gestalt der actio pro socio in die Hand gab, selbst im Falle grober Verfehlungen von Organpersonen kaum realistische Chancen, Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Willen der zuständigen Gesellschaftsorgane durchzusetzen. Daran hat auch die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH nicht viel geändert. Diese hat lediglich das Bewusstsein, insbesondere der Aufsichtsratsmitglieder, um das eigene Haftungsrisiko bei der Unterlassung einer Schadensersatzklage geschärft. Wo aber der Aufsichtsrat in Kenntnis und auf der Grundlage der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung von einer Klage Abstand genommen hat, konnte die Minderheit nicht zum Zuge kommen. Es gab keine Verfahren, in denen das Merkmal der Unredlichkeit oder der groben Verfehlung materiell zu prüfen war und die Anlass für eine eingehende Erörterung im Schrifttum hätten geben können50. d) Bei einem solchen Defizit an gesetzgeberischer Begründung, Rechtsprechung und detaillierter Auseinandersetzung in der Literatur zum alten Recht kommt natürlich den Auffassungen, die im Zusammenhang mit dem 63. Deutschen Juristentag sowie dem Gesetzesverfahren des UMAG geäußert wurden, erhöhtes Gewicht zu. Zu erwähnen sind hierbei beispielhaft die Kommentierungen von Schröer und Bezzenberger zu § 147 AktG a. F., die aber schon im Hinblick auf das sich abzeichnende, neue Recht und den hierzu gegebenen Begründungen erfolgten. Man liest dort: „Das setzt zum einen schuldhaftes Handeln voraus und bedeutet zum anderen, dass der Handelnde nicht nur unbedeutend, sondern erheblich von seinen Pflichten abweicht. Dabei kann die Pflichtverletzung zu einer groben auch dadurch qualifiziert werden, dass das Verschulden oder der mit der Pflichtverletzung verursachte Schaden besonders ekla-
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47 Kayser, Die Reichsjustizgesetze, 1882, § 222 Anm. 14, S. 109, zitiert allerdings die Gesetzesbegründung: „Was als solche Handlungen anzusehen sind, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen“; Makower, Handelsgesetzbuch, 1. Band, Teil 1, 1897, § 266, IV, lit. a) Nr. 2; Pinner, Das deutsche Aktienrecht, 1899, S. 223; Bauer, Das Aktiengesetz, 1899, § 266; Staub, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 1900, § 266 AktG Anm. 9; Ritter, Aktiengesetz, 1939, § 118 AktG 3., lit. b), S. 378; Gadow/ Heinichen, Aktiengesetz, 2. Aufl. 1961, § 118 AktG Rz. 12. 48 Godin/Wilhemi, AktG, 4. Aufl. 1971, § 142 Rz. 8, wo der Begriff der Unredlichkeit vorrangig mit strafbewehrten Handlungen in Verbindung gebracht wird. 49 Wilsing/Neumann in Heidel (Hrsg.), Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 142 Anm. 19 und Neumann/Jänig, BB 2005, 949, 951, die auf einen irgendwie gearteten „sittlichen Makel oder Mangel“ abstellen. 50 Zur Unzulänglichkeit des alten Rechts vgl. nur Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 292 ff.
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Vom besonderen Vertreter zur actio pro socio tant ausfällt. Ist ein Schadensersatzanspruch gegen den Handelnden wahrscheinlich, dürfte die Pflichtverletzung regelmäßig als grob anzusehen sein“51.
und „Damit werden unter Unredlichkeiten in erster Linie Verletzungen von Treuepflichten, wie beispielsweise ein gegen die Gesellschaft illoyales Handeln oder die Ausnutzung organschaftlicher Befugnisse zu eigennützigen Zwecken oder die Eigennutzung von Gesellschaftschancen (§ 88) und unter anderem Pflichtverletzungen, vor allem Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht bei der Unternehmensleitung (§ 93 Abs. 1 Satz 1), zu verstehen sein“52.
Hinzuweisen ist ferner auf Hüffer, der ausführt: „Grob ist Verletzung von Gesetz oder Satzung bei evidenten und auch ihrer Art nach für verantwortlich handelnde Unternehmensleiter nicht hinnehmbaren Verstößen. Das sind Ausnahmefälle“53.
Die etwas tautologische Argumentation von Schröer, die aus der Wahrscheinlichkeit eines Schadensersatzanspruches eine grobe Pflichtverletzung folgert, wurde erstmals von Barz54 vorgetragen. Wenn sich Barz und Schröer auf die Gesetzesbegründung aus dem Jahre 1884 beziehen wollten, geschah das zu Unrecht. Denn dort wurde nicht von der Wahrscheinlichkeit eines Schadensersatzanspruches, sondern der der Unredlichkeit oder des groben Fehlverhaltens gesprochen. An die Stelle der „Wahrscheinlichkeit“ ist jetzt der „Verdacht“ getreten. e) Anders als die Gesetzgeber der Vorgängernormen ist der Gesetzgeber des UMAG dankenswerter Weise bemüht gewesen, in der Begründung der Auslegung des Begriffspaares der „Unredlichkeit“ oder „groben Gesetzes- oder Satzungsverletzung“ Hilfestellung zu geben55. Der Begriff der „Unredlichkeit“ wird in der Begründung auf den Bereich des Kriminellen begrenzt. Das ist eine zu begrüßende Präzisierung eines dem Wortsinn nach sehr weitgehenden, außerrechtlichen Begriffes sittlich anstößigen Verhaltens. Ob die Rechtsprechung dem folgen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Schwelle, welche die antragstellenden Aktionäre überschreiten müssen, sehr hoch, jedenfalls erheblich über den „leichtesten und leichten“ Verstößen liegt, die nicht vom Klagerecht der Aktionäre erfasst sind56. Der Auffassung, dass der Begriff des „Unredlichen“ nur Sinn mache, wenn man darunter die fahrlässige Verwirklichung
__________ 51 52 53 54 55
Schröer in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 142 AktG Rz. 68. Bezzenberger in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 142 AktG Rz. 60. Hüffer (Fn. 16), § 148 AktG Rz. 8. Barz in Großkomm.AktG, 3. Aufl. 1972, § 142 AktG Rz. 15. Der Referatsleiter hat hierzu in seinem Festschriftbeitrag für Priester nachgelegt, wenn er ausführt, dass der Begriff „grob“ auf die rüden Methoden des Täters, seine Gesinnung, seine Rücksichtslosigkeit, Leichtfertigkeit, Brutalität oder Unverfrorenheit seines Handelns hinweist und es der gesetzgeberische Wunsch sei, dass die Haftungsklage für alle Fälle gelten soll, in denen eine Nichtverfolgung „unerträglich“ wäre (Seibert in FS Priester, 2007, S. 763, 769). 56 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22; dazu auch Kling, DZWiR 2005, 45, 54; Schroer, ZIP 2005, 2081, 2085.
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von vermögensbezogenen Straftatbeständen verstehe, die nur bei vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung strafbar sind57, kann nicht zugestimmt werden. Das Gleiche gilt zu der Meinung, der im Gesetz verwendete Begriff der „Unredlichkeit“ könne unterhalb des „groben“ Verstoßes eingeordnet werden, weil er sonst funktionslos wäre58. Diese Ansichten werden von der Gesetzesbegründung eindeutig widerlegt, die nicht nur für den Begriff der „Unredlichkeit“ auf kriminelles Handeln verweist, sondern für sämtliche Tatbestände der Norm ausführt, dass „… vor allem solche Fälle einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden, in denen wegen der besonderen Schwere der Verstöße, die nicht im Bereich unternehmerischer Fehlentscheidungen liegen, sondern regelmäßig im Bereich der Treuepflichtverletzung, eine Nichtverfolgung unerträglich wäre und das Vertrauen in die gute Führung und Kontrolle der deutschen Unternehmen und damit in den deutschen Finanzplatz erschüttern würde“59.
An anderer Stelle wird ohne Unterscheidung zwischen den Normvarianten in der Begründung festgestellt, „entscheidend für die gerichtliche Vorprüfung im Klagezulassungsverfahren ist die Gröblichkeit der Verstöße …“60.
Hinsichtlich der Tatbestandsgruppe der „groben Verstöße gegen Gesetz oder Satzung“ könnte man aus der Gesetzesbegründung entnehmen, dass unternehmerische Fehlentscheidungen selbst dann nicht vom Verfolgungsrecht der Aktionäre erfasst sind, wenn sie gröblich fehlerhaft getroffen wurden61. Das würde dem Gesetzeswortlaut wohl nicht gerecht. Von einer grob fahrlässig getroffenen, unrichtigen unternehmerischen Entscheidung kann nicht gesagt werden, dass sie vom Vorstand „vernünftigerweise“ getroffen werden durfte (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Es gäbe keinen Sinn, wenn bei „gröblicher“ Verletzung der Sorgfaltspflichten ein Ersatzanspruch der Gesellschaft durch Gläubiger geltend gemacht werden kann (§ 93 Abs. 3 Satz 2 AktG), dies aber durch deren Aktionäre nicht möglich sein soll. Damit ist nicht gesagt, dass jede unternehmerische Entscheidung, die von der Business Judgment Rule nicht mehr gedeckt ist, das Verfolgungsrecht der Aktionäre rechtfertigt. Zwischen „unvernünftigerweise“ und „grob fehlerhaft“ liegt ein Spielraum, den man begrifflich nicht definieren, sondern der nur von der Rechtsprechung von Fall zu Fall umschrieben werden kann62.
__________ 57 Ziemons in Nirk/Ziemons/Binnewies, Handbuch der Aktiengesellschaft, Loseblatt 45. Lfg. 2006, Rz. I 7.285. 58 Lochner in Heidel (Fn. 49), § 148 Rz. 13. 59 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22. 60 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22. 61 Es heißt in der Begründung: „Mit der Norm sollen also vor allem solche Fälle einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden, in denen wegen der besonderen Schwere der Verstöße, die nicht im Bereich unternehmerischer Fehlentscheidungen liegen, sondern regelmäßig im Bereich der Treueverletzung“ (vgl. Regierungsbegr., BTDrucks.,15/5092, S. 22; Hervorhebung durch den Verfasser). 62 Zum Verhältnis von § 148 AktG zur Business Judgment Rule vgl. auch Seibert in FS Priester, 2007, S. 763, 772 ff. sowie Duve/Basak, BB 2006, 1345, 1349.
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Welchen Schweregrad „grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung“ haben müssen, um das Verfolgungsrecht der Aktionäre auszulösen, lässt sich aus der Gesetzesbegründung nicht genau entnehmen. „Besondere Schwere der Verstöße“63 ist ein ausfüllungsbedürftiger Begriff und es wird insbesondere Aufgabe der Rechtsprechung sein, hier durch Kasuistik die Richtung zu weisen. Aus der sprachlichen Nähe der Worte „grob“ und „grob fahrlässig“ bietet es sich an, die Rechtsprechung zum Begriff der groben Fahrlässigkeit weiter zu entwickeln. Dann wäre ein grober Verstoß im Sinne des Gesetzes „… eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung …, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit des § 276 Abs. 1 BGB erheblich übersteigt“64.
Zuzustimmen ist aber Seibert darin, dass man „grob“ und „grob fahrlässig“ nicht einfach gleichsetzen darf, die grobe Fahrlässigkeit die Gröblichkeit aber mitbegründen kann65. In seltenen Einzelfällen wird man trotz vorsätzlich pflichtwidrigen Verhaltens eines Vorstandsmitglieds dennoch nicht im Sinne von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG von einer „Gröblichkeit“ der Pflichtverletzung sprechen können, wenn der verursachte Schaden lediglich gering ausfällt66. Man kann in der Tat darüber nachdenken, ob zwischen der „Schwere des Schadens“ und „Schwere der Verfehlung“ eine Relation herzustellen und das Verfahren des § 148 AktG und eine nachfolgende Klage im Wege der actio pro socio das geeignete Mittel zur Ahndung von Vorstandsverstößen ist. Ein Vorstandsmitglied, das einen „silbernen Löffel klaut“, gehört aber, unabhängig vom Wert dieses Löffels, nicht in den Vorstand und wenn es nicht auch ohne das Verfahren des § 148 AktG durch den Aufsichtsrat zur Rechenschaft gezogen wird, stellt sich eher die Frage, ob nicht gegen den Aufsichtsrat ein Verfahren einzuleiten ist, weil das Ansehen der Gesellschaft Schaden nimmt, wenn aus offensichtlichen Verstößen, welchen materiellen Schaden sie verursachen mögen, keine Konsequenzen gezogen werden. 8. Die Antragsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG (dem Antrag entgegenstehende Gründe des Gesellschaftswohls) Als viertes Kriterium für die Zulassung einer Schadensersatzklage nennt das Gesetz die negative Tatbestandsvoraussetzung, dass der Geltendmachung des Ersatzanspruches keine „überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls“ ent-
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Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22. BGH, NJW 1992, 3235, 3236. Seibert in FS Priester, 2007, S. 763, 770. Dazu z. B. Schröer in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 142 AktG Rz. 68; Bezzenberger in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 142 AktG Rz. 62.
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gegenstehen dürfen (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG). Dieses Tatbestandsmerkmal ist erkennbar der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs67 entnommen. Darauf weist die Begründung des Referenten- und des Regierungsentwurfs ausdrücklich hin68. a) Im Schrifttum hat sich noch keine einheitliche Auffassung dazu herausgebildet, wie das Merkmal der „überwiegenden“ Gründe auszulegen ist. Karsten Schmidt meint, durch die Gesetzesformulierung sei zum Ausdruck gebracht, dass nicht schon gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls ausreichen, sondern die Zulassung der Minderheitsklage eben nur durch „überwiegende“ Gründe des Gesellschaftswohls gehindert werde69. Dieser Auffassung, dass nicht nur „gewichtige“, sondern Gründe, die etwas mehr als gewichtig, sozusagen „übergewichtig“ sind, der Klagezulassung entgegenstehen, kann schon aus sprachlichen Überlegungen nicht zugestimmt werden. Der Begriff des „Überwiegenden“ stellt keine Steigerung des „Gewichtigen“ dar70, sondern verweist auf ein Verhältnis, und zwar auf das Verhältnis gewichtiger Gründe zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs. Etwas anderes wollte auch die Gesetzesbegründung nicht sagen. Diese führt aus, das Tatbestandsmerkmal entspreche „dem Sinne“ nach der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung. Nur in der „Formulierung“ werde auf „überwiegend“ abgestellt. In der Sache entspricht das Tatbestandsmerkmal ungeachtet des unterschiedlichen Wortlautes exakt dem vom BGH aufgestellten Grundsatz. Dieser hat in seinen Ausführungen nicht nur abgestellt auf die „gewichtigen Interessen und Belange der Gesellschaft“, die einer Geltendmachung des Schadensersatzanspruches entgegenstehen, sondern ferner darauf, dass diese es geraten erscheinen lassen, keinen Ersatz des durch den Vorstand verursachten Schadens zu verlangen. Die für eine Rechtsverfolgung sprechenden Gesichtspunkte müssten „überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig“ sein. Die „überwiegenden“ Gründe des Gesetzeswortlautes sind also bereits in der BGH-Entscheidung enthalten. Sie gelten ebenfalls für Fälle minderschwerer Verfehlungen der Organpersonen, die wegen ihrer geringen Schwere nicht zu einer actio pro socio gemäß § 148 AktG berechtigen würden. Eine Änderung oder Präzisierung der Rechtsprechung ist also nicht angezeigt71. b) Aus den vorstehenden Gründen lässt sich nicht die Auffassung vertreten, die „gewichtigen Gründe“, die nach der Rechtsprechung das Aufsichtsratsermessen bei der Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen eingrenzen, seien von minderem Gewicht als die „überwiegenden Gründe“. Wäre es anders, würde sich die nicht tolerable Rechtsfolge ergeben, dass der Aufsichtsrat „wegen gewichtiger Gründe“ rechtmäßig von der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches absehen durfte, eine Min-
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67 BGH, BGHZ 135, 244, 255. 68 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22. 69 K. Schmidt, NZG 2005, 796, 800; ähnlich Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 152; vgl. zum Gesellschaftswohl und Unternehmensinteresse Kling, DZWiR 2005, 45,50 f.; Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, Univ. Diss. 2006, S. 917. 70 So aber Koch, ZGR 2006, 769, 776. 71 So aber Koch, ZGR 2006, 769, 776.
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derheit sie aber verlangen kann, weil die vom Aufsichtsrat angeführten gewichtigen Gründe noch nicht ausreichen72. Nach der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung darf der Aufsichtsrat erst dann von einer Klageerhebung absehen, wenn er die von ihm geprüften gewichtigen Gründe am Interesse der Gesellschaft gemessen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass diese Interessen es geboten erscheinen lassen, von der Klage abzusehen. Handelt es sich um Fälle „minderen“ Gewichts, also um Schadensersatzansprüche, die beispielsweise bei unternehmerischen Entscheidungen wegen Verstoßes gegen die Business Judgment Rule zu ahnden sind, können, wenn der Aufsichtsrat von einer Verfolgung absieht, derartige Fälle von der Minderheit nicht verfolgt werden, weil sie nicht die Schwere der in § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG genannten Fallgruppen erreichen (vgl. hierzu bereits oben zu 7.)73. Erreichen oder überschreiten die Pflichtverletzungen der Organe aber diese Schwelle des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG, dann sind eigentlich nur noch wenige Fälle vorstellbar, in denen die Interessen und Belange der Gesellschaft so gewichtig sind, dass sie schwerer wiegen als die Gründe, die für die Geltendmachung des Ersatzanspruches sprechen. Bei der hierbei zunächst vom Aufsichtsrat vorzunehmenden Abwägung steht ihm kein autonomer unternehmerischer Ermessensspielraum zu74. Die Entscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang überprüfbar75. c) Will man, wie dies oben vorgeschlagen wurde (vgl. oben 1.e), nicht in analoger Anwendung der aktienrechtlichen Anfechtungsfrist einen festen Zeitpunkt bestimmen, bis zu dem Anträge auf Klagezulassung gestellt werden können, so könnte man mit der Gesetzesbegründung annehmen, dass Anträge, die nichts anderes als „me too-Klagen“ darstellen, unabhängig von ihrer Motivation (Versuch, durch negative Publizität neuer Anträge der Gesellschaft zu schaden oder schlichtes Honorarinteresse) auf der Grundlage von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG zurückgewiesen werden können. Wenn dem Interesse der Gesellschaft durch vorangegangene Anträge bereits hinreichend entsprochen wurde, ist in der Tat kein Grund ersichtlich, warum die Gesellschaft mit weiteren Kosten, seien sie erstattungsfähig oder seien sie nicht erstattungsfähig, überzogen werden darf76. Ob etwas anderes gelten soll, wenn sich neue Verfahren auf bislang nicht vorgetragene Informationen oder auf erkennbar andere gewichtige Informationsquellen stützen oder wenn der neue Anwalt eine wesentlich bessere und vertrauenswürdige anwaltliche Betreuung vorweisen kann77, erscheint aus den bereits oben genannten Gründen (siehe oben 1.c) fraglich.
__________ 72 Wie hier auch Koch, ZGR 2006, 769, 776; im Ergebnis wohl auch Spindler, NZG 2005, 865, 867. 73 So auch Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 152. 74 BGH, BGHZ 135, 244, 254. 75 Spindler, NZG 2005, 865, 867. 76 A. A. Lochner in Heidel (Fn. 49), § 148 Rz. 17. 77 So Stellungnahme der DSW, S. 17 im Internet abrufbar unter dsw-info.de/uploads/ medial/DSW-Stellungnahme-UMAG.pdf; Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252, 253; Paschos/ Neumann, DB 2005, 1779, 1781.
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d) Zustimmung verdient die Auffassung, dass Klagen bereits im Zulassungsstadium scheitern, deren Anspruchshöhe offensichtlich nicht zu realisieren ist78. Da es bei der Schadensersatzklage um materiellen Ausgleich und nicht um Strafe und Sühne geht, würden durch weitere, nicht beitreibbare Kosten verursachende Klagen der Gesellschaft nur noch höhere Schäden entstehen. e) Inwieweit das „Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, die Behinderung der Aufsichtsratsarbeit oder die Beeinträchtigung des Betriebsklimas“79 als wichtige Gründe anzuerkennen sind, bedarf einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall. Im Allgemeinen ist durch das Bekanntwerden der Pflichtverletzungen, die Anlass zum Klageantrag gegeben haben, das Ansehen der Gesellschaft bereits stark beeinträchtigt. Das wird vom Gesetz toleriert. Das Gleiche kann für die Behinderung der Aufsichtsratsarbeit oder die Beeinträchtigung des Betriebsklimas gelten. Eine weitere Schädigung der Gesellschaft würde durch die Klagezulassung nicht entstehen. f) Fraglich ist es, ob Gründe der Geheimhaltung, wenn sie von bestimmtem Gewicht sind, unter § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG fallen. Das Gesetz hat für den häufigen Fall, dass einem Klagezulassungsverfahren eine Sonderprüfung vorangeht, hinsichtlich des Berichtsinhaltes der Sonderprüfer in § 145 Abs. 6 AktG ausdrücklich bestimmt, dass unter bestimmten Voraussetzungen Tatsachen, deren Bekanntwerden geeignet sind, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen, in den Prüfungsbericht aufgenommen werden müssen. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn die Kenntnis der Tatsachen zur Beurteilung des zu prüfenden Vorgangs durch die Hauptversammlung erforderlich ist (§ 145 Abs. 6 Satz 2 AktG). Gleichzeitig hat das Gesetz diese Anordnung aber in § 145 Abs. 4 AktG insoweit zurückgenommen, als auf Antrag des Vorstands das Gericht gestatten kann, dass bestimmte Tatsachen nicht in den Bericht aufgenommen werden, wenn überwiegende Belange der Gesellschaft dies gebieten und sie zur Darlegung der Unredlichkeiten oder groben Verfehlungen nicht unerlässlich sind. Unter diese Ausnahmevorschrift könnte man bestimmte Geschäftsgeheimnisse subsumieren, etwa in dem Fall, in dem die vom Vorstand begangene Unredlichkeit in dem Verrat hochwertigen technischen Know-hows besteht, und dieses Know-how durch die Veröffentlichung noch mehr publik würde, als durch die begangene Tat des Vorstands schon geschehen. Wo man die Schwelle setzen will, von der ab derartige Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft das Interesse der Hauptversammlung an der Verfolgung begangener Unredlichkeiten übersteigen, ist eine Frage des Einzelfalles. Rechtlich problematisch ist es aber, ob man die Vorschrift von § 145 Abs. 4 AktG in § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG hineininterpretieren kann. Der Sache nach wäre das wohl vertretbar, weil es in § 145 AktG und § 148 AktG um die gleichen Interessen der Minderheit geht. Wollte man § 145 Abs. 4 AktG aber in § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG übernehmen, ergäbe sich die Schwierigkeit,
__________ 78 So auch BGH, BGHZ 135, 244, 253 f. 79 Zieglmeier, ZGR 2007, 147.
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dass die Entscheidung über die Wahrung von Betriebsgeheimnissen nicht im Ermessen der Organe der Gesellschaft liegt, sondern nach § 145 Abs. 4 AktG eine Abstandnahme von der Veröffentlichung eine vorherige Entscheidung des Gerichts voraussetzen würde. Anders als in § 145 Abs. 4 AktG geregelt, ist es nicht vorstellbar, dass das Gericht ohne rechtliches Gehör der antragstellenden Minderheit darüber entscheidet, ob im Einzelfall ein betriebliches Interesse an der Geheimhaltung überwiegt. Andererseits sollte in Klagezulassungsverfahren, denen eine Sonderprüfung vorangegangen ist und in denen das Gericht gemäß § 145 Abs. 4 AktG es gestattet hat, bestimmte Tatsachen nicht in den Bericht aufzunehmen, die Gesellschaft nicht gezwungen werden, diese Tatsachen im Klagezulassungsverfahren zu offenbaren. Ihr Dilemma besteht dann allerdings darin, dass sie sich nicht schlüssig auf die „überwiegenden Belange“ der Gesellschaft stützen kann und allenfalls im Hauptprozess Aussageverweigerungsrechte geltend gemacht werden können. 9. Zur Formulierung des Antrages Besondere Fragen stellen sich bei der Formulierung des Antrages, mit dem die Zulassung der Klage beantragt wird. a) Aus dem Wortlaut von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG ergibt sich, dass der Antrag der Aktionärsminderheit und die Aufforderung an die Gesellschaft zur Klageerhebung übereinstimmen müssen. Das Gesetz begründet die besondere Prozessstandschaft des § 148 AktG nur für die Ansprüche, deren Geltendmachung die Aktionärsminderheit beansprucht hat. Der Zulassungsantrag darf also nicht über den Betrag hinausgehen, den einzuklagen die Gesellschaft aufgefordert worden ist. Er darf aber darunter liegen. Jedoch muss er bestimmt und auf einen konkreten Klageantrag gerichtet sein. Ein Antrag, der Minderheit lediglich zu gestatten, gegen eine der in § 147 AktG genannten Personen aus einem definierten Sachverhalt Ersatzansprüche geltend zu machen, wäre zu unbestimmt und deshalb unzulässig. Ein solcher Antrag würde das Gericht nämlich nicht zur Prüfung nach § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG in die Lage versetzen, ob die Höhe des Betrages, dessen klageweise Zulassung beantragt wird, angesichts der Vermögensverhältnisse des Schuldners unzumutbar ist. Darüber hinaus könnte er nicht die Rechtsfolge von § 148 Abs. 2 Satz 3 AktG, nämlich die Hemmung der Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche, herbeiführen. Auch hinsichtlich der Begrenzung des Ersatzanspruches nach unten muss der Antrag bestimmt sein. Wenn ungeachtet der Höhe eines eingetretenen Schadens die Aktionärsminderheit nur einen „symbolischen Euro“ einklagen würde, läge in einem solchen Fall angesichts des Missverhältnisses zwischen dem eingeklagten Betrag und den bei der Gesellschaft durch die Klage entstehenden Kosten Unzumutbarkeit vor. Um dem Gericht die Möglichkeit der konkreten Abwägung zu geben, muss deshalb die Minderheit angeben, welcher bestimmte Betrag geltend gemacht werden soll80. Unter diesem Aspekt wird
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80 Vgl. hierzu Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22.
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man allerdings die Formulierung eines Antrages, der einen Mindest- und Höchstbetrag nennt, als zulässig bezeichnen können. b) Grundsätzlich unzulässig dürfte ein Antrag auf Zulassung einer Feststellungsklage sein, wenn das Klagebegehren gegenüber der Gesellschaft auf Leistung eines festen Betrages gerichtet war. Man kann dies mit dem Wortlaut von § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG begründen, der von der Geltendmachung von „Ersatzansprüchen“ spricht oder auf § 148 Abs. 4 Satz 2 AktG stützen, wo von „Leistung an die Gesellschaft“ die Rede ist. Allerdings dürfte dieser Wortlaut eher als Klarstellung der Zulässigkeit der actio pro socio verstanden werden als als ein absolutes Verbot der Erhebung einer Feststellungsklage. In der Regel ergibt sich die Unzulässigkeit eines Feststellungsantrages in einem solchen Fall schon aus allgemeinen prozessualen Erwägungen, nämlich dem Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Wenn aber der Eintritt eines Schadens zwar wahrscheinlich ist, eine Leistungsklage aber wegen der Unbestimmtheit der Schadensentwicklung in der Zukunft nicht einmal im Wege einer Stufenklage möglich wäre, muss die Minderheit nach vorangegangener Aufforderung der Gesellschaft auch zur Erhebung einer Feststellungsklage zugelassen werden. Das gilt nicht nur bei drohendem Verjährungseintritt. Der Minderheit kann es nicht zugemutet werden, bei eindeutigem Vorliegen der Voraussetzungen von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG mit der Klage zu warten, bis der wahrscheinliche Schaden ziffernmäßig genau begrenzt wird. Ein besonderes Problem stellt sich in diesen Fällen aber, wenn später nach Konkretisierung des Schadens im Prozess von der Feststellungsklage zur Leistungsklage übergegangen werden soll. Aus den Überlegungen zu lit. a) ergibt sich, dass der Richter die Größenordnung des vom Ersatzpflichtigen beanspruchten Betrages kennen muss, um die Abwägung nach § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG vornehmen zu können. Will die Aktionärsminderheit deshalb nicht das Risiko laufen, dass ihr Antrag wegen Unzulässigkeit abgewiesen wird, sollte sie jedenfalls die Größenordnung angeben, in der sie von der ersatzpflichtigen Person Leistung an die Gesellschaft geltend machen will. 10. Zur Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast für die einzelnen Klagezulassungsvoraussetzungen ist in § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 AktG unterschiedlich geregelt. a) Wie sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, sind die Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG (Zeitpunkt des Aktienerwerbs) und Nr. 2 (vergebliche Aufforderung zur Erhebung der Klage) von den antragstellenden Aktionären „nachzuweisen“. Die Glaubhaftmachung genügt nicht. Daraus folgt, dass den Aktionären die volle Darlegungs- und Beweislast obliegt. In aller Regel dürften für die Aktionäre aus diesen Erfordernissen keine Schwierigkeiten entstehen (zum Nachweis der vergeblichen Aufforderung vgl. oben zu 6.). Ein Sonderproblem stellt das „Kennenmüssen“ dar (vgl. dazu oben zu 5.). b) Schwierigkeiten können sich beim Nachweis der Klagezulassungsvoraussetzungen des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG ergeben. Hier besteht die erste Hürde in dem zu führenden Nachweis für die bereits erörterte Schwere der 994
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behaupteten Pflichtverletzungen und dem durch sie verursachten Schaden (vgl. oben zu 7.). Was „gröblich“ oder „leichtest und leicht“ ist81, hat der Richter im Wege einer Schlüssigkeitsprüfung der ihm vorgetragenen Verdachtstatsachen zu entscheiden. Diese Tatsachen müssen aber von den Aktionären substantiiert dargelegt und im Bestreitensfalle voll bewiesen werden82. Wie das Klageverfahren selbst, unterliegt auch das Zulassungsverfahren den Vorschriften der ZPO (dazu oben zu 3.) und damit deren Darlegungs- und Beweiserfordernissen. Unabhängig davon, dass die Gesellschaft nach dem Vorbild der VwGO beizuladen ist (dazu oben zu 4.), finden die VwGO und ihre Amtsermittlungsmaxime im Zulassungsverfahren keine Anwendung. Es gilt nicht mehr der Ermittlungsgrundsatz des § 147 AktG a. F.83. Der Ermittlungsgrundsatz des FGG ist nunmehr auf das Verfahren gemäß § 147 AktG n. F. beschränkt. Die Darlegungs- und Beweislast stellt für die antragstellenden Aktionäre eine große verfahrensmäßige Erschwernis dar. Sie müssen nicht nur die Verursachung eines Schadens, sondern ferner auf eine grobe Pflichtverletzung hindeutende Verdachtstatsachen nachweisen, die möglicherweise aber aufgrund einer vorangegangenen Sonderprüfung ermittelt wurden. Die Gesellschaft ist nicht verpflichtet, ihnen hierbei zu helfen. Es gibt keinen besonderen Vertreter mehr, der aufgrund seiner Stellung als Quasi-Organ der Gesellschaft Zugang zu den bei der Gesellschaft liegenden Informationen hat84. Im Einzelfall können nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen lediglich Beweishilfen herangezogen werden85. Erleichtert wird die Verfahrensposition der Aktionäre allerdings dadurch, dass sich aus den darzulegenden und nachzuweisenden Tatsachen lediglich der „Verdacht“ einer gröblichen Pflichtverletzung ergeben muss. Nach § 147 Abs. 3 Satz 1 AktG a. F. musste der Verdacht noch ein „dringender“ sein. Der Gesetzgeber lässt nunmehr einen „einfachen“ Verdacht genügen. Mit der bewussten Unterscheidung zwischen dringendem und einfachem Verdacht86 übernimmt das Aktiengesetz die Differenzierung der StPO. Diese verlangt lediglich für einen Haftbefehl einen „dringenden Tatverdacht“, der vorliegt, wenn eine große Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung besteht87. Dem-
__________ 81 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22. 82 So auch Raiser/Veil (Fn. 41), § 12 Rz. 30; Diekmann/Leuering, NZG 2004, 249, 250 f.; a. A. Seibt, WM 2004, 2137, 2144; Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252, 253. 83 So aber K. Schmidt, NZG 2005, 796, 800, der sich zur Begründung seiner Auffassung auf Kommentare zu § 147 AktG a. F. bezieht; wie hier Hüffer (Fn. 16), § 148 AktG Rz. 10. 84 Das war das Hauptargument, mit dem der Handelsrechtsausschuss des DAV die Beibehaltung des Rechtsinstituts des besonderen Vertreters befürwortet hatte, vgl. BB 2003, Beilage 4, S. 1, 4. Zu den Rechten eines besonderen Vertreters bei der Informationsbeschaffung vgl. Böbel, Die Rechtsstellung der besonderen Vertreter gemäß § 147 AktG, Univ. Diss. 1999, S. 92 ff. 85 Dazu auch Greger in Zöller (Fn. 6), Vor § 284 ZPO Rz. 25 ff. 86 Für eine weitere Differenzierung zwischen „dringend“, „ernsthaft“ und „einfach“ sieht Spindler, NZG 2005, 865, 867, keinen Anlass. 87 Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 112 StPO Rz. 5.
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gegenüber genügt für die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens bereits ein einfacher Verdacht, bei dem nicht die gleich hohe Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden oder „hinreichenen“88 Tatverdacht gegeben sein muss. c) Unklar ist, ob im Rahmen der Prüfung der Zulassungsvoraussetzung von § 148 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AktG bei der Darlegungs- und Beweislast für den „einfachen Verdacht“ zu differenzieren ist einerseits hinsichtlich des Verdachts in Bezug auf die von der Aktionärsminderheit behauptete Verursachung eines Schadens und andererseits hinsichtlich der behaupteten groben Pflichtverletzung. Wollte der Gesetzgeber mit der Verwendung des Begriffs des „Verdachts“, der dem Zivilrecht eigentlich fremd ist (er findet sich im BGB nur in § 229 und hat auch dort einen quasi strafrechtlichen Aspekt, weil es um „Fluchtgefahr“ geht), auf strafprozessuale Tatbestände abstellen oder soll die Verwendung des Begriffs des Verdachts eine Umschreibung darstellen für die Beweiserleichterung, die nach der Rechtsprechung einer Gesellschaft für die Geltendmachung eines Regressanspruches gegen ein Organmitglied zusteht? Die Gesellschaft genügt bei einer eigenen Verfolgung der Ansprüche nach der Rechtsprechung ihrer Darlegungs- und Beweislast schon dann, wenn sie Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, aus denen sich „hinreichende Anhaltspunkte“ dafür herleiten lassen, ob und inwieweit der Gesellschaft durch das Verhalten der in Anspruch genommenen Organperson ein Schaden entstanden ist89. Die Regierungsbegründung umschreibt die Verdachtstatsachen im Sinne dieser Rechtsprechung dahingehend, dass sich aus ihnen „eine hinreichende Aussicht auf Erfolg“ im Falle der Klageerhebung ergeben müsse90. Jedenfalls sprachlich besteht insoweit eine Verknüpfung zwischen den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast bei einer Haftungsklage der Gesellschaft und bei einem Klagezulassungsantrag von Aktionärsminderheiten. Denkt man das zu Ende, dann besteht hinsichtlich des Schadens und der Schadensverursachung kein Unterschied zwischen der Darlegungs- und Beweislast im Zulassungsverfahren und im eigentlichen Klageverfahren. In der Praxis dürfte diese mögliche Unterscheidung allerdings weniger von Bedeutung sein. Wenn es der Gesellschaft nicht gelingt, gegenüber den von den Aktionären vorgetragenen Verdachtstatsachen ihrerseits entlastende Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, wird der Richter im Zweifel hinreichende Anhaltspunkte für eine Schadensverursachung als gegeben ansehen und sowohl im Klagezulassungs- wie im eigentlichen Klageverfahren die gleiche Beurteilung zugrunde legen. Daraus erhellt, dass im Streit zwischen der Aktionärsminderheit und der Gesellschaft im Klagezulassungsverfahren genauso kräftig gestritten werden wird, wie im eigentlichen Klageverfahren, mit allen sich daraus für die Öffentlichkeitswirkung ergebenden Konsequenzen. d) Haben die antragstellenden Aktionäre die Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AktG nachgewiesen, obliegt es der Gesellschaft, ihrerseits
__________ 88 Dazu Meyer-Goßner (Fn. 87), § 203 StPO Rz. 2. 89 BGH, BGHZ 152, 280, 287. 90 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22.
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nachzuweisen, dass ungeachtet der Schwere der behaupteten Pflichtverletzung einer Geltendmachung überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen (dazu oben zu 8.). Die Beweisbelastung der Gesellschaft ergibt sich bereits aus der Formulierung des Gesetzes. Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass es sich bei der Nr. 4 um einen die Klagezulassung verhindernden Einwand der Gesellschaft handelt91. Auch hier gilt, dass das Gericht nicht von Amts wegen Tatsachen für die Berechtigung eines solchen Einwands ermitteln muss92. Es ist Sache der Gesellschaft, die nach ihrer Auffassung für die überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls sprechenden Tatsachen vorzutragen und im Bestreitensfalle zu beweisen. Allein die rechtliche Würdigung liegt beim Gericht. e) Eine prozessuale Besonderheit ergibt sich dann, wenn die Beteiligten den ihnen jeweils obliegenden Beweis für bestrittene Behauptungen nicht mit Urkunden erbringen können, sondern auf Zeugenbeweis angewiesen sind. Handelt es sich, was meistens der Fall sein wird, um eine Haftungsklage gegen Vorstandsmitglieder, fallen sämtliche Aufsichtsratsmitglieder als Zeugen aus, weil die Gesellschaft notwendig beigeladene Partei ist und sie, wie im Klageverfahren, im Zulassungsverfahren gegen – aktive oder ausgeschiedene – Vorstandsmitglieder gerichtlich und außergerichtlich durch den Aufsichtsrat vertreten wird (§ 112 AktG). Die Vernehmung einzelner Aufsichtsratsmitglieder kann also nur nach Maßgabe der Vorschriften über die Parteivernehmung erreicht und durchgeführt werden. Dagegen können aktive und ausgeschiedene Vorstandsmitglieder, wenn sie nicht selbst Anspruchsgegner, also Partei, sind, als Zeugen vernommen werden93. Auch der BGH hat in dem vorstehend zitierten Urteil die Vernehmung des von dem in Anspruch genommenen Vorstandsmitglied benannten Kollegen als Zeugen für zulässig erachtet. Wie bereits bei dem in anderem Zusammenhang (vgl. dazu oben zu 1.b) genannten Sachverhalt dürften gegen die Übernahme der im eigentlichen Klageverfahren anwendbaren Verfahrensvorschriften auf die Beweiserhebung im Zulassungsverfahren keine Einwendungen bestehen. 11. Zusammenfassung Mit § 148 AktG n. F. hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund einer langen und gründlichen Diskussion im Schrifttum und in der Öffentlichkeit und ermutigt durch die Vorschläge der Regierungskommission Corporate Governance den gesetzespolitisch wichtigen Schritt getan, das bisherige Minderheitenrecht einer Anspruchsverfolgung auf eine völlig neue Basis zu stellen. Diese gibt nunmehr erstmalig den Aktionären die Möglichkeit, einen behaupteten Anspruch der Gesellschaft gegen Organpersonen im Wege der actio pro socio geltend zu machen. Den sich hierdurch ergebenden Missbrauchsgefahren, die insbesondere aufgrund der sehr niedrig gehaltenen Quoren bestehen,
__________ 91 Regierungsbegr., BT-Drucks. 15/5092, S. 22. 92 So aber K. Schmidt, NZG 2005, 796, 800, und Hüffer (Fn. 16), § 148 AktG Rz. 9. 93 Vgl. BGH, NJW 1995, 2559, 2561.
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soll durch das Klagezulassungsverfahren vorgebeugt werden. Die einzelnen materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen dieses Verfahrens bedürfen in einigen Punkten noch der Klärung durch die Rechtsprechung. Das gilt insbesondere für das Tatbestandsmerkmal der Unredlichkeit oder der groben Verletzung des Gesetzes oder der Satzung.
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Die SE als Option für den Mittelstand Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Stand der SE-Entwicklung III. Vor- und Nachteile der Rechtsform der SE 1. Nachteile a) Kompliziertes Regelungsgefüge b) „Hoher“ Kapitaleinsatz c) Eingeschränkte Teilnahmefähigkeit d) Keine natürlichen Personen als Gründer e) Mehrstaatlicher Bezug f) Keine Einheits-SE g) Probleme bei der Arbeitnehmermitbestimmung h) Grundzüge der Etablierung der Mitbestimmung i) Einzelne Problemfälle aa) Das Unternehmen hat nur neun Arbeitnehmer bb) Arbeitnehmer bilden kein bVg 2. Vorteile a) Internationalität/Image b) Leitungssystem aa) Zwei-Personen-Modell bb) Keine strikte Trennung von Aufsicht und Leitung
cc) CEO-Modell dd) Flexibilität des Leitungssystems ee) Praxis c) Grenzüberschreitende Umstrukturierung nach SE-VO d) Vorteile gegenüber der Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten e) Sitzverlegung f) Verhandelte Arbeitnehmerbeteiligung g) Fixierung des Mitbestimmungsstandards h) Amtszeit der Organe i) Erste Organmitglieder j) Kostenvorteile aa) Monistisches Leitungssystem bb) Einheitliche europäische Rechtsform cc) Tochtergesellschaften in „einheitlicher“ Rechtsform k) Standortwettbewerb 3. Bilanz der Vor- und Nachteile aus Sicht der KMU
I. Einleitung Die Diskussion über neue Rechtsformen hat derzeit Hochkonjunktur1. Die GmbH wird in Frage gestellt2, neue Rechtsformen für den Mittelstand und Existenzgründer sollen geschaffen werden3. Auch neue supranationale Rechts-
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1 Vgl. Lorenz, AG 2006, R 375; Leuering, ZRP 2006, 201; Wicke, ZNotP 2006, 322; Lutter, BB-Special 7/2006, 2 ff.; K. Schmidt, DB 2006, 1096. 2 Triebel/Otte, ZIP 2006, 1321 ff.; differenzierend Römermann, NJW 2006, 2065 ff.; eine Darstellung der Zahlen GmbH und Ltd. bei Niemeier, ZIP 2006, 2237. 3 Eine Übersicht zu den Vorschlägen liefert K. Schmidt, DB 2006, 1096; vgl. auch den RegE zum MoMiG v. 23.5.2007, abgedruckt in Beilage zu ZIP 23/2007, sowie die Stellungnahme in Status:Recht 2007, 234 ff.; kritisch Heckschen, DStR 2007, 1442 ff.
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formen werden diskutiert. So fordern insbesondere europäische Parlamentarier eine Euro-GmbH, die in Deutschland unter dem Namen EPG4 als Arbeitstitel in der Diskussion steht5. Die bereits vorhandene neue Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (abgekürzt: SE), auch Europäische Aktiengesellschaft genannt, wird eher als misslungener Versuch bezeichnet denn als Option gerade auch für kleine und mittelständische Unternehmen (sog. KMU)6 usw. In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den Unterzeichnerstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)7 ist es seit Oktober 2004 möglich, eine solche Gesellschaft nach den Regelungen der SE-VO8 zu gründen9. Die Gesellschaft wurde in den Entwürfen in der Regel als Europäische Aktiengesellschaft bezeichnet. Die lateinische Bezeichnung „Societas Europaea“, die in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gilt, lässt sich korrekt nur mit Europäischer Gesellschaft übersetzen. Eine Änderung in der Sache erfolgte dadurch allerdings nicht. In Nummer 13 der Erwägungsgründe ist die SE ausdrücklich als Aktiengesellschaft bezeichnet. Gemäß Art. 1 Abs. 2 SE-VO ist das Kapital der Gesellschaft in Aktien zerlegt. Auch daraus ergibt sich eindeutig, dass es sich bei der SE um eine Aktiengesellschaft handelt.
II. Stand der SE-Entwicklung Die Rechtsform der SE wird zwischenzeitlich von einigen Unternehmen für ihre Aktivitäten genutzt. In einer Übersicht10 sind derzeit 79 Unternehmen gelistet, die sich der SE als Rechtsform bedienen. Aus eigener Erfahrung ist aber zu sagen, dass nicht alle in der EU/dem EWR-Raum eingetragenen SEs in diese Liste aufgenommen sind. In dem übersichtlichen Kreis der SEs finden sich nur wenige mittelständische Unternehmen. Überdies findet sich darunter noch eine große Zahl sog. Vorrats-SE.
__________ 4 Zur EPG, Steinberger, BB-Special 7/2006, 27 ff.; Hommelhoff, WM 1997, 2101. 5 Auf die Kritik des EU-Parlaments – vgl. Fischer zu Cramburg, NZG 2007, 455 – hin hat die Kommission Konsultationen über die Schaffung eines Statuts der Europäischen Privatgesellschaft (EPG) aufgenommen, vgl. FAZ v. 14.8.2007, S. 19. 6 Nagel/Köklü, ZESAR 2004, 175, 180; Ebert, IWB 2002, 977, 982 Steinberger, BBSpecial 7/2006, 27, 31; Krause, EuZW 2003, 747, 751. 7 Durch den Beschluss des gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 93/2002 v. 25.6.2002 zur Änderung des Anhangs XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABl. EG Nr. L 266, 69 v. 3.10.2003, ist die SE-VO dem Anhang XXII angefügt worden. 8 VO 2157/2001/EG v. 8.10.2001, über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294, 1 (SE-VO), abgedruckt in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblatt, Bd. 1, Fach EG-Verordnungen. 9 Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Blanquet, ZGR 2002, 20 ff.; Hirte, NZG 2002, 1 ff.; Jahn/Herfs-Röttgen, DB 2001, 631; Schwarz/Lösler, NotBZ 2001, 117 ff.; Schwarz, ZIP 2001, 1847 ff.; Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078 ff.; ausführlich auch Teichmann, ZGR 2002, 383 ff. 10 URL: http://www.worker-participation.eu/european_company; das Netzwerk ist ein Projekt von Forschern unter der Führung der European Trade Union, Institute for Research, Education and Health and Safety (ETUI-REHS, Brussels).
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Zu den Unternehmen in der Rechtsform der SE gehören zwischenzeitlich auch große Namen wie die STRABAG SE, Allianz SE, MAN-Diesel SE und Eurotunnel SE. Andere börsennotierte Unternehmen, wie die BASF AG11 oder die Porsche AG12, sind im Begriff, in die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft zu wechseln, andere, wie die SAP AG oder die deutsche Bank AG, sollen über die Änderung der Rechtsform nachdenken13.
III. Vor- und Nachteile der Rechtsform der SE Leider muss festgestellt werden, dass die „Vermarktung“ der neuen Rechtsform gründlich misslungen ist und sich die Darstellung sowohl in der Fach- als auch in der Tagespresse stark auf die Schwächen dieses neuen Rechtsträgers konzentriert. Allerdings haben der europäische Verordnungsgeber und auch der nationale Gesetzgeber einiges dazu beigetragen, derartig kritische Töne zu befördern (vgl. III.1.a) unten). Die SE bietet jedoch auch nicht zu unterschlagende Vorteile, und das gilt nicht nur für grenzübergreifend tätige Unternehmen. In der Beratungspraxis werden diese Vorteile leider häufig übersehen. Gegenüber Mandanten und Klienten, gerade aus dem Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen, wird die tatsächlich relativ komplizierte Rechtsanwendung in der Gründungsphase in den Vordergrund gestellt14. Bei einer bestehenden SE kommt die Kompliziertheit der Regelungen allerdings kaum mehr zum Tragen15. Tatsächlich bietet die SE einige bedeutende Vorteile, die vor allem auch für kleinere und mittelständische Unternehmen, die in Deutschland wieder vermehrt über den Gang in die (kleine) Aktiengesellschaft nachdenken, von Bedeutung sind. Da nun aber allerorts zunächst die Nachteile benannt werden, sollen diese auch eingangs dargestellt werden. 1. Nachteile a) Kompliziertes Regelungsgefüge Die komplizierte Rechtsanwendung der Regelungen der SE-VO wird als ein gravierender Nachteil angeführt16. Diese Kritik ist, zumindest bei der Gründung einer SE durch Verschmelzung und Bildung einer Holding-SE, nicht von der Hand zu weisen. Neben den Vorschriften der SE-Verordnung sind Regelun-
__________ 11 12 13 14
Handelsblatt v. 28.2.2007, S. 1; FAZ v. 28.2.2007, S. 16. Handelsblatt v. 26.6.2007, S. 2. Vgl. Handelsblatt v. 26.9.2005, S. 36; Redeker, AG-Report 2006, R343, R344. Nagel/Köklü, ZESAR 2004, 175, 180; Ebert, IWB 2002, 977, 982; Steinberger, BBSpecial 7/2006, 27, 31; Krause, EuZW 2003, 747, 750; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 423. 15 So auch Wicke, MittBayNot 2006, 196, 2005. 16 Vgl. dazu die Zusammenfassung der Stimmen bei Schröder/Fuchs in Manz/Mayer/ Schröder, SE-VO, 2005, Vorbemerkung Rz. 20.
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gen der Sitzstaaten der Gründungsgesellschaften zu beachten17. Die Verordnung enthält Verweisungsnormen, die nationale Rechtsvorschriften zur Anwendung berufen, vgl. Art. 15 und 18 SE-VO. Die SE-VO wurde bewusst lückenhaft („hinkende Verordnung“18) ausgestaltet, um überhaupt eine Einigung über die Verordnung zu ermöglichen. Die Lücken in der SE-VO sind daher immer über die entsprechenden Verweisungen zu füllen. Die Verweisungskaskaden sind beeindruckend19. Es muss allerdings bedacht werden, dass internationale Unternehmenszusammenschlüsse immer mit einer hohen Komplexität verbunden sind. Es handelt sich um Sachverhalte, bei denen Rechtsordnungen verschiedener Mitgliedstaaten berührt werden. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass die Kompliziertheit der Regelungen der SE-VO dieser Komplexität entsprechen20. Dieser Feststellung ist uneingeschränkt beizupflichten. Eine Einigung auf einen Verordnungstext, der die SE betreffenden Sachverhalte einheitlich regelt, war nicht möglich21. Es ist auch zu berücksichtigen, dass auf der Ebene der EU grundsätzlich nur die Sachverhalte geregelt werden sollen, die notwendigerweise auf europäischer Ebene einheitlich normiert werden müssen (vgl. Art. 5 Abs. 2 EG). Durch diese Regelungstechnik soll die EU bürgernäher sein. Im Prinzip drückt sich darin nichts anderes als das in Art. 5 EG22 niedergelegte Subsidiaritätsprinzip aus. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist die Aussage über die Komplexität der Regelungen zu relativieren und festzuhalten, dass die SE-VO nicht schlecht abschneidet23. Bei einer bestehenden SE kann im Hinblick auf die Rechtsanwendung nicht von einem schwerwiegenden Problem gesprochen werden. Eine gegründete SE unterliegt zwar in erster Linie den Regelungen der SE-VO. Es sind in der Verordnung aber nicht alle Sachverhalte abschließend geregelt. In diesen Fällen greift die Verweisung des Art. 9 SE-VO24. Im ganz überwiegenden Bereich ist das jeweilige nationale Recht anwendbar. Komplizierte Verweisungen sind nur selten zu beachten. Eine SE mit Satzungssitz in Deutschland ist insoweit
__________ 17 Zur Regelungstechnik, vgl. ausführlich Casper in FS Ulmer, 2003, S. 51 ff.; Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), Anhang 14 Rz. 40 ff. 18 Kalss/Greda in Kalss/Hügel, Europäische Aktiengesellschaft, 2004, Allgemeiner Teil Rz. 10. 19 Dazu Kübler, ZHR 167 (2003), 222, 224; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006, § 12 Rz. 6 f. 20 Schwarz, SE-VO, 2006, Einleitung SE-VO Rz. 21; Nagel weist darauf hin, dass mit der Vielfalt bzw. Komplexität der Regelungen auch eine enorme und immer wieder geforderte Flexibilität einhergeht, Nagel, DB 2004, 1299, 1303. 21 Schröder/Fuchs in Manz/Mayer/Schröder (Fn. 16), Vorbemerkung Rz. 3; Kübler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2006, Bd. 9/2, Einf. Europ. Ges. Rz. 4; Blanquet, ZGR 2002, 20, 23. 22 Streinz in Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 5 EGV Rz. 1 ff. 23 Schwarz (Fn. 17), Einleitung SE-VO Rz. 21; Teichmann, ZGR 2002, 383, 384; Wenz, AG 2003, 185, 185. 24 Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), Anhang 14 Rz. 42 ff.; Schwarz (Fn. 20), Art. 9 SE-VO Rz. 11 ff.
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– sieht man von der Möglichkeit der monistischen Verfassung ab – nicht leichter oder schwieriger zu handhaben als eine nationale AG25. b) „Hoher“ Kapitaleinsatz Das nach Art. 4 Abs. 2 SE-VO notwendige gezeichnete Kapital in Höhe von 120 000,– Euro wird häufig als Nachteil der SE genannt26. Es ist klar, dass die Höhe des Grundkapitals für Großkonzerne keine Hürde darstellt. Allerdings dürfte die Höhe des notwendigen Kapitals auch für KMU kein Hindernis für den Zugang zur Rechtsform der SE bedeuten. Gerade wenn sie grenzüberschreitend tätig werden, kommen selbst Unternehmen der Handels- und Dienstleistungsbranche nur schwer mit einem geringeren Kapitaleinsatz als 120 000,– Euro aus. Allein für die Betriebsaufnahme dürfte ein solcher Betrag notwendig sein. Das gilt umso mehr für produzierende oder forschende Unternehmen. Eine prohibitive Wirkung kann der Höhe des Grundkapitals daher kaum zugeschrieben werden. Der europäische Gesetzgeber hat dies im Zusammenhang mit den Erwägungen der Zugangsmöglichkeiten von KMU auch entsprechend berücksichtigt (vgl. Erwägungsgrund 13 zur SE-VO). Soweit das Mindestgrundkapital als Seriositätsmerkmal anerkannt wird, müsste sich der vermeintliche Nachteil „hohes Grundkapital“ in einen Vorteil der SE verkehren27. c) Eingeschränkte Teilnahmefähigkeit Die SE-VO legt die an der Gründung einer SE teilnahmefähigen Gesellschaften fest28. In Art. 2 SE-VO sind die einzelnen Voraussetzungen festgelegt. Nach Art. 2 Abs. 1 SE-VO können sich an der Gründung einer SE durch Verschmelzung nur Aktiengesellschaften im Sinne des Anhangs I zur SE-VO beteiligen. Bei den anderen Gründungsmöglichkeiten ist der Kreis weiter gefasst. Die Gründung einer Holding-SE kann neben AGs auch von GmbHs i. S. d. Anhangs II der SE-VO betrieben werden. Bei der Gründung einer Tochtergesellschaft ist der Gründerkreis am umfangreichsten. Neben AGs und GmbHs können sich Gesellschaften i. S. d. Art. 48 Abs. 2 EG an der Gründung einer Tochter-SE beteiligen. Bei der Umwandlung in eine SE ist wiederum nur die AG als Gründungsgesellschaft zugelassen. Eine Systematik, die hinter der Beschränkung der Gründerfähigkeit stehen könnte, ist nicht zu erkennen. Die Beschränkung der Gründer bei der Verschmelzung auf die AG dürfte auf die Anlehnung der Verschmelzungsregelun-
__________ 25 So auch Wicke, MittBayNot 2006, 196, 205. 26 Steinberger, BB-Special 7/2006, 27, 31; Krause, EuZW 2003, 747, 750; dazu auch Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 3. 27 Vgl. in diesem Zusammenhang die Kritik an dem im RegE zum MoMiG vorgesehenen niedrigen Grundkapital der GmbH, Wachter, Status:Recht 2007, 245; Niemeier, Status:Recht 2007, 246; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1444. 28 Casper, AG 2007, 97; Schwarz (Fn. 20), Art. 2 SE-VO Rz. 10.
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gen an die Dritte RL29 zurückzuführen sein30. Es ist aber unverständlich, dass der Kreis der teilnahmefähigen Gesellschaften bei der Gründung einer Holding-SE zusätzlich die GmbH umfasst. Schließlich stellt das Verfahren zur Gründung einer Holding-SE das Pendant zum Verschmelzungsverfahren dar31. Die Beschränkungen sind bei der Gründung einer Tochter-SE völlig aufgeweicht. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Gründerkreis immer wieder erweitert32. Warum aber nicht wenigstens die GmbH als Kapitalgesellschaft auch zu Verschmelzungen zugelassen ist, erschließt sich nicht. In der Literatur werden diese Einschränkungen zu Recht kritisiert33. d) Keine natürlichen Personen als Gründer Die Beschränkung der Gründerfähigkeit schließt auch die Teilnahme von natürlichen Personen an der Gründung einer SE aus. Nur Gesellschaften können durch Umstrukturierungsmaßnahmen in die Rechtsform der SE wechseln. Die natürliche Person muss den Umweg über die vorherige Gründung einer Gesellschaft einschlagen. Für natürliche Personen besteht aber schon eine logische Sekunde nach der Gründung der SE die Möglichkeit, (alleiniger) Anteilseigner der Europäischen Gesellschaft zu werden34. Der beschränkte Teilnehmerkreis für die Gründung und insbesondere der Ausschluss der Teilnahme natürlicher Personen von der Gründung einer SE sind als Nachteile nicht von der Hand zu weisen. e) Mehrstaatlicher Bezug Ein einzelnes Unternehmen, das nicht bereits europäischen Bezüge hat, kann keine SE gründen. Bei allen Gründungsvarianten nach Art. 2 SE-VO wird als Gründungsvoraussetzung ein mehrstaatlicher Bezug verlangt35. Dieser kann je nach Gründungsvariante durch die Gründungsgesellschaften selbst, durch Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen hergestellt werden. Diese Anforderungen stellen für KMU ein Zugangshindernis dar36. Dies gilt insbesondere für mittelständische Unternehmen, die erst nach Europa expandieren wollen. Diese hohe Hürde für den Gang in eine SE widerspricht der Intention des europäischen Gesetzgebers37. Erwägungsgrund 1 der SE-VO legt nah, dass es auch für kleine und mittlere Unternehmen möglich sein sollte, durch die Reorganisation gemeinschaftsweit aufzutreten. Gerade zu diesem Zweck dient
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29 30 31 32 33 34 35 36 37
RL 78/855/EWG v. 9.10.1978, ABl. EG Nr. L 295, 36 (Verschmelzungsrichtlinie). Schwarz (Fn. 20), Art. 17 SE-VO Rz. 1 und 3. Schwarz (Fn. 20), Vor. Art. 32–34 SE-VO Rz. 6. Casper, AG 2007, 97, 105. Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 21), Art. 2 SE-VO Rz. 8; Oechsler, NZG 2005, 697, 698 f. Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), Anhang 14 Rz. 134. Dazu Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), Anhang 14 Rz. 75 ff.; auch Kraft/Bron, RIW 2005, 641, 642; Casper, AG 2007, 97, 98. Steinberger, BB-Special 7/2006, 27, 31. Vgl. Erwägungsgrund 13 der SE-VO.
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die SE. Es muss kritisch hinterfragt werden, warum eine SE nur von Aktiengesellschaften, die dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen, durch Verschmelzung gegründet werden kann. Ausgangspunkt dieser Regelung ist wohl Art. 2 Art. 1 der 3. RL38, der ebenfalls nur Aktiengesellschaften der Mitgliedstaaten zur Teilnahme an einer Verschmelzung zulässt. De lege ferenda sollte überlegt werden, ob die Gründung einer SE nicht auch ohne die Notwendigkeit der Beteiligung mehrerer Unternehmen eröffnet werden sollte. Dies würde die SE als Gesellschaftsform stärken und dem Bedürfnis von kleinen und mittleren Unternehmen entsprechen. Das Europäische Parlament hat diese Probleme bereits erkannt und die Kommission aufgefordert, Vorschläge für die Verbesserung der SE-VO zu machen39. Für Gesellschaften, die noch keinen mehrstaatlichen Bezug aufweisen und trotzdem die Rechtsform einer SE annehmen wollen, kommt die Gründung einer „AG“ im Ausland oder der Kauf einer Vorrats-SE in Betracht. Professionelle Anbieter haben auch diese Rechtsform im Portfolio40. In der Folge könnte das bestehende KMU auf die SE nach nationalem Umwandlungsrecht verschmolzen werden41. f) Keine Einheits-SE Durch die Verweisungen in die nationalen Rechtsordnungen werden Europäische Gesellschaften immer in erheblichem Umfang nationale Eigenarten haben. Zu einem Teil bleiben sie weiterhin nationale Aktiengesellschaften42. Es ist durchaus als Nachteil anzuerkennen, dass die SE nicht in sämtlichen Mitgliedstaaten „gleich“ ist. Die Anzahl verschiedenartiger SEs wird daher in Zukunft jeweils der Anzahl der Mitgliedstaaten der EU/des EWR entsprechen. g) Probleme bei der Arbeitnehmermitbestimmung Die Regelungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer stellen sich sehr umfangreich dar. Allein die Regelungen über die Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer umfassen 26 Absätze in den §§ 5 bis 10 SEBG. Solange die Beteiligung der Arbeitnehmer nicht „geregelt“ ist, kann die SE nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO nicht eingetragen werden. Daher kann die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE auch bei KMU zu Problemen führen.
__________ 38 RL 78/855/EWG v. 9.10.1978 ABl. EG Nr. L 295, 36 (Verschmelzungsrichtlinie). 39 Bulletin EU 7/8-2006 – Gesellschaftsrecht, Unternehmensfortführung und Bekämpfung von Finanzkriminalität, 1.10.10. Entschließung des Europäischen Parlaments zu den jüngsten Entwicklungen und den Perspektiven des Gesellschaftsrechts. 40 Vgl. beispielhaft URL: http://www.foratis.com/thema/000129/index.html. 41 Zur Teilnahmefähigkeit einer SE an nationalen Umstrukturierungsmaßnahmen Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), Anhang 14 Rz. 519 ff.; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 21), Art. 66 SE-VO Rz. 14. 42 Hommelhoff, AG 2001, 279, 285; Lutter, BB 2002, 1, 2; Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449, 1450; Hopt, EuZW 2002, 1; Ulmer spricht von der nationalen AG im Europäischen Gewand, FAZ v. 21.3.2001, 30; ähnlich Lutter, AG 1990, 413, 414.
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Soweit das Verhältnis zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmern bzw. deren Vertretern nicht belastet ist, wird die Eintragung der SE durch die Regelungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer allerdings kaum verzögert werden. h) Grundzüge der Etablierung der Mitbestimmung Die Beteiligung der Arbeitnehmer ist nicht in der SE-VO geregelt. Das Verfahren zur Etablierung der Mitbestimmung in einer SE ist vielmehr in der Richtlinie 2001/86/EG vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer43 enthalten. Die Richtlinienvorgaben sind in dem Arbeitnehmerbeteiligungsgesetz (SEBG) umgesetzt44. Die SE-RL45 ist von dem Gedanken geprägt, dass die Leitungen der Unternehmen mit den Arbeitnehmern, vertreten durch das besondere Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer (kurz bVg), durch Verhandlungen zu einer Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer gelangen (Verhandlungsprinzip). Soweit eine einvernehmliche Lösung nicht zu erreichen ist, sollen die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer nicht geschmälert werden (Vorher-NachherPrinzip)46. i) Einzelne Problemfälle Soweit die Leitungen der beteiligten Gesellschaften die Gründung einer SE planen, informieren Sie die Arbeitnehmervertretungen über die Pläne. Gemäß § 4 Abs. 1 SEBG muss nach schriftlicher Aufforderung durch die Unternehmensleitungen ein besonderes Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer gebildet werden. Das Verfahren zur Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer (bVg) ist in den §§ 5–7 SEBG geregelt. Hinter der zentralen Regelung des § 5 SEBG steht die Überlegung, dass jedes Land, in dem die Gründungsgesellschaften vertreten sind, durch mindestens einen Vertreter repräsentiert werden soll. In einem ersten Schritt wird die Gesamtzahl der von der Gründung der SE betroffenen Arbeitnehmer ermittelt. Für 10 % oder für einen Bruchteil von 10 % zu der Gesamtanzahl, der in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer, wird ein Sitz im bVg gewährt. Im Idealfall besteht das bVg also aus zehn Mit-
__________ 43 RL 2001/86/EG v. 8.10.2001, ABl.EG Nr. L 294, 22; siehe zu den Texten der Verordnung, Richtlinie, des Ausführungs- und Beteiligungsgesetzes auch Neye, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2005. 44 BGBl. I 2004, 3686. 45 RL 2001/86/EG v. 8.10.2001, zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. L 294, 22 (SE-RL). 46 Zu den Zielen des Gesetzes Nagel in Nagel/Freis/Kleinsorge, Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gesellschaft, 2005, § 2 Rz. 2 ff.; Kienast in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, 2005, Kap. 13 Rz. 16 ff.
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gliedern. In der Regel wird das Gremium aber aus mehr als zehn Mitgliedern bestehen, da die proportionale Verteilung kaum jemals genau aufgehen wird47. aa) Das Unternehmen hat nur neun Arbeitnehmer Wie dargestellt geht die SE-RL davon aus, dass das besondere Verhandlungsgremium aus mindestens zehn Mitgliedern besteht. Soweit von der Gründung der SE nur insgesamt neun Arbeitnehmer betroffen sind, stellt sich die Frage, ob ein besonderes Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer überhaupt gebildet werden muss bzw. kann. Soweit ersichtlich wird diese Problematik in der Literatur bisher nicht eingehend diskutiert. Vereinzelt wird vertreten, dass bei einer Gesamtarbeitnehmerzahl von neun überhaupt kein bVg gebildet werden muss48. Gegen diese Annahme spricht allerdings, dass die SE-VO in Art. 12 Abs. 2 SE-VO grundsätzlich davon ausgeht, dass die Beteiligung der Arbeitnehmer „geregelt“ sein muss. Auch nach dem Telos der Richtlinie, die eine Beteiligungsregelung verfolgt, ist es zweifelhaft, ob die Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums an der Formalie einer Mindestmitgliederzahl des besonderen Verhandlungsgremiums scheitern sollte. Es ist daher zu empfehlen, auch bei nur neun Arbeitnehmer in den betroffenen Gesellschaften ein besonderes Verhandlungsgremium zu bilden und die Beteiligung der Arbeitnehmer zu „regeln“. bb) Arbeitnehmer bilden kein bVg Bei der Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer könnten die Arbeitnehmer auch untätig bleiben. Es ist fraglich, welche Folgen daraus resultieren. In den gesetzlichen Vorschriften finden sich keine Regelungen zu dieser Problematik. In § 8 SEBG ist die Zusammensetzung des Wahlgremiums für die Wahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums geregelt. Die Vorschrift bietet jedoch keine Gewähr dafür, dass tatsächlich das besondere Verhandlungsgremium gebildet wird. Dieser Sachverhalt weist am ehesten eine Parallele zu § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG auf. Im Unterschied zu der gesetzlich vorgesehenen Variante in § 22 SEBG verstreicht der Verhandlungszeitraum ergebnislos, jedoch ohne vorherige Bildung eines bVg. Im Fall des § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG müssen dann die Regelungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer kraft Gesetzes Anwendung finden. Das bedeutet, dass ein SE-Betriebsrat gemäß §§ 23 SEBG ff. gebildet werden müsste. Des weiteren stellt sich die Frage, ob die SE erst nach dem Verstreichen des gesetzlich vorgesehenen Verhandlungszeitraums in das Handelsregister eingetragen werden kann. Für diese Annahme spricht die Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 SE-VO, der die Eintragung einer SE nur bei der Regelung der Beteiligung
__________ 47 Oetker, BB-Special 2005, 2, 7. 48 Seibt, ZIP 2005, 2248, 2250.
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der Arbeitnehmer zulässt. Allerdings muss auch beachtet werden, dass die Sechsmonatsfrist nach § 20 Abs. 1 SEBG überhaupt nicht in Gang gesetzt werden kann. Daraus würde folgen, dass die SE niemals eingetragen werden kann. Ein solches Ergebnis ist jedoch unzutreffend. Die Arbeitnehmer können nicht in die Position versetzt werden, dass sie mit ihrer Untätigkeit die Gründung der Europäischen Gesellschaft verhindern. Mit anderen Stimmen in der Literatur49 ist davon auszugehen, dass nur der Mindestzeitraum von 10 Wochen, der für die Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums vorgesehen ist, abzuwarten ist, bevor die SE in das Handelsregister eingetragen werden kann. 2. Vorteile a) Internationalität/Image Die Internationalität der Rechtsform spielt in der Regel eine große Rolle bei der Entscheidung für eine SE50. Bei den großen Unternehmen wurde dieser Grund gegenüber der Presse auch immer wieder geäußert51. Für KMU kann das im Vergleich zur GmbH deutlich bessere Image mitentscheidend sein. Der Rechtsformzusatz „SE“, der gemäß Art. 11 SE-VO der Firma der SE voran- oder nachzustellen ist, kann als Markenzeichen für die Supranationalität bzw. Internationalität der Gesellschaft angesehen werden. b) Leitungssystem Ein großer und von der Beratungspraxis schlicht übersehener Vorteil der SE ergibt sich jedenfalls für mittelständische und kleine Unternehmen daraus, dass zwischen einem monistischen und einem dualistischen Leitungssystem gewählt werden kann52. Die Informationsvermittlung zwischen Direktoren und Verwaltungsratsmitgliedern ist weniger zeitaufwendig und weniger kompliziert, da es die strikte Trennung zwischen Aufsicht und Leitung der Gesellschaft nicht gibt. Aufsichtsrat und Vorstand haben im dualistischen System zusammen mindestens vier Mitglieder. Für kleinere Unternehmen des Mittelstandes ist das dualistische System daher unverhältnismäßig teuer. Das anglo-amerikanische Modell der Unternehmensleitung mit einem Boardsystem wird oft als flexibler, schneller und effektiver angesehen53. Für den Allein- oder Mehrheitsgesellschafter passt das dualistische System nicht. Als einziger Vorstand steht er der Macht des Aufsichtsrates gegenüber. Er hat kei-
__________ 49 Kienast in Jannott/Frodermann (Fn. 46), Kap. 13 Rz. 155 ff. 50 Manz/Mayer, INF 2006, 833 ff.; Lutter, BB 2002, 1, 7; Wenz, AG 2003, 185, 188; Kallmeyer, AG 2003, 197, 200. 51 Vgl. nur Handelsblatt v. 26.6.2007, S. 2 und v. 28.2.2007, S. 1. 52 Als nicht zu unterschätzenden Vorteil bezeichnet Spitzbart die Flexibilität des Leitungssystems, Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 423. 53 Vgl. dazu Menjucq, ZGR 2003, 679 ff.; Merkt, ZGR 2003, 650 ff.; Leyens, RabelsZ 2003, 57 ff.
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ne unmittelbare Kontrolle über das Aufsichtsorgan, steht aber als Allein- oder Mehrheitsanteilseigner finanziell in der Verantwortung. Die schlankere Struktur des monistischen Leitungssystems stellt aus seiner Sicht einen enormen Vorteil dar. aa) Zwei-Personen-Modell Eine SE mit einem monistischen Leitungssystem kommt mit zwei Personen aus54. Art. 43 Abs. 2 SE-VO i. V. m § 23 Abs. 1 SEAG zeigen, dass es ausreichend ist, wenn der Verwaltungsrat nur aus einem Mitglied55 besteht. Neben dem einzigen Verwaltungsratsmitglied muss gemäß § 40 Abs. 1 SEAG ein geschäftsführender Direktor bestellt werden, der nicht gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrates sein darf. bb) Keine strikte Trennung von Aufsicht und Leitung Wenn der Mehrheitseigentümer zum einzigen Verwaltungsratsmitglied bestellt wird, kann er die Grundlinien der Geschäftspolitik bestimmen und ist gleichzeitig für die Überwachung der Umsetzung verantwortlich. Der daneben zu bestellende, externe geschäftsführende Direktor, ist für die Umsetzung der Geschäftspolitik in das Tagesgeschäft zuständig. Außerdem vertritt er die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Gegenüber den geschäftsführenden Direktoren steht dem Verwaltungsrat ein Weisungsrecht zu56 (vgl. demgegenüber bei der AG, vgl. § 76 Abs. 1 AktG), über das er jederzeit auch für die „richtige“ Umsetzung der vorgegebenen Grundzüge57 sorgen kann. Der Verwaltungsrat kann den geschäftsführenden Direktor gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SEAG jederzeit abberufen und einen neuen bestellen58, der die vorgegebene Linie (besser) umsetzt. Für eine inhabergeführte Gesellschaft ist dieses System wesentlich geeigneter als das dualistische System mit seiner strikten Trennung zwischen Leitung der und Aufsicht über die Gesellschaft. cc) CEO-Modell Im monistischen System kann der geschäftsführende Direktor gleichzeitig Vorsitzender des Verwaltungsrates sein (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 2 SEAG; sog. CEO-Modell). Das CEO-Modell59, bei dem der Verwaltungsrat mindestens drei Mitglieder haben muss, kann sich ebenfalls für KMU anbieten. In diesem Fall müssen keine externen geschäftsführenden Direktoren bestellt werden. Der
__________ 54 Vgl. Teichmann, BB 2004, 53, 56; Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), Anhang 14 Rz. 470. 55 Schwarz (Fn. 20), Art. 43 SE-VO Rz. 75. 56 Schwarz (Fn. 20), Art. 43 SE-VO Rz. 58; Waclawik, DB 2006, 1827, 1830. 57 Reichert/Brandes in MünchKomm.AktG (Fn. 21), Art. 38 SE-VO Rz. 6. 58 Schwarz (Fn. 20), Art. 43 SE-VO Rz. 42. 59 Zu dieser Gestaltungsvariante Manz/Mayer, INF 2006, 833, 835; zur Umsetzung dieses Modells, Eder, NZG 2004, 544 ff.
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CEO (Chief Executive Officer) verantwortet in seiner Funktion als Verwaltungsratsmitglied einerseits die Vorgaben der Geschäftspolitik mit. Andererseits ist er für die tägliche Umsetzung der Leitlinien zuständig60. Wegen seiner hervorgehobenen Stellung wird er gegenüber den anderen Organmitgliedern immer einen Informationsvorsprung haben. Ein Allein- oder Mehrheitseigentümer hat in dieser Position die entsprechende Machtfülle, die seiner (Kapital-)Beteiligung gerecht wird. Für den Allein- oder Mehrheitsaktionär ist dieses Modell passender als das dualistische System mit der strikten Trennung zwischen Aufsichts- und Leitungsorgan61. dd) Flexibilität des Leitungssystems Wie bereits mehrfach dargelegt, besteht bei einer Europäischen Gesellschaft die Möglichkeit, zwischen einem dualistischen und einem monistischen Leitungssystem zu wählen. Diese Wahlmöglichkeit ist nicht auf den Gründungszeitpunkt der SE beschränkt. Die Gesellschaft kann zwischen den möglichen Leitungssystemen wechseln62. Die SE kann sich dadurch jederzeit an neue Bedürfnisse anpassen. Wenn sie sich von einem KMU zu einem Großunternehmen weiterentwickelt und als Kapitalsammelbecken dient, ist es passender, auf das dualistische Leitungssystem mit der strikten Trennung zwischen Aufsicht und Leitung der Gesellschaft umzustellen63. ee) Praxis Die Praxis zeigt, dass für Gesellschaften, die die Rechtsform der SE gewählt haben, das monistische Leitungssystem sehr interessant ist. Kein Unternehmen mit einem dualistischen Leitungssystem hatte vor dem Wechsel in die SE ein monistisches Leitungssystem. Eine Anzahl von Unternehmen, die vor dem Wechsel in die SE ein dualistisches Leitungssystem hatten, haben dagegen das monistische Leitungssystem gewählt. c) Grenzüberschreitende Umstrukturierung nach SE-VO Bis zum Inkrafttreten der SE-VO war es nur mittels Hilfskonstruktionen64 möglich grenzüberschreitende Umstrukturierungen vorzunehmen65. Unternehmen wurde mit der SE-VO erstmals ein Mittel an die Hand gegeben, um grenzüberschreitende Umstrukturierungen rechtssicher vorzunehmen. Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten der EU/des EWR können seither
__________ 60 Dazu Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745, 747 ff. 61 Redeker, AG 2006, R343, R346. 62 Nagel/Köklü, ZESAR 2004, 175, 177; Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449, 1451; Hirte, NZG 2002, 1, 5. 63 Dies ist bis zu einem gewissen Grad durch die Bestellung externer geschäftsführender Direktoren auch im monistischen System möglich; dazu Manz/Mayer, INF 2006, 833, 835. 64 Vgl. Hoffmann, NZG 1999, 1077 ff. 65 Wenz in Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 2005, S. 659 ff.
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grenzüberschreitend fusionieren66, zusammen eine Holding-SE67 gründen oder eine Tochter-SE für eine gemeinsame Unternehmung (Joint Venture) errichten. Die Möglichkeit grenzüberschreitende Umstrukturierungen vorzunehmen, steht nach Inkrafttreten der SCE-VO68 auch Genossenschaften offen. Am Ende dieser Maßnahmen steht eine Europäische Genossenschaft. Außerdem hat der Europäische Gesetzgeber die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften69 (IntVerschmRL) verabschiedet. Die Richtlinie ist in den §§ 122a ff. UmwG umgesetzt. Auch nach diesen Vorschriften ist es möglich, dass Kapitalgesellschaften an grenzüberschreitenden Umstrukturierungen teilnehmen. d) Vorteile gegenüber der Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten Der europäische Gesetzgeber hat die Mitgliedstaaten durch die Verabschiedung der IntVerschmRL70 verpflichtet, die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in den nationalen Rechtsordnungen zu ermöglichen. Der deutsche Gesetzgeber hat in das Umwandlungsgesetz bereits einen 10. Abschnitt eingefügt. In den neuen §§ 122a ff. UmwG ist die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften geregelt71. Zur Teilnahme an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hat der deutsche Gesetzgeber nur Kapitalgesellschaften zugelassen72. Der Gesetzgeber ist damit nicht über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinausgegangen. Gegenüber der SE-VO besteht ein entscheidender Nachteil natürlich darin, dass als Ergebnis einer Umstrukturierungsmaßnahme nach der IntVerschmRL immer nur eine Gesellschaft nationaler Rechtform steht. Der Vorteil der Internationalität bzw. des besseren Images wird durch eine Umstrukturierung nach der IntVerschmRL nicht erreicht werden. Es muss auch bedacht werden, dass eine nationale Kapitalgesellschaft nach bisher h.M.73 ihren Satzungssitz innerhalb der EU/des EWR nicht verlegen kann. Die Gründung einer SE nach der SE-VO wird daher auch nach Inkrafttreten der nationalen Transformationsgesetze Vorteile gegenüber einer grenzüberschreitenden Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften bieten.
__________ 66 Wenz in Theisen/Wenz (Fn. 65), S. 663. 67 Dazu Beispiele bei Maul/Wenz in Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft, 2005, S. 267. 68 VO 1435/2003/v. 22.7.2003, ABl. EU Nr. L 207, 1 (SCE-VO). 69 RL 2005/56/EG v. 26.10.2005, ABl. EU Nr. L 310, 1 (Richtlinie für die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten; IntVerschmRL). 70 RL 2005/56/EG/v. 26.10.2005, ABl. EU Nr. 207, 1. 71 Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, S. 542. 72 Vgl. Regierungsbegründung zu § 122b UmwG, BR-Drucks. 548/06, S. 29. 73 Auch die Art. 43, 48 EGV schützen nicht das Recht auf Verlegung des statutarischen Sitzes; vgl. hierzu Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), § 1 UmwG Rz. 192 ff.; Forsthoff in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2005, § 2 Rz. 28; Paefgen, IPrax 2004, 132, 133; Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409, 2413 f.
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e) Sitzverlegung In der Rechtsform der SE können Gesellschaften ihren (Satzungs-)Sitz nach Art. 8 SE-VO rechtssicher verlegen. Diesen Vorteil bieten neben der SE als supranationaler Rechtsform nur noch die Europäische Genossenschaft (SCE) (vgl. Art. 7 SCE-VO74) und die EWIV75 gemäß Art. 13 EWIV-VO76. Es ist sogar ein Fall bekannt geworden, bei dem eine SE ihren Sitz unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität auf die Cayman Islands verlegt hat77. Gesellschaften mit einem rein nationalen Rechtskleid ist es dagegen nach bisher h.M. versagt, ihren Satzungssitz identitätswahrend zu verlegen78. Dies liegt in der sog. „Geschöpflehre79“ begründet. Der Gesetzgeber, der eine bestimmte Rechtsform „geschaffen“ hat, darf auch die Frage regeln, ob und wie diese ihren jeweiligen Rechtskreis verlassen darf80. Die SE genießt den Vorteil der Möglichkeit der Satzungssitzverlegung innerhalb der EU/des EWR, zumindest solange die Sitzverlegungsrichtlinie81, die nationalen Gesellschaftsformen die Verlegung des Satzungssitzes ermöglichen soll, nicht in Kraft getreten ist. Der EuGH könnte aber die Tür zu einer identitätswahrenden Sitzverlegung öffnen. In Kürze wird er in der Rechtssache „Cartesio“ zu dieser Frage Stellung beziehen müssen. In dem Vorlageverfahren geht es um die Frage, ob der Wegzug einer Gesellschaft in dem Ausgangsstaat eingetragen werden muss. Das ungarische Regionalgericht in Szeged82 hat dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die bisherigen Entscheidungen des EuGH lassen erahnen, dass er auch die Verlegung des Satzungssitzes als von der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 und 48 EG gedeckt ansieht. Bereits in seiner Entscheidung in Sachen „SEVIC-Systems“ hat der EuGH die Niederlassungsfreiheit sehr weit verstanden. Die Tendenz der „SEVIC“- Entscheidung kann dahin verstanden werden83, dass der EuGH auch die Verlegung des Satzungssitzes unter die Niederlassungsfreiheit subsumiert. f) Verhandelte Arbeitnehmerbeteiligung Wie bereits beschrieben muss die Beteiligung der Arbeitnehmer gemäß Art. 12 Abs. 2 SE-VO in der SE „geregelt“ sein, bevor die Gesellschaft eingetragen wer-
__________ 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83
VO 1435/2003/EG v. 22.7.2003, ABl. EG Nr. L 207, 1 (SCE-VO). Zur Rechtsnatur der EWIV vgl. ausführlich Habersack (Fn. 19), § 11 Rz. 17. VO 2137/85/EWG v. 25.7.1985, ABl. EG Nr. L 199, 1 (EWIV-VO). Schmidt, DB 2006, 2221 ff.; Heuschmid/Schmidt, NZG 2007, 54. Paefgen, IPRax 2004, 132, 133; Forsthoff in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2005, § 2 Rz. 28; Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409, 2413 f. Rehm in Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Rz. 61 f.; Roth, IPrax 2003, 117, 121. EuGH, NJW 1989, 2186 – Daily Mail; vgl. dazu auch Roth, IPrax 2003, 117, 121. Zur Sitzverlegungsrichtlinie Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), § 1 UmwG Rz. 336, Anhang 14 Rz. 16 ff. Vorabentscheidungsersuchen des Szegedi Ítélötábla v. 5.5.2006 – RS C-210/06, ZIP 2006, 1536. Vgl. dazu ausführlich Heckschen in Widmann/Mayer (Fn. 8), § 1 UmwG Rz. 238.
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den kann. Daraus können sich Nachteile ergeben (vgl. III.1.g) oben). Auf der anderen Seite bieten die Regelungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft aber auch Vorteile. Mit der SE-RL hat der europäische Gesetzgeber einen durchaus progressiven Weg eingeschlagen84. Grundsätzlich soll die Art und der Umfang der Mitbestimmung im Verhandlungswege zwischen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite festgelegt werden (Verhandlungsprinzip)85. Durch den Verhandlungsgrundsatz kann für die Gesellschaft ein maßgeschneidertes Mitbestimmungsmodell gefunden werden. § 47 SEBG (Art. 13 Abs. 2 SE-RL) eröffnet hier Gestaltungsmöglichkeiten, da die nationalen gesetzlichen Vorschriften über die Mitbestimmung in den Organen der Gesellschaft keine Anwendung finden. Auch bei Gesellschaften, die Arbeitnehmerzahlen erreichen, bei denen die deutschen gesetzlichen Vorschriften eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen vorsehen, kann die Gesellschaft mitbestimmungsfrei bleiben oder aber einem eingeschränkten Mitbestimmungsregime unterliegen. Durch einen Rechtsformwechsel in die SE kann die Arbeitnehmermitbestimmung flexibler ausgestaltet werden als in der AG (vgl. III.2.g) unten). Diese Flexibilität ermöglicht häufig eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse der Gesellschaft als nach den (starren) deutschen Regelungen. g) Fixierung des Mitbestimmungsstandards Die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer geht bei einer SE den nationalen Regelungen über die Mitbestimmung vor86. Die SE-RL bzw. das SEBG ermöglicht es, eine unternehmerische Mitbestimmung zu vermeiden oder den Standard der bestehenden Mitbestimmung zu fixieren. Gerade für mittlere Unternehmen kann ein Bedürfnis bestehen, den Mitbestimmungsstandard nicht zu erhöhen. Beispielsweise könnte eine GmbH mit 490 Arbeitnehmern (AN) eine Expansion planen und dafür weitere Mitarbeiter benötigen. Bei über 500 AN müsste die GmbH gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelBetG87 einen Aufsichtsrat bilden. In dem Aufsichtsorgan stünden den Arbeitnehmern gemäß § 4 Abs. 1 DrittelBetG 1/3 der Sitze zu. Vor dem Hintergrund steigender Verwaltungskosten stellt die Geschäftsleitung (zwei Geschäftsführer) die Einstellung weiterer Mitarbeiter zurück und sucht nach Alternativen. Als möglicher Ausweg kommt die Umstrukturierung der GmbH in eine SE in Betracht. Wenn in dem Unternehmen eine gute Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern bzw. deren Vertretern (Betriebsrat) und der Geschäftsleitung
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84 Die Regelung der Mitbestimmung in der SE ist auch für Arbeitnehmer reizvoll, Grzimek, FAZ v. 20.4.2005, S. 29. 85 Blanke, NZA 2006, 1304, 1306; Köstler in Theisen/Wenz (Fn. 65), S. 337. 86 Kleinsorge in Nagel/Freis/Kleinsorge (Fn. 46), § 47 Rz. 2; Fischer in MünchKomm. AktG (Fn. 21), § 47 SEBG Rz. 6. 87 Drittelbeteiligungsgesetz, BGBl. I 2004, 974.
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besteht, dürfte es nicht schwer fallen, die Beteiligung der Arbeitnehmer zu regeln. Insbesondere wenn der Betriebsrat die Expansion des Unternehmens und die Aufstockung des Personalstamms befürwortet, stehen die Chancen überaus gut, schnell die Eintragungsfähigkeit i. S. d. Art. 12 Abs. 2 SE-VO der SE zu erreichen. Nach der Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer können die Parteien schnell zu einer Vereinbarung nach § 21 SEBG über die Beteiligung der Arbeitnehmer gelangen. Dem bVg stehen aber auch noch andere Handlungsoptionen offen88. Es kann einen Beschluss nach § 16 Abs. 1 SEBG fassen, keine Verhandlungen mit den Unternehmensleitungen aufzunehmen. In diesem Fall würden weder die gesetzlichen Regelungen über die Mitbestimmung in den Organen der Gesellschaft noch die Regelugen über den SE-Betriebsrat Anwendung finden. Die Parteien können nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 SEBG auch gemeinsam die Anwendung der gesetzlichen Regelungen über den SE-Betriebsrat vereinbaren. Diese Handlungsmöglichkeiten eröffnen eine schnelle Eintragung der SE. Sind Verhandlungen bereits aufgenommen, kann das bVg überdies nach § 16 Abs. 1 SEBG jederzeit beschließen, die Verhandlungen mit den Unternehmensleitungen abzubrechen, und so die Eintragungsfähigkeit zu erreichen. Dem Betriebsrat bieten sich dagegen keine Handlungsmöglichkeiten, eine Mitbestimmung in den Organen der Gesellschaft zu erreichen, wenn vorher keine bestand. Soweit der Verhandlungszeitraum ohne Erfolg verstreicht, finden gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG die Regelungen über den SE-Betriebsrat Anwendung. Eine Gesellschaft mit mehr als 500 aber weniger als 2000 Arbeitnehmern kann durch Umstrukturierung in eine SE die Erhöhung des Mitbestimmungsstandards auf die hälftige Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern nach dem Mitbestimmungsgesetz89 vermeiden. An dieser Stelle muss unterstrichen werden, dass die drohende Anwendbarkeit eines Mitbestimmungsgesetzes (Drittelbeteiligungsgesetz90; Mitbestimmungsgesetz91) eine echte Einstellungshürde darstellen kann. Mit einer Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gesellschaft kann eine passende Mitbestimmungslösung gefunden und durch die Nichtanwendbarkeit der strikten deutschen Mitbestimmungsregelungen (§ 47 SEBG) der Weg für Neueinstellungen frei gemacht werden. h) Amtszeit der Organe Art. 46 Abs. 1 SE-VO sieht vor, dass die Mitglieder der Organe einer SE für sechs Jahre bestellt werden können. Im Gegensatz dazu sehen die nationalen
__________ 88 89 90 91
Vgl. auch Kienast in Jannott/Frodermann (Fn. 46), Kap. 13 Rz. 308 ff. V. 4.5.1976, BGBl. I 1976, 1153. V. 18.5.2004, BGBl. I 2004, 974. V. 4.5.1976, BGBl. I 1976, 1153; das Montanmitbestimmungsgesetz ist für KMU weniger relevant.
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Vorschriften (§ 84 Abs. 1 AktG für die Vorstandsmitglieder; § 102 Abs. 1 AktG für die Aufsichtsratsmitglieder) nur eine maximale Amtszeit von jeweils fünf Jahren vor. Die Amtszeit der Organe der Europäischen Gesellschaft wird in der Satzung festgelegt. i) Erste Organmitglieder Die ersten Mitglieder des Verwaltungsrates (Art. 43 Abs. 3 SE-VO) bzw. des Aufsichtsrates (Art. 40 Abs. 2 SE-VO) der SE können durch die Satzung bestellt werden. In der Gründungsphase der Gesellschaft spart das den ersten Bestellungsbeschluss. j) Kostenvorteile Mit der Rechtsform der SE können auch deutliche Kostenvorteile erzielt werden. aa) Monistisches Leitungssystem Mit der Möglichkeit eines monistischen Leitungssystems bietet die SE auch erhebliche Kostenvorteile. Es kann schlanker ausgestaltet werden, als das dualistische System. Gemäß Art. 43 Abs. 1 SE-VO, § 22 Abs. 1 SEAG und § 41 Abs. 1 SEAG ist es ausreichend, wenn das Verwaltungsorgan, in Deutschland der Verwaltungsrat, aus einem Mitglied besteht und daneben ein externer geschäftsführender Direktor bestellt ist. Das System mit Aufsichtsrat und Vorstand hat dagegen immer mindestens vier Mitglieder. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 AktG muss der Aufsichtsrat aus mindestens drei Mitgliedern bestehen und der Vorstand nach § 76 Abs. 2 Satz 1 AktG aus mindestens einem Mitglied. Der Aufsichtsrat nimmt gemäß § 111 AktG eine reine Überwachungsfunktion wahr. Die Übertragung von Maßnahmen der Geschäftsführung auf den Aufsichtsrat ist unzulässig. Bei einer SE mit dualistischem Leitungssystem ergeben sich von diesem Grundsatz keine Abweichungen. § 111 Abs. 1 AktG ist zwar so zu verstehen, dass dem Aufsichtsrat auch die Funktion präventiver Kontrolle zufällt und er auf diese Weise einen gewissen Einfluss auf die Geschäftsleitung nehmen kann92. Dennoch weicht die Kompetenzverteilung von der in einem monistischen Leitungssystem erheblich ab. Zum einen liegt die Leitungsverantwortung im monistischen System beim Verwaltungsrat, zum anderen sind die geschäftsführenden Direktoren an die Weisungen des Verwaltungsrats gebunden. Mit dem Verwaltungsorgan, bestehend aus einer Person, fallen die Kosten für zwei Aufsichtsratsmitglieder weg. Für KMU ist dies ein besonderer Vorteil, weil die rein auf die Überwachung zielende Funktion des Aufsichtsrates den Bedürfnissen von mittelständischen Unternehmen oft nicht gerecht wird.
__________ 92 Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 5 ff.; Henze, BB 2005, 165.
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bb) Einheitliche europäische Rechtsform Für Gesellschaften, die innerhalb Europas grenzüberschreitend tätig sind, bietet sich die SE als Rechtsform an, die in allen Mitgliedstaaten unter dem Label „SE“ bekannt ist. Hilfskonstruktion aus einem Geflecht von Tochtergesellschaften und Holdings93 in jeweils nationalen Rechtsformen können so vermieden werden. Vornehmlich betrifft diese Problematik zwar Großkonzerne, aber auch KMU können sich mit dieser Problematik konfrontiert sehen94. Die Konzernstrukturen beinhalten immer mehrere Leitungsebenen, die die Gesamtleitung des Konzerns sehr ineffektiv machen. Für die einzelnen Tochterunternehmen müssen Bilanzen erstellt werden, die ggf. einer Prüfungspflicht unterfallen. Die Errichtung und der Unterhalt von Tochtergesellschaften in den Mitgliedstaaten der EU führt jährlich zu Verwaltungskosten von ½ Mio. Euro pro Jahr und Tochtergesellschaft95. Die SE bietet hier die Gestaltungsalternative, auf selbstständige Gesellschaften zu verzichten und sich in den Mitgliedstaaten mit unselbstständigen Zweigniederlassungen zu präsentieren96. Diese Möglichkeit besteht natürlich auch für Gesellschaften nationaler Rechtsform. Die Rechtsform der SE jedoch gibt es jedem Mitgliedstaat. Durch den Wegfall untergliederter Leitungsebenen bei den einzelnen Tochtergesellschaften oder Holdings kann die Gesellschaft wesentlich straffer organisiert und effizienter geführt werden. cc) Tochtergesellschaften in „einheitlicher“ Rechtsform Die SE bietet auch Kostenvorteile, wenn die Strukturen einer Holding bzw. eines Konzerns erhalten bleiben sollen. Nicht in jedem Mitgliedstaat müssen Rechtsberater herangezogen werden, die nach einer geeigneten Rechtsform suchen. Vielmehr ist es möglich, die Tochtergesellschaften in allen Mitgliedstaaten in der, zumindest in den Grundzügen, einheitlichen Rechtsform der SE zu führen97. Überall im Geltungsbereich der SE-VO kann die SE jeweils das gleiche Leitungssystem und fast identische Satzungsstrukturen haben. Nicht zu übersehen ist dabei, dass nicht nur das Grundgerüst der SE gleich ist, sondern dass auch die Regelungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer für alle Tochtergesellschaften gleich ausgestaltet werden können, da nationale Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen der Gesellschaft gemäß Art. 13 Abs. 2 SE-RL keine Anwendung finden.
__________ 93 Habersack (Fn. 19), § 12 Rz. 4. 94 Manz/Mayer, INF 2006, 833, 836. 95 So der Siemens-Justiziar Schäfer in Scheuing, Europäisches Unternehmensrecht, 2001, S. 61, 64; vgl. auch Manz/Mayer, INF 2006, 833, 836. 96 Kallmeyer, AG 2003, 197, 202; Blanquet, ZGR 2002, 20, 48; Seibt/Saame, AnwBl 2005, 225, 227. 97 Wenz in Theisen/Wenz (Fn. 65), S. 681; Seibt/Saame, AnwBl 2005, 225, 227.
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k) Standortwettbewerb Die supranationale Rechtsform der Europäischen Gesellschaft forciert den Wettbewerb um die besten Standortkonditionen innerhalb der Mitgliedstaaten. Den Unternehmen steht die attraktive Rechtsform in jedem der Mitgliedstaaten zur Verfügung. Damit treten Überlegungen nach der geeignetsten Rechtsform für die Unternehmung in den Hintergrund. Bei der Gründung der SE werden Unternehmen sich den für sie günstigsten Standort auswählen. Bei den meisten Gründungsvarianten muss die SE keinen Bezug zu einem der Sitzstaaten der Gründungsgesellschaften haben. Sollten sich die Bedingungen in dem Sitzstaat der SE verschlechtern, besteht für diese Gesellschaft jederzeit die Möglichkeit ihren Satzungssitz nach dem Verfahren des Art. 8 SE-VO in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. 3. Bilanz der Vor- und Nachteile aus Sicht der KMU Die Bilanz der aufgezeigten Vor- und Nachteile einer SE fällt auch für kleine und mittlere Unternehmen durchaus positiv aus. Der weit verbreiteten Einschätzung, dass die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft für mittelständische Unternehmen ungeeignet sei98, muss widersprochen werden. Leider wird nur selten auf die Vorteile verwiesen. In der Tagespresse wird die Rechtsform in aller Regel als ungeeignet für den Mittelstand dargestellt. Nicht stichhaltig ist beispielsweise das Argument, dass das Grundkapital in Höhe von 120 000,– Euro prohibitive Wirkung haben könnte (vgl. III.1.b) oben). Der Betrag liegt unter dem, den der Gesetzgeber seinerzeit für die GmbH entsprechend als Stammkapital vorgeschrieben hat. Mit weniger als 120 000,– Euro dürften mittelständische Unternehmen häufig bereits unterkapitalisiert sein und Schwierigkeiten haben, sich am Markt zu halten beziehungsweise sich überhaupt erst einmal zu etablieren. Aus eigener Erfahrung in der Beratungspraxis kann der Verfasser feststellen, dass sich mittelständische Unternehmen, Immobilienunternehmen aber auch Produktionsunternehmen in keiner Weise an der Höhe des Grundkapitals stören. Vielmehr sind insbesondere die schlanken Verwaltungsstrukturen sowie der Imagegewinn durch die Nutzung der „Marke“ SE ausschlaggebend. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Berater scheuen, sich mit den durchaus komplizierten Regelungen in der Gründungsphase zu befassen. Die eindeutigen Vorteile der Europäischen Gesellschaft werden nicht erkannt oder den Nachteilen unausgewogen gegenübergestellt. Für den Verfasser besteht kein Zweifel daran, dass die SE auch eine geeignete Rechtsform für den Mittelstand darstellt. Der europäische Gesetzgeber hat diese Rechtsform auch für kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung
__________ 98 Vgl. bspw. Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 21), Vor Art. 1 SE-VO Rz. 13.
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stellen wollen (vgl. Erwägungsgrund 13 der SE-VO)99. Weitere Verbesserungen stehen zu erwarten100. Dem enormen Imagegewinn und den schlanken Verwaltungsstrukturen101 sollte in der Praxis mehr Beachtung geschenkt werden. Insbesondere für inhabergeführte Unternehmen bietet die SE mit dem monistischen Leitungssystem eine mehr als attraktive Alternative zur „kleinen AG“. Bei einem Unternehmen, bei dem der (Allein-)Gesellschafter das finanzielle Risiko trägt, ist das dualistische Leitungssystem mit der Trennung von Leitung und Kontrolle der Gesellschaft eher ungeeignet. Es ist außerdem zu bedenken, dass die Arbeitnehmerbeteiligung in der Regel kein Problem darstellen wird. Vielmehr bietet sich auch dann die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft an, wenn Schwellenwerte deutscher Mitbestimmungsgesetze102 drohen überschritten zu werden. Mit dem Gang in die SE kann der Standard der Mitbestimmung fixiert und eventuell sogar ein Einstellungshemmnis beseitigt werden.
__________ 99 Habersack (Fn. 19), § 12 Rz. 5. 100 Bulletin EU 7/8-2006 – Gesellschaftsrecht, Unternehmensfortführung und Bekämpfung von Finanzkriminalität, 1.10.10. Entschließung des Europäischen Parlaments zu den jüngsten Entwicklungen und den Perspektiven des Gesellschaftsrechts. 101 Satzungsbeispiele bei Heckschen in Fleischhauer/Preuß, Handelsregisterrecht, 2006. 102 Drittelbeteiligungsgesetz v. 18.5.2004, BGBl. I 2004, 974; Mitbestimmungsgesetz v. 4.5.1976, BGBl. I 1976, 1153.
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Freiwillige Vereinbarungen über die Unternehmensmitbestimmung Inhaltsübersicht I. Einführung II. Erweiterung der gesetzlichen Mitbestimmung durch freiwillige Zuwahl von Arbeitnehmervertretern III. Gestaltungsmöglichkeiten für Mitbestimmungserweiterungen IV. Wirksamkeit mitbestimmungserweiternder Satzungsbestimmungen 1. Rechtslage bei AG und KGaA 2. Rechtslage bei der GmbH a) Fehlende Satzungsstrenge b) Persönliche, durch Satzung begründete Rechte Dritter? c) Wertungen des DrittelbG d) Abschließender Charakter des DrittelbG e) Freiwillige Einführung der Mitbestimmung nach dem MitbestG 1976? f) Folgen unwirksamer Satzungsklauseln g) Ergebnis
3. Gesellschaftsrechtliche Schranken für mitbestimmungserweiternde Satzungsänderungen in einer GmbH V. Die Änderung von mitbestimmungserweiternden Satzungsregelungen einer GmbH 1. Grundsatz: Satzungsautonomie 2. Einschränkungen durch verbindliche Mitbestimmungsvereinbarungen a) Formale Anforderungen b) Zuständigkeit c) Dauerhafter Entzug von Zuständigkeiten? d) Kündigungsmöglichkeiten bei unbefristeten Mitbestimmungsvereinbarungen VI. Die Öffnung des Mitbestimmungsrechts für Vereinbarungen durch das MgVG VII. Zusammenfassung der Ergebnisse
I. Einführung Die Unternehmensmitbestimmung zählt seit einigen Jahren aus verschiedenen Gründen zu den vieldiskutierten rechtspolitischen Themen des Gesellschaftsrechts. Trotz einer breiten Palette von Vorschlägen kommt die rechtspolitische Diskussion über eine Reform allerdings nicht voran. Weder der Deutsche Juristentag1 noch die sog. Biedenkopf-Kommission2 konnten Anstöße für die weitere Rechtsentwicklung geben. Zu den sehr kontrovers diskutierten Fragen zählt, inwieweit das gesetzliche System der Mitbestimmung für Vereinbarun-
__________ 1 Vgl. die Verhandlungen des 66. DJT 2006. 2 Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung; dazu der Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission, 2006.
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gen geöffnet werden soll3. Aus Sicht der Gewerkschaften kommt im Rahmen von Verhandlungen nur eine Verbesserung des Mitbestimmungsniveaus, keinesfalls dagegen eine Verschlechterung der Beteiligungsrechte in Betracht4. Von Seiten der Wirtschaft wird dagegen mehr Raum für Vertragsfreiheit und für unternehmensspezifische Lösungen gefordert. Das Plädoyer für eine Öffnung für freiwillige Vereinbarungen kann nicht überraschen, entspricht der Vorrang der Verhandlungslösungen doch dem Europäischen Konzept. Nicht nur die Richtlinien über die Arbeitnehmerbeteiligung in SE5 und SCE6 gehen von einem solchen Vorrang aus, auch die Verschmelzungsrichtlinie7 hat diesen Ansatz in Art. 16 aufgegriffen. Ob und inwieweit nach geltendem Recht Vereinbarungen über die Mitbestimmung und ihre Inkorporierung in der Satzung zulässig sind, ist im Schrifttum eher rudimentär behandelt und bis heute nicht abschließend geklärt. Da die Mitbestimmungsgesetze zwingendes Recht enthalten, kam eine Absenkung des gesetzlichen Mitbestimmungsniveaus über Vereinbarungen bislang nicht in Betracht. In den praxisrelevanten Fallgestaltungen ging es daher stets um einen Ausbau der Mitbestimmung über das gesetzliche System hinaus oder um die Einführung der Unternehmensmitbestimmung in Gesellschaften, die an sich keinem gesetzlichen Mitbestimmungsregime unterliegen. Anlass zu Mitbestimmungsvereinbarungen gibt es zum einen bei öffentlichrechtlichen Unternehmen, in denen eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer angestrebt wird8. Im Bereich der Privatwirtschaft kommt es zu Mitbestimmungsvereinbarungen häufig aus Anlass von Unternehmensumstrukturierungen, wenn die Belegschaft bislang mitbestimmter Unternehmen unter die Schwellenwerte absinkt oder aus sonstigen Gründen der bisher einschlägige Mitbestimmungstatbestand entfällt9. Seit der Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie 2005/56/EG durch das neue MgVG10 besteht nunmehr grundsätzlich auch Raum für die umgekehrte Konstellation, in der über eine Mitbestimmungsvereinbarung das gesetzliche Niveau abgesenkt werden kann (dazu unter VI.).
__________ 3 Vgl. den Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, 2006, S. 20 f., 22 f.; Raiser, Verhandlungen des Sechsundsechzigsten Deutschen Juristentages Stuttgart 2006, Band I Gutachten, S. B 57 f. 4 Vgl. den Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission (Fn. 2), S. 67, 69. 5 Richtlinie 2001/86/EG v. 8.10.2001, ABl. Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 22. 6 Richtlinie 2003/72/EG v. 22.7.2003, ABl. Nr. L 207 v. 18.8.2003, S. 25. 7 Richtlinie 2005/56/EG v. 26.10.2005, ABl. Nr. L 310 v. 25.11 2005, S. 1. 8 Dazu Nagel/Haslinger/Meurer, Mitbestimmungsvereinbarungen in öffentlichen Unternehmen mit privater Rechtsform, 2002; R. Schmidt in FS Knöpfle, 1996, S. 303 ff. 9 Dazu Seibt, AG 2005, 413; ders. in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 2003, F 13 ff.; Hanau, ZGR 2001, 75; Henssler, ZfA 2000, 241; Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333 ff.; Raiser, BB 1977, 1461. 10 Gesetz zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3332.
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Rechtsprobleme ergeben sich bei Mitbestimmungsvereinbarungen derzeit weniger aus den Vorschriften der Mitbestimmungsgesetze, denn aus gesellschaftsrechtlichen Prinzipien. Insbesondere stellt sich die gesellschaftsrechtliche Grundlagenfrage, inwieweit eine Gesellschaft in Strukturfragen überhaupt Bindungen gegenüber Dritte eingehen kann, die zu einem Autonomieverlust der Gesellschafter führen. Dieser Bezug zu den gesellschaftsrechtlichen und allgemein zivilrechtlichen Grundlagenfragen lässt den Verfasser hoffen, dass die Themenstellung das Interesse des von ihm verehrten großen Zivilrechtslehrers Harm Peter Westermann finden könnte. Der Verfasser, der das Vergnügen hatte und hat, mit dem Jubilar in verschiedenen Gremien und bei vielfältigen Anlässen zusammenzuarbeiten, hat dessen scharfen juristischen Sachverstand, seine sprachliche Souveränität und das die gesamte Zivilrechtsordnung umfassende Wissen, vor allem aber seine Persönlichkeit stets bewundert. Er verbindet mit dem Beitrag die herzlichsten Glückwünsche zum 70. Geburtstag.
II. Erweiterung der gesetzlichen Mitbestimmung durch freiwillige Zuwahl von Arbeitnehmervertretern Außer Zweifel steht, dass die Mitbestimmung bei rein nationalen Sachverhalten11 nicht durch gesellschaftsvertragliche Regelungen eingeschränkt werden kann. Solche Verträge sind nicht einmal dann zulässig, wenn die Arbeitnehmer ihre Zustimmung erklären, da die Belegschaft auf ihre Rechte aus den Mitbestimmungsgesetzen nicht verzichten kann12. In der Frage der Zulässigkeit von Erweiterungen der Mitbestimmungsrechte durch Vereinbarung oder Satzung gehen die Meinungen im Schrifttum dagegen weit auseinander. Praxisrelevant ist dabei insbesondere die Konstellation einer dem DrittelbG unterliegenden Kapitalgesellschaft, für die über eine Satzungsbestimmung die paritätische Mitbestimmung eingeführt wird. Höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage existiert bislang nicht. Zum Vorläufer des DrittelbG, dem BetrVG 1952, hatte sich der BGH13 lediglich mit der Frage eines faktisch paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats befassen müssen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war ein Aufsichtsratsbeschluss von einem 18-köpfigen Gremium gefällt worden, dem über die zwingend vorgeschriebenen 6 Arbeitnehmervertreter hinaus 3 weitere Belegschaftsmitglieder durch die Hauptversammlung zugewählt worden waren. Stimmen im Schrifttum, die eine solche Überschreitung der Drittelparität für unzulässig hielten14, stützten sich auf den Vorläufer des heutigen § 319 Abs. 2 HGB, demzufolge Arbeitnehmer nicht Gründungs-, Sonder- oder Abschlussprüfer sein dürfen.
__________ 11 Vgl. aber VI. 12 Vgl. nur für das MitbestG Fitting/Wlotzke/Wißmann, MitbestG, 2. Aufl. 1978, § 1 MitbestG Rz. 3; Raiser, MitbestG, 4. Aufl. 2002, § 1 MitbestG Rz. 49; Ulmer/ Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestG, 2. Aufl. 2006, § 1 MitbestG Rz. 16. 13 BGH, NJW 1975, 1657 = AP Nr. 1 zu § 96 AktG. 14 Claussen, AG 1971, 385; Werner, AG 1972, 137.
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Der BGH teilte diese Bedenken nicht. Er hielt das Schweigen des BetrVG 1952 für beredt und ging dementsprechend davon aus, dass der Gesetzgeber die Zuwahl von weiteren Arbeitnehmervertretern für zulässig erachtet. Die §§ 101, 103 AktG stellen die Auswahl der mitbestimmungsrechtlich nicht festgelegten Mitglieder in das Belieben der Hauptversammlung. Schranken ergeben sich lediglich aus den §§ 100, 105 Abs. 1 AktG, denen zufolge leitende Angestellte von der Wahl ausgeschlossen sind. Mangels eigenständiger Vorschriften über die Besetzung des Aufsichtsrats im GmbH-Recht gelten diese Grundsätze auch für die GmbH. Die anders gelagerte Frage, ob eine vom Gesetz abweichende Besetzung des Aufsichtsrats auch über eine Satzungsbestimmung der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung vorgeschrieben werden kann, konnte der BGH seinerzeit offenlassen15.
III. Gestaltungsmöglichkeiten für Mitbestimmungserweiterungen Für echte materielle Erweiterungen der Mitbestimmung16 stehen zwei rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung: (1) So können außerhalb der Satzung schuldrechtliche Vereinbarungen mit rechtsfähigen Vertretern der Belegschaft (Gewerkschaften, Betriebsrat) oder auch mit der Gesamtheit aller Arbeitnehmer abgeschlossen werden. (2) Denkbar sind jedenfalls bei Personengesellschaften und der GmbH, die keine dem Aktienrecht vergleichbare Satzungsstrenge kennen, auch isolierte bzw. die unter (1) genannten Vereinbarungen inkorporierende Satzungsregelungen, die eine Besetzung des Aufsichtsrates unter Beteiligung von Arbeitnehmervertretern vorsehen. Sollen die unter (1) genannten Mitbestimmungsvereinbarungen statusbegründenden Charakter haben, so sind sie zunächst an den gleichen strengen Voraussetzungen zu messen wie mitbestimmungserweiternde Satzungsvorschriften. Von einem solchen statusbegründenden Charakter wird man regelmäßig ausgehen müssen, anderenfalls wäre die Rechtsstellung der Belegschaft schwach, ein vereinbarungswidrig besetzter Aufsichtsrat wäre gleichwohl wirksam installiert. Es bietet sich daher an, zunächst die für Satzungsgestaltungen bestehenden rechtlichen Schranken zu erörtern, um sodann der Frage nachzugehen, inwieweit die Satzungsautonomie durch statusbegründende Mitbestimmungsvereinbarungen eingeschränkt werden kann.
IV. Wirksamkeit mitbestimmungserweiternder Satzungsbestimmungen Die Zulässigkeit von mitbestimmungserweiternden Satzungsbestimmungen lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Satzungsstrenge, die für die verschie-
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15 Dazu Henssler in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 412. 16 Daneben sind vorliegend ausgeklammerte und rechtlich weniger problematische Vereinbarungen denkbar, die nicht die Besetzung, sondern lediglich das Verfahren betreffen oder einvernehmlich zweifelhafte Rechts- und Sachfragen klären, dazu Raiser, BB 1977, 1461; Seibt, AG 2005, 413, 415.
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denen Gesellschaftsformen gilt, nur rechtsformbezogen beurteilen. Zu differenzieren ist zwischen der Rechtslage bei AG und KGaA einerseits und derjenigen bei sonstigen Gesellschaftsformen andererseits. 1. Rechtslage bei AG und KGaA Bei KG und KGaA ist der Gestaltungsspielraum für Mitbestimmungserweiterungen eng begrenzt. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats einer AG richtet sich nach § 96 AktG und den dort genannten Mitbestimmungsregelungen; gleichermaßen zwingend sind diese Vorschriften nach § 278 Abs. 3 AktG für die Aufsichtsräte einer KGaA17. Weder die Satzung der AG oder KGaA (§§ 23 Abs. 5, 278 Abs. 3 AktG) noch Mitbestimmungsvereinbarungen zwischen der Gesellschaft und Gewerkschaften bzw. Belegschaftsvertretern können wirksam Änderungen vorsehen. Die Satzungsstrenge der AG ist unverzichtbare Grundlage der Verkehrsfähigkeit der Aktie. Erst sie sichert den Schutz vor verdeckten, für die Aktionäre nicht erkennbaren Beschränkungen18. Eine nicht vom MitbestG erfasste AG oder KGaA kann sich daher keinen paritätisch zusammengesetzten, von Anteilseignern und Arbeitnehmern je zur Hälfte gewählten Aufsichtsrat geben. Ohne Bedeutung ist, ob die Gesellschaft die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 DrittelbG erfüllt oder ob für sie – als Tendenzunternehmen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 DrittelbG) oder als Gesellschaft mit weniger als 500 Arbeitnehmern (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und 3 Nr. 2–5 DrittelbG) – überhaupt keine Mitbestimmungsregelung anwendbar ist19. Unzulässig wäre es wegen § 101 Abs. 2 AktG auch, der Belegschaft oder den Gewerkschaften ein Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat einzuräumen20. Gleiches gilt für eine Verpflichtung der Gesellschaft zur Wahl bestimmter Arbeitnehmer oder dritter Personen in den Aufsichtsrat21. Entsprechende Vereinbarungen wären für die wahlberechtigten Aktionäre nicht bindend22. Eben-
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17 Seibt (AG 2005, 413, 415) geht demgegenüber offenbar davon aus, dass für die KGaA die Satzungsstrenge nicht gilt. 18 Henssler, ZfA 2000, 241, 264. 19 H.M. vgl. OLG Bremen, NJW 1977, 1153; Hoffmann-Becking in MünchHdb.GesR, Band 4: Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1999, § 28 Rz. 49; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 96 AktG Rz. 3; Mertens in KölnKomm.AktG, Bd. 2, 2. Aufl. 1996, § 96 AktG Rz. 14; Gach in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 1 MitbestG Rz. 40; Oetker in GroßkommAktG, 4. Aufl. 1999, Vorbem vor § 1 MitbestG Rz. 101; Raiser (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 52 und BB 1977, 1461, 1468; Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 20 f.; Hommelhoff, ZHR 148 (1984), 118, 133 ff.; Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 334; Konzen, AG 1983, 289, 302 f.; Lutter, ZGR 1977, 195, 197; Hensche, AuR 1971, 33, 34 f.; Henssler in FS 50 Jahre BGH (Fn. 15), S. 413; ders., ZfA 2000, 241, 264; Seibt AG 2005, 413, 420; a. A. – für Möglichkeit der Aufstockung der Mitbest nach dem BetrVG 1952 – Fabricius in FS Hilger/Stumpf, 1983, S 158 ff.; s. ferner Köstler/Kittner/Zachert/Müller, Aufsichtsratspraxis, 8. Aufl. 2006, Rz. 323 ff. 20 Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 334; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, MitbestG, 1978, § 7 MitbestG Rz. 43; s. aber auch VG Gelsenkirchen, NJW 1974, 378 betr. das Recht eines Aktionärs, einen Arbeitnehmer zu entsenden. 21 Mertens (Fn. 19), § 96 AktG Rz. 16, § 101 AktG Rz. 22. 22 Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 21; vgl. auch Mertens (Fn. 19), § 96 AktG Rz. 16.
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falls unzulässig sind Satzungsgestaltungen, denen zufolge ein bestimmter Teil der von der Hauptversammlung zu besetzenden Aufsichtsratssitze Belegschaftsmitgliedern vorbehalten bleibt23. Zwar bleibt hier die Auswahlentscheidung den Aktionären überlassen. Jedoch kommt sie der Einführung einer auf Dauer angelegten, nur durch Satzungsänderung zu beseitigenden Mitbestimmung der Arbeitnehmer gleich, ein Ergebnis, das nicht mehr von § 100 Abs. 4 AktG gedeckt ist24. Selbst Stimmbindungsverträgen, durch die sich einzelne Aktionäre verpflichten, ihre Stimme im Sinne eines Vorschlags der Arbeitnehmerseite oder der Gewerkschaften auszuüben, wird man die Anerkennung versagen müssen. Auch hier kommt es nämlich zu einer Aufsichtsratsbesetzung, die mit der zwingenden gesetzlichen Regelung nicht im Einklang steht25. 2. Rechtslage bei der GmbH a) Fehlende Satzungsstrenge Für die GmbH und die GmbH & Co KG gelten keine vergleichbaren Beschränkungen der Satzungsautonomie. Mitbestimmungserweiternde Satzungsregelungen sind hier grundsätzlich möglich26. So kann in der Satzung die Arbeitnehmereigenschaft als Wählbarkeitsvoraussetzung vorgeschrieben werden27. Stimmbindungsabreden sind zulässig. b) Persönliche, durch Satzung begründete Rechte Dritter? Im Übrigen aber ist für die GmbH vieles umstritten. Teile des gesellschaftsrechtlichen Schrifttums verweisen auf die prinzipiellen Bedenken28, die gegen die Verankerung persönlicher Rechte von Dritten in der Satzung bestehen, und
__________ 23 Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 335; wohl auch Hommelhoff, ZHR 148 (1984), 118, 138 f.; Hoffmann/Lehmann/Weinmann (Fn. 20), § 7 MitbestG Rz. 42; Henssler, ZfA 2000, 241, 263 f. 24 Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 21. 25 So jetzt auch Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 21 (anders noch die Vorauflage); Mertens (Fn. 19), § 96 AktG Rz. 16; Semler in MünchKomm.AkG (Fn. 19), § 96 AktG Rz. 68 f.; Henssler, ZfA 2000, 241, 264 f.; Hommelhoff, ZHR 148 (1984), 118, 140 f.; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, 1989, S. 544; Hüffer in MünchKomm.AktG (Fn. 19), § 251 AktG Rz. 5; offengelassen von BGH, NJW 1975, 1657, 1658; a. A. Wißmann in MünchHdb.ArbR, 2. Aufl. 2000, § 375 Rz. 22; Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 335; Konzen, AG 1983, 289, 299 f.; Fabricius in FS Hilger/Stumpf (Fn. 19), S. 157; Seibt, AG 2005, 413, 415 und Raiser, ZGR 1976, 105, 108. 26 H.M., vgl. OLG Bremen, NJW 1977, 1153, 1154; Fitting/Wlotzke/Wißmann (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 5; Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 21; Raiser (Fn. 19), § 1 MitbestG Rz. 52; Hommelhoff, ZHR 148 (1984), 118, 119 f.; Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 336; Lutter, ZGR 1977, 195, 197; Windbichler (Fn. 25), S. 545; a. A. wohl Martens, ZGR 1979, 493, 518. 27 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 52 GmbHG Rz. 145; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 52 GmbHG Rz. 25. 28 Dazu Ulmer in FS Werner, 1984, S. 912 ff.; ders. in FS Wiedemann, 2002, S. 1297 ff. m. w. N.
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halten deshalb auch Entsendungsrechte von Arbeitnehmern für unzulässig29. Für die Vertreter dieser Auffassung folgt hieraus, dass zumindest solche Satzungsregelungen unzulässig sind, die entweder die unmittelbare Wahl von Arbeitnehmervertretern durch die Arbeitnehmer nach den Grundsätzen des DrittelbG30 oder aber – entsprechend § 6 Abs. 6 MontanMitbestG – die Bindung der Gesellschafter an eine Wahlentscheidung der Arbeitnehmer31 vorsehen. Die wohl h.M. im Schrifttum teilt diese Bedenken allerdings nicht32. Genau genommen lässt sich dem Problemkreis der durch Satzung begründbaren Rechtsstellung Dritter nur eine Teillösung der diskutierten Thematik entnehmen. In der Tat hat Ulmer überzeugend nachgewiesen, dass für außerhalb der Gesellschaft stehende Dritte durch Satzungsregelungen keine Mitwirkungsrechte begründet werden können, die ihnen nicht nur als Organwalter, sondern auch persönlich zustehen33. Diese Überlegung steht allerdings, wie im mitbestimmungsrechtlichen Schrifttum nicht immer scharf genug herausgearbeitet wird, mitbestimmungserweiternden Satzungsbestimmungen nicht generell entgegen. Ableiten lässt sich aus ihr lediglich, dass mitbestimmungserweiternde Satzungsregelungen nur als entweder bloße Verlautbarungen schuldrechtlicher außerhalb der Satzung getroffener Vereinbarungen zu verstehen sind oder aber als satzungsrechtliche Befugnisse der Gesellschafter, von ihren Mitgesellschaftern die Berücksichtigung der Dritten (Arbeitnehmervertreter) bei der Besetzung des Aufsichtsrates verlangen zu können34. Für den Bereich der Unternehmensmitbestimmung bedarf die im Kern zutreffende Auffassung außerdem seit Umsetzung der Richtlinien zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE und der SCE durch das SEBG und SCEBG, spätestens aber seit Inkrafttreten des MgVG der Korrektur. Diese Regelungen gehen jeweils davon aus, dass die Unternehmensleitung mit einem Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer eine Vereinbarung treffen kann, die unmittelbare Arbeitnehmerrechte begründet35. Während man für die supranationalen Rechtsformen der SE und SCE noch mit dem Sonderstatus dieser Rechtsformen argumentieren kann, werden mit dem MgVG ausdrücklich auch Vereinbarungen
__________ 29 Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 21; Zöllner/Noack (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 12, K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 45 GmbHG Rz. 15. 30 Zöllner/Noack (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 146; Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 22 f.; a. A. OLG Bremen, NJW 1977, 1153, 1154; Raiser in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 52 GmbHG Rz. 150; Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 336. 31 Zöllner/Noack (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 146. 32 Raiser (Fn. 30), § 52 GmbHG Rz. 43, 150; allerdings in Rz. 175 mit Einschränkungen für den nicht fakultativen AR; Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 29), § 52 GmbHG Rz. 144; Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 52 GmbHG Rz. 9; Lutter/Hommelhoff (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 6, vgl. aber auch Rz. 25; Hommelhoff, ZHR 148 (1984), 118, 120; vgl. auch OLG Köln, DB 1996, 466. 33 Ulmer in FS Wiedemann (Fn. 28), S. 1297, 1320; ders. in FS Werner (Fn. 28), S. 911; ihm folgend die h.M. im Schrifttum, vgl. nur Emmerich in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 3 GmbHG Rz. 105; a. A. Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 9. 34 So auch Ulmer in FS Wiedemann (Fn. 28), S. 1297. 35 Vgl. nur Henssler in Ulmer/Habersack/Henssler (Fn. 12), Einl. SEBG Rz. 180 ff.
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anerkannt, die von einer deutschen AG oder GmbH mit dem Verhandlungsgremium getroffen werden. Im Falle einer vom MgVG erfassten Verschmelzung geht aus der Umwandlung ja stets eine Gesellschaft nationalen Rechts hervor. Allen drei Mitbestimmungsgesetzen, SEBG, SCEBG und MgVG, lässt sich aber entnehmen, dass die rechtliche Verbindlichkeit einer Mitbestimmungsvereinbarung derjenigen einer gesetzlichen Mitbestimmungsregelung gleichkommen soll. Sie muss damit auch ebenso wie die gesetzliche Mitbestimmungsregelung in der Satzung umgesetzt werden können. Eine Rechtsposition zweiter Klasse der Belegschaft wäre mit dem Regelungsanliegen ersichtlich nicht zu vereinbaren. Diese eindeutige Wertung muss, schon im Interesse dogmatischer und struktureller Klarheit, auf rein nationale Sachverhalte übertragen werden. Im Ergebnis sind damit Satzungsregelungen, die Arbeitnehmern Besetzungsrechte zuweisen, anzuerkennen. Welche Qualität eine mitbestimmungserweiternde Satzungsklausel im Einzelfall hat, richtet sich nach der Art der Absprachen mit der Arbeitnehmerseite. Denkbar ist, dass der Mitbestimmungserweiterung eine Vereinbarung mit einer Gewerkschaft oder mit Vertretern der Belegschaft, etwa mit dem Betriebsrat, zugrunde liegt. Mitbestimmungserweiterungen können in den Satzungsregelungen aber auch vorgesehen werden, ohne dass die Gesellschaft eine entsprechende Verpflichtung eingegangen ist. Dann wird im Zweifel eine persönliche Rechtsposition der Dritten (Arbeitnehmer) – selbst wenn man ihre Möglichkeit auch insoweit bejahen will – nicht gewollt sein. c) Wertungen des DrittelbG Heftig umstritten ist die Rechtslage für solche Gesellschaften, deren Belegschaft zwischen 500 und 2001 Arbeitnehmern liegt und die somit der drittelparitätischen Mitbestimmung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG unterliegen. Die h. M. geht zutreffend davon aus, dass man aus der Verweisung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG auf § 96 AktG nicht die Geltung der aktienrechtlichen Satzungsstrenge ableiten kann36. Ebenfalls ganz überwiegend anerkannt ist, dass von der gesetzlichen Regelung unberührt bleiben: die Kompetenz der Gesellschafterversammlung für Grundlagenentscheidungen, die Befugnis der Geschäftsführung zur Veränderung mitbestimmungsrelevanter Unternehmensdaten, die Befugnis zur Einrichtung von Beiräten sowie die Wahl von Arbeitnehmern oder von der Arbeitnehmerseite benannten Personen als Anteilseignervertreter durch die Anteilseignerversammlung37. Kontrovers beurteilt wird demgegenüber, ob § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG abweichenden Vereinbarungen generell nicht zugänglich ist, so dass die drittelparitätische Besetzung des Aufsichtsrats solcher Gesellschaften auch nach oben zwingend ist. Die vereinzelte instanzgerichtliche Rechtsprechung und die wohl h.M. im Schrifttum sieht die Bestimmungen des DrittelbG, bzw. die Vorläuferregelun-
__________ 36 OLG Bremen, NJW 1977, 1153, 1154; Biedenkopf/Säcker, ZfA 1971, 211, 262; Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 23. 37 BGH, NJW 1975, 1657, 1658; Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 24 m. w. N.
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gen in § 76 BetrVG 1952, nicht als abschließend und zwingend an. Danach kann die Satzung grundsätzlich vorschreiben, dass weitere Aufsichtsratsmitglieder Arbeitnehmer des Unternehmens sein müssen, wobei allerdings ein Teil dieser Literaturstimmen – wie erwähnt – davon ausgeht, dass die Wahl der Arbeitnehmer nicht nach mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften erfolgen darf, sondern in der Entscheidungsgewalt der Gesellschafterversammlung verbleiben muss38. Beachtliche Stimmen lehnen dagegen jede Erweitung der gesetzlich vorgeschriebenen drittelparitätischen Mitbestimmung ab39. d) Abschließender Charakter des DrittelbG Die methodologisch verwertbaren Anhaltspunkte für einen zwingenden Charakter des § 1 DrittelbG sind gering. Der Wortlaut selbst gibt für eine entsprechende Auslegung nichts her. Der Charakter der mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften als arbeitnehmerbegünstigende Regelungen spricht für eine nur einseitig zwingende Rechtsnatur auch des § 1 DrittelbG40. Sollen Arbeitnehmerschutzvorschriften zweiseitig zwingend sein, wird dies vom Gesetzgeber regelmäßig ausdrücklich festgelegt, es sei denn, der zwingende Charakter ergibt sich eindeutig schon aus dem Regelungsanliegen. Dem Regelungsanliegen des DrittelbG steht aber eine Erweiterung der Mitbestimmung nicht entgegen. Nicht der mitbestimmungsrechtlichen Regelung, sondern allenfalls gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen lässt sich eine entsprechende Einschränkung entnehmen. Das GmbHG verzichtet aber gerade auf entsprechende Vorgaben und bekennt sich stattdessen zu einer sehr weitreichenden Satzungsautonomie. Das spricht dafür, die Grenzen für Satzungsgestaltungen nur in gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen, etwa im Gedanken der Treuepflicht, zu suchen. Insbesondere aber gilt es zu berücksichtigen, dass das DrittelbG eine erst 2004 in Kraft getretene Nachfolgeregelung für die §§ 76 f. BetrVG 1952 ist. Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bei Verabschiedung dieser Nachfolgeregelung die geschilderte instanzgerichtliche Rechtsprechung und die in der Literatur vorherrschende Meinung bekannt waren. Gleichwohl hat er auf eine Klarstellung verzichtet. Das spricht dafür, dass er mit der Fortgeltung der bis-
__________ 38 OLG Bremen, NJW 1977, 1153, 1154 f.; Zöllner/Noack (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 146; Wißmann in MünchHdb.ArbR (Fn. 25), § 375 Rz. 22; Fitting/Wlotzke/ Wißmann (Fn. 22), § 1 MitbestG Rz. 5; Lutter/Hommelhoff (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 6, 25; Raiser (Fn. 30), § 52 GmbHG Rz. 43, 175; Raiser (Fn. 19), § 1 MitbestG Rz. 52 und BB 1977, 1461, 1468; Fabricius (Fn. 19), S. 155; Henssler, ZfA 2000, 241, 265; Hommelhoff, ZHR 148 (1984),118, 129 ff.; Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 336; Hensche, AuR 1971, 33, 36 f.; die nur von einer zwingenden Untergrenze der Mitbestimmung im BetrVG 1952 ausgehen. 39 Schneider in GK-MitbestG, Loseblatt, § 5 MitbestG Rz. 125, Lutter, ZGR 1977, 195, 197, Thüsing in FS Werner, 1984, S. 893 ff., Ulmer/Habersack (Fn. 12), § 1 MitbestG Rz. 23; Oetker in ErfK, 7. Aufl. 2007, Einl. DrittelbG Rz. 8; zur Vorläuferregelung im BetrVG 1952: Dietz/Richardi, 6. Aufl. 1982, Einl. BetrVG 1952 Rz. 13. 40 Vgl. zu dieser Faustformel Henssler in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrechtskommentar, 2. Aufl. 2006, TVG Einl. Rz. 24.
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lang h. M. einverstanden war. Für den beidseitig zwingenden Charakter des § 1 DrittelbG könnten damit allenfalls die Gedanken der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sprechen, die allerdings nur am Rande tangiert sind. Fordert man eine eindeutige Satzungsregelung, so ist diesen Gerechtigkeitserwägungen hinreichend Rechnung getragen. e) Freiwillige Einführung der Mitbestimmung nach dem MitbestG 1976? Grundsätzlich ist demnach eine Satzungsvorschrift, die eine (quasi-)paritätische Besetzung des Aufsichtsrates vorsieht, zulässig. In der Praxis finden sich indes auch gesellschaftsvertragliche Regelungen, die ausdrücklich vorschreiben, dass sich die Besetzung der gesamten Arbeitnehmerbank nach den Regeln des MitbestG richtet. Solche Satzungsnormen sind schon deshalb unzulässig, weil sie in zwingendes Recht eingreifen. Für dasjenige Drittel der Aufsichtsratsmitglieder, dessen Wahl sich nach den Regeln des DrittelbG richtet, sind die gesetzlichen Vorgaben des DrittelbG nicht abdingbar. Die Regelungen über die Wahl dieser Mitglieder können auch durch Satzungsklauseln nicht durch die Regelungen des MitbestG ersetzt werden. Aufgrund der strukturellen Unterschiede kommt es insoweit nicht darauf an, ob sich diese Änderungen zu Gunsten oder zu Lasten der Belegschaft auswirken. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass das Wahlverfahren des DrittelbG in zentralen Punkten vom MitbestG abweicht. Der Gesetzgeber trägt damit der etwas anderen Interessenlage der Arbeitnehmer in den relativ gesehen kleineren bzw. mittelständischen Unternehmen Rechnung. Nur auf einige der wichtigsten Unterschiede sei an dieser Stelle hingewiesen. 1. Das im DrittelbG geregelte Wahlverfahren beruht – insofern abweichend vom MitbestG – auf dem Prinzip der Belegschaftswahl: Die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden von den Belegschaften gewählt. Wahlvorschläge können von den Betriebsräten und einer Mindestzahl wahlberechtigter Arbeitnehmer (§ 6 Abs. 2 DrittelbG: 10 %, mindestens 100 Arbeitnehmer) gemacht werden. 2. Im Unterschied zum MitbestG steht den Gewerkschaften kein Vorschlagsrecht zu, erst recht also kein Vorschlagsmonopol, wie es § 16 Abs. 2 MitbestG kennt. Dementsprechend verzichtet § 4 DrittelbG auch auf die in § 7 Abs. 2 MitbestG vorgeschriebenen Mindestsitze für Gewerkschaftsvertreter. Die Regelung des DrittelbG begnügt sich damit, eine Mindestvertretung der Arbeitnehmer des Unternehmens vorzuschreiben. Gemäß § 4 Abs. 2 DrittelbG können erst ab einer Aufsichtsratsgröße, die drei oder mehr Arbeitnehmervertreter zulässt, auch außenstehende Personen gewählt werden. Hier ist also die Wahl eines externen Gewerkschaftsfunktionärs möglich. Ihre Wahl liegt aber in der Hand der Belegschaft. 3. Da das DrittelbG keine Delegiertenwahl kennt, ist das Wahlverfahren im Vergleich zum MitbestG erheblich vereinfacht. Parallelvorschriften zu den §§ 9–16 MitbestG finden sich im DrittelbG nicht. Die Aufsichtsratsmitglieder werden unmittelbar von den Arbeitnehmern nach den Grundsätzen der 1028
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Mehrheitswahl gewählt. Der Verzicht auf die Delegiertenwahl führt in Verbindung mit dem fehlenden Vorschlagsrecht der Gewerkschaft zu einem tendenziell geringeren Einfluss der Gewerkschaften auf die Besetzung des drittelparitätisch besetzten Aufsichtsrates. 4. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass das Gruppenprinzip für die Mitbestimmungsform der Drittelbeteiligung gänzlich aufgehoben ist. Leitende Angestellte werden vom DrittelbG (§ 3) nicht als Arbeitnehmer angesehen. Sie können an den nach diesem Gesetz durchgeführten Wahlen zum Aufsichtsrat nicht teilnehmen und auch nur gewählt werden, soweit die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite nicht im Unternehmen beschäftigt sein müssen. Ein eigenes Vorschlagsrecht steht ihnen anders als im MitbestG konsequenterweise ebenfalls nicht zu. Einzelheiten zur Wahl enthält eine eigene Wahlordnung zum DrittelbG, die ebenfalls von den drei Wahlordnungen des MitbestG abweicht. Allein diese vier Unterschiede verdeutlichen, dass eine Satzungsbestimmung, die eine Wahl der Arbeitnehmervertreter nach dem Mitbestimmungsgesetz vorschreibt, in die gesetzlichen Rechte der Belegschaftsmitglieder nach dem DrittelbG eingreift. Es entspricht ganz einhelliger Meinung, dass die Vorschriften des DrittelbG für die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmersitze im Aufsichtsrat zwingend sind41. So dürfte etwa der Belegschaft eines dem DrittelbG unterfallenden Unternehmens kein leitender Angestellter als Vertreter aufgezwungen werden. Vielmehr sind die leitenden Angestellten gar nicht befugt, an der vom DrittelbG erfassten Wahl eines Drittels der Aufsichtsratsmitglieder mitzuwirken. Wollte man bei einer freiwilligen Erweiterung der Mitbestimmungsrechte ein einheitliches Wahlverfahren einführen, so müsste daher die Wahl der zusätzlichen Arbeitnehmervertreter ebenfalls nach den Grundsätzen des DrittelbG erfolgen. Überzeugender dürfte es aber sein, den Arbeitnehmern in der Satzung ein Vorschlagsrecht einzuräumen und die Bestellung sodann der Gesellschafterversammlung zu überlassen42. f) Folgen unwirksamer Satzungsklauseln Sieht der Gesellschaftsvertrag einer dem DrittelbG unterfallenden GmbH – etwa nach einer Unternehmensumstrukturierung – vor, dass der Aufsichtsrat (weiterhin) nach den Regeln des MitbestG 1976 zu besetzen ist, so ist eine solche Satzungsklausel als nichtig anzusehen. Ob damit entsprechend der Zweifelsregelung des § 139 BGB die Regelung über die paritätische Aufsichtsratsbesetzung insgesamt als nichtig anzusehen ist, oder ob es möglich ist, sie teilweise aufrechtzuerhalten, muss nach dem Parteiwillen beurteilt werden. Die Rechtsprechung wendet die Zweifelsregelung des § 139 BGB sehr zurückhal-
__________
41 Oetker in ErfK (Fn. 39), Einl. DrittelbG Rz. 6 m. w. N.; zur Vorläuferregelung Dietz/Richardi (Fn. 39), Einl. BetrVG 1952 Rz. 10; vgl. auch LG München, DB 1980, 678. 42 Vgl. auch die Vorschläge bei Köstler/Kittner/Zachert/Müller (Fn. 19), Rz. 322 ff.
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tend an und kehrt sie häufig sogar in ihr Gegenteil um43. Das gilt insbesondere für den Bereich des Gesellschaftsrechts, bei dem darauf abgestellt wird, dass die Gesellschafter jedenfalls eine Organisationsstruktur schaffen wollten, die als solche – wenn es sich vermeiden lässt – nicht zerschlagen werden soll44. So kann der Wille der Gesellschafter dahin gehen, nach einer Umstrukturierung das bislang praktizierte Modell der paritätischen Arbeitnehmerbeteiligung weiterzuführen. Dann entspricht es sicherlich nicht dem Parteiwillen, die Wahl des gesetzlich vorgeschriebenen Drittels der Aufsichtsratsmitglieder nach dem DrittelbG durchzuführen und für das verbleibende (freiwillige) Sechstel eine Wahl nach den Vorschriften des MitbestG zu organisieren. Die Folge einer entsprechenden nur teilweisen Nichtigkeit wäre ein enorm zeitund kostenintensives doppeltes Wahlverfahren, dessen Durchführung jenseits aller unternehmerischen Vernunft liegen würde. Die Satzung ist in solchen Fällen aufgrund der Nichtigkeit der Besetzungsklausel lückenhaft. Die bestehende Vertragslücke ist dahingehend zu schließen, dass ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder nach den Vorschriften des DrittelbG zu wählen ist. Hinsichtlich des verbleibenden Sechstels bleibt es dagegen bei der Bestellungskompetenz der Gesellschafterversammlung, die Aufsichtsratsmitglieder jedoch aus den Reihen der Belegschaftsmitglieder auszuwählen hat. Sachgerecht dürfte es freilich sein, vor der nächsten anstehenden Wahl durch Satzungsänderung eine gesetzeskonforme Regelung einzuführen. g) Ergebnis Zusammenfassend ist damit festzuhalten ist, dass Satzungsbestimmungen, die einen Teil der Aufsichtsratssitze Vertretern der Arbeitnehmer vorbehalten, grundsätzlich wirksam sind. Unzulässig ist es demgegenüber, für eine dem DrittelbG unterfallende Gesellschaft eine Wahl aller Arbeitnehmervertreter nach dem MitbestG vorzuschreiben. 3. Gesellschaftsrechtliche Schranken für mitbestimmungserweiternde Satzungsänderungen in einer GmbH Schranken für die Verankerung von Mitbestimmungsrechten in der Satzung können sich aus der Gesellschafterstruktur ergeben. So können die über die Treuepflicht zu berücksichtigenden Interessen von Minderheitsgesellschaftern im Einzelfall dazu führen, dass eine freiwillige Verankerung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer in der Satzung nur durch einstimmigen Beschluss erfolgen kann. Das gilt insbesondere, wenn die Abtretung von Aufsichtsratssitzen an die Arbeitnehmer dazu führt, dass der Minderheitsgesellschafter kei-
__________ 43 Busche in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 139 BGB Rz. 2. 44 BGHZ 107, 351, 355 ff.; BGH, DB 1976, 2106 f.; OLG Hamburg, NJW 1990, 3024, 3025.
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nen Aufsichtsratssitz besetzen kann45. Unabhängig davon wird man bei durch Mehrheitsbeschluss eingeführten mitbestimmungserweiternden Satzungsänderungen den Fremdeinfluss stets auf die quasi-paritätische Mitbestimmung des MitbestG 1976 beschränken müssen. Weitergehende Formen eines Verzichts auf Entscheidungsbefugnisse können von den Gesellschaftern selbst zeitlich begrenzt46 durch Satzungsänderung allenfalls einstimmig festgelegt werden47.
V. Die Änderung von mitbestimmungserweiternden Satzungsregelungen einer GmbH 1. Grundsatz: Satzungsautonomie Satzungsregelungen, in denen Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern verbürgt sind, können nach den allgemeinen Regeln abgeändert werden. Eine Regelung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates hat korporativen Charakter. Es handelt sich damit um einen „echten Satzungsbestandteil“48, dessen Änderung sich nach § 53 Abs. 2 GmbHG richtet. Erforderlich ist demnach ein mit einer Mehrheit von drei Vierteln gefasster Gesellschafterbeschluss. Darüber hinausgehende gesellschaftsrechtliche Beschränkungen bestehen nicht. So wird etwa selbst die Abschaffung eines fakultativen Aufsichtsrates durch Satzungsänderung für zulässig angesehen, ohne dass es hierfür eines wichtigen Grundes oder der Zustimmung aller Gesellschafter bedürfte49. Die Gesellschafterversammlung kann damit grundsätzlich jederzeit den Gesellschaftsvertrag ändern und eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Zusammensetzung des Aufsichtsrates vorsehen bzw. die Arbeitnehmerbeteiligung auf die Mitbestimmungsrechte des DrittelbG beschränken. 2. Einschränkungen durch verbindliche Mitbestimmungsvereinbarungen a) Formale Anforderungen Bindungswirkungen hinsichtlich der Satzungsgestaltung oder der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern können sich aus dem Abschluss eines Stimmbindungsvertrages ergeben. Ein solcher bedarf zwar keiner besonderen Form50. Es muss aber doch erkennbar zu einer vertraglichen Verpflichtung mit beiderseitigem Rechtsbindungswillen kommen. Einseitige Äußerungen von alleinvertretungsberechtigten Mitgliedern der Geschäftsführungsorgane der Gesell-
__________ 45 Zur Bedeutung der Interessen der Minderheitsaktionäre vgl. Henssler, ZfA 2000, 241, 262. 46 Zur Unzulässigkeit dauerhafter Mitbestimmungserweiterungen s. V. 2.c). 47 Hommelhoff, ZHR 148 (1984), 118, 132; Lutter/Hommelhoff (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 25; Ihrig/Schlitt, NZG 1999, 333, 336. 48 Dazu Zöllner/Noack (Fn. 27), § 53 GmbHG Rz. 20. 49 Zöllner/Noack (Fn. 27), § 52 GmbHG Rz. 29; Zimmermann in Rowedder/SchmidtLeithoff (Fn. 32), § 53 GmbHG Rz. 28; Großfeld/Brandies, AG 1987, 293, 294. 50 OLG Köln, GmbHR 2003, 416; Zöllner/Noack (Fn. 27), § 47 GmbHG Rz. 113.
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schaft, die etwa auf Betriebsversammlungen abgegeben werden, genügen diesen Anforderungen nicht. b) Zuständigkeit Die Satzungsgestaltung obliegt in der GmbH ausschließlich den Gesellschaftern, die als die eigentlichen Träger der Verbandsautonomie anzusehen sind, auch wenn sich ihre Willensbildung mittels des Organs der Gesellschafterversammlung vollzieht51. Auch der Abschluss einer statusbegründenden Mitbestimmungsvereinbarung bedarf damit grundsätzlich der Zustimmung der Gesellschafter. Das für die Führung der laufenden Geschäfte zuständige Organmitglied hat keine Befugnisse, gegenüber der Belegschaft entsprechende Zusagen abzugeben. Wie der Aufsichtsrat der von ihm geleiteten Gesellschaft zu besetzen ist, entzieht sich der Einflussnahme ihres Geschäftsführers. Anders gelagert ist die rechtliche Qualifikation von Erklärungen, die im Rahmen von Konzernverbindungen vom Geschäftsführungsorgan der das Unternehmen beherrschenden Gesellschaft abgegeben werden. Die Zuständigkeit für die Ausübung der Gesellschafterrechte in einer Konzerntochtergesellschaft obliegt der Geschäftsführung der Muttergesellschaft52. Insofern sind Vorstand bzw. Geschäftsführer der Muttergesellschaft auch für die Gestaltung der Satzung der Tochtergesellschaft zuständig. Die Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung der Muttergesellschaft kann freilich jederzeit die Entscheidung über wichtige Konzernmaßnahmen wieder an sich ziehen. Dementsprechend wird auch in der GmbH in analoger Anwendung des § 293 Abs. 2 AktG für den Abschluss eines Unternehmensvertrages mit einem Tochterunternehmen ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter der Muttergesellschaft für erforderlich gehalten53. Auch für die Ausgründung wichtiger Unternehmensteile in Konzerntöchter hat der BGH in der berühmten Holzmüller-Entscheidung54 eine Mitwirkung der Hauptversammlung für geboten erachtet. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des LG Frankfurt55, der zufolge generell bei grundlegenden Strukturentscheidungen über die Bildung und Leitung einer Konzerntochter die Zuständigkeit der Hauptversammlung zu bejahen ist.
__________ 51 Zöllner/Noack (Fn. 27), § 53 GmbHG Rz. 3; vgl. ferner Hüffer in Hachenburg (Fn. 30), § 46 GmbHG Rz. 74; Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 33), § 6 GmbHG Rz. 49; ders. in Scholz (Fn. 29), § 38 GmbHG Rz. 24 f., § 52 GmbHG Rz. 136; für die Zulässigkeit einer Kompetenzverlagerung auf Dritte dagegen Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff (Fn. 32), § 6 GmbHG Rz. 25, 28; Heyder in Michalski, GmbHG, 2002, § 6 GmbHG Rz. 60; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 6 GmbHG Rz. 27. 52 Zöllner in Baumbach/Hueck (Fn. 27), Schlussanhang Rz. 57. 53 BGHZ 105, 324, 333; OLG Zweibrücken, AG 1999, 328; Zöllner (Fn. 52), Schlussanhang Rz. 57. 54 BGHZ 83, 122 – Holzmüller. 55 LG Frankfurt, AG 1998, 45.
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Folgt man diesem Ansatz, dann liegt es nahe, auch die Entscheidung über eine atypische Gestaltung der Binnenorganisation der Tochtergesellschaft, die mit einem Verlust von Einflussmöglichkeit der Mutter auf das Tochterunternehmen einhergeht, als strukturändernde Maßnahme anzusehen, für die es der Zustimmung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung der Konzernobergesellschaft bedarf56. Die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeit des Geschäftsführungsorgans der Konzernobergesellschaft ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn die Mitbestimmungserweiterung nicht nur für eine kurze Übergangsbzw. Anpassungszeit versprochen wird. Anhaltspunkte liefert insoweit § 325 UmwG, der von einer fünfjährigen Übergangszeit ausgeht. Längerfristige Stimmrechtsbindungen führen zu tiefen Eingriffen in die Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner des konzernbeherrschenden Unternehmens57. c) Dauerhafter Entzug von Zuständigkeiten? Wirken die Gesellschafter an der Mitbestimmungsvereinbarung mit, so sind auch Mitbestimmungsvereinbarungen denkbar, die über die Amtszeit eines Aufsichtsrates hinausgehen. Eine dauerhafte Einschränkung der Satzungsautonomie durch Verträge mit Dritten ist dagegen selbst bei einstimmigen Entscheidungen nicht möglich. Die Gesellschafter können auf ihre Befugnisse nicht dauerhaft verzichten. Vielmehr muss die Gesellschaft die Selbstbestimmung durch die Gesellschafter wahren58. Eine dauerhafte Beschränkung der Befugnis der Gesellschafterversammlung, die Zusammensetzung des Aufsichtsrates durch die Satzung zu regeln, wäre mit der Verbandsautonomie nicht zu vereinbaren. Da es um die Binnenstruktur der Gesellschaft geht, sind der Wirksamkeit von Absprachen zwischen Gesellschaft und Dritten enge Grenzen gesetzt. Dritte haben grundsätzlich kein schützenswertes Interesse daran, auf die Binnenstruktur der Gesellschaft längerfristig Einfluss zu nehmen. Auch diejenigen Stimmen des Schrifttums, die es für zulässig erachten, dass Dritten Bestellungskompetenzen etwa hinsichtlich der Geschäftsführung oder der Aufsichtsratsmitglieder zugewiesen werden, weisen zur Rechtfertigung ihrer Auffassung darauf hin, dass die Gesellschafter ja befugt seien, die Satzung ohne Zustimmung des betreffenden Dritten wieder zu ändern59. Soweit ersichtlich findet sich in der aktuellen Kommentarliteratur keine Stimme, die eine dauerhafte, durch Satzungsänderung nicht beeinflussbare Verlagerung von zentralen innergesellschaftlichen Kompetenzen auf Dritte für zulässig erklärt.
__________ 56 Vgl. hierzu Hommelhoff, ZHR 184 (1984), 118, 143 ff. (die Zustimmungsbedürftigkeit der Einführung der Montanmitbestimmung in einer Konzerntochter bejahend; offen lassend den Fall der Aufstockung von der Drittelbeteiligung zur Parität, S. 144); Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 96 AktG Rz. 19; zum aktuellen Meinungsstand vgl. nur Fleischer, DB 2005, 759; Götz, ZGR 1998, 524; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 71 ff., 236 ff.; Zöllner (Fn. 52), Schlussanhang Rz. 159. 57 Tendenziell enger Hommelhoff, ZHR 184 (1984), 118, 144. 58 So auch Zöllner/Noack (Fn. 27), § 46 GmbH Rz. 97. 59 Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 27), § 6 GmbHG Rz. 20.
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d) Kündigungsmöglichkeiten bei unbefristeten Mitbestimmungsvereinbarungen Sieht die zwischen der Gesellschaft und den Vertretern der Arbeitnehmerinteressen geschlossene Vereinbarung keine feste Laufzeit vor, so folgt aus den vorstehenden Überlegungen, dass diese Absprachen nicht als dauerhafte Bindungen zu verstehen sind. Möglich bleibt in jedem Fall die außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB. Unbefristete Mitbestimmungsvereinbarungen sind als Dauerschuldverhältnisse im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren60. Nach allgemeinen schuldrechtlichen Prinzipien steht beiden Parteien außerdem ein Recht zur ordentlichen Kündigung zu. Das Recht zur ordentlichen, d. h. zwar an keinen Grund, wohl aber an eine angemessene Frist gebundenen Kündigung ist ebenfalls jedem unbefristeten Dauerschuldverhältnis immanent. Nur soweit aus Schutzerwägungen – wie im Mietrecht und im Arbeitsrecht – besondere Kündigungsgründe ausdrücklich normiert werden, lassen sich entsprechende Einschränkungen des Rechts zur ordentlichen Kündigung rechtfertigen. Sieht der Vertrag keine Kündigungsfrist vor, so muss im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die jeweils angemessene Kündigungsfrist ermittelt werden. Dass Arbeitnehmerschutzüberlegungen bei Mitbestimmungsvereinbarungen einer ordentlichen Kündigung nicht entgegenstehen, verdeutlicht bereits die Regelung in § 77 Abs. 5 BetrVG. Danach können Betriebsvereinbarungen, denen im Gegensatz zu Mitbestimmungsvereinbarungen sogar normativer Charakter zukommt, jeweils mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt werden. Mit guten Gründen wird diese Regelung der ordentlichen Kündigung von der ganz h. M. auf unbefristete Tarifverträge entsprechend angewendet61. Das Tarifrecht ist der vorliegenden Konstellation insoweit vergleichbar, als es dort zwar sogar eine gesetzliche Regelung im TVG gibt, dieses Gesetz aber zur Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung und der angemessenen Frist schweigt. Das TVG geht vielmehr davon aus, dass sich die Beendigungsmöglichkeiten nach dem allgemeinen Schuldrecht richten. Wird aber dort die ordentliche Kündigung für zulässig erachtet und an eine Drei-Monats-Frist gekoppelt, so drängt es sich geradezu auf, diese Frist im Wege der Analogie auf Mitbestimmungsvereinbarungen zu erstrecken. Diese Analogie stellt sicher, dass in den drei zentralen Gebieten des kollektiven Arbeitsrechts, Tarifrecht, Betriebsverfassungsrecht und Unternehmensmitbestimmung, für die jeweils wichtige Form der Kollektivvereinbarung eine einheitliche Frist gilt, ein sachgerechtes und systematisch überzeugendes Ergebnis.
__________ 60 Vgl. zu den Voraussetzungen Gaier in MünchKomm.BGB, 7. Aufl. 2007, § 314 BGB Rz. 5 f. 61 Henssler (Fn. 40), § 1 TVG Rz. 24; Wank in Wiedemann, TVG, 7. Aufl. 2007, § 4 TVG Rz. 22; Stein in Kempen/Zachert, TVG, 4. Aufl. 2006, § 4 TVG Rz. 132.
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VI. Die Öffnung des Mitbestimmungsrechts für Vereinbarungen durch das MgVG Nachdem der europäische Gesetzgeber die Europäische Gesellschaft (SE) und die Europäischen Genossenschaft (SCE) auf den Weg gebracht hat, wurde vom Rat mit der am 26.10.2005 verabschiedeten Richtlinie 2005/56/EG62 nunmehr auch die Rechtsangleichung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen vorangetrieben. Die europäischen Gesetzgebungsverfahren auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts weisen augenfällige Parallelen auf. Wie schon zuvor bei der SE war während des Gesetzgebungsverfahrens zur Verabschiedung der Verschmelzungsrichtlinie der Zankapfel erneut die Arbeitnehmerbeteiligung63. Mit der Einigung über die Mitbestimmung der SE lag allerdings ein Modell vor, dessen Vorbildfunktion eine Einigung über die Richtlinie 2005/56/EG erleichterte. Die Kommission und der Wirtschafts- und Sozialausschuss waren darauf bedacht, an dem Konzept der SE-Richtlinie möglichst nicht zu rühren, um den darin enthaltenen, wenig belastbaren Kompromiss zu erhalten64. Gleichwohl enthält Art. 16 Richtlinie 2005/56/EG auch Abweichungen von der SE-Richtlinie. Sie beruhen darauf, dass aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung keine europäische, sondern eine nationale Gesellschaft hervorgeht. Daher soll für die Verschmelzung soweit als möglich das nationale Recht gelten, damit die den Akteuren vertrauten Regelungen Anwendung finden65. Darüber hinaus haben die Erfahrungen mit der Umsetzung der SE-Richtlinie zu Korrekturen Anlass gegeben66. Bei der Umsetzung der Richtlinie 2005/ 56/EG hat der deutsche Gesetzgeber die gesellschaftsrechtlichen Änderungen und die Arbeitnehmerbeteiligung separat geregelt. Bereits im Dezember 2006 ist das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) in Kraft getreten67. Im März 2007 folgte das Zweite Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes (UmwÄndG)68 mit seinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Die Richtlinie 2005/56/EG bringt für das deutsche Mitbestimmungsrecht eine wichtige Neuerung69. Zwar kennen auch die SE und die SCE die Gründungsform der Verschmelzung. Während bei ihnen allerdings aufgrund der Verschmelzung neue supranationale Rechtsformen entstehen, kommt es bei der
__________ 62 ABl. EG v. 25.11.2005 Nr. L 310, S. 1. 63 Vgl. zur Entstehungsgeschichte: Heuschmid, AuR 2006, 184, 185; Nagel, NZG 2006, 97; Neye, ZIP 2005, 1893, 1893. 64 Begründung des Kommissionsvorschlags v. 18.11.2003, 2003/0277 (COD), S. 4; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 28.4.2004, ABl. EG Nr. C 117 v. 30.4.2004, S. 43, 45. 65 Vgl. Erwägungsgrund 3 Richtlinie 2005/56/EG. 66 S. insbesondere Art. 16 Abs. 4 lit. a Richtlinie 2005/56/EG. 67 Gesetz zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten v. 21.12.2006. BGBl. I, S. 3332. 68 V. 19.4.2007, BGBl. I, S. 542. 69 Dazu Schubert, RdA 2007, 9; Heuschmid, AuR 2006, 184; Nagel, NZG 2006, 97; Neye, ZIP 2005, 1893.
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Verschmelzung im Sinne der neuen Richtlinie (nur) zur Gründung einer im Sitzstaat der entstehenden Gesellschaft bereits bekannten Rechtsform. Da auch die Richtlinie sich zum Vorrang der Verhandlungslösung bekennt, eröffnet sie damit erstmals die Möglichkeit, selbst in einer deutschen AG oder GmbH mit mehr als 2000 Arbeitnehmern die derzeit absolut zwingenden Regelungen des MitbestG 1976 bzw. des DrittelbG zu vermeiden und über Verhandlungen mit den Arbeitnehmern ein abweichendes Modell der Mitbestimmung einzuführen. Führt die Vereinbarung über die Mitbestimmung zu einer Minderung der bisherigen Beteiligungsrechte in der deutschen, aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft, so bedarf es einer doppelten 2/3 Mehrheit: 2/3 der Mitglieder des Verhandlungsgremiums, die zugleich 2/3 der Arbeitnehmer aus mindestens zwei Mitgliedstaaten repräsentieren müssen, müssen dem Verhandlungsergebnis zustimmen (§ 17 MgVG). Die einfache Mehrheit genügt, wenn weniger als 75 % der Arbeitnehmer der bisherigen (deutschen) Mitbestimmung unterlagen (§ 17 Abs. 3 MgVG)70. Kommt es zu keiner Einigung, so greift entsprechend dem von der SE-Regelung bekannten Vorbild eine gesetzliche Auffangregelung. Anders als bei SE und SCE setzt die Anwendbarkeit eines Mitbestimmungsmodells voraus, dass dieses für mindestens ein Drittel der Gesamtbelegschaft gilt. Im Falle einer Verschmelzung auf eine in Deutschland ansässige Gesellschaft deutscher Rechtsform wird diese Voraussetzung zwar regelmäßig erfüllt sein. Angesichts der Auslagerungstendenzen und der wachsenden ausländischen Belegschaften deutscher Unternehmen ist dies aber keine Selbstverständlichkeit. Es ist durchaus denkbar, dass keines der schutzintensiven Mitbestimmungsmodelle für größere Belegschaften greift, so etwa wenn die Produktion – wie etwa in der Textil- oder Sportschuhindustrie – überwiegend in sog. „Billiglohnländern“ erfolgt. In solchen Fällen entscheidet das Verhandlungsgremium. Fehlt dort die Fähigkeit zur Einigung, so gilt das nationale Recht der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft im Anwendungsbereich des MgVG, also regelmäßig das deutsche Mitbestimmungsrecht (§ 4 MgVG)71. De facto ist damit die deutsche Unternehmensmitbestimmung in beide Richtungen verhandlungsoffen: Nach geltendem Recht kann der schlichte Erwerb einer Gesellschaft aus dem EU-Ausland zum Anlass für eine Verschmelzung und damit zur Einleitung eines entsprechenden Verhandlungsverfahrens genommen werden. Nichts einzuwenden ist auch gegen den Vorrang der Verhandlungslösung bei der Verschmelzung einer zuvor im EU-Ausland gegründeten Tochtergesellschaft auf eine deutsche Muttergesellschaft. Eine Umgehungskonstruktion kann hierin schon deshalb nicht gesehen werden, weil die Öffnung für Verhandlungslösungen eine auch das deutsche Recht beeinflussende Wertung des europäischen Gesetzgebers ist. Die schutzbedürftigen Belange der Arbeitnehmer sind hinreichend durch die geschilderten Schutzmechanismen gewahrt. Für international ausgerichtete Unternehmen wie etwa SAP, die
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70 Zum Ganzen Schubert, RdA 2007, 9, 13 f. 71 Dazu Drinhausen/Keinath, RIW 2006, 81, 86.
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eine für Verhandlungen offene Belegschaft haben, ergibt sich damit eine erwägenswerte Option. Das deutsche Mitbestimmungsrecht weist damit seit Inkrafttreten des MgVG eine weitere Widersprüchlichkeit auf. Die durch europäische Richtlinien erzwungene Dispositivität der mitbestimmungsrechtlichen Normen ist eine Entwicklung, die unumkehrbar ist. Es bedarf nunmehr einer in sich stimmigen Neuordnung aller mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften durch generelle Öffnung für Verhandlungslösungen.
VII. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Gegen die Bestellung von Arbeitnehmervertretern durch die Gesellschafterversammlung einer GmbH bestehen keine durchgreifenden Bedenken, auch wenn dadurch das gesetzlich vorgeschriebene Mitbestimmungsniveau erweitert wird. 2. Anders als in der AG und der KGaA ist die freiwillige Erweiterung der Unternehmensmitbestimmung in der Satzung einer GmbH grundsätzlich als wirksam anzusehen. 3. Grundsätzlich können zwar persönliche Rechte Dritter nicht durch Satzungsregelungen begründet werden. Das Konzept der Verhandlungslösung, das den Mitbestimmungsregelungen in SEBG, SCEBG und MgVG zugrunde liegt, verdeutlicht aber, dass der deutsche Gesetzgeber diesen Grundsatz für Mitbestimmungserweiterungen durchbrochen hat. Satzungsregelungen, die der Inkorporierung von entsprechenden Mitbestimmungsvereinbarungen mit Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertretern dienen, haben danach die gleiche rechtliche Verbindlichkeit, wie Satzungsklauseln, die gesetzliche Mitbestimmungsregeln umsetzen. 4. Nicht im Einklang mit dem Gesetz stehen Satzungsbestimmungen, denen zufolge der Aufsichtsrat einer dem DrittelbG unterfallenden Gesellschaft nach dem MitbestG 1976 zu besetzen ist. Solche Regelungen missachten die zwingende Geltung des vom MitbestG in zentralen Fragen abweichenden DrittelbG für das gesetzlich vorgeschriebene Drittel der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer. 5. Das Verfahren zur Auswahl der (zusätzlichen) Arbeitnehmervertreter kann in der Satzung festgelegt werden, soweit die Wahl der gesetzlich durch das DrittelbG vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreter unangetastet bleibt. 6. Eine dauerhafte Beschränkung der Befugnis der Gesellschafterversammlung, die Zusammensetzung des Aufsichtsrates durch die Satzung zu regeln, ist mit der Verbandsautonomie nicht zu vereinbaren; entsprechende Klauseln in Mitbestimmungsvereinbarungen sind daher unwirksam. 7. Unbefristete Mitbestimmungsvereinbarungen zwischen der Gesellschaft und Gewerkschaft bzw. Betriebsrat sind in analoger Anwendung des auch für Tarifverträge geltenden § 77 Abs. 5 BetrVG mit einer Frist von drei Monaten ordentlich kündbar. 1037
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8. Seit Inkrafttreten des MgVG ist de facto die deutsche Mitbestimmung in beide Richtungen vereinbarungsoffen. Über die Verschmelzung einer ausländischen Tochtergesellschaft auf sich selbst kann ein deutsches Mutterunternehmen nunmehr mit der Belegschaft eine von den einschlägigen deutschen Mitbestimmungsmodellen abweichende Form der Arbeitnehmerbeteiligung vereinbaren. Eine Anpassung der älteren deutschen Mitbestimmungsregelungen im MontanMitbestG, MitbestG 1976 und DrittelbG ist überfällig.
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Modernisierung der Unternehmensleitung und -kontrolle* Inhaltsübersicht I. Einführung: Diskussionsansätze zur Reform der Unternehmensleitung II. Stärkung der Rolle der nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitglieder 1. Die Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 2. Konsequenzen für Gesellschaften mit Paketaktionären und einem mitbestimmten Aufsichtsrat 3. Interessenkonflikte im Aufsichtsrat illustriert anhand der Rolle der Banken in feindlichen Übernahmesituationen und am Beispiel von Arbeitskampfmaßnahmen 4. Anmerkungen zum deutschen System der Mitbestimmung
III. Drei ausstehende Reformmaßnahmen: Vergütung, Haftung und Organisationsfreiheit 1. Vergütung der Unternehmensleitung: Deutsche Erfahrungen und europäische Maßnahmen 2. Verantwortlichkeit der Mitglieder der Unternehmensleitung für Finanzinformationen: Europäische Agenda und Stand in den Mitgliedstaaten 3. Organisatorische Wahlfreiheit für Gesellschaften zwischen monistischem und dualistischem System 4. Ausblick: Corporate Governance von institutionellen Investoren
I. Einführung: Diskussionsansätze zur Reform der Unternehmensleitung Der Diskurs zur Reform der Leitungs- und Kontrollorgane von Gesellschaften lässt sich aus unterschiedlichster Perspektive führen. Drei mögliche Ansätze erscheinen besonders reizvoll. Zum einen wäre es lohnend, die vielfältigen bereits in Kraft getretenen oder auf dem Weg befindlichen Maßnahmen zur Reform der Unternehmensleitung (board reform) zu untersuchen, die derzeit nicht nur in den USA und in der Europäischen Union, sondern global auf der Agenda stehen. Aus dieser Sicht wird vor allem der hohe Grad an Konvergenz der Rechtsordnungen und ihrer gegenseitigen Beeinflussung deutlich. In mancher Hinsicht lässt diese Beobachtung jedoch Zweifel aufkommen. Zum Einen ist schon fraglich, ob es sich hierbei um Folgen eines Lernprozesses handelt oder ob die Konvergenz auf schlichter Imitation beruht. Zum Anderen ist unsicher, ob einem in einer bestimmten Rechtsordnung erprobten Regelungsinstrument nach der Transfor-
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* Der Beitrag ist Harm Peter Westermann, dem langjährigen Freund und Kollegen, gewidmet. Er geht auf einen Vortrag vor dem Irish European Law Forum: Enhancing Corporate Governance in Europe in Dublin am 10.12.2005 zurück, dessen Teilnehmern ich für ihre Anregungen danke.
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mation in einer anderen Rechtsordnung noch die gleiche Bedeutung zukommt – ganz zu Schweigen von der Frage, ob sich die gleichen unmittelbaren und mittelbaren Regelungswirkungen einstellen. Ein schönes Beispiel für den über die Europäische Union hinausweisenden Einfluss europäischer Ideen ist der in der Russischen Föderation diskutierte Entwurf eines Gesellschaftsrechtsreformgesetzes, der wichtige Maßnahmen zur Reform der Unternehmensleitung enthält und in erheblichem Maße vom Aktionsplan Gesellschaftsrecht der Europäischen Kommission geprägt ist. Angesichts der Tatsache, dass das moderne russische Gesellschaftsrecht in wesentlichen Punkten unter amerikanischem Einfluss steht und etwa nach den Ideen Reinier Kraakmans und Bernard Blacks geformt ist, ist dies sehr bemerkenswert. Es könnte die Vermutung nahelegen, dass europäisches Rechtsgedankengut im Lichte der russischen Reformtradition seit Peter dem Großen auch heute noch näher liegt als manches amerikanische. Die gegenwärtigen in der rechtspolitischen Diskussion in Europa befindlichen Reformschritte umfassen unter anderem die Stärkung der Unabhängigkeit der Mitglieder des Kontrollorgans und zugleich die Verbesserung ihres Kenntnisstandes über die Gesellschaft – was nicht selten der Quadratur des Kreises gleichkommen wird; die Schaffung geeigneter Anreizstrukturen für die Unternehmensleitung, insbesondere hinsichtlich deren Vergütung; die Intensivierung der Pflichten und der Haftung der Mitglieder des Leitungsorgans, insbesondere im Hinblick auf Finanzinformationen; die Verbesserung der Struktur der Leitungsorgane entweder durch zwingendes Recht und/oder über mehr Satzungsfreiheit für die Gesellschaften; die Aktivierung der Beteiligung der Aktionäre in der Hauptversammlung und an der zumindest mittelbaren Kontrolle über die Unternehmensleitung und die Verbesserung der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat mit Hilfe der Wirtschaftsprüfer. Eine interessante Alternative hierzu böte die Diskussion der Reform der Leitungsorgane unter einem ökonomischen und regulierungstheoretischen Ansatz. Gérard Hertig hat dies auf der vom ECGI und der Oxford Review of Economic Policy im Januar 2005 in Oxford veranstalteten Konferenz zur Corporate Governance vorgeführt. Dabei hat Hertig zu Recht auf zwei Regulierungsprobleme besonders hingewiesen. Das erste ist die Tendenz, Reformen der Unternehmensleitung über denselben Leisten zu schlagen und in allzu großer Detailtiefe zu stricken. Das zweite Problem liegt in der Gefahr, dass Aufsichtsbehörden, ob staatlich oder selbstverwaltend, entweder in den Bannkreis der auf Skandale (über)reagierenden Politik oder der zu beaufsichtigenden Branche geraten. Letzterenfalls gerät die Regulierung in Abhängigkeit von Partikularinteressen, sog. regulatory capture. Hertigs Schlussfolgerung ist, dass zu detaillierte Vorgaben durch Reformgesetze und Kodizes der falsche Ansatz seien. Stattdessen solle auf die Intervention seitens der institutionellen Investoren gebaut und die gerichtliche ex post-Kontrolle gestärkt werden. Trotz des Reizes dieses Konzepts stellen sich dabei doch drei Probleme. Die institutionellen Investoren spielen derzeit noch in vielen kontinentaleuropäischen Ländern wie etwa Deutschland, ganz anders als in England und den 1040
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Vereinigten Staaten, nur eine sehr untergeordnete Rolle. Das beginnt sich allerdings zu ändern. Es ist offenkundig, dass künftig die staatlichen Altersvorsorgesysteme zumindest teilweise privatisiert werden müssen. Das wird dazu führen, dass das Investitionsvolumen in Wertpapiere größer wird und die Intermediärsfunktion der institutionellen Investoren an Bedeutung gewinnt. Zweitens steckt die Diskussion der Corporate Governance bezogen auf die institutionellen Anleger selbst (nicht nur in ihrer Rolle bei der Corporate Governance von Aktiengesellschaften) noch immer in ihren Kinderschuhen, worauf Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler seit Jahren hinweisen. Schließlich trifft es gewiss zu, dass ein Ansatz, der auf die Vorgabe nicht zu detaillierter Prinzipien (principle based) in Verbindung mit einer richterlichen ex postKontrolle baut, wesentlich mehr Flexibilität erlaubt und zielgerichtete Problemlösungen ermöglicht. Allerdings, und das ist der kritische Punkt, setzt dies eine gut ausgebildete und gut bezahlte Richterschaft und Justiz voraus, deren Aufbau in Reformstaaten viele Jahre in Anspruch nimmt und oft nicht bloß eine einfache Gerichtsreform, sondern eine komplette Systemreform erfordert. Wie Reformerfahrungen zeigen, stellt dies einzelne osteuropäische und zentral- und ostasiatische Länder oft vor kaum lösbare Probleme. Hier sei ein dritter Weg gewählt, der es erlaubt, einige persönliche Kenntnisse und Erfahrungen mit europäischen Reformaktionen einzubringen. Dabei sollen eine Reihe von Empfehlungen und bereits in Aussicht genommene Maßnahmen der Europäischen Kommission diskutiert und Kernpunkte der Reform der Unternehmensleitung aus deutscher Perspektive betrachtet werden. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass sich das deutsche System in wesentlichen Punkten wie etwa der Zweigliedrigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat oder der Arbeitnehmermitbestimmung von anderen Rechtsordnungen unterscheidet und diesbezügliche Reformen nur sehr schwer möglich sind. Der Beitrag gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten geht es um die Rolle der unabhängigen, nicht geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrates (Direktoren) bzw. der unabhängigen Aufsichtsräte und die Konsequenzen ihrer Unabhängigkeit für Gesellschaften mit Paketaktionären und einem mitbestimmten Aufsichtsrat. Im zweiten werden drei besonders drängende Probleme der europäischen Reformdiskussion aufgegriffen: die Vergütung der Unternehmensleitung, die Verantwortlichkeit der Mitglieder der Unternehmensleitung für Finanzberichte und die freie Wahl zwischen der ein- und zweigliedrigen Organisation der Leitungsorgane, also zwischen der Verwaltungsratsstruktur einerseits und Vorstand und Aufsichtsrat andererseits.
II. Stärkung der Rolle der nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitglieder 1. Die Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 Der Aktionsplan Gesellschaftsrecht sieht vor, Mindestanforderungen hinsichtlich der Einsetzung, Zusammensetzung und künftigen Rolle der Nominierungs-, Vergütungs- und Prüfungsausschüsse auf EU-Ebene festzulegen und 1041
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durch die Mitgliedstaaten zumindest in Form einer comply-or-explain-Regelung umsetzen zu lassen. Die Europäische Kommission hat hierzu mittlerweile eine Empfehlung zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren (monistisches System) bzw. von Aufsichtsratsmitgliedern (dualistisches System) börsennotierter Gesellschaften vorgelegt. Diese Empfehlung vom 15.2.2005 sieht vor, dass die Mehrheit der Mitglieder der drei Kernausschüsse mit unabhängigen, nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern zu besetzen ist, und legt die Anforderungen an die Unabhängigkeit weitgehend fest. In Anhang II wird ein Leitbild des unabhängigen Mitglieds der Unternehmensleitung dargestellt, das bei einem Kernbestand von neun Fallkonstellationen zur Versagung der Einstufung als unabhängig führt. Für eine Reihe kontinentaleuropäischer Staaten inklusive Deutschland sind dabei die folgenden vier Fälle einschneidend: Die betreffende Person darf erstens kein geschäftsführendes Verwaltungsratsbzw. Vorstandsmitglied der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft sein, und sie darf in den vergangenen fünf Jahren kein solches Amt ausgeübt haben. Sie darf zweitens keinesfalls ein Anteilseigner mit einer Kontrollbeteiligung sein oder einen solchen vertreten, wobei sich die Kontrolle nach Maßgabe der Siebten Richtlinie bestimmt. Drittens darf die betreffende Person zu der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft kein Geschäftsverhältnis in bedeutendem Umfang unterhalten oder im letzten Jahr unterhalten haben, und schließlich darf die betreffende Person in der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft nicht als Arbeitnehmer beschäftigt sein und auch in den vergangenen drei Jahren nicht als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sein. 2. Konsequenzen für Gesellschaften mit Paketaktionären und einem mitbestimmten Aufsichtsrat Diese Empfehlungen der Europäischen Kommission sind in Deutschland auf große Skepsis gestoßen. Das Bestehen von Geschäftsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Aufsichtsrats bzw. Gesellschaften, in denen diese Führungsfunktionen wahrnehmen, ist geradezu typisch für deutsche Gesellschaften und deren Aufsichtsräte. Gleiches gilt für die Besetzung von Aufsichtsratssitzen mit ehemaligen Managern, deren Sachverstand auf diese Weise von vielen Gesellschaften weiter genutzt wird. Das gilt insbesondere für die Besetzung des Aufsichtsratsvorsitzes mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, was noch immer gängige Praxis ist und bisher auch vom Deutschen Corporate Governance Kodex nur beanstandet wird, wenn es der Regelfall ist. Große Bedeutung kommt auch der in Deutschland vergleichsweise hohen Zahl an Familiengesellschaften und Gesellschaften mit Paketaktionären oder kontrollierenden Aktionären zu. Dass die Familien und Großaktionäre ihren Einfluss auf den Aufsichtsrat und die entsprechenden Sitze zu sichern versuchen, ist selbstverständlich. Weitere Aufsichtsratssitze werden, vor allem im Fall von gegenseitigen Beteiligungen, mit Geschäftspartnern besetzt. Schließlich ist die Arbeitnehmermitbestimmung zu bedenken, die die Hälfte der Aufsichtsratssitze in großen Gesellschaften den Arbeitnehmerver1042
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tretern vorbehält. Zwar belegen zahlreiche Beispiele das rasche Verblassen dieser Ausprägungen des rheinischen Kapitalismus, doch trifft die Beschreibung noch immer und gewiss noch für eine längere Zeit die Realität. Vor diesem Hintergrund kam die Befürchtung auf, dass eine verbindliche Regelung der oben genannten, die Unabhängigkeit in Frage stellenden, Fallkonstellationen nicht nur das Ende der bisherigen Möglichkeit, in verbundenen Unternehmen Kontrolle über den Aufsichtsrat auszuüben, bedeuten, sondern auch das Problem der Mitbestimmung und der Aktionärsrechte in ganz neuem Lichte erscheinen lassen würde. Von einigen Politikern und in der Presse wurde es zwar als Erfolg deutscher Lobbyarbeit in Brüssel verstanden, dass dem ursprünglichen Entwurf einiges an Schärfe genommen wurde. Zunächst bleibt es, wie von Anfang an geplant, bei einer bloßen Empfehlung. Zudem gibt es aber zwei Abmilderungen. Einerseits verbleibt die Letztentscheidung über die Kriterien der Unabhängigkeit beim Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat und andererseits werden Arbeitnehmer, die nicht zu den Führungskräften der Gesellschaft gehören und im Rahmen eines gesetzlich anerkannten Systems der Arbeitnehmervertretung, das einen angemessenen Schutz vor missbräuchlicher Entlassung und sonstiger ungerechter Behandlung bietet, in den Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat gewählt worden sind, von der Abhängigkeitsvermutung ausgenommen. Dennoch scheinen sich die Öffentlichkeit, die Politik und auch die betroffenen Kreise noch nicht darüber im Klaren zu sein, welche Bedeutung die Empfehlung selbst in der abgemilderten Form erlangen kann. Rechtliche Verbindlichkeit kommt den europäischen Empfehlungen zwar nicht zu. Doch ist die von der Europäischen Kommission in solchen Fragen verfolgte Salamitaktik allzu gut bekannt: Über eine Empfehlung wird die Diskussion im ersten Schritt auf EU-Ebene gezogen. Wird dann der Empfehlung nicht entsprochen, wird im zweiten Schritt mit einer Richtlinie nachgelegt. Davon abgesehen setzt die Empfehlung hinsichtlich der Besetzung der Unternehmensleitung mit unabhängigen Mitgliedern einen guten Corporate Governance Standard, der sich an angloamerikanischen Regelungen orientiert und in der internationalen Praxis durchsetzt. Die Nichtbefolgung der Empfehlung könnte für deutsche Gesellschaften nicht nur die Konsequenz haben, in Sachen guter Corporate Governance als rückständig zu gelten. Sollten ausländische Börsen diesen Standard zur Notierungsvoraussetzung machen, wie dies manche schon getan haben, steht zudem zu befürchten, dass sich deutsche Gesellschaften den Weg zur ausländischen Notierung versperren. Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass sich die heutige Zusammensetzung des Aufsichtsrats in Deutschland mit der Empfehlung zur Besetzung mit unabhängigen Mitgliedern nicht verträgt. Für andere kontinentaleuropäische Länder mit einem sogenannten Insidersystem (im Unterschied zum angloamerikanischen outsider-System in Gesellschaften und Kapitalmarkt) und mit Drittelmitbestimmung mag dies – wenn auch nicht in gleichem Maße – ebenso zutreffen. Die Stärkung der Unabhängigkeit der Mitglieder der Leitungsorgane ist nicht die einzige Entwicklung, die dem deutschen System Schwierigkeiten bereitet. 1043
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Interessenkonflikte in den Leitungsorganen dürften in Deutschland noch schwerer wiegen als in anderen Ländern. Verdeutlicht sei dies im Folgenden anhand zweier klassischer Beispiele einer Interessenkollision und der Reaktion des Gesetzgebers. 3. Interessenkonflikte im Aufsichtsrat illustriert anhand der Rolle der Banken in feindlichen Übernahmesituationen und am Beispiel von Arbeitskampfmaßnahmen a) Interessenkonflikte im Aufsichtsrat werden in beispielhafter Weise durch die gängige Praxis der Besetzung des Aufsichtsrates mit Bankenvertretern heraufbeschworen. Das deutsche System der Universalbanken drängt die Banken hierbei in eine Doppelrolle. Auf der einen Seite üben sie in der Hauptversammlung Vollmachtsstimmrechte aus und handeln dabei im Interesse der Aktionäre, auf der anderen Seite haben Banken in ihrer Rolle als Kreditgeber eigene Gläubigerinteressen. Für die Tätigkeit im Aufsichtsrat besteht die Gefahr, dass daraus im Einzelfall schwerwiegende Interessenkonflikte resultieren. Halten die Banken zudem noch eigene Beteiligungen an den Gesellschaften, vervielfacht dies die unterschiedlichen Bindungen und Interessenkonflikte bei der Aufsichtsratstätigkeit. Zu einem Aufsehen erregenden Fall einer derartigen Kollision wurde das geplante Übernahmeangebot von Krupp an die Aktionäre von Thyssen im März 1997. Das war einer der ersten Fälle in Deutschland, in denen die ernstzunehmende Gefahr einer feindlichen Übernahme bestand. Bemerkenswert ist der Fall jedoch vor allem aufgrund des Interessenkonflikts, in den die Deutsche Bank verstrickt war. Obwohl eines ihrer Vorstandsmitglieder ein Aufsichtsratsmandat bei Thyssen innehatte, wurde die Bank auf Seiten des Bieters Krupp mit Beratungs- und Finanzdienstleistungen tätig und war somit die erste große Bank, die feindliche Übernahmen unterstützte. Dies führte zu heftiger Kritik in der Presse und Geschäftswelt. Die Lösung dieser Interessenkonflikte sollte nicht in zwingenden, gesetzlichen Vorschriften zur Reform der Struktur und Zusammensetzung des Aufsichtsrats und insbesondere nicht in einer Unvereinbarkeitsregelung nach Art des früheren amerikanischen Glass-Steagall-Act gesucht werden. Stattdessen sind Kodizes und die gerichtliche Kontrolle von Interessenkonflikten zu stärken, um in diesem sensiblen Bereich den Feinheiten der unterschiedlichen Einzelfallkonstellationen besser gerecht werden zu können. Die derzeitige deutsche Rechtslage sieht für die Beteiligung von Banken an feindlichen Übernahmekämpfen keine Beschränkungen vor. Für die Wahrnehmung der Bankenmandate im Aufsichtsrat gilt allerdings während der Beteiligung an einer feindlichen Übernahme, dass sich Bankenvertreter nicht nur ihrer Stimme im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft enthalten müssen bzw. ein Stimmverbot greift, sondern dass sie zudem an den entsprechenden Sitzungen nicht teilnehmen dürfen. Die Teilnahme an der Beratung und selbst die bloße Anwesenheit könnte sich auf die Entscheidungsfindung des Aufsichtsrates auswirken oder jedenfalls einen dahingehenden Anschein erwecken. Das muss unter allen 1044
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Umständen vermieden werden. Dieser Weg wurde 1997 auch von Ulrich Cartellieri gewählt, seinerzeit Vertreter der Deutschen Bank im Thyssen-Aufsichtsrat, der sich für die entsprechende Sitzung des Aufsichtsrats krank meldete. Offen in Angriff genommen wurde die Gefahr von Interessenkonflikten zuerst durch die Deutsche Bank AG. Ihre Corporate Governance Grundsätze aus dem Jahre 2001 sahen vor, dass Vorstandsmitglieder keine Aufsichtsratsvorsitze außerhalb der Unternehmensgruppe wahrnehmen sollen. In diesem Grundsatz spiegelt sich ein deutlicher Trend zur Reduzierung der Bankenvertreter in deutschen Aufsichtsräten wider. Hinsichtlich der rechtlichen Bewältigung derartiger Konflikte ist die von Cartellieri gewählte Lösung für den Einzelfall möglicherweise ausreichend. Ergeben sich jedoch schwere oder nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte, die die Aufsichtsratstätigkeit in einer Art und Weise behindern, die einer Pflichtenkollision gleichkommt, sind weitergehende Schritte erforderlich. Als ultima ratio ist die Niederlegung des Amtes zu erwägen bzw. kann eine Pflicht zur Niederlegung bestehen, die erforderlichenfalls durch eine gerichtliche Abberufung realisiert werden kann. Insgesamt gilt es, Interessenkonflikte möglichst schon gar nicht entstehen zu lassen. Die Einrichtung von chinese walls wäre dazu beispielsweise geeignet. Im Zuge des Falls HRH Prince Jefri Bolkiah vs. KPMG 1998 waren chinese walls in England Gegenstand ausführlicher wissenschaftlicher Diskussion, was sie zu einem hoch entwickelten Instrument machte. Darauf kann jedoch an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Die gegenwärtige Diskussion in Deutschland beschäftigt sich mit der Frage, ob Unternehmen Aufsichtsratssitze bei Wettbewerbern mit eigenen Vertretern besetzen dürfen oder ob die Tätigkeit in Konkurrenzunternehmen eine Unvereinbarkeit mit dem Amt eines Aufsichtsrates darstellt. Die Debatte bekam nach dem jüngsten Erwerb einer neunzehnprozentigen (inzwischen weiter ausgebauten) Beteiligung der Porsche AG an Volkswagen und der Forderung nach zwei Aufsichtsratssitzen kräftigen Aufwind. In diesem Zusammenhang ist Ferdinand Piëchs Doppelrolle als Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Volkswagen und Großaktionär bei Porsche mit zu berücksichtigen Während in der Literatur teilweise angenommen wird, die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten durch Vertreter von Unternehmen, die in einer tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerbssituation stehen, führe zu einer Verletzung sowohl des Wettbewerbsrechts als auch des Gesellschaftsrechts, lässt die mehrheitliche Auffassung keinen Raum für ungeschriebene, strikte Inkompatibilitäten und favorisiert einen flexibleren, einzelfallbasierten Ansatz. Dafür lassen sich zwei Gründe anführen. Erstens führt die konsequente Anwendung der erstgenannten Ansicht zu einer beträchtlichen, nicht hinzunehmenden Rechtsunsicherheit, die aus den Schwierigkeiten der Feststellung des maßgeblichen Konkurrenzverhältnisses resultieren würde. Das gilt insbesondere für Holdinggesellschaften. Zweitens könnte eine strikte Unvereinbarkeitsregelung in Krisen- und Sanierungssituationen unerwünschte Wirkungen zeigen, da erfahrungsgemäß oft nur Wettbewerber bereit sind, sich an der Re1045
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organisation eines Unternehmens zu beteiligen. Hierfür ist die Kontrolle des finanziellen Engagements über Aufsichtsratsmandate eine Grundvoraussetzung. Selbstverständliche Grenzen setzt das Kartellrecht. b) Auch die Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat führt zur Vertretung von Drittinteressen und möglichen Interessenkollisionen im Aufsichtsrat. Exemplarisch sei an dieser Stelle der Fall Bsirske genannt. Frank Bsirske rief als Vorsitzender des Bundesvorstands von Ver.di im Dezember 2002 die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst auf den Flughäfen Frankfurt und München zu Arbeitskampfmaßnahmen auf. Zur gleichen Zeit hatte er den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitz der Lufthansa AG inne. Obwohl der Streik für die Lufthansa einen indirekten Schaden in Millionenhöhe zur Folge hatte, sah Bsirske keine Notwendigkeit, hieraus Konsequenzen für seine Aufsichtsratsarbeit zu ziehen. Die Lufthansaaktionäre waren anderer Meinung und versagten ihm in der nächsten Hauptversammlung die Entlastung. Die rechtliche Dimension dieses Falles wird höchst kontrovers diskutiert, wobei die Gräben meist zwischen Gesellschaftsrecht und Arbeitsrecht, aber auch innerhalb des Arbeitsrechts verlaufen. Gesellschaftsrechtler sind mehrheitlich der Auffassung, dass Arbeitnehmervertretern die Beteiligung an rechtmäßigen Streikmaßnahmen freisteht, auch wenn sich diese unmittelbar oder mittelbar gegen das Arbeit gebende Unternehmen richten. Eine Pflichtverletzung stellt jedenfalls die Beteiligung an illegalen Streikmaßnahmen und die Weitergabe von Informationen aus dem Aufsichtsrat an die Arbeitnehmerkreise unter Bruch der Verschwiegenheitspflicht dar, überzeugender Meinung nach aber auch der Aufruf zu einem rechtsmäßigen Streik, dessen Organisation oder jede andere aktive Unterstützung eines rechtmäßigen Streiks, die über die bloße Teilnahme hinausgeht. Die über die bloße Teilnahme hinausgehende Unterstützung untergräbt das im Aufsichtsrat für die Zusammenarbeit erforderliche gegenseitige Grundvertrauen aller Mitglieder und begründet die Gefahr einer Spaltung des Aufsichtsrats, die letztlich in der Vereitelung seiner Funktionen resultieren könnte. Auch der Mitbestimmung selbst kann das nur abträglich sein. Die rechtliche Absicherung dieses Interessenkonfliktes sollte wie in der obigen Konstellation der Bankenbeteiligung nicht über zwingende und starre Unvereinbarkeitsregelungen erfolgen, sondern Kodizes und der gerichtlichen Überprüfung der im Einzelfall auftretenden Interessenkonflikte überlassen bleiben. 4. Anmerkungen zum deutschen System der Mitbestimmung Das Modell der quasi-paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat stellt einen deutschen Sonderweg dar und ist nach deutschem Verständnis zugleich Kernelement eines demokratisch verfassten Unternehmertums. Es überrascht daher nicht, dass die wesentlichen Wurzeln der Unternehmensmitbestimmung in den Nachkriegsjahren des Ersten und Zweiten Weltkrieges liegen. Die erhebliche Beteiligung der Arbeitnehmer an der Führung des Unternehmens wird durch die Pflicht der Unternehmensleitung verstärkt, neben den Interes1046
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sen der Gesellschafter auch die Belange der übrigen Stakeholder, etwa der Arbeitnehmer oder der Öffentlichkeit, zu berücksichtigen. Aus Sicht des Unternehmens liegt der Nutzen dieses Konzeptes vor allem in der Funktion eines Frühwarnsystems für Sozialkonflikte im Unternehmen und damit als Mittel, Arbeitskampfmaßnahmen nach Möglichkeit zu verhindern. Daneben stärkt die Mitbestimmung aber auch die Vernetzung des Aufsichtsrates mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kreisen und verbessert die Fähigkeit, gegenläufige Interessen zu einem Ausgleich zu bringen. Dessen ungeachtet treten die Unterschiedlichkeit der von den beiden Aufsichtsratsgruppen vertretenen Interessen und die daraus resultierenden Kollisionen deutlich zu Tage und geben Anlass, die aufsichtsratsinterne Corporate Governance neu zu regeln. Im Gegensatz zum angloamerikanischen Ansatz des shareholder value erlaubt beispielsweise die Orientierung an den stakeholder-Interessen keine präzise Bewertung der Entscheidungen der Unternehmensleitung. Zudem kam es in der Vergangenheit insbesondere bei Übernahmetransaktionen wiederholt zu Vertraulichkeitslücken und zur Weitergabe von Insiderinformationen. Ob die nun explizit geregelte Verschwiegenheitsverpflichtung hier Abhilfe schafft, bleibt abzuwarten. Die Spaltung zwischen den Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat ist einer effizienten Kooperation mit dem Vorstand in jedem Falle abträglich. Weitere negative Folgen der Mitbestimmung sind die grundsätzlichen Probleme mit der Größe des Aufsichtsrats und mit der Einführung von Standards zur Sicherung einer angemessenen Sachkunde der Aufsichtsräte. In den Vereinigten Staaten müssen Mitglieder der Prüfungsausschüsse ihre Sachkunde im Rechnungs- und Finanzwesen und eine entsprechende Erfahrung nachweisen. In Deutschland sind über ein gewisses Grundverständnis hinausgehende Zulassungsschranken wie etwa die Forderung einer financial literacy nach amerikanischem Verständnis undenkbar. Dies würde die Gewerkschaften und Arbeitnehmer vor gravierende Personalprobleme stellen. Nach Jahren des Stillschweigens wird die Diskussion über die Kosten und Nutzen der quasi-paritätischen Mitbestimmung mittlerweile offen geführt. Fehlleistungen in der Unternehmens- und Mitbestimmungsrealität sorgen dafür, dass die Diskussion beständig neu angefacht wird. Anhand zweier Ereignisse der jüngeren Vergangenheit sei dies beispielhaft belegt. Das erste ist die aktuelle Korruptionsaffäre bei Volkswagen, die derzeit strafrechtlich aufgearbeitet wird. Damit im direkten Zusammenhang steht das zweite, nämlich der Machtkampf um die Nachfolge im Amt des Arbeitsdirektors infolge des Rücktritts von Hartz. Nur mit Hilfe der Stimmen der Gewerkschafts- und Belegschaftsvertreter gelang es Ferdinand Piëch, seinen Favoriten gegen den Willen des Vorstandsvorsitzenden und gegen den Willen der Mehrheit der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat durchzusetzen. Eine solche Koalition des Managements mit den Arbeitnehmern gegen die Mehrheit der Aktionäre ist nach internationalem Verständnis mit guter Corporate Governance unvereinbar. 1047
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Vorschläge zur Reform der Unternehmensleitungsorgane aus Industrie und Ökonomie sehen eine Reduzierung der Arbeitnehmerbeteiligung auf ein Drittel vor. Manche gehen weiter und fordern die Einführung eines Informationsmodells nach französischem Vorbild, das das derzeitige Mitbestimmungsmodell obsolet werden ließe. Gemeinsam ist allen Reformanliegen, dass sie heftige Proteste auf Seiten der Gewerkschaften auslösen. Vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde 2005 eine Expertenkommission mit der Erarbeitung von Reformvorschlägen zur Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung unter Vorsitz Kurt Biedenkopfs beauftragt, der schon in den siebziger Jahren die Mitbestimmungskommission führte, auf deren Sachverständigenbericht das Mitbestimmungsgesetz zurückgeht. Zweifel am Nutzen dieses Projekts bestanden dabei von Anfang an. Die Erfahrung zeigt, dass korporatistisch zusammengesetzte Kommissionen, die den Versuch unternehmen, gegenläufige Interessen an einem Tisch zum Ausgleich zu bringen, allzu oft nur in Besitzstandswahrung und Kompromissen zulasten Dritter enden. Dass sich die Biedenkopf-Kommission mit dem mittlerweile vorgelegten Bericht, der von den Vertretern der Arbeitgeber nicht mitgetragen wird, nicht einmal auf ein gemeinsames Abschlusspapier einigen konnte, spricht Bände. Die Hoffung, dass die arbeitsrechtliche Abteilung des Deutschen Juristentages im Herbst 2006 ohne gegenseitige Blockade von Kapital und Arbeit, wie sie auf dem Juristentag 2004 bei ähnlich aufgeladenen Streitpunkten zu erleben war, tagen würde, hat sich leider nur insofern bestätigt, als Kapitaleignerseite und Arbeitnehmerseite in der Sache so weit auseinander stehen, dass selbst die Beschlussfassung den weiteren Dialog hätte gefährden können und die arbeitsrechtliche Abteilung daraufhin ohne Beschlüsse beendet wurde.
III. Drei ausstehende Reformmaßnahmen: Vergütung, Haftung und Organisationsfreiheit 1. Vergütung der Unternehmensleitung: Deutsche Erfahrungen und europäische Maßnahmen Auch der Diskussion um die Vergütung der Verwaltungsratsmitglieder wird durch beachtliche Fehlleistungen und Fehlentwicklungen in vielen Ländern beständig neue Nahrung gegeben. Das Werk „Pay without Performance“ von Lucian Bebchuk und Jesse Fried bietet hierzu für die USA einen umfassenden Überblick. In Europa stellen sich die gleichen Probleme. Das wohlbekannte Beispiel, der Fall Mannesmann, braucht hier nicht noch einmal resümiert zu werden. Das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs überzeugte die Mehrheit der deutschen Gesellschaftsrechtler und -praktiker weder inhaltlich noch erst recht in Form der mündlichen Präsentation. Das neue Verfahren vor dem Landgericht wurde schließlich zu Recht gegen Auflagen eingestellt. In der New York Times hieß es dazu: „Analysts also welcomed the resolution of the case, which has always been viewed outside this country as something of a German curiosity.“ Es steht zwar außer Frage, dass bestimmte Fälle der Vorstandsvergütung einer gerichtlichen Korrektur bedürfen. Die Beurteilung sol1048
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cher Fälle sollte jedoch den Zivilgerichten vorbehalten bleiben, die mit den zivilrechtlichen Instituten der Treuepflicht, der Sorgfaltspflicht oder des corporate waste, also der Verschleuderung von Vermögensgütern der Gesellschaft, ein angemessenes und ausreichendes Instrumentarium zu deren Bewältigung zur Verfügung haben. Ein anderer Aspekt des Falles steht in Verbindung mit der schon oben angesprochenen Frage nach dem Nutzen der Mitbestimmung. Der Umstand, dass der Bundesgerichtshof in Bezug auf den mitangeklagten damaligen IG MetallVorsitzenden Klaus Zwickel, dessen formale Stimmenthaltungen die Millionenzahlungen mit ermöglichten, feststellte, die Stimmenthaltung des Angeklagten Zwickel entspreche hier „objektiv und subjektiv im Ergebnis einer ‚Ja-Stimme’, die mit Rücksicht auf seine Stellung als Arbeitnehmervertreter lediglich nach außen nicht erkennbar werden sollte“, lässt erhebliche Zweifel an der Qualität der Aufsicht durch Arbeitnehmerbeteiligung aufkommen. Die größte Schaden, der durch Zahlungen wie die im Fall Mannesmann entsteht, ist die Gefahr, das Vertrauen der Investoren zu untergraben und so die Investitionsbereitschaft in in- und ausländische Unternehmen zu drosseln. Dies wurde auch von der High Level Group of Company Law Experts so gesehen und dementsprechend vorgeschlagen, einen einheitlichen Rechtsrahmen zur Vergütung der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften zu schaffen. Zu den Elementen dieses Rahmens gehören die Offenlegungspflicht für die individuellen Einkünfte der Mitglieder der Unternehmensleitung, die Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Grundzüge der Vergütungspolitik und die Rechnungslegung insbesondere der Vergütung in Aktienoptionen in den Unternehmensabschlüssen. Die Vorschläge wurden bis auf den letztgenannten in die Empfehlung 2004/913/EG der Europäischen Kommission vom 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften übernommen. Über eine entsprechende Änderung der IAS/IFRSBilanzierungsregeln, die über die europarechtlichen Vorgaben zur Konzernrechnungslegung zur Anwendung kommen, ist jedoch auch eine gewisse europaweite Harmonisierung der Bilanzierung von Aktienoptionen gesichert. 2. Verantwortlichkeit der Mitglieder der Unternehmensleitung für Finanzinformationen: Europäische Agenda und Stand in den Mitgliedstaaten Die Europäische Kommission plant, eine europarechtliche Vorgabe für die kollektive Haftung der Mitglieder der Unternehmensleitung für alle wesentlichen Finanzinformationen zu schaffen. Diese Haftung soll sich auch auf alle anderen wesentlichen, das Unternehmen betreffende Informationen erstrecken. Die persönliche Verantwortlichkeit soll zu einer verbesserten Finanzberichterstattung und zu einer Absicherung der Offenlegungspflichten im Rahmen der Corporate Governance führen. Mittlerweile sind diese Bestandteile des Berichts der High Level Group und des Aktionsplanes in der Richtlinie 2006/46/EG zur Änderung der EU-Rechnungslegungsvorschriften (vierte ge1049
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sellschaftsrechtliche Richtlinie 78/660/EWG und siebte gesellschaftsrechtliche Richtlinie 83/349/EWG) umgesetzt1. Der Regelung durch die Mitgliedstaaten überlassen bleiben allerdings die genauen Voraussetzungen der Haftung, das Eingreifen einer Haftungsbegrenzung und insbesondere die Frage, ob die Haftung als Außenhaftung gegenüber den Investoren oder als Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft ausgestaltet sein soll. Der Regelungsstand auf mitgliedstaatlicher Ebene ist sehr unterschiedlich. In den meisten Ländern besteht für die Ordnungsmäßigkeit der Finanzberichterstattung eine persönliche Haftung der Mitglieder der Unternehmensleitung im Rahmen der allgemeinen Geschäftsleiterhaftung gegenüber der Gesellschaft. Auf dem Primärmarkt bestehen zudem Haftungsvorschriften aus der Prospekthaftung und dem allgemeinen Deliktsrecht. Auch eine Haftung auf dem Sekundärmarkt, also gegenüber derzeitigen und künftigen Gesellschaftern, für irreführende Angaben über die Finanzlage der Gesellschaft, die beispielsweise im Jahresabschluss, in der Hauptversammlung, auf road shows oder in Pressekonferenzen gemacht werden, besteht in einer Reihe von Mitgliedstaaten. Als Grundlage dient jedoch meist das allgemeine Deliktsrecht und die kaum vorhandene Rechtsprechung zeigt, dass dieses noch nicht im erforderlichen Maße zur Anwendung kommt. In Deutschland sah der inzwischen nicht weiterverfolgte Entwurf zu einem Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz eine Außenhaftung für schriftliche und bestimmte mündliche Finanzinformationen vor. Trotz der Beschränkung des Verschuldensmaßstabs auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit wurde die hitzige Debatte um das Gesetzesvorhaben auch von der Gefahr einer drohenden Klagewelle bestimmt, die eine umfassende Regelung der falschen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformation auslösen könnte. In England wird derzeit eine ähnliche Diskussion geführt. Paul Davies von der London School of Economics soll im Rahmen der offiziellen, sogenannten Davies Review Vorschläge dazu entwickeln.
__________ 1 Vgl. Art. 50b (neu) der vierten Richtlinie: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft kollektiv die Pflicht haben, sicherzustellen, dass der Jahresabschluss, der Lagebericht und, soweit sie gesondert vorgelegt wird, die Erklärung zur Unternehmensführung nach Artikel 46a entsprechend den Anforderungen dieser Richtlinie und gegebenenfalls entsprechend den internationalen Rechnungslegungsstandards, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 angenommen wurden, erstellt und veröffentlicht werden. Diese Organe handeln im Rahmen der ihnen durch nationales Recht übertragenen Zuständigkeiten.“ Art. 50c (neu) der vierten Richtlinie: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Haftungsbestimmungen ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die Mitglieder der in Artikel 50b dieser Richtlinie genannten Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane Anwendung finden, zumindest was deren Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen Verletzung der in Artikel 50b genannten Pflicht betrifft.“ Art. 60a (neu) der vierten Richtlinie: „Die Mitgliedstaaten legen Sanktionen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften fest und treffen alle zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“
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3. Organisatorische Wahlfreiheit für Gesellschaften zwischen monistischem und dualistischem System Der dritte Bereich, der zur Reform ansteht und hier erwähnt sein soll, ist die Organisation der Unternehmensleitung. Der Vorschlag der High Level Group, zumindest börsennotierten Unternehmen die Wahl zwischen monistischem und dualistischem Modell der Führungsstruktur zu überlassen, wurde durch die Kommission in den Aktionsplan aufgenommen. In Frankreich und Italien besteht diese Wahlfreiheit schon, in Österreich und Deutschland wird sie von vielen Stimmen befürwortet, darunter auch solche aus der Praxis, wie etwa die Unterstützung durch den Deutschen Anwaltsverein zeigt. Dabei galt die Einführung des monistischen Systems und einer Wahlmöglichkeit bis vor kurzem in Deutschland als undenkbar. Teilweise kam darin die klassische Auffassung zum Ausdruck, Gesellschaftsrecht müsse vom Grundsatz her zwingendes Recht sein. Bedeutender war allerdings die Befürchtung, die Arbeitnehmermitbestimmung lasse sich mit dem eingliedrigen System nicht in Einklang bringen. Erst seit Einführung der Societas Europaea, deren Statuten den Gesellschaftern die Wahl zwischen den beiden Systemen ermöglichen, kommt langsam Bewegung in die traditionellen Denkmuster. Dennoch ist vorerst nicht mit der Gründung einer SE mit eingliedriger Unternehmensleitung zu rechnen. Der Grund liegt in der möglicherweise europarechtswidrigen Umsetzung der SE-Statuten in deutsches Recht, die für den eingliedrigen Verwaltungsrat die quasi-paritätische Mitbestimmung aus dem bisherigen zweigliedrigen System einfach übernommen hat. Die freie Wahlmöglichkeit zwischen den Modellen wird von Kritikern häufig zu Unrecht als Thema geringer Wichtigkeit abgetan. Die entsprechende Reform der Strukturen der Unternehmensleitung hat in zweifacher Hinsicht erhebliche Bedeutung. Sie erlaubt den Unternehmen, diejenige Führungsstruktur zu wählen, die den Bedürfnissen des Unternehmens am Besten gerecht wird. Dies führt nicht nur zu einer Senkung der Transaktionskosten, sondern zudem zu einem verbesserten Management und einer effektiveren Aufsicht. In Frankreich verzichtete zwar die Mehrheit der Unternehmen auf einen Organisationswechsel und blieb beim traditionell eingliedrigen Leitungsorgan unter Vorsitz des président-directeur général (P.D.G.). Der Umstand, dass Unternehmen, die ein zweigliedriges Leitungsorgan eingesetzt haben, typischerweise große, internationale und börsennotierte Gesellschaften sind, zeigt in deutlicher Weise, dass auf Seiten der Unternehmen unterschiedliche Anforderung an die Führungsstruktur bestehen, auf die reagiert werden sollte. Von größerer Bedeutung ist jedoch, dass die Einräumung dieser Option insgesamt in eine wünschenswerte Richtung zeigt. Der Bestand an zwingenden Vorschriften im Gesellschaftsrecht muss zurückgefahren und auf solche Bereiche beschränkt werden, in denen die Verteidigung schutzwürdiger Interessen erforderlich ist. Der Schutz von Gesellschaftern, Gläubigern und Verbrauchern durch zwingendes Recht ist durchaus gerechtfertigt. Dort jedoch, wo es an einem klaren Schutzbedürfnis fehlt, sollten sich sowohl der europäische als auch die nationalen Gesetzgeber zurückziehen. Die auf EU-Ebene praktizierte 1051
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Methode, den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Rechtsakte in nationales Recht Optionen zu belassen, sollte dahingehend weiterentwickelt werden, die Optionen von der mitgliedstaatlichen Ebene auf die Marktteilnehmer weiterzuleiten. Erst im Wettbewerb des einheitlichen Marktes zeigt sich, welche Option die bessere ist. Der Deutsche Juristentag 2008 wird sich in seiner wirtschaftsrechtlichen Abteilung voraussichtlich mit der Frage befassen, ob an der herkömmlichen strikten Beschränkung der Satzungsautonomie für alle Aktiengesellschaften festgehalten werden soll oder ob es Sonderregeln einerseits für Börsenaktiengesellschaften und andererseits für geschlossene Aktiengesellschaften, die in der Regel mittlere und kleinere sein werden, geben sollte. 4. Ausblick: Corporate Governance von institutionellen Investoren Zum Abschluss sei noch ein kurzer Blick auf weitere wichtige Punkte der Reformagenda geworfen, die bislang nicht die erforderliche Aufmerksamkeit von Wissenschaft und Gesetzgebern erlangen und von Gérard Hertig auf der Konferenz in Oxford zu Recht herausgestellt wurden. Zu diesen gehören die Willensbildung im Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat, die Kontrolle durch private Aktionäre und die Corporate Governance für institutionelle Investoren. Dieser letzteren kommt wohl die höchste Bedeutung zu. Gewiss sind mehr Transparenz und eine Stärkung der Aktionärsrechte wichtig. Die Europäische Kommission ist zu Recht zu beidem aktiv geworden. Doch lehrt die Erfahrung, dass sich der typische Privatinvestor nach Abwägung von Kosten und Nutzen, gleichsam von einer rationalen Apathie geleitet, nicht in die Unternehmensgeschicke einmischt. Das wird sich, von Einzelfällen abgesehen, durch die demnächst in Kraft tretende neue Aktionärsrechterichtlinie nicht ändern. Das Hauptaugenmerk wird deshalb in Zukunft auf den institutionellen Investoren liegen müssen. Das fordert zum Einen die Schaffung von Strukturen, die institutionellen Investoren den Anreiz geben, in Gesellschaften, an denen sie Beteiligungen halten, für eine gute Corporate Governance zu sorgen. Zum Anderen gilt es aber gleichermaßen, für eine gute Corporate Governance bei den institutionellen Investoren selbst Sorge zu tragen.
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Unternehmerisches Ermessen und Vorstandshaftung nach § 93 AktG* Inhaltsübersicht I. Ein Haftungsfreiraum II. Dokumentationserfordernisse III. Kriterien und Grenzen der haftungsfreien Ermessensentscheidung 1. Einschlägige Rechtsprechung 2. Angemessene Information 3. Handeln zum Wohl der Gesellschaft
4. Schutz des vernünftigen Gebrauchs der Ermessensfreiheit 5. Grenzen der Ermessensfreiheit 6. Vertragstechnische Kunstfehler IV. Ermessensfragen bei rechtlich festgelegten Pflichten? V. Zusammenfassung
I. Ein Haftungsfreiraum Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.20051 hat die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Mitglieder des Vorstands bei der Erfüllung ihrer hauptsächlichen Aufgabe, unternehmerische Entscheidungen zu treffen (§§ 76, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG), durch die Einfügung eines neuen Satz 2 in § 93 Abs. 1 AktG erstens präzisiert und zweitens zugleich die Haftung für Pflichtverletzungen begrenzt2. Die neue Vorschrift nennt drei Voraussetzungen und Kriterien einer pflichtgemäßen unternehmerischen Entscheidung: diese muss erstens durch eine „angemessene Information“ des Vorstandes vorbereitet werden (i.F. III.2.); zweitens muss die Entscheidung am Wohl der Gesellschaft ausgerichtet sein (i.F. III.3.) und drittens bedarf es vernünftiger geschäftlicher Überlegungen auf der Grundlage der relevanten Informationen (i.F. III.4.-6). Diese Präzisierung der Pflichtgemäßheit bringt im Grunde gegenüber dem vorhergehenden Rechtszustand nicht viel Neues. Eher gilt dies für die zweite Funktion der Norm, nämlich die Begrenzung der Haftung. Diese erfolgt normtechnisch durch eine Einschränkung des Bereichs der haftungsbegründenden Pflichtwidrigkeiten. Werden nämlich die drei Voraussetzungen erfüllt, „soll eine Pflichtwidrigkeit nicht vorliegen.“ Die Norm schafft also einen Freiraum: Entscheidungen, die ansonsten nach allgemeinen Kriterien u. U. dem Vorwurf der Fahrlässigkeit ausgesetzt wären, werden von diesem Vorwurf ausgenommen („haftungsfreie Fehlentscheidungen“)3.
__________ * Bearbeitungsstand ist der 1.3.2007. 1 BGBl. I, S. 2802. 2 „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ 3 Horn, ZIP 1997, 1129, 1133 ff.
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Der folgende Beitrag geht der Frage nach, wieweit sich anhand der neueren Rechtsprechung und Fachdiskussion der durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG geschaffene Haftungsfreiraum und seine Grenzen näher bestimmen lassen. Für einen Platz in der Festschrift für Harm Peter Westermann scheint mir dieses Thema nicht nur deshalb geeignet, weil der Jubilar zu den Experten des deutschen Gesellschaftsrechts gehört. Vielmehr war er in dem Fall ARAG/ Garmenbeck, der die neuere Rechtsentwicklung durch ein BGH-Urteil und die zuvor ergangenen instanzgerichtlichen Urteile eingeleitet hat4, Akteur. Er wurde nämlich nach dem Entstehen der Haftungsfrage und des dadurch angefachten Konflikts zwischen den zwei Familienstämmen der Eignerseite in den Aufsichtsrat der ARAG berufen und war dann dessen Vorsitzender. Der Verfasser spielte damals nur die bescheidene Rolle eines Urteilsrezensenten5 und hatte erst in jüngerer Zeit in einem anderen Fall Gelegenheit, die Praxis des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG als Schiedsgutachter mitzugestalten. Vor ARAG/Garmenbeck hatte die Norm über eine allgemeine Schadensersatzhaftung bei Pflichtwidrigkeiten der Mitglieder des Vorstands einer AG, die spätestens seit der Aktienrechtsnovelle von 1884 Bestandteil des deutschen Aktienrecht ist6, gut ein Jahrhundert lang ein recht unscheinbares Dasein geführt. Die Rechtsprechung zu dieser Haftung war spärlich7. Einige Fälle betrafen die speziellere Insolvenzverschleppungshaftung nach § 92 AktG8. Im Fall ARAG/Garmenbeck stand die Pflicht des Aufsichtsrats zur Verfolgung von Ansprüchen der AG gegen den Vorstand nach § 93 AktG im Vordergrund. Zugleich wurde aber auch die allgemeine Bedeutung des Ermessensspielraums eines Vorstandsmitglieds für die Frage eines Ausschlusses der Haftung zu einem zentralen Thema. Der BGH verwendete dabei Gesichtspunkte, die Parallelen zu der im amerikanischen Gesellschaftsrecht entwickelten Business Judgment Rule aufweisen9. Ausgangspunkt des BGH ist der Grundsatz, „dass dem Vorstand für die Leitung der Geschäfte der AG ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muß, ohne den ein unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar ist“10.
__________ 4 BGH, Urt. v. 21.4.1997, BGHZ 135, 244= ZIP 1997, 883; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.1996, ZIP 1997, 27; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.6.1995, ZIP 1995, 1183; LG Düsseldorf, Urt. v. 14.3.1994, ZIP 1994, 628. 5 ZIP 1997, 1129 ff. 6 Eine der allgemeinen Haftungsnorm des § 93 AktG 1965 entsprechende Norm war erstmals § 241 Abs. 3 Satz 1 ADHGB, eingeführt durch die Novelle v. 18.7.1884, RGBl. v. 31.7.1884 Nr. 1559. Diese Vorschrift löste die zuvor bestehende, enger gefasste Haftungsnorm des § 241 Abs. 2 ADHGB ab. Text der Novelle und ihrer Begründung sowie der zuvor bestehenden Norm bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR-Sonderheft 4, 1985, S. 560 ff. u. 508 f. 7 Aus neuerer Zeit vor ARAG/Garmenbeck vgl. BGH, ZIP 1987, 29 = EWiR 1987, 109 (Wiedemann) betr. Haftung des Vorstandsmitglieds gem. § 93 AktG als GmbH-Geschäftsführer der Tochtergesellschaft (§ 43 GmbHG); OLG Hamm, ZIP 1995, 1263 – Harpener Omni. 8 BGHZ 75, 96 = NJW 1979, 1823 – Herstatt; BGH, NJW 1979, 1829; BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103 = EWiR 1994, 791 (Wilhelm). 9 Horn, ZIP 1997, 1129 ff., 1134. 10 BGHZ 135, 244, 245, Leitsatz b) Abs. 3.
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Unternehmerisches Ermessen und Vorstandshaftung nach § 93 AktG
Die Verankerung dieses Grundsatzes im deutschen Aktienrecht ließ sich schon damals aus der eigenverantwortlichen Leitungsaufgabe eines jeden Vorstandsmitglieds nach § 76 AktG folgern und aus der Doppelfunktion des § 93 AktG als Rechtsgrundlage von Verhaltenspflichten und Verschuldensmaßstab unter Berücksichtigung des § 76 AktG11. In der Tat nahm die überwiegende Meinung einschließlich des Jubilars schon zur Zeit der BGH-Entscheidung an, dass aus dem Handlungsspielraum des Vorstandes eine Haftungsbeschränkung zu folgern sei, wobei man teils an die amerikanische Doktrin anknüpfte, teils ohne sie auskam12. Gleichwohl bedurfte die Frage einer höchstrichterlichen Klärung. Diese wurde mit der Entscheidung im Fall ARAG/Garmenbeck im wesentlichen erreicht. Die anschließende Corporate Governance-Diskussion hat die Frage weitergetrieben. Der 63. Deutsche Juristentag hat sich im Anschluss an einen Vorschlag von Ulmer für eine Haftungsfreistellung der Organmitglieder ausgesprochen, „wenn der Schaden durch unternehmerisches Handeln im Interesse der Gesellschaft auf der Grundlage angemessener Informationen verursacht wurde“, und der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance hat sich dem angeschlossen13. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in seiner jetzigen Fassung ist Ergebnis dieser Entwicklung.
II. Dokumentationserfordernisse Der Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft hat zur Erläuterung und Präzisierung der neuen Norm des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG „20 Regeln für die unternehmerische Entscheidung“ formuliert14. Diese Regeln sind in der Tat hilfreich und erfüllen insgesamt ihren Zweck, die neue Vorschrift für die Praxis verständlich und handhabbar zu machen. Sie enthüllen zugleich aber auch gewisse vielleicht unvermeidliche Lasten der internen Überwachung von Unternehmensentscheidungen. So heißt es durchaus zutreffend in Regel 5: „Das Entscheidungsorgan muß die Entscheidungsvorbereitung, den Entscheidungsvorgang (Beschluß) und die Nachbereitung angemessen dokumentieren, um ggf. der Darlegungsund Beweislast in Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Business Judgment Rule genügen zu können.“ Selbstverständlich müssen wichtige unternehmerische Entscheidungen auf Beschlüssen des Vorstands beruhen und diese müssen im Protokoll festgehalten werden. Auch die Informationsgrundlagen für diese Beschlüsse, z. B. für Entscheidungen über größere Investitionen, sind meist ebenso wie die wichtigsten Entscheidungskriterien in umfangrei-
__________ 11 Hübner, Managerhaftung, 1992, S. 8; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 1996, Rz. 130; Horn, ZIP 1997, 1134; aus der Zeit nach der Entscheidung vgl. Markus Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, insbes. S. 57 ff. 12 H. P. Westermann, VersR 1993, Sonderheft, S. 15, 18. Weit. Nachw. zum damaligen Meinungsstand bei Horn, ZIP 1997, 1134 Fn. 33. 13 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 70. 14 Text in ZIP 2006, 1068.
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chen schriftlichen Äußerungen dokumentiert. Gleichwohl gibt es zahlreiche und durchaus schwerwiegende unternehmerische Entscheidungen, die letztlich trotz mancher Vorbereitung sehr rasch, z. B. in einer bestimmten Verhandlungssituation oder bei einer sich überraschend bietenden geschäftlichen Chance, getroffen werden müssen, ohne dass eine ausführliche schriftliche Dokumentation, welche die geschäftlichen Erwägungsgründe widerspiegelt, zugleich hergestellt werden könnte. Die Regeln zeichnen das wenig ermutigende Bild einer Vorstandstätigkeit, die hauptsächlich mit der Erzeugung absichernder und rechtfertigender Dokumentation befasst ist. Bei der künftigen Anwendung der Norm wird auf eine zurückhaltende Handhabung des Dokumentationserfordernisses, das sich erfreulicherweise nicht im Gesetzestext findet, zu achten sein.
III. Kriterien und Grenzen der haftungsfreien Ermessensentscheidung 1. Einschlägige Rechtsprechung Die Rechtsprechung zu § 93 AktG und zur parallelen Norm des § 43 GmbHG hat in den letzten Jahren etwas zugenommen. Dabei mag die intensive Diskussion um Corporate Governance und das Vordringen der Haftpflichtversicherung für Führungskräfte (D&O-Versicherung) eine Rolle spielen. Auch Schiedsgerichte und Schiedsgutachter werden eingeschaltet. Von einer Urteilsflut bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit kann allerdings keine Rede sein. Denn der gerichtlichen Klärung der (internen) zivilrechtlichen Haftung von Organmitgliedern nach § 93 AktG stehen noch immer vielfältige Gründe entgegen, sei es die persönliche Rücksichtnahme oder die Vermeidung öffentlichen Aufsehens oder aber ein Wandel der Interessenlage des Mehrheits- oder Alleinaktionärs, letzteres insbesondere nach einer geglückten Unternehmensübernahme. Sowohl bei Haftungsfällen als auch im letztgenannten Fall der Übernahme begnügt man sich häufig mit einem vorzeitigen Ausscheiden des betreffenden Organmitglieds aus der Gesellschaft. Um ein vollständiges Bild der Rechtsprechung zu Pflichtwidrigkeiten von Organmitgliedern der Kapitalgesellschaften zu erhalten, ist auch die strafrechtliche Rechtsprechung zur Untreue (§ 266 StGB) von Organmitgliedern heranzuziehen. Die Pflichtenkreise des § 266 StGB und des § 93 AktG decken sich zwar nicht, aber § 266 StGB erfasst als die (im Bereich des Organhandelns) engere Norm die besonders gravierenden Fälle der Verletzung der treuhänderischen Vermögenswahrungspflicht, die das Organmitglied der Gesellschaft schuldet15. Das Organmitglied, das nach § 266 StGB strafbar ist, ist regelmäßig auch nach § 93 AktG haftbar; der umgekehrte Schluss darf nicht gezogen werden.
__________ 15 BVerfGE 39, 1, 45 ff.; 88, 203, 258; 96, 10, 25; Spindler, ZIP 2006, 349, 350, der allerdings missverständlich § 266 StGB als die weiter gefasste Norm bezeichnet, was nur zutrifft, wenn man den hier nicht interessierenden weiten Anwendungsbereich der Norm außerhalb des Organhandelns von Kapitalgesellschaften berücksichtigt.
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Unternehmerisches Ermessen und Vorstandshaftung nach § 93 AktG
Sucht man nach Urteilen, die sich mit der hier verfolgten Frage des unternehmerischen Ermessens beschäftigen, ergibt sich nur eine kleine Zahl. Denn viele Urteile betreffen speziell normierte Pflichtverstöße von Organmitgliedern, bei denen unternehmerisches Ermessen keine oder nur eine marginale Rolle spielt. Keine Frage des Ermessens ist etwa zu beantworten, wenn die Gewährung eines ungesicherten Kredits an den (mittelbaren) Mehrheitsaktionär eine nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG verbotene Einlagenrückgewähr darstellt16. Auch wo der Tatbestand des § 266 StGB erfüllt ist, kann von Ermessen streng genommen keine Rede sein. Für unser Thema des Ermessens sind die Entscheidungen zu § 266 StGB gleichwohl relevant. Denn mit ihrer Hilfe lassen sich bestimmte Grenzen des Ermessens ermitteln17. 2. Angemessene Information Die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG normierte Pflicht, dass die Vorstandsmitglieder ihre unternehmerischen Entscheidungen durch „angemessene Information“ vorbereiten müssen, findet für einen Spezialfall, nämlich die Kreditvergabe durch Kreditinstitute, eine Entsprechung in der Spezialnorm des § 18 KWG. Danach darf ein Kreditinstitut einen Kredit ab einer bestimmten Größenordnung (über 75 000 Euro oder über 10 % des haftenden Eigenkapitals des Instituts) nur gewähren, wenn es sich vom Kreditnehmer die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offen legen lässt. Bei ausreichenden Real- oder Personalsicherheiten kann davon abgesehen werden (§ 18 Abs. 1 Satz 1 u. 2 KWG). Der BGH hat die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Bankvorstandsmitgliedern nach § 266 StGB bei riskanten Krediten, die unter Verletzung der Informationspflichten des § 18 KWG vergeben wurden, bejaht18, aber in einem Fall, in dem der Verzicht auf Vorlage der Jahresabschlüsse durch andere Bemühungen um die Klärung der Bonität des Kreditnehmers kompensiert worden waren, verneint19. Die Klärung der Bonität des Geschäftspartners ist aber auch außerhalb der Bankgeschäfte eine Pflicht des mit dem Geschäft befassten Organmitglieds, jedenfalls soweit damit eine Kreditierung i. w. S., auch in Form des Warenkredits, verbunden ist20. Bei Außenhandelsgeschäften kann es geboten sein, zusätzlich zur Prüfung der Bonität des Vertragspartners sich ein Bild über das Länderrisiko zu verschaffen, das z. B. auch Exportversicherer bei der Gestaltung ihrer Tarife berücksichtigen21, das aber natürlich auch außerhalb von Ex-
__________ 16 17 18 19 20
OLG Hamm, ZIP 1995, 1263 – Harpener Omni. Dazu i.F. III.3. a. E. und III.4. BGHSt 47, 148 = ZIP 2002, 346, 348; dazu Marxen/Müller, EWiR 2002, 307. BGHSt 46, 30, 35 = ZIP 2000, 1210 = NJW 2000, 1256 f. H.M.; BGH, WM 1981, 440, 441 betr. Warenkredit an unbekannten Abnehmer; ThürOLG Jena, NZG 2001, 86 (Haftung nach § 43 GmbHG bei gleicher Fallgestaltung); BGHSt 46, 30, 35; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 AktG Rz. 84 u. 113. 21 Bödeker, Staatliche Exportkreditversicherungssysteme, 1992, S. 143, 375.
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port- und Importverträgen zu beachten ist, vor allem bei Auslandsinvestitionen und z. B. im Garantiegeschäft22. Zu den entscheidungsvorbereitenden Informationen gehört auch eine ausreichende Rechtsberatung, insbesondere hinsichtlich der Eingrenzung oder Ausschaltung von Risiken durch vertragsrechtliche Gestaltung, etwa über die übliche und geeignete Absicherung des Bonitätsrisikos bei einem Exportgeschäft mit einem unbekannten Vertragspartner23 oder über die Absicherung des Kursrisikos bei einem Zins- und Währungsswapgeschäft24. Versäumnisse in dieser Hinsicht werden von den Gerichten als haftungsbegründende Pflichtwidrigkeiten bewertet. Dabei setzen die Gerichte bei den Organmitgliedern z. T. sehr spezielle Kenntnisse bzw. Informationen hinsichtlich der Geschäftsrisiken und ihrer rechtlichen Bewältigung voraus, z. B. die Kenntnis bzw. Information, dass eine einfache Bürgschaft im Gegensatz zu einer Sicherheit zur Zahlung auf erstes Anfordern im Exportgeschäft keinen ausreichenden Schutz bietet25 oder dass bei einem Zins- und Währungsswapgeschäft ein offenes Kursrisiko durch Devisentermingeschäfte abgesichert werden muss26. Bei größeren Unternehmen sind die Vertragsgestaltung, die Beschaffung der relevanten Informationen und deren vorläufige Auswertung sowie vor allem die Prüfung einzelner Rechtsfragen und die Erarbeitung von Vertragsentwürfen und deren Verhandlung meist an eine nachgeordnete Ebene delegiert. Hier kann es zu den Pflichten des Organmitglieds rechnen, Fehler in der Recherche der relevanten Daten und vor allem in den Vertragsentwürfen durch eigene Prüfung selbst zu erkennen und zu eliminieren, etwa die falsche Gestaltung der Bürgschaft, das Fehlen der Vereinbarung einer Zug-um-Zug-Leistung oder das Fehlen einer notwendigen Kurssicherung. Andererseits ist das Organmitglied nicht dem Vorwurf der Pflichtwidrigkeit ausgesetzt, wenn es aufgrund angemessener Überwachung der Mitarbeiter annehmen durfte, dass deren Informationen verlässlich sind. Auch das Nichterkennen nachteiliger Folgen komplizierter Regelungssachverhalte kann nicht immer als Sorgfaltspflichtverletzung gelten. Andernfalls wäre eine betrieblich notwendige Delegation von Aufgaben nicht möglich. 3. Handeln zum Wohl der Gesellschaft Die Haftungsfreistellung nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG setzt ferner voraus, dass das Vorstandsmitglied vernünftigerweise annehmen durfte, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Ein Handeln zum Wohl der Gesellschaft liegt vor, wenn das Handeln das Ziel einer langfristigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Ertragskraft des Unternehmens verfolgt27. Ob „die Marktwertmaxi-
__________
22 Zu letzterem Graf v. Westphalen/Jud (Hrsg.), Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr, 3. Aufl. 2005, S. 266, 329. 23 ThürOLG Jena, NZG 2001, 86. 24 OLG München, BKR 2006, 258. 25 ThürOLG Jena, NZG 2001, 86. 26 OLG München, BKR 2006, 258. 27 Ähnlich Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 19.
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Unternehmerisches Ermessen und Vorstandshaftung nach § 93 AktG
mierung ein statthaftes Unternehmensziel darstellt und im Rahmen des § 76 AktG Anerkennung verdient“28, ist zwar durch die US-amerikanische Unternehmenspraxis vorgezeichnet, aber weniger eindeutig zu beantworten. Die Kurspflege der Aktien des eigenen Unternehmens kann allenfalls ein den zuvor vorgenannten Unternehmenszielen nachgeordnetes Handlungsziel sein. Das kurzfristige Hochtreiben des Aktienkurses durch Abwehrmaßnahmen gegen einen feindlichen Übernahmeversuch wie z. B. (zeitweilig) im Fall Mannesmann kann nur sehr eingeschränkt die geforderte Anerkennung beanspruchen. Zwar können solche Maßnahmen unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder sogar geboten sein29. Sie können aber keineswegs einen Pflichtverstoß, der sich aus anderen Gesichtspunkten ergibt (z. B. grundlose Anerkennungsprämien) i. S. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG rechtfertigen30. Eine Förderung des Wohls der Gesellschaft ist grundsätzlich zu verneinen, wenn aus dem Gesellschaftsvermögen sachfremde Ausgaben getätigt werden31. Die Zuwendung von Spenden ist nicht ohne weiteres sachfremd. Sie kann am Wohl der Gesellschaft orientiert sein, wenn es sich um die Förderung kultureller, karitativer oder sonst gemeinnütziger Zwecke i. w. S. handelt, zugleich dem Unternehmen durch Pflege seines gesellschaftlichen Ansehens dient und in einem angemessenen, maßvollen Verhältnis zur Ertragslage des Unternehmens steht. Auch außerhalb ideeller Zwecke kann die massive und öffentlich bekannt gemachte Förderung bestimmter in der Öffentlichkeit beachteter Einrichtungen, Clubs oder Veranstaltungen dann den Unternehmenszielen dienlich sein, wenn dadurch der Bekanntheitsgrad des Unternehmens oder seiner Produkte gefördert wird (Sponsoring). Weder die Förderung ideeller Zwecke noch ein Sponsoring liegt aber z. B. vor, wenn verschleierte Spenden eines der öffentlichen Hand gehörenden Unternehmens an einem Fußballverein geleitet werden, wobei den Beteiligten offenbar die Fragwürdigkeit des Förderzwecks klar war und gerade deshalb eine Offenlegung vermieden wurde32. Hier war die Treupflicht zur Wahrung des Vermögens der Gesellschaft verletzt und der Straftatbestand der Untreue nach § 266 StGB war (ebenso wie der Tatbestand der Pflichtverletzung nach § 93 AktG; vgl. oben III.1.) erfüllt. Keine Förderung des Unternehmenszwecks konnte der BGH auch im viel beachteten Strafverfahren zum Fall Mannesmann erkennen33, wobei es allerdings um Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats i. S. des Untreuetatbestandes des § 266 StGB und um dessen (im Ergebnis fehlenden) Ermessensspielraum ging. Auf zivilrechtlicher Ebene war § 93 AktG gem. § 116 AktG anwendbar. Im
__________ 28 So Fleischer, zuletzt in ZIP 2006, 451 ff., 454; Mülbert in FS Röhricht, 2005, S. 421. 29 Die h.M. seit Einführung des WpÜG verneint eine Neutralitätspflicht des Vorstandes der Zielgesellschaft einer Übernahme oder nimmt sie nur unter sehr einschränkenden Voraussetzungen an; Grunewald in Baums/Thoma, WpÜG, 2004, § 33 WpÜG Rz. 89; v. Falkenhausen, NZG 2007, 97 m. w. N. Für eine begrenzte Neutralitätspflicht OLG Celle, NZG 2006, 791. 30 Dazu i.F. bei Fn. 33 u. 34. 31 BGH, ZIP 1987, 29. 32 BGHSt 47, 187, 197 = NJW 2002, 1585; dazu Wessing, EWiR 2002, 305. 33 BGH (3 StR470/04), ZIP 2006, 72.
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Fall waren nach Beendigung des Übernahmekampfes gegen den siegreichen Übernehmer Vodafone fünf Vorstandsmitgliedern und einem Aufsichtsratmitglied „Anerkennungs-Prämien“ wegen früherer Verdienste um das Unternehmen und wegen der Bemühungen im Übernahmekampf zuerkannt worden. Da die durch die Sonderzahlungen gewürdigten Leistungen der Empfänger ohnehin dem Unternehmen dienstvertraglich geschuldet waren und auch eine Rechtfertigung nicht geschuldeter Zahlungen durch eine dem Unternehmen vorteilhafte Anreizwirkung den Umständen nach nicht ersichtlich war, sah das Gericht darin „kompensationslose“ Zahlungen ohne zusätzlichen Gegenwert für das Unternehmen, die eine treuwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens i. S. § 266 StGB darstellten. Wegen der Verletzung der Treuepflicht kam ein Ermessen der Aufsichtsratsmitglieder und dessen Überprüfung nach dem Angemessenheitsgebot des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG für den BGH nicht mehr in Betracht34. 4. Schutz des vernünftigen Gebrauchs der Ermessensfreiheit Sind die beiden erörterten Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG (angemessene Information und grundsätzliche Beachtung des Wohls der Gesellschaft) erfüllt, so kann bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen des Vorstandsmitglieds, die im Ergebnis der Gesellschaft nachteilig sind, eine Pflichtwidrigkeit und Haftung verneint werden. Allerdings muss dazu noch eine dritte Voraussetzung erfüllt sein: Die Entscheidung muss auf vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen beruhen. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut „vernünftigerweise annehmen durfte“ Diese Worte sind zwar primär auf die Merkmale „angemessene Information“ und „Wohl der Gesellschaft“ bezogen, bezeichnen aber zugleich eine immanente Voraussetzung der Ermessensentscheidung. Es geht um eine (nachträgliche) Prognose nach dem Informationsstand zur Zeit der Entscheidung. Es genügt hier nicht, dass das Vorstandsmitglied generell an das Wohl der Gesellschaft – etwa eine nachhaltige Steigerung der Erträge – dachte, sondern dass er die konkreten Mittel und Wege, die er bei der Verfolgung dieses Ziel einsetzte, im Hinblick auf das Ziel vernünftigerweise für geeignet halten durfte. Dabei kommt eine objektive Bewertung ins Spiel, die allerdings die Ungewissheiten der Entscheidungssituation einrechnen muss. Bisher gibt es nur wenige Urteile, in denen der Vernünftigkeitstest positiv ausfiel und die Haftungsfreiheit deshalb bejaht werden konnte. Das mag seinen schlichten Grund darin haben, dass Entscheidungen von Vorstands-Mitgliedern, die allem Anschein nach aufgrund einer zwar im Ergebnis falschen, aber vernünftigen und vertretbaren Prognose getroffen wurden, gar nicht erst vor Gericht kommen. Vor Gericht geht es eher um gravierende Missgriffe oder um die Grenzfälle. Ein Urteil zu einem solchen Grenzfall mit positivem Ausgang erließ der BGH – im Rahmen eines strafrechtlichen Vorwurfs nach § 266 StGB –
__________ 34 BGH, ZIP 2006, 72, 73. Krit. dazu Peltzer, ZIP 2006, 205 ff.; Spindler, ZIP 2006, 349, 351 f.
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zu einen Fall, in denen das Vorstandsmitglied einer in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckenden Holding AG Kapitaltransfers an eine andere Gesellschaft, die künftig zum Konzern gehören sollte, zukommen ließ, ohne Sicherheiten zu fordern35. Mit Rücksicht auf den bereits vorbereiteten Erwerb dieser anderen Gesellschaft und auf das durch Aufsichtsratbeschluss festgelegte Ziel einer Integration in den Konzern sah der BGH die ungesicherten Kapitaltransfers nicht als pflichtwidrig i. S. § 266 StGB an. Selbst in einer Sanierungssituation könne danach eine risikobehaftete expansive Geschäftspolitik noch vertretbar sein. Trotz der Waghalsigkeit der Transaktionen gab der Gedanke, dass der unternehmerische Ermessensspielraum zu respektieren sei, den Ausschlag, jedenfalls im Rahmen des § 266 StGB. 5. Grenzen der Ermessensfreiheit Die immanente Grenze der Ermessensfreiheit ist da gezogen, wo das erörterte, großzügig zu handhabende Kriterium der Vernünftigkeit (i. S. des gerade noch Vertretbaren) eindeutig nicht mehr erfüllt ist, wo also salopp gesagt die Grenze zur Unvernunft überschritten ist, in den Worten der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH, wo z. B. „die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist“36. Die Überschreitung dieser Grenze ist in einer Reihe von Entscheidungen zu § 93 AktG oder § 266 StGB angesprochen. In dem zuletzt besprochenen BGH-Urteil zum Fall der Zahlungen einer Holding-AG an eine andere Gesellschaft, deren Erwerb und Einfügung in den Konzern erst bevorstand, sah das Gericht die Grenze des Ermessensspielraums bei weiteren Zahlungen als überschritten an, die noch zu einem Zeitpunkt gewährt wurden, als die Sanierung der (zahlenden) Holding AG bereits fehlgeschlagen war. Hier war kein Raum mehr für Ermessen; vielmehr waren hier „die – weit zu ziehenden – äußersten Grenzen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit überschritten“37. Eine Pflichtverletzung nach § 93 AktG und nach den strengeren Maßstäben des § 266 StGB war gegeben. Im bereits erwähnten Fall der Verletzung banküblicher Informations- und Prüfungspflichten einschließlich der Pflichten nach § 18 KWG ging es auch um ein in der Gesamtwürdigung generell unvernünftiges, weil unvorsichtiges Verhalten, indem z. B. den angeklagten Vorstandsmitgliedern eines Kreditinstituts vorgeworfen wurde, dass sie schon beim Einstieg in den Kredit für ein Hotelprojekt u. a. die gebotene Aufklärung darüber unterließen, weshalb die anderen Banken ihre bisher gewährten Kredite fällig gestellt hatten38. Der ARAG/Garmenbeck-Fall betraf ebenfalls ein völlig unvertretbares und damit
__________ 35 BGH (1 StR 571/04), NJW 2006, 453 = ZIP 2005, 2317. 36 BGHZ 135, 244, 253. 37 BGH, ZIP 2006, 2319 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 266 StGB, aber auch auf BGHZ 135, 244, 253 – ARAG/Garmenbeck. 38 BGHSt 47, 148 = ZIP 2002, 346, 348, 350.
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unvernünftiges Risiko, nämlich die Hingabe einen Millionenkredits, ohne Zug um Zug die vereinbarte Absicherung durch eine Garantie einzuziehen39. 6. Vertragstechnische Kunstfehler Der Vorwurf der Übernahme eines unvernünftig hohen Risikos und damit der Überschreitung des zulässigen Ermessensspielraums ist häufig auch dort gegeben, wo es um rechtliche und vertragstechnische Fehler geht. Beispiele aus der Rechtsprechung bieten, wie bereits bei der Frage der Informationspflichten erwähnt, die Hereinnahme einer einfachen Bürgschaft statt einer Bürgschaft auf erstes Anfordern bei einem Exportgeschäft40, die Vornahme eines Zins- und Währungsswaps ohne Absicherung des Währungskursrisikos durch ein Devisentermingeschäft41, oder der Mangel einer Vereinbarung der Zug-um-ZugLeistung bei einem Außenhandelsgeschäft mit unbekanntem Geschäftspartner. Anders als bei der Einschätzung allgemeiner Marktrisiken (z. B. Absatzchancen) oder sonstiger geschäftlicher Chancen und Gefahren, z. B. beim Erwerb eines anderen Unternehmens, lassen sich vertragstechnische Kunstfehler, die mit der juristischen Strukturierung des Geschäfts und seinen ökonomischen Zielen zusammenhängen und zu einer unvertretbaren Vergrößerung der Geschäftsrisiken führen, meist als Verstöße gegen bestimmte Vorsichtsgebote präzise definieren. Die entsprechende fehlerhafte Handlung liegt genau besehen außerhalb eines Ermessensspielraums. Bei der Frage der Haftung des Organmitglieds für den Schaden, soweit dieses nicht durch zulässige Delegation auf eine nachgeordnete Entscheidungsebene entlastet ist, stoßen wir auf die klassischen Fragen der Fahrlässigkeit, wobei sich nach allgemeinen Grundsätzen Verschuldensgrade, also leichte und grobe Fahrlässigkeit unterscheiden lassen. Die Frage ist, ob § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auch für die Anwendung dieser Differenzierung und ggf. den Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit einen Anhaltspunkt bietet. Dafür spricht erstens, dass der Gesetzgeber nicht von Ermessen spricht, sondern von „unternehmerischer Entscheidung“ und „handeln“, der BGH nicht selten den Begriff „Handlungsspielraum“ verwendet42. Zweitens ist zu beachten, dass der Wortlaut des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG („Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor.“) die Tatsache verdeckt, dass es nicht um eine Ausnahme von der Pflichtwidrigkeit, sondern von der Haftung gehen soll. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bezweckt nicht den Ausschluss einer „Erfolgshaftung“43. Denn eine solche besteht ohnehin nicht und der Zweck der Norm kann nicht in deren Vermeidung liegen. Auch im haftungsprivilegierten Bereich des Ermessens liegen „an sich“ Pflichtverletzungen vor, für die aber
__________ 39 40 41 42 43
Ausführliche Sachverhaltsdarstellung in OLG Düsseldorf, ZIP 1995, 1183 ff. ThürOLG Jena, NZG 2001, 86. OLG München, BKR 2006, 259. BGHZ 135, 244 Leitsatz 3 – ARAG/Garmenbeck. Missverständlich spricht der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance (2001) vom Ausschluss einer „reinen Erfolgshaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft“, Rz. 70.
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eine Haftung ausgeschlossen wird. Es geht also auch um eine Einschränkung der Fahrlässigkeitshaftung. Schließlich ist man sich ziemlich einig, dass die Haftung nach § 93 AktG im Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungen die Ausnahme bleiben und auf schwerwiegende Fälle, die das Gesetz als Ermessensüberschreitung betrachtet, beschränkt sein soll44. In diese Richtung zielt auch die vom Jubilar schon früher vertretene Auffassung, dass Haftung bei unternehmerischen Entscheidungen nur bei grober Fahrlässigkeit eingreifen soll45. Diese Unterscheidung ist gerade bei der hier betrachteten Gruppe der die unternehmerisches Handeln begleitenden vertragstechnischen und sonstigen juristischen Entscheidungen, bei denen ein vertragstechnischer Kunstfehler unterläuft, von Bedeutung. Nicht jede falsche Entscheidung von Fragen der Vertragsgestaltung, bei der gewisse Vorsichtsregeln verletzt wurden (und die in diesem Sinn nach allgemeinen Fahrlässigkeitsbegriffen pflichtwidrig war) und die sich später als nachteilig erweist, stellt demnach eine haftungsbegründende Pflichtverletzung dar. Dies gilt vielmehr für die schwerwiegende Verletzung von Grundregeln der vertragsgestaltenden Risikovorsorge. Ein solcher elementarer Fehler liegt z. B. vor, wenn bei Außenhandelsgeschäften (zumal mit einem unbekannten Vertragsgegner) die Grundregeln des funktionellen Synallagma verletzt werden und das Vorstandsmitglied der AG als Importeur beim Vertragsschluss nicht darauf besteht, nur gegen vollwertige Warenpapiere, flankiert durch Warenversicherungsschutz, eine Zahlungspflicht zu begründen, und umgekehrt als Exporteur nicht dafür sorgt, dass er nur gegen eine ausreichende Sicherung der Zahlung die Ware aus der Hand geben muss46. Wer Swapgeschäfte tätigt, muss sich der anspruchsvollen Fachkenntnisse auf diesem Gebiet notfalls durch Beratung versichern und kann nicht sagen, die unterlassene Kursabsicherung sei ein leichter Fehler gewesen. Im Übrigen gibt es bei der weiteren vertraglichen Ausgestaltung vieler Geschäfte Gestaltungsalternativen und damit Gestaltungs- und Ermessensspielräume hinsichtlich vieler Details, aber auch in der Fülle der Details zahlreiche Fehlerquellen. Hier wird die mangelnde Vermeidung entsprechender Fehler häufig der leichten Fahrlässigkeit einzuordnen sein, die nach dem Sinn des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG keine Haftung auslösen soll.
IV. Ermessensfragen bei rechtlich festgelegten Pflichten? Von unternehmerischen Ermessensentscheidungen sind grundsätzlich die zahlreichen speziellen gesetzlichen Pflichten der Vorstandsmitglieder zu unterscheiden, deren Verletzung ohne Einschränkung eine Haftung nach § 93 AktG begründet und die in dessen Abs. 3 (nicht abschließend) aufgezählt sind. Es ist hier nicht zu erörtern, wieweit bei der Erfüllung einzelner dieser gesetz-
__________ 44 Horn, ZIP 1997, 1129, 1134; zust. Hüffer, Aktiengesetz, 6. Aufl. 2004, § 93 AktG Rz. 13a m. w. N. 45 H. P. Westermann, VersR 1993, Sonderheft, S. 15, 18. 46 Zum letzteren Fall ThürOLG Jena, NZG 2001, 86.
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licher Pflichten ebenfalls Ermessensspielräume bestehen, z. B. die Gestaltungsspielräume bei der Erfüllung der Rechnungslegungspflichten. Aber im Tatbestand des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG selbst spielen wichtige Rechtspflichten eine Rolle: die Pflicht zur Beschaffung angemessener Information und die Beachtung des Wohls der Gesellschaft. Mit letzterem ist die Treupflicht des Vorstandsmitglieds gegenüber der AG, deren Wohl er stets wahren muss, angesprochen. Sie spielt sowohl bei den in §§ 76, 93 AktG normierten Pflichten des Vorstandsmitglieds als auch (in gravierenden Fällen) bei der Anwendung des § 266 StGB eine zentrale Rolle. Weil diese Treupflicht eine wichtige Rechtspflicht ist, wird gefolgert, „dass gerade bei Treuepflichten die Business Judgment Rule keine Anwendung finden kann und darf“47. Der Aussage mag niemand widersprechen. Wo die Treuepflicht verletzt ist, ist die absolute Grenze des Handlungs- und Ermessensspielraums überschritten. Aber um zu diesem Ergebnis zu gelangen, muss in vielen Fällen zunächst eine Abwägung stattfinden, bei der durchaus Überlegungen i. S. der Business Judgment Rule eine Rolle spielen. Dies zeigt sich schon in der Rechtsprechung zu § 266 StGB, die nicht jede gesellschaftsrechtliche Pflichtwidrigkeit eines Organmitglieds bei der Verwendung von Gesellschaftsmitteln ausreichen lässt, sondern nur eine gravierende Verletzung dieser Pflichten. Zur Feststellung, ob diese vorliegt, prüft der BGH eine ganze Reihe von Kriterien, z. B. bei einer sachwidrigen Spende die Ertragslage des Unternehmens oder das Vorliegen sachwidriger Motive48. Auch im Mannesmann-Fall war die Feststellung einer schwerwiegenden Treuepflichtverletzung und der Ausschluss weiterer Überlegungen zu einem Ermessensgebrauch i. S. der Angemessenheitskriterien des § 87 AktG das Ergebnis einer umsichtigen, viele Details und Aspekte der Entscheidungssituation einbeziehenden Prüfung durch den BGH49. Die betreffenden Organmitglieder müssen zuvor in gleicher Weise die Entscheidungssituation nach den gleichen Kriterien überprüfen um sich zu vergewissern, ob sie sich im Rahmen des vernünftigen Gebrauchs ihres Handlungsspielraums bewegen oder diesen überschreiten. Bleiben sie in diesem Rahmen, bleibt die Handlung straffrei im Hinblick auf § 266 StGB und ggf. weitergehend auch haftungsfrei i. S. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.
V. Zusammenfassung Der 2006 eingeführte § 93 Abs. 1 Satz 2 n. F. AktG über Haftungsfreiheit bei unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands der AG normiert im wesentlichen die bereits zuvor nach der Leitentscheidung des BGH im Fall ARAG/ Garmenbeck bestehende Rechtslage. Die Haftungsfreiheit setzt die Erfüllung der gesetzlichen Merkmale einer angemessenen Information und einer Orientierung am Wohl der Gesellschaft voraus sowie einen vernünftigen, d. h. noch
__________ 47 Spindler, ZIP 2006, 350. Vgl. zum Fall Mannesmann auch oben III.3. a. E. 48 BGHSt 47, 187; dazu Wessing, EWiR 2002, 305 m. w. N. 49 BGH, ZIP 2006, 72, 73 f.; dazu Spindler, ZIP 2006, 349, 351 f.
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vertretbaren Gebrauch des unternehmerischen Handlungs- und Ermessensspielraums. Die neuere Rechtsprechung einschließlich der Urteile zur strafrechtlichen Untreue durch Vorstandsmitglieder (§ 266 StGB) kann zur weiteren Präzisierung der Norm beitragen, indem sie Fälle bezeichnet, in denen es an angemessener Information fehlte, das Wohl der Gesellschaft nicht verfolgt wurde oder wo das Handeln außerhalb eines vernünftigen Gebrauchs des Handlungs- und Ermessensspielraums lag. Die Verbesserung der Marktkapitalisierung der AG kann nur mit Einschränkungen als dem Wohl der Gesellschaft dienlich bewertet werden. Der Haftungsfreiraum des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist nicht auf Ermessensfragen beschränkt, sondern gilt auch bei anderen Aspekten des unternehmerischen Handelns, z. B. solchen vertragstechnischen Kunstfehlern, die an sich eindeutige Ermessensüberschreitungen darstellen. Hier ist nach dem Sinn der Norm eine Beschränkung auf schwerwiegende Fehler und auf grob fahrlässiges Handeln geboten. Die Aufgabe einer Abwägung und der Berücksichtigung aller Umstände der Entscheidungssituation stellt sich schließlich auch dort und wird vom BGH vorgenommen, wo es um die Erfüllung oder Verletzung der Treuepflicht des Organmitglieds im Zusammenhang mit unternehmerischem Handeln geht. Zwar steht die Erfüllung der Treuepflicht nicht im Ermessen des Organmitglieds, aber die Feststellung einer Treuepflichtverletzung setzt nicht selten auch die Überprüfung voraus, ob ein Ermessensspielraum bestand und überschritten wurde.
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International Arbitration and Investment Protection I. In these days, international arbitration pertaining to the protection of foreign investment has been enjoying increasing popularity on both the legislative and the scholarly level. ICSID arbitration becomes more and more frequent. Bilateral investment treaties do also thrive moving around the figure of 2000 upwards1. And a leading journal of the discipline, the Stockholm International Arbitration Review2, only last year inaugurated a rubric dedicated to investment arbitration3. Indeed the latter, to wit investment arbitration, seems to concentrate on itself quite a number of features characterizing arbitration tout court. In the first place, investment arbitration brings forth an individual or corporation struggling for the protection of its investment against the complicated mechanism of a state power. If the investment is qualified as foreign, then issues of public international law may arise, including the classical methods of diplomatic protection by the victim’s own state. In addition, investment-related arbitration has been contributing to the elaboration of basic notions of expropriation, such as the „creeping“ or „covert“ expropriation4. Lastly, the fact that improper expropriation usually leads to an award for damages rather than an assessment of invalidity focuses the whole discussion about restoration in natura or an award for damages as the two poles with regard to the types of main arbitral remedies5.
II. I may be allowed to elaborate a little on some of the patterns of international arbitration as exemplified in investment-related arbitration. Two perspectives spring at this point to one’s mind, the principle of equality and the principle of encouraging foreign investments. Under the equality principle, the foreign investor and the state in which the foreign investment gets settled and becomes productive should be granted the same protection. Identity of protection as to what? In the first place, identity
__________ 1 2 3 4 5
Stockholm International Arbitration Review 2005 (1), p. 49. Continuation to the Stockholm International Report. SIAR 2005 (1), pp. 49–187. Ibid., at pp. 169–176. For a recent, internal, juxtaposition among justiciability, the merits and remedies, see Richard H. Fallon, Jr., Judicially Manageable Standards and Constitutional Meaning, Harv. L. Rev. 2005–2006 (119) 1975.
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of treatment with regard to all jurisdictional and procedural issues becoming relevant in the respective arbitration. Such equality of treatment is almost self-understood and requires the arbitral tribunal to make no distinctions at all between the parties to the arbitration, the host state and the foreign investor alike. If the host state does not comply with its obligations under the investment agreement, it is usually for the investor’s state to assume the protection of its individuals or corporations. As the Permanent Court of International Justice held 1924, in the Mavrommatis Case6, „[b]y taking up the case of one of its subjects and by resorting to diplomatic action or international judicial proceedings on his behalf, a State is in reality asserting its own rights – its right to ensure, in the person of its subjects, respect for the rules of international law“7. Such initiative taken by the investor’s national state is predominantly considered as a diplomatic, judicial, or arbitral step in order for the national state to protect its citizens or corporations. In modern international law scholarship, such recourse by substitution, such representation to international judicial organs, is qualified as a distinctive characteristic of the international legal process, as a process by which international law develops8. We may doubt, however, whether we are preponderantly faced here by a method of international law efficiency rather than a concern of equality among the parties. Since by definition the defendant is here a state or state entity, leaving the injured individual as the sole party on claimant’s side would fundamentally run contrary to principles of equality. Precisely, such principles would not tolerate an arbitral proceeding to develop as between an individual or corporation on claimant’s side and, on respondent’s side, a state accompanied by all its inherent qualifications. What is hurt under such a scheme is equality more than efficiency of the arbitral process. Equality is missing. And, since the defendant’s status as a state entity cannot be demoted or discarded, the only way to restore equality is through the channel of inviting the claimant’s national state to come in its citizen’s or its corporation’s procedural position. For the time being, I am unfortunately unable to identify particular practical consequences which may follow from such reorientation from efficiency to equality in the parties’ standing before an international arbitral jurisdiction. The issue seems to deserve some additional research, also with regard to the statutory instruments of each institutional arbitration. A possible repercussion might affect the ambit of the reasons allowing setting aside an arbitral award. It is well known that, in most types of international arbitration, the sensitivity to various emanations of inequality is particularly advanced and conceives inequality as the most extensive and important reason to set aside the arbitral award.
__________ 6 Mavrommatis Palestine Concessions (Jurisdiction), P.C.I.J., Series A, No. 2. 7 See, in general, Steiner and Vagts, Transnational Legal Problems. Materials and Text, 1976, 205–243. 8 See ibid., at pp. 177 ff., 248 ff.
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III. It needs not to be stressed that inequality covers only the arbitral proceedings as such and the treatment of the parties as far as procedure is concerned. In the words of the Greek Code of civil procedure9, „during the arbitral procedure the parties have the same rights and the same duties [and] the principle of equality is complied with …“; and to this extent only, a disregard of the equality principle amounts to a ground to set aside the arbitral award. By contrast, any interpretation or application of substantive norms by the arbitral tribunal in an unequal spirit, or with unequal results, will not support an application to set aside such „unequal“ award. In other words, substantive inequality does not bring about the elimination of the award. One may wonder why the disregard of equality sets aside the arbitral award, while a comparably „unequal“ interpretation of substantive norms by the arbitral tribunal is deprived of such drastic effect. Some voices go even further in considering the consequences of inequality. Such voices would hold that there must be something fundamentally wrong with arbitration as an institution since the latter pays more attention to procedure than to substance. We are, however, well advised to be more cautious. Function and purpose of arbitration tend to fully substitute it to adjudication. Such potentially equal standing between arbitration and adjudication does not allow the latter to sit in judgment vis-à-vis the final product of the former, or vice versa. This is the decisive reason why an application to the state courts to set aside the award must remain an exceptional remedy and, in any event, should not extend to a review of substance, including the interpretation of substantive equality. By contrast, arbitrators have throughout to comply with a minimum of fair treatment of the parties – their standing, their defence and their requests. To the extent that arbitrators are called to produce effects which otherwise would only originate from state institutions, namely res judicata and enforceability, it is reasonable to connect this state-oriented activity to some state-appropriate links. Such links are in this respect the application to set aside the award and, particularly, the ambit of review. What is reviewable is the required procedural framework of arbitration. Law is satisfied so long as the procedural framework is complied with. What comes in as the filling of arbitration with substance is the work of arbitrators, their assessment and their evaluation. Insofar, no application to set aside the award is admissible.
IV. As announced earlier10, next to the principle of equality the principle of encouraging foreign investments should also be looked at in the present reflections on investment-related arbitration. In reality, we mean investmentrelated international rather than domestic arbitration. Already this self-
__________ 9 Arts. 886 II, 897 no. 5. 10 In the text, under II.
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understood limitation is characteristic of the underlying problem. We are talking about international arbitration or, what amounts to the same, about foreign investment-related arbitration because we assume that, in the realm of domestic investment, the judge sitting on a domestic investment dispute would anyway be a national judge and, consequently, equidistant to the parties in dispute, i. e. the state and the domestic investor. It is only with regard to foreign investment that such equidistance as between the parties and the forum is disturbed by having the state as a point of reference to both, the stateparty and the state-forum for the upcoming arbitral proceedings. What would be missing in such a constellation is the equidistance as between the parties with respect of the judge. The required equidistance is missing on account of not so much geographical vicinity but rather functional identity. The disturbing factor is that the regular forum would be occupied by a state judge, who is a functionary of the state-party. Accordingly, elimination of equidistance implies eradication of neutrality and calls for an independent forum, for the comparable neutrality of a non-state tribunal to resolve the investment-related differences11. In this regard, the seat of the arbitral tribunal in the host state of foreign investment becomes in most cases irrelevant. Arbitral neutrality is secured by appointing three independent arbitrators, not belonging to any kind of employees of the host state rather than by locating the arbitral tribunal outside the territory of the host state. In this respect a glimpse into two arbitral schemes which have been put into place, the first in Greece in 1953 and the second worldwide in 1966 might be rewarding. The Greek example refers to the Legislative Decree 2687/1953 on the protection of foreign capitals invested in Greece. Any disputes are to be resolved by arbitration and the arbitral award is binding and not subject to any appellate review. This statutory framework has even been integrated into the Greek Constitution12. Faced by such protective network around arbitral awards produced hereunder, the Supreme Court of Greece found that any judicial examination of the arbitral award is hereby excluded, even with respect to such peripheral matters as arbitrators’ fees13. We have here a closed system of arbitration, self-sufficient and unwilling to receive limitations, other constraints, or even simple messages from the general law of arbitration. In such system, arbitration is both mandatory and exclusive of any other system of review under rules of either arbitration or adjudication. On the other hand, ICSID (the 1966 Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of Other States) is, as appropriately described, „an attempt to institutionalize dispute resolution between
__________ 11 See Folsom/Gordon/Spanogle, International Business Transactions2,, 2001, § 35.1, referring in general to Reisman/Craig/Park/Paulsson, International Commercial Arbitration, 1997. 12 Art. 107, in the Section on Special Provisions (Arts. 106–109). 13 See, on the whole problem, Kerameus, Legislative prohibition of any recourse and the application to set aside an arbitral award, Helliniki Dikaiosyni 1989 (30), pp. 261–263, reprinted in Kerameus, Legal Studies II, 1994, pp. 467–473 [in Greek].
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States and non-State investors“14. This system is to be taken or to be left by the parties according to their agreement. Insofar, the proposed system is closed but not mandatory. The system provides for both conciliation and arbitration, and is tuned to the dispute-resolving mechanisms between States and nonState investors. The rules are purely technical, in the sense that they operate on a merely technical level, regardless of the substantive arrangement, by law or contract, as far as the merits of their contractual relationship are concerned. Here, institutional arbitration is a process disinvested from the matter itself – and also disinvested from the whole arsenal of exaggerated technical argument. What the American judge Learned Hand wrote about 60 years ago remains still valid. He wrote: „Arbitration may or may not be a desirable substitute for trials in courts; as to that the parties must decide in each instance. But when they have adopted it, they must be content with its informalities; they may not hedge it about with those procedural limitations which it is precisely its purpose to avoid. They must content themselves with looser approximations to the enforcement of their rights than those that the law accords them, when they resort to its machinery“15.
__________ 14 Folsom/Gordon/Spanogle (fn. 11) at 1123. 15 American Almond Products Co. v. Consolidated Pecan Sales Co., Inc., 144 F. 2d 448 (2d Cir. 1944).
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Modalitäten ordnungsgemäßer Bareinlageleistung bei Gründung einer Aktiengesellschaft Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Gegenstand ordnungsgemäßer Leistung: Die eingeforderte Bareinlage III. Formen ordnungsgemäßer Einzahlung IV. Leistung zur (endgültig) freien Verfügung des Vorstands 1. Gesetzliche Anknüpfungen 2. Der Maßstab der freien Verfügungsgewalt 3. Insbesondere: Verwendungsabreden a) Drittverwendungen b) Mittelverwendung zu Zahlungen an den Einleger 4. Fortdauernde Verfügungsgewalt im Moment der Anmeldung? a) Die überholte Lehre vom Thesaurierungsgebot
b) Das Postulat wertgleicher Deckung c) Freiheit der Mittelverwendung und Unterbilanzhaftung 5. Erklärungen, Versicherungen und Nachweise im Registerverfahren a) Zeitgemäße Interpretation von § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG b) Die Bestätigung des Kreditinstituts (§ 37 Abs. 1 Satz 3 AktG) c) Der Nachweis über Steuern und Gebühren (§ 37 Abs. 1 Satz 5 AktG) V. Ausblick
I. Einleitung Das Aktiengesetz bindet die Anmeldung der Aktiengesellschaft zur Eintragung ins Handelsregister an die Erfüllung von Vorgaben über die Modalitäten ordnungsgemäßer Bareinlageleistungen. Nach § 54 Abs. 3 Satz 1 AktG kann der vor der Anmeldung eingeforderte Betrag schuldbefreiend nur in gesetzlichen Zahlungsmitteln oder durch Gutschrift auf ein Konto bei einem Kreditinstitut oder einem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 KWG tätigen Unternehmen der Gesellschaft oder des Vorstands „zu seiner freien Verfügung eingezahlt“ werden. Daran anknüpfend regelt § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG die Modalitäten der Leistung auf die eingeforderten Bareinlagen als Voraussetzung für die Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung („darf erst erfolgen“) und damit für die Eintragung selbst. Dabei wird die Anmeldung der Gesellschaft davon abhängig gemacht, dass der eingeforderte Betrag nach § 54 Abs. 3 AktG „ordnungsgemäß eingezahlt worden ist“ und „endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht“; hiervon nimmt das Gesetz allein solche Beträge aus, die bereits zur Bezahlung der bei Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt worden sind.
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Jene gesetzlichen Vorgaben werden ergänzt durch die von § 37 Abs. 1 AktG geforderten Erklärungen und Nachweise: In der Anmeldung ist auch nachzuweisen, dass der eingezahlte Betrag „endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht“. Ist der Betrag gem. § 54 Abs. 3 AktG durch Gutschrift auf ein Konto eingezahlt worden, so ist dieser Nachweis durch eine Bestätigung des kontoführenden Instituts zu führen. Sind von dem eingezahlten Betrag Steuern und Gebühren bezahlt worden, so ist dies nach Art und Höhe der Beträge nachzuweisen. Die zivil- und strafrechtlichen Sanktionen nach §§ 46, 48 und 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG unterstreichen schließlich den Stellenwert jener gesetzlichen Erklärungs- und Nachweispflichten. Nach den Formulierungen des Gesetzes hat das Erfordernis der (endgültig) freien Verfügung also einen zweifachen Bezugspunkt: zum einen die Leistung der eingeforderten Bareinlage vor Anmeldung, zum anderen den Fortbestand der Verfügbarkeit der geleisteten Barmittel noch im Moment der Anmeldung. Der Konzeption des historischen Gesetzgebers lag mithin ganz offenbar der Gedanke eines „Thesaurierungsgebots“ bezogen auf die (nach Einforderung) eingezahlten Bareinlagen zugrunde, von dem allein die zur Begleichung der Steuern und Gebühren aufgewandten Beträge befreit sein sollten. Nur so gibt das Erfordernis, der vor Anmeldung eingeforderte und bezahlte Betrag müsse noch bei Anmeldung zur endgültig freien Verfügung des Vorstands „stehen“, einen Sinn1. Dieses Konzept gilt heute als überholt; was an seine Stelle zu treten hat, ist freilich noch nicht befriedigend geklärt. Und ebenso sind die maßgeblichen Kriterien des Leistungserfordernisses der „freien Verfügung“ bzw. „endgültig freien Verfügung“ in den Einzelheiten keineswegs unumstritten, wenngleich die Rechtsprechung des BGH hier zu einer deutlichen Beruhigung der – das Aktien- wie GmbH-Recht gleichermaßen betreffenden (s. insbes. §§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 Satz 2, 54 Abs. 3, 188 Abs. 2, 203 Abs. 1 Satz 1 AktG und §§ 7 Abs. 3, 8 Abs. 2 Satz 1, 57 Abs. 2 GmbHG) – Debatte geführt hat. Die nachfolgende Skizze, dem Jubilar in Hochachtung zugeeignet, versucht den Diskussionsstand zusammenzufassen und kritisch zu bewerten. Sie konzentriert sich auf das Gründungsrecht der Aktiengesellschaft.
II. Gegenstand ordnungsgemäßer Leistung: Die eingeforderte Bareinlage Gegenstand der gesetzlichen Leistungsmodalitäten nach §§ 36 Abs. 2 Satz 1, 54 Abs. 3 AktG ist der – vom Vorstand – tatsächlich eingeforderte Betrag. § 36a Abs. 1 AktG schreibt einen einzufordernden Mindestbetrag bei Bareinlagen vor: nämlich ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags (legaldefiniert in § 9 Abs. 1 AktG), bei Ausgabe für einen höheren Betrag (Überpariemission; § 9 Abs. 2 AktG) zuzüglich des vollen zu zahlenden Mehrbetrags. Jedoch kann die Satzung eine höhere Quote vorsehen und der Vorstand auch bei fehlender
__________ 1 S. nur Röhricht in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 36 AktG Rz. 84.
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Satzungsbestimmung einen höheren Betrag einfordern, wobei die Satzung einen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 AktG statuieren kann2. Von den eingeforderten Beträgen in diesem Sinne zu unterscheiden sind freiwillige Mehrleistungen, die ein Gründer (ohne Einforderung und ohne satzungsmäßige Verpflichtung) vor der Anmeldung auf die übernommene Bareinlage erbringt. Sie hatten nach früherer GmbH-rechtlicher Rechtsprechung nur befreiende Wirkung, wenn sie der Gesellschaft noch zum Zeitpunkt der Eintragung unverbraucht zur Verfügung standen3. Der BGH hat diese Einschränkung – nach Abkehr vom Vorbelastungsverbot4 – zu Recht aufgegeben5, weil sie mit der Unterbilanzhaftung (Vorbelastungshaftung) der Gründer in unlösbarem Konflikt steht. Im Aktienrecht kann nichts anderes gelten6.
III. Formen ordnungsgemäßer Einzahlung § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG macht die Anmeldung zur Eintragung der Gesellschaft von der „ordnungsgemäßen Einzahlung“ der Bareinlage abhängig und verweist dazu auf § 54 Abs. 3 AktG. Der eingeforderte Betrag kann demnach nur in den dort zugelassenen Formen zur freien Verfügung des Vorstandes geleistet werden, nämlich in gesetzlichen Zahlungsmitteln (Barzahlung), durch Gutschrift auf ein Konto bei einem Kreditinstitut oder durch sonstige Kontogutschrift nach näherer Bestimmung des § 54 Abs. 3 AktG7. Nicht genügend ist insbesondere die unmittelbare Leistung an einen Gläubiger zur Tilgung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft, auch nicht, wenn das mit Einverständnis des Vorstands geschieht8.
IV. Leistung zur (endgültig) freien Verfügung des Vorstands 1. Gesetzliche Anknüpfungen Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG „darf die Anmeldung erst erfolgen“, wenn der eingeforderte Betrag „ordnungsgemäß“, d. h. in den Formen des § 54 Abs. 3 AktG, „zur freien Verfügung“ des Vorstands eingezahlt worden ist und, soweit er nicht zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt wurde, noch „endgültig zur freien Verfügung des Vorstands
__________ 2 Pentz in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 36 AktG Rz. 43; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 41 und 45. 3 S. nur BGHZ 37, 75. 4 BGHZ 80, 129. 5 BGHZ 105, 300. 6 S. schon Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 36a AktG Rz. 3; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 72 ff.; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 42. 7 In der durch Art. 4 Nr. 1 des Begleitgesetzes zum Gesetz zur Umsetzung von EGRichtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapierrechtlicher Vorschriften v. 22.10.1997 (BGBl. I, S. 2567) geänderten Fassung. 8 BGHZ 119, 177, 188 f.
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steht“. Gem. § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG ist in der Anmeldung nachzuweisen, dass der eingezahlte Betrag „endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht“. 2. Der Maßstab der freien Verfügungsgewalt Das Erfordernis der Leistung zur freien Verfügung verlangt – das ist im Ausgangspunkt allgemein akzeptiert – die Begründung freier Verfügungsgewalt des Vorstands über die vom Einlageschuldner eingezahlten Mittel; Letzterer muss seine Verfügungsmacht an den eingezahlten Mitteln aufgeben und dem Vorstand die rechtliche wie tatsächliche Möglichkeit übertragen, im Rahmen seiner Verantwortlichkeit (§§ 76, 93 AktG) über die Mittel zu disponieren9. An der freien Verfügungsgewalt des Vorstands fehlt es deshalb in Fällen bloßer Scheinzahlungen, bei denen die Mittel dem Vorstand nur um des Scheins der Einzahlung willen unter der Absprache übergeben werden, sie alsbald zurückzureichen: hier sollen dem Gesellschaftsvermögen vom Einlageschuldner überhaupt keine Mittel zugeführt werden10. Dabei sieht der BGH schon in der zeitnahen Rückzahlung der Bareinlagemittel ein Indiz für die fehlende freie Verfügbarkeit11. Entsprechendes gilt, wenn die Zahlung aus Mitteln der Gesellschaft bewirkt wird, etwa wenn diese dem Einlageschuldner ein Darlehen ausreicht oder wenn sie ein Drittdarlehen besichert12. An der Einzahlung zur freien Verfügung des Vorstands fehlt es schließlich auch, wenn dieser aus tatsächlichen Gründen an der Verfügungsmöglichkeit über die eingezahlten Mittel beschränkt ist13. Bei Einzahlungen der Bareinlage auf ein Konto der Gesellschaft mangelt es an der freien Verfügung des Vorstandes, wenn es diesem rechtlich nicht möglich ist, mittels einer Anweisung an die kontoführende Bank über die gutgeschriebenen Beträge zu disponieren, etwa weil das Konto von der Bank gesperrt worden ist14. Ebenso fehlt es an der Verfügungsmacht, wenn ein Gesellschaftsgläubiger das Guthaben schon vor Einzahlung der Einlagemittel gepfändet
__________ 9 S. etwa Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 483 ff.; Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 7; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 54 AktG Rz. 46; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 56; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 48; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 109. 10 BGHZ 113, 335, 347; BGH, NJW 2001, 3781, 3782; BGH, NZG 2004, 618; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 486 m. zahlr. Nachw. aus der älteren Rechtsprechung; Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 8; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 55; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 58; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 110 f. 11 S. BGHZ 153, 108, 109; BGH, NZG 2004, 618; BGHZ 165, 113, 116 ff.; BGHZ 165, 352, 355 ff. 12 BGHZ 122, 180, 184; BGHZ 153, 107, 110; BGH, NZG 2004, 618; BGH, ZIP 2006, 1633, 1634; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 490; Röhricht in Großkomm. AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 60 m. w. N. 13 S. etwa BGH, AG 1978, 166 und dazu Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 491; vgl. auch Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 100 m. w. N. 14 BGH, WM 1962, 644; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 490.
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hat15. Die Zahlung der Einlage auf ein debitorisches Gesellschaftskonto ist dann keine Leistung zur freien Verfügung des Vorstandes, wenn die Kreditlinie überschritten oder der Kontokorrentkredit zur Rückzahlung fällig ist und die Bank die eingezahlten Mittel deshalb zur Rückführung des Kredits sofort mit dem Schuldsaldo verrechnen kann. Demgegenüber ist freie Verfügbarkeit gegeben, wenn die kontoführende Bank im Rahmen einer gewährten Kreditlinie Verfügungen in Höhe des eingezahlten Betrages gestattet16. Die Einzahlung der Mittel auf ein Treuhandkonto (eines Notars) unter Freigabe erst mit Anmeldung oder Eintragung steht, wenn der Vorstand dann disponieren kann, der freien Verfügbarkeit ebenfalls nicht entgegen17. 3. Insbesondere: Verwendungsabreden Für die praktisch bedeutsame Frage, ob Vereinbarungen über die zukünftigen Verwendungen der geleisteten Einlagen der freien Verfügbarkeit des Vorstands entgegenstehen, ist zwischen einer Verwendung zugunsten von Dritten und der Mittelverwendung zur Zahlung an den Einleger selbst zu unterscheiden. a) Drittverwendungen Wird – sei es zwischen den Gründern, zwischen Vorstand und Gründern oder auch im Rahmen entsprechender Absprachen mit Dritten – vereinbart, die eingezahlten Mittel in bestimmter Weise Dritten gegenüber (etwa zur Finanzierung eines Beteiligungserwerbs) zu verwenden, so steht dies – sofern der Vorstand vom Einleger nicht an jeder anderen, abredewidrigen Mittelverwendung gehindert werden kann – der freien Verfügbarkeit nach heute ganz überwiegender Ansicht nicht entgegen18. Denn jedenfalls solche Abreden werden nicht mehr dem Bereich der Kapitalaufbringung (für den § 36 Abs. 2 AktG allein Geltung beansprucht), sondern dem der Mittelverwendung zugerechnet19.
__________ 15 Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 490; Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 8. 16 Weiterführend zum Ganzen BGH, NJW 1991, 226, 227; NJW 1991, 1294, 1295; BGHZ 119, 177, 190 f.; BGH, DStR 1996, 1416, 1417; BGH, NZG 2002, 522, 523 u. 524, 525; BGH, ZIP 2005, 121, 122; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 491; Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 9; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 68; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 101 ff., je m. w. N. 17 Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 7; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 54 AktG Rz. 46; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 112; a. A. Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 50. 18 BGH, NJW 1991, 226, 227; BGHZ 153, 107, 110; BGH, ZIP 2007, 528, 529; OLG Köln, NZG 2001, 615 f.; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 481 ff.; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 54 AktG Rz. 53; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 53, Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 81 ff.; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 111; nicht eindeutig Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 8. 19 S. nur Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 82.
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b) Mittelverwendung zu Zahlungen an den Einleger Demgegenüber sehen der BGH20 und die ganz herrschende Lehre21 bei Verwendungsabsprachen, welche die – sei es auch nur mittelbare – Rückzahlung der Barmittel in das Vermögen des Einlegers zum Gegenstand haben, die freie Verfügung des Vorstands als nicht gegeben an. Sie wird auch dort verneint, wo der Wert der eingezahlten Barmittel zur Erfüllung einer (gegen die Gesellschaft gerichteten) Gegenforderung wieder an den Einleger zurückfließen soll. Der Gesellschaft würden hier gerade keine Barmittel endgültig und zur freien Verfügung des Vorstands zugeführt. Namentlich in den Konstellationen verdeckter Sacheinlagen fehlt es nach dieser Ansicht deshalb auch an der (von § 36 Abs. 2 AktG) geforderten Leistung zur endgültig freien Verfügung22. Indes ist diese Interpretation des Merkmals der freien Verfügung nach wie vor dem Einwand ausgesetzt, nicht konsequent genug zwischen der Mittelaufbringung und der Mittelverwendung zu unterscheiden23. Denn anders als in den Konstellationen bloßer Scheinzahlungen hat der Einlageschuldner, wo der Wert der eingelegten Mittel zur Erfüllung einer Gegenforderung später wieder an ihn zurückfließt, dem Gesellschaftsvermögen zuvor tatsächlich Barmittel zugeführt. Weil bestehende schuldrechtliche Rückzahlungsverpflichtungen die Befugnis des Vorstands zur freien (ggf. abredewidrigen) Verfügung über die eingezahlten Mittel nicht hindern, ist das Erfordernis der Mittelaufbringung zur freien Verfügung als erfüllt anzusehen24. Eine andere Beurteilung ist nur dort geboten, wo die Bareinlageschuld des Inferenten mit einer ihm gegenüber bestehenden Verbindlichkeit der Gesellschaft verrechnet wird; hier leistet der Einlageschuldner überhaupt kein Bar- oder Buchgeld, über das der Vorstand
__________ 20 BGHZ 113, 335, 347 ff.; BGHZ 122, 180, 185; BGHZ 153, 107, 110; s. auch BGH, NZG 2004, 618; BGHZ 165, 113, 116 ff.; BGHZ 165, 352, 355 ff. Ebenso etwa OLG Jena, ZIP 2007, 124, 126; OLG München, ZIP 2007, 126, 128. 21 Etwa Bayer in FS Horn, 2006, S. 271, 275 f.; Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 9; Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaftern, 1991, S. 183 ff.; Kraft in KölnKomm.AktG, 1. Aufl. 1985, § 36 AktG Rz. 33; W. Müller in FS Beusch, 1993, S. 631, 640; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 58 ff.; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 65 ff.; Ulmer, ZHR 154 (1990), 128, 138. Für das GmbH-Recht z. B. Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 7 GmbHG Rz. 17; Ulmer in Großkomm.GmbHG, 2005, § 7 GmbHG Rz. 56 f.; H. Winter/Veil in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 7 GmbHG Rz. 36. 22 In diesem Sinne BGHZ 113, 335, 347 ff.; BGHZ 150, 197, 200 (für das GmbH-Recht); Henze, ZHR 154 (1990), 105, 117 f.; Ihrig (Fn. 21), S. 158 ff., 200 ff.; Mülbert, ZHR 154 (1990) 145, 148, 182 ff.; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 54, Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 77 ff. 23 Eingehend zur Kritik schon Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 486 ff. im Anschluss an Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 109 ff.; ähnlich Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333, 364 ff.; Mildner, Bareinlage, Sacheinlage und ihre „Verschleierung“ im Recht der GmbH, 1989, S. 86 ff.; Habetha, ZGR 1998, 305, 317; Priester, ZIP 1994, 599, 604; ders. in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 56a GmbHG Rz. 14. 24 S. auch Priester in Scholz (Fn. 23), § 56a GmbHG Rz. 14: „Entscheidend ist das Verfügenkönnen, nicht das Verfügendürfen.“
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verfügen könnte25. Von solchen Fällen abgesehen berührt die Verwendung der Bareinlage zur Finanzierung einer verdeckten Sacheinlage aber nicht die Ebene der Mittelaufbringung, sondern den (von § 36 Abs. 2 AktG nicht mehr erfassten) Bereich der Mittelverwendung. Ungeachtet des Verstoßes gegen die gesetzlichen Sacheinlagekautelen haben die eingezahlten Gelder doch jedenfalls zur freien Verfügung des Vorstands gestanden26. 4. Fortdauernde Verfügungsgewalt im Moment der Anmeldung? a) Die überholte Lehre vom Thesaurierungsgebot § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG macht die Anmeldung nicht nur davon abhängig, dass der eingeforderte Betrag zur freien Verfügung des Vorstands eingezahlt wurde, sondern auch davon, dass der Betrag noch „endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht“, soweit er nicht bereits zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt worden ist. In der Konzeption des historischen Gesetzgebers muss der Vorstand die Verfügungsgewalt über das eingezahlte Geld – von Ausgaben für Steuern und Gebühren abgesehen – also noch zur Zeit der Anmeldung haben27. In Übereinstimmung damit verlangte die früher ganz herrschende Lehre28, der vor Anmeldung der Eintragung der Gesellschaft eingeforderte und bezahlte Betrag müsse (mit den bezeichneten Ausnahmen) noch im Zeitpunkt der Anmeldung vollständig gegenständlich vorhanden sein. Die Einlagemittel mussten also zwar zur freien Verfügung des Vorstands geleistet werden, der von seiner Verfügungsmacht aber bis zur Anmeldung keinen Gebrauch machen durfte29: Er unterlag einer Thesaurierungspflicht (einem Thesaurierungsgebot)30, was mit dem lange Zeit verfochtenen Vorbelastungsverbot korrespondierte, nach dem die AG aus rechtsgeschäftlicher Tätigkeit vor Eintragung (abgesehen von notwendigen Geschäften) nicht mit Verbindlichkeiten belastet werden durfte und konnte31. Im Modell des historischen Gesetzgebers sollten die §§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 AktG dem Vorbelastungsverbot gewis-
__________ 25 Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 112; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 490. 26 Eingehend schon Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 488 ff. 27 S. dazu auch Blecker, Die Leistung der Mindesteinlage in Geld zur „(endgültig) freien Verfügung“ der Geschäftsleitung bei Aktiengesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Fall der Gründung und der Kapitalerhöhung, 1995, S. 11 ff.; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 483 (im Text bei Fn. 44); Hüffer, ZGR 1993, 474, 483; Ihrig (Fn. 21), S. 44 ff., 82; Kamanabrou, NZG 2002, 702, 703 f.; Mülbert, ZHR 154 (1990), 145, 148 ff.; G. H. Roth in FS Semler, 1993, S. 299, 301 f.; ders., ZHR 167 (2003), 89, 92 f. 28 S. nur Fischer in Großkomm.AktG, 2. Aufl. 1961, § 28 AktG 1937 Anm. 15; weitere Nachweise in BGHZ 119, 177, 183. 29 Fischer in Großkomm.AktG (Fn. 28), § 28 AktG 1937 Anm. 15. 30 S. zur Interpretation der gesetzlichen Grundkonzeption in eben diesem Sinne auch Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 84. 31 Dazu etwa Barz in Großkomm.AktG, 3. Aufl. 1973, § 41 AktG Anm. 4; Baumbach/ Hueck, AktG, 13. Aufl. 1968, § 41 AktG Rz. 5; Kraft in KölnKomm.AktG (Fn. 21), § 41 AktG Rz. 51.
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sermaßen Flankenschutz gewähren. Denn solange die eingezahlten Beträge im Sinne einer Bardepotpflicht gebunden sind, können sie erst gar nicht für vorbelastende Geschäfte ausgegeben werden32. In seiner Grundsatzentscheidung vom 9. März 1981, ergangen zum Recht der GmbH, hatte der BGH das Vorbelastungsverbot aufgegeben und durch sein Konzept der Unterbilanzhaftung (Vorbelastungshaftung) ersetzt33. Im Aktienrecht kann – was hier nicht näher zu erörtern ist – nichts anderes gelten34. Die damit gewonnenen Freiheiten für eine Geschäftstätigkeit schon der Vor-AG würden weitgehend zunichte gemacht, wollte man am Verständnis der §§ 36 Abs. 2 Satz 1, 37 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 AktG im Sinne eines Thesaurierungsgebotes festhalten. b) Das Postulat wertgleicher Deckung Vor diesem Hintergrund spricht sich eine verbreitete Lehre, der sich auch der BGH zunächst angeschlossen hatte35, heute für ein Gebot wertgleicher Deckung aus36: Danach ist genügend aber auch erforderlich, dass an die Stelle der eingeforderten und bezahlten Bareinlagen aktivierungsfähige Vermögensgegenstände von gleichem Wert getreten sind; die Verwendung der Einlagemittel muss also dazu geführt haben, dass der Gesellschaft ein diesen Mitteln entsprechender Wert zugeflossen ist, der für sich genommen im Zeitpunkt der Anmeldung noch vorhanden ist (wertgleiche Surrogation)37. Allerdings wird die Mittelverwendung zur Tilgung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft – wenn die Forderung gegen die Gesellschaft vollwertig, fällig und liquide war – ebenfalls als zulässig angesehen38. Wer in diesem Sinne auf eine wertgleiche Deckung abstellt, die im Zeitpunkt der Anmeldung gegeben sein muss39, verlangt bei der Anmeldung die Versiche-
__________ 32 S. zum systematischen Zusammenhang zwischen Thesaurierungsgebot und Vorbelastungsverbot Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 112, 114 f.; Lutter, NJW 1989, 2649, 2653 ff.; Priester, ZIP 1994, 599, 601. 33 BGHZ 80, 129. 34 So auch KG, NZG 2004, 826; offen gelassen in BGHZ 119, 177, 186. 35 BGHZ 119, 177, 187 f. (für die Kapitalerhöhung in der AG). 36 Aus dem aktienrechtlichen Schrifttum etwa Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 11a; ders., ZGR 1993, 474, 481 ff.; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 79 ff.; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 85 ff.; G. H. Roth, ZHR 167 (2003), 89, 91 ff. Für das GmbH-Recht s. etwa Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 7 GmbHG Rz. 8; Ihrig (Fn. 21), S. 90 ff., 102 ff.; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 8 GmbHG Rz. 26 ff.; Ulmer in Großkomm.GmbHG (Fn. 21), § 7 GmbHG Rz. 55. 37 So BGHZ 119, 177, 187 f., wo von der „mit den Eigenmitteln getätigten Investition“ gesprochen wird; der Sache nach übereinstimmend Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 88. 38 Hüffer, ZGR 1993, 474, 484; Priester, ZIP 1994, 599, 601; Röhricht in Großkomm. AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 89; einschränkend Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 81. 39 Für eine zeitliche Erstreckung auf den Zeitpunkt der Eintragung freilich G. H. Roth, ZHR 167 (2003), 89, 97 f.
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rung und den Nachweis, dass der eingezahlte Betrag wertmäßig (noch) zur endgültig freien Verfügung steht40; dabei hat der BGH (für die Kapitalerhöhung) den Vorstand als verpflichtet angesehen, „im einzelnen unter Vorlage der entsprechenden Unterlagen darzulegen, für welche geschäftlichen Maßnahmen der Einlagebetrag verwendet worden ist“41. Übereinstimmend wird auch für die Gründung die Angabe der Anschaffungen und der getilgten Verbindlichkeiten im Einzelnen unter Bezeichnung der dafür aufgewendeten Beträge verlangt, so dass vom Registergericht die Wertgleichheit nachgeprüft werden könne42. Der BGH hat das Postulat wertgleicher Deckung für die Kapitalerhöhung inzwischen freilich wieder aufgegeben: Weil bei der Kapitalerhöhung die Einlage – anders als bei der Gründung – an die bereits bestehende Gesellschaft geleistet werde, bedürfe es besonderer Maßnahmen zur Gewährleistung ordnungsgemäßer Kapitalaufbringung nicht43. Ob der II. Zivilsenat für das Gründungsrecht am Gebot der wertgleichen Deckung festhalten will, ist ungewiss; Formulierungen im Zusammenhang mit der Mantelverwertung im GmbH-Recht deuten freilich darauf hin44. Im Übrigen dürfen die eingezahlten Bareinlagen – angesichts des in § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG ausdrücklich formulierten Vorbehalts – schon nach der Konzeption des historischen Gesetzgebers zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt werden. Dementsprechend müssen die hierfür ausgegebenen Beträge bei der Anmeldung auch nach der Lehre von der wertgleichen Deckung nicht mehr wertmäßig vorhanden sein. Das gilt freilich nur unter der Voraussetzung, dass dieser Gründungsaufwand zu Lasten der Gesellschaft in der Satzung wirksam festgesetzt worden ist (§ 26 Abs. 2 AktG)45. Erfasst werden dann die unmittelbar gründungsbedingten Aufwendungen, etwa Notargebühren und Bekanntmachungskosten, Anmeldegebüh-
__________ 40 Wobei überwiegend eine Gesamtvermögensbetrachtung (Ausgleich einer Wertunterdeckung durch anderweit erzielte Gewinne) zugelassen wird; so etwa Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 81; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 90; G. H. Roth, ZHR 167 (2003), 89, 94; ders. in Roth/Altmeppen (Fn. 36), § 8 GmbHG Rz. 26; anders Hüffer, ZGR 1993, 474, 483 („Gesamtvermögensbetrachtung weder erforderlich noch hilfreich“). 41 BGHZ 119, 177, 188; s. dazu auch Hüffer, ZGR 1993, 474, 483: Prüfung des „Wertverlaufs des jeweils eingesetzten Teilbetrags aus der Mindesteinlage“. 42 In diesem Sinne etwa Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 80. Zuvor schon Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 94 ff., der einräumt, dass damit eine erhebliche Erschwerung des Eintragungsverfahrens verbunden ist, und der deshalb die Sinnhaftigkeit der Abkehr vom Thesaurierungsgebot letztlich wieder anzweifelt (Rz. 97 a. E.). 43 BGHZ 150, 197, 199 f. (für die GmbH) unter ausdrücklicher Aufgabe von BGHZ 119, 177; ebenso BGH, NZG 2002, 524; NZG 2002, 636; NZG 2002, 639. 44 Vgl. BGHZ 155, 318, 325 für die Reaktivierung eines GmbH-Altmantels: ein Viertel des statutarischen Stammkapitals müsse sich „wertmäßig in der freien Verfügung der Geschäftsführung befinden“. 45 Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 10; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 75; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 91.
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ren, andere Auslagen nach §§ 136 ff. KostO, ggf. Grunderwerbssteuern und auch die Vergütung der Gründungsprüfer46, nicht aber sonstige Kosten, z. B. für den Druck der Aktien, Vermittlungsprovisionen oder aus anderen privatrechtlichen Verbindlichkeiten47. c) Freiheit der Mittelverwendung und Unterbilanzhaftung Die Lehre vom Gebot wertgleicher Deckung ist jedoch Einwänden ausgesetzt. Sie zieht nur eine halbherzige Konsequenz aus der Aufgabe des Vorbelastungsverbots und würdigt zudem nicht hinreichend, dass es bei dem Merkmal der Leistung zur freien Verfügung allein um die Ebene der Mittelaufbringung, nicht aber den Bereich der Mittelverwendung geht48. Der Abschied vom Vorbelastungsverbot, das nicht mehr Bestandteil des geltenden Rechts ist, muss sich auch in einer zeitgemäßen Interpretation des § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG niederschlagen, welche dem Vorstand die notwendige Freiheit in der Verwendung der eingeforderten Mittel lässt und zudem Nachweisschwierigkeiten der Wertdeckung gegenüber dem Registergericht vermeidet. Die gesetzlichen Vorgaben aus § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG sind als erfüllt anzusehen, sobald die eingeforderten Mittel zur freien Verfügung des Vorstands eingezahlt worden sind. Danach ist der Vorstand in der Disposition über die Mittel für die Zwecke der Gesellschaft frei49. Freilich ist der Gefahr zu begegnen, dass die Mittelverwendung zu Schmälerungen des Garantiekapitals vor Entstehung der AG führt; in dieser Zielsetzung verdient der Gedanke wertgleicher Deckung durchaus Beifall. Für die Sicherung der Wertdeckung ist aber nicht die zeitlich andauernde (endgültig) freie Verfügung über den eingezahlten Betrag zu bemühen, auch nicht im Sinne eines wertmäßigen Verständnisses. Diese Aufgabe übernimmt nach dem heutigen Stand der Dogmatik vielmehr das Institut der Unterbilanzhaftung (Vorbelastungshaftung) der Gründer50. Ist schon zum Zeitpunkt der Anmeldung eine Unterbilanz entstanden (für deren Berechnung Ausgaben für Steuern und Gebühren nach Maßgabe von § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG unberücksichtigt bleiben51), so muss diese in der dann feststellbaren Höhe vor Anmeldung der
__________ 46 Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 10; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 77; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 91. 47 Hüffer (Fn. 6), § 36 AktG Rz. 10; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 78; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 92. 48 S. dazu schon oben zu IV.3. 49 Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 484 f.; Lutter, NJW 1989, 2649, 2652 f., 2655; Priester, ZIP 1994, 599, 602; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 114 f.; Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333, 366 f. Fn. 91. 50 Ebenso Kamanabrou, NZG 2002, 702, 705; für das GmbH-Recht auch H. Winter/Veil in Scholz (Fn. 21), § 7 GmbHG Rz. 33 u. § 8 GmbHG Rz. 24; Lutter/Bayer in Lutter/ Hommelhoff (Fn. 21), § 7 GmbHG Rz. 20; weniger eindeutig freilich Bayer in FS Horn (Fn. 21), S. 271, 278 f. 51 S. dazu oben zu IV.4.b.
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Gesellschaft zur Eintragung ins Handelsregister ausgeglichen werden; andernfalls besteht ein Eintragungshindernis (Eintragungsverbot)52. 5. Erklärungen, Versicherungen und Nachweise im Registerverfahren a) Zeitgemäße Interpretation von § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG Die Interpretation der gesetzlichen Vorgaben aus § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG hat nicht nur Auswirkungen auf die Konkretisierung der von § 37 Abs. 1 Satz 1 AktG verlangten Erklärung, dass auf jede Aktie der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß, d. h. in einer der von § 54 Abs. 3 AktG zugelassenen Leistungsmodalität zur freien Verfügung des Vorstands eingezahlt worden ist. Ebenso hängt hiervon das zeitgemäße Verständnis des von § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG verlangten Nachweises ab, dass der eingezahlte Betrag bei Anmeldung noch endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht. Wer das Gebot wertgleicher Deckung befürwortet, verlangt von den zur Anmeldung berufenen Personen (nach § 36 Abs. 1 AktG alle Gründer und alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats) die Versicherung und den Nachweis, dass der eingezahlte Betrag wertmäßig (noch) zur endgültig freien Verfügung steht. Dazu bedürfe es Angaben und Belege über getätigte Anschaffungen und getilgte Verbindlichkeiten unter Bezeichnung der dafür aufgewendeten Beträge in so konkreter Form, dass vom Registergericht die Wertgleichheit nachgeprüft werden könne53. Sofern der Vorstand hingegen noch in voller Höhe über den eingeforderten Betrag disponieren könne, empfehle sich zur Beschleunigung der Eintragung die Abgabe einer entsprechenden (Negativ-)Erklärung54. Demgegenüber sind nach hier verfochtener Auffassung55 die gesetzlichen Vorgaben aus § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG als erfüllt anzusehen, sobald die eingeforderten Mittel zur freien Verfügung des Vorstands eingezahlt worden sind. Konsequent ist die Erklärungs- und Nachweispflicht zur freien Verfügbarkeit nach § 37 Abs. 1 und 2 AktG allein auf diese Einzahlung zu beziehen, wobei der Nachweis durch Bankbestätigung gem. § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG – dazu sogleich – oder ggf. auf andere Weise56 zu erbringen ist. Nach der Einzahlung ist
__________ 52 S. dazu (für das GmbH-Recht) auch Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 21), § 7 GmbHG Rz. 20 und § 11 GmbHG Rz. 32; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 93, 128 f.; ders. in Scholz (Fn. 21), § 11 GmbHG Rz. 123; Ulmer in Großkomm.GmbHG (Fn. 21), § 8 GmbHG Rz. 31. 53 In diesem Sinne – noch im Anschluss an BGHZ 119, 177, 188 (aufgegeben durch BGHZ 150, 197, 199 f.) – etwa Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 36 AktG Rz. 80 u. § 37 AktG Rz. 24, 30; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 36 AktG Rz. 94 ff., 96 u. § 37 AktG Rz. 17 ff. 54 Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 37 AktG Rz. 2; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 37 AktG Rz. 13. 55 Oben zu IV.4.c. 56 Vgl. Hüffer (Fn. 6), § 37 AktG Rz. 3; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 37 AktG Rz. 27 f.; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 37 AktG Rz. 16.
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der Vorstand in der Disposition über die Mittel für die Zwecke der Gesellschaft frei. Weil der Gefahr von Schmälerungen des Garantiekapitals vor Entstehung der AG nach dem heutigen Stand der Dogmatik mit dem Institut der Unterbilanzhaftung der Gründer zu begegnen ist, muss eine schon zum Zeitpunkt der Anmeldung entstandene Unterbilanz in der dann feststellbaren Höhe vor Anmeldung tatsächlich ausgeglichen werden; andernfalls besteht ein Eintragungshindernis (Eintragungsverbot)57. Über den Ausgleich der Unterbilanz haben die zur Anmeldung der AG berufenen Personen (nicht anders als im GmbHRecht58) mit der Anmeldung eine entsprechende Versicherung abzugeben: Sie haben zu erklären, dass keine Unterbilanz entstanden oder – soweit sie entstanden ist – vor Anmeldung ausgeglichen worden ist59. Von der vor Anmeldung entstandenen Unterbilanz – die, sofern sie nicht tatsächlich ausgeglichen worden ist, ein Eintragungsverbot begründet – ist im Übrigen eine erst nach der Anmeldung aus Anlaufverlusten entstehende Unterbilanz zu unterscheiden. Hieraus resultiert kein Eintragungshindernis. Die Gründer sind zum Ausgleich nach Maßgabe der Unterbilanzhaftung verpflichtet, die Ausgleichsansprüche sind zu aktivieren. Erst wenn die Ansprüche aus dieser Haftung nicht werthaltig sind, kommt die Ablehnung der Eintragung in Betracht60. Eine etwaige Insolvenzreife der Gesellschaft (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) begründet aber ein Eintragungshindernis61. b) Die Bestätigung des Kreditinstituts (§ 37 Abs. 1 Satz 3 AktG) Nach § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG ist bei Einzahlung des Betrages durch Gutschrift auf ein Konto (§ 54 Abs. 3 AktG) der von § 37 Abs. 1 Satz 2 verlangte Nachweis der Leistung zur freien Verfügung des Vorstands durch eine Bestätigung des kontoführenden Instituts zu erbringen. Diese Bankbestätigung bezieht sich allein auf die Einzahlung des Betrages zur freien Verfügung des Vorstands (nur darüber kann die Bank eine Erklärung abgeben), nicht etwa auch auf den wertmäßigen Fortbestand der freien Verfügbarkeit bis zum Moment der Anmeldung.
__________ 57 S. die Nachw. in Fn. 52. 58 Dazu Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 21), § 8 GmbHG Rz. 12; Ulmer in Großkomm.GmbHG (Fn. 21), § 8 GmbHG Rz. 31. 59 Lutter, NJW 1989, 2649, 2654; Bayer in FS Horn (Fn. 21), S. 271, 279, 287 f. 60 Hüffer (Fn. 6), § 38 AktG Rz. 10; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 38 AktG Rz. 21; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 38 AktG Rz. 13 u. 24; s. für das GmbH-Recht auch Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 36), § 9c GmbHG Rz. 12; Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 21), § 9c GmbHG Rz. 19; Ulmer in Großkomm.GmbHG (Fn. 21), § 11 GmbHG Rz. 113 ff.; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 93, 128 f.; ders. in Scholz (Fn. 21), § 11 GmbHG Rz. 123; H. Winter/Veil in Scholz (Fn. 21), § 9c GmbHG Rz. 29. 61 Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 38 AktG Rz. 13. Vgl. auch BayObLG, BB 1991, 2391, 2392.
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Davon abgesehen wird über die inhaltliche Tragweite der Bankbestätigung, von Interesse v. a. im Hinblick auf die Haftung des Kreditinstituts nach § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG, kontrovers diskutiert62. Nach einem Teil des Schrifttums beschränkt sich der Inhalt der Bankbestätigung darauf, dass der Vorstand gerade gegenüber der Bank frei verfügen könne, insbesondere keine Gegenrechte der Bank bestünden und auch keine ihr aus der Kontoführung bekannten Rechte Dritter, z. B. aus Pfändung, vorhanden seien63. Das ist indes zu eng. Angesichts der Entstehungsgeschichte von § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG und seiner Vorläuferbestimmung (§ 29 Abs. 1 Satz 3 AktG 1937) sowie mit Blick auf den systematischen Zusammenhang von § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG mit §§ 37 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 36 Abs. 2, 54 Abs. 3 AktG erschöpft sich die Bankbestätigung nicht im bloßen Nachweis der Einzahlung unter Fehlen banktypischer Verfügungsbeschränkungen64. Vielmehr soll durch die Bankbestätigung der Nachweis über die Einzahlung zur freien Verfügung des Vorstands geführt werden65. Deshalb muss die Bank alle Verfügungsbeschränkungen berücksichtigen, die ihr aufgrund ihrer konkreten Rolle als Zahlungsstelle, Finanzberaterin und Kreditgeberin bekannt sind66. c) Der Nachweis über Steuern und Gebühren (§ 37 Abs. 1 Satz 5 AktG) Sowohl für die Bestimmung wertgleicher Deckung als auch für die Ermittlung einer etwaigen Unterbilanz sind im Übrigen getätigte Ausgaben für Steuern und Gebühren (nach Maßgabe von § 36 Abs. 1 AktG67) unschädlich. Ist der eingezahlte Betrag bereits teilweise zur Zahlung von Steuern und Gebühren verwandt worden, sind die Beträge gem. § 37 Abs. 1 Satz 5 AktG nach ihrer Art und Höhe nachzuweisen, indem mit der Anmeldung entsprechende Bescheide und Zahlungsbelege übermittelt werden68.
V. Ausblick Die hier gezeichnete Gedankenskizze zu den gesetzlichen Modalitäten ordnungsgemäßer Bareinlageleistung im Aktienrecht beruht – anknüpfend an
__________
62 Im Anschluss an BGHZ 113, 335 und BGHZ 119, 177; ausführliche Darstellung des Streitstandes bei Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 37 AktG Rz. 33; Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 37 AktG Rz. 22 ff.; zuletzt Bayer in FS Horn (Fn. 21), S. 271 ff.; Wastl/Pusch, WM 2007, 1403 ff. 63 Weiterführend (mit Unterschieden im Einzelnen) Appell, ZHR 157 (1993), 213 ff.; Butzke, ZGR 1994, 94, 97 ff.; Hüffer (Fn. 6), § 37 AktG Rz. 3a; ders., ZGR 1993, 474, 486 f.; Kübler, ZHR 157 (1993), 196, 200 ff. 64 Zutreffend Röhricht in FS Boujong, 1996, S. 457, 465 ff.; ders. in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 37 AktG Rz. 24 ff.; Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 37 AktG Rz. 34 f.; Spindler, ZGR 1997, 537, 541, 548. 65 BGHZ 113, 335, 350. 66 Näher Röhricht in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 37 AktG Rz. 26 ff.; ebenso zuletzt Bayer in FS Horn (Fn. 21), S. 271, 288 f. 67 Dazu oben zu IV.4.b. 68 Pentz in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 37 AktG Rz. 29; Röhricht in Großkomm. AktG (Fn. 1), § 37 AktG Rz. 20.
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frühere Untersuchungen69 – auf der strikten Unterscheidung zwischen der (allein einschlägigen) Ebene der Mittelaufbringung einerseits und dem Bereich der Mittelverwendung andererseits. Die daraus gezogenen Schlussfolgerungen stehen im Kontrast zur ganz überwiegenden Lehre, die namentlich in den Konstellationen einer verdeckten Sacheinlage eine Leistung zur endgültig freien Verfügung des Vorstands leugnet70. Wie lange diese herrschende Sicht der Dinge noch Bestand haben wird, ist heute freilich ungewisser denn je. Sollte der Gesetzgeber die Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen im Sinne einer bloßen Differenzhaftung des Einlegers neu ordnen71, steht die überkommene Interpretation des Leistungserfordernisses zur freien Verfügung der Geschäftsleitung allemal zur Disposition.
__________ 69 Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477. 70 S. oben im Text zu IV.3.b mit Fn. 22. 71 Weiterführende Nachweise zu dieser Debatte bei Kleindiek, Referat auf dem 66. Deutschen Juristentag 2006, in Verhandlungen des 66. DJT Stuttgart, 2006, Band II/1, S. P 45, 53 f.; Winter in FS Priester, 2007, S. 867 ff. S. dazu auch den Gesetzgebungsvorschlag des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NZG 2007, 211, Tz. 110 ff. Der Regierungsentwurf zum MoMiG (BT-Drucks. 16/6140) sieht eine Neuordnung des Rechts der verdeckten Sacheinlagen freilich (einstweilen) nur für die GmbH vor; s. dazu etwa Veil, ZIP 2007, 1241 ff.
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GmbH-Organzuständigkeiten bei MezzanineFinanzierungen Inhaltsübersicht I. Einführung II. Mezzanine-Kapital – Begriff und Abgrenzung III. Organzuständigkeiten und Organkompetenzen bei der Unternehmensfinanzierung – Eigenkapitalähnliche Mezzanine-Finanzierung und gesellschaftsrechtliche Restriktionen? 1. Problemstellung 2. Vertretung und Geschäftsführung bei Unternehmensfinanzierungen 3. Equity Mezzanine als Ausgangspunkt IV. Grenzziehung zwischen Eigen- und Fremdkapital – Bedeutung und Grundlage hybrider Finanzierungen 1. Allgemeine Abgrenzung von Eigenund Fremdkapital in idealtypischer Form 2. Gesellschaftsrechtliches Eigenkapitalverständnis 3. Handelsbilanzielles Eigenkapitalverständnis 4. Steuerliches Eigenkapitalverständnis 5. Eigenkapitalverständnis nach IAS 32 6. Eigenkapitalverständnis der Ratingagenturen V. Gründe für die Wahl von MezzanineKapital bei der Unternehmensfinanzierung VI. Übersicht über typische Erscheinungsformen von Mezzanine-Kapital 1. Genussrechte 2. Stille Beteiligung 3. Hybridanleihen (perpetual bonds) 4. Wandel- und Optionsanleihen 5. Strukturierte Finanzierungen (Nachrangdarlehen, Equity Kicker) a) Nachrangdarlehen
b) Equity Kicker 6. Partiarische Darlehen VII. Mezzanine-Kapital und Organzuständigkeiten am Beispiel ausgewählter Instrumente 1. Genussrechte a) Obligationsähnliche Genussrechte und (gesetzliche) Organzuständigkeit b) Beteiligungsähnliche Genussrechte aa) Genussrechte mit handelsbilanziellem Eigenkapitalcharakter bb) Eigenkapitalähnliche Genussrechte mit Beteiligung am Liquidationserlös cc) Eigenkapitalähnliche Genussrechte mit steuerlicher Fremdkapitalqualifikation 2. Stille Beteiligung a) Typische Ausgestaltung und gesetzliche Organzuständigkeit b) Atypische Ausgestaltung stiller Gesellschaften aa) Stille Beteiligung als handelsbilanzielles Eigenkapital bb) Atypisch stille Beteiligung (Mitunternehmerschaft) 3. Hybridanleihen 4. Partiarische Darlehen 5. Nachrangdarlehen 6. Equity Kicker VIII. Überlegung zu einer Finanzierungsart unabhängigen, aber gestaltungsabhängigen Zuständigkeitsabgrenzung 1. Grundsätzliche Überlegungen 2. Vertretungsbefugnis 3. Geschäftsführungsbefugnis IX. Weitergehende Überlegungen Epilog des Jubilars
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I. Einführung Festschriftbeiträge dienen der fachlichen Ehrung des Jubilars. Die Ehrung1 kommt regelmäßig nicht durch den Beitrag allein, sondern auch durch die Wahl des Themas zum Ausdruck. Es soll Gebiete berühren oder weiter entwickeln, die der Jubilar innerhalb der lange währenden Karriere besetzt hat. Bei Harm Peter Westermann ist es – obwohl seine Expertise im Zivil- und Gesellschaftsrecht unbestritten ist – schwer, ihn auf ein bestimmtes Spezialgebiet, das sich zwingend als Festschrift-geeignet auftut, festzulegen. Sein Verstand ist zu rege, seine Interessen sind zu weit gestreut, um sich mit einem bestimmten Gebiet allein zu befassen, das sich dann aus sich heraus für einen Festschriftbeitrag eignen könnte. Dennoch lassen sich Themen identifizieren, zu denen Harm Peter Westermann eine gewisse Affinität hat, zu denen er immer wieder zurück findet, selbst nach so exotischen „Ausflügen“ in die Welt des Fußballs2 oder die der Oper3. Vielleicht auch bedingt durch seine Biographie4 hat er sich immer wieder mit rechtlichen Fragestellungen mittelständischer bzw. Familienunternehmen beschäftigt, die unabhängig von der gewählten Rechtsform besondere strukturelle Anforderungen stellen. Das besondere Interesse an Fragen mittelständisch geprägter Unternehmen hat bereits die Grundlage der beruflichen Karriere5, aber auch das Thema für das Symposion anlässlich der Emeritierung von Harm Peter Westermann gebildet6 und soll mit diesem Festschriftbeitrag zusätzlich unterstützt werden. Der vorliegende Festschriftbeitrag beschäftigt sich mit gesellschaftsrechtlichen Fragen der Mittelstandsfinanzierung durch Mezzanine-Kapital7 und nimmt damit die besonderen Themenstellungen des Mittelstands aber auch Finanzierungsfragen auf, die den Jubilar gerade bezogen auf die eher personalistisch ge-
__________ 1 Und auch die Beliebtheit, hierzu H. P. Westermann, Über Unbeliebtheit und Beliebtheit von Juristen, 1986. 2 Was vielleicht dazu geführt hat, dass er kürzlich als Schiedsgutachter für den DFB berufen worden ist. Juristisch hat er den Fußball begleitet mit dem Vortrag zur Emeritierung von Heckelmann: „Die Vereine des bezahlten Fußballsports am Rande des BGB-Vereinsrechts“, 2002; sowie Fachbeiträge wie: „Zur Legitimität der Verbandsgerichtsbarkeit“, JZ 1972, 537; „Zum Vertragsrecht im bezahlten Fußballsport“, JA 1984, 123; „Die Entwicklung im bezahlten Fußballsport nach dem „Bosman“-Urteil“, DZWiR 1997, 485. 3 H. P. Westermann, Über zivilrechtliche Aspekte von Operntexten, 1988. 4 Harm Peter Westermann ist im mittelständisch geprägten Westfalen aufgewachsen. Darüber hinaus hat er im Wege der „gewillkürten Einzelrechtsnachfolge“ u. a. die Herausgeber- und Autorenschaft für das „Handbuch der Personengesellschaften“, das umfassend die rechtlichen Fragestellungen mittelständischer Unternehmen in der Rechtsform der Personengesellschaft darstellt, übernommen. 5 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970. 6 Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, 2006. 7 Zur Bedeutung der Mezzanine-Finanzierung als modernes Instrument der Mittelbeschaffung für den Mittelstand s. auch Handelsblatt, Beilage v. 28.6.2006.
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prägte GmbH in der Vergangenheit intensiv beschäftigt haben8. Mittelpunkt der folgenden Überlegungen ist die Frage der Organzuständigkeit bei der Finanzierung mit Mezzanine-Kapital, einer Mischform aus Eigen- und Fremdkapitalelementen, die sich gerade in den letzten Jahren zu einer interessanten Finanzierungsmöglichkeit für viele Unternehmen entwickelt hat. Die MezzanineFinanzierung ist zwar keine speziell auf mittelständische Unternehmen zugeschnittene Finanzierungsform, sondern findet vielfältigen Einsatz, bei Kapital- und Personengesellschaften, mittelständischen und börsennotierten Unternehmen und in Expansions- wie auch in Sanierungssituationen. Dennoch stellt Mezzanine-Kapital wegen der positiven Effekte auf die Eigenkapitalbasis besonders für mittelständische Unternehmen als eine attraktive Form der Finanzierung dar9. Gegenstand der Untersuchung ist die Finanzierung von Unternehmen in der Rechtsform der GmbH, da die bei mittelständischen Unternehmen auch übliche Rechtsform der Personengesellschaft nicht derart stark getrennte Organzuständigkeiten wie die Kapitalgesellschaft vorweist. Bei Personengesellschaften mit mittelständischen (personalistischen) Strukturen wird regelmäßig die Entscheidung über außergewöhnliche Finanzierungsformen, zu denen Mezzanine-Kapital in den in der Praxis vorherrschenden Ausprägungen gehört, nicht einem Drittgeschäftsführer überlassen sein, sondern durch die Gesellschafter-Geschäftsführer getroffen werden. Zuständigkeits- oder Kompetenzkonflikte sind hier regelmäßig nicht zu erwarten. Da der Jubilar oft und gern in rechtliche Fragestellungen anhand von illustrativen Beispielsfällen eingeführt hat, soll auch dieser Beitrag den pädagogischen Vorgaben des Jubilars folgend die Themenstellung anhand eines praktischen Falles verdeutlichen: Das mittelständische Unternehmen M-GmbH ist über Jahrzehnte von den Gesellschaftern geführt worden. Aus ihrer Mitte wurde der Geschäftsführer bestimmt. Über die Finanzierung der Gesellschaft entschied der Gesellschafter-Geschäftsführer. Bei größerem Kapitalbedarf besprach man sich im Gesellschafterkreis. Die Finanzierung selbst erfolgte über die lokale Sparkasse. Der Beirat der Gesellschaft ist der Ansicht, dass sich das Unternehmen verstärkt den Anforderungen der globalisierten Märkte stellen muss und daher auch eines professionelleren Managements bedarf. Mangels mit modernen Managementmethoden vertrauter Gesellschafter beschließen die Gesellschafter daraufhin, einen innovativen Fremdgeschäftsführer zu bestellen. Diesen findet man in der Person des F. Schnell stellt sich heraus, dass F eine starke Kapitalmarktorientierung hat. Ihm scheint nichts fremd zu sein in der Welt des Investmentbanking. Als innovativ stellt er sich insbesondere bei der Unternehmensfinanzierung heraus. Er will geeignete Maßnahmen ergreifen, um das Eigenkapital der M-GmbH, das er für zu gering hält, zu stärken. Gleich-
__________ 8 H. P. Westermann in MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 607 BGB; ders. in Scholz, 10. Aufl. 2006, §§ 30, 31, 33, 34 GmbHG; ders. in Häuselmann/Rümker/Westermann, Die Finanzierung der GmbH durch ihre Gesellschafter, 1992. 9 Suhlrie, Stbg 2005, 255; Börsenzeitung v. 28.5.2005; kritisch Kamp/Solmecke, FinanzBetrieb 2005, 618, die darauf hinweisen, dass kleine und mittelständische Unternehmen Probleme haben können, die Anforderungen an Wachstum, Transparenz, Volumina und Kosten zu erfüllen.
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Dietgard Klingberg zeitig soll auch noch ein „steuerlicher Schnitt“ durch die Abzugsfähigkeit der Finanzierungskosten gemacht werden. Bei der nächsten Gesellschafterversammlung, bei der F sich und seine ersten Maßnahmen vorstellt, kommt es jedoch zum Eklat. F verkündet, dass die M-GmbH unterstützt durch den Firmenkundenberater des „Global Players“ XY Bank plc mit einem SPV mit Sitz auf den Cayman Islands eine Mezzanine-Finanzierung abgeschlossen hat, wobei jedoch aus dem Sitz der Gesellschaft keine negativen Schlüsse gezogen werden dürften, da das SPV ausschließlich der Verbriefung der Forderung diente. Darüber hinaus gäbe es jetzt ein Perpetual, der den großen Vorteil fehlender Endfälligkeit habe. Diese Finanzierung sei für die M-GmbH ein großer Erfolg: insgesamt stünde der M-GmbH jetzt zusätzliche Liquidität von 100 Mio. Euro für Akquisitionen zur Verfügung und ihre Handelsbilanz bzw. die zwischenzeitlich auch von den Ratingagenturen verlangte IFRS-Bilanz seien jetzt in jeder Hinsicht präsentierbar. Die Gesellschafter, insbesondere aber der Beiratsvorsitzende, Begleiter des Jubilars bei diversen Bayreuth-Besuchen und geprägt vom traditionellen Verständnis einer soliden Unternehmensfinanzierung durch klassisches Eigen- oder Fremdkapital, sind entsetzt. Derartige Finanzierungen einzugehen und dann noch ohne Zustimmung der Gesellschafter sei eine klare Überschreitung der Kompetenzen des Geschäftsführers und hoffentlich unwirksam. Der Beiratsvorsitzende entsinnt sich seines Bayreuth-Kontaktes und fragt den Jubilar nach der Rechtmäßigkeit der von F vorgenommenen Finanzierungsmaßnahmen. Was wird Harm Peter Westermann antworten?
II. Mezzanine-Kapital – Begriff und Abgrenzung Seit ein paar Jahren gewinnen auch in Deutschland verstärkt neue Finanzierungsformen an Bedeutung, die mit Bezeichnungen wie „Mezzanine-Kapital“, neuerdings auch „Hybrid-Kapital“ belegt werden. Auch der Begriff „QuasiEigenkapital“ findet sich. Bei genauer Betrachtung weisen die mit diesen Begriffen beschriebenen Finanzierungsformen jedoch keine konzeptionellen Unterschiede aus: Sie bezeichnen Finanzinstrumente oder Finanzierungsformen, die bei rechtlicher oder wirtschaftlicher Betrachtung typische Elemente von Eigenkapital und typische Elemente von Fremdkapital vereinigen. Mit anderen Worten: die Finanzierungsformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht eindeutig dem klassischen Eigenkapital im Sinn einer Finanzierung durch Gesellschafter causa societatis, aber auch nicht eindeutig den Schulden eines Unternehmens zugeordnet werden können. Der Begriff des Mezzanine-Kapitals hat einen weiten Anwendungsbereich; er beschreibt bekannte Finanzierungsformen, die von Genussrechten über stille Beteiligungen bis zu Nachrangdarlehen reichen10, also Finanzierungsformen bei denen der Gläubiger einem Gesellschafter vergleichbare Vermögensrechte haben kann bzw. trotz seiner klassischen Drittgläubigerstellung mit dem überlassenen Kapital wie ein Gesellschafter ins Risiko geht. Entsprechend den jeweiligen Anforderungen der Unternehmen werden die Finanzierungsinstru-
__________ 10 Bock, DStR 2005, 1067.
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mente im Rahmen des gesetzlich Zulässigen regelmäßig angepasst, wobei bei Mezzanine-Kapital die Verstärkung mit Eigenkapitalelementen und ggf. die Kombination mit anderen Instrumenten (Equity Kicker) im Vordergrund steht. Mezzanine-Finanzierungen werden hauptsächlich bei der Finanzierung von mittelständischen Unternehmen, aber auch bei Private Equity-Transaktionen eingesetzt. Sowohl der Mittelstand als auch Private Equity-Unternehmen nutzen Mezzanine-Kapital für Erwerbs- bzw. Wachstumsfinanzierungen. Diese Gemeinsamkeit ist nur auf dem ersten Blick verwunderlich. Gemeinsam ist der Mittelstandsfinanzierung und der Finanzierung durch Private EquityUnternehmen die Größenordnung der Kapitalaufnahme, die regelmäßig vereinbarte Nachrangigkeit sowie die fehlende Besicherung der Forderung. Ob und in welchem Umfang dem Kapitalgeber Einfluss auf die Geschäftsführung oder zumindest Informations- und Kontrollrechte eingeräumt werden, hängt vom Einzelfall ab. Ihre Erklärung findet die Übereinstimmung in der engen unternehmerischen Beziehung der Mittelstands- wie auch der PE-Investoren zum Unternehmen. Mezzanine-Kapital ist, berücksichtigt man, welche Finanzierungsformen bzw. -instrumente von dem Begriff erfasst werden, keine Erfindung der neuzeitlichen Finanz- und Kapitalmärkte; die stille Beteiligung und das Genussrecht gehören zum gesetzlichen Instrumentarium seit der Kodifizierung von HGB und AktG. Dennoch lässt sich Mezzanine-Kapital als Modeprodukt bezeichnen, da seine Ausgestaltung in Abhängigkeit von den jeweiligen Markterfordernissen wechselt, wobei in der Vergangenheit oft steuerliche Motive für die rechtliche Ausgestaltung der Mezzanine-Finanzierung bestimmend waren11. Beispielhaft sei nur auf die (typisch) stille Beteiligung und das Genussrecht hingewiesen, die regelmäßig so strukturiert wurden, dass sie den steuerlichen Kriterien an Fremdkapital gerecht werden12 und damit die Anforderung an die steuerliche Abziehbarkeit des zu leistenden Kapitalüberlassungsentgelts erfüllen. Auch der modische Begriff des Hybrid-Kapitals steht für eine zwischen klassischem Eigen- und Fremdkapital angesiedelte Finanzierung und könnte theoretisch ebenso den allgemeinen Oberbegriff für Finanzierungsformen mit Eigenund Fremdkapitalelementen bilden. Regelmäßig beschreibt der Begriff jedoch die seit einiger Zeit am Kapitalmarkt plazierten so genannten ewigen Anleihen (perpetual bonds), deren Hauptmerkmal die fehlende Endfälligkeit der Kapitalüberlassung ist. Hybrid-Kapital in diesem Sinn ist ein modernes Kapitalmarktprodukt, eine strukturierte, verbriefte Kapitalaufnahme. Allein schon wegen der Art des Zugangs zu einem Kreis anonymer Kapitalgeber und durch die größeren Volumina der Emissionen unterscheidet sich das Hybrid-Kapital in diesem Sinn von den anderen Mezzanine-Finanzierungsinstrumenten.
__________ 11 Detailliert zum Verhältnis vom Steuerrecht zum Gesellschaftsrecht vgl. H. P. Westermann in FS Goerdeler, 1987, S. 697, 703. 12 Die stille Beteiligung wurde jedoch in der Form der atypisch stillen Beteiligung als Alternative zum Gewinntransfer über einen Ergebnisabführungsvertrag genutzt.
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Vereinzelt wird auch der Begriff des Quasi-Eigenkapitals zur Beschreibung von Kapitalüberlassungen mit Eigenkapitalelementen verwandt13. Dann dient der Begriff jedoch regelmäßig unter Bezugnahme auf Karsten Schmidt14 der Beschreibung von Fremdmitteln mit Haftungskapitalfunktion aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder gesetzlicher Regelung. Hierbei handelt es sich üblicherweise um Darlehen, die subordiniert sind und aufgrund entsprechender Vereinbarung mit der Gesellschaft oder auf der Grundlage der Rechtsprechung bzw. der §§ 32a, b GmbHG im Insolvenzfall oder auch im Vorfeld Eigenkapitalfunktion erhalten und dann nicht länger wie eine Drittforderung geltend gemacht werden können. Dieses „situative Eigenkapital“ soll nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Allein das Nachrangdarlehen, das zu den Klassikern der Mezzanine-Finanzierung gehört, soll zumindest kurz gestreift werden.
III. Organzuständigkeiten und Organkompetenzen bei der Unternehmensfinanzierung – Eigenkapitalähnliche MezzanineFinanzierung und gesellschaftsrechtliche Restriktionen? 1. Problemstellung Mezzanine-Kapital ist, seit die Finanzierungsform als Gestaltungsmöglichkeit von der Praxis entdeckt wurde, Gegenstand intensiver fachlicher Diskussion. Die Themen, die diskutiert werden, beschränken sich jedoch weitgehend auf die Beschreibung der jeweiligen Instrumente, ihrer verschiedenen Ausprägungen sowie ihrer bilanziellen und steuerlichen Einordnung. Gesellschaftsrechtlich werden die Finanzierungsformen in der stark kapitalmarktrechtlich geprägten Literatur – wenn überhaupt – allenfalls auf ihre allgemeine Zulässigkeit hin untersucht. Ob und ggf. auf welche Weise die Finanzierung des Unternehmens mit Mezzanine-Kapital Einfluss auf die generelle Verteilung der Entscheidungskompetenz über die Unternehmensfinanzierung haben könnte, wird hingegen wenig problematisiert15. Aussagen über Organzuständigkeiten finden sich allenfalls in der gesellschaftsrechtlichen Literatur, bei der jedoch die kapitalmarktrechtlich relevanten Elemente der Mezzanine-Finanzierung wenig Berücksichtigung finden. Dabei erscheint es eine legitime Frage zu sein, ob nicht Mezzanine-Kapital wegen seiner Eigenkapital-Elemente, wegen der Ungewöhnlichkeit bzw. Andersartigkeit der Finanzierung, der Bindungsdauer und anderer Gestaltungsmerkmale – wie auch der Ausgangsfall deutlich macht – einen wie auch immer gearteten „Gesellschaftervorbehalt“ verlangt. Gleichzeitig erscheint in Anbetracht der fließenden Grenzen zwischen den einzelnen Finanzierungsformen auch die Frage gerechtfertigt, ob allein die gewählte
__________ 13 Bordt in v. Wysocki/Schulze-Osterloh/Hennrichs/Kuhner (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses, Loseblatt, III/1 Rz. 249 ff. 14 K.Schmidt in FS Goerdeler (Fn. 11), S. 487. 15 S. jedoch die Darstellung für die stille Beteiligung bei Hellich/Reschke in Häger/ Elkemann-Reusch, Mezzanine-Finanzinstrumente, 2004, Rz. 197 ff. für die stille Beteiligung.
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zivilrechtliche „äußere“ Form unterschiedliche Organzuständigkeiten begründet. Im Folgenden soll daher die Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführer für derartige Fallkonstellationen genauer untersucht werden. Hierbei sind sowohl das Innenverhältnis im Sinne der organschaftlichen Kompetenzverteilung als auch Außenverhältnis, das bei der Aufnahme von Mezzanine-Kapital aufgrund der Regelung in § 35 GmbHG auf den ersten Blick weniger problematisch erscheint, angesprochen. 2. Vertretung und Geschäftsführung bei Unternehmensfinanzierungen Die GmbH wird durch den Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten, er hat eine allumfassende Vertretungsmacht (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Eine Beschränkung der Vertretungsmacht mit Wirkung für Dritte ist grundsätzlich16 nicht möglich (§ 37 Abs. 2 GmbHG). Nicht von der Vertretungsmacht umfasst sind satzungsändernde Maßnahmen und damit bei MezzanineFinanzierungen relevant werdende Themen wie Kapitalmaßnahmen im gesellschaftsrechtlichen Sinn sowie die etwaige Aufnahme von Gesellschaftern17. Die Entscheidung hierüber obliegt den Gesellschaftern. Auch wird die Vertretungsmacht des Geschäftsführers beim Abschluss von Unternehmensverträgen eingeschränkt, diese bedürfen der Zustimmung der Gesellschafter18. Auch die Geschäftsführung scheint auf den ersten Blick klar zwischen den Geschäftsführern und der Gesellschafterversammlung getrennt zu sein: Die Geschäftsführer dürfen und haben alle Maßnahmen zu treffen, die zur Verwirklichung des Unternehmenszwecks erforderlich sind19. Zwar bestimmt das Gesetz nicht, welche Handlungen materiell Geschäftsführungsmaßnahmen bilden, auf der Grundlage von § 116 HGB wird jedoch unter „Geschäftsführung im allgemeinen Sinn jede auf die Verfolgung des Gesellschaftszwecks … gerichtete Tätigkeit für die Gesellschaft“ verstanden20. Begrenzt wird die Zuständigkeit der Geschäftsführer durch Gesetz und Gesellschaftsvertrag. Den Gesellschaftern ist es unbenommen, Geschäftsführungsmaßnahmen an sich zu ziehen und Weisungen zu erteilen. Die Zuständigkeit der Gesellschafter ergibt sich korrespondierend in erster Linie aus dem Gesellschaftsvertrag („Allzuständigkeit“ der Gesellschafterversammlung) und in zweiter Linie aus dem Gesetz21.
__________ 16 Ausnahme z. B. § 32 MitbestG. 17 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 10 II 1 a); Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 35 GmbHG Rz. 13; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb.GesR, Bd. 3, 2. Aufl. 2003, § 44 Rz. 6 m. w. N. 18 BGHZ 105, 324, 331 f. (Supermarkt-Beschluss) für Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge. 19 Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb.GesR (Fn. 17), § 44 Rz. 52; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 35 GmbHG Rz. 4. 20 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit (Fn. 5), S. 167; ders. in Handbuch der Personengesellschaften, Loseblatt, Rz. I 253. 21 Wolff in MünchHdb.GesR (Fn. 17), § 37 Rz. 1.
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Nach h. M.22 gibt es jedoch neben gesetzlichen und satzungsmäßigen Begrenzungen der Geschäftsführungsbefugnis zusätzliche ungeschriebene Beschränkungen bei „ungewöhnlichen“ oder „außergewöhnlichen“ Maßnahmen. Nicht einheitlich ist hingegen das Verständnis, welche Sachverhalte hiervon erfasst sein sollen. Vorlagepflichtig sollen sein23: Geschäftsführungsmaßnahmen, die außerhalb des Unternehmensgegenstands liegen24, die den geschäftspolitischen Grundsätzen widersprechen25, bei denen die Geschäftsführer Grund zu der Annahme haben, dass sie keine Billigung der Mehrheit der Gesellschafter finden würden26 sowie Maßnahmen, bei denen die Einberufung der Gesellschafterversammlung und deren Einbeziehung im Interesse der Gesellschaft liegt. Ungewöhnlich sollen alle Maßnahmen sein, die wegen ihrer Bedeutung Ausnahmecharakter haben27, wobei allein Volumen, Gegenstand und Bedingungen nicht die Ungewöhnlichkeit begründen sollen, sondern erst wenn sich hieraus besondere Risiken ergeben können28. Trotz der Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis des Geschäftsführers durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des „ungewöhnlichen Geschäfts“ lassen sich auf der Grundlage der gesetzlichen Geschäftsführungsregelung allgemeine Zuordnungskriterien für Fragen der allgemeinen Unternehmensfinanzierung festhalten: Grundsätzlich gehört die Unternehmensfinanzierung zu den Kernerfordernissen der Unternehmensführung und stellt damit eine klassische Geschäftsführungsmaßnahme dar, so dass vorbehaltlich anderer Regelungen im Gesellschaftsvertrag die Entscheidung über das Ob und Wie der (Fremd-)Finanzierung grundsätzlich dem Geschäftsführer obliegt. Kapitalmaßnahmen im engeren Sinn, also die Ausstattung der Gesellschaft mit Eigenkapital, gehören dagegen zu den Beschlusszuständigkeiten der Gesellschafter. Ihnen obliegt die Entscheidung über die Finanzierung durch gesellschaftsrechtliches Eigenkapital. Dies gilt für die Außenfinanzierung (ErstKapitalausstattung, Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen) ebenso wie für
__________ 22 Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 37 GmbHG Rz. 10 f.; Mertens in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 37 GmbHG Rz. 7, 10; Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 37 GmbHG Rz. 10; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb.GesR (Fn. 17), § 44 Rz. 4: „Geschäfte, die nach Größenordnung und Bedeutung über den bisherigen Geschäftsbetrieb der GmbH hinausgehen“ (unklar, ob zur Geschäftsführung oder Vertretung); differenzierter Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 19), § 37 GmbHG Rz. 7, die eine allgemeine Vorlagepflicht bei ungewöhnlichen Maßnahmen verneinen, jedoch auf der Grundlage allgemeiner Erwägungen zu ähnlichen Ergebnissen gelangen; ihnen folgend Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 37 GmbHG Rz. 9. 23 Auflistung nach Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 19), § 37 GmbHG Rz. 8 ff. 24 Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 17), § 37 GmbHG Rz. 26 f. 25 Lutter/Hommelhoff (Fn. 22), § 37 GmbHG Rz. 11; Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 17), § 37 GmbHG Rz. 22. 26 Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 17), § 37 GmbHG Rz. 23 mit Hinweis auf OLG Frankfurt, NJW-RR 1989, 544, 545. 27 Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb.GesR (Fn. 17), § 44 Rz. 55; zustimmend bei außergewöhnlichem Risiko Lutter/Hommelhoff (Fn. 22), § 37 GmbHG Rz. 11. 28 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 19), § 37 GmbHG Rz. 11.
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die Innenfinanzierung (Gewinnthesaurierung, Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitten). Nicht nur die Ausstattung mit Gründungskapital sondern auch die Erhöhung und Herabsetzung des satzungsmäßigen Kapitals sind Gesellschaftsvertragsbestandteile, für die sich die explizite und ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafter aus § 53 GmbHG ergibt. Diese scheinbar klare Trennung zwischen der Finanzierung mit Fremdkapital als Geschäftsführungsmaßnahme und der mit Eigenkapital als Grundlagengeschäft hilft für die Zuordnung von Kompetenzen bei Mezzanine-Finanzierungen nicht weiter, da sie gleichzeitig Elemente enthalten, die ihnen einen eigenkapitalähnlichen Charakter, aber auch Fremdkapitalcharakter geben. Mezzanine-Finanzierungen begründen zwar kein gesellschaftsrechtliches Eigenkapital, beinhalten jedoch mehr oder weniger Elemente, die üblicherweise mit der mitgliedschaftlichen Stellung des Gesellschafters verbunden sind. Diese Wirkung der Mezzanine-Finanzierung verbietet, allein aufgrund ihrer formellen Ausgestaltung die allgemeinen Zuständigkeitsregeln ungeprüft für anwendbar zu erklären. Die „Zwitterstellung“ von Mezzanine-Kapital als Kategorie zwischen Eigen- und Fremdkapital macht es vielmehr erforderlich, im Detail die verschiedenen unter diesem Begriff einzuordnenden Finanzierungsformen dahingehend zu untersuchen, inwieweit sie den jeweiligen Organzuständigkeiten unterliegen oder trotz einer Fremdkapitalqualifikation Rechte der Gesellschafter derart tangieren, dass dies nicht mehr mit den allgemeinen Regeln der Zuständigkeit der Geschäftsführung in Einklang stehen kann. 3. Equity Mezzanine als Ausgangspunkt In Anbetracht der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung bei der Unternehmensfinanzierung im Allgemeinen erscheinen geeigneter Ausgangspunkt für die Untersuchung der Zuständigkeitsverteilung Mezzanine-Finanzierungen oder -Instrumente, bei denen die Eigenkapitalelemente bei rechtlicher oder zumindest wirtschaftlicher Betrachtung im Vordergrund stehen (z. B. bei eigenkapitalähnlichen Genussrechten und sog. atypisch stillen Beteiligungen). Hier ist am ehesten eine Kollision mit den originären Gesellschafterrechten zu erwarten. Bei fremdkapitalähnlichem Mezzanine-Kapital, also Finanzierungsformen, bei denen die Fremdkapitalelemente im Vordergrund stehen (z. B. bei nachrangigen Darlehen, partiarischen Darlehen und sog. typisch stillen Beteiligungen29), dürfte hingegen die generelle Zuständigkeitszuordnung, die dem Geschäftsführungsorgan die Verantwortung für das tägliche Geschäft und damit auch die generelle Entscheidung über die Unternehmensfinanzierung zuweist, gelten.
__________ 29 Nachrangdarlehen, partiarische Darlehen und typische stille Beteiligungen kommen der reinen Fremdfinanzierung am nächsten. Sie unterscheiden sich vom Eigenkapital vorrangig dadurch, dass sie keine Beteiligung am Verlust vorsehen, wobei dies bei der typisch stille Beteiligung einer entsprechenden Vereinbarung bedarf. Die Eigenkapitalelemente sind beschränkt auf die Nachrangigkeit der Rückforderung der Kapitalüberlassung gegenüber einigen oder allen Gläubigern bzw. auf die gewinnabhängige Vergütung für die Kapitalüberlassung.
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IV. Grenzziehung zwischen Eigen- und Fremdkapital – Bedeutung und Grundlage hybrider Finanzierungen 1. Allgemeine Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital in idealtypischer Form Eigenkapital zeichnet sich im Gegensatz zum Fremdkapital durch die Gesellschafterstellung des Kapitalgebers aus. Als Gesellschafter hat der Kapitalgeber im Gegensatz zum Fremdkapitalgeber Verwaltungs- und Vermögensrechte. Die Verwaltungsrechte bestehen aus Stimm- und Kontrollrechten, die ihm u. a. ermöglichen, seine Vermögensposition zu schützen. Die vermögensmäßige Position unterscheidet den Gesellschafter als Eigenkapitalgeber von Fremdkapitalgebern: Eigenkapital zeichnet sich durch die endgültige Überlassung von Geld- und Sachmitteln durch den Gesellschafter zugunsten der Gesellschaft aus. Der Gesellschafter überlässt der Gesellschaft das (Eigen-)Kapital dauerhaft; zurückverlangen kann er das eingezahlte Kapital lediglich als Teil einer kollektiven Kapitalmaßnahme (Kapitalherabsetzung, Liquidation). Sein Anspruch auf Rückzahlung des zugeführten Kapitals ist zwingend nachrangig zu den Ansprüchen der Gesellschaftsgläubiger. Mit der Gewährung von Eigenkapital ist der Gesellschafter grundsätzlich auch am Verlust der Gesellschaft beteiligt; gleichzeitig folgt aus der Eigenkapitalfunktion des überlassenen Kapitals eine Gewinnabhängigkeit der Kapitalüberlassung in Gestalt der laufenden Vermögensausschüttungen30. Charakteristische Eigenkapitalelemente sind dementsprechend die Gewinnabhängigkeit der Vergütung, die Haftung mit der Einlage, die unbefristete Kapitalüberlassung sowie die Beteiligung an den stillen Reserven31. Fremdkapital wird aufgrund einer bloß schuldrechtlichen Vereinbarung überlassen. Dem Gläubiger steht aufgrund der Überlassung regelmäßig ein Anspruch auf ein laufzeitabhängiges Kapitalüberlassungsentgelt (vulgo Zins) zu, das üblicherweise unabhängig von Ergebnis der Gesellschaft ist und damit auch im Verlustfall geschuldet wird. Nach Ablauf der vereinbarten Überlassungszeit ist das gewährte Fremdkapital unabhängig vom laufenden Ergebnis der Gesellschaft in Höhe des Nominalbetrags zurück zu zahlen. Fremdkapital ist vor Eigenkapital zu bedienen. Charakteristische Fremdkapitalelemente sind hiernach ein vom Gewinn unabhängiger Vergütungsanspruch, die fehlende Haftung mit dem überlassenen Kapital für Schulden der Gesellschaft sowie die zeitliche Befristung der Kapitalüberlassung. 2. Gesellschaftsrechtliches Eigenkapitalverständnis Das Gesellschaftsrecht legt für die Bestimmung dessen, was Eigenkapital ausmacht, grundsätzlich eine formale Betrachtung an. Eine Kapitalüberlassung
__________ 30 Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, § 4 III 2. 31 Natusch in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 8.
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wird dann als Eigenkapitalüberlassung angesehen, wenn mit einer gesellschaftsrechtlich veranlassten (societatis causa) (Eigen-)Kapitalzufuhr die Einräumung einer mitgliedschaftlichen Beteiligung einhergeht. Die mitgliedschaftliche Stellung vermittelt dem Gesellschafter neben Vermögensrechten auch Verwaltungsrechte (Mitwirkungs-, Zustimmungs- und Kontrollrechte), die für eine Einordnung als Eigenkapital-Überlassungsverhältnis kennzeichnend sind. Eine Kapitalüberlassung ist dann als Zuführung von Eigenkapital anzusehen, wenn (kumulativ)32 – die Zuführung von einlagefähigen Werten durch die Gesellschafter/Mitglieder erfolgt, – gebundenes Kapital entsteht, das einer freien Kreditkündigung entzogen ist und – haftendes Kapital entsteht, das der Geltendmachung in der Insolvenz entzogen ist. Wesentlich für den gesellschaftsrechtlichen Eigenkapitalbegriff ist damit nicht zuletzt die Haftung für Gläubigeransprüche im Insolvenzfall aufgrund gesetzlicher Anordnung. Gesellschaftsrechtliches Eigenkapital ist „Risikokapital“. Für die AG hat der BGH33 eindeutig klar gestellt, dass eine mitgliedschaftliche Stellung an einer AG gegen Einlagen lediglich durch die Gewährung von Aktien eingeräumt werden kann. Es sind keine Gründe erkennbar, die gegen ein entsprechendes Verständnis bei der GmbH sprechen. Auch bei der GmbH entsteht durch Gesellschaftereinlagen gebundenes und haftendes Kapital, für das der Grundsatz der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung wie bei der AG Anwendung findet34. Das Erfordernis der Einräumung oder Verstärkung einer mitgliedschaftlichen Stellung, die Vermögenszuführung causa societatis sowie die insolvenzrechtliche Stellung unterscheidet gesellschaftsrechtlich das formelle vom bloß materiellen Eigenkapital. Sind die Gesellschafter aufgrund gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung verpflichtet, der Gesellschaft neben der Gesellschaftereinlage weiteres „Kapital“ auf schuldrechtlicher Grundlage zur Verfügung zu stellen, das nachrangig gegenüber Forderungen anderer Gläubiger ist35, begründet dies hingegen kein gesellschaftsrechtliches Eigenkapital. Die Kapitalzufuhr kann zwar Eigenkapital im materiellen Sinn36 darstellen, also wirtschaftlich Eigenkapital gleichstehen, da die Kapitalüberlassung jedoch nicht causa societatis, sondern lediglich in mittelbarem Zusammenhang mit der Gesellschafterposition erfolgt, qualifiziert die Kapitalüberlassung nicht als Eigenkapital im gesellschafts-
__________ 32 33 34 35
K. Schmidt in FS Goerdeler (Fn. 11), S. 487, 491; ebenso BFH, BStBl. II 1990, 875. BGH, BGHZ 119, 305 – Klöckner = DB 1992, 2383. Dieses Verständnis hat sich auch durch das MoMiG nicht geändert. S. zu sog. Finanzplandarlehen BGHZ 142, 116, 120; Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck (Fn. 19), § 32a GmbHG Rz. 52 f.; K. Schmidt in Scholz (Fn. 8), §§ 32a, 32b GmbHG Rz. 97 ff.; H. P. Westermann in Häuselmann/Rümker/Westermann (Fn. 8), S. 73. 36 K. Schmidt in FS Goerdeler (Fn. 11), S. 496 ff.
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rechtlichen Sinn. Dies gilt für alle auf schuldrechtlicher Grundlage getroffenen Kapitalüberlassungen, selbst wenn sie so gestaltet sind, dass sie dem Kapitalgeber eine einem Gesellschafter (wirtschaftlich) vergleichbare Position einräumen. 3. Handelsbilanzielles Eigenkapitalverständnis Was handelsbilanzielles Eigenkapital darstellt, ergibt sich zuerst aus § 266 Abs. 3 HGB. Hiernach gehören zum Eigenkapital das gezeichnete Kapital, die Kapitalrücklage, die Gewinnrücklagen, der Gewinn- oder Verlustvortrag sowie der Jahresüberschuss bzw. der Jahresfehlbetrag. Das handelsbilanzielle Eigenkapitalverständnis orientiert sich somit grundsätzlich am Gesellschaftsrecht. Das Handelsbilanzrecht geht jedoch über das rein formale Verständnis des Gesellschaftsrechts hinaus. Im Gegensatz zum Gesellschaftsrecht verlangt es nicht, dass dem das Kapital Überlassenden eine mitgliedschaftliche Stellung eingeräumt wird, die Kapitalüberlassung also korporationsrechtlicher Natur ist. Vielmehr kann auch eine schuldrechtliche Kapitalüberlassung die Voraussetzungen für bilanzielles Eigenkapital erfüllen und entsprechend ausgewiesen werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass aufgrund der schuldrechtlichen Vereinbarung das überlassene Kapital eigenkapitalähnliche Elemente ausweist, die eine wirtschaftliche Gleichstellung mit Eigenkapital rechtfertigen (materieller Eigenkapitalbegriff). Kapitalzuführungen auf schuldrechtlicher Basis können dann bilanzielles Eigenkapital darstellen, wenn sie bis zur Entnahme oder Rückforderung den Gläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung stehen und die Kapitalgeber im Konkursfall keine anteilige Bedienung verlangen können37. Hierfür muss nach h. M. das überlassene Kapital kumulativ folgende Kriterien erfüllen38: – Nachrangigkeit des Rückzahlungsanspruchs im Insolvenz- oder Liquidationsfall – Erfolgsabhängigkeit der Vergütung – Verlustteilnahme bis zur vollen Höhe des überlassenen Kapitals sowie – Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung Diese Kriterien hat der HFA des IDW zu Genussrechten entwickelt39, die Konzeption der Stellungnahme („schuldrechtlich begründete Kapitalüberlassung“) lässt jedoch den Schluss zu, dass jede schuldrechtlich vereinbarte Kapitalüberlassung, die die genannten Kriterien erfüllt, handelsbilanzielles Eigenkapital begründet. Dies ist auch nachvollziehbar, da Genussrechtskapital nicht per se Elemente beinhaltet, die eine Zuordnung zum Eigenkapital rechtfertigen könnten. Erst die besondere Ausgestaltung der Genussrechte rechtfertigt den
__________
37 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1998, § 246 HGB Rz. 83. 38 St/HFA 1/1994, Wpg 1994, 419, 420 Tz. 2.1.1 (zum Genussrechtskapital). 39 S. unter Fn. 38.
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Ausweis als Eigenkapital in der Handelsbilanz. Entsprechendes muss dann auch für andere schuldrechtliche Vereinbarungen gelten, wenn sie die genannten Kriterien erfüllen. Ohne Bedeutung für die Qualifikation als handelsbilanzielles Eigenkapital sind nach diesem Verständnis die Einräumung einer mitgliedschaftlichen Stellung des Kapitalgebers oder eine Beteiligung am Liquidationsergebnis. Dies irritiert, da die Beteiligung am Liquidationserlös ein maßgebliches Kriterium für die Feststellung eines Geschäftsanteils40 und damit auch einer Gesellschafterposition des Inhabers darstellt41. Die fehlende Bezugnahme auf die Beteiligung am Liquidationsergebnis erklärt sich jedoch vor dem Hintergrund der Gläubigerschutzfunktion des Jahresabschlusses42. Der Gläubiger soll sich darauf verlassen können, dass das bilanzielle Eigenkapital ihm als Haftungsmasse zur Verfügung steht. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob ein Kapitalgeber an stillen Reserven beteiligt ist; der Gläubigeranspruch geht dem Anspruch auf das Liquidationsergebnis ohnehin vor. Die handelsbilanzielle Eigenkapitalbetrachtung muss daher die Beteiligung am Liquidationsergebnis für ihren Zweck nicht berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der Funktion des Jahresabschlusses als Nachweis der Haftungsmasse ist es auch nicht erforderlich, dass die Kapitalzufuhr im Zusammenhang mit einer mitgliedschaftlichen Stellung erfolgt. 4. Steuerliches Eigenkapitalverständnis Das Steuerrecht verfolgt einen anderen methodischen Ansatz. Der Funktion der Steuerbilanz ist die periodengerechte Ermittlung des Gewinns43. Der Gewinn wird dabei durch Betriebsvermögensvergleich i. S. d. § 4 Abs. 1 EStG ermittelt, also durch Vergleich des Endvermögens eines Wirtschaftsjahres mit dem Anfangsvermögens desselben Wirtschaftsjahres, wobei Vermögen als Residualgröße von aktiven und passiven Wirtschaftsgütern verstanden wird. Im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs ist grundsätzlich das Vermögen anzusetzen, das nach handelsrechtlichen GoB auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 EStG). Bei Gewerbebetrieben wie der GmbH orientiert sich die steuerbilanzielle Erfassung von Kapitalzuführungen und damit auch das steuerliche Eigenkapitalverständnis zunächst an der handelsrechtlichen Erfassung. Alles was handelsrechtliches Eigenkapital ist, stellt auch regelmäßig steuerliches Eigenkapital dar. Dies ergibt sich einerseits aus dem Grundsatz der Maßgeblichkeit44 sowie andererseits – zumindest nach Ansicht des BFH – aus dem Grundsatz der Ein-
__________ 40 Jasper in MünchHdb.GesR (Fn. 17), § 33 Rz. 8. 41 Natusch in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 24. 42 Darüber hinaus dient der Jahresabschluss u. a. auch der Rechnungslegung und dem Informationsbedürfnis der Gesellschafter, vgl. Winnefeld, Bilanzhandbuch, 4. Aufl. 2006, Einf. Rz. 16. 43 Weber-Grellet in L.Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 5 EStG Rz. 21. 44 Schreiber in Blümich, EStG, Loseblatt, § 5 EStG Rz. 151, 750.
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heitlichkeit der Rechtsordnung45. In Übereinstimmung mit dem Handelsbilanzrecht legt das Steuerrecht bei Abweichung des zivilrechtlichen vom wirtschaftlichen Gehalt eine wirtschaftliche Betrachtung an. Diese grundlegenden Übereinstimmungen zwischen Handelsbilanzrecht und Steuerrecht bedeuten jedoch nicht, dass in jedem Fall handels- und steuerrechtliche Einordnung eines Kapitalüberlassungsverhältnisses übereinstimmen. Abweichungen bedürfen jedoch einer gesetzlichen Regelung. Ein vom Handelrecht abweichendes „Eigenkapitalverständnis“ kommt in den Regelungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (Genussrecht) und des § 15 EStG (Mitunternehmerschaft) zum Ausdruck. Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG mindern Leistungen auf Genussrechte, mit denen das Recht auf gleichzeitige Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös verbunden ist, unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung46, das Einkommen der Körperschaft nicht. Sie sind steuerlich wie Gewinnausschüttungen zu behandeln. Hintergrund der Regelung bildet das steuerliche Verständnis, dass die Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös eine Ausprägung von Gesellschaftsrechten darstellt47: Der Genussrechtsinhaber tritt unabhängig davon, dass sein Anspruch nur ein schuldrechtlicher ist, bei entsprechender Ausstattung seines Genussrechts der Gesellschaft wirtschaftlich wie ein Anteilsinhaber gegenüber. Entsprechend wird Genussrechtskapital, wenn mit ihm die Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös verbunden ist, steuerlich wie Eigenkapital behandelt und zwar unabhängig von der handelsrechtlichen Wertung48. Dass es sich bei Genussrechten, wenn sie eine Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös vermitteln, im steuerlichen Sinn um Anteile handelt und sie damit gesellschaftsrechtlichem Eigenkapital wirtschaftlich gleichgestellt werden, verdeutlicht auch § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 200849, wonach Genussrechte steuerlich Anteile an einer Körperschaft darstellen. Gewährt das Genussrecht jedoch allein eine Beteiligung am Gewinn oder eine Beteiligung am Liquidationserlös, führt dies nicht dazu, dass es als Anteil anzusehen ist und die Leistungen darauf Gewinnverwendung darstellen und damit steuerlich nicht abzugsfähig wären („einfaches“ Genussrecht)50.
__________ 45 BFH/NV 2006, 616; s. hierzu Schreiber in Blümich (Fn. 44), § 5 EStG Rz. 151, 168. 46 Aufgrund der spezialgesetzlichen Regelung in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist die Handelsbilanz insoweit nicht maßgeblich. 47 Winnefeld (Fn. 42), D 1735. 48 Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, Loseblatt, § 29 KStG Rz. 87; Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, Loseblatt, § 29 KStG Rz. 33a m. w. N. 49 BGBl. I 2007, 1912. 50 § 20 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 EStG i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetz, Fn. 49.
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Eine Beteiligung am Liquidationserlös setzt eine Beteiligung am Liquidationsüberschuss und damit an den stillen Reserven voraus51. Nach Ansicht der Finanzverwaltung reicht es für eine Beteiligung am Liquidationserlös, wenn die Rückzahlung des Genussrechtskapitals als solches nicht vor der Liquidation der Gesellschaft oder niemals verlangt werden kann52. Gleiches wird mangels wirtschaftlicher Belastung angenommen, wenn die Rückzahlung des Genussrechtskapitals erst in ferner Zukunft, frühestens nach 30 Jahren, zurückzuzahlen ist53. Im Ergebnis setzt das Steuerrecht Genussrechte mit Eigenkapital gleich, wenn die Vermögensrechte des Genussrechtsinhabers denen eines Gesellschafters gleichgestellt sind. Differenzierter ist die steuerliche Regelung der Mitunternehmerschaft in § 15 Abs. 1 Satz Nr. 2 EStG, die das steuerliche Verständnis einer mitunternehmerischen und damit einer eigenkapitalfinanzierten Beteiligung an einem Unternehmen abbildet. Obwohl § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bei der Gesellschafterstellung einer Personengesellschaft ansetzt, ist für steuerliche Zwecke nicht jeder Gesellschafter einer Personengesellschaft gleichzeitig Mitunternehmer54. Soll die Gesellschafterstellung auch steuerlich als Mitunternehmerschaft Anerkennung finden, muss die konkrete Gesellschafterstellung auch bei wirtschaftlicher Betrachtung der eines typischen Personengesellschafters entsprechen, d. h. er muss Mitunternehmerinitiative haben und Mitunternehmerrisiko tragen. Beide Kriterien müssen gleichzeitig, aber nicht notwendig gleichgewichtig vorliegen55. Mitunternehmerinitiative wird bestimmt durch die Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen, die in Verwaltungsrechten zum Ausdruck kommt. Diese müssen den Mindestrechten eines Kommanditisten entsprechen. Mitunternehmerrisiko wird vorrangig durch die Teilnahme an dem laufenden Ergebnis (Gewinn und Verlust) sowie der Beteiligung an den stillen Reserven gekennzeichnet56. Insoweit deckt sich das Verständnis der eine (Personen-)
__________ 51 Rengers in Blümich (Fn. 44), § 8 KStG Rz. 203; Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach (Fn. 48), § 8 KStG Rz. 50. 52 BMF, BB 1987, 667; BMF, BStBl. I 1996, 49. 53 Diese Betrachtung der Finanzverwaltung ist vorrangig pro-fiskalischer Natur und berücksichtigt nicht hinreichend die Rechtsprechung des BFH zu den Eigenkapitalgenussrechten (BFH, DB 1960, 1057, so bereits RFH, RStBl. 1934, 773; RFH, RStBl. 1936, 770; s. auch Häuselmann, BB 2007, 931), wonach sich die Gleichbehandlung von Genussrechten mit Kapitalbeteiligungen (nur dann) rechtfertigt, wenn „die Steuerkraft der Gesellschaft durch Genussrechte nicht anders als durch die Rechte der Gesellschafter belastet wird“. Dies ist jedoch ausschließlich der Fall, wenn eine Beteiligung an den stillen Reserven mit den Genussrechten verbunden ist, nicht jedoch wenn lediglich aus dem Liquidationserlös die Rückzahlung des hingegebenen Genussrechtskapitals erfolgt (Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach [Fn. 48], § 8 KStG Rz. 50). 54 Wacker in L. Schmidt (Fn. 43), § 15 EStG Rz. 259; Haep in Herrmann/Heuer/ Raupach (Fn. 48), § 15 EStG Rz. 300. 55 Wacker in L. Schmidt (Fn. 43), § 15 EStG Rz. 262; Haep in Herrmann/Heuer/ Raupach (Fn. 48), § 15 EStG Rz. 304. 56 Wacker in L. Schmidt (Fn. 52) § 15 EStG Rz. 268 ff.; Haep in Herrmann/Heuer/ Raupach (Fn. 48), § 15 EStG Rz. 324.
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Gesellschafterposition ausmachenden Vermögensrechte mit denen von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. 5. Eigenkapitalverständnis nach IAS 32 Im Gegensatz zum HGB stellen die internationalen Bilanzierungsgrundsätze bei der Einordnung einer Kapitalzuführung nicht auf die Vergrößerung der Haftungsmasse ab. Für IFRS-Zwecke ist ausgehend von cash flow-Überlegungen für die Einordnung einer Kapitalüberlassung als Eigenkapital vielmehr entscheidend, dass die Gesellschaft bezogen auf die überlassenen Mittel keiner (Rück-)Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist57: Nach IAS 32.16a ist die Verpflichtung der Gesellschaft zur Überlassung flüssiger Mittel oder anderer finanzieller Vermögenswerte (financial assets) bzw. die Rückforderungsmöglichkeit des Kapitalgebers das maßgebende Kriterium für die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital (IAS 32.17). Mezzanine-Kapital qualifiziert hiernach nur dann als Eigenkapital für IFRS-Zwecke, wenn das Unternehmen rechtlich nicht zur Auszahlung/Rückzahlung des überlassenen Kapitals verpflichtet ist58. Entsprechendes gilt für die vereinbarte Vergütung59. IFRS macht damit die Schuldnerrolle des Unternehmens zum entscheidenden Angrenzungskriterium für die Einordnung als Eigen- oder Fremdkapital. Kann es sich der Rückzahlung des überlassenen Kapitals nicht entziehen, handelt es sich um Fremdkapital60. Ein Recht des Kapitalnehmers, das überlassene Kapital zurückzuführen bzw. in Geschäftsanteile umzuwandeln, schadet hingegen nicht61. Um sicherzustellen, dass eine Kapitalüberlassung als Eigenkapital für IAS 32Zwecke qualifiziert wird, darf kein Fälligkeitstermin für die Rückzahlung des überlassenen Kapitals vereinbart sein. Auch faktische Rückzahlungsverpflichtungen sind schädlich (IAS 32.20). Unschädlich ist hingegen eine Rückzahlung im Liquidationsfall. Rückzahlungen, die im freien Ermessen des Unternehmens liegen, sind ebenfalls nicht schädlich für die Einordnung als Eigenkapital62. Damit sind Kündigungsrechte des Kapitalgebers schädlich, die des Kapitalnehmers nicht. Im Ergebnis liegt Eigenkapital nach IAS 32 vor, wenn der Mittelaufnahme aufgrund ewiger Laufzeit der Kapitalüberlassung keine Verpflichtung zur Mittelrückführung und aufgrund der Endfälligkeit der Vergütung auch insoweit keine Zahlungsverpflichtung gegenübersteht.
__________ 57 IAS 32.15: „wirtschaftliche Substanz der Vereinbarung“. 58 Häger/Nottmeier in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 413 ff. 59 Ausgenommen sind Zahlungsverpflichtungen, die sich aus diskretionären Ergebnisverwendungen ergeben, Watrin/Scholz in Hdb. des Jahresabschlusses (Fn. 13), II/8 Rz. 206. 60 IAS 32, 19a. 61 Häuselmann (Fn. 53), 731. 62 S. im Einzelnen IDW RS HFA 9, Wpg 2006, 537.
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6. Eigenkapitalverständnis der Ratingagenturen Wenn die Ermittlung des Eigenkapitals eines Unternehmens für RatingZwecke erfolgt, steht im Gegensatz zu den anderen Eigenkapitalbegriffen nicht die Ermittlung der Bilanzkennzahl „Eigenkapital“ (materielles Eigenkapitalverständnis) im Vordergrund. Bilanzielles Eigenkapital ist nicht mit der Einordnung von wirtschaftlichem Eigenkapital für Ratingzwecke gleichzusetzen63. Das Rating von Unternehmen dient der „Kreditwürdigkeitsermittlung“ des Unternehmens. Im Ratingverfahren kommt es darauf an, ob und in welchem Umfang sich ein Finanzierungsinstrument bezogen auf seine cash flow Qualitäten wie Eigenkapital verhält64. Als Eigenkapital in diesem Sinn qualifizieren Kapitalzuführungen, bei denen aus Sicht des Unternehmens eine Rückzahlungspflicht unwahrscheinlich ist. Kapitalzuführungen sind Fremdkapital, wenn eine Rückzahlung (eher) sicher ist (strukturelle Bilanzanalyse). Die Ratingagenturen legen bei der Analyse der Unternehmen folgende Hauptkriterien zugrunde: Ausgehend davon, dass Eigenkapital sich aus der cashflow-Perspektive durch fehlende Endfälligkeit der Kapitalüberlassung, fehlende laufende Zahlungsverpflichtungen sowie Verlustauffangspotential auszeichnet, wird die gewählte Finanzierung des Unternehmens daraufhin untersucht, ob und wie weit die Finanzierung von diesen Kriterien abweicht. Bedeutung erhalten insoweit die Erfolgsabhängigkeit der Vergütung, das Ausmaß der Verlustbeteiligung, die Dauer der Kapitalüberlassung, die Nachrangigkeit, die Besicherung oder Möglichkeit der Aufrechnung sowie die Möglichkeit der Kündigung. Im Gegensatz zur bilanziellen Betrachtung kann beim Rating auch eine prozentuale Zuordnung zum Eigenkapital (equity credit) erfolgen, um den wirtschaftlichen Gehalt der Überlassungsvereinbarung und damit die Wahrscheinlichkeit, dass das überlassene Kapital dem Unternehmen dauerhaft als Eigenkapital zur Verfügung steht, hinreichend abzubilden. In Abhängigkeit von bestimmten cash flow-relevanten Merkmalen (Laufzeit, keine Zahlungsverpflichtung oder Aufschiebbarkeit der Zahlungen, Pflichtwandlung) wird ermittelt, in welchem Umfang die Mezzanine-Finanzierung Eigenkapitalqualität hat. In entsprechender Höhe wird dann das Mezzanine-Kapital dem Eigenkapital zugeschlagen. Im Ergebnis hat Mezzanine-Kapital gemessen am klassischen Fremdkapital wegen der Eigenkapitalelemente immer einen positiven Einfluss auf das Rating.
__________ 63 Gerdes, BC 2006, 57 ff.; eine Angleichung an die HGB-Eigenkapitalkriterien wurde jedoch kürzlich von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) gefordert, vgl. Börsenzeitung v. 11.8.2007. 64 Sester, ZBB 2006, 443, 444.
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V. Gründe für die Wahl von Mezzanine-Kapital bei der Unternehmensfinanzierung Nicht erst durch Vorgaben von Basel II65 legen Banken bei der Finanzierung von Unternehmen strengere Kriterien bei der Kreditvergabe an66. Aufgrund von Basel II verlangen sie jedoch umfassendere Sicherheiten oder ein Rating des Kreditnehmers zur Risikoeinschätzung und -begrenzung. Dies trifft besonders mittelständische Unternehmen, denen aufgrund ihrer Rechtsform der Zugang zum freien Kapitalmarkt erschwert ist und die damit grundsätzlich auf eine Banken- oder Eigenkapitalfinanzierung angewiesen sind. Gerade die häufig unzureichende Kapitalausstattung mittelständischer Unternehmen, die begrenzte Möglichkeit, Sicherheiten zu stellen und der höhere Risikoschutz der Banken erschweren die Kreditfinanzierung67. Damit stehen diese Unternehmen vor dem Dilemma, notwendige Investitionen nicht mehr über klassische Kredite finanzieren zu können. Und selbst wenn ein Unternehmen aufgrund seiner Kreditwürdigkeit in der Lage ist, eine klassische Kreditfinanzierung zu erhalten, kann diese Fremdverschuldung in der Folge zu erheblichen Ratingverschlechterungen führen und damit die Aufnahme von weiterem Fremdkapital oder dessen Umfinanzierung zu teuer werden lassen. Auf eine echte Eigenkapitalfinanzierung auszuweichen, ist oft auch keine gangbare Alternative. Das Kapital des Unternehmers steckt ohnehin bereits im Unternehmen und einen neuen Eigenkapitalgeber aufzunehmen ist auch wenig attraktiv, da dies die bisherigen Beteiligungsverhältnisse verändert. Hinzu kommt, dass bei mittelständischen Unternehmen regelmäßig allein Finanzinvestoren, die erhebliche Anforderungen an Einfluss und Rendite stellen, als neue Eigenkapitalgeber in Betracht kommen. In einer derartigen Situation kann sich Mezzanine-Kapital als Finanzierungsalternative anbieten. Gerade die Flexibilität in der Ausgestaltung macht es möglich, viele der genannten Finanzierungsprobleme zu fassen. Die Vorteile von Mezzanine-Kapital sind offensichtlich: Bei entsprechender Gestaltung, die die dargestellten unterschiedlichen „Eigenkapitalverständnisse“ und die zugehörigen Eigenkapitalelemente berücksichtigen, kann durch die Aufnahme von Mezzanine-Kapital die Schaffung handelsbilanziellen Eigenkapitals mit fremdkapitalähnlichen Mitteln und damit die Stärkung der Bilanz durch die Schaffung einer höheren Eigenkapitalquote erreicht werden. Gleichzeitig wer-
__________ 65 Basel II bezeichnet die Gesamtheit der Eigenkapitalvorschriften, die vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht vorgeschlagen wurden und in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union angewendet werden müssen (EU-Richtlinie 2006/49/EG), umgesetzt durch Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie v. 17.11.2006, BGBl. I 2006, 2606. 66 Banken sind gemäß § 10 KWG gehalten, entsprechend des Kreditrisikos Eigenkapital zu hinterlegen. 67 Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381; Kamp/Solmecke, FinanzBetrieb 2005, 618; Küting/Dürr, DB 2005, 1529, 1533.
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den die Konditionen für nachrangiges Fremdkapital verbessert. Sicherheiten werden nicht gebunden. Von Bedeutung ist auch, dass die Gesellschafter trotz der Zuführung eigenkapitalähnlicher Mittel nicht zwingend dilutiert werden und ihre Einflussmöglichkeiten sichern können. Wenn also der Fremdgeschäftsführer in dem Ausgangsfall darauf verweist, dass die gewählte Finanzierung erhebliche Vorteile für das Unternehmen hat, so kann dies nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. Optimiert wird eine Finanzierung durch Mezzanine-Kapital, wenn sie so ausgestaltet ist, dass sie für bilanzielle Zwecke oder für Rating-Zwecke als Eigenkapital angesehen wird, steuerlich hingegen als Fremdkapital gilt – mit der Folge der steuerlichen Abzugsfähigkeit des Entgelts für die Kapitalüberlassung. Die entsprechende Ausgestaltung der Finanzierung ist zwar regelmäßig im Interesse des Kapitalnehmers, dies muss aber nicht so sein. Auch für den Kapitalgeber kann bei Ausfällen die steuerliche Einordnung der Kapitalüberlassung als Fremd- statt Eigenkapital von Interesse sein, da ein Ausfall der Investitionsmittel regelmäßig nur dann steuerlich geltend gemacht werden kann, wenn sie als Fremdkapital überlassen wurden. Mit den aufgeführten Vorteilen einer Mezzanine-Finanzierung gehen jedoch auch gewisse Nachteile einher. Wie bei jeder Finanzierung ist die Vergütung für die Kapitalüberlassung abhängig von dem vom Kapitalgeber übernommenen Risiko. Wenn die Finanzierung eigenkapitalähnlich ausgestaltet ist und der Geldgeber nicht wie ein typischer Darlehensgeber geschützt ist, wird die Finanzierung „teurer“, was zu Lasten des Ergebnisses und damit der echten Eigenkapitalgeber geht. Darüber hinaus kommt zu der höheren Vergütung oftmals auch die Forderung des (Risiko-)Kapitalgebers nach erhöhten Informations-, Kontroll- oder Mitspracherechten hinzu.
VI. Übersicht über typische Erscheinungsformen von Mezzanine-Kapital 1. Genussrechte Genussrechte sind wohl die bekannteste und zwischenzeitlich wohl auch am meisten verbreitete Form von Mezzanine-Kapital bei Mittelstandsfinanzierungen68. Das Gesetz enthält bewusst69 keine Legaldefinition des Begriffs „Genussrecht“, vielmehr setzt es die Existenz von Genussrechten voraus (§§ 160 Abs. 1 Nr. 6, 221 Abs. 3, 4 AktG, § 341a Abs. 4 HGB, § 10 Abs. 5 KWG). Mangels Legaldefinition finden sich in der Praxis ganz unterschiedliche Ausgestaltungen, die von einfachen Anleihen (verzinslichen Wertpapieren) bis hin zu „Gesellschaftsanteilen“ ähnlichen Ausprägungen reichen.
__________ 68 Jüngst vertrieben unter Produktnamen wie „equiNotes“, „preps“ (preferred equity participations) oder Mezz-CAP. 69 Die fehlende Definition soll eine Einengung des jeweiligen Regelungsbereichs auf bestimmte Varianten vermeiden, vgl. Stellungnahme der Bundesregierung v. 5.10. 1984, BT-Drucks. 10/2079.
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Gemeinsam ist allen Genussrechten, dass sie dem Berechtigten eine einem Gesellschafter vermögensmäßig vergleichbare Position gegen die Gesellschaft einräumen, indem sie ihm einen Anspruch auf eine Gewinnbeteiligung und/ oder eine Beteiligung am Liquidationserlös gewähren. Begrifflich wird dabei zwischen obligationsähnlichen Genussrechten, die ausschließlich einen Anspruch auf Teilhabe am Gewinn gewähren und beteiligungsähnlichen Genussrechten, die daneben auch noch einen Anspruch auf den Liquidationserlös einräumen70, unterschieden. Im Gegensatz zur korporationsrechtlichen Natur der Beziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ist der Anspruch des Genussrechtsinhabers gegen die Gesellschaft rein schuldrechtlicher Natur71. Entsprechend hat der Genussrechtsinhaber keine mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte (Stimm-, Anfechtungs- und Kontrollrechte), was jedoch nicht ausschließt, dass ihm auf schuldrechtlicher Grundlage einzelne Verwaltungsrechte eingeräumt werden können. Der Genussrechtsinhaber nimmt nach dem allgemeinen Normverständnis nicht am Verlust teil, die Vereinbarung einer Verlustbeteiligung ist jedoch möglich und z. B. zur Anerkennung als bankaufsichtsrechtliches Eigenkapital zwingend (§ 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG). Obwohl sich allein im Aktiengesetz (§ 221 AktG) eine Regelung über die Begebung von Genussrechten findet, ist unbestritten, dass Genussrechte auch von Unternehmen anderer Rechtsform und namentlich der GmbH begeben werden können72. Die Begebung erfolgt in verbriefter (Genussscheine) oder unverbriefter Form. Bei wirtschaftlicher Betrachtung haben Genussrechte Eigenkapitalnähe durch die gewährte Beteiligung am Gewinn und ggf. Liquidationsergebnis; Fremdkapitalnähe haben sie durch den Ausschluss der Verlustbeteiligung und fehlende Mitwirkungsrechte. 2. Stille Beteiligung Die stille Beteiligung, eine Personengesellschaft in der Form der Innengesellschaft, ist zwar ebenfalls tatbestandlich nicht definiert, ihre Merkmale ergeben sich jedoch weitgehend aus § 230 HGB. Nach § 230 HGB hat der stille Gesellschafter seine Einlage in das Vermögen des Geschäftsherrn, hier die GmbH, zu leisten. Der Stille wird dadurch jedoch nicht gesamthänderisch an dem Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts beteiligt. „Gegenleistung“ für die Erbringung der Einlage ist eine Beteiligung am Gewinn. Streitig ist, ob und ggf. in welchem Umfang der Stille bei fehlender vertraglicher Vereinbarung an den
__________
70 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 221 AktG Rz. 25. 71 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzerung am Kapitalmarkt, 2005, S. 339. 72 Schneider in FS Goerdeler (Fn. 11), S. 511, 513; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 19), § 29 GmbHG Rz. 88; v. Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15). Rz. 546; Sethe, AG 1993, 293, 308.
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stillen Reserven beteiligt ist73. Die Beteiligung am Gewinn des Inhabers des Geschäftsbetriebs ist zwingend, während eine Verlustbeteiligung ausgeschlossen werden kann (§ 233 HGB). Selbst wenn die Verlustteilnahme nicht ausgeschlossen ist, beschränkt sie sich auf die erbrachte oder versprochene Einlage. Zu Nachschüssen ist der stille Gesellschafter nicht verpflichtet. Ebenso besteht keine Verpflichtung zur Rückzahlung bezogener Gewinne in Verlustjahren. Tatbestandsmerkmal der stillen Beteiligung ist die Gewinnabhängigkeit der Vergütung74, wobei eine feste Verzinsung neben einer gewinnabhängigen unschädlich ist75. Üblicherweise knüpft die Gewinnbeteiligung am Bilanzgewinn des gesamten Unternehmens an. Zwingend ist dies jedoch nicht, vielmehr ist eine Gewinnbeteiligung an einem Unternehmensteil möglich, nicht hingegen an einem einzelnen Geschäft76. Die Kontroll- und Informationsrechte des stillen Gesellschafters entsprechen denen eines Kommanditisten nach § 166 HGB77 (§ 231 Abs. 2 HGB). Im Gegensatz zur Regelung bei der Kommanditgesellschaft (§ 164 HGB) ist der Geschäftsherr jedoch nicht grundsätzlich verpflichtet, bei Handlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes hinausgehen die Zustimmung des still Beteiligten einzuholen, solange diese vom Gesellschaftszweck gedeckt sind78. „Mezzanine“ ist die stille Beteiligung bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgaben: Dem Stillen steht wie einem „Außen-Gesellschafter“ ein Gewinnanspruch zu. Er nimmt wie ein Gesellschafter am Verlust des Inhabers teil, wenn dies nicht abbedungen ist. Die Auseinandersetzungsforderung, die je nach Betrachtung79 keine Beteiligung an den stillen Reserven beinhaltet, ist hingegen wie eine klassische Drittgläubigerforderung einfache Insolvenzforderung (§ 236 HGB). Stärker kommt der Charakter als eigenkapitalähnliches Mezzanine-Kapital bei der sog. atypisch stillen Beteiligung zum Ausdruck. Weitgehend von den Vor-
__________ 73 Zutt in Großkomm.HGB, 4. Aufl. 1989, § 232 HGB Rz. 11: keine Beteiligung; Koller in Koller/Roth/Morck, HGB, 3. Aufl. 2002, § 232 HGB Rz. 3: Beteiligung an stillen Reserven nur soweit zu Lasten des Gewinns des Stillen gebildet; Hopt in Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 232 HGB Rz. 1: Beteiligung an stillen Reserven, soweit durch Aufwendungen von Gesellschaftsmitteln geschaffen; Blaurock, Handbuch der Stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, Rz. 14.42 ff.: bezogen auf das Anlagevermögen; Schulze-Osterloh in FS Kruse, 2001, S. 377, 379 sowie Bezzenberg/ Keul in MünchHdb.GesR, Bd. 2, 2. Aufl. 2004, § 86 Rz. 24: Beteiligung an stillen Reserven, wenn sie nicht bis zum Eintritt des Stillen entstanden sind. Im Ergebnis wird man K.Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 232 HGB Rz. 6 folgen können, der das Ob und den Umfang der Beteilung an den stillen Reserven auf der Grundlage des jeweiligen Zwecks der stillen Gesellschaft bestimmen will. 74 Hopt in Baumbach/Hopt/Merkt (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 3. 75 Bezzenberger/Keul in MünchHdb.GesR (Fn. 73), § 86 Rz. 39. 76 Koller in Koller/Roth/Morck (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 11. 77 Insbes. Einsichtsrecht in Jahresabschluss und Bücher der GmbH. 78 Blaurock (Fn. 73), Rz. 12.24 ff. 79 S. Fn. 73.
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gaben des Steuerrechts an eine Mitunternehmerschaft bestimmt, ist der atypisch stille Gesellschafter als Kapitalgeber üblicherweise nicht nur am Gewinn und Verlust, sondern auch an den stillen Reserven des Unternehmens beteiligt. Darüber hinaus können dem Stillen obligatorische Geschäftsführungsbefugnisse eingeräumt werden80. Der dispositive Charakter des Rechts der stillen Beteiligung ermöglicht, die stille Beteiligung weitgehend frei zu gestalten. So kann sie einem partiarischen Darlehen nahe kommen, gleichzeitig jedoch auch dem Stillen eine Rechtsposition einräumen, die zumindest wirtschaftlich der eines GmbH-Gesellschafters nahe kommt. 3. Hybridanleihen (perpetual bonds) Bei Hybridanleihen (Perpetuals oder ewige Anleihen) handelt es sich um Schuldverschreibungen ohne Endfälligkeit („ewige Anleihen“)81, die gesetzlich nicht geregelt sind. Ihre Ausgestaltung beruht allein auf individualvertraglicher Grundlage. Ein ordentliches Kündigungsrecht ist zumeist nur dem Emittenten – regelmäßig nach Ablauf einer Grundlaufzeit – eingeräumt. Wie andere Formen des Mezzanine-Kapitals sind die Hybridanleihen zwar grundsätzlich aufgrund entsprechender Vereinbarung nachrangig gegenüber anderen Gläubigern bei Liquidation und Insolvenz, im Gegensatz zu Genussscheinen und sonstigem Mezzanine-Kapital nehmen Hybridanleihen nicht am Unternehmenserfolg teil; die Investoren erhalten ausschließlich die festgelegte Vergütung (fester/variabler Zins). Die Bedienung des Darlehens und der Zinsen trotz fehlender Zahlungsverpflichtung des Emittenten wird durch einen Zuschlagzins (Step-up-Zins) sichergestellt82. Eigenkapitalelemente haben Hybridanleihen allein in Gestalt ihrer fehlenden Endfälligkeit und der Tatsache, dass die Gesellschaft zur Bewirkung von Zinszahlungen nur dann verpflichtet ist, wenn eine Dividendenausschüttung (Gewinnausschüttung) beschlossen wird. Ansonsten steht die Fälligkeitsbestimmung der geschuldeten Zinsen im Ermessen des Schuldners (sog. Interest Deferral Option). Als Fremdkapital vermitteln sie jedoch keinen Anspruch auf Beteiligung an den stillen Reserven. 4. Wandel- und Optionsanleihen Wandel- und Optionsanleihen sind Schuldverschreibungen, die dem Gläubiger ein Umtausch- bzw. Bezugsrecht auf Aktien einräumen und damit die Beteiligung an stillen Reserven des Emittenten ermöglichen. Die Wandelanleihe berechtigt den Gläubiger seinen Anspruch auf Darlehensrückzahlung und evtl. aufgelaufener Zinsen gegen eine vorab bestimmte Anzahl von Aktien „einzu-
__________ 80 Hopt in Baumbach/Hopt/Merkt (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 3. 81 Vater, FinanzBetrieb 2006, 44, 45. Eine Verbriefung ist jedoch nicht notwendig. Der Markt kennt auch sog. Perpetual Loans. 82 Häuselmann (Fn. 53), 732.
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tauschen“, während bei der Optionsanleihe dem Gläubiger zusätzlich zum Recht auf Rückzahlung des Nennbetrags des Darlehens und der vereinbarten Zinsen nach Ablauf der Laufzeit ein Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird. Die Organzuständigkeit für die Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen durch eine Aktiengesellschaft ist entsprechend der für Genussrechte geregelt: Nach § 221 AktG dürfen Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen nur aufgrund eines qualifizierten Hauptversammlungsbeschlusses ausgegeben werden. Der Vorteil der Wandelanleihe besteht im „Umtausch von Fremdkapital in Eigenkapital“. Das Wandlungsrecht wird regelmäßig über bedingtes Kapital bedient (§ 192 AktG)83; eine Sachkapitalprüfung findet im Zeitpunkt der Wandlung, d. h. der Ausgabe der jungen Aktien nicht mehr statt, wobei dies jedoch voraussetzt, dass die Wandelanleihe gegen Barzahlung begeben wurde84. Dem Wandlungsberechtigten wird eine Beteiligung an den stillen Reserven durch die Übernahme der Aktien eingeräumt, der ihm sonst nicht (Darlehen) oder so nicht (stille Beteiligung, Genussrecht) zustehen würde. Wandel- und Optionsanleihen haben für den Zeichner den Vorteil, dass sie eine Drittgläubigerposition ohne Eigenkapitalrisiko bei gleichzeitiger Beteiligung am Unternehmenserfolg gewähren. Zwar können Wandel- und Optionsanleihen auch von einer GmbH begeben werden. Da das GmbH-Recht jedoch kein bedingtes Kapital zur Bedienung des Anspruchs auf Wandelung oder der Option vorsieht, dürften Wandel- und Optionsanleihen regelmäßig weniger geeignete Finanzierungsinstrumente für eine GmbH darstellen. Die Beteiligung an der „Emittenten-GmbH“ kann lediglich durch eine (unbedingte) Kapitalerhöhung erreicht werden. Hierbei sind jedoch die Sacheinlagevorschriften zu beachten, die den Nachweis der Werthaltigkeit der Einlage in Gestalt der untergehenden Wandelanleihe-Verbindlichkeit im Zeitpunkt der Wandlung verlangen. Alternativ dazu kann das Wandlungsrecht durch „Abspaltung“ von bestehenden Geschäftsanteilen der bisherigen Gesellschafter bedient werden85. 5. Strukturierte Finanzierungen (Nachrangdarlehen, Equity Kicker) a) Nachrangdarlehen Nachrangdarlehen zeichnen sich dadurch aus, dass sie hinter alle anderen Gläubigeransprüche im Rang zurücktreten, also in der Insolvenz erst nachrangig gegenüber diesen Ansprüchen bedient werden. Die Nachrangigkeit beschränkt sich auf bestehende Ansprüche von Nicht-Gesellschaftern der darlehensnehmenden Gesellschaft, kann aber auch zukünftige Ansprüche einbeziehen. Die Nachrangabrede ist eine Ausgestaltung der Kapitalüberlassung und
__________ 83 Hüffer (Fn. 70), § 192 AktG Rz. 12; Krieger in MünchHdb.GesR Bd. 4, 3. Aufl. 2007, § 63 Rz. 21 m. w. N. 84 S. auch Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 83), § 57 Rz. 24. 85 Maidl, NZG 2006, 778.
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kommt nicht allein bei Nachrangdarlehen vor, vielmehr kann sie Bestandteil jeglicher (Fremdkapital-)Finanzierungsabrede sein. Ein Nachrangdarlehen steht mit Ausnahme des Rangrücktritts rechtlich und wirtschaftlich einem klassischen Darlehen gleich. Nachrangdarlehen stellen klassisches Fremdkapital dar. Lediglich durch die Nachrangigkeit haben sie Eigenkapitalbezug. In Verbindung mit anderen Finanzierungsinstrumenten kann die Nachrangabrede Eigenkapitalcharakter vermitteln (z. B. Eigenkapitalgenussrecht). Dies ändert jedoch nichts an ihrer grundsätzlichen Fremdkapitalqualität. b) Equity Kicker Die Vereinbarung eines sog. Equity Kickers im Rahmen eines Kapitalüberlassungsverhältnisses mit gewinnabhängiger Vergütung dient dazu, dem Kapitalgeber nicht nur eine Teilhabe am laufenden Ergebnis, sondern auch an der Wertsteigerung des Unternehmens einzuräumen. Die Mezzanine-Finanzierung gewährt dabei die Beteiligung am laufenden Ergebnis (gewinn- oder nicht gewinnabhängig), während der mit ihr verbundene Equity Kicker es dem Kapitalgeber gestattet, sich am Unternehmen unmittelbar oder durch Umwandlung der Kapitalforderung in Eigenkapital (Debt-Equity Swap) zu beteiligen oder zumindest wirtschaftlich so gestellt zu werden, als hätte er sich am Unternehmen beteiligt (virtueller Equity Kicker, Back End Fee). Ziel des Equity Kicker ist nicht allein die Beteiligung des Kapitalgebers an den stillen Reserven, sondern auch die Entlastung des verpflichteten Unternehmens von laufenden Zinszahlungen, da der Wert des Equity Kicker regelmäßig in einer geringeren Verzinsung abgebildet wird. Bei der Aktiengesellschaft wird die Verknüpfung von schuldrechtlicher Kapitalüberlassung und Beteiligung am Unternehmenszuwachs üblicherweise durch Begebung von Options- und Wandelanleihen erreicht. Da das GmbH-Recht – wie vorstehend beschrieben – kein bedingtes Kapital vorsieht, muss die Beteiligung an den stillen Reserven auf anderem Weg gestaltet werden. Neben einer (Sach-)Kapitalerhöhung unter Verzicht auf die Bezugsrechte durch die bisherigen Gesellschafter oder der eher im Private Equity-Bereich vorkommenden Vereinbarung, dass die bisherigen Gesellschafter Teile ihrer Beteiligung auf den Investor übertragen, besteht die Möglichkeit, dass die GmbH im Vorfeld erworbene eigene Anteile zur Bedienung des Anspruchs aus dem Equity Kicker einsetzt. Alle Alternativen verwässern die bisherige Beteiligung der Gesellschafter. Eine Beteiligung am Unternehmenserfolg ohne Verwässerung der bisherigen Gesellschafter kann nur durch einen virtuellen Equity Kicker erreicht werden, bei dem die Kapitalgeber eine einmalige (Sonder-)Zahlung am Ende der Laufzeit erhalten, die die Wertsteigerung des finanzierten Unternehmens oder Bereichen hiervon abbildet. Bei mittelständischen, prosperierenden Unternehmen wird der echte Equity Kicker eher „ungeliebt“ sein, da er auf eine Gesellschafterposition des Kapital1110
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gebers hinausläuft. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass auch wegen der besseren sonstigen Konditionen der Kapitalüberlassung ein Equity Kicker vereinbart wird, ggf. kombiniert mit einer (Rück-)Kaufoption der bisherigen Gesellschafter. In Sanierungsfällen mag die gesellschaftsrechtliche Einbindung des Kapitalgebers sogar gewollt sein. Wie Nachrangabreden sind auch Equity Kicker „Kombinationsinstrumente“, die nicht isoliert vereinbart werden, sondern in Verbindung mit anderen Finanzierungsinstrumenten ermöglichen, dass der Kapitalgeber nicht allein am laufenden Ergebnis, sondern – eigentümerähnlich – an der Wertentwicklung des finanzierten Unternehmens partizipiert. Equity Kicker haben typische Eigenkapitalelemente: in der Form des echten Equity Kickers entsprechen sie Bezugsrechten, die regelmäßig mit der Gesellschafterposition verbunden sind. Darüber hinaus gewähren sie eine Beteiligung am Wertzuwachs des Unternehmens, was einer Beteiligung am Liquidationsüberschuss im Zeitpunkt der Ausübung entspricht. 6. Partiarische Darlehen Das partiarische Darlehen zeichnet sich durch die (partielle)86 Gewinnabhängigkeit der Vergütung für die Kapitalüberlassung aus. Wie beim gewöhnlichen Darlehen besteht die Verpflichtung zur Rückgewähr des überlassenen Kapitals; eine Verlustbeteiligung des Darlehensgebers ist nicht vorgesehen. Von der stillen Beteiligung unterscheidet sich das partiarische Darlehen durch den fehlenden gemeinsamen Zweck i. S. d. § 705 BGB87.
VII. Mezzanine-Kapital und Organzuständigkeiten am Beispiel ausgewählter Instrumente 1. Genussrechte a) Obligationsähnliche Genussrechte und (gesetzliche) Organzuständigkeit Obwohl Genussrechte im GmbH-Recht nicht geregelt sind, stellen sie einen geeigneten Einstieg für die zu untersuchende Fragestellung nach der Organzuständigkeit bei der Finanzierung mit Mezzanine-Kapital dar. Genussrechte sind neben Wandel- und Optionsrechten die Finanzierungsform, bei der eine explizite gesetzliche Regelung über die Kompetenz- und Zuständigkeitsverteilung zu finden ist. Die Begründung von Genussrechten erfolgt durch einen Vertrag der Aktiengesellschaft, vertreten durch den Vorstand, mit den Erwerbern88. Nach § 221 AktG bedarf die Begebung von Genussrechten im Innen-
__________ 86 Neben der grundsätzlich erfolgsabhängigen Verzinsung wird teilweise eine feste Grundverzinsung vereinbart. 87 BGHZ 127, 176. 88 Sethe, AG 193, 293, 309.
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verhältnis eines Beschlusses der Hauptversammlung mit grundsätzlich satzungsändernder Mehrheit, § 221 Abs. 3 AktG. Der Hauptversammlungsvorbehalt irritiert vor dem Hintergrund, dass Genussrechte sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie keine Mitgliedschaftsrechte, sondern lediglich einzelne Vermögensrechte auf schuldrechtlicher Grundlage vermitteln. Erklärlich ist die gesetzliche Regelung allein vor dem Hintergrund der Bandbreite der Ausgestaltung von Genussrechten: Das Genussrecht kann so strukturiert sein, dass es den Charakter einer Anleihe hat, wenn beispielsweise eine Festverzinsung unter dem Vorbehalt ausschüttbaren Gewinns vereinbart ist. Gesetzlicher Gesellschafterschutz wäre hier nicht erforderlich. Genussrechte können aber auch so gestaltet werden, dass Vermögensrechte gewährt werden, die denen eines Aktionärs entsprechen89 und beispielsweise ein volles Gewinnbezugsrecht sowie eine Teilhabe am Liquidationsergebnis vermitteln. Auf diese Sachverhalte zielt die Regelung des § 221 AktG90. Der Hauptversammlungsvorbehalt soll vor potentiellen Beeinträchtigungen der Aktionäre durch Gewährung aktionärstypischer Rechte schützen und damit gleichzeitig einen faktischen Zugriff des Vorstands auf Aktionärsrechte verhindern. Begründet werden Genussrechte auch bei der GmbH durch einen Vertrag zwischen der Gesellschaft und dem Genussrechtsgläubiger. Vertreten wird die GmbH bei Abschluss des Vertrages durch ihre Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1 GmbHG)91. Da Genussrechte keine den Gesellschaftern vorbehaltenen Satzungsmaßnahmen beinhalten, erstreckt sich die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers auf ihre Begebung. Für das Innenverhältnis ist jedoch fraglich, ob die Begebung einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung in analoger Anwendung von § 221 AktG oder als ungewöhnliche, die Geschäftsführungsbefugnis einschränkende Maßnahme bedarf bzw. die Geschäftsführungsbefugnis sich auf die Emission von Genussrechten erstreckt. Bei der analogen Anwendung des § 221 AktG geht es um die Frage, ob der aktienrechtliche Schutz auch auf die Begebung von Genussrechten durch eine GmbH übertragen werden muss92 oder im GmbH-Recht kein Bedarf hierfür besteht93. Betrachtet man die unterschiedliche Struktur von AG und GmbH und gerade auch die unterschiedlichen Kompetenzen der Organe wird man einer Übertragung der aktienrechtlichen Vorschriften auf im GmbHG nicht geregel-
__________ 89 Schneider in FS Goerdeler (Fn. 11), S. 511, 513 ff. 90 Karollus in Geßler/Herfermehl/Eckardt/Kropff, 1973 ff., § 221 AktG Rz. 297; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 221 AktG Rz, 198, 209; Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 83), § 63 Rz. 60; Rid-Niebler, Genussrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 85: Schutz vor Beeinträchtigung der Vermögensinteressen. 91 Kallmeyer in GmbH-Handbuch, Loseblatt, Rz. I 410. 92 So Lutter/Hommelhoff (Fn. 22), § 55 GmbHG Rz. 45. 93 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt (Fn. 71), § 11 Rz. 22; H. Winter/ Seibt in Scholz (Fn. 8), § 14 GmbHG Rz. 70; Rid-Niebler (Fn. 90), S. 85 ff.
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te Sachverhalte eher kritisch gegenüberstehen müssen. Die AG verfügt über eine „Drei-Organstruktur“ mit entsprechend abweichenden Kompetenzen: Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hat eine umfassende Leitungsmacht und ist grundsätzlich nicht gegenüber der Hauptversammlung weisungsabhängig94; die Aktionäre können nicht (Vorstands-)Maßnahmen zur Entscheidung an sich ziehen; kontrolliert wird der Vorstand vom Aufsichtsrat. Im Gegensatz hierzu sind die GmbH-Gesellschafter im Innenverhältnis grundsätzlich „Herren des Geschehens“. Dem Geschäftsführer obliegt zwar die Geschäftsführungsbefugnis, die GmbH-Gesellschafter können jedoch jederzeit in das tägliche Geschäft eingreifen und die Entscheidung an sich ziehen. Diese Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung wird noch unterstützt durch die umfassenden Kontrollrechte des einzelnen Gesellschafters (§§ 51a, 51b GmbHG). Die Unterschiede machen deutlich, dass die Aktionäre mangels unmittelbarer Eingriffsmöglichkeiten schutzwürdiger sind als GmbH-Gesellschafter und eine Übertragung des Aktionärsschutzes auf die GmbH nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt ist. Nach h. M.95 bedarf es demnach für die wirksame Begebung von Genussrechten durch eine GmbH (regelmäßig) keines zustimmenden Beschlusses der Gesellschafter in entsprechender Anwendung des § 221 AktG. Hiervon unabhängig stellt sich die Frage, ob die Genussrechtsbegebung nach GmbH-Recht ein Finanzierungsgeschäft ist, das von der Geschäftsführungsbefugnis des Geschäftsführers gedeckt ist oder als ungewöhnliches Geschäft der Zustimmung der Gesellschafter bedarf. Die Antwort hierauf ist umstritten96. Mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen will die wohl h. M. nicht allein aus der Genussrechtsbegebung auf die Zuständigkeit der Gesellschafter schließen, vielmehr soll die Zuständigkeit von der Ausstattung des Genussrechts abhängen97. Hinsichtlich der Frage, welche Ausstattungsmerkmale die Zuständigkeit des Geschäftsführers bzw. der Gesellschafterversammlung begründen, finden sich unterschiedliche Aussagen. Man wird jedoch davon ausgehen können, dass bei obligationsähnlichen Genussrechten, bei denen der Berechtigte lediglich einen Anspruch auf eine Gewinnbeteiligung hat, die h. M. keinen Gesellschafterbeschluss verlangt. Zwar mindert der Anspruch aus dem Genussrecht den Gewinn der Gesellschaft und damit den Gewinnanteil des Gesellschafters. Das obligationsähnliches Genussrecht stellt sich jedoch nicht viel anders dar als ein partiarisches Darlehen, mit der für die
__________ 94 Ausnahme: Beherrschungsvertrag. 95 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt (Fn. 71) § 11 Rz. 22; Golland/ Gehlhaar/Grossmann/Eickhoff-Kley/Jänisch, BB-Special 4/2005, 1, 18; a. A. W. Müller in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 22), § 29 GmbHG Rz. 111; Lutter/Hommelhoff (Fn. 22), § 55 GmbHG Rz. 45. 96 V. Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 585. 97 Winter/Seibt in Scholz (Fn. 8), § 14 GmbHG Rz. 68 f.; Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck (Fn. 19), § 29 GmbHG Rz. 88c; Sethe, AG 1993, 293, 313; v. Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 585; ähnliche Überlegungen bei Lutter/ Hommelhoff (Fn. 22), Rz. 45, wenn auch bezogen auf die analoge Anwendung von § 221 AktG.
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Gesellschafter unschädlichen Ausnahme, dass beim Genussrecht die Valuta am Verlust teilnehmen kann. Zahlungen auf das obligationsähnliche Genussrecht stellen somit wie Zinszahlungen auf partiarische Darlehen gewinnmindernde Aufwendungen dar98, die nicht den Gewinnanspruch der Gesellschafter nach § 29 GmbHG einschränken und daher auch keiner satzungsmäßigen Grundlage bedürfen. Dieses Verständnis liegt auch der (handelsbilanziellen) Betrachtung des HFA zugrunde, der wegen des reinen obligatorischen Charakters der Kapitalüberlassung selbst bei eigenkapitalähnlichen Genussrechten die Vergütungszahlung nicht als Gewinnverwendung, sondern als Aufwendung ansieht99. b) Beteiligungsähnliche Genussrechte aa) Genussrechte mit handelsbilanziellem Eigenkapitalcharakter Die Ausgestaltung von anderen als obligationsähnlichen Genussrechten wird regelmäßig bestimmt von den Zielen, die Investoren und Kapitalnehmer erreichen wollen. Dies gilt zwar für alle Arten der Mezzanine-Finanzierung, aber gerade bei den in letzter Zeit emittierten Genussrechten stand die Eigenkapitalqualifikation für handelsbilanzielle Zwecke im Vordergrund. Genussrechte werden daher regelmäßig so gestaltet, dass sie diese Qualifikation erfüllen100. Die Frage, die bereits für das obligationsähnliche Genussrecht gestellt wurde, nämlich ob eine derartige Finanzierung der Mitwirkung der Gesellschafter bedarf, stellt sich hier verstärkt, da der handelsbilanzielle Eigenkapitalcharakter eine Beeinträchtigung der Vermögensrechte der Gesellschafter indiziert. Hier kommt jedoch das unterschiedliche Eigenkapitalverständnis von Gesellschafts- und Handelsrecht zum Tragen. Handelsbilanzielles Eigenkapital muss die Gesellschafterrechte nicht unbedingt beeinträchtigen: Handelsbilanziell sollen Genussrechte dann als Eigenkapital ausgewiesen werden, wenn eine Erfolgsabhängigkeit, Nachrangigkeit, Verlustbeteiligung sowie die Langfristigkeit der Kapitalüberlassung101 vereinbart sind. Hieraus ergeben sich gemessen am obligationsähnlichen Genussrecht keine „zusätzlichen“ Gefahren für die Vermögensrechte der Gesellschafter im Allgemeinen und ihr Gewinnbezugsrecht im Besonderen. Die Erfolgsabhängigkeit der Vergütung ist bereits Merkmal des „Fremdkapital-Genussrechts“ in Anlehnung an § 221 AktG; die weiteren Kriterien für ein als Eigenkapital auszuweisendes Genussrecht nach handelsrechtlichem Verständnis, also Nachrangigkeit, Verlustbeteiligung sowie Längerfristigkeit, haben keine beeinträchtigende Wirkung auf die Vermögensrechte der Gesellschafter.
__________
98 Hueck/Fastrich, (Fn. 19), § 29 GmbHG Rz. 81; Rid-Niebler (Fn. 90), S. 86. 99 HFA 1/1994, Zur Behandlung von Genussrechten im Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften, Wpg 1994, 419, Tz. 2.2.2 a). 100 Die Strukturierungsziele werden mit dem „magischen Fünfeck“ beschrieben: Nachrangigkeit, handelsbilanzielles Eigenkapital, Ergebnisabhängigkeit der Vergütung, keine unternehmerische Einflussnahme, steuerliche Abzugsfähigkeit der Vergütung, vgl. v. Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 545. 101 Vgl. HFA (Fn. 99).
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Allerdings könnte § 29 GmbHG einer Berechtigung des Geschäftsführers zur Begebung von eigenkapitalähnlichen Genussrechten entgegenstehen, wenn diese nicht nur für Zwecke des Bilanzausweises Eigenkapital gleichstehen, sondern materiell Eigenkapital begründen. Aufgrund der Zuweisung zum Eigenkapital dürfte die Vergütung für die Genussrechtszeichner damit keinen Aufwand bei der GmbH darstellen und somit das Ergebnis, über dessen Verwendung § 29 GmbHG den Gesellschaftern die Entscheidung zuweist, mindern. Dennoch wird in der Literatur bei rein bilanziell als eigenkapitalähnlich eingestuften Genussrechten die Beeinträchtigung der Gesellschafterrechte und damit auch § 29 GmbHG nicht diskutiert. Im Ergebnis wird dies auch richtig sein, da die handelsbilanzielle Qualifikation als Eigenkapital nach HFA 1/1994 wegen des reinen obligatorischen Charakters der Kapitalüberlassung nicht dazu führt, dass die Vergütungszahlung Gewinnverwendung darstellt. Sie behält Aufwandscharakter102. bb) Eigenkapitalähnliche Genussrechte mit Beteiligung am Liquidationserlös Kritischer wird die Frage nach einer Beeinträchtigung der Rechte der Gesellschafter bei den sog. eigenkapitalähnlichen Genussrechten, die sich durch die Beteiligung des Genussrechtsinhabers am Gewinn und am Liquidationsergebnis auszeichnen. Diese Genussrechte sind weniger praxisrelevant, da sie für steuerliche Zwecke Eigenkapitalcharakter haben, üblicherweise aber versucht wird, die Gestaltung des Genussrechts gerade durch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Ausschüttungen auf das Genussrecht zu optimieren, was in der Folge eine gleichzeitige Ergebnis- und Liquidationserlösbeteiligung hindert. Dennoch finden derartige „Finanzierungsgenussrechte“ Verwendung103. Bei einer Vereinbarung, wonach dem Genussrechtsinhaber eine Beteiligung am Liquidationserlös eingeräumt wird, ist es offensichtlich, dass hiermit die Gesellschafterrechte der GmbH-Gesellschafter beeinträchtigt werden. Ob derartige Finanzierungsinstrumente einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen, ist mit Blick auf den beteiligungsähnlichen Charakter und einer etwaigen Beeinträchtigung des mitgliedschaftlichen Gewinnrechts i. S. d. § 29 Abs. 1 GmbHG umstritten104. Im Ergebnis wird mit unterschiedlicher Begründung die Geschäftsführungsbefugnis des Geschäftsführers nicht als ausreichend zur Begebung von beteiligungsähnlichen Genussrechten angesehen und eine Satzungsgrundlage105 oder ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung106 verlangt.
__________ 102 HFA (Fn. 99), Tz. 2.2.2 a); Priester in MünchHdb.GesR (Fn. 17), § 57 Rz. 34. 103 So, wenn der Genussrechtszeichner die Erträge aus dem Genussrecht nicht der Besteuerung unterwerfen will, vgl. § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG. 104 Bejahend Rid-Niebler (Fn. 90), S. 86; Kallmeyer in GmbH-Handbuch (Fn. 91) Rz. 436; a. A. Kallmeyer (Fn. 91), Rz. 436. 105 Roth in Roth/Altmeppen (Fn. 17), § 29 GmbHG Rz. 66; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 19), § 29 GmbHG Rz. 91. 106 Rid-Niebler (Fn. 90), S. 88 f.
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cc) Eigenkapitalähnliche Genussrechte mit steuerlicher Fremdkapitalqualifikation Optimiert wird die Finanzierung mit Genussrechten regelmäßig dadurch, dass die Genussrechte so gestaltet werden, dass sie einerseits handelsrechtlich als Eigenkapital ausgewiesen werden können, andererseits die Zahlungen auf die Genussrechte steuerlich abzugsfähig sind. Hierauf zielt der Hinweis des Fremdgeschäftsführers, wenn er noch einen „steuerlichen Schnitt“ erzielen will. Um dies zu erreichen, wird regelmäßig auf die Vereinbarung einer Beteiligung am Liquidationserlös verzichtet, da das Steuerrecht eine Zahlung auf ein eigenkapitalähnliches Genussrecht im handelsbilanziellen Sinn nur dann als Gewinnbezug eines Gesellschafters (Dividende) betrachtet, wenn der Genussrechtsinhaber die klassischen Vermögensrechte eines Gesellschafter qua schuldrechtlicher Vereinbarung erhält, wenn er also nicht nur am Gewinn der Gesellschaft, sondern gleichzeitig auch am Liquidationserlös beteiligt wird (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). Um die steuerliche Abzugsfähigkeit zu gewährleisten, wird vorgeschlagen die (gewünschte) Beteiligung am Liquidationsergebnis durch einen Anspruch auf Abfindungsleistung darzustellen, der nach Befriedigung aller anderen Gläubiger, aber vor Verteilung des Liquidationserlöses bedient wird107. Ob diese Vorgehensweise, die auf einer pauschalierten Ermittlung der stillen Reserven beruhen muss, tatsächlich die steuerliche Abzugsfähigkeit der Vergütung gewährleistet, erscheint in Anbetracht der weiten Auslegung des Begriffs „Beteiligung am Liquidationserlös“ durch die Finanzverwaltung eher fraglich108. 2. Stille Beteiligung a) Typische Ausgestaltung und gesetzliche Organzuständigkeit Der (typisch) stille Gesellschafter beteiligt sich an der zu finanzierenden GmbH mit einer Vermögenseinlage und erhält hierfür eine gewinnabhängige Vergütung, wobei die Beteiligung am Verlust aus steuerlichen Gründen wohl oft ausgeschlossen wird109. Bei der typisch stillen Gesellschaft ist umstritten, ob und ggf. in welchem Umfang der Stille an den während seiner „Investitionszeit“ geschaffenen stillen Reserven partizipiert110. Kontroll- und Informationsrechte stehen dem Stillen wie einem Kommanditisten zu111; weitergehende obligatorische Verwaltungsrechte vergleichbar der Zustimmungspflicht des
__________ 107 Natusch in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 31 Fn. 33. 108 BMF, BB 1987, 667; BMF, BStBl. I 1996, 49. 109 Der Ausschluss der Verlustbeteiligung dient in der Praxis des Ausschlusses des Risikos, dass die stille Beteiligung allein wegen der dem Stillen gesetzlich eingeräumten Kontrollrechte entsprechend als atypisch stille Beteiligung und damit als steuerliche Mitunternehmerschaft i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG qualifiziert werden könnte; s. Häger in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 324. 110 Vgl. Fn. 73. 111 Baumbach/Hopt in Baumbach/Hopt/Merkt (Fn. 73), § 233 HGB Rz. 1; Küting/Dürr, DB 2005, 1529, 1532.
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Kommanditisten bei ungewöhnlichen Geschäften112 werden dem Stillen nur bei Grundlagengeschäften zugesprochen113. Handelsbilanziell wird die Einlage eines entsprechend den dispositiven Vorschriften der §§ 230 ff. HGB still Beteiligten, obwohl sie in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts übergeht, nicht dem Eigenkapital zugewiesen114. Sie ist als Fremdkapital ausweisen. Dies folgt aus der rechtlichen Stellung des Stillen, insbesondere der Berechtigung zur Rückzahlung der geleisteten Einlage bei Auflösung der stillen Beteiligung, sowie aus der Gläubigerrolle in der Insolvenz (§ 236 HGB)115. Aus der Qualifikation der stillen Beteiligung als Fremdkapital müsste nach den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung der Organzuständigkeiten die Begründung einer dem Regeltypus entsprechenden (typisch) stillen Beteiligung in den Zuständigkeitsbereich des Fremdgeschäftsführers fallen, allerdings könnte eine etwaige Beteiligung an den stillen Reserven, die sich aus dem jeweiligen gemeinsamen Zweck der stillen Beteiligung ergibt, die Einbindung der Gesellschafter verlangen. Zu beachten ist jedoch, dass bei Abschluss eines Vertrages über eine stille Beteiligung mit einer AG als Geschäftsherr nach h. M. die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich ist. Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des Vorstands soll sich nicht auf die Vereinbarung einer stillen Beteiligung erstrecken. Dieser Ansicht liegt die Einordnung der stillen Beteiligung als Teilgewinnabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG zugrunde, der zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit bedarf (§ 293 Abs. 1 AktG)116. Ihre Rechtfertigung erhält die Qualifikation der stillen Beteiligung als Teilgewinnabführungsvertrag durch das für jede stille Beteiligung konstitutive Tatbestandsmerkmal der Gewinnbeteiligung des Stillen. In der Folge bedarf die Vereinbarung einer stillen Beteiligung mit einer AG – unabhängig von der Ausgestaltung der stillen Beteiligung und damit auch in der Form der typisch stillen Gesellschaft117 – immer der Zustimmung der Hauptversammlung, des Organs der Gesellschafter. Die Übertragung der Regelung des § 293 Abs. 1 AktG auf einen mit einer GmbH abgeschlossenen Vertrag über eine stille Beteiligung mit der Folge, dass der Geschäftsführer auf der Grundlage seiner allgemeinen Geschäftsführungsund Vertretungsmacht keinen wirksamen Vertrag über eine stille Beteiligung abschließen könnte, ist umstritten. Der BGH hat im Supermarkt-Beschluss118
__________ 112 Baumbach/Hopt in Baumbach/Hopt/Merkt (Fn. 73), § 164 HGB Rz. 2. 113 Blaurock (Fn. 73), Rz. 12.24. 114 Schulze-Osterloh in Baumbach-Hueck (Fn. 19), § 42 GmbHG Rz. 285; Adler/ Düring/Schmaltz (Fn. 37), § 246 HGB Rz. 90. 115 Adler/Düring/Schmaltz (Fn. 37), § 246 HGB Rz. 90. 116 OLG Celle, AG 2000, 280; Koller in Koller/Roth/Morck (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 12; Emmerich in Scholz (Fn. 8), Anhang § 13 GmbHG Rz. 213; Mertens, AG 2000, 32; Blaurock (Fn. 74), Rz. 7.23. 117 Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 83) § 72 Rz. 18. 118 BGHZ 105, 324, 332 ff.
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die Übernahme der aktienrechtlichen Vorschriften für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag im GmbH-Recht bejaht und wegen des Inhalts und der Wirkungen dieser Unternehmensverträge eine entsprechende Anwendung der Formvorschriften der §§ 53 f. GmbHG für notwendig gehalten. Diese Ausweitung des Anwendungsbereichs des Aktienrechts stößt auch auf allgemeine Zustimmung. Offen ist jedoch weiterhin, ob hieraus eine allgemeine Anwendung des Aktienkonzernrechts geschlossen werden kann, insbesondere ob für die Begründung einer stillen Beteiligung mit einer GmbH § 293 Abs. 1 AktG zu beachten ist. In der Folge umfasste die Vertretungsmacht der Geschäftsführer den Abschluss eines Vertrages über die Begründung einer stillen Beteiligung nicht, vielmehr wäre hierfür neben der Eintragung des Vertrages in Handelsregister ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit erforderlich. Die Literatur hat sich dieser Thematik kontrovers angenommen: Bejaht wird die Anwendung der konzernrechtlichen Vorschriften auch auf die mit einer GmbH abgeschlossene stille Gesellschaft von Emmerich mit der Begründung, dass die Verträge über stille Beteiligungen derart „tiefgreifend“ in die Struktur der verpflichteten Gesellschaft eingriffen, dass sie als Organisationsverträge nicht in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer fielen119. Ähnlich vertritt Ulmer120 die Ansicht, dass auch für Teilgewinnabführungsverträge mit einer GmbH die aktienrechtlichen Vorschriften analog anzuwenden sind, wobei er diese jedoch auf die stille Beteiligung nicht anwenden will. Mertens121 gewährt dem Geschäftsführer grundsätzlich eine unbeschränkte Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht, will aber aufgrund der Unterschiede von organisationsrechtlichen und schuldrechtlichen Unternehmensverträgen stille Beteiligungen dann den Grundsätzen des Supermarkt-Beschlusses unterwerfen, wenn dem Stillen eine zu hohe Gewinnbeteiligung eingeräumt ist oder der Stille Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche bei strukturändernden oder Geschäftsführungsmaßnahmen gelten machen kann, was bei einer typisch stillen Beteiligung nicht der Fall sein sollte. Zutt122 hingegen verneint die Notwendigkeit der Mitwirkung der Gesellschafterversammlung. Zwar hat der BGH im Supermarkt-Beschluss die §§ 291 ff. AktG auch auf mit einer GmbH geschlossene Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge für analog anwendbar erklärt, auf die stille Beteiligung sind diese Grundsätze jedoch nicht anwendbar. Entscheidend war für den BGH die satzungsändernde Wirkung der Unternehmensverträge. Im Gegensatz dazu führt die Vereinbarung einer stillen Beteiligung als solcher nicht zu einer materiellen Änderung des Gesellschaftszwecks durch zukünftige Orientierung am Konzern-
__________ 119 Emmerich in Scholz (Fn. 8), Anhang § 13 GmbHG Rz. 214 sowie § 29 GmbHG Rz. 54a; ähnlich Schneider/Reusch, DB 1989, 713, 715. 120 In Hachenburg (Fn. 22), § 53 GmbHG Rz. 160. 121 AG 2000, 32, 35. 122 In Großkomm.HGB (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 59.
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interesse123. Darüber hinaus gelten die bereits bei den Genussrechten dargestellten Überlegungen: die strukturellen Unterschiede der GmbH zur AG verlangen keine Ausweitung aller konzernrechtlichen Vorschriften auf die GmbH. Das Recht der Gesellschafterversammlung, Weisungen zu erteilen bzw. Zuständigkeiten an sich zu ziehen124, sowie die nach h. M. bestehende Vorlagepflicht der Geschäftsführer bei außergewöhnlichen Geschäften machen einen zusätzlichen „Konzernschutz“ nicht erforderlich125. Lediglich für Fallkonstellationen, bei denen die stille Beteiligung ein Mittel zu einer vollständigen oder nahezu vollständigen Gewinnabführung darstellt, wird die Ansicht vertreten, dass die Zustimmungs- und Formerfordernisse des Supermarkt-Beschlusses Anwendung finden sollen126. Im Ergebnis bejaht die h. M. (zumindest) bei einer typisch stillen Gesellschaft die organschaftliche Berechtigung des Geschäftsführers zum Abschluss des Vertrags über die stille Beteiligung127, wobei zum Teil unter Berufung auf K. Schmidt zwischen Innen- und Außenverhältnis differenziert wird128. Die Vertretungsmacht des Geschäftsführers nach § 35 GmbHG soll zwar den Abschluss eines Vertrages über eine typisch stille Gesellschaft erfassen, im Innenverhältnis bedürfe der Abschluss jedoch „im Zweifel“ der Zustimmung der Gesellschafter. Woran diese „Zweifel“ festgemacht werden sollen, ob hiermit die Unklarheit hinsichtlich der Beteiligung an den stillen Reserven angedeutet werden soll, ist nicht erläutert. Es steht jedoch zu vermuten, dass es zumindest bei einer typisch stillen Beteiligung, die weder eine Beteiligung an den stillen Reserven noch ein Recht zur Beteiligung an der Geschäftsführung vorsieht, bei der gesetzlichen Kompetenzverteilung bleibt und der Geschäftsführer auch im Innenverhältnis keines zustimmenden Beschlusses der Gesellschafter bedarf. b) Atypische Ausgestaltung stiller Gesellschaften aa) Stille Beteiligung als handelsbilanzielles Eigenkapital Ein Ziel bei der atypischen Ausgestaltung einer stillen Beteiligung ist regelmäßig wie bei Genussrechtskapital der Ausweis der Einlage des Stillen als bilanzielles Eigenkapital. Nur so kann die Basis für zusätzliches Kreditvolumen geschaffen oder für bestehendes Kreditvolumen gesichert werden. Voraus-
__________ 123 Bezzenberger/Keul in MünchHdb.GesR (Fn. 73) § 76 Rz. 76; Hellich/Grossmann in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 134; Ulmer in Hachenburg (Fn. 22), § 53 GmbHG Rz. 160. 124 Ähnlich Jebens, BB 1996, 701, 703. 125 Im Ergebnis ebenso K. Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 114; ebenso Zutt in Großkomm.HGB (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 59. 126 Jebens, BB 1996, 701, 703. 127 Ulmer in Hachenburg (Fn. 22), Rz. 160; K.Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 114; H. P. Westermann in FS Ulmer, 2003, S. 657, 661; Bezzenberger/Keul in MünchHdb.GesR (Fn. 73), § 76 Rz. 75. 128 In MünchKomm.HGB (Fn. 125), § 230 HGB Rz. 114; ihm inhaltlich folgend H. P. Westermann in FS Ulmer (Fn. 127), S. 657, 661.
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setzungen für einen Ausweis der Einlage des Stillen als handelsrechtliches Eigenkapital sind zusätzlich zur gesetzlich vorgesehenen Erfolgsabhängigkeit und Verlustteilnahme die Nachrangigkeit sowie die Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung129. Ein Ausweis als IFRS-Eigenkapital kommt mangels der erforderlichen Dauerhaftigkeit der Kapitalüberlassung, die voraussetzt, dass ein Rückforderungsrecht des Stillen ausgeschlossen ist (keine Kündbarkeit), regelmäßig nicht in Betracht. Die Kriterien, die für den Ausweis als Eigenkapital maßgebend sind (Gewinnabhängigkeit, Verlustteilnahme, Längerfristigkeit, Nachrangigkeit), sind zwar klassische Eigenkapitalelemente, auf eine zwingende Einbindung der Gesellschafter in den Abschluss des Vertrages über die stille Beteiligung wird hieraus jedoch nicht geschlossen. Dies erscheint auch nicht erforderlich, denn die Abweichung von der gesetzestypischen Beteiligung liegt vorrangig in der Nachrangigkeit. Erfolgsabhängigkeit und Verlustteilnahme sind Tatbestandsmerkmale der stillen Beteiligung, die Langfristigkeit der Kapitalüberlassung ist aufgrund ihres Charakters als gewinnabhängige Innengesellschaft üblich. Die gesetzlich nicht vorgesehene Nachrangigkeit des Rückzahlungsanspruchs im Konkurs berührt die – insoweit ohnehin nachrangigen – Gesellschafterrechte nicht130. bb) Atypisch stille Beteiligung (Mitunternehmerschaft) Besondere Bedeutung für die Frage nach der Organzuständigkeit bei Begründung eines entsprechenden Vertrags hat die atypisch stille Gesellschaft. Die rechtliche Stellung des atypisch Stillen ist der eines Gesellschafters durch die Beteiligung an stillen Reserven und/oder die Vereinbarung zusätzlicher Zustimmungs- und Kontrollrechte angenähert. Diese Annäherung wird teilweise bilanziell nachvollzogen. So soll handelsrechtlich die Einlage eines atypisch still beteiligten Gesellschafters als handelsbilanzielles Eigenkapital behandelt werden können131, wobei eine gewinnabhängige Vergütung sowie die Beteiligung an den stillen Reserven für den Eigenkapitalausweis jedoch nicht ausreichend sein sollen. Hinzukommen müsste eine Annäherung an die Stellung eines Gesellschafters durch obligatorische Verwaltungsrechte132. Im Gegensatz zur typisch stillen Gesellschaft wird bezogen auf die atypisch stille Gesellschaft die Ansicht vertreten, dass die Vertretungsmacht des Geschäftsführers die Begründung einer atypisch stillen Gesellschaft nicht erfasst, sondern der Vertragsabschluss als Grundlagengeschäft der Zustimmung der
__________ 129 S. oben IV.3 sowie Schulze-Osterloh (Fn. 19), § 42 GmbHG Rz. 285; Kallmeyer in GmbH-Handbuch (Fn. 91), Rz. I 455 ff. 130 S. VII.5. 131 Adler/Düring/Schmaltz (Fn. 37), § 246 HGB Rz. 92. 132 Der Ausweis als Eigenkapital rechtfertigt sich hier allein vor dem Hintergrund der Angleichung der Rechtsposition des Stillen an die eines Gesellschafters. Der sonst bei einem Ausweis als handelsbilanzielles Eigenkapital vorherrschende Gläubigerschutzgedanke tritt hier in den Hintergrund.
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Gesellschafter bedarf133. Dem scheint die Überlegung zugrunde zu liegen, dass der atypisch Stille – wenn auch aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung – einem Gesellschafter vergleichbare Vermögens- und Verwaltungsrechte hat und den durch die Vereinbarung mit betroffenen Gesellschaftern ein auch nach außen wirksames zwingendes Mitspracherecht eingeräumt sein soll. Es soll nicht möglich sein, dass die Gesellschafter sich – wenn auch nur mittelbar – einem Mitgesellschafter ohne Zustimmung ausgesetzt sehen. 3. Hybridanleihen Hybridanleihen verpflichten als verbriefte nachrangige Schuldverschreibungen ohne Endfälligkeit den Emittenten zwar nicht zur Rückzahlung der Anleihevaluta, die Emissionsbedingungen sehen jedoch regelmäßig eine Grundlaufzeit vor, nach deren Ablauf der Emittent, nicht jedoch der Zeichner der Anleihe, ein ordentliches Kündigungsrecht hat. Bis zum Ablauf der Grundlaufzeit ist der Emittent üblicherweise zur Zahlung eines festen Zinses verpflichtet. Für den Fall, dass der Emittent nach Ablauf der Grundlaufzeit von seinem einseitigen Kündigungsrecht keinen Gebrauch gemacht, sehen die Emissionsbedingungen einen „Strafzins“ vor. Der feste Zins wird variabel und zusätzlich mit einem „Zins-Step up“ belegt. Mit dem „Strafzins“ soll ein faktischer Zwang auf den Hybridanleiheemittenten ausgeübt werden, die Anleihe zurückzuführen. Weiteres Merkmal der Hybrid-Anleihe ist deren Nachrangigkeit. Eine etwaige Rückzahlung erfolgt immer nominal. Der Anleihezeichner kann das überlassene Kapital nicht aufgrund eines eigenen Rechtsanspruchs zurückverlangen. Er muss auf den faktischen Zwang zur Kündigung des Emittenten aufgrund einer für diesen ansonsten teurer werdenden Finanzierung vertrauen. Alle anderen Merkmale der Hybridanleihe deuten hingegen auf eine Einordnung als Fremdkapital hin. So stellt die Hybridanleihe grundsätzlich Fremdkapital dar. Lediglich für IFRS-Zwecke wird die Hybridanleihe als Eigenkapital behandelt, da es für eine entsprechende Eigenkapitalqualifikation allein darauf ankommt, dass den Anleiheemittenten keine Zahlungspflicht trifft. Wenn der Fremdgeschäftsführer im Ausgangsfall auf die Eigenkapitalverbesserung hinweist, gilt dies vorbehaltlich weitergehender Vereinbarungen (insbes. Erfolgsabhängigkeit und Verlustteilnahme) nicht für HGB-Zwecke, sondern allein für internationale Bilanzierungsgrundsätze. Hybridanleihen sind modische Finanzprodukte mit begrenzter Biographie. Entsprechend finden sich auch kaum Stellungnahmen zur Organzuständigkeit für die Begebung von Anleihen. Lediglich für AG als Emittenten wird die Ansicht vertreten, dass die Begebung grundsätzlich eine Geschäftsführungsmaßnahme sei, für die der Vorstand nach § 76 AktG zuständig sei. Der Vorstand könne der Hauptversammlung die Entscheidung über die Begebung vorlegen, müsse dies
__________ 133 K. Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 115; zustimmend Blaurock (Fn. 73), Rz. 9.61; Jebens, BB 1996, 701, 703; Zutt (Fn. 122) § 230 HGB Rz. 62 bei Beteiligung an der Geschäftsführung; ebenso Bezzenberger/Keul in MünchHdb.GesR (Fn. 73), § 76 Rz. 81.
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jedoch nicht134. Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Die Hybridanleihe mag zwar für IFRS/IAS-Zwecke wegen der Unkündbarkeit der Anleihe und des Fehlens des Zwangs zur Rückzahlung als Eigenkapital zu qualifizieren sein, für die Frage der Kompentenzverteilung zwischen dem Geschäftsleitungsorgan und den Gesellschaftern ist dies bei der AG jedoch ohne Bedeutung: Durch die Begebung der Anleihe wird die mitgliedschaftliche Position der Aktionäre nicht berührt. Die Hybridanleihe vermittelt den Anleihezeichnern keine Stimmrechte. Anders als nach aktienrechtlichem Verständnis bei Genussrechten werden die Vermögensrechte der Aktionäre nicht beschnitten. Der Zeichner erhält weder eine Beteiligung am laufenden Ergebnis noch am Liquidationserlös. Er erhält lediglich eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Bezogen auf die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers einer GmbH wird man ebenfalls zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Geschäftsführer berechtigt ist, mit Außenwirkung einen Begebungsvertrag über eine Hybridanleihe abzuschließen. Die Emission greift nicht in Vorbehaltszuständigkeiten der Gesellschafter im Sinn von Grundlagengeschäften ein. Auch der Anspruch der Gesellschafter nach § 29 GmbHG wird durch eine Hybridanleihe aufgrund der bloßen Verzinsung des Kapitals nicht berührt. Selbst im Innenverhältnis sollte die Begebung grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Geschäftsführer fallen. Die Begebung von Anleihen gehört als reine Finanzierungsmaßnahme erst einmal zu deren Geschäftsführungsmaßnahmen. Die allgemeine Geschäftsführungsbefugnis gilt jedoch nach h. M. nicht bei „ungewöhnlichen Maßnahmen“; diese verlangen eine Vorlage an die Gesellschafterversammlung135. Welche Qualität Maßnahmen haben müssen, um als ungewöhnlich zu gelten und daher einer Einbindung der Gesellschafter bedürfen, ist – wie dargestellt – umstritten. Einigkeit besteht jedoch dahingehend, dass hierunter Maßnahmen fallen, die wegen des unternehmerischen Risikos Ausnahmecharakter haben. Hybridanleihen sind sicher ungewöhnlich im Sinn einer noch nicht etablierten Finanzierung. Hierauf kommt es jedoch im Rahmen des § 37 GmbHG nicht an. Entscheidend kann allein sein, dass das Risikoprofil der Finanzierung gemessen an dem bisherigen Geschäftsgebaren zu hoch erscheint. Dies wird jedoch zu verneinen sein: Hybridanleihen greifen von ihrer Struktur her, verglichen mit den anderen genannten MezzanineFinanzierungen, am wenigsten in die Rechte der Gesellschafter ein. Ungewöhnlich sind für mittelständische Unternehmen allenfalls die bei Hybridanleihen üblichen Volumina, nicht hingegen das hieraus resultierende Risiko, das sich in einem Zins-Step up bei „Unfähigkeit“ der GmbH zur Kündigung der Anleihe nach einer Mindestlaufzeit erschöpft. Es besteht keine zeitlich bestimmte rechtliche Rückzahlungsverpflichtung, regelmäßig wird keine gewinnabhängige Vergütung verlangt und obligatorische Mitsprache- oder Kontrollrechte sind ebenso wenig vorgesehen. Zwar werden Perpetuals nur bei
__________ 134 Müller-Eising, BKR 2006, 480, 484 jedoch ohne Begründung. 135 S. Nachw. in Fn. 22 ff.
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höheren Finanzierungsvolumina aufgelegt und der Preis der Finanzierung ist höher als bei klassischen Kreditfinanzierungen (hoher Zins aufgrund der im Ermessen des Emittenten stehenden Zahlungen, zusätzlich step-up Zins bei Nicht-Kündigung der Anleihe durch Emittenten zum ersten Kündigungstermin), eine Außergewöhnlichkeit, die zu einer Änderung der Kompetenzverteilung führt, wird hierin jedoch nicht gesehen werden können. 4. Partiarische Darlehen Partiarische Darlehen sind die „atypischen“ Darlehen. Sie unterscheiden sich von „einfachen“ Darlehen dadurch, dass neben oder anstelle von festen oder variablen Zinsen ein gewinnabhängiges Entgelt für die Darlehensgewährung eingeräumt wird. Die Nähe zu stillen Beteiligung ist erkennbar. Auch bei der stillen Beteiligung wird dem Stillen eine gewinnabhängige Vergütung für die Kapitalüberlassung gewährt. Der entscheidende Unterschied zwischen dem partiarischen Darlehen und der (typisch) stillen Beteiligung liegt darin, dass beim partiarischen Darlehen das Interesse des Darlehensgebers sich auf ein reines Geldgeberinteresse beschränkt. Bei der stillen Beteiligung hingegen verfolgen der Geschäftsherr und der Stille einen gemeinsamen Zweck. Die Kapitaleinlage des Stillen geht dann auch in das Vermögen des Geschäftsherrn über, allerdings ohne Gesamthandsvermögen zu bilden. Aufgrund der Nähe zur stillen Gesellschaft wird auch die Einordnung des partiarischen Darlehens als Teilgewinnabführungsvertrag diskutiert136, aufgrund der bereits dargestellten Unterschiede der AG zur GmbH wird diese Betrachtung jedoch nicht für die GmbH von Bedeutung sein und es daher bei den allgemeinen Organzuständigkeiten verbleiben, die dem Geschäftsführer die Berechtigung im Außen- und Innenverhältnis zum Abschluss eines Vertrages über ein partiarisches Darlehen zuweist. 5. Nachrangdarlehen Nachrangdarlehen sind im Grundsatz kein eigenständiges Finanzierungsinstrument, sondern eine Variante klassischer Darlehen i. S. d. §§ 488 ff. BGB sowie hybrider Finanzierungen. Die Nachrangigkeit wird bei Darlehensbegebung oder später (Krisensituation) durch Nachrangabrede oder Rangrücktrittsvereinbarung begründet137. Allein aus der Vereinbarung der Nachrangigkeit ergeben sich keine Vorlagepflichten des Geschäftsführungsorgans. Die Rechte der Gesellschafter werden durch die Aufnahme von Nachrangdarlehen nicht tangiert. Die Gesellschafter stehen ohnehin allen Gläubigern im Rang nach. Für die Gesellschafter ist ein Nachrangdarlehen wie jedes Darlehen vorrangig. Für die Gesellschafter ist es
__________ 136 Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 83), § 72 Rz. 18 m. w. N. 137 Natusch in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 11.
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daher ohne Bedeutung, wie die Rangverteilung unter den Gläubigern der Gesellschaft festgelegt ist. Für die Gesellschafter stellt sich die Nachrangigkeit eher als Vorteil dar, da das Darlehen bei entsprechender Ausgestaltung der Nachrangabrede das Eigenkapital der Gesellschaft stärkt. Auch der mit der Nachrangigkeit verbundene höhere Zinssatz oder etwaige Kontrollrechte der Kreditgeber berühren die Vermögensrechte der Gesellschafter nicht derart, dass eine Vorlagepflicht des Geschäftsführungsorgans bestünde. 6. Equity Kicker Die Vereinbarung eines Equity Kickers dient – wie dargestellt – der Beteiligung eines Fremd-Kapitalgebers an den Wertsteigerungen des finanzierten Unternehmens. Wirtschaftlich können Equity Kicker als Bezugsrechte auf Anteile verstanden werden, die durch die Ausgabe von Anteilen oder virtuell durch Ausgleichszahlung/Sonderzahlung bedient werden. Als Zeitpunkt der Erfüllung wird üblicherweise die Ablösung der Finanzierung durch Kündigung oder der Exit bei einem Börsengang oder Trade Sale vorgesehen. Der Equity Kicker ist keine eigenständige Finanzierungsform. Er ist vielmehr Teil eines zusammengesetzten Finanzierungsinstruments, das einerseits – in welcher zivilrechtlichen Form auch immer – eine Beteiligung am laufenden Ergebnis gewährt und andererseits durch die Vereinbarung des Equity Kickers die sonst nicht oder so nicht vorgesehene Beteiligung an den aufgebauten stillen Reserven sicherstellt. Die bei der GmbH zur Bedienung des Equity Kickers erforderliche (Sach-) Kapitalerhöhung, wenn der Anspruch auf Rückzahlung des überlassenen Kapitals in eine Beteiligung umgewandelt werden soll, ist für den Kapitalgeber mit dem Risiko der Werthaltigkeit der Forderung im Zeitpunkt der Wandelung – allerdings beschränkt auf den Nominalbetrag der Kapitalerhöhung – verbunden und somit aus seiner Sicht regelmäßig eine nicht präferierte Ausgestaltung eines Equity Kickers. Aus Sicht des Kapitalgebers attraktiver ist die Bedienung mit Altanteilen anderer Gesellschafter oder eigenen Anteilen der GmbH. Alle genannten Maßnahmen bedürfen jedoch der Mitwirkung der Gesellschafter. Die „Umwandlung der Rückzahlungsforderung“ in gesellschaftsrechtliches Eigenkapital bedarf eines Kapitalerhöhungsbeschlusses oder zur Absicherung des Kapitalgebers bereits im Zeitpunkt der Kapitalüberlassung einer Verpflichtung zum Kapitalerhöhungsbeschluss, der ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter fällt. Soll der Equity Kicker durch Übertragung von „Altanteilen“ erfolgen, erfordert die Absicherung des Kapitalgebers einen bedingten Anteilsabtretungsvertrag, der der Mitwirkung der Altgesellschafter und – bei der nicht unüblichen Vinkulierung – auch der der Mitgesellschafter bedarf, wenn sie sich nicht ohnehin alle verpflichtet haben, anteilig Altanteile abzutreten. Verfügt die GmbH über eigene Anteile, sind diese vor dem Hintergrund der nicht notwendigen Sacheinlageprüfung am ehesten geeignet, die Verpflichtung 1124
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aus dem Equity Kicker zu bedienen. Die Vertretungsmacht des Geschäftsführers erstreckt sich auf die Veräußerung, wobei Formvorschriften und Vorgaben des Gesellschaftsvertrags zu beachten sind (§ 15 GmbHG). Für die „Bedienung“ des Equity Kickers mit eigenen Anteilen verlangen die h. M.138 und insbesondere der Jubilar139 mit unterschiedlicher Begründung im Innenverhältnis eine Mitwirkung der Gesellschafterversammlung, die je nach Einordnung der Qualität des Beschlusses mit einfacher140 oder wie bei einer Kapitalerhöhung über die Ausgabe mit qualifizierter Mehrheit141 entscheiden muss. Anders stellt sich die Situation beim virtuellen Equity Kicker dar. Er begründet eine wertmäßige, aber keine rechtliche Beteiligung an den stillen Reserven. Da lediglich eine Ausgleichszahlung für während der Finanzierung gelegte stille Reserven als weiteres Kreditelement vereinbart wird, wird die Zuständigkeit des Geschäftsführers für den Vertragabschluss nicht zweifelhaft sein. Im Innenverhältnis könnte die wirtschaftliche Gleichstellung mit einem Gesellschafter (Beteiligung an den stillen Reserven) und die Vergleichbarkeit mit einem eigenkapitalähnlichen Genussrecht (bei gleichzeitiger gewinnabhängiger Vergütung) eine Einbindung der Gesellschafter verlangen.
VIII. Überlegung zu einer Finanzierungsart unabhängigen, aber gestaltungsabhängigen Zuständigkeitsabgrenzung 1. Grundsätzliche Überlegungen Nicht umsonst findet sich in der einschlägigen Literatur immer wieder der Hinweis, dass bei Mezzanine-Finanzierungen die Aufnahme entsprechender Regelungen über die Organzuständigkeit in den Gesellschaftsvertrag empfehlenswert sei oder zumindest sicherheitshalber ein (satzungsdurchbrechender) Beschluss der Gesellschafter gefasst werden sollte. Sie zeigt die Unsicherheit, die hinsichtlich von Organkompetenzen bei der Finanzierung von GmbH besteht. Diese Unsicherheit wird noch erhöht durch die Bandbreite der dargestellten bilanziell oder steuerlich getriebenen Gestaltungen, die dazu führt, dass unterschiedliche Finanzierungsarten derart aneinander angeglichen sein können, dass eine eindeutige zivilrechtliche Einordnung nur noch schwer möglich ist. Hingewiesen sei insoweit nur auf die Problematik der Abgrenzung von partiarischem Darlehen und stiller Beteiligung, partiarischem Darlehen und Genussrecht sowie von Hybridkapital und Genussrecht. Die in der Praxis zu findenden Ausgestaltungen von Finanzierungsinstrumenten, die darauf ausgerichtet sind, sich die beste aller Welten zu schaffen und von Dritten gewährtes Kapital bilanziell und ggf. auch für Ratingzwecke als
__________ 138 Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 17), § 33 GmbHG Rz. 20; Kort in MünchHdb. GesR (Fn. 17), § 27 Rz. 41. 139 In Scholz (Fn. 8), § 33 GmbHG Rz. 38. 140 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 19), § 33 GmbHG Rz. 23; Kort in MünchHdb.GesR (Fn. 17), § 27 Rz. 41. 141 H. P.Westermann in Scholz (Fn. 8), § 33 GmbHG Rz. 38.
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Eigenkapital auszuweisen und gleichzeitig die Vergütung steuerlich abzugsfähig zu machen, können nicht allein auf der Grundlage ihrer äußeren zivilrechtlichen Form beurteilt werden. Die Folgen für Gesellschaft, Gesellschafter und Geschäftsführer sind trotz der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit der Finanzierungsformen zu unterschiedlich, wenn allein darauf abgestellt würde. Entscheidend muss vielmehr der materielle Gehalt der getroffenen Vereinbarungen sein. Dieser muss sich am Schutzsystem des GmbH-Rechts messen. 2. Vertretungsbefugnis Da die Vertretungsmacht des Geschäftsführers grundsätzlich das gesamte denkbare Tätigkeitsfeld der GmbH erfasst und allein Maßnahmen, die die Struktur der Gesellschaft betreffen (insbesondere Satzungsänderungen), von der umfassenden Vertretungsmacht des Geschäftsführers nicht gedeckt sind. kann er somit grundsätzlich die GmbH bei der Aufnahme von MezzanineFinanzierungen verpflichten. Einschränkungen ihrer Vermögensrechte auf der Grundlage schuldrechtlicher Vereinbarungen müssen die Gesellschafter im Außenverhältnis unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen hinnehmen. Lediglich eine mit einer Mezzanine-Finanzierung verbundene gegenwärtige oder rechtlich abgesicherte spätere Begründung einer „echten“ Gesellschafterstellung unterliegt nicht mehr der Vertretungsmacht: Der Geschäftsführer kann ohne entsprechende Zustimmung der Gesellschafter, die wegen der satzungsändernden Qualität der Maßnahmen (Aufnahme neuer Gesellschafter mit der Folge der Verwässerung der Vermögens- und Verwaltungsrechte aus der Beteiligung) einer qualifizierten Mehrheit bedarf, beispielsweise keinen echten Equity Kicker bedienen. Entsprechende vertragliche Vereinbarungen mit Kapitalgeber sind bis zur Genehmigung der Gesellschafterversammlung schwebend unwirksam. Die Beschränkung der Vertretungsmacht betrifft aber nicht automatisch auch eine mit dem Equity Kicker „gestützte“ Finanzierung. Liegt die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zum Equity Kicker nicht vor oder wird sie versagt, hängt es von dem jeweiligen Vertrag ab, ob allein die Wirksamkeit der Bedienung des Equity Kickers beeinträchtigt ist oder auch die anderen Vereinbarungen der betroffenen Mezzanine-Finanzierung. Da mit einem Equity Kicker regelmäßig eine geringere laufende Verzinsung einhergeht, empfiehlt sich eine die Regelung des § 139 BGB ausschließende Klausel, die jedoch dann einen Ausgleich für die Unterverzinslichkeit vorsehen muss. Bezogen auf die exemplarisch dargestellten Finanzierungsformen bedeutet dies: Genussrechte, stille Beteiligungen, partiarische Darlehen oder Nachrangdarlehen, die allein Vermögensrechte vermitteln, kann der Geschäftsführer mit Wirkung für die GmbH emittieren oder begründen. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob die Vereinbarungen eher obligationsähnlich oder beteiligungsähnlich sind. Erst wenn die schuldrechtliche Vereinbarung die Begründung eines Gesellschafterverhältnisses mit dem Kapitalgeber vorsieht, verlangt der Vertrag zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Gesellschafter. 1126
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3. Geschäftsführungsbefugnis Weniger eindeutig ist die Zuständigkeitszuordnung bei der Geschäftsführung. Offensichtlich ist, dass der Geschäftsführer bei der Geschäftsführungsbefugnis bei fehlenden satzungsmäßigen Vorgaben – und dies gilt auch bei MezzanineFinanzierungen – stärkeren Restriktionen unterliegt als hinsichtlich seiner Vertretungsmacht. Außergewöhnliche Geschäfte und damit auch außergewöhnliche Finanzierungsgeschäfte bedürfen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Die h. M. lässt sich dahingehend interpretieren, dass immer dann, wenn Geschäftsführungsmaßnahmen substantiell in mitgliedschaftliche Interessen der Gesellschafter eingreifen, deren Mitwirkung gefragt ist. Diese Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis dient dem Schutz der Gesellschafter. Wann jedoch Finanzierungsmaßnahmen substantiell die Gesellschafterrechte beeinträchtigen können, wird sich nur mit Blick auf die Wirkung der Finanzierungsformen auf die Rechtstellung des Gesellschafters und nicht aufgrund der äußerlichen Ausgestaltung beantworten lassen. Die unterschiedlichen dargestellten Finanzierungsformen zeigen, dass die Beeinträchtigung der Gesellschafterrechte durch Finanzierungen mit ausgeprägten Eigenkapitalelementen, wie beteiligungsähnlichen Genussrechten und „atypisch“ ausgestalteten stillen Beteiligungen, am größten ist und einer vermögensmäßigen Beeinträchtigung durch den Neueintritt von Gesellschaftern gleichkommen kann, allerdings ohne die „echten“ Gesellschafter zu dilutieren. Hier muss die Abgrenzung von „gewöhnlichen“ von „ungewöhnlichen“ Maßnahmen ansetzen. Ungewöhnlich und damit der Geschäftsführungskompetenz des Geschäftsführers entzogen sind Maßnahmen, die einen Kapitalgeber vermögensmäßig einem Gesellschafter gleichstellen. Diese Sichtweise entspricht der Aktienrecht vorherrschenden Differenzierung bei Genussrechten zwischen obligationsähnlichen und beteiligungsähnlichen, aber auch der steuerlichen in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Während sich obligationsähnliche Finanzierungen auf eine positive und negative Partizipation des Geldgebers am laufenden Ergebnis konzentrieren, zeichnen sich beteiligungsähnliche Mezzanine-Finanzierungen darüber hinaus durch eine Beteiligung der Kapitalgeber am Geschäftswert und den stillen Reserven des Unternehmens aus. Mit der Beteiligung am gesamten Unternehmensergebnis, also den offenen und stillen Reserven, steht der Kapitalgeber vermögensmäßig einem Gesellschafter gleich. Ungewöhnlich sind daher Mezzanine-Finanzierungen, bei denen dem Kapitalgeber eine gewinnabhängige Überlassungsvergütung und gleichzeitig die Beteiligung an den stillen Reserven eingeräumt werden. Dem Kapitalgeber wird damit materiell eine einem Gesellschafter vergleichbare Position eingeräumt. Eine derartige „Beteiligung“ des Kapitalgebers an den Vermögensrechten der Gesellschafter ist eine ungewöhnliche Maßnahme, die als substantieller Eingriff in die Gesellschafterrechte angesehen werden muss. Dass die Rechtsposition keine gesellschaftsrechtliche, sondern lediglich eine schuldrechtliche ist, ist insoweit ohne nennenswerte Bedeutung. 1127
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Die Beteiligung an den stillen Reserven kann durch die Art der MezzanineFinanzierung unmittelbar (Genussrecht, atypisch stille Beteiligung), eine vorgesehene Begründung einer Gesellschafterstellung, aber auch aufgrund einer Ausgleichszahlung („virtuell“) erfolgen. Beeinträchtigt werden die Gesellschafter in allen Fällen. Materiell macht es bezogen auf Vermögensrechte keinen Unterschied, ob eine „Abrechnung“ auf der Grundlage geschaffener stiller Reserven erfolgt oder eine Beteiligung eingeräumt wird, die die aufgebauten stillen Reserven abbildet. In der Folge werden auch Vereinbarungen, die eine gewinnabhängige Vergütung und eine Beteiligung an stillen Reserven als virtuelle Beteiligung begründen, der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen.
IX. Weitergehende Überlegungen Die bisher angestellten Überlegungen beschränkten sich weitgehend auf die Frage einer möglichen Einschränkung der Vermögensrechte der GmbH-Gesellschafter durch obligatorische Rechte der Kapitalgeber. Bei Mezzanine-Finanzierungen ist es jedoch nicht unüblich, dass die Kapitalgeber wegen der geringen Absicherung ihres Kapital durch die GmbH zusätzliche Verwaltungsrechte verlangen. In die Rechtsposition der Gesellschafter kann jedoch nicht allein durch gesellschafterähnliche Vermögensrechte, sondern ggf. sogar verstärkt durch die gleichzeitige obligatorische Übertragung von Verwaltungsrechten (insbesondere Geschäftsführungsrechten und Zustimmungsverpflichtungen) eingegriffen werden. Hier könnte zum Schutz der mitgliedschaftlichen Rechte der Gesellschafter ihre Mitwirkung bei der Einräumung der jeweiligen Rechtsposition besonders gefragt sein. Nicht umsonst wollen Teile der Literatur die Vertretungsmacht des Geschäftsführers bei der Begründung von atypisch stillen Beteiligungen, die üblicherweise auch Einfluss auf die Geschäftsführung einräumen, begrenzen, da hierdurch auf schuldrechtlicher Basis einem Kapitalgeber eine einem Gesellschafter vergleichbare Position eingeräumt wird. Im Ergebnis wirkt die Rechtsposition des Kapitalgebers, die ihm Vermögens- und Verwaltungsrechte wie einem Gesellschafter einräumt – wie K. Schmidt142 bezogen auf die stille Beteiligung deutlich gemacht hat – wie eine Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht. Bei materieller Betrachtung erhalten die Gesellschafter einen (schuldrechtlichen) Mitgesellschafter, der seine Rechtsposition wie ein Gesellschafter durchsetzen kann und damit die Gesellschafter vergleichbar „einschränkt“. Als de-facto-satzungsändernde Maßnahme wird man dem Geschäftsführer die Vertretungsmacht für den Abschluss von Finanzierungsverträgen, die Vermögens- und Verwaltungsrechte der Gesellschafter beeinträchtigen, absprechen müssen. Zu beachten ist jedoch, dass die Ausgestaltung der Finanzierungen und damit auch der Rechte des Kapitalgebers eine sehr individuelle ist. Nicht in jedem Fall werden nur klassische Fremdkapitalgeberrechte oder eigenkapitalgeberähnliche Rechte vereinbart. Vielmehr werden ausgehend von der Interessen-
__________ 142 In MünchKomm.HGB (Fn. 73), § 230 HGB Rz. 112.
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und Risikolage des Kapitalnehmers oft Vermögens- und Verwaltungsrechte „verknüpft“, ohne dass damit zwingend eine gesellschafterähnliche Position eingeräumt wird (Beispiel: gewinnabhängige Vergütung ohne Beteiligung an den stillen Reserven bei gleichzeitigem Einfluss auf maßgebliche Geschäftsführungsentscheidungen). Hier stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit im Außen- und Innenverhältnis erneut. Sucht man nach Vergleichen, drängt sich eine Orientierung an der steuerlichen Rechtsfigur des Mitunternehmers i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG auf. Der Gesellschafter einer Personengesellschaft ist nicht per se als deren Gesellschafter Mitunternehmer, er ist nur dann Mitunternehmer, wenn seine Stellung den allgemeinen Kriterien des Mitunternehmerbegriffs entspricht. Wenn die Gesellschafterstellung aufgrund entsprechender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarungen eher der eines Darlehensgebers oder typisch stillen Gesellschafters entspricht, soll er steuerlich hingegen wie ein Kapitalgeber und nicht wie ein Gesellschafter besteuert werden. Komplementär dazu wird steuerlich vereinzelt auch ein Nichtgesellschafter aufgrund seiner spezifischen Stellung als (verdeckter) Mitunternehmer angesehen143. Die Rechtsfigur des Mitunternehmers dient dabei insoweit als Orientierung, als sie deutlich macht, dass für die Einordnung als (materieller bzw. wirtschaftlicher) Gesellschafter nicht die (formelle) gesellschaftsrechtliche Stellung maßgebend ist, sondern die substantielle Ausgestaltung seiner Position, der Teilhabe am Mitunternehmerrisiko (Vermögensrechte) und an Geschäftsführungs- oder Kontrollrechten (Verwaltungsrechte). Gleichzeitig kann diese Betrachtung aber auch dazu dienen, die Qualität der Rechtsposition eines Kapitalgebers einzuordnen und abzugrenzen. Hat ein Kapitalgeber trotz fehlender Gesellschafterstellung die Rechte eines (Mit-)Unternehmers, steht er den Gesellschaftern wie ein Teilhaber gegenüber. Die Entscheidung über die Einräumung einer solchen – wenn auch obligatorischen – Teilhaberrolle muss den Gesellschaftern vorbehalten bleiben, darf also nicht dem Geschäftsführer obliegen. Dies gilt nicht allein für das Innenverhältnis, sondern ebenso für das Außenverhältnis. Im Ergebnis bedeutet dies: Hat ein Kapitalgeber einem Gesellschafter vergleichbare obligatorische Vermögensrechte, wobei nicht zwingend eine Beteiligung am laufenden Ergebnis und den stillen Reserven vorgesehen sein muss, reichen die „obligatorischen Mindestrechte eines Kommanditisten“ bei den Verwaltungsrechten aus, um ihn als „faktischen Mitgesellschafter“ anzusehen. Auch wenn ein Kapitalgeber nur die klassischen Ansprüche eines Fremdkapitalgebers hat, er jedoch in der Lage ist, auf die Geschäftsführung der kapitalnehmenden Gesellschaft Einfluss zu nehmen, hat er bei materieller Betrachtung eine einem Gesellschafter vergleichbare Position, die zur wirksamen Einräumung einer Beteiligung der Gesellschafter bedarf.
__________ 143 Wacker in L. Schmidt (Fn. 43), § 15 EStG Rz. 280 ff.; s. auch BFH, BStBl. II 1984, 751; BFH, BB 1994, 486.
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Dieser Festschriftbeitrag plädiert somit bei obligatorischen Rechten, die klassische Vermögens- und Verwaltungsrechte kombinieren, für eine am materiellen Gehalt orientierte Betrachtung. Die Gesellschafter der GmbH müssen auch im Außenverhältnis „Herren des Geschehens“ bleiben, wenn schuldrechtliche Finanzierungsvereinbarungen wie bei der Aufnahme eines Neugesellschafters ihre Rechte beeinträchtigen. Eine Leitlinie, wann Finanzierungsvereinbarungen die Gesellschafter wie die Neuaufnahme eines Gesellschafters beeinträchtigen können und daher der Entscheidungsbefugnis des Geschäftsführers auch mit Wirkung für Dritte entzogen sein müssen, kann die Rechtsprechung zur Mitunternehmerschaft geben, die bereits eine lange Biographie bei dem Versuch hat, obligatorische Rechte eines Kapitalgebers gegen eine materielle Gesellschafterposition abzugrenzen. Wenig oder gar nicht wurde bisher untersucht, welche Folge die nicht unübliche Absicherung der Mezzanine-Finanzierung durch kreditvertragliche Berichts- und Verhaltenspflichten auf die Zuständigkeit für den Vertragsabschluss hat. Die sog. Covenants berechtigen beispielsweise den Kapitalgeber den Kreditvertrag zu kündigen oder die Verzinsung zu erhöhen, wenn bestimmte Finanzkennziffern, die in gewissen Abständen zu berichten sind, nicht erreicht werden. Solche die Kreditwürdigkeit einer GmbH verifizierende Maßnahmen sind als Nebenpflichten eines Kreditnehmers eher unproblematisch. Andererseits gewähren diese Covenants jedoch oft auch Einfluss auf die Geschäftsführung. Dies erfolgt durch Verpflichtungen wie die Berufung des Kapitalgebers in ein Aufsichtsgremium, die Gewährung bestimmter Kontrollrechte oder auch die Verpflichtung des Kapitalnehmers, wichtige Vermögensgegenstände nicht ohne Zustimmung des Kapitalgebers zu veräußern144. Ebenso wird oftmals die Ausübung originärer Gesellschafterrechte eingeschränkt und werden Ausschüttungen oder der Abschluss von Unternehmensverträgen nur mit Zustimmung des Kapitalgebers zugelassen. Auch hier plädiert der Beitrag für eine am materiellen Gehalt orientierte Betrachtung, die bei entsprechender Ausgestaltung sehr wohl dazu führen kann, dass Kreditverträge, die Vermögensrechte (Gewinnabhängigkeit der Vergütung oder Equity Kicker) mit vorstehend skizzierten Einflussrechten der Kapitalgeber verknüpfen, wegen der Beeinträchtigung der Rechte der Gesellschafter wie satzungsändernde Maßnahmen einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen, um Wirksamkeit zu erlangen. Auch hier kann zur Orientierung bzw. Abgrenzung die Rechtsprechung zur Mitunternehmerschaft herangezogen werden. Dass auch Kreditverträge bei größeren Facilities oder geringerer Absicherung – also gerade bei Mezzanine-Finanzierungen – eine zufrieden stellende Due Diligence verlangen145 und damit die gesellschaftsrechtliche Problematik der Auskunftsgewährung durch den Geschäftsführer berührt ist, sei nur noch am Rande erwähnt. Da die Auskunftserteilung regelmäßig gegenüber einem Kredit- oder Finanzinstitut erfolgt, nicht jedoch gegenüber einem Konkurrenz-
__________ 144 Natusch in Häger/Elkemann-Reusch (Fn. 15), Rz. 44. 145 S. zu dieser Thematik u. a. H. P. Westermann, ZHR 169 (2005), 248 ff.
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unternehmen, wird der Geschäftsführer grundsätzlich nicht durch die allgemeine Treuepflicht gehindert sein, die im Rahmen der Due Diligence angeforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Epilog des Jubilars Wenn der Jubilar eingangs um seine Stellungnahme gebeten wurde, soll ihm auch „das letzte Wort“ eingeräumt sein. Was also wird der Jubilar dem Bayreuth-Freund raten, was wird er ihm antworten? Hinsichtlich der Unwirksamkeit der von Ihrem Geschäftsführer vorgenommenen Maßnahmen kann ich Ihnen nur wenig Hoffnung machen. Die organschaftliche Vertretungsmacht des Geschäftsführers genügt regelmäßig für den Abschluss aller MezzanineFinanzierungen. Problematisch sind allein Finanzierungsformen, die zu Änderungen des Gesellschaftsvertrages zwingen, weil dem Kapitalgeber eine gesellschaftsrechtliche Gesellschafterposition eingeräumt werden soll. Etwas anders stellt sich die Situation bezogen auf die Geschäftsführungsbefugnis dar. Wie ich Ihnen bereits am Telefon mitgeteilt hatte, findet sich in der Literatur keine klare Abgrenzung, wann Finanzierungen reine Geschäftsführungsmaßnahmen sind oder als „ungewöhnlich“ bereits eines zustimmenden Beschlusses der Gesellschafter bedürfen. Eines erscheint mir klar: man wird bei der Beurteilung von hybriden Finanzierungsformen andere Kriterien zugrunde legen müssen, als die bei Alleinbetrachtung der zivilrechtlichen Finanzierungsform üblicherweise angesprochenen. Dies muss auch Folgen für die Abgrenzung der Gesellschafter- von den Geschäftsführerzuständigkeiten haben. In leichter Abweichung von der gesellschaftsrechtlichen Literatur erscheint mir eine am wirtschaftlichen Gehalt orientierte Abgrenzung angemessen, um den innovativen Gestaltungen der Kapitalmarkt- und Steuerrechtler gerecht zu werden. In Anlehnung an die eigenkapitalähnlichen Genussrechte im handelsrechtlichen Sinn bzw. die beteiligungsähnlichen Genussrechte im Steuerrecht, die eine Beteiligung am laufenden Ergebnis und Liquidationserlös vermitteln und bei denen bereits der BFH eine Vergleichbarkeit mit einer Gesellschafterstellung hergestellt hat, kann davon ausgegangen werden, dass Mezzanine-Finanzierungen, die den Kapitalgeber am laufenden Ergebnis sowie an den stillen Reserven beteiligen, wegen der vermögensmäßigen Beeinträchtigung der Rechte der Gesellschafter – entsprechend der Neuaufnahme eines Gesellschafters – deren Zustimmung bedürfen. Wenn in Ihrem Fall der XY plc zwar keine umfassende Beteiligung am Ergebnis einschließlich der stillen Reserven eingeräumt ist, sie jedoch Einfluss auf die Geschäftsführung erhalten hat, der über reine Informationsrechte von Fremdkapitalgebern hinausgeht, wird man ebenfalls eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung verlangen müssen. Eine Orientierung gibt insoweit die steuerliche Rechtsprechung zur Mitunternehmerschaft. Sie können mir glauben, dass meine Affinität zum Steuerrecht in Anbetracht der vierteljährlichen Zwangsüberweisungen an das Finanzamt Tübingen eine begrenzte ist und ich es nur bemühe, wenn es eine solide Grundlage hat. Aber„außergewöhnliche, auch besonders speziell gestaltete gesellschaftsrechtliche Vorgänge – die z. T. auf steuerrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen146 Überlegungen beruhen – können dazu zwingen,
__________ 146 Eingefügt von der Autorin.
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Dietgard Klingberg neuartige Rechtsfiguren zu entwickeln147.“ Bei so komplexen Gestaltungen wie Mezzanine-Finanzierungen „wird allerdings eine größere Bereitschaft zu innovativen“ gesellschaftsrechtsüberschreitenden Ansätzen „gefordert“ sein. „Wer Systemgerechtigkeit und Interessenabwägung in Einklang halten will, wird bei den häufig recht komplizierten Gebilden, die sich offenbar auch zunehmend beim Einsatz“ mezzaniner Finanzierungsinstrumente „im Wirtschaftsleben zeigen, theoretische Lehrsätze nicht immer voll durchhalten können148.“
Mehr möchte auch die Autorin dieses Festschriftbeitrags diesen Aussagen nicht hinzufügen, denn „mehr muss ein Festschriftbeitrag nicht leisten, der einem auf allen Gebieten des Gesellschaftsrechts tätigen“ Wissenschaftler „gewidmet ist und daher hoffen darf, mit der Verknüpfung auf den ersten Blick von einander entfernter Teile eines komplexen Problemfeldes“ trotz der vergröbernden Betrachtungsweise einer im Gesellschaftsrecht mittlerweile dilettierenden Steuerrechtlerin „das Interesse des Jubilars zu finden“149.
__________ 147 Zitat: H. P. Westermann in FS Ulmer (Fn. 127), S. 657, 672. 148 S. vorherige Fn. 149 Abgewandeltes Zitat: H. P. Westermann in FS Ulmer (Fn. 127), S. 657, 672.
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Fehlerhafte stille Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften Inhaltsübersicht I. Stille Beteiligung, fehlerhafte Gesellschaft und Schadensersatz in der aktuellen Judikatur 1. Bereicherung und Schadensersatz bei der Rückforderung der Einlage a) Grundlagen b) Aktuelle Judikatur 2. Probleme einer Einlagenrückgewähr durch Ersatzansprüche II. Typen der stillen Beteiligung 1. Typische und atypische stille Gesellschaften 2. Zweigliedrige und mehrgliedrige stille Gesellschaften 3. Koordinierte stille Gesellschaften III. Stille Beteiligung und fehlerhafte Gesellschaft 1. Grundlagen der fehlerhaften Gesellschaft 2. Fehlerhafte stille Beteiligung a) Fehlerhafte Innengesellschaft
b) Einzelne stille Gesellschaften aa) Mehrgliedrige stille Gesellschaft bb) Zweigliedrige stille Gesellschaft cc) Koordinierte stille Gesellschaften (1) Koordination durch die stillen Gesellschafter (2) Stille Gesellschaften und einheitliches Anlageprojekt IV. Schadensersatz bei der fehlerhaften stillen Gesellschaft 1. Fehlerhafte Gesellschaft und Schadensersatz 2. Auseinandersetzung und Schadensersatz bei der fehlerhaften stillen Gesellschaft V. Ergebnisse
I. Stille Beteiligung, fehlerhafte Gesellschaft und Schadensersatz in der aktuellen Judikatur 1. Bereicherung und Schadensersatz bei der Rückforderung der Einlage a) Grundlagen Der II. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 19.7.20041, danach mehrfach bestätigt2, die überkommene Judikatur zur fehlerhaften stillen Gesellschaft bei der Rückforderung von Einlagen modifiziert und einem vom Geschäftsinhaber (§ 230 HGB) zurechenbar irregeführten stillen Gesellschafter einen Schadensersatzanspruch auf Rückgewähr zugesprochen. Den Anlass für die Entschei-
__________ 1 BGH, ZIP 2004, 1706, 1707. 2 BGH, ZIP 2005, 254, 256; ZIP 2005, 753, 756 f.; ZIP 2005, 759, 760; ZIP 2005, 763, 764; ZIP 2005, 2060.
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dungen bilden stille Beteiligungen an einer Kapitalanlagegesellschaft, meist einer AG, der einer KGaA oder einer GmbH, deren Zweck regelmäßig3 im Erwerb, in der Verwaltung oder Verwertung von Immobilien, Wertpapieren oder Unternehmensbeteiligungen liegt und die ihr Kapital auf dem grauen Markt durch Einlagen aus zahlreichen stillen Beteiligungen aufbringt, nicht selten durch Haustürgeschäfte und mittels Werbeprospekten. Die Variante, die den BGH bereits bei geschlossenen Immobilienfonds beschäftigt hat und zwischenzeitlich eine innergerichtliche Kontroverse zwischen dem II. und dem XI. Zivilsenat ausgelöst hatte4, bildet der Beitritt der Anleger zu Publikumsgesellschaften, oft Kommanditgesellschaften oder Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (GbR). Bei solchen Beteiligungen und auch bei der stillen Gesellschaft ist nicht selten die Wirksamkeit des Gesellschaftsvertrags oder des Beitritts durch Willensmängel oder Gesetzesverstöße beeinträchtigt oder erwägenswert, beispielsweise bei arglistiger Täuschung, Widerruf von Haustürgeschäften, Verstößen gegen Art. 1 § 1 RBerG, das KWG oder § 53 BörsG oder §§ 292 Abs. 1 Nr. 2, 293 Abs. 3, 294 AktG5. Bei Unwirksamkeit eines Vertrags erfolgt generell eine Rückabwicklung durch einen Bereicherungsanspruch. Daneben ist auf Grund fehler- oder lückenhafter Prospekte, aus schuldhafter Verletzung der Aufklärungspflicht oder aus Delikt an einen Schadensersatzanspruch auf Rückforderung der Einlage zu denken. Die Vertrauenshaftung wegen fahrlässigen Verhaltens aus culpa in contrahendo wird insoweit durch die auf Arglist begrenzte Rückgängigmachung des Vertrags gem. § 123 BGB nach überwiegender Ansicht nicht ausgeschlossen6. Allerdings kennt das Gesellschaftsrecht mit den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft7 eigenständige Rückabwicklungsregeln, die mit den zuvor erwähnten Rückforderungsansprüchen nicht übereinstimmen. An die Stelle der (rückwirkenden) Nichtigkeit des Vertrags tritt nach diesen Grundsätzen beim Vollzug der Gesellschaft in Folge eines Unwirksamkeitsgrundes ex nunc deren Beendigung aus wichtigem Grund durch Auflösung oder Kündigung. Bis zur Beendigung ist daher die Gesellschaft als wirksam anzusehen; dies nicht nur bei der Kommanditgesellschaft (KG) und der GbR, sondern nach der Judikatur auch bei der atypischen und typischen stillen Gesellschaft8, auf die der BGH in einer umstrittenen Spruchpraxis9 mit der Folge der §§ 234 HGB, 723 BGB die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft gleichfalls anwendet10. Die Risikogemeinschaft mit einer auf lange Zeit ver-
__________ 3 Bisweilen ist der Unternehmensgegenstand der Anlagegesellschaft auch offen: BlindPool-Verfahren, vgl. Bayer/Riedel, NJW 2003, 2567. 4 Einerseits BGH, NJW 2004, 2731; NJW 2004, 2736; NJW 2004, 2742; andererseits BGH, NJW 2005, 664, 667; vgl. nunmehr BGH, WM 2006, 1060 ff. 5 Vgl. Fn. 1, 2. 6 BGH, NJW 1998, 302, 304; NJW-RR 2002, 308, 309 f.; Kramer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 123 BGB Rz. 35a; Singer/von Finkenstein in Staudinger, BGB, Neubearb. 2004, § 123 BGB Rz. 95. 7 Zu den Grundlagen näher unten III. 1. 8 Überblick unter II. 1. 9 Streitstand anschließend I. 2. 10 BGHZ 8, 157: atypische stille Gesellschaft; BGHZ 55, 5: typische stille Gesellschaft.
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einbarten und vollzogenen Aufteilung des Gewinns und Verlusts des Unternehmens schließe es, so meint der BGH, auch bei der typischen stillen Gesellschaft aus, das Risiko allein dem Geschäftsinhaber aufzubürden und nur diesem die Erfolge des Unternehmens zuzuweisen11. Die Rückforderung der Einlage gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist daher bei der KG und bei der GbR verwehrt12, bei Anwendbarkeit der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch bei der stillen Gesellschaft13. Der Gesellschafter schuldet im Gegenteil trotz des Unwirksamkeitsgrundes beim vollzogenen Vertrag zwecks Rückabwicklung prinzipiell die Erbringung der Einlage14. Die Rückabwicklung erfolgt bei der fehlerhaften ebenso wie bei Beendigung einer wirksamen Personengesellschaft nach den §§ 730 ff., 738 BGB. Ähnlich ist es nach der Judikatur des BGH gem. § 235 HGB bei der fehlerhaften stillen Gesellschaft. Bei der stillen Gesellschaft geht allerdings die Einlage des Stillen in das Vermögen des Geschäftsinhabers über (§ 230 Abs. 1 HGB). Es entsteht kein gemeinschaftliches Vermögen, sondern bei Beendigung des Vertrags nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr der Einlage einschließlich des Gewinns oder Verlusts. Auch bei einer atypischen Vermögensbeteiligung an der Substanz des Unternehmens, die der Erweiterung des Gewinnanteils und des Auseinandersetzungsguthabens dient15, wird der Stille nur obligatorisch so gestellt, als ob zwischen ihm und dem Geschäftsinhaber eine (dingliche) Vermögensgemeinschaft bestanden hätte. Dadurch erfolgt über die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch bei einer fehlerhaften stillen Beteiligung eine umfassende Auseinandersetzung, die die starre Rückforderung der Einlage nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB verdrängt. Aus demselben Grund erkennt die überkommene Judikatur Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft auf Rückzahlung der Einlage nicht an. Bei Publikumspersonengesellschaften akzeptiert der BGH seit dem Jahre 1973 Ersatzansprüche der beigetretenen Gesellschafter wegen Täuschung oder schuldhafter Verletzung der Aufklärungspflicht allein gegenüber Initiatoren, Vermittlern, Prospektverantwortlichen und Gesellschaftsorganen in Person, aber nicht gegen die Gesellschaft16. Er rechnet dieser das irreführende Verhalten nicht zu, da der Beitretende allenfalls diesen Personen, aber keinem Mitglied der Gesellschaft in berechtigter Weise Vertrauen entgegenbringe17. Diese Begründung schiebt zwar pauschal die Zurechnungskriterien der §§ 31 und 278 BGB beiseite18, jedoch überzeugt das Ergebnis. Hat ein Mitgesellschafter, etwa ein Komplementär, gegenüber dem Beitretenden schuldhaft eine Aufklärungspflicht
__________ 11 12 13 14 15
BGHZ 55, 5, 8. Vgl. nur BGHZ 156, 46, 52 f.; dazu Konzen in FS Schirmer, 2005, S. 319, 321, 328. BGHZ 55, 5, 8. BGHZ 26, 330, 335; BGHZ 63, 338; BGH, NJW 1973, 1604. Vgl. näher Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, Rz. 4.28; Bezzenberger/Keul in MünchHdb.GesR, Bd. 2, 2. Aufl. 2004, § 73 Rz. 32 f. 16 BGH, NJW 1973, 1604, 1605; BGHZ 71, 284, 286 f.; BGH, NJW 1991, 1608; BGHZ 156, 46, 52 f. 17 BGH, NJW 1973, 1604, 1605. 18 Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 385 f.
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verletzt, so mag ein Anspruch gegen ihn bei der Auseinandersetzung der Gesellschaft eingestellt werden19. Er führt aber nicht zur Erhöhung des Abfindungsanspruchs des Geschädigten gegenüber der Gesellschaft oder den Restgesellschaftern20, sondern bei der Auseinandersetzung allenfalls zu einem Ausgleich gegenüber dem Schädiger. Anders, so der zutreffende Befund des BGH bei einer Fondsgesellschaft, lässt sich eine geordnete Auseinandersetzung nach dem Regelwerk über die fehlerhafte Gesellschaft nicht durchführen21. Auch bei der stillen Gesellschaft hat der BGH dieses Regelwerk vor dem Urteil vom 19.7.2004 nicht angetastet und dem Gesellschafter neben dem Auseinandersetzungsanspruch keinen Schadensersatz auf Rückzahlung der Einlage zugebilligt. In diese Richtung weist bereits ein Urteil über die Ersatzpflicht bei bestimmungswidriger Vermögensverwendung in der stillen Gesellschaft22. Das Urteil hält den Geschäftsinhaber wegen der Wertschmälerung der stillen Beteiligung vor einer Auseinandersetzung allein für verpflichtet, den Vermögensverlust in seinem Vermögen, etwa durch die Bildung einer Liquiditätsreserve, auszugleichen23, und gelangt vor diesem Zeitpunkt nur zu einer Ersatzpflicht der unmittelbaren Schädiger an den Geschäftsinhaber, um die „Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens sowie das Gebot der Gleichbehandlung aller Gesellschafter“ zu wahren24. Folgerichtig hat der BGH bisher auch bei einer fehlerhaften stillen Gesellschaft die Rückforderung der Einlage im Wege des Schadensersatzes abgelehnt25, soweit die Rückforderung nicht im Auseinandersetzungsguthaben enthalten war26. Der irregeführte Gesellschafter konnte und kann von der Publikumsgesellschaft und er konnte bislang im Rahmen der stillen Gesellschaft keinen Anlegerschutz erlangen, sondern blieb auf die Haftung der unmittelbaren Schädiger begrenzt. Der II. Zivilsenat hat deshalb bei kreditfinanzierten Einlagen in geschlossenen Immobilienfonds versucht, den Anlegerschutz mit gewagten Konstruktionen wie der Erweiterung des Einwendungsdurchgriffs und dem Rückforderungsdurchgriff bei verbundenen Geschäften durch Verlagerung des Kreditrisikos auf den Kreditgeber wirksamer zu gestalten27.
__________ 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Näher Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 391. Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 391. BGHZ 156, 46, 52; zust. Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 386. BGH, ZIP 1987, 1316; dazu näher Windbichler, ZGR 1989, 434 sowie Karsten Schmidt in FS Bezzenberger, 2000, S. 401, 410 f. BGH, ZIP 1987, 1316, 1317 f. BGH, ZIP 1987, 1316, 1319. BGHZ 55, 5, 9. BGH, ZIP 1993, 1089, 1091. BGHZ 156, 46; BGH, NJW 2004, 2731; NJW 2004, 2736; dazu Konzen in FS Schirmer (Fn. 12), S. 319 sowie neuerdings Reuter in FS Konzen, 2006, S. 775.
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b) Aktuelle Judikatur Der durch das Urteil vom 19.7.2004 eingeleitete Judikaturwandel gewährt nunmehr – anders als die meisten Vorinstanzen28 – dem Gesellschafter der fehlerhaften stillen Gesellschaft unter Betonung der Prospekthaftung und der schuldhaften Verletzung der Aufklärungspflicht aus culpa in contrahendo gegen den Geschäftsinhaber einen vergleichsweise stärkeren Anlegerschutz im Wege des Schadensersatzes. Auf diese Weise entsteht trotz der verschiedentlich betonten29 funktionellen Austauschbarkeit zwischen einer PublikumsKG und parallelen, nicht selten koordinierten stillen Beteiligungen an Anlagegesellschaften eine bemerkenswerte Diskrepanz. Der II. Zivilsenat hält zwar für die typische und die atypische stille Gesellschaft auch bei arglistiger Täuschung an den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft fest und versagt daher einen Bereicherungsanspruch30. Allerdings sollen jetzt die Prospekthaftung und der Ersatzanspruch wegen schuldhafter, mithin auch fahrlässiger Verletzung der Aufklärungspflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens und damit zur Rückforderbarkeit der Einlage führen31. Das Urteil vom 29.11.2004 lässt ergänzend offen, ob dies auch bei einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft so ist32. Es entscheidet, auch wenn die Begründung eine Ausweitung nicht ausschließt, allein für die zweigliedrige stille Gesellschaft und bejaht eine solche trotz anderer, mit weiteren Anlegern gebildeter stiller Gesellschaften auch dann, wenn auf diese in den Vertragsbestimmungen verwiesen wird. Die anderen Anleger seien keine Vertragspartner des Stillen33. Ihre Interessen werden bei der Rückgewähr der Einlage nicht berücksichtigt. Es kann daher bei einem Wertverlust der stillen Beteiligungen zu einem „Wettlauf“ um die Einlagenrückgewähr kommen, bei dem gleichartig betroffene Anleger durch die frühere Rechtsdurchsetzung eines Stillen Nachteile erleiden können. Der BGH begründet den Judikaturwandel, indem er auf die Unterschiede von Publikumsgesellschaften und stiller Gesellschaft hinweist. Bei jenen könne die mangelhafte Aufklärung über die Risiken des Anlageprojekts der Gesellschaft nicht zugerechnet werden34. Das ist, wie bereits oben ausgeführt, als Aussage nur im Ergebnis richtig, da zwischen den Gesellschaftern nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft eine geordnete Auseinandersetzung ermöglicht werden soll. Zutreffend ist allerdings, dass der ein-
__________ 28 OLG Braunschweig, ZIP 2003, 1154, 1155; OLG Dresden, ZIP 2002, 1293, 1296; OLG Frankfurt, NZG 2004, 136, 139; OLG Hamm, NZG 2003, 228, 229; OLG Stuttgart, ZIP 2003, 763, 765; wie der BGH OLG Frankfurt, NJW-RR 2004, 545; im Ergebnis auch OLG Schleswig, ZIP 2003, 74 und OLG Jena, ZIP 2003, 1444, 1446, die die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft nicht auf die typische stille Gesellschaft anwenden. 29 Vgl. etwa Groh in FS Kruse, 2001, S. 419, 420. 30 BGH, ZIP 2004, 1706, 1707; ZIP 2005, 254, 256; ZIP 2005, 753, 754; ZIP 2005, 759, 760; ZIP 2005, 763, 764. 31 BGH, ZIP 2004, 1706, 1707; ZIP 2005, 254, 256; ZIP 2005, 753, 756 f.; ZIP 2005, 759, 760; ZIP 2005, 763, 764. 32 BGH, ZIP 2005, 254, 256. 33 BGH, ZIP 2005, 254, 256. 34 BGH, ZIP 2004, 1706, 1707.
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zelne, nicht verantwortliche Gesellschafter auf den Beitrittsvertrag des neuen keinen Einfluss hat und beim eigenen Eintritt regelmäßig selbst getäuscht oder nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist35. Der BGH stellt dem gegenüber fest, dass bei der stillen Gesellschaft der Geschäftsinhaber mit dem Stillen eine neue Gesellschaft gründet und sich der Auseinandersetzungs- und der Schadensersatzanspruch bei der fehlerhaften stillen Beteiligung gegen dieselbe Person richten36. Allerdings stehen diese Ansprüche nur bei der zweigliedrigen Gesellschaft ausschließlich demselben Gesellschafter zu und dies nur, wenn man diese isoliert würdigt und die Parallelen der stillen Beteiligungen an der Kapitalanlagegesellschaft unberücksichtigt lässt. Seit dem Urteil vom 29.11.2004 fügt der II. Zivilsenat noch die Wendung an, dem auf Grund eines Prospektmangels, einer Verletzung der Aufklärungspflicht oder sonst Schadensersatzpflichtigen dürfe nicht zugute kommen, dass er am Gesellschaftsvertrag mit dem Anleger beteiligt sei37. 2. Probleme einer Einlagenrückgewähr durch Ersatzansprüche Der BGH verhindert durch den Ersatzanspruch des irregeführten stillen Gesellschafters, dass der Geschädigte auf den Vorrang der Auseinandersetzung (§ 235 HGB) verwiesen werden kann. Dennoch führt der Judikaturwandel bei stillen Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften zu schwierigen, von den Urteilen ausgeblendeten Rechtsfragen und vor allem zu systematischen Unklarheiten. Auffällig, aber wenig beachtet38 ist der nicht erläuterte Widerspruch zwischen der Ablehnung eines Bereicherungsanspruchs auf Rückgewähr der Einlage auf Grund arglistiger Täuschung und der Zubilligung eines Schadensersatzanspruchs auf diese Rückgewähr schon bei fahrlässiger Verletzung der Aufklärungspflicht. Warum die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft dem Bereicherungsanspruch trotz der Arglist des Geschäftsinhabers entgegenstehen sollen, dem auf einem geringeren Schuldgrad beruhenden Schadensersatzanspruch dagegen nicht, erscheint jedenfalls bei der zweigliedrigen stillen Gesellschaft nicht ohne weiteres einsichtig. Die Diskrepanz beruht möglicherweise darauf, dass der II. Zivilsenat die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft auch für die zweigliedrige stille Gesellschaft einfach fortgeschrieben hat und auch bei arglistiger Täuschung anwendet. Die Anwendung dieser Grundsätze auf stille Gesellschaften ist streitig. Neben der Befürwortung39, findet man im Schrifttum entschiedene Ablehnung. Diese bezieht teilweise schlecht-
__________ 35 36 37 38
BGH, ZIP 2004, 1706, 1707. BGH, ZIP 2004, 1706, 1708. BGH, ZIP 2005, 254, 256; ZIP 2005, 753, 757; ZIP 2005, 759, 760; ZIP 2005, 763, 764. Vgl. aber Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 392; Hey, NZA 2004, 1097, 1098; Geibel, BB 2005, 1009, 1013. 39 Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 230 HGB Rz. 11; Blaurock (Fn. 15), Rz. 11.12; Westermann in Erman, BGB, Bd. I, 11. Aufl. 2004, § 705 BGB Rz. 88; Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 705 BGB Rz. 19a; Westermann, Handbuch der Personengesellschaften, Loseblatt, Rz. I 181.
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hin Innengesellschaften und damit alle Formen der stillen Gesellschaft ein40, erstreckt sich andererseits nur auf die typische zweigliedrige stille Gesellschaft41, für die die Begründung des BGH mit der Risikogemeinschaft von Geschäftsinhaber und Stillem42 skeptisch beurteilt wird43. Soweit das Regelwerk der fehlerhaften Gesellschaft nicht eingreift, stößt neben dem Bereicherungsanspruch freilich auch der Schadensersatzanspruch auf keinerlei Hindernis, was zumindest bei der Abwicklung mehrgliedriger Gesellschaften trotz mancher Bagatellisierung44 zu großen Schwierigkeiten führen muss. Ersichtlich bedarf die Anwendbarkeit der Regeln der fehlerhaften Gesellschaft mit Blick auf die normativen Grundlagen einer erneuten Überprüfung, die sich auf die einzelnen Typen der stillen Gesellschaft erstrecken und diese im Vorfeld auflisten muss. Nicht unproblematisch ist bei stillen Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften auch die isolierte Analyse des Gesellschaftsverhältnisses zwischen dem Geschäftsinhaber und dem einzelnen stillen Gesellschafter unter Ausklammerung der weiteren am Projekt beteiligten Anleger. Der II. Zivilsenat verzichtet zumindest auf eine Präzisierung der denkbaren Fälle. Sicher wird die stille Gesellschaft, soweit nicht eine Beteiligung mehrerer Anleger in einer einheitlichen Gesellschaft vorliegt, jeweils nur zwischen dem Geschäftsinhaber und einem Anleger begründet. Daraus folgt aber nicht notwendig, dass eine Koordination der stillen Gesellschaften durch das Anlageprojekt oder durch die Gesellschafter selbst – vor allem durch die interne Bildung einer GbR zur Wahrnehmung der im stillen Gesellschaftsvertrag den Anlegern eingeräumten Rechte – unbeachtlich ist. Die Meinungen sind geteilt. Wer die anderen Anleger für konkurrierende Gläubiger hält45, findet den Wettlauf unbedenklich46. Umgekehrt schulden die Gegner eines solchen Wettlaufs47 eine abgesicherte Begründung, für die es lediglich Andeutungen gibt. Karsten Schmidt nimmt unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei einer „GmbH & Still“ eine einheitliche verbandsmäßig strukturierte stille Gesellschaft an, wenn mit dem Abschluss jedes stillen Gesellschaftsvertrags zugleich ein Beitritt des Stillen in eine BGB-Gesellschaft erfolgt und dadurch die organisa-
__________ 40 Ulmer in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 705 BGB Rz. 359; Carsten Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 137 ff., 145; Ulmer in FS Flume II, 1978, S. 301, 318; Hadding in Soergel, BGB, 12. Aufl. 2007, § 705 BGB Rz. 92. 41 OLG Jena, ZIP 2003, 1444; Bayer/Riedel, NJW 2003, 2567, 2571; Horn in Heymann, 2. Aufl. 1996, § 230 HGB Rz. 28. Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 230 HGB Rz. 130, 132; Karsten Schmidt, AcP 186 (1986), 421, 433 f.; insgesamt mit Unterschieden bei atypischen stillen Gesellschaften. 42 BGHZ 55, 5, 8 f.; bestätigend BGH, NJW-RR 1991, 613; NJW 1992, 2696, 2698. 43 Vgl. auch Goette, DStR 1996, 266, 269. 44 Bayer/Riedel, NJW 2003, 2567, 2572: schwierig, aber nicht unmöglich; Geibel, BB 2005, 1009, 1010: kein Grund; Ulmer in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 705 BGB Rz. 359. 45 OLG Schleswig, ZIP 2003, 74, 78; OLG Jena, ZIP 2003, 1444, 1446. 46 OLG Schleswig, ZIP 2003, 74, 78. 47 Armbrüster, ZfIR 2004, 929, 930; Loritz, DB 2004, 2459 f.; auch Wagner, NZG 2005, 499, 501 f.
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tionsrechtliche Stellung der GmbH berührt wird48. Daneben tritt der – diesmal auf die sternförmige Zusammenfassung der Stillen in ein Anlageprojekt bezogene – Hinweis auf eine Risikogemeinschaft, die freilich voraussetzt, was erst zu beweisen ist, und den ausscheidenden Stillen auf das Auseinandersetzungsguthaben beschränken soll49. Immerhin zeigt sich, dass koordinierte stille Gesellschaften gesondert zu würdigen sind. Schließlich ist beim Schadensersatzanspruch bei einer zweigliedrigen und ebenso einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft nicht zu verkennen, dass das Vermögen des Geschäftsinhabers das Auseinandersetzungsguthaben und den daraus berechneten Auszahlungsanspruch eines kündigenden Gesellschafters übersteigen kann. In diesem Fall ist denkbar, dass ein Auseinandersetzungsanspruch bei einer Teilnahme der Gesellschafter am Verlust (§ 235 Abs. 2 Satz 2 HGB) geringer sein kann als die Rückgewähr der Einlage aus Schadensersatz. Die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft dienen nur der ordnungsgemäßen Auseinandersetzung der Gesellschafter. Deshalb unterliegen Ansprüche unter Mitgesellschaftern im Rahmen einer Gesamtabrechnung einer „Durchsetzungssperre“. Das schließt auch bei Anwendung des Regelwerks der fehlerhaften auf die stille Gesellschaft nicht aus, dass die Rückgewähr einer Einlage, die die Höhe von Auseinandersetzungsansprüchen überschreitet, neben diesen auf Grund eines weiterreichenden Vermögens des Geschäftsinhabers auf einen Schadensersatzanspruch gestützt werden kann50. Der BGH, der die Ersatzpflicht aus einem anderen Grund bejaht, stellt diese Erwägung nicht an. Er hat überdies mit seinem Ergebnis weiterreichende Begründungen unterstützt oder angeregt, die einen Ersatzanspruch generell von der fehlerhaften Gesellschaft abtrennen und diese Trennung schlechthin auf Personengesellschaften erstrecken51 und insoweit deren funktionelle Austauschbarkeit mit der stillen Gesellschaft zu wahren suchen. Auch diese Erwägungen gehören zum Thema. Insgesamt ergibt sich eine Fülle von Fragen, die es geordnet zu beantworten gilt. Nach der Auflistung der Typen der stillen Gesellschaft (II.) sind für diese die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft nach einer dogmatischen Ableitung (III. 1.) getrennt zu prüfen (III. 2.). Erst dann ist die Schadensersatzpflicht zu fixieren, zuerst allgemein das Verhältnis zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft (IV. 1.), sodann bei der stillen Gesellschaft (IV. 2.). Harm Peter Westermann, dem diese Zeilen in kollegialer und persönlicher Verbundenheit zugeeignet sind, hat das Personengesellschaftsrecht seit seiner Habilitationsschrift52 zu einem seiner Forschungsschwerpunkte gemacht, es über weite Strecken systematisch bearbeitet53, seine Entwicklung bis in die neueste
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Karsten Schmidt in FS Bezzenberger (Fn. 22), S. 401, 403 f. Armbrüster, ZfIR 2004, 929, 930. Näher IV. 2. Vgl. unten IV. 1. Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970. Westermann in Erman (Fn. 39) und Handbuch der Personengesellschaften (Fn. 39).
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Zeit kritisch begleitet54 und dabei auch die Rückabwicklung der fehlerhaften Gesellschaft beleuchtet55. Ein Beitrag über die fehlerhafte stille Gesellschaft mag sich daher als Festtagsgabe erweisen, die sein fachliches Interesse findet.
II. Typen der stillen Beteiligung Die §§ 230 ff. HGB regeln für die stille Gesellschaft nur einen lockeren Rahmen und überlassen die Gestaltung der Gesellschaftsverhältnisse im Einzelnen den Vertragsparteien. Es gibt daher bis hin zu den bislang nur wenig beachteten koordinierten stillen Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften ganz unterschiedliche Typen von stillen Gesellschaften, die auf die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft nicht unbedingt einheitlich reagieren. Diese Typenvielfalt gilt es vorab durch einen Blick auf die im Schrifttum entwickelte Einteilung zu registrieren und systematisch zu erläutern. 1. Typische und atypische stille Gesellschaften Die typische stille Gesellschaft wird durch das gesetzliche Leitbild umrissen. Der stille Gesellschafter leistet eine Einlage, die in das Vermögen des Geschäftsinhabers übergeht (§ 230 Abs. 1 HGB). Dieser führt die Geschäfte allein und in eigenem Namen. Der stille Gesellschafter hat einen schuldrechtlichen Anspruch auf den vereinbarten oder angemessenen Gewinn, er nimmt – abdingbar (§ 231 Abs. 2 HGB) – am Verlust teil. Es gibt weder eine verbandsmäßige Organisation der Gesellschaft, noch ist der Stille am Vermögen des Handelsgewerbes oder an der Geschäftsführung beteiligt. Die Gewinne und Verluste des Stillen richten sich nach den Gewinnen und Verlusten des Geschäftsinhabers, die aus dem Betrieb des Handelsgewerbes herrühren56. Dazu gehören der Ertrag der Umsatzgeschäfte sowie Gewinne und Verluste des Umlaufvermögens, dagegen keine Wertminderungen des Anlagevermögens, die nicht auf der Unternehmenstätigkeit beruhen57, und grundsätzlich auch nicht die stillen Rücklagen58. Eine atypische stille Gesellschaft zwischen dem Geschäftsinhaber und einem Stillen ergibt sich nicht nur bei der bereits erwähnten59 schuldrechtlich wirkenden Vermögensbeteiligung des Stillen am Anlagevermögen, am Geschäftswert und an den Rücklagen, sondern auch durch die Verleihung von Geschäftsführungsbefugnissen, beispielsweise Zustimmungs-, Widerspruchs-, Stimmund Weisungsrechten an die stillen Gesellschafter. Nicht selten ist die Kombination von Vermögensbeteiligungen und Geschäftsführungsbefugnissen. Auf diese Weise kann es durch eine entsprechende inhaltliche Ausgestaltung der
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FS Konzen (Fn. 27), S. 957. ZIP 2002, 240, 244. Blaurock (Fn. 15), Rz. 14.40. Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 232 HGB Rz. 8 f. Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 235 HGB Rz. 24. Vgl. oben I. 1. a) zu Fn. 15.
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Befugnisse auch bei einer zweigliedrigen stillen Gesellschaft – häufiger allerdings bei der Beteiligung mehrerer Anleger – zu einer internen Angleichung an eine KG („Innen-KG“)60 kommen. Allerdings wirken die Geschäftsführungsbefugnisse nur im Innenverhältnis zum Geschäftsinhaber. Dieser kann eine Maßnahme der Geschäftsführung auch ohne Einholung einer vorbehaltenen Zustimmung wirksam durchführen61. Immerhin kann der Stille jedoch seinem Zustimmungsvorbehalt durch Unterlassungs- und Ersatzansprüche oder durch ein vereinbartes Kündigungsrecht Nachdruck verleihen. Deshalb ist vor allem bei der AG trotz eines auf das Innenverhältnis begrenzten Zustimmungsvorbehalts die Vereinbarkeit mit der zwingenden gesetzlichen Binnenstruktur zu beachten62. Atypische stille Gesellschaften sind auch die Verbindung mehrerer Stiller in einer einheitlichen Publikumsgesellschaft sowie die Ergänzung jeweils zweigliedriger stiller Gesellschaften zwischen dem Geschäftsinhaber und einem Stillen durch eine GbR zwischen den stillen Gesellschaftern63. 2. Zweigliedrige und mehrgliedrige stille Gesellschaften Wichtiger für die Rückabwicklung von fehlerhaften Gesellschaften ist die Unterscheidung von zwei- und mehrgliedrigen stillen Gesellschaften. Letztere bedürfen einer kurzen Erläuterung. Bei ihnen entsteht, soweit die Einlagen nicht mittelbar über eine Gesellschaft unter den Anlegern erbracht werden, ein Einlageverhältnis zwischen dem Geschäftsinhaber und dem einzelnen Anleger. Dieser erbringt die Einlage unmittelbar an den Inhaber. Die Stillen und der Inhaber werden aber im Rahmen der Gestaltungsfreiheit in einem einheitlichen Gesellschaftsverhältnis zusammengefasst64, das der BGH erst in neuerer Zeit anerkannt hat65. Das Gesellschaftsverhältnis mit dem jeweiligen Anleger wird durch seinen Beitritt begründet, setzt also einen Vertrag mit den anderen Anlegern voraus, die freilich oft den Inhaber zur Abgabe der erforderlichen Erklärungen bevollmächtigen66. Hierher gehört auch der Sonderfall der „gesplitteten Einlage“, bei dem sich Kommanditisten im Gesellschaftsvertrag zur Zeichnung einer stillen Einlage in einem festen Betragsverhältnis zur Kommanditeinlage verpflichten67. Die Anerkennung einer solchen mehrgliedrigen stillen Gesellschaft muss bei gleichzeitiger Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft bei der Rückabwicklung die potentiellen Auseinandersetzungsansprüche aller Gesellschafter berücksichtigen. Der BGH zählt zur mehrgliedrigen stillen Gesellschaft auch die Fallgestaltungen, in denen Anleger jeweils stille Beteiligungen mit dem Geschäftsinhaber
__________ 60 61 62 63 64 65 66 67
Näher Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 81. Blaurock (Fn. 15), Rz. 4.32. Bachmann/Veil, ZIP 1999, 348, 350 f. Vgl. anschließend unter 2. Näher Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 84. BGH, NJW 1995, 192. Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 84. BGHZ 69, 160; BGH, NJW 1980, 1522; NJW 1981, 2251; dazu näher Schön, ZGR 1990, 221, 240 f.
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begründet und, oft in Verträgen mit dem Inhaber vorformuliert, untereinander eine GbR gebildet haben, deren Zweck in der gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Rechte aus dem stillen Gesellschaftsvertrag liegt68. Das Verständnis einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft hängt in solchen Fällen damit zusammen, dass die einheitliche mehrgliedrige stille Gesellschaft lange nicht anerkannt war und die Kombination mit der GbR nicht selten eine Ersatzkonstruktion darstellen wird. Dies drückt sich in der Erwägung aus, ob nicht in Wahrheit eine einheitliche stille Gesellschaft vorliegt69. Das ändert im Ansatz nichts an der Kombination von zweigliedriger Gesellschaft und GbR. Beide gilt es jedenfalls im Ansatz auseinander zu halten, um nicht mittels des Begriffs der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft ein einheitliches Gesellschaftsverhältnis zu präjudizieren. Zudem wird der Zweck der Gesellschaft zwischen den Stillen nicht immer allgemein die Wahrnehmung der gemeinsamen Rechte sein, sondern graduell unterschiedliche Befugnisse in der Geschäftsführung oder auch nur Kontrollrechte erfassen und diese durch Treuhänder oder Beiräte koordinieren. Insoweit kann sich diese Koordination den parallelen, nicht intern abgestimmten stillen Gesellschaften annähern, die eine Kapitalanlagegesellschaft finanzieren und in der aktuellen Judikatur als jeweils zweigliedrige Gesellschaften verstanden werden. Dabei besteht eine Verknüpfung allein in Vertragsklauseln, die die Abhängigkeit einer Projektdurchführung von dem „Beitritt“ weiterer stiller Gesellschaften betonen, und natürlich in der Kenntnis eines stillen Gesellschafters von der Existenz anderer Anleger. Auch bei diesen stillen Gesellschaften wenden sich, wie dargelegt, Stimmen im Schrifttum gegen einen Wettlauf bei der Einlagenrückgewähr, an einer Stelle verbunden mit einem Plädoyer zu Koordination der sternförmigen stillen Gesellschaften durch eine Risikogemeinschaft70. Insgesamt empfiehlt sich für beide Fallgruppen, von zweigliedrigen stillen Gesellschaften auszugehen, um jeweils die Grundlagen der Koordination zu prüfen. 3. Koordinierte stille Gesellschaften Beide Fallgruppen prägen die Finanzierung der Kapitalanlagegesellschaften durch stille Beteiligung. Bei beiden sind die Folgen einer Rückabwicklung der fehlerhaften stillen Beteiligung nicht geklärt. Die aktuelle Judikatur unterscheidet. Die OLGe Schleswig und Jena stellen darauf ab, dass kein gebundenes Vermögen und keine rechtliche Bindung unter den Beteiligten vorliegt71, sich die stillen Gesellschafter nicht konkret kennen und unter ihnen auch keine innergesellschaftliche Willensbindung stattfindet72. Auch der BGH hebt hervor, dass die anderen Anleger keine Vertragspartner des Stillen seien73. Ob
__________ 68 BGH, NJW 1994, 1156; vgl. auch BGH, NJW 1995, 1353. 69 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 85; vgl. bereits ders. in FS Bezzenberger (Fn. 22), S. 401, 403 f. 70 Armbrüster, ZfIR 2004, 929, 930. 71 OLG Schleswig, ZIP 2003, 74, 78. 72 OLG Jena, ZIP 2003, 1444, 1447. 73 BGH, ZIP 2005, 254, 256.
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für eine einheitliche Rückabwicklung nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft eine Vertragsbindung durch eine GbR nötig ist und welchen Inhalt eine solche haben müsste, wird nicht gesagt, und auch im Schrifttum wird nur allgemein danach unterschieden, ob die BGB-Gesellschaft (bei der GmbH & Still) die organisationsrechtliche Stellung der Anlagegesellschaft berührt74. Für beide Fallgruppen ist daher weiter zu fragen, ob eine isolierte Rückgewähr innerhalb einer zweigliedrigen stillen Gesellschaft zulässig ist. Dabei ist vorweg auf die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft und ihre Bedeutung für die zwei- und mehrgliedrige stille Gesellschaft einzugehen.
III. Stille Beteiligung und fehlerhafte Gesellschaft 1. Grundlagen der fehlerhaften Gesellschaft Die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft, deren Erstreckung auf die Typen der stillen Gesellschaft streitig ist, sind im Personengesellschaftsrecht anders als in § 275 AktG und § 75 GmbHG nicht gesetzlich geregelt, sondern bis heute das Produkt einer eher pragmatisch betriebenen richterlichen Rechtsfortbildung. Deren Ergebnis ist neben dem ursprünglich mit Hilfe der Rechtsscheingrundsätze entwickelten Verkehrsschutz der Gläubiger75 der Bestandsschutz der Gesellschaft, auf Grund dessen die Gesellschaft für die Vergangenheit als wirksam behandelt wird. Der Bestandsschutz, nicht selten mit der Schwierigkeit der Abwicklung unwirksamer Gesellschaftsverträge nach den Vorschriften des BGB begründet, ist erst allmählich76 aus dem Verkehrsschutz entstanden. Mit ihm konnte verhindert werden, dass der einem Gläubiger gem. § 128 HGB haftende Gesellschafter bei einem Regress von den Mitgesellschaftern mit der Unwirksamkeit der Gesellschaft konfrontiert werden konnte77. Schon dieser Schritt belegt, dass die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch die Gleichbehandlung der Mitgesellschafter schützen. Dieser Gedanke schwingt auch bei der „Schwierigkeit der Abwicklung“ mit, indem durch die einheitliche gesellschaftsvertragliche Auseinandersetzung die Zufälligkeit eines unterschiedlichen Schicksals von Ersatzansprüchen verschiedener Gesellschafter vermieden wird. Dieser Gleichbehandlung entspricht auch die vom BGH für die typische Gesellschaft angeführte Risikogemeinschaft78. Freilich sind die heute wichtigsten dogmatischen Grundlegungen der fehlerhaften Gesellschaft, die deren Anwendungsbereich zugleich begrenzen sollen, der Erstreckung auf Innengesellschaften, mindestens aber auf die typische stille Gesellschaft nicht eben günstig. Für eine solche Grundlegung genügt der Hinweis auf die auch bei Arbeitsverträgen – dort wegen des Arbeitnehmerschutzes – geläufige teleologische Reduktion der allgemein privatrechtlichen
__________ 74 75 76 77 78
Karsten Schmidt in FS Bezzenberger (Fn. 22), S. 401, 404. RGZ 142, 98, 107 f.; RGZ 145, 155, 158; RGZ 149, 25, 28. Grundlegend RGZ 165, 193, 204 f. Goette, DStR 1996, 266, 267. BGHZ 55, 5, 8.
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Unwirksamkeitsgründe nicht. Er beschreibt nur das Ergebnis, nennt aber nicht den Sachgrund. Zu nennen ist erstens die These von der Doppelnatur der Gesellschaft als Schuldverhältnis und Organisation79. Sie beruht auf der Einsicht, dass dem noch in § 705 BGB erkennbaren Verständnis der Gesellschaft als Schuldverhältnis das zugleich eingeführte Gesamthandsprinzip nur übergestülpt worden war. Das organisationsrechtliche Verhältnis der Gesellschafter untereinander, in der Formulierung von Flume die „Gesamthand als Gruppe“80 blieb zunächst ungeregelt und ist inzwischen durch die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft des BGB weithin anerkannt. Die Bildung des Gesamthandsvermögens und die dadurch ausgelöste Handlungsorganisation, die ersichtlich am Modell der Personenhandelsgesellschaften orientiert ist, sollen über das Schuldverhältnis hinausreichen und den Gesellschaftern im Rechtsverkehr die Dispositionsbefugnis über die Beziehungen nehmen81. Daher müsse sie den Mängeln des Gesellschaftsvertrages für die Vergangenheit am Gesamthandsvermögen und an der Vertragsgrundlage festgehalten werden82. Im Begründungsansatz anders, im Ergebnis als Begrenzung der fehlerhaften Gesellschaft aber überwiegend wirkungsgleich ist das vom Rückgriff auf das Kapitalgesellschaftsrecht geprägte Verständnis der fehlerhaften Gesellschaft als allgemein verbandsrechtliches Prinzip83. Rechtsfähige, fehlerhafte Verbände sollen nur mit Wirkung für die Zukunft aufgelöst werden können84. Im Kern stimmen diese Positionen überein und begründen überzeugend das normative Defizit im Personengesellschaftsrecht, an das die Rechtsfortbildung angeknüpft hat. Umgekehrt soll die fehlerhafte Gesellschaft auch im Personengesellschaftsrecht allein an die Gesamthand oder an die Entstehung eines Rechtssubjekts85 anknüpfen, zumindest aber, so Karsten Schmidt, für einige atypische Gesellschaften nur bei Annäherung an die Vermögens- und Organisationsstruktur der Personengesellschaften des Handelsrechts anwendbar sein86. Beide Begründungsstränge stellen daher im Personengesellschaftsrecht auf Kriterien der Außengesellschaft ab. Eine weitergehende Rechtsfortbildung bei der stillen Gesellschaft oder überhaupt einer Innengesellschaft bedarf daher zumindest einer zusätzlichen Legitimation.
__________ 79 Zusammenfassend Flume, Die Personengesellschaft, 1977, §§ 2, 4, 5.; Ulmer in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 705 BGB Rz. 354, 356. 80 Flume (Fn. 79), § 4, II, S. 55. 81 Ulmer in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 705 BGB Rz. 354. 82 Vgl. auch Blaurock (Fn. 15), Rz. 11.7. 83 Grundlegend Karsten Schmidt, AcP 186 (1986), 421, 424 ff.; noch stärker betont von Carsten Schäfer (Fn. 40), S. 137 ff. 84 Vgl. Ulmer in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 705 BGB Rz. 355. 85 Carsten Schäfer (Fn. 40), S. 145. 86 Neuerdings bestätigt von Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 134.
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2. Fehlerhafte stille Beteiligung a) Fehlerhafte Innengesellschaft Die stille Gesellschaft hat wie sonstige Innengesellschaften kein Gesamthandsvermögen und ist kein Rechtssubjekt. Nicht einmal alle atypischen stillen Gesellschaften haben die von Karsten Schmidt vorausgesetzte Vermögensund Organisationsstruktur. Aus diesen Gründen verweigert ein erheblicher Teil des Schrifttums dem BGH bei der Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft die Gefolgschaft87. Allerdings waren die Rückabwicklungsschwierigkeiten, die sich durch den „ersatzlosen Wegfall des Gesellschaftsvermögens“ infolge einer Unwirksamkeit der Satzung ergäben, bereits bei der aktienrechtlichen Kodifikation des Jahres 1897 für den Bestandsschutz der Gesellschaft in erster Linie relevant88 und haben auch die Entwicklung der fehlerhaften Gesellschaft im Personengesellschaftsrecht geprägt. Solche Schwierigkeiten können auch bei einer stillen Gesellschaft auftreten, beispielsweise bei der erwähnten Vermögensbeteiligung des Stillen am Anlagevermögen und Geschäftswert sowie an den stillen Rücklagen des Geschäftsinhabers, bei deren Abwicklung der Stille durch einen schuldrechtlichen Anspruch so zu stellen ist, als ob zwischen ihm und dem Geschäftsinhaber eine dingliche Vermögensgemeinschaft bestanden hätte. Der „Auseinandersetzungsanspruch“ wird nicht anders ermittelt als bei einer Personengesellschaft mit Gesamthandsvermögen. Eine unterschiedliche Behandlung bei Mängeln des Gesellschaftsvertrags deutet daher auf eine Wertungsdiskrepanz hin und bedürfte einer wertenden Erläuterung. Das Gesamthandsvermögen oder das Rechtssubjekt müssten eine verbindliche Grenze gegen eine weitergehende Rechtsfortbildung errichten. Eine derartige Grenze wird behauptet. Indessen ist bei der „Entdeckung“ der „Gesamthand als Gruppe“ und der Doppelnatur der Gesellschaft, die einen Baustein für die Entwicklung der fehlerhaften Gesellschaft bilden, die Existenz eines Gesamthandsvermögens vorausgesetzt, aber nicht die Begrenzung des Instituts begründet worden. Und auch die „innere Teleologie“89 der Nichtigkeitsvorschriften im Kapitalgesellschaftsrecht setzt natürlich die Existenz eines Rechtssubjekts voraus90, kann aber die Ausweitung im Personengesellschaftsrecht nicht verbindlich begrenzen. Die Vergleichbarkeit des Abwicklungsproblems rechtfertigt vielmehr die Vermeidung eines Wertungswiderspruchs; dies zumindest für die exemplarisch beschriebene atypische stille Gesellschaft. Die Innengesellschaft als solche ist daher jedenfalls kein Hindernis für eine Abwicklung nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft. Abgrenzungsprobleme zum partiarischen Darlehen können allenfalls bei der typischen stillen Gesellschaft auftreten. Und die bagatellisierende Verweisung auf das Bereicherungsrecht91 – „schwierig, aber nicht unmög-
__________ 87 88 89 90 91
Vgl. oben Fn. 40, 41. Näher Carsten Schäfer (Fn. 40), S. 141. Carsten Schäfer (Fn. 40), S. 144. Carsten Schäfer (Fn. 40), S. 141. Ulmer in MünchKomm.BGB (Fn. 40), § 705 BGB Rz. 359.
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lich“92 – oder auf den Vertrauensschutz belegen ohnehin, dass gesellschaftsrechtliche Maßstäbe Einfluss haben müssen und sprechen nicht gegen eine einheitliche gesellschaftsrechtliche Rückabwicklung nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft. Deren Anwendbarkeit auf die einzelnen Typen der stillen Gesellschaft ist freilich noch zu untersuchen. b) Einzelne stille Gesellschaften aa) Mehrgliedrige stille Gesellschaft Die mehrgliedrige stille Gesellschaft ähnelt im gewissen Umfang der Publikumsgesellschaft mit Gesamthandsvermögen, weicht aber in einer Reihe von Punkten deutlich davon ab. Der Stille zahlt die Einlage nicht an die Gesellschaft, die kein Gesamthandsvermögen hat, sondern an den Geschäftsinhaber. Das Einlageverhältnis besteht nur mit diesem. Der Geschäftsinhaber ist aber mit den Stillen in einem einheitlichen Gesellschaftsvertrag zusammengefasst, dem der einzelne stille Gesellschafter beitritt. An dieser Stelle liegt eine Parallele zur Mitgliedschaft in einer Publikumsgesellschaft vor, bei der die Abwicklung, auch Rückabwicklung einer fehlerhaften Gesellschaft, bei der Auseinandersetzung zur Gleichbehandlung der Mitglieder führt. Für die beschriebene mehrgliedrige stille Gesellschaft, die sich in dem für die Abwicklung nicht relevanten Punkt unterscheidet, dass kein Gesamthandsvermögen aufgelöst wird, sondern auf schuldrechtlicher Grundlage rückabgewickelt wird, ergibt sich durch das einheitliche Gesellschaftsverhältnis kein anderes Ergebnis. Auf die mehrgliedrige stille Gesellschaft sind daher die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft anzuwenden, die über die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung die Gleichbehandlung der Gesellschafter wahren. Die Bedeutung dieses Gedankens hat der BGH bei der Publikumsgesellschaft betont, indem er dort die Rechtsbeständigkeit der Beitrittserklärungen vor einer arglistigen Täuschung „auch zu Gunsten der oftmals unter gleichen Bedingungen beigetretenen Mitgesellschafter“ geschützt hat93. Die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft werden daher bei der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft, soweit diese im Schrifttum eigenständig untersucht wird, durchaus anerkannt94. bb) Zweigliedrige stille Gesellschaft Das Problem der Gleichbehandlung der Gesellschafter stellt sich bei der zweigliedrigen Gesellschaft auch für das Verhältnis von Geschäftsinhaber und Stillem. Das wird besonders deutlich bei der Verleihung von Geschäftsführungsbefugnissen im Innenverhältnis zum Geschäftsinhaber95, wenn nicht ohnehin
__________ 92 Bayer/Riedel, NJW 2003, 2567, 2572. 93 BGH, WM 1976, 475, 476. 94 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 133; Armbrüster, ZfIR 2004, 929, 930; Hey, NZG 2004, 1097, 1098. 95 Vgl. oben II. 1.
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durch die gleichzeitige Vermögensbeteiligung bei Mängeln des Gesellschaftsvertrags eine fehlerhafte Gesellschaft vorliegt96. Bei einer zweigliedrigen Personenhandelsgesellschaft würde bei Mängeln des Gesellschaftsvertrags niemand an einer fehlerhaften Gesellschaft zweifeln. Folgerichtig drohte – mindestens bei Geschäftsführungsbefugnissen des Stillen – auch an dieser Stelle ein Wertungswiderspruch, wenn zwischen der Auflösung eines Gesamthandsvermögens und der schuldrechtlichen Rückabwicklung unterschieden würde. Das hat der BGH bereits bei der atypischen stillen Gesellschaft betont und die gemeinsamen Leistungen in einem Geschäftsbetrieb hervorgehoben97. Diese gemeinsame Leistung besteht aber auch bei der typischen stillen Gesellschaft, bei der der Geschäftsinhaber jedenfalls mit der Einlage des Stillen arbeitet. Der BGH stellt dabei auf die Risikogemeinschaft ab und bezeichnet es als „grob unbillig“, das Risiko (von Verlusten) allein dem Geschäftsinhaber aufzubürden oder ihm die Erfolge allein gutzuschreiben und den Stillen mit einem Bereicherungsanspruch abzufinden98. Nur die Anerkennung der fehlerhaften Gesellschaft mit Hilfe der Risikogemeinschaft führt zu einer reibungslosen Verteilung der Gewinne und Verluste. Die „grobe Unbilligkeit“ besteht freilich nur bei „neutralen“ Nichtigkeitsgründen. Wird der stille Gesellschafter beim Vertragsschluss vom Geschäftsinhaber arglistig getäuscht oder wird er schuldhaft irregeführt, so gibt es bei Zweigliedrigkeit keinen Grund, ihm die Verluste endgültig anteilig anzulasten, auf einem Vorrang der Auseinandersetzung zu beharren und ihn an der Rückforderung der Einlage zu hindern. Dafür bedarf es keiner Differenzierung bei der Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft. Vielmehr ist dann bei der zweigliedrigen stillen Gesellschaft zur Geltendmachung eines Mindestschadens, also nicht wahlweise anstelle eines möglichen Anspruchs auf den Auseinandersetzungsgewinn, aber auf diesen anrechenbar, dem stillen Gesellschafter auch bei einer fehlerhaften Gesellschaft ein Schadenseratzanspruch auf Rückforderung der Einlage zu gewähren. Die Vereinbarkeit von fehlerhafter Gesellschaft und Schadensersatz beruht darauf, dass der Geschäftsinhaber Schuldner des Auseinandersetzungs- und des Ersatzanspruchs ist. Die aktuellen Urteile des BGH haben insoweit – vorbehaltlich einer Überprüfung der weiteren stillen Gesellschaften mit anderen Anlegern und einer daraus resultierenden Schranke gegen einen Wettlauf der Gesellschafter – richtig entschieden99.
__________ 96 97 98 99
Vgl. zuvor III. 2. a). BGHZ 8, 157, 168. BGHZ 55, 5, 8 f. Ebenso Koller in Koller/Roth/Morck, HGB, 6. Aufl. 2007, § 230 HGB Rz. 15; Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 135; Gehrlein, WM 2005, 1489, 1493 ff.; Geibel, BB 2005, 2009, 2013 ff.; Hey, NZG 2004, 1097, 1098; im Ergebnis (keine fehlerhafte Gesellschaft) auch Bayer/Riedel, NJW 2003, 2567, 2571 f.; Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 395 f.; gegen einen Wettlauf mit anderen Anlegern OLG Hamburg, NZG 2004, 859, 860; Armbrüster, ZfIR 2005, 929, 930; Loritz, DB 2004, 2459; Wagner, NZG 2005, 499, 501 f.
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cc) Koordinierte stille Gesellschaften (1) Koordination durch die stillen Gesellschafter Die Kombination von zweigliedrigen stillen Gesellschaften mit einer GbR unter den stillen Gesellschaftern, mit der sich der BGH bei Kapitalanlagegesellschaften mehrfach beschäftigt hat100, koordiniert mittels der BGB-Gesellschaft die stillen Gesellschaften. Sie ist eine kautelarjuristische Ersatzkonstruktion für die lange als ungesichert geltende mehrgliedrige stille Gesellschaft. Wie bei dieser zahlt der stille Gesellschafter unmittelbar an den Geschäftsinhaber. Das Einlage- und das Gesellschaftsverhältnis der Anleger sind auch hier zu trennen. Die Anleger treten aber keiner einheitlichen stillen Gesellschaft bei. Ihre Gesellschaftsverhältnisse mit dem Geschäftsinhaber sind im Ansatz zweigliedrig. Die Gemeinschaft der Stillen wird durch die BGB-Gesellschaft gebildet, deren Zweck die gemeinsame Wahrnehmung der Interessen der Anleger gegenüber dem Geschäftsinhaber oder konkreter: die Ausübung von auf das Innenverhältnis beschränkten Geschäftsführungsbefugnissen bei diesem ist. Die Verbindung zwischen der stillen und der BGBGesellschaft wird – bei der Einräumung von Geschäftsführungsbefugnissen notwendigerweise – dadurch hergestellt, dass mit der Begründung einer stillen Gesellschaft der Beitritt in die BGB-Gesellschaft erfolgt. Die Mitgliedschaft in einer einheitlichen stillen Gesellschaft, deren Mehrgliedrigkeit nicht von der Einräumung von Geschäftsführungsrechten abhängt, wird durch die gemeinsame Ausübung solcher Rechte im Innenverhältnis ersetzt. Nur dadurch wird die Vergleichbarkeit mit einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft erreicht. Da bei dieser bereits der bloße Beitritt genügt, ist für die Kombination von stillen Gesellschaften und BGB-Gesellschaften keine umfassende Geschäftsführungstätigkeit nötig. Allerdings genügt die Bündelung von Rechten, die ausschließlich dem Interesse des Einzelgesellschafters dienen, beispielsweise von Informationsrechten101, nicht. In der Funktion ähnelt diese Kombination der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft. Das führt zur Anschlussfrage, ob die Abwicklung solcher Gesellschaften, auch die Rückabwicklung nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft, einheitlich nach den Auseinandersetzungsmaßstäben des Gesellschaftsrechts erfolgt oder ob sie isoliert auf die zweigliedrige stille Gesellschaft zu beziehen ist, dann mit der Folge, dass bei der Rückforderung einer Einlage ein Wettlauf der Anleger stattfinden kann. Für Ersteres spricht eine Variante der Ersatzkonstruktion, bei der die GbR der Anleger mit dem Geschäftsinhaber eine zweigliedrige stille Gesellschaft gründet und diesem die Einlage zahlt, die die Anleger durch die unmittelbare Zahlungen an die BGB-Gesellschaft erbracht haben102. In diesem Fall hätte bei Verstoß gegen die Wirksamkeitsvorschriften des BGB die Rückabwicklung der fehlerhaften stillen Gesell-
__________ 100 BGH, NJW 1994, 1156; NJW 1995, 1353. 101 So in vergleichbarem Zusammenhang Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 133. 102 Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 86.
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schaft gegenüber der BGB-Gesellschaft zu erfolgen, deren Auseinandersetzung jedoch auf Grund ihres Gesamthandsvermögens einheitlich gegenüber den Mitgesellschaftern stattfände. Die Kombination von stiller und BGB-Gesellschaft liegt sozusagen dazwischen. In allen Fällen ist das Einlageverhältnis vom Gesellschaftsverhältnis der Anleger rechtlich getrennt; diese treten bei oder vereinbaren Geschäftsführungsrechte. In allen Fällen beruht der Vollzug der stillen Gesellschaft auf der Verknüpfung von Einlage- und Gesellschaftsverhältnissen. Karsten Schmidt hat für die „GmbH & Still“, aber auf Grund allgemeinerer Erwägungen die Kombination zu Recht dahin verstanden, dass die von ihm als vermeintlich bezeichnete BGB-Gesellschaft nur ein Bestandteil der – dann mehrgliedrigen – stillen Gesellschaft sei103, und überdies das durch die stille Gesellschaft gebildete Vermögen als „virtuelles Gesamthandsvermögen“ vom Eigenvermögen des Geschäftsinhabers getrennt und auf die Bedeutung der Trennung für die Haftung hingewiesen104. Die Kombination von stiller und BGB-Gesellschaft ist daher – nicht weil eine falsche Bezeichnung vorliegt105, sondern durch eine wertende Analyse – als Einheit zu betrachten und über die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft einheitlich rückabzuwickeln. Daher ist von einer fehlerhaften stillen Gesellschaft zwischen den durch die BGB-Gesellschaft koordinierten Anlegern auszugehen, die Auseinandersetzung ist einheitlich auf diese zu beziehen. In diesem Sinn führt die Koordination im Ergebnis in der Tat zu einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft. (2) Stille Gesellschaften und einheitliches Anlageprojekt Dem gegenüber hatte die aktuelle Judikatur ersichtlich über Fallgestaltungen zu befinden, bei denen die Koordination der stillen Gesellschaften allein in der den Anlegern bekannten Zusammenfassung in einem Anlageprojekt seitens des Geschäftsinhabers besteht. Zwischen diesem und den Anlegern werden zweigliedrige stille Gesellschaften begründet. Die stillen Gesellschafter stehen untereinander nicht in einer Vertragsbindung. Sie sind einander regelmäßig unbekannt und haben nur Kenntnis von der Beteiligung mehrerer am Anlageprojekt. Die Rechtsprechung denkt – bezogen auf die Einlagenrückgewähr – an konkurrierende Gläubiger, die ihre Ansprüche – außerhalb des Insolvenzverfahrens – bis hin zum Prioritätsprinzip in der Zwangsvollstreckung unabhängig durchsetzen können. Die Gegenmeinung, die von einer Risikogemeinschaft der Gläubiger ausgeht106, ließe sich allenfalls auf ganz unsicherem Terrain mit dem Gedanken der (schlichten) Interessengemeinschaft in Gestalt einer Gleichrichtung von Interessen der Beteiligten begründen107. Gesetzliche Grundlagen gibt es für Gefahrengemeinschaften (§§ 700 HGB, 419 Abs. 2 HGB, 6 DepotG), die nicht einschlägig sind, daneben noch aus Treu und Glauben.
__________ 103 104 105 106 107
Karsten Schmidt in FS Bezzenberger (Fn. 22), S. 401, 403 f. Karsten Schmidt in FS Bezzenberger (Fn. 22), S. 401, 406. Vgl. aber Karsten Schmidt in MünchKomm.HGB (Fn. 41), § 230 HGB Rz. 85. Armbrüster, ZfIR 2004, 929, 930. Vgl. näher Würdinger, Theorie der schlichten Interessengemeinschaften, 1934, S. 16.
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Ein Modell für Letzteres liegt in einer zwischen einem Verkäufer und verschiedenen Käufern vereinbarten begrenzten Gattungsschuld, bei der die Leistungspflicht nur auf einen Vorrat bezogen ist. Kann dann infolge unvertretbarer Teilunmöglichkeit nicht an alle Käufer vollständig geleistet werden, so hat das RG den Verkäufer nur zu einer anteiligen Leistung verpflichtet. Es führt dazu aus, dass eine weitergehende Selbstbelastung des Verkäufers § 242 BGB verletze108 und die Käufer erkennen müssten, dass die Rechte anderer nicht schlechter seien109 und es gegen Treu und Glauben verstoße, wenn der Schuldner an einen Gläubiger auf Kosten der anderen mehr leisten soll110. Schon diese Argumente zeigen, dass sich auf diese Weise vorliegend keine gleichmäßige Rückabwicklung an die einzelnen stillen Gesellschafter begründen lässt. Ganz abgesehen davon, dass man die Leistungsstörung bei der Vorratsschuld heute nicht ohne Anpassung an die Vertragszwecke lösen und keinem Gläubiger pauschal eine Teilleistung aufdrängen würde, geht es um einen Schuldnerschutz bei einer unvertretbaren Leistungsstörung, der dem täuschenden oder irreführenden Geschäftsinhaber bei stillen Gesellschaften nicht zukommt. Die konkurrierenden Gesellschafter untereinander haben bei der Rückforderung von Einlagen keinen erkennbaren Grund zur wechselseitigen Rücksichtsnahme. Eine Risikogemeinschaft konkurrierender Gesellschafter, deren „Wettlauf“ verhindert werden müsste, besteht daher nicht. Der BGH hat daher zu Recht zweigliedrige stille Gesellschaften angenommen, die jeweils gesondert abzuwickeln sind.
IV. Schadensersatz bei der fehlerhaften stillen Gesellschaft Der BGH hat weiterhin zu Recht111 bei der zweigliedrigen stillen Gesellschaft einen Schadensersatz auf Rückgewähr der Einlage mit den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft für vereinbar gehalten und den Wettlauf mit anderen an einem Projekt beteiligten Anlegern zugelassen112. Offen gelassen hat das Urteil vom 29.11.2004 die Ersatzpflicht bei der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft113 und folgerichtig auch bei stillen Gesellschaften, die durch eine GbR koordiniert sind. Auch bei diesen Typen ist, um das Ergebnis vorwegzunehmen, letztlich nicht akzeptabel, dass der irregeführte stille Gesellschafter die Verlustbeteiligung zu tragen hat und dem schädigenden Geschäftsinhaber die Ersatzpflicht erlassen wird. Dennoch bedarf das Verhältnis der Auseinandersetzung unter sämtlichen Mitgesellschaftern und eines Schadensersatzanspruchs der Klärung.
__________ 108 109 110 111 112 113
RGZ 54, 125, 129. RGZ 54, 125, 128. RGZ 54, 125, 129. Vgl. oben III. 2. b) bb). Vgl. zuvor III. 2. b) und cc) (2). BGH, ZIP 2005, 254, 256.
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1. Fehlerhafte Gesellschaft und Schadensersatz Ein Teil des Schrifttums sieht darin kein spezielles Problem der fehlerhaften stillen Gesellschaft, sondern plädiert mit unterschiedlichen Argumenten für eine rechtsformübergreifende Lösung bei den Personengesellschaften. Bälz trennt zwischen einem schuldrechtlichen Geschäft auf Erwerb eines Gesellschaftsanteils sowie auf Einräumung der Mitgliedschaft und dem Beitrittsvertrag, der dieses Geschäft vollziehe114. Aus dem schuldrechtlichen Geschäft, einem Geschäftsbesorgungsvertrag, soll dann die Erbringung der Beitragsleistung als Aufwendungsersatz geschuldet werden115. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Aufklärungspflicht seien auf die schuldrechtliche Ebene zu beziehen und von der Lehre über die fehlerhafte Gesellschaft zu trennen116. Diese Konstruktion ist bereits von Carsten Schäfer treffend kritisiert worden117, da § 705 BGB klar schuldrechtliche Elemente enthält, die Beitragspflicht regelt und vor allem die Vertragswirksamkeit der fehlerhaften Gesellschaft für die Vergangenheit in ihrem Zweck beeinträchtigt wird, wenn die Rückforderung der Einlage ohne Rücksicht auf diesen Zweck durchsetzbar ist. Der zuletzt genannte Einwand richtet sich auch gegen weitere rechtsformübergreifende Ansätze, die allerdings an der aktuellen Judikatur zur stillen Gesellschaft anknüpfen. Geibel118 hält ebenso wie Gehrlein119 auch bei Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft eine Durchsetzungssperre für Ersatzansprüche zwecks Auseinandersetzung nicht für angebracht. Geibel verweist darauf, dass der Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ein Verhalten vor dem Beitritt zu einer Gesellschaft sanktioniert, also keinen Anspruch aus dem Gesellschaftsverhältnis betreffe120. Daran ist allein im Ergebnis richtig, dass beispielsweise bei der PublikumsKG wegen des Vorrangs der Auseinandersetzung der Anspruch nicht zu Lasten der Mitgesellschafter durchgesetzt werden kann, sondern sich unmittelbar gegen den Schädiger richtet, auch gegen einen schädigenden Komplementär. Selbst wenn ein solcher Ersatzanspruch nämlich in die Auseinandersetzung eingestellt werden muss, würde dadurch der eigene Abfindungsanspruch des Geschädigten gegenüber den Mitgesellschaftern nicht erhöht. Allenfalls könnte der Ersatzanspruch den Gewinnanteil des schädigenden Mitgesellschafters zu Gunsten des oder der Geschädigten mindern. Bei der stillen Gesellschaft bleibt überdies das Problem, dass der schädigende Geschäftsinhaber auch Inhaber des an die Stillen auszuschüttenden Vermögens ist und ein Ersatzanspruch gegen ihn die Auseinandersetzungsansprüche der Mitgesellschafter nicht schmälern darf. Das ist auch gegenüber Gehrlein, in den letzten Jahren Mitglied des
__________ 114 115 116 117 118 119 120
Bälz in FS Thomas Raiser, 2005, S. 615, 624. Bälz in FS Thomas Raiser (Fn. 114), S. 615, 624. Bälz in FS Thomas Raiser (Fn. 114), S. 615, 620 f. Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 381, 389. Geibel, BB 2005, 1009 ff. Gehrlein, WM 2005, 1489 ff. Geibel, BB 2005, 1009, 1013.
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Fehlerhafte stille Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften
II. Zivilsenats, einzuwenden, der den Schadensersatzanspruch als Bestandteil der Auseinandersetzung ansieht und damit verhindern will, dass der für den Vertragsmangel verantwortliche Gesellschafter vor Einbußen bewahrt bleibt121. Wiederum wird die Einbeziehung des Ersatzanspruchs in die Auseinandersetzung nicht richtig gedeutet. Er füllt das Auseinandersetzungsguthaben nicht auf122. Dass er gegen den Schädiger geltend gemacht werden darf, betrifft beispielsweise bei der PublikumsKG die Auseinandersetzung des Gesamthandsvermögens nicht. Das ändert aber nichts an der Durchsetzungssperre gegenüber der Gesellschaft, die Gehrlein aufheben will123, und löst bei der stillen Gesellschaft, wenn sich die Auseinandersetzungsansprüche und der Ersatzanspruch gegen ein und dieselbe Person richten, die offene Frage nach dem Verhältnis von Auseinandersetzung und Schadensersatz nicht. Die rechtsformübergreifenden Ansätze helfen daher nicht weiter. 2. Auseinandersetzung und Schadensersatz bei der fehlerhaften stillen Gesellschaft Aus den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft ergeben sich bei stillen Gesellschaften ebenso wie bei sonstigen Personengesellschaften die bei einer Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses geläufigen Auseinandersetzungsansprüche der Gesellschafter, entweder die Auseinandersetzung unter sämtlichen Gesellschaftern oder nach der Kündigung einzelner die nach dem Auseinandersetzungsguthaben berechneten Abfindungsansprüche einzelner kündigender Gesellschafter. Diese Ansprüche dürfen bei der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft nicht geschmälert werden. Insoweit gibt es gegenüber der Geltendmachung von Ersatzansprüchen bei der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft anders als bei der zweigliedrigen, bei der eine Schmälerung anderer Anleger nicht droht, eine Durchsetzungssperre. Gehrlein, Geibel u. a. ist aber darin zuzustimmen, dass der Ersatzanspruch gegen den Geschäftsinhaber nicht entfallen soll. Zwar ist die Auseinandersetzung vorrangig, jedoch hat der Geschäftsinhaber, der beispielsweise durch vorweg vereinbarte Tätigkeitsvergütungen oder durch Vermögen, das nicht in das Anlageprojekt oder nicht in die Berechnungsgrundlagen für den Gewinn und Verlust in der stillen Gesellschaft gehört, nicht selten „Eigenvermögen“, das das Auseinandersetzungsguthaben übersteigt. Auch wenn es sich um ein einheitliches Vermögen des Geschäftsinhabers handelt, lässt sich dann mit Karsten Schmidt über die von ihm erörterte GmbH & Still hinaus und unabhängig von dem dabei verwende-
__________ 121 Gehrlein, WM 2005, 1489, 1494. 122 Vgl. aber Bayer/Riedel, NJW 2003, 1567, 1570 f. Selbst wenn sämtliche Gesellschafter irregeführt worden sind, ist deren pauschale Gleichbehandlung beim Schadensersatz bereits wegen des möglichen unterschiedlichen Vertrauensschadens nicht angezeigt; vgl. auch unten IV. 2. Anders ist es bei der Schmälerung des Auseinandersetzungsguthabens durch eine bestimmungswidrige Vermögensverwendung; dazu näher I. 1. a) zu Fn. 22. 123 Gehrlein, WM 2005, 1489, 1493 f.
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Horst Konzen
ten Bild des „virtuellen Gesamthandsvermögens“ zwischen dem in die Auseinandersetzung eingebundenen und dem „Eigenvermögen“ des Geschäftsinhaber trennen124. Dass Carsten Schäfer eine solche Trennung verwirft, liegt nur daran, dass er bei sämtlichen Innengesellschaften die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft ablehnt125. Dass der Geschäftsinhaber aus diesem „Eigenvermögen“ haftet, ergibt sich aus der Haftung sonstiger Initiatoren, auch der Haftung vom Komplementären, bei Verletzung der Aufklärungspflicht. Allerdings ist, wenn bei der fehlerhaften stillen Gesellschaft eine Auseinandersetzung unter sämtlichen Gesellschaftern stattfindet, die Durchsetzung des Ersatzanspruchs bis zur Beendigung der Auseinandersetzung versperrt. Danach steht bis zur Überschuldungsgrenze der Durchsetzung eines Ersatzanspruchs, auch einem „Wettlauf“ der Anleger, nichts im Wege. Hat nur ein oder haben nur einzelne Gesellschafter gekündigt, so darf folgerichtig ein Ersatzanspruch das Auseinandersetzungsguthaben, aus dem ein Abfindungsanspruch berechnet wird, im Zeitpunkt der Abfindung nicht schmälern. Außerhalb dieser Berechnungsgrundlage, die eine Rücklage sichern kann, sind Schadensersatzansprüche durchsetzbar. Insgesamt lassen sich daher bei der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft wahren, ohne einen Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsinhaber ganz auszuschließen.
V. Ergebnisse 1. Die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft sind auf stille Gesellschaften anzuwenden. Weder die Organisation der Gesamthand noch die Existenz eines Rechtssubjekts legitimieren diese Grundsätze abschließend. Entscheidend sind die Ähnlichkeit der Rückabwicklung und die Gleichbehandlung der Gesellschafter bei den rechtsfähigen Personengesellschaften und den Typen der stillen Gesellschaft. 2. Die stillen Beteiligungen an einer Kapitalanlagegesellschaft sind nur zusammenzufassen, wenn die Anleger einer einheitlichen stillen Gesellschaft oder einer weiteren Gesellschaft beitreten, die die Geschäftsführungsbefugnisse der Anleger in der Anlagegesellschaft koordiniert. In beiden Fällen erfolgt nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft eine einheitliche Rückabwicklung gegenüber sämtlichen Anlegern. Fehlt eine solche Zusammenfassung, so liegen zweigliedrige stille Gesellschaften vor, die getrennt rückabzuwickeln sind. 3. Die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft schließen bei stillen Gesellschaften Schadensersatzansprüche getäuschter oder schuldhaft irregeführter Gesellschafter nicht aus. Die Vereinbarkeit von fehlerhafter Gesellschaft und Schadensersatz resultiert bei der stillen Gesellschaft daraus, dass der Ge-
__________ 124 Karsten Schmidt in FS Bezzenberger (Fn. 22), S. 401, 406. 125 Carsten Schäfer, ZHR 170 (2006), 373, 393.
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Fehlerhafte stille Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften
schäftsinhaber der Schuldner sowohl des Auseinandersetzungs- als auch eines Schadensersatzanspruchs ist. Bei der einheitlichen stillen Gesellschaft und den gesellschaftsvertraglich koordinierten stillen Beteiligungen ist allerdings der Vorrang der Auseinandersetzung zu wahren. Sind die stillen Beteiligungen nicht koordiniert, so sind die Anleger bei Schadensersatzansprüchen konkurrierende Gläubiger, zwischen denen es bei der Rückforderung der Einlage zu einem „Wettlauf“ kommen kann.
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Zum Gläubigerschutz bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften Inhaltsübersicht I. Zum Gegenstand des Beitrags II. Kapitaldifferenzen 1. Kapitalentsperrung durch Verschmelzung 2. Die §§ 22 UmwG, 226 öAktG als abschließende Regelung? 3. Kapitalerhöhung? 4. Gläubigerschutz durch Rücklagenbildung?
5. Entsprechende Anwendung der §§ 178 öAktG, 225 dAktG? III. Verdeckte Einlagenrückgewähr 1. Verschmelzung down-stream 2. Verschmelzung up-stream 3. Verschmelzung side-stream IV. Sittenwidrige Gläubigerschädigung V. Schlussbemerkung
I. Zum Gegenstand des Beitrags Unlängst hat das OLG Stuttgart entschieden, die Verschmelzung einer überschuldeten GmbH auf ihre Alleingesellschafterin – in concreto eine natürliche Person – sei zulässig. Das Registergericht habe daher weder zu prüfen, ob der übertragende Rechtsträger überschuldet sei, noch ob der aufnehmende Alleingesellschafter durch die Verschmelzung in eine Überschuldung gerate1. Dem hat sich das LG Leipzig angeschlossen2. Nach Auffassung des OLG München sind die Aktionäre einer übertragenden AG zu nichts verpflichtet, wenn sich nach Eintragung der Verschmelzung herausstellt, dass dem zu Abfindungszwecken erhöhten Kapital der übernehmenden AG wegen Wertlosigkeit der übertragenden Gesellschaft kein Gegenwert gegenübersteht3. Der ausgesprochen gläubigergefährdenden Tendenz dieser Entscheidungen kontrastiert eine ganz andere Judikatur in Österreich. So hat der OGH für den down-stream-merger entschieden, dass übertragene Vermögen müsse auch bei Nichtberücksichtigung der Beteiligung der übertragenden an der übernehmenden Gesellschaft werthaltig sein. Wenn eine Muttergesellschaft mit einem wesentlich höheren Stammkapital auf eine Tochter mit entsprechend niedrigerem Kapital verschmolzen werde, seien wegen des kapitalherabsetzenden Effekts einer solchen Maßnahme überdies die dafür geltenden Regeln entsprechend anzuwenden4. Eine Schwesternverschmelzung wurde für unzulässig erklärt, weil die übernehmende Gesellschaft ein negatives Vermögen aufweise
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OLG Stuttgart, ZIP 2005, 2066. Für die AG-Fusion könnte nichts anderes gelten. LG Leipzig, DB 2006, 885. OLG München, Der Konzern 2006, 137, bestätigt von BGH, ZIP 2007, 1104. OGH, GesRZ 2000, 25, bestätigt von OGH, GesRZ 2001, 87.
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und auch die fusionierte Gesellschaft überschuldet war5. Schließlich hat der OGH, anscheinend für alle Verschmelzungskonstellationen6, angenommen, die Verschmelzung auf eine (real) überschuldete Gesellschaft sei generell ausgeschlossen7. Generell unzulässig ist es nach Auffassung des Gerichts auch, wenn die Fusion dazu führt, dass die übrigbleibende Gesellschaft überschuldet ist8. Es liegt nach diesem Bericht auf der Hand, dass dem Gläubigerschutz im Umgründungsrecht in der deutschen und in der österreichischen Judikatur ein ganz unterschiedliches Gewicht zugemessen wird. Diese Divergenz liefert den Anlass für einen Beitrag, den ich Harm Peter Westermann, einem hochgeschätzten Kollegen und Freund in alter Verbundenheit widme. Dass der deutsch-österreichische Rechtsvergleich wegen zu großer Unterschiede der gesetzlichen Ausgangslage keinen Sinn habe9, trifft nicht zu. Die Notwendigkeit eines positiven Vermögenswerts ergibt sich auch in Österreich nicht aus einer ausdrücklichen Vorschrift und ist dementsprechend umstritten. Ob die Minderheit in der übertragenden Gesellschaft via Durchgangserwerb oder „direkt“ abgefunden wird, ist für den Gläubigerschutz letztlich bedeutungslos. Handgreiflich wird dies daran, dass einschlägige Fragen auch und vor allem dann auftreten, wenn wie bei der Fusion einer 100 %igen Tochter in die Muttergesellschaft, überhaupt keine Abfindung zu leisten ist. Einen „Summengrundsatz“ bezüglich des Grund-/Stammkapitals der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften gibt es auch in Österreich nicht10. Auf den ersten Blick, aber nur auf diesen11, bedeutsamer ist, dass eine zentrale Vorschrift zum Zweck des Gläubigerschutzes, nämlich der Sicherheitsleistungsanspruch nach § 22 UmwG nach deutschem Recht auch für die Verschmelzung auf eine Personengesellschaft/eine natürliche Person gilt, während dies in Österreich (§ 226 AktG, § 96 Abs. 2 GmbHG) mangels entsprechender Verschmelzungsmöglichkeiten nicht zutrifft. Die aufgeworfene Frage soll hier nur für die AG und dort auch nur für den einstufigen Unternehmensverbund, also die Verschmelzung zwischen Mutterund Tochtergesellschaft, sowie zwischen Schwestergesellschaften angesprochen12 werden13. Mit der ersten Einschränkung wird vermieden, auf die Unter-
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OGH, GeS 2003, 400, genauer OLG Wien, GeS 2005, 276. Downstream, upstream, sidestream. OGH, ecolex 2005, 136. OGH, GesRZ 2003, 287. So im Ergebnis Bock, GmbHR 2005, 1023, 1025. Näher dazu unten II. 3. S. unten II.2. Eine umfassende Prüfung ist im Rahmen eines Aufsatzes nicht möglich. Das zeigt die dem Thema gewidmete monographische Literatur. Zu Problemen des Minderheitenschutzes, die hier überhaupt nicht geprüft werden, s. Grunewald in FS Röhricht, 2005, S. 129 ff. 13 Angenommen wird im Übrigen, dass M an T bzw. an S1 und S2 je mit 100 % beteiligt ist.
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Zum Gläubigerschutz bei der Verschmelzung von AG
schiede der Kapitalbindung im deutschen und österreichischen GmbH-Recht14 eingehen zu müssen. Im Übrigen waren die räumlichen Grenzen eines Festschriftbeitrags zu bedenken. Im Anschluss an K. Schmidt wird in Deutschland im hier interessierenden Zusammenhang häufig zwischen institutionellem und individuellem Gläubigerschutz unterschieden15. Die erste Kategorie meint allgemeine Regeln, namentlich solche über Kapitalaufbringung und -erhaltung, die zweite umfasst normative Vorgaben zur rechtlichen Bewältigung fusionsbedingter Gläubigerrisiken im Einzelfall. Die folgende Darstellung orientiert sich demgegenüber an Fallgruppen.
II. Kapitaldifferenzen 1. Kapitalentsperrung durch Verschmelzung Unterstellt, eine AG (M) wolle ihr Kapital herabsetzen, dann lässt sich dies möglicherweise qua Verschmelzung in eine Tochter-AG (T) mit geringerem Grundkapital bewerkstelligen, ohne dass dabei § 225 dAktG beachtet werden müsste. Hat M etwa ein Grundkapital von 10 Mio. Euro, T von 1 Mio. Euro, dann besteht die Folge der down-stream Fusion darin, dass Kapital in Höhe von 9 Mio. Euro „entsperrt“ wird, der Gegenwert im Grundsatz also ausgeschüttet werden kann. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn eine „große“ auf eine „kleine“ Schwestergesellschaft, eine „große“ Tochter in eine „kleine“ Mutter verschmolzen wird. Für alle Varianten ist evident, dass sich die Lage von Gläubigern der mit dem höheren Grundkapital ausgestatteten AG in Abhängigkeit von dem Ausmaß der Kapitalentsperrung mehr oder weniger signifikant verschlechtert16. (Auch) zur Kompensation solcher Wirkungen der Fusion geben die §§ 22 UmwG, 226 öAktG betroffenen Gläubigern einen Anspruch auf Sicherheitsleistung. Er kann erst nach Wirksamwerden der Verschmelzung geltend gemacht werden und setzt voraus, dass die fusionsbedingte Gefährdung der Forderung glaubhaft gemacht wird. Letzteres ist bei der Kapitalherabsetzung nicht erforderlich (§§ 178 öAktG, 225 dAktG). Wichtiger ist, dass an die Aktionäre nichts geleistet werden darf, bevor nicht Gläubiger, die sich innerhalb von 6 Monaten nach Bekanntmachung der Eintragung gemeldet haben, befriedigt oder sichergestellt worden sind. Damit wird gewährleistet, dass das Vermögen der fusionierten AG zunächst zugunsten ihrer Gläubiger einzusetzen ist. Im geschriebenen Verschmelzungsrecht gibt es keine dementsprechende Vor-
__________ 14 In Österreich ist die Rechtslage mit jener bei der AG identisch. In Deutschland kommt es auf das stammkapitalentsprechende Vermögen an. 15 K. Schmidt, ZGR 1993, 366, 367. Ich selbst habe in einem früheren Beitrag zwischen abstraktem und konkretem Gläubigerschutz differenziert (Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff.). 16 Ebenso etwa OGH, GesRZ 2000, 25, 30; OGH, ecolex 2005, 136 f. jeweils m. w. N. Seither Eckert, GeS 2006, 383, 387.
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schrift. Daher ist zu fragen, ob es sich dabei um eine abschließende Regelung handelt. 2. Die §§ 22 UmwG, 226 öAktG als abschließende Regelung? Nach in Österreich ganz h. A. ist die mit der Überschrift gestellte Frage zu verneinen17. Das ergibt sich aus entstehungsgeschichtlichen Erwägungen18, ferner daraus, dass § 224 Abs. 2 Z 1 öAktG das Unterbleiben der Aktiengewährung bei der side-stream Verschmelzung ausdrücklich davon abhängig macht, dass keine unzulässige Einlagenrückgewähr vorliegt. Hinzu kommt, dass Gesetze im Zweifel im Sinne von Wertungskonsistenz zu interpretieren sind. Für den verschmelzungsrechtlichen Gläubigerschutz (einschließlich der prekären Haftungsansprüche nach den §§ 227 ff. öAktG) bedeutet dies, dass die Entwicklung ihn ergänzender Regelungen zulässig sein muss, wenn und soweit ansonsten Wertungswidersprüche hingenommen werden müssten. Für das deutsche Recht ist der Meinungsstand sehr viel weniger eindeutig. So vertritt das OLG Stuttgart19 ausdrücklich die Ansicht, bei § 22 UmwG handle es sich (neben den §§ 152 Abs. 2, 3 Abs. 3 und den Sonderkonstellationen betreffenden Vorschriften im 7. und 8. Abschnitt) um eine abschließende Regelung. In der Literatur finden sich gleichsinnige Stellungnahmen20. Die Regierungsbegründung zu § 22 UmwG21 lässt sich dafür entgegen Rodewald (a. a. O.) nicht in Anspruch nehmen. Ganz im Gegenteil: Eben dieses Dokument bezieht für die Schwesterfusion mit Rücksicht auf den Kapitalschutz den Standpunkt, bei Fusion in eine Gesellschaft mit niedrigerem Grundkapital als jenes der übertragenden AG sei bei der übernehmenden Gesellschaft eine Kapitalerhöhung erforderlich22. Die Bedeutung dieser Äußerung ist umstritten. Immerhin zeigt sie, dass der Gesetzgeber selbst die Gläubigersicherung nach den §§ 22 ff. UmwG offenbar nicht als abschließende Regelung aufgefasst wissen wollte.
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17 S. z. B. OGH, GesRZ 2000, 25, 29; OGH, ecolex 2005, 136 f.; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung, 2004, S. 235 ff.; Justich, Kapitalerhaltung und Gläubigerschutz bei Verschmelzungen, 2005, S. 88 ff.; M. Doralt, Management Buyout, 2001, S. 204 ff.; Artmann in Jabornegg/Strasser (Hrsg.), AktG, 4. Aufl. 2004, § 52 AktG Rz. 22; Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss (Hrsg.), Kommentar zum Aktiengesetz, 2003, § 52 AktG Rz. 81 ff., jeweils m. w. N. der umfangreichen Aufsatzliteratur, seither Eckert GeS 2006, 383, 385. Zum gleichsinnigen Standpunkt des Verf. Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 335; skeptisch C. Nowotny, RWZ 2000, 97. 18 Ausführlich dazu Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 238 ff.; s. auch Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 335. 19 ZIP 2005, 2066, 2067; ebenso LG Leipzig, DB 2006, 885 mit insoweit zust. Anm. Scheunemann. 20 S. etwa Huber, Anteilsgewährspflicht im Umwandlungsrecht?, 2005, S. 484 ff.; Tillmann, GmbHR 2003, 740, 744 ff.; Rodewald, GmbHR 1997, 19, 21 (mit ausdrücklicher Ablehnung der Analogie zu § 225 dAktG). Gleiche Tendenz bei Vossius in Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, Loseblatt, § 22 UmwG Rz. 2 Fn. 2; Simon, Der Konzern 2004, 191, 195. Zur Gegenauffassung unten Fn. 48 und Text dazu. 21 Bei Ganske, Umwandlungsrecht, 2. Aufl. 1995, S. 77. 22 S. Ganske (Fn. 21), S. 114, 103. Offenbar nicht gesehen wurde, dass sich der zugrundeliegende Gedanke nicht auf die Schwesterfusion beschränken lässt.
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Zum Gläubigerschutz bei der Verschmelzung von AG
Auch im Übrigen sehe ich keinen Grund, das was sich in Österreich auf breiter Basis durchgesetzt hat, nicht auch nach deutschem Recht für richtig zu halten23. Das Gegenteil ergibt sich auch nicht aus einem von Huber24 argumentativ genutzten Systemunterschied. Er betont, dass der Sicherheitsleistungsanspruch nach § 22 UmwG auch dann gegeben sei, wenn eine Kapital- auf eine Personengesellschaft fusioniert werde. In einem solchen Fall würden die Gläubiger nicht gegen einen Kapitalabfluss geschützt. Bei der Verschmelzung nur unter Kapitalgesellschaften könne es daher nicht anders sein. Die Aussage, „persönliche Haftung ersetzt Kapitalbindung“, wird an anderer Stelle25 mit Rücksicht auf die Verschmelzung in eine GmbH & Co. KG mit minimalem Kommanditkapital als inhaltsleere Floskel charakterisiert. Nun erscheint es mir unhaltbar mit einem solchen Sonderfall eine so weittragende Konsequenz zu verbinden. Viel näher liegt es, auf die Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft in eine GmbH & Co. KG ohne natürliche Person als Komplementär die für die Fusion zweier GmbHs geltenden Regeln – sie sind (für die AG) noch auszuarbeiten – entsprechend anzuwenden. 3. Kapitalerhöhung? Gäbe es einen Rechtssatz des Inhalts, eine Verschmelzung sei nur zulässig, wenn dafür gesorgt werde, dass das Grundkapital der fusionierten Gesellschaft der Kapitalsumme der an dem Vorgang beteiligten AGs entspreche, dann – so scheint es – könnte die Fusion nicht kapitalreduzierend wirken. In Österreich wird der damit angesprochene Summengrundsatz allgemein abgelehnt26. Dabei spielt eine Rolle, dass die geltende Regelung der Verschmelzung den im Spaltungsrecht in der Tat verankerten Summengrundsatz bewusst nicht übernommen habe. Das ist ein Gesichtspunkt, der für das deutsche Recht nicht verwertbar ist. Einige Anhänger hat die, allerdings meistens als Alternative zur Kapitalherabsetzung konzipierte, Annahme gefunden, das Kapital der fusionierten müsse ebenso hoch wie das höchste der an der Maßnahme beteiligten Gesellschaften sein27. Geschützt werde nur das Vertrauen auf eine absolute Eigenkapitalziffer, nicht aber auf die Eigenkapitalquote. Es sei daher hinzunehmen, dass sich diese Quote verschlechtert. Diese Überlegung ist an sich richtig. Nur wird die
__________ 23 Jedenfalls im Ergebnis wie hier Petersen, Der Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, 2001, S. 195 f.; ders., Der Konzern 2004, 187, 189. 24 Huber (Fn. 20), S. 486. 25 Huber (Fn. 20), S. 483. 26 S. etwa Szep in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 224 AktG Rz. 11 ff.; Kalss, Handkommentar zur Verschmelzung, Spaltung, Umwandlung, 1997, § 223 AktG Rz. 10; dies. in Kalss/Schauer, Die Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, 2006, S. 638; Justich (Fn. 17), S. 104 ff.; Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 335 f.; Eckert, GeS 2006, 383, 385. 27 S. Justich (Fn. 17), S. 124 f.; Kalss in Kalss/Schauer (Fn. 26), S. 626 ff. (mit Korrektur für den Fall, dass das höhere Kapital nicht gedeckt ist); s. auch Eckert, GeS 2006, 383, 385.
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Kapitalerhöhung häufig daran scheitern, dass frisches „Geld“ oder in Eigenkapital transferierbare Eigenmittel nicht zur Verfügung stehen. Überdies könnte sie in Abhängigkeit von dem jeweiligen „Abfindungsbedarf“ zur grundsätzlich unerwünschten Entstehung eigener Aktien führen. Klar sollte außerdem sein, dass der diskutierte Grundsatz jedenfalls nicht zwingend ist. Denn das angestrebte Ergebnis – keine Entsperrung von Grundkapital – lässt sich auch auf andere Weise erreichen. Im deutschen Recht erfährt der Summengrundsatz eine gewisse Stütze durch die oben erwähnte Stellungnahme der Materialien zur Kapitalerhaltung bei der Schwesterverschmelzung. Sie wird von der Rechtsprechung im Grundsatz ernst genommen28. Allerdings hat sie sich nicht zum Ausmaß der im Einzelfall erforderlichen Kapitalerhöhung geäußert, den Summengrundsatz daher nicht bestätigt29. Dass es einen solchen Grundsatz als zwingende Regel auch im deutschen Recht nicht geben kann, zeigt sich an der Verschmelzung einer 100 %igen Tochter in die Muttergesellschaft. In einem solchen Fall30 darf keine fusionskonnexe Kapitalerhöhung stattfinden (§ 68 Abs. 1 Z 1 UmwG). Das verdeutlicht, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Kapitalerhöhung (Anteilsgewähr) und Gläubigerschutz gibt31. Das schließt es nicht aus, das Kapital der übertragenden Gesellschaft vor Abschluss des Verschmelzungsvertrages nach dem Vorbild der vorher für Österreich diskutierten Hypothese zu erhöhen. Die Gegenauffassung von Petersen32 (Summengrundsatz), der sich hauptsächlich auf die erwähnte Äußerung der Materialien stützt ist, ohne dass hier auf Einzelheiten eingegangen werden könnte, durchgreifend kritisiert worden33. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass sich die deutsche und die österreichische Rechtslage nicht unterscheiden. Weder ist der Summengrundsatz anzuerkennen, noch gibt es ein zwingendes Prinzip des Inhalts,
__________ 28 OLG Frankfurt, ZIP 1998, 1191, 1192; KG, GmbHR 1998, 1230, 1231; OLG Hamm, GmbHR 2004, 1533, 1534 mit krit. Anm. Mildner; früher schon BayOLG, DB 1989, 1558, 1559; ebenso Lutter/Drygala in Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 5 UmwG Rz. 95. 29 Näher dazu etwa Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 20), § 22 UmwG Rz. 41 ff. mit überzeugender Kritik des Summengrundsatzes auch bei der Schwesternverschmelzung; gleichsinnig Marsch-Barner in Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, 3. Aufl. 2006, § 68 UmwG Rz. 15; M. Winter in Lutter (Fn. 28), § 54 UmwG Rz. 18 ff.; Diekmann in Semler/Stengel, Umwandlungsgesetz, 2003, § 68 UmwG Rz. 19; Lutter in FS Wiedemann, 2002, S. 1097, 1102 ff. 30 Eben diese Situation lässt sich im Kontext der Verschmelzung unter 100 %igen Tochtergesellschaften leicht verwirklichen. Es braucht nur für den Transfer der an S1 gehaltenen Anteile auf S2 (oder umgekehrt) gesorgt werden. Das spricht dafür, dass die Schwesterfusion bei im Übrigen gleichen Ausgangsgegebenheiten ohne Kapitalerhöhung auch dann zulässig ist, wenn die Beteiligungsverhältnisse nicht vorher neu geordnet werden. Wie hier z. B. Winter in Lutter (Fn. 28), § 54 UmwG Rz. 18. 31 Dazu namentlich Huber (Fn. 20), S. 101 ff., 278 ff., 479 ff. 32 Petersen (Fn. 23), S. 189 ff.; ders., GmbHR 2004, 728; ders., Der Konzern 2004, 185; s. auch Priester, DNotZ 1995, 427, 441. 33 S. namentlich Maier-Reimer, GmbHR 2004, 1128, 1129 ff.; ferner Winter in Lutter (Fn. 28), § 54 UmwG Rz. 21a; Simon, Der Konzern 2004, 191, 192 ff.; zuletzt Klein/ Stephanblome, ZGR 2007, 351, 360 ff.
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Zum Gläubigerschutz bei der Verschmelzung von AG
das Kapital der fusionierten AG müsse mindestens so hoch sein wie das höchste der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften. 4. Gläubigerschutz durch Rücklagenbildung? In Österreich ist umfänglich darüber diskutiert worden, ob der kapitalherabsetzende Effekt einer Verschmelzung durch Zuweisung eines entsprechenden Betrags in die gebundene Kapitalrücklage (§ 229 UGB34) zu kompensieren ist35. Diese Frage wird – bei hier zu unterstellendem Unterbleiben einer Kapitalerhöhung – ganz überwiegend verneint36. Reich-Rohrwig meint demgegenüber, § 229 Abs. 2 Z 4 UBG (im Rahmen vereinfachter Kapitalherabsetzung gebundene Beträge37) sei entsprechend anzuwenden38. Indessen steht diese Regel in ganz eindeutigem teleologischen Zusammenhang mit der Sanierungsfunktion der vereinfachten Kapitalherabsetzung. Wenn dieser Gesichtspunkt wie hier, keine Rolle spielt, dann kommen als Analogiegrundlagen nur gläubigerschutzbezogene Regeln bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung in Betracht. Im deutschen Recht ist die Rechtslage nach derzeitigem Erörterungsstand nicht eindeutig. Teilweise wird angenommen, der Verschmelzungsgewinn sei erfolgswirksam39. Andere meinen er müsse in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB40 oder sogar nach Nr. 141 eingestellt werden. Ich meine, dass jedenfalls die letztgenannte Auffassung nicht zutrifft. Abs. 2 Z 1 zielt auf das Agio bei der Ausgabe von Anteilen. Für die hier interessierende Sachverhaltskonstellation42 fehlt es zumindest an Letzterem. Abs. 2 Z 4 setzt voraus, dass die Leistung der Stärkung des Eigenkapitals dienen soll. Das trifft hier nicht zu. Außerdem handelt es sich bei Rücklagen nach dieser Bestimmung nicht um gebundene i. S. v. § 150 Abs. 2 und 3 HGB. Auch wenn diese Bestimmungen anwendbar wären, könnten sie den Kapitalherabsetzungseffekt der hier betrachteten Verschmelzungsvariante wegen möglicher Verwendung zur Kompensation eines Jahresfehlbetrages/Verlustvortrags nicht neutralisieren.
__________ 34 Das HGB ist in Österreich mit Wirkung vom 1.1.2007 durch das UGB ersetzt worden. 35 S. den Literaturbericht bei Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 249 ff.; auch Justich (Fn. 17), S. 117 f. 36 S. z. B. Kalss (Fn. 26), § 223 AktG Rz. 10, Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 95; Szep in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 224 AktG Rz. 13; G. Nowotny, ecolex 2000, 722, 723; Damböck/Hecht, RdW 2000, 1, 4 f.; C. Nowotny, RWZ 2000, 97, 98; Eckert, GeS 2006, 383, 388; Fellner, NZ 2000, 225, 228; Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 336 (dort auch zur Unanwendbarkeit der Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UBG, dazu etwa auch Eckert, GeS 2006, 383, 389 ff.; Christiner, RWZ 2004, 193, 195, 196 f.) m. w. N. 37 Zu Parallelregelungen in Deutschland Hüttemann in Ulmer (Hrsg.), HGB-Bilanzrecht, 2002, § 272 Rz. 45. 38 Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 260 ff. 39 W. Müller in Kallmeyer (Fn. 29), § 24 UmwG Rz. 48, 39. 40 Nachweise bei W. Müller in Kallmeyer (Fn. 29), § 24 UmwG Rz. 48, 39. 41 So Priester in Lutter (Fn. 29), § 24 UmwG Rz. 71. 42 Oben II. 1.
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5. Entsprechende Anwendung der §§ 178 öAktG, 225 dAktG? Beide in der Überschrift zitierten Bestimmungen sehen vor, dass nicht schon anderweitig gesicherte Gläubiger einen Sicherheitsleistungsanspruch für nicht fällige Forderungen haben, sofern sie sich binnen sechs Monaten nach Bekanntmachung der Eintragung der Verschmelzung zu diesem Zweck melden. Vorher dürfen kapitalherabsetzungsbedingte Gewinne nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden. In Österreich wird im Anschluss an die gleiches besagende Judikatur des OGH43 angenommen, diese Regelung sei auf den durch die Verschmelzung einer „großen“ in eine „kleine“ AG entstehenden Verschmelzungsgewinn analog anzuwenden44. Andere45 wollen die Gläubigersicherung bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung bemühen. Das kann ich, wie dargelegt, nicht für überzeugend halten. Aus den Materialien zum Aktiengesetz 1937 ergibt sich, dass die Gläubiger der an einer Verschmelzung beteiligten Gesellschaft nicht schlechter gestellt werden sollten als bei einer Kapitalherabsetzung46. Aus den amtlichen Begründungen der Novellen, die schließlich zu § 226 AktG geführt haben ergibt sich nirgends, dass an diesem Grundprinzip etwas geändert werden sollte47. Entsprechend ergänzt ist § 226 AktG zu lesen. Das vorstehende Argument ist auch für das deutsche Recht aussagekräftig. Auch dort fehlen Hinweise, dass der Gesetzgeber den Kapitalschutz bei der verschmelzungsbedingten Kapitalentsperrung bewusst und systemwidrig im Verhältnis zur ordentlichen Kapitalherabsetzung vernachlässigen wollte. Daraus, dass dieser Gesichtspunkt in den Materialien zum Umwandlungsgesetz nur für die Schwesternverschmelzung erwähnt und rechtstechnisch durch eine Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft berücksichtigt werden sollte, ergibt sich kein Gegenargument. Das Kapitalerhaltungsproblem stellt sich generell, also unabhängig von der Verschmelzungsrichtung. Zu seiner Lösung ist die Kapitalerhöhung jedenfalls nicht in allen Fällen geeignet, z. B. dann nicht, wenn eine AG mit höherem Grundkapital als jenem ihrer 100 %igen Tochter in diese verschmolzen wird. Unter diesen Umständen ist die amtliche Begründung des Umwandlungsgesetzes als Ausdruck des Willens aufzufassen, die Entsperrung von Kapital zu verhindern. Dass man sich bei der Realisierung dieser Absicht rechtstechnisch vergriffen hat, ist demgegenüber letzten Endes bedeutungslos. Es überrascht daher nicht, dass die
__________ 43 S. oben Fn. 4. 44 Vgl. etwa Damböck/Hecht, RdW 2000, 1, 5 f.; G. Nowotny, ecolex 2000, 722, 724 f.; Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 336 f. 45 Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 256 ff.; C. Nowotny, RWZ 2000, 97, 98 f.; Justich (Fn. 17), S. 126. 46 S. Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien nebst Einführungsgesetz und „Amtlicher Begründung“, 1937, S. 210. 47 Vgl. Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 242 ff.
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entsprechende Anwendung von § 225 Abs. 2 AktG auch in Deutschland vertreten wird48, wenn sie sich dort auch keineswegs mit der h. M. deckt. Die Frage hängt auf das Engste mit der schon diskutierten anderen zusammen, ob es sich bei § 22 UmwG um eine abschließende Regelung des Gläubigerschutzes handelt. Das ist zu verneinen49. Unter diesen Umständen kann das Vorhandensein einer Gesetzeslücke nur mit anderweitiger Gläubigersicherung bestritten werden. Darauf beruft sich vor allem Petersen. Indes ist der von ihm propagierte Summengrundsatz abzulehnen und zwar auch in der abgemilderten Variante des Postulats, das Kapital der fusionierten Gesellschaft müsse mindestens dem höchsten der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger entsprechen50. Auch andere zwingende Regeln zum Schutz der Gläubiger gegen die Risiken einer verschmelzungsbedingten Kapitalherabsetzung gibt es nicht. Schließlich bleibt zu bedenken, dass sich die Maßstäbe für Feststellung und Ausfüllung einer Lücke bekanntlich im Wesentlichen entsprechen. § 225 Abs. 2 AktG reagiert auf eine Interessenlage, die exakt der Entsperrung von Kapital als Verschmelzungsfolge entspricht. Das liefert eine sichere Grundlage der Analogie. Sie greift selbstverständlich nicht Platz, wenn die Beteiligten dafür sorgen, dass die hier interessierende Kapitalreduktion auf andere Weise neutralisiert wird. Das kann durch Kapitalherabsetzung bei der übertragenden oder Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft geschehen. Dagegen dürfte die Auffüllung gebundener Rücklagen im Wege eines Gesellschafterzuschusses aus dem mitgeteilten Grunde selbst dann nicht ausreichen, wenn man dies, was sehr zweifelhaft ist, für zulässig halten würde.
III. Verdeckte Einlagenrückgewähr 1. Verschmelzung down-stream In dieser Konstellation kommt es, namentlich beim Leveraged Buy out, nicht selten vor, dass die auf die übernehmende Tochter übergehenden Schulden sehr erheblich höher liegen als das damit einhergehende Aktivvermögen. In Österreich wird daher ganz überwiegend angenommen, es liege – jedenfalls bei Fehlen einer betrieblichen Rechtfertigung oder kompensierender Maßnah-
__________ 48 S. Maier-Reimer in Semler/Stengel (Fn. 29), § 22 UmwG Rz. 22, der allerdings konkrete Gläubigergefährdung verlangt; Naraschewski, GmbHR 1998, 356, 360; Ihrig, ZHR 160 (1996), 317, 337; s. auch Heckschen, DB 1998, 1385, 1389; M. Winter in Lutter (Fn. 28), § 54 UmwG Rz. 18, zurückhaltend Maier-Reimer, GmbHR 2004, 1128, 1131; dagegen etwa Grunewald in Lutter (Fn. 28), § 22 UmwG Rz. 24; Petersen (Fn. 23), S. 196 ff.; ders., Der Konzern 2004, 185, 189; ferner alle, die § 22 UmwG als abschließende Regelung auffassen (Nachw. in Fn. 20), ausdrücklich z. B. Rodewald, GmbHR 1997, 19, 21; Tillmann, GmbHR 2003, 740, 745; Huber (Fn. 20), S. 485 f. 49 S. oben II. 2. 50 Dazu oben II. 2.
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men – eine verdeckte Einlagenrückgewähr vor51. Verschmelzungsvertrag und Verschmelzungsbeschluss seien daher nichtig52. Der Firmenbuchrichter darf die Verschmelzung nicht eintragen. Die Beurteilung der Rechtslage in Deutschland ist nicht ganz so eindeutig. Meist wird zwar ebenso votiert wie das nach ganz h. M. in Österreich zutrifft53. Doch gibt es neuerdings auch gegenteilige Stimmen54. Das wird zum Teil damit begründet, die Übernahme des Schuldenüberhangs sei schon keine „Leistung“ der Gesellschafter an Gesellschafter. Das halte ich für klar unzutreffend. Deutlich wird dies (für die AG) schon am Vergleich mit der Übernahme von Verbindlichkeiten eines Gesellschafters, die bei Fehlen einer wertäquivalenten Kompensation einen klaren Fall der Einlagenrückgewähr darstellt55. Ein weiteres Argument lautet, die übernehmende Tochtergesellschaft erhalte in Form von stillen Reserven im Aktivvermögen der übertragenden Gesellschaft und insbesondere des Firmenwerts (beim LBO) einen entsprechenden Gegenwert. Das Vorhandensein stiller Reserven ist aber keineswegs gesichert. Für die Aktivierung des Firmenwerts wird geltend gemacht, es handle sich um eine am Markt bestätigte Größe. Das Argument ist zunächst von vorneherein gegenstandslos, wenn der Schuldenüberhang nicht von einer mittels LBO er-
__________ 51 S. etwa OGH, GesRZ 2000, 25, 26 ff.; Kalss (Fn. 26), § 224 AktG Rz. 9; Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 83; ders., AnwBl 2001, 78 f.; Artmann in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 21; M. Doralt (Fn. 17), S. 213 ff.; Justich (Fn. 17), S. 151 f.; Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 272 ff.; Hügel, Umgründungsbilanzen, 1997, S. 50; Damböck/Hecht, RdW 2000, 1, 2; Fellner, NZ 2000, 225, 227, je m. w. N. Zum gleichsinnigen Standpunkt des Verf. Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 338. Umstritten ist, ob Leistungsempfänger die übertragende Mutter-AG oder deren Aktionäre sind. Das soll hier nicht weiter verfolgt werden. Bemerkt sei nur, dass die erstgenannte Alternative nicht am fusionsbedingten Untergang der übertragenden Gesellschaft scheitert. Denn im Zeitpunkt des Verschmelzungsvertrags/des Beschlusses ist dieser Effekt noch nicht eingetreten (s. M. Doralt [Fn. 17], S. 213 ff. m. w. N.; a. A. Wassermeyer, Der Konzern 2005, 424, 426). 52 Zur Nichtigkeit als Konsequenz verdeckter Einlagenrückgewähr im Verschmelzungsvertrag nur Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 158 ff.; Artmann in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 72, Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 106. 53 S. etwa Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 20), § 5 UmwG Rz. 40.1; Priester in Lutter (Fn. 28), § 24 UmwG Rz. 62; Haritz in Semler/Stengel (Fn. 29), § 24 UmwG Rz. 48 ff.; Louven/Weng, BB 2006, 619, 623; tendenziell auch Müller in Kallmeyer (Fn. 29), § 24 UmwG Rz. 40; w.N. bei Bock, GmbHR 2005, 1023, 1024 Fn. 3. Die zitierte Literatur behandelt meistens nur den Fall, dass das Vermögen einer Tochter-GmbH unter die Stammkapitalziffer absinkt. Das ist wegen § 30 GmbHG dort auch die korrekte Perspektive. Warum im Kontext des § 57 AktG nicht jede verdeckte Einlagenrückgewähr ausreichen sollte (vgl. Mayer, a. a. O., der dies als fraglich bezeichnet), bleibt offen. Indessen kann die Frage m. E. nur bejaht werden. 54 S. Bock, GmbHR 2005, 1023, 1025 ff.; Enneking/Heckschen, DB 2006, 1099, 1100 ff. Zur Frage, ob steuerlich eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt (verneinend) Wassermeyer, Der Konzern 2005, 424, 426 ff. 55 Zur Begründung von Verbindlichkeiten im Interesse eines Gesellschafters s. Habersack in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 30 GmbHG Rz. 77 m. w. N.; ferner M. Doralt (Fn. 17), S. 230; Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 338. Dass der Gesellschafter, also die übertragende AG untergeht, spielt keine Rolle (Fn. 51).
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werbenden Gesellschaft stammt. Für die anderen Fälle gibt den Ausschlag, dass ein mit der Beteiligung der übertragenden an der übernehmenden Gesellschaft zusammenhängender Firmenwert bei der letztgenannten von vornherein nicht aktivierungsfähig ist56. Denkbar, hier allerdings nicht abschließend klärungsfähig, ist, dass die hier allein interessierende Verschmelzung in eine 100 %ige Tochter-AG zum Erwerb eigener Aktien führt, weil die Gesellschafter der übertragenden AG nur nach Maßgabe der relativen Unternehmenswerte abzufinden sind57. Selbst, wenn das zutreffen würde, ist der Gegenwert wegen § 272 Abs. 4 HGB keinesfalls geeignet, die verdeckte Einlagenrückgewähr (teilweise) zu neutralisieren58. 2. Verschmelzung up-stream In der österreichischen Literatur gibt es eine starke Tendenz, die aus verdeckter Einlagenrückgewähr bei der down-stream Verschmelzung resultierende Nichtigkeit von Verschmelzungsvertrag und -beschluss auch dann für richtig zu halten, wenn die Verschmelzungsrichtung umgekehrt wird59. Das begründet man mit der wirtschaftlichen Identität des Ergebnisses beider Vorgänge aus Gläubigersicht, ferner damit, dass es schließlich die Muttergesellschaft sei, die über die Verschmelzungsrichtung entscheidet. Noch weitergehend wird angenommen, der Übergang des Vermögens der Tochter auf die Mutter sei als verbotene Leistung zu qualifizieren. Letzteres kann wohl kaum zutreffen, weil die up-stream Fusion jedenfalls dann für unbedenklich gehalten wird, wenn die übernehmende Gesellschaft nach Abzug des Beteiligungsansatzes noch werthaltig ist60. Die anderen Argumente sind zwar plausibel, vermögen aber nichts daran zu ändern, dass eine verdeckte Einlagenrückgewähr nach hier vertretener Auffassung nun einmal nicht vorliegt61. In Deutschland ist die wiedergegebene Auffassung, soweit ersichtlich, auch nicht vertreten worden.
__________ 56 Ausführlich dazu M. Doralt (Fn. 17), S. 220 ff., 229 f.; zustimmend Saurer in Doralt/ Nowotny/Kalss (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 83; im Ergebnis wie hier Klein/Stephanblome (Fn. 33), 376 ff. 57 Vgl. Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 338; Fellner, NZ 2000, 225, 227; Saurer, AnwBl 2001, 78, 79; anders etwa Marsch-Barner in Kallmeyer (Fn. 29), § 5 UmwG Rz. 71 m. w. N.; s. demgegenüber Klein/Stephanblome (Fn. 33), 371 ff. 58 S. Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 338; zustimmend z. B. M. Doralt (Fn. 17), S. 226 ff. 59 Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 277 ff.; Kalss (Fn. 26), § 224 AktG Rz. 9; M. Doralt (Fn. 17), S. 257 ff., anders Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 339; Artmann in Jabornegg/ Strasser (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 21; Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 88. 60 Der Begriff der verdeckten Einlagerückgewähr hat mit der Vermögenslage des Empfängers nichts zu tun. Der Normzweck von § 57 AktG – Gläubigerschutz – wird allerdings nicht tangiert, wenn die Gläubiger, wie hier, im Ergebnis keinen Nachteil hinnehmen müssen. Daraus ließe sich eventuell ein Argument für die Gegenthese entwickeln. 61 Wie hier etwa Szep in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 224 AktG Rz. 17; Fellner, NZ 2000, 225, 229.
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3. Verschmelzung side-stream Zweifelhaft ist, ob bei der Verschmelzung zweier Schwestergesellschaften eine verdeckte Einlagenrückgewähr angenommen werden muss, wenn die übertragende AG (real) überschuldet ist und keine betriebliche Rechtfertigung oder kompensierende Begleitmaßnahmen vorliegen62. Zwar ließe sich der Vorgang als mittelbare Leistung der übernehmenden Gesellschaft an den gemeinsamen Aktionär interpretieren. Aber im Ergebnis erhält dieser nichts. Denn der Beteiligungswert der übernehmenden AG reduziert sich im Ausmaß des von der übertragenden Gesellschaft übernommen Schuldenüberhangs. Sollte die verbotene Einlagenrückgewähr, was hier nicht diskutiert werden soll, eine zumindest mittelbare Begünstigung des Gesellschafters voraussetzen63, dann würde das Verbot nicht eingreifen. Für die Gegenthese spricht allerdings der Normzweck von § 57. Demnach ist nur erheblich, was die Gesellschaft einbüßt, nicht, was davon beim Aktionär ankommt. Für das deutsche Recht hat das OLG Frankfurt64 für die Schwesternverschmelzung angenommen, die übertragende AG müsse über ein werthaltiges Vermögen verfügen. Das wurde aber nicht mit dem Verbot der Einlagenrückgewähr, sondern damit begründet, bei der übernehmenden Gesellschaft sei eine Kapitalerhöhung erforderlich65. In der Literatur ist § 57 AktG (auch § 30 GmbHG), soweit ersichtlich, im hier interessierenden Zusammenhang nicht erörtert worden, indes zu Unrecht. Denn dass eine unzulässige Einlagenrückgewähr eine Bevorteilung des Gesellschafters voraussetzt, kann keineswegs als feststehendes Axiom gelten.
IV. Sittenwidrige Gläubigerschädigung Wenn eine „gesunde“ Tochter in eine „kranke“ Mutter verschmolzen wird, dann kann dies leicht dazu führen, dass die fusionierte Gesellschaft nicht mehr imstande ist, sämtliche ihrer Verbindlichkeiten zu erfüllen. Auch die Realisierung des Sicherheitsleistungsanspruchs ist dann massiv gefährdet. In der umgekehrten Konstellation gilt dasselbe wie auch bei der Fusionierung einer überschuldeten (nicht zahlungsfähigen) Gesellschaft in ihre (noch) leistungsfähige Schwester. Für alle Fälle ist die Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen der jeweils „gesunden“ Gesellschaft evident.
__________ 62 So im Ergebnis OLG Wien, GeS 2005, 276, 280; ebenso oder ähnlich etwa Kalss (Fn. 26), § 223 AktG Rz. 10; Hügel (Fn. 51), S. 54 f., 91 f.; Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 287 f.; Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 92, 94; Artmann in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 21; anders (tendenziell) Kalss (Fn. 26), § 224 AktG Rz. 9; G. Nowotny (Fn. 36), S. 117. 63 So z. B. Habersack in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 55), § 30 GmbHG Rz. 85. Bei Hüffer, Aktiengesetz, 7. Aufl. 2006, § 57 AktG Rz. 2 (m. w. N.) ist demgegenüber nur von wertmäßiger Beeinträchtigung des Gesellschaftsvermögens die Rede. 64 ZIP 1998, 1191, 1192. 65 Dazu schon oben II. 3.
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Aus diesem Befund ist in Österreich geschlossen worden, Verschmelzungsverträge/-beschlüsse seien unter den vorbezeichneten Umständen wegen sittenwidriger Gläubigerbenachteiligung nichtig (§ 879 ABGB)66. Das halte ich nach wie vor für richtig. Zum deutschen Recht habe ich kaum einschlägige Stellungnahmen gefunden67. Selbst diese leiten die Unzulässigkeit der Verschmelzung (auf eine natürliche Person) aus der Überschuldung entweder der übertragenden oder des übernehmenden Rechtsträgers ab, weichen insofern also von dem nach h. M. zum österreichischen Recht ausschlaggebenden Kriterium ab, also der Unfähigkeit der fusionierten Gesellschaft, ihre Schulden zu decken. Zu beachten ist auch, dass den zitierten Überlegungen zu § 120 UmwG nichts Entsprechendes bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, insbesondere von AGs gegenübersteht. Fraglich ist, was aus diesem Befund zu folgern ist. Er könnte darauf hindeuten, dass es zwischen deutschem und österreichischem Umgründungsrecht doch einen einschlägigen Systemunterschied gibt. Ich kann einen solchen freilich nicht sehen, meine daher, dass die „österreichische Lösung“ über § 138 BGB komplikationslos in Deutschland übernommen werden könnte und sollte. Bei Eingreifen der Bestimmung darf die Verschmelzung nicht eingetragen werden68.
V. Schlussbemerkung Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass die eingangs zitierten Fälle des OLG Stuttgart und des LG Leipzig falsch entschieden wurden69. Der
__________ 66 OGH, GesRZ 2003, 287, 289; Szep in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 224 AktG Rz. 9 f.; Artmann, ebenda, § 52 AktG Rz. 21; Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 283 ff.; G. Nowotny (Fn. 36), S. 118; Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 339 f. Zurückhaltender M. Doralt (Fn. 17), S. 276: „kein befriedigender Schutz“ (daher ihre Stellungnahme zu verdeckter Einlagenrückgewähr auch bei der upstream-Verschmelzung, s. Fn. 59), dem zustimmend Saurer in Jabornegg/Strasser (Fn. 17), § 52 AktG Rz. 90; ablehnend Damböck/Hecht, RdW 2000, 1, 3. 67 Vgl. aber immerhin Karollus in Lutter (Fn. 28), § 120 UmwG Rz. 19a, 28; MaierReimer in Semler/Stengel (Fn. 29), § 120 UmwG Rz. 26 (anders für den übertragenden Rechtsträger, a. a. O., Rz. 13); Hohenstatt/Seibt, ZIP 2006, 546, 550 erwägen Rechtsmissbrauch, wenn der übernehmende Rechtsträger kein zur Schuldendeckung ausreichendes Vermögen hat. 68 Der Registerrichter hat die Wirksamkeit von Verschmelzungsvertrag und -beschluss nicht nur formell, sonder auch materiell zu prüfen. Die Schluss-/Jahresbilanz der übertragenden Gesellschaft liegt ihm vor. Ist sie demnach überschuldet, muss der Richter davon überzeugt werden, dass keine reale Überschuldung vorliegt, oder dass die übernehmende AG trotz Fusion zur Schuldendeckung imstande ist. Bei Verdachtsgründen dafür, die übernehmende Gesellschaft sei überschuldet (oder zahlungsunfähig), ist dem weiter nachzugehen. Ihre Bilanz gehört zu den Handelsregisterakten. Zum Ganzen Reich-Rohrwig (Fn. 17), S. 340 ff. 69 Auch das Urteil des OLG München, Der Konzern 2006, 137 (und das BGH, ZIP 2007, 1104) dürfte nicht zutreffen. Es ist von Thoß (NZG 2006, 376) und Wälzholz (AG 2006, 469) m. E. überzeugend kritisiert worden; ebenso z. B. auch M. Winter in Lutter (Fn. 28), § 55 UmwG Rz. 10, alle m. w. N.
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von § 22 UmwG gewährte Gläubigerschutz versagt, wenn der nach Verschmelzung zur Aufnahme übrig bleibende Rechtsträger überschuldet ist. Folglich hat die Fusion zu unterbleiben. Es ist kaum vorstellbar, dass eine Rechtsordnung, die sich in Form ausgefeilter Regeln zu Kapitalaufbringung und -erhaltung, sowie entsprechender Vorschriften bei der Einzelrechtsnachfolge um umfassende Gläubigersicherung bemüht, das Gegenteil für richtig halten könnte70.
__________ 70 Genauer dazu Koppensteiner, wbl 1999, 333 ff., 339, 340 f.; zustimmend etwa OGH, GesRZ 2003, 287, 289.
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Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern in Gesellschaft und Konzern Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Beraterverträge zwischen Aufsichtsratsmitglied und AG 1. Zustimmungsfähige Beraterverträge a) Organschaftliche Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds b) Abgrenzung c) Anforderungen an den Beratervertrag 2. Nicht-zustimmungsfähige Beraterverträge III. Beratervertrag zwischen Aufsichtsratsmitglied und GmbH 1. Fakultativer Aufsichtsrat 2. Pflicht-Aufsichtsrat IV. Erweiterung des Personenkreises: Beratervertrag zwischen AG und anderer Gesellschaft 1. Hundertprozentige Beteiligung des Aufsichtsratsmitglieds an dieser Gesellschaft a) Entsprechende Anwendung der Vorschriften b) Auswirkung auf Beraterverträge 2. Geringere Beteiligung des Aufsichtsratsmitglieds an dieser Gesellschaft 3. Aufsichtsratsmitglied als Geschäftsführer einer solchen Gesellschaft V. Erweiterung der Regeln im Konzern: Beratervertrag zwischen Aufsichtsratsmitglied und einer anderen Konzerngesellschaft 1. Beratervertrag mit Tochtergesellschaft
a) Entsprechende Anwendung der Vorschriften b) Auswirkung auf Beraterverträge 2. Beraterverträge mit Enkelgesellschaften 3. Beratervertrag des Aufsichtsrats der Tochter mit der Muttergesellschaft 4. Ergebnis VI. Der Rückforderungsanspruch nach § 114 Abs. 2 AktG 1. Rechtlicher Charakter des Rückforderungsanspruchs 2. Anwendbarkeit a) Grundkonstellation: Nichtigkeit wegen fehlender Zustimmung, § 114 Abs. 1 AktG b) Nichtigkeit nach §§ 113 AktG, 134 BGB c) Erweiterung des Personenkreises aa) Rückforderungsanspruch gegen die Gesellschaft als Vertragspartner bb) Rückforderungsanspruch gegen das Aufsichtsratsmitglied d) Erweiterung im Konzern 3. Haftung des Vorstands nach § 93 AktG bei Nicht-Geltendmachung des Rückgewähranspruchs 4. Verjährung des Rückgewähranspruchs 5. Verzichts- und Vergleichsverbot
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I. Einleitung 1. Beraterverträge von Aufsichtsratsmitgliedern mit „ihrer“ Gesellschaft sind weit verbreitet1, bilden für das jeweilige Aufsichtsratsmitglied aber ein nicht unerhebliches Konfliktpotential in der Wahrnehmung seiner Überwachungstätigkeiten gegenüber dem Vorstand2, der gem. § 78 AktG für die Gesellschaft den Beratervertrag abschließt. Dies gilt auch bei Verträgen, die zwischen Aufsichtsratsmitgliedern einer Gesellschaft und einer anderen Gesellschaft des Konzerns geschlossen werden. Dabei kommt diesen Fragestellungen angesichts einer immer stärkeren Unternehmenskonzentration vermehrt Bedeutung zu3. 2. Der Bundesgerichtshof hatte sich seit seiner Grundsatz-Entscheidung vom 25.3.19914 wiederholt mit solchen Beraterverträgen zu beschäftigen, zuletzt in den drei Entscheidungen vom 3.7.20065, vom 20.11.20066 und vom 2.4.20076a . Ging es dabei zunächst um die Abgrenzung zwischen Aufsichtsratstätigkeit und Aufsichtsratspflichten einerseits und dem Gegenstand von Beraterverträgen „außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat“ andererseits, so geht es jetzt um eine etwaige „Verlängerung“ dieser Regel in den Bereich verbundener Unternehmen. 3. Das Gesetz akzeptiert solche Verträge „außerhalb der Tätigkeit im Aufsichtsrat“, verlangt zu ihrer Gültigkeit aber die Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats7, die auch nicht auf einen Ausschuss zur Entscheidung übertragen werden kann, § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG. Dieses Zustimmungserfordernis ist neu in das AktG von 1965 eingefügt worden und zwar erst im Laufe der Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages. Mit ihr sollten „sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen der Gesellschaft unterbunden“ und „eine unsachliche Beeinflussung eines Aufsichtsratsmitglieds im Sinne des Vorstands verhindert werden“8. Mit diesen durchaus modernen Mitteln der Offenlegung und des Begründungszwangs sollen Scheinverträge verhindert und die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Vorstand gewährleistet werden. Hinzu kommt, wie der Bundes-
__________ 1 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance 2001, Rz. 265. Zu den berechtigten Zweifeln, ob das auch stets guter Corporate Governance entspricht, vgl. Peltzer, ZIP 2007, 305 ff. Zu Besonderheiten der anwaltlichen Beraterverträge s. Happ in FS Priester, 2007, S. 175 ff. 2 Vgl. Vetter, AG 2006, 173 und Peltzer, ZIP 2007, 305 ff. 3 Es wird davon ausgegangen, dass mittlerweile 3/4 der Aktiengesellschaften mit 90 % des Kapitals und die Hälfte der GmbH in Konzerne eingebunden sind. S. Emmerich/ Habersack, Konzernrecht, 8. Aufl. 2005, § 1 II 1. 4 Az.: II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 und dazu Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87. 5 Az.: II ZR 151/04, ZIP 2006, 1529–1534. 6 Az.: II ZR 279/05, ZIP 2007, 22–24. 6a Az.: II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 = AG 2007, 484. 7 Das betreffende Mitglied ist durch seinen Interessenkonflikt dort sowohl an der Mitberatung wie der Mitentscheidung gehindert, vgl. Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff. und Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 766 ff. 8 Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 158.
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gerichtshof richtig erkannt hat9, die Wahrung der Rechte und der Zuständigkeit der Hauptversammlung. Denn sie allein bestimmt nach § 113 AktG über das Ob und Wie einer Vergütung des Aufsichtsrats im weitesten Sinne, nicht der Vorstand10. Denn ein Vergütungsanspruch kraft Gesetzes besteht bei dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Gesellschaft11 nicht, so dass eine Vergütung nur durch Festlegung in der Satzung oder Beschluss der Hauptversammlung bewilligt werden kann, § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG. Erfolgt eine solche Festsetzung nicht, so ist die Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds unentgeltlich12. Und schließlich will die gesetzliche Regelung potentielle Interessenkonflikte von vornherein vermeiden13 und die Funktionsfähigkeit des dualen Verwaltungssystems in der AG erhalten14. Durch die zwingende präventive Kontrolle im Rahmen des § 114 AktG, ob der betreffende Vertrag tatsächlich zu einer zusätzlichen Leistungserbringung führt und keine unzulässige Sondervergütung für die Aufsichtsratstätigkeit darstellt sowie die damit einhergehende Transparenz wird eine Verstärkung der oben genannten Schutzzwecke erreicht15. 4. Das Gesetz spricht in § 114 Abs. 1 AktG von einem Vertrag des Aufsichtsratsmitglieds mit „der Gesellschaft“, denkt hier wie vielerorts also nicht an den Konzern16. Hier ist also zu fragen, ob die soeben dargestellten Regeln in den Konzern hinein verlängert werden müssen. Davon vor allem soll hier die Rede sein.
__________ 9 BGH, ZIP 2006, 1529, 1530; BGH, ZIP 2007, 22, 23. 10 BGH, ZIP 2006, 1529, 1530; BGH, ZIP 2007, 22, 23. 11 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 712; Jaeger, Der Aufsichtsrat, in Nirk/Ziemons/Binnewies, Handbuch der Aktiengesellschaft, Loseblatt Stand September 2006, Rz. I 9.274. Für ein Dienstverhältnis: Säcker, NJW 1979, 1521, 1525; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 101 AktG Rz. 2; noch anders: Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, 11. Aufl. 2000, S. 337, die den Abschluss eines zusätzlichen Anstellungsvertrages annehmen. 12 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 712; Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 113 AktG Rz. 1; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 113 AktG Rz. 9; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 113 AktG Rz. 25; Jaeger in Nirk/ Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.274; Hüffer (Fn. 11), § 113 AktG Rz. 2; Geßler/ Käpplinger, Aktiengesetz, Loseblatt Stand 2003, § 113 AktG Rz. 1; vgl. auch Robert Fischer, BB 1967, 859–862. 13 Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 1; Vetter, AG 2006, 173. 14 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 92. Eingehend zur Zielsetzung des Gesetzes auch Semler, Corporate Governance – Beratung durch Aufsichtsratsmitglieder, NZG 2007 (demnächst), sub V.1. 15 BGH, ZIP 2006, 1529, 1530; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 93; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 5; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 1 f. 16 So etwa auch nicht bei § 111 Abs. 4 AktG; vgl. dazu Lutter in FS Robert Fischer, 1979, S. 419 ff. Heute wird die Frage vielfach erörtert, vgl. etwa Hüffer (Fn. 11), § 111 AktG Rz. 21; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 111 AktG Rz. 414 ff. jeweils m. w. N. Ebenso war es bei § 90 Abs. 1 bis zur Einfügung eines Satzes 2 durch das KonTraG von 1998; vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S. 40 ff. (Auslegung ergibt: Bericht über den Konzern erforderlich) und heute 3. Aufl. 2006, Rz. 149 ff.
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II. Beraterverträge zwischen Aufsichtsratsmitglied und AG Aus § 114 Abs. 1 AktG ergibt sich, dass Aufsichtsratsmitglieder bestimmte Verträge über eine sonstige Leistung „außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat“ abschließen und für diese Leistung auch eine über die nach § 113 AktG festgelegte Vergütung hinaus erhalten können. Voraussetzung dafür ist, dass der Vertrag gem. § 114 Abs. 1 AktG zustimmungsfähig ist und eine solche Zustimmung auch erteilt wird. Nicht zustimmungsfähige Verträge sind gem. § 113 AktG in Verbindung mit § 134 BGB per se nichtig17. 1. Zustimmungsfähige Beraterverträge Zustimmungsfähig sind Dienst- oder Werkverträge, deren Gegenstand eine Tätigkeit höherer Art ist. Der Gesetzgeber zielte damit besonders auf Beraterverträge ab18. Allgemein werden in diesem Zusammenhang vor allem die Tätigkeiten der Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsberater und Architekten als Tätigkeiten höherer Art angesehen19. Damit ein solcher Vertrag zustimmungsfähig ist, muss die Tätigkeit weiterhin außerhalb der organschaftlichen Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds liegen. Das ist in § 114 Abs. 1 AktG ausdrücklich gesagt und ergibt sich überdies daraus, dass die Vergütung für organschaftliches Handeln, also für die Erfüllung der Pflichten als Aufsichtsratsmitglied, bereits abschließend in § 113 AktG geregelt ist20. a) Organschaftliche Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds Wichtigste organschaftliche Aufgabe des Aufsichtsrats ist neben der Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands, § 111 Abs. 1 AktG. Diese erstreckt sich auf Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Leitung21. Nach heute allgemeiner Ansicht umfasst die Überwachung dabei
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17 BGH, ZIP 2006, 1529, 1533; BGHZ 114, 127, 129; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 735; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 92; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 13; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 113 AktG Rz. 8; Jaeger in Nirk/Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.279; Kropff in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl. 2004, § 8 Rz. 112; Hüffer (Fn. 11), § 113 AktG Rz. 5 m. w. N.; Geßler/Käpplinger (Fn. 12), § 113 AktG Rz. 1; v. Bünau, Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern im Aktienkonzern, 2004, S. 7; Vetter, AG 2006, 173, 174; Beater, ZHR 157 (1993), 420, 432; Deckert, AG 1997, 109, 110. 18 Kropff (Fn. 8), S. 158. 19 V. Bünau (Fn. 17), S. 11 m. w. N. 20 Vgl. BGHZ 114, 127, 133; BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 f.; Lutter/Drygala in FS Ulmer, 2003, S. 381, 382; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 113 AktG Rz. 5, § 114 AktG Rz. 4 ff.; ders. in FS Steindorff, 1990, S. 173, 175; Vetter, AG 2006, 173, 174; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 113 AktG Rz. 7; Henze, NJW 1998, 3309, 3310; Hüffer (Fn. 11), § 114 AktG Rz. 4. 21 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 71; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 111 AktG Rz. 122.
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sowohl eine nachträgliche Kontrolle als auch eine präventive Überwachung in Form der Beratung mit dem Vorstand22 und der Mitwirkung bei wesentlichen Entscheidungen, insbes. §§ 111 Abs. 4, 171 AktG23. Konsequenz für die nach § 111 Abs. 1 AktG geschuldete Beratung ist, dass sich diese nur auf Bereiche beziehen kann, die der Überwachung unterliegen24. Dabei erstreckt sich diese auf grundsätzliche Fragen der Geschäftspolitik und der Unternehmensplanung25, nicht hingegen auf die täglichen Geschäfte und allgemein weniger bedeutende Angelegenheiten26, bei denen der Vorstand vielmehr vor unerwünschter Einmischung des Aufsichtsrats in seine Geschäftsführung zu schützen ist27. Hieraus und aus der Konzeption des Aufsichtsratsmandats als Nebenamt mit einem begrenzten Zeitaufwand28 ergibt sich, dass das Aufsichtsratsmitglied seine Arbeit, seine Fähigkeiten und sein Fachwissen29 zur Problemerkenntnis und zur Entwicklung grundsätzlicher Lösungen einzubringen hat, nicht aber zur Ausarbeitung konkreter Lösungen30. Das mag bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft anders sein, ist hier aber nicht von grundsätzlicher Bedeutung31. b) Abgrenzung Damit gilt es, diese organschaftlich geschuldete Beratung der Gesellschaft von einer daneben möglichen vertraglichen Beratung abzugrenzen32. Dabei hat die Abgrenzung nach dem im Vertrag nach § 114 AktG festgelegten Gegenstand zu erfolgen33. Demnach kommt es darauf an, ob die im Vertrag übernommene
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22 BGHZ 114, 127, 130; BGHZ 126, 340, 344; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 62, 94 ff.; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12) § 111 AktG Rz. 61 m. w. N., 266; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 111 AktG Rz. 246, 249; v. Bünau (Fn. 17), S. 15, 21. 23 Zum Charakter der Vorweg-Kontrolle dieser Mitwirkungsrechte des Aufsichtsrats vgl. Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 103. 24 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 99. 25 § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG; vgl. i. Ü.: Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 734; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 95; v. Bünau (Fn. 17), S. 19. 26 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 735; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 21; Jaeger, ZIP 1994, 1759; Vetter, AG 2006, 173, 176; Deckert, AG 1997, 109, 112; v. Bünau (Fn. 17), S. 28; Peltzer, ZIP 2007, 305, 307. 27 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 99. 28 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 111 AktG Rz. 295; v. Bünau (Fn. 17), S. 18. 29 BGH, ZIP 2006, 1529, 1533; Vetter, AG 2006, 173, 176; R. Fischer, BB 1967, 859, 860; Mertens (Fn. 20), S. 180. 30 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 111 AktG Rz. 290; v. Bünau (Fn. 17), S. 27 f. 31 BGHZ 114, 127, 131; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 87 ff.; Lutter/Drygala in FS Ulmer (Fn. 20), S. 389; Vetter, AG 2006, 173, 175; Mertens (Fn. 20), S. 181. 32 Zu den Schwierigkeiten, die dies in der Praxis bereitet, Peltzer, ZIP 2007, 305, 306 und Happ in FS Priester (Fn. 1), S. 175, 177 ff. 33 BGHZ 126, 340, 344; BGHZ 114, 127, 132; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 17 m. w. N.; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 6; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 735, Beater, ZHR 157 (1993), 420, 423 f.; Deckert, AG 1997, 109, 111. Zu den sonstigen vertretenen Ansätzen s. die Übersicht bei Hopt/ Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 16 ff. oder Deckert, AG 1997, 109, 112 ff.
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Tätigkeit zu dem soeben beschriebenen Aufgabenkreis als Aufsichtsratsmitglied gehört oder nicht. Ein Indiz für Letzteres kann hier sein, dass die Beratung spezielle Fragen eines besonderen Fachgebietes betreffen und die Beratungstiefe den vom Aufsichtsratsmitglied geschuldeten Umfang überschreitet34: das Aufsichtsratsmitglied schuldet als solches keine Prozessführung für die Gesellschaft, nicht die Erstellung der Steuererklärung der Gesellschaft, keine Bauüberwachung und kein Gutachten zu einer streitigen Rechtsfrage35. Als Aufsichtsratsmitglied schuldet es die Mitwirkung an grundsätzlichen, nicht an konkreten Problemlösungen. c) Anforderungen an den Beratervertrag Damit eine Zustimmung durch den Gesamtaufsichtsrat erfolgen kann, muss im Vertrag präzise umschrieben werden, worauf die Beratertätigkeit gerichtet sein soll36. Ein Bezug allgemein auf „Beratung“ oder Formulierungen wie „Beratung in allen Angelegenheiten, die nicht in den Aufgabenbereich des Aufsichtsratsmitglieds fallen“ genügen dem nicht37, da anders dem Aufsichtsrat eine Beurteilung, ob ein zulässiger Beratungsgegenstand oder eine unzulässige Sondervergütung vorliegt, nicht möglich wäre. Bei Zweifeln an der Zuordnung der Beratertätigkeit geht das zu Lasten des Aufsichtsratsmitglieds38. 2. Nicht-zustimmungsfähige Beraterverträge Jeder Vertrag, der nicht von § 114 AktG erfasst wird, fällt automatisch in den Anwendungsbereich des § 113 AktG39 und ist mangels Zustimmung der Hauptversammlung gem. §§ 113 AktG, 134 BGB nichtig39a .
__________ 34 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 108; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 17, 21; zurückhaltend Semler (Fn. 14), sub III.2. 35 Peltzer, ZIP 2007, 305, 307 bezweifelt jedoch, dass sich aus Beratungskomplexen Einzelfragen herauskristallisieren lassen, bei denen die Beratung zulässig ist. 36 BGH, ZIP 2006, 1529, 1533; BGH, ZIP 2007, 1056; OLG Frankfurt v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925, 926; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 22; Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 116; Jaeger in Nirk/Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.289; ders., ZIP 1994, 1759, 1760; Vetter, AG 2006, 173, 177; Mertens (Fn. 20), S. 175; Peltzer, ZIP 2007, 305, 307. 37 BGH, ZIP 2006, 1529, 1533; BGH, ZIP 2007, 1056; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 24; Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 116; Mertens in KölnKomm. AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 5; ders. (Fn. 20), S. 179. 38 BGH, ZIP 2006, 1529, 1533; BGHZ 126, 340, 345; OLG Frankfurt v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925, 926; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 733, 735; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 96; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 22; Jaeger in Nirk/Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.289; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 28; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 4; Vetter, AG 2006, 173, 177; Peltzer, ZIP 2007, 305, 307. 39 v. Bünau (Fn. 17), S. 13. 39a Aufgrund des klaren Wortlauts von § 114 AktG bislang unstr. Neuerdings schlägt Happ in FS Priester (Fn. 1), S. 196 f. bei Verstößen gegen das Konkretisierungsgebot mildere Rechtsfolgen in Form einer Teilnichtigkeit vor. Dem sollte man nicht folgen.
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III. Beratervertrag zwischen Aufsichtsratsmitglied und GmbH 1. Fakultativer Aufsichtsrat Die Rechtslage in der GmbH ist weitgehend gleich mit der in der AG. Denn § 52 GmbHG verweist auch für den fakultativen Aufsichtsrat auf die §§ 113, 114 AktG. Damit gilt, soweit im Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt ist, das oben dargestellte auch für den fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH40. Allerdings kann die Gesellschafterversammlung wegen der hierarchischen Struktur der GmbH die Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 114 AktG durch einen eigenen Beschluss positiv oder negativ ersetzen, soweit die Satzung keine Übertragung der Vergütungskompetenz auf den Aufsichtsrat festgelegt hat. Und schließlich kann die Gesellschafterversammlung auch einen nach § 113 AktG an sich verbotenen Vertrag genehmigen41. Die Vergütungskompetenz kann, wie soeben schon gesagt, auch auf den Aufsichtsrat selbst übertragen werden. In diesem Fall sind alle Beraterverträge, also auch solche, die inhaltlich eine organschaftliche Beratungspflicht betreffen, mit Zustimmung des Aufsichtsrats wirksam, da hier die Vergütungskompetenz der Gesellschafter nicht geschützt werden muss42. Andererseits kann die Satzung der GmbH dem Aufsichtsrat die Zustimmungsbefugnis nach §§ 52 Abs. 1 GmbHG, 114 Abs. 1 AktG auch entziehen und diese ganz auf die Gesellschafter übertragen43. 2. Pflicht-Aufsichtsrat Die obigen Ausführungen zur AG gelten uneingeschränkt für den mitbestimmten, d. h. nicht fakultativen Pflicht-Aufsichtsrat einer GmbH44, §§ 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, 3 Abs. 2 MontanMitbestG: hier hat die Satzung keine Möglichkeit zu Änderungen, wie sie soeben für den fakultativen Aufsichtsrat festgestellt wurden. Das gilt in ganz der gleichen Weise auch für die drittel-mitbestimmte GmbH nach dem DrittelbG, da der Verweis von § 1 Abs. 1 Nr. 3 auf die §§ 113, 114 AktG zwingend ist. Insoweit besteht keine Satzungshoheit45
__________ 40 Zum fakultativen Aufsichtsrat s. Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 961. 41 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 52 GmbHG Rz. 46; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 743; Krummel/Küttner, DB 1996, 193, 194; ersteres auch: Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 128; letzteres auch: Hachenburg/Raiser, GmbHG, 8. Aufl. 1991, § 52 GmbHG Rz. 127. 42 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 101. 43 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 101. 44 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 745; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 101; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 10. 45 Zutr. Raiser/Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, Großkomm.GmbHG, § 52 GmbHG Rz. 158, 225.
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IV. Erweiterung des Personenkreises: Beratervertrag zwischen AG und anderer Gesellschaft Weit verbreitet sind Beraterverträge, die nicht mit einem Aufsichtsratsmitglied selbst, sondern mit einer Gesellschaft geschlossen werden, an der dieses Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist, etwa einer Wirtschaftsprüfungs-, Anwaltsoder Steuerberatungsgesellschaft. Mit dieser Konstellation hatten sich zwei BGH-Entscheidungen aus dem Jahre 2006 sowie eine aus dem Jahre 2007 zu beschäftigen46. 1. Hundertprozentige Beteiligung des Aufsichtsratsmitglieds an dieser Gesellschaft a) Entsprechende Anwendung der Vorschriften Dem Wortlaut nach sind die §§ 113, 114 AktG auf diese Konstellation nicht anwendbar („verpflichtet sich ein Aufsichtsratsmitglied …“). Doch sollen diese Vorschriften die Möglichkeit einer unsachlichen Beeinflussung von Aufsichtsratsmitgliedern durch Sonderleistungen des Vorstands verhindern47. Könnte nun ein Beratervertrag mit einer Gesellschaft abgeschlossen werden, deren alleiniger Gesellschafter Aufsichtsratsmitglied ist, so dass letztlich auch die Vergütung (mittelbar) an diesen fließt, so bestünde genau diese Gefahr der unsachlichen Beeinflussung, die die §§ 113, 114 AktG gerade verhindern wollen. Für eine solche Beeinflussung macht es keinen Unterschied, ob die Vergütung direkt und unmittelbar oder nur mittelbar über eine Ein-Mann-Gesellschaft dem Aufsichtsratsmitglied zufließt48: der Schutzzweck der §§ 113, 114 AktG würde umgangen. Damit stellt sich die Frage nach einer entsprechenden Anwendbarkeit der §§ 113, 114 AktG. Gegen eine solche entsprechende Anwendung wird angeführt, dass § 115 AktG im Zusammenhang mit der Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder den Zustimmungsvorbehalt ausdrücklich auf Umgehungssachverhalte ausdehnt (§ 115 Abs. 1 S. 2 AktG), so dass im Umkehrschluss anzunehmen sei, dass bei § 114 AktG mangels einer entsprechenden Regelung die Erfassung von Umgehungssituationen vom Gesetzgeber nicht intendiert war49. Es fehle daher für eine analoge Anwendung der §§ 113, 114 AktG schon an der planwidrigen Regelungslücke. Tatsächlich ist, wie oben schon gesagt, der § 114 AktG erst spät im Gesetzgebungsverfahren entstanden und sollte eine Verschärfung des § 113 AktG er-
__________ 46 BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, ZIP 2006, 1529–1534; BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, ZIP 2007, 22–24; BGH v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056; Henze, Der Aufsichtsrat 2007, 90 f. 47 Vgl. die obige Darstellung sub II. 48 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 106; Henze, Der Aufsichtsrat 2007, 90 f. 49 Raiser/Wiesner, AG 1976, 266, 267.
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reichen50. Aus dieser Situation der Entstehung kann mithin nicht geschlossen werden, dass eine Ausdehnung auf vergleichbare Situationen vom Gesetzgeber nicht gewollt war. Im Gegenteil: ein bewusstes Absehen des Gesetzgebers von einem Umgehungsschutz kann ohne nähere Anhaltspunkte gerade nicht angenommen werden51. Es liegt mithin tatsächlich eine planwidrige Regelungslücke vor, die entsprechend ausgefüllt werden muss. In Bezug auf das Gefährdungspotential für die Unabhängigkeit der Aufsichtsratskontrolle sind beide Konstellationen vergleichbar, so dass eine analoge Anwendung der §§ 113, 114 AktG geboten ist52. Dafür lässt sich außerdem anführen, dass auch in anderen Bereichen des Aktienrechts die Gleichstellung einer Person mit einem Unternehmen erfolgt, an dem diese maßgeblich beteiligt ist53, so z. B. im Rahmen des § 62 AktG54. Und letztlich verlangt vor allem der dargestellte Schutzzweck der §§ 113, 114 AktG, der bei einer solchen einfachen Umgehungsmöglichkeit leer laufen würde, eine erweiterte Anwendung der §§ 113, 114 AktG: diese sind mithin entsprechend auf Beraterverträge zwischen einer AG und einer von einem Aufsichtsratsmitglied zu 100 % beherrschten Gesellschaft anzuwenden55. Die Überlegungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 3.7.2006 erweisen sich mithin als richtig; ihnen ist in Ergebnis und Begründung zuzustimmen. b) Auswirkung auf Beraterverträge Als Konsequenz ergibt sich, dass der Vertrag der Gesellschaft mit der 100 %igen Gesellschaft eines Aufsichtsratsmitglieds über eine Beratung, die sich nicht mit den Pflichten aus der Aufsichtsratstätigkeit deckt, gem. § 114 Abs. 1 AktG nur mit Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats der Gesellschaft wirksam ist. Entsprechen sich hingegen Beratungsgegenstand und Aufsichtsratstätigkeit, so ist der Vertrag zwischen der Gesellschaft, in der jemand Aufsichtsratsmitglied ist, und der Gesellschaft, an der dieser zu 100 % beteiligt ist, nicht zustimmungsfähig, sondern gem. §§ 113 AktG, 134 BGB nichtig.
__________ 50 Kropff (Fn. 8), S. 158 f.; Oppenhoff in FS Barz, 1974, S. 283, 287. 51 BGH, ZIP 2006, 1529, 1532; vgl. auch BGHZ 110, 47, 55 f.; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 40; Goette in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2006, S. 1, 14. 52 Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 120. 53 BGH, ZIP 2006, 1529, 1531 f. m. w. N. 54 Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 62 AktG Rz. 14. 55 So auch BGH, ZIP 2006, 1529 ff.; OLG Frankfurt v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 42; Oppenhoff in FS Barz (Fn. 50), S. 287; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 42; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 7; Hoffmann-Becking in MünchHdb.GesR, 4. Bd. AG, 2. Aufl. 1999, § 33 Rz. 29; Vetter, AG 2006, 173 ff.; a. A. Raiser/Wiesner, AG 1976, 266, 267.
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2. Geringere Beteiligung des Aufsichtsratsmitglieds an dieser Gesellschaft Zu fragen bleibt, ob diese Erweiterung nur für den Fall der 100 %igen Beteiligung gilt oder auch bei einer geringeren Beteiligung. Auch hier muss man sich erneut den Schutzzweck der §§ 113, 114 AktG vergegenwärtigen. Verhindert werden soll eine unsachgemäße Einflussnahme des Vorstands auf ein Aufsichtsratsmitglied und seine Amtsführung. Dabei soll vor allem die Gewährung von Sonderleistungen durch den Abschluss eines angeblichen Beratervertrages verhindert werden, der sich nur auf die ohnehin geschuldete Aufsichtsratstätigkeit bezieht. Eine solche Einflussnahme droht aber immer dann, wenn dem Aufsichtsratsmitglied nicht ganz unerhebliche Geldleistungen zukommen. Dabei kann es auf den Weg dieses Zuflusses oder die Frage, ob das Aufsichtsratsmitglied davon alles erhält oder nur einen Teil, nicht ankommen. Für die Gefahr der Beeinflussung ist allein entscheidend, was beim Aufsichtsratsmitglied ankommt. Der wirtschaftliche Erfolg seiner Gesellschaft aber kommt diesem, sofern die Beteiligung nicht ganz gering ist, stets zugute56. Daher hat der Bundesgerichtshof zu Recht entschieden, dass die unabhängige Wahrnehmung der organschaftlichen Überwachungstätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds auch dann gefährdet ist, wenn dem Aufsichtsratsmitglied mittelbar Zuwendungen zufließen und diese nicht nur geringfügig sind oder im Vergleich zur offiziellen Aufsichtsratsvergütung nur einen vernachlässigenswerten Umfang haben57: es kommt also auf die Höhe des mittelbaren Zuflusses an, nicht auf die Höhe der Beteiligung oder gar auf die Beherrschung58. Auch dem ist im Ergebnis und in der Begründung zuzustimmen. Die rechtliche Konsequenz daraus ist exakt die gleiche wie bei der 100 %igen Beteiligung: der zustimmungsfähige Vertrag bedarf der Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats der Gesellschaft, der nicht zustimmungsfähige ist per se nichtig. 3. Aufsichtsratsmitglied als Geschäftsführer einer solchen Gesellschaft Eine dritte mögliche Konstellation bezüglich der notwendigen Erweiterung des Personenkreises besteht darin, dass das Aufsichtsratsmitglied in der Gesell-
__________ 56 Vgl. LG Stuttgart v. 27.5.1998 – 27 O 7/98, BB 1998, 1549, 1552; Jaeger in Nirk/ Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.291; Vetter, AG 2006, 173, 177; Rellermeyer, ZGR 1993, 77, 87, der besonders die abschließende Vergütungskompetenz der Hauptversammlung betont. 57 BGH, ZIP 2007, 22 (Leitsatz 2). 58 BGH, ZIP 2007, 22 (Leitsatz 1); vgl. auch die Vorinstanz OLG Frankfurt v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925, 926, das eine marginale Beteiligung nicht genügen lässt, auf der anderen Seite aber auch keinen kontrollierenden Einfluss verlangt; a. A.: Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 42 a. E. halten die Ausdehnung auf jede Minderheitsbeteiligung für zu weitreichend. Kritisch zu den Konsequenzen des Urteils auf anwaltliche Beratungsverträge auch Happ in FS Priester (Fn. 1), S. 175, 178 ff.
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schaft, mit der der Beratervertrag abgeschlossen wird, (nur) Geschäftsführer ist. Als Geschäftsführer einer GmbH trifft ihn der wirtschaftliche Erfolg oder Misserfolg seiner Gesellschaft in seiner beruflichen Stellung und zwar unabhängig davon, ob ihm eine erfolgsabhängige Vergütung zusteht oder nicht. Daher besteht auch hier die Gefahr der unsachlichen Beeinflussung durch mittelbare Gewährung einer Sondervergütung. Und schließlich besteht in jedem Fall die Gefahr der persönlichen Verflechtung zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und dem Vorstand der Gesellschaft, die zur Sicherstellung einer effektiven Überwachung durch die §§ 113, 114 AktG tunlichst vermieden werden soll59. Infolge dessen sind auch bei der Innehabung nur einer Geschäftsführer-Stellung des Aufsichtsratsmitglieds in der beratenden Gesellschaft die §§ 113, 114 AktG entsprechend anzuwenden. Somit ist bei Kongruenz von Beratungsgegenstand und Aufsichtsratstätigkeit der Vertrag nichtig, ansonsten nur mit Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats wirksam.
V. Erweiterung der Regeln im Konzern: Beratervertrag zwischen Aufsichtsratsmitglied und einer anderen Konzerngesellschaft Ein weiteres Problem stellen Beraterverträge dar, die ein Aufsichtsratsmitglied mit einer anderen Gesellschaft des Konzerns schließt. Sind Verträge, deren Inhalt sich mit den Organpflichten deckt, auch dann nichtig, wenn ein Mitglied aus dem Aufsichtsrat der Obergesellschaft einen solchen Beratervertrag mit einer Tochtergesellschaft schließt? Bedürfen sonstige Beraterverträge der Zustimmung des Aufsichtsrats? Welche Rechtsfolge ergibt sich bei einem Beratervertrag eines Mitglieds des Aufsichtsrats einer Untergesellschaft mit der Obergesellschaft? 1. Beratervertrag mit Tochtergesellschaft a) Entsprechende Anwendung der Vorschriften aa) Bei der Beurteilung von Beraterverträgen eines Aufsichtsratsmitglieds der Konzernobergesellschaft mit einer Tochtergesellschaft ist zu beachten, dass sich die Beratung und Überwachung des Vorstands der Obergesellschaft durch deren Aufsichtsrat zwar auf die Leitung des Konzerns erstreckt, da diese Leitung Aufgabe der Geschäftsführung der Konzernobergesellschaft ist60, nicht jedoch auf die Maßnahmen der Geschäftsführungsorgane der Tochtergesellschaften61. Sollten Gegenstand des Beratervertrages Fragen der allgemeinen Konzernleitung sein, so verstößt das in jedem Fall gegen § 113 AktG, weil
__________ 59 Jaeger in Nirk/Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.291; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 42. 60 Lutter (Fn. 16), Rz. 156; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 746; Lutter, AG 2006, 517, 519. 61 Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 746; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 104 f.; Krummel/ Küttner, DB 1996, 193, 194.
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hierdurch für organschaftliche Pflichten eine Vergütung außerhalb der Satzung, der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung gewährt würde62. Im Übrigen wird es aber bei der Beratung des Vorstandes oder Geschäftsführers der Tochtergesellschaft um Angelegenheiten seiner Geschäftsführung gehen, also um Inhalte, die nicht zur Aufsichtsratstätigkeit in der Obergesellschaft gehören; § 113 AktG wäre nicht einschlägig. Es liegt auch keine Identität zwischen der beaufsichtigten und der zu beratenden Gesellschaft vor, so dass auch der Wortlaut des § 114 AktG („gegenüber der Gesellschaft“) gegen eine Anwendung der genannten Vorschriften spricht. Das hätte zur Folge, dass das Aufsichtsratsmitglied bezüglich des Abschlusses solcher Verträge mit Konzerngesellschaften keinerlei Beschränkungen durch die genannten Normen unterworfen wäre, es also insbesondere auch keiner Zustimmung des Gesamtaufsichtsrates der Tochter bedürfte. bb) Es ist aber zu bedenken, dass der Vorstand der Obergesellschaft die verschiedensten Möglichkeiten hat, auf den Abschluss des Beratervertrages mit der Tochtergesellschaft Einfluss zu nehmen63. So kann dieser bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrages (§ 291 AktG) im Rahmen seiner Leitungsmacht nach § 308 AktG oder als Vertreter der Hauptgesellschaft gem. § 323 AktG eine entsprechende verbindliche Weisung erteilen64. Ist die Tochtergesellschaft eine GmbH, so besteht ein gleiches Weisungsrecht ihrer Gesellschafterversammlung65. Diese aber wird allein oder mehrheitlich vom Vorstand der Obergesellschaft repräsentiert. Bei dieser Sachlage bedarf es keines förmlichen Beschlusses der Gesellschafterversammlung der Tochter; es genügt eine „Empfehlung“, ja ein „Wink“ des Vorstands der Obergesellschaft. Damit bleibt die Frage, ob das auch für eine Tochter-AG gilt. Denn dort besteht ein solches Weisungsrecht nicht. Aber auch hier erlaubt § 311 AktG die wertmäßig neutrale Einflussnahme; und sie findet natürlich auch in der Praxis statt; anders ist „einheitliche Leitung“ des Konzerns i. S. v. § 18 Abs. 1 AktG nicht denkbar. cc) Damit bestünde auch hier die Möglichkeit des Vorstands/Geschäftsführers der Obergesellschaft, seinen „Überwachern“ eine Sondervergütung zukommen zu lassen. Wiederum wäre also der Schutzzweck der §§ 113, 114 AktG umgangen, was erneut für eine analoge Anwendung im Konzern spricht66.
__________ 62 So auch Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 119. 63 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 104; v. Bünau (Fn. 17), S. 53 f. 64 Auch in anderen Konzernarten besteht Einflussmöglichkeit: s. Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 104; eine ausführliche Differenzierung der rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten findet sich bei v. Bünau (Fn. 17), S. 89–180 bzw. S. 181–233. 65 Ulmer in Großkomm.GmbHG (Fn. 45), Einl. A 28; Lutter/Hommelhoff (Fn. 41), § 37 GmbHG Rz. 17, § 45 GmbHG Rz. 2. 66 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 105; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 747; zur Verlängerung des Schutzgedankens im Konzern schon Lutter in FS Fischer (Fn. 16), S. 419 ff.; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 41 in Bezug auf jede abhängige Gesellschaft; Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 117; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 49; Oppenhoff in FS Barz (Fn. 50), S. 285 f.; Krummel/Küttner, DB 1996, 193, 195; Rellermeyer, ZGR 1993, 77, 87 f.; v. Bünau (Fn. 17), S. 70 f. lehnt die
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Allerdings wird auch dieser Erweiterung entgegengehalten, dass eine konzernweite Anwendung des Zustimmungsvorbehaltes bei der Kreditgewährung nach § 115 Abs. 1 Satz 2 AktG gesondert geregelt ist, was darauf schließen lasse, dass eine solche Ausdehnung bei den §§ 113, 114 AktG gerade nicht gewollt sei67. Die Annahme einer bewussten Regelungslücke des Gesetzes ist aber schon oben widerlegt worden und muss hier nicht wiederholt werden68. Ohne eine nähere Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit dieser Frage kann nicht von einer bewussten Nicht-Regelung ausgegangen werden69. Somit ist dem von §§ 113, 114 AktG beabsichtigten Schutz vor Einflussmöglichkeiten des Vorstands auf seinen Aufsichtsrat der Vorrang einzuräumen70. dd) Auch der Bundesgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Erweiterung des Personenkreises stets den Schutz vor Einflussnahme des Vorstands auf den Aufsichtsrat besonders betont71. Diese Gefahr der Einflussnahme besteht unabhängig davon, ob sich die Beratung auf Fragen bezieht, die in die Tätigkeit des Aufsichtsrats der Tochtergesellschaft fallen oder ob sie darüber hinausgehen. Eine Sondervergütung des Aufsichtsratsmitglieds erfolgt in jedem Falle. Und schließlich gebietet sich eine entsprechende Anwendung des § 114 AktG auch zur Verstärkung der Transparenz und des Schutzzwecks von § 113 AktG: beide Vorschriften sind daher zur Vermeidung unzulässiger Einflussnahmen entsprechend anzuwenden72. b) Auswirkung auf Beraterverträge Bei einem Beratervertrag eines Mitglieds des Aufsichtsrats der Obergesellschaft mit einer Tochtergesellschaft ist daher zu fragen, ob ein entsprechender Vertrag bei einer (gleichzeitigen) Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Tochter nach den Anforderungen der §§ 113, 114 AktG wirksam wäre73, wie also die
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generelle analoge Anwendung des § 114 AktG ab und differenziert nach Konzernarten und der jeweiligen Einflussmöglichkeit und will jeweils im Einzelfall entscheiden, S. 82. Schlaus, AG 1968, 376; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 8; ders. (Fn. 20), S. 186; Hoffmann-Becking in MünchHdb.GesR (Fn. 55), § 33 Rz. 29; Jaeger in Nirk/Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.292; anders nur bei eindeutigen Missbrauchsfällen, wenn z. B. die Beratung in Wirklichkeit der Muttergesellschaft zukommt. So auch Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 7. Ebenso Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 118; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 40. Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 40; vielmehr ist eher von gesetzgeberischer Nachlässigkeit auszugehen, Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 104 f. Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 8 nimmt eine Konzernerstreckung nur bei eindeutiger Umgehung an, wenn etwa die Beratung eigentlich der Obergesellschaft zugute kommen soll. Ansonsten lehnt er unter Hinweis auf § 115 AktG die analoge Anwendung ab. BGH, ZIP 2006, 1529, 1531 f.; BGH, ZIP 2007, 22, 23. So schon Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 105 f.; Oppenhoff in FS Barz (Fn. 50), S. 288 f.; Deckert, WiB 1997, 561, 565. Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 105; Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 747; Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 119; Krummel/Küttner, DB 1996, 193, 195; a. A. v. Bünau (Fn. 17), S. 67 f.
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Wirksamkeit bei Vertragsschluss auf der Ebene der Tochter wäre. Wäre der Vertrag von den §§ 113, 114 AktG erfasst, so sind diese entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass dieser im Falle des § 114 AktG zustimmungsbedürftig durch den etwaigen Aufsichtsrat der Tochter oder im Falle des § 113 AktG nichtig wäre. Fraglich aber ist, ob das genügt, oder ob darüber hinaus bei zustimmungsfähigen Verträgen zusätzlich die Zustimmung des Aufsichtsrats der Mutter erforderlich ist. Das ist tatsächlich der Fall. Denn es geht ja um die Tätigkeit des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds in diesem Gremium. Und dieses soll entscheiden, ob es die besondere Verknüpfung seines Mitglieds mit der Leitung einer Konzerngesellschaft will oder auf der Unabhängigkeit seiner Mitglieder ebenso besteht wie auf der Verhinderung von Zusatzverdiensten. 2. Beraterverträge mit Enkelgesellschaften Denkt man den dargestellten Schutzgedanken konsequent zu Ende, will man also jede Gefahr für die Unabhängigkeit der Aufsichtsratstätigkeit erfassen, so muss die entsprechende Anwendung der Normen auch Enkelgesellschaften erfassen. Rein praktisch kann man zudem davon ausgehen, dass neben dem etwaigen rechtlichen Einfluss, der informelle Einfluss des Vorstands aufgrund des Größen- und Kräfteverhältnisses wächst, je weiter die Gesellschaft von der Muttergesellschaft entfernt ist, und auch hier kann es nicht auf die Höhe der (mittelbaren) Beteiligung der Obergesellschaft ankommen; maßgebend ist allein der rechtliche oder faktische Einfluss, den sie auf die Enkelgesellschaft ausüben kann74. Folglich muss auch jeder Beratervertrag mit einer Enkelgesellschaft erfasst sein, solange die Beteiligung nicht so gering ist, dass vernünftigerweise nicht mehr von einer Einflussnahme ausgegangen werden kann. In Übereinstimmung mit dem Einflussgedanken müssen die §§ 113, 114 AktG aber auch dann entsprechend angewandt werden, wenn die Muttergesellschaft zwar nur gering beteiligt ist, dafür aber eine andere Untergesellschaft erhebliche Anteile hält. Wegen der hohen Schutzbedürftigkeit für die Effektivität der Überwachungstätigkeit durch den Aufsichtsrat sollte jede Gefahr einer Selbstbedienung oder einer unsachlichen Beeinflussung vermieden werden75. Daher ist auch in dieser Konstellation im Ergebnis eine analoge Anwendung der §§ 113, 114 AktG vorzunehmen mit der Folge, dass der Vertrag – wenn er überhaupt zustimmungsfähig ist – der Zustimmung des etwaigen Aufsichtsrats der Enkelgesellschaft sowie zusätzlich der Muttergesellschaft bedarf.
__________ 74 So auch Rellermeyer, ZGR 1993, 77, 88; a. A.: Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 44. 75 Zum Teil wird die Anwendung der §§ 113, 114 AktG generell für Umgehungsgeschäfte angenommen, so Kropff (Fn. 17), § 8 Rz. 120; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 7 f. Aus den dargestellen Schutzzweckerwägungen sollte jedoch schon die Gefahr bzw. Möglichkeit einer Umgehung als ausreichend angesehen werden.
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3. Beratervertrag des Aufsichtsrats der Tochter mit der Muttergesellschaft Deutlich schwieriger gestaltet sich die Beurteilung eines Beratervertrages zwischen einem Mitglied des Aufsichtsrats einer Tochtergesellschaft mit der Obergesellschaft. Eine Identität der Gesellschaften liegt nicht vor und die Beratung der Obergesellschaft ist auch nicht Bestandteil der Aufsichtsratstätigkeit in der Tochtergesellschaft. Zunächst wird auch hier wiederum der – bereits oben zurückgewiesene – Umkehrschluss aus § 115 AktG gezogen76. Vor allem aber ist zu bedenken, dass der Vorstand der Tochtergesellschaft keine rechtlichen und auch kaum praktische Möglichkeiten hat, Einfluss auf den Vertragsschluss über den Beratervertrag mit der Obergesellschaft zu nehmen, so dass unter diesem Aspekt auch der Schutzzweck keine analoge Anwendung erfordert77. Angesichts großer Konzernstrukturen stellt dieses Ergebnis sicher, dass nicht jeder, der bei einer Konzerngesellschaft – und sei sie noch so untergeordnet – Aufsichtsratsmitglied ist, für alle anderen Konzerngesellschaften als Berater ausfällt oder nur nach einer aufwendigen Entscheidung seines Aufsichtsrats und des Aufsichtsrats der Obergesellschaft gegen Entgelt konsultiert werden kann. Da hier der Schutzzweck der §§ 113, 114 nicht betroffen ist, sind beide Normen nicht anwendbar; der Vertragsschluss ist ohne Beschränkungen und ohne Zustimmungserfordernis möglich. 4. Ergebnis Die Vorschriften der §§ 113, 114 AktG sind im Aktienkonzern und im GmbHKonzern mit einem Aufsichtsrat der Obergesellschaft auf alle entsprechenden Konstellationen in den abhängigen Gesellschaften anwendbar. Haben diese einen Aufsichtsrat, so ist dessen Zustimmung und die des Aufsichtsrats der Obergesellschaft erforderlich, anderenfalls nur diese letztere. Bei der Frage nach der Zustimmungsfähigkeit des Vertrages ist die Sicht der Tochtergesellschaft entscheidend so, wie wenn das Aufsichtsratsmitglied der Obergesellschaft zugleich Aufsichtsrat der Tochter- (Enkel-)Gesellschaft wäre
VI. Der Rückforderungsanspruch nach § 114 Abs. 2 AktG 1. Rechtlicher Charakter des Rückforderungsanspruchs Beraterverträge, die nach § 113 AktG nicht zustimmungsfähig sind oder denen die mögliche Zustimmung durch den Gesamtaufsichtsrat nach § 114 AktG nicht erteilt wurde, sind nichtig. Wurde dennoch eine Vergütung gezahlt, so ist
__________ 76 Mertens (Fn. 20), S. 186. 77 Ebenso OLG Hamburg v. 17.1.2007, ZIP 2007, 814; Oppenhoff in FS Barz (Fn. 50), S. 289; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 44 m. w. N.; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 52; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 106; Deckert, AG 1997, 109, 565; a. A. v. Bünau (Fn. 17), S. 72, der der Ansicht ist, dies sei eine Verkennung der Umgehungsmöglichkeiten.
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diese zurückzugewähren. Das Gesetz verweist hier aber weder explizit noch implizit auf die allgemeinen Regeln der §§ 812 ff. BGB, sondern schafft mit § 114 Abs. 2 Satz 1 AktG einen eigenen aktienrechtlichen Rückgewähranspruch78, der gerade nicht den Regeln der §§ 812 ff. BGB unterliegt79, insbesondere also nicht dem Einwand der Entreicherung aus § 818 Abs. 3 BGB, und der auch bei Kenntnis des Vorstands/Geschäftsführers von der Nichtschuld (§ 814 BGB) zu erfüllen und sofort fällig ist80. 2. Anwendbarkeit a) Grundkonstellation: Nichtigkeit wegen fehlender Zustimmung, § 114 Abs. 1 AktG Unmittelbar erfasst von dem Rückgewähranspruch gem. § 114 Abs. 2 AktG sind Entgelte, die zur Erfüllung eines genehmigungsfähigen, jedoch aufgrund fehlender Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats unwirksamen Vertrages im Sinne des § 114 Abs. 1 AktG gezahlt wurden. Anspruchsgegner ist das begünstigte Aufsichtsratsmitglied. b) Nichtigkeit nach §§ 113 AktG, 134 BGB Im Falle der Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 113 AktG könnte ein solcher aktienrechtlicher Rückforderungsanspruch zweifelhaft sein81, da § 113 AktG keinen entsprechenden Hinweis enthält. Dann käme hier nur ein Bereicherungsanspruch aus §§ 812 ff. BGB mit all seinen Schwächen in Betracht. Tatsächlich muss der aktienrechtliche Anspruch der Gesellschaft aus § 114 Abs. 2 Satz 1 AktG gegenüber dem Aufsichtsratsmitglied hier erst recht gegeben sein, wo der Vertrag wegen Verstoßes gegen § 113 AktG von Anfang an nichtig und daher nicht einmal genehmigungsfähig ist82. Es wäre wenig sinnvoll, wenn für einen nicht genehmigungsfähigen Beratervertrag schwächere Rechtsfolgen eingreifen würden als beim Fehlen einer Genehmigung für einen grundsätzlich genehmigungsfähigen Vertrag83. Mit dem Argument a maiore ad minus ist daher auch hier der besondere aktienrechtliche Anspruch des § 114 Abs. 2 Satz 1 AktG anzuwenden.
__________ 78 Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 91; Jaeger in Nirk/Ziemons/ Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.293. 79 OLG Köln, AG 1995, 90, 92; Krummel/Küttner, DB 1996, 193, 200; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 91. 80 Kropff (Fn. 8), S. 159; ders. (Fn. 17), § 8 Rz. 122; Hüffer (Fn. 11), § 114 AktG Rz. 7; Jaeger in Nirk/Ziemons/Binnewies (Fn. 11), Rz. 9.293; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 95. 81 So gehen Lutter/Krieger (Fn. 7), Rz. 734 noch von einem Rückzahlungsanspruch aus §§ 93 Abs. 3 Nr. 7, 116 Satz 1 AktG aus. 82 Ebenso der BGH, ZIP 2006, 1529 (Leitsatz 3). 83 Ebenso der BGH, ZIP 2006, 1529, 1533.
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c) Erweiterung des Personenkreises Bei der Erweiterung des von §§ 113, 114 AktG angesprochenen Personenkreises auf eine Gesellschaft, in der das Aufsichtsratsmitglied Gesellschafter oder Geschäftsführer ist, liegen die Dinge weniger klar, so dass zu klären ist, gegen wen sich der Rückgewähranspruch richtet. aa) Rückforderungsanspruch gegen die Gesellschaft als Vertragspartner Partner des unwirksamen Vertrages war die Gesellschaft (und nicht das Aufsichtsratsmitglied) und an sie ist das Beraterhonorar gezahlt worden. Dennoch ist fraglich, ob sie der Rückgewährschuldner ist; denn der Wortlaut des § 114 Abs. 2 AktG spricht dagegen („hat das Aufsichtsratsmitglied die Vergütung zurückzugewähren“). Allerdings wurde im Zuge unserer Überlegungen auch der Wortlaut des Abs. 1 aufgrund des Schutzzweckes erweitert. Stellt man aber in Abs. 1 eine Gesellschaft, an der das Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist oder in der es Geschäftsführer ist, einem Aufsichtsratsmitglied gleich, so ist diese Gleichstellung auch in Abs. 2 vorzunehmen. Nur so gelangt man zu einer systematisch überzeugenden und einheitlichen Auslegung. Damit richtet sich der Rückgewähranspruch gegen die Gesellschaft, mit der der unwirksame Beratervertrag geschlossen wurde84. bb) Rückforderungsanspruch gegen das Aufsichtsratsmitglied Auf diesem Hintergrund könnte man der Auffassung sein, dass sich der Rückforderungsanspruch nach § 114 AktG nur gegen die zwischengeschaltete Gesellschaft richtet. Jedoch soll ein Aufsichtsratsmitglied die Vorschriften der §§ 113, 114 AktG nicht umgehen können. Das aber wäre nicht umfassend sichergestellt, wenn zwar der Beratervertrag nichtig wäre, eine Rückforderung aber nur von der Gesellschaft, nicht aber von der Person des Aufsichtsratsmitglieds erfolgen könnte. Aus diesem Gesichtspunkt des Normzweckes greift daher der Rückforderungsanspruch auch gegenüber dem Aufsichtsratsmitglied, dem die Vergütung mittelbar über die von ihm beherrschte/geführte Gesellschaft zugeflossen ist85. Somit bleibt auch das Aufsichtsratsmitglied als Gesamtschuldner mit der Gesellschaft Anspruchsgegner. Und das muss dann auch für den nicht beteiligten Geschäftsführer gelten. d) Erweiterung im Konzern Bezüglich des Rückgewähranspruchs bei der sachlichen Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 113, 114 AktG im Konzern kann sich nichts anderes ergeben, als im einfachen, d. h. nicht erweiterten Fall. Vertragspartner ist das
__________ 84 So auch BGH, ZIP 2007, 22, 24 ohne nähere Ausführungen; Vetter in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 2005, § 30 Rz. 17; zustimmend wohl: Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 55. 85 BGH, ZIP 2006, 1529, 1532.
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betreffende Aufsichtsratsmitglied; und sein Vertrag verstößt wegen der gebotenen Verlängerung auf die abhängigen Konzerngesellschaften gegen die §§ 113, 114 AktG. In dieser Konstellation ist jeweils das Aufsichtsratsmitglied unmittelbar Begünstigter, so dass die Rückforderung der abhängigen Gesellschaft sich gem. § 114 Abs. 2 AktG gegen dieses Aufsichtsratsmitglied richtet. Und das gilt nicht nur für den Fall der Unwirksamkeit wegen fehlender Zustimmung, sondern in einem Erst-Recht-Schluss auch bei Nichtigkeit des Beratervertrages nach § 113 AktG (s. oben sub b). 3. Haftung des Vorstands nach § 93 AktG bei Nicht-Geltendmachung des Rückgewähranspruchs Macht der Vorstand/Geschäftsführer den der Gesellschaft zustehenden Rückgewähranspruch nicht geltend, so ist das eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht, die einen entsprechenden Schadensersatzanspruch nach § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG gegen ihn begründet86. Daneben besteht ein Ersatzanspruch auch nach § 93 Abs. 3 Nr. 7 AktG87. Beides führt wiederum zu einer Verstärkung des Schutzzweckes der §§ 113, 114 AktG, da der Vorstand nicht folgenlos die Geltendmachung der Rückgewähr der gezahlten Vergütung unterlassen kann. 4. Verjährung des Rückgewähranspruchs Schließlich stellt sich die Frage nach der Verjährungszeit des Rückgewähranspruchs. Möglich erscheint es zunächst, die Regelverjährung von drei Jahren nach § 195 BGB anzunehmen. Möglich erscheint es aber auch, an eine Gesamtanalogie zu den §§ 62 Abs. 3 Satz 1, 93 Abs. 6, 116 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG und mithin auf eine aktienrechtliche (gesellschaftsrechtliche) Sonderverjährung abzustellen. Nimmt man letzteres an, ist zu klären, ob die Verjährung nach 5 Jahren wie in § 93 AktG oder erst nach 10 Jahren wie in § 62 AktG eingreift. In seinem Urteil vom 3.7.2006 hat der Bundesgerichtshof die Regelverjährung nach § 195 BGB angenommen – allerdings in dessen alter Fassung, so dass eine Verjährung erst nach 30 Jahren eintrat, § 195 BGB a. F., während die Verjährungsfrist nach §§ 93 Abs. 6, 116 AktG den Rückgewähranspruch nicht betreffe. Zu einer möglichen Analogie musste der BGH keine Stellung nehmen. Problematisch erscheint die Regelverjährung insofern, als sie nunmehr lediglich drei Jahre beträgt und damit ebenso regelmäßig noch in die Amtszeit des die Vergütung gewährenden Vorstandes und des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds fällt. Das könnte dafür sprechen, auch hier eine aktienrechtliche
__________ 86 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 – ARAG; Hüffer (Fn. 11), § 114 AktG Rz. 7; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 94. 87 Hüffer (Fn. 11), § 114 AktG Rz. 7; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 94; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 114 AktG Rz. 3; Deckert, AG 1997, 109, 567.
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Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern
Sonderverjährung von fünf Jahren anzunehmen. Das gilt umso mehr, als das gesetzliche Verzichtsverbot (unten 5.) auch drei Jahre währt und bei dreijähriger Verjährungsfrist mit der Verjährung zusammenfiele. Und schließlich hätten Aktionäre nach dem neuen § 148 AktG praktisch keine Chance, ihr Recht auch tatsächlich wahrzunehmen. Da es nicht um ein Kapitalproblem wie bei § 62 AktG geht, sollte man sich an der 5-Jahresfrist des § 93 AktG orientieren – wobei man sich natürlich der Problematik einer Verlängerung der Verjährungsfrist gegenüber der gesetzlichen Regelung des § 195 BGB klar sein muss. 5. Verzichts- und Vergleichsverbot Schließlich ist fraglich, ob der Vorstand als Vertreter der Gesellschaft mit dem Aufsichtsratsmitglied einen Vergleich schließen oder den Verzicht auf den Anspruch erklären kann. Über Ersatzansprüche der AG gegen Vorstandsmitglieder (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG) bzw. Aufsichtsratsmitglieder (§§ 93 Abs. 4 Satz 3, 116 AktG) können nur nach Ablauf einer Dreijahresfrist und nur mit Zustimmung der Hauptversammlung ein Vergleich geschlossen oder ein Verzicht erklärt werden. Sinn dieser Regelung ist zum einen, dass keine Disposition über den Anspruch erfolgt, bevor nicht das Ausmaß des Schadens ersichtlich ist, und zum anderen, dass Vorstand und Aufsichtsrat sich nicht gegenseitig verschonen können88. Desgleichen besteht im Falle des Rückgewähranspruchs nach § 114 Abs. 2 AktG die Gefahr der unzulässigen Sondervergütung sowie der persönlichen Verflechtung von Vorstand und Aufsichtsrat und damit die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung. Somit ist es für die Sicherstellung des Schutzzweckes der §§ 113, 114 AktG erforderlich, die genannten und den Vorstand beschränkenden Vorschriften auf den Rückgewähranspruch zu übertragen. Bezüglich dieses Anspruchs kann daher nicht unmittelbar ein Vergleich geschlossen oder ein Verzicht erklärt werden, vielmehr ist es sachgerecht, die Vorschrift des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG analog anzuwenden. Das kann aber nur gelten, wenn man zugleich, wie hier ebenfalls vertreten, eine aktienrechtliche Sonderverjährung annimmt, da ansonsten der Zeitpunkt der Verjährung immer mit der Aufhebung des Verzichts- und Vergleichsverbots zusammenfallen und diese Regelung damit überflüssig machen würde (s. oben 4.).
__________ 88 Hüffer (Fn. 11), § 93 AktG Rz. 28; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 12), § 93 AktG Rz. 127; Zimmermann in FS Duden, 1977, S. 773 f.
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Klaus-Peter Martens
Die Zukunft der Anerkennungsprämie nach „Mannesmann“ Inhaltsübersicht I. Die tragenden Wertungsaspekte der Mannesmann-Entscheidung 1. Das Schädigungsverbot 2. Die Anreizwirkung 3. Die bisherige Urteilskritik 4. Resümee
2. Generalklausel oder Enumerativsystem? 3. Das Erfordernis konkreter Zielvereinbarung als Rechtfertigung der Anerkennungsprämie III. Schlussbetrachtung
II. Die Regelungsvoraussetzungen in der Zukunft 1. Verwertbare Anhaltspunkte in der Mannesmann-Entscheidung
Nur wenige Prozesse haben die Öffentlichkeit, auch die Fachöffentlichkeit derart berührt, ja teilweise sogar empört, wie die Auseinandersetzung um die Managementvergütung anlässlich der Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone. Viele Aspekte spielten dabei eine tragende Rolle – sicherlich auch der Aspekt der verbreiteten Neidmentalität, mehr noch der Aspekt raffgierigen Gewinnstrebens, vor allem aber der Aspekt defizitärer Gerechtigkeit anlässlich des das Verfahren beendenden Deals1. Aus rechtspolitischer Sicht ist vor allem die verquere Zuständigkeit zu beklagen. Dass die Strafgerichtsbarkeit über Grundsatzfragen des Aktienrechts zu befinden hat, sollte nur unter ultimativen Voraussetzungen zulässig sein. Die derzeitige Praxis sieht jedoch keine solchen Schranken vor. Der Untreuetatbestand ist derart regelungsoffen, dass die Verletzung nahezu jeder Vermögensbetreuungspflicht die Strafbarkeit begründet2. Auf diese Weise entartet mancher Strafprozess in eine Schlacht um die richtige Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften, für die dem Strafrichter oftmals die praktische Erfahrung, manchmal auch das dogmatische Grundverständnis fehlt. Die Folge ist nicht nur, dass die Schuldner durch das Strafurteil unverhältnismäßig belastet werden; die Folge ist auch, dass es divergente Erkenntnisse von Strafrichter und Zivilrichter geben kann, die nur
__________ 1 Zum Sachverhalt und zur Strafbarkeit der verschiedenen Tathandlungen Zech, Untreue durch Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, 2007; Dittrich, Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, 2007. 2 Einschränkend die Kinowelt-Entscheidung des 1. Strafsenats v. 21.11.2005 – BGH, ZIP 2005, 2317, 2319; dazu näher Dreher, AG 2006, 213, 219 f. und Fleischer, DB 2006, 542, 544 f.
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Klaus-Peter Martens
unter engen Voraussetzungen bereinigt werden können3. Diese und weitere Bedenken sollten zum Anlass genommen werden, die strafgerichtliche und die zivilgerichtliche Zuständigkeit unter den Aspekten des § 266 StGB erneut zu überdenken und dem Zivilrichter bzw. dem Zivilrecht eine eindeutige Dominanz zuzuweisen4. Ob und mit welchen Wirkungen die Mannesmann-Entscheidung auch in der Zukunft Bedeutung und Bestand haben wird, hängt im Wesentlichen von der dogmatischen Überzeugungskraft ihrer Entscheidungsgründe und den normativen Vorgaben ab, die der Praxis für die zukünftige Vereinbarung von Anerkennungsprämien gestellt werden. Beide Problembereiche sind unmittelbar miteinander verknüpft; denn die dogmatische Überzeugungskraft strahlt unmittelbar auf die normative Relevanz jener Grenzkriterien aus, die zukünftig anlässlich der Vereinbarung von Anerkennungsprämien beachtet werden müssen. Sind die in der Mannesmann-Entscheidung geäußerten Bedenken von nur geringem Gewicht, lassen sich Anerkennungsprämien zukünftig auch mit relativer Leichtigkeit wirksam vereinbaren. Umgekehrt wirken sich gravierende Widerstände auch mit entsprechender Schwerkraft auf zukünftige Vereinbarungsprozesse aus. Die bisherige, nahezu einhellige Ansicht konzediert der Anerkennungsprämie für die Zukunft umfassende Vertragsfreiheit. „Man wird also zu gewärtigen haben, dass zukünftig Vorstandsdienstverträge in Formularbüchern standardmäßig eine Klausel enthalten, die einen derartigen Anspruch begründen“5. Nach diesem Standpunkt hat die Mannesmann-Entscheidung nur rechtsformale Bedeutung. Streitgegenstand wäre danach lediglich der durch die Vereinbarung konstituierte Rechtstitel auf den Anspruch der Anerkennungsprämie. Ohne solche Vereinbarung erfüllte die Zahlung einer Anerkennungsprämie den Straftatbestand der Untreue; mit einer solchen Vereinbarung wäre die Austauschgerechtigkeit wieder im Lot. Folgt man dieser weit verbreiteten Ansicht6, dann läuft die Vertragsgerechtigkeit Gefahr, hinsichtlich der Anerkennungsprämie Spielball kautelarjuristischer Praxis zu werden. Dass sich ein solches nicht weiter eingeschränktes Vertragsverständnis mitnichten mit den Entscheidungsgründen des Mannesmann-Urteils rechtfertigen lässt, ist wohl eine Selbstverständlichkeit, bedarf aber angesichts des bisherigen Meinungsstands einer ausführlichen Begründung. Unter diesem Aspekt ist auch nachdrücklich davor zu warnen, in der Zukunft mit der Anerkennungsprämie ähnlich leichtfertig zu verfahren, wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Es geht – um das zentrale Anliegen
__________
3 Positivrechtlich ist in diesem Zusammenhang § 132 Abs. 2 GVG einschlägig, wonach für derartige Divergenzen die Vereinigten Großen Senate zuständig sind. Die Widerstände sind gerichtspsychologischer Art; vgl. dazu auch die Ausführungen in der Mannesmann-Entscheidung unter A III 2, ZIP 2006, 72, 76 f. m. w. N. 4 Ausführliche Problembehandlung bei Dreher, AG 2006, 213, 222 f. 5 Peltzer, ZIP 2006, 205, 207. 6 Lutter, ZIP 2006, 733, 737; Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 130; Fleischer, DB 2006, 542, 544; Spindler, ZIP 2006, 349, 354; Baums in FS Huber, 2006, S. 657, 674; mit erheblichen Einschränkungen Bauer/Arnold, DB 2006, 546, 547.
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auch in diesem Zusammenhang hervorzuheben – zwar nicht um „Preisgerechtigkeit“, sondern nur um Systemgerechtigkeit, also um die Anpassung der Anerkennungsprämie an das allgemeine Entgeltsystem im Rahmen wertungsmäßiger Folgerichtigkeit. Aber derartige Systemprobleme sind um Nichts geringer zu gewichten als Probleme der Preisgerechtigkeit7.
I. Die tragenden Wertungsaspekte der Mannesmann-Entscheidung 1. Das Schädigungsverbot Das die Argumentation der Entscheidung beherrschende Element ist der Rekurs auf das alle Organmitglieder obligierende Schädigungsverbot. „Das Gebot, alle Maßnahmen zu unterlassen, die den Eintritt eines sicheren Vermögensschadens bei der Gesellschaft zur Folge haben, gehört – ohne dass es dazu weiterer gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Regelungen bedürfte – zu den Treuepflichten, die ein ordentliches und gewissenhaftes Präsidiumsmitglied (§ 93 Abs. 1 Satz 1, § 116 Satz 1 AktG) zwingend zu beachten hat“8. Diese in der Sache unbestreitbare Pflichtenstellung kann man terminologisch anders erfassen, indem man auf Grundsätze treuhänderischen Verhaltens abstellt9 und so den Rückgriff auf die reichlich diffuse Treupflicht vermeidet. In der Sache besteht aber kein materiellrechtlicher Unterschied. Mit einer vielleicht etwas knappen Begründung wird diese Vermögensbetreuungspflicht sodann auf die nicht im Dienstvertrag vereinbarte Sonderzahlung für eine geschuldete Leistung angewendet, indem jedenfalls dann ein Verstoß bejaht wird, wenn die Sonderzahlung „ausschließlich belohnenden Charakter hat und der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen kann (kompensationslose Anerkennungsprämie)“10. Im Kern kann auch diese Bewertung nicht ernsthaft bestritten werden11. Ist die erbrachte Leistung schon Gegenstand des Dienstvertrages und wird sie somit durch das darin vereinbarte Entgelt erfasst, besteht nicht der geringste Anlass, diese schon entgoltene Leistung noch einmal und somit im Ergebnis doppelt zu prämieren. Eine wohl nur theoretische Ausnahme ist unter den Voraussetzungen der gestörten Geschäftsgrundlage anzuerkennen12. Angesichts des beiderseitigen Risikobewusst-
__________ 7 Dazu näher Martens, ZHR 169 (2005), 124, 126. 8 BGH, ZIP 2006, 72, 73 unter A III 1 a. 9 Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 93 AktG Rz. 29; Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 116 AktG Rz. 173; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 116 AktG Rz. 4; Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 90; Wiedemann in FS Heinsius, 1991, S. 949, 951; Fleischer, DB 2006, 542; Spindler, ZIP 2006, 349, 350. 10 BGH, ZIP 2006, 72, 74 unter A III 1 b bb (3). 11 Die rechtsvergleichenden Bedenken von Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 87 AktG Rz. 351 wären allenfalls dann diskutabel, wenn sie hinreichend abgesichert wären. Wie Kort aber selbst einräumen muss, fordert teilweise auch das amerikanische Schrifttum, hohen Anerkennungsprämien einen Riegel vorzuschieben. 12 Auf den Fortfall der Geschäftsgrundlage weist in diesem Zusammenhang auch Baums in FS Huber, 2006, S. 657, 671 ff. hin.
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seins wird es aber kaum Umstände geben, die die Parteien nicht in ihr Risikokalkül wenn auch nur in Umrissen aufgenommen haben. 2. Die Anreizwirkung Störend an der zitierten Argumentation des Bundesgerichtshofs ist lediglich die in ihrer Begründung und Reichweite außerordentlich vage Rechtfertigung einer solchen im Dienstvertrag nicht vereinbarten Sonderzahlung durch ihre Anreizwirkung. Das komme insbesondere dann in Betracht, „wenn die freiwillige Sonderzahlung entweder dem begünstigten Vorstandsmitglied selbst oder zumindest anderen aktiven oder potentiellen Führungskräften signalisiert, dass sich außergewöhnliche Leistungen lohnen, von ihr also eine für das Unternehmen vorteilhafte Anreizwirkung ausgeht“13. Mit einer solchen Anreizwirkung verflüchtigt sich die Rechtfertigung der Sonderzahlung in den Nebel argumentativer Beliebigkeit. Darüber hinaus steht diese Anreizwirkung in keinem messbaren Zusammenhang mit dem auf Heller und Pfennig berechenbaren Schaden der Sonderzahlung. Natürlich kann dieser Schaden durch korrespondierende Vorteile aufgewogen werden und damit der Untreuevorwurf entfallen. Aber diese Kompensation muss einen rationalen Zusammenhang zwischen Vorteil und Nachteil erkennen lassen, andernfalls entfällt jegliche Berechenbarkeit und beginnt der Bereich irrationaler Spekulation14. Was speziell die Anreizwirkung gegenüber Dritten („potentiellen Führungskräften“) betrifft, so ist dagegen einzuwenden, dass derartige Sonderzahlungen per se gänzlich ungeeignet sind, die Freigebigkeit der Gesellschaft gegenüber der Außenwelt zu demonstrieren. Das mag bei anderen Zahlungen mit Öffentlichkeitswirkung – z. B. Spenden – anders sein. Sonderzahlungen sind aber grundsätzlich auf den unternehmerischen Binnenbereich beschränkt und werden deshalb auch mit der gebührenden Diskretion behandelt. 3. Die bisherige Urteilskritik Die in der Literatur manchmal reichlich schrill formulierten Einwände gegen die Mannesmann-Entscheidung vermögen nicht zu überzeugen. Schon aus systematischen Gründen ist jene Kritik verfehlt, die sich auf die angebliche Missachtung der Business Judgement Rule15 und auf die Nichtanwendung des § 87 AktG16 sowie die Verkennung des Unternehmensinteresses17 stützt. Der für das unternehmerische Ermessen geeignete Entscheidungsbereich entfällt von vornherein, wenn im Einzelfall ein zwingendes Handlungsgebot oder -verbot besteht. Das vom Bundesgerichtshof in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellte Schädigungsverbot verbietet jedenfalls dann jegliche Ermessensaus-
__________ 13 BGH, ZIP 2006, 72, 74 unter A III 1 b bb (2); kritisch dazu Fleischer, DB 2006, 542, 543 f.; Peltzer, ZIP 2006, 205, 208. 14 Ebenso Dreher, AG 2006, 213, 219. 15 Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 128. 16 Fleischer, DB 2006, 542, 543 f. 17 Dazu Hüffer, BB 2003, Beilage 7, 19 ff.; kritisch Spindler, ZIP 2006, 349, 352.
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übung, wenn dem festgestellten Schaden kein irgendwie ersichtlicher Vorteil gegenüber steht. Derselbe Zusammenhang steht auch der Anwendung des § 87 AktG entgegen. Wenn der Schaden durch keinerlei Vorteil kompensiert, auch nicht teilweise kompensiert wird, ist die Frage nach der Angemessenheit der Vergütung (= Schaden) irrelevant. Auch das Unternehmensinteresse verliert im Rahmen der Schadensverursachung seine sonst rechtfertigende Funktion18. Ein weiteres gegen die Überzeugungskraft der Mannesmann-Entscheidung gerichtetes Bedenken zielt auf die durch das Schädigungsverbot fixierte Starrheit jeglicher Entgeltregelung. „Nicht nur nachträglich aufgrund einer ganz besonderen Leistung gewährte Sonderzahlungen wären danach unzulässig, sondern schon eine im Vertrag nicht von vornherein vereinbarte Erhöhung des Festgehalts wäre während der Vertragslaufzeit ausgeschlossen“19. Dieses Bedenken lässt eine argumentative Verlegenheit nicht verkennen; denn niemand hat bisher ernsthaft die Ansicht vertreten, dass Entgeltvereinbarungen für die Dauer der Bestellungsperiode unabänderlich sein müssen. Entscheidend ist nur, dass etwaige Anpassungsvereinbarungen im Dienstvertrag eine geeignete Grundlage finden und deshalb nicht den Charakter einer freigebigen Zuwendung aufweisen20. Ob und in welchem Umfang eine solche Grundlage zur Entgeltanpassung geeignet ist, ist aber gerade das eigentlich Streitthema. Oftmals wird Vertragsfreiheit i. S. beliebiger Regelungsfreiheit missverstanden. Gerade in diesem Zusammenhang ist sehr sorgfältig abzuwägen zwischen den an der Freiheit der Entgeltvereinbarung orientierten Parteiinteressen und den übergeordneten Systeminteressen. Die für die Anpassung der festen Bezüge aufgestellten Voraussetzungen gelten offensichtlich nicht in gleicher Weise für die Zahlung von Anerkennungsprämien und ebenso wenig für die Vereinbarung von Abfindungen. Wer in diesem Zusammenhang unter Berufung auf die Vertragsfreiheit für eine Gleichbehandlung aller Entgeltvereinbarungen plädiert, verkennt die ganz unterschiedlichen Zwecke der Entgeltbestandteile, auch ihre unterschiedlichen organpolitischen Ausstrahlungen und damit insgesamt ihren unterschiedlichen Standort im Gesamtsystem der dienstvertraglichen Entgelte. Ähnliche Einwände gelten auch dem wiederholten Hinweis auf die Ermessensprämie21, deren generelle Zulässigkeit eben auch die Zahlung der nicht vorab vereinbarten Anerkennungsprämie rechtfertigen soll22. In dieser Argumenta-
__________
18 So zutreffend BGH, ZIP 2006, 72, 74 unter A III 1 b cc; kritisch dazu Hüffer (Fn. 9), § 87 AktG Rz. 4 AktG; wie der BGH Martens, ZHR 165 (2005), 124, 134. 19 Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 129. 20 So kann auch der laufende Dienstvertrag während der Bestellungsperiode durch Vereinbarung einer Anerkennungsprämie noch geändert werden, wenn damit ein zukunftsbezogener Erfolg vergütet werden soll – so richtig Bauer/Arnold, DB 2006, 546, 547 f. und Spindler, ZIP 2006, 349, 351 f. 21 Soweit der BGH auf die Ermessensprämie eingeht (ZIP 2006, 72, 75 unter A III 1 b cc), haben diese Ausführungen offensichtlich nur entkräftende Funktion. Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Ermessensprämie zukünftig als wirksam anzuerkennen ist, lässt sich den Entscheidungsgründen nicht abschließend entnehmen – ebenso Bauer/Arnold, DB 2006, 546, 547. 22 Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 130; früher schon Wollburg, ZIP 2004, 646, 652 ff.
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tion übernimmt die Ermessensprämie die Funktion einer Allzweckwaffe, mit der jegliche Entgeltregelung verteidigt werden soll. Tatsächlich ist aber gerade die Ermessenprämie ein rechtlich derart ungesichertes Entgelt, dass sie ihrerseits der inneren Rechtfertigung bedarf. Unklar ist vor allem, nach welchen Ermessenkriterien über ihre Zahlung zu entscheiden ist; denn ein freies Ermessen kommt offensichtlich nicht in Betracht. In welchem Umfang und nach welchen Maßstäben das Ermessen jedoch gebunden ist, ist bisher nicht hinreichend geklärt23. Eine besondere Reizwirkung hat das in der mündlichen Urteilsbegründung vorgetragene24, in den Entscheidungsgründen nur angedeutete25 Bild von dem Gutsherrn und dem Gutsverwalter auf die Urteilskritiker ausgelöst. Was dem Gutsherrn freistehe, nämlich sein Vermögen auf die Bediensteten zu verteilen, sei dem Gutsverwalter verwehrt, weil er über das Vermögen des Gutsherrn nur treuhänderisch gebunden verfügen dürfe. Natürlich ist dieses Bild ungenau26, was in der Natur jedes Bildvergleichs liegt. Aber im Kern ist die mit diesem Bild verbundene Aussage zutreffend. Dass die Aufsichtsratsmitglieder in der Ausübung ihrer Organkompetenzen, also auch anlässlich ihrer Entgeltentscheidungen gegenüber dem Vorstand treuhänderisch verpflichtet sind und deshalb nicht wie ein Gutsherr verfügen können, der in eigenen Angelegenheiten frei handelt, ist schlechterdings nicht zu bestreiten und bedarf deshalb keiner weiteren Diskussion. 4. Resümee Zieht man ein erstes Resümee dieser Entscheidungsrezension, dann überwiegen doch ganz eindeutig die positiven Urteilsaspekte27. Das Schädigungsverbot ist sowohl in seiner dogmatischen Absicherung als auch in seiner konkreten Anwendung auf die vorab nicht vereinbarte und zudem kompensationslos gezahlte Anerkennungsprämie derartig schlagkräftig, dass diese MannesmannDoktrin auch in Zukunft Bestand haben wird, also auch von der zivilgerichtlichen Praxis respektiert werden wird28. Wie weit allerdings diese Urteilsgründe auch eine Aussage über die Zulässigkeit einer vereinbarten Anerkennungsprämie ermöglichen, ist hingegen weniger eindeutig zu beantworten.
__________ 23 24 25 26
Dazu näher unten Fn. 33. Dazu Jahn, ZIP 2006, 738, 741. BGH, ZIP 2006 72, 74 unter A III 1 b cc. Insofern ist die Kritik von Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 130 nicht völlig unberechtigt, aber angesichts der erkennbaren Kernaussage des Senats überzogen. 27 Daran ändert auch nichts das von Peltzer, ZIP 2006, 205, 207 eingebrachte Argument der Dankesschuld, deren Erfüllung nicht gegen die Vermögensbetreuungspflicht verstoße. Peltzer verwechselt offensichtlich Dankesschuld und Rechtsschuld – so zutreffend Dreher, AG 2006, 213, 218. 28 Ein Verstoß gegen diese Vermögensbetreuungspflicht führt nach den Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht zur Unwirksamkeit der Prämienvereinbarung – so Martens, ZHR 169 (2005), 124, 135 f.; Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 579; Säcker/Stenzel, JZ 2006, 1151, 1154 f.; Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 861, 863 ff.; Kort, DStR 2007, 1127, 1129 ff.
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II. Die Regelungsvoraussetzungen in der Zukunft 1. Verwertbare Anhaltspunkte in der Mannesmann-Entscheidung Zu den wenigen Anhaltspunkten zählen jene Bemerkungen, in denen die Zulässigkeit der an den Geschäftserfolg anknüpfenden Prämie bejaht wird. Dazu heißt es in den Entscheidungsgründen: „Ist im Dienstvertrag vereinbart, dass eine an den Geschäftserfolg gebundene einmalige oder jährlich wiederkehrende Prämie als variabler Bestandteil der Vergütung (Vgl. die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Codex 4.2.3.) bezahlt wird, darf sie nach Ablauf des Geschäftsjahres nachträglich zuerkannt werden. Der weite Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Präsidiumsmitglieder ist als Ausfluss ihrer Vermögensbetreuungspflicht nur insoweit eingeschränkt, als die Gesamtbezüge des bedachten Vorstandsmitglieds gem. § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen müssen (Vgl. zu den Maßstäben des Angemessenheitsgebots Fleischer DStR 2005, 1279, 1280 ff., 1321)“29. Diese Behauptungen sind im vorliegenden Zusammenhang nur begrenzt verwertbar, weil sie an den Geschäftserfolg anknüpfen, also an Erfolgsindikatoren, die nicht die Tätigkeit als solche erfassen, sondern deren Erfolg oder Misserfolg bemessen. Unter diesem Aspekt hat die Erfolgsprämie eine gegenüber der Festvergütung komplementäre Funktion und verdient deshalb im Rahmen des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG uneingeschränkte Anerkennung. Hingegen wird die Anerkennungsprämie bisher als Vergütung für eine besonders aufwendige oder strapaziöse Tätigkeit verstanden, die als solche vom dienstvertraglichen Tätigkeitsbereich erfasst wird und deshalb keine signifikante Bedeutung aufweist30. Wegen dieses gegenüber der Erfolgsprämie gravierenden Unterschieds kann die zur Zulässigkeit der Erfolgsprämie geäußerte Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht ohne umfassende Analyse auf die Vereinbarung einer Anerkennungsprämie übertragen werden. Danach kommt es darauf an, die Anerkennungsprämie gegenüber der Festvergütung hinsichtlich ihres Erfolgsparameters in ähnlicher Weise abzugrenzen wie die Erfolgsprämie gegenüber der Festvergütung. Man könnte versucht sein, die vereinbarte Anerkennungsprämie jedenfalls dann als zulässig anzuerkennen, wenn sie jene Voraussetzungen erfüllt, die der Bundesgerichtshof für die Wirksamkeit der nicht vorab, sondern ad hoc vereinbarten Anerkennungsprämie statuiert hat. Freilich begibt man sich mit dieser Argumentation auf das schon kritisch angesprochene, außerordentlich ungesicherte Gebiet der Anreizwirkungen31. In dieser Hinsicht ist aber zukünftige Akzeptanz nur unter Einschränkungen zu erwarten. Anhaltspunkte für jene Voraussetzungen, unter denen vorab vereinbarte Anerkennungsprämien zukünftig zulässig sein sollen, ergeben sich aus der Strin-
__________ 29 BGH, ZIP 2006, 72, 74 unter A III 1 b bb (1). 30 Besonders deutlich Liebers/Hoefs, ZIP 2004, 97, 98; zustimmend Kort in Großkomm. AktG (Fn. 11), § 87 AktG Rz. 366; dagegen nachdrücklich Martens, ZHR 169 (2005), 124, 132. 31 Dazu oben unter I.2.
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genz der Entscheidungsgründe. Der Bundesgerichtshof hat sein Verdikt ebenso eindeutig wie auch schlagkräftig begründet. Wollte man die Ansicht vertreten, dass man sich diesem Verdikt mit einer Abrede, die lediglich auf einzelne Tätigkeiten Bezug nimmt, entziehen könne, dann greift man zu kurz, verkennt den wesentlichen Gerechtigkeitsgehalt der Entscheidung und läuft Gefahr, sich auch in Zukunft erneut der Strafverfolgung auszuliefern. Man wird dieser Stringenz nur gerecht, wenn man sich auch um inhaltliche Kriterien bemüht, die die Prämienabrede über den bloßen Konsens hinaus inhaltlich erfüllen muss32. Anhaltspunkte für ein solches inhaltliches Verständnis sind auch in der Mannesmann-Entscheidung vorzufinden. So ist z. B. im Zusammenhang der Ermessenstantieme von besonderen Leistungen die Rede33. Und im Zusammenhang der Überlegungen zum Äquivalenzverhältnis heißt es, dass der Erfolg einer geschuldeten Tätigkeit für sich allein kein rechtfertigender Grund sei, das im ursprünglichen Dienstvertrag von den Parteien als angemessen bewertete Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nachträglich einseitig zum Nachteil der Gesellschaft abzuändern34. Verknüpft man beide Aussagen, dann kann man – gleichsam als Zwischenfazit – feststellen, dass rechtfertigender Grund und damit Voraussetzung für die Zahlung einer vorab vereinbarten Anerkennungsprämie eine besondere Leistung ist, die sich nicht in dem Vollzug einer ohnehin geschuldeten Tätigkeit erschöpfen darf. Diese noch sehr unbestimmten Formulierungen sind allerdings für die Subsumtion im Einzelfall ungeeignet. 2. Generalklausel oder Enumerativsystem? Es stellt sich deshalb die generelle Frage, ob die Wirksamkeit der Anerkennungsprämie – sei es ihrer Vereinbarung, sei es ihrer Zahlung – aufgrund einer Generalklausel oder nach einem Enumerativsystem einzelner Prämienfälle beurteilt werden soll. Die Generalklausel belässt dem Aufsichtsrat einen weitreichenden Beurteilungs- oder Ermessensspielraum und ähnelt unter diesem Aspekt der Ermessensprämie. Die damit verbundenen Vorteile sind hinsichtlich der Ermessensprämie schon zutreffend hervorgehoben worden. Der Aufsichtsrat verfügt „im Zeitpunkt des Entscheidens post festum über alle für eine möglichst gerechte Beurteilung der individuellen Leistung des Vertragspartners notwendigen Tatsachen. Kein anderes System ermöglicht eine so
__________ 32 Auch die von Peltzer, ZIP 2006, 205, 207 Fn. 16 vorgeschlagene Klauselfassung erschöpft sich nicht im bloßen Konsens, sondern setzt für die Prämienvergabe Leistungen voraus, „die sich für die Gesellschaft signifikant vorteilhaft auswirken und die bei Abschluss des Vertrages nicht voraussehbar waren …“. Macht man mit dieser Formulierung Ernst, wird es vermutlich keinen Prämienbezug geben; denn welches Ereignis ist angesichts der unternehmerischen Vielgestaltigkeit nicht voraussehbar. Im Übrigen kommt es auf die Voraussehbarkeit nicht an. Warum sollen voraussehbare Erfolge nicht prämierbar sein? Von Erfolgen ist allerdings in der von Peltzer vorgeschlagenen Klauselfassung nicht die Rede. 33 BGH, ZIP 2006, 72, 75 unter A III 1 b cc. 34 BGH, ZIP 2006, 72, 75 unter A III 1 b cc.
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flexible nuancierte Leistungsbeurteilung wie die Ermessenstantieme“35. Dieser positiven Sicht steht aber eine deutlich negative Kehrseite gegenüber. Wegen dieses ex-ante sowohl hinsichtlich seiner Verteilungsgründe als auch hinsichtlich des Umfangs offenen Vergütungssystems sind die Erwartungen des passiv betroffenen Vorstands nichts anderes als Spekulationen oder vage Hoffnungen. Sie können sich erfüllen oder enttäuscht werden. Die eigenen Anstrengungen erweisen sich als nutzlos, wenn der Aufsichtsrat sein Ermessen gleichwohl negativ ausübt. Angesichts dieser Ungewissheit ist nicht erkennbar, welche Motivationskraft von einer derart unbestimmt geregelten Ermessens- oder Anerkennungsprämie ausgestrahlt wird, es sei denn die Motivation, sich dem Aufsichtsrat mit Haut und Haar auszuliefern. Das größte Bedenken resultiert freilich aus der generellen Regelungskompetenz, die dem Aufsichtsrat in einem Umfang überlassen wird, der mit den Grundsätzen der Vertragsparität, mit der auf gleichberechtigte Regelungskompetenz der Parteien angelegten Rollenverteilung und dem abgestuften Kompetenzsystem von Vorstand und Aufsichtsrat unvereinbar ist. Der Aufsichtsrat ist nicht berufen, sein Füllhorn voller Freigebigkeiten auszuschütten und sich damit den Vorstand gefügig zu machen (§ 111 Abs. 4 AktG)36. Die vorstehend dargelegten Gründe legen es nahe, gegen die Regelung der Ermessenprämie ebenso wie gegen die Regelung einer Generalklausel über die Anerkennungsprämie durchgreifende Bedenken anzumelden. Inhaltlich kommt es freilich nicht so sehr auf diese regelungstechnische Problematik an als vielmehr auf das Sachproblem, unter welchen Sachvoraussetzungen die Ermessensprämie bzw. die Anerkennungsprämie zuerkannt werden darf, ohne dass eine Kollision mit der in Form des Festentgelts gezahlten Tätigkeitsvergütung eintritt. 3. Das Erfordernis konkreter Zielvereinbarung als Rechtfertigung der Anerkennungsprämie Vorbild für eine solche Abgrenzung bildet das Arbeitsrecht, in dem eine umfangreiche Diskussion über die rechtliche Einordnung, ihre Voraussetzungen und Grenzen, entgeltrelevanter Zielvereinbarungen geführt wird37. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Erkenntnis, dass der Arbeitsvertrag – und dasselbe gilt für den Dienstvertrag – seiner Struktur nach auf die Verrichtung
__________ 35 Fonk, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1. Aufl. 1999, I Rz. 122. 36 So schon Martens, ZHR 169 (2005), 124, 143 f. – Die Ermessensprämie weist ohnehin ein schillerndes Gewand auf, unter dem sich entweder ein freies oder gebundenes Ermessen verbergen kann. Bedenken gegen das freie Ermessen unter den Aspekten der Mannesmann-Entscheidung äußert Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 130; ähnlich Bauer/Arnold, DB 2006, 546, 547 und Spindler, ZIP 2006, 349, 352, nach dem auch die Zahlung einer vorab vereinbarten Anerkennungs- oder Ermessensprämie denselben Voraussetzungen genügen, also dieselben Anreizstrukturen aufweisen müsse, die der Bundesgerichtshof in der Mannesmann-Entscheidung festgelegt hat. 37 Vgl. dazu die umfassende Arbeit von Heiden, Entgeltrelevante Zielvereinbarungen aus arbeitsrechtlicher Sicht, 2007.
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von Tätigkeiten ohne jeden Erfolgsbezug gerichtet ist. Die Unterscheidung zwischen Dienst- und Werkvertrag beruht gerade auf der spezifischen Eigenschaft des Erfolgsbezugs. Freilich ist auch bekannt, dass es gerade in dieser Hinsicht Abgrenzungsprobleme gibt, so dass die Vertragsqualifikation nicht trennscharf vorgenommen werden kann. Das gilt vor allem dann, wenn im Rahmen des dispositiven Vertragsrechts der Dienstvertrag mit erfolgsbezogenen Elementen vermengt wird. Dann werden aus dem ursprünglichen Dienstvertrag ein mit werkvertraglichen Elementen vermischter Vertrag und schließlich sogar ein mit dienstvertraglichen Elementen vermischter Werkvertrag. Macht man sich diese Unterscheidung von dienstvertraglicher und werkvertraglicher Leistung zunutze, dann gelangt man auch in diesem Zusammenhang, in dem es um den spezifischen Sachgrund für die Zuerkennung einer Anerkennungsprämie geht, zu einem plausiblen wie auch schlüssigen Ergebnis: Die Anerkennungsprämie hat das Vorstandmitglied nicht für seine Dienste verdient, mögen diese auch noch so strapaziös gewesen sein – dafür erhält es sein Festgehalt –, sondern nur für den „ausgelobten“ Erfolg38. Unter Betracht des der Mannesmann-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts gelangt man nach dieser Unterscheidung zu folgendem Ergebnis: Da ein Erfolg ausgeblieben ist, die Übernahme durch Vodafone eben nicht verhindert werden konnte, erschöpft sich die Vorstandstätigkeit in den dienstvertraglichen Anstrengungen, für die das Festgehalt wie für alle anderen Anstrengungen gezahlt wird. Wäre umgekehrt die Abwehrschlacht wie einstmals in Sachen Conti gegen Pirelli erfolgreich gewesen, so wäre dieser Erfolg zugleich ein substantieller Anlass für eine Anerkennungsprämie gewesen. In der juristischen Auseinandersetzung um die zivil- und strafrechtliche Zulässigkeit der tatsächlich gezahlten Anerkennungsprämien ist dieser Aspekt des fehlenden Erfolgsbezugs nicht bedacht worden. Aus dieser Sicht wird aber deutlich, dass das Mannesmann-Urteil in jeder Hinsicht zutreffend ist; selbst wenn die Anerkennungsprämie in einer Vereinbarung ihren Niederschlag gefunden hätte, hätte sie mangels Erfolgseintritts nicht gezahlt werden dürfen39. Die Abwehraktivitäten als solche sind kein Grund, über das Festgehalt hinaus wegen überobligatorischer Anstrengungen ein besonderes Entgelt zu zahlen40. Dienstleistung und Erfolgseintritt weiter zu konkretisieren besteht in diesem thematischen Rahmen weder Anlass noch Raum41. Generell lässt sich nur feststellen, dass der vereinbarte Erfolg eine Wertigkeitsschwelle überschreiten muss, die ihn deutlich von tätigkeitsimmanenten Handlungszielen hervor-
__________ 38 Insofern besteht zwischen der Erfolgsprämie, die an quantitative Erfolgsgrößen wie z. B. den Gewinn, Börsenkurs oder Dividendenhöhe anknüpft, und der Anerkennungsprämie, die an Sacherfolge anknüpft, kein substantieller Unterschied. Es liegt deshalb nahe, beide Prämienarten unter dem einheitlichen Begriff der Erfolgsprämie zusammenzufassen, also zukünftig auf den Begriff der Anerkennungsprämie zu verzichten. 39 Ebenso wohl Spindler, ZIP 2006, 349, 352. 40 A. A. Kort in Großkomm.AktG (Fn. 11), § 87 AktG Rz. 366. 41 Zur Börsenplatzierung als geeigneter Erfolgsgegenstand vgl. Martens, ZHR 169 (2005), 124, 142 Fn. 49.
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hebt. Stellen sich nämlich diese Ziele gleichsam automatisch bei Anspannung normaler Arbeitskraft ein, kann man schwerlich von einem gegenüber der Dienstleistung eigenständigen Erfolgseintritt sprechen. Dieses Wertigkeitsproblem lässt sich jedoch durch die Angemessenheitsprüfung nach § 87 AktG hinreichend bewältigen. Des Weiteren ist auf eine unzulässige Kompetenzvermischung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat hinzuweisen. Mittels derartiger Erfolgsvereinbarungen wirkt der Aufsichtsrat mittelbar auf die Geschäftspolitik des Vorstands ein. Die Prämienzusage ist zwar keine Weisung, kann aber je nach Prämienhöhe und Sachgrund weisungsähnliche Bedeutung haben: Wenn der Vorstand nicht pariert erhält er eben keine Prämie. Aus dieser Sicht geht die Zusage über die Anerkennungsprämie noch über das Zustimmungsrecht des Aufsichtsrats nach § 114 Abs. 4 Satz 2 AktG hinaus. Während das Zustimmungsrecht nur defensiv-kontrollierende Funktion hat, wirkt die Prämienzusage offensiv und pressiv: Rechtsformal ist der Vorstand zwar nicht gebunden, aber rechtstatsächlich unterliegt er dem finanziellen Dirigat des Aufsichtsrats. Wenn sich dieses Anreizsystem wie in Fällen der Anerkennungsprämie auf ein ganzes Programm mehrerer Erfolge erstreckt, ist es mit der Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft nicht vereinbar42.
III. Schlussbetrachtung Die Vorstandsvergütung nach heutiger Dimension ist eine viel zu ernste Angelegenheit, als dass man darüber mit leichter Hand und leichtem Gemüt urteilen sollte. Erforderlich sind ein kühler Kopf und ein kühles Herz, frei von Neid und Raffgier, nur dem Gesetz und dem Recht verpflichtet. An diese Handlungsmaxime zu erinnern, besteht nach der Mannesmann-Schlacht um das richtige Recht aller Anlass. Wenn es in diesem Zusammenhang einen geringsten gemeinsamen Nenner gibt, dann ist es wohl das in seinem normativen und rechtspolitischen Stellenwert allseits akzeptierte Transparenzgebot. Die Vorstandsvergütung muss so eindeutig und in ihrem Umfang so hinreichend berechenbar geregelt werden, dass jeglicher Verdacht manipulativer Bereicherung von vornherein ausgeschlossen ist. Diesem Anliegen sind die vorstehenden Ausführungen verpflichtet. Wenn man auf die Vereinbarung einer in ihrer verschleiernden, allemal diffusen Wirkung kaum zu übertreffenden Ermessensprämie verzichtet und die anvisierten Erfolge klipp und klar mit entsprechenden Prämien verknüpft, dann ist dieses Transparenzgebot hinreichend gewahrt. Insbesondere wird für jedermann ersichtlich, dass eine derartige Prämie nicht in Konkurrenz zu den sonstigen Entgeltbestandteilen, vor allem nicht in Konkurrenz zum Festgehalt steht, sondern ihren eigenen verlässlichen Stellenwert hat.
__________ 42 Dazu schon Martens, ZHR 169 (2005), 124, 142.
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Die Aktionärsrechte-Richtlinie Inhaltsübersicht I. Entstehung und Hintergrund der Richtlinie 1. Binnenmarkt für Kapital und die Ware „Aktie“ 2. Die Vorbereitung der RL II. Inhalt und Umsetzung der Richtlinie 1. Einberufung 2. Stimmrechtsvertretung 3. Fragerecht
4. Fernteilnahme 5. Legitimation 6. Transparenz III. Bewertung der Richtlinie 1. Internationalisierung 2. Institutionalisierung 3. Mediatisierung 4. Funktionen der Hauptversammlung 5. Fazit
I. Entstehung und Hintergrund der Richtlinie 1. Binnenmarkt für Kapital und die Ware „Aktie“ Im vergangenen Jahr wurde das 50er-Jubiläum der Römischen Verträge ausgiebig gewürdigt. Die Europäische Union hat das Ziel des gemeinsamen Binnenmarktes weithin erreicht. Der Käufer auf dem europäischen Waren-Binnenmarkt kann mit Blick auf Verbraucherschutz und Produktsicherheit von einem hohen Standard ausgehen1. Diese Gewähr hat der Käufer auf dem europäischen Kapital-Binnenmarkt bislang noch nicht. Er erwirbt mit der Aktie ein Produkt, dessen Eigenschaften überwiegend von der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung festgelegt werden. Stimmrechte, Rederechte, Informationsrechte, Teilnahmerechte, Anfechtungsrechte sind in jedem der 27 Mitgliedstaaten anders geregelt, wobei die Gesellschaftssatzungen die Vielfalt noch potenzieren. Bei dieser Lage hat ein „dänischer Anleger in Kopenhagen nicht die geringste Chance, seine Beteiligungsrechte als Aktionär der italienischen Sozieta per Azioni auszuüben …; ehe der belgische Aktionär davon erfährt, hat die Hauptversammlung seiner Gesellschaft in Madrid längst stattgefunden“2. Der Befund ist eindeutig: Die Portfolios der Anleger werden immer internationaler3. Der zuständige Referatsleiter der EU-Kommission gibt an, dass 30 %
__________ 1 Westermann in Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, 2000, S. 251 ff.; ders. in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 109. 2 Lutter, ZGR 2000, 1, 11. 3 Deutsches Aktieninstitut (Hrsg.), DAX-Aktionärsstrukturen, 2005, S. 7, 19; Bericht des Bundesministeriums der Justiz über Stimmrechtsfragen, NZG 2004, 948, 950; Winkler, Das Stimmrecht der Aktionäre in der Europäischen Union, 2006, S. 3 f.; Noack, ZIP 2005, 325, 326; Seibert BB 1998, 2536, 2538 f.
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des Kapitals von börsennotierten Gesellschaften durch im Ausland ansässige Aktionäre gehalten werden4. Der Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (1999–2005) der Kommission hatte das Funktionieren des einheitlichen grenzüberschreitenden Kapitalmarkts zum Ziel. Doch die gesellschaftsrechtliche Flanke blieb bislang offen. Die Verwaltungsrechte aus den erworbenen Aktien sind grenzüberschreitend sehr schwierig auszuüben5. Letztlich schwächen diese Hindernisse für die Wahrnehmung des Stimmrechts sowohl die Bereitschaft zu einer weiteren Investition auf dem europäischen Kapitalmarkt als auch die nationalen Corporate Governance-Strukturen, weil die Beteiligung (Präsenz) an den Hauptversammlungen zurückgeht6. Grundregeln über die Information und Teilnahme der Aktionäre, die in allen Aktienrechten der Mitgliedstaaten gelten, sollen einen Mindeststandard schaffen. Die Gretchenfrage der europäischen Rechtspolitik war und ist auch im Bereich der Aktionärsbefugnisse: Harmonisierung oder Wettbewerb der Rechtsordnungen7? Nach einem Schub der Rechtsvereinheitlichung (Publizität, Kapital, Rechnungslegung) hat sich schon ab den siebziger Jahren – parallel zum Mitgliederzuwachs der Gemeinschaft – Skepsis breitgemacht. Der ambitionierte Vorschlag einer Strukturrichtlinie8, der u. a. die Einführung eines Auskunftsrechts vorsah, ist nach zwei Versuchen (1972/1983) gescheitert. Der EU gelangen gesellschaftsrechtlich nur noch Richtlinien an der Peripherie, etwa zur Einpersonen-Gesellschaft. Die Musik spielt seither im Kapitalmarktrecht (Übernahme, Transparenz, Insider). Umso bemerkenswerter ist die 2007 beschlossene Richtlinie über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften9. Diese Richtlinie vereinheitlicht im Wesentlichen einige Regeln über die Ankündigung der Hauptversammlung und über die Ausübung des Stimmrechts. Die Richtlinie betrifft allerdings nur Aktiengesellschaften (inkl. der SE), „deren Aktien zum Handel an einem (…) geregelten Markt zugelassen sind“ (Art. 1 Abs. 1).
__________ 4 Desaulx, Finanzplatz Nr. 2, 2006, S. 18 (via www.dai.de >Publikationen). 5 Cross-Border Voting in Europe – Final report of the Expert Group on Cross Border Voting in Europe, August 2002, abrufbar unter: www.jura.uni-duesseldorf.de/ dozenten/noack/gesetz.shtml; Baums/Wymeersch (eds.), Shareholder Voting Rights and Practices in Europe and the United States, 1999; Lutter, ZGR 2000, 1, 10 f.; Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Eine rechtsvergleichende Studie über Minderheitenrechte der Aktionäre sowie Stimmrechtsausübung und -vertretung in Europa, 1999, S. 95 ff.; Becker, Die institutionelle Stimmrechtsvertretung der Aktionäre in Europa, 2001; Winkler (Fn. 3), passim; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, § 12. 6 Das ist zurzeit ein besonderes Thema in Deutschland. Waren bei den 30 DAXGesellschaften 1998 noch durchschnittlich 61 Prozent des stimmberechtigten Kapitals auf den Hauptversammlungen vertreten, waren es in 2006 nur noch rund 49 Prozent. Zahlen bei http://www.dsw-info.de/ (Hauptversammlungspräsenzen). Zur Entwicklung Dauner-Lieb, WM 2007, 9 ff. 7 Kieninger, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002; Grundmann, ZGR 2001, 783; Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545. 8 ABl. 1972, Nr. C 131/49. 9 RL 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007, ABl. 2007 Nr. L 184/17; dazu (nach Manuskriptabschluss) Zetzsche, NZG 2007, 686.
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Die aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammende Vorstellung, sowohl die Finanzverfassung als auch die Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft zu „harmonisieren“, hat sich – wenn man so will – nur zur Hälfte durchgesetzt. Die erfolgreiche Hälfte ist die Normierung der Finanzverfassung, geregelt in der Kapitalrichtlinie von 1976 und reformiert 200610. Die andere Hälfte blieb ohne europarechtliches Fundament. Jedoch wird durch andere Richtlinien ein wesentliches Strukturelement der Verfassung der Aktiengesellschaften in Europa festgelegt: es muss eine Hauptversammlung der Aktionäre geben. Diese befindet über Kapitalmaßnahmen (Kapitalrichtlinie 1976)11, über die Spaltung (Spaltungsrichtlinie 1982) und die internationale Fusion (Verschmelzungsrichtlinie 2005). Die Aktionärsrechterichtlinie des Jahres 2007 setzt die Existenz der Hauptversammlung als selbstverständlich voraus (zu deren zwei Bedeutungen unten III.4.). Nicht nur die Hauptversammlung als notwendiges Beschlussorgan, sondern auch das Stimmrecht des Aktionärs als Teilhabeinstrument ist im europäischen Sekundärrecht fest verankert. Die neue Aktionärsrechterichtlinie formuliert detaillierte Leitlinien für die Wahrnehmung des Stimmrechts. Ihr geht es um die individuelle Ausübung und deren Erleichterung, während bei den Transparenz- und Übernahmerichtlinien die kollektive Wirkung der Stimmrechtsmacht ganz im Vordergrund steht. Die Transparenzrichtlinien (1988 und 2004) verlangen die Meldung und Offenlegung von Stimmrechtsquoten. Die Transparenzrichtlinie 2004 verlangt zudem, dass der Emittent über die Hauptversammlung und die Rechte der Aktionäre bezüglich der Teilnahme informiert (Art. 17 Abs. 2). Die Übernahmerichtlinie (2004) befasst sich mit der Wirkung von Stimmrechten in der Übernahmephase, insbesondere mit Höchst-, Mehrstimmrechten und Stimmbindungen (Art. 10–12). Nimmt man auch noch die Rechtsprechung des EuGH zu den „Golden Shares“ der öffentlichen Hand in den Blick12, so zeigt sich, dass dort das Stimmrecht als wesentliche Funktion der primärrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit verstanden wird. Für die geschilderten Regelungen über Stimmrechte und Hauptversammlung trifft das von Lutter über das europäische Unternehmensrecht gezeichnete Bild zu, wonach es sich entwickelt wie Sandbänke und Dünen, aus denen Inseln sich bilden, die sodann Anschluss an das feste Land suchen13.
__________ 10 EG-RL 2006/86; dazu etwa (für das deutsche Recht) R. Freitag, AG 2007, 157; Oechsler, ZHR 170 (2006), 72; Schmolke, WM 2005, 1828 ff. 11 Die Kompetenz der Hauptversammlung wahrend EuGH v. 12.3.1996 – Rs. C-441/93 – Pafitis; EuGH v. 12.5.1998 – Rs. C-367/96 – Kefalas. 12 Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317; Ruge, EuZW 2002, 421; Spindler, RIW 2003, 850. 13 Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, ZGR Sonderheft 1, 4. Aufl. 1996, S. 4.
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2. Die Vorbereitung der RL Die im Juli 2007 verabschiedete Richtlinie wurde im Vorjahr als Vorschlag der Kommission präsentiert14. Dieser Vorschlag kam entsprechend dem neuen Stil der europäischen Normgebung nicht aus heiterem Himmel, sondern zeichnete sich seit der Jahrtausendwende ab. Die damals eingesetzte High Level Group of Corporate Experts befürwortete in ihrem 2002 vorgelegten Bericht15 eine entsprechende legislative Initiative für grundlegende Aktionärsrechte. Diesem Petitum entsprach der Aktionsplan der Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance (2003)16. Danach sollte kurzfristig verbessert werden „die Wahrnehmung einer Reihe anderer Rechte, die den Aktionären in börsennotierten Gesellschaften zustehen (Fragerecht, Recht auf Vorlage von Beschlüssen, Recht auf Briefwahl oder auf die Teilnahme an Hauptversammlungen auf elektronischem Wege).“ Zwei umfängliche internetgestützte öffentliche Konsultationen17 in den Jahren 2004 und 2005 bereiteten den Vorschlag vor. Die neu eingerichtete Advisory Group on Corporate Governance and Company Law, die sich aus 20 Sachverständigen zusammensetzt18, wurde ebenfalls mit dem Vorhaben befasst. Die Kommission hat eine begleitende Folgenabschätzung (impact study) erstellt und will 3 Jahre nach Umsetzung der Richtlinie eine Evaluation vornehmen. Der eigentliche Gesetzgebungsgang des im Januar 2006 vorgelegten Entwurfs einer Richtlinie „über die Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind“ (so die ursprüngliche Betitelung) verlief effizient und relativ zügig. Die österreichischen, finnischen und deutschen Präsidentschaften waren auf Ratsseite für das Beratungsprozedere zuständig, während im Europäischen Parlament die beiden deutschen Abgeordneten Klaus Heiner Lehne und Wolfgang Klitz für den Rechtsausschuss und für den Wirtschaftsausschuss rapportierten. Ohne öffentlich wahrnehmbare Diskussion wurde das Projekt auf Fachebene vorangebracht, so dass schließlich Mitte Februar 2007 das Europäische Parlament in nur einer Lesung zustimmen konnte. Die „beteiligten Kreise“ haben selbstverständlich währenddessen ein intensives Lobbying gepflegt, dessen markantes-
__________ 14 Dazu Siems, EBOR 2005, 539; Spindler, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005, 2006, S. 31, 37 ff.; Grundmann/Winkler, ZIP 2006, 1421; J. Schmidt, BB 2006, 1641; Wand/Tillmann, AG 2006, 443; Noack, NZG 2006, 321; Noack/Beurskens, GPR 2006, 88. 15 http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf. Experte aus Deutschland war Klaus Hopt. 16 http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/company/company/modern/index.htm #plan. Dazu aus der deutschen rechtwissenschaftlichen Literatur etwa Habersack, NZG 2004, 1 ff.; Wiesner, ZIP 2003, 977; Maul/Lanfermann/Eggenhofer, BB 2003, 1289; Bayer, BB 2004, 1, 5 ff. 17 http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/shareholders/index_de.htm. 18 Aus Deutschland Theodor Baums und Daniela Weber-Rey; s. http://europa.eu.int/ comm/internal_market/company/advisory/index_de.htm.
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ter Erfolg aus Sicht des deutschen BDI in der Streichung eines der Hauptversammlung vorgelagerten Fragerechts bestand (unten II.3.).
II. Inhalt und Umsetzung der Richtlinie Die bis August 2009 umzusetzende Richtlinie betrifft individuelle Aktionärsrechte im Zusammenhang mit der Hauptversammlung. Zunächst ist festzuhalten, dass die Richtlinie einen Minimalstandard einführen wird, aber darüber hinausgehende Regelungen der Mitgliedstaaten nicht hindert. Dies stellt Art. 3 klar, wonach die Ausübung der in der Richtlinie genannten Aktionärsrechte „erleichtert“ werden kann. So kann etwa das deutsche Recht der Gegenanträge (§ 126 AktG) ungeschoren bestehen bleiben. Die Richtlinie „über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären“ behandelt folgende Gegenstände: das Stimmrecht und dabei insbesondere das Recht auf Vertretung; das Recht auf Information, welches als Fragerecht des Einzelnen und als Bringschuld der Gesellschaft bestimmt ist. Der Schwerpunkt liegt auf der Beziehung Aktionär – Gesellschaft, während das Verhältnis des Aktionärs zu seinem Vertreter nur am Rande geregelt wird. Zu Sanktionen äußert sich die Richtlinie überhaupt nicht. Sie stellt in Art. 14 Abs. 3 lediglich klar, dass die „Möglichkeit einer späteren rechtlichen Anfechtung des Abstimmungsergebnisses“ nicht berührt wird. Es gilt der vom EuGH unter Verweis auf Art. 10 EGV festgestellte Grundsatz, dass Regeln zur Umsetzung von Richtlinien effizient sanktioniert sein müssen. Das ist in Deutschland durch die Nichtigkeits- und Anfechtungsvorschriften der §§ 241 ff. AktG allemal der Fall. Materielle Aktionärsbefugnisse werden in der Richtlinie nicht formuliert, da dies eine Veränderung des mitgliedsstaatlich geordneten Corporate Governance-Gefüges zur Folge hätte. Ob die Hauptversammlung omnipotent oder kompetenzkarg ist, ist kein Regelungsgegenstand. Deutschland wird also mit seiner Holzmüller/Gelatine-Problematik19 ohne europäische Vorgabe fertig werden müssen. 1. Einberufung Die Gesellschaft muss spätestens am 21. Tag vor der Hauptversammlung einberufen. Insofern ist das deutsche Recht, das sogar 30 Tage verlangt (§ 121 Abs. 1 AktG), richtlinienkonform. Die Art und Weise der Einberufung ist in der Endfassung der RL nicht ausdrücklich vorgeschrieben; es heißt dort nur, sie sei in einer Form vorzunehmen, „die in nicht diskriminierender Weise einen schnellen Zugang zu ihr gewährleistet“. a) Die Vorgaben zur Einberufung der Hauptversammlung waren besonders umstritten. Das ist nicht verwunderlich, denn die Systeme der Information über die Hauptversammlung sind in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich
__________
19 BGHZ 83, 122; BGHZ 159, 30.
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gestaltet. Das betrifft sowohl die Einberufungsfristen als auch die Push-PullFrage. Hat sich der Aktionär die Information selbst zu beschaffen („pull“) oder wird sie ihm überbracht („push“)? Das deutsche Aktienrecht kombiniert in dieser Angelegenheit: über den elektronischen Bundesanzeiger ist öffentlich einzuberufen und diese Einberufung ist später dem Aktionär zu übermitteln (bei Namensaktien direkt von der Gesellschaft, bei Inhaberaktien indirekt über die Depotbanken). Der RL-Vorschlag sah im Sinne des Push-Modells vor, dass die Einladung zur Hauptversammlung spätestens 30 Tage vorher zu versenden („send out“) sei. Diese Anordnung stieß auf deutschen Widerstand, da sie mit dem hiesigen Kombinationssystem kaum vereinbar erschien20. Die endgültige Fassung der RL hat sich demgegenüber für ein eigenartiges Pull-Modell entschieden. Zum einen muss die Gesellschaft für die HV-Information „auf Medien zurückgreifen, bei denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Gemeinschaft weiterleiten.“ Zum anderen müssen die vorgeschriebenen Informationen auf der Internetseite der Gesellschaft abrufbar sein. Letzteres ist für Kodex-folgsame deutsche Aktiengesellschaften nichts Neues. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) empfiehlt, dass alle Unterlagen etc. für die Hauptversammlung auf der Internetseite präsentiert werden21. Die Empfehlung durch einen offiziösen Kodex reicht allerdings nicht für die Richtlinien-Umsetzung. Das Aktiengesetz muss künftig eine solche Publikation auf der Internetseite der Gesellschaft vorschreiben. Die Nutzung dieses bei allen börsennotierten Gesellschaften vorhandenen Internetauftritts haben schon WpHG22 und WpÜG23 und indirekt auch das AktG24 bestimmt. Hingegen ist die erstgenannte Anforderung („auf Medien zurückgreifen“) hoch problematisch. Die Formulierung ist wörtlich aus Art. 21 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie entnommen; dort geht es um die Verbreitung von Finanzinformationen. Die HV-Benachrichtigung (Art. 17 Transparenz-RL) ist jedenfalls nach Auffassung des deutschen TUG-Gesetzgebers25 davon nicht erfasst, weshalb § 30b WpHG im Einklang mit dem AktG auf den elektronischen Bundesanzeiger setzt. Mit der Aktionärsrechte-RL ist die Publikation (nur) durch den elektronischen Bundesanzeiger in Frage gestellt. Denn der Mitgliedstaat muss das „Zurückgreifen auf Medien“ mit gemeinschaftsweitem Verbreitungscharakter vorschreiben – freilich unbeschadet „weiterer Anforderungen an die Bekanntmachung“. Daher kann das deutsche Aktienrecht an dem elektronischen Bundesanzeiger als rechtlich maßgeblicher Einberufungsveröffentlichung festhalten. Das sollte schon deshalb nicht anders sein, weil nur so die
__________ 20 Die (i. d. R. Papier-)Versendung erfolgt 12 Tage nach der Einberufung (§ 125 Abs. 1 AktG). 21 Nr. 2.3.1 Satz 3 DCGK. 22 §§ 37v/w/x WpHG: Internetadresse für Finanzberichte. 23 §§ 14, 27 WpÜG. 24 §§ 126, 161 AktG: „zugänglich machen“. 25 Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 5.1.2007, BGBl. I, 10.
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drakonische Nichtigkeitssanktion (§ 241 Nr. 1 AktG) für Einberufungsfehler gerechtfertigt ist. Die HV-Beschlüsse mit Nichtigkeit zu bedrohen, weil das ominöse „Zurückgreifen auf Medien“ irgendwie zu beanstanden war, würde jedes vernünftige Maß sprengen. Für die effektive Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, das sich interessanterweise zu Sanktionen an keiner Stelle äußert, würde insoweit ein Ordnungswidrigkeiten-Tatbestand vollauf genügen26. Die Nützlichkeit und Operabilität des „Zurückgreifen auf Medien“ ist äußerst zweifelhaft. Es gibt so gut wie keine Tageszeitung, die gemeinschaftsweit verbreitet ist. Internetseiten sind zwar ubiquitär, aber davon gibt es viele, so dass deren Auswahl ganz beliebig wäre. Auf Seiten des Aktionärs ist es Zufall, ob er das richtige Medium konsumiert. Eine sinnvolle Pull-Lösung ist das nicht. Vor allem aber: Die Gesellschaft muss nicht inserieren oder einen fremden Internetauftritt kostenpflichtig buchen. Wenn naheliegend das „Zurückgreifen auf Medien“ der beiden Richtlinien als ein den „Medien zuleiten“ (§ 3a WpAIV)27 formuliert wird, besteht allein die Pflicht des Emittenten, dieses Medienbündel über das bevorstehende HV-Ereignis zu informieren. Was eine Zeitung oder ein Internetdienst aus dieser Information macht, liegt nicht mehr im Verantwortungsbereich der Gesellschaft. Und es bedarf keiner Prophetie um zu sagen: Die bloße Mitteilung, dass eine Gesellschaft demnächst ihre Hauptversammlung abzuhalten gedenkt, wird in aller Regel als überflüssige Belästigung angesehen und als Null-Nachricht entsorgt. Am Ende werden nur die Informationsdienstleister daran verdienen, die sich erbötig machen, diese Zuleitung an die Medien auf Kosten der Gesellschaft zu besorgen. Deren Lobby hat schon bei der Transparenz-Richtlinie erfolgreich für eine solche Pflicht gestritten, was verräterisch sogar in Normtexten28 zu besichtigen ist. b) Die Regierungskommission Corporate Governance hat noch im Jahr 2001 das Pull-System ohne Begründung als ökonomisch ineffizient gegenüber der Versendung durch die Gesellschaft bezeichnet29. Jetzt ist dieses Pull-System durch die Richtlinie europaweit vorgegeben. Der Mitgliedstaat kann allerdings zusätzliche Anforderungen stellen, denn „diese Richtlinie hindert … nicht daran, weitere Verpflichtungen für Gesellschaften einzuführen, um die Ausübung der … Rechte durch die Aktionäre zu erleichtern.“ (Art. 3). Deutschland darf also sein System der Individualbenachrichtigung beibehalten. Dennoch stellt sich für den deutschen Gesetzgeber die Frage, ob dieses Konzept der §§ 125, 128 AktG angesichts der Einberufungen via elektronischen Bundesanzeiger und Internetseite und Benachrichtigung eines Medienbündels weiter aufrecht erhalten werden soll. Die Zuleitung an die Kreditinstitute und von dort die Weiterleitung an deren Depotklientel in herkömmlicher Papierform ist ein aufwändiger Vorgang, den
__________ 26 So auch § 39 Abs. 2 WpHG für Versäumnisse bei der Publikation der Finanzberichte. 27 Dazu Nießen, NZG 2007, 41; Pirner/Lebherz, AG 2007, 19; Bosse, DB 2007, 39; Noack, WM 2007, 377. 28 § 3a Abs. 4 WpAIV. 29 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 94.
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die Gesellschaft und damit letztlich die Aktionäre zu bezahlen haben (§ 128 Abs. 6 AktG). Die Klarstellung, das „Weitergeben“ könne elektronisch geschehen30, ist jedenfalls veranlasst. Doch man sollte einen Schritt weitergehen und den elektronischen Versand als die Regelform etablieren; darunter fiele dann auch das Einstellen in das elektronische Postfach des Kunden bei seiner Bank. Dadurch ist gerade mit Blick auf ausländische Anleger31 eher gewährleistet, dass sie die Nachricht von der bevorstehenden Hauptversammlung rechtzeitig erreicht. Wer auf dem Papierversand besteht, sollte konsequent auch die Mehrkosten tragen müssen. Für Gesellschaften mit Namensaktien gilt: Da sie in der Lage sind, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln, und verpflichtet sind, allen eingetragenen Aktionären eine Einberufung zu übermitteln, brauchen sie das Medienbündel nicht zu bedienen (Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2). Sie können die Segnungen moderner Technik nutzen32 und ihre Namensaktionäre per E-Mail über die Hauptversammlung benachrichtigen33. § 30b WpHG ermöglicht diesen Weg auf Grundlage eines HVBeschlusses auch ohne ausdrücklich erklärtes Einverständnis des einzelnen Aktionärs: Es genügt, wenn er einer Textform-Nachricht (E-Mail!) der Gesellschaft, in der sie dies ankündigt, nicht widerspricht. Freilich ist die 2007 eingefügte WpHG-Regelung noch nicht mit der aktienrechtlichen Lage (§ 125 Abs. 2 AktG) abgestimmt; dort lässt die h. M. ein stillschweigendes Einvernehmen mit dem elektronischen Versand nicht genügen, jedenfalls werden sich die Gesellschaften wegen der Anfechtungsgefahr darauf kaum einlassen. Der Gesetzgeber könnte auch hier die elektronische Übermittlung als Regelform anordnen und die Papierversendung optional vorsehen. Eine solche aktienrechtliche Bestimmung stünde freilich in einem gewissen Konflikt mit der auf Art. 17 der Transparenzrichtlinie beruhenden Regelung des § 30b WpHG. c) Ein Anliegen der RL ist die detaillierte Information der Aktionäre über die Gegenstände der Hauptversammlung und die Modalitäten der Teilnahme bzw. Stimmrechtsausübung. Zwingend anzugeben ist die Internetseite der Gesellschaft, auf der weiterführende Informationen abrufbar sind. Dazu gehören die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen, die Beschlussvorschläge und ggf. Stimmrechtsformulare. Auch diese intensive Nutzung der Internetseite der Gesellschaft als Informationszentrale ist für die börsennotierten Ge-
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30 Mit Einverständnis des Depotkunden ist dies heute schon der Fall, doch bestehen im Hinblick auf dieses Einverständnis (Im Depotvertrag per AGB? Durch schlüssiges Handeln bei Verwendung einer E-Mail-Adresse?) einige Unklarheiten; restriktiv Mimberg, ZGR 2003, 21, 40; Heckelmann, Hauptversammlung und Internet, 2006, S. 140. 31 Nach h. M. sind auch ausländische Aktionäre „Gläubiger der Weitergabepflicht“ (Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 128 AktG Rz. 9). 32 Und so geschieht es auch: Seit Mitte des Jahrzehnts werben die Namensaktiengesellschaften um die Zustimmung zum elektronischen Info-Verkehr, was nach Berichten aus den Unternehmen auf gute Resonanz stößt. 33 Dies setzt die Kenntnis der E-Mail-Adresse voraus, die als „Adresse des Inhabers“ i. S. v. § 67 Abs. 1 AktG im Aktienregister eingetragen sein kann; Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2007, § 67 AktG Rz. 10; Goedecke/Heuser, BB 2001, 369.
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sellschaften, die den DCGK befolgen, nicht neu. Wird die Internetseite für die Präsentation der Unterlagen genutzt, so kann seit einer 2007 geltenden Gesetzesänderung34 die Auslage in den Geschäftsräumen und die individuelle Zusendung auf Anforderung entfallen (§ 175 Abs. 2 Satz 4 AktG). 2. Stimmrechtsvertretung a) Schon im nationalen Rahmen ist klar: Der Besuch einer Hauptversammlung ist aus ökonomischer Perspektive lohnend nur bei einem höheren Anteilsbesitz, den man persönlich verwaltet. Die Zeit der Schornsteinaktionäre ist seit langem vorbei; als solche bezeichnete man lokale Investoren, die praktisch in Sichtweite des Schornsteins „ihrer“ Fabrik wohnten. Das schließt nicht einen individuellen HV-Tourismus aus. Das Interesse an guter Bewirtung, an der Begegnung mit den Mächtigen der Wirtschaft oder an der interessanten Präsentation eines Technologieunternehmens ist gewiss ein Motiv für Reisen und Tagesaufenthalte in fremden Städten; speziell für Deutschland kommt die Möglichkeit hinzu, durch HV-Reden und durch Anfechtungen einen Lästigkeitswert zu erreichen, der mit der Anteilsquote in keinem Verhältnis steht. Wie auch immer: Die Masse der kleinen und mittleren Aktionäre wird die Hauptversammlung nicht persönlich besuchen; wenn es so wäre, würde eine geordnete Versammlung bei sechs- oder gar siebenstelligen Aktionärszahlen gar nicht stattfinden können. Daher haben die Aktienrechte schon früh Vertretungsmöglichkeiten ausgebildet. Soweit ersichtlich gibt es kein modernes Aktienrecht, das eine Vertretung kategorisch ausschließt. Aber die Vertretung wurde in etlichen Mitgliedstaaten an Restriktionen gebunden, etwa an die Einschaltung nur von Familienangehörigen. Bei börsennotierten Gesellschaften mit (erstrebtem) internationalen Aktionärskreis sind Behinderungen für die Vertretung aber oft gleichbedeutend mit der Nichtwahrnehmung des Stimmrechts. Daher war es eines der wichtigsten Anliegen der RL35, die Vertretung auf der Hauptversammlung barrierefrei zu gestalten. Das Ergebnis lässt sich sehen: Jeder Aktionär hat das Recht, eine andere Person zum Stimmrechtsvertreter zu bestellen; dieser Vertreter kann in der Hauptversammlung das Wort ergreifen und Fragen stellen. Für Deutschland ist das freilich ganz und gar nicht sensationell, sondern entspricht exakt der gesetzlichen Lage (§ 134 Abs. 1 Satz 1 AktG). Allerdings wird insbesondere von Hüffer vertreten, dass die Satzung Bestimmungen zur Person des Bevollmächtigten enthalten dürfe36. Die richtlinienkonforme Auslegung wird dazu führen, bei börsennotierten Gesellschaften derartige Satzungsklauseln für nichtig zu halten. Eine gesetzgeberische Klarstellung erscheint nicht
__________ 34 Art. 9 Nr. 8a des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553. 35 Lehne, Status:Recht 2007, 68. 36 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 134 AktG Rz. 25, der dies sogar als h. M. bezeichnet; a. A. OLG Stuttgart, AG 1991, 69; Zöllner in KölnKomm.AktG, 1973, § 134 AktG Rz. 76; Volhard in MünchKomm.AktG (Fn. 31), § 134 AktG Rz. 42.
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vonnöten; es gibt keine aufzuhebenden Rechtsvorschriften im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2, die es Gesellschaften ermöglichen, Einschränkungen der Vertretung vorzusehen. Die organisierte Stimmrechtsvertretung, wie sie in Deutschland von dem gesellschaftsbenannten Vertreter, von Kreditinstituten und Aktionärsvereinigungen angeboten wird, erfährt durch Art. 10 Abs. 2 eine ausdrückliche Bekräftigung. Danach kann ein Stimmrechtsvertreter ohne Beschränkung hinsichtlich der Zahl der vertretenen Aktionäre agieren. Umgekehrt kann freilich die Zahl der Personen, die ein Aktionär als Vertreter bestellt, beschränkt werden (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2); pro „Wertpapierdepot“ ist aber ein Vertreter möglich. Die RL, deren Ziel die Regelung der HV-Beziehungen zwischen Gesellschaft und Aktionären ist, geht in Art. 10 Abs. 3 von diesem Anspruch ab, indem das Binnenverhältnis von Aktionär und Vertreter zum Gegenstand wird. Der Mitgliedstaat kann vorschreiben, dass bestimmte Interessenkonflikte offenzulegen sind. Solche Konflikte werden angenommen bei einem „kontrollierenden Aktionär“, bei Mitgliedern der Verwaltung und auch pauschal bei Arbeitnehmern oder Abschlussprüfern der Gesellschaft, jeweils inklusive Familienangehörigen. Mitgliedstaaten, die über Vorschriften verfügen, wonach in den genannten Fällen die Stimmrechtsvertretung ausgeschlossen ist, dürfen diese für eine Übergangszeit bis August 2012 beibehalten. b) Die RL regelt auch die „Förmlichkeiten der Bestellung des Vertreters und der Benachrichtigung über die Bestellung“ (so die amtliche Überschrift des Art. 11). Hier heißt es einerseits, der Vertreter könne „auf elektronischem Wege“ bestellt werden (Abs. 1), andererseits müsse die Bestellung „in jedem Fall schriftlich“ erfolgen (Abs. 2). Die Auflösung findet sich in einem anderen Artikel, der die schriftliche Ausübung von Aktionärsrechten betrifft. Darunter versteht Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 sowohl die Übermittlung auf dem Postweg als auch auf elektronischem Wege. „Schriftlich“ bedeutet also – in Begriffen der deutschen Rechtssprache ausgedrückt – nicht Schriftform, sondern Textform (§ 126b BGB). Die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 126a BGB) wird man nicht verlangen können. Wenn die RL eine solche erhöhte Anforderung hätte stellen wollen, wäre ein Hinweis auf die Signaturrichtlinie nahe liegend gewesen. Für Deutschland bedeutet diese Vorgabe, dass § 134 AktG geändert werden muss. Dort wird seit dem NastraG 200137 zwar Satzungsfreiheit in Formfragen gewährt. Diese Regelung ist in zweierlei Weise nicht in Übereinstimmung mit der RL. Erstens würde die Satzungserleichterung i. S. d. § 134 Abs. 3 Satz 2 AktG sogar eine mündliche Vollmacht erlauben38, was nach Art. 11 Abs. 2 RL nicht sein darf. Zweitens wird als gesetzliche Regel die Schriftlichkeit verlangt, was durch die Eröffnung des elektronischen Weges zu korrigieren ist.
__________ 37 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung, BGBl. I, 123. 38 Volhard in MünchKomm.AktG (Fn. 31), § 134 AktG Rz. 52; Bunke, AG 2002, 57.
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3. Fragerecht Das Fragerecht war der aus deutscher Sicht umstrittenste Regelungsgegenstand. Der Vorschlag wollte ermöglichen, dass die Aktionäre auch Fragen vor der Hauptversammlung stellen können. Dem steht die hier zu Lande geltende Rechtslage gegenüber, wonach Fragen nur in der Hauptversammlung zu stellen sind (§ 131 AktG). Die Lage in der EU ist unübersichtlich. Es gibt bedeutende Mitgliedsstaaten (England, Frankreich, Niederlande), die kein ausdrückliches individuelles Fragerecht kennen, das während der Hauptversammlung mit zwingendem Anspruch auf Auskunft geltend gemacht werden könnte39. Nach heftiger Kritik und angestrengten Einflussnahmen deutscher Verbandskreise40 ist eine dem hiesigen Aktienrecht nachempfundene Regelung41 in Art. 9 Abs. 1 getroffen worden: „Jeder Aktionär hat das Recht, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen“. Dass „jeder Aktionär“ das Fragerecht hat, ist eine folgenreiche Festlegung. Damit kann ein Mitgliedstaat kein Quorum einführen, wonach ein Mindestanteil für die Wahrnehmung dieses Rechts erforderlich ist. Ob diese Versteinerung einer Individualposition bei Millionen von Aktien, die zu geringen Beträgen erworben werden können, ein kluger Akt europäischer Gesetzgebung ist? Art. 9 überlässt es den Mitgliedstaaten, ob sie das Fragerecht vor oder in der Hauptversammlung oder in beiden Fällen einräumen. Die Fragen müssen sich auf die Tagesordnung der Hauptversammlung beziehen. Ein umfassendes Auskunftsrecht im Stil des § 51a GmbHG besteht nach der Richtlinie nicht, freilich kann ein Mitgliedstaat dies vorsehen (Art. 3). Ebenfalls ein Vorbild im neueren deutschen Aktienrecht (§ 131 Abs. 3 Nr. 7 AktG) hat Art. 9 Abs. 2 Unterabsatz 2, wonach eine Frage als beantwortet gilt, wenn die Information auf der Internetseite der Gesellschaft verfügbar ist. 4. Fernteilnahme Die mitgliedstaatlichen Aktienrechte müssen nach Art. 8 Abs. 1 den Aktiengesellschaften gestatten, dass „jedwede Form der Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege“ angeboten werden kann. Diese Bestimmung hat mit Schlagzeilen wie „EU führt elektronische Hauptversammlung ein“ die meiste Aufmerksamkeit erregt. Unter einer Teilnahme auf elektronischem Weg ist „insbesondere“ zu verstehen: (1) die audiovisuelle Übertragung der HV; (2) eine Online-Verbindung zur HV; (3) eine Online-Stimmrechtsausübung. Ersteres hat das deutsche Recht schon 2002 eingeführt. Nach § 118 Abs. 3 AktG kann die Satzung oder die Geschäftsordnung bestimmen, dass die Hauptversammlung in Ton und Bild übertragen wird. Davon wird bei großen
__________ 39 Pelzer, Das Auskunftsrecht der Aktionäre in der Europäischen Union, 2004, S. 17 ff.; Grundmann (Fn. 5), Rz. 415; Grundmann/Winkler, ZIP 2006, 1421, 1426. 40 S. gemeinsame Stellungnahme BDA/BDI/DIHK/GDV v. März 2006, S. 5 f. (abrufbar unter www.jura.uni-duesseldorf.de/dozenten/noack/rechtspolitik). 41 So bereits der Vorschlag von Pelzer (Fn. 39), S. 224.
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Gesellschaften eingeschränkt Gebrauch gemacht, indem die Verwaltungsreden übertragen werden42. Die beiden weiteren in der RL beispielhaft genannten Punkte wurden von der Regierungskommission Corporate Governance schon 2001 zur gesetzlichen Einführung vorgeschlagen43: „Die Satzung der Gesellschaft sollte vorsehen können, dass die Aktionäre unmittelbar an der Hauptversammlung auch ohne eigene Präsenz an deren Ort und ohne Zwischenschaltung eines Vertreters teilnehmen und sämtliche oder einzelne Rechte im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.“ Die Kommission musste sich damals noch mit allerlei Einwänden auseinandersetzen, die ihr im Ergebnis nicht überzeugend erschienen44. Diese Diskussionen brauchen wegen der Anordnung der Richtlinie, die Online-Hauptversammlung zu ermöglichen, heute nicht noch einmal geführt zu werden. Der Gesetzgeber hat den Aktiengesellschaften satzungsdispositiv zu gestatten, dass Aktionäre ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft, die bislang zwingend „in der Hauptversammlung“ (§ 118 Abs. 1 AktG) auszuüben sind, auch von außerhalb der Versammlung wahrnehmen können. Ob die Satzung alle Rechte oder nur einzelne zur Online-Ausübung45 zur Verfügung stellt, kann jede Gesellschaft selbst entscheiden. Insbesondere steht es den Aktiengesellschaften frei, eine direkte elektronische Stimmabgabe einzuführen. Der Umweg über die Bevollmächtigung und Anweisung eines gesellschaftsbenannten Vertreters wird dann nicht mehr nötig sein. Andererseits dürfte die Neigung, ein Online-Auskunftsrecht nach § 131 AktG zuzulassen, eher gering sein. Geändert werden muss ferner § 245 AktG dahin, dass der Widerspruch auch online erklärt werden kann, wenn die Satzung ein solches Recht vorsieht. 5. Legitimation Das Recht eines Aktionärs bezüglich der Hauptversammlung bestimmt sich nach den Aktien, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Hauptversammlung besitzt. Art. 7 der Richtlinie führt EU-weit einen Nachweisstichtag (record date) für Inhaberaktien ein, der nicht mehr als 30 Tage vor der Hauptversammlung liegen darf. Dem entspricht bereits die mit dem UMAG im Jahr 2005 eingeführte Regelung in Deutschland, welche den Stichtag auf den 21. Tag vor der Hauptversammlung festsetzt. Für Namensaktien muss es keinen Nachweisstichtag geben, wenn die Aktionäre „am Tag der Hauptversammlung aus einem aktuellen Aktienregister“ ermittelbar sind (Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2). Von einem solchen aktuellen Register wird man noch sprechen
__________ 42 43 44 45
Ausnahme: Die Deutsche Telekom AG übertrug auch die so genannte Generaldebatte. Bericht (Fn. 29), Rz. 115. Aus rechtsvergleichender Perspektive Winkler (Fn. 3), S. 213 ff. Die (etwa in Frankreich verbreitete) „Abstimmung per Brief“ (Art. 12) muss vom Mitgliedsstaat ebenfalls satzungsdispositiv gestellt werden.
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können, wenn die Ein- und Austragungen üblicherweise einige wenige Tage vor der Hauptversammlung angehalten werden. So ist es in Deutschland anerkannt, dass die Umschreibung im Aktienregister ca. 7 Tage vor der Hauptversammlung aufgrund entsprechender Satzungsregelung ausgesetzt werden kann46. Wie kann ein Aktionär nachweisen, dass er Aktien der Gesellschaft hält? Die Präsentation der Wertpapiere ist ihm nicht möglich, wenn es keine mehr gibt oder nur eine Globalurkunde existiert. Darüber schweigt die RL, die ansonsten schlicht von einem Nachweis der Aktien spricht, die der Aktionär „besitzt“. Die RL streift das Problem lediglich mit dem Satz, der Nachweis dürfe nur an solche Anforderungen geknüpft werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre erforderlich und diesem Zweck angemessen sind (Art. 7 Abs. 4). Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Die Mediatisierung des „Besitzes“ bei kontenverbuchten Aktienrechten ist eine ausgeblendete Realität (unten III.3.). Jedenfalls entspricht die deutsche Regelung den Vorgaben47. Hingegen ist die Frage aufzuwerfen, ob der eine perfekte Richtigkeitsgewähr bietende chain approach im Lichte der Richtlinie wegen seines hohen Aufwands als nicht mehr angemessen zu beurteilen wäre48. Das hängt von den Umständen ab: Wenn ein Papierversand „die Kette entlang“ vorgeschrieben wird, ist der Aufwand immens und das Verdikt der Unangemessenheit nahe liegend; ganz anders sieht es bei einer vollelektronischen Legitimation aus, die in naher Zukunft etabliert werden könnte. 6. Transparenz Das EU-Parlament hat im Februar 2007 die Kommission anlässlich der Verabschiedung der Richtlinie aufgefordert, Vorschläge für mehr Transparenz in den vielfältigen Beziehungen zwischen Unternehmen, Aktionären, Stimmrechtsvertretern, Finanzintermediären und End-Investoren zu machen. Daraus wird schon deutlich, dass die Richtlinie diese Fragen weithin ausgespart hat. Lediglich in Art. 13 Abs. 2 wird bestimmt, Mitgliedsstaaten könnten vorsehen, dass formal abstimmungsberechtigte Aktionäre die Identität ihrer Hinterleute offenlegen müssen49. Ebenfalls als Transparenzregelung kann Art. 14 Abs. 2 gelten, der verlangt, dass die Abstimmungsergebnisse auf der Internetseite der Gesellschaft binnen 15 Tagen nach der Hauptversammlung veröffentlicht werden. Diesbezüglich muss der deutsche Gesetzgeber tätig werden: Bisher bestimmt § 130 Abs. 5 AktG lediglich, dass eine öffentlich beglaubigte Niederschrift und ihre Anlagen zum Handelsregister eingereicht werden müssen.
__________ 46 47 48 49
Seibert, WM 2005, 157, 158. Dazu eingehend Zetzsche, Der Konzern 2007, 251, 258 f. Grundmann/Winkler, ZIP 2006, 1421, 1426. Diese Regelung wurde auf französischen Wunsch aufgenommen.
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III. Bewertung der Richtlinie Die Regelung der Aktionärs(stimm)rechte muss sich einem dreifachen Phänomen stellen: der Internationalisierung, der Institutionalisierung und der Mediatisierung. 1. Internationalisierung Eine gewisse Berücksichtigung der internationalen Depots erreicht die RL, indem sie die freie Vertretung einführt und den Gesellschaften eine elektronische Stimmabgabe auf statutarischer Grundlage erlaubt. Die Hauptversammlung als Beschlussorgan der Aktionäre kann im internationalen Rahmen nur bestehen, wenn es Regeln gibt, die den typischerweise ortsfernen Aktionären eine Teilnahmemöglichkeit eröffnen. Dazu gehört auch die Nutzung der Internetseite der Gesellschaft als Medium der Information über die Gegenstände und die Umstände der Hauptversammlung bis hin zur direkten Teilhabe. Hier ist die RL auf dem richtigen Weg. 2. Institutionalisierung Bekanntlich werden Aktien in großem Ausmaß nicht von Privatanlegern gehalten, sondern von institutionellen Anlegern: Investment- und Pensionsfonds, Versicherungen, Beteiligungsunternehmen usw. Die Ausübung der Stimmrechte durch die Institutionellen ist durchaus ein Corporate Governance Problem im weiteren Sinne. Einerseits wird das Fernbleiben mancher institutioneller Anleger beklagt, das wesentlich zum Präsenzschwund auf den Hauptversammlung beiträgt, weshalb immer wieder eine Stimmpflicht im Gespräch ist50. Andererseits wird die Offenlegung der Stimmrechtsausübung gefordert, und selbst bei der institutionellen Stimmrechtsberatung und Stimmvertretung soll es nicht ohne spezielle Regulierung gehen51. Diese Punkte sind zwar in den Konsultationsprozessen im Vorfeld der Richtlinie angesprochen worden, aber in der verabschiedeten Fassung blieben sie ausgespart. Zu diesen Fragen wird nach Inkrafttreten der Richtlinie eine Empfehlung der Kommission erwartet. 3. Mediatisierung Die RL will Aktionärsrechte regeln – doch wer oder was ist ein „Aktionär“? Darauf gibt die RL eine sowohl kluge als auch ausweichende Antwort. Art. 2b) definiert: „Aktionär bezeichnet die … Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist.“ Damit wird auf das jeweilige mitgliedstaatliche Aktienrecht verwiesen. Das ist aus Sicht eines rechtspolitischen Minimums klug, weil dadurch nicht der sonst befürchtete Eingriff in nationale Aktienrechte erforderlich ist. Vom Ziel der Erleichterung der grenzüberschrei-
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50 Ablehnend im Ergebnis Bericht der Regierungskommission CG (Fn. 29), Rz. 126 ff. 51 Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88.
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tenden Stimmrechtsausübung her betrachtet handelt es sich um ein Ausweichen vor dem Hauptproblem. Dieses besteht darin, dass die Disposition über das Stimmrecht möglichst demjenigen zustehen soll, der das wirtschaftliche Risiko des Investments trägt – und nicht einer formal gegenüber der Gesellschaft legitimierten Person52. Was nützen dem Anleger aus Mitgliedstaat A die gutgemeinten Regelungen zu Informationen über die Hauptversammlung, zu elektronischer Stimmabgabe, Briefwahl und freier Vertretung, wenn er bei der Gesellschaft aus Mitgliedstaat B nicht als stimmberechtigte Person anerkannt wird? Ersichtlich gerät dieser Anspruch, dass der Endanleger über das Stimmrecht disponiert, mit der Rechtssicherheit in Konflikt, denn die Gesellschaft muss eindeutig wissen, wer bei ihren Hauptversammlungen stimmberechtigt ist. Die mitgliedstaatlichen Aktienrechte haben dafür Regelungen getroffen. Am deutschen Aktienrecht erläutert: Die für ihren Depotkunden im Aktienregister eingetragene Bank gilt gegenüber der Gesellschaft als Aktionärin (§ 67 Abs. 2 AktG), wodurch hinreichende Rechtsgewissheit besteht. Die Bank kann auch wirksam mit den Aktien abstimmen53. Aber im Verhältnis zu dem Kunden gilt: „Ein Kreditinstitut darf das Stimmrecht für Namensaktien, die ihm nicht gehören, als deren Inhaber es aber im Aktienregister eingetragen ist, nur auf Grund einer Ermächtigung ausüben“ (§ 135 Abs. 7 Satz 1 AktG). Ebenso formal legitimiert wäre bei Inhaberaktien die die Globalurkunde verwahrende Stelle. Doch versteht es sich von selbst, dass die Verwahrerin nicht Stimmrechte ausüben darf54. Das Aktienrecht nimmt hier eine – in der Praxis nicht wahrnehmbare – Unsicherheit in Kauf, indem es die Legitimation von dem Besitz des Wertpapiers trennt. Die Frage „Wer ist Aktionär?“ wäre zu den klassischen Zeiten der Einzelurkunden als eine dumme disqualifiziert worden. Als Aktionär galt55, wer das Wertpapier präsentieren konnte. Heute sind Einzelurkunden für die Masse der Aktionäre praktisch überall verschwunden, und das nicht nur in Deutschland (§ 10 Abs. 5 AktG). Ein Vorgang, der durchaus mit der Verdrängung von Bargeld durch Buchgeld vergleichbar ist. Eine reale Vorlage beim Emittenten oder eine Hinterlegung ist weder tatsächlich noch rechtlich möglich. Aktien gibt es nicht mehr als Wert-Papier, sondern nur noch als Buchungen auf Konten, die von Intermediären administriert werden. In Deutschland wird in der Regel eine Globalurkunde bei der Clearstream Banking AG hinterlegt. Kunden der Clearstream sind in- und ausländische Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsunternehmen. Diese Einrichtungen halten einen ideellen Anteil an der Globalurkunde, ein Sachverhalt, der von
__________ 52 Rechtsvergleichend im Einzelnen Winkler (Fn. 3), S. 147 ff. 53 § 135 Abs. 7 Satz 3, Abs. 6. 54 Die Dividende fließt übrigens diesen Weg: von der Gesellschaft an die Zentralverwahrerin, die das Geld an die Banken weiterleitet („die Kette hinab“), bis es schließlich bei dem Endanleger ankommt. 55 Widerlegliche Vermutung; BGH, NJW 1994, 941, 942; BGH, NJW-RR 1990, 166, 168; Zöllner in KölnKomm.AktG (Fn. 36), § 134 AktG Rz. 12.
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der wohl noch herrschenden Meinung besitzrechtlich als mittelbarer Besitz erster Stufe eingeordnet wird. Der in § 123 Abs. 3 Satz 2 AktG ausdrücklich so genannte „Anteilsbesitz“ wird auf einem Konto gebucht, das die Clearstream für ihr professionelles Klientel führt. Nicht selten sind danach noch weitere Institute beteiligt, so dass von einer „Pyramide von Depotverträgen“ zu sprechen ist56 oder auch von einer Kette von Intermediären. Jetzt kommt das Problem: Dass „Anteilsbesitz“ vorliegt, kann jede kontoführende Stelle der anderen gerne bestätigen. Das aber würde zu einer absurden Vervielfachung der Aktionärslegitimation führen. Bei einer Kette von Aktiendepots muss das Recht daher einen Schnitt machen und entscheiden: dieser oder jener Konteninhaber gilt als Aktionär. Das deutsche Aktienrecht nimmt die Trennung in § 135 Abs. 1 Satz 1 AktG vor, indem es von Aktien spricht, die einem Kreditinstitut „nicht gehören“. Ob jemand Aktionär ist, ergibt sich nicht aus Rechtsbeziehungen zur Gesellschaft, sondern aus denjenigen zu einem Kreditinstitut. Das bank- bzw. depotrechtliche Verhältnis ist gewissermaßen die Grundlage für die mitgliedschaftsrechtliche Beziehung zu der Gesellschaft. Aktionär ist im Regelfall57 derjenige Konteninhaber, welcher selbst nicht Teil des (durch das KWG geregelte) Finanzintermediärsystem ist. Das Kontensystem ist überall in der EU verbreitet, weshalb es an sich nahe gelegen hätte, in der Richtlinie über Aktionärsrechte eine entsprechende grundsätzliche Festlegung aufzunehmen: Intermediär ist, wer als Depotinhaber einem EU-Wertpapiersystem angehört; Endanleger ist, wer als Depotinhaber keinem EU-Wertpapiersystem angehört. Dieser im Jahr 2002 unterbreitete Vorschlag der Cross-Border-Voting Group58 wurde nicht aufgegriffen, sondern die erwähnte Verweisung in das nationale Recht vorgenommen. Das ist bedauerlich, denn damit hängt die Richtlinie gewissermaßen in der Luft. Die grenzüberschreitende Stimmrechtsausübung ist – im Grunde wie im nationalen Recht – in zwei Stufen anzugehen: Erstens muss man festlegen, wer die zur Disposition über das Stimmrecht befugte Person ist, zweitens muss man ordnen, wie dieser Person die Ausübung praktisch möglich ist (Information, Vollmachten, Stimmabgabe in absentia etc). Die RL befasst sich mit dem ersten Schritt überhaupt nicht und regelt den zweiten Teil nur unvollständig. Dieses Dilemma wurde in den Beratungen zur Richtlinie durchaus erkannt. Ein wenig durchschlagendes Argument gegen eine Regulierung ist, man solle diese Binnenbeziehungen in der Kontenkette der vertraglichen Abmachung der Beteiligten überlassen. Gerade bei solchen grenzüberschreitenden Ketten versagt das Vertragsmodell, das seine Wirkkraft bilateral entfaltet und das für Kleinanleger praktisch auch nicht zu Gebote steht. Ein pragmatisches Argu-
__________ 56 Einsele, WM 2001, 7, 10; vgl. auch die Grafik bei Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1679. 57 Ausnahme: „Eigenbesitz“ des Kreditinstituts. 58 Eine von der EU geförderte und vom niederländischen Justizministerium eingesetzte internationale Gruppe unter Leitung von Jaap Winter; der Verfasser war beteiligt. Der Bericht ist abrufbar unter: www.jura.uni-duesseldorf.de/dozenten/noack/gesetz. shtml. Dazu Noack, ZIP 2002, 1215; Bachner in FS Doralt, 2004, S. 33 ff.
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ment war, diese Bestimmung des Endanlegers und des Intermediärs dem Arbeitsgebiet Clearing und Settlement zu überlassen. 4. Funktionen der Hauptversammlung Im Zentrum der RL steht die Hauptversammlung. Das erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich, denn schließlich – so die Sicht des deutschen Rechts – werden dort die hier zu regelnden Aktionärsrechte ausgeübt. Aber eine nähere Betrachtung macht stutzig: denn weder das Informationsrecht noch das Stimmrecht sind nach dem Grundkonzept der RL versammlungsgebunden. Der RL würde nicht entgegenstehen, ein Informationsrecht außerhalb der Hauptversammlung vorzusehen. Auch die Ausübung des Stimmrechts kann von den Gesellschaften als versammlungsferne elektronische (oder briefliche) Abstimmung gestaltet werden (oben II.4.). Wenn von „Hauptversammlung“ die Rede ist, so ist zweierlei gemeint; erstens das Organ, zweitens die Veranstaltung. In der RL wird, wie auch in den meisten Aktiengesetzen, nicht zwischen den beiden Bedeutungen unterschieden. Das Organ der Aktionäre ist als Corporate-Governance-Element unverzichtbar. Die Ersetzung durch eine externe Kapitalmarktbehörde würde das Aktienrecht wieder auf den Stand des frühen 19 Jahrhunderts zurückwerfen, als die ersten neuzeitlichen Aktiengesellschaften noch unter landesherrlicher Kuratel standen. Davon kann nach dieser und den anderen Richtlinien keine Rede sein: Die Hauptversammlung als Organ der Aktionäre ist durch europäisches Sekundärrecht fest im System der mitgliedstaatlichen Aktienrechte verankert. Anders sieht es mit der Hauptversammlung als Veranstaltung aus. Hier trifft das europäische Richtlinienrecht keine expliziten Vorgaben. Freilich ist nicht zu verkennen, dass sich die RL an der traditionellen Versammlung im Saale orientiert. Diese Versammlung kann durch „Zwei-Wege-Kommunikation“ von außen erreicht werden (oben II.4.). Die zentralen Funktionen der Information und der Entscheidung sind aber nicht versammlungsgebunden. Wer vom Vorstand einer börsennotierten AG relevante Neuigkeiten erfahren will, braucht dafür nicht eine Versammlung zu besuchen. Die kapitalmarktrechtliche Regel- und Anlasspublizität sorgt für ein gleichmäßiges Informationsniveau aller Aktionäre. Wenn dazu noch ein vernünftig strukturiertes Auskunftsrecht kommt, das über das Internet auszuüben ist, ist die Rundum-Versorgung auch ohne Präsenz im Saale perfekt. Die Entscheidung über Beschlussanträge kann als „show of hands“, aber auch als elektronische Abstimmung erfolgen. Letzteres ist eindeutig das Mittel der Wahl für ein international aufgestelltes Aktionariat. So bleibt am Ende nur der Aspekt der Kommunikation der Aktionäre59 vor ihrer Entscheidung als Alleinstellungsmerkmal der herkömmlichen Präsenz-
__________ 59 Zur Binnenkommunikation Noack in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel der Zeiten, Bd. II, 2007 (im Erscheinen).
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versammlung. Aber die Hauptversammlung ist weder ein basisdemokratisches Forum noch ein Parlament der Aktionäre. Die Entscheidungen fallen in aller Regel vorher und nicht unter dem Eindruck der Debattenredner. Es geht nicht darum, wie es strafprozessual heißt, aus dem „Inbegriff der Verhandlung“ ein Urteil zu fällen. Über das Internet lässt sich, wie das viele Foren zeigen, ein angemessener Kommunikationsprozess darstellen. Das würde eine Beteiligung aller Aktionäre ermöglichen, während nach dem überkommenen Versammlungsmodus die nicht Vor-Ort-Anwesenden entweder ausgeschlossen sind oder faktisch als Teilnehmer zweiter Klasse behandelt werden. 5. Fazit Die Richtlinie über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften ist ein europäisches Kompromissgesetz, das verschiedene Systeme der Aktionärspartizipation berücksichtigen musste. Am einschneidendsten ist der Grundsatz der freien Vertretung. Damit reagiert das Recht auf die Ortsferne der Publikumsaktionäre im europäischen Kapitalmarkt. Die Richtlinie bringt für das deutsche Recht auf den ersten Blick keine grundstürzenden Umwälzungen. Das Fragerecht in der Hauptversammlung und die Vertretung auch durch Nichtaktionäre sind dem AktG seit langem gut vertraut. Die gravierendste Veränderung wird die Einführung von Satzungsfreiheit für die Teilhabe an der Hauptversammlung sein. Während die einen Gesellschaften weiter (nur) auf die Traditionsveranstaltung im Saal setzen, können andere Gesellschaften eine fast beliebige Mischung aus Präsenz- und Onlineteilnahme anbieten. Die Funktionen der Hauptversammlung (Information, Kommunikation und Entscheidung) werden künftig im Wettbewerb um die beste Lösung erfüllt.
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Walter G. Paefgen
Der neue übernahmerechtliche Squeeze-out – die bessere Alternative? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Zwei Arten des Squeeze-out 1. Der aktienrechtliche Squeeze-out 2. Der übernahmerechtliche Squeezeout 3. Die Qual der Wahl a) Probleme mit dem aktienrechtlichen Squeeze-out b) §§ 39a, 39b WpÜG als Musterlösung? III. Aufstockungsangebote 1. Gemeinschaftsrechtliche Ausklammerung 2. Deutsche Umsetzung und ihre Folgen IV. Angemessenheit der Abfindung und gerichtliche Kontrolle 1. Art der Abfindung 2. Vermutung angemessener Abfindung a) Vermutungsgrundlage aa) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben (1) Pflichtangebot (2) Freiwilliges Angebot (3) Zulässigkeit der Kumulation von Preisregeln und Annahmeschwelle bb) Umsetzung in deutsches Recht b) Widerleglichkeit der Vermutung aa) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
(1) Historische Auslegung der ÜbR (2) Europäischer Grundrechtsschutz des Aktieneigentums bb) Widerleglichkeit der Angemessenheitsvermutung nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG (1) Europarechtskonforme Auslegung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG (2) Schutz des Aktieneigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG cc) Folgen für die Angemessenheitsprüfung dd) Zwischenresümee V. Probleme der Schwellenberechnung 1. 95 %-Ausschlussschwelle 2. 90 %-Erfolgsquote a) Bedeutung des Vorbesitzes b) Bedeutung von Paketerwerben c) Irrevocable untertakings VI. Ausschluss von Vorzugsaktionären 1. Vorgaben der ÜbR 2. Zulässigkeit des gattungsbezogenen Zwangsausschlusses a) Stammaktien b) Vorzugsaktien 3. Gattungsgetrennte Annahmequote VII. Fazit und Ausblick
I. Einleitung Seit Inkrafttreten des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes am 14.7.20061 stehen dem zu 95 % beteiligten Großaktionär einer börsennotierten deutschen
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1 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG v. 8.7.2006 (RUG), BGBl. I 2006 v. 13.7.2006, S. 1426.
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Aktiengesellschaft oder KGaA nach einem auf den Erwerb aller Aktien der Gesellschaft gerichteten öffentlichen Angebot grundsätzlich zwei Formen des Zwangsausschlusses der Minderheitsaktionäre zur Wahl: der in der Praxis bereits vielfach angewendete aktienrechtliche Squeeze-out und der mit den §§ 39a, 39b WpÜG neu eingeführte übernahmerechtliche Squeeze-out. Ein Bieter wird derjenigen Ausschlussvariante den Vorzug geben, die sich durch den einfacheren, schnelleren und rechtssichereren Vollzug, die geringeren Kosten sowie – damit in engem Zusammenhang stehend – die geringere Streitträchtigkeit auszeichnet. Gegenstand der folgenden Untersuchung ist, ob und inwieweit der übernahmerechtliche Squeeze-out im Vergleich mit der aktienrechtlichen Variante diesen Anforderungen der Unternehmenspraxis besser genügt. Dazu werden die beiden Formen des Zwangsausschlusses zunächst im Vergleich einander gegenüber gestellt, wobei es die beim aktienrechtlichen Zwangsausschluss aufgetretenen Probleme mit dem vom Gesetzgeber als Lösung dieser Probleme konzipierten Regelungsmodell der §§ 39a, 39b WpÜG zu kontrastieren gilt (II.). Dem folgt die Analyse einiger grundsätzlicher Mängel der neuen Regelung einschließlich damit zusammen hängender Schwierigkeiten bei der Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie2 („ÜbR“) in deutsches Recht, verfassungsrechtlicher Probleme, sowie der Reparaturmöglichkeiten, die der Rechtsprechung zur Mängelbeseitigung zur Verfügung stehen (III.–VI.). Zum Schluss soll in einem Fazit und Ausblick eine Antwort auf die im Titel der Arbeit gestellte Frage versucht werden (VII.). Der Beitrag ist Harm Peter Westermann, dem Doktorvater und Habilitationsbetreuer des Verfassers, zum 70. Geburtstag am 8.1.2008 zugeeignet, verbunden mit dem Wunsch, dass dem Jubilar seine beeindruckende Schaffenskraft als Rechtswissenschaftler und Berater der Praxis noch lange erhalten bleiben möge.
II. Zwei Arten des Squeeze-out 1. Der aktienrechtliche Squeeze-out Zusammen mit der Verabschiedung des WpÜG hat der deutsche Gesetzgeber bereits im Jahr 2002 in den §§ 327a ff. AktG die Möglichkeit des Zwangsausschlusses (Squeeze-out) von Minderheitsgesellschaftern aus einer Aktiengesellschaft oder KGaA durch einen Hauptaktionär vorgesehen, der 95 % des Grundkapitals hält (§ 327a AktG)3. Zweck der Regelung ist die Stärkung der unter-
__________ 2 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12. 3 Art. 7 Nr. 2 Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen v. 21.4.2004, BGBl. I, S. 3822. Die Schwelle von 95 % orientiert sich an den Größenordnungen der §§ 122 Abs. 2, 258 Abs. 2, 260 Abs. 1 und 3 und vor allem von § 320 Abs. 1 Satz 1 AktG; Begr. RegE BTDrucks. 14/7034, S. 32; E. Vetter, AG 2002, 176, 180 ff.; Krieger, BB 2002, 53, 54; allgemein zur Entstehungsgeschichte der Regelung Habersack in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, § 327a AktG Rz. 3.
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nehmerischen Initiative des Hauptaktionärs, der von den Fesseln und Kosten minderheitenschützender Vorschriften befreit werden soll4. Nach dem Ausschluss der Minderheit können Hauptversammlungen ohne Beachtung der Förmlichkeiten der §§ 121 ff. AktG als Vollversammlungen i. S. des § 121 Abs. 6 AktG zügig und kostengünstig abgehalten werden. Das Damoklesschwert einer jedem Minderheitsaktionär möglichen Anfechtungsklage (§ 245 Nr. 1 AktG) fällt weg5. Gleiches gilt für die mit dem UMAG 20056 eingeführten Aktionärsklagerechte nach § 148 AktG, die Minderheitenrechte auf Sonderprüfung nach §§ 142, 258 AktG sowie die Minderheitenrechte nach § 260 Abs. 1 und 3 AktG7. Gegenüber dem unternehmerischen Gestaltungs- und Flexibilitätsinteresse des Hauptaktionärs an der Beseitigung solcher Hemmnisse sieht das Gesetz die Rechtsposition der Restminderheit von 5 % des Grundkapitals als rein vermögensmäßiges Investitionsinteresse an, dem durch eine Abfindung in bar für den Entzug der Mitgliedschaft in der Gesellschaft Rechnung getragen werden kann8. Zur Begründung des Squeeze-out berief der Gesetzgeber sich nicht zuletzt auch auf die Verbreitung dieses Rechtsinstituts in anderen Mitgliedstaaten der EU9. Schließlich war der Zwangsausschluss auch als Kehrseite zu dem in §§ 35 ff. WpÜG geregelten Pflichtangebot gedacht, wenn ein solches auch nicht zur Voraussetzung des Minderheitsausschlusses gemacht wurde10. Insbesondere das zuletzt genannte Argument, aber auch die Ausgestaltung des Squeeze-out in zahlreichen Auslandsrechten hätte eigentlich die Beschränkung
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4 Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 32; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme, NZG 1999, 850 ff.; E. Vetter, ZIP 2000, 1817 f.; Kossmann, NZG 1999, 1198, 1199 f.; Kallmeyer, AG 2001, 406, 408 f.; Kiem in RWS-Forum GesR 20, 2001, S. 329 ff. 5 Typisches Beispiel BGH, ZIP 2006, 2080 f.; zum Damoklesschwert der mit Blockadewirkung versehenen Anfechtungsklage, das auch mit dem jüngst durch das UMAG um § 246a AktG erweiterte Freigabeverfahren keineswegs völlig abgestumpft wird, Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 269 ff. Eine vor dem Squeeze-out anhängige Anfechtungsklage kann allerdings auch nach dem Ausschluss des klagenden Aktionärs weiter geführt werden; BGH, ZIP 2006, 2167 ff. m. Anm. Goette, DStR 2006, 2132. 6 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005 (UMAG), BGBl. I, S. 2802. 7 Zur Sonderprüfung nach § 142 AktG BGH, ZIP 2006, 2080, 2084 f. (im konkreten Fall erfolglos). 8 Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 31 f.; Pötzsch/Möller, WM 2000 Sonderbeil. 2, S. 29 f.; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 847; s. auch die Nachw. in Fn. 4. 9 Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 32; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, Vorb. § 327a AktG Rz. 4; rechtsvergleichend Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 734 ff.; Habersack, ZIP 2001, 1230, 1233; Sieger/ Hasselbach, NZG 2001, 926 ff.; Fleischer, ZGR 2002, 757, 760 ff.; Ph. A. Baums, Ausschluss von Minderheitsaktionären, 2001, S. 24 ff.; Rühland, Der Ausschluss von Minderheitsaktionären aus der AG (Squeeze-out), 2004, S. 132 ff.; s. auch den rechtsvergleichenden Überblick im Bericht der hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten, Brüssel 10.1.2002 („Winter-Bericht“), S. 64 ff., abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/takeoverbids/2002-01-hlg-report_de.pdf. 10 Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 327a AktG Rz. 8; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), Vorb. § 327a AktG Rz. 4.
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des Zwangsausschlusses auf börsennotierte Gesellschaften und den Fall eines vorausgegangenen öffentlichen Angebots an alle Aktionäre nahe gelegt11. Dies umso mehr, als die Regelung der §§ 327a ff. AktG einen Fremdkörper im deutschen Kapitalgesellschaftrecht darstellt12, indem sie den Zwangsausschluss aus der Gesellschaft ohne wichtigen Grund zulässt13. Im Gegensatz zur Mehrheitseingliederung nach §§ 320 ff. AktG spielt auch der Gesichtspunkt der Konzernintegration beim Squeeze-out keine Rolle. Die Unternehmenseigenschaft des Hauptaktionärs i. S. des § 15 AktG ist für den aktienrechtlichen Zwangsausschluss nicht erforderlich. Er ist insgesamt konzernrechtsneutral ausgestaltet14. Überhaupt fehlt es an jedem Erfordernis sachlicher Rechtfertigung des Entzugs der Mitgliedschaft. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen von Hauptaktionär und Minderheitsaktionären im Einzelfall ist ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat diese Abwägung abschließend selbst vorgenommen. Der Squeeze-out trägt seine Rechtfertigung in sich selbst15. Wie konsequent diese Regelung das unternehmerische Gestaltungs-
__________ 11 Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327a AktG Rz. 5; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), Vorb. § 327a AktG Rz. 8; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 327a AktG Rz. 4a; Habersack, ZIP 2001, 1230, 1232 ff.; Drygala, AG 2001, 291, 297 f.; Fleischer, ZGR 2002, 757, 768 f.; Merkt, AG 2003, 126, 133; den weitergehenden Ansatz des Gesetzgebers begrüßend aber DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme, NZG 1999, 850, 852; Grunewald in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, Vorb. § 327a AktG Rz. 2 ff.; Hasselbach in KölnKomm.WpÜG (Fn. 10), § 327a AktG Rz. 2. 12 Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327a AktG Rz. 5; Hüffer (Fn. 11), § 327a AktG Rz. 4a: „Radikallösung des Kapitalmarktrechts und daher aktienrechtlich nicht unbedenklich“; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), Vorb. § 327a AktG Rz. 8, unter Berufung auf die Abschaffung des Ausschlusses einer 10 %igen Aktionärsminderheit im Wege der Umwandlung nach dem UmwG a. F. aus Gründen des Minderheiten- und Anlegerschutzes (vgl. BT-Drucks. 12/6699, S. 144); Mülbert in FS Ulmer, 2003, S. 433, 435 ff. 13 Zum Erfordernis des wichtigen Grundes für den Ausschluss eines GmbH-Gesellschafters, Ulmer in Ulmer, GmbHG, 2006, Anh. § 34 GmbHG Rz. 11 ff., insbesondere Rz. 14 zur Erstreckung auf kapitalistisch strukturierte Gesellschaften. Zum Ausschluss des Aktionärs wegen versäumter Einlagenerbringung nach § 64 AktG und im Wege der Einziehung von Aktien auf satzungsrechtlicher Grundlage nach §§ 237 ff. AktG Rühland (Fn. 9), S. 27 ff., 41 ff. 14 Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327a AktG Rz. 6; Hüffer (Fn. 11), § 327a AktG Rz. 7; Habersack, ZIP 2001, 1230, 1236 f. Allerdings steht es dem Zwangsausschluss auch nicht entgegen, dass zwischen der Gesellschaft und dem Hauptaktionär ein Unternehmensvertrag besteht; OLG Hamburg, NZG 2003, 978, 980 f.; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327a AktG Rz. 17. 15 BGH, ZIP 2006, 2080, 2081; KG, BB 2004, 2774, 2775; OLG Düsseldorf, NZG 2004, 328, 331; OLG Köln, AG 2004, 39, 40; Hüffer (Fn. 11), § 327a AktG Rz. 11; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327a AktG Rz. 26; Grunewald in MünchKomm.AktG (Fn. 11), § 327a AktG Rz. 18; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327f AktG Rz. 10; Fleischer, ZGR 2002, 757, 784 f.; E. Vetter, DB 2001, 743, 745; Krieger, BB 2002, 53, 55; Fuhrmann/Simon, WM 2002, 1211, 1214; Sellmann, WM 2003, 1545, 1549; Markwardt, BB 2004, 277, 280 ff.; Paefgen, ZHR 168 (2004), 726, 730 f.; monografisch Boese, Die Anwendungsgrenzen des Erfordernisses sachlicher Rechtfertigung bei HV-Beschlüssen, 2004, S. 409 ff.; Hamann, Minderheitenschutz beim Squeeze-out-Beschluß, 2003, S. 159 ff., 169 ff.
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interesse des Hauptaktionärs favorisiert, zeigt ein Blick auf das Recht Delawares, der führenden US-amerikanischen Gesellschaftsrechtsordnung. Der freeze-out von Minderheitsaktionären durch Inhaber von 90 % des Gesellschaftskapitals einer Delaware corporation im Zuge eines short form merger nach section 253 des Delaware General Corporation Law, stellt, auch wenn er ausschließlich mit dem Interesse am Ausschluss der Minderheit gerechtfertigt wird, keinen Verstoß gegen die fiduciary duty des Hauptaktionärs dar, der den Zwangsausschluss rechtlich angreifbar macht16. 2. Der übernahmerechtliche Squeeze-out In der relativ kurzen Zeit seit seiner Einführung in das deutsche Recht ist der aktienrechtliche Squeeze-out in der Praxis vielfach zur Anwendung gekommen. Dabei handelte es sich allerdings vorwiegend um konzerninterne Umstrukturierungen, seltener dagegen um Fälle der Vorbereitung eines Delisting oder des Zwangsausschlusses nach einem öffentlichen Angebot an die Aktionäre einer börsennotierten Gesellschaft. Die letztgenannte Fallkonstellation ist durch die europaweite Einführung des übernahmerechtlichen Squeeze-out in Art. 15 ÜbR in den Blickpunkt des Interesses geraten. In ihrer grundsätzlichen Rechtsfolge steht diese europarechtlich geprägte kapitalmarktrechtliche Form des Zwangsausschlusses dem gesellschaftsrechtlichen Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG gleich. In beiden Varianten kommt es zum Ausschluss aller Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft mit den damit einhergehenden Flexibilitätsvorteilen und Kostenersparnissen für den unternehmerisch agierenden Hauptaktionär (vgl. oben II.1.). Beide Varianten finden auf die Aktiengesellschaft wie auch die KGaA mit Sitz im Inland Anwendung, wenn deren stimmberechtigte Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind17.
__________ 16 Weinberger v. UOP, Inc., 457 A.2d 701 (Del. 1983). Nach deutschem Recht ziehen die Rspr. und h. M. einen zur Anfechtbarkeit des Übertragungsbeschlusses (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG) nach § 243 Abs. 1 AktG führenden Treupflichtverstoß ausnahmsweise bei missbräuchlicher Erlangung der Stellung als Hauptaktionär oder Verstoß gegen vertragliche Abreden mit Minderheitsaktionären in Betracht; OLG Karlsruhe, AG 2007, 92, 93; OLG München, ZIP 2006, 2370 ff.; OLG Düsseldorf, AG 2004, 207, 209; OLG Celle, AG 2004, 206 f.; Hüffer (Fn. 11), § 327a AktG Rz. 12; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327a AktG Rz. 27 ff. m. w. N. Selbst diese enge Sicht scheint in Anbetracht der objektiven Fassung der Ausschlussvoraussetzungen im Gesetz unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht unbedenklich; berechtigte Kritik bei Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327f AktG Rz. 11. 17 Nach Art. 15 Abs. 1 ÜbR gilt die Squeeze-out Regelung „im Anschluss an ein an alle Wertpapierinhaber [einer] Zielgesellschaft“ gerichtetes Angebot. Dabei ist Zielgesellschaft jede Gesellschaft, deren stimmberechtigte Wertpapiere einem voraus gegangenen öffentlichen Angebot unterlagen (Art. 1 Abs. 1, 2 a) und e) ÜbR). Auch nach der deutschen Umsetzung in § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG erfasst die Regelung alle „Zielgesellschaften“, wozu gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 WpÜG die Aktiengesellschaft wie auch KGaA mit Sitz im Inland zählen.
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In den weiteren Voraussetzungen des Zwangsausschlusses unterscheiden die aktienrechtliche und die übernahmerechtliche Regelung sich dagegen ganz erheblich. Zunächst muss dem übernahmerechtlichen Squeeze-out im Gegensatz zum aktienrechtlichen ein öffentliches Angebot an alle Minderheitsaktionäre voraus gegangen sein; nur ein Bieter im übernahmerechtlichen Sinne (Art. 2 lit. c) ÜbR/§ 2 Abs. 4 WpÜG) ist ausschlussberechtigt (Art. 15 Abs. 1 ÜbR/§ 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG). Den Antrag auf Ausschluss der Minderheitsaktionäre hat der Bieter innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der für das Angebot geltenden Angebotsfrist beim LG Frankfurt am Main zu stellen (§ 39a Abs. 4 WpÜG), das darüber durch Beschluss entscheidet (§§ 39a Abs. 4 und 5, 39b Abs. 3 Satz 1 WpÜG). Dagegen ist der aktienrechtliche Squeeze-out in der Form eines Hauptversammlungsbeschlusses der betroffenen Gesellschaft zu vollziehen und wird mit dessen Eintragung im Handelsregister wirksam (§§ 327a Abs. 1 Satz 1, 327e Abs. 3 Satz 1 AktG). Während nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG dem Hauptaktionär 95 % des gesamten Aktienkapitals der betroffenen Gesellschaft gehören müssen, setzt § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG zwar hinsichtlich des Umfangs der dem Bieter nach dem öffentlichen Angebot gehörenden Aktien bei dem gleichen Prozentsatz an18, die übernahmerechtliche Regelung bezieht diesen Schwellenwert jedoch nur auf das stimmberechtigte Kapital der Gesellschaft19. Beim aktienrechtlichen wie beim übernahmerechtlichen Squeeze-out ist den Minderheitsaktionären für den Verlust ihrer Mitgliedschaft eine angemessene Abfindung zu gewähren. Im ersteren Fall muss die Abfindung zwingend in bar erfolgen (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG), im letzteren kann sie dagegen auch nach Wahl des abzufindenden Aktionärs in der Form von Wertpapieren des Bieters
__________ 18 Nach Art. 15 Abs. 2 Satz 2 ÜbR haben die Mitgliedstaaten ungeachtet der leicht missverständlichen Formulierung des deutschen Texts der Richtlinie („wenn einer der folgenden Fälle vorliegt“) die Wahl zwischen einer Ausschlussschwelle von 90 % bezogen auf das stimmberechtigte Kapital oder 90 % bezogen auf die Erfolgsquote des dem Squeeze-out vorausgegangenen öffentlichen Angebotes für die stimmberechtigten Aktien. Die genannten Ausschlussschwellen sind von den Mitgliedstaaten alternativ, nicht kumulativ umzusetzen; vgl. Krause, BB 2002, 2341, 2345; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2201; dies., ZGR 2005, 200, 240, unter Berufung auf die englische Textfassung „Member States shall introduce that rigt in one of the following situations.“ Im ersteren Fall kann die Schwelle nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 ÜbR bis auf 95 % des stimmberechtigten Kapitals heraufgesetzt werden. Von dieser Option hat der deutsche Gesetzgeber im Sinne des Gleichklangs mit der Ausschlussschwelle beim aktienrechtlichen Squeeze-out Gebrauch gemacht. Das macht wegen der Gleichartigkeit der Interessenabwägung in den beiden Ausschlussvarianten Sinn; vgl. Begr. RegE Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG v. 8.7.2006, BT-Drucks. 16/1003 (im Folgenden „RegE ÜbR-UG“); Mennicke/Austmann, NZG 2004, 846, 847 f.; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 241; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1289 f. 19 Die in Art. 15 Abs. 2 Satz 2 lit. a) ÜbR zusätzlich vorgeschriebene Mehrheit der Stimmrechte der Zielgesellschaft hat der deutsche Gesetzgeber wegen des Verbots von Mehrstimmrechtsaktien und Stimmrechtsbeschränkungen bei börsennotierten Gesellschaften (§§ 12 Abs. 2, 134 Abs. 1 Satz 2 AktG) unberücksichtigt gelassen; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/1541, S. 6 und 12 f.; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1289.
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erfolgen, wenn diese in dem vorausgegangenen Angebot als Gegenleistung gewährt wurden (§ 39a Abs. 3 Satz 1 und 2 WpÜG)20. Hinsichtlich der Angemessenheit der Abfindung gibt das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Gesetzgeber eine Vermutungsregelung vor, an der es beim aktienrechtlichen Squeeze-out fehlt: Bei einem freiwilligen Angebot „gilt“ die im Angebot gewährte Abfindung dann als angemessen, wenn der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des von dem Angebot betroffenen stimmberechtigten Kapitals ausmachen (Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 ÜbR). Bei einem Pflichtangebot „gilt“ die mit dem Angebot gewährte Gegenleistung als angemessen (Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 3 ÜbR). Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgabe in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG in der Weise umgesetzt, dass die mit dem vorausgegangenen Übernahme- oder Pflichtangebot (§§ 29, 35 WpÜG) gewährte Gegenleistung als angemessen „anzusehen“ ist, wenn der Bieter auf Grund des Angebots mindestens 90 % des von dem Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat (ausführlich dazu unten IV.2). 3. Die Qual der Wahl Nach ErwGr 24 Satz 4 ÜbR steht es den Mitgliedstaaten frei, Zwangsausschlussverfahren nach ihren jeweiligen nationalen Rechten beizubehalten, sofern diese mit den Vorgaben der Richtlinie nicht in Konflikt geraten. Im Einklang damit bestimmt § 39a Abs. 6 WpÜG, dass die §§ 327a ff. AktG nach Stellung eines Übertragungsantrags im übernahmerechtlichen Ausschlussverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens keine Anwendung finden. Läuft ein aktienrechtliches Ausschlussverfahren bereits, wird dieses durch die Stellung des Antrags nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG von Gesetzes wegen beendet, gleich in welchem Stadium es sich befindet21. Ansonsten hat ein Bieter, der die Voraussetzungen beider Ausschlussvarianten erfüllt, grundsätzlich die Qual der Wahl. Überdies kann er nicht nur zwischen den beiden Ausschlussvarianten wählen, sondern auch nach erfolglosem Betreiben des einen Verfahrens zu dem anderen überwechseln22. Welche Überlegungen soll-
__________ 20 Gemeinschaftsrechtlich ist die angemessene Barabfindung in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 1 ÜbR vorgeschrieben. Das Mitgliedstaatenwahlrecht hinsichtlich der Zulassung einer Gegenleistung in Wertpapieren oder Geld nach Wahl des ausgeschlossenen Aktionärs folgt aus Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 3 ÜbR. 21 DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 181; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 317. 22 Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 16 und 22; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 181; Heidel/Lochner, DK 2006, 653; der doppelgleisigen Regelung zustimmend auch Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 317; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 118; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 240 f.; restriktiver dagegen die vom Gesetzgeber nicht befolgte Forderung von Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 855, der übernahmerechtliche Squeez-out solle während der dreimonatigen Antragsfrist den aktienrechtlichen Minderheitenausschluss verdrängen; de lege ferenda krit. gegenüber dem dualistischen Ansatz Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1289.
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ten nun für den vor die Wahl zwischen den beiden Ausschlussvarianten gestellten Bieter entscheidend sein? a) Probleme mit dem aktienrechtlichen Squeeze-out Am Beginn dieser Betrachtung muss die Erkenntnis stehen, dass der aktienrechtliche Squeeze-out sich in der relativ kurzen Zeit seit seiner Einführung keineswegs als ungemein benutzerfreundliches Reglement erwiesen hat. Es handelt sich dabei um ein recht zeitaufwendiges und streitanfälliges Verfahren. Die Schwierigkeiten liegen zunächst in der Notwendigkeit begründet, vor Beginn des Ausschlussverfahrens, eine Unternehmensbewertung durchzuführen, die dem Hauptaktionär die Festlegung einer angemessenen Barabfindung ermöglicht (§ 327b Abs. 1 AktG)23. Dabei trägt der Hauptaktionär das Risiko einer Überbewertung zu seinen Lasten. Die einmal in der Tagesordnung zur Hauptversammlung bekannt gemachte Abfindung kann nachträglich nicht mehr zum Nachteil der Minderheitsaktionäre geändert werden24. Eine Anfechtung der verlautbarten Abfindungsregelung wegen Irrtums über bewertungsrelevante Umstände nach § 119 Abs. 2 BGB scheidet aus25. Im Fall eines solchen Irrtums wie auch bei nachträglicher Verschlechterung der Ertragslage bleibt dem Hauptaktionär nur die Möglichkeit, gegen seinen eigenen Abfindungsvorschlag zu stimmen26. Die erneute Einberufung einer Hauptversammlung mit der geänderten Abfindungsregelung führt dann zu entsprechenden Verzögerungen. Der Hauptaktionär kann sich auch nicht damit begnügen, unter Berufung auf die DAT/Altana-Rechtsprechung des BVerfG27 die verlautbarte Abfindungsregelung allein auf den Börsenpreis als Untergrenze der angemessenen Abfindung zu stützen28. Denn das Gesetz verlangt die Prüfung der Angemessenheit der Abfindung durch sachverständige Prüfer, deren Bericht sich zu den angewandten Bewertungsmethoden zu verhalten hat (§§ 327c Abs. 2 Satz 2 und 4, 293e Satz 3 AktG)29. Dabei haben die Prüfer die Möglichkeit zu berücksichti-
__________ 23 Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327b AktG Rz. 6; Hüffer (Fn. 11), § 327b AktG Rz. 5. 24 Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327b AktG Rz. 4; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327b AktG Rz. 4. 25 Grunewald in MünchKomm.AktG (Fn. 11), § 327b AktG Rz. 6; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327b AktG Rz. 4. 26 Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327b AktG Rz. 4; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327b AktG Rz. 4. 27 BVerfGE 100, 289, 309 – DAT/Altana. 28 Bei durch zu geringen Streubesitz (free float) begründeter Marktenge stellt nach BVerfGE 100, 289, 309 der Börsenkurs ohnehin nicht die Mindestabfindung dar, wenn der Ertragswert darunter liegt und der Hauptaktionär dies darlegen und beweisen kann; vgl. Habersack, ZIP 2001, 1230, 1238; Schiessl, AG 1999, 442, 451 f.; Hüffer (Fn. 11), § 327b AktG Rz. 5 m. w. N. In diesem Fall liegt es evident im Interesse des Hauptaktionärs, der verlautbarten Abfindung eine Ertragsbewertung zugrunde zu legen. 29 BGH, ZIP 2006, 2080, 2083; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327c AktG Rz. 7 und 9; Grunewald in MünchKomm.AktG (Fn. 11), § 327c AktG Rz. 8.
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gen, dass der Ertragswert des Unternehmens den Börsenwert übersteigt; dann wäre nämlich nach der Rechtsprechung des BGH und ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum dieser die maßgebliche Größe für die Bestimmung der angemessenen Abfindung30. Last not least verbietet es auch die in §§ 327c Abs. 2 Satz 4, 293d AktG, §§ 319 Abs. 1 bis 3, 323 HGB sicher gestellte Unabhängigkeit der Prüfer, dass diese das Interesse des Hauptaktionärs an einer möglichst niedrigen Bewertung zur Geltung bringen31. Die Prüfer kommen also nicht daran vorbei, ihrer Angemessenheitsprüfung neben den Börsenkursen auch eine Ertragswertberechnung zugrunde zu legen32. Zu Streitanfälligkeit und damit einher gehenden Verzögerungen führt auch der Umstand, dass der aktienrechtliche Squeeze-out per Hauptversammlungsbeschluss zu vollziehen ist und erst mit dessen Eintragung im Handelsregister wirksam wird (§§ 327a Abs. 1 Satz 1, 327e Abs. 3 Satz 1 AktG). Damit ist das Tor für Beschlussmängelklagen gegen den Übertragungsbeschluss geöffnet33. Das Fehlen der nach § 327a Abs. 1 Satz 1 Satz 1AktG erforderlichen Kapitalmehrheit führt zur Nichtigkeit des Beschlusses (§ 241 Nr. 3 AktG)34. Anfechtbar ist der Beschluss, wenn der Hauptaktionär eine Abfindung nicht oder nicht ordnungsgemäß festgesetzt hat (§§ 243 Abs. 1, 327f Satz 3 AktG)35. Vor allem aber hatten Anfechtungskläger mangels Notwendigkeit sachlicher Rechfertigung des Beschlusses36 sich auf das fast schon routinemäßig vorgebrachte
__________ 30 So für den vergleichbaren Fall der Abfindung der Minderheitsaktionäre nach § 305 AktG BGHZ 147, 108, 116 f. – DAT/Altana; sowie treffend BGH ZIP 2003, 1745 – Ytong: „Ertragswertmethode mit Korrekturprüfung anhand des Börsenkurses“; OLG Stuttgart, AG 2004, 43, 45; OLG Frankfurt, AG 2002, 404, 405; aus dem Schrifttum Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 305 AktG Rz. 112; Hüffer (Fn. 11), § 305 AktG Rz. 24c; Bilda in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 305 AktG Rz. 66, jeweils m. umfangr. w.N. aus der Rspr. der Instanzgerichte und Schrifttum; im Kommentarschrifttum neuerdings wohl auch Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 305 AktG Rz. 46a; Hüttemann, ZGR 2001, 454, 458; a. A. Piltz, ZGR 2001, 185, 195 ff.; Stilz, ZGR 2001, 875, 892 f.; Luttermann, ZIP 2001, 869 ff.; W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015, 1020 ff.; Busse v. Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053, 1064 f. 31 BGH, BB 2005, 2651, 2652. 32 BGH, ZIP 2006, 2080, 2083: die Bewertung müsse hinreichend begründet und plausibel sein, ob sie im Ergebnis zutreffe, sei im Spruchverfahren zu klären. 33 Bungert, BB 2005, 2652 f., bemerkt, praktisch jeder Squeeze-out-Beschluss werde heutzutage von Minderheitsaktionären angefochten; dazu auch Rühland, NZG 2006, 401, 402, der bis Mitte 2006 knapp sechzig Gerichtsentscheidungen zum Squeeze-out gezählt hat. In dem Anfechtungsrisiko und den damit einhergehenden Blockade- und Verzögerungsmöglichkeiten liegt der Hauptgrund für das während des Gesetzgebungsverfahrens erfolglos vorgetragene Plädoyer für einen Verzicht auf den Überragungsbeschluss beim aktienrechtlichen Squeeze-out; so insbesondere Habersack, ZIP 2001, 1230, 1237. 34 OLG München, AG 2004, 455; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327f AktG Rz. 3; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327a AktG Rz. 13; Fleischer, ZGR 2002, 757, 788; a. A. Grunewald in MünchKomm.AktG (Fn. 11), § 327a AktG Rz. 17, § 327e AktG Rz. 9; zur Frage des Treupflichtverstoßes bei missbräuchlicher Herbeiführung der Mehrheit s. Fn. 16. 35 OLG Hamburg, ZIP 2003, 1344, 1345; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327f AktG Rz. 5; Hüffer (Fn. 11), § 327f AktG Rz. 3. 36 S. oben bei Fn. 15.
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Argument gestützt, der aktienrechtliche Squeeze-out sei verfassungswidrig. Dies haben BVerfG und BGH mit überzeugenden Argumenten widerlegt37. In Betracht kommt jedoch weiterhin die Anfechtung nach § 243 Abs. 1 AktG wegen Mängeln des Ausschlussverfahrens wie etwa Verletzungen der §§ 121 ff. AktG bei der Einberufung der Hauptversammlung und Ankündigung der Tagesordnung38. Aber auch formelle Mängel des der Hauptversammlung vom Hauptaktionär nach § 327c Abs. 2 Satz 1 AktG zu erstattenden schriftlichen Berichts sowie des Prüfungsberichts und des Prüfungsverfahrens (§ 327c Abs. 2 Satz 2–4 AktG) kommen in Betracht39, ebenso Verletzungen der Pflicht zur Auslage von Unterlagen in der Hauptversammlung nach § 327d Satz 1 AktG40. Nur partielle Erleichterung hat hier der mit § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG i. d. F. des UMAG 2005 eingeführte Klageausschluss bei der Rüge unrichtiger oder unzureichender Information in der Hauptversammlung zu bewertungsrelevanten Fragen gebracht. Der Klageausschluss gilt in Fällen, in denen das Gesetz für Bewertungsfragen auf das Spruchverfahren verweist, wie § 327f Satz 1 und 2 AktG dies für den Squeeze-out tut41. Davon erfasst werden jedoch nur Informationsmängel, die in der Hauptversammlung in Bezug auf Auskunftsbegehren nach § 131 AktG aufgetreten sind, nicht dagegen das gesamte Berichtswesen vor und außerhalb der Hauptversammlung42. Einberufungs- und Ankündigungsmängel, Berichtsfehler sowie Auslagefehler bleiben also auch nach dem UMAG anfechtungsanfällig. Werden solche Mängel geltend gemacht, bleibt dem Hauptaktionär nur das wiederum zeitaufwendige Freigabeverfahren nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 5 und 6 AktG. Insgesamt bleibt das
__________ 37 BVerfG, AG 2007, 544, 545 f.; BGH, BB 2005, 2651 f.; BGH, ZIP 2006, 2080, 2081 f.; OLG Karlsruhe, AG 2007, 92 f.; ausführlicher dazu noch unten IV.2.b) bb) (2). Wie das BVerfG und der BGH ausführen, lässt eine Rüge der Verfassungswidrigkeit sich insbesondere nicht darauf stützen, dass die in § 327b Abs. 3 AktG vorgeschriebene Bankgarantie nicht eine Erhöhung der vom Hauptaktionär festgesetzten Abfindung im Spruchverfahren abdecke und den Minderheitsaktionär nicht vor der Insolvenz des Kreditinstituts schütze. Dagegen spricht schon, dass das BVerfG die ebenfalls in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition der Minderheitsaktionäre eingreifende Regelung des Vertragskonzerns (§§ 291 ff. AktG) für verfassungsmäßig befunden hat, obgleich diese eine entsprechende Bankgarantie nicht vorsieht; BVerfG, NJW 1999, 1699 ff. – SEN. 38 Überblick zu den einzelnen Verfahrenfehlern bei Dißars, BKR 2004, 389, 391 f. 39 BGH, ZIP 2006, 2080, 2082 (Rüge unzulässiger Parallelprüfung erfolglos); OLG Karlsruhe, AG 2007, 92, 93; OLG Hamm, ZIP 2006, 133, 134; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327f AktG Rz. 8; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327f AktG Rz. 4 f.; nach Ott, DB 2003, 1615, 1616 soll dagegen das Fehlen oder die Einschränkung des Prüfertestats nach §§ 327c Abs. 2 Satz 4, 293e Abs. 1 Satz 2 AktG keine Anfechtbarkeit begründen; zust. Hüffer (Fn. 11), § 327f AktG Rz. 3. 40 BGH, ZIP 2006, 2080, 2082 f. (im konkreten Fall abgelehnt). 41 Die Neuregelung gilt für alle Hauptsacheentscheidungen, die ab 1.11.2005 angefallen sind; OLG Hamm, ZIP 2006, 133, 134 f.; Hüffer (Fn. 11), § 327f AktG Rz. 2; krit. Lochner, ZIP 2006, 135. 42 Begr. RegE-UMAG, BR-Drucks. 37/05, S. 54; OLG Hamm, ZIP 2006, 133, 134; Hüffer (Fn. 11), § 243 AktG Rz. 47c; Bungert in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 59, 89; Wilsing, DB 2005, 35, 36; so zu verstehen wohl auch BGH, ZIP 2006, 2080, 2083.
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Verzögerungs- und Blockadepotenzial von Anfechtungsklagen gegen den Übertragungsbeschluss weiterhin erheblich. b) §§ 39a, 39b WpÜG als Musterlösung? Die vorstehend geschilderten Schwierigkeiten des aktienrechtlichen Squeezeout hofft der Gesetzgeber, durch den übernahmerechtlichen Squeeze-out überkommen zu können. Erreicht werden soll dies durch das gerichtliche Ausschlussverfahren (§§ 39a Abs. 4 und 5, 39b Abs. 3 Satz 1 WpÜG), mit dem zeitraubende Anfechtungsklagen und Spruchverfahren ausgeschlossen werden sollen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der Mehrheitsaktionär nach Abgabe eines an alle Aktionäre der Zielgesellschaft gerichteten öffentlichen Angebotes für alle stimmberechtigten Aktien in die Lage versetzt werden, notwendige Umstrukturierungen ohne große zeitliche Verzögerungen durchsetzen zu können. Gleichzeitig soll dabei auch den Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre ausreichend Rechnung getragen werden43. Ob das neue Rechtsinstitut diese Erwartungen erfüllt, wird nicht zuletzt von den Grenzen seines Anwendungsbereiches sowie der Lösung einiger grundsätzlicher Probleme bei seiner Anwendung abhängen.
III. Aufstockungsangebote 1. Gemeinschaftsrechtliche Ausklammerung Nach Art. 15 Abs. 1 ÜbR sollen die Regelungen zum Squeeze-out „im Anschluss an ein an alle Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gerichtetes Angebot für sämtliche Wertpapiere“ gelten. Art. 2 Abs. 1 lit. a) ÜbR definiert die Begriffe „Angebot“ und „Übernahmeangebot“ synonym als „ein an die Inhaber der Wertpapiere einer Gesellschaft gerichtetes … öffentliches Pflicht- oder freiwilliges Angebot zum Erwerb eines Teils oder aller dieser Wertpapiere, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Gesellschaft … anschließt oder diesen Erwerb zum Ziel hat“. Diese etwas verklausulierte Formulierung unterwirft dem Anwendungsbereich des übernahmerechtlichen Squeeze-out nur Pflichtangebote i. S. des Art. 5 ÜbR und freiwillige Angebote, die sich auf den Erwerb der Kontrolle über die Zielgesellschaft richten. Ausgeschlossen sind dagegen freiwillige Aufstockungsangebote, die ein Bieter aus einer bereits bestehenden Kontrollposition heraus abgibt44. Das findet seinen Grund darin, dass das Squeeze-out-Recht in solchen Fällen nicht als Gegenstück zum Pflichtangebot
__________ 43 Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 14; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 317; für das Beschlussmodell plädierend dagegen Ehricke/Roth, DStR 2001, 1120, 1124 f. 44 DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 182; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006, S. 334; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 1 WpÜG Rz. 7; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 241 f.; dies., AG 2006, 301, 318; a. A. Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846 f.
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angesehen werden kann45. Diese Auslegung wird durch die Formulierung in ErwGr 24 Satz 1 ÜbR bestätigt, wonach der Bieter „im Zuge eines Übernahmeangebotes“ im soeben erläuterten gemeinschaftsrechtlichen Sinne einen bestimmtem Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals erworben haben muss, um in den Genuss des Ausschließungsrechts zu gelangen. Der Bieter soll also gewissermaßen für die damit verbundenen Kosten und Risiken „kompensiert“ werden. 2. Deutsche Umsetzung und ihre Folgen Im Einklang mit der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe nimmt § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG Aufstockungsangebote vom Anwendungsbereich des übernahmerechtlichen Squeeze-out aus. Die Vorschrift erfasst ihrem Wortlaut nach nur Übernahmeangebote i. S. des § 29 WpÜG, d. h. Angebote, die auf die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichtet sind, und Pflichtangebote i. S. des § 35 WpÜG46. Bei den Beratungen im federführenden Finanzausschuss wies die Koalitionsmehrheit das Begehren der FDP-Fraktion nach Einbeziehung von Aufstockungsangeboten ausdrücklich zurück47. Ein Recht zum Zwangsausschluss besteht somit in den in § 68 Abs. 3 WpÜG geregelten Altfällen von Kontrollbeteiligungen ebenso wenig wie in den Fällen der Nichtberücksichtigung von Stimmrechten nach § 36 WpÜG48 und der Befreiung von der Angebotspflicht nach § 37 WpÜG, § 9 WpÜG-AngVO49. Diese Fallkonstellationen zeigen die Bedeutung der Ausnahme von freiwilligen Aufstockungsangeboten aus dem Anwendungsbereich des übernahmerechtlichen Squeeze-out. Im Vergleich mit dem aktienrechtlichen Squeeze-out liegt darin eine erhebliche Einschränkung der praktischen Verwendbarkeit dieses Rechtsinstituts.
__________ 45 S. dazu den der Einführung des übernahmerechtlichen Squeeze-out in die ÜbR zugrunde liegenden Winter-Bericht (Fn. 9), S. 70 ff.; sowie Seibt/Heiser, ZGR 2005, 241 f. 46 Aufstockungsangebote ausdrücklich ausnehmend auch Begr. RegE ÜbR-UG, BTDrucks. 16/1003, S. 21. 47 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/1541, S. 11: „Die Koalitionsfraktionen räumten ein, dass den Regelungen zum Squeeze-out eine schwierige Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten zugrunde gelegen habe, betonten aber, dass die gefundenen Regelungen vor diesem Hintergrund eine gute und ausgewogene Lösung darstellten. Die Regelungen trügen auch den Interessen von Aktionären und insbesondere von Kleinaktionären Rechnung. Eine Ausweitung des Squeeze-out auf Aufstockungsangebote würde diese Balance stören.“ 48 Kontrollerwerb durch Erbfälle oder unentgeltliche Zuwendungen unter Ehegatten und Verwandten, Rechtsformwechsel und Konzernumstrukturierungen; Einzelheiten bei Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider (Fn. 44), § 36 WpÜG Rz. 3 ff. 49 Passiver Kontrollerwerb durch Erbgang, Schenkung, Verringerung der Stimmrechte der Zielgesellschaft, Aufleben des Stimmrechts von Vorzugsaktien, nachträgliches Unterschreiten der Kontrollschwelle, fehlende Schutzbedürftigkeit der Aktionäre der Zielgesellschaft etc.; Einzelheiten bei Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider (Fn. 44), § 37 WpÜG Rz. 25 ff., § 9 WpÜG-AngVO Rz. 6 ff.
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IV. Angemessenheit der Abfindung und gerichtliche Kontrolle Nach Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 1 ÜbR haben die Mitgliedstaaten sicher zu stellen, dass den ausgeschlossenen Aktionären eine angemessene Abfindung garantiert wird. Dieses Abfindungserfordernis wirft Folgefragen im Hinblick auf die Art der Abfindung und die Bedeutung des Angemessenheitskriteriums auf. 1. Art der Abfindung Die Abfindung muss entweder dieselbe Form wie die Gegenleistung des voraus gegangenen Angebots haben oder in einer Geldleistung bestehen (Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 ÜbR). Überdies steht es den Mitgliedstaaten auch frei, vorzuschreiben, dass nach Wahl des ausgeschlossenen Aktionärs eine Geldleistung zu gewähren ist (Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 3 ÜbR). Das deutsche Recht schreibt die Angemessenheit der Abfindung und deren Übereinstimmung mit der Art der Gegenleistung des voraus gegangenen Angebots in § 39a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 WpÜG vor. Von der Möglichkeit, den Bieter zu verpflichten, eine alternative Geldleistung anzubieten, hat der Gesetzgeber in § 39a Abs. 3 Satz 2 WpÜG Gebrauch gemacht. Sieht das voraus gehende Angebot keine Gegenleistung in bar vor, ist die im Rahmen des Squeeze-out alternativ anzubietende Geldleistung nach einem Vorschlag des DAV-Handelsrechtsausschusses, der in der Gesetzbegründung Zustimmung gefunden hat, in entsprechender Anwendung der Preisregeln der §§ 31 WpÜG, 4 ff. WpÜGAngVO zu ermitteln50. Der Praxis sind damit klare Regeln an die Hand gegeben. 2. Vermutung angemessener Abfindung Auf erhebliche Schwierigkeiten sowohl bei der Analyse des Gemeinschaftsrechts wie auch der deutschen Umsetzungsregelung stößt man bei der in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 ÜbR statuierten Vermutung der Angemessenheit der Abfindung. Dabei handelt es sich um einen Kernpunkt des europarechtlichen Squeeze-out-Verfahrens. In der nachfolgenden Erörterung der Problematik ist zwischen der Vermutungsgrundlage und der Frage der Widerlegbarkeit der Angemessenheitsvermutung zu unterscheiden. a) Vermutungsgrundlage aa) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Nach Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 ÜbR hat bei einem dem Squeeze-out voraus gegangenen freiwilligen Angebot die in dem Angebot gewährte Abfindung
__________ 50 Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 22; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 179; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290.
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dann als angemessen zu gelten, wenn der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des von dem Angebot betroffenen stimmberechtigten Kapitals betreffen. Dagegen gilt bei einem Pflichtangebot gemäß Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 3 ÜbR die Gegenleistung des voraus gegangenen Angebots als angemessen. Die von der EU-Kommission eingesetzte Gruppe hochrangiger Experten (Winter Gruppe), von der die Initiative zur Einführung des europäischen Squeeze-out ausging, wollte diese Anforderungen alternativ, nicht kumulativ verstanden wissen. Für ein solches Verständnis spricht auch der Wortlaut der Richtlinie. Mit der für das freiwillige Angebot vorgeschriebenen Erfolgsschwelle, sollte insbesondere Großbritannien Gelegenheit gegeben werden die entsprechende Regelung im Companies Act51 beizubehalten52. (1) Pflichtangebot Für das Pflichtangebot ergibt sich aus dem Vorstehenden die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber kraft Gemeinschaftsrechts gezwungen ist, eine Angemessenheitsvermutung ohne Mindestannahmequote einzuführen. Die Antwort hängt davon ab, ob man Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 3 lediglich als Mindeststandard versteht53 oder als abschließenden gesetzlichen Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Bieter und Minderheitsaktionären54. Für eine abschließende Regelung spricht der Gedanke des effet utile des Gemeinschaftsrechts (Art. 10 EGV) in dem Sinne, dass die Richtlinie dem Bieter die effektive Durchsetzbarkeit seines Ausschlussinteresses gewährleisten soll (vgl. ErwGr 24 Satz 1 ÜbR). Das wird insbesondere dann relevant, wenn es um den Ausschluss von Kleinstminderheiten nach einem Pflichtangebot geht55. Für eine Mindestregelung spricht dagegen der in Art. 3 Abs. 1 lit. a) Hs. 2 ÜbR betonte Gedanke besonderer Schutzwürdigkeit der Minorität gegenüber dem Kontrollgesellschafter.
__________ 51 Zu der zur Zeit der Beratungen der Winter-Gruppe geltenden früheren Regelung in sections 428 ff. Companies Act 1985 s. Davies in Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 7. Aufl. 2003, S. 742 ff.; Rühland (Fn. 9), S. 229 ff.; zur Neuregelung des Squeeze-out im Companies Act 2006 im Zuge der Umsetzung der ÜbR s. Fn. 69. 52 Winter-Bericht (Fn. 9), S. 74 ff.; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2006, 109, 115. 53 So Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 850; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 242. 54 So DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 179 f. 55 Man stelle sich den Fall des Erwerbs eines 90 %-Anteils an einer börsennotierten AG aus altem Familienbesitz vor. Will der Erwerber, nachdem er den Minderheitsaktionären das in § 35 WpÜG vorgeschriebene Pflichtangebot unterbreitet hat, die verbleibende Restminderheit ausschließen, könnten bei Geltung der 90 %igen Erfolgsschwelle Inhaber von nur geringfügig mehr als 1 % des Aktienkapitals durch Nichtannahme des Angebots die Angemessenheitsvermutung aushebeln.
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(2) Freiwilliges Angebot Der Grund, warum Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 3 ÜbR beim freiwilligen Angebot als Grundlage der Angemessenheitsvermutung die 90 %ige Erfolgsschwelle vorschreibt, liegt darin, dass gemeinschaftsrechtlich nur das Pflichtangebot den besonderen Angemessenheitsanforderungen an die Gegenleistung nach Art. 5 Abs. 4 ÜbR unterliegt, während die Richtlinie beim freiwilligen Angebot die Preisgestaltung dem Markt überlässt. Unterliegt das freiwillige Angebot der gleichen Preisregelung wie das Pflichtangebot, wie dies im deutschen Recht der Fall ist (§§ 31, 34, 39 WpÜG, §§ 4 ff. WpÜG-AngVO), wird das Erfordernis einer 90 %igen Erfolgsschwelle nach der Systematik der Richtlinie eigentlich überflüssig56. Ob man vor dem Hintergrund dieser Besonderheit des deutschen Rechts in teleologisch-systematischer Reduktion des Anwendungsbereichs des Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 3 ÜbR annehmen kann, den deutschen Gesetzgeber treffe beim freiwilligen Angebot keine Pflicht zur Statuierung einer Erfolgsschwelle57 oder gar ein gemeinschaftsrechtliches Verbot, eine solche einzuführen58, wird angesichts des klaren Wortlauts der Richtlinie bezweifelt59. Wie beim Pflichtangebot spricht auch hier für einen gemeinschaftsrechtlich zwingend vorgegebenen Verzicht auf die 90 %ige Erfolgsschwelle der Gedanke des effet utile (Art. 10 EGV), der für die praktische Durchführbarkeit und Effizienz des gemeinschaftsrechtlichen Zwangsausschlusses streitet. Andererseits spricht für die Annahme einer gemeinschaftsrechtlichen Mindestvorgabe, die den Mitgliedstaaten die Kumulation von Preisregeln und Erfolgsschwelle gestattet, der in Art. 3 Abs. 1 a) Hs. 2 ÜbR betonte Gedanke besonderer Schutzwürdigkeit der Minorität gegenüber dem Kontrollgesellschafter. (3) Zulässigkeit der Kumulation von Preisregeln und Annahmeschwelle Letztlich ist dem Gedanken des Minderheitenschutzes bei der Auslegung der Vorrang einzuräumen. Dafür lässt sich ErwGr 25 Satz 1 ÜbR ins Feld führen, nach dem die Richtlinie nur Mindestvorgaben für den Schutz der Wertpapierinhaber festlegen will. Die Kumulation von Preisregeln und 90 %-Annahmeschwelle ist daher sowohl beim Pflichtangebot wie auch beim freiwilligen Übernahmeangebot als richtlinienkonform anzusehen. bb) Umsetzung in deutsches Recht § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG schreibt das Erreichen der 90 %igen Annahmeschwelle bei dem einem Squeeze-out voraus gegangenen Angebot als Voraus-
__________ 56 DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 180; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 849; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 242; dies., AG 2006, 301, 319; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290. 57 So Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2002; dies., ZGR 2005, 200, 242; dies., AG 2006, 301, 319. 58 DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 180. 59 Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290.
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setzung der Vermutung einer angemessenen Abfindung sowohl für das Pflichtangebot wie für das freiwillige Angebot vor. Da nach §§ 34, 39 WpÜG die Preisregeln der §§ 31WpÜG, 4 ff. WpÜG-AngVO für beide Angebotsarten gleichermaßen gelten, führt dies zu einer Kumulation der Vermutungsgrundlagen. Der deutsche Gesetzgeber hat also sowohl für das Pflichtangebot, für das nach Art. 5 Abs. 4, 15 Abs. 5 Unterabs. 3 ÜbR nur die entsprechenden Preisbildungsregeln gelten sollen, wie für das freiwillige Angebot, für das Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 ÜbR nur die Geltung der 90 %igen Erfolgsschwelle vorschreibt, die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts überschritten60. Er ist damit Vorschlägen während des Gesetzgebungsverfahrens nicht gefolgt, auf die Mindestannahmequote zu verzichten und es für die Geltung der Angemessenheitsvermutung bei den gesetzlichen Preisregelung zu belassen61. In den Materialien ist zur Begründung dieses Vorgehens zu lesen, da das WpÜG dieselben verbindlichen Preisregeln beim Übernahme- und beim Pflichtangebot vorsehe, sei die an die 90 %-Erfolgsschwelle anknüpfende Vermutungsregel auch auf Pflichtangebote anzuwenden62. Legt man Zweck und Systematik der Vermutungsreglung des Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 ÜbR zugrunde, hätte dagegen der umgekehrte Schluss nahe gelegen, auf die Erfolgsschwelle gänzlich zu verzichten63. Die besseren Argumente sprechen wohl dafür, dass die Kumulation von Preisregeln und Erfolgsschwelle gemeinschaftsrechtlich zulässig ist64. Allerdings sind die Richtlinienvorgaben zu diesem Punkt kaum als acte clair anzusehen. Eine Klärung durch den EuGH im Vorlageverfahren nach Art. 234 EGV erscheint daher geboten. Das letztinstanzlich entscheidende Gericht trifft die Vorlagepflicht nach § 234 Abs. 3 EGV65.
__________ 60 Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290. 61 Dies empfehlend DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbRUG, NZG 2006, 177, 180; Seibt/Heiser, AG 2006, 309, 319; dies., ZGR 2005, 200, 242; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 849. 62 Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 22. Über seitens des Bundesrates geäußerte Bedenken, ob die Mindestannahmeschwelle bei Pflichtangeboten erforderlich sei, setzte der Gesetzgeber sich letztlich hinweg; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/1541, S. 10. 63 Dass der Gesetzgeber dies nicht tun wollte, hat wohl vor allem darin seinen Grund, dass man glaubte, die Vermutungsregel des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG mit dem Erfordernis der Mindestannahmeschwelle verfassungsfest gestalten zu können; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 849; ausführlich zur Frage der Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 GG unten IV.2.b) aa) (2). 64 Vgl. oben IV.2.a) aa) (3). 65 EuGH, Urt. v. 6.10.1982 – Rs. C-283/81 (C.I.L.F.I.T.), Slg. 1982, 3415 ff. Rz. 16 ff. Selbst wenn das letztinstanzliche Gericht von einem acte clair ausgehen wollte, wäre jedenfalls die Nichtvorlage unter dem Gesichtspunkt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (rechtliches Gehör) sorgfältig zu begründen; BVerfG, JZ 2007, 87 ff. m. Anm. Paefgen.
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b) Widerleglichkeit der Vermutung aa) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben (1) Historische Auslegung der ÜbR Ob die in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 ÜbR aufgestellten Angemessenheitsvermutungen widerleglich sind, ist umstritten66. Bei der Beantwortung der Frage sollte man sich angesichts der oft unpräzisen Formulierung europäischer Richtlinien und der Möglichkeit ungenauer Übersetzung nicht von dem nach deutschem Sprachverständnis regelmäßig auf eine unwiderlegliche Vermutung hindeutenden Wort „gilt“ leiten lassen67. Wichtiger erscheint, das die Winter-Gruppe als spiritus rector des übernahmerechtlichen Squeeze-out offenbar von einer widerleglichen Vermutung ausgegangen ist68. Das entspricht auch der Regelung des britischen Rechts, die der Expertengruppe als Vorbild diente und in vergleichbarer Ausprägung in den neuen Companies Act 2006 Eingang gefunden hat69. Die den Mitgliedstaaten aufgegebene Regelung hat also bei Vorliegen der in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 ÜbR festgelegten Vermutungsvoraussetzungen zwar grundsätzlich von einer angemessenen Abfindung ausgehen. In Missbrauchsfällen muss es jedoch entsprechend dem britischen Vorbild den Minderheitsaktionären ausnahmsweise erlaubt sein, trotz Erreichens der 90 %-Erfolgsschwelle die Abfindung als unangemessen anzugreifen70.
__________ 66 Für Einordnung als unwiderlegliche Vermutung DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE ÜbR-UG, NZG 2006, 177, 179; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 851; Krause, BB 2004, 113, 117; Wiesner, ZIP 2004, 343, 349; Hasselbach, ZGR 2005, 387, 404 f.; für Widerleglichkeit Mülbert, NZG 2004, 633, 634; Maul/ Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 318; Rühland, NZG 2006, 401, 407; offen Merkt/ Binder, BB 2006, 1285, 1290; Simon, DK 2006, 12, 16 f. 67 Rühland, NZG 2006, 401, 407; a. A. Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 851. 68 Winter-Bericht (Fn. 9), S. 76; Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 656. 69 Zu der zur Zeit der Kommissionsberatungen geltenden Regelung in section 430C Companies Act 1985 s. Davies (Fn. 51), S. 745 ff. Eine Neureglung des Squeeze-out, mit der die ÜbR umgesetzt wurde, findet sich in sections 979 ff. Companies Act 2006. Wie schon das alte, so sieht auch das neue Recht die gerichtliche Überprüfung der in dem vorgeschalteten Übernahmeangebot gewährten Gegenleistung auf Antrag von Minderheitsaktionären vor. Section 986 Companies Act 2006 bestimmt: „(1) Where a notice is given under seetion 979 to a shareholder the court may, on an application made by him, order – … (b) that the terms on which the offeror is entitled and bound to acquire the shares shall be such as the court thinks fit. … (4) On an application under subscetion (1) – (a) the court may not require consideration of a higher value than that specified in the terms of the offer („the offer value“) to be given for the shares to which the application relates unless the holder of the shares shows that the offer value would be unfair; (b) not require consideration of a lower value than the offer value to be given for the shares.“ Im englischen Schrifttum s. Mayson/French/Ryan, Company Law, 23. Aufl. 2007, S. 274 ff., 279 f. 70 So unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie auch Rühland, NZG 2006, 401, 407; Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 656; a. A. Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 851.
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(2) Europäischer Grundrechtsschutz des Aktieneigentums Bei der Bestimmung der Anforderungen, die das Gemeinschaftsrecht an die Widerlegung der Angemessenheitsvermutungen nach Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 ÜbR stellt, ist der Schutz des Aktieneigentums nach europäischem Primärrecht zu berücksichtigen. Gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV hat die EU die in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)71 gewährleisteten Grundrechte zu beachten72. Dazu gehört auch die in Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls der Konvention enthaltene Eigentumsgarantie. Als Grundrecht im Rang des primären Gemeinschaftsrechts73 bindet das europäische Eigentumsgrundrecht nach Art. 46d EUV den EuGH bei der Wahrnehmung seiner Rechtsprechungsaufgabe nach Art. 220 EGV74. In seiner Rolle als Wächter der europäischen Grundrechte obliegt dem Gerichtshof die Entscheidung über die Vereinbarkeit von Richtlinienvorschriften mit dem europäischen Primärrecht (Art. 234 Abs. 1 b) EGV)75. Zur Konkretisierung des Grundrechtsschutzes ist auf die Rechtsprechung des EGMR und der EKMR zu Art. 1 ZP 1 EMRK zurück zu greifen. Hier finden sich eine Reihe von Entscheidungen, in denen der Schutz des Aktieneigentums vor gesetzgeberischen Eingriffen anerkannt wurde76. In der Systematik des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 ZP 1 EMRK handelt es sich beim Zwangsausschluss von Aktionären um eine „sonstige Beeinträchtigung“ des Eigentums i. S. dieser Bestimmung77. Zwar normiert das Konventionsrecht eine Kompensationspflicht bei Eingriffen in das Eigentum nicht ausdrücklich, doch entnimmt die Rechtsprechung diese dem für alle Eigentumseingriffe geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz78. Was die Höhe der Abfindung betrifft, hat der EGMR in
__________ 71 BGBl. II 1952, S. 685. 72 Zur dogmatischen Einordnung der EMRK als Rechtserkenntnisquelle für den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz Kingreen in Calliess/Ruffert, 3. Aufl. 2006, Art. 6 EUV Rz. 33; Calliess ebda., Art. 1 GRCh Rz. 2. 73 Kingreen in Calliess/Ruffert (Fn. 72), Art. 6 EUV Rz. 37. 74 Pechstein, EUV/EGV, 2003, Art. 46 EUV Rz. 12; P. M. Huber ebda., Art. 220 EVG Rz. 13; Geiger, EUV/EGV, 4. Aufl. 2004, Art. 6 EUV Rz. 3, Art. 220 EGV Rz. 34. 75 Wegener in Calliess/Ruffert (Fn. 72), Art. 234 Rz. 13; Geiger (Fn. 74), Art. 234 EGV Rz. 8. 76 EKMR, Beschl. v. 12.10.1982, S. 76 ff. – Bramelid und Malström = EuGRZ 1983, 428; EGMR, Beschl. v. 8.7.1986, S. 43 – Lithgow; EKMR, Beschl. v. 11.12.1986, DR 50, 121, 138 f. – S und T; EGMR, Urt. v. 30.3.2000, S. 5 f. – Kind; EGMR, Urt. v. 16.1.2001, S. 5 – Offerhaus und Offerhaus; EGMR, Urt. v. 12.12.2002, S. 7 f. – Cesnieks; EGMR, Urt. v. 25.7.2003, Ziff. 91 – Sovtransavto; Entscheidungen ohne Quellenangabe abrufbar unter http://www.echr.coe.int/; im Schrifttum Fleischer/ Schoppe, DK 2006, 329, 332 ff. Dagegen finden sich in der Rechsprechung des EuGH zum gemeinschaftsrechtlichen Schutz des Eigentumsgrundrechts keine Entscheidungen, die sich direkt mit dem Schutz des Aktieneigentums befassen; s. dazu die Übersicht bei Calliess in Calliess/Ruffert (Fn. 72), Art. 17 GRCh Rz. 3 ff. 77 Krohn, EBLR 2004, 159, 167; Fleischer/Schoppe, DK 2006, 329, 333 f. 78 EGMR, Urt. v. 23.9.1982, EuGRZ 1983, 523 – Sporrong Lönnroth; EGMR, Urt. v. 20.10.2000, EuGRZ 2001, 397, 402 – Ehemaliger König von Griechenland; EGMR, Offerhaus und Offerhaus (Fn. 76), S. 6; Krohn, EBLR 2004, 109; 163; Fleischer/ Schoppe, DK 2006, 329, 337.
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einem einschlägigen Fall eine „vollständige wirtschaftliche Kompensation“ des Aktionärs verlangt; in einem anderen Fall hat die EKMR entscheidend auf die Ermittlung der Abfindung durch sachverständige Schiedsrichter anhand einer sorgfältig begründeten Entscheidung abgestellt79. Insgesamt ist in der Rechtsprechung der Konventionsorgane die Tendenz zu verzeichnen, bei Enteignungen, die der Durchsetzung von Individualinteressen dienen, vollen Wertersatz zu verlangen80. Ob Markttests, wie sie die für das Pflichtangebot geltenden Preisregeln und die 90 %-Annahmequote bei einem Übernahmeangebot darstellen, als Maßstab für die von Art. 1 ZP 1 EMRK geforderte vollständige wirtschaftliche Kompensation der ausgeschlossenen Aktionäre ausreichen, hat die Konventionsrechtsprechung in dieser konkreten Zuspitzung der Fragestellung noch nicht entschieden. Tendenziell ist den allgemein gehaltenen Ausführungen der bislang ergangenen Entscheidungen keine Festlegung auf einen bestimmte Bewertungsansatz zu entnehmen. Entscheidend ist, dass die nach dem Recht eines Konventionsstaates anzuwendende Bewertungsmethode wirtschaftlich vertretbar und fair erscheinen muss. Der europarechtliche Eigentumsschutz steht daher eine widerleglichen Angemessenheitsvermutung nach angelsächsischem Vorbild, nicht entgegen. Dagegen verbietet es der den primärrechtlichen Eigentumsschutz prägenden Grundgedanke eines fairen und vollen Wertausgleichs, für die Angemessenheitsprüfung ausnahmslos auf die Markttests der übernahmerechtlichen Preisregeln und der 90 %-Annahmeschwelle abzustellen. Vielmehr ist Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 ÜbR unter Berücksichtigung des gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsschutzes i. S. einer widerleglichen Angemessenheitsvermutung zu verstehen, wobei zur Widerlegung Umstände vorliegen müssen, die die Berufung auf den Markttest der übernahmerechtlichen Preisregeln und der 90 %-Annahmeschwelle als wirtschaftlich unvertretbar und unfair erscheinen lassen. Insoweit handelt es sich bei den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben allerdings keineswegs um einen acte clair, so dass auch in dieser Frage eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EGV geboten erscheint81. bb) Widerleglichkeit der Angemessenheitsvermutung nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG Nimmt man die Umsetzung der Angemessenheitsvermutung in deutsches Recht in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG in den Blick, so sind zunächst die Konsequenzen aus der vorstehenden Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu ziehen. Darüber hinaus beeinflussen die Auslegung dieser Vorschrift aber auch die ver-
__________ 79 EGMR, Kind (Fn. 76), S. 6: „compensation économique intégrale“; EKMR, Bramelid und Malström (Fn. 76), S. 83: „… the Commission cannot overlook the fact that the price for the applicants’ shares was established by qualified arbitrators, in a carefully reasoned decision and by reference to criteria which … would not appear to be arbitrary or unreasonable“. 80 Fleischer/Schoppe, DK 2006, 329, 337. 81 Zur Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichts nach Art. 234 Abs. 3 EGV oben Fn. 65.
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fassungsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Schutzes des Aktieneigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG. (1) Europarechtskonforme Auslegung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG Nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ist die im Rahmen des vorausgegangenen öffentlichen Angebots gewährte Gegenleistung als angemessen anzusehen, wenn der Bieter auf Grund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 % des von dem Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat. Neben der hohen Erfolgsquote des Angebots hat diese Vermutung ihre Grundlage auch in den nach deutschem Recht für freiwillige Übernahmeangebote wie für Pflichtangebote gleichermaßen geltenden Preisregeln der §§ 31 WpÜG, 4 ff. WpÜGAngVO. Nach der amtlichen Begründung soll es sich dabei um eine unwiderliche Vermutung handeln82. Folge der Unwiderleglichkeit der Vermutung soll sein, dass bei Erreichen der 90 %-Annahmeschwelle die Angemessenheit der Abfindung feststehen soll, ohne dass der Beweis des Gegenteils zugelassen wird. Der Annahme einer solchen unwiderleglichen Vermutung stehen jedoch die soeben dargelegten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entgegen. Nicht nur wollte der europäische Gesetzgeber mit Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 ÜbR keine unwiderlegliche Vermutung einführen, eine solche Auslegung würde auch dem Grundrechtschutz des Eigentums nach Art. 1 ZP 1 EMRK widersprechen (s. oben IV.2.b)aa)). Nach dem Grundsatz des Vorrangs der richtlinienkonformen Auslegung vor den Auslegungsgrundsätzen des nationalen Rechts ist § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG daher i. S. einer widerleglichen Vermutung zu interpretieren. Ein gesetzlicher Ausschluss jeglichen Beweises der Unangemessenheit der im voran gegangenen Angebot gewährten Gegenleistung (§ 292 ZPO) kann der Vorschrift nicht entnommen werden83. Das muss trotz der entgegen stehenden Äußerungen in den Materialien gelten. Wegen der gemeinschaftsrechtsrechtlichen Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie (Art. 249 Abs. 3, 10 EGV) kommt dem vorliegend unzweifelhaft gegebenen – wenn auch fehl geschlagenen – Bestreben des deutschen Gesetzgebers zur korrekten Umsetzung des Gemeinschaftsrechts Vorrang vor den diesem Ziel abträglichen Bekundungen in der Gesetzesbegründung zu84. Aber auch wenn man einen solchen Um-
__________ 82 Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 22; im Schrifttum ebenso Seibt/Heiser, AG 2006, 309, 317 f.; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1291. 83 So aber die Interpretation von Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290 f. 84 Zum Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 – Colson und Kamann; EuGH, Rs. 79/83, Slg. 1984, 1921 – Harz; Ruffert in Calliess/Ruffert (Fn. 72), Art. 249 EGV Rz. 115 m. w. N. aus der EuGH-Rspr. Zum interpretatorischen Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung nach Art. 249 Abs. 3 EGV s. Ruffert a. a. O., Rz. 117; Canaris in FS Bydlinski, 2002, S. 47, 55 ff., 79; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 247 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 296 ff., insbes. S. 314 ff. (analoge Anwendung von Art. 36 EGBGB); Langenbucher, Europarechtliche Methodenlehre, in Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2005, S. 54 ff.; sowie ausführlich Ch. Hermann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 2003, S. 128 ff.
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setzungswillen nicht zu erkennen vermag, steht dies dem interpretatorischen Vorrang der gemeinschaftsrechtskonformen vor der historischen Auslegung nicht entgegen. Ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Grundprinzip des Vorrangs der Gesetzgebung gegenüber der Rechtsprechung, dessen Einhaltung nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3, 79 Abs. 3 GG auch bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft unverzichtbar ist, kann darin nicht gesehen werden85. Denn der interpretatorische Vorrang der Regelungsziele des Gemeinschaftsrechts vor den Regelungszielen des nationalen Gesetzgebers hat seinen Grund nicht in der Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen von den deutschen Gesetzgebungsorganen auf die Rechtsprechung, sondern in der Übertragung von Legislativbefugnissen auf den Gemeinschaftsgesetzgeber86. § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ist also richtlinienkonform i. S. einer widerleglichen Vermutung zu interpretieren. Dabei lässt das Gemeinschaftsrecht allerdings offen, welche Voraussetzungen im Einzelnen vorliegen müssen, um die auf den Markttest der 90 %-Annahmeschwelle gestützte Angemessenheitsvermutung zu widerlegen. (2) Schutz des Aktieneigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG Bei der Bestimmung der Reichweite der Angemessenheitsvermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG kann der Schutz des Aktieneigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG nicht unberücksichtigt bleiben. Der Heranziehung des deutschen Verfassungsrechts steht hier nicht entgegen, dass es sich bei dieser Vorschrift um den – allerdings misslungenen – Versuch gemeinschaftsrechtskonformer Umsetzung von europäischem Richtlinienrecht handelt. Wie gezeigt werden konnte, beruht die vom deutschen Gesetzgeber beabsichtigte Einführung einer unwiderleglichen Angemessenheitsvermutung nicht auf der ÜbR, sie verstößt vielmehr dagegen (s. oben IV.2.b) aa)). Es geht somit vorliegend nicht darum, europäisches Richtlinienrecht an der deutschen Verfassung zu messen. Das würde gegen die Grundsätze der „Solange II“-Rechtsprechung des BVerfG verstoßen87. Vielmehr sind in den Grenzen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben die gegenüber dem Gemeinschaftsrecht konkreteren Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG an den Grundrechtsschutz des Aktieneigentums zur Geltung zu bringen. Eine solche ergänzende Heranziehung des deutschen Verfassungsrechts hat das BVerfG im Beschluss zum Europäischen Haftbefehl für vereinbar mit der Bindung der Mitgliedstaaten an EU-Rahmenbeschlüsse nach Art. 34 Abs. 2 b) EUV gehalten88. Das gleiche Prinzip möglichst grundrechts-
__________ 85 So aber Canaris in FS Bydlinski (Fn. 84), S. 47, 56 f. 86 So zutr. Ch. Hermann (Fn. 84), S. 141 f., der weiter ausführt: „Dass es in der Folge auch zu einer Einwirkung auf die horizontale Gewaltenbeziehung zwischen Legislative und Judikative kommt, folgt daraus, dass die nationalen Gerichte auch als Gemeinschaftsgerichte bzw. als Gemeinschaftsrechtsgerichte fungieren.“ 87 BVerfGE 73, 339 – Solange II; BVerfGE 89, 155 – Maastricht; BVerfGE 102, 147 – Bananenmarktordnung; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 117; Rühland, NZG 2006, 401, 406 f.; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290. 88 BVerfG, NJW 2005, 2289, 2291 f.
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schonender Umsetzung europarechtlicher Vorgaben beansprucht auch im vorliegenden Zusammenhang Geltung89. Nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Abfindung ausscheidender Aktionäre bei Abschluss eines Unternehmensvertrages nach § 305 AktG bildet der Börsenpreis die Untergrenze der nach Art. 14 Abs. 1 GG gebotenen angemessenen Abfindung für den Verlust des Mitgliedschaftsrechts des Aktionärs90. Übersteigt indessen der auf Grund einer Fundamentalbewertung ermittelte Wert des Unternehmens den Börsenwert, stellt ersterer die maßgebliche Größe für die Bestimmung der angemessenen Abfindung dar91. Für die Vereinbarkeit der Zwangsabfindung beim aktienrechtlichen Squeeze-out mit Art. 14 Abs. 1 GG hat der BGH es als entscheidend angesehen, dass der Börsenpreis im Einklang mit den Vorgaben des BVerfG nur als Untergrenze des Verkehrswertes anzusehen und nötigenfalls im Spruchverfahren nach §§ 327f AktG, 1 ff. SpruchG auf der Grundlage einer höheren Ertragsbewertung nach oben hin zu korrigieren sei92. Das alleinige Abstellen auf den durchschnittlichen Börsenpreis der letzten drei Monate und zeitnah zu einem Angebot durchgeführte Privattransaktionen außerhalb des Angebots, wie es in §§ 31 WpÜG, 4 ff. WpÜG-AngVO vorgeschrieben ist, genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht93. Das gilt auch dann, wenn man die in § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO vorgesehene Ertragsbewertung bei fehlender Aussagekraft des Börsenkurses als Ausnahme von der marktgestützten Bewertung in die Betrachtung einbezieht94. Mit dem Argument, in funktionierenden und kontrollierten Kapitalmärkten gebe die Börsenbewertung den Verkehrswert einer Aktie angemessen wieder, lässt sich der Verzicht auf eine fundamental gestützte, insbesondere auch an den Ertragserwartungen (Cash Flow) des Unternehmens orientierte Bewertung als mög-
__________ 89 Für Überprüfbarkeit nach deutschem Verfassungsrecht auch Rühland, NZG 2006, 401, 406 f.; Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 656; dies., DB 2005, 2564 ff.; a. A. Krause, BB 2004, 113, 118; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290 f.; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 240, 246. 90 BVerfGE 100, 289, 309 – DAT/Altana; BVerfG, NJW-RR 2000, 842 f. – Hartmann & Braun. Eine grundsätzlich a. A. haben jetzt Mülbert/Leuschner, ZHR 170 (2006), 615 ff., vertreten, nach denen die Mitgliedschaft in der Aktiengesellschaft nicht Art. 14 Abs. 1 GG, sondern Art. 2 Abs. 1 GG unterfallen soll, mit der Folge größerer Gestaltungsspielräume für den Gesetzgeber. Dagegen ist auf die überzeugenden Ausführungen im Urteil BVerfGE 50, 290, 342 ff. – MitbestG 1976 zum Schutz des in den Assoziationsformen des Gesellschaftsrechts ausgeübten privatnützigen Eigentumsrechts zu verweisen; dazu bereits Paefgen, Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmte AG, 1982, S. 22 ff. 91 BGHZ 147, 108, 116 – DAT/Altana; BGH, ZIP 2003, 1745 – Ytong; OLG Stuttgart, AG 2004, 43, 45; OLG Frankfurt, AG 2002, 404, 405; Rühland, NZG 2006, 401, 403. 92 BGH, BB 2005, 2652. 93 Gleichsinnig Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 656. 94 Die Vorschrift verlangt eine Unternehmensbewertung, wenn während der letzten drei Monate vor dem Angebot für die Zielgesellschaft an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 % von einander abweichen; zu den Einzelheiten Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider (Fn. 44), § 5 WpÜG-AngVO Rz. 20 ff.
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liches Korrektiv des Börsenpreises nicht begründen. Die Behauptung, die Börse stelle einen effizienten Kapitalmarkt dar, trifft die Realität nicht. Sie lässt sich auch nicht auf die in der U.S.-amerikanischen Finanztheorie begründete Efficient Capital Market Hypothesis (ECMH)95 stützen; dabei handelt es sich nicht um eine Beschreibung der Kapitalmarktrealität, sondern um eine wirtschaftswissenschaftliche Hypothese zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen effizienter Preisbildung und Informationseffizienz am Kapitalmarkt96. Dass der Preis, der in einem den Mindestpreisregeln der §§ 31 WpÜG, 4 ff. WpÜG-AngVO unterliegenden Übernahmeangebot gezahlt wird, vom Ertrags(Discounted-Cash-Flow)-Wert der Zielgesellschaft ganz erheblich nach unten abweichen kann, zeigt die Praxis deutlich97. § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG macht über die Preisregeln hinaus die 90 %ige Mindestannahmequote zur Voraussetzung der Angemessenheitsvermutung. Eine solche Vermutung fand sich bereits im Vorschlag eines § 327b Abs. 1 Satz 3 AktG i. d. F. des RegE WpÜG98, ist jedoch letztlich nicht Gesetz geworden99. Grund dafür waren auf Art. 14 Abs. 1 GG gestützte verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Fehlen einer Überprüfbarkeit der Abfindung im Spruchverfahren100. Bei der Regelung des übernahmerechtlichen Squeeze-out hat der Gesetzgeber sich über diese Bedenken hinweggesetzt. Dafür lassen sich durchaus überzeugende Gründe anführen. Das BVerfG hat hierzu im Moto MeterBeschluss Ausführungen gemacht, die sich auf den Fall des übernahmerechtlichen Squeeze-out übertragen lassen101. Die Entscheidung betraf einen Fall der sogenannten übertragenden Auflösung. Der zu 99 % beteiligte Großaktionär hatte den Verkauf des gesamten Gesellschaftsvermögens an sich selbst und die Auflösung der Gesellschaft beschlossen. Minderheitsaktionäre hatten im Weg der Anfechtungsklage erfolglos geltend gemacht, durch die Beschlüsse ohne volle wirtschaftliche Entschädigung aus ihrer Beteiligung an der Gesellschaft heraus gedrängt worden zu sein. Auf deren Verfassungsbeschwerde hin führte das BVerfG aus, der Schutz des Aktieneigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG schließe es zwar nicht aus, Minderheitsaktionäre i. S. vorrangiger Berücksichti-
__________ 95 Grdl. Fama, 25 J. Fin. (1970), 383 ff. 96 Dies gegen Seibt/Heiser, ZGR 2005, 240, 244, dort insbesondere den Verweis auf die ECMH in Fn. 236. Treffend heißt es dagegen bei Kümpel/Veil, Wertpapierhandelsgesetz, 2. Aufl. 2006: „Die ECMH geht … nicht davon aus, dass es effiziente Kapitalmärkte tatsächlich gibt, sondern will erklären, wie sich die Preise von Wertpapieren bilden.“ 97 Dibelius, Mergers & Acquisitions: Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kapitalmärkten, in Picot (Hrsg.), Handbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2005, S. 41, 64 f. mit den Beispielen Celanese/Blackstone und Continental/Phoenix, wo im Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG Abfindungen erheblich über dem für das Übernahmeangebot festgesetzten Preis gezahlt wurden. 98 BT-Drucks. 14/7034, S. 24. 99 BT-Drucks. 14/7477, S. 46, 72. 100 BT-Drucks. 14/7477, S. 46, 57; zu diesen Bedenken auch Habersack, ZIP 2001, 1230, 1238; Heidel/Lochner, DB 2001, 2031, 2032 f.; Rühland, NZG 2001, 448, 453 f.; ders. (Fn. 9), S. 230 ff. 101 BVerfG, WM 2000, 1948, 1950 f. – Moto Meter; sowie jetzt auch zum aktienrechtlichen Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG BVerfG, AG 2007, 544, 545 ff.
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gung der Interessen des Mehrheitsgesellschafters durch Auflösung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf diesen aus der Gesellschaft auszuschließen102. Diese müssten jedoch für ihre Anteile wirtschaftlich voll entschädigt werden. Dazu bedürfe es der Möglichkeit einer gerichtlichen Wertkontrolle hinsichtlich der Angemessenheit der vom Mehrheitsgesellschafter für das Gesellschaftsvermögen erbrachten Gegenleistung. Allerdings sei eine solche gerichtliche Wertkontrolle dann verfassungsrechtlich nicht geboten, wenn das Gesellschaftsvermögen an einen an der Gesellschaft unbeteiligten Dritten veräußert werde. Dann nämlich sei ein ausreichender Schutz der Minderheitsaktionäre bereits darin zu sehen, dass auch der Großaktionär einen möglichst hohen Preis für das Gesellschafsvermögen erzielen wolle, insoweit also Interessenhomogenität bestehe. In Übertragung der vorstehenden Vorgaben des BVerfG auf die Situation beim Squeeze-out ist eine gerichtliche Wertkontrolle der Angemessenheit der Abfindung verfassungsrechtlich dann nicht zwingend geboten, wenn die gewährte Abfindung dem Preis entspricht, den in dem voraus gegangen öffentlichen Angebot 90 % des von dem Angebot betroffenen Kapitals als angemessen akzeptiert haben. In einer derart hohen Annahmequote ist ein Markttest der Bewertungsangemessenheit vergleichbar der Veräußerung des Gesellschaftsvermögens an einen unbeteiligten Dritten bei der übertragenden Auflösung zu sehen. Damit ist den an den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz zu stellenden Anforderungen genüge getan103. Für die Relevanz des Markttests spricht, dass es sich bei den vom Squeeze-out erfassten Restbeteiligungen wirtschaftlich um nicht mehr und nicht weniger als Investments am Kapitalmarkt handelt, für deren Bewertung daher auch der am Markt für Unternehmenskontrolle in Form des Angebotspreises gebildete Marktpreis ausschlaggebend sein sollte. Aus der Sicht des Bieters, dem es darum geht, die Kosten der Abfindung einer zwangsweise auszuschließenden Restminderheit möglichst exakt einschätzen zu können, bedeutet das Abstellen auf den Markttest der 90 %-Erfolgsquote einen großen Vorteil des übernahmerechtlichen Squeeze-out im Vergleich mit dem aktienrechtlichen Pendant. Ihm wird dadurch das Risiko der Erhöhung des für die letzten 5 % des Kapitals zu zahlenden Preises im Spruchverfahren abgenommen104. Ob das BVerfG diesem Ansatz vor dem Hintergrund der bis-
__________ 102 Dazu BVerfGE 14, 263, 282 ff. – Feldmühle; BVerfGE 100, 289, 302 f. – DAT/Altana; BVerfG, NJW 1999, 1699 ff. – SEN; BVerfG, NJW 1999, 1701 f.; BVerfG, AG 2007, 544, 545 f. 103 Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 850 f.; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 117; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 244; im Grundsatz so auch Rühland, NZG 2006, 401, 404 f. 104 Dies aus der Sicht des M&A-Bankers begrüßend Dibelius in Picot (Fn. 97). Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte dagegen in den Ausschussberatungen eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit aus verfassungsrechtlichen Gründen ohne Erfolg angemahnt; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/1541, S. 11; krit. gegenüber dem Fehlen einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit auch Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 655 f.
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herigen DAT/Altana-Rechtsprechung zum Börsenpreis als Mindestabfindung folgen wird, bleibt abzuwarten. Die verfassungsrechtliche Anerkennung des zu 90 % akzeptierten Angebotspreises als vollwertige Abfindung würde ein Abrücken vom Mindestwertdogma der DAT-Altana-Entscheidung nicht zwingend erfordern. Denn im Vergleich mit dem Börsenpreis kommt dem von einer 90 %igen Mehrheit der Angebotsadressaten akzeptierten Preis eines öffentlichen Angebotes eine erheblich stärkere Aussagekraft als Wertindikator zu. Es handelt es sich dabei um eine Marktbewertung des Unternehmens als Ganzen durch die ganz überwiegende Zahl seiner Anteilseigner. Der Börsenpreis spiegelt hingegen nur die Preisbildung bei der Veräußerungen einzelner Anteile zu einem bestimmten Zeitpunkt wider, die mehr oder weniger stark von unternehmensexternen, für die Fundamentalbewertung irrelevanten Faktoren beeinflusst sein kann wie insbesondere der allgemeinen Stimmung am Aktienmarkt. Es wäre deshalb durchaus konsequent, sub specie des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes auf der Grundlage der DAT/Altana-Rechtsprechung den Börsenpreis im Rahmen von Umwandlungen (§§ 15, 34, 196, 212 UmwG), Unternehmensverträgen (§ 305 AktG), Mehrheitseingliederungen (§ 320b AktG) und aktienrechtlichen Zwangsausschlüssen (§ 327a Abs. 1 AktG) als Untergrenze der verfassungsrechtlich gebotenen Abfindung anzusehen, den zu 90 % akzeptierten Preis eines Pflicht- oder Übernahmeangebots dagegen in Fortführung der Moto-Meter-Rechtsprechung als abschließenden Wertindikator für die Bestimmung der Abfindungshöhe beim übernahmerechtlichen Squeeze-out genügen zu lassen. Um als objektiver Wertparameter verfassungsrechtlich akzeptabel zu sein, muss der Markttest der 90 %igen Annahmequote allerdings unter Bedingungen zustande kommen, die eine möglichst effiziente Preisbildung am Markt für Unternehmenskontrolle gewährleisten. Der Angebotspreis ist deshalb nur dann als Angemessenheitskriterium für die Abfindung beim nachfolgenden Squeeze-out anzusehen, wenn dieser nicht durch Verletzung von Insiderregeln (§§ 13, 14 WpHG), Verstößen gegen die Ad-hoc-Meldepflicht (§ 15 WpHG), Marktmanipulation (§ 20a WpHG), sonstige Verstöße gegen das Wertpapierhandelsrecht, Verstöße gegen §§ 11 WpÜG, 2 WpÜG-AngVO oder irreführende Stellungnahmen der Verwaltung der Zielgesellschaft (§ 27 WpÜG) beeinflusst ist105. Ist dies dagegen der Fall, ist die Angemessenheitsvermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG als widerlegt anzusehen. cc) Folgen für die Angemessenheitsprüfung Greift die Angemessenheitsvermutung nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ein, hat das zuständige LG Frankfurt am Main vor Erlass des Übertragungsbeschlusses nur die Einhaltung der Drei-Monatsfrist und das Erreichen der 95 %Ausschlussschwelle nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG, das Erreichen der 90 %-
__________
105 So im Ansatz auch Rühland, NZG 2006, 401, 405 ff.; ähnlich schon Busse v. Colbe in FS Lutter, 2000, S. 1053, 1064. Rechtsvergleichend zum englischen Recht Re Chez Nico (Restaurants) Ltd [1992] BCLC 192; Fiske Nominees Ltd v Dwyka Diamond Ltd [2002] EWHC 770 (Ch); Mayson/French/Ryan (Fn. 69), S. 279.
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Annahmequote nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG, sowie die ordnungsgemäße Bekanntmachung des Ausschließungsantrags in den Gesellschaftsblättern nach § 39b Abs. 2 WpÜG fest zu stellen. Eines Übertragungs- und Prüfungsberichts, wie ihn § 327b Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG beim aktienrechtlichen Zwangsausschluss fordert, bedarf es bei Eingreifen der Angemessenheitsvermutung dagegen nicht, da es mangels Erfordernisses eines Hauptversammlungsbeschlusses und einer diesem zugrunde zu legenden Ertragsbewertung an einem entsprechenden Informationsinteresse der Minderheitsaktionäre fehlt106. Wenn die genannten Beschlussvoraussetzungen erfüllt sind, hat das Gericht als Abfindung, die den Minderheitsaktionären mit Rechtskraft des Beschlusses zu gewähren ist, die Gegenleistung des voraus gegangenen Angebots sowie ggf. die danach zu berechnende, gemäß § 39a Abs. 3 Satz 2 WpÜG wahlweise anzubietende Geldleistung festzusetzen. Gegenüber den beim aktienrechtlichen Squeeze-out gegebenen Möglichkeiten der Verfahrensverzögerung durch Anfechtung des Übertragungsbeschlusses der Hauptversammlung der Zielgesellschaft (vgl. oben II.3.a)) werden damit Verzögerungen des Wirksamwerdens des Squeeze-out weitestgehend vermieden. Alle für eine fundamental gestützte Ertragsbewertung relevanten Gesichtspunkte und Informationen sind im gerichtlichen Beschlussverfahren des übernahmerechtlichen Squeezeout irrelevant. Sie haben auf das Wirksamwerden des Zwangsausschlusses mit der Folge des Übergangs der Aktien auf den Bieter nach § 39b Abs. 5 Satz 3 WpÜG wie auch auf die Höhe der Abfindung keinen Einfluss. Dem Bieter wird damit im Vergleich mit dem aktienrechtlichen Squeeze-out ein erheblich rechtsichereres und zügigeres Verfahren an die Hand gegeben. Greift die Angemessenheitsvermutung dagegen nicht ein, weil die 90 %-Erfolgsschwelle nicht erreicht ist oder die Vermutung widerlegt ist (vgl. oben IV.2.b) bb)), hat in dem gerichtlichen Beschlussverfahren nach §§ 39a Abs. 1 Satz 1, 39b Abs. 3 Satz 1 WpÜG eine auf den Ertragswert oder sonst einschlägige fundamentale Bewertungsmethoden gestützte Unternehmensbewertung zu erfolgen107. Zwar besteht auch hier ein evidentes praktisches Interesse daran, die Festlegung der Abfindung nicht zur Verzögerung des Wirksamwerdens des Squeeze-out führen zu lassen. Dem hätte es entsprochen, die mangels Eingreifens der Angemessenheitsvermutung unausweichliche fundamental gestützte Unternehmensbewertung in ein von den Wirksamkeitsvoraussetzungen des gerichtlichen Übertragungsbeschlusses abgelöstes Verfahren zu verweisen108. Dazu hätte sich ein Spruchverfahren nach den Regeln des SpruchG angeboten. Jedoch hat der deutsche Gesetzgeber den übernahmerechtlichen Squeeze-out ausdrücklich nicht in den Anwendungsbereich des SpruchG einbezogen, obgleich der Bundesrat angeregt hatte, dies im Interesse zügiger und rechtssiche-
__________ 106 A. A. Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 657 f. 107 A. A. Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 657, nach denen eine fundamental gestützte Unternehmensbewertung im Beschlussverfahren unabhängig vom Eingreifen der Vermutung stets erforderlich sein soll. 108 So im Ansatz auch die Vorschläge von Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 247; dies., AG 2006, 301, 319; Schüppen, BB 2006, 165, 168; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 117.
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rer Durchführung des Ausschlussverfahrens zu prüfen109. Eine analoge Anwendung der Spruchverfahrensregeln, wie sie der BGH im Falle des Delisting für angebracht gehalten hat110, scheidet daher aus111. dd) Zwischenresümee Insgesamt wird durch die vorstehend dargestellte Wirkung der Angemessenheitsvermutung das übernahmerechtliche Ausschlussverfahren im Vergleich mit dem aktienrechtlichen Squeeze-out und den damit verbundenen Anfechtungsmöglichkeiten von Minderheitsaktionären (vgl. oben II.3.a)) erheblich entlastet und beschleunigt, ohne dass es dabei zur Verkürzung gemeinschaftsund verfassungsrechtlich vorgegebener Abfindungsansprüche kommt. Bewertungsfragen und die damit verbundenen Informationsrügen belasten das Squeeze-out-Verfahren nur dann, wenn die Mindestannahmequote nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG nicht erfüllt ist. Es ist allerdings nochmals zu betonen, dass die praktische Effizienz dieses Rechtsinstituts entscheidend davon abhängt, dass der EuGH und das BVerfG den hier dargelegten Argumenten folgend den abschließende Bewertungsmaßstab der 90 %-Annahmeschwelle mit dem Grundrechtsschutz des Aktieneigentums nach europäischem und deutschem Recht für vereinbar halten.
V. Probleme der Schwellenberechnung 1. 95 %-Ausschlussschwelle Nach Art. 15 Abs. 2 Satz 2 lit. a) und Satz 3 ÜbR kommt es für das Erreichen der das Sqeeze-out-Recht begründenden Ausschlussschwelle allein darauf an, ob der Bieter nach dem öffentlichen Angebot Aktien „hält“, die 95 % des stimmberechtigten Kapitals der Zielgesellschaft entsprechen. Nach der Formulierung des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG müssen dem Bieter Aktien in Höhe von mindestens 95 % des Grundkapitals der Zielgesellschaft „gehören“. Wann der entsprechende Aktienbestand erworben wurde, ist nach dem Gesetzeswortlaut gleichgültig. Insbesondere muss – trotz der insoweit nicht ganz klaren Formulierung in ErwGr 24 Satz 1 ÜbR – nicht die gesamte 95 %-Mehrheit mit dem öffentlichen Angebot erworben worden sein112. Anderenfalls wäre das Erreichen dieser Schwelle im Falle des Pflichtangebots, das die Kontrolle über mindestens 30 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft voraus setzt (§ 29 Abs. 2 WpÜG), von vornherein ausgeschlossen. Weder der europäischen, noch der deutschen Regelung sind auch irgendwelche Einschränkungen hinsichtlich des Zeitpunkts zu entnehmen, zu dem die erforderlichen Aktien erworben werden müssen.
__________ 109 BR-Drucks. 154/06, Nr. 11 zu Art. 1 Nr. 17; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/1541, S. 10. 110 BGHZ 153, 47, 57 ff. – Macrotron. 111 Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2159. 112 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318; Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 654.
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Auch nach der Regierungsbegründung soll es grundsätzlich gleichgültig sein, auf welche Weise der Bieter die erforderliche Mehrheit erreicht. Außerhalb des öffentlichen Angebots getätigte Paketerwerbe von einzelnen Aktionären sollen dafür ausreichen. Über den Wortlaut von Richtlinie und Gesetz hinaus soll dies allerdings nur dann gelten, wenn solche Transaktionen in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Angebot stehen113. Eine entsprechende Einschränkung wird auch im Schrifttum gefordert, ohne dass dies näher begründet wird114. Diese Einschränkung ist abzulehnen. Sie wurde offenbar ohne ausreichendes Bedenken der Konsequenzen in die Gesetzesbegründung aufgenommen. Der Anwendungsbereich des übernahmerechtlichen Squeeze-out wird damit im Gegensatz zum aktienrechtlichen Squeeze-out, wo eine solche Vorgabe nicht besteht115, sinnwidrig eingeschränkt. Der mit dem Squeeze-out bezweckte Schutz der unternehmensstrategischen Interessen des Bieters hängt nicht vom Zeitpunkt des Erwerbs der Aktien ab, die seine den Zwangsausschluss rechtfertigende überragende Stellung in der Zielgesellschaft begründen. Erforderlich ist allein, dass der Bieter den Minderheitsaktionären in einem voraus gehenden Übernahme- oder Pflichtangebot Gelegenheit zur freiwilligen Veräußerung ihrer Anteile gegeben hat116. Auch erscheint es gerade im Hinblick auf den Minderheitenschutz nicht stimmig, den Minderheitsaktionären das spiegelbildlich an die Squeeze-out-Voraussetzungen anknüpfende Sell-out-Recht nach Art. 16 ÜbR/§ 39c WpÜG nur deshalb zu versagen, weil der Bieter einen Teil seiner 95 %-Beteiligung nicht zeitnah zu dem öffentlichen Angebot erworben hat. Und schließlich lässt sich das Kriterium des engen zeitlichen Zusammenhangs mit dem Angebot wohl kaum rechtssicher abgrenzen. 2. 90 %-Erfolgsquote a) Bedeutung des Vorbesitzes Wie bereits gezeigt wurde, ist das Erreichen der 90 %-Erfolgsquote bei dem einem Squeeze-out vorgeschalteten öffentlichen Angebot Voraussetzung für die zügige Durchführung des Zwangsausschlusses unter Inanspruchnahme der Angemessenheitsvermutung nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG. Der Annahmeschwelle kommt daher für die praktische Effizienz des übernahmerechtlichen Squeeze-out erhebliche Bedeutung zu (vgl. oben IV.2.b)). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Gesamtzahl der Aktien, die ein Bieter erwerben muss, wenn er von der Angemessenheitsvermutung profitieren will, die Ausschlussschwelle von 95 % in all den Fällen übersteigt, wo der Bieter vor Abgabe des dem Squeeze-out vorgeschalteten öffentlichen Angebots bereits über mehr als 50 % des nachgesuchten Kapitals verfügt.
__________ 113 114 115 116
Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 21. Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318; Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2159. Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 9), § 327a AktG Rz. 5. So auch Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 654.
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Der neue übernahmerechtliche Squeeze-out Abhängigkeit des für das Erreichen der Erfolgsschwelle nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG erforderlichen Gesamterwerbs vom Vorbesitz
Vorbesitz
90 % Angebotserfolg
Insgesamt
50,0 %
45,0 %
95,0 %
60,0 %
36,0 %
96,0 %
70,0 %
27,0 %
97,0 %
80,0 %
18,0 %
98,0 %
90,0 %
9,0 %
99,0 %
95,0 %
4,5 %
99,5 %
99,0 %
0,9 %
99,9 %
Die tabellarische Übersicht zeigt, dass ein Bieter bei einem Vorbesitz von 70 % des nachgesuchten Kapitals bereits 97 % des Kapitals inne haben muss, um den übernahmerechtlichen Squeeze-out unter Inanspruchnahme der Angemessenheitsvermutung effizient durchführen zu können. Bei einem Vorbesitz von 95 % steigt diese Zahl auf 99,5 %. Für Bieter, die ein Angebot aus einer Mehrheitsposition heraus unterbreiten, erhöhen sich somit die Risiken, von der Angemessenheitsvermutung wegen des hold-out einer Kleinstminderheit ausgeschlossen zu sein, mit steigendem Vorbesitz zunehmend. Darin liegt eine Beschränkung der Einsatzmöglichkeiten des übernahmerechtlichen Squeezeout im Vergleich mit der aktienrechtlichen Variante, die solche Restriktionen nicht aufweist. b) Bedeutung von Paketerwerben Fraglich ist, wie Paketerwerbe im Kontext einer Übernahmestrategie in die Berechnung der Erfolgsschwelle nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG einzubeziehen sind. Ein Bieter hat grundsätzlich Interesse daran, im Vorfeld eines Angebots einzelne Aktienpakete dinglich wirksam zu erwerben. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, bereits vor dem Angebot eine Mehrheit fest zu zurren. Solchermaßen erworbene Pakete fallen nicht unter die Erfolgsschwelle. Gleiches gilt für Paketerwerbe durch Gesellschaften, die von dem Bieter abhängig sind oder die für Rechnung des Bieters erfolgen. Zwar verweist § 39a Abs. 2 WpÜG nur für die Berechnung der 95 %-Ausschlussschwelle auf § 16 Abs. 4 AktG. Die Vorschrift ist jedoch im vorliegenden Zusammenhang entsprechend anzuwenden. Der mit der Erfolgsschwelle bezweckte Markttest der Angebotskonditionen (vgl. oben IV.2.b) bb) (2)) verbietet es, Aktien in den Test einzubeziehen, über deren Veräußerung der Bieter selbst zu entscheiden befugt ist117. Weiter sind auch Paketerwerbe auszunehmen, die nach Veröffentlichung der Mitteilung nach § 10 WpÜG und vor der Veröffentlichung der An-
__________
117 Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2160.
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gebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 WpÜG dinglich wirksam werden. Denn bevor die Bedingungen des Angebots in der Form der Angebotsunterlage vorliegen, lässt sich nicht von einem Erwerb auf Grund des Angebots sprechen118. Schwieriger fällt die Einordnung von Paketen, die zwar während der Laufzeit des Angebots, aber doch außerhalb desselben zu Individualkonditionen von bestimmten Personen erworben werden. Hier ist zu berücksichtigen, dass solche Parallelerwerbe über die Mindestpreisregel des § 31 Abs. 4 WpÜG auch die Konditionen des öffentlichen Angebots beeinflussen. Kommt die Mindestpreisregel zur Anwendung oder liegt der für das Paket gezahlte Preis unter dem Preis des öffentlichen Angebotes, ist die Einbeziehung in die Schwellenberechnung geboten. Denn in diesen Fällen erfüllt der Parallelerwerb die Kriterien des mit der Annahmeschwelle beabsichtigten Markttests119. c) Irrevocable untertakings Der Praxis stellt sich die Frage, ob das mit der Ausklammerung von privaten Paketerwerben außerhalb des Angebots verbundene Risiko, mit dem nachfolgenden Angebot die 90 %-Erfolgsschwelle nicht zu erreichen, durch die Vereinbarung sogenannter irrevocable undertakings vermeiden lässt. Solche Abreden sind in der anglo-amerikanischen M&A-Praxis gang und gäbe; sie werden seit Inkrafttreten des WpÜG auch in der deutschen Praxis zunehmend verwendet. Es handelt sich dabei um Verträge zwischen Bietern und Aktionären der Zielgesellschaft, die die unwiderrufliche Verpflichtung begründen, ein nachfolgendes Übernahmeangebot anzunehmen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Solche Bedingungen sind typischerweise die Veröffentlichung des Angebots innerhalb einer bestimmten Frist, das Erreichen eines bestimmten Mindestangebotspreises oder auch der Verzicht des Bieters auf das Erreichen einer bestimmten Mindestannahmequote120. Wegen der Abhängigkeit der Verpflichtung des Aktionärs vom Erfolg des Angebotes macht ein irrevocable undertaking keinen Sinn, wenn es dem Bieter darum geht, sich ein Aktienpaket unabhängig vom Erfolg des Angebots zu sichern. Dieses Instrument kommt daher in der Praxis vornehmlich dann zum Einsatz, wenn es um die Sicherung kleinerer Pakete geht, die dem Bieter keine Mehrheitsposition vermitteln121. Um die Bindungswirkung von irrevocables sicher zu stellen, enthalten solche Vereinbarungen regelmäßig den Ausschluss jedweder Rücktrittsrechte des Paketveräußerers. Das betrifft die den Adressaten des öffentlichen Angebots gesetzlich eingeräumten Rücktrittsrechte in den Fällen konkurrierender Angebote (§ 21 Abs. 4 WpÜG) und der Erhöhung der Gegenleistung (§ 22 Abs. 3 WpÜG) wie auch alle sonstigen in dem Angebot freiwillig vom Bieter gewährten Rücktrittsrechte. Richtiger Ansicht nach liegt darin weder ein Verstoß
__________ 118 Im Ergebnis so auch Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2159 einschl. Fn. 28. 119 So auch die britische Regelung in section 979 (8) und (10) Companies Act 2006; a. A. Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2160 einschl. Fn. 31. 120 Dazu v. Riegen, ZHR 167 (2003), 703 ff.; Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2158. 121 Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2158 mit Beispielen aus der Praxis in Fn. 15.
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gegen die genannten Vorschriften noch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 WpÜG122. Die Normen des WpÜG über die gesetzliche Ausgestaltung eines öffentlichen Angebots und die Pflicht zur Gleichbehandlung aller Adressaten eines solchen Angebots betreffen allein das öffentliche Angebot an sich. Nur dieses soll im Interesse der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts für alle Adressaten gleichermaßen standardisiert und überschaubar sein. Das schließt es jedoch nicht aus, dass der Bieter mit einzelnen Angebotsadressaten Individualvereinbarungen schließt, die von den Konditionen des öffentlichen Angebots abweichen123. Entscheidend für die Einbeziehung dermaßen erworbener Aktienpakete in die Berechnung der Angemessenheitsschwelle des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG muss wie beim Parallelerwerb während des laufenden Angebots sein, dass der vereinbarte Preis den des öffentlichen Angebotes nicht überschreitet. Damit sind die Funktionsbedingungen des in der Annahmeschwelle liegenden Markttests erfüllt. Insoweit stellen irrevocables somit ein zulässiges Instrument dar, um das Risiko eines Unterschreitens der Erfolgsschwelle zu mindern.
VI. Ausschluss von Vorzugsaktionären Beim aktienrechtlichen Squeeze-out können Stammaktionäre und Vorzugsaktionäre nur einheitlich aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Der Übertragungsbeschluss der Hauptversammlung muss sämtliche Aktien der Zielgesellschaft erfassen, darf sich also nicht auf einzelne Aktiengattungen beschränken (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG)124. Beim übernahmerechtlichen Squeezeout ist die gesetzliche Reglung dagegen anders. 1. Vorgaben der ÜbR Für den Fall, dass die Gesellschaft mehrere Gattungen von Aktien ausgegeben hat, erlaubt Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 ÜbR es den Mitgliedstaaten, die getrennte Ausübung des Squeeze-out-Rechts jeweils für die Gattung zuzulassen, in der der gemäß Abs. 2 vorgeschriebene Schwellenwert erreicht ist. Für den Ausschluss von Vorzugsaktionären i. S. der §§ 139 ff. AktG hat diese Bestimmung jedoch keine Bedeutung, da die Richtlinie sich von vornherein nur auf den Ausschluss von stimmberechtigten Aktien beschränkt (Art. 2 Abs. 1 e) ÜbR). Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben gibt es insoweit also nicht; die Mitgliedstaaten sind nach ErwGr 24 Satz 4 ÜbR in der Gestaltung ihrer nationalen
__________ 122 Ausführlich v. Riegen, ZHR 167 (2003), 703, 707 ff., 713 f.; ebenso Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider (Fn. 44), § 22 WpÜG Rz. 91. 123 So überzeugend v. Riegen, ZHR 167 (2003), 703, 707 ff.; a. A. Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1332. 124 Hasselbach in KölnKomm.WpÜG (Fn. 10), § 327a AktG Rz. 33; Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 3), § 327a AktG Rz. 22; Fuhrmann/Simon, WM 2002, 1211, 1214.
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Vorschriften frei125. Dagegen bestimmt Art. 15 Abs. 2 Satz 3 ÜbR für den Ausschluss stimmberechtigter Aktionäre, dass insoweit den Mitgliedstaaten allein die Anknüpfung an das Halten von 95 % des stimmberechtigten Kapitals gestattet ist; die Einbeziehung von Vorzugsaktien in die Ausschlussschwelle verbietet das Gemeinschaftsrecht. 2. Zulässigkeit des gattungsbezogenen Zwangsausschlusses Das deutsche Übernahmerecht lässt einen gattungsbezogenen Squeeze-out sowohl hinsichtlich stimmberechtigter Stammaktien als auch hinsichtlich stimmrechtsloser Vorzugsaktien zu126. a) Stammaktien Nach § 39a Abs. 1 Satz 2 WpÜG sind einem Bieter, dem neben den für den Ausschluss der stimmberechtigten Aktionäre erforderlichen 95 % des stimmberechtigten Kapitals zugleich Aktien in Höhe von 95 % des gesamten Grundkapitals der Zielgesellschaft gehören, „auf Antrag auch die übrigen Vorzugsaktien ohne Stimmrecht zu übertragen“127. Aus dem Gebrauch der Worte „zugleich“ und „auch“ in der Gesetzesformulierung lässt sich schließen, dass das Gesetz auch den separaten Ausschluss allein der Stammaktionäre erlaubt. Damit im Einklang steht das Erfordernis eines besonderen Antrags für den Ausschluss der Vorzugsaktionäre; es soll sich dabei offensichtlich um eine nicht zwingend erforderliche Zusatzmaßnahme handeln128. Gemeinschaftsrechtlich würde die zwangsweise Verkoppelung des Ausschlusses von Stammund Vorzugsaktionären bei kumulativer Anwendung der 95 %-Stimmrechtsschwelle und der 95 %-Grundkapitalschwelle gegen Art. 15 Abs. 2 Satz 3 ÜbR verstoßen, der für den Ausschluss stimmberechtigter Aktionäre ausschließlich und abschließend an das Halten von mindestens 90 und maximal 95 % des stimmberechtigten Kapitals anknüpft (vgl. oben VI.1.)129. Ob der separate Ausschluss der Stammaktionäre unter unternehmenspolitischen Gesichtspunkten Sinn macht, ist eine Frage, die der Bieter nach den
__________ 125 DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum DiskE-WpÜG, NZG 1999, 850; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 241 f.; dies., AG 2006, 301, 318; anders aber Hopt/ Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 115 f.; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 848 f.; Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 655, die dabei offenbar davon ausgehen, die Richtlinie erfasse auch stimmrechtslose Aktien. 126 A. A. ohne nähere Auseinandersetzung mit der Frage Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290. 127 Das Wort „zugleich“ ist i. S. kumulativer Anwendung der 95 %-Stimmrechtsschwelle und der 95 %-Grundkapitalschwelle zu verstehen. Damit soll vermeiden werden, dass der Bieter den Ausschluss stimmrechtsloser Vorzugsaktionäre betreiben kann, ohne dass die Voraussetzungen für den Ausschluss der Stimmrechtsaktionäre vorliegen; Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 21. 128 Zu Recht ein zusätzliches Antragserfordernis bejahend auch Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 655. 129 Dies betonend auch Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 21.
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Umständen des Einzelfalls zu entscheiden hat. Jedenfalls werden dadurch weder die an die Kapitalbeteiligung anknüpfenden Klagerechte der Vorzugsaktionäre nach §§ 241 ff., 148 AktG beseitigt (§ 140 Abs. 1 AktG), noch wird eine Universalversammlung nach § 121 Abs. 6 AktG ermöglicht. b) Vorzugsaktien Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob § 39a Abs. 1 Satz 2 WpÜG bei kumulativem Erreichen der 95 %-Grundkapitalschwelle und der 95 %-Stimmrechtsschwelle den separaten Ausschluss der Vorzugsaktionäre gestattet. Der Wortlaut des § 39a Abs. 1 Satz 2 WpÜG („zugleich“, „auch“) spricht auf den ersten Blick dagegen. In der amtlichen Begründung heißt es, mit der Vorschrift habe der Gesetzgeber von der Möglichkeit des Art. 15 Abs. 2 Satz 3 ÜbR Gebrauch gemacht, das Ausschlussrecht bei Begebung mehrerer Aktiengattungen für jede Gattung gesondert zur Anwendung zu bringen130. Dass die Richtlinie diese vom Gesetzgeber für gegeben erachtete Möglichkeit nicht vorsieht, da sie stimmrechtslose Aktien nicht erfasst, wurde bereits ausgeführt (vgl. oben VI.2.a)). Diese irrtümliche Äußerung sollte daher nicht überbewertet werden. Im Folgesatz der Begründung heißt es dann, das Squeeze-out-Recht werde dem Bieter auch hinsichtlich der stimmrechtslosen Vorzugsaktien eingeräumt, um zu gewährleisten, dass dieser tatsächlich das gesamte Grundkapital der Gesellschaft erwerben könne. Das scheint gegen die Zulässigkeit eines separaten Zwangsausschlusses der Vorzugsaktionäre zu sprechen. Klarheit schafft letztlich erst ein weiterer Satz der Begründung. Dort heißt es, auf das stimmberechtigte Kapital und das Grundkapital sei bei der Bestimmung der Ausschlussschwelle deshalb kumulativ abzustellen, weil zu verhindern sei, dass der Bieter entgegen der ratio der Übernahmerichtlinie den Ausschluss der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre betreiben könnte, ohne dass die Voraussetzungen für einen Squeeze-out der Stimmrechtsaktionäre vorlägen131. Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber den Zwangsausschluss der Vorzugsaktionäre auch isoliert zulassen will, sofern nur der Bieter über die nötigen Stimmrechte verfügt, um auch die stimmberechtigten Minderheitsaktionäre auszuschließen. Das gleichzeitige Gebrauchmachen vom Ausschlussrecht hinsichtlich der stimmberechtigten Aktien ist dagegen nicht erforderlich.
__________ 130 Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 21; ebenso Heidel/Lochner, DK 2006, 653, 655. 131 Im Schrifttum war dagegen gefordert worden, den Ausschluss der Vorzugsaktionäre zuzulassen, wenn der Bieter über 95 % des Vorzugskapitals verfügt; Hopt/Mülbert/ Kumpan, AG 2005, 109, 116; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318. Der Gesetzgeber sah darin allein jedoch zu Recht keine ausreichend starke Position, um der freien Entfaltung der unternehmerischen Initiative des Bieters gegenüber dem Interesse der Minderheitsaktionäre an der Erhaltung ihrer Vermögenssubstanz (Art. 14 Abs. 1 GG) den Vorrang zu geben; Begr. RegE ÜbR-UG, BT-Drucks. 16/1003, S. 21, unter Berufung auf BVerfGE 100, 289, 302 f. – DAT/Altana; BVerfGE 14, 263, 281 f. – Feldmühle.
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Walter G. Paefgen
3. Gattungsgetrennte Annahmequote Die in § 39a Abs. 3 Satz 4 WpÜG vorgeschriebene gattungsgetrennte Berechnung der Annahmequote des dem Squeeze-out vorgeschalteten öffentlichen Angebots kann dazu führen, dass die Vermutung angemessener Abfindung (§ 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG) für eine bestimmte Gattung Anwendung findet, für die andere dagegen nicht. Ein zügiges WpÜG-Beschlussverfahren unter Ausklammerung von Bewertungsfragen (vgl. oben IV.2.b)) kommt dann nur für die erstgenannte Gattung in Frage. Aus der gattungsgetrennten Natur des Ausschlussverfahrens (vgl. oben VI.2.) folgt, dass in solchen Fällen ein separater Gerichtsbeschluss über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre derjenigen Gattung ergehen kann, die von der Angemessenheitsvermutung profitiert. Damit wird dem Grundanliegen der gesetzlichen Regelung, weit möglichst ein zügiges Zwangsausschlussverfahren zur Verfügung zu stellen, Rechnung getragen.
VII. Fazit und Ausblick Auf die eingangs gestellte Fragestellung zurück kommend ist fest zu halten, dass der übernahmerechtliche Squeeze-out sich durchaus zu dem Instrument für den einfachen und schnellen Zwangsausschluss kleiner Restminderheiten ohne unternehmerischen Einfluss entwickeln könnte, das man sich seitens der Unternehmens- und M&A-Praxis erhofft hat. Jedoch ist nicht zu übersehen, dass das neue Rechtsinstitut in seinem Anwendungsbereich beschränkt ist. Auch wirft der übernahmerechtliche Zwangsausschluss einige grundsätzliche Fragen europa- und verfassungsrechtlicher Art auf. Eine nicht unbedeutende Beschränkung ergibt sich zunächst aus der Ausklammerung von freiwilligen Aufstockungsangeboten vom Anwendungsbereich des Squeeze-out (vgl. oben III.). Damit werden alle Fälle, in denen der Bieter ein freiwilliges öffentliches Angebot aus einer Kontrollposition heraus lanciert, weiter dem Anwendungsbereich des aktienrechtlichen Squeeze-out überlassen und mit den damit verbundenen Problemen befrachtet (vgl. II.3.a)). Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts wird durch Vorlage an den EuGH zu klären sein, welche Voraussetzungen Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 ÜbR den Mitgliedstaaten für das Eingreifen der Angemessenheitsvermutung bei der Abfindung der Minderheitsaktionäre vorschreibt. Danach wird sich entscheiden, ob die nach deutschem Recht vorgesehene kumulative Anwendung sowohl der Preisregeln nach § 31 WpÜG, §§ 4 ff. WpÜG-AngVO als auch der 90 %-Annahmeschwelle nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG europarechtlich haltbar ist, wofür nach Ansicht des Verfassers die besseren Argumente sprechen (vgl. oben IV.2.a)). Weiter wird der EuGH zu klären haben, ob die gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Angemessenheitsvermutung – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des europäischen Grundrechtsschutzes – durch den nationalen Gesetzgeber als widerleglich oder unwiderleglich auszugestalten ist. Dabei kommen zusätzlich Fragen des Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. 1 GG ins Spiel die – im 1254
Der neue übernahmerechtliche Squeeze-out
Rahmen der vorrangigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben – letztlich das BVerfG zu entscheiden haben wird. Führt die Abklärung dieser Fragen entsprechend der hier vertretenen Auffassung zu dem Ergebnis, dass es sich um eine nur unter engen Voraussetzungen widerlegliche Vermutung handelt, wird die deutsche Rechtsprechung daraus die Konsequenzen für die Auslegung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG zu ziehen haben (vgl. oben IV.2.b)). Was die für den übernahmerechtlichen Squeeze-out erforderliche Schwelle von 95 % des stimmberechtigten Kapitals betrifft, würde die in der Regierungsbegründung geforderte Einbeziehung nur solcher Paketerwerbe in die Schwellenberechnung, die in zeitlich nahem Zusammenhang mit dem Angebot erfolgen, eine sachwidrige Einschränkung bedeuten, die weder vom Zweck noch vom Wortlaut der ÜbR wie auch des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG gefordert wird (vgl. oben V.1.). Hier ist die deutsche Rechtsprechung zur Klärung aufgefordert. Bei der Berechnung der 90 %-Annahmeschwelle nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG wird die praktische Nützlichkeit des übernahmerechtlichen Squeezeout im Vergleich mit seinem aktienrechtlichen Pendant erheblich dadurch einschränkt, dass Vorerwerbe von Aktienpaketen in die Schwellenberechnung nicht einbezogen werden können, womit sich das Risiko eines hold-out von Kleinstminderheiten erhöht. Rechtliche Risiken ergeben sich für Praxis auch hinsichtlich der Einbeziehung von Parallelerwerben und irrevocable undertakings, die hier im Grundsatz befürwortet wurde (vgl. oben V.2.a) und b)), allerdings noch der Billigung durch die Rechtsprechung bedarf. Auch darin liegen Flexibilitätsnachteile, die einen Bieter unter Umständen dazu bewegen könnten, einen aktienrechtlichen Squeeze-out vorzuziehen. Vorteile gegenüber seinem aktienrechtlichen Pendant bietet der übernahmerechtliche Squeeze-out mit der Möglichkeit, die Minderheitsaktionäre entweder insgesamt oder aber auch gattungsgetrennt aus der Gesellschaft auszuschließen (vgl. oben VI.). Resümierend und zugleich einen Ausblick wagend ergibt sich aus dem Vorstehenden für den übernahmerechtlichen Squeeze-out das Bild eines Rechtsinstituts, das durchaus das Potenzial hat, im Vergleich mit seinem aktienrechtlichen Gegenstück zur besseren Alternative für die Unternehmens- und M&A-Praxis zu gedeihen. Die Verwirklichung dieses Potenzials wird jedoch entscheidend von der Klärung der aufgezeigten europa- und verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen durch den EuGH und das BVerfG sowie den daraus von den deutschen Fachgerichten im Wege gemeinschaftsrechts- und verfassungskonformer Auslegung zu ziehenden Konsequenzen abhängen. Im Moment handelt es sich beim übernahmerechtlichen Squeeze-out eher noch um eine Baustelle, auf der es noch Einiges zu richten gibt.
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Die deutsche D&O Versicherung und ihr (noch operabler) Geburtsfehler Inhaltsübersicht I. Ein Rückblick. Bisherige Entwicklung der D&O Versicherung in Deutschland 1. Ein kurzer Rückblick 2. Der Markt im Überblick 3. Der Preisverfall 4. Bedeutung der D&O Versicherung 5. Verbesserung der Versicherungsbedingungen II. Steigende Gefährdung von Organpersonen für angerichtete Schäden haften zu müssen 1. Fehlendes Näheverhältnis 2. Die Rechtsprechung 3. Eine Politik der hastigen Gesetzgebung 4. Gestiegene Anspruchsmentalität 5. Die D&O Versicherung trägt selbst zur Klagehäufigkeit bei III. Rechtsnatur der D&O Versicherung 1. Haftpflichtversicherung 2. Der Zeitraum der D&O Versicherung 3. In wessen Interesse und für wen wird die D&O Versicherung abgeschlossen?
4. Der Selbstbehalt 5. Der Umfang der Versicherung und typische Ausschlüsse IV. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten 1. Zwischen dem Versicherungsnehmer (der Gesellschaft) und dem Versicherer 2. Rechtsbeziehungen zwischen dem Organmitglied und der Gesellschaft (der Versicherungsnehmerin) 3. Rechtsbeziehungen zwischen versichertem Organmitglied und D&O Versicherer V. Kritik an der Ausgestaltung und Handhabung der D&O Versicherungen 1. Ungeeignetes „Trennungsprinzip“ 2. Jetzige Ausgestaltung der D&O Versicherung genügt nicht ordnungspolitischen Anforderungen VI. Was tun?
I. Ein Rückblick. Bisherige Entwicklung der D&O Versicherung in Deutschland 1. Ein kurzer Überblick Die Idee einer der heutigen D&O Versicherung ähnlichen Versicherung ist in Deutschland weit über 100 Jahre alt1. Der Gedanke wurde dann aber über viele Jahrzehnte nicht weiter verfolgt, im Wesentlichen, weil befürchtet wurde, dass eine derartige Versicherung sich nachteilig auf die Pflichterfüllung der Organ-
__________ 1 Ek, Haftungsrisiken für Vorstand und Aufsichtsrat, 2005, S. 198; Schillinger, VersR 2005, 1484 ff., 1486.
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personen auswirken würde2. In den USA gab es demgegenüber die D&O Versicherung schon seit Anfang der 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts3 und sie ist hier eines der legal transplants aus der anglo-amerikanischen Kapitalmarktkultur. Mitte der 80er Jahre begannen zwei US-amerikanische Versicherungen D&O Versicherungen in Deutschland anzubieten4, aber es dauerte beinahe noch ein Jahrzehnt bis zur Mitte der 90er Jahre, bis deutsche Versicherungen,, sich breitflächig an dem zunehmenden Geschäft beteiligten5. Inzwischen sollen 25 Versicherer6 im Markt tätig sein. Das D&O Versicherungsgeschäft in Deutschland ist intransparent und es gibt keine veröffentlichten Statistiken und belastbaren Zahlen7. Dementsprechend ist man auf Schätzungen von Fachleuten aus der Versicherungsbranche angewiesen. Hinzu kommt, dass auch die Schadensabwicklung extrem unterschiedlich ist und im Markt immer wieder geklagt wird, dass die Versicherer sich weigern, trotz eindeutiger Rechtslage zu zahlen8. 2. Der Markt im Überblick Der Markt umfasst nicht nur alle in Deutschland gezeichneten D&O Versicherungen, sondern auch die Prämien, die Versicherer im Ausland für die Zeichnung von deutschen Unternehmen erzielen, inklusive jener Prämienanteile, die auf im Ausland belegene Risiken entfallen (z. B. Börsennotierung eines deutschen Unternehmens in den USA, ein Umstand, der als sehr gefahrerhöhend und entsprechend prämientreibend angesehen wird). Bei einem so definierten Markt dürften die Prämieneinnahmen zwischen 350 und 500 Mio. Euro liegen, wobei diese Schätzung auch Finanzdienstleistungsunternehmen und den maklerfreien Bestand umfasst. In der Versicherungswirtschaft werden dabei allgemein drei Segmente unterschieden, die sich allerdings nicht randscharf voneinander abgrenzen lassen. – Großkunden, also etwa die 150–200 umsatzstärksten deutschen Unternehmen – Mittelstand, sehr unterschiedliche und schwankende Abgrenzungen; nimmt man die Bilanzsumme als Kriterium, so liegt diese zwischen 1,5 und 2 Mrd. Euro – Kleinkunden bis zu 50–100 Mio. Euro Bilanzsumme9
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2 Pammler, Die gesellschaftsfinanzierten D&O Versicherung im Spannungsfeld des Aktienrechtes, 2006, S. 23–27. 3 Schillinger, VersR 2005, 1484, 1487. 4 AIG und Chubb. Der Autor hatte bereits 1981 vorgeschlagen, D&O Versicherungen in Deutschland einzuführen; Peltzer, WM 1981, 346, 352. 5 Schillinger, VersR 2005, 1484, 1488. 6 Darunter AIG, Chubb (beide USA), Allianz, Arch (Bermuda); Zürich, VOV (ein Zusammenschluss von 5 Versicherern zum gemeinsamen Betreiben des D&O Geschäftes), Gerling. 7 Seibt/Saame, AG 2006, 901; Hendricks, Der Aufsichtsrat 2004, Heft Juli/August. 8 Hendricks, Der Aufsichtsrat 2004, Heft Juli/August. 9 Zwischen diesen Segmenten gibt es Lücken, die die Unschärfe der Abgrenzung widerspiegeln.
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3. Der Preisverfall Nach sehr unterschiedlichen Verläufen in den Jahren bis 2004 kam es in den Jahren 2005 und 2006 in allen drei Segmenten zu einem Preisverfall, der einerseits auf neu in den Markt drängende Versicherer zurückzuführen war10, andererseits aber auch die sich positiv entwickelnde gesamtwirtschaftliche Lage widerspiegelte, die zu einem Rückgang der Insolvenzen und damit einhergehend zu einem Rückgang der D&O Fälle führte. – Bei den Großkunden waren 2005 Prämiensenkungen von 5–10 % und im Jahre 2006 Prämiensenkungen in der Größenordnung von ca. 10 % zu beobachten. Die Promillesätze, gemessen an der Versicherungssumme, liegen je nach Risikoprofil (z. B. Branche, Börsennotierung in den USA in einer großen Streubreite zwischen 10 und 20 Promille.) – Mittelstand: Nach teilweisen schlechten Erfahrungen mit Großkunden und damit verbundenen Großrisiken (z. B. Daimler Chrysler, Schaden in den USA aufgrund von Äußerungen von Schrempp, Philipp Holzmann AG11 und Deutsche Lufthansa AG) wurde der Mittelstand bevorzugte Zielgruppe der D&O Versicherer. Hier sanken die Prämien in Einzelfällen um 20–40 %, wobei sich das gesamte Portfolio in 2005 und 2006 jeweils um 10–12 % preislich nach unten veränderte. Die Promillepreise, bezogen auf die Versicherungssumme, bewegten sich in einem Bereich zwischen 1,5–2,5 Promille; Tendenz in 2007 weiter sinkend. – Kleinkundensegment: Auch im Kleinkundensegment herrschte eine sehr lebhafte Konkurrenz zwischen den Versicherern, so dass die Prämien in den Jahren 2005 und 2006 jeweils bis zu 15 % sanken. Die Tendenz hat sich in 2007 fortgesetzt. Es liegt auf der Hand, dass eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Risiken, wie im Mittelstand und im Kleinkundensegment, sich viel besser für das Versicherungsgeschäft eignet, als wenige hohe Risiken von Großkunden, (Risikostreuung nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip); anderseits finden sich bei kleinen Gesellschaften häufig unzureichende interne Risikoüberwachungssysteme, so dass organschaftliche Pflichtverletzungen hier häufiger ihren Nährboden finden. Demgegenüber sind börsennotierte Gesellschaften zu deutlich mehr Transparenz und Eigenkontrolle angehalten. 4. Bedeutung der D&O Versicherung Die D&O Versicherung ist ungeachtet des genannten Prämienvolumens und weiter ungeachtet der hohen Aufmerksamkeit, die ihr in den Medien und der
__________ 10 Vgl. Pressemitteilung Marsh GmbH v. 19.5.2006. 11 FTD v. 17.8.2006, S. 17.
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Fachliteratur12 entgegen gebracht wird, gemessen am gesamten Prämienvolumen der deutschen Versicherungswirtschaft, von 158 Mrd. Euro im Jahre 2005 noch zahlenmäßig ein relativ unbedeutendes Geschäftsfeld. 5. Verbesserung der Versicherungsbedingungen Viel interessanter für unsere Betrachtung als die Prämienentwicklung ist aber die Tatsache, dass sich der Wettbewerb nicht nur in sinkenden Prämien, sondern auch in wesentlichen Verbesserungen der Versicherungsbedingungen zugunsten der Kundschaft ausgedrückt hat. So wurden Ausschlüsse vom Versicherungsschutz, die jahrelang zum Standard zählten, wie etwa, dass die Gesellschaft sich von dem den Schaden verursachenden Organmitglied getrennt haben musste, damit diesem Deckungsschutz gegeben wurde („Trennungsklausel“), weitgehend eliminiert. Das Gleiche gilt für die verbreitete Klausel, wonach die geschädigte Gesellschaft das Organmitglied, das den Schaden verursacht hatte, gerichtlich in Anspruch genommen haben musste („Prozessklausel“)13. Insgesamt kann man sagen, dass die D&O Versicherung inzwischen zu einer All-Risk-Vermögensschäden Haftpflichtversicherung gegen gesetzliche Haftpflichtansprüche mutiert ist. Zahlreiche materielle Ausschlusstatbestände, die auch noch in der Literatur herumgeistern, sind seit etwas 2005 weitgehend verschwunden. Dazu gehörten die Haftung aus Kapitalerhaltungspflichten, Produkthaftpflichtfälle, Haftpflichtfälle aus dem M&A Bereich sowie Schäden im Zusammenhang mit der Erstellung des Jahresabschlusses. Geblieben sind als wesentliche Ausschlusstatbestände Schäden, die durch vorsätzliche oder wissentliche Pflichtverletzung verursacht wurden, sowie bei mit Nicht-US-amerikanischen Versicherern abgeschlossenen D&O Versicherungen, Schäden, die in den USA oder in Common Law Ländern entstanden sind. US-amerikanische Versicherungen ihrerseits enthalten typische Ausschlüsse wie punitive damages, soweit deren Versicherung verboten ist und Schäden im Zusammenhang mit der SEC.
__________ 12 Beiner, Der Vorstandsvertrag, 2005, Rz. 434–450; Deilmann, NZG 2005, 54; Dreher, DB 2005, 1669; Ek (Fn. 1), S. 198–209; Kästner, AG 2000, 113 ff.; R. Koch, GmbHR 2004, 18 ff., 160 ff., 288.ff.; Kolde in Lücke (Hrsg.), Beck’sches Mandatshandbuch Vorstand der AG, 2004, § 11 (S. 609 ff.); O. Lange, AWR 2004, 172 ff.; ders., ZIP 2004, 2221 ff.; ders., VersR 2006, 605 ff.; ders., AG 2005, 459 ff.; ders., Recht und Schaden 2006, 177 ff.; Landheid/Grote, VersR 2005, 1165 ff.; Penner, VersR 2005, 1359 ff.; Ringleb in Ringleb u. a., Der Deutsche Corporate Governance Kodex, 2. Aufl. 2005, Rz. 508 ff.; Säcker, VersR 2005, 10 ff.; Schiessl/Küpperfahrenberg, DStR 2006, 445 ff.; Schillinger, VersR 2005, 1484 ff.; Seibt, AG 2006, 901 ff.; Graf von Westphalen, VersR 2006, 17 ff.; ders., DB 2005, 431 ff. 13 A. Krüger in FTD Dossier v. 20.9.2006, S. 12 reSp.
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II. Steigende Gefährdung von Organpersonen für angerichtete Schäden haften zu müssen 1. Fehlendes Näheverhältnis Die Gefahr für Organpersonen für fahrlässig verursachte Schäden von der eigenen Gesellschaft in Anspruch genommen zu werden, ist in den letzten Jahren stark gestiegen14. Diese Gefahr war seit je her insbesondere dann gegeben, wenn der Anspruch der Gesellschaft durch solche Personen vertreten wurde, zu denen kein durch lange Zusammenarbeit entstandenes Näheverhältnis bestand; typische Beispiele hierfür sind die Vertretung der insolvent gewordenen Gesellschaft durch den Insolvenzverwalter15 oder die Inanspruchnahme des Vorstandsmitgliedes nach einer Neuformierung des Gesellschafterkreises durch einen völlig neu zusammengesetzten Aufsichtsrat. Nachdem sowohl die Zahl der Insolvenzen langfristig steigt, als auch die völlig Auswechselung des Gesellschafterkreises durch neue Erscheinungen am Kapitalmarkt wie Private Equity, Hedge Fonds, etc. stark zunimmt, wird sich dies zwangsläufig auch auf die Zahl der Haftungsfälle auswirken. 2. Die Rechtsprechung Die ARAG-Entscheidung16 vom 21.4.1997 hat in der Tat „den Aufsichtsräten Beine gemacht“17. Nach dieser Entscheidung sind auf jeden Fall die Rechtslage und die Aussichten eines Haftungsprozesses gegen ein Vorstandsmitglied zu prüfen, das pflichtwidrig und schuldhaft einen Schaden verursacht hat. Der Aufsichtsrat darf dabei von der Geltendmachung von voraussichtlich begründeten Schadensersatzansprüchen nur dann absehen, wenn gewichtige Belange und Interessen der Gesellschaft dafür sprechen, den Schaden nicht geltend zu machen. Hierzu zählen nur in Ausnahmefällen die Schonung eines verdienten Vorstandsmitgliedes oder die Rücksicht auf dessen Familie. Die Entscheidung ist in Wirtschaftskreisen aufmerksam zur Kenntnis genommen worden, hat eine erhebliche generalpräventive Wirkung erzielt und der Bereitschaft, eine D&O Versicherung abzuschließen, einen kräftigen Schub verliehen. In die Reihe der spektakulären Entscheidungen, die Organmitglieder die Gefahren unternehmerischen Tuns vor Augen geführt haben, gehört auch die Mannesmann-Entscheidung18 des 3. Strafsenates des BGH. Nach diesem – im
__________ 14 J. Schillinger, VersR 2005, 1484, 1489. 15 Peltzer, Die Haftung des Aufsichtsrats bei Verletzung der Überwachungspflicht, WM 1981, 346 ff. So z. B. im Haftungsfall Balsam/Procedo, ZIP 2000, 20, bei dem ein Mitglied des Aufsichtsrates durch den Insolvenzverwalter in Anspruch genommen wurde. 16 BGHZ 135, 244, 254. 17 Eine Formulierung des damaligen Vorsitzenden des II. Senats des BGH Röhricht im Zusammenhang mit einer Darstellung der ARAG-Entscheidung bei einem wissenschaftlichen Symposium. 18 BGHSt 50, 331, 337.
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aktienrechtlichen Schrifttum einhellig abgelehnten Urteil19 – ist es strafrechtliche Untreue, wenn der Aufsichtsrat Vorstandsmitgliedern ohne eine dienstvertragliche Grundlage im Nachhinein Anerkennungsprämien zuerkennt, es sei denn, dass der Gesellschaft ein kompensierender, mindestens gleichwertiger Vorteil zuflösse, der auch in einem entsprechenden Motivationsschub für das betreffende Vorstandsmitglied oder andere Führungspersonen der Gesellschaft bestehen kann. Der BGH hob den Freispruch der 1. Instanz auf und verwies das Verfahren an eine andere Kammer des erstinstanzlichen Gerichtes, dass die Angelegenheit dann gem. § 153a StPO einstellte. Die angeklagten Organmitglieder entgingen im Wesentlichen deswegen zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen, da Mannesmann zwischenzeitlich von Vodafone übernommen worden war und der neue Eigentümer mit den vom BGH als Untreue qualifizierten Zahlungen einverstanden war. Naturgemäß hat dieses Urteil die Aufsichtsräte hinsichtlich der Grenzen ihrer Kompetenz, die Vergütung für den Vorstand festzusetzen, verunsichert. Im Übrigen dürfte dies der einzige Fall sein, bei dem ein völliger Aktionärswechsel bewirkt hat, dass Organmitglieder gerade nicht in Anspruch genommen worden sind. 3. Eine Politik der hastigen Gesetzgebung Das Schicksal des neuen Marktes, bei dem die Anleger nach dem Platzen der Blase viel Geld und das Vertrauen in die Seriösität des Führungspersonals der börsennotierten Aktiengesellschaften verloren hatten20, rief die Politik auf den Plan und im Rahmen eines 10-Punkte-Programms21 wurden Maßnahmen ersonnen, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Dazu gehörten auch Erleichterungen bei der Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegen Organmitglieder; die materielle Haftung als solche zu verschärfen verbot sich, da Vorstand und Aufsichtsrat nach geltendem Recht22 ja schon für leichteste Fahrlässigkeit haften und zudem bei Pflichtwidrigkeit und Verschulden die Beweislast umgekehrt ist. Andererseits wird die Durchsetzung der Haftung dadurch erschwert, dass die Gesellschaft, wenn sie ein pflichtwidrig handelndes Vorstandsmitglied in Regress nimmt, durch den Aufsichtsrat vertreten wird, wobei dieser aber u. U. eingestehen muss, selbst nicht genügend aufmerksam gewesen zu sein, oder die Gesellschaft muss ein Aufsichtsratmitglied in Anspruch nehmen und wird
__________ 19 Kort, NZG 2006, 131; Dreher, AG 2006, 213; Säcker, BB 2006, 897; Fleischer, DB 2006, 542; Bauer, DB 2006, 546; Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127; Fonk, NZG 2006, 813; Peltzer, ZIP 2006, 205. 20 Hellwig, Gutachter der V. Abteilung Wirtschaftsrecht beim 64. Deutschen Juristentag im September 2002 in Berlin formuliert (Thesen der Gutachter S. III Ziff. 9): „Die vielfach exzessiven Praktiken bei Aktienoptionen für Vorstandsmitglieder und ihre nicht ausreichende Transparenz haben auf das Vertrauen der Anleger besonders zerstörerisch gewirkt. Dasselbe gilt für überhöhte und nicht hinreichend transparente Vorstandsvergütungen (einschließlich Abfindungen) insgesamt.“ 21 Das 10-Punkte-Programm der Bundesregierung v. 25.2.2003. 22 §§ 93 Abs. 2, 116 AktG.
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dabei durch den Vorstand vertreten, wobei doch Wiederbestellung und Erhöhung der Bezüge vom Aufsichtsrat abhängen. Bleiben die gesetzlichen Vertreter untätig, kann die HV mehrheitlich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beschließen23. Darüber hinaus konnte eine Minderheit von 10 % des Grundkapitals die Durchsetzung von Ansprüchen verlangen und 5 % des Grundkapitals oder Aktionäre, die Aktien im Nominalwert von 500 000 Euro auf sich vereinigten, konnten bei Gericht ein Verfahren in Gang setzen, bei dem besondere Vertreter zur Durchsetzung der Ansprüche bestellt wurden, wenn Tatsachen vorlagen, die den dringenden Verdacht rechtfertigten, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeiten oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung Schaden zugefügt wurde. Diese Minderheitsrechte haben sich als nicht praktikabel erwiesen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Mehrheit von der Präsenz und die Minderheit vom Grundkapital gerechnet wird, so dass bei den schwachen Präsenzen deutscher Aktiengesellschaften eine Minderheit von 10 % des Grundkapitals ein Viertel oder mehr der Präsenz ausmachen mochte. Der durch das UMAG eingefügte § 148 AktG neuer Fassung erlaubt nun Aktionären (oder einem Aktionär) die Aktien in Höhe von 1 % des Grundkapitals oder Aktien im Nennwert von 100 000 Euro auf sich vereinigen, bei Gericht zu beantragen, als Kläger zugelassen zu werden und Haftungsansprüche gegen das betreffende Organmitglied geltend zu machen. Der Klageantrag muss auf Zahlung an die Gesellschaft lauten, so dass die Kläger Prozessstandschafter sind. Voraussetzung einer Zulassung ist, dass der oder die Antragsteller die Aktien bereits inne hatten, bevor der Sachverhalt, der Gegenstand der Klage werden soll, bekannt wurde24 und dass „Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist“25. Die Anforderungen an die Zulassung sind also sehr erheblich höher als für die eigentliche Klage, bei der ja nur Handlung oder Unterlassung des Organmitgliedes, Schaden und Kausalität nachgewiesen werden muss, während das in Anspruch genommene Organmitglied darlegen und beweisen muss, dass es nicht pflichtwidrig gehandelt hat bzw. die Unterlassung nicht pflichtwidrig war, und wenn dies misslingt, dass die (pflichtwidrige) Handlung oder Unerlassung nicht schuldhaft war. Das Verfahren ist gegenüber einer Klage der Gesellschaft subsidiär26, weitere Voraussetzung einer Zulassung ist dementsprechend, dass die Gesellschaft vergeblich zur Klageerhebung aufgefordert worden ist27. Die Gesellschaft kann ihrerseits jederzeit das Verfahren an sich ziehen.
__________ 23 24 25 26 27
§ 147 Abs. 1 AktG. § 148 Abs. 1 Nr. 1 AktG. § 148 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Vgl. Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 148 AktG Rz. 13, 14. § 148 Abs. 1 Nr. 2 AktG.
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Ob der neue § 148 AktG mit seiner nunmehr sehr viel leichter zu erreichenden Minderheit wirklich zu einer größeren Haftungsgefährdung führen wird, kann zurzeit noch nicht gesagt werden, da die Vorschrift ja erst seit kurzer Zeit in Kraft ist. Dagegen spricht, dass ja die Klage auf Zahlung an die Gesellschaft lauten muss und die Antragsteller deswegen kein materieller Vorteil erwartet, es sei denn, dass sie es trotz des Transparenzgebotes28 verstehen, Vorteile bei der Gesellschaft herauszuschlagen, im Zusammenhang mit der Absicht, ein derartiges Zulassungsverfahren zu betreiben. 4. Gestiegene Anspruchsmentalität Besonders von der Seite der Versicherer29 wird auch die gestiegene Anspruchsmentalität für die ansteigende Zahl von Haftpflichtfällen verantwortlich gemacht. Dies ist wahrscheinlich richtig, beantwortet aber noch nicht die Frage nach der Ursache dieses Anstiegs, genauer nach den Ursachen. Es ist dabei fast zwangsläufig, dass die weitgehende Rezeption einer angloamerikanischen Kapitalmarktkultur, die sich schon in der Terminologie niederschlägt (z. B. Shareholder Value, Safe Harbour, Squeeze-out, Stock Options, Corporate Governance) und Kapitalmarktvorschriften, mit denen gesetzgeberische Lösungen aus den USA und dem Vereinigten Königreich übernommen werden30, auch die in den USA vorhandene große Bereitschaft bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, die Gerichte anzurufen31, nach sich zieht. Hinzu kommt, dass eine spezialisierte Wirtschaftspresse laufend über unternehmerische Fehlleistungen berichtet – good news is no news – und das Ihre dazu tut, die Bereitschaft zu schüren, Führungspersonen in der Wirtschaft zur Verantwortung zu ziehen, zumal sich diese Führungspersonen in den letzten Jahren teilweise sehr unsensibel gezeigt haben bei der Erhöhung ihrer eigenen Bezüge, bei zeitgleich fallenden Kursen und Massenentlassungen von Mitarbeitern32. Nicht unerwähnt bleiben können auch die so genannten „Anlegeranwälte“, die sich auf die Verfolgung von Ansprüchen von Kapitalmarktgeschädigten spezialisiert haben und mit vollmundigen Ankündigungen und Erfolgsmeldungen um Kundschaft werben. Allerdings vertreten sie meist Personen mit Ansprüchen aus Außenhaftung, die schon deswegen eine sehr geringe Rolle
__________ 28 § 149 AktG. 29 AIG und Chubb jeweils im Werbematerial im Internet. 30 Kümpel in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Bd. 1, Loseblatt, 050 Rz. 1, 2; Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 4. Aufl. 2006, § 15 WpHG Rz. 15. 31 Elsing/van Alstine, US-amerikanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999, Rz. 69 ff.; Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, 2001, Rz. 137 ff. 32 S. Fn. 20.
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spielen, weil sie ungleich schwieriger durchzusetzen sind als Innenhaftungsansprüche33. 5. Die D&O Versicherung trägt selbst zur Klagehäufigkeit bei Last not least ist es die D&O Versicherung selbst, die zu der ansteigenden Inanspruchnahme beiträgt34. „Insurance breeds claims“ und der Kausalzusammenhang liegt auf der Hand. In den allermeisten Fällen handelt es sich bei den geltend gemachten Forderungen um Ansprüche der Gesellschaft selbst35 und oft verbindet sich mit dem Bestehen einer D&O Versicherung bei den Vertretern der Gesellschaft die Vorstellung, durch die Prämien einen Anspruch auf Ersatz jedweden Schadens erworben zu haben. Hinzu kommt, dass die Annahme, die Versicherung werde den Schaden zu tragen haben und nicht der seit vielen Jahren vertraute Kollege, manche Hemmungen einen Schadensersatzprozess anzustrengen, beseitigen mag. Vor allem aber lockt natürlich die Chance nach einem gewonnenen Haftpflichtprozess den Anspruch auch durchsetzen zu können, ohne resigniert feststellen zu müssen, dass das Vermögen des in Anspruch genommenen Organmitgliedes inzwischen dessen Frau oder Kindern gehört und Anfechtungsfristen abgelaufen sind. So gesehen ist man versucht, das berühmte Wort von Karl Kraus über die Psychoanalyse36 zu paraphrasieren: Die D&O Versicherung ist die Gefahr für den Manager, dessen Schutz vor dieser Gefahr zu sein sie vorgibt.
III. Rechtsnatur der D&O Versicherung 1. Haftpflichtversicherung Die D&O Versicherung ist insgesamt als Haftpflichtversicherung konzipiert37, wobei die Haftpflichtversicherung ihrerseits im Versicherungsvertragsgesetz geregelt ist38. Sie ist eine Versicherung für fremde Rechnung im Sinne des Versicherungsvertragsgesetzes39.
__________ 33 Die ja ihrerseits auf §§ 93 bzw. 116 AktG und § 43 GmbHG beruhen, jeweils mit dem entscheidenden Vorteil für den Kläger, dass sich die Beweislast in Bezug auf Pflichtverstoß und Verschulden umkehrt und für die leichteste Fahrlässigkeit gehaftet wird. 34 Schillinger, VersR 2005, 1484, 1489. In dem Aufsatz wird ein Autor aus dem Jahre 1906 (!) zitiert „Die Versicherung kann wirken wie ein Mairegen auf die junge Saat; sobald die Versicherung da ist, sprießen die Schäden hervor“. 35 Nach unterschiedlichen Schätzungen machen die Innenhaftungsfälle 80–90 % aller Schadensfälle aus. Poppen in FTD v. 28.2.06 (90 %); BVMW Consulting Pool in der Internet Werbung für Chubb: 80 %. 36 Karl Kraus wird das Wort zugeschrieben: „Die Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält.“ 37 OLG München, DB 2005, 1675, 1676 liSp. 38 § 149 ff. VVG. 39 § 74 ff. VVG.
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Hierbei ist die Gesellschaft der Versicherungsnehmer und die Organmitglieder sind die Versicherten. Der Versicherungsnehmer schließt also eine Haftpflichtversicherung zugunsten der Organmitglieder („für fremde Rechnung“) ab, wobei Gegenstand der Versicherung regelmäßig die Abwehr unberechtigter bzw. die Befriedigung begründeter Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden aus gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen40 aufgrund von Pflichtverletzungen der versicherten Personen ist41; Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung sind regelmäßig ausgeschlossen42. Nun ist der Versicherungsnehmer (die Gesellschaft) gegenüber dem Versicherer zunächst nicht berechtigt, im Schadensfall den Schaden gegenüber dem Versicherer geltend zu machen. Vielmehr wird bei Innenhaftungsfällen sorgfältig getrennt zwischen dem Verhältnis Versicherungsnehmer (Gesellschaft) und Versichertem (Organmitglied) einerseits und Versicherungsnehmer (Gesellschaft) und Versicherer andererseits. Kommt es zum Schadensfall muss die Gesellschaft erst das verantwortliche Organmitglied mit einem Haftungsprozess in Anspruch nehmen und erst wenn der Versicherungsnehmer ein rechtskräftiges obsiegendes Urteil erstritten hat, kann das versicherte Organmitglied sich an den Versicherer wenden, (der seinerseits im Haftungsprozess den Versicherten als Nebenintervenienten unterstützt haben wird) und von diesem Ausgleich des Schadens verlangen, wobei der Haftpflichtprozess für den Schadenssachverhalt und dessen rechtliche Einordnung für den Deckungsprozess gegen den Versicherer Bindungswirkung hat43; der Versicherer kann aber im Deckungsprozess Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag geltend machen44 so dass sich weitere Verzögerungen ergeben können. Hier ist man schon beim Geburtsfehler der deutschen D&O Versicherungen angelangt, wobei zunächst die Herkunft des Trennungsprinzips zwischen Haftpflichtprozess und Deckungsprozess untersucht und festgestellt werden soll, ob dieses zwingendes Rechts ist45. Die D&O Versicherung ist eine freiwillige Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Organmitglieder juristischer Personen, für die, wie erwähnt, vor allem die Vorschriften über die Haftpflichtversicherung46 und über die Versicherung für fremde Rechnung47 gelten48.
__________ 40 41 42 43
44 45 46 47 48
Regelmäßig §§ 93 und 116 AktG oder § 43 GmbHG. Dreher, DB 2005, 1669, 1670 liSp. S. oben I.5. Dieser also z. B. nicht einwenden kann, der Versicherte habe vorsätzlich gehandelt (Ausschlusstatbestand), wenn im Haftungsprozess Fahrlässigkeit festgestellt wurde. Zu dem Tatbestand der Bindungswirkung vgl. BGHZ 117, 345, 350; BGH, VersR 1959, 256, 257; BGH, VersR 1992, 1504, 1505. Z. B. der Versicherungsnehmer sei vorvertraglichen Offenbarungsobliegenheiten nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Vgl. hierzu OLG München, DB 2005, 1675. Die AG bietet seit wenigen Monaten D&O Versicherungen mit Direktanspruch des Versicherungsnehmers an. §§ 149 ff. VVG. §§ 74 ff. VVG. OLG München, DB 2005, 1675.
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Die deutsche D&O Versicherung und ihr Geburtsfehler
Allerdings muss ein sehr grundsätzlicher Unterschied zwischen der Haftpflichtversicherung, wie sie das Versicherungsvertragsgesetz regelt, und der D&O Versicherung in ihrer praktischen Handhabung in den Blick genommen werden. Bei der Haftpflichtversicherung nach §§ 149 ff. VVG ist ja Inhalt des Versicherungsvertrages, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer schützt vor Ansprüchen, die Dritte gegen ihn geltend machen. An dieser Konfiguration, geschädigter Dritter und haftpflichtiger Versicherungsnehmer und im Innenverhältnis eintrittspflichtiger Versicherer wurde die Aufteilung in das Haftpflichtverhältnis einerseits und das Deckungsverhältnis andererseits (Trennungsprinzip) entwickelt49. In der allgemeinen Haftpflichtversicherung, bei der der Versicherungsnehmer verlangen kann, von einer Verbindlichkeit befreit zu werden, besteht aber eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen der Interessenlage des redlichen Versicherungsnehmers und des Versicherers50. Der Versicherer möchte möglichst wenig zahlen und dem Versicherungsnehmer ist es letztlich gleichgültig, wie er von seiner Zahlungspflicht befreit wird, ob durch Abwehr eines unberechtigten Anspruches eines Geschädigten oder durch dessen Befriedigung seitens des Versicherers. Dem gegenüber ist bei der D&O Versicherung die Interessenlage fundamental anders, wobei man sich in Erinnerung rufen muss, dass 80–90 % aller Fälle Innenhaftungsfälle51 sind, die Versicherungsnehmerin (die Gesellschaft) also die Geschädigte ist und der Versicherer zunehmend52 den Weg wählt, den Anspruch Seite an Seite mit dem Schädiger, dem versicherten Organmitglied, abzuwehren und es dann womöglich noch auf einen Deckungsprozess ankommen lässt, nachdem der Haftungsprozess verloren wurde53. In ihrer Werbung betonten die D&O Versicherer dabei, ihre Prozessüberlegenheit, die ihnen kraft der Vertretung durch hoch spezialisierte und besonders versierte und qualifizierte Rechtsanwälte verliehen werde54.
__________ 49 Vgl. RGZ 3, 21, 26; RGZ 113, 286, 290; RGZ 141, 185, 190; RGZ 167, 243, 246; BGH, VersR 1959, 256; VersR 1992, 186; VersR 1992, 1505 mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen; BGHZ 28, 137, 139; BGHZ 38, 71, 82; BGHZ 71, 339, 344; BGH, VersR 1977, 174 (unter 4.a). 50 Eine solche Interessenübereinstimmung besteht im Falle einer Kollusion zwischen versichertem Organmitglied und angeblich geschädigtem Versicherungsnehmer zu Lasten des Versicherers indessen nicht mehr. 51 Vgl. Fn. 35. 52 Auch hier liegen keine gesicherten Zahlen vor. Der Autor schätzt – nach Gesprächen mit Sachkennern des Marktes – das dies in weit über der Hälfte der Fälle erfolgt. 53 Poppen in FTD v. 28.2.2006; allerdings soll die Zahl der Fälle, bei denen der Versicherer sich nach verlorenem Haftpflichtprozess nicht vergleicht, sehr gering sein. 54 Aus dem Werbematerial von Versicherungen im Internet: – VOV: „Droht ein Anspruch, versucht die VOV Schulter an Schulter mit der versicherten Person die Folgen unter Kontrolle zu bringen. … Dazu schaltet sie bei Bedarf hoch qualifizierte und spezialisierte Anwälte ein“. – Gerling: „Unberechtigte Forderungen werden von uns oder beauftragten Spezialanwälten abgewehrt“. – AIG: „We also have … a successful history of tenaciously defending our clients’ interests“.
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Im Klartext: Der Versicherungsnehmer (die Gesellschaft) zahlt eine Prämie dafür, dass ihm in der Mehrzahl der Fälle die Durchsetzung seiner Ansprüche erheblich erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht wird. Natürlich wirft dies sofort die Frage auf, in wessen Interesse die D&O Versicherung geschlossen wird, ob sie nur Passiv-Versicherung (Befreiung von einer Verbindlichkeit) für die Organmitglieder ist oder auch Eigenschadenversicherung der Gesellschaft oder gar beides gleichgewichtig. Diese Frage, auf die weiter unten zurückzukommen sein wird (unten III.3), kann aber zunächst dahinstehen. Eine Versicherung, mit der ein Versicherungsnehmer sich Erschwernis bei der Durchsetzung seiner Ansprüche, also einen wirtschaftlichen Nachteil erkauft, ist auf jeden Fall ein Unding, aus psychiatrischer Sicht eine unspezifische Perversion mit stark masochistischem Einschlag. Damit ist aber das ganze Dilemma der D&O Versicherung schon aufgezeigt. Sie erschwert die Durchsetzung, sorgt aber andererseits dafür, dass ein – im Regelfall nach langem, mühsamen Prozess – rechtskräftig zuerkannter Anspruch auch vollstreckt werden kann. In dieser Erschwernis der Durchsetzung einerseits und (quasi) Sicherstellung der Vollstreckungsmöglichkeit andererseits zeigt sich im Übrigen, wie eng beieinander Fremd- und Eigeninteresse stehen55. Wenn dies aber so ist, so muss man sich fragen, ob die Trennung von Haftpflicht- und Deckungsprozess zwingendes Recht ist und verneinendenfalls, wie man die Situation verbessern, d. h. die Abwicklung eines Schadensfalles kürzer und effizienter gestalten könnte, wobei die Stellung des Versicherungsnehmers verbessert werden würde, ohne die Position des Versicherers zu verschlechtern56. Das Trennungsprinzip kann bei der D&O Versicherung abbedungen werden; es ist von der Rechtsprechung für die normale Haftpflichtversicherung entwickelt worden, ist aber nicht zwingenden Rechtes57. Daraus folgt, dass der Schaden in einem Prozess (wenn die Sache überhaupt streitig werden muss) erheblich schneller abgewickelt werden kann. Kommt es zum Schaden, ist diesenfalls dem Versicherer im Ergebnis auch sein Wahlrecht zwischen der Abwehr unbegründeter und der Befriedigung begründeter Ansprüche nicht genommen; hält er den Anspruch für unbegründet, stellt er sich streitig und hält er ihn für begründet, so zahlt er58.
__________ 55 Zu welchen Auswüchsen die D&O Versicherung führt, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass inzwischen Versicherungen im Markt erhältlich sind, mit denen man die Zahlung des D&O Versicherers nach gewonnenem Haftungsprozess versichern kann, also gewissermaßen eine Versicherung gegen den Versicherer. 56 OLG München, DB 2005, 1675, 1676 reSp. 57 OLG München, DB 2005, 1675, 1677 reSp; Dreher, DB 2005, 1669, 1675 liSp; pointiert Säcker, VersR 2005, 10, 11; Seibt/Saame, AG 2006, 901, 907; a. A. wohl Koch, VersR 2004, 18, 23 ff. Die (angebliche) Unabdingbarkeit von § 75 Abs. 1 VVG steht dem nicht entgegen, da die ausschließliche Geltendmachung durch den Versicherungsnehmer vereinbart werden kann (Prölss/Martin, 27. Aufl. 2004, § 75 VVG Rz. 15). S. a. Fn. 45. 58 Das wird von Koch, GmbHR 2004, 18, 23 ff. übersehen, der den Verlust des Wahlrechts des Versicherers als Grund ins Feld führt, dass der Versicherungsnehmer keinen direkten Anspruch gegen den Versicherer haben könne.
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Die große Sorge der Versicherer ist die mögliche Kollusion zwischen dem in Anspruch genommenen Organmitglied und der geschädigten Gesellschaft59, wodurch bei der Möglichkeit direkter Inanspruchnahme des Versicherers durch den Versicherungsnehmer, der Prozess durch die Zeugenaussage des kollusiv handelnden Schädigers, der seine Pflichtwidrigkeit bei der Zeugenaussage vielleicht noch überzeichnet, für den Versicherer verloren gehen könnte60. Diese Sorge ist sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen, verliert aber bei näherer Betrachtung viel von ihrem Schrecken. Jedes Abweichen von der Wahrheit bei der Zeugenaussage kann bestraft werden61. Ein Organmitglied, das bei der Zeugenaussage von der Wahrheit abweicht oder dies beabsichtigt, muss auch jederzeit damit rechnen, dass der beklagte Versicherer Mitarbeiter des Versicherungsnehmers. als Zeugen benennt oder62 die Vorlage von Urkunden beantragt63. Auch ohne blauäugig zu sein, wird man im Übrigen bei Vorstands- und Aufsichtsratmitgliedern auf eine gewisse Rechtstreue hoffen können – wenn schon nicht aus Überzeugung, dann doch wegen der generalpräventiven Wirkung einer Strafdrohung. Im Übrigen kann die Frage dahinstehen, denn es sind ja durchaus Gestaltungen möglich, bei denen das versicherte Organmitglied als Zeuge ausfällt, etwa durch eine Vertragsbestimmung, die den Versicherungsnehmer verpflichtet, im Innenhaftungs-Schadensfall den versicherten Schädiger und den Versicherer gemeinsam zu verklagen64. Überdies lassen sich eine ganze Reihe von Sicherungen für den Versicherer gegen die Gefahr einer „freundlichen Inanspruchnahme“ finden, wobei es sich um wohlbekannte Instrumente aus dem Arsenal handelt: Selbstbeteiligung des Schädigers und Trennungsklausel, d. h. Bestellung und Anstellung des versicherten Schädigers müssen beendet sein. Letztlich würde sich für den Versicherer keine Verschlechterung ergeben, denn seine Stellung als neben dem Organmitglied Mitbeklagter ist nicht so verschieden von seiner Position als Nebenintervenient, die er jetzt in aller Regel einnimmt. Er muss nur zusätzlich als Mitbeklagter Einwände – wenn es denn solche gibt – aus dem Versicherungsvertrag geltend machen und in diesem Punkt würde es dann keine Interessenkongruenz zwischen den beiden Beklag-
__________ 59 Seibt/Saame, AG 2006, 901, 907 reSp.; Koch, GmbHR 2004, 18, 19. 60 Langheid/Grote, VersR 2005, 1165, 1170 liSp.; Lichter/Tödtmann, Im Regen stehen trotz Regenschirm, Handelsblatt v. 20.1.2006; Koch, VersR 2004, 18, 20 reSp. 61 Als falsche uneidliche Aussage oder Meineid nach den §§ 153 oder 154 StGB oder als Betrug oder Beihilfe dazu. Voraussetzung der Zeugentauglichkeit ist ja auch, dass das Organmitglied, wenn es dem Vorstand angehört hat, aus diesem ausgeschieden ist. 62 Der nachmalige Bürgermeister von New York und Präsidentschaftskandidat, Rudolph Guiliani, der zuvor ein gefürchteter Staatsanwalt war, wurde einmal von einem Reporter gefragt, ob es einen Unterschied zwischen der Verfolgung von Mafiosi und white collar Tätern gebe. Er erwiderte nach kurzem Nachdenken „Well, you know, white collar will rat on each other much more easily than the Mafia.“ 63 Nach § 421 ZPO; in vielen Fällen ist der Versicherungsnehmer, die geschädigte Gesellschaft, aus dem Versicherungsvertrag heraus verpflichtet, dem Versicherer den Schadensfall genau darzustellen. 64 So wohl auch Säcker, VersR 2005, 10, 11 reSp. oben.
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ten geben. Würden die Einwände aus dem Versicherungsvertrag durchschlagen – etwa ein behaupteter Verstoß gegen Aufklärungsobliegenheiten vor Abschluss des Versicherungsvertrages und eine darauf beruhende Anfechtung – wäre die Klage des Versicherungsnehmers gegen den D&O Versicherer (und nur gegen diesen) abzuweisen. 2. Der Zeitraum der D&O Versicherung Versicherungsereignis bei einer D&O Versicherung ist die Geltendmachung des Schadens durch den Geschädigten, also in aller Regel durch die Gesellschaft, den Versicherungsnehmer selbst (claims made Prinzip statt des bei deutschen Versicherungen sonst üblichen Verstoß-Prinzips). In einigen Versicherungsverträgen findet sich die Bestimmung, dass auch die schadensbegründete Pflichtverletzung während der Dauer des D&O Versicherungsvertrages begangen sein müsse, üblich ist aber eine so genannte Rückwärtsdeckung65, wonach der Versicherer auch eintritt, wenn die für den Schaden kausale Pflichtverletzung vor Vertragsbeginn begangen wurde, es sei denn, dass sie bereits vor Vertragsbeginn bekannt war (in einigen Verträgen zusätzlich: Aus grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war). D&O Versicherungsverträge laufen im Allgemeinen jeweils für ein Jahr und verlängern sich dann automatisch, es sei denn, eine Partei ist nicht zufrieden und kündigt den Vertrag. Diesenfalls würden die Organe der Gesellschaft ohne Versicherungsschutz dastehen, bis ein neuer D&O Versicherungsvertrag mit einem anderen Versicherer abgeschlossen worden ist. Aus diesem Grunde wird gelegentlich ein Nachhaftungszeitraum für Schäden vorgesehen, bei denen die Pflichtverletzung in die ursprünglich vereinbarte Vertragsdauer fällt, der Schaden aber erst nach Beendigung des Vertrages geltend gemacht wird. Die Nachhaftung kann in der Praxis üblicherweise bis drei Jahre ausgedehnt werden. Allerdings wird eine Vereinbarung über die Dauer der Nachhaftung davon abhängen, wie schnell ein neuer D&O Vertrag mit einem anderen Versicherer zustande kommt, da ja dem ehemaligen Versicherer während der Nachhaftungszeit ebenfalls – gesondert kalkulierte – Prämien gezahlt werden müssen und ein doppelter Aufwand natürlich vermieden werden soll66. 3. In wessen Interesse und für wen wird die D&O Versicherung abgeschlossen? Die D&O Versicherung wird stets nur für das Gesamtorgan (also Vorstand und/oder Aufsichtsrat) und nicht für ein individuelles Organmitglied abge-
__________ 65 Ek (Fn. 1), S. 202; Beiner (Fn. 12), Rz. 438, 439. 66 Die Nachhaftung ist nur bei wenigen Versicherern (z. B. Chubb) erhältlich. Meist wird dabei eine „Verfallklausel“ vereinbart, bei deren Eintritt die Nachhaftung entfällt. Dies ist der Fall, wenn ein neuer D&O Vertrag mit einem Wettbewerber abgeschlossen wird.
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schlossen67. Es kommt auch nicht zu einer individuellen Risikoprüfung – etwa in dem Sinne, dass auf ein als besonders vorsichtig und umsichtig bekanntes Organmitglied ein unter Durchschnitt liegender Prämienanteil entfällt. Für ein Fremdinteresse seitens des Versicherungsnehmers spricht, dass Gegenstand der Versicherung die Freistellung von Organmitgliedern von bestimmten, durch fahrlässige Pflichtverletzung verursachten Schäden und daraus resultierenden Schadensersatzansprüchen ist. Andererseits ist dies wieder im Interesse des Versicherungsnehmers (der Gesellschaft), da damit verhindert werden soll, dass ein Organmitglied seine Pflichten vernachlässigt, weil es sich – durch einen kleinen fahrlässigen Fehler verursacht – existenzbedrohenden Schadensersatzforderungen ausgesetzt sieht68. Überdies stellt der Freistellungsanspruch des versicherten Organmitgliedes gegen den D&O Versicherer auch das Haftungssubstrat für jeden von diesen Organmitglied Geschädigten dar, also in erster Linie für die Gesellschaft selbst, so dass die D&O Versicherung dadurch Elemente einer Eigenschadenversicherung bekommt69. Die Frage, in wessen Interesse die D&O Versicherung abgeschlossen wird, ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern hat praktische juristische Relevanz. Wäre z. B. eine D&O Versicherung nur im Interesse der versicherten Organmitglieder abgeschlossen, so wären die von der Versicherungsnehmerin gezahlten Prämien lohnsteuerpflichtige Einnahmen für die versicherten Organmitglieder. Derartige Prämien müssten dann auch bei der Prüfung der Angemessenheit der Gesamtbezüge des Vorstandes nach § 87 Abs. 1 AktG miteinbezogen werden70. 4. Der Selbstbehalt Der DCGK fordert, dass bei Abschluss einer D&O Versicherung ein Selbstbehalt vereinbart wird71; bei dieser Empfehlung ist der Kodex bislang auf wenig Gegenliebe gestoßen – mit Recht. Die Rechtfertigung für diese Empfehlung liegt in der angeblich verhaltenssteuernden Wirkung eines Selbstbehaltes, also in der Befürchtung, einen Teil des Schadens selbst übernehmen zu müssen. Dies ist indessen ein wenig lebensfremd: Die Pflichtenverletzung, die einen Schaden verursacht, bringt in der Praxis – auch ohne jeden eigenen finanziellen Schaden – soviel Unannehmlichkeiten, psychische Belastung und Reputationsverlust mit sich, dass es eines zusätzlichen verhaltenssteuernden Elemen-
__________ 67 Das ergibt sich schon zwingend aus der gesamtschuldnerischen Haftung aller Organmitglieder nach § 93 Abs. 2 Satz 1, § 116 AktG. Vgl. Pammler (Fn. 2), S. 31. Die Versicherungsprämie für ein einzelnes Mitglied wäre dementsprechend fast so hoch wie für das gesamte Organ. 68 OLG München, DB 2005, 1675, 1676 liSp. unten; Koch, GmbHR 2004, 18, 23 liSp.: Lediglich Reflex, nicht Zweck der D&O Versicherung. 69 OLG München, DB 2005, 1675, 1677 liSp.; Beiner (Fn. 12), Rz. 443. 70 Beides ist aber nicht der Fall. S. BFM-Schreiben zur steuerrechtlichen Behandlung von Prämienzahlungen für D&O Versicherungen v. 24.1.2001, AG 2002, 287. 71 DCGK 3.8; vgl. dazu Ringleb (Fn. 12), Rz. 519–521.
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tes wahrlich nicht bedarf72. Im Übrigen ist die Forderung des DCGK widersprüchlich, denn einer der Hauptgründe für eine D&O Versicherung ist ja – genau wie für die business judgement rule – eine übervorsichtige, risikoaverse Unternehmensführung zu verhindern, bei der das Unternehmen auf der Stelle tritt, weil die Auftragsunternehmer aus Furcht vor Schadensersatzansprüchen nichts mehr „unternehmen“. Dementsprechend ist nach wie vor bei der Vereinbarung eines Selbstbehaltes große Zurückhaltung zu beobachten73. 5. Der Umfang der Versicherung und typische Ausschlüsse Versichert sind im Allgemeinen nur die „reinen“ Vermögensschäden, also nicht Personenschäden oder Sachschäden und deren Folgeschäden74. Regelmäßig ausgeschlossen ist vorsätzliche Begehungsweise75, weiterhin sind häufig ausgeschlossen wissentliches Abweichen von Vorschriften und Gesetzen76, wobei das „wissentlich“ Kenntnis der Pflicht und Bewusstsein, diese zu verletzen impliziert77, nicht aber das Bewusstsein der nachfolgenden Schadenszufügung. Die „Trennungsklausel“ die besagt, dass versichertes Organmitglied und der Versicherungsnehmer sich getrennt haben müssen und die „Prozessklausel“ (Eintrittspflicht des Versicherers nur, wenn Schadensersatzanspruch rechtshängig geworden ist) sind fast gänzlich aufgrund des Konditionenwettbewerbs zwischen den Versicherern verschwunden. Im Übrigen sind – wie oben erwähnt – zahlreiche Ausschlusstatbestände seit Ende 2005 abgeschafft worden (s. oben I.5). Geblieben ist aber die Eigenschadenklausel, die bei Familiengesellschaften eine Rolle spielt. Als Eigenschaden gilt der Teil des Schadens, der auf die eigene Beteiligung des Schädigers und seiner nahen Angehörigen entfällt, wobei im allgemeinen ein „Freibetrag“ gewährt wird. Ist also das versicherte Vorstandsmitglied z. B. zu 40 % an dem Versicherungsnehmer, einer Familiengesellschaft beteiligt, so beträgt die Eigenschadenquote nach Abzug eines „Freibetrages“, der in der Praxis häufig bei 15 % liegt, 25 %, von 40 %, also 10 %, um die die Versicherungsleistung gekürzt wird. Die Eigenschadenquote
__________
72 Diese Unannehmlichkeiten werden von Beiner (Fn. 12), Rz. 445, von Ulmer in FS Canaris, 2007, S. 451 (S. 462 ff.), und von Pammler (Fn. 2), S. 60–81, nicht genügend gewürdigt. 73 Von den börsennotierten Gesellschaften, die die Nichtbefolgung von Empfehlungen des DCGK zu melden haben, wird der Selbstbehalt mehrheitlich abgelehnt. Vgl. von Werder/Talaulicar, DB 2006, 849, 854 liSp. unten; vgl. auch Handelsblatt v. 11.3.2005, Beilage Karriere und Management: Nur 34 % von 800 befragten börsennotierten Gesellschaften haben demzufolge einen Selbstbehalt vereinbart. 74 Kolde (Fn. 12), § 11 Rz. 26–28. 75 Vgl. auch § 152 VVG; dieser Ausschluss dürfte sich in allen Versicherungsverträgen befinden. 76 Dazu Kolde (Fn. 12) Rz. 56–58; Ek (Fn. 1), S. 204. 77 Ek (Fn. 1), S. 204c.
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steigt, wenn Angehörige des Schädigers ebenfalls beteiligt sind, wobei es auf die Definition des Verwandtschaftsbegriffes ankommt78.
IV. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten 1. Zwischen dem Versicherungsnehmer (der Gesellschaft) und dem Versicherer Der D&O Vertrag kommt zwischen dem Versicherungsnehmer (der Gesellschaft) und dem Versicherer zustande. Der Versicherungsnehmer – und nicht das versicherte Organmitglied – ist Vertragspartner des Versicherers79. Der Versicherungsnehmer ist zur Zahlung der Prämie verpflichtet80. Gegenstand des Versicherungsvertrages ist die Freistellung von Organmitgliedern von gegen diese gerichteten Ansprüche aus fahrlässiger Pflichtverletzung, Der entscheidende Unterschied zwischen dem gesetzlichen Leitbild der Haftpflichtversicherung81 und einem typischen D&O Vertrag liegt – wie erwähnt – darin, dass nach dem Versicherungsvertragsgesetz der Versicherungsnehmer gleichzeitig der Versicherte und damit Vertragspartei ist, während dies beim geschädigten Dritten nicht der Fall ist. Demgegenüber fallen bei der D&O Versicherung Versicherter und Versicherungsnehmer auseinander und der Versicherungsnehmer ist in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle auch der Geschädigte ist, der nach dem Trennungsprinzip zunächst den Haftpflichtprozess gegen den schädigenden Versicherten, also das Organmitglied, führen muss. In einigen D&O Versicherungen sind auch leitende Angestellte mitversichert, was aber im Allgemeinen wenig sinnvoll sein dürfte, da bei der Innenhaftung Schadensersatzansprüche wegen fahrlässiger Pflichtverstöße von leitenden Angestellten im Wesentlichen nur auf der Grundlage des Anstellungsvertrages – also ohne einen gesetzlichen Anspruch wie gegen ein Organmitglied82 – geltend gemacht werden können, es keine Umkehr der Beweislast gibt und das Arbeitsrecht bei Schadensersatzansprüche gegen Arbeitnehmer im Allgemeinen leichte Fahrlässigkeit nicht genügen lässt83. Der Versicherungsvertrag enthält auch negative Obliegenheiten, die sich gleichermaßen an den Versicherungsnehmer wie auch an das versicherte Organmitglied richten. Der vom Geschädigten – also im Allgemeinen dem Versiche-
__________ 78 Bei einem sehr weit gefassten Angehörigenbegriff und Mitgliedern der Familie, die die Gesellschaftsanteile halten, ist der von der Versicherung zugrunde gelegte Angehörigenbegriff deswegen von sehr wesentlicher Bedeutung, also z. B. entweder nur Eltern, Kinder und Ehefrau oder Bezugnahme auf den weiten Angehörigenbegriff von § 15 AO. 79 Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl. 2002, §§ 75, 76 VVG Rz. 3. 80 Ek (Fn. 1), S. 205; Kolde (Fn. 12), Rz. 33. 81 Nach § 149 VVG. 82 Nach §§ 93 und 116 AktG. 83 Walker, JuS 2000, 736 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl. 2004, § 52 Rz. 34 ff.
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rungsnehmer – geltend gemachte Anspruch darf nicht ohne ausdrückliche Zustimmung des Versicherers bzw. nur von diesem verglichen werden84. Das versicherte Organmitglied darf den Anspruch auch nicht anerkennen85. Der Versicherungsnehmer hat eine weitgehend Offenlegungspflicht vor Vertragsschluss in Bezug auf Umstände, die für das Risikoprofil von Bedeutung sind86, wobei die ersten Erhebungen per Fragebogen gemacht werden und sich die Intensität der Überprüfung nach der Höhe des Risikos richtet. Risikobeeinflussende Faktoren sind u. a. Branche, Dauer der bisherigen geschäftlichen Tätigkeit87, bisherige Haftungsfälle, Ort der Börsennotierung, Diversifizierung und Internationalisierung, wobei die USA besonders kritisch sind. Sehr kompliziert ist die Frage, wessen Wissen in Bezug auf haftungsrelevante Sachverhalten dem Versicherungsnehmer zuzurechnen ist88, besonders wenn ein unredlicher Wissensträger geschwiegen oder getäuscht hat und ein redlicher Wissensträger (der von den gefahrbegründenden oder gefahrerhöhenden keine Kenntnis hatte) in Anspruch genommen wird89. Erhöht sich die Gefahr während der Dauer der Vertragslaufzeit, ist der Versicherer hiervon unverzüglich zu unterrichten90 Verstöße gegen die Offenlegungspflichten in Bezug auf das Risikoprofil (die Gefahrumstände) berechtigen den Versicherer zum Rücktritt91, zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung92 oder zur fristlosen Kündigung, wenn der Versicherungsnehmer es unterlassen hat, den Versicherer über gefahrerhöhende Umstände zu unterrichten, die nach Vertragsschluss eingetreten sind. 2. Rechtsbeziehungen zwischen dem Organmitglied und der Gesellschaft (der Versicherungsnehmerin) Nach überwiegender Auffassung, gibt es keine gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Verpflichtung der Gesellschaft, eine D&O Versicherung zugunsten der Organmitglieder abzuschließen93. Hingegen können vertragliche Pflichten
__________ 84 Koch, GmbHR 2004, 18, 26 liSp.; Ziff. 4.4. AVG – AVB. Ein außerordentlich seltener Ausnahmefall besteht, wenn alles andere als teilweise Befriedigung oder Anerkennung offensichtlich unbillig gewesen wäre. Vgl. § 154 Abs. 2 VVG. 85 S. Fn. 73. 86 §§ 16 und 17 VVG, wobei die Vertragsbedingungen diesbezüglich noch viele zusätzliche Details bereithalten. Vgl. Hendricks, Der Aufsichtsrat 2004, Heft Juli/August. 87 Für Gesellschaften, die nur 2 Jahre oder kürzer tätig sind, wird eine D&O Versicherung im Allgemeinen nicht erhältlich sein. 88 § 79 VVG. Langheid/Grote, VersR 2005, 1165; O. Lange, VersR 2006, 605 ff. 89 OLG Düsseldorf, ZIP 2006, 1677 – Comroad; vgl. Langheid/Grote, VersR 2005, 1165, 1168. 90 § 23 VVG. 91 § 20 VVG. 92 § 22 VVG. 93 Koch, GmbHR 2004, 160; Lange, AWR 2005/04, 172 ff., 176 liSp.; abwägend Kolde (Fn. 12), Rz. 77; allerdings können Organmitglieder häufig aufgrund der Marktsituation – Knappheit an begabten Führungskräften – den Abschluss einer D&O Versicherung verlangen.
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zum Abschluss einer D&O Versicherung bestehen. In Dienstverträgen wird vielfach der Abschluss einer D&O Versicherung vereinbart94. Schließt die Gesellschaft auch zugunsten des Aufsichtsrates eine D&O Versicherung ab, bedarf es keiner Befassung der HV95, weil die D&O Versicherung nicht als Vergütungsbestandteil des Aufsichtsrates angesehen wird96. Die gleiche Sichtweise gilt aus steuerlicher Sicht97 und aus der Sicht der Einhaltung des Angemessenheitsgebotes98 für die D&O Versicherung des Vorstandes. Auch hierbei wird auf die Eigenschadenkomponente der D&O Versicherung abgehoben, d. h. insbesondere auf das Interesse der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin im Schadensfall für den zuerkannten Schadensersatzanspruch auch ein Haftungssubstrat zu haben. Vertragspartnerin des Versicherers ist – wie erwähnt – die Gesellschaft als Versicherungsnehmerin. Sie entscheidet als solche über Abschluss, Verlängerung oder Nichtverlängerung und ihr Verhalten etwa durch Obliegenheitsverletzungen oder Nichtzahlung von Prämien kann dazu führen, dass der Versicherer im Schadensfall nicht einzutreten braucht. Ist die Versicherungsnehmerin gegenüber einem Organmitglied vertraglich zum Abschluss einer D&O Versicherung verpflichtet und verletzt sie diese Pflicht, ist sie u. U. ihrerseits haftbar, d. h. sie muss das pflichtwidrig Schaden verursachende Organmitglied so stellen, als ob die D&O Versicherung im zugesagten Umfang bestehen geblieben wäre99. In der Praxis bedeutet dies, dass in einem gleichwohl angestrengten Haftpflichtprozess das in Anspruch genommene Organmitglied mit diesem Anspruch gegen den Schadensersatzanspruch der Gesellschaft aufrechnen kann. Unter Umständen trifft die Pflicht, eine D&O Versicherung aufrechtzuerhalten, auch die Gesellschaft als Treuhänderin des Organmitgliedes100. Jedenfalls besteht aus der Sicht der Gesellschaft Anlass, mit Zusagen bezüglich des Bestehens und der Aufrechterhaltung von D&O Versicherungen vorsichtig zu sein, umso mehr als die Verträge ja in aller Regel nur ein Jahr laufen, dann zwar einvernehmlich verlängert, aber eben auch vonseiten der Versicherung gekündigt werden können. 3. Rechtsbeziehungen zwischen versichertem Organmitglied und D&O Versicherer Das versicherte Organmitglied hat bei in Anspruchnahme durch einen Geschädigten – wie erwähnt, fast immer die Gesellschaft selbst – Anspruch
__________ 94 Lange, ZIP 2004, 2221. 95 Kolde (Fn. 12), Rz. 79 (für den Vorstand) und Rz. 81–83 (für den Aufsichtsrat). a. A. Pammler (Fn. 2). 96 Wäre es anders, wäre § 113 AktG einschlägig und müsste die HV hierüber beschließen. 97 Beiner (Fn. 12), Rz. 449, 450. 98 § 87 Abs. 1 AktG. 99 Koch, GmbHR 2004, 160, 167 liSp. 100 Vgl. dazu die Überlegungen von Koch, GmbHR 2004, 160, 163 ff. im Anschluss an BGHZ 64, 260 ff.
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darauf, dass die Forderung des Geschädigten, falls unberechtigt, abgewehrt und falls berechtigt, bezahlt wird. Nun besteht – falls die Gesellschaft Schadensersatzansprüche geltend macht – die Möglichkeit, dass sie zur „privaten Vollstreckung“ greift und mit ihrem Schadensersatzanspruch gegen Ansprüche des schadensverursachenden Organmitgliedes aus dessen Dienst- oder Pensionsvertrag (unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenze) aufrechnet101. Diesenfalls hat der Versicherer, falls die Schadensersatzforderung zu Recht besteht, und damit auch die Aufrechnungserklärung seitens der Gesellschaft rechtens ist, dem versicherten Organmitglied die durch die Aufrechnung untergegangen Ansprüche gegen die Gesellschaft zu ersetzen und andernfalls die Gesellschaft auf Herausgabe des durch die Aufrechnung Erlangten zu verklagen und das versicherte Organmitglied schadlos zu halten102. Kommt es zur Geltendmachung eines Anspruches durch die Gesellschaft gegenüber einem versicherten Organmitglied, wird der D&O Versicherer das Organmitglied in aller Regel beraten und ihm – unbeschadet der freien Anwaltswahl – einen sachkundigen Anwalt empfehlen. Kommt es zum Prozess, wird sich der D&O Versicherer als Nebenintervenient auf der Seite des beklagten Organmitgliedes an dem Prozess beteiligen. Wird die Klage im Haftungsprozess rechtskräftig abgewiesen, hat es damit sein Bewenden. Für einen Deckungsprozess oder ein Vergleich ist kein Raum. Obsiegt die Gesellschaft kommt es in aller Regel in der Praxis zu einem Vergleich, wobei die Gesellschaft, um einen Deckungsprozess zu vermeiden, möglicherweise in Nebenpunkten nachgibt. Kläger im Deckungsprozess ist das versicherte Organmitglied. Alternativ kann die Gesellschaft aus dem rechtskräftigen Urteil im Haftungsprozess auch gegen das Organmitglied vollstrecken und dessen Anspruch gegen den D&O Versicherer pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.
V. Kritik an der Ausgestaltung und Handhabung der D&O Versicherungen103 1. Ungeeignetes „Trennungsprinzip“ Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass das „Trennungsprinzip“ (mit) dazu führt, dass die Abwicklung der Haftpflichtfälle meist zur Anrufung
__________ 101 §§ 850 ff. ZPO. 102 Koch, GmbHR 2004, 288, 290 liSp. 103 Dieser Beitrag beschränkt sich auf versicherungsrechtliche und ordnungspolitische Aspekte der D&O Versicherung. Mit der aktienrechtlichen Problematik (die sich freilich mit der ordnungspolitischen Betrachtungsweise teilweise überschneidet) befasst sich die Dissertation von Pammler (Fn. 2), die in ZHR 171 (2007), 19 ff. ausführlich von Ulmer besprochen wurde. Pammler äußert sich sehr kritisch zur Vereinbarkeit der D&O Versicherung mit § 93 Abs. 2 AktG (S. 49–60) und dem Einfluss der D&O Versicherung auf die Verhaltenssteuerung (S. 60–81). Er hält eine D&O
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der Gerichte und zu einem zermürbenden Aufwand für den Anspruchsteller – meist die Gesellschaft selbst – führt. Dahinter mag Methode von Seiten der Versicherer stecken, aber auch wenn dies nicht der Fall ist, muss etwas geschehen: Hier geht es um mehr als um Zweckmäßigkeit in Einzelfällen, sondern durch Fehlkonstruktion eines Versicherungsproduktes – oder durch die (scheinbare) Unvereinbarkeit eines legal transplants aus den USA mit dem deutschen Versicherungsvertragsgesetz – wird auch der ordnungspolitischer Rahmen des Wirtschaftens berührt.103# Wirtschaftliche Betätigung soll – möglichst frei von vermeidbaren Friktionen sein, – die (ohnehin überlastete) Justiz nicht unnötig in Anspruch nehmen, – AGB’s und Musterverträge sollen keinen Anreiz zu Straftaten geben (friendly understanding = Versicherungsbetrug), – Versicherungen sollen auch für den Versicherungsnehmer (die Gesellschaft) im (echten) Haftungsfall Erleichterung und keine Erschwerung bringen und – bei Insolvenz und change of control Situationen soll die Ausplünderung der Versicherung ausgeschlossen sein. – Überdies darf ein Versicherungsprodukt nicht so beschaffen sein, dass es dazu beiträgt, das Ansehen der Gesellschaft zu mindern. Die D&O Versicherung in ihrer jetzigen Ausgestaltung und Handhabung trägt wenig dazu bei, einem so beschaffenen ordnungspolitischen Rahmen zu genügen. 2. Jetzige Ausgestaltung der D&O Versicherung genügt nicht ordnungspolitischen Anforderungen a) Die Versicherung führt zu einer Vermehrung von Prozessen. Es kommt oft genug am Anfang gar nicht zu Vergleichsverhandlungen zwischen Versicherer
__________ 103#
Versicherung ohne Selbstbehalt für unzulässig (S. 85). Weiterhin ist Pammler der Auffassung, dass für die D&O Versicherungen zugunsten von Aufsichtsratmitgliedern nach § 113 AktG analog ein Beschluss der HV erforderlich sei, und die Gesellschaft, wenn es an einen solchen Beschluss fehle, Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüche gegen die versicherten Aufsichtsratmitglieder habe. Für die D&O Versicherung des Vorstandes sei der Aufsichtsrat zuständig. Ausführlich behandelt wird die Unvereinbarkeit der so genannten Öffnungsklausel (s. dazu Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 116 AktG Rz. 767) (wonach bei Ansprüchen gegen Vorstandsmitglieder die Gesellschaft nicht durch den [ebenfalls versicherten] Aufsichtsrat vertreten werden darf) mit den Pflichten des Aufsichtsrates (S. 174– 200). Schließlich geht Pammler auf die Kollision der Trennungsklausel und der „Gerichtsklausel“ mit dem Aktienrecht ein. Ulmer schreibt in seiner Rezension (a. a. O. S. 120), dass die Arbeit von Pammler „genügend Sprengstoff (enthalte), um einen Meinungswandel in der aktienrechtlichen Beurteilung von D&O Versicherungen herbeiführen zu können“. In jüngster Zeit hat Ulmer selbst zum Selbstbehalt bei der D&O Versicherung Stellung genommen und hält diesen aktienrechtlich für notwendig (Ulmer in FS Canaris, 2007, S. 451 ff.).
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und Gesellschaft (Versicherungsnehmer), sondern der Versicherer verschweigt sich und fühlt sich hinter der Mauer des Trennungsprinzips, wonach erst einmal in aller Ruhe der Haftungsprozess zu führen ist, sehr wohl. In diesem Haftungsprozess unterstützt er die beklagte Organperson. b) Der Prozess, der ja gegen eine Organperson, also einen Kollegen zu führen ist, bindet Managementkapazität und versucht Kosten, die auf keiner Kostenstelle erscheinen. c) Die Kapazität der mit Geldnot und mit Personalknappheit kämpfenden Justiz wird unnötig in Anspruch genommen. Der oft jahrelang dauernde Haftungsprozess mit oft überzeichneten Vorwürfen seitens der klagenden Gesellschaft führt meist zu einer Verhärtung der Fronten und trägt nicht dazu bei, die Sache auf dem Verhandlungsweg zu lösen. d) Der öffentliche Prozess gegen das versicherte Organ führt spätestens die illustrierte – wöchentlich oder monatlich erscheinende – Wirtschaftspresse auf die Spur der Angelegenheit. Die Berichtererstattung lässt den Beklagten nicht selten in einem wenig günstigen Licht erscheinen. Hiervon profitiert die klagende Gesellschaft wenig, denn sie muss sich fragen lassen, warum ein scheinbar (oder anscheinend) leichtfertiges oder unfähiges Mitglied so lange ihrem Führungsgremium angehörte. e) Wenn die Sorge der D&O Versicherer berechtigt ist, dass das Trennungsprinzip im Wesentlichen deshalb aufrechterhalten werden sollte, um das „friendly understanding“ zwischen versicherten Organmitglied und Gesellschaft (Versicherungsnehmer) zu unterbinden oder zu erschweren, so liegt darin ja die Behauptung der Versicherungswirtschaft, dass die D&O Versicherung als solche und zwar bereits in ihrer jetzigen Ausgestaltung das „friendly understanding“, also die Begehung einer Straftat (versuchter oder vollendeter Betrug), begünstige oder ermögliche. Nun mögen Allgemeine Geschäftsbedingungen oder auch gleichartige Massenverträge keine Rechtsnormen sein104, aber auch ohne eine solche Qualität sollten Regelwerke, die zu Straftaten verleiten, möglichst überarbeitet werden105. Es gehört im Übrigen zur guten Corporate Governance, dass gerade an der Führungsspitze derartiges nicht geduldet wird. Der Fisch stinkt vom Kopf her! f) Die Prozessführung der D&O Versicherer im Haftpflichtprozess, an dem sie als Nebenintervenienten teilnehmen, ist ihrerseits keinen Deut besser als das, was sie dem versicherten Organmitglied und dem Versicherungsnehmer (der Gesellschaft) vorwerfen. In einem erstaunlichen Spagat erklärt der Anwalt des Versicherers, der eben noch eine Fahrlässigkeit des beklagten Organmitgliedes in Abrede gestellt hat (dann kein Verschulden und keine Haftung) auf skeptische Fragen und Einwürfe des Richters, dass dann eben vorsätzliche Begehung
__________ 104 Larenz/Wolf, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 3 Ziff. 5. 105 Das ist im Versicherungswesen und bei der seuchenhaften Ausbreitung von Täuschungshandlungen bei Versicherungen natürlich besonders schwierig. Vgl. Peltzer, Börsenzeitung v. 16.6.1994, S. 17.
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vorliege (dann ebenfalls keine Eintrittspflicht des Versicherers, da Vorsatz ausgeschlossen ist). g) Deckungsschwierigkeiten mögen die seltene Ausnahme sein, aber es gibt sie und das versicherte Organmitglied sollte sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. In dem betreffenden Fall mag ein Ausschluss greifen oder die Sicherungssumme ist erschöpft oder es handelt sich um einen Serienschaden106, für den ein Unterlimit gilt, oder der Versicherer besinnt sich darauf, dass ihm ein gefahrerhöhender Umstand nicht offen gelegt worden ist.
VI. Was tun? Im Rahmen dieses Beitrages kann und soll kein fertiges Rezept geliefert werden. Immerhin sollten die aufgezeigten Missstände bei den Industrie- (BDI), Versicherungs- und Maklerverbänden zum Nachdenken anregen. 1. Das Verfahren und die Abwicklung von Schäden, die durch die D&O Versicherung abgedeckt sind, sollte wesentlich zielführender und schneller abgewickelt werden. Dazu gehört in erster Linie die Abschaffung des „Trennungsprinzips“ (von Haftpflichtprozess und Deckungsprozess) und damit verbunden der direkte Anspruch der Gesellschaft als Versicherungsnehmer im Innenhaftungsfall107. 2. In den Versicherungsbedingungen sollte breitflächig vorgesehen werden, dass sich Versicherer und Versicherungsnehmer unmittelbar nach Eintritt des Versicherungsfalls, der Geltendmachung des Anspruches zusammen zu setzen haben mit dem Ziel, eine Vergleichslösung zu finden.
__________ 106 Unter einem Serienschaden versteht man einen Schaden, wenn die Haftpflichtansprüche entweder auf einer Pflichtverletzung beruhen oder aber auf mehreren gleichartigen Pflichtverletzungen, die durch eine oder mehrere versicherte Personen begangen wurden, sofern diese Pflichtverletzungen demselben Sachverhalt zuzuordnen sind und miteinander in zeitlichem, rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (vgl. Versicherungsbedingungen der VOV § 4 Ziff. 3). 107 Die Abschaffung des Trennungsprinzips wird bei den Versicherern kaum auf große Akzeptanz stoßen. Hingegen ist sie ein notwendiger Schritt, um zu einer Lösung der aufgezeigten Unzuträglichkeiten zu kommen. Folgende Formulierung wäre als Kompromissvorschlag zu erwägen: „Die Rechte aus dem Versicherungsvertrag können grundsätzlich ausschließlich von den versicherten Personen geltend gemacht werden, unabhängig davon, ob sie im Besitz des Versicherungsscheines sind. In Abweichung vom in der Haftpflicht-Versicherung geltenden Trennungsprinzip (Trennung zwischen Haftpflicht- und Deckungsprozess) steht dem Versicherungsnehmer unter folgenden kumulativen Voraussetzungen ein eigenes Recht zu, den Versicherer auf Leistung aus der zugrunde liegenden Deckung zu verklagen: a) Es liegt ein Fall der sog. Innenhaftung vor, d. h. es werden Ansprüche der Versicherungsnehmerin/mitversicherten Unternehmen gegen eigene Organvertreter (versicherte Person) gerichtlich geltend gemacht und b) zum Zeitpunkt der gerichtlichen Inanspruchnahme sind Bestellung und Anstellungsvertrag des betroffenen Organvertreters bereits beendet.“
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3. Führt diese Verhandlung innerhalb kurzer Zeit nicht zum Ziel, sollte ein Schiedsgericht angerufen werden; der bekannte Vorteil gegenüber den staatlichen Gerichten ist die größere Schnelligkeit, die Möglichkeit, spezialisierte Schiedsrichter auszuwählen und die Nichtöffentlichkeit und damit größere Diskretion. 4. Den Bedenken der Versicherungswirtschaft in Bezug auf eine Kollusion zwischen versichertem Organmitglied und Versicherungsnehmer (Gesellschaft) kann auf vielfältige Weise begegnet werden. Letztlich am wirksamsten wird eine – durch die für compliance und gute Corporate Governance in einem Unternehmen Verantwortlichen unterstützte – allgemeine Überzeugung sein, dass man „so etwas einfach nicht tut“.
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„Holzmüller“ im GmbH-Recht Inhaltsübersicht I. Vorspann
IV. Statutarische Gestaltungsspielräume 1. Einschränkung der GesellschafterII. Ausgangspunkt: Aktienrecht befugnisse 1. Aktienrechtliche Kompetenzordnung 2. Reduktion des Mehrheitserforder2. Holzmüller-Urteil nisses 3. Konturierung durch die „Gelatine“Entscheidung V. Unternehmensverträge III. GmbH mit Regelstatut 1. Gesellschafterkompetenzen 2. Mehrheiten
VI. Fazit
I. Vorspann Der Titel dieses Beitrages mag Verwunderung hervorrufen, handelt es sich bei „Holzmüller“ doch um die Chiffre für ein typisch aktienrechtliches Problem: Sind der Geschäftsleitungsautonomie des Vorstandes durch Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre engere Grenzen gezogen, als es nach dem Text des Gesetzes den Anschein hat? Bei der GmbH, meint man, könne sich diese Frage nicht stellen, da hier das Primat der Gesellschafter gegenüber den Geschäftsführern schon deutlich aus dem Gesetz zu entnehmen sei. „Holzmüller“-Maßnahmen fielen deshalb per se in ihren Entscheidungsbereich. So zutreffend das auf den ersten Blick sein mag, „Holzmüller“ lässt die GmbH nicht ungeschoren. Der Ansatz ist aber ein anderer. Bei ihr fragt sich, ob die Gesellschafter ihren gesetzlich höchst weitreichenden Geschäftsführungseinfluss satzungsmäßig so sehr zugunsten der Geschäftsführung einschränken können, dass auch „Holzmüller“-Fälle in deren Kompetenzbereich fallen. Das bedeutet: Die „Holzmüller“-Problematik stellt sich auch im GmbH-Recht, freilich mit quasi umgekehrtem Vorzeichen: Geht es bei der AG um Grenzen des Geschäftsleitungsorgans, dreht es sich bei der GmbH um Grenzen der Gesellschafterbefugnisse, nämlich ihres gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsspielraums. Diese Thematik, erstmals angerissen wohl von Lutter1 und anschließend vor allem von Reichardt2 aufgegriffen, ist offenbar noch nicht näher behandelt
__________ 1 Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225, 231 f. 2 Reichardt, ZHR Beiheft 68, 1999, S. 25, 48 f.; ders., AG 2005, 150, 159 f.
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worden3. Wenn nachstehend einige Überlegungen dazu angestellt werden und das in einer Festschrift für Harm Peter Westermann geschieht, so deshalb, weil er sich nicht nur um die Grundlagen des GmbH-Rechts gekümmert4, sondern sich auch früh mit dem „Holzmüller“-Urteil auseinandergesetzt hat5.
II. Ausgangspunkt: Aktienrecht 1. Aktienrechtliche Kompetenzordnung Nach § 76 Abs. 1 AktG liegt die Leitung der Gesellschaft beim eigenverantwortlichen Vorstand. Er hat auch die Geschäftsführungsaufgaben zu erledigen6. Die Aktionäre sind hiervon ausgeschlossen. Ein Weisungsrecht steht ihnen nicht zu, auch nicht über die Hauptversammlung. Die Bestimmung des § 119 Abs. 2 AktG scheint davon eine Ausnahme zu machen, wenn sie von Entscheidungen der Hauptversammlung in Geschäftsführungsfragen handelt. Der Vorstand muss aber eine entsprechende Entscheidung verlangen. Auch in diesen Fällen liegt also die Initiative bei ihm. Geschäftsführungsinitiative ist übrigens auch dem Aufsichtsrat versagt. Maßnahmen der Geschäftsführung können ihm nicht übertragen werden (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Die Satzung oder der Aufsichtsrat müssen heute zwar festlegen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Rechtlich gesehen ist dem Aufsichtsrat dadurch aber nur eine Vetoposition erwachsen, mag er auch durch angedrohte Versagung Einfluss auf die Geschäftsführung gewonnen haben. Demgegenüber sind die – im Grundsatz in der Hauptversammlung auszuübenden (§ 118 Abs. 1 AktG) – Befugnisse der Aktionäre enumerativ festgelegt, in erster Linie von § 119 Abs. 1 AktG. Neben einer Reihe von Verwaltungsentscheidungen (Wahl des Aufsichtsrats, Verwendung des Bilanzgewinns, Prüferbestellung) ist ihnen die Zuständigkeit in Strukturfragen zugewiesen. Sie sind zur Entscheidung über Satzungsänderungen, Maßnahmen der Kapitalveränderung und der Auflösung zuständig. Darüber hinaus ist ihnen an anderer Stelle die Beschlussfassung über eine Vermögensübertragung (§ 179a AktG), den Abschluss von Unternehmensverträgen (§ 293 AktG) und über Umwandlungsmaßnahmen (insbes. §§ 13, 193 UmwG) aufgetragen. Damit ergibt sich: Vorbehaltsaufgabe des Vorstandes ist die – autonome – Geschäftsführung. Die Festlegung der Gesellschaftsgrundlagen ist dagegen alleinige Sache der Gesellschafter. Sie definieren durch die Satzung bzw. deren Ände-
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3 Kurze Stellungnahmen unter dem Gesichtspunkt der Konzernbildungskontrolle finden sich bei Decher in MünchHdb.GesR, Bd. 3 GmbH, 2.Aufl. 2003, § 68 Rz. 13 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, SchlAnhKonzernR Rz. 157. 4 Nicht zuletzt in seiner breit angelegten Einleitung zum Scholzschen GmbHKommentar, die er jüngst in dessen 10. Aufl. 2006 gründlich neu bearbeitet präsentiert hat. 5 H. P. Westermann, ZGR 1984, 352 ff. 6 Zum Verhältnis von „Leitung“ und „Geschäftsführung“ etwa Kort in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2003, § 76 AktG Rz. 28 f.
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rungen auch den Gegenstand des Unternehmens, an den der Vorstand bei seinem Handeln dann gebunden ist. Hält er sich nicht daran, ist sein Handeln unzulässig, schafft einen wichtigen Grund zur Abberufung und verpflichtet zum Schadensersatz7. Wenn in solchen Fällen von einer „faktischen Satzungsänderung“ gesprochen wird, ist das irreführend. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Satzungsverletzung8. Eine andere, kürzlich rechtsprechungsakut gewordene Frage ist allerdings, welche Spielräume die Satzung dem Vorstand lassen muss bzw. wie eng ihre Handlungsvorgaben sein dürfen9. Diese Beschränkung der Hauptversammlung auf Strukturentscheidungen und damit zugleich ihre Abkopplung von der Geschäftsführung beruht auf der Vorstellung, dass die Hauptversammlung „in Anbetracht ihrer inhomogenen Zusammensetzung und ihrer Ferne zu den jeweils zu treffenden Geschäftsführungsmaßnahmen … für die Mitwirkung an der Leitung einer Aktiengesellschaft ungeeignet ist“10. 2. Holzmüller-Urteil In diese heile Rechtswelt hat das „Holzmüller“-Urteil11 vor 25 Jahren erhebliche Unruhe gebracht. Der Sachverhalt ist bekannt, deshalb nur ganz kurz: Die J. F. Müller & Sohn AG unterhielt neben dem ursprünglichen Holzhandels- und Holzmaklergeschäft im Hamburger Hafen eine Umschlags- und Lagerungsanlage für Holz und andere Güter, die sich nicht nur organisatorisch verselbständigt hatte, sondern zuletzt auch ca. 80 % des Geschäftsvolumens der Gesellschaft ausmachte12. Diesen Seehafenbetrieb13 gliederte sie auf eine neuerrichtete KGaA aus, deren alleinige Anteilseignerin sie wurde. Der BGH entschied dazu – wie sein erster Leitsatz ausweist –: „Bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre, wie z. B. der Ausgliederung eines Betriebs, der den wertvollsten Teil des Gesellschaftsvermögens bildet, auf eine dazu gegründete Tochtergesellschaft, kann der Vorstand ausnahmsweise nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sein, gemäß § 119 Abs. 2 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen“. Zur Begründung meinte der Senat, es stehe zwar grundsätzlich im Ermessen des Vorstands, ob er die Hauptversammlung in Fragen der Geschäftsführung anrufen wolle. Es gebe jedoch grundlegende Weichenstellungen, die „so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingriffen, dass der Vorstand vernünftigerweise nicht an-
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7 Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1995, § 179 AktG Rz. 96. 8 Allg. Ansicht, vgl. nur Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 179 AktG Rz. 9. 9 Fall des OLG Stuttgart v. 22.7.2006, NZG 2006, 790; dazu Freitag, EWiR 2007, 257 f.: Verbot einer Produktion der Marken „Maybach“ und „Smart“ unzulässig. 10 BGH v. 26.4.2004, BGHZ 159, 30, 44. 11 BGH v. 25.2.1982, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158. 12 Näheres: OLG Hamburg v. 5.9.1980, DB 1981, 74, 76 – Vorinstanz. 13 Die Entscheidung wurde deshalb teilweise auch als „Seehafenbetriebs“-Urteil bezeichnet.
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nehmen könne, er dürfe sie in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen“14. Um eine Maßnahme von solcher Tragweite habe es sich bei der „Abspaltung“ des Seehafenbetriebs gehandelt, denn sie habe sich „im Kernbereich der Unternehmenstätigkeit abgespielt, da sie die Unternehmensstruktur von Grund auf geändert“ habe. Wegen der unbeschränkbaren Vertretungsmacht des Vorstandes habe die Verletzung dieser (internen) Vorlagepflicht allerdings die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht beeinträchtigt. Das Urteil hat eine kaum überschaubare literarische Diskussion ausgelöst15. Dabei war nicht zuletzt die vom BGH angenommene Rechtsgrundlage des § 119 Abs. 2 AktG Gegenstand der Kritik. Sie ist inzwischen überholt. Aus unserer Sicht wichtig ist dagegen die Debatte über den Anwendungsbereich des Urteils. Insoweit ging es einmal um die betroffenen Fallgruppen: nur Ausgliederungen und Beteiligungserwerbe – also Konzernbildungsfälle – oder auch Veräußerungen von Betrieben oder Beteiligungen. Streitig war aber vor allem die Bestimmung des erforderlichen Volumens der Maßnahme: Ab welcher Größe muss die Hauptversammlung befragt werden? Dazu wurden teilweise ganz deutlich unter dem Gewicht des Seehafenbetriebs liegende Zahlen genannt. Fast ging es um Bagatellgrenzen, unterhalb derer „Holzmüller“ nicht zum Zuge kommen sollte16. In der Praxis holten die Vorstände in zahlreichen Fällen entsprechende Gutachten ein, um am Ende aus Vorsichtsgründen dann doch die Hauptversammlung zu befragen17. 3. Konturierung durch die „Gelatine“-Entscheidung Hier hat inzwischen das „Gelatine“-Urteil des BGH aus dem Jahre 200418 erheblich zur Klarheit beitragen. Der Fall lag etwas anders: Eine Aktiengesellschaft besaß mehrere Tochtergesellschaften. Deren eine sollte dergestalt „umgehängt“ werden, dass ihre Anteile von der Mutter in eine andere Tochter eingebracht wurden. Der BGH bestätigte seine „Holzmüller“-Entscheidung, stellte aber fest, ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung seien „nur ausnahmsweise und in engen Grenzen“ anzuerkennen. Sie kämen allein dann in Betracht, wenn eine Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung rühre, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu
__________ 14 BGHZ 83, 122, 131. 15 Wegen Materialübersichten sei etwa auf Habersack in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, Vor § 311 AktG Rz. 33 Fn. 163; Hüffer (Fn. 8), § 119 AktG vor Rz. 16 verwiesen. 16 Reiche Nachweise bei Krieger in MünchHdb.GesR, Bd. 4 AG, 2. Aufl. 1999, § 69 Rz. 8 Fn. 28 für das Schrifttum, Fn. 29 für die instanzgerichtliche Rechtsprechung. 17 Wie Wasmann, DB 2002, 1096 mit Recht bemerkt. 18 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = AG 2004, 384 = ZIP 2004, 993. Genau genommen handelt es sich um zwei „Gelatine“-Urteile vom gleichen Tage, nämlich daneben noch um II ZR 154/02, abgedr. etwa in ZIP 2004, 1001.
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bestimmen. Die geplanten Veränderungen müssten denjenigen zumindest nahe kommen, welche allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden könnten19. Das könne außer bei Ausgliederungen wegen des weiteren Mediatisierungseffekts „jedenfalls“ bei Umstrukturierung einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft der Fall sein. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Aktionärsrechte liege aber auch dann nur vor, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme „in etwa die Ausmaße“ wie im „Holzmüller“-Urteil erreiche20. Die „Holzmüller“-Zuständigkeit der Hauptversammlung dürfte damit zum festen Bestandteil des geltenden Aktienrechts geworden sein – eine erste wichtige Weichenstellung für unser Thema. Eine bedeutsame Konturierung hat die Entscheidung aber insoweit gebracht, als sie das – nicht zuletzt vom Schrifttum21 – arg weit abgesteckte Feld erfasster Konstellationen wieder auf das „Seehafenbetriebs“-Maß zurückgeschnitten hat. Die Wesentlichkeitsschwelle für ein Eingreifen des Aktionärsentscheids liegt damit hoch. Klar entschieden ist durch „Gelatine“ ferner die nach dem „Holzmüller“-Urteil offengebliebene Frage der erforderlichen Beschlussmehrheit. Wegen der Herleitung der Aktionärszuständigkeit aus § 119 Abs. 2 AktG hatte eine Minderheitsposition die einfache Majorität genügen lassen wollen22. Nachdem sich der Senat davon ausdrücklich distanziert und eine offene Rechtsfortbildung zur Grundlage gemacht hat, überrascht es nicht, wenn er wegen der Nähe solcher Entscheidungen zur Satzungsänderung eine – satzungsfeste – Mehrheit von Dreiviertel verlangt23. Darin liegt – wie sich zeigen wird – eine weitere für unser Thema bedeutsame Vorgabe. Ausdrücklich offengelassen hat der Senat in seinem Urteil dagegen, welche Geschäftsführungsmaßnahmen eine Beschlussfassungsnotwendigkeit mit sich bringen. Ungeklärt war demnach, ob nur Maßnahmen mit (weiterem) Mediatisierungseffekt erfasst sind. Die insbesondere durch die Namen Habersack (nur Mediatisierungsfälle24) und Mülbert (Schutz der Vermögensinteressen25) personifizierte Kontroverse war damit unentschieden geblieben. Man durfte also weiter darüber streiten, ob auch die Veräußerung wesentlicher Betriebe oder Beteiligungen unter „Holzmüller“ fallen kann. Das könnte inzwischen anders geworden sein. In einem Nichtannahmebeschluss des Senats vom November 200626 heißt es, für die Veräußerung einer Beteiligung bestehe keine ungeschriebene Zustimmungskompetenz der
__________ 19 BGHZ 159, 30 – Leitsatz 1. 20 BGHZ 159, 30 – Leitsatz 2; dem folgend LG München I v. 8.6.2006, ZIP 2006, 2036, 2040 – Infineon. 21 Nachw. in Fn. 16. 22 Hüffer in FS Ulmer, 2003, S. 279, 297 f.; F.-J. Semler in MünchHdb.GesR (Fn. 16), § 34 Rz. 42, ebenso OLG Karlsruhe v. 12.3.2002, DB 2002, 1094, 1095. 23 BGHZ 159, 30, 45. 24 Eingehend Habersack, AG 2005, 137, 138 ff. 25 Mülbert in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 119 AktG Rz. 33. 26 BGH v. 20.11.2006, ZIP 2007, 24 m. zust. Anm. v. Falkenhausen.
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Hauptversammlung, wenn es an einer Mediatisierung des Einflusses der Muttergesellschaft und ihrer Aktionäre fehle. Ihr Gewicht gewinnt diese Entscheidung durch einen Beitrag des Senatsvorsitzenden Goette27, in dem er den „Holzmüller“-Bereich klar auf Mediatisierungsfälle beschränkt, eine Einbeziehung des actus contrarius in Gestalt der Beteiligungsveräußerung dagegen ausdrücklich ablehnt. Es komme auf die Beurteilung mitgliedschaftsrelevanter Strukturmaßnahmen an und nicht auf „die – angeblich gebotene – Mitwirkung an außergewöhnlichen Leitungsmaßnahmen“. Ob die Kontroverse für das Aktienrecht damit beendet ist, bleibt abzuwarten. Auf die Einstufung der Frage im GmbH-Recht ist unten zurückzukommen.
III. GmbH mit Regelstatut 1. Gesellschafterkompetenzen Im Gegensatz zur klaren Zuständigkeitsnorm des § 76 Abs. 1 AktG findet sich im GmbH-Recht keine ausdrückliche Zuweisung. Eines aber wird deutlich: Anders als die nach heutigem Verständnis gleichgewichtige Trias Vorstand – Aufsichtsrat – Hauptversammlung des Aktienrechts28 gibt es bei der GmbH das Supremat der Gesellschafterversammlung. Wesentlicher Ausdruck dafür ist § 37 Abs. 1 GmbHG, wonach die Geschäftsführer verpflichtet sind, die ihnen durch Gesellschafterbeschlüsse auferlegten Beschränkungen einzuhalten. Damit haben wir bei der GmbH ein fundamental abweichendes Konstruktionsprinzip vor uns. Die Gesellschafter sind oberstes Organ der GmbH. Die Definition der Geschäftspolitik ist ihre Sache, nicht die der Geschäftsführer29. Ebenso liegt es mit ungewöhnlichen Geschäften30, mag auch deren Abgrenzung nicht unproblematisch, jedenfalls aber fallbezogen sein. In diesem – weiten – Entscheidungsbereich der Gesellschafter trifft die Geschäftsführer eine Vorlagepflicht. Sie haben die zu treffende Entscheidung mit den notwendigen Informationen und ihrem Vorschlag zu unterbreiten31. Diskutiert wird, ob es einen weisungsfreien Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführung gibt. So ist vertreten worden, es bestehe ein unternehmerischer „Kardinalbereich“32. Die herrschende Meinung lehnt das jedoch jedenfalls für die mitbestimmungsfreie GmbH zu Recht ab33. Darauf kommt es für unsere Fragestellung indessen nicht an.
__________ 27 Goette, AG 2006, 522, 527. 28 Zur gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung in der AG etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, § 6 III 2 b) S. 336 ff. 29 BGH v. 25.2.1991‚ DB 1991, 904 ff.; Goette, DStR 1998, 938, 942; abl. Kort, ZIP 1991, 1274 ff. 30 Dazu – mit unterschiedlicher Akzentsetzung – Lutter/Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 37 GmbHG Rz. 10 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 3), § 37 GmbHG Rz. 7 ff. 31 Eingehend Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991, S. 63 ff. 32 Gieseke, GmbHR 1996, 486 ff. 33 Dazu Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 37 GmbHG Rz. 38.
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Hier geht es allein um die Entscheidungsbefugnisse der Gesellschafter in grundlegenden Fragen. Diese Zuständigkeit steht mangels abweichender Satzungsregeln, also unter Geltung des gesetzlichen Normalstatuts, in „Holzmüller“-Fällen außer Zweifel. Das gilt zumindest dann, wenn man den durch die „Gelatine“-Entscheidung des BGH eng gezogenen Anwendungsbereich zugrunde legt. Solche Vorhaben sind so bedeutsam, dass sie über die bloße Festlegung der Unternehmenspolitik ebenso wie über außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen deutlich hinausgehen. Dies bedeutet: „Holzmüller“Maßnahmen bedürfen bei der regeltypischen GmbH schlicht der Mitwirkung ihrer Gesellschafter. 2. Mehrheiten Weisungsbeschlüsse nach § 37 Abs. 1 GmbHG werden dem Grundsatz des § 47 Abs. 1 GmbHG entsprechend mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Es fragt sich, ob das auch für Beschlüsse zu solchen Maßnahmen gilt, die in den „Holzmüller“-Bereich fallen. Im Aktienrecht steht – wie dargestellt – seit „Gelatine“ fest, dass entsprechende Beschlüsse dort einer Dreiviertelmehrheit bedürfen34. Als Grund für das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit hat der BGH die Nähe zur Satzungsänderung angeführt. Unter diesem Blickwinkel wird man auch für die GmbH in derartigen satzungsnahen Fällen eine qualifizierte Mehrheit als notwendig ansehen müssen35. Solche Beschlüsse berühren „Bild und Gepräge der Gesellschaft“36. Im Aktienrecht hat der BGH mit seinem „Gelatine“-Urteil und dem geschilderten Nichtannahmebeschluss vom November 2006 den Anwendungsbereich einer Mitwirkungsnotwendigkeit der Anteilseigner nun freilich sehr eng gezogen. Neben dem Wesentlichkeitsmerkmal hat er „Holzmüller“ auf Mediatisierungsfälle beschränkt und Beteiligungsveräußerungen auch erheblicher Art jenseits von § 179a AktG ausgegrenzt. Sind solche Fälle der Hauptversammlung damit nicht notwendig vorzulegen, hat es bei ihrer etwaigen Anrufung durch den Vorstand im Rahmen des § 119 Abs. 2 AktG sein Bewenden. Dann stellt sich die Frage einer Dreiviertelmehrheit nicht, es bleibt vielmehr bei der dort ausreichenden einfachen Mehrheit. Dies muss aber nicht bedeuten, dass eine solche einfache Mehrheit in derartigen Veräußerungsfällen im GmbH-Recht gleichfalls ausreicht. Schon für die Aktiengesellschaft darf nämlich weiterhin bezweifelt werden, ob die Beschränkung einer „Holzmüller“-Zuständigkeit der Hauptversammlung auf Mediatisierungsfälle wirklich zutreffend ist. Sie würde im Ergebnis allein
__________ 34 Oben II. 3. a. E. 35 Hüffer in Großkomm.GmbHG, 2006, § 47 GmbHG Rz. 15; Priester, ZHR 163 (1999), 187, 200. 36 Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225, 232.
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die Konzernbildung erfassen. Die Aktionärsmitwirkung in der Obergesellschaft ist hier gewiss eine wichtige Forderung. Ihr Einfluss wird abgeschwächt. Das zeigt nicht zuletzt die Problematik einer Gewinnthesaurierung in Tochter- oder Enkelgesellschaften37. Ist es damit aber getan? Gegen eine Begrenzung auf Mediatisierungsfälle und für die Einbeziehung aller – wesentlichen – Strukturmaßnamen spricht das Moment des Eingriffs in die Mitgliedschaft. Diese umfasst regelmäßig Verwaltungsrechte und Vermögensrechte. Es geht also nicht nur um eine Verwässerung des Gesellschaftereinflusses durch Mediatisierung bei Konzernbildung oder -umbildung. Betroffen sind auch Eingriffe in Vermögensrechte. Mitgliedschaft ist Teilhabe am Unternehmen der Gesellschaft. Durch Eingriffe in den „Kernbereich des Unternehmens“38 wird deshalb zugleich die Rechtsstellung der Anteilseigner in ihrem Kern betroffen. Das kann durch grundlegende Änderungen sowohl in der betrieblichen Organisation als auch in der Zusammensetzung des Unternehmensvermögens geschehen39. Mögen die Mitwirkungsrechte solchenfalls unberührt bleiben, für die Vermögensrechte gilt das nicht. Auch jenseits der Konzernbildung treffen wir auf grundlegende Entscheidungen, die den Gesellschaftern als dem „Grundorgan“40 vorbehalten sein sollten. Das gilt insbesondere für die Veräußerung von wichtigen Unternehmensteilen oder Beteiligungen. Es mag sein, dass die §§ 179, 179a AktG hier für Gesellschafterschutz sorgen: Erfordernis einer Satzungsänderung wegen Unterschreitung des Unternehmensgegenstandes (§ 179 AktG) oder der Zustimmung zur Veräußerung des (fast) ganzen Gesellschaftsvermögens (§ 179a AktG). Gleichwohl gibt es Konstellationen, die davon nicht erfasst werden, etwa die Veräußerung einer bestimmten Produktlinie, die für die Gesellschaft hochbedeutsam ist, aber nicht zur Unterschreitung ihres Gegenstandes führt41. Wann ein derartiger Eingriff vorliegt, muss naturgemäß nach den gesamten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Kriterium kann dabei sein, inwieweit sich das „überkommene Gesamtbild“42 des Unternehmens ändert. Wegen der vom BGH in „Gelatine“ – mit Recht – hoch angelegten Wesentlichkeitsschwelle dürfte es sich um Ausnahmefälle handeln. Eine die Rechtssicherheit gefährdende Ausfransung des Tatbestandes erscheint nicht zu befürchten. Selbst wenn aber die vorstehende These für das Aktienrecht nicht überzeugen sollte, im GmbH-Recht sind solche Sachverhalte gleichzustellen. Grund dafür ist nicht zuletzt der geringere Gesellschafterschutz durch die Festlegung des Unternehmensgegenstandes in der Satzung. Seine Deskription kann nach herrschender Meinung großmaschiger ausfallen als bei der Aktiengesellschaft. Zur
__________ 37 Dazu eingehend Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 58 AktG Rz. 58 ff.; Henze in GroßKomm.AktG, 4. Aufl 2001, § 58 Rz. 46 ff. 38 BGHZ 159, 30, 36. 39 Vgl. Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 119 AktG Rz. 31. 40 Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 847. 41 Beispiel bei Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225, 230. 42 BGHZ 83, 122, 129.
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Begründung wird auf die Möglichkeiten der Gesellschafter verwiesen, dem Geschäftsführungsorgan durch Weisungen Restriktionen zu erteilen43. Eine – bei der GmbH zulässige – farblose und damit als „Strukturänderungsbremse“ untaugliche Angabe des Unternehmensgegenstandes darf dann aber nicht zu einem gegenüber dem Aktienrecht verminderten Schutzniveau führen. Darüber hinaus muss man gewichten: Wenn eine – noch so geringfügige – Änderung des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstandes auf der Grundlage von § 53 Abs. 2 GmbHG eine Stimmenmehrheit von Dreiviertel erfordert, kann das nicht ohne Einfluss auf die Beurteilung von wesentlichen Strukturänderungen sein. Das bedeutet für die Mehrheitserfordernisse beim Zustimmungsbeschluss zu „Holzmüller“-Maßnahmen im GmbH-Recht: Die Dreiviertelmehrheit ist nicht nur für mediatisierende Konzernbildungsmaßnahmen, sondern auch für sonstige tiefgreifende Strukturentscheidungen notwendig.
IV. Statutarische Gestaltungsspielräume 1. Einschränkung der Gesellschafterbefugnisse Die entscheidende Frage zu „Holzmüller im GmbH-Recht“ stellt sich vor dem Hintergrund solcher regeltypischen Dominanz der Gesellschafter gegenüber der Geschäftsführung – wie angekündigt – dahin: Kann die Satzung auch „Holzmüller“-Fälle den Geschäftsführern zum Alleinentscheid überlassen? Dabei ist zunächst festzuhalten: Die Gestaltungsoffenheit der GmbH gestattet, das aktienrechtliche Modell zu übernehmen: Die Vorschrift des § 37 GmbHG ist satzungsdisponibel44. Es kann also im Gesellschaftsvertrag eine weisungsfreie Geschäftsführung installiert werden. Solche Kompetenzverlagerungen sind grundsätzlich zulässig. Ausnahmen bedürfen der Begründung45. Die Gestaltungsfreiheit ist damit zwar sehr weitgehend, aber auch nicht uneingeschränkt46. Die Satzung muss sich an das Strukturbild der GmbH halten47. Unübersteigbare Grenze bilden zunächst Maßnahmen, die zur Kollision mit dem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand führen. Seine Definition ist zwingend den Gesellschaftern überlassen. Das gilt nicht nur im Aktienrecht48, sondern gleichermaßen für die GmbH. Sind Geschäftsführungsmaßnahmen vom satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand nicht gedeckt, liegt ein Pflichtverstoß der Geschäftsführer vor49. Betroffen sind jedoch nicht nur Über-
__________ 43 44 45 46 47 48 49
Vgl. Priester in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 53 GmbHG Rz. 133 m. w. N. Unstr., statt vieler: Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 33), § 37 GmbHG Rz. 20. Karsten Schmidt in Scholz (Fn. 43), § 45 GmbHG Rz. 8. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 184 f. Hüffer in Großkomm.GmbHG (Fn. 35), § 45 GmbHG Rz. 17. Vgl. oben II. 1. Etwa: Zöllner in Baumbach/Hueck (Fn. 3), § 53 GmbHG Rz. 58.
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schreitungen des festgelegten Betätigungsfeldes, sondern auch wesentliche Einschränkungen, also seine Unterschreitung50. Die Relevanz solcher Einschränkungen für das Verhältnis von Gesellschaftern und Geschäftsführung hängt naturgemäß vom Einzelfall ab. Eine ganz andere Frage ist, inwieweit zur Vermeidung des Nichtigkeits- und des Löschungsverfahrens gem. § 75 GmbHG bzw. § 144 FGG eine förmliche Satzungsänderung unter Einhaltung der §§ 53, 54 GmbHG erforderlich ist. Das wird man nur bei wesentlichen nachhaltigen Abweichungen bejahen müssen51. Unabdingbar erscheint ferner die Mitwirkungsnotwendigkeit der Gesellschafter bei einer Vermögensübertragung im Ganzen, selbst wenn unwesentliche Teile bei der Gesellschaft verbleiben. Das GmbH-Gesetz kennt zwar keine dem § 179a AktG entsprechende Vorschrift. Diese findet aber nach heute zumindest überwiegender Ansicht auch im GmbH-Recht Anwendung52. Sind die Grenzen einer satzungsmäßigen Kompetenzerweiterung zugunsten der Gesellschafter damit indessen bindend abgesteckt? Rechtstatsächlich können derartige Satzungsbestimmungen etwa abschließende Zustimmungskataloge sein, jenseits derer die Geschäftsführung freie Hand hat. Im Ergebnis auf gleicher Linie liegen satzungsmäßig enumerativ umschriebene Vorlagepflichten der Gesellschafter. In Betracht kommt weiter eine generelle Zuweisung aller Geschäftsführungsaufgaben, „soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht“. Denkbar ist schließlich auch eine ausdrückliche Ermächtigung der Satzung an die Geschäftsführer, die Organisation der Gesellschaft zu ändern53. Bei Beantwortung der Frage nach den Grenzen einer Kompetenzübertragung auf die Geschäftsführung stößt man auf den Widerstreit zwischen der prinzipiellen Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter und dem personalistischen, gesellschafterbezogenen Leitbild der GmbH. Die Gestaltungsfreiheit der GmbH-Gesellschafter für das Innenrecht, also ihre Beziehungen untereinander, zur Gesellschaft und den anderen Gesellschaftsorganen hat ihren Ausdruck in der „Magna Charta“ des § 45 GmbHG gefunden. Sie bildet einen deutlichen Gegensatz zur inversen Vorschrift des § 23 Abs. 5 AktG. Der Grund: Die GmbH ist nicht kapitalmarktbezogen, sie braucht deshalb auch keine festen Standards für ihre Satzung54. Andererseits wird die GmbH nach ihrer gesetzlichen Konstruktion und der großen Mehrzahl ihrer praktischen Anwendungsfälle von ihren Gesellschaftern dominiert. Dem entspricht es, wenn man heute die Strukturunterschiede zwischen AG und GmbH dahin betont, dass die GmbH dem personalistischen
__________ 50 Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225, 227. 51 Enger wohl Ettinger/Reiff, GmbHR 2007, 617, 618, die eine Abweichung vom satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand auch mit Zustimmung der Gesellschafter für unzulässig halten. 52 Priester in Scholz (Fn. 43), § 53 GmbHG Rz. 177 m. w. N. 53 Reichert (Fn. 2), S. 25, 47. 54 Zur Sicherstellung der Verkehrsfähigkeit der Aktie als ratio legis des § 23 Abs. 5 AktG Pentz in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 23 AktG Rz. 150 m. w. N.
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Strukturtypus zuzurechnen sei55. Ausdruck dafür sind insbesondere die Bestimmung des § 37 GmbHG, aber auch der Katalog des § 46 GmbHG. Nimmt man dabei die vom BGH unterstrichene Nähe der „Holzmüller“-Fälle zur Satzungsänderung als Maßstab, dürfte sich die Waage zuungunsten der Gestaltungsfreiheit neigen. Auch bei der GmbH ist die Satzungsänderung zwingend den Gesellschaftern zugewiesen. Diese Kompetenz kann nicht nur keinem außenstehenden Dritten überlassen werden, sondern auch keinem anderen Gesellschaftsorgan56. Dem entspricht es, dass Ermächtigungen an die Geschäftsführer ausscheiden müssen, für die Gesellschafter Satzungsänderungen vorzunehmen, wenn ihnen dabei ein eigenes Entscheidungsermessen eingeräumt wird. Die ihnen zugedachte Fremdkompetenz würde in eine Eigenkompetenz umschlagen57. Änderungen der Unternehmensstruktur fallen aber auch dann in die Zuständigkeit der Gesellschafter, wenn sie die Satzung unberührt lassen. Deutlichste Beispiele dafür sind die Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz und der Abschluss von Unternehmensverträgen. Für das Umwandlungsrecht ergibt sich das aus § 13 Abs. 1 UmwG, für die Unternehmensverträge des Aktienrechts aus §§ 293 Abs. 1, 23 Abs. 5 AktG, für diejenigen des GmbH-Rechts aus ihrer Rechtsgrundlage in §§ 53, 54 GmbHG58. Damit korreliert, dass die ganz überwiegende Ansicht im Schrifttum zur Begründung der „Holzmüller“-Zuständigkeit eine Gesamtanalogie zu den einzelnen Struktur-Änderungsvorschriften angenommen hat59. Der BGH ist dem zwar in seiner „Gelatine“-Entscheidung nicht gefolgt und hat sich für eine offene Rechtsfortbildung ausgesprochen60. Das könnte aber daraus resultieren, dass er die „Holzmüller“-Doktrin – wie sich inzwischen gezeigt hat – offenbar auf eine Konzernbildungskontrolle beschränken will. Eine solche Beschränkung ist aber, wie bereits dargelegt, jedenfalls für die GmbH abzulehnen61. Gelegentlich heißt es, der Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer könne von der Satzung auch über den Rahmen § 76 Abs. 1 AktG hinaus erweitert werden62. Wenn als Beispiele dazu die Feststellung des Jahresabschlusses oder die Entscheidung über die Ergebnisverwendung genannt werden63, übersteigt das zwar die entsprechenden Befugnisse des Vorstandes: Er ist bei der Abschlussfeststellung an den Aufsichtsrat gebunden (§ 172 AktG), während der
__________ 55 H. P. Westermann in Scholz (Fn. 4), Einl. Rz. 2; ähnlich Grunewald, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2005, Teil 2, Abschn. F Rz. 3; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 1 Rz. 3. 56 Allg. Ansicht, statt vieler: Lutter/Hommelhoff (Fn. 30), § 53 GmbHG Rz. 7. 57 Priester, GmbHR 1992, 584, 587 f. 58 BGH v. 24.10.1988, BGHZ 105, 324, 338 ff. – Supermarkt. 59 Nachw. b. Habersack in Emmerich/Habersack (Fn. 15), Vor § 311 AktG Rz. 39 Fn. 189. 60 BGHZ 159, 30, 42 f. 61 Oben III.2. 62 Lutter/Hommelhoff (Fn. 30), § 37 GmbHG Rz. 1; Paefgen in Großkomm.GmbHG, 2006, § 37 GmbHG Rz. 23. 63 Lutter/Hommelhoff (Fn. 30), § 37 GmbHG Rz. 25 a. E.
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Gewinnverwendungsentscheid außerhalb des § 58 AktG (wo der Aufsichtsrat ebenfalls eingeschaltet ist) den Aktionären zusteht (§ 174 AktG). Das sind aber keine Entscheidungen über die Struktur der Gesellschaft, sondern über wiederkehrende Angelegenheiten. Der BGH hat dies im Otto-Urteil64 in ausdrücklicher Abkehr von seiner früheren Position65 festgehalten: Die Abschlussfeststellung bildet kein Grundlagengeschäft. Im Ergebnis sprechen deshalb die besseren Argumente dafür, den „Holzmüller“Bereich ebenso wie im Aktienrecht66 auch im GmbH-Recht für satzungsfest zu halten67. 2. Reduktion des Mehrheitserfordernisses Zur Satzungsgestaltung im Hinblick auf „Holzmüller“-Fälle stellt sich die weitere Frage, ob der Gesellschaftsvertrag für einschlägige Beschlüsse weniger als Dreiviertel der abgegebenen Stimmen genügen lassen darf. Im Aktienrecht hat der BGH diese Mehrheit für zwingend erklärt und dazu auf § 23 Abs. 5 AktG verwiesen68. Dieser Ansatz taugt bei der GmbH angesichts der hier geltenden Gestaltungsfreiheit nicht. Trotzdem wird man auch im Recht der GmbH zum gleichen Ergebnis kommen. Die Begründung ist allerdings eine etwas andere. Nach ganz allgemeiner Ansicht lässt sich die zur Satzungsänderung erforderliche Mehrheit von Dreiviertel, wie sie § 53 Abs. 2 Satz 2 festlegt, von der Satzung nicht reduzieren. Sie kann erhöht werden, was nicht selten auch geschieht, eine Abmilderung ist dagegen nicht zulässig69. Das GmbH-Recht erweist sich darin generell strenger als das Aktienrecht, das in § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG für den Regelfall der Satzungsänderung außerhalb von Kapitalmaßnahmen die Möglichkeit einer Reduktion auf die einfache Mehrheit zulässt70, wovon die Praxis fleißig Gebrauch macht. Auch in diesem Zusammenhang wirkt sich wieder die Nähe der Strukturänderungen des „Holzmüller“-Bereichs zur Satzungsänderung aus.
V. Unternehmensverträge Für das Aktienrecht steht fest: Beherrschungsverträge berechtigen den anderen Vertragsteil zu Weisungen an den Vorstand der Gesellschaft (§ 308 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die zwingenden Kompetenzen der anderen Gesellschaftsorgane, also
__________ 64 65 66 67
BGH v. 15.1.2007, DB 2007, 564, 565 f.; dazu Wertenbruch, ZIP 2007, 798 ff. BGH v. 29.3.1996, BGHZ 132, 263, 266 = DB 1996, 926. Vgl. Kubis in MünchKomm.AktG (Fn. 39), § 119 AktG Rz. 93. Anders Paefgen in Großkomm.GmbHG (Fn. 62), § 37 GmbHG Rz. 23, freilich ohne nähere Thematisierung. 68 BGHZ 83, 122, 131. 69 Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 53 GmbHG Rz. 52. 70 Wenn auch nicht für den hier interessierenden Fall der Änderung des Unternehmensgegenstandes.
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des Aufsichtsrates – vom Fall des § 308 Abs. 3 AktG abgesehen – und der Hauptversammlung bleiben dagegen unberührt71. Das gilt namentlich für Satzungsänderungen oder Kapitalmaßnahmen. Sie bleiben in der alleinigen Kompetenz der Anteilseigner72. Ob diese Begrenzung des Weisungsrechts auch in „Holzmüller“-Fällen eingreift, ist streitig. Eine Auffassung bejaht die Frage. Es sei anzunehmen, dass die Satzung einer Aktiengesellschaft die „Holzmüller“-Zuständigkeit der Hauptversammlung nicht ausschließen könnte73. Demgegenüber wird von anderer Seite vertreten, Zustimmungserfordernisse bei „Holzmüller“-Maßnahmen auf der Ebene der abhängigen Gesellschaft durch deren Aktionäre seien nicht gegeben74. Zur Begründung heißt es, weder ihre Vermögens- noch ihre Verwaltungsrechte würden in solchen Fällen über das aufgrund des Beherrschungsvertrages ohnehin zulässige Maß hinaus betroffen. Da die Regelung des § 308 AktG nach allgemeiner Ansicht auch für Beherrschungsverträge mit einer GmbH gilt75, stellt sich die Frage bei ihr in gleicher Weise. Die eher spärlichen Aussagen zu dem Thema gehen überwiegend in Richtung auf ein zwingendes Zustimmungserfordernis zu „Holzmüller“-Maßnahmen bei der vertraglich beherrschten GmbH76. Dem ist zuzustimmen. Bei den durch die „Gelatine“-Urteile eng begrenzten „Holzmüller“-Sachverhalten geht es gerade nicht um – und seien es auch außergewöhnliche – Geschäftsführungsakte, sondern um Strukturentscheidungen von satzungsänderungsgleicher Tragweite. Hält man – wie es hier geschieht – bei der unverbundenen Gesellschaft ein Mitgliedervotum solchenfalls für zwingend und satzungsfest, kann das Bestehen eines Beherrschungsvertrages nichts daran ändern. Die Rechtsstellung des (Minderheits-)Gesellschafters wird über das hinaus verändert, was ein derartiger Vertrag auf der Grundlage von § 308 AktG zulässt77. Wie die Definition des Unternehmensgegenstandes weiterhin allein den Anteilseignern zugewiesen ist, muss das auch bei gleichzustellenden Änderungen gelten.
__________ 71 OLG Karlsruhe v. 7.12.1990, AG 1991, 144, 146 – ASEA/BBC; Hüffer (Fn. 8), § 308 AktG Rz. 12. 72 Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 15), § 308 AktG Rz. 42. 73 Sina, AG 1991, 1, 4; Zöllner, ZGR 1992, 173, 185; Liebscher, ZGR 2005, 1, 32. 74 Sieger/Hasselbach, AG 1999, 241, 245 f.; ihnen abweichend von seiner Voraufl. folgend Krieger in MünchHdb.GesR (Fn. 16), § 70 Rz. 151; Fuhrmann, AG 2004, 339, 342. 75 Etwa: OLG Nürnberg v. 9.6.1999, AG 2000, 228, 229 – WBG; Lutter/Hommelhoff (Fn. 30), Anh. § 13 GmbHG Rz. 34; Zöllner in Baumbach/Hueck (Fn. 3), SchlAnhKonzernR Rz. 64 f. 76 OLG Stuttgart v. 29.10.1997, AG 1998, 585, 586: „jedenfalls bei ganz außergewöhnlichen Geschäftsführungsentscheidungen, wie etwa der Veräußerung wesentlicher Unternehmensteile“; zust. Rottnauer, NZG 1999, 337 ff.; Zöllner, ZGR 1992, 173, 185; Reichert, AG 2005, 150, 159. 77 A. M. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, Anh. § 13 GmbHG Rz. 52.
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VI. Fazit Es hat sich bestätigt: Die GmbH ist keine „holzmüller“freie Zone – ein Befund übrigens, an dem wegen seiner binnenrechtlichen Zuordnung auch das sonst so grundstürzende MoMiG78 nichts ändern wird.
__________ 78 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), RegE v. 23.5.2007.
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Gestaltungsfreiheit im Mitbestimmungsrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Reform des gesetzlichen Mitbestimmungsstatuts 1. Rechtfertigung des geltenden Gesetzesrechts 2. Zukunftsfähigkeit der Mitbestimmung 3. Bereinigungen des geltenden Rechts 4. Änderung des Wahlverfahrens 5. Festhalten am geltenden Recht
III. Mitbestimmungsvereinbarungen 1. Grundlagen 2. Konzernstrukturen 3. Auslandsgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz 4. Größe des Aufsichtsrats 5. Einbeziehung ausländischer Arbeitnehmer 6. Verhandlungspartner IV. Zur Gesamtwürdigung
I. Einleitung Harm Peter Westermann hat sich nie ausführlich zur Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat geäußert. Aber er hat sich, beginnend schon mit seiner Habilitationsschrift „Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften“ von 1970, stets für die Gestaltungsfreiheit bei der inneren Ordnung von Handelsgesellschaften und wirtschaftlichen Unternehmen eingesetzt. Daher darf man vermuten, dass er auch den Plänen Sympathie entgegenbringt, die Mitbestimmung durch privatautonome Vereinbarung zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern abweichend vom Gesetz zu regeln und die Mitbestimmungsgesetze dafür zu öffnen. So mögen Gedanken dazu aus aktuellem Anlass sein Interesse finden. Erste Schritte zur Flexibilisierung des Mitbestimmungsrechts vollzog, wie man weiß, der europäische Gesetzgeber, nachdem sich in langjährigen Bemühungen herausgestellt hatte, dass eine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten auf ein gemeinsames Mitbestimmungsstatut nicht erreichbar sein würde, und er deshalb den Ausweg fand, nur noch eine Verfahrensstruktur vorzugeben. Nachdem eine solche Lösung erstmals in der Richtlinie über die Europäischen Betriebsräte von 1994 realisiert worden war, empfahl sie der Bericht der Sachverständigengruppe „European System of Worker Involvement“ (der „Davignon Report“) auch für die unternehmerische Mitbestimmung in der Europäischen Gesellschaft, für die sie dann auf der Gipfelkonferenz von Nizza aufgegriffen wurde. Auch die Richtlinie über die transnationale Fusion von Unternehmen beschritt den gleichen Weg. Insoweit ist nicht nur die Möglichkeit, Mitbestimmungsvereinbarungen abzuschließen, sondern sogar die Aufforderung des europäischen Gesetzgebers dazu, auch in Deutschland geltendes Recht. Nichts anderes wird nach dem Entwurf der vorbereiteten Richtlinie künftig für die transnationale Sitzverlegung gelten. 1295
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In Deutschland gilt demgegenüber noch das zwingende Recht des Mitbestimmungsgesetzes und des Drittelbeteiligungsgesetzes. Doch mehrten sich seit Ende der 1990er Jahre die Stimmen, welche eine ähnliche Öffnung des Mitbestimmungsrechts forderten, und auch die großen Wirtschaftsverbände1 und die Gewerkschaften2 machten sich das Ziel, Mitbestimmungsvereinbarungen auch in Deutschland zuzulassen, jedenfalls im Grundsatz, zu eigen. Allerdings haben die Verbände inzwischen die Hoffnung zerstört, dass sie sich auf ein einverständliches Reformkonzept einigen könnten, weil beide Seiten sich jeweils nur auf solche Vereinbarungen einlassen wollten, die ihre eigene Position stärken. Auf diesem Grund ist es entgegen der sonst gepflegten Übung und trotz aller Bemühungen schon auf dem 66. Deutschen Juristentag im September 2006 nicht gelungen, eine Einigung zu erzielen, weshalb dann schließlich auf eine Abstimmung verzichtet werden musste. Auch die im Frühjahr 2005 noch von der Regierung Schröder eingesetzte und von der großen Koalition ein halbes Jahr später bestätigte Kommission „zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung“ ging ohne gemeinsames Ergebnis auseinander. So entschlossen sich die drei unabhängigen und nur der Wissenschaft verpflichteten Mitglieder der Kommission, Ministerpräsident a. D. Professor Dr. Kurt Biedenkopf, Präsident des Bundesarbeitsgerichts a. D. Professor Dr. Helmut Wissmann sowie Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Professor Dr. Wolfgang Streeck einen Sonderbericht zu formulieren, zu dem dann die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Stellung nehmen konnten3. Die Öffnung der Mitbestimmungsgesetze für davon abweichende unternehmensspezifische Vereinbarungen steht auch im Vordergrund dieses Berichts und namentlich der darin ausgesprochenen Empfehlungen der drei wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission. Ihre Ausführungen rechtfertigen es, sich im Folgenden kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.
II. Reform des gesetzlichen Mitbestimmungsstatuts 1. Rechtfertigung des geltenden Gesetzesrechts Zu Beginn sind einige Bemerkungen zu der von den drei wissenschaftlichen Kommissionsmitgliedern vorgeschlagenen Reform der gesetzlichen Regelungen angebracht. Die von namhaften Stimmen in der Wissenschaft4 unterstützte Hauptforderung der Wirtschaftsverbände ging bekanntlich dahin, die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte von Großunternehmen nach dem Mitbestimmungsgesetz ganz aufzugeben und auf eine Drittelbeteiligung der Arbeit-
__________ 1 Vgl. den Bericht der von BDA und BDI eingesetzten Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 34 ff. 2 Stellungnahme des DBG-Bundesvorstands zu dem BDA/BDI-Bericht, 2004, S. 11. 3 Der Bericht nebst den Stellungnahmen wurde im Dezember 2006 abgeschlossen und ist über das Bundesarbeitsministerium zu beziehen. 4 Vgl. zuletzt Rebhahn, Referat in der arbeitrechtlichen Abteilung des 66. Deutschen Juristentags, 2006.
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Gestaltungsfreiheit im Mitbestimmungsrecht
nehmer zurückzuführen. Die Forderung stützte sich im Kern auf zwei Argumente: zum einen auf die Behauptung, die paritätische Mitbestimmung habe negative Auswirkungen auf die Entscheidungsprozesse in den Unternehmen und daher auf deren wirtschaftlichen Erfolg und auf den Wert ihrer Anteile, zum zweiten, sie sei in Europa und in der Welt einzigartig, werde daher im Ausland nicht verstanden, schrecke ausländische Investoren ab, veranlasse deutsche Unternehmen zur Abwanderung in das Ausland und sei so ein Standortnachteil Deutschlands im internationalen Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen. Von Seiten der Gewerkschaften wird demgegenüber gerade auch die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte als Erfolgsmodell beschrieben, dessen Ausweitung sich empfiehlt und das einen Exportartikel Deutschlands darstellt. Der Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission geht mit überraschender Entschiedenheit davon aus, dass das Mitbestimmungsgesetz ebenso wie das Drittelbeteiligungsgesetz geltendes Recht darstellen, dessen Änderung nur soweit zu empfehlen ist, als zwingende Gründe sie notwendig machen. Eine solche Lage sehen sie hinsichtlich der Grundkonzeption nicht eingetreten. Gleich zu Beginn, fast als Motto, heißt es in dem Bericht ausdrücklich, die drei Wissenschaftler sehen keinen Grund, eine grundlegende Revision der deutschen Unternehmensmitbestimmung vorzuschlagen, und zwar auch und gerade unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen. Stattdessen empfehlen die Wissenschaftler nur eine gewisse Weiterentwicklung des geltenden Rechts auf der Basis der damit in den vergangenen dreißig Jahren gemachten Erfahrungen sowie eine Anpassung an die inzwischen vielfältig veränderten institutionellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, um sie zukunftsfähig zu machen5. In diesem Ansatz liegt eine folgenreiche Beschränkung der von den Verfassern eingenommenen Perspektive. Der deutsche Gesetzgeber ist danach, anders als bei der Vorbereitung des Mitbestimmungsgesetzes in den 1970er Jahren, nicht veranlasst, die Unternehmensverfassung neu zu bedenken und zu gestalten. Er braucht die damals angestellten grundsätzlichen Erwägungen zur Begründung und Rechtfertigung der paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte von Großunternehmen, die gesetzlichen Sitzgarantien zugunsten der leitenden Angestellten, die zwingenden Vorschlagsrechte der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften für zwei oder drei Aufsichtsratssitze und das Pattauflösungsverfahren durch die Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht erneut aufzurollen, sondern kann sie grundsätzlich als gegeben hinnehmen. Stattdessen muss er nur gewisse Defizite reparieren, die sich in der Zwischenzeit herausgestellt haben oder in der Zukunft abzeichnen. Die Beweislast für die Notwendigkeit der Reparatur und Fortentwicklung liegt bei denen, welche diese verlangen.
__________ 5 Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der „Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung“, 2007, S. 12.
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Mit dem Ausgangspunkt tragen die Autoren dem ihnen erteilten Auftrag Rechnung, vor allem aber auch dem Umstand, dass das Mitbestimmungsgesetz 1976 im Deutschen Bundestag mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde und eine grundsätzliche politische Neuorientierung angesichts der gegenwärtigen Konstellation in Deutschland wenig wahrscheinlich erscheint. Auch folgen sie dem Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1979, das schon damals ausführte, der Gesetzgeber sei zur Nachbesserung nur, aber auch dann, verpflichtet, wenn sich die positiven Prognosen als falsch erweisen, mit denen der Gesetzgeber das Mitbestimmungsgesetz entgegen den Befüchtungen der Arbeitgeber begründet hatte6. In dieser Sicht verblasst auch die alsbald erhobene Kritik, die Auswahl der wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder und namentlich ihres Vorsitzenden sei so erfolgt, dass kaum ein anderes Ergebnis erwartet werden konnte. Immerhin muss der Ansatz bei der Bewertung der Empfehlungen berücksichtigt werden. Er steht in deutlichem Gegensatz zu den Argumentationsmustern, mit denen die Arbeitgeber die Reformbedürftigkeit des Gesetzes begründet hatten, denn diese stellten die Rechtfertigung der paritätischen Mitbestimmung erneut grundsätzlich in Frage7. Für die Beurteilung der Notwendigkeit von Reformen und ihres Ausmaßes ist der Ausgangspunkt entscheidend. Denn ob das Gesetz grundsätzliche Mängel aufweist und negative Auswirkungen gehabt hat, welche seine günstigen Wirkungen überwiegen und daher eine Reform notwendig machen, ist vor aller Bewertung eine Frage des Tatsachenbeweises, dessen Scheitern zu Lasten dessen geht, der die Beweislast trägt. Und auch die Prognose künftiger Nachteile muss die Seite wahrscheinlich machen, welche sich darauf beruft. Ungeachtet dieses methodischen Ausgangspunkts fällt immerhin auf, mit welcher Ausführlichkeit die Kommission selbst den Argumenten und den dazu vorgelegten Belegen nachging, welche von Seiten der Arbeitgeber unter Berufung auf empirisch-wissenschaftliche Untersuchungen gegen die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte ins Feld geführt werden8. Sie beschäftigte sich ausführlich u. a. mit den behaupteten Nachteilen für die Gewinnsituation der Unternehmen, mit der Behauptung, die paritätische Mitbestimmung bilde ein Hindernis für die Umwandlung von Familienunternehmen in Kapitalgesellschaften, mit dem Einwand, die Kompetenz der Arbeitnehmervertreter für Führungsentscheidungen lasse zu wünschen übrig, mit den Argumenten, der Wunsch nach Ernennung oder Vertragsverlängerung veranlasse Mitglieder des Managements zu Kompensationsgeschäften mit den Arbeitnehmern, ferner, mitbestimmte deutsche Unternehmen müssten auf den internationalen Kapitalmärkten einen Mitbestimmungsabschlag hinnehmen, schließlich nicht zuletzt mit dem Argument, ungeachtet des Übergangs der Industriegesellschaft
__________ 6 BVerfGE 50, 290, 331 ff., 377 und durchgehend. 7 BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 39 f.; vgl. auch Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation?, in Bitburger Gespräche 2006/I, S. 35 ff. 8 BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 12–19.
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zu einer wissensbasierten Produktionsweise reiche die betriebliche Mitbestimmung aus, den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Sie zog dazu nicht nur das vorhandene Schrifttum ausführlich heran, sondern befragte auch selbst Sachverständige und prüfte die Wahrnehmung der Mitbestimmung durch Führungskräfte und leitende Angestellte in den betroffenen Unternehmen. In allen Fällen kommen die drei wissenschaftlichen Verfasser des Berichts nun aber zu dem Ergebnis, die vorhandenen empirischen Untersuchungen könnten den Nachweis schädlicher Auswirkungen der paritätischen Mitbestimmung nicht führen, und zwar, obgleich sich die Forschungsmethoden inzwischen nachhaltig verbessert haben. Es gebe Gegenbeispiele und jedenfalls keine ausreichenden Belege. Politisch wirkt sich der Ausgangspunkt zugunsten der Arbeitnehmer aus. Insbesondere stellt er die im Mitbestimmungsgesetz verankerten Beteiligungsrechte der leitenden Angestellten und ausschließlichen Vorschlagsrechte der Gewerkschaften nicht in Frage, sondern bestätigt sie. Nur soweit die Gewerkschaften als Ziel der Reform über das geltende Recht hinausgehende Mitbestimmungsrechte und Einflussmöglichkeiten gefordert hatten, gehen sie leer aus. Die Darlegungslast bezüglich der von den Arbeitgebern verlangten Reduzierung der Mitbestimmung auf die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer am Aufsichtsrat fällt hingegen ausschließlich diesen selbst zur Last. In den gesetzlichen Vorschriften bleibt also im Kern alles so wie es ist. Man wird behaupten können, der Auftrag der Kommission hätte auch einen offeneren Ansatz erlaubt9. Doch war es gewiß realistisch, wenn sich auch die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission von dem Gedanken leiten ließen, am geltenden Recht so wenig wie möglich zu rütteln, weil sie auf diesem Weg am ehesten die Chance sahen, politische Resonanz zu finden und wenigstens mit ihrem Hauptanliegen, der Flexibilisierung des Mitbestimmungsrechts, durchzudringen. 2. Zukunftsfähigkeit der Mitbestimmung Wie die drei der Kommission angehörenden Wissenschaftler die Zukunftsfähigkeit des geltenden Rechts beurteilen, ergibt sich eindrucksvoll vor allem auch aus ihren eigenen, am Schluss des Gutachtens ausgeführten Prognosen10. Der Bericht versteht das Unternehmen, wie schon der Mitbestimmungsbericht von 1970 und die damalige wissenschaftliche Diskussion, als Sozialverband von Kapitalanlegern, Arbeitnehmern und Leitungsorganen11. Er verweist auf voraussehbare gesellschaftliche Veränderungen, welche auch die innere Struktur dieses Verbandes verändern. So schreiben sie, die demographische Entwicklung und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit werden dazu führen, dass der Anteil jüngerer Arbeitnehmer schrumpft und älterer zunimmt. Zugleich
__________
9 Vgl. meine breiter angelegten Erwägungen in Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen, Gutachten für den 66. DJT, 2006, S. B 67 ff. 10 S. 48–54. 11 S. 48 ff.
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werde der Übergang von der herkömmlichen industriellen zur wissensbasierten Produktion Mangel an gut ausgebildeten und kreativen Mitarbeitern erzeugen, was deren Mobilität, Wettbewerbschancen und folglich Stellung im Unternehmen auch im Verhältnis zur Unternehmensleitung und zu den Anteilseignern und Kapitalgebern stärkt12. Angesichts solcher Entwicklungen sei mit wachsenden Problemen und Spannungen in den Unternehmen zu rechnen, zu deren Bewältigung auch das Zusammenwirken von Unternehmensführung und Trägern der Mitbestimmung zunehmend notwendig werde. Außerordentlich kritisch beurteilen die Autoren ferner das Wachstum der internationalen Finanzmärkte. Diese drohen, wie sie meinen, außer Kontrolle zu geraten. Finanzinvestoren (share trader) lassen sich bei ihren Entscheidungen nicht von dem langfristigen unternehmerischen Erfolg leiten, sondern von der Absicht, durch Kauf und Verkauf, Erwerb und Veräußerung von Unternehmen oder Unternehmensteilen kurzfristig Marktrenditen zu erzielen, welche die Unternehmen schwächen, nicht selten in die Insolvenz treiben und auch die Vorstände dazu nötigen, sich auf derartige kurzfristige Renditeziele einzulassen. Die Autoren sehen schwerwiegende negative Auswirkungen derartiger Veränderungen des Kapitalinteresses auf den inneren Zusammenhalt der Unternehmen und auf ihre Fähigkeit zur optimalen Entfaltung ihrer kreativen Kräfte. Sie verführen nach ihrer Diagnose auch die Leistungsträger in den Unternehmen zur Ausbildung unternehmensfremder Interessen. Demgegenüber bietet die Mitbestimmung nach ihrer Überzeugung bei entsprechender Handhabung Möglichkeiten, auf Unternehmensübernahmen Einfluss zu nehmen, sofern sie nicht den langfristigen Anlageinteressen dienen, sondern den kurzfristigen Interessen der share-trader, und damit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung der Unternehmen und ihrer Belegschaften entgegenlaufen13. 3. Bereinigungen des geltenden Rechts Bei einer solchen Beurteilung der gegenwärtigen Lage und der Zukunftsprognose verwundert es nicht, dass die Wissenschaftler nur in wenigen Einzelheiten Anlass sehen, eine Änderung der geltenden Mitbestimmungsgesetze zu empfehlen. Zunächst geht es ihnen um die Bereinigung von gewissen Unstimmigkeiten zwischen dem Mitbestimmungsgesetz und dem Drittelbeteiligungsgesetz: So soll das Mitbestimmungsgesetz auf Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit erstreckt werden; in der Konzernmitbestimmung sollte die Zurechnung der Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften zum herrschenden Unternehmen in beiden Gesetzen unter gleichen Voraussetzungen stattfinden, d. h. auch im Geltungsbereich des DrittelbG nicht nur im Vertragskonzern, sondern auch im faktischen Konzern. Unter den Voraussetzungen des § 4 MitbestG soll auch nach dem DrittelbG die Komplementärgesellschaft mitbestimmungspflichtig werden, wenn sie zusammen mit der als Personengesell-
__________ 12 Vgl. die exponierte Formulierung S. 51: „Das Kapital im Unternehmen ist ohne Verbindung mit Wissen und Können wertlos“. 13 S. 53.
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schaft verfassten Hauptgesellschaft mehr als fünfhundert Arbeitnehmer beschäftigt. Die Berichtspflichten des Aufsichtsrats nach § 90 AktG sollten in der mitbestimmten GmbH nicht geringer sein als bei der AG. Schließlich: die Mitbestimmungspflicht bei den so genannten Altgesellschaften in der Rechtsform der AG mit weniger als 500 Arbeitnehmern sollte beseitigt werden. Sind die bisher aufgelisteten Änderungsempfehlungen allein durch das Bedürfnis nach innerer Stimmigkeit des Mitbestimmungsrechts gerechtfertigt, so bezweckt ein weiterer Vorschlag die Beseitigung fortdauernder Unsicherheiten bei der Anwendung des geltenden Rechts. Die Autoren empfehlen klarzustellen, dass in den unter das Mitbestimmungsgesetz fallenden Unternehmen auch entscheidende Aufsichtsratsausschüsse paritätisch besetzt sein müssen, unter Beibehaltung der Zweitstimme der Ausschussvorsitzenden im Fall der Stimmengleichheit. Bei Drittelbeteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat muss mindestens ein Ausschussmitglied ein Arbeitnehmervertreter sein. Beide Empfehlungen gehen über die durch die Judikatur des Bundesgerichtshofs geschaffene Rechtlage hinaus, denn diese verlangt nur eine diskriminierungsfreie Besetzung14. In beiden Fällen sollen allerdings abweichende Vereinbarungen zulässig werden. 4. Änderung des Wahlverfahrens Am tiefsten greift die Empfehlung, das gesetzliche Verfahren für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu vereinfachen, in das geltende Recht ein. Die Verfasser schlagen vor, die im Mitbestimmungsgesetz vorgesehene Urwahl durch alle Belegschaftsmitglieder oder die Wahl durch eine zu diesem Zweck einberufene Delegiertenversammlung abzuschaffen und die Wahl stattdessen einer Versammlung der Betriebsratsmitglieder des Unternehmens und der Mitglieder der Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten zu übertragen. Dabei soll es im Fall des Mitbestimmungsgesetzes an der Garantie eines Sitzes für die leitenden Angestellten und an den exklusiven Vorschlagsrechten für zwei oder drei Sitze zugunsten der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften bleiben. Die Verfasser begründen die Empfehlung mit der im Vorfeld der Reformforderungen von Seiten der Arbeitgeber oft geäußerten Kritik am geltenden Recht, die Urwahl und vor allem die Wahl durch Delegierte seien unnötig kompliziert, langwierig und teuer. Sachlich seien Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung „zwei einander ergänzende Subsysteme der Arbeitnehmerbeteiligung, die übereinstimmend den Schutz von Arbeitnehmerbelangen in Entscheidungsprozessen des Unternehmens bezwecken“15. Eine Trennung beider Ebenen sei daher von Gesetzes wegen nicht geboten, sondern habe nur technische Gründe. In der Praxis rekrutierten sich die unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder der
__________ 14 BGHZ 122, 342. 15 S. 27 f.
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Arbeitnehmer ohnehin in aller Regel aus den betrieblichen Arbeitnehmervertretungen16. Diese Begründung kann nur überzeugen, wenn man einer einfachen und pragmatischen Lösung den Vorzug vor einem folgerichtigen und systemgerechten Verfahren gibt. Denn nach ihren Grundgedanken verfolgen Betriebsverfassung und Aufsichtsratsmitbestimmung gerade nicht die gleichen Zwecke. Die Aufgaben der Betriebsräte richten sich unmittelbar auf die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen gegenüber der Unternehmensleitung, während die Aufsichtsräte selbst Teil der Unternehmensleitung und deren Mitglieder ausschließlich dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind17. Noch schwerer wiegt der Einwand, nach dem Sinn der Mitbestimmung sollen Arbeitnehmer durch ihre gewählten Vertreter an der Leitung der Unternehmen beteiligt werden, von deren Entscheidungen sie betroffen sind. Werden diese durch ein kleines, seinerseits weitgehend exklusives Auswahlgremium bestellt, anstatt ihr Amt auf eine allgemeine Wahl stützen zu können, leidet ihre Position an einem schwerwiegenden Legitimationsdefizit. Es verwundert daher nicht, dass der Punkt eine der Ursachen war, weshalb sich die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in der Kommission nicht einigen konnten, denn während die Vertreter der Arbeitnehmer den Rückgriff auf die Betriebsräte und Mitglieder der Sprecherausschüsse begrüßten18, widersprachen ihr die Vertreter der Unternehmen in ungewöhnlicher Schärfe mit der Begründung, sie verstärke die ohnehin problematische Kumulation der betrieblichen und der unternehmerischen Mitbestimmung. Lieber zogen sie ein Festhalten an der Urwahl vor19. Letztlich wird in solcher Lage der Gesetzgeber zu entscheiden haben, ob der pragmatische Aspekt der Vereinfachung und der Kostenersparnis die aus den Unterschieden der Funktion und Interessenrichtung fließenden grundsätzlichen Bedenken überwiegt20. 5. Festhalten am geltenden Recht Aufschlussreich und im Sinn der von den wissenschaftlichen Mitgliedern der Kommission verfolgten Linie kennzeichnend sind weiter die Punkte, zu denen sie eine Änderung des geltenden Rechts, zum größeren Teil entgegen der Forderungen der Gewerkschaften, ausdrücklich ablehnen. Das gilt zunächst für die Abschaffung der Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden, wenigstens bei Verfahrensentscheidungen. Mit Recht äußern die Autoren insoweit verfassungsrechtliche Bedenken, welche die Gefahr neuer, möglicherweise erfolgreicher gerichtlicher Auseinandersetzungen nach sich ziehen würden. Sachlich sehen sie in einer Abschaffung der Zweitstimme des Vorsitzenden nur einen
__________ 16 S. 27. 17 Vgl. mein Gutachten für den 66. DJT (Fn. 9), S. B 81 bzgl. der Wahl des Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer. 18 BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 73. 19 BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 61. 20 Vgl. meine gegenteilige Stellungnahme im Gutachten für den 66. DJT (Fn. 9), S. B 95 ff.
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geringen Vorteil, denn einen Verzicht darauf und Vereinbarungen darüber, wenigstens ad hoc, schließt schon das geltende Recht nicht aus. Weiter verweigern sich die Wissenschaftler den Wunsch der Gewerkschaften, die Bestellung des Arbeitsdirektors an eine Zustimmung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu binden. Insoweit wollen sie das Gesetz nicht einmal für vertragliche und damit bindende und erforderlichenfalls klagbare Absprachen öffnen. Zu Recht, denn die Arbeitsdirektoren sind reguläre Mitglieder des Vorstands, der nach § 76 AktG das Unternehmen in eigener Verantwortung und unabhängig von Weisungen leitet. Eine Abhängigkeit von Sonder- oder Vetorechten der Arbeitnehmervertreter bei der Bestellung würde ihre unverzichtbare Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse aushöhlen, weshalb sich der Gedanke schon im geltenden Mitbestimmungsgesetz nicht durchsetzen konnte. In der Praxis, so fügen die Kommissionsmitglieder immerhin hinzu, werde sich die Bestellung eines Arbeitsdirektors kaum gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durchsetzen lassen und bewähren21. Im Zusammenhang mit § 111 Abs. 4 AktG halten die wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder nichts davon, einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte durch Gesetz festzulegen. Stattdessen empfehlen sie im Einklang mit dem geltenden Recht und mit den Regelungen des Deutschen Corporate Governance Kodex nur, entsprechende Zustimmungsvorbehalte unternehmensintern vorzusehen, und halten insoweit auch nicht rechtsverbindliche Absprachen zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern für möglich und zweckmäßig. Schließlich verweigerten sich die Verfasser zwei weiteren Forderungen der Gewerkschaften, welche die Angleichung des vom Aktiengesetz abweichenden und den Einfluss der Mitbestimmung mindernden Rechts der GmbH an das Aktenrecht betreffen: der Beseitigung der Weisungsbefugnis der Anteilseignerversammlung gegenüber den Geschäftsführern sowie der Wahl der Geschäftsführer durch die Gesellschafterversammlung in den Fällen des Drittelbeteiligungsgesetzes. In beiden Fällen stützen sie sich mit Recht auf die Erwägung, derartige Änderungen würde die Struktur der GmbH in einer Weise verändern, die durch das Mitbestimmungsrecht weder geboten noch auch nur gerechtfertigt sei22.
III. Mitbestimmungsvereinbarungen 1. Grundlagen Rechtfertigt sich das Festhalten an der paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte dadurch, dass sie in den Augen der wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder keine grundlegenden Mängel aufweist sowie in Zukunft auch als Gegengewicht gegen die Volatilität des Kapitals und die damit verfolgten unter-
__________ 21 S. 45. 22 S. 46 f.
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nehmensfremden Interessen wirken kann, so brauchen in der Tat nur Schwächen beseitigt zu werden, welche die Erfüllung der ihr auf solche Weise zugedachten Aufgaben beeinträchtigen. Die Verfasser des Berichts sehen die Chance dazu außer in den dargelegten, in der Summe eher geringsfügigen Eingriffen in das geltende Recht in erster Linie in dessen Öffnung für unternehmensspezifische Vereinbarungen, welche den unterschiedlichen Bedürfnissen der Unternehmen Rechnung tragen können. Sie folgen damit dem Vorbild der für die Europäische Gesellschaft gefundenen Lösung. Zugleich tragen sie den Wünschen Rechnung, die in der vorausgegangenen Reformdiskussion sowohl von Seiten der Arbeitgeber23 als auch der Gewerkschaften24 und in der Wissenschaft25 vielfach geäußert wurden und die auch in der Kommission selbst ungeachtet aller verbliebenen Meinungsverschiedenheiten jedenfalls in Grundsatz sowohl von den Vertretern der Unternehmen als auch der Arbeitnehmer gebilligt wurden26. Rechtssystematisch ist die Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen auch deshalb zu begrüßen, weil sie eine Parallele zu Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen bildet und wie diese Ausdruck der sozialen Marktwirtschaft sind, die auf der grundsätzlichen Selbstorganisation der Wirtschaft beruht. Zudem folgt sie rechtstechnisch dem alten, sowohl im Vertragsrecht als auch im Organisationsrecht vertrauten Prinzip des Verzichts auf zwingendes zugunsten dispositiven Rechts27. In dieser Konstellation konnten die wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder hoffen, die Öffnung der Mitbestimmungsgesetze für Verhandlungslösungen werde am ehesten auch das Ohr des Gesetzgebers erreichen. Allerdings ließ sich die Regelung des europäischen Rechts wegen der anderen Ausgangslage nicht ohne Modifikationen übernehmen. Vielmehr mussten für wichtige Einzelfragen neue Lösungen gefunden werden, die selbstverständlich ihrerseits der wissenschaftlichen und praktischen Kritik ausgesetzt sind und standhalten müssen. Die Durchschlagskraft der Vorschläge ist auch dadurch gemindert, dass auch insoweit alle Versuche misslangen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter für eine gemeinsame Lösung insbesondere hinsichtlich der Reichweite der Freiheit zu vom Gesetz abweichenden vertraglichen Regelungen zu gewinnen. Stattdessen fanden sich beide Seiten auch hierzu gleichermaßen nur bereit, solche Vereinbarungen zu akzeptieren, von denen sie
__________ 23 BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 34 ff. 24 Stellungnahme des DBG-Bundesvorstands zum BDA/BDI-Bericht, 2004, S. 11. 25 Vgl. statt aller den Bericht „Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, Bilanz und Perspektiven“ der von der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler Stiftung ins Leben gerufenen Kommission Mitbestimmung, 1998, S. 3 f., 121 ff.; Rieble in Rieble (Hrsg.), Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, 2004, S. 31 ff.; Götz, AG 2002, 552; Fleischer, AcP 204 (2004), 502, 540 f.; sowie mein Gutachten für den 66. DJT (Fn. 9), S. B 57 f. 26 Stellungnahmen der Vertreter der Unternehmen zum Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Mitbestimmungskommission, ebd S. 56, und der Vertreter der Arbeitnehmer, S. 69 f. 27 So schon mein Gutachten für den 66. DJT (Fn. 9), S. B 67.
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sich eine Stärkung ihrer eigenen Position erhofften, die Vertreter der Unternehmen also eine Minderung des Mitbestimmungseinflusses, die Gewerkschaften eine Verstärkung. Es ist bekannt, dass darin einer der Hauptgründe zu suchen ist, weshalb die Kommission sich nicht auf ein gemeinsames Gutachten verständigen konnte. Die drei wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission widerstanden dank ihrer Unabhängigkeit erfolgreich dem von beiden Sozialpartnern ausgeübten Druck, nur einseitige vertragliche Änderungen des gesetzlichen Mitbestimmungsstatuts zuzulassen. Sie beharren mit Recht durchgehend und entschieden darauf, dass Vereinbarungen sowohl „nach oben“ als auch „nach unten“ möglich sein müssen. In diesem Punkt liegt nach aller Voraussicht sachlich wie auch politisch wohl die wichtigste Leistung ihres Berichts. Im Übrigen zogen sie aus der schwierigen Lage die Konsequenz, auch bezüglich der Zulässigkeit und Reichweite von Mitbestimmungsvereinbarungen sich möglichst wenig vom Gesetz zu entfernen. So greifen sie nur die drei am nachhaltigsten gerügten Schwächen des geltenden Rechts auf: die starre Anwendung der Mitbestimmungsgesetze auf Konzernstrukturen, die von dem Mitbestimmungsgesetz zwingend vorgeschriebene Größe des Aufsichtsrats und die nach geltendem Recht ausgeschlossene Einbeziehung von im Ausland beschäftigen Arbeitnehmern in die Mitbestimmung. Auch der Ausgestaltung der Einzelheiten, insbesondere des Wahlverfahrens28, setzen sie einen engen Rahmen. Ferner beschränken sie die rechtstechnische und dogmatische Einordnung der Mitbestimmungsverträge auf die mehrfach wiederholte Formulierung, es handele sich um Kollektivverträge eigener Art, auf die das Tarifvertragsgesetz nicht anwendbar sei, die also vor allem nicht durch Streik durchgesetzt werden können. Ihre Laufzeit solle durch den Vertrag selbst bestimmt werden29. Immerhin schaffen diese spärlichen Äußerungen ein, wenngleich schwaches, Gerüst, welches in Wissenschaft und Rechtsprechung inhaltlich und dogmatisch ausgebaut werden kann und muss. 2. Konzernstrukturen Die für Konzerne unbefriedigende Regelung der Mitbestimmung sowohl nach dem Mitbestimmungsgesetz als auch nach dem Drittelbeteiligungsgesetz ist seit langem bekannt. So steht grundsätzlich außer Frage, dass bei gemeinsamer Leitung einer Vielzahl von abhängigen Gesellschaften durch ein herrschendes Unternehmen die Mitbestimmung im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens lokalisiert werden muss, in dem die für den ganzen Konzern ausschlaggebenden Entscheidungen fallen, und dass für die Berechnung der für die Anwendung der Gesetze maßgeblichen Schwellenwerte folgerichtig alle in den Konzerngesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer dem herrschenden Unter-
__________ 28 Dazu unten 5. 29 S. 21 bezüglich der Regelung von Konzernstrukturen, S. 23 zur Größe des Aufsichtsrats, S. 36 zur Einbeziehung ausländischer Arbeitnehmer.
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nehmen zugerechnet werden müssen30. Dadurch entfällt nach geltendem Recht die Mitbestimmung in den Tochtergesellschaften jedoch nicht, sofern diese selbst die Anwendungsvoraussetzungen der Gesetze erfüllen, was zu einer Häufung von Mitbestimmungsrechten in Aufsichtsräten führt, welche keine wesentlichen Entscheidungsbefugnisse ausüben. Auf der anderen Seite läuft die Ansiedelung der Mitbestimmung im herrschenden Unternehmen ins Leere, wenn dieses selbst nicht mitbestimmungspflichtig ist oder im Ausland liegt und daher von dem deutschen Gesetzgeber nicht erreicht werden kann. Die in § 5 Absatz 3 MitbestG für solche Fälle angeordnete Regelung, wonach die Mitbestimmung dann in dem der Konzernspitze am nächsten stehenden deutschen Unternehmen eingerichtet werden muss, war von Anfang an eine politisch zwar unvermeidliche, funktional aber sachwidrige Notlösung. Die schiefe gesetzliche Vorgabe war, wie man weiß, schon bisher Gegenstand meist verdeckter Vereinbarungsregelungen contra legem. Die wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder greifen die Kritik auf und empfehlen, hierzu abweichende Vereinbarungen künftig formell zuzulassen, insbesondere auch einen Verzicht auf die wirkungsschwache Mitbestimmung in einem Konzerntochterunternehmen zugunsten der Konzernebene, auf der die auch für dieses maßgeblichen Entscheidungen getroffen werden31. Auch wenn es sich bei der Konzernspitze um ein ausländisches Unternehmen handelt, soll eine Öffnungsklausel gleichartige unternehmensspezifische Regelungen ermöglichen, sofern das ausländische Unternehmen zustimmt32. 3. Auslandsgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz Bezüglich der viel umstrittenen Mitbestimmung in Auslandsgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz stellen die Autoren fest, dass es bisher nur sechs derartige Gesellschaften gibt, welche mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen und daher unter das Drittelbeteilungsgesetz fallen würden, wenn sie insoweit dem deutschen Recht unterliegen würden. Hinzukommen weitere elf, in denen eine ausländische Kapitalgesellschaft persönlich haftende Gesellschafterin ist, davon neun mit mehr als 2000 Arbeitnehmern33. Diese könnten nur dann mitbestimmungspflichtig gemacht werden, wenn zusätzlich die Zurechnungsvorschrift des § 4 MitbestG auf sie erstreckt wird. Die Verfasser sind der Ansicht, dass diese Zahl zu gering ist, die oft geäußerte Befürchtung einer verbreiteten „Flucht aus der Mitbestimmung“ zu untermauern und den Gesetzgeber zu einem Eingreifen zu veranlassen. Sie sehen daher von einer Empfehlung zur Erstreckung des deutschen Mitbestimmungsrechts auf solche Gesellschaften ausdrücklich ab. Da sich jedoch die künftige Entwicklung in diesem Bereich nicht voraussehen lässt, sprechen sie sich dafür aus, die Bildung solcher Unternehmen aufmerksam zu verfolgen und in dem Fall, dass
__________ 30 31 32 33
Vgl. §§ 5 Abs. 1 MitbestG, 2 Abs. 2 DrittelbG. S. 20 f. S. 35 f. S. 34.
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sie in nennenswerter Zahl in mitbestimmungsrelevanter Größe auftreten, „geeignete und gemeinschaftsrechtlich zulässige Maßnahmen zu Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Mitbestimmung“ zu ergreifen34. Unter Würdigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit von Unternehmen fügen sie ausdrücklich hinzu, nach ihrer Überzeugung sei der deutsche Gesetzgeber gemeinschaftsrechtlich nicht gehindert, solche Unternehmen jedenfalls dann der Mitbestimmung zu unterwerfen, wenn sich ihre betriebliche Organisation im wesentlichen im Deutschland befindet und ihre Arbeitnehmer nicht schon nach dem Recht des Gründungsstaats ein Mitbestimmungsrecht haben35. Ob diese Würdigung, wie die Verfasser schreiben, der wohl überwiegenden Meinung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum entspricht, muss man bezweifeln. Doch dürfte sie jedenfalls die Ansicht derer hinter sich haben, welche die neue Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit differenziert würdigen. In der Kommission selbst stimmten, – nicht verwunderlich – die Gewerkschaften zu, während die Vertreter der Unternehmen an der Forderung festhielten, die Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland generell mitbestimmungsfrei zu halten36. 4. Größe des Aufsichtsrats Die zweite Empfehlung der wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder bezieht sich auf Vereinbarungen über die Größe des Aufsichtsrats. Sie tragen dadurch der verbreiteten Auffassung Rechnung, dass auch hierzu die zwingenden gesetzlichen Vorschriften, die im Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes, abgestuft nach der Größe des Unternehmens, 12, 16 oder 20 Mitglieder vorschreiben, für eine den Bedürfnissen der Unternehmen entsprechende Flexibilität zu starr sind. Wiederum im Gegensatz zu den Wünschen der Sozialpartner bestehen sie immerhin auch in diesem Fall darauf, dass eine Abweichung vom Gesetz sowohl nach oben als auch nach unten möglich sein müsse37. Anders als nach § 95 AktG soll die Regelung nicht allein von der Anteilseignerversammlung beschlossen werden können, sondern Gegenstand der Verhandlungen und der kollektivvertraglichen Mitbestimmungsvereinbarungen sein. Im Übrigen geben sie die Besetzung der Aufsichtsräte aber nicht einfach frei, sondern halten prinzipiell an dem Proporz fest, welchen das Mitbestimmungsgesetz für die Verteilung der den Arbeitnehmern zustehenden Aufsichtsratssitze zwischen regulären Arbeitnehmern, leitenden Angestellten und Gewerkschaftsfunktionären festschreibt. Es muss nach ihrer Empfehlung demgemäß in Unternehmen mit mehr als 2000 Arbeitnehmern bei der paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeit-
__________ 34 35 36 37
S. 35. S. 35. BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 56 ff. und 73 ff. S. 22 ff.
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nehmer bleiben. Alle Abweichungen vom gesetzlichen Zahlenverhältnis bedürfen mindestens einer Dreiviertelmehrheit sowohl in der Anteilseignerversammlung als auch im Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer. Bei einer Vergrößerung des Aufsichtsrats müssen die gesetzlich vorgeschriebenen Sitzgarantien zugunsten der leitenden Angestellten und die ausschließlichen Vorschlagsrechte der Gewerkschaften erhalten bleiben oder sind nach dem Muster der für die verschiedenen Unternehmensgrößen im Gesetz vorgeschriebenen Proportionen fortzuschreiben38. Da bei einer Verkleinerung des Aufsichtsrats dies gewöhnlich nicht möglich ist, kann hier die Zusammensetzung der Arbeitnehmerseite auch abweichend vom Gesetz geregelt werden. Dies sei, so schreiben die Verfasser, „in geringem Umfang“ hinnehmbar. Die Regel betrifft hauptsächlich den Sitz der leitenden Angestellten. Dagegen sei auch in einem solchen Fall das gesetzliche Zahlenverhältnis zwischen unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaftsvertretern grundsätzlich beizubehalten. Weitergehende Eingriffe in die gesetzlich vorgegebenen Proportionen bedürften eines einstimmigen Beschlusses des Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer, dessen Zusammensetzung dafür sorge39, dass keine Gruppe gegen ihren Willen ihre im Mitbestimmungsgesetz verankerte Rechtsposition verliert. Die Verfasser begründen ihr grundsätzliches Festhalten an den genannten Regeln mit der erstaunlichen Behauptung, es handele sich um gesetzliche Rechtspositionen, die, so muss man ergänzen, nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers stehen. Eingriffe in sie müssten vielmehr von Seiten aller derjenigen legitimiert sein, deren Rechte durch die Vereinbarung betroffen sein können. Daher muss eine hohe Mehrheit im Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer und, wenn es zum Wegfall aller oder der Mehrheit der Gewerkschaftssitze oder des Sitzes der leitenden Angestellten kommen soll, sogar Einstimmigkeit verlangt werden, was naturgemäß das Zustandekommen solcher Vereinbarungen erschwert. Die Verfasser meinen, die Einstimmigkeit sei in solchen Fällen sogar verfassungsrechtlich geboten40. Inhaltlich stützen sie namentlich die Gewerkschaftspräsenz im Aufsichtsrat auf die Erwägung, das Zusammenwirken interner und externer Arbeitnehmervertreter sei ein zentrales und sachgerechtes Element dies Mitbestimmungsgesetzes; es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die bei der Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes 1976 in die Gewerkschaftsvertreter gesetzten Erwartungen unbegründet gewesen wären41. All dies erscheint eher politisch als rechtssystematisch gedacht. Ob die Verfasser damit beim Bundesverfassungsgericht durchdringen würden, muss vor allem auch angesichts des Mitbestimmungsurteils des Gerichts von 1979, auf das sie sich berufen, als unwahrscheinlich betrachtet werden. Auch sachlich überzeugt ein anderer Ansatz besser: Wenn die Mitbestimmung dazu bestimmt
__________ 38 39 40 41
S. 23. S. dazu unten 5. S. 23 ff. S. 24.
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ist, die Arbeitnehmer nach den Prinzipien der Demokratie an der Unternehmensleitung zu beteiligen, von deren Entscheidungen sie maßgeblich betroffen sind, so muss sich die Beteiligung auf die unternehmensangehörigen Arbeitnehmer beziehen, nicht auf deren unternehmensübergreifende Organisationen, deren Aufgabe es ist, die Interessen der Arbeitnehmer in ganzen Wirtschaftszweigen zu artikulieren und notfalls zu erkämpfen42. Immerhin muss man den Autoren zugute halten, dass sich die Aufteilung der Arbeitnehmersitze auf Vertreter der regulären Arbeitnehmer, der leitenden Angestellten und der Gewerkschaften seit 30 Jahren in der Praxis eingespielt hat. Sie hat keine manifesten zusätzlichen Probleme aufgeworfen, sondern eher Vorteile gebracht. Sie zu ändern würde daher nur gegen den massiven Widerstand der Verbände durchzusetzen sein, den die Gutachter nicht ohne Grund zu scheuen schienen. Wie nicht anders zu erwarten, stimmten die Vertreter der Arbeitnehmer in der Kommission der Lösung zu, während sie die Vertreter der Unternehmen nur hinsichtlich der Einbeziehung der leitenden Angestellten billigten. Unternehmensexterne Gewerkschaftsvertreter können nach ihrer Ansicht in den Aufsichtsrat gewählt werden, ein ausschließliches gesetzliches Vorschlagsrecht halten sie jedoch für verfehlt43. 5. Einbeziehung ausländischer Arbeitnehmer Dass die Beschränkung der Mitbestimmung auf in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer in einer Zeit der Globalisierung der großen Unternehmen ein Legitimationsdefizit der Mitbestimmung bedeutet, welches nach Abhilfe verlangt, ist allgemein anerkannt, namentlich auch von den Sozialpartnern selbst44. Jedoch kann die Beteiligung ausländischer Arbeitnehmer vom deutschen Gesetzgeber angesichts dessen Beschränkung auf das nationale Recht nicht verordnet, sondern nur durch unternehmensinterne Regelungen realisiert werden. Sie ist deshalb das praktisch bedeutsamste Wirkungsfeld unternehmensspezifischer Mitbestimmungsvereinbarungen. Soweit die im Ausland tätigen Arbeitnehmer in rechtlich selbständigen und nach dem Land ihres Sitzes organisierten Tochtergesellschaften beschäftigt sind, genügen hierzu freilich Mitbetimmungsvereinbarungen in der deutschen Muttergesellschaft nicht, vielmehr ist auch die Zustimmung der Tochter erforderlich. Die wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder empfehlen, durch eine gesetzliche Öffnungsklausel solche Vereinbarungen ausdrücklich zu ermöglichen45. Inhaltlich sollen diese je nach den Bedürfnissen des Unternehmens ein allgemeines und gleichberechtigtes aktives und/oder passives Wahlrecht gewähren oder auch bestimmte Sitze im Aufsichtsrat für Vertreter der ausländischen Arbeitnehmer reservieren können. Für die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder
__________ 42 43 44 45
Ausführlich dazu mein Gutachten für den 66. DJT (Fn. 9), S. B 95 ff. BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 62, 71. BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 50; Stellungnahme des DGB dazu S. 14. Vgl. zum Folgenden S. 35 ff.
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soll es je nach der Größe des Unternehmens bei der Geltung des Drittelbeteiligungsgesetzes und des Mitbestimmungsgesetzes bleiben, wobei bei der Berechnung der dafür maßgeblichen Schwellenwerte die wahlberechtigten ausländischen Arbeitnehmer nicht automatisch mitzuzählen sind, sondern nur, wenn sich die Vereinbarung darauf erstreckt. Doch muss sowohl die Größe des Aufsichtsrats als insbesondere auch die Verteilung der Sitze den Verhältnissen des Unternehmens bzw. Konzerns angepasst werden, die Vereinbarung also in der Regel auch die beiden zunächst genannten Gegenstände umfassen. Um das Zustandekommen eines solchen Vertrags zu erleichtern, sehen die Gutachter eine Ausnahme von der für deutsche Unternehmen geltenden, oben dargelegten, Proporzbestimmung vor, wonach für eine Abweichung davon nunmehr in jedem Fall eine Dreiviertelmehrheit genügt. Erforderlich ist die Zustimmung jeder Tochtergesellschaft, deren Arbeitnehmer beteiligt werden sollen, nicht jedoch die Zustimmung eines in solchen Gesellschaften bestehenden Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer. Denn die Gewährung eines Rechts auf Mitbestimmung an die ausländischen Arbeitnehmer wäre nach dem Urteil der Kommissionsmitglieder zwar auch dem deutschen Gesetzgeber rechtlich möglich, sofern die jeweils betroffene Gesellschaft selbst zugestimmt hat. Sie würde aber den unterschiedlichen Gegebenheiten der Unternehmen und Konzerne nicht gerecht, und der mit der Beteiligung ausländischer Arbeitnehmer verknüpfte Einflussverlust der Belegschaften in Deutschland wäre angesichts der fehlenden Gegenseitigkeit nicht angemessen46. Erst wenn es im Europäischen Recht zu einer allgemeinen Anerkennung von Mitbestimmungsansprüchen kommt, wäre der deutsche Gesetzgeber in der Lage, wenigstens den Arbeitnehmern von in der Europäischen Union gelegenen Tochtergesellschaften generell in die Mitbestimmung einzubeziehen. Für wie wichtig, aber auch komplex die Autoren die Materie halten, zeigt der Umstand, dass sie sich ausführlicher damit beschäftigen als in den anderen Fällen und eine Reihe vertiefender Überlegungen dazu anstellen. In der Tat handelt es sich um den wohl dringlichsten, aber auch schwierigsten Punkt der anstehenden Reformbestrebungen. 6. Verhandlungspartner Unverkennbar ist das Bestreben der Kommissionsmitglieder, für alle drei in ihre Empfehlungen einbezogenen Fälle auf beiden Seiten die gleichen Verhandlungspartner ins Auge zu fassen47. Auf Seiten der Unternehmen begegnet dies keinen Schwierigkeiten: Vertragspartner sind die Unternehmen48, vertreten durch ihr Vertretungsorgan, in Aktiengesellschaften also durch den Vorstand, in Gesellschaften mit beschränkter Haftung durch die Geschäftsführer. Doch
__________ 46 S. 37. 47 Vgl. S. 21, 23, 36. 48 Bemerkenswerterweise sprechen die Autoren von Unternehmen, nicht von Gesellschaften.
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bedarf jede Vereinbarung wegen ihres satzungsgleichen Gewichts der Billigung durch die Anteilseignerversammlung mit Dreiviertelmehrheit49. Auf der Seite der Arbeitnehmer sehen sich die Verfasser dem bekannten Problem gegenüber, dass eine einwandfreie demokratische Legitimation schon die Bestellung der Mitglieder des Verhandlungsgremiums durch eine Urwahl oder doch wenigstens eine Wahl durch Delegierte nach dem Vorbild des Mitbestimmungsgesetzes notwendig machen würde, die ihrerseits durch Urwahl bestimmt werden müssen, also ein überaus aufwendiges, zeitraubendes und kostspieliges Verfahren. Die für die Europäische Gesellschaft geltenden Regelungen zur Bestellung der Mitglieder des Verhandlungsgremiums der Arbeitnehmer kommen als Vorbild nicht in Betracht, weil sie auf den transnationalen Charakter der Gesellschaften europäischen Rechts zugeschnitten sind. Um solchen Schwierigkeit zu begegnen, entschlossen sich die Verfasser, ein Verhandlungsgremium vorzuschlagen, welches von den Betriebsräten, den Sprecherausschüssen der leitenden Angestellten und den bisher im Aufsichtsrat des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften beschickt wird, und zwar nach Zahl und Zahlenverhältnis spiegelbildlich zu der für das Unternehmen geltenden gesetzlichen Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat. Besteht bisher kein mitbestimmter Aufsichtsrat, so soll das Verhandlungsgremium zu gleichen Teilen von den Betriebsräten und von den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften gebildet werden. Um eine Selbstbedienung zu verhindern, verlangen die Autoren nur, dass amtierende Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer selbst nicht zu Mitgliedern des Verhandlungsgremiums berufen werden dürfen50. Sie meinen, ein dergestalt zusammengesetztes Verhandlungsgremium führe zur Legitimation durch diejenigen, deren Rechte Gegenstand der Vereinbarung sind und durch diese beeinträchtigt werden können. Der Vorschlag ist, soweit ich sehe, neu. Er ist bedenkenswert, weil er eine einfache Lösung vorsieht, bei der gleichwohl, wenigstens formal, die verschiedenen auch im Aufsichtsrat vertretenen Gruppen berücksichtigt werden. Gleichwohl begegnet er schwerwiegenden Einwänden, weil er gerade nicht die Arbeitnehmer des Unternehmens demokratisch an der Wahl beteiligt, sondern eine kleine, zur Oligarchie neigende Auswahl von ihnen, und weil infolge der verbreiteten Nähe der Betriebsratsmitglieder zu den Gewerkschaften deren Einfluss über das Maß hinaus wächst, welches ihnen die Zahl der ihnen zukommenden Sitze in dem Verhandlungsgremium gewährt. Er zieht mit anderen Worten ein demokratisches Legitimationsdefizit des Verhandlungsgremiums nach sich, welches sich auch auf die Legitimation, das Ansehen der von diesem bestimmten Aufsichtsratsmitglieder und deren Rückhalt in der Belegschaft auswirken muss. So verwundert es nicht, dass der Vorschlag die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter in der Kommission gefunden hat, während die Vertreter der Arbeitgeber ihn bekämpfen und eine „unbüro-
__________ 49 So schon ausführlich mein Gutachten für den 66. DJT (Fn. 9), S. B 69 f. 50 S. 21, 23, 36.
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kratische und kostengünstigere“ Urwahl als das kleinere Übel verteidigen51. Man wird in der Tat fragen müssen, ob der von den Verfassern des Berichts beabsichtigte Gewinn an Praktikabilität solche Legitimationsdefizite aufwiegt.
IV. Zur Gesamtwürdigung Der schon von Bundeskanzler Schröder erteilte Auftrag der Kommission ging dahin, „ausgehend vom geltenden Recht Vorschläge für eine moderne und europataugliche Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu unterbreiten“52. Zu diesem Zweck ernannte der Kanzler bewusst je drei Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie aus der Wissenschaft, unter ihnen die Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbands der Deutschen Industrie sowie die Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds und der Industriegewerkschaft Metall. Er verband mit der hochrangigen Besetzung die Hoffnung, dass es zu einverständlichen Empfehlungen der Kommission kommen würde, welche der Gesetzgeber dann übernehmen könnte. Die große Regierungskoalition unter Bundeskanzlerin Merkel übernahm die Kommission mit der gleichen Erwartung. In dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom November 2005 heißt es dazu „Grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten und Strukturveränderungen von Unternehmen prägen das Bild in einem zusammenwachsenden Europa. Die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf europäischer Ebene zu sichern und zu gestalten war in der Vergangenheit und bleibt daher auch für die Zukunft eine wichtige Aufgabe … Das Erfolgsmodell der deutschen Mitbestimmung muss mit globalen und europäischen Herausforderungen Schritt halten … Wir werden die einvernehmlich erzielten Ergebnisse der Kommission aufgreifen und, soweit erforderlich und geboten, Anpassungen der nationalen Mitbestimmung vornehmen“53. Bundeskanzlerin Merkel selbst bekannte sich ausdrücklich zu dem Mitbestimmungsgesetz, betonte zugleich aber auch seine Reformbedürftigkeit und mahnte sie bei den Sozialpartnern an54. Vor diesem Hintergrund ist zu bedauern, dass sich die Kommission infolge der jeweils auf die eigenen Interessen fixierten Perspektive der Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nicht gelang, eine von der ganzen Kommission getragene und daher überparteiliche Lösung zu finden. Die, auch historisch und ideologisch bedingten, Gegensätze zwischen den Sozialpartnern erwiesen sich dafür immer noch zu groß. Deren Differenzen überbrückende Empfehlungen waren daher zuletzt nur noch von den drei „neutralen“ Kommissionsmitgliedern zu erwarten.
__________ 51 52 53 54
BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 62 f., 73. BDA/BDI-Bericht (Fn. 1), S. 5. Ziff. 2.7.4. des Koalitionsvertrags. Mündlich auf dem von der Hans-Böckler-Stiftung im Sommer 2006 veranstalteten Kongress „Dreißig Jahre Mitbestimmungsgesetz“.
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Man wird sagen können, dass diese den Auftrag aufs Ganze gesehen überzeugend erfüllt haben. Sie haben ihre Erfolgschance darin gesehen, sich soweit wie möglich an das geltende Recht zu halten und eine Linie zu verfolgen, welche dieses, namentlich die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte und die Verteilung der Arbeitnehmersitze auf reguläre Arbeitnehmer, leitende Angestellte und Gewerkschaftsvertreter nach dem Mitbestimmungsgesetz nicht infrage zu stellen, und wiesen auf diese Weise sowohl die Reduktionsforderungen der Arbeitgeber als auch die Erweiterungsforderungen der Gewerkschaften gleichermaßen zurück. Die von ihnen empfohlenen Änderungen des geltenden Rechts beschränken sich auf die Vereinfachung des Wahlverfahrens und die Bereinigung von offenkundigen Unstimmigkeiten. Auf diesem Weg bleiben sie auch hinter den Empfehlungen zurück, welche ich in dem Gutachten für den 66. Deutschen Juristentag formuliert hatte und die namentlich den Gewerkschaften größere Konzessionen zugemutet hatten. So darf man vermuten, dass sie mit dieser Linie eine Erfolg versprechende Basis für einen in der Zukunft dem deutschen Gesetzgeber erreichbaren Kompromiss gelegt haben. Dies gilt umso mehr, als sie sich die bei weitem wichtigste und im Grundsatz auch von beiden Sozialpartnern anerkannte Reformforderung der Öffnung des Gesetzes für davon abweichende unternehmensspezifische Vereinbarungen zu eigen gemacht und auch von ihrer Seite mit Nachdruck empfohlen haben. Über deren Einzelheiten wird man über die von den drei Kommissionsmitgliedern formulierten Positionen und darüber hinaus weiter nachdenken und streiten müssen. Doch schmälert dies deren Verdienst nicht und braucht eine künftige Einigung auch nicht zu hindern. Für die Gegenwart und voraussichtlich auch für die nähere Zukunft ist die Mitbestimmungsdebatte wieder versiegt, seitdem sich die Unfähigkeit der Verbände herausgestellt hat, einen gemeinsamen Weg zu finden. Die große Koalition hat dringlichere Reformaufgaben zu bewältigen. Der politische Druck, das Mitbestimmungsrecht zu modernisieren, bleibt offenkundig dahinter noch zurück. Wie schnell und wie stark er wachsen wird, ist allerdings offen. Auch das Mitbestimmungsgesetz von 1976 hatte seit der Veröffentlichung des Berichts der ersten Biedenkopf-Kommission55 1970 eine Inkubationszeit von sechs Jahren.
__________ 55 BT-Drucks. VI/334.
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Zum Diskriminierungsschutz des GmbH-Geschäftsführers Inhaltsübersicht I. Einführung II. Doppelstellung des Fremdgeschäftsführers 1. Sozialversicherungsrecht 2. Arbeitsrecht 3. Gleichbehandlungsgesetz (AGG) III. Reichweite des Diskriminierungsschutzes nach dem AGG 1. Personelle Reichweite der Beschäftigtendiskriminierung (§§ 2, 6 AGG) 2. Abgrenzung zum zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot gegenüber „Nachfragern“ 3. Eingeschränkter Schutz der Geschäftsführer nach § 6 Abs. 3 AGG
IV. Ergebniskorrektur durch richtlinienkonforme Auslegung 1. Argumente aus der Gesetzgebungsgeschichte des AGG 2. Zum Sinn und Zweck dogmatischer Lösungen 3. Europäischer Telos: Sicherung des Marktzugangs vor Diskriminierungen 4. Unzureichende Umsetzung in Bezug auf den Fremdgeschäftsführer 5. Lösung: Analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 AGG auf den Fremdgeschäftsführer V. Fazit
I. Einführung Harm Peter Westermann, der große Universalist und Spezialist im Bürgerlichen Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, hat kürzlich aus Anlass eines Symposions seiner Tübinger Fakultät zum 100. Geburtstag von Ludwig Raiser die fernere Zukunft der Vertragsfreiheit ins Auge gefasst und dabei dem Antidiskriminierungsrecht einige besondere Bemerkungen gewidmet1. Ironischer Spott und kabarettreife Fallbeispiele á la Westermann konnten freilich nicht die Skepsis verbergen, mit der auch er den neuerlichen Einschränkungen der Privatautonomie durch das zu dieser Zeit noch nicht in Kraft getretene AGG begegnete. Ihm sei deshalb der folgende Beitrag zu einer wichtigen Schnittstelle von Arbeits- und Gesellschaftsrecht vor dem Hintergrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gewidmet. Neben aller Pragmatik, die unserem Jubilar gerade beim Thema des GmbH-Geschäftsführers keineswegs fremd ist, drängen sich hier sehr grundsätzliche Fragestellungen auf, die möglicherweise Eingang in seine unübersehbaren Kommentierungsaktivitäten finden. Wer im GmbH-Gesetz die Vorschriften zu § 6 bzw. zu den §§ 35 ff. betreut, muss der Vielgestaltigkeit des Typus „Geschäftsführer“
__________ 1 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit 1956 und heute, in: Symposion zum 100. Geburtstag von Professor Dr. Dres. h.c. Ludwig Raiser, Tübingen 2005, S. 53, 85 ff.
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und seiner Doppelstellung zwischen Gesellschafts- und Zivilrecht Rechnung tragen, die vom Alleingesellschafter-Geschäftsführer bis hin zum angestellten Fremdgeschäftsführer reicht2. Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Kern auf den „abhängig“ angestellten Fremdgeschäftsführer.
II. Doppelstellung des Fremdgeschäftsführers Die hier zu beleuchtende Schnittstelle ist Folge der „Doppelstellung“3 des GmbH-Geschäftsführers, der zum einen gesellschaftsrechtliches Organ der Gesellschaft ist, sich ihr gegenüber zugleich aber regelmäßig auch in einem Anstellungsverhältnis befindet. Die Frage, inwieweit die Schutznormen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts auf dieses dienstvertragliche Anstellungsverhältnis anzuwenden sind, ist infolge der zunehmenden Zahl sog. „Fremdgeschäftsführer“ verstärkt in das Blickfeld von Rechtsprechung und Literatur gerückt4. Als „Fremdgeschäftsführer“ oder „abhängige Geschäftsführer“ werden solche Geschäftsführer bezeichnet, die nicht gleichzeitig Gesellschafter der GmbH, also sog. „Gesellschafter-Geschäftsführer“ sind, oder als solche nur unwesentlich am Kapital der Gesellschaft beteiligt sind5. Sie partizipieren dann nicht direkt am wirtschaftlichen Erfolg (bzw. dem unternehmerischen Risiko) der Gesellschaft, können auf der Seite der Gesellschaft nicht über Ausgestaltung und Fortsetzung ihres Anstellungsverhältnisses (mit-)entscheiden und unterliegen den ihrerseits nicht beeinflussbaren Weisungen der Gesellschafterversammlung. Ihre Stellung im Unternehmen entspricht letztlich mehr der von leitenden Angestellten als der von selbstständigen Unternehmern, woraus sich zwanglos eine vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit ableiten lässt6. Dennoch ist ihr Rechtsstatus zwischen Gesellschaftsrecht einerseits und Dienstvertrags- bzw. Arbeitsvertragsrecht andererseits nichts weniger als unumstritten. Dazu passt auch, dass BSG und BFH die Arbeitnehmereigenschaft des GmbH-Geschäftsführers deutlich bereitwilliger anerkennen, als dies BGH und BAG tun7.
__________ 2 Fallgruppenauflistung z. B. bei Wank in FS Wiedemann, 2002, S. 587, 589 f.; vgl. auch Diller, Gesellschafter und Gesellschaftsorgane als Arbeitnehmer, 1994, S. 31 ff. 3 Nikisch, ArbR, Bd. I, 3. Aufl. 1961, § 14 II 3. 4 Zu den Gründen der zunehmenden Zahl der Fremdgeschäftsführer, z. B. Nachfolgeprobleme bei Familiengesellschaften, Professionalisierung der Firmenleitung, verstärktes Outsourcing, vgl. näher Kuhn, Abgestuftes Arbeitsrecht am Beispiel des abhängigen GmbH-Geschäftsführers, Diss. Tübingen, 2006, S. 1. 5 Die Möglichkeit der Fremdgeschäftsführung ergibt sich aus § 6 Abs. 3 Satz 1 GmbHG. 6 Ausführlich dazu Kuhn (Fn. 4), S. 10 ff. Demgegenüber ist „eine gewisse soziale Schutzbedürftigkeit“ nach Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Aufl. 2006, § 35 GmbHG Rz. 174 „entgegen verbreiteter Vorstellungen (…) nicht notwendiger- oder auch nur typischer Weise gegeben.“ 7 Vgl. Nachw. bei Wank (Fn. 2), S. 587, 588.
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1. Sozialversicherungsrecht So unterliegt der Fremdgeschäftsführer z. B. im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich als abhängig Beschäftigter der GmbH der Versicherungspflicht. Die Norm des § 7 Abs. 1 SGB IV umfasst mit dem Begriff „Beschäftigung“ mehr als der arbeitsrechtliche Begriff des Arbeitnehmers, was sich in der Formulierung „… nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ zeigt. In der Krankenversicherung wird der Geschäftsführer zwar wegen der Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze sehr häufig versicherungsfrei sein; doch bleibt es jedenfalls in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bei seiner Versicherungspflicht8. 2. Arbeitsrecht Gegen die Einordnung des Fremdgeschäftsführers als Arbeitnehmer bzw. die pauschale Anwendung des Arbeitsrechts auf dessen Anstellungsverhältnis spricht jedoch maßgeblich seine gesellschaftsrechtliche Organstellung9. So wird häufig vorgebracht, der Geschäftsführer könne schon deshalb kein Arbeitnehmer sein, weil er als Vertretungsorgan der GmbH selbst Arbeitgeberfunktionen ausübe. Er genieße unternehmerische Freiheit und sei auch nach dem Gesetz für die Geschäftsführung verantwortlich10. Im Übrigen werde er aus dem Geltungsbereich wesentlicher arbeitsrechtlicher Gesetze wie dem ArbGG, dem BetrVG, dem KSchG und dem MitbestG ausgegrenzt. Insbesondere durch die Rechtswegzuweisung an die ordentlichen Gerichte wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Fragen der Abberufung als Organ und Fragen der Beendigung des Anstellungsverhältnisses von verschiedenen Gerichten entschieden würden11. Die Frage, inwieweit sonstige Regeln des Arbeitsrechts dennoch auf den Fremdgeschäftsführer anwendbar sind, hat auch nach den grundlegenden Beiträgen von Wank12 (aus arbeitsrechtlicher Sicht) und
__________ 8 Dazu näher Schlegel in FS Küttner, 2006, S. 31, 40 ff.; Schliemann ebd., S. 51, 54 f. Die besonders umstrittene Frage der Rentenversicherungspflicht des GesellschafterGeschäftsführers einer Ein-Mann-GmbH gehört nicht hierher, vgl. dazu BSG v. 24.11.2005, NJW 2006, 1162 und die darauf erfolgende Neufassung des § 2 Satz 1 Nr. 9 lit. b) SGB VI; hierzu Schlegel a. a. O., S. 46 ff.; Schliemann a. a. O., S. 60 ff. 9 Der BGH lehnt die Arbeitnehmereigenschaft des Geschäftsführers mittlerweile in st. Rspr. unter pauschalem Hinweis auf dessen Organstellung ohne weitere Begründung ab, vgl. BGH v. 10.9.2001, DB 2001, 2438 = ZIP 2001, 1957: „Der Geschäftsführer einer GmbH bedarf keiner Hinweise, dass er die Gesetze und die Satzung der Gesellschaft zu achten und seine organschaftlichen Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen hat; die Wirksamkeit der Kündigung seines Dienstvertrages aus wichtigem Grund setzt deswegen eine vorherige Abmahnung nicht voraus“. Überblick über den Meinungsstand bei Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 6), § 35 GmbHG Rz. 175 (in Fn. 407). 10 Vgl. nur Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 203; G. Hueck, ZfA 1985, 25, 33; Hommelhoff/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, Anh. § 6 GmbHG Rz. 3. 11 BAG v. 6.5.1999, NJW 1999, 3069 = DB 1999, 1811. 12 Wank (Fn. 2), S. 587.
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Goette13 (aus gesellschaftsrechtlicher Sicht) in der Festschrift für Herbert Wiedemann nichts an Aktualität eingebüßt. Denn der Satz „Wer Arbeitgeberfunktionen ausübt, kann kein Arbeitnehmer sein“ ist mit Blick auf den leitenden Angestellten ebenso unrichtig14 wie die Behauptung, der GmbH-Geschäftsführer handele als oberstes Organ der Gesellschaft: über ihm steht unbestreitbar die Gesellschafterversammlung15. Man wird inzwischen trotz der Federführung des II. BGH-Senats (und nicht des BAG16) eine konsensfähige „herrschende Meinung“ dahingehend konstatieren können, dass dem GmbH-Geschäftsführer Sozialschutz nach arbeitsrechtlichen Maßstäben (nur) insoweit zusteht, als dadurch nicht die Funktionsfähigkeit der GmbH beeinträchtigt wird17. 3. Gleichbehandlungsgesetz (AGG) An unerwarteter Stelle gilt es nun eine neue Regelung zur Stellung des GmbHGeschäftsführers zu vermelden. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das am 18.8.2006 in Kraft getreten ist18 und in einer „ReparaturNovelle“ bereits kleinere Änderungen mit Wirkung zum 12.12.2006 erfahren
__________ 13 14 15 16
Goette in FS Wiedemann, 2002, S. 873. Dazu Wank (Fn. 2), S. 597. Vgl. nur § 46 Nrn. 5 u. 6 GmbHG. Vgl. etwa BAG v. 26.5.1999, NJW 1999, 3731 = NZA 1999, 987: „Das Anstellungsverhältnis einer (stellvertretenden) GmbH-Geschäftsführerin kann im Einzelfall ein Arbeitsverhältnis sein“; ferner Küttner/Kania, Personalbuch 2006, Geschäftsführer Rz. 17 ff. m. w. N. 17 Zu beachten ist, dass Goette (Fn. 13) und Wank (Fn. 2) von gegensätzlichen Positionen her und bei Unterschieden im Detail jedenfalls in folgenden „Leitsätzen“ übereinstimmen: „Bei der Anwendung arbeitsrechtlicher Grundsätze auf GmbH-Geschäftsführer besteht im Interesse der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der GmbH ein Vorrang des Gesellschaftsrechts gegenüber dem Arbeitsrecht. Soweit allein der soziale Schutz des Beschäftigten betroffen ist, gilt Arbeitsrecht (direkt oder analog). Würde dagegen die Anwendung arbeitsrechtlicher Vorschriften die Funktionsfähigkeit der GmbH beeinträchtigen, müssten diese Vorschriften zurücktreten“; so jetzt auch Hommelhoff/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 10), Anh. § 6 GmbHG Rz. 3. 18 Das Gesetz bildet Art. 1 des „Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ (BGBl. I, S. 1897). Gemeint sind damit die Richtlinien 2000/43/EG des Rates v. 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. EG Nr. L 180, S. 22), 2000/78/EG des Rates v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303, S. 16), 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. EG Nr. L 269, S. 15) und 2004/113/EG des Rates v. 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. EU Nr. L 373, S. 37).
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hat19, wird der Diskriminierungsschutz von Geschäftsführern ausdrücklich im Zusammenhang mit Selbstständigen und anderen Organmitgliedern geregelt (§ 6 Abs. 3 AGG). Freilich ist auch diese Regelung Teil einer über drei Legislaturperioden sich hinziehenden und von „Pleiten, Pech und Pannen“ gekennzeichneten Entwicklungsgeschichte des Gesetzes (dazu näher IV.1). Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber bis zuletzt daran festgehalten, die einschlägigen EG-Richtlinien in weiten Teilen lediglich abzuschreiben statt sie wirklich „umzusetzen“20. In der Folge steht die Praxis vor dem Problem, mit einem Gesetz arbeiten zu müssen, das mehr Fragen aufwirft als es beantwortet. Hierzu zählt auch die grundlegende Frage nach dem Anwendungsbereich des Gesetzes. Aufgrund der ausdrücklichen Einbeziehung der „Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen“ in das AGG21 stellt sich nunmehr die Frage, inwieweit sich (Fremd-)Geschäftsführer auf den vom AGG vermittelten Schutz vor Benachteiligungen berufen können. Darf die Gesellschafterversammlung jetzt noch ausschließlich junge Männer bei der Vergabe der Geschäftsführerposition berücksichtigen, weil sie mit Jugend und Männlichkeit eine höhere Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit verbindet? Darf sie aus dem gleichen Grund eine Höchstaltersgrenze in den Anstellungsvertrag aufnehmen22? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.
III. Reichweite des Diskriminierungsschutzes nach dem AGG 1. Personelle Reichweite der Beschäftigtendiskriminierung (§§ 2, 6 AGG) a) Das AGG ist in sieben Abschnitte untergliedert. Dem ersten als „Allgemeiner Teil“ bezeichneten Abschnitt (§§ 1–5) folgen die Abschnitte „Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung“ (arbeitsrechtlicher Teil, §§ 6–18) und „Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr“ (zivilrechtlicher Teil, §§ 19–21). Der Anwendungsbereich des AGG wird zunächst im zum Allgemeinen Teil gehörenden § 2 AGG definiert. Beschränkt auf die in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmale werden dort Benachteiligungen für unzulässig erklärt im Hinblick auf:
__________ 19 Die Änderungen sind Bestandteil des „Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze“ (BGBl. I, S. 2742). Im Wesentlichen ging es dem Gesetzgeber dabei um die Beseitigung von Redaktionsversehen. Zumindest bei der Änderung des § 10 AGG handelt es sich jedoch um „Verschlimmbesserungen“. 20 Vgl. dazu Reichold/Hahn/Heinrich, NZA 2005, 1270. 21 Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG s. sogleich im Text (unter III.1). 22 Allgemein zur Altersdiskriminierung vgl. Hahn, Auswirkungen der europäischen Regelungen zur Altersdiskriminierung im deutschen Arbeitsrecht, 2006, passim; zu Altersgrenzen Boecken, NZS 2005, 393. Zur Vereinbarkeit tarifvertraglicher Regelungen zu Höchstaltersgrenzen von Piloten mit dem AGG vgl. ArbG Frankfurt v. 15.3.2007 – 6 Ca 7405/06. Erwägungsgrund 14 der RL 2000/78/EG lautet: „Diese Richtlinie berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand.“
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Hermann Reichold/Martin Heinrich „1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg, 2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg, (…).“
Diese Formulierungen entsprechen weitgehend dem Wortlaut der einschlägigen Richtlinien23. Sie verdeutlichen den sehr weit gehenden Schutz beim Zugang zur Erwerbstätigkeit in unselbstständigen und selbstständigen Tätigkeitsbereichen. b) § 2 AGG ist jedoch nicht die einzige den Anwendungsbereich des AGG regelnde Norm. Der „Persönliche Anwendungsbereich“ des arbeitsrechtlichen Teils des AGG wird in § 6 AGG dadurch weiter eingegrenzt, dass er (nur) „Beschäftigten“ und „Arbeitgebern“ Rechte einräumt und Pflichten auferlegt. Hier hat der deutsche Gesetzgeber einmal selbst gekocht. Er hat die Begriffe „Beschäftigter“ und „Arbeitgeber“ in den Absätzen 1 und 2 eigenständig definiert. Demnach zählen zu den Beschäftigten vor allem Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen. Die für Geschäftsführer wesentliche Norm des § 6 Abs. 3 AGG lautet sodann: „Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.“
2. Abgrenzung zum zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot gegenüber „Nachfragern“ Zu klären bleibt aber eine weitere Abgrenzungsfrage. Würde man dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG unbefangen folgen, könnte man nämlich aus der Formulierung des „Zugangs zur Erwerbstätigkeit“ von „Selbstständigen“ ableiten, dass alle von Selbstständigen geschlossenen Verträge durchwegs nach den Regelungen des arbeitsrechtlichen Teils des AGG zu beurteilen wären. Thüsing hatte bereits zeitig darauf hingewiesen, dass Selbstständige in Ausübung ihrer Tätigkeit z. B. auch Kaufverträge schließen, weshalb eine engere Interpretation des Wortlauts der einschlägigen Richtlinien erforderlich sei24. In der Tat sollen nach einer aktuellen Kommentierung u. a. freie Dienstverträge,
__________ 23 Die Richtlinien weichen im Wortlaut geringfügig voneinander ab, vgl. die Artikel 3 Abs. 1 lit. a und c der Richtlinien 2002/73/EG, 2000/78/EG und 2000/43/EG (Fn. 18). Als gemeinsamer Nenner ergibt sich ein Verbot der Benachteiligung im Hinblick auf (Art. 3 Abs. 1 lit. a) „die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs“, und (lit. c) „die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich Entlassungsbedingungen und Arbeitsentgelt“. 24 Bauer/Thüsing/Schunder, NZA 2005, 32, 33.
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Zum Diskriminierungsschutz des GmbH-Geschäftsführers
Werkverträge, Pachtverträge und Geschäftsbesorgungsverträge vom Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG erfasst sein25. Das widerspricht handgreiflich der Zielsetzung der „Beschäftigungs“-Normen der RL 2000/78/EG, wie sie in §§ 6 ff. AGG umgesetzt worden sind. Ein einzelner Vertrag mit einem Selbstständigen schafft für diesen nicht schon einen „Zugang“ zu selbstständiger Erwerbstätigkeit, sondern ist Ausübung seiner freien Erwerbstätigkeit. Bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des arbeitsrechtlichen Teils des AGG muss also die Abgrenzung zum zivilrechtlichen Teil beachtet werden, dessen Schutzniveau weitaus niedriger ist. Zwar könnte man argumentieren, dass der arbeitsrechtliche Teil des AGG die Gleichbehandlung von Personen regelt, die Dienstleistungen erbringen, während der zivilrechtliche Teil die Gleichbehandlung von Personen regelt, die Güter und Dienstleistungen nachfragen26. Doch würde dabei übersehen, dass es sich um zwei Seiten der gleichen Medaille handelt. So hat ein selbstständiger farbiger Tennislehrer, der von Schülern gemieden wird, nach dem zivilrechtlichen Teil des AGG keine Möglichkeit, Schüler zum Abschluss von Dienstverträgen mit ihm zu zwingen. Würde man die Dienstverträge des Tennislehrers jedoch unter § 6 Abs. 3 AGG subsumieren, so wäre die Abschlussfreiheit der Schüler eingeschränkt, weil sie mit ihrem Boykott den Zugang des Tennislehrers zu selbstständiger Erwerbstätigkeit beeinträchtigten. Wäre diese Argumentationslinie zutreffend, würde die auf den einschlägigen Richtlinien beruhende Entscheidung, im allgemeinen Zivilrechtsverkehr nur eine Benachteiligung der Nachfragenden zu untersagen, diesen selbst aber die volle Abschlussfreiheit zu belassen, ins genaue Gegenteil verkehrt. 3. Eingeschränkter Schutz der Geschäftsführer nach § 6 Abs. 3 AGG Festzuhalten bleibt bei alledem, dass (Fremd-)Geschäftsführer, folgt man allein dem Wortlaut des Gesetzes, (nur) insoweit vor Benachteiligungen geschützt sind, als es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft27. Im Hinblick auf ihre Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingun-
__________ 25 Schmidt in Schiek/Kocher, AGG, 2006, § 6 AGG Rz. 13. 26 So Schmidt in Schiek/Kocher (Fn. 25), § 6 AGG Rz. 13, weshalb eine weite Auslegung des § 6 Abs. 3 AGG den Anwendungsbereich der Richtlinien 2000/78/EG und 2000/43/EG nicht verwische. Tatsächlich geht es bei der Gleichbehandlung im arbeitsrechtlichen Teil des AGG auch um Personen, die etwas nachfragen, nämlich Arbeitsplätze. 27 Trotz europarechtlicher Bedenken wollen Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2006, § 6 AGG Rz. 35 den Fremdgeschäftsführer bis zu einer Gesetzesänderung am Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG festhalten. Darüber hinaus wird argumentiert, dass aus der Formulierung der „entsprechenden“ Geltung ein geringerer Schutzstandard abzuleiten ist, vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, DB 2005, 595, 598, wonach entsprechende Anwendung bedeutet, „dass die einzelnen Elemente des in Bezug genommenen Diskriminierungsverbots in einer Weise angewendet werden, dass die damit erzielte Rechtsfolge den Aufgaben, Funktionen und Verantwortlichkeiten, die mit einer Organstellung verbunden sind, gerecht wird.“ Vgl. auch Bauer/Göpfert/Krieger, § 6 AGG Rz. 36.
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gen dürften sie dagegen anders als leitende Angestellte und arbeitnehmerähnliche Personen benachteiligt werden. Auch die „amtliche“ Begründung steht dieser Interpretation des § 6 Abs. 3 AGG nicht entgegen28. Die konkrete Frage nach der Zulässigkeit von Höchstaltersgrenzen in Anstellungsverträgen von Geschäftsführern wäre dann dahingehend zu beantworten, dass sie sich als Entlassungsbedingungen nicht am Maßstab des AGG messen lassen müssten29. Dagegen wäre die ausschließliche Berücksichtigung junger Männer bei der Vergabe der Geschäftsführerposition als den Zugang zur Erwerbstätigkeit beschränkendes Verhalten schon hiernach unzulässig.
IV. Ergebniskorrektur durch richtlinienkonforme Auslegung Bedenken gegen eine ausschließlich auf den Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG abstellende Auslegung ergeben sich daraus, dass mit dem AGG europäische Gleichbehandlungsrichtlinien umgesetzt werden sollen. Bei der Auslegung des AGG muss daher, zumindest was das Mindestschutzniveau angeht, der in den Richtlinien zum Ausdruck gebrachte Wille des europäischen Gesetzgebers so weitgehend wie möglich berücksichtigt werden. Über die Folgen solcher Rückbesinnung auf die europäischen Quellen besteht naturgemäß keine Einigkeit. Die hierzu geäußerten Auffassungen divergieren sehr stark. Das Meinungsspektrum reicht von der Auffassung, dass Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des AGG anzusehen sein könnten, was zur Folge hätte, dass der arbeitsrechtliche Teil des AGG auf sie uneingeschränkt und unmittelbar anzuwenden wäre30, bis zur These, das den Zugang zur selbständigen Erwerbstätigkeit betreffende Diskriminierungsverbot habe überhaupt keinen zivilrechtlichen Anwendungsbereich31, was den Auslegungsspielraum bis zur Grenze der Nichtanwendbarkeit des AGG auf den Fremdgeschäftsführer erweitern würde. Doch vielleicht lässt sich die „eindeutige“ Auslegung des § 6 Abs. 3 AGG schon mit einem Blick auf die Vorgeschichte des deutschen Gesetzes relativieren. 1. Argumente aus der Gesetzgebungsgeschichte des AGG a) Das AGG entspricht weitgehend dem Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierung (ADG-E)32. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 ADG-E stimmt mit dem des AGG überein. In § 6 ADG-E waren die „Selbstständigen“
__________
28 Vgl. BT-Drucks. 16/1780, S. 34: „Absatz 3 stellt klar, dass sich Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer auf den Schutz gegen Benachteiligungen berufen können, soweit es um Sachverhalte wie etwa den Zugang zur Tätigkeit als Organmitglied oder das Fortkommen in dieser Tätigkeit geht.“ 29 So wohl Bauer/Göpfert/Krieger (Fn. 27), § 6 AGG Rz. 31; Lutter, BB 2007, 725, 728; Willemsen/Schweibert, NJW 2006, 2583, 2584; wohl a. A., aber unscharf Schrader/ Schubert in HK-AGG, 2007, § 6 AGG Rz. 31 f. 30 Vgl. Arnold in FAZ Nr. 14 v. 17.1.2007, S. 21. 31 Vgl. Schroeder/Diller, NZG 2006, 728, 730; Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 324. 32 Art. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, BT-Drucks. 15/4538 v. 16.12.2004.
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jedoch noch nicht berücksichtigt. Der Gesetzgeber hatte sie jedoch nicht vergessen. Nach dem zum zivilrechtlichen Teil des ADG-E zählenden § 20 Abs. 3 Satz 2 ADG-E sollten für andere zivilrechtliche Sachverhalte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ADG-E vielmehr die Bestimmungen des den „Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung“ regelnden zweiten Abschnitts des ADG-E entsprechend gelten. In der Entwurfsbegründung wurde dazu ausgeführt, Hintergrund der Regelungen sei, dass auch Sachverhalte denkbar seien, die nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 6 ADG-E fallen würden, aber eine diesen Sachverhalten vergleichbare Interessenlage aufweisen könnten. Dies könne insbesondere für solche Dienstverträge gelten, die nach der deutschen Rechtsordnung nicht dem Arbeitsrecht zuzuordnen seien, oder für bürgerlich-rechtliche Werkverträge. Verträge dieser Art könnten bei richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ADG-E (= AGG) als Erwerbstätigkeit bzw. Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a bis d der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 76/207/EWG zu qualifizieren sein33. b) Weitere Fragen zur entsprechenden Anwendbarkeit des zweiten Abschnitts des ADG-E auf Fremdgeschäftsführer ergaben sich aus der Regelung des § 20 Abs. 5 ADG-E34. Demnach sollten die Vorschriften des den Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr regelnden dritten Abschnitts (und damit dem Wortlaut nach auch § 20 Abs. 3 ADG-E) keine Anwendung auf zivilrechtliche Schuldverhältnisse finden, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. Nach der Entwurfsbegründung sollte mit dieser Regelung den Maßgaben des Erwägungsgrundes 4 der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG Rechnung getragen werden, wonach der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleiben solle35. Die Regelung solle gewährleisten, dass nicht unverhältnismäßig in den engsten Lebensbereich der durch das Benachteiligungsverbot verpflichteten Person eingegriffen werde. Sie solle dabei auch für Benachteiligungsverbote zur Anwendung kommen, die nicht auf der Umsetzung von Richtlinien beruhen, denn der Grundgedanke gelte hier in gleicher Weise. Weiter wird in der Begründung ausgeführt, dass ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis eine Beziehung erfordere, die über das hinausgehe, was ohnehin jedem Schuldverhältnis an persönlichem Kontakt zugrunde liege. Dies könne beispielsweise darauf beruhen, dass es sich um ein für die durch das Benachteiligungsverbot verpflichtete Person besonders bedeutendes Geschäft handele, oder dass der Vertrag besonders engen oder lang andauernden Kontakt der Vertragspartner mit sich bringen würde36. In Verbindung mit der in § 20 Abs. 3 Satz 2 ADG-E ange-
__________ 33 BT-Drucks. 15/4538, S. 40. 34 Darauf wiesen Bauer/Göpfert/Krieger, DB 2005, 595, 597 besonders hin. 35 Satz 2 des Erwägungsgrundes 4 der Richtlinie 200/43/EG lautet: „Ferner ist es wichtig, daß im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleibt.“ 36 BT-Drucks. 15/4538, S. 40; vgl. dazu auch Reichold, JZ 2004, 384, 392.
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ordneten (nur) „entsprechenden“ Geltung und mit Hinweis darauf, dass die „gesetzlich geschützte Autonomie von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung“ nicht unterlaufen werden dürfe37, hat man die Regelung des § 20 Abs. 5 ADG-E zum Einfallstor einer den Anwendungsbereich des ADG-E einschränkenden Auslegung zu machen versucht. c) Die beschriebenen Regelungen im ADG-E wurden in der Folge heftig kritisiert. Im Januar 2005 vertraten Bauer und Thüsing zur Anwendbarkeit des ADG-E auf Organmitglieder unterschiedliche Auffassungen38. Im gleichen Monat forderte der Ausschuss Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins, die Unklarheit der Behandlung von Organvertretern aufzulösen39. Zusammen mit Göpfert und Krieger wies Bauer kurz darauf erneut auf die Problematik hin40. Als schließlich Rieble im gleichen Monat den Gesetzgeber im Rahmen einer Anhörung aufforderte klarzustellen, dass Organmitglieder als solche keinen Diskriminierungsschutz erfahren41, sah sich dieser endgültig genötigt, eine dem entgegenstehende „klarstellende“ Regelung zu schaffen. In der Folge erhielt § 6 AGG den oben zitierten Abs. 3, der nach Auffassung des Gesetzgebers klarstellt, „dass sich Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer auf den Schutz gegen Benachteiligungen berufen können, soweit es um Sachverhalte wie etwa den Zugang zur Tätigkeit als Organmitglied oder das Fortkommen in dieser Tätigkeit geht“42. Der „Befreiungsschlag“ des Gesetzgebers hat den Anwendungsbereich des AGG jedoch nicht klargestellt, sondern neue Fragen aufgeworfen. Seine Motive erscheinen jedoch in einem klareren Licht. Er wollte europarechtskonform handeln und im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG jedenfalls „Zugang“ und „beruflichen Aufstieg“ in allen Erwerbstätigkeiten dem Schutz vor Diskriminierungen unterstellen. 2. Zum Sinn und Zweck dogmatischer Lösungen a) Bevor eine eigene Auffassung zur Anwendbarkeit des AGG auf den Fremdgeschäftsführer entwickelt werden soll, besteht Anlass, sich auf Sinn und Zweck sowie Möglichkeiten und Grenzen dogmatischer Lösungen zu besin-
__________ 37 So Bauer/Göpfert/Krieger, DB 2005, 595, 598. 38 Bauer/Thüsing/Schunder, NZA 2005, 32, 33. 39 Stellungnahme Nr. 10/2005 des DAV durch den Ausschuss Arbeitsrecht zum arbeitsrechtlichen Teil des ADG-E, S. 8, vgl. http://www.anwaltverein.de/03/05/2005/1005.pdf, sowie NZA 2005, Heft 4, S. VI, VIII. 40 Bauer/Göpfert/Krieger, DB 2005, 595. 41 Rieble, Stellungnahme zum Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes (ADG-E), Ausschuss für Familien, Frauen, Senioren und Jugend, A.-Drucks. 15(12)440-B S. 3, vgl.: http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_agg_chronologie_anhoerungen/stellung nahme_rieble.pdf sowie http://www.zaar.uni-muenchen.de/fileadmin/ZAAR-Da teien/pdf/antidiskriminierung/BT_Stellungnahme_Antidiskriminierungs-gesetz2.pdf; vgl. auch Thüsing, Stellungnahme zum Entwurf eines ADG – Arbeitsrechtlicher Teil, S. 5, vgl.: http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_agg_chronologie_anhoerun gen/stellungnahme_thuesing.pdf. Auch in der Stellungnahme des DAV wurde auf die Problematik hingewiesen. 42 BT-Drucks. 16/1780, S. 34.
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nen43. Recht ist eine praktische Wissenschaft, Juristen haben konkrete Lebenssachverhalte zu bewerten. Dabei ist durch den Normsetzer sicherzustellen, dass wesentlich gleiche Sachverhalte gleich bewertet werden, denn dies ist Voraussetzung von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Bei der Verwirklichung dieses Ziels dient eine begrifflich saubere Dogmatik als Hilfsmittel. Zur Bestimmung des wesentlich Gleichen bildet sie Begriffe (z. B. Arbeitnehmer) und verbindet diese in Rechtsnormen mit bestimmten Rechtsfolgen (z. B. sozialer Schutz). In diesem Sinne ist es richtig, davon zu sprechen, dass juristische Begriffe „teleologisch“ gebildet werden müssen44. Im Hinblick auf das Ziel der Rechtssicherheit ist dabei problematisch, dass die gebildeten Begriffe notwendigerweise vom konkreten Lebenssachverhalt abstrahieren müssen. Denn hierdurch verlieren sie an Bestimmtheit. Weitaus gefährlicher für die Rechtssicherheit ist es jedoch, normative Begriffe zu verwenden. Zwar ist kein Begriff rein normativ oder rein deskriptiv. Je normativer die verwendeten Begriffe jedoch sind, desto mehr werden die Wertungen der Rechtsfolgenseite bereits auf der Tatbestandsseite berücksichtigt (z. B. Arbeitnehmer ist, wer „sozial schutzbedürftig“ ist). Soweit die Auffassung, dass juristische Begriffe teleologisch zu bilden sind, in diesem Sinne verstanden werden kann, ist sie abzulehnen. Wer auf diese Weise vom Ergebnis her argumentieren will, könnte auch gleich dezisionistisch entscheiden. b) Dass die Versuchung zur Normativierung der Dogmatik groß ist, liegt an ihren Grenzen. Mit den von ihr entwickelten Begriffen bildet sie gewissermaßen Schubladen. Dass die Masse der in der Realität vorkommenden Lebenssachverhalte problemlos in diesen Schubladen untergebracht werden kann und dass die Dogmatik damit die gewaltige Leistung vollbringt, in all diesen Fällen Rechtssicherheit zu gewährleisten (Fabrikarbeiter sind eindeutig Arbeitnehmer), hilft den Juristen im Konfliktfall allerdings wenig. Als „Pathologen“ haben sie es ausschließlich mit Fällen zu tun, die nicht genau in die von der Dogmatik bereitgestellten Schubladen passen (z. B. Fremdgeschäftsführer) und dennoch einer praxisgerechten Bewertung zugeführt werden müssen. Hier besteht nun die Gefahr, dass passend gemacht wird, was nicht passt. Folge der hierzu notwendigen Aufweichung der von der Dogmatik entwickelten Begriffe ist aber, dass diese die Rechtssicherheit in der Masse der Fälle nicht mehr gewährleisten kann. Nun könnte argumentiert werden, dass der Preis der Zerstörung der Rechtssicherheit bezahlt werden muss, wenn anders keine Einzelfallgerechtigkeit geschaffen werden kann. Die juristische Methodenlehre stellt jedoch Instrumente bereit, die Einzelfallgerechtigkeit auch ohne Zerstörung der Dogmatik ermöglichen. Hierzu zählt vor allem die Analogie. Zeigen dann weitere Missstände der Praxis, dass auch auf diesem Weg keine Einzelfallgerechtigkeit oder keine ausreichende Rechtssicherheit herzustellen ist, ist die Rechtswissenschaft als praktische Wissenschaft aufgefordert, für die problematischen Fälle eine neue „Schublade“ zu entwickeln und sie so in das System aufzunehmen.
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43 Dazu im Hinblick auf den GmbH-Geschäftsführer näher Wank (Fn. 2), S. 587, 592 ff. 44 Wank (Fn. 2), S. 592.
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c) Wendet man diese Grundsätze nun auf die Frage nach der Anwendbarkeit des arbeitsrechtlichen Teils des AGG auf Fremdgeschäftsführer an, so ergibt sich folgendes Arbeitsprogramm: Zunächst ist die Begrifflichkeit der einschlägigen Richtlinien zu betrachten und sind deren „europäische“ Wertungen zu ermitteln. Sodann müssen die im AGG verwendeten Begriffe auf ihre Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinien überprüft werden. Sollten Dissonanzen auftreten, muss eine richtlinienkonforme Auslegung des AGG erwogen werden. Schließlich ist speziell die Doppelstellung des Geschäftsführers im Hinblick auf die Schnittstelle von Gesellschaftsrecht und Gleichbehandlungsrecht zu überprüfen und gegebenenfalls die Frage zu beantworten, wie eine solche Kollision aufzulösen wäre. 3. Europäischer Telos: Sicherung des Marktzugangs vor Diskriminierungen Das starke Konzept der Diskriminierungsbekämpfung nach Art. 13 EG unterscheidet sich zwar kategorial von dem anderen europäischen Konzept der Diskriminierungsbekämpfung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EG)45. Denn durch dieses Konzept der Binnenmarktverwirklichung werden die Mitgliedstaaten in die Pflicht genommen, dem ökonomischen Jahrhundertprojekt des gemeinsamen Marktes keine sichtbaren bzw. unsichtbaren Grenzschranken mehr in den Weg zu legen. Dem Binnenmarktschutz durch Freizügigkeitsgewährleistungen ist an sich eine unmittelbar die Persönlichkeit schützende Zielrichtung fremd46 (es gibt daher auch keine Belästigung oder eine Förderung durch „positive“ Maßnahmen). Dennoch bezieht sich der in den Gleichbehandlungsrichtlinien verwendete duale Beschäftigungs-Begriff der „selbstständigen bzw. unselbstständigen Erwerbstätigkeit“ natürlich auf die Konkretionen des freien Personenverkehrs und bildet den Gegensatz zwischen den Grundfreiheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG) und der Niederlassungsfreiheit bzw. Dienstleistungsfreiheit (Art. 43 bzw. 49 EG) ab. Auch der Diskriminierungsschutz hat – neben seiner persönlichkeitsrechtlichen Dimension – einen Marktbezug, der sich mit dem Zweck der Grundfreiheiten trifft47. Zur Verwirklichung des gemeinsamen Markts verbieten es diese Normen, den Zugang von Erwerbstätigen zum Markt – unabhängig davon, ob sie ihre Erwerbstätigkeit selbstständig oder unselbstständig ausüben – zu beschränken. Zwar wird im Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit nur von der „Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten“ gesprochen, im
__________ 45 Dazu näher Jestaedt, VVDStRL 64 (2005), 300, 314 f.; Reichold, ZfA 2006, 257, 261. 46 Allenfalls ist die Besserstellung einzelner Arbeitnehmer Mittel zum Zweck, vgl. den Fall „Bosman“, EuGH v. 15.12.1995, Slg. 1995, 4921 = NJW 1996, 505. 47 Vgl. Erwägungsgrund 11 der RL 2004/113/EG: „Diese Rechtsvorschriften sollten die Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verhindern. Unter Gütern sollten Güter im Sinne der den freien Warenverkehr betreffenden Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verstanden werden. Unter Dienstleistungen sollten Dienstleistungen im Sinne des Artikels 50 dieses Vertrags verstanden werden.“
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Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit dagegen auf „Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen“ abgestellt. Dies beruht jedoch darauf, dass bei der selbstständigen Erwerbstätigkeit „Arbeitsbedingungen und Entlohnung“ anders als bei Arbeitnehmern keine Fragen des Zugangs zum Markt, sondern der Marktbetätigung selbst sind. Dass zur Sicherstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit eine „unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen“ für unzulässig erklärt wird, beruht darauf, dass auch die Arbeitsbedingungen – anders als bei Selbstständigen! – für unselbstständig Erwerbstätige Marktzugangsbedingungen sind, da deren benachteiligende Ausgestaltung ihren Zugang zum Markt behindert. Dementsprechend wird auch der europarechtliche Arbeitnehmerbegriff vom Begriff des Selbstständigen nach allgemeiner Meinung über die Weisungsgebundenheit abgegrenzt48: Für den EuGH ist Arbeitnehmer, wer weisungsgebunden eine Leistung für einen anderen während einer bestimmten Zeit erbringt, sofern der andere für diese Tätigkeit eine Gegenleistung versprochen hat49. Weil der Weisungsgebundene seine Arbeitsbedingungen nicht selbst bestimmen kann, müssen auch – anders als beim Selbstständigen – seine Arbeitsbedingungen benachteiligungsfrei ausgestaltet sein. Der EuGH stellt hierbei übrigens nicht auf die „formale Einstufung als Selbstständiger“ nach nationalem Recht ab; es kommt ihm vielmehr auf die „Freiheit bei der Wahl von Zeit, Ort und Inhalt“ der Arbeit an50. Eine Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft des Fremdgeschäftsführers durch den EuGH wäre danach zwar nahe liegend, kann aber bislang der europäischen Rechtsprechung nicht explizit entnommen werden51. 4. Unzureichende Umsetzung in Bezug auf den Fremdgeschäftsführer Der dualistische Beschäftigungsbegriff der Richtlinien, wie er sich in der Unterscheidung der Nummern 1 und 2 des § 2 Abs. 1 AGG wiederfindet, setzt also voraus, dass – Selbstständige deshalb nur beim „Zugang“ zu ihrer Tätigkeit vor Diskriminierungen zu schützen sind (z. B. Eintritt in Anwaltssozietät oder Zulassung zur Anwaltschaft), weil damit der Marktzutritt für sie gesichert ist und sie anschließend ihre Arbeitsbedingungen als praktizierte Erwerbstätigkeit eigenständig gestalten können; – Unselbstständige hingegen nicht nur beim „Zugang“ zu ihrer Tätigkeit vor Diskriminierungen zu schützen sind (z. B. bei der Einstellung), sondern auch
__________ 48 Vgl. nur Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 39 EGV Rz. 10 f.; Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Stand 2001, Art. 39 EGV Rz. 10 ff.; Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2006, S. 29 f.; Wißmann in ErfK, 7. Aufl. 2007, Art. 39 EGV Rz. 8; Strick in HWK, 2. Aufl. 2006, Art. 39 EGV Rz. 13 f. 49 EuGH v. 17.3.2005, NJW 2005, 1481 (Kranemann); v. 23.3.2004, Slg. 2004-I, 2703, 2743 f. (Collins). 50 EuGH v. 13.1.2004, Slg. 2004-I, 873, 929 f. (Allonby). 51 Vgl. Kuhn (Fn. 4), S. 35 ff.
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in Bezug auf ihre sonstigen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen), weil sie diese nicht eigenständig gestalten können, so dass ihre weitere Marktteilhabe von der diskriminierungsfreien Gestaltung ihrer Beschäftigungsbedingungen abhängig bleibt. Die Gleichbehandlungsrichtlinien haben nicht nur die ihren Anwendungsbereich kennzeichnenden Begriffe aus dem EG-Vertrag übernommen. Sie verfolgen auch die gleiche Marktphilosophie. Gemeinschaftsrechtskonform ist das AGG daher so auszulegen, dass weder selbstständig noch unselbstständig Erwerbstätige hinsichtlich des Zugangs zum Markt benachteiligt werden dürfen. Für den Anwendungsbereich des AGG ist daher wesentlich, dass die in § 6 Abs. 3 AGG angeordnete „entsprechende“ Anwendung auf Selbstständige und Organmitglieder auch tatsächlich nur solche Erwerbstätige betrifft, für die nur der Zugang, nicht aber die Ausgestaltung ihrer Tätigkeit fremdbestimmt ist. Eine Wortlautinterpretation des § 6 Abs. 3 AGG bestätigt diese Teleologie, weil die Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen als Beispiel („insbesondere“) für Selbstständige und Organmitglieder neben Vorständen genannt werden. Daraus folgt, dass damit nur Gesellschafter-Geschäftsführer gemeint sein können, deren Entscheidungsmacht so weitgehend ist, dass formale „Weisungen“ der Gesellschafterversammlung materiell nicht als Fremdbestimmung angesehen werden können. Für die Anwendbarkeit des AGG ist damit im Kern die Frage entscheidend, inwieweit der Abschluss von (freien) Dienstverträgen Bedingung für den Zugang zu oder bereits Teil praktizierter Erwerbstätigkeit ist. Aus den Gleichbehandlungsrichtlinien kann abgeleitet werden, dass das Verbot der Diskriminierung auf Anbieterseite den Zugang zum Markt (arbeitsrechtlicher Teil des AGG) und auf Nachfragerseite den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (zivilrechtlicher Teil des AGG) sicherstellen soll. Damit können Anbieter ihre Arbeitskraft diskriminierungsfrei anbieten und Nachfrager Güter und Dienstleistungen diskriminierungsfrei annehmen. Die Nichtannahme eines Angebots ist der Nachfragerseite jedoch noch immer freigestellt. Wäre der Abschluss eines Anstellungsvertrages mit einem Fremdgeschäftsführer – so wie der Abschluss eines freien Dienstvertrages zwischen einem Tennislehrer und seinem Schüler – bereits als Teil von dessen bereits praktizierter Erwerbstätigkeit anzusehen, so wäre die Gesellschafterversammlung in ihrer Abschluss- und Ausgestaltungsfreiheit nicht den Einschränkungen des AGG unterworfen. Doch ist für die praktische Tätigkeit eines Fremdgeschäftsführers eben nicht der Abschluss von sich selbst betreffenden Anstellungsverträgen charakteristisch, sondern die Führung der Geschäfte einer GmbH. Der Abschluss eines Anstellungsvertrages mit einem Fremdgeschäftsführer ist daher als Marktzugangsbedingung (und nicht als Teil seiner Erwerbstätigkeit) zu qualifizieren. Der arbeitsrechtliche Teil des AGG ist daher auf dieses Anstellungsverhältnis anzuwenden. Eine benachteiligende Ausgestaltung des Anstellungsvertrages würde ein Marktzugangshemmnis bilden. Sie ist daher unzulässig.
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5. Lösung: Analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 AGG auf den Fremdgeschäftsführer Dieses gemeinschaftsrechtlich gebotene Auslegungsergebnis kann angesichts der in § 6 Abs. 1 und 3 AGG verwendeten Begriffe nur im Wege der Analogie erreicht werden. Denn der Begriff des Arbeitnehmers und der der arbeitnehmerähnlichen Person ist im deutschen Recht bereits „anderweitig vergeben“: Der Fremdgeschäftsführer ist daher weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Person52 im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG. Der den Geschäftsführer erwähnende § 6 Abs. 3 AGG beschränkt den Anwendungsbereich auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg und ist damit zu eng. Der Absatz möchte ersichtlich nur „echte“ Selbstständigkeit erfassen. Doch bleibt letztlich noch zu fragen, ob die Doppelstellung des Geschäftsführers gegen diese Analogie spricht, weil die Funktionsfähigkeit seiner Organstellung beeinträchtigt sein könnte, kurz: ob der Vorrang des Gesellschaftsrechts die vorgeschlagene komplette Anwendung des AGG hindern würde. Doch lässt sich auch bei gesellschaftsrechtlicher Betrachtung keine Konstellation vorstellen, in der die Organstellung des Fremdgeschäftsführers dessen Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erforderlich erscheinen lassen könnte53. Allein auf das Alter als solches abzustellen würde eben den Anforderungen an die Organstellung genau so wenig gerecht wie bei der Zwangspensionierung leitender Angestellter, bei deren Marktzutritt es in erster Linie auf Sachkompetenz, Führungseignung und Berufserfahrung ankommen muss und nicht auf das Alter also solches.
V. Fazit Die Frage, wie das auf der Doppelstellung des (Fremd-)Geschäftsführers beruhende Spannungsverhältnis zwischen Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht aufzulösen ist, hat durch das AGG an Brisanz gewonnen. Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG ist der arbeitsrechtliche Teil des AGG zwar auch auf Geschäftsführer entsprechend anzuwenden. Während Arbeitnehmer jedoch nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG auch im Hinblick auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen vor Benachteiligungen geschützt sind, gilt dies nach dem Wortlaut des Gesetzes für Geschäftsführer nur hinsichtlich des Zugangs zur Erwerbstätigkeit und des beruflichen Aufstiegs. Hieraus könnte gefolgert werden, dass sich z. B. eine
__________ 52 So aber z. B. Boemke, ZfA 1998, 209, 217 ff.; zutr. a. A. Hromadka in FS Söllner, 2000, S. 461, 464; Kuhn (Fn. 4), S. 69 ff.; Wank (Fn. 2), S. 587, 607: Arbeitnehmerähnlicher ist unstr. Selbstständiger. 53 Bauer/Göpfert/Krieger, DB 2005, 595, 598 bzw. Fn. 27, § 6 AGG Rz. 35 plädieren für die Berücksichtigung der Besonderheiten der Organstellung bei der Anwendung des AGG auf das Dienstverhältnis von Organmitgliedern. Dabei handelt es sich aber um kein Problem einer grundsätzlichen Kollision von Gesellschafts- und Gleichbehandlungsrecht, sondern darum, dass die mit einer Organstellung verbundenen besonderen beruflichen Anforderungen eine unterschiedliche Behandlung nach den §§ 8–10 AGG rechtfertigen können.
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Höchstaltersgrenze in einem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag als Entlassungsbedingung nicht am Maßstab des AGG messen lassen müsste. Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung der arbeitsrechtliche Teil des AGG auf die Anstellungsverhältnisse von Fremdgeschäftsführern in vollem Umfang analog anzuwenden ist. Die Frage nach der Zulässigkeit einer Höchstaltersgrenze im Anstellungsvertrag eines Fremdgeschäftsführers ist somit dahingehend zu beantworten, dass sich diese am Maßstab des arbeitsrechtlichen Teils des AGG messen lassen muss. Der Jubilar ist das beste Beispiel dafür, dass die geistige Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter nicht abnehmen muss. So wird er lächelnd feststellen, dass einige der Autoren, die die Zulässigkeit von Höchstaltersgrenzen in Anstellungsverträgen von Organmitgliedern bejahen, sich konsequenterweise selbst bereits im Ruhestand befinden müssten.
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Zweifelsfragen zum Dividendenverlust nach § 28 WpHG Inhaltsübersicht I. Tatbestandsmerkmale des § 28 WpHG 1. Nichterfüllung der Mitteilungspflicht? 2. Verschulden a) Fehlende Kenntnis vom meldepflichtigen Sachverhalt b) Fehlende Kenntnis von der Meldepflicht c) Darlegungs- und Beweislast II. Rechtsfolge 1. Subjektive Voraussetzungen der Ausnahme a) Fehlende Kenntnis der die Meldepflicht begründenden Tatsachen b) Fehlende Kenntnis der Meldepflicht
2. Nachholung der Mitteilungspflicht a) Absetzen einer Mitteilung b) Nachholung ohne Mitteilung? c) Nachholung nur der letzten Mitteilung? III. Auswirkungen unberechtigter Dividendenzahlungen 1. Rückforderung zu Unrecht ausgezahlter Dividende 2. Erhöhung der Dividende der anderen Aktionäre oder Verbleib bei der Gesellschaft? a) Erhöhung der Dividende der anderen Aktionäre b) Verbleiben der Dividende bei der Gesellschaft c) Stellungnahme IV. Ergebnis
Mit dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 5.1.2007 – dem TUG – hat der Gesetzgeber erneut die Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG ausgeweitet, um die Beteiligungstransparenz zu verbessern. So wurden neben den bereits bestehenden Meldeschwellen von 5, 10, 25, 50 und 75 % die zusätzlichen Meldeschwellen von 3, 15, 20 und 30 % eingeführt. Zugleich verkürzte der Gesetzgeber die Maximalfristen für die Mitteilung von Beteiligungen an börsennotierten Aktiengesellschaften von bisher sieben Kalendertagen auf vier Handelstage1. Ein weiteres Mal reformiert wurden die Zurechnungstatbestände des § 22 WpHG. Die sich hieraus ergebenden Zweifelsfragen sind so vielfältig, dass das Risiko, dass ein Aktionär die Mitteilungspflichten verletzt, hoch ist. Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen deshalb die Sanktionen des § 28 WpHG: Werden Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG verletzt, hat dies nach § 28 Satz 1 WpHG zur Folge, dass Rechte, und zwar Verwaltungs- wie Vermögensrechte, aus unmittelbaren oder nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 WpHG
__________ 1 Handelstage sind Kalendertage, die nicht Sonnabende, Sonntage oder zumindest in einem Bundesland landeseinheitlich gesetzlich anerkannte Feiertage sind, § 30 Abs. 1 WpHG.
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zugerechneten Aktien so lange nicht bestehen, bis die Mitteilungspflichten erfüllt sind. Diese Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn in einem Konzern eine Obergesellschaft Mitteilungspflichten nicht erfüllt; in diesem Fall treffen die Rechtsfolgen des § 28 WpHG auch die Gesellschaft, die unmittelbar Aktionärin ist, und zwar selbst dann, wenn sie selbst alle Meldepflichten erfüllt hat. Angesichts der Komplexität der Regelungen der §§ 21 ff. WpHG und der Vielzahl ungeklärter Rechtsfragen ist diese Rechtsfolge hart. Nicht von ungefähr schränkt der Gesetzgeber die Rechtsfolge des § 28 WpHG denn auch für Dividendenansprüche ein. Nach § 28 Satz 2 WpHG droht hier kein Rechtsverlust, wenn die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist. Dies vermag auf den ersten Blick zu beruhigen, bei näherem Betrachten wirft aber auch diese Bestimmung etliche Fragen auf. Ihnen soll im Folgenden nachgegangen werden.
I. Tatbestandsmerkmale des § 28 WpHG 1. Nichterfüllung der Mitteilungspflicht? Bereits die Frage, wann Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG im Sinne des § 28 WpHG nicht erfüllt wurden, beantwortet das Schrifttum unterschiedlich. Nach der herrschenden Meinung liegt das Nichterfüllen einer Mitteilungspflicht immer dann vor, wenn eine Mitteilung gar nicht, unvollständig oder falsch abgegeben wurde2. Demgegenüber folgert Hüffer aus dem Unterschied im Wortlaut der Bußgeldvorschriften des WpHG („eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig macht“, § 39 Abs. 2 Nr. 2 WpHG am Ende) gegenüber dem des § 28 WpHG, in dem nur davon die Rede ist, dass Mitteilungspflichten „nicht erfüllt werden“, eine Nichterfüllung im Sinne des § 28 WpHG liege nur dann vor, wenn die gebotene Mitteilung ganz unterlassen werde3. Ihm wird, meines Erachtens zu Recht, entgegengehalten, aus der Aufschlüsselung der Bußgeldtatbestände könne wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen der Bestimmungen kein solcher Rückschluss gezogen werden; die abweichende Formulierung der Bußgeldvor-
__________ 2 Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 22 Anh § 28 WpHG Rz. 3; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 4. Aufl. 2006, § 28 WpHG Rz. 16; Fiedler, Mitteilungen über Beteiligungen von Mutter- und Tochterunternehmen, 2005, S. 128; Gelhausen/Bandey, WPg 2000, 497, 498; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Ergänzungsband zur 6. Aufl. 2001, §§ 20– 22 AktG n. F., §§ 21–30 WpHG n. F. Rz. 14; zu § 59 WpÜG: Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 59 WpÜG Rz. 12 f. und Tschauner in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2002, § 59 WpÜG Rz. 11; zu § 20 Abs. 7 AktG: Windbichler in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 20 AktG Rz. 66. 3 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 22 Anh § 28 WpHG Rz. 3.
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schriften habe ihren Grund in dem im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Bestimmtheitsgrundsatz, § 3 OWiG4. Richtig ist daher, dass § 39 Abs. 2 Nr. 2 WpHG den Inhalt der Mitteilungspflichten konkretisiert5. Der von Hüffer zur Unterstützung seiner Auffassung herangezogene Umstand, dass die Regierungsbegründung nur das Unterlassen der gebotenen Mitteilung anführt6, ist ebenfalls kein zwingendes Argument; denn jede inhaltlich falsche Mitteilung kann auch als Unterlassen der gebotenen inhaltlich richtigen Mitteilung verstanden werden. Eine andere Differenzierung wagt Schwark. Er stellt für die „nur“ schlecht erfüllte Mitteilungspflicht darauf ab, ob bei der Gesellschaft oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eine falsche Vorstellung über die Zusammensetzung der Stimmrechte erweckt werden könne. Dies sei bei nur formalen Mängeln oder inhaltlichen Ungenauigkeiten, z. B. der nicht korrekten Angabe der Höhe der Stimmrechtsanteile, nicht der Fall7. Nicht eindeutig ist, ob dies so zu verstehen sein soll, dass nur eine nicht korrekte Angabe eines Stimmrechtsanteils oberhalb einer Meldeschwelle unbeachtlich sein soll, wenn der tatsächliche Anteil vom gemeldeten nicht allzu weit abweicht und die Abweichung Meldeschwellen nicht berührt, oder ob jede nicht korrekte Angabe der Höhe der Stimmrechtsanteile umfasst sein soll. In letzterem Fall ginge diese teleologische Reduktion des § 28 WpHG angesichts von Sinn und Zweck des § 21 WpHG zu weit, weil dieser gerade auf das Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten bestimmter Stimmrechtsschwellen abstellt. Im Ergebnis muss es daher dabei bleiben, dass bei der Anwendung des § 28 WpHG die Schlechterfüllung der Nichterfüllung gleichsteht8. Nur die Fehlerhaftigkeit von (am Maßstab des Informationszwecks) unmaßgeblichen Angaben, wie etwa eine fehlerhafte Anschrift, löst keine Rechtsfolgen nach § 28 WpHG aus9. Werden Meldeschwellen erreicht, überschritten oder unterschritten, ist dies eine so wesentliche Angabe, dass deren inkorrekte Mitteilung zu einem Rechtsverlust führt wie eine gänzlich unterlassene Mitteilung10. 2. Verschulden Nach herrschender Meinung tritt der Rechtsverlust nach § 28 Satz 1 WpHG nur ein, wenn der Meldepflichtige seine Mitteilungspflichten schuldhaft, also
__________ 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 12 (zu § 59 WpÜG). 5 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 11, 16; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 22 Anh § 28 WpHG Rz. 3. 6 BT-Drucks. 12/6679, S. 56 liSp. 7 Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. 2004, § 28 WpHG Rz. 3. 8 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 13 (zu § 59 WpÜG); Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 66. 9 Vgl. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 19; Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 66. 10 Vgl. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 19.
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vorsätzlich oder fahrlässig, nicht erfüllt hat11. Dies wird zum einen damit begründet, der Meldepflichtige sei nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG zur unverzüglichen Mitteilung verpflichtet; unverzüglich bedeute aber nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 2 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“ und setze daher die schuldhafte Verletzung der Mitteilungspflicht voraus12. Zum anderen sei § 28 WpHG als Sanktion der Verletzung von Mitteilungspflichten gedacht und habe daher Strafcharakter. Dies spreche schon wegen des mit Verfassungsrang geltenden Schuldprinzips13 für das Erfordernis eines Verschuldens14. Bei der Frage, ob eine Mitteilungspflicht schuldhaft nicht erfüllt wurde, sind folgende Fälle zu unterscheiden: a) Fehlende Kenntnis vom meldepflichtigen Sachverhalt Kennt der Meldepflichtige den meldepflichtigen Sachverhalt nicht, befindet er sich in einem Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz und damit eine schuldhafte Verletzung der Mitteilungspflichten aus § 21 WpHG ausschließt15. Bloße Unkenntnis des relevanten Sachverhaltes allein entlastet den Aktionär aber nicht. Vielmehr ist in diesem Fall zu fragen, ob der Aktionär den meldepflichtigen Sachverhalt hätte kennen müssen. Dabei dürfte für den Regelfall davon auszugehen sein, dass Aktionäre, die Aktien an einer börsennotierten Gesellschaft in der Nähe einer Meldeschwelle halten, eine Beobachtungs- und Erkundigungspflicht trifft16; hierfür spricht auch die Einführung des § 26a WpHG, der den Aktionären die Verfolgung der Höhe ihrer Stimmrechtsanteile
__________ 11 Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 22 Anh § 28 WpHG Rz. 6; Hüffer (Fn. 3), § 22 Anh § 28 WpHG, Rz. 3 i. V. m. § 20 Rz. 11; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 68 Rz. 132; Opitz in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. (Stand Januar 2006), § 28 WpHG Rz. 6 ff.; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 Rz. 20; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 45; Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 16 (beide zu § 59 WpÜG); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, § 20 AktG Rz. 46 und Burgard, Die Offenlegung von Beteiligungen, 1990, S. 56 (beide zu § 20 Abs. 7 AktG); a. A. Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 496; differenzierend Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 70 zu § 20 Abs. 7 AktG (kein über das Kennenmüssen des Tatbestands hinausgehendes Verschulden). 12 Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 6 ff.; Emmerich in Emmerich/ Habersack (Fn. 11), § 20 AktG Rz. 46 (zu § 20 Abs. 7 AktG); Tschauner in Geibel/ Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 17 (zu § 59 WpÜG). 13 BVerfGE 80, 244, 255. 14 Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 22 WpHG Rz. 7. 15 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 20; Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 22 WpHG Rz. 7. 16 Vgl. Schreiben des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel v. 28.6.1999 am Ende, das die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zwar aufgehoben hat, das in diesem Punkt m. E. jedoch weiterhin herangezogen werden kann; ähnlich wohl auch Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 21 WpHG Rz. 24a, 25; Hüffer (Fn. 3), § 22 Anh § 21 WpHG Rz. 11 und § 62 Rz. 11; Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 21 WpHG Rz. 27 f.; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 22 Anh § 21 WpHG Rz. 34 und § 62 Rz. 69; Burgard, BB 1995, 2069, 2071.
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– und damit auch das Erkennen des Erreichens von Meldeschwellen – erleichtern soll. b) Fehlende Kenntnis von der Meldepflicht Fraglich ist, ob die gleichen Erwägungen gelten, wenn der Meldepflichtige nicht über die tatsächlichen Umstände seiner Meldepflicht irrt, sondern über das Bestehen der Meldepflicht selbst, etwa weil er die Zurechnungstatbestände des § 22 WpHG verkennt. Dabei ist der Sorgfaltsmaßstab zur Sicherung des Kapitalmarkts hoch anzulegen. Den Aktionär, der durch Aktienbesitz an einer börsennotierten Gesellschaft am Kapitalmarkt teilnimmt, treffen erhöhte Pflichten, sich über die einschlägigen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften kundig zu machen17. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, handelt er zumindest fahrlässig und damit schuldhaft, wenn er aufgrund des Rechtsirrtums seinen Mitteilungspflichten nicht entspricht. Nur ein unvermeidbarer Irrtum ist beachtlich und schließt Verschulden aus18. Ein solcher das Verschulden ausschließender Irrtum dürfte allerdings auch hier die Ausnahme sein. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Meldepflichtige von einem im Kapitalmarktrecht erfahrenen Rechtsanwalt dahingehend beraten worden ist, im konkreten Sachverhalt bestehe keine Meldepflicht19. c) Darlegungs- und Beweislast Ist streitig, ob ein Aktionär die Mitteilungspflicht schuldhaft verletzt hat, trägt dieser die Darlegungs- und Beweislast für sein Nicht-Verschulden20.
II. Rechtsfolge Steht fest, dass eine Mitteilungspflicht schuldhaft nicht oder nicht hinreichend erfüllt wurde, kommen die Rechtsfolgen des § 28 Satz 1 WpHG zur Anwendung. Dies ist neben dem Verlust der Verwaltungsrechte der Verlust der Vermögensrechte, namentlich des Anspruchs auf Dividende. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Verlust des Dividendenanspruchs nach § 28 Satz 1 WpHG ist der Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses, § 174 AktG. Ist zu
__________ 17 Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 7; Hüffer (Fn. 3), § 22 Anh § 21 WpHG Rz. 11; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 22 Anh § 21 WpHG Rz. 34. 18 Im Ergebnis für den Fall eines entschuldbaren Rechtsirrtums ebenso Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 22 Anh § 28 WpHG Rz. 6; Tschauner in Geibel/ Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 20 (zu § 59 WpÜG); Gelhausen/Bandey, WPg 2000, 497, 501; nach Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 21, ist ein Rechtsirrtum zumindest „ausnahmsweise anzuerkennen“. 19 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 64, 67; Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 500; Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 69 (zu § 59 WpÜG). 20 Zu § 20 Abs. 7 AktG: Hüffer (Fn. 3), § 20 Rz. 11; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 20 AktG Rz. 58 (zu § 20 Abs. 7 AktG); Windbichler in Großkomm. AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 87; Burgard (Fn. 11), S. 56.
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diesem Zeitpunkt zutreffend gemeldet worden, steht dem Aktionär die volle Dividende zu, auch wenn in dem Zeitraum vor dem Gewinnverwendungsbeschluss die Mitteilungspflicht verletzt worden war21. Ist in diesem Zeitpunkt die Meldepflicht verletzt, tritt grundsätzlich der Rechtsverlust ein, es sein denn, die Mitteilung ist nicht vorsätzlich unterlassen und nachgeholt worden, § 28 Satz 2 WpHG. Auch die Voraussetzungen dieser Ausnahme sind sehr umstritten: 1. Subjektive Voraussetzungen der Ausnahme Über § 28 Satz 2 WpHG kommt erneut ein subjektives Element, vorsätzliches Unterlassen, in den Tatbestand, das vom ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal des § 28 Satz 1 WpHG, der schuldhaften Verletzung der Mitteilungspflicht, zu unterscheiden ist. § 28 Satz 2 WpHG legt nicht fest, ob der zivilrechtliche Vorsatzbegriff, der strafrechtliche Vorsatzbegriff oder ein eigenständiger kapitalmarktrechtlicher Vorsatzbegriff gilt. Bei dieser Frage ist wiederum zu differenzieren: a) Fehlende Kenntnis der die Meldepflicht begründenden Tatsachen Vorsatz setzt unabhängig davon, welchen Vorsatzbegriff man zugrunde legt, voraus, dass der Meldepflichtige jedenfalls die Tatsachen, welche die Meldepflicht begründen, gekannt oder deren Vorliegen zumindest billigend in Kauf genommen hat22. Die Umstände, auf deren Kenntnis es ankommt, sind dieselben, die auch für die Frage des Verschuldens als Tatbestandsvoraussetzung des § 28 Satz 1 WpHG relevant sind. Zu beachten ist lediglich, dass bei § 28 Satz 1 WpHG Fahrlässigkeit ausreicht, während die Ausnahme vom Rechtsverlust nach § 28 Satz 2 WpHG nur dann nicht eintritt, wenn (bedingter) Vorsatz vorliegt. b) Fehlende Kenntnis der Meldepflicht Die unterschiedlichen Auffassungen zum Vorsatzbegriff kommen indes in den Fällen zum Tragen, in denen sich der Meldepflichtige der Meldepflicht nicht bewusst ist. Im Strafrecht führt nach der herrschenden Schuldtheorie die Unkenntnis einer Verbotsnorm nicht zum Wegfall des Vorsatzes, weil dieser sich nur auf die tat-
__________ 21 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 33; Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 496; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 59; Gelhausen/Bandey, WPg 2000, 497, 500; Adler/Düring/ Schmaltz (Fn. 2), §§ 20–22 AktG n. F., §§ 21–30 WpHG n. F. Rz. 33; Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 25 f. (zu § 59 WpÜG); Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 20), § 20 AktG Rz. 73 (zu § 20 Abs. 7 AktG); Hüffer in FS Boujong, 1996, S. 277, 290 (zu § 20 Abs. 7 AktG). 22 Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 499; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 64.
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sächlichen Umstände beziehen muss. War der Verbotsirrtum unvermeidbar, entfällt die Schuld, § 17 StGB23. Ein Wegfall der Schuld spielt aber im Rahmen des § 28 Satz 2 WpHG, der nur auf den Vorsatz abhebt, keine Rolle. Damit bliebe es selbst im Falle eines fahrlässig vermeidbaren Irrtums über die Meldepflicht bei der strengen Rechtsfolge des § 28 Satz 1 WpHG. Dieses Ergebnis ist meines Erachtens mit dem Zweck, den § 28 Satz 2 WpHG verfolgt, nicht vereinbar. Nach der im Zivilrecht vorherrschenden Vorsatztheorie muss sich der Vorsatz auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit erstrecken24. Die Anwendung dieses Vorsatzbegriffes auf § 28 Satz 2 WpHG wird indes für den Kapitalmarkt als nicht sachgerecht abgelehnt25. Die herrschende Meinung bestimmt deshalb den Vorsatz eigenständig kapitalmarktrechtlich. Danach ist es nicht erforderlich, dass der Meldepflichtige das Bewusstsein hat, rechtswidrig zu handeln; kennt er seine kapitalmarktrechtliche Meldepflicht nicht, soll dies den Vorsatz nur dann ausschließen, wenn der Irrtum über die Meldepflicht unvermeidbar war26. Das überzeugt schon deshalb nicht, weil im Falle eines unvermeidbaren, also entschuldigten Rechtsirrtums gar kein Rechtsverlust nach § 28 Satz 1 WpHG eingetreten ist (vgl. oben I.2.b). Entscheidend ist daher die Beurteilung eines vermeidbaren Rechtsirrtums. Auch hier ist dem kapitalmarktrechtlichen Ansatz jedoch nicht zu folgen. Indem der Gesetzgeber den dauerhaften Verlust des Dividendenanspruchs nur für den Fall des vorsätzlichen Verstoßes gegen die Meldepflicht vorsieht, gibt er zu erkennen, dass die Sanktion des Dividendenverlustes (der Verlust der Verwaltungsrechte bleibt von § 28 Satz 2 WpHG unberührt) nur eingreifen soll, wenn den Meldepflichtigen ein erhöhter Unrechtsvorwurf bezüglich des Verstoßes gegen die Meldepflichten trifft. Ziel der Meldepflichten nach §§ 21 ff. WpHG ist es, den Kapitalmarkt zeitnah über Veränderungen in der Zusammensetzung des Aktionärskreises und der Aktionärsbeteiligungen zu informieren. Es ist daher folgerichtig, den Verlust des Stimmrechtes bereits an den fahrlässigen Verstoß gegen Meldepflichten zu knüpfen. Ziel der Regelungen über Meldepflichten ist es jedoch nicht, dem Aktionär seine aus der Aktie fließende Gewinnbeteiligung zu nehmen. § 28 WpHG soll mit seiner Sanktion des (vorläufigen) Verlustes des Dividendenanspruchs vielmehr nur die Befolgung der Meldepflichten erzwingen: Er droht demjenigen, der mit Wissen und Wollen den Kapitalmarkt in die Irre führen will, indem er seinen Meldepflichten nicht nachkommt, auch den endgültigen
__________ 23 24 25 26
BGH, GrStS 2, 194; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2006, vor § 13 StGB Rz. 31. BGH, NJW 2002, 3255; Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 276 BGB Rz. 11. Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 500. Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 500; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 64, 66; Schwark (Fn. 7), § 28 WpHG Rz. 13; Adler/ Düring/Schmaltz (Fn. 2), §§ 20–22 AktG n. F., §§ 21–30 WpHG n. F. Rz. 50; im Ergebnis auch Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 69 (zu § 59 WpÜG) und Schlitt in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 59 WpÜG Rz. 59 (zu § 59 WpÜG), die allerdings auf eine entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 1 StGB abstellen.
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Verlust seines Dividendenanspruchs an. Diese Sanktion kann aber nur den Aktionär abschrecken, der seine Meldepflicht kennt, sich im Angesicht der Sanktion also bewusst für einen Verstoß entscheidet. Mit diesem Zweck ist es nicht zu vereinbaren, die Sanktion auch bei demjenigen eingreifen zu lassen, der seine Meldung nur deswegen nicht oder nicht ordnungsgemäß vornimmt, weil er das Bestehen oder die Grenzen seiner Meldepflicht verkennt. Der Dividendenanspruch soll daher dem Aktionär nur dann endgültig versagt werden, wenn der Meldepflichtige zumindest billigend in Kauf nimmt, dass er einer Meldepflicht unterliegt, die Meldung aber nicht vornimmt, oder dass seine Meldung nicht ordnungsgemäß ist, die entsprechende Änderung oder Ergänzung der Meldung aber unterlässt27. In den anderen Fällen genügt ein vorübergehender Entzug des Dividendenanspruchs bis zur Nachholung der Meldung. Daraus folgt, dass das Wiederaufleben des Dividendenanspruchs gemäß § 28 Satz 2 WpHG nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Meldepflichtige sowohl die Umstände kennt, die die Meldepflicht auslösen, als auch die Meldepflicht selbst. 2. Nachholung der Mitteilungspflicht § 28 Satz 2 WpHG setzt außerdem voraus, dass die Mitteilung nachgeholt wurde. Dabei sind folgende Fragen zu unterscheiden: a) Absetzen einer Mitteilung Der einfache Fall der Nachholung der Mitteilungspflicht im Sinne des § 28 WpHG ist die Absetzung einer Mitteilung nach § 21 WpHG unter Beachtung auch der Vorgaben der §§ 17 ff. Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung. b) Nachholung ohne Mitteilung? Problematisch sind hingegen die Fälle, in denen Kapitalerhöhungen oder Kapitalherabsetzungen dazu führen, dass Schwellenwerte, die der Meldepflichtige zuvor ohne Mitteilung überschritten oder unterschritten hatte, in umgekehrter Richtung unter- oder überschritten werden. Der Gedanke, einen solchen Fall, in dem der Mitteilungspflichtige überhaupt nichts veranlasst hat, als einen Fall des Nachholens einer Mitteilung im Sinne des § 28 WpHG zu behandeln, mag irritieren. Zu bedenken ist jedoch, dass auch in einer solchen Fallgestaltung die Meldelage und die wahre Sachlage wieder in Einklang ge-
__________ 27 Wie hier für die Zugrundelegung des zivilrechtlichen Vorsatzbegriffs Hecker in Baums/Thoma, WpÜG, Loseblatt (Stand Mai 2004), § 59 WpÜG Rz. 125 (zu § 59 WpÜG).
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führt werden. Rechtlich kommt es also darauf an, ob mit dem Wegfall vergangener Gegebenheiten auch der Normzweck des § 28 WpHG für die Zukunft obsolet wird. Folgte man dem, was einzelne Autoren tun, wäre das Wiederaufleben mitgliedschaftlicher Rechte nicht von einer aktiven Nachholung der Mitteilung abhängig28. Ein solches Verständnis überdehnt meines Erachtens jedoch den durch den Wortlauf des § 28 WpHG gezogenen Rahmen. Nach ganz herrschender Meinung endet denn auch der Verlust der Rechte aus der Aktie erst dann, wenn die Mitteilung ordnungsgemäß vorgenommen wird. Das bloße spätere Über-/Unterschreiten der Stimmrechtsschwelle aufgrund von Kapitalmaßnahmen führt nicht zu einem Wiederaufleben der Rechte29. Diese Auslegung steht auch mit der Tatsache in Einklang, dass die Mitteilungspflichten aus §§ 21 ff. WpHG ebenfalls durch solche Maßnahmen unberührt fortbestehen30. Als effektiver Anreiz für ihre Erfüllung muss das Wiederaufleben des Dividendenanspruchs nach § 28 Satz 2 WpHG an eine aktive Nachholung durch den Mitteilungspflichtigen geknüpft werden. c) Nachholung nur der letzten Mitteilung? Eine andere Frage im Zusammenhang mit der Nachholung unterlassener Mitteilungen ist, ob es ausreicht, wenn bei mehreren unterlassenen Meldungen die letzte nachgeholt wird31. Für ein solches Ergebnis könnte sprechen, dass eine Verwirrung des Kapitalmarktes durch überholte Mitteilungen vermieden wird. Dagegen spricht allerdings überzeugend, dass gerade der Kapitalmarkt nicht allein wegen der Sanktion des § 28 WpHG ein Interesse daran hat, dass alle unterlassenen Mitteilungen nachgeholt werden. Denn nur anhand der Nachholung aller Mitteilungen können der Kapitalmarkt und die Mitaktionäre nachvollziehen, ob und wie sich die Beteiligung entwickelt hat und in welchem Umfang Dividendenrechte verlorengegangen sein könnten.
III. Auswirkungen unberechtigter Dividendenzahlungen In der Praxis dürfte es immer wieder vorkommen, dass unterlassene Mitteilungen zu einem Zeitpunkt nachgeholt werden, in dem bereits einmal oder mehrmals Dividenden durch die Gesellschaft ausgezahlt worden waren. In diesen Fällen fragt es sich, welche Folge der Verlust des Anspruchs auf Dividende durch den pflichtwidrig handelnden (säumigen) Aktionär hat.
__________ 28 So Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 20), § 20 AktG Rz. 50 (zu § 20 Abs. 7 AktG). 29 Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 496 f.; Schwark (Fn. 7), § 28 WpHG Rz. 12; Stucken in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, S. 736; Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 49 (zu § 59 WpÜG). 30 S. Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 49. 31 So Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 496.
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1. Rückforderung zu Unrecht ausgezahlter Dividende Wurden Dividenden zu Unrecht ausgezahlt, kann die Gesellschaft diese vom säumigen Aktionär zurückfordern. Streitig ist lediglich, auf welche Anspruchsgrundlage sie sich hierbei stützen kann. Während eine Auffassung den Rückzahlungsanspruch auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB stützt32, ist die Dividende nach herrschender Meinung gemäß § 62 Abs. 1 AktG zurückzuzahlen33. Für die herrschende Meinung spricht, dass eine Dividendenzahlung an einen Aktionär, der nach dem Gesetz nicht dividendenberechtigt ist, eine Leistung entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes darstellt, die mithin zur Kapitalerhaltung zurückzugewähren ist34. 2. Erhöhung der Dividende der anderen Aktionäre oder Verbleib bei der Gesellschaft? Rege diskutiert wird die Frage, ob die an den säumigen Aktionär zu Unrecht ausgezahlte Dividende anteilig den anderen Aktionären zusteht oder der Gesellschaft selbst. a) Erhöhung der Dividende der anderen Aktionäre Nach einer Auffassung erhöht sich der Anspruch der übrigen Aktionäre auf Dividende entsprechend35. Zur Begründung wird ausgeführt, dies folge aus § 58 Abs. 4 AktG, wonach die Aktionäre Anspruch auf den Bilanzgewinn haben. Im Gewinnverwendungsbeschluss werde stets über den Gesamtbetrag des auszuschüttenden Gewinns beschlossen, der sich im Fall eines wegen § 28 WpHG nicht gewinnberechtigten Aktionärs auf eine geringere Anzahl gewinnberechtigter Aktien verteile. Der Dividendenanspruch der gewinnberechtigten Aktionäre erhöhe sich aufgrund dessen selbst dann, wenn der Gewinnverwendungsbeschluss (auch) die Dividende pro Aktie festgelegt habe36.
__________ 32 Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 498. 33 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 35; Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 47; Gelhausen/Bandey, WPg 2000, 497, 498; Adler/Düring/Schmaltz (Fn. 2), §§ 20–22 AktG n. F., §§ 21–30 WpHG n. F. Rz. 31; zu § 20 Abs. 7 AktG: Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 76 und Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 20), § 20 AktG Rz. 82; zu § 59 WpÜG: Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 63. 34 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 35; Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 47; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 63 (zu § 59 WpÜG). 35 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 34; Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 498; Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 42; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 20), § 20 AktG Rz. 76 (zu § 20 Abs. 7 AktG); Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 51 (zu § 59 WpÜG). 36 Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 42; in diesem Sinne auch Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 2), § 28 WpHG Rz. 34.
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Zweifelsfragen zum Dividendenverlust nach § 28 WpHG
Diese Auffassung führt zu folgenden Ergebnissen: Nur dann, wenn der Aktionär die Mitteilung vorsätzlich unterlassen hat und damit auch eine Nachholung der Mitteilung seinen Dividendenanspruch nicht wieder aufleben lässt, steht fest, dass die anderen Aktionäre bereits zum Zeitpunkt des damaligen Gewinnverwendungsbeschlusses einen höheren Dividendenanspruch hatten37; diesen hat die Gesellschaft, die regelmäßig den Verstoß gegen die Meldepflicht ja nicht kennt, noch nicht erfüllt und muss ihn dementsprechend noch erfüllen. Hat der Aktionär indes seine Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen, kann er sie nachholen und seinen Dividendenanspruch dadurch wiederaufleben lassen. In diesem Falle geht einerseits der Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft mit der Mitteilung unter, der Dividendenanspruch des Aktionärs andererseits ist bereits durch die Gesellschaft mit der damaligen Dividendenzahlung erfüllt. Bis der nicht vorsätzlich handelnde säumige Aktionär die Mitteilung nachholt, muss die Gesellschaft von ihm Rückzahlung der (noch) zu Unrecht erhaltenen Dividende verlangen. b) Verbleiben der Dividende bei der Gesellschaft Nach der Gegenauffassung verbleibt hingegen die zurückgezahlte oder nicht abrufbare Dividende bei der Aktiengesellschaft selbst38. Für diese Ansicht werden vor allem praktische Gründe angeführt39. Dazu sogleich unter lit c. c) Stellungnahme Der Ansicht, die Dividende des säumigen Aktionärs stehe der Gesellschaft zu, ist nicht nur aus Praktikabilitäts-, sondern auch aus dogmatischen Gründen zuzustimmen. Die Ansicht, die auf den säumigen Aktionär entfallene Dividende erhöhe automatisch die Dividende der übrigen dividendenberechtigten Aktionäre, verkennt die maßgebliche Blickrichtung, nämlich die des abstimmenden Aktionärs, und steht deshalb mit der Auslegung des Gewinnverwendungsbeschlusses nicht in Einklang. Die überwiegende Meinung in der Literatur sieht die Angabe der Dividende pro Aktie nur als deklaratorischen Teil des Gewinnverwendungs-
__________ 37 Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 42. 38 Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 74 (zu § 20 Abs. 7 AktG); Krieger in MünchHdb. AG (Fn. 11), § 68 Rz. 131; Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 75; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 61 (zu § 59 WpÜG); Geßler, BB 1980, 217, 219 (zu § 20 Abs. 7 AktG); Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 11), § 20 AktG Rz. 56; im Ergebnis auch Hüffer in FS Boujong (Fn. 21), S. 277, 291 (zu § 20 Abs. 7 AktG), der allerdings darauf abstellt, dass die Hauptversammlung auch über die auf die einzelne Aktie zu entfallende Dividende zu beschließen hat, was keine automatische Erhöhung zulasse. 39 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 61 (zu § 59 WpÜG); Krieger (Fn. 11), § 68 Rz. 131; Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 75 (zu § 20 Abs. 7 AktG).
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beschlusses an40. Dies überzeugt nicht. Die gesetzliche Regelung zum Inhalt des Gewinnverwendungsbeschlusses ist nicht eindeutig, wenn sie in § 174 Abs. 2 Nr. 2 AktG von dem an die Aktionäre auszuschüttenden Betrag spricht. Darunter kann sowohl der Gesamtbetrag der Dividendenausschüttung als auch die konkrete auf jede gewinnberechtigte Aktie entfallende Dividende verstanden werden. Vor dem Hintergrund, dass der Gewinnverwendungsbeschluss auch Grundlage der tatsächlichen Auszahlung der Dividende ist, muss die Höhe der Dividende pro Aktie zumindest neben dem Gesamtausschüttungsbetrag konstitutive Angabe des Beschlusses sein. Eine Prüfung, ob die an ihn ausgeschüttete Dividende tatsächlich seiner anteilsmäßigen Berechtigung am Gesamtausschüttungsbetrag entspricht, ist dem Aktionär in vielen Fällen nicht möglich, weil er selbst – von § 28 WpHG ganz abgesehen – die Zahl der dividendenberechtigten Aktien nicht feststellen kann. Der Aktionär wird daher bei seiner Abstimmung über den Gewinnverwendungsbeschluss regelmäßig nicht die im Beschluss anzugebende Gesamtsumme der Ausschüttung, sondern die Dividende pro dividendenberechtigter Aktie im Blick haben. Diese Auslegung entspricht deshalb der Blickrichtung der Aktionäre, die den Beschluss fassen. Der Aktionär will regelmäßig auch nicht, dass ein Irrtum über die Anzahl der dividendenberechtigten Aktien zu einer Änderung der Dividende pro Aktie führt. Geht die Verwaltung etwa fälschlicherweise von einer zu niedrigen Anzahl dividendenberechtigter Aktien aus, gelangt sie also ausgehend von einem bestimmten Gesamtausschüttungsbetrag zu einer zu hohen Dividende pro Aktie, dürfte sich der Aktionär dagegen verwahren, dass eine niedrigere Dividende pro Aktie als im Gewinnverwendungsbeschluss festgelegt ausgeschüttet wird oder, falls die Dividende bereits ausbezahlt wurde, er gar einen Teil an die Gesellschaft zurückzahlen muss. Genau für diesen Fall teilt der Gesetzgeber in § 62 Abs. 1 AktG diese Ansicht des Aktionärs, sofern er gutgläubig war. In gleicher Weise ist der Gewinnverwendungsbeschluss auszulegen, wenn die Verwaltung eine zu hohe Anzahl dividendenberechtigter Aktien annimmt, weil sie von einem Verstoß gegen die Meldepflicht noch keine Kenntnis hat. Auch in diesem Fall muss der Gewinnverwendungsbeschluss so interpretiert werden, dass dieser nachträglich publik werdende Umstand keinen Einfluss auf die im Gewinnverwendungsbeschluss festgesetzte Dividende pro Aktie haben kann41. Erlangt die Gesellschaft Kenntnis vom Verstoß gegen die Meldepflicht, ist der Rückzahlungsanspruch gegen den säumigen Aktionär zu aktivieren. Steht allerdings noch nicht fest, ob der
__________ 40 Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 58 AktG Rz. 102; Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 58 AktG Rz. 103; Kropff in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 174 AktG Rz. 22; die teilweise für diese Auffassung in Bezug genommene Entscheidung des BGH in BGHZ 84, 303, 311 betrifft m. E. einen nicht verallgemeinerungsfähigen Spezialfall; a. A.: Hüffer in FS Boujong (Fn. 21), S. 277, 291; ders. (Fn. 3), § 174 AktG Rz. 5, § 170 Rz. 7; in diesem Sinne wohl auch Adler/ Düring/Schmaltz (Fn. 2), §§ 20–22 AktG n. F., §§ 21–30 WpHG n. F. Rz. 62. 41 Hüffer in FS Boujong (Fn. 21), S. 277, 291 (zu § 20 Abs. 7 AktG); Adler/Düring/ Schmaltz (Fn. 2), §§ 20–22 AktG n. F., §§ 21–30 WpHG n. F. Rz. 53, 62.
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Zweifelsfragen zum Dividendenverlust nach § 28 WpHG
Meldepflichtige die Meldung vorsätzlich unterlassen hat, könnte sein Dividendenanspruch im Fall der Nachholung der Mitteilung also wiederaufleben, hat die Gesellschaft diesen Dividendenanspruch als ungewisse Verbindlichkeit zu passivieren. Ein außerordentlicher Ertrag entsteht also erst, wenn der Dividendenanspruch des säumigen Aktionärs endgültig erloschen ist. Für diese Ansicht sprechen auch praktische Gründe: Wäre der Gewinnverwendungsbeschluss so zu interpretieren, dass den dividendenberechtigten Aktionären auch die Dividende des Aktionärs gebührt, der seiner Meldepflicht nicht nachgekommen ist, würde der Anspruch auf die zusätzliche Dividende mit dem Gewinnverwendungsbeschluss entstehen und fällig werden. Dies hätte zur Folge, dass die Gesellschaft den Mehrbetrag an die dividendenberechtigten Aktionäre bezahlen müsste, ehe feststeht, ob der säumige Aktionär seinen Rechtsverlust nach § 28 Satz 2 WpHG heilen kann. Um die Gesellschaft vor diesem Risiko zu schützen, nimmt auch die Ansicht, die die Dividende des säumigen Aktionärs den anderen Aktionären zuspricht, eine Verteilung der zusätzlichen Dividende an die übrigen Aktionäre nur dann an, wenn der vorsätzliche Verstoß gegen die Mitteilungspflicht endgültig feststeht42. Wann aber ist dies der Fall? Unterstellt, die Gesellschaft akzeptiert die Darlegungen des säumigen Aktionärs, dass er seine Meldepflicht nicht vorsätzlich verletzt und daher wirksam nachgeholt habe, ist diese Entscheidung auch für die anderen Aktionäre verbindlich? Oder können andere Aktionäre die Gesellschaft auf Zahlung der zusätzlichen Dividende verklagen mit der Begründung, der säumige Aktionär habe doch vorsätzlich gehandelt? Selbst eine rechtskräftige Entscheidung zu Gunsten des säumigen Aktionärs in einem Rechtsstreit mit der Gesellschaft wirkte nicht für und gegen die anderen Aktionäre, es sei denn, die Gesellschaft hätte diesen den Streit verkündet, was praktisch nicht möglich ist. Diese Probleme sind nicht außerhalb der Welt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass schon die Verletzung der Meldepflicht bei der Schwelle von 3 % einen Dividendenbetrag in Millionenhöhe ausmachen kann. Gegen die hier vertretene Auffassung, nach welcher der Gesellschaft ein außerordentlicher Ertrag entsteht, wenn der säumige Aktionär seinen Anspruch auf Dividende endgültig verloren hat, wird eingewandt, dass auch der säumige Aktionär, der vor dem nächsten Gewinnverwendungsbeschluss seine Pflicht zur Veröffentlichung nachhole, entsprechend seiner Beteiligungsquote bei der Gewinnausschüttung an dem Betrag partizipiere, der ihm gerade nicht zustehen soll43. Dieser Einwand ist zwar zutreffend, greift aber nicht durch. Ziel der Anordnung des Rechtsverlustes ist die bloße Sanktionierung der unterlassenen Mitteilung, nicht die Mehrung der Rechte der übrigen Aktionäre; etwaige Vorteile, die sich aufgrund des Rechtsverlustes des säumigen Aktionärs für die übrigen Aktionäre ergeben, stellen sich lediglich als unbeachtliche
__________ 42 Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 42; Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 50 (zu § 59 WpÜG). 43 Tschauner in Geibel/Süßmann (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 51 (zu § 59 WpÜG); Opitz in Schäfer/Hamann (Fn. 11), § 28 WpHG Rz. 42.
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Reflexvorteile dar44. Daher muss in Kauf genommen werden, dass der säumige Aktionär gegebenenfalls über die Erhöhung des Ertrags der Gesellschaft im folgenden Jahr zumindest teilweise (in Höhe seiner Beteiligung) doch noch an seinen Vorjahresgewinnanteilen partizipieren kann45.
IV. Ergebnis Gemäß § 28 Satz 1 WpHG bestehen Rechte aus Aktien nicht, solange für diese Aktien die Meldepflichten schuldhaft, d. h. zumindest fahrlässig überhaupt nicht oder nur fehlerhaft erfüllt worden sind. Sowohl ein Irrtum über die die Meldepflicht auslösenden Umstände als auch ein Irrtum über die Meldepflicht als solche führen jedoch nur ganz ausnahmsweise zu einem Wegfall des Verschuldensvorwurfs. Die Rechtsfolgen einer schuldhaft unterlassenen Mitteilung werden für den Dividendenanspruch des Aktionärs durch § 28 Satz 2 WpHG eingeschränkt. Hatte der Meldepflichtige die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen und holt er sie nach, steht dem Aktionär der Dividendenanspruch auch für die Dauer der Unterlassung wieder zu. Der Vorsatz muss dabei auch das Bestehen der Meldepflicht umfassen. Ist der Aktionär nicht dividendenberechtigt, hat er eine eventuell bereits erhaltene Dividende gemäß § 62 Abs. 1 AktG an die Gesellschaft zurückzuzahlen. Die fehlende Dividendenberechtigung des Aktionärs führt nicht zu einer Erhöhung des Dividendenanspruchs der anderen Aktionäre; vielmehr verbleibt die vom säumigen Aktionär zurückgezahlte Dividende bei der Gesellschaft als außerordentlicher Ertrag und kann bei der nächsten Ausschüttung berücksichtigt werden.
__________ 44 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG (Fn. 2), § 59 WpÜG Rz. 61 (zu § 59 WpÜG); Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 75 (zu § 20 Abs. 7 AktG). 45 Ebenso Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 2), § 20 AktG Rz. 74 (zu § 20 Abs. 7 AktG).
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Die deutsche Initiative zur Kodifizierung der Gründungstheorie Inhaltsübersicht I. Die Vorgeschichte II. Konsequenzen aus der CentrosJudikatur
III. Kritik des IPR-Vorschlags IV. Gesamturteil
I. Die Vorgeschichte 1. Handelsgesellschaften betreiben ihre Geschäfte in einem europäischen oder sogar globalen Wirtschaftsraum ohne Rücksicht auf nationale Grenzen, sie betreiben Unternehmen evtl. mit einer Vielzahl von Niederlassungen unbeeinträchtigt von nationalen Grenzen. Sie sind aber nach einem bestimmten nationalen Recht gegründet und unterliegen diesem Recht in ihren gesellschaftsrechtlichen Belangen, d. h. als Gesellschaftsstatut. Die nationalen Rechtsordnungen regeln die Zuordnung der Gesellschaften zu ihrem oder einem anderen Recht nach einem bestimmten Anknüpfungssystem und folgen dabei der Sitztheorie oder der Gründungstheorie oder einer Verbindung beider Prinzipien. Die Sitztheorie verlangt eine Anknüpfung nach dem tatsächlichen Unternehmensschwerpunkt oder der Hauptniederlassung, die Gründungstheorie stellt den Gesellschaften die Wahl des formellen Gesellschaftssitzes und damit sowohl des Gründungsstaats (und seines Registers) als auch des Gesellschaftsstatuts frei. Sowohl weltweit als auch innerhalb der EU existieren beide Modelle (und ihre Mischformen) nebeneinander. 2. Die Sitztheorie wirft im internationalen Verkehr das Problem auf, dass eine entgegen ihrem Anknüpfungsprinzip in einem anderen Staat gegründete Gesellschaft das Risiko läuft, im Staat der Sitztheorie als solche nicht anerkannt zu werden und insbesondere für die haftungsschützenden und andere Attribute ihres Gründungsrechts keine Anerkennung zu finden. Deshalb haben zwischenstaatliche Handelsabkommen darauf Bedacht genommen, diese Hemmnisse auszuräumen1, und auch die EG hatte in ihrem Vertrag von vornherein vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten sich über die Lösung dieses Problems verständigen sollten (Art. 293 ex Art. 220). Das implizierte aber gleichzeitig, dass der EG-Vertrag als solcher diese Lösung noch nicht bereithielt. In Vollzug des Art. 220 (alt) wurde dann auch tatsächlich das Übereinkommen v. 29.2.1968 ausgearbeitet, das inhaltlich die Linie der Gründungstheorie verfolgte, das aber
__________ 1 Zum deutsch-amerikanischen Vertrag BGHZ 153, 353; BGH, ZIP 2004, 1549; OLG Düsseldorf, ZIP 1995, 1009; Drouven/Mödl, NZG 2007, 7.
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nie das erforderliche allseitige Einverständnis fand2. Noch das Urteil „Daily Mail“ des EuGH v. 19883 wurde gemeinhin so verstanden, dass die im europäischen Primärrecht gewährleistete Niederlassungsfreiheit der Sitztheorie nicht im Wege stehe4. Und die SE-VO von 2001 legt in den Art. 7 bis 12 ausdrücklich fest, dass der satzungsmäßige Sitz und damit das Land der Registereintragung dem Ort der tatsächlichen Hauptverwaltung folgen müssen – ein Bekenntnis zur Sitztheorie, das, wie Oechsler schreibt, die Staaten der Gründungstheorie sich „nur schwer abringen“ ließen5. 3. Seit 1999 hat dann jedoch der EuGH in drei Entscheidungen ausgesprochen, dass eine nach der Gründungstheorie in einem Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft ihren in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen tatsächlichen Unternehmensmittelpunkt dort als Zweigniederlassung eintragen lassen kann6, dass sie in diesem und anderen Mitgliedstaaten als rechtsfähige Gesellschaft des Gründungsstaats anzuerkennen ist7 und dass diese Staaten gegenüber einer solchen Gesellschaft grundsätzlich keine Sonderanknüpfung ihres nationalen Gesellschaftsrechts oder spezifischere Anforderungen an die ausländische Gesellschaft zur Anwendung bringen dürfen8. Damit können Unternehmen mit tatsächlichem Sitz in Deutschland kraft der europäischen Niederlassungsfreiheit eine Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates, der der Gründungstheorie folgt, gründen und so das deutsche Gesellschaftsstatut mit Anwendung seines Kapital- und Gläubigerschutzrechts9, seiner Gründungs- und anderen Formalitäten, seiner Mitbestimmung im Aufsichtsrat gegen ein bequemeres ausländisches austauschen. Das gilt für eine spätere Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes ins Inland10 ebenso wie für die ursprüngliche Gründung im Ausland mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland11. Damit wurde für praktische Zwecke die Sitztheorie jedenfalls im Verhältnis zu Mitgliedstaaten, die ihrerseits nach der Gründungstheorie die Gründung einer Gesellschaft mit ausländischem Schwerpunkt gemäß ihrem nationalen Recht zugelassen hatten bzw. zulassen, außer Kraft gesetzt. 4. Am 9.2.2006 hat der Deutsche Rat für IPR einen Vorschlag für eine Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts veröffentlicht12, der auf eine un-
__________ 2 Dazu Kindler in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2006, IntGesR Rz. 84. 3 DB 1989, 269; dazu BayObLG, DB 1998, 2318. 4 Großfeld/Luttermann, JZ 1989, 386; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363; Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16. 5 Oechsler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 7 SE-VO Rz. 1; dazu ferner Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 2), IntGesR Rz. 68; Straube/Aicher/Ratka, Hdb. EuAG, 2005, S. 159; Greda in Kalss/Hügel, SE-Komm., 2004, § 5 öSEG Rz. 13; Schulz/ Geismar, DStR 2001, 1078. 6 ZIP 1999, 438 – Centros. Dazu Roth, ZIP 1999, 861. 7 ZIP 2002, 2037 – Überseering. 8 ZIP 2003, 1885 – Inspire Art. 9 Vgl. Roth/Altmeppen, 5. Aufl. 2005, GmbHG Einl. Rz. 22 ff. 10 BGHZ 154, 185 = ZIP 2003, 718 – Überseering. 11 OLG Zweibrücken, ZIP 2003, 849; KG, ZIP 2003, 2297. 12 Sonnenberger/Bauer, RIW-Beilage zu Heft 4/2006.
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eingeschränkte Umsetzung der Gründungstheorie hinausläuft. Den Vorschlag hat eine Spezialkommission dieses Rates erarbeitet, die in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Justiz eingesetzt wurde; er zielt in erster Linie auf eine Regelung auf europäischer Ebene ab, die als EG-Verordnung über das auf Gesellschaften anzuwendende Recht erlassen werden könnte, hilfsweise auf eine autonome deutsche Regelung im EGBGB. Das Justizministerium hat auf der Grundlage des Vorschlags, wie es scheint, bereits erste Initiativen auf europäischer Ebene entfaltet, die seiner Verwirklichung dienen sollen.
II. Konsequenzen aus der Centros-Judikatur 1. Die Centros-Rechtsprechung des EuGH stieß in der deutschen und österreichischen Rechtswissenschaft auf ein unterschiedliches Echo, das im wesentlichen dem unterschiedlichen Meinungsstand zum Thema im Vorfeld dieser Rechtsprechung entspricht. Es gab Anhänger der Gründungstheorie13 und Verteidiger der Sitztheorie14, und ebenso gab es die gegensätzlichen Meinungen zur Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der europäischen Niederlassungsfreiheit. Dabei sind diese beiden Fragenkreise theoretisch klar zu trennen, praktisch schlägt freilich die Position in der ersten Frage regelmäßig i. S. eines Vorverständnisses auf die zweite Frage durch: Wer für die Gründungstheorie ist, sieht sie auch als durch den EG-Vertrag geboten, und umgekehrt. Folgerichtig wird ein Befürworter der Gründungstheorie die Stoßrichtung der Centros-Rechtsprechung begrüßen und danach trachten, sie zu einem geschlossenen System auszubauen, die Entwicklung festzuschreiben und abzusichern sowie jegliche Zweifel an ihrer Geltung und ihrem Fortbestand auszuräumen. Die Gegner umgekehrt werden danach trachten, die Tragweite einzudämmen, alle Möglichkeiten zur Restriktion auszuschöpfen und von der Anwendung nationalen Rechts zu retten, was noch zu retten ist. Die restriktive Haltung zur Centros-Rechtsprechung war in den letzten Jahren die Mehrheitsmeinung15, und es mag daher hier genügen, ihre Gründe und ihre Zielrichtung in wenigen Strichen zu skizzieren. Auch für die Kritiker steht außer Zweifel, dass die Anwendung der Gründungstheorie in der EU den Gesellschaften die europaweite Handlungsfähigkeit und Mobilität erleichtern und dem Ziel des gemeinsamen Binnenmarktes dienen würde. Doch bestehen im Recht der GmbH und vergleichbarer Rechtsformen (private company) zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede, die gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung hat hier wesentliche Bereiche des Interessenschutzes
__________ 13 Sandrock, RabelsZ 42 (1978), 222; Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325; Lutter, Europ. UnternehmensR, 4. Aufl. 1996, S. 41. 14 Ebenroth in MünchKomm.BGB, 2. Aufl. 1990, nach Art. 10 EGBGB Rz. 146 ff., 190 ff.; Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 2), IntGesR Rz. 313, 366; Roth, GesRZ 1995, 1. Zu den vermittelnden Theorien Altmeppen in MünchKommAktG, 2. Aufl. 2006, Europ. Niederlassungsfreiheit, 2. Kap. Rz. 54 ff. 15 S. statt anderer Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 2), IntGesR Rz. 112 ff. und 613– 716; Roth, Referat ÖJT 2006, Druckfassung im Erscheinen.
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noch nicht erreicht. Selbst wenn aber die verschiedenen nationalen Schutzmechanismen im Ergebnis gleichwertig sind, weil beispielsweise Staaten wie Großbritannien die geringeren substantiellen Anforderungen ihres Gesellschaftsrechts durch strengere behördliche Überwachungs- und Eingriffsmechanismen kompensieren, drohen diese gegenüber einer bloßen Briefkastenfirma ins Leere zu gehen16 oder sind auf sie, weil nicht über das Gesellschaftsstatut anzuknüpfen, überhaupt nicht anwendbar17. Auf diese Weise droht selbst bei insgesamt gleichwertigem Rechtsschutz allein aus unterschiedlicher kollisionsrechtlicher Anknüpfung eine Rechtsschutzlücke zu entstehen. Die Skeptiker vertrauen auch nicht auf die selbstreinigenden Kräfte des Marktes, der von sich aus auch unter den Gesellschaftsformen nach typisierter Vertrauenswürdigkeit die Spreu vom Weizen trennen wird18, sondern sie fürchten nach dem Muster des amerikanischen Delaware-Effekts oder Akerlofs Zitronentheorie19 das race to the bottom20, in dem sich die billigsten und anspruchslosesten Angebote durchsetzen. Deshalb setzt die Gründungstheorie in unerwünschter Weise inländische Schutzinteressen aufs Spiel, deshalb gilt es, alle verbleibenden Möglichkeiten zur Anknüpfung nationalen Rechts optimal auszuschöpfen. Diese sind im wesentlichen von vierfacher Art. Die erste hat auch der EuGH in seinen Entscheidungen wieder ausdrücklich angesprochen, es ist dies eine Sonderanknüpfung in Anwendung des sog. Gebhard-Tests21, also aus zwingenden Gründen des mitgliedstaatlichen Allgemeininteresses22. Ihr geringes Potential hat allerdings der Gerichtshof ebenfalls mit dem Hinweis bereits angedeutet, dass ja die Geltung des ausländischen Gesellschaftsstatuts bei echten Auslandsgesellschaften mit inländischen Aktivitäten ebenfalls und in unangreifbarer Weise hingenommen werden müsse23. Zweitens kommen Anknüpfungen nach anderen als gesellschaftsrechtsbezogenen, aber insoweit feststehenden und unstreitigen IPR-Regeln in Betracht, namentlich deliktsrechtliche Anknüpfungen einschließlich der im deutschen Haftungsrecht bei Kapitalgesellschaften nicht ganz unwichtigen sittenwidrigen Schädigung. Drittens hat die Grauzone zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht in der jüngeren Diskussion an Aufmerksamkeit gewonnen. Denn für das letztere gilt eine eindeutige, europarechtlich abgesicherte Anknüpfung nach dem tatsächlichen Unternehmensschwerpunkt24 bzw. dem Ort einer Niederlassung mit Wirkung für diese Nie-
__________ 16 Altmeppen, NJW 2004, 97; vgl. auch Fleischer, DStR 2000, 1015; Halbhuber, Limited Company statt GmbH, 2001; Görk, GmbHR 1999, 793; Kieninger, Wettbewerb der Rechtsordnungen, 2002, S. 137; Kindler in MünchKomm.BGB (Fn. 2), IntGesR Rz. 348. 17 S. zum sog. wrongful trading Roth, ZGR 2005, 348, 350 Fn. 8 m. N. 18 Dazu Roth, ZGR 2005, 348; Niemeier, ZIP 2006, 2237. 19 Akerlof, The market for lemons, Quart. J. Econ. 84 (1970), 488. 20 Justice Brandeis in Liggett v. Lee, 288 U. S. 517, 559 (1933). 21 EuGH v. 30.11.1995, Slg. I 1995, 4165; aufgegriffen vom EuGH in Centros (Fn. 6), Tz. 34; vgl. dazu Altmeppen in MünchKomm.AktG (Fn. 14), 1. Kap. Rz. 104 ff. 22 Dafür z. B. Ulmer, NJW 2004, 1201, 1208; Thüsing, ZIP 2004, 381. 23 EuGH – Centros (Fn. 6), Tz. 35. 24 „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ der Gesellschaft, freilich beweislastmäßig erschwert: Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO.
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derlassung (Art. 3, 4 EuInsVO). Noch einen Schritt weiter geht die Auffassung, die ein einheitliches Gesellschaftsstatut überhaupt leugnet, nationale Schutznormen zumindest auf ausländische Briefkastengesellschaften in freier Anknüpfung anwendet und darin weiterhin25 keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit erkennt26. Geht es mithin bei all diesen Konzeptionen um eine Anknüpfung nationalen Rechts außerhalb des Gesellschaftsstatuts, so hat unter ihnen am meisten Aufmerksamkeit zuletzt die Orientierung am Insolvenzrecht erfahren. Man kann derzeit eine allgemeine Tendenz zur Verlagerung gesellschaftsrechtlicher Schutzmechanismen ins Insolvenzrecht beobachten27, deren zeitliche Koinzidenz mit den Nachwirkungen der Centros-Rechtsprechung vermutlich nicht zufällig ist. Nun sollte man sich gewiss nicht der Illusion hingeben, dass der EuGH sich allein von der formalen Verankerung bestimmter Normen im Insolvenz- statt im Gesellschaftsrecht Sand in die Augen streuen lässt, aber bei wichtigen Schutzinstrumenten ist die sachliche Zuordnung durchaus ambivalent, was sich auch in der Rechtsvergleichung bestätigt. Das gilt namentlich für die Tatbestände der Konkursantragspflicht und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung28, aber auch für Mechanismen, die im Vorfeld der Insolvenz eingreifen, die in der neueren Rechtsprechung des BGH eine wachsende Rolle spielen29. Dieses Einfallstor muss, wer inländischen Interessenschutz durch die Gründungstheorie gefährdet sieht, offensiv für eine Anwendung inländischer Schutzinstrumente nutzen, einerseits in der Hoffnung, dass eine derartige Rechtsauffassung vor dem EuGH Bestand haben wird, andererseits und vor allem in dem Bemühen, eine positivrechtliche Einbeziehung in europäisches Sekundärrecht, z. B. die EuInsVO, durch entsprechende Initiativen auf europäischer Rechtsetzungsebene durchzusetzen und damit auch dem rechtspolitischen Fervor des EuGH Schranken zu setzen30.
__________ 25 Gemeint: auch im Lichte der EuGH-Judikatur. Denn als Auslegung der Art. 43, 48 EGV ist diese m. E. ohnehin falsch – vgl. nur Kindler und Koppensteiner in Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 88 und 151 – und nur als freie („integrationsfreundliche“) und insoweit freilich kompetenzüberschreitende (Steindorff, JZ 1999, 1140, 1143) Fortbildung zum innergemeinschaftlichen Gesellschaftskollisionsrecht verständlich. 26 Altmeppen in MünchKomm.AktG (Fn. 14), 2. Kap. Rz. 70 ff., 4. Kap. Rz. 14 ff., 23 ff. m. N., 2. Kap. Rz. 55 ff.; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083. 27 S. für Deutschland z. B. Haas, Gutachten DJT 2006; ders., GmbHR 2006, 509 und ZIP 2006, 1373; Fischer, ZGR 2006, 403; Weller, ZGR 2006, 748; Kindler in FS Jayme, 2004, S. 409; auch das britische wrongful trading remedy ist im Insolvenzrecht angesiedelt (Fn. 17), ebenso die neue französische Unternehmenssanierung, Bauerreis, ZGR 2006, 294. Rechtsvergleichend Adensamer/Oelkers/Zechner, Unternehmenssanierung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2006. 28 Dazu pos. Fischer, ZIP 2004, 1477; Weller, IPrax 2004, 412; Kindler in FS Jayme (Fn. 27) und ders. in MünchKomm.BGB (Fn. 2), IntGesR Rz. 682 ff.; Vallender, ZGR 2006, 425; LG Kiel, ZIP 2006, 1248; abl. Paefgen, ZIP 2004, 2260; Goette, ZIP 2006, 541. 29 BGHZ 149, 10; 150, 61; 151, 181 und dazu Roth, NZG 2003, 1081. 30 Roth, Referat ÖJT 2006 (Fn. 15).
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III. Kritik des IPR-Vorschlags 1. Der Entwurf bekennt sich voll und vorbehaltlos zur Gründungstheorie. Art. 2 (1) „Gesellschaften unterliegen dem Recht des Staates, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind.“ Art. 3 (1) „Das [demnach] auf Gesellschaften anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für 1. die Rechtsnatur, die Rechts- und Handlungsfähigkeit; 2. die Gründung, die Umwandlung und die Auflösung; 3. den Namen oder die Firma; 4. die Organisations- sowie die Finanzverfassung; 5. die Vertretungsmacht der Organe; 6. den Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft und die mit ihr verbundenen Rechte und Pflichten; 7. die Haftung der Gesellschaft, der Mitglieder ihrer Organe und der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft; 8. die Haftung wegen der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten; 9. die Pflicht zur handelsrechtlichen Rechnungslegung, insbesondere der Jahresabschlüsse und deren Gestaltung, für die Prüfung der Jahresabschlüsse und deren Gestaltung sowie die Offenlegung und für die Rechtsfolgen einer Nichtbeachtung einschließlich der Haftung.“
Man fragt sich, welches dringende Interesse gerade Deutschland antreiben sollte, mit einer solchen Initiative vorzupreschen. Der Entwurf begründet das mit einer durch die Centros-Judikatur ausgelösten Rechtsunsicherheit – die Stellungnahmen dazu, was diese Urteile für das Kollisionsrecht bedeuten, seien nicht einheitlich; die Gründung und die grenzüberschreitenden Aktivitäten von Gesellschaften erforderten aber rechtliche Planungssicherheit. Letzteres ist gewiss richtig, aber die aus den drei EuGH-Urteilen für die geltende deutsche Sitztheorie zu ziehenden und oben beschriebenen Schlussfolgerungen sind doch eindeutig genug31, und so heißt es in der Entwurfsbegründung auch zu Recht, dass hauptsächlich die Mitgliedstaaten, die bereits der Gründungstheorie folgen, ein Interesse an einer Gleichheit der Konzepte haben, da diese den nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften zugute kommt. Warum aber muss sich dann gerade Deutschland zum Sachwalter und Fürsprecher dieser Interessen aufschwingen? In kollisionsrechtlicher Hinsicht ist unsere traditionelle Sitztheorie doch kein historischer Sündenfall, von dem wir uns vorauseilend distanzieren oder für den wir rechtspolitische Wiedergutmachung leisten müssten; und aus der Sicht des deutschen Gesellschaftsrechts erscheint es eher kontraproduktiv, dass wir als die vom „Ausflaggen“ in die limited company hauptsächlich Betroffenen unseren Unternehmen, die mit diesem Gedanken spielen, auch noch die Rechtssicherheit hierfür nachliefern.
__________ 31 Den Bedarf nach einer klärenden Kodifikation meldete Sonnenberger, der Vorsitzende der IPR-Kommission, bereits nach dem Centros-Urteil an, RIW 1999, 721, 732; aber die Folgejudikate haben die damals noch verbliebenen Zweifel doch weitgehend in dem oben unter I.3. referierten Sinne ausgeräumt.
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Zustimmung verdient freilich die Aussage, dass die Hauptaufgabe für den Gesetzgeber jetzt darin bestehe, „Anknüpfungen zu normieren, die mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind“. Dieser Programmsatz steht in vollem Einklang mit der vorherrschenden Meinung, sofern damit gemeint ist, dass die unter der Niederlassungsfreiheit noch verbleibenden Spielräume zur Wahrung nationaler Schutzinteressen ausgeschöpft werden sollten, aber gerade diese Stoßrichtung ignoriert der Entwurf vollständig, wie noch zu zeigen sein wird. Verständlich wird der Entwurf für mich daher nur als ein Bestreben von Verfechtern der Gründungstheorie, eine konsequente Umsetzung der EuGHRechtsprechung vor dem Hintergrund der inländischen Auseinandersetzung ein für allemal „festzuklopfen“, um allen gegenläufigen Tendenzen, die mutmaßlich die Meinungsmehrheit erringen könnten, rechtzeitig einen Riegel vorzuschieben. 2. In einem Punkt allerdings kann tatsächlich ein nationales Interesse an einer Fortschreibung der Gründungstheorie auch im deutschen Kollisionsrecht identifiziert werden, doch gerade dieser Gesichtspunkt kommt in der Argumentation der IPR-Kommission nicht vor. Es geht darum, in dem Bereich, in dem die Sitztheorie als Bollwerk gegen den Eintritt ausländischer (Briefkasten-) Gesellschaften durch die extensive Auslegung der europäischen Niederlassungsfreiheit bereits durchlöchert ist, auch auf der Gegenfahrbahn den Export nationaler Gründungen ins Ausland zu erleichtern, also die Gründungstheorie hier zur allseitigen Kollisionsnorm (mit den korrespondierenden Anpassungen im nationalen Gesellschaftsrecht)32 auszugestalten, damit ausländische Unternehmungen als deutsche Gesellschaft gegründet werden können. Denn als Voraussetzung für die Eintragung ins inländische Register (als deutsche Gesellschaft) hat der EuGH die Sitztheorie bislang noch nicht angegriffen33. Auch diese Frage liegt dem Gerichtshof allerdings bereits vor34, und da man gelernt hat, auf dieser Rechtsprechungsebene nichts auszuschließen, wird man auch das Verdikt nicht für unmöglich halten können, dass diese Position ebenfalls die Niederlassungsfreiheit verletzt. Wenn diese Situation eintritt, hat sich die Frage ohnehin erledigt. Dabei geht es freilich nicht um ein Interesse, ausländische Briefkastengründungen anzulocken, wie etwa in den USA der Kleinstaat Delaware es seit 100 Jahren erfolgreich tut – das wäre für uns weder erstrebenswert noch realistisch. Die praktische Erwägung wäre vielmehr, dass international agierende deutsche Unternehmen dann einen Vorteil darin finden könnten, ihre Auslandstöchter nach demselben und vertrauten deutschen Recht zu gründen und sich damit Rechtsunsicherheit und Transaktionskosten zu ersparen. Schon differenzierter zu beurteilen wäre die zweite Konsequenz, dass dadurch den deutschen Gesellschaften auch die Mobilität in dem Sinne erleichtert wird, dass sie unter Beibehaltung ihrer deutschen „Nationalität“ den tatsächlichen Unternehmens-
__________ 32 So der vorliegende deutsche Reformentwurf zum GmbHG, zu § 4a und Erl. hierzu. 33 Roth/Altmeppen (Fn. 9), § 4a GmbHG Rz. 13, 29. 34 ZIP 2006, 1536, hier allerdings in der Variante des „Wegzugs“ aus dem Gründungsstaat unter Beibehaltung des Gesellschaftsstatuts.
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schwerpunkt (einschließlich seiner Arbeitsplätze) ins Ausland verlegen könnten. Doch wie dem auch sei, Tatsache ist jedenfalls, dass rechtliche Schutzinteressen durch diese Öffnung unseres Registers und unserer Rechtsordnung für ausländische Unternehmen nicht beeinträchtigt werden35. 3. Im Ergebnis fördert der Entwurf die Auslandsgründung für einheimische Unternehmen sogar weitergehend, als es die europäische Rechtsentwicklung nahelegt; im entsprechenden Übermaß werden damit allerdings auch die Schutzinteressen des deutschen Gesellschaftsrechts preisgegeben. Denn er will die Gründungstheorie nicht nur im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten festschreiben, sondern zur weltweit gültigen Kollisionsregel erheben. Das ist kollisionsrechtlicher Purismus ohne den Blick für das materielle Gefährdungspotential. Der Unterschied, der insoweit zwischen der Rechtslage in der EU/ dem EWR und dem globalen rechtsvergleichenden Befund besteht, wird ignoriert. Das Regelungsgefälle innerhalb der EU/des EWR hält sich immerhin noch in Grenzen – der unsubstantiierte Hinweis auf Liechtenstein ersetzt kein Sachargument! –, und noch wichtiger ist hierbei die dynamische oder Zukunftsperspektive: Nur innerhalb dieses europäischen Raums mag der Verzicht auf strengeren nationalen Rechtsschutz als Preis und Hebel für eine zunehmende Harmonisierung der Gesellschaftsrechte auf adäquatem Niveau – und damit als eine zeitlich begrenzte „Durststrecke“ – allenfalls gerechtfertigt werden. Dieser Sachzusammenhang entfällt im globalen Kontext, und ebenso wichtig: Die praktische Handhabung ausländischen Rechts durch deutsche Juristen bzw. vor inländischen Gerichten ist im Rahmen der europäischen Gemeinschaften eine Sache, im globalen Kontext eine ganz andere. Wir sollten mit Niklas Luhmann darauf Bedacht nehmen, rechtliche Komplexität zu reduzieren, anstatt neue Märkte für juristische Gutachten zu ausländischen Rechten zu erschließen36. Die Entwurfsbegründung wischt alle derartigen Bedenken mit dem Hinweis vom Tisch, dass man irgendein „laxeres“ Gesellschaftsrecht ebenso in Kauf nehmen könne wie schon bisher die Anerkennung von Delaware-Gesellschaften (gemeint: aufgrund des deutsch-amerikanischen Abkommens), was die zweite Verharmlosung der Situation durch einen Einzelfallvergleich ist. Richtig ist allerdings der weitere Hinweis auf die Abhilfemöglichkeiten des ordre public-Vorbehalts und der Sonderanknüpfungen, aber dann liegt eben auch hier der hauptsächliche und vorrangige Konkretisierungsbedarf, dem der Entwurf sich schlicht verweigert. Nicht einmal zur Verordnung einer Rechnungslegungspflicht nach dem Recht des Niederlassungsorts – nicht einmal wenn die faktische Hauptniederlassung sich im Inland befindet – bei exotischen Gesellschaften mit unterentwickelter Heimatpublizität oder zur Offen-
__________ 35 Koppensteiner, Internationale Unternehmen, 1971, S. 126 ff.; ders., GmbHG, 2. Aufl. 1999, Einl. Rz. 18. 36 Dass der deutsche Jurist auch heute schon gezwungen ist, exotisches Gesellschaftsebenso wie Personenstandsrecht in Fällen einer „echten“ Anknüpfung anzuwenden, ist kein taugliches Argument für eine gezielte Ausweitung dieses Tätigkeitsfelds.
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haltung diesbezüglicher Handlungsspielräume konnte die Kommission sich verstehen, hier immerhin mit denkbar knapper Mehrheit. 4. Die Frage nach Sonderanknüpfungen stellt sich für den Entwurf im Zusammenhang mit seinem Katalog zur Reichweite des Gesellschaftsstatuts, weil dieser so umfassend ausformuliert wurde, dass für anderweitige Anknüpfungen von vornherein kaum mehr Raum bleibt. Der Entwurf kann zu Recht und mühelos eine Sonderanknüpfung für das Mindeststammkapitalerfordernis – als „untrennbarer Bestandteil der Finanzverfassung“ aus dem Gesellschaftsstatut nicht herauslösbar – ablehnen, tut das aber im gleichen Atemzug für die Kapitalbindungsvorschriften einschließlich der Auszahlungssperren, die als Vorposten eines Insolvenzschutzes schon nicht mehr so eindeutig und zwingend zuzuordnen sind. Für eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen wurde weder eine Zuordnung zum Insolvenzrecht noch eine sonstige Sonderanknüpfung akzeptiert, sondern es soll sich zwar die Abwicklung einer Nachrangigkeit derartiger Forderungen in der Insolvenz nach dem Insolvenzstatut richten, hingegen hänge die Nachrangigkeit als solche ebenso wie eine evtl. Anfechtbarkeit von Rückzahlungen vom Gesellschaftsstatut ab. Erst recht gilt das – und dagegen wird man wenig sagen können – für den Haftungsdurchgriff im allgemeinen37. Die Kommission geht jedoch so weit, selbst eine deliktsrechtliche Anknüpfung nach den herkömmlichen Anknüpfungspunkten in Konkurrenz zum Gesellschaftsstatut in Frage zu stellen. Einerseits enthält sie sich eines positiven Regelungsvorschlags dazu, andererseits wird aber im negativen Sinne hervorgehoben, dass hinsichtlich der im gesellschaftsrechtlichen Zusammenhang nicht unwichtigen deutschen Haftungsgrundlage des § 826 BGB38 ein Qualifikationsproblem zu beachten sei, weil bei der Konkretisierung der Generalklausel das Gesellschaftsstatut nicht außer Betracht bleiben könne. Zur Begründung genügt der Hinweis auf eine einhellige deutsche Auffassung bei Auslandssachverhalten, ohne dass das Tatbestandsmerkmal des Auslandssachverhalts bei Briefkastenfirmen im geringsten problematisiert würde. 5. Auf diesem Weg gelangt die Kommission schließlich auch zur Frage der Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut. Sie thematisiert die Haftung für Verletzung der Konkursantragspflicht, für Masseschmälerungen einschließlich solcher im Vorfeld der Insolvenz sowie für Verletzung sonstiger Schutzund Erhaltungspflichten im Vorfeld der Insolvenz. Die Notwendigkeit der Abgrenzung „lege eine negative Qualifikationsnorm nahe. Es wurde davon gleichwohl abgesehen“ – immerhin nur mit Mehrheitsbeschluss. Die Kommission drückt lediglich ihre (Mehrheits-)Meinung aus, dass die Haftung für Insolvenzverschleppung und Akte der Masseschmälerung „eher insolvenz- und nicht gesellschaftsrechtlicher Natur sind“. Aber bezeichnend erscheint doch,
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37 OLG Hamm, NZG 2006, 826. Eine Haftung wegen unterlassener Anmeldung der Niederlassung zum deutschen Register hat BGH, ZIP 2005, 805 zutr. verneint, vgl. Roth/Altmeppen (Fn. 9), § 4a GmbHG Rz. 44a; a. A. Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, 16. Aufl. 2004, § 12 GmbHG Rz. 16; Kindler, JZ 2006, 176, 178. 38 BGH, ZIP 2004, 2138 = LM 2004, 223 (Roth).
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dass die Kommission auch diesen Knackpunkt der gegenwärtigen Defensivstrategien (s. oben II.) für konstruktive Maßnahmen ungenutzt lässt. Möglicherweise war sie sich auch der Brisanz dieses Problemausschnitts nicht voll bewusst; denn an anderer Stelle scheint sie – im Zusammenhang mit der Äquivalenz gesellschaftsrechtlicher Haftungsgrundlagen – ganz selbstverständlich davon auszugehen, dass das englische wrongful trading zum Gesellschaftsstatut gehört. Das ist aber alles andere als klar39, und insgesamt wird an diesem Beispiel sowohl die Gefahr einer „Haftungslücke“ deutlich (die die Kommission in anderem Zusammenhang durchaus sieht) als auch die Tatsache, wieviel mehr der Effizienz des Rechtsschutzes gedient ist, wenn der Richter Instrumente seines eigenen nationalen Rechts zur Anwendung bringen kann. Nun mag man bezweifeln, dass durch solche Erwägungen, und seien sie noch so gut gemeint, die Judikatur des EuGH noch zu erschüttern wäre – Roma locuta causa finita –, und in der Tat scheint eine gewisse Resignation dieser Art das aktuelle deutsche Handeln zu bestimmen. Doch selbst wenn dem so sein sollte, bleibt immer noch daran zu erinnern, dass eine Willensbildung der Legislativorgane (Kommission, Rat, Parlament) auch dem obersten Gericht Schranken setzt40. Die Schlüsselfrage lautet dann zugegebenermaßen, ob diesbezügliche Initiativen auch die erforderlichen Mehrheiten zu gewinnen vermögen oder ob nicht ebenso, wie vor Jahrzehnten der Versuch zu einer Normierung der Gründungstheorie scheiterte, jetzt auch alle Bemühungen, sie abzuschwächen, aussichtslos sind41. Das wäre dann ein Beleg dafür, wie Mehrheitsquoren und Minderheitsrechte („die Lastenverteilung im politischen Willensbildungsprozess“42) zur Disposition des EuGH stehen, wenn und weil er für die Entscheidungsprozesse den Ausgangspunkt vorzugeben vermag – und wie er damit Gefahr läuft, sich über das Prinzip der begrenzten Ermächtigung im Staatenverbund hinwegzusetzen43.
IV. Gesamturteil Ein musterhafter Modellentwurf zum IPR, ein politisch korrekter Schritt nach vorn auf dem Weg der europäischen Integration und der globalen Gleichstellung, aber kein Beitrag zur Lösung der aktuellen Rechtsschutzprobleme, so wie sie die Mehrheit der deutschen und österreichischen Gesellschaftsrechtler derzeit als rechtspolitische Priorität einstuft. Die Umsetzung dieses Entwurfs in ein dem nationalen Interesse verpflichtetes politisches Handeln sollte nicht übers Knie gebrochen werden.
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39 S. oben Fn. 17. 40 Zur gemeinschaftsrechtlichen Korrektur richterlicher Rechtsfortbildung Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, 1995, S. 181 ff.; zu den damit verbundenen Schwierigkeiten auch Hummer/Obwexer, EuZW 1997, 295, 303. Die britische Regierung bemühte sich 1996 erfolglos, das Blockadepotential der Kommission im Rechtsetzungsprozess abzubauen: Memorandum CONF/3883/96. 41 S. aber oben bei Fn. 5 zur SE-VO von 2001. 42 Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den EuGH und die Rechtsstellung der Mitgliedstaaten, 2000, S. 237. 43 Dazu BVerfG, NJW 1993, 3047 – Maastricht; Ukrow (Fn. 40), S. 216 ff.
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Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht Inhaltsübersicht I. Bestandsaufnahme 1. Der Beseitigungsanspruch im Allgemeinen a) Beeinträchtigung b) Gegenwärtige Beeinträchtigung 2. Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht im Besonderen a) Bisherige Rechtslage b) § 33 Abs. 1 GWB (2005) c) Parallele Vorschriften aa) Telekommunikationsgesetz bb) Energiewirtschaftsgesetz cc) § 8 UWG II. Die Ausgestaltung des § 33 Abs. 1 GWB 1. Einführung 2. Ausgangspunkte a) Ein Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte b) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben aa) Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs
bb) Schutzzweckdenken im Gemeinschaftsrecht? c) Konsequenzen für § 33 GWB? 3. Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs a) Inhalt b) Anspruchsberechtigung: „Betroffenheit“ aa) „Marktbeteiligte“ bb) Beeinträchtigung III. Einzelne Tatbestände 1. Lieferverweigerung, vertikale Behinderung 2. Vertragskonditionen, Ausbeutung 3. Horizontale Behinderungen 4. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen a) Preisabsprachen b) Sonstige Absprachen 5. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen IV. Zusammenfassung
Mit der 7. GWB-Novelle von 2005 ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen1 ein weiteres Stück2 an das materielle europäische Kartellrecht angeglichen3 und das Sanktionensystem des GWB gründlich reformiert worden. Anlass dafür war die Reform des europäischen Kartellverfahrensrechts mit der Einführung des Prinzips der Legalausnahme in Art. 81 Abs. 3 EG durch die Verordnung Nr. 1/20034. Mit dieser Reform verband sich die Erwartung, dass sich die behördliche Kontrolldichte gegenüber wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und Verhaltensweisen tendenziell vermindern würde. Als
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1 Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 15.7.2005, BGBl. I 2005, S. 2114. 2 Zur Rechtslage bis 2005 s. Schanze, Die europaorientierte Auslegung des Kartellverbots, 2003. 3 Zu dieser Zielrichtung s. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 15/3640, S. 22. 4 ABl. 2003 L 1/1.
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Kompensation dafür sollten neben den verwaltungsrechtlichen auch die zivilrechtlichen Sanktionen bei Kartellverstößen ausgeweitet werden5. Ziel war es, „ein effektives zivilrechtliches Sanktionssystem (zu schaffen), von dem eine zusätzliche spürbare Abschreckungswirkung ausgeht“6. Hierbei lag das Schwergewicht der Reform auf der grundlegenden Neugestaltung des Schadensersatzanspruchs nach § 33 Abs. 3 GWB, der vor allen Dingen auch die wissenschaftliche Diskussion der letzten Zeit gewidmet war7. Eher am Rande (wenn auch bei § 33 GWB ganz an die Spitze gestellt) lag die Neufassung der Regelungen bezüglich der quasi-negatorischen Ansprüche. In der Neufassung des GWB ist der Unterlassungsanspruch nun ausdrücklich auch auf Verstöße gegen Art. 81 und 82 EG erstreckt worden8. Neu in § 33 Abs. 1 GWB aufgenommen worden ist zusätzlich der Beseitigungsanspruch. Damit geht jedoch keine wesentliche Änderung in der Rechtslage einher, ist doch der Beseitigungsanspruch auch nach altem Recht anerkannt und auf eine analoge Anwendung des § 1004 Abs. 1 BGB gestützt worden. Im Übrigen hat der Gesetzgeber dem Beseitigungsanspruch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dies zeigt sich daran, dass bei den §§ 33 f. GWB nicht berücksichtigt wird, dass der Beseitigungsanspruch auch einen Zahlungsanspruch beinhalten kann. Bei der Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde sieht § 34 Abs. 2 GWB vor, dass Schadensersatzleistungen des Unternehmens anzurechnen sind, – dass der Beseitigungsanspruch ebenfalls den erlangten wirtschaftlichen Vorteil abzuschöpfen vermag und seine Begleichung daher ebenfalls angerechnet werden muss, wird vom Gesetzgeber nicht gesehen; dasselbe gilt für § 34a Abs. 1 GWB. Und soweit nach § 33 Abs. 2 GWB auch rechtsfähige Verbände klagebefugt sind, passt dies nicht recht in Fällen, in denen Inhalt des Beseitigungsanspruchs ein Zahlungsanspruch (eines Betroffenen, nicht des Verbands!) ist. Bringt die ausdrückliche Erwähnung des Beseitigungsanspruchs in § 33 Abs. 1 GWB daher keine faktische Änderung der Rechtslage, so ist dies anders mit der in § 33 Abs. 1 GWB vorgenommenen Umschreibung des anspruchsberechtigten Personenkreises: Der Beseitigungs-(und Unterlassungs-)anspruch steht dem durch die Verletzung der kartellrechtlichen Vorschrift „Betroffenen“ zu (§ 33 Abs. 1 Satz 1 GWB), wobei als „betroffen“ anzusehen ist, „wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist“ (§ 33 Abs. 1 Satz 3 GWB). Lässt sich vom allgemeinen Beseitigungsanspruch des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB sagen, dass er zu den „dunkelsten und umstrittensten Kapiteln des Privatrechts“9 gehört, so steht der kartellrechtliche Beseiti-
__________ 5 Regierungsbegründung (Fn. 3), S. 35. 6 Regierungsbegründung (Fn. 3), S. 35. 7 Aus dem Schrifttum Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, 2006, sowie die Kommentierung bei Bornkamm in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1 – Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, § 33. 8 Nach altem Recht war der Unterlassungsanspruch auf §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB zu stützen. 9 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band – BT, 2. Halbbd., 13. Aufl. 1994, § 86 II S. 675.
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gungsanspruch des § 33 Abs. 1 GWB mit seinen Formulierungen dem in nichts nach. So hoffe ich auf das Interesse des Jubilars, wenn im Folgenden dem Inhalt und der Tragweite des Beseitigungsanspruchs im Kartellrecht näher nachgegangen wird10.
I. Bestandsaufnahme 1. Der Beseitigungsanspruch im Allgemeinen a) Beeinträchtigung Gem. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer bei einer Beeinträchtigung seines Eigentums, die nicht in der Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes besteht, vom Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Mit diesem Abwehranspruch werden – neben § 985 BGB – die Befugnisse des Eigentümers nach § 903 BGB konkretisiert. Während § 1004 Abs. 1 BGB nur für den Schutz des Eigentums gilt, gibt es andernorts für andere absolute Rechte vergleichbare Abwehransprüche (§ 12 Satz 1 BGB, § 37 Abs. 2 Satz 1 HGB, § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG, § 47 Abs. 1 PatG, §§ 14 Abs. 5, 15 Abs. 4 MarkenG). Der Beseitigungsanspruch des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB wird im Wege analoger Anwendung auf den Schutz (in § 823 Abs. 1 BGB) deliktisch geschützter Rechte und Rechtsgüter erstreckt11. Darüber hinaus ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass auch die durch die Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB geschützten Rechtsgüter und Interessen durch den Beseitigungsanspruch abgesichert werden (actio quasinegatoria)12. Von daher überrascht es nicht, dass auch für das bisher geltende Kartellrecht die Existenz eines Beseitigungsanspruchs anerkannt war, auch wenn in § 33 Satz 1 GWB a. F. nur von einem Unterlassungsanspruch die Rede gewesen ist13. Ganz im Zentrum der Diskussion um den Beseitigungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB steht die Frage nach der „Beeinträchtigung“14. Hierbei geht es um eine sinnvolle Ab- und Eingrenzung des verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruchs vom verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch. Den „unüberbrückbaren“ Widerspruch zwischen (bloßem) Verursacherprinzip einerseits und Verschuldenshaftung andererseits15, der sich in der Unmöglich-
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10 Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Fortsetzung und Ergänzung der vor allem dem Schadensersatzanspruch in der 7. GWB-Novelle gewidmeten Überlegungen bei Roth, Das Kartelldeliktsrecht in der 7. GWB-Novelle, in FS Ulrich Huber, 2006, S. 1133. 11 Larenz/Canaris (Fn. 9), § 86 I 1a) S. 673; Jauernig in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. 2004, § 1004 BGB Rz. 2; Bassenge in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl. 2007, § 1004 BGB Rz. 4; Fritzsche in Bamberger/Roth, Kommentar zum BGB, Bd. 2, 2003, § 1004 BGB Rz. 4; Medicus in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 1004 BGB Rz. 6. 12 Bassenge in Palandt (Fn. 11), § 1004 BGB Rz. 4 m. w. N. 13 Dazu Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht, Loseblatt, § 33 GWB 1999 Rz. 179–182 (Lfg. 29, 2001). 14 Fritzsche in Bamberger/Roth (Fn. 11), § 1004 BGB Rz. 34. 15 Wilhelm, Sachenrecht, 1993, Rz. 670.
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keit offenbart, nach besonderen Formen des Schadens abzugrenzen, will eine neuere, allein zu § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB entwickelte Lehre dadurch überwinden, dass sie die „Beeinträchtigung“ des Eigentums allein in der Rechtsusurpation durch den Störer, genauer: in der Anmaßung des (Eigentums-) Rechts durch Rechtsberühmung oder Rechtsausübung sieht16. Dem ist nicht zu Unrecht entgegen gehalten worden, dass damit der Rechtsschutz des Eigentums ohne Not (und ohne Rechtfertigung durch den Wortlaut der Vorschrift) gegenüber allen Tätigkeiten verkürzt wird, die die Handlungsmöglichkeiten des Eigentümers (§ 903 BGB) einschränken, aber keine Rechtsanmaßung durch den Verursacher darstellen (Dereliktion im Falle der Ablagerung von Müll auf fremdem Grundstück; unerwünschte Werbesendungen etc.)17. Wie auch immer die dogmatische Frage bei § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zu entscheiden ist18, sie ist ohne Relevanz für den sog. quasi-negatorischen Beseitigungsanspruch im Zusammenspiel mit § 823 Abs. 2 BGB, denn Existenz und Reichweite des Beseitigungsanspruchs müssen hier – ebenso wie bei § 1004 Abs. 1 Satz 1, § 903 BGB – ganz aus dem Zweck der (Schutz-)Norm entfaltet und sinnvoll gegenüber dem verschuldensabhängigen Schadensatzanspruch abgegrenzt werden. Im Schrifttum ist der Blick zutreffend darauf gelenkt worden, dass der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beseitigung der Störungsquelle und den actus contrarius der Störung in der Rechtssphäre des Betroffenen19, nicht aber auf die Beseitigung der verursachten Schäden gerichtet sei. Mit anderen Worten: die durch das rechtswidrige Verhalten bewirkte Beeinträchtigung ist rückgängig oder (für die Zukunft) wirkungslos zu machen, nicht aber weitere Nachteile oder Beeinträchtigungen, die sich als Folge der primären Störung(squelle) ergeben und die nur über Schadensersatz liquidiert werden können20. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) und Beseitigung der Beeinträchtigung (als Zustand fortwährender, gegenwärtiger Störung) durchaus auch (teilweise) überschneiden können. b) Gegenwärtige Beeinträchtigung Der Beseitigungsanspruch richtet sich gegen eine noch gegenwärtig fortdauernde Beeinträchtigung. Dies ist in mehrfacher Richtung zu konkretisie-
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16 Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972, S. 49 ff., 87 f.; dem folgend z. B. Wilhelm (Fn. 15), Rz. 672. Eingehende Würdigung bei Larenz/Canaris (Fn. 9), § 86 V 2. 17 Fritzsche in Bamberger/Roth (Fn. 11), § 1004 BGB Rz. 35. Im Übrigen legt das Zusammenspiel von § 1004 Abs. 1 Satz 1 und § 906 BGB es nahe, dass der Gesetzgeber im Nachbarrecht von einem weiten Verständnis des Beseitigungsanspruchs ausgeht, der sich nicht auf eine Eigentumsanmaßung reduzieren lässt. 18 Umfassende Analyse der Frage bei Larenz/Canaris (Fn. 9), § 86 II mit Hinweis vor allem auf § 862 BGB. 19 Larenz/Canaris (Fn. 9), § 86 V 3 S. 698; Medicus in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 1004 BGB Rz. 73, im Anschluss an Baur, Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB, AcP 160 (1961), 465, 469 ff. 20 Larenz/Canaris (Fn. 9), § 86 V 3c S. 698; Medicus in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 1004 BGB Rz. 73.
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ren. Bei einer in der Vergangenheit eingetretenen Beeinträchtigung, die – aus welchen Gründen auch immer – in der Gegenwart nicht mehr fortdauert, fehlt es an etwas, was beseitigungsfähig wäre21. Der Beseitigungsanspruch richtet sich auch nicht gegen eine erst künftig eintretende Beeinträchtigung; letztere ist Gegenstand eines möglichen Unterlassungsanspruchs (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Beeinträchtigung kann aus gegenwärtigem, aber auch aus einem in der Vergangenheit liegenden Verhalten resultieren22. Diese auch für § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zutreffende, dort aber noch nicht abschließend geklärte Aussage23 ist für die Anwendung des Beseitigungsanspruchs im Kartellrecht außer Streit: Der Beseitigungsanspruch richtet sich seinem Zweck nach gegen die durch rechtswidriges Handeln (als Störungsquelle) entstandene gegenwärtige Beeinträchtigung im Bereich des Betroffenen. Für diesen Zweck kann es nicht darauf ankommen, ob das rechtswidrige, die Beeinträchtigung hervorrufende Verhalten gegenwärtig noch andauert. Entscheidend ist allein, ob die Folgen rechtswidrigen Handelns gegenwärtig noch als (rechtswidrige) Beeinträchtigung existieren24. Für den Bereich des Kartellrechts ist es geradezu typisch, dass es um (gegenwärtige) Beeinträchtigungen gehen wird, die (zumindest auch) aus einem in der Vergangenheit liegenden Verhalten resultieren. 2. Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht im Besonderen a) Bisherige Rechtslage In der kartellrechtlichen Praxis hat der Beseitigungsanspruch bisher keine große Rolle gespielt. Entsprechend stiefmütterlich ist er auch im Schrifttum behandelt worden25. Als Anwendungsfeld des Beseitigungsanspruchs hat sich in der Praxis die Zulassungsverweigerung und die Liefersperre erwiesen26. Und in mehreren Urteilen hat der BGH die Zahlung der Differenz zwischen einer angemessenen Vergütung und dem tatsächlich gezahlten Entgelt durch einen marktbeherrschenden Nachfrager als Beseitigung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung eines Stromlieferanten angesehen27.
__________ 21 Medicus in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 1004 BGB Rz. 24. 22 Zutreffend Larenz/Canaris (Fn. 9), § 86 II 1 und 2 S. 675 f. 23 Zum Streitstand Medicus in MünchKomm.BGB (Fn. 11), § 1004 BGB Rz. 25. Wer der Rechtsusurpationslehre folgen will (s. Fn. 16), muss für die Beeinträchtigung gegenwärtiges Handeln (Anmaßung der Eigentümerstellung) fordern. 24 Z. B. Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 33 GWB Rz. 11. 25 Ausführlich zuletzt Fritzsche, Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht nach der 7. GWB-Novelle, WRP 2006, 42. 26 Nachweise in Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), Rz. 180. 27 Z. B. BGH v. 6.10.1992, BGHZ 119, 335, WuW/E BGH 2805, 2811 – Stromeinspeisung I; BGH v. 4.4.1995, WuW/E BGH 2999, 3000 – Einspeisungsvergütung; BGH v. 2.7.1996, WuW/E BGH 3074, 3076 – Kraft-Wärme-Koppelung; BGH v. 22.10.1996, WuW/E BGH 3079, 3082 – Stromeinspeisung II; OLG Düsseldorf v. 25.2.1997, WuW/E DE-R 156, 157; dazu im Einzelnen unter III.4.
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Fragt man nach den Gründen für diesen Befund, so lässt sich nur spekulieren. Dabei wird man gewiss nicht in die Irre gehen, wenn man annimmt, dass allein schon die tatbestandliche Ausformung des § 35 GWB a. F. wie auch des § 33 GWB a. F. – der Schadensersatzanspruch wird angesprochen, der Beseitigungsanspruch dagegen nicht erwähnt – eine „Sogwirkung“ zugunsten des Schadensersatzanspruchs ausgeübt hat. Zudem erweist sich der Anspruch auf Naturalrestitution nach § 249 BGB als jedenfalls in einem Teilbereich deckungsgleich mit dem Inhalt des Beseitigungsanspruchs28. Angesichts der ungeklärten Abgrenzung zwischen dem Beseitigungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch, soweit er auf Naturalrestitution zielt29, einerseits, und den im einzelnen strittigen Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs andererseits, ist es kein Wunder, wenn die Gerichte den „sicheren“ Weg des Schadensersatzanspruches immer dann gegangen sind, wenn das Verschuldenserfordernis keine Probleme aufgeworfen hat30. Umgekehrt ist auf den Beseitigungsanspruch zurückgegriffen worden, wenn es sich um den (gewiss eher seltenen) Fall handelte, dass die Ungewissheit über die Rechtslage nicht einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen konnte31. b) § 33 Abs. 1 GWB (2005) Mit der Aufnahme des Beseitigungsanspruchs in § 33 Abs. 1 GWB ohne eine weitergehende Präzisierung des Anspruchsinhalts und der Rechtsfolgen hat der Gesetzgeber die gerade angesprochenen Abgrenzungsschwierigkeiten in Kauf genommen. Wenn und soweit bisher die Rspr. es als eine Gefahr angesehen hat, dass das auf Verschulden aufbauende Schadensersatzrecht durch eine verschuldensunabhängige Haftung auf Beseitigung unterlaufen wird, basierte diese Auffassung auf der Dominanz des Schadensersatzanspruchs. Mit der Neufassung des § 33 GWB, in der die Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in Abs. 1 vorangestellt und in Abs. 3 durch den Schadensersatzanspruch „ergänzt“ werden, bringt der Gesetzgeber die Eigenständigkeit und das Eigengewicht des quasi-negatorischen Rechtsschutzes voll zum Ausdruck. Aus dieser Perspektive verbietet sich auch jede aus der Existenz von Schadensersatzansprüchen zu folgernde einengende Deutung des Beseitigungsanspruchs. c) Parallele Vorschriften Der Beseitigungsanspruch des § 33 Abs. 1 GWB steht nicht für sich allein. Einige andere Gesetze von kartellrechtlicher Bedeutung enthalten vergleichbare, allerdings im Wortlaut zum Teil divergierende Regelungen.
__________ 28 29 30 31
Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), Rz. 182. Larenz/Canaris (Fn. 9), § 86 I 2a) S. 674. Dies war dann anders in den vom BGH erlassenen Entscheidungen in Fn. 27. Lohse, § 1004 BGB als Rechtsgrundlage für Zahlungsansprüche? AcP 201 (2001), 902, 926 f.
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aa) Telekommunikationsgesetz § 44 Abs. 1 Satz 1 TKG gibt in seiner neu gestalteten Formulierung u. a. bei Verstoß gegen eine Vorschrift des TKG einen Beseitigungsanspruch, wobei der Anspruch dem „Betroffenen“ eingeräumt wird. Als „Betroffener“ ist anzusehen, wer „als Endverbraucher oder Wettbewerber“ durch den Verstoß „beeinträchtigt“ ist, wobei als „Endverbraucher“ wohl der „Endnutzer“ gemeint sein dürfte32. Wie bei § 33 Abs. 1 GWB ersetzt der Begriff des „Betroffenen“ das bisherige Konzept des Schutzgesetzes33, wobei der Beseitigungsanspruch auch hier eine „Beeinträchtigung“ voraussetzt34. bb) Energiewirtschaftsgesetz Das Energiewirtschaftsgesetz von 2005 ist von den Gesetzgebungsorganen zeitlich parallel zur 7. GWB-Novelle verabschiedet worden. Indessen weist § 32 Abs. 1 EnWiG eine von § 33 Abs. 1 GWB auffällig abweichende Textfassung auf: § 32 Abs. 1 Satz 1 EnWiG gibt (u. a.) bei einem Gesetzesverstoß (gegen Vorschriften der Abschnitte 2 und 3) dem „Betroffenen“ einen Anspruch zur Beseitigung der „Beeinträchtigung“; doch wird in § 32 Abs. 1 Satz 3 EnWiG auf das Schutzgesetz-Konzept Bezug genommen35 und damit der Begriff des Betroffenen eingegrenzt („Die Vorschriften der Abschnitte 2 und 3 dienen auch dann dem Schutz anderer Marktbeteiligter, wenn sich der Verstoß nicht gezielt gegen diese richtet“). Hiermit wird – ohne nähere Begründung – das Schutzgesetzkonzept in das Energiewirtschaftsrecht zu einem Zeitpunkt eingeführt, in dem es aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verabschiedet worden ist36. cc) § 8 UWG Schließlich kennt auch § 8 Abs. 1 UWG in den Fällen des § 3 UWG einen Beseitigungsanspruch. Die differenzierten Regelungen erinnern in der Terminologie an § 33 Abs. 1 GWB, weichen indessen auch deutlich ab: Das in § 3 UWG statuierte Verbot bezieht sich auf unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der „Mitbewerber“, der Verbraucher oder der „sonstigen Marktteilnehmer“ nicht unerheblich zu beeinträchtigen. Als „Marktteilnehmer“ definiert § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG neben „Mit-
__________ 32 Rugullis in Säcker, BerlinKomm.Telekommunikationsgesetz, 2006, § 44 TKG Rz. 11 f. 33 S. § 40 TKG a. F., worin darauf abgestellt wurde, ob „die Vorschrift … den Schutz des Nutzers bezweckt“; dazu etwa Husch in Scheuerle/Mayen, Telekommunikationsgesetz (TKG), 2002, § 40 TKG Rz. 6–7; Büchner in Beck’scher TKG-Komm., 2000, § 40 TKG Rz. 4 f. 34 Ob eine Beeinträchtigung vorliegt, soll eine faktische, nicht eine rechtliche Frage sein; Rugullis in Säcker (Fn. 32), § 44 TKG Rz. 21. Dies erscheint zweifelhaft. 35 Das gilt ebenso etwa für § 38 PostG, der wie § 40 TKG a. F. dem § 33 GWB a. F. nachgebildet ist und (deshalb) auch den Beseitigungsanspruch nicht erwähnt; vgl. Stern in Beck’scher PostG-Komm., 2. Aufl. 2004, § 38 PostG Rz. 2. 36 Bulst (Fn. 7), S. 107.
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bewerbern“ und Verbrauchern (die damit in § 3 UWG doppelt in Bezug genommen sind) „alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind.“ Der so umschriebene personale Schutzbereich des § 3 UWG korrespondiert allerdings nicht mit der Gläubigerstellung für einen Beseitigungsanspruch: Die Anspruchsberechtigung ist beschränkt auf die in § 8 Abs. 3 Nr. 1–4 UWG genannten Personen (Mitbewerber, bestimmte Verbände, qualifizierte Einrichtungen, Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern) – unter Ausklammerung der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG neben den Mitbewerbern genannten sonstigen Marktteilnehmer. Trotz des an § 1 Satz 1 UWG orientierten, weit gespannten Schutzbereichs des § 3 UWG wird der Kreis der anspruchsberechtigten Personen für den Beseitigungsanspruch enger gefasst.
II. Die Ausgestaltung des § 33 Abs. 1 GWB 1. Einführung § 33 GWB unterscheidet systematisch zwischen den quasi-negatorischen Ansprüchen (§ 33 Abs. 1, Abs. 2 GWB) und dem Anspruch auf Schadensersatz (§ 33 Abs. 3 GWB). In § 33 Abs. 1 Satz 1 und 3 GWB hängt die Anspruchsberechtigung an der Stellung als „Betroffener“, die durch die Beeinträchtigung als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter umschrieben wird. § 33 Abs. 2 GWB erweitert die Anspruchsberechtigung auf die dort genannten Verbände. Der Schadensersatzanspruch des § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB setzt nur einen Verstoß nach § 33 Abs. 1 GWB voraus, ohne den Personenkreis auf die in § 33 Abs. 1 Satz 1, 3 GWB Genannten einzuschränken. Im Schrifttum ist schon bald eine Kontroverse darüber aufgebrochen, ob der Kreis der anspruchsberechtigten Personen einheitlich oder differenzierend zu bestimmen ist: Man kann den Begriff des „Betroffenen“ in § 33 Abs. 1 GWB für die Abs. 1 und 3 einheitlich bestimmen37 und diesen dabei enger38 oder weiter39 fassen wollen oder aber im Hinblick auf die unterschiedlichen Konsequenzen von Schadensersatzund quasi-negatorischen Ansprüchen die „Betroffenheit“ in § 33 Abs. 1 und Abs. 3 GWB differenzierend auslegen und beim Schadensersatzanspruch auf die unmittelbar Betroffenen eingrenzen wollen40. Die Klärung dieser Frage mag im Folgenden dahinstehen und allein eine Deutung des Beseitigungsanspruchs und seiner Reichweite versucht werden. Diesbezüglich ist nur die folgende Anmerkung geboten. Ein Zusammenhang bei der Anspruchsberechtigung besteht zwischen dem Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch in § 33 Abs. 1 und Abs. 3 GWB insoweit, als viel dafür spricht, einen Unterlassungsanspruch für diejenigen Personen anzunehmen,
__________ 37 Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 19 f.; Roth (Fn. 10), S. 1141. 38 Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 20: Mitbewerber und Abnehmer oder Anbieter auf der Marktgegenseite. 39 Roth (Fn. 10), S. 1142, 1148 f. 40 Bechtold (Fn. 24), § 33 GWB Rz. 10.
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bei denen ein Schaden einzutreten droht – der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch als Schadensverhütungsanspruch41. Der Unterlassungs- (und Schadensersatz-)anspruch und der Beseitigungsanspruch unterscheiden sich aber gerade insoweit, als letzterer nicht etwa auf die Beseitigung eines entstandenen Schadens, sondern gegen die Störungsquelle bzw. den fortdauernden Störungszustand gerichtet ist. Die Konkretisierung der Betroffenheit in § 33 Abs. 1 GWB muss daher auch unterschiedlichen Grundsätzen folgen. 2. Ausgangspunkte a) Ein Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte Die 7. GWB-Novelle ist geprägt von einem – zögerlichen – Abschied vom Schutzgesetzerfordernis42. Hatte zunächst der Referentenentwurf nach dem Vorbild des § 44 TKG das Kriterium des Schutzgesetzes fallen gelassen und durch den Begriff des Betroffenen ersetzt, so tauchte im Gesetzentwurf der Bundesregierung das Erfordernis des Verstoßes gegen ein Schutzgesetz als Voraussetzung für einen Beseitigungs-, Unterlassungs- wie auch Schadensersatzanspruch wieder auf, allerdings mit der Modifizierung, dass bei einem Verstoß gegen Art. 81, 82 EG (evtl. gemeinschaftsrechtswidrige) Restriktionen in der bisherigen Praxis (das Erfordernis eines zielgerichteten Verstoßes) unangewendet bleiben sollten43. Diese merkwürdige und in der Sache kaum überzeugende Vorgabe für die Anwendung des Schutzgesetzerfordernisses wurde dann in der vom Bundestag und Bundesrat beschlossenen Fassung wieder aufgegeben, das Schutzgesetzerfordernis erneut völlig fallengelassen und durch das Merkmal der „Betroffenheit“ ersetzt. Im (Ausschuss-)Bericht des Abgeordneten Heil wird dies u. a. damit begründet, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die „teilweise vertretene verengende Auslegung des Schutzgesetzerfordernisses“ nicht mehr Aufrecht erhalten werden könne44. Diese Begründung überzeugt allerdings angesichts der klarstellenden, gerade auf das Gemeinschaftsrecht Rücksicht nehmenden Fassung des § 33 im Regierungsentwurf kaum45, ist aber als Datum für die Auslegung hinzunehmen und zu beachten. Viel eher leuchtet ein, dass es dem Gesetzgeber (auch) darum gegangen ist, eine gespaltene Auslegung des § 33 GWB je nachdem, ob ein Verstoß gegen europäisches oder deutsches Kartellrecht in Frage steht, zu vermeiden.
__________ 41 42 43 44 45
Fritzsche, WRP 2006, 42, 47; Einschränkungen allerdings bei Roth (Fn. 10), S. 1142. Eingehend Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 16 ff. § 33 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 GWB-E, BT-Drucks. 15/3640, S. 53. BT-Drucks. 15/5049, S. 48. Der Hinweis darauf, dass das Schutzgesetzerfordernis das Klagerecht von Verbraucherschutzverbänden beeinträchtigen würde, BT-Drucks. 15/5049, S. 48, ging schon deshalb fehl, weil das Klagerecht der Verbände nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 des Regierungsentwurfs (anders als nach Nr. 1) gerade nicht davon abhängen sollte, dass die Interessen der Mitglieder durch die Zuwiderhandlung berührt waren; dazu schon Roth (Fn. 10), S. 1138 f.
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b) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben aa) Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs Die Rücksichtnahme auf die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts (genauer: auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum europäischen Kartellrecht) in der Neufassung des § 33 GWB wirft Fragen in mehrere Richtungen auf: Von welchen Vorgaben ist auszugehen? In welcher Weise können diese Vorgaben im Rahmen des § 33 n. F. berücksichtigt werden und welches sind die Spielräume für eine Konkretisierung insbesondere im Hinblick auf den Beseitigungsanspruch? Im Urteil Courage hat der Gerichtshof festgestellt, dass bei einem Verstoß gegen Art. 81 und 82 EG „jedermann“ („any individual“), der durch den Verstoß geschädigt ist, Schadensersatz verlangen kann46. Diese Formulierung ist – entgegen der Praxis mancher deutscher Gerichte47 – zurecht dahingehend verstanden und vom Regierungsentwurf berücksichtigt worden, dass das den Schutzgesetzcharakter einengende Kriterium des zielgerichteten Verstoßes jedenfalls bei Verstößen gegen europäischen Kartellrecht nicht mehr angewendet werden kann. Dies folgt aus dem (Vor-)Verständnis des Gerichtshofs hinsichtlich der Rechtsposition der von einem Verstoß betroffenen Dritten: Seit jeher hat der Gerichtshof den Art. 81 Abs. 1 (auch und vor allem im Hinblick auf die Nichtigkeitssanktion des Art. 81 Abs. 2 EG48) und 82 EG unmittelbare Anwendbarkeit zugesprochen49, die Rechte in der Person der Betroffenen entstehen lassen („rights for the individuals concerned“), die – in der ständigen Formulierung des Gerichtshofs – die nationalen Gerichte zu wahren haben50. Dem hat der Gerichtshof im Urteil Courage die weittragende Aussage hinzugefügt, dass die „volle Wirksamkeit“ des Art. 81 EG und die „praktische Wirksamkeit“ der Verbotsnorm des Art. 81 Abs. 1 EG in Frage gestellt wären, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könne, der ihm durch einen gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßenden Vertrag (oder ein entsprechendes Verhalten) entstanden ist51. Dahinter steht ein Verständnis des Gerichtshofs, das dem (nationalen) Privatrecht und damit den privaten Klägern eine wichtige Funktion für die Be-
__________ 46 47 48 49
EuGH v. 20.9.2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6323, Rz. 26 – Courage. Nachweise bei Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 17. Z. B. EuGH v. 25.11.1971 – Rs. 22/71, Slg. 1971, 949, Rz. 29 – Béguelin. Zu Art. 81 Abs. 1 EG seit EuGH v. 30.1.1974 – Rs. 127/73, Slg. 1974, 51, Rz. 16 – SABAM. 50 EuGH v. 20.9.2001 (Fn. 46), Rz. 23; EuGH v. 13.7.2006 – C-295-298/04, EuZW 2006, 529, Rz. 39 – Vincenzo Manfredi. 51 EuGH v. 20.9.2001 (Fn. 46), Rz. 26.
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achtung und Durchsetzung des europäischen Kartellrechts52 und darüber hinausgehend des Gemeinschaftsrechts53 zuweist. In der Entscheidung Vincenzo Manfredi ist diese Rechtsprechung bestätigt54 und dahingehend ausgebaut worden, dass es zwar grundsätzlich Sache des nationalen Rechts sei, die Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des Schadensersatzes zu bestimmen, dabei aber kraft Gemeinschaftsrechts gewisse Mindesterfordernisse erfüllt werden müssen: der Schadensersatzanspruch müsse neben dem Ersatz des Vermögensschadens (lucrum emergens) auch den entgangenen Gewinn (lucrum cessans) und die Zinsen umfassen55. Eine davon zu trennende und wesentlich schwieriger zu beantwortende Frage betrifft die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs dieses durch das Gemeinschaftsrecht abgesicherten Anspruchs. In Courage formuliert – wie bereits erwähnt – der Gerichtshof dahingehend, dass die praktische Wirksamkeit des Verbots in Art. 81 Abs. 2 EG es erfordere, dass „jedermann“ den Ersatz des ihm durch den Kartellverstoß entstandenen Schadens verlangen könne. Diese weitgreifende Formulierung scheint als Voraussetzungen eines Anspruchs neben dem Verstoß und dem Schaden allein noch das Erfordernis der Kausalität zu kennen, unter Verzicht auf eine Einschränkung des Personenkreises, wie sie aus dem deutschen Kartellprivatrecht bekannt ist. Freilich ist es in Courage nur um einen Fall gegangen, in dem bei einer vertikalen Vertriebsbindung der Gebundene als Vertragspartner den Anspruch geltend machte. Das Urteil klärt insoweit, dass (bei Vertikalbindungen) den Vertragspartnern der Schadensersatzanspruch nicht von vorneherein verweigert werden darf, enthält allerdings keine explizite Aussage dazu, ob und inwieweit Dritte, die mittelbar von einer den Wettbewerb beschränkenden Abrede betroffenen sind und einen Schaden erleiden, einen Schadensersatzanspruch geltend machen können. Die Entscheidung Courage hat im Schrifttum große Resonanz gefunden. Dabei hat die Frage, in welcher Weise der Schadensersatzanspruch des „jedermann“ zu deuten sei, unterschiedliche Antworten gefunden: Für die einen gebietet das Courage-Urteil, unter Verabschiedung bisheriger Grundsätze auch die mittelbar Geschädigten, z. B. Personen, auf die der Schaden weitergewälzt worden ist
__________ 52 Dies kommt in Rz. 27 des Urteils Courage zum Ausdruck, wo es heißt: „Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen.“ Ebenso erneut in EuGH v. 13.7.2006 (Fn. 50), Rz. 91. 53 S. EuGH v. 17.9.2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 – Munoz; dazu Roth (Fn. 10), S. 1135 f.; Wagner, Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht – Anmaßung oder legitime Aufgabe? AcP 206 (2006), 352, 389 ff., 413 f. 54 EuGH v. 13.7.2006 (Fn. 50), Rz. 60, 91. 55 EuGH v. 13.7.2006 (Fn. 50), Rz. 95–97.
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(indirect purchasers), als Anspruchsberechtigte zu behandeln56; für die anderen versperren die Aussagen im Courage-Urteil dem nationalen Recht nicht die Möglichkeit, den normativen Schaden im Lichte der Normzwecke des EGKartellrechts und der Struktur der Zivilgerichtsbarkeit zu bestimmen und etwa auf die unmittelbar Betroffenen (Vertragspartner, Mitbewerber und Marktgegenseite) zu begrenzen57. Im Urteil Vincenzo Manfredi verwendet der Gerichtshof dieselben Formulierungen wie im Urteil Courage: wiederum ist von „jedermann“ die Rede, der Ersatz des ihm entstandenen Schadens soll verlangen können58. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall klagten Endverbraucher, die von Versicherungen als ihren Vertragspartnern die Erstattung von Prämienzahlungen im Wege des Schadensersatzes verlangten59, die aufgrund von Kartellabsprachen überhöht waren. Insoweit ging es um die Ansprüche der Marktgegenseite und damit um unmittelbar durch die Kartellabsprache betroffene Personen. Eine explizite Aussage dazu, ob auch mittelbar Betroffene einen Schadensersatzanspruch geltend machen können, findet sich nicht. Immerhin wird man (ohne dass dies schon zu einer Kaffeesatzleserei geriete) dem Urteil Vincenzo Manfredi Andeutungen entnehmen können, die in Richtung einer weit verstandenen Anspruchsberechtigung gehen: (1) Angesichts der vom Gerichtshof mit Sicherheit zur Kenntnis genommenen Diskussion60 um die in Courage getroffenen Aussagen zum personalen Anwendungsbereich des Schadensersatzanspruchs („jedermann“), muss die einschränkungslose mehrfache Wiederholung der „jedermann“-Formulierung als Hinweis darauf verstanden werden, dass eine Beschränkung des personalen Anwendungsbereichs (derzeit) nicht in Erwägung gezogen wird. (2) Der Gerichtshof sieht – wie schon in Courage – die Nichtigkeitssanktion und die Möglichkeit, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, in einen unmittelbaren Zusammenhang61.
__________ 56 Z. B. Monopolkommission, Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWBNovelle, Sondergutachten 42 (2004) No. 39; Lettl, Der Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 81 Abs. 1 EG, ZHR 167 (2003), 473, 480 ff.; Bulst, Private Kartellrechtsdurchsetzung nach der 7. GWB-Novelle: Unbeabsichtigte Rechtsschutzbeschränkungen durch die Hintertür? EWS 2004, 62, 64; ders. (Fn. 7), S. 132 ff., 248 ff., 347 ff.; van Gerven in Basedow (Hrsg.), Private enforcement of EC competition law, 2007, S. 19, 32 f. 57 So Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2: GWB, § 33 GWB Rz. 16; aus dem Schrifttum Bechtold (Fn. 24), § 33 GWB Rz. 10; Köhler, Kartellverbot und Schadensersatz, GRUR 2004, 99, 101; Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 36; Roth (Fn. 10), S. 1139. 58 EuGH v. 13.7.2006 (Fn. 50), Rz. 60, 51, 90. 59 Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Gerichtshof in seiner Rspr. bei der Klassifizierung von Ansprüchen (Bereicherung oder Schadensersatz) zurückhält; z. B. EuGH v. 8.3.2001 – C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727, Rz. 81 – Metallgesellschaft. 60 Aus dem das Courage-Urteil besprechenden Schrifttum s. Komninos, New prospects for private enforcement of EC competition law: Courage v. Crehan and the Community right to damages, C.M.L.Rev. 39 (2002), 447, 482; Reich, The „Courage“ doctrine: Encouraging or discouraging compensation for antitrust injuries? C.M.L.Rev. 42 (2005), 35, 37 ff. 61 EuGH v. 13.7.2006 (Fn. 50), Rz. 58–61.
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Für die Nichtigkeitssanktion wird betont, dass sich „jeder“ („anyone“) einschränkungslos vor Gericht auf einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG und damit auf die Nichtigkeit gem. Art. 81 Abs. 2 EG berufen kann – um daran anschließend das Recht von „jedermann“ („any individual“), der einen Schaden erlitten hat, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, zu bestätigen. (3) Als ob es darum ginge, diese Aussage zu bekräftigen, werden in Vincenzo Manfredi die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches noch einmal eigenständig formuliert: „Infolgedessen kann jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 81 EG verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht“62. Dies klingt nach einer abschließenden Aufzählung der Tatbestandsvoraussetzungen, die eine Einschränkung des personalen Anwendungsbereichs wohl kaum zulässt63. bb) Schutzzweckdenken im Gemeinschaftsrecht? Zeigt eine Bestandsaufnahme der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anspruchsberechtigung für den europarechtlich gebotenen Schadensersatzanspruch, dass die Voraussetzungen des Anspruchs allein durch das Vorliegen eines Schadens und der Kausalität des Verstoßes bestimmt sind, so kann und soll damit nicht ausgeschlossen werden, dass diese Judikatur (vor dem Hintergrund entsprechender Fallkonstellationen) nicht doch in Zukunft einer Konkretisierung zugeführt wird, die unter Berufung auf den Schutzzweck der Art. 81 und 82 EG den Kreis der Anspruchsberechtigten einzugrenzen versucht64. Die Rechtsprechung zum Kartelldeliktsrecht fügt sich allerdings ganz konsequent in eine Rechtsprechungstradition des Gerichtshofs ein, die bisher allein darauf abgestellt hatte, den Einzelnen das Recht zu geben, sich auf unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht zu berufen, und bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht den Einzelnen Ansprüche zuzuweisen, um für eine effek-
__________ 62 EuGH v. 13.7.2006 (Fn. 50), Rz. 61. 63 In seinen Schlussanträgen war GA Geelhoed für die Geltendmachung der Nichtigkeitsfolge einerseits davon ausgegangen, dass „jeder“ sich auf die Nichtigkeit berufen könne (Rz. 54 a. E.), andererseits aber „ein rechtlich relevantes Interesse“ daran haben müsse (Rz. 52). Der Gerichtshof hat letztere Einschränkung nicht in sein Urteil aufgenommen. Für den Schadensersatzanspruch betont der GA Geelhoed, dass die Initiative für privatrechtliche Klagen in erster Linie von denen ausgehen, „deren Interessen“ durch das Wettbewerbsrecht geschützt werden, geht aber zugleich davon aus, dass es dem nationalen Recht überlassen ist, Beschränkungen der Klagebefugnis zu konkretisieren (Rz. 31). Der Gerichtshof nimmt diesen Ball nicht auf. 64 Zu den Schwierigkeiten, die Auswirkungen von Preiskartellen auf die Abnehmer und auf andere Märkte zu bestimmen, und zur Problematik der Feststellungen einer Verursachung s. vor allem Hellwig, Private damage claims and the passing-on defense in horizontal price-fixing cases – an economist’s perspective, in Basedow (Hrsg.) (Fn. 56), S. 121 ff.
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tive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu sorgen65. Über die Sorge um eine effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts hat der Gerichtshof es dabei unterlassen, am Schutzzweck der Normen orientierte Differenzierungen und Eingrenzungen der privatrechtlichen Sanktionen anzudeuten66, geschweige denn zu markieren. Hinzuweisen ist allerdings auf die Rechtsprechung zur Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht. Hier hat der Gerichtshof es für die Existenz eines Schadensersatzanspruchs nicht ausreichen lassen, dass dem Einzelnen ein Schaden entstanden ist, sondern hat es zur Voraussetzung gemacht, dass die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen67. Mit der Entscheidung darüber, den Einzelnen Rechte zu verleihen, ist immer auch eine Entscheidung darüber verbunden, welchen Einzelnen Rechte verliehen werden sollen. Dies wird vom Gerichtshof nicht explizit problematisiert, wird aber in Zukunft klarzustellen sein. Die Entscheidung, dass die Art. 81 und 82 EG bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, ist schon seit langem gefallen68. Mit der „jedermann“Formel wird dies bestätigt, zugleich aber eine am Normzweck orientierte Eingrenzung (noch) nicht vorgenommen. Eine solche ist aber zu erwarten: Bedenkt man, dass sich eine kartellrechtliche Vereinbarung, etwa ein Preiskartell (auf dem Ölmarkt), nicht nur auf dem von der Vereinbarung unmittelbar betroffenen Markt, sondern auch auf Substitutionsmärkten (Gas) auswirken mag, und dass es weitere Folgewirkungen auf vielen anderen Märkten geben kann (Folgen eines Benzinkartells auf die Tourismusbranche etc.), wird der Gerichtshof nicht darum herumkommen, darüber nachzudenken, ob der Kreis der Anspruchsberechtigten eines Schadensersatzanspruches nicht doch etwas konkreter bestimmt werden muss: Es geht um die Frage, ob neben der Kausalität des Verstoßes ein Zurechnungszusammenhang zwischen kartellrechtlichem Verstoß und entstandenem Schaden gefordert werden muss, der durch den jeweiligen Schutzzweck der Norm zu bestimmen und zu konkretisieren ist. Genau in diese Richtung argumentiert etwa GA Geelhoed, wenn er in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Munoz verlangt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem geschützten Interesse des Einzelnen und dem Schutz geben muss, den die Norm entfaltet69. c) Konsequenzen für § 33 GWB? Mit dem neu gefassten § 33 GWB hat der Gesetzgeber versucht, die privatrechtlichen Sanktionen den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben anzupassen.
__________ 65 In diesem Sinne (unter eingehender Analyse der bisherigen Judikatur des Gerichtshofs) Eilmansberger, The relationship between rights and remedies in EC Law: In search of the missing link, C.M.L.Rev. 41 (2004), 1199, 1245 f. 66 Eilmansberger (Fn. 65), 1244; Ruffert, Rights and remedies in European Community law: A comparative view, C.M.L.Rev. 34 (1997), 307, 315. 67 Zuletzt EuGH v. 25.1.2007 – C-278/05, EuZW 2007, 182, Rz. 69 – Carol Marily Robins. 68 S. oben bei Fn. 49. 69 GA Geelhoed in EuGH v. 17.9.2002 (Fn. 53), Rz. 47.
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Mit der Aufspaltung der Regelung der quasi-negatorischen Ansprüche in § 33 Abs. 1 GWB und des Schadensersatzanspruchs in § 33 Abs. 3 GWB ist die Möglichkeit für eine unterschiedliche Behandlung offen gehalten: Soweit in § 33 Abs. 1 GWB die Geltendmachung der quasi-negatorischen Ansprüche von der „Betroffenheit“ des Anspruchsstellers abhängig gemacht wird, kann hier eine am Schutzzweck der einzelnen Kartellrechtsnorm orientierte Bestimmung des Personenkreises vorgenommen werden. Da § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB auf § 33 Abs. 1 GWB nur für das Vorliegen eines Verstoßes, nicht aber für die Bestimmung der Anspruchsberechtigten Bezug nimmt, lässt sich § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB ohne Schwierigkeiten im Sinne der Anforderungen der Courage-Rechtsprechung („jedermann“) auslegen und anwenden. Sollte der Gerichtshof – was zu hoffen ist – Präzisierungen hinsichtlich des Kreises der Anspruchsberechtigten durch Schutzzweckerwägungen vornehmen, lassen sich diese ohne weiteres in § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB berücksichtigen. Letztlich eröffnet diese Norm eine dynamische (insoweit dem § 2 GWB vergleichbare) Verweisung auf die vom Gerichtshof künftig noch vorzunehmende Konkretisierungen in seiner Schadensersatz-Rechtsprechung. Dem deutschen Gesetzgeber scheint – auch im Hinblick auf die CourageRechtsprechung – bei der Neufassung des § 33 GWB ein weites Verständnis des zum Schadensersatz berechtigten Personenkreises vor Augen gestanden zu haben. Darauf deutet, an versteckter Stelle, ein Hinweis in der Begründung des Regierungsentwurfs. Im Zusammenhang mit der Begründung dafür, dass bei Verstößen gegen Art. 81 und 82 EG künftig auch Verhaltensweisen, die nicht gezielt gegen bestimmte Marktteilnehmer gerichtet sind, zu einem Schadensersatzanspruch berechtigen können, heißt es weiter: „Zum Kreis der Anspruchsberechtigten können – wie schon nach bestehender Rechtslage – auch Endverbraucher gehören. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Kartellabrede auf der letzten Absatzstufe vorliegt“70. Damit wird einerseits klargestellt („insbesondere“), dass bei Kartellabreden, die unmittelbar die Endverbraucher betreffen („auf der letzten Absatzstufe“), letztere anspruchsberechtigt sein sollen. Zugleich wird aber auch davon ausgegangen, dass Endverbraucher (als nur mittelbar Betroffene) zumindest auch klagebefugt sein können, wenn die Kartellabrede auf einer vorgelagerten Absatzstufe getroffen wird. Mit diesem Verständnis unvereinbar ist eine Position, die für den Schadensersatzanspruch des § 33 Abs. 3 GWB versucht, den Kreis der anspruchsberechtigten Personen auf die unmittelbar Betroffenen, die „unmittelbar im Kontakt mit dem Kartelltäter Stehenden“ zu begrenzen71. 3. Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs Die quasi-negatorischen Ansprüche in § 33 Abs. 1 GWB stehen auf eigenen Füßen. Auch wenn – was künftige Rechtsprechung des Gerichtshofs erst noch
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70 BT-Drucks. 15/3640, S. 53 (Hervorhebung im Zitat von mir). 71 So etwa Bechtold (Fn. 24), § 33 GWB Rz. 10; weitergehend auch für die quasi-negatorischen Ansprüche Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff (Fn. 57), § 33 GWB Rz. 14 ff.; Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 40.
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bestätigen muss – sich der vom Gemeinschaftsrecht vorgeschriebene und durch das nationale Recht auszugestaltende Schadensersatzanspruch sich Schutzzweckerwägungen öffnet und dadurch den Kreis der Anspruchsberechtigten eingrenzt, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs eigenständig, an den besonderen Zielsetzungen dieses quasi-negatorischen Anspruches orientiert, zu bestimmen72. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Zusammenhang mit § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB ignoriert werden müsste. a) Inhalt Anders als der Schadensersatzanspruch richtet sich der Beseitigungsanspruch des § 33 Abs. 1 GWB nicht auf Schadensausgleich und damit nicht auf den Ersatz von entstandenen Vermögensschäden, sondern auf die Beseitigung der Störungsquelle wie auch auf den durch die Störungsquelle eingetretenen Zustand fortdauernder, gegenwärtiger Störung73. Soweit die Störungsquelle – wie im Kartellrecht – in einem rechtswidrigen Verhalten („Zuwiderhandlung“) liegt, ist für die Vergangenheit das Verhalten nicht mehr zu beseitigen, während für die Zukunft der Unterlassungsanspruch der einschlägige Rechtsbehelf ist. Im Zentrum des kartellrechtlichen Beseitigungsanspruchs steht damit der durch die Zuwiderhandlung eingetretene Zustand fortdauernder Störung74. Da der Beseitigungsanspruch verschuldensunabhängig ausgestaltet ist, besteht insoweit Ab- und Eingrenzungsbedarf gegenüber dem verschuldensabhängigen75 Schadensersatzanspruch nach § 33 Abs. 3 BGB. Darauf ist noch (unter III.) zurückzukommen. b) Anspruchsberechtigung: „Betroffenheit“ Mit der Umschreibung der Anspruchsberechtigung im Begriff des „Betroffenen“ verabschiedet sich die Neufassung des § 33 Abs. 1 GWB von der traditionellen Bezugnahme des Kartelldeliktsrechts auf den Schutzgesetzcharakter der Kartellrechtsnormen. Verabschiedet wird damit auch der im Ergebnis fruchtlose Streit um die Frage, ob das GWB dem Institutionen- oder Individualschutz
__________ 72 Dies schließt nicht aus, dass ein Gleichlauf in der Auslegung der beiden Normen jedenfalls insoweit verwirklicht wird, als beide in Zukunft schutzzweckorientiert konkretisiert werden. Der Regierungsentwurf war davon ausgegangen; vgl. BTDrucks. 15/3640, S. 53. 73 Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), § 33 GWB Rz. 179. 74 Bechtold (Fn. 24), § 33 GWB Rz. 12. 75 Die Unterscheidung und Abgrenzung ist solange erforderlich, wie das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht für die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs es auch überlässt, ein Verschuldenserfordernis aufzustellen. In EuGH v. 13.7.2006 (Fn. 50), Rz. 61 definiert der Gerichtshof möglicherweise abschließend die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs im nationalen Recht (Verstoß gegen Art. 81 EG; Schaden; Kausalität; jedermann), ohne dabei das Verschulden zu erwähnen. Diese Frage wird künftige Rechtsprechung klären müssen (ebenso dann auch, auf welche Folge- und Fernschäden sich der Schadensersatzanspruch erstrecken muss).
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dient76 – ein Streit, der für das europäische Kartellrecht nicht geführt worden ist und für das privatrechtliche Sanktionensystem irrelevant bleiben muss. Die 7. GWB-Novelle ist – unter Einfluss gemeinschaftsrechtlicher Vorstellungen und Entwicklungen – ganz wesentlich geprägt von einem Verständnis, das das Privatrecht zum Zweck des Wettbewerbsschutzes instrumentiert77: In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es ausdrücklich, es solle „ein effektives zivilrechtliches Sanktionensystem geschaffen werden, von dem eine zusätzliche spürbare Abschreckungswirkung ausgeht“78. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB definiert den „Betroffenen“ als denjenigen, der „als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist.“ Dies bedeutet eine Eingrenzung und Präzisierung in doppelter Richtung. aa) „Marktbeteiligte“ Der Kreis der Anspruchsberechtigten wird durch die beiden genannten Personengruppen näher bestimmt. Als „Mitbewerber“ sind Unternehmen zu verstehen, die mit dem Anspruchsgegner in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, also auf demselben (sachlich und örtlich relevanten) Markt tätig sind. Mit dem Begriff der „sonstigen Marktbeteiligten“ wird – wie bei den Mitbewerbern – auf den Marktbezug der Tätigkeit der betreffenden Personen abgestellt. Damit werden aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten all diejenigen ausgeschieden, die durch eine Zuwiderhandlung zwar beeinträchtigt sein mögen, deren Beeinträchtigung aber nicht marktvermittelt erfolgt und die damit aus dem Schutzbereich des Kartellrechts herausfallen. Dies gilt etwa für Gesellschafter oder Arbeitnehmer eines betroffenen Unternehmens ebenso wie für dessen Familienangehörige, die allesamt durch Kartellrechtsverstöße mittelbar Nachteile erleiden mögen. Das zentrale, mit dem Begriff des Marktbeteiligten aufgeworfene Problem liegt bei der Frage, ob als „Marktbeteiligte“ nur solche Personen (einschließlich des Endverbrauchers79) anzusehen sind, die (neben den Mitbewerbern) auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt auf der Marktgegenseite, also als Abnehmer oder Lieferanten, tätig sind, oder ob eine marktbezogene Tätigkeit auf anderen Märkten ausreicht, um eine Betroffenen-Stellung zu begründen. Nach bisherigem Recht sprachen gute Gründe dafür, aus dem Schutzgesetzerfordernis eine Beschränkung der Anspruchsberechtigten (neben den Mitbewerbern) auf die auf der Marktgegenseite agierenden Personen vorzuneh-
__________ 76 Dazu Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), § 33 GWB Rz. 24–25; zuletzt pointiert zusammenfassend K. Schmidt, Wirtschaftsrecht: Nagelprobe des Zivilrechts – Das Kartellrecht als Beispiel, AcP 206 (2006), 169, 187. 77 Dass das deutsche Privatrecht auch in anderen Bereichen instrumentelle, weil verhaltenssteuernde Wirkungen entfalten soll, zeigt Wagner, AcP 206 (2006), 352, 364 ff., (und zu dessen Begründung) 422 ff. 78 BT-Drucks. 15/3640, S. 35. Insoweit wird Abschied genommen von einem rein „privatrechtlich“ verstandenen Kartelldeliktsrecht; zu dieser Position Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), § 33 GWB Rz. 15–18. 79 Unstr.; Reg.Begr., BT-Drucks. 15/3640, S. 53.
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men80. Mit dem Abschied vom Schutzgesetzerfordernis im neu gefassten § 33 GWB ist diese Begründung entfallen. Die in § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB gewählte Formulierung legt es allerdings nahe anzunehmen, dass der Begriff der „sonstigen“ Marktteilnehmer gerade zum Ausdruck bringen soll, dass es um Personen gehen soll, die sich auf demselben Markt bewegen wie die „Mitbewerber“. Eine solche, von gewichtigen Stimmen im Schrifttum vertretene Position ist jedoch nur stimmig, wenn auch im Rahmen des § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Mitbewerber und Personen auf der Marktgegenseite (Lieferanten und Abnehmer) beschränkt ist81. Dem stehen jedoch die oben vorgetragenen Bedenken aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts entgegen: Auch wenn sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs Schutzzweckerwägungen öffnen wird, ist nicht damit zu rechnen, dass der „jedermann“ aus der Courage-Rechtsprechung sich auf Mitbewerber, Vertragspartner und Marktgegenseite reduzieren wird. Insoweit sollte auch der Kreis der „Marktbeteiligten“ nicht vorschnell zu eng gezogen werden82. Differenzierungen lassen sich dann über das Merkmal der (relevanten) Beeinträchtigung vornehmen83. bb) Beeinträchtigung Was unter einer „Beeinträchtigung“ i. S. v. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB zu verstehen ist, sagt das Gesetz nicht. Da es den Begriff des „Betroffenen“ für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch einheitlich fasst, liegt es auf den ersten Blick zwar nahe, für beide Ansprüche nach einer einheitlichen Auslegung des Begriffs der „Beeinträchtigung“ zu suchen; jedoch ist hier der bereits angesprochene Inhalt des Beseitigungsanspruchs zu berücksichtigen: Da der Beseitigungsanspruch nicht auf Schadensausgleich zielt, kann die für § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB relevante Beeinträchtigung auch nicht im eingetretenen Schaden liegen84. Gegenstand des Beseitigungsanspruchs ist vielmehr das rechtswidrige Verhalten (als Störungsquelle) sowie der aus dem rechtswidrigen Verhalten resultierende Zustand fortdauernder, noch gegenwärtiger Störung. Was hier als relevante „Störung“ (in Abgrenzung zum weiterreichenden Begriff des Schadens) und damit als Beeinträchtigung anzusehen ist, kann nicht abstrakt, son-
__________ 80 Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), § 33 GWB Rz. 48 f. (zu § 1 GWB a. F.). 81 So etwa Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff (Fn. 57), § 33 GWB Rz. 15; Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 20. 82 Es wird dabei davon ausgegangen, dass § 33 Abs. 1 GWB einheitlich und damit unabhängig davon auszulegen ist, ob ein Verstoß gegen Art. 81, 82 EG oder eine Zuwiderhandlung nach dem GWB vorliegt. Die 7. GWB-Novelle ist von dem Bestreben des Gesetzgebers geprägt, eine unerwünschte Zweiteilung des deutschen Wettbewerbsrechts zu vermeiden; Reg.Begr., BT-Drucks. 15/3640, S. 20 f., 30, 35. Diesen Grundsatz hatte der Gesetzentwurf der Bundesregierung noch nicht durchgehalten, sondern in § 33 Abs. 1 Satz 2 und 3 GWBE speziell auf das europäische Kartellrecht abgestellte Normen geschaffen. Die endgültig Gesetz gewordene Fassung macht keine Unterschiede mehr. 83 Anders insoweit Bulst (Fn. 7), S. 110 ff. 84 Zutreffend Fritzsche, WRP 2006, 42, 47.
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dern nur mit Blick auf das von der jeweils verletzten Verbotsnorm geschützte Interesse bestimmt werden.
III. Einzelne Tatbestände Im Folgenden soll es – abschließend – darum gehen, anhand einiger ausgewählter Tatbestände85 die Reichweite des Beseitigungsanspruchs, in Abgrenzung zum Schadensersatzanspruch des § 33 Abs. 3 GWB zu erkunden. 1. Lieferverweigerung, vertikale Behinderung In der deutschen Kartellrechtspraxis sind Belieferungsansprüche (auf der Grundlage des § 20 Abs. 2 GWB) typischerweise auf einen Schadensersatzanspruch (im Wege der Naturalrestitution) gestützt worden86. Hieran ist seit jeher Kritik87 insoweit geübt worden, als damit der einschlägige Rechtsbehelf des (verschuldensunabhängigen) Beseitigungsanspruchs88 bzw. (vorbeugenden) Unterlassungsanspruchs89 negiert worden ist. Wenn und soweit die Zuwiderhandlung (als Störungsquelle) in der Verweigerung eines Vertragsabschlusses liegt, stellt die Nichtbelieferung die fortdauernde Beeinträchtigung dar, die erst durch einen auf Belieferung zielenden Vertragsabschluß beseitigt wird. Dieser Beseitigungsanspruch bezieht sich auch auf die in der Vergangenheit liegenden Störung (der rechtswidrigen Lieferungsverweigerung), die in einem nachteiligen gegenwärtigen Zustand – der fehlenden Dispositionsmöglichkeit über die nicht gelieferte Ware – resultiert. Der Beseitigungsanspruch zielt hier auch auf die Nachholung der Lieferungen, die hätten erfolgen müssen90. Der Beseitigungsanspruch geht dagegen nicht auf den entgangenen Gewinn aus den unterbliebenen Folgegeschäften oder auf sonstige Vermögensschäden. Aktivlegitimiert für den Beseitigungsanspruch sind nur die Marktpartner des Adressaten der einschlägigen Kartellrechtsnorm (Art. 82 EG, § 20 Abs. 2 GWB), denn nur ihnen gegenüber besteht die Lieferungspflicht und nur bei ihnen liegt der Zustand fortdauernder Störung vor. Folgeschäden, die bei anderen Personen eintreten, stellen keine „Beeinträchtigung“ für Zwecke des Beseitigungsanspruchs nach § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB dar. Bei kartellrechtswidrigen diskriminierenden Verhaltensweisen ist im Hinblick auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungs- (Belieferungs-)anspruch im-
__________ 85 Eingehende Diskussion verschiedener Tatbestände (mit abweichenden Ergebnissen) bei Fritzsche, WRP 2006, 42, 52 f. 86 BGH v. 16.12.1986, WuW/E BGH 2341, 2344 – Taxizentrale Essen; BGH v. 12.5.1998, WuW/E DE-R 206, 209 – Depotkosmetik; jüngst OLG Düsseldorf v. 5.5.2004, RdE 2005, 15, mit Anm. Köhler; weitere Nachweise bei Rixen in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), § 20 GWB Rz. 273 Fn. 2. 87 S. vor allem Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 20 GWB Rz. 228. 88 Bechtold (Fn. 24), § 33 GWB Rz. 12. 89 In diesem Sinne denn auch BGH v. 13.11.1990, WuW/E 2683, 2687 – Zuckerrübenanlieferung. 90 Ebenso Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff (Fn. 57), § 33 GWB Rz. 50.
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mer im Auge zu behalten, dass der Adressat des Unterlassungsanspruchs i. d. R. unterschiedliche Möglichkeiten hat, das diskriminierende Verhalten abzustellen. Dies ist anders für das in der Vergangenheit liegende diskriminierende Verhalten. Diesbezüglich wird eine Beseitigung in der Weise möglich sein, den diskriminierten Marktpartner mit den Vergleichspersonen gleich zu behandeln, also etwa Lieferungen nachzuholen oder aber Vertragsklauseln mit Rückwirkung zu ändern (Preise etc.). 2. Vertragskonditionen, Ausbeutung In mehreren, im Schrifttum91 durchweg positiv aufgenommenen Urteilen hat der BGH einen auf Geldzahlung gerichteten Beseitigungsanspruch anerkannt, wenn die Vorenthaltung einer angemessenen Vergütung durch einen marktbeherrschenden Nachfrager als unbillige Behinderung i. S. v. § 20 Abs. 1 GWB anzusehen ist92. Als Störungsquelle ist hier der (in der Vergangenheit liegende) Abschluss eines die Wettbewerbsmöglichkeiten der Anbieter hindernden Vertrages anzusehen – die (notwendige) fortdauernde Beeinträchtigung besteht in der Aufrechterhaltung der missbräuchlichen Vertragsbedingungen (Begründung einer zu niedrigen Forderung) und der damit unmittelbar verbundenen Vorenthaltung einer angemessenen Vergütung. Der Beseitigungsanspruch geht hier auf die Zahlung der Differenzbeträge zwischen den angemessenen und den gezahlten Vergütungen. Damit greift der Beseitigungsanspruch auch nicht in unangemessener Weise in den Bereich des verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruchs ein: Der Anspruch auf ein rechtmäßiges Verhalten des Marktbeherrschers in Form einer angemessenen Vergütung besteht von Anfang an. Die in den rechtswidrigen Vertragsbedingungen liegende Störung dauert bis in die Gegenwart an und ist durch eine Vertragsanpassung zu korrigieren93; der Beseitigungsanspruch zielt dabei nicht nur auf eine Änderung ex nunc, sondern zur Beseitigung der Beeinträchtigung auf eine Änderung ex tunc. Es gibt daher keinen Grund94, diesen Anspruch dem Betroffenen zu verweigern und ihn auf einen verschuldensabhängigen Kompensationsanspruch zu verweisen95.
__________ 91 Rehbinder, Vergütung für eingespeisten Strom im Wege der Beseitigung auch nach Betriebseinstellung? NJW 1997, 564; Bechtold (Fn. 24), § 33 GWB Rz. 12; Bornkamm in Langen/Bunte (Fn. 7), § 33 Rz. 92; Markert in Immenga/Mestmäcker (Fn. 87), § 20 GWB Rz. 228. 92 BGH v. 6.10.1992, WuW/E BGH 2805, 2811 – Stromeinspeisung I; BGH v. 2.7.1996, WuW/E BGH 3074, 3076 – Kraft-Wärme-Koppelung; BGH v. 22.10.1996, WuW/E BGH 3079, 3082 – Stromeinspeisung II. 93 Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1. EG/Teil 1, 4. Aufl. 2007, Art. 82 EGV Rz. 31. 94 BGH v. 6.10.1992, WuW/E BGH 2805, 2811, sieht darin „ein Gebot der Gerechtigkeit“. 95 Da § 20 Abs. 1 GWB dem Schutz der behinderten Unternehmen in seinem Wettbewerbsverhalten dient (so z. B. Bechtold [Fn. 24], § 20 GWB Rz. 40), erscheint es allerdings als fraglich, von einer fortdauernden Störung für Zwecke des § 33 Abs. 1 GWB auszugehen, wenn das Unternehmen aus dem Wettbewerb ausgeschieden ist; so aber BGH v. 2.7.1996, WuW/E BGH 3074, 3076.
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Dieselben Überlegungen wird man im Rahmen von § 19 Abs. 4 GWB und Art. 82 EG für den Ausbeutungsmissbrauch auf Seiten der Nachfrager96 wie der Anbieter anzustellen haben: Die Feststellung der maßgeblichen „Beeinträchtigung“ orientiert sich dabei nicht etwa an den durch die Zuwiderhandlung entstandenen Vermögensnachteilen97 – dies ist Sache des Schadensersatzanspruchs. Die Beseitigung der Störungsquelle besteht hier ebenfalls in einer Korrektur des abgeschlossenen Vertrages. Die aus der Zuwiderhandlung resultierende fortdauernde Störung wird durch eine Anpassung der rechtswidrigen Vertragsbedingungen ex tunc beseitigt. Damit korrespondiert dann notwendig die Rückzahlung des missbräuchlich überhöhten Teils98. Werden missbräuchlich überhöhte Preise auf der nächsten Marktstufe auf die Abnehmer weitergewälzt, mögen (was hier nicht zu diskutieren ist) die dadurch mittelbar „Geschädigten“ einen Schadensersatzanspruch haben. Bei ihnen liegt jedoch keine „Beeinträchtigung“ i. S. v. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB für Zwecke des Beseitigungsanspruchs vor. Denn der mit der rechtswidrigen Störung – den Abschluss des missbräuchlichen Vertrages – verknüpfte fortdauernde Störungszustand trifft nur den Vertragspartner in Form des Bestehens einer missbräuchlich hohen Forderung und setzt sich nur bei ihm in Form der mit der Forderung unmittelbar verbundenen Zahlung fort. Wird der dadurch entstehende Vermögensnachteil auf Abnehmer auf der nächsten Marktstufe weitergewälzt, geht es nicht mehr um die Perpetuierung des Störungszustands aufgrund der missbräuchlichen Vertragsbedingungen (als der Störungsquelle). Daher kann den indirekten Abnehmern mangels relevanter „Beeinträchtigung“ i. S. v. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB auch kein Beseitigungsanspruch zugestanden werden99. 3. Horizontale Behinderungen Marktbeherrschende bzw. marktstarke Unternehmen, die mit rechtswidrigen Behinderungspraktiken Wettbewerber vom Markt100 drängen, deren Umsätze reduzieren oder potentielle Wettbewerber vom Marktzutritt abhalten, können von (aktuellen und potentiellen) Wettbewerbern auf Beseitigung in Anspruch genommen werden. Die für § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB notwendige „Beeinträchtigung“ liegt aus der Sicht der Verbotsnormen (Art. 82 EG, §§ 19, 20 Abs. 1 GWB) in der Einschränkung der betroffenen Wettberber, im Wettbewerb mit dem rechtswidrig agierenden Unternehmen zu reüssieren. Der Anspruch geht
__________ 96 Art. 82 EG erfasst auch missbräuchliches Verhalten marktbeherrschender Nachfrager; z. B. EuGH v. 15.3.2007 – C-95/04 P – British Airways (noch nicht in Slg.); zu einem Fall missbräuchlich niedriger Lizenzgebühren EuGH v. 28.3.1985, Slg. 1985, 1105 – CICCE. 97 Anders wohl Fritzsche, WRP 2006, 42, 54. 98 Der Zahlungsanspruch ist damit notwendige Konsequenz der Korrektur der Vertragsbedingungen, auf die der Beseitigungsanspruch gerichtet ist. 99 Insoweit ist die Aussage bei Roth (Fn. 10), S. 1146 zu korrigieren. 100 Dies kann der beherrschte, aber auch ein Drittmarkt sein; vgl. BGH v. 4.11.2003, WM 2004, 942, 944.
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hier auf die Beseitigung bestehender Behinderungspraktiken, etwa durch Kündigung von Exklusiv- und Kopplungsverträgen sowie von Verträgen mit unzulässigen Preis- und Rabattgestaltungen (ergänzt durch einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch, entsprechende Verträge in der Zukunft nicht abzuschließen). Vermögensnachteile, die durch entsprechende Behinderungsstrategien entstanden sind, können nur über Schadensersatz liquidiert, nicht über Beseitigung kompensiert werden. Die Störungsquelle wirkt sich auf die Wettbewerber nur marktvermittelt (über ein entsprechendes Verhalten der auf der Marktgegenseite tätigen Unternehmen) ein; es fehlt an einer unmittelbaren Einwirkung der Störungsquelle auf die Wettbewerber. 4. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen a) Preisabsprachen Vereinbarungen bzw. Abstimmungen über Preise zwischen Anbietern oder Nachfragern, die gegen das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG bzw. des § 1 GWB verstoßen, entfalten ähnliche Wirkungen für die Marktgegenseite wie der Behinderungs- bzw. Ausbeutungsmissbrauch marktbeherrschender bzw. marktmächtiger Unternehmen. Als Störungsquelle, gegen die sich die Unternehmen bzw. Personen auf der Marktgegenseite richten können, kommt die getroffene Vereinbarung in Frage, die allerdings gem. Art. 81 Abs. 2 EG, § 134 BGB sowieso keine Rechtswirkungen zeitigt und von daher auch nicht im Wege der Beseitigung aufgehoben werden muss. Beruht die Verhaltensabstimmung auf einem von den Wettbewerbern praktizierten Informationssystem, kann von den Personen auf der Marktgegenseite die Beendigung des Informationsaustauschs verlangt werden. Fraglich mag dagegen sein, ob die vom BGH bezogene Position zum Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen durch unangemessene niedrige Entgelte (und man darf ergänzen: durch unangemessen hohe Preise) sich auf Preisabreden in der Weise übertragen lässt, dass die Personen auf der Marktgegenseite einen Zahlungsanspruch in Höhe der Differenz zwischen dem hypothetischen Marktpreis und dem gezahlten Entgelt haben101. Dagegen ist der Einwand erhoben worden, das Kartellverbot schütze die Auswahlfreiheit der Marktgegenseite, und diese sei nach Vertragsabwicklung nicht mehr tangiert; durch die Verletzung der Auswahlfreiheit könne zwar ein (mit dem Schadensersatzanspruch liquidierbarer) Vermögensschaden, eine fortdauernde „Beeinträchtigung“ der Auswahlfreiheit liege aber gerade nicht mehr vor102. Die Frage, ob bei Preisabsprachen „nur“ verschuldensabhängiger Schadensersatz oder verschuldensunabhängige Beseitigung durch Zahlung des Differenzpreises verlangt werden kann, spielt in der Praxis schon deshalb keine große Rolle, weil bei Preisabsprachen ein fehlendes Verschulden selten sein
__________ 101 In diesem Sinne Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), § 33 GWB Rz. 181; ebenso Bechtold (Fn. 24), § 33 GWB Rz. 12. 102 Fritzsche, WRP 2006, 42, 51.
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Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht
wird. Immerhin sind aber Fälle denkbar, in denen die Verschuldenszurechnung – etwa beim Handeln von Mitarbeitern entgegen den Anweisungen der Unternehmensleitung – Zweifel aufwerfen kann. Ob die Personen (Unternehmen) auf der Marktgegenseite von Preisabsprachen i. S. d. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB „beeinträchtigt“ werden, hängt davon ab, ob das Ausbleiben angemessener Entgelte bzw. die Leistung überhöhter Zahlungen sich als ein durch die Zuwiderhandlung eingetretener Zustand fortdauernder Störung darstellen. Wirft man einen Blick auf die Fallgruppe der Verhaltensabstimmung,103 zeigt sich, dass die Störungsquelle in dem der Abstimmung entsprechenden Marktverhalten liegt – und das heißt in den an der Abstimmung orientierten Vertragsabschlüssen mit Personen auf der Marktgegenseite. Die „Beeinträchtigung“ dieser Personen liegt in der Bindung an die Folgeverträge104, deren Preisbestimmungen auf einer vorherigen Abstimmung der Wettbewerber beruhen. Ist ein solcher Folgevertrag noch nicht durchgeführt, geht der Anspruch auf Beseitigung auf Vertragsanpassung. Die Durchführung des Vertrages lässt die vertragliche Bindung nicht entfallen, der Vertrag gibt den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen. Von daher dauert die Beeinträchtigung bis zu einer Vertragsanpassung (mit Wirkung ex tunc) und den damit entstehenden Zahlungsansprüchen fort. Nichts anderes kann gelten, wenn das Marktverhalten (statt auf einer Abstimmung) auf einer Vereinbarung zwischen Wettbewerbern beruht. Die so begründete „Beeinträchtigung“ der Marktgegenseite für Zwecke des § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB hat zugleich zur Konsequenz, dass die indirekten Abnehmer, da nicht Partner der Folgeverträge, einen Beseitigungsanspruch nicht geltend machen können. Sie sind auf den Schadensersatzanspruch gem. § 33 Abs. 3 GWB verwiesen. b) Sonstige Absprachen Die soeben für Preisabsprachen dargelegten Grundsätze können ohne weiteres auf rechtswidrige Boykottabreden übertragen werden. Der Boykottierte als Beeinträchtigter kann Beseitigung durch Beendigung der Boykottabrede (als Störungsquelle) und Belieferung als Beseitigung des fortdauernden Störungszustands verlangen. Bei Absprachen, die auf eine Marktaufteilung abzielen oder sonstige Wettbewerbsparameter betreffen (Service, Produkte), liegen die Dinge anders. Auch hier geht der Beseitigungsanspruch auf die Beendigung einer evtl. Vereinbarung (durch Kündigung). Mehr wird aber nicht zu erreichen sein: Die Konsequenz einer Marktaufteilung liegt in der fehlenden Präsenz eines Unternehmens auf einem bestimmten Markt. Die Entscheidung darüber, ob ein Unternehmen in einen bestimmten Markt eintreten soll (oder ein bestimmtes Produkt ent-
__________ 103 Dazu z. B. Emmerich in Mestmäcker/Immenga (Fn. 93), Art. 81 Abs. 1 EGV Rz. 95 ff. 104 Diese Verträge („Folgeverträge“) sind i. d. R. nicht als nichtig i. S. v. Art. 81 Abs. 2 EG, § 134 BGB anzusehen; z. B. Roth in FrankfurtKomm.Kartellrecht (Fn. 13), § 33 GWB Rz. 209–211.
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wickeln und produzieren will), muss bei dem Unternehmen liegen und kann nicht im Wege der „Beseitigung“ dem Unternehmen vorgegeben werden. Eine Absprache zwischen Wettbewerbern, die eine rechtswidrige Konkurrentenbehinderung bezweckt oder bewirkt, kann die Wettbewerbsmöglichkeiten der Konkurrenten beeinträchtigen und ist als Störungsquelle Gegenstand eines Beseitigungsanspruchs. Vermögensnachteile sind über den Schadensersatzanspruch zu liquidieren105. 5. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen Das Courage-Urteil hat klargestellt, dass bei einer vertikalen Wettbewerbsbeschränkung der gebundene Vertragspartner (Schadensersatz-)Ansprüche gelten machen kann. Für einen Beseitigungsanspruch besteht hier kein Bedürfnis, da angesichts der Unwirksamkeit der den Wettbewerb beschränkenden Klausel (Art. 81 Abs. 2 EG, § 134 GWB) nichts zu „beseitigen“ ist. Dies gilt für Preisbindungsklauseln ebenso wie für Alleinbezugs- und Alleinvertriebsbeschränkungen. Personen, auf die sich solche Beschränkungen mittelbar auswirken (indirekte Abnehmer), sind nicht „beeinträchtigt“ i. S. v. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB: Die Wirkungen treffen sie marktvermittelt und mithin nicht als unmittelbare Konsequenz der Störungsquelle. Ihre Schäden sind ggf. über § 33 Abs. 3 GWB zu liquidieren. Der Beseitigungsanspruch entfaltet hingegen Bedeutung, soweit es um Dritte geht, die von einem selektiven Vertriebssystem in unzulässiger Weise ausgeschlossen werden. Die „Beeinträchtigung“ i. S. d. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB liegt hier nicht in der Existenz des Vertriebssystems an sich, sondern in einem rechtswidrigen Ausschluss. Die Beseitigung dieser Störungsquelle liegt in der diskriminierungsfreien Aufnahme in das Vertriebssystem und der darauf beruhenden Belieferung106.
IV. Zusammenfassung 1. Die 7. GWB-Novelle hat in § 33 Abs. 1 GWB den Beseitigungsanspruch eingeführt. Dieser Anspruch war zuvor in analoger Anwendung des § 1004 BGB anerkannt. Eine maßgebliche Änderung hat die Aufgabe des Schutzgesetzkonzepts gebracht. Die Auswirkungen auf die Anspruchsberechtigung für den Schadensersatzanspruch sind noch nicht abzusehen, da dies maßgeblich von der künftigen Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH abhängen wird.
__________ 105 S. etwa OLG Düsseldorf v. 16.6.1998, WuW/E DE-R 143, 716 f. 106 Insoweit problematisch BGH v. 12.5.1998, WuW/E DE-R 206 – Depotkosmetik = BB 1998, 2332; dazu Mäsch, Diskriminierung leicht gemacht? Die Zukunft selektiver Vertriebssysteme nach der Depotkosmetik-Entscheidung des BGH, ZIP 1999, 1507; Haslinger, Belieferungsanspruch des Außenseiters eines selektiven Vertriebsbindungssystems, das gegen Art. 85 I EGV verstößt?, WRP 1999, 161; Weyer, Belieferungsansprüche bei Verstoß gegen Art. 81 EGV?, GRUR 2000, 848.
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Der Beseitigungsanspruch im Kartellrecht
2. Für den Beseitigungsanspruch, der bei Verstößen sowohl gegen europäisches wie auch deutsches Kartellrecht gewährt wird, ist die „Betroffenheit“ von der Zuwiderhandlung die maßgebliche Anspruchsvoraussetzung. Der Begriff des „Marktbeteiligten“ hat eine abstrakte Selektionsfunktion und ist deshalb weit auszulegen. Die erforderliche „Beeinträchtigung“ durch die Zuwiderhandlung ist für Zwecke des Unterlassungs- und des Beseitigungsanspruches nicht identisch. 3. „Beeinträchtigung“ als Voraussetzung eines Beseitigungsanspruches meint nicht die Existenz eines Vermögensnachteils. Vielmehr geht es um die Zuwiderhandlung als Störungsquelle und die unmittelbar mit ihr verbundenen und gegenwärtigen Wirkungen, die sich in Vertragsbedingungen, der Verweigerung eines Vertragsabschlusses etc. manifestieren. Marktvermittelte Vermögensnachteile fallen nicht hierunter und sind ggf. über den Schadensersatzanspruch des § 33 Abs. 3 GWB zu liquidieren. 4. Der Beseitigungsanspruch geht auf die Anpassung rechtswidriger, weil unangemessener Vertragsbedingungen, die von marktbeherrschenden bzw. marktstarken Unternehmen gestellt werden. Der Anspruch auf Beseitigung zielt auf ex nunc, aber auch ex tunc Korrektur. Insoweit können auch Zahlungsansprüche erwachsen. 5. Bei rechtswidrigen Preisabsprachen geht der Beseitigungsanspruch auf die Korrektur der Folgeverträge. 6. Die indirekten Abnehmer sind für Zwecke des Beseitigungsanspruchs als nicht „beeinträchtigt“ i. S. d. § 33 Abs. 1 Satz 3 GWB anzusehen.
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Gegenwart und Zukunft des Cash Pooling Inhaltsübersicht I. Einführung II. Cash Pooling III. Konflikt mit Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsrecht 1. „November-Urteil“ des BGH 2. Entscheidung des OLG München 3. Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 2006 4. Zwischenstand IV. Modernisierung des GmbH-Rechts 1. Referententwurf des MoMiG (RefE) a) Gesellschafterdarlehen aus gebundenem Vermögen
aa) „Interesse der Gesellschaft“ bb) Kapitalaufbringung b) Vergleich mit bisheriger Rechtslage c) Beurteilung der Neuregelung aa) „Interesse der Gesellschaft“ bb) Kapitalaufbringung 2. Regierungsentwurf des MoMiG (RegE) a) Kapitalaufbringung b) Kapitalerhaltung c) Rechtssicherheit durch bilanzielle Betrachtung V. Resümee
I. Einführung Ein besonderes Interesse des Jubilars gilt seit jeher dem Gesellschaftsrecht. Der grundlegenden Habilitationsschrift zu „Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften“ (1970) folgte ein Beitrag zum „Gläubigerschutz bei der Neuordnung der GmbH“ (1971). Früh erkannte er das Spannungsfeld, welches er prägnant mit der Frage „Fessel oder Heilmittel für eine Rechtsform?“1 umriss. Im Zusammenhang mit der aktuellen GmbH-Reform sind diese Überlegungen von besonderer Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die GmbH attraktiver gestaltet werden kann, um im internationalen Wettbewerb der Rechtsformen zu bestehen, ohne dass der Kapitalschutz des deutschen GmbH-Rechts zur „Fessel“ wird. Dabei wird vor allem die Vereinbarkeit von Cash Pool-Systemen im GmbH-Konzern mit dem Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsrecht lebhaft diskutiert2. Auslöser hier-
__________
* Besonderer Dank gilt Herrn Christoph Schug für seine Unterstützung bei der Vorbereitung des Manuskripts. 1 H. P. Westermann, Gläubigerschutz bei der Neuordnung der GmbH, Fessel oder Heilmittel für eine Rechtsform?, 1971. Freilich wurde die Gefahr seinerzeit in den Personengesellschaften gesehen und insbesondere bei kleineren und mittleren Gesellschaften eine Flucht in die Form der GmbH & Co. KG befürchtet (a. a. O., S. 6). 2 Aus der Fülle der Aufsatzliteratur vgl. nur Altmeppen, ZIP 2006, 1025; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133; Hentzen, DStR 2006, 948; Priester, ZIP 2006, 1558; Seibert, ZIP 2006, 1157, 1162 f.; Witte/Mehrbrey, MDR 2007, 7. Nach dem „November-Urteil“ konzentrierte sich die Diskussion zunächst auf die Kapitalerhaltung, s. dazu etwa Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 489; Hüffer, AG 2004, 416.
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für war das sog. „November-Urteil“ BGHZ 157, 723 aus dem Jahr 2003. Auch nachfolgende Entscheidungen haben keine endgültige Klarheit geschaffen, weshalb die Thematik weiterhin von Brisanz ist. Weil damit ein Grundpfeiler des modernen Konzernwesens betroffen ist, sind Verunsicherungen in der Praxis vorgezeichnet. Dies macht die GmbH im System eines globalen Cash Managements nicht attraktiver. Daher soll im Rahmen des „Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“4 eine Klarstellung erfolgen. Dies ist Anlass, Begriff (II.) und rechtliche Problematik des Cash Pooling im GmbHKonzern nach bisherigem Recht und unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung zu beleuchten (III.) und die Neuregelung auf ihre Eignung hin zu analysieren, die Unsicherheiten in der Praxis zu beseitigen (IV.). Der Jubilar sollte sich wiederfinden: In seiner Bearbeitung der §§ 30 – 32 GmbHG in der 2006 erschienenen 10. Auflage des GmbHG-Kommentars von Scholz hat er die zentrale Bedeutung des Cash Pooling hervorgehoben und eine sichere Rechtsgrundlage als wesentliches Reformanliegen reklamiert5.
II. Cash Pooling Beim physischen Cash Pooling werden die Salden der laufenden Bankkonten angeschlossener Konzernuntergesellschaften vom Cash Pool-Führer am Tagesschluss auf einem zentralen Konto miteinander verrechnet. Die Konten der angeschlossenen Konzernuntergesellschaften (Quellkonten) sind am Abend eines Bankarbeitstages auf Null gestellt (zero balancing6). Im Gegensatz zum (rechtlich unproblematischen) virtuellen7 Cash Pooling erfolgt eine tatsächliche Überweisung der Geldmittel auf das bei der Konzernobergesellschaft oder einer dafür eingerichteten Finanzierungsgesellschaft bestehende Bankkonto (Zielkonto). Der sich täglich ergebende Saldo wird dem Cash Pool-Führer gutgeschrieben, so dass eine Liquiditätsbündelung erfolgt. Grundlage ist regelmäßig eine vertragliche Regelung. Wird von einer Untergesellschaft dem Zielkonto Geld zugeführt, gewährt sie der Obergesellschaft ein Darlehen bzw. er-
__________ 3 BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = NJW 2004, 111 = GmbHR 2004, 302 mit Anm. Bähr/Hoos. 4 Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 29.5.2006 – im Folgenden RefE – ist im Internet unter http://www.bmj.bund.de/files/43f47ced9a6ba144e42047354164375f/ 1236/RefE%20MoMiG.pdf verfügbar (zuletzt besucht 25.4.2007). Der Regierungsentwurf des MoMiG v. 23.5.2007 – nachfolgend RegE – ist unter http://www.bmj.bund. de/files/-/2109/MoMiG-RegE%2023%2005%2007.pdf abrufbar (zuletzt besucht 4.9. 2007). 5 H. P. Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 30 GmbHG Rz. 71 ff. 6 Auch „Cash-Concentration“ bzw. „Sweeping“ genannt. 7 Oder „Notional Cash Pooling“.
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Gegenwart und Zukunft des Cash Pooling
füllt in jeweiliger Höhe eine dieser gegenüber bestehende Verbindlichkeit8. Im umgekehrten Fall entsteht ein Darlehensanspruch der Obergesellschaft bzw. verringert diese ihre Verbindlichkeiten. Vorrangiges Ziel eines Cash PoolSystems ist die optimierte Verwendung überschüssiger Liquidität der teilnehmenden Gesellschaften. Tatsächlich ist die Zusammenfassung vorhandener Liquidität durch ein Cash Pool-System ökonomisch sinnvoll. Sie vermag eine interne wie externe Zinsoptimierung zu gewährleisten. Der Zinsvorteil eines M-Dax notierten Konzerns wird mit 10 Mio. Euro oder mehr angegeben9. Neben der Zinsoptimierung kann das Cash Pooling weitere Vorzüge bieten. Zu denken ist an einen geringeren Liquiditätsbedarf sowie eine Reduzierung des Verwaltungsaufwands. So lässt sich das Cash Management auf lokaler Ebene im Zuge eines Cash Pool-Systems vereinfachen. Die Vorteile liegen also in Zinsoptimierung, Liquiditätserhöhung und Vereinfachung des Cash Managements.
III. Konflikt mit Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsrecht Ungeachtet dessen ist ein konzernweites Cash Pooling rechtlich problematisch. Die Tochtergesellschaft verliert die Verfügungsmacht über ihre Liquidität und wird gleichzeitig mit dem Liquiditätsrisiko anderer Teilnehmer belastet10. Die wirtschaftlich gesehen oftmals vorteilhafte Verbindung kollidiert mit den Zielen der haftungsrechtlichen Einzelstellung11. Dementsprechend kann es zu Konflikten mit dem Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsrecht kommen, wie Beispiele aus der Rechtsprechung mit weit reichenden Folgen für das (physische) Cash Pooling belegen12.
__________ 8 Zur rechtlichen Einordnung als Darlehensgewährung tendiert die h. M., vgl. nur Lamb/Schluck-Amend, DB 2006, 879; Schmelz, NZG 2006, 456; Vetter, BB 2004, 1509. A. A. Schäfer, GmbHR 2005, 133. Hinsichtlich der unter III. erörterten Problematik ist die rechtliche Einordnung indes irrelevant; entscheidend ist allein, dass Liquidität gegen schuldrechtliche Positionen eingetauscht wird, vgl. Habersack in Ulmer, GmbHG, 2005, § 30 GmbHG Rz. 50. 9 Niemeier, zit. nach einem Diskussionsbericht in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005, 2006, S. 160. 10 Liebscher, GmbH-Konzernrecht, 2006, Rz. E 359 spricht von einem „Klumpenrisiko“. 11 Hentzen, DStR 2006, 948, 949. 12 Bereits in der „Bremer Vulkan“-Entscheidung (BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = NJW 2001, 3622) hat der BGH angedeutet, dass das Cash Pooling unter keinen Umständen zu einer Gefährdung von Gläubigern konzernangehöriger Unternehmen führen dürfe.
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1. „November-Urteil“ des BGH Auslöser für Unsicherheiten im Umgang mit dem Cash Pooling war die auch als „November-Urteil“ bezeichnete Entscheidung des BGH13 v. 24.11.2003. Ihr Inhalt erklärt sich scheinbar bereits aus dem Leitsatz: „Kreditgewährungen an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zu Lasten des gebundenen Vermögens der GmbH erfolgen, sind auch dann grundsätzlich als verbotene Auszahlung von Gesellschaftsvermögen zu bewerten, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig sein sollte.“ Obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, soll das Urteil nach verbreiteter Meinung auch das Cash Pooling erfassen14. Zum Teil wurde deshalb bereits das Ende des konzernweiten Cash Managements heraufbeschworen15. Methodisch wurde die Entscheidung als Richterrecht ohne Rechtsgrundlage kritisiert16. Doch lag ihr gar kein Cash Pooling-Fall zugrunde17. Die betreffenden Darlehen waren nämlich langfristig gewährt, was regelmäßig die Gefahr einer sich ändernden wirtschaftlichen Situation beim Gesellschafter begründet. Demgegenüber werden beim Cash Pooling typischerweise nur kurzfristige Darlehen vergeben und ist die Gefahr der veränderten Kreditwürdigkeit des Gesellschafters gegenüber dem Zeitpunkt der Darlehensvergabe geringer. Im Übrigen handelte es sich um einen „Ausplünderungsfall“, der vom grundsätzlich nützlichen Cash Management erheblich abweicht. Freilich enthielten Leitsatz und Gründe auch keine Einschränkungen im Hinblick auf das Cash Pooling. Deshalb trat mit Blick auf dieses zentrale Finanzierungsinstrument erhebliche Rechtsunsicherheit ein. Da in vielen Konzernen derartige Upstream-Darlehen Verwendung fanden, entstand rasch die Befürchtung, diese könnten durch Abschlussprüfer angegriffen werden. Allerdings lässt die Entscheidung in einem obiter dictum eine Ausnahme vom Auszahlungsverbot im Fall der Unterbilanz zu, wenn kumulativ (1) die Darlehensvergabe im Interesse der Gesellschaft liegt, (2) die Darlehensbedingungen einem Drittvergleich standhalten und (3) entweder die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jeden vernünftigen Zweifels steht oder werthaltige Sicherheiten in voller Höhe der Valuta gewährt werden. Die Beweislast für diesen Ausnahmefall trägt freilich der Gesellschafter. Näher konkretisiert werden diese Kriterien nicht. Kritisiert wird,
__________ 13 BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = NJW 2004, 111. In der Literatur wurden Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Cash Pooling Systeme mit den gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen der Kapitalaufbringung und -erhaltung bereits vor dem Urteil geäußert; vgl. dazu etwa Sieger/Hasselbach, BB 1999, 645, 646. 14 Habersack in Ulmer (Fn. 8), § 30 GmbHG Rz. 50; Altmeppen, ZIP 2006, 1025, 1029; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689 f. 15 Fuhrmann, NZG 2004, 552. 16 Cahn, Der Konzern 2004, 235. 17 Eine Übertragbarkeit deshalb ablehnend etwa Hahn, Der Konzern 2004, 641, 643 ff.; Ulmer, ZHR 169 (2005), 1, 3. Liebscher (Fn. 10), Rz. E 367 („durchaus zweifelhaft“). Dem Urteil zustimmend, jedoch die Übertragbarkeit auf Cash Pooling offen lassend, Saenger/Koch, NZG 2004, 271.
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dass die Ausnahme faktisch nie einschlägig sei18. Insbesondere die dritte Voraussetzung wirft Fragen auf: Wann steht die Kreditwürdigkeit außer Zweifel? Was ist mit strengsten Maßstäben gemeint? Diese werden im Entwurf des MoMiG19 aufgegriffen20. Neben der Möglichkeit einer etwaigen Ausnahme stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des Auszahlungsverbots nach § 30 Abs. 1 GmbHG im GmbHVertragskonzern. § 291 Abs. 3 AktG bestimmt für die beherrschte Aktiengesellschaft, dass Leistungen auf Grund eines Beherrschungsvertrages nicht als Verstoß gegen §§ 57, 58 und 60 AktG zu werten sind. Im GmbHG existiert hingegen keine vergleichbare Regelung. Ob aber die Kapitalerhaltungsregeln im GmbH-Vertragskonzern durch eine analoge Anwendung des § 291 Abs. 3 AktG suspendiert sind, ist seit langem umstritten. Für eine Analogie spricht die Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens nach der Vorschrift des § 302 Abs. 1 AktG, die im GmbH-Vertragskonzern Geltung beansprucht21. Durch die Verlustausgleichspflicht wird den Gläubigerinteressen Genüge getan. Die Außerkraftsetzung der §§ 30 f. GmbHG wird kompensiert. Ferner würde eine grundsätzliche Fortgeltung des § 30 GmbHG bewirken, dass das Vermögen der abhängigen GmbH einen stärkeren Schutz erfährt als das der AG. Das widerspricht jedoch der gesetzlichen Grundausrichtung, da die Vermögensbindung innerhalb der AG umfassender ist (arg. maiore ad minus). Die Gegenauffassung22 verneint die vergleichbare Interessenlage als Voraussetzung der Analogie. § 291 Abs. 3 AktG sei speziell auf die strengen aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsregeln ausgerichtet. Eines solchen Ausgleichs bedürfe es im GmbH-Vertragskonzern nicht. Hinzu komme, dass die Verlustübernahme nach § 302 AktG analog kein adäquater Ersatz für den Abzug liquider Mittel sei23. Dies erscheint angesichts des „November-Urteils“ zwar auf den ersten Blick schlüssig. Denn der BGH hat für die unverbundene GmbH ausgeführt, dass schuldrechtliche Ansprüche gegen Gesellschafter aufgrund ihrer hinausgeschobenen Fälligkeit und dem damit einher gehenden Insolvenzrisiko
__________ 18 Witte/Mehrbrey, MDR 2007, 7, 8; Goette, ZIP 2006, 1481, 1484 f.; Wessels, ZIP 2006, 1701, 1705. 19 Dazu unter IV. 20 Soweit das Urteil auch Anstöße für das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Regeln über die Kapitalerhaltung zu dem steuerrechtlichen Institut der verdeckten Gewinnausschüttung enthält, worauf hier nicht einzugehen ist, sei auf Frotscher in FS Raupach, 2006, S. 363, 365, verwiesen. 21 BGH, Urt. v. 10.7.2006 – II ZR 238/04, BB 2006, 1877 mit Anm. Rodewald; Westermann in Scholz (Fn. 5), § 30 GmbHG Rz. 51; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 691; Hentzen, DStR 2006, 948, 949; Liebscher (Fn. 10), Rz. 735; ders., ZIP 2006, 1221 ff.; Wessels, ZIP 2006, 1701, 1707. 22 Goerdeler/Müller in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 30 GmbHG Rz. 72; Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl. 2001, § 54 Rz. 50; in Raiser/Veil, 4. Aufl. 2006, findet sich die Passage nicht mehr; Emmerich in Scholz (Fn. 5), § 13 Anh. Konzernrecht Rz. 177; wohl auch Kiethe, DStR 2005, 1574, 1575. 23 Kühlbacher, Darlehen an Konzernunternehmen, Besicherung und Vertragsanpassung, 1993, S. 51 f.
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kein adäquater Ersatz für weitergegebene Liquidität sind24. Doch greift das Argument im Hinblick auf die parallele Problematik bei der AG nicht. Denn auch bei der AG könnte man in dieser Weise argumentieren. Freilich hat der Gesetzgeber als Ausdruck des Konzernprivilegs den schuldrechtlichen Anspruch aus § 302 AktG für eine hinreichende Kompensation gehalten. Dieses Privileg kommt auch dem GmbH-Vertragskonzern zugute. Da der Anspruch auf Verlustausgleich einen Aktivposten bildet, ist jedoch die Vollwertigkeit des Anspruchs auf Verlustausgleich erforderlich25. Somit kommen die Regeln über die Kapitalerhaltung nicht zur Anwendung, sofern der Verlustübernahmeanspruch nach § 302 AktG analog vollwertig ist. Die strengen Anforderungen des Ausnahmetatbestands des „November-Urteils“ müssen hingegen nicht erfüllt werden. Insoweit greift das Konzernprivileg. Existenzschutzvorkehrungen müssen aber weiterhin getroffen werden26. Im Bereich der Kapitalaufbringung findet § 291 Abs. 3 AktG indes keine Anwendung27. 2. Entscheidung des OLG München Das OLG München28 übertrug die Grundsätze des „November-Urteils“ des BGH auf ein individuell ausgestaltetes Cash Management-System29. Besondere Aufmerksamkeit kam der Entscheidung zu, da man sich eine Klärung hinsichtlich einer jüngeren Diskussion erhoffte, die um die Reichweite des „November-Urteils“30 kreiste. Umstritten war und ist die Frage, ob eine Leistung, die erst zu einer Unterbilanz führt, ebenfalls gegen § 30 GmbHG verstößt. Im dem „November-Urteil“ zugrunde liegenden Fall deckte das Nettovermögen nicht die Stammkapitalziffer. Eine Unterbilanz lag somit bereits vor, so dass Platz für Interpretationen außerhalb einer bestehenden Unterbilanz blieb. Man wird differenzieren müssen: Der Regelungsgehalt des § 30 GmbHG erstreckt sich jedenfalls auf die Situation, dass im Rahmen eines synallagmatischen Austauschverhältnisses die Gegenleistung nicht vollwertig ist und das Stammkapital in Höhe des Differenzbetrages angegriffen wird31. Die Rechtsprechung wird zum Teil noch restriktiver verstanden. Der Anspruch auf die Gegenleistung wird „geistig ausgeblendet“32, auch wenn er vollwertig ist. Danach ist die Darlehensvergabe an einen Gesellschafter auch dann unzulässig, wenn durch sie nach bilanzrechtlicher Betrachtung keine
__________ 24 25 26 27 28 29 30 31 32
BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = NJW 2001, 3622. Wessels, ZIP 2006, 1701, 1707. Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 308 AktG Rz. 19; Wessels, ZIP 2006, 1701, 1707. Ebenso Habersack in Ulmer (Fn. 8), § 30 GmbHG Rz. 51, 86; Westermann in Scholz (Fn. 5), § 30 GmbHG Rz. 35. OLG München, Urt. v. 24.11.2005 – 23 U 3480/05, NZG 2006, 195; hierzu Schilmar, DStR 2006, 568. Schilmar, DStR 2006, 568, 569; Hentzen, DStR 2006, 948, 952: „manueller Cash Pool“. Vgl. III.1. Habersack/Schürnbrand, BB 2006, 288, 289. Seibert, ZIP 2006, 1157, 1163.
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Unterbilanz entsteht, sondern lediglich ein Aktiventausch stattfindet. Vertreter dieser strengen Interpretation begründen ihre Ansicht insbesondere mit der Erwägung, dass das Risiko einer unrichtigen Prognose über die zukünftige Leistungsfähigkeit eines Gesellschafters in keinem Fall auf die GmbH verlagert werden dürfe33. Mittelbar wären die Gläubiger der GmbH mit dem Prognoserisiko hinsichtlich der zukünftigen Leistungsfähigkeit belastet. Diese restriktive Ansicht wird zunehmend abgelehnt34. Stattdessen findet eine liquiditätsmäßige Betrachtung nur statt, wenn im Zeitpunkt der Darlehensgewährung bereits eine Unterbilanz besteht. Mithin wird der situative Anwendungsbereich des § 30 GmbHG durch die Handelsbilanz bestimmt. Im Anwendungsbereich des § 30 GmbHG erfolgt eine liquiditätsmäßige Betrachtung, nach der auch bilanzneutrale Vorgänge grundsätzlich verboten sind. Daraus folgt, dass eine verbotene Auszahlung im Sinne des § 30 GmbHG nur dann vorliegt, wenn im Rahmen einer bestehenden Unterbilanz Auszahlungen vorgenommen werden, die das Vermögen real mindern. Auszahlungen in diesem Sinne sind Darlehen an Gesellschafter oder auch bestellte Sicherheiten zu ihren Gunsten. Zu dieser Ansicht tendiert wohl auch Goette35. Einschränkend müsse der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft das Risiko des Liquiditätsverlustes absichern, um seinen organschaftlichen Pflichten zu genügen36. Bei einer derartigen Betrachtungsweise sind viele Probleme des Cash Poolings deutlich entschärft. Gerade § 30 GmbHG mit seinen weit reichenden Folgen verlangt exakte Anwendungskriterien. Dem trägt die differenzierende Auffassung Rechnung. Jedoch ist nicht ohne weiteres einsichtig, warum derartig differenziert werden sollte. Der Wortlaut des § 30 GmbHG ist offen. Er enthält keine Aussage darüber, wie das Vermögen des § 30 GmbHG zu bestimmen ist. Für eine differenzierende Betrachtung spricht, dass sich der BGH in den Entscheidungsgründen auf einen Beitrag von Stimpel37 beruft. Dieser differenziert zwischen der Berechnung des von § 30 Abs. 1 GmbHG geschützten Vermögens sowie der Frage, was eine verbotene Auszahlung darstellt38. „Ganz eindeutig“ bestimme die Handelsbilanz die Grenze, von der ab § 30 GmbHG Anwendung finde. Befinde man sich im Verbotsbereich des § 30 GmbHG, sei zu realen Wertansätzen umzuschwenken39. Denn im Stadium der Unterbilanz werde in der Regel ein höherer realer Wert als in der Bilanz ausgewiesen durch stille
__________ 33 Bayer/Lieder, GmbHR 2006, 1121, 1123. 34 Goette, Anm. zu BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, DStR 2006, 767, 768; Altmeppen, ZIP 2006, 1025, 1030 hält diese Interpretation gar für zwingend richtig. Vgl. auch Habersack in Ulmer (Fn. 8), § 30 GmbHG Rz. 49; Habersack/Schürnbrand, BB 2006, 286, 289; Vetter, BB 2004, 1509, 1514 ff. 35 Goette, Anm. zu BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, DStR 2006, 767, 768, mit dem Hinweis, dass die auf Stimpel hinweisenden Zitate eine derartige Interpretation nahe legten; ders., KTS 2006, 217, 227; andeutungsweise auch ders., ZIP 2005, 1481, 1484. 36 Goette, Anm. zu BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, DStR 2006, 767, 768. 37 Stimpel in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 335. 38 Stimpel in FS 100 Jahre GmbHG (Fn. 37), S. 335, 338. 39 Stimpel in FS 100 Jahre GmbHG (Fn. 37), S. 335, 340.
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Reserven gebunden. Dieser „Sicherungspuffer“ sei im Stadium der Unterbilanz zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich und dürfe nicht durch Aktiventausch zum Buchwert der Gesellschaft entzogen werden. Diese sich im Vordringen befindliche differenzierende Auffassung ist der strengen Auffassung vorzuziehen. Mit der differenzierenden Ansicht setzt sich das OLG München jedoch nicht auseinander, sondern folgt undifferenziert dem Leitsatz des November-Urteils des BGH. Freilich ist der Entscheidung des OLG München nicht zu entnehmen, ob eine Unterbilanz bereits vorlag. Es fehlen Angaben zur Bilanz des Schuldners. Nachdem die Revision zum BGH zurückgenommen wurde40, sorgt die aufgeworfene Problematik mangels höchstrichterlicher Entscheidung weiterhin für Rechtsunsicherheit. 3. Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 2006 Im Januar 2006 entschied sich der BGH in zwei Parallelverfahren41 gegen ein Sonderrecht für Cash Pooling im Rahmen der Kapitalaufbringung. Erstmalig liegt damit eine eindeutige höchstrichterliche Grundsatzentscheidung vor. Der Leitsatz in einem der Verfahren lautet: „Die in ein Cash Pool-System einbezogenen Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegen – ohne dass ein „Sonderrecht“ für diese Art der Finanzierung anerkannt werden könnte – bei der Gründung und der Kapitalerhöhung den Kapitalaufbringungsvorschriften des GmbHG und den dazu von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen“42. Damit hat der BGH klargestellt, dass für das Cash Pooling die allgemeinen Grundsätze gelten. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die Muttergesellschaft den Rat erteilt, den Einlagebetrag im Rahmen einer Kapitalerhöhung nicht sofort in den Cash Pool einzubringen. Vielmehr sollte das Geld zunächst 30 Tage auf einem Festgeldkonto verbleiben, bevor es schließlich doch in den Cash Pool gelangen sollte. Aber auch diese „Schamfrist“ von 30 Tagen konnte nicht verhindern, dass der BGH eine verbotene Hin- und Herzahlung annahm. Folglich war die Einlageschuld mangels freier Verfügbarkeit (§ 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) nicht getilgt worden. Überdies wurde der Betrag zur Tilgung einer Altverbindlichkeit gegenüber dem Inferenten verwendet, so dass eine verdeckte Sacheinlage gegeben war. Zwar betrifft das Urteil nur eine mögliche Konstellation der Kapitalaufbringung im Cash Pool, doch belegt der klare Ausschluss eines jeden Sonderrechts deutlich den eingeschlagenen Weg der Rechtsprechung43. Auf das Urteil hin
__________ 40 Die Revision (II ZR 5/06) wurde nach Auskunft der Geschäftsstelle des II. Zivilsenats des BGH bereits am 18.10.2006 zurückgenommen. 41 II ZR 75/04 und II ZR 76/04. 42 BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, NJW 2006, 1736. 43 Lamb/Schluck-Amend, DB 2006, 879, 88; nach Schmelz, NZG 2006, 456, 457 müssen die Grundsätze im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch für die Kapitalerhöhung gelten.
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wurde eine „Parkverlängerung“ auf einem separaten Konto mit einer Frist von sechs Monaten vorgeschlagen. Doch ist die Frist nicht der einzig ausschlaggebende Faktor bei einer verbotenen Hin- und Herzahlung, so dass eine starre Frist mit zu vielen Unwägbarkeiten belastet ist. Nach Ansicht von Goette soll die Lösung dennoch in einer Einzahlung auf ein gesondertes Konto zu sehen sein44. Mit diesem Geld könne die Gesellschaft auch arbeiten. So könnten Drittgeschäfte wie etwa Mietzahlungen oder Anschaffungen getätigt werden. Allerdings dürfe das Geld nicht an den Inferenten zurückfließen45. Dadurch wird den Anforderungen der Kapitalaufbringung zwar Genüge getan. Doch wird das Problem in den Bereich der Kapitalerhaltung verlagert. Maßgeblich ist ein Vergleich des Reinvermögens mit dem Stammkapital. Wenn die Gesellschaft mit dem gesonderten Konto arbeitet, kann das Stammkapital bei negativer Entwicklung unterschritten werden. Wird das dem Cash Pool unterliegende Geschäftskonto am Tagesende auf Null gestellt, kann eine Unterbilanz eintreten. Unproblematisch ist der Vorschlag eines gesonderten Kontos, mit dem gearbeitet werden kann, nach diesen Überlegungen also nicht46. Ein „sicheres Gewässer“ stellt die Kapitalaufbringung im Wege der Sacheinlage dar47. Freilich müssten mehr Zeit und Kosten eingeplant werden48. Alternativ kann ein virtuelles Cash Pooling49 zur Anwendung kommen. Mangels realer Geldströme steht es in Einklang mit den Grundsätzen der Rechtsprechung. Allerdings ist die Effektivität geringer als beim „zero balancing“, da es nur zu einem Zinskompensationsverfahren kommt50. Denjenigen, die nach der „November-Entscheidung“ derartige Finanzierungsinstrumente wie das Cash Pooling privilegieren wollten, wurde jedenfalls eine Absage erteilt. Der kapitalorientierte Gläubigerschutz wurde gefestigt. Das Urteil liegt auf einer Linie mit vorherigen Entscheidungen und stellt eine dogmatisch konsequente Weiterentwicklung dar51. Eine andere Frage ist, ob dies angesichts der Entwicklungen im europäischen Wirtschaftsrecht für die Attraktivität der GmbH förderlich ist. 4. Zwischenstand Sofern eine Leistung an den Gesellschafter aus ungebundenem („freiem“52) Vermögen erfolgt, kann de lege lata kein Verstoß gegen Kapitalerhaltungs-
__________ 44 Goette, Anm. zu BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, DStR 2006, 767, 768; ferner Kiethe, DStR 2005, 1573, 1574 zur Kapitalerhöhung; Wessels, ZIP 2006, 1701, 1702. 45 Goette, Anm. zu BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, DStR 2006, 767, 768; ders., Anm. zu BGH, Anerkenntnisurt. v. 26.3.2007 – II ZR 307/05, DStR 2007, 773, 775. 46 S. auch Deckart, Kapitalerhaltung als Grenze des Cash Pooling, 2006, S. 149 ff. 47 Wessels, ZIP 2006, 1701, 1702 f. 48 Lamb/Schluck-Amend, DB 2006, 879, 880; Kiethe, DStR 2005, 1573, 1574 zur Kapitalerhöhung. 49 Zum Begriff vgl. unter II. 50 Schmelz, NZG 2006, 456, 458. 51 Schmelz, NZG 2006, 456, 457. 52 Schön in FS Röhricht, 2005, S. 559, 567.
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grundsätze festgestellt werden. Ein Aktiventausch ist in diesem Fall zulässig. Weder bei der Kapitalaufbringung noch bei der Kapitalerhaltung wird ein Sonderrecht für Cash Pooling anerkannt53. Im Fall einer bereits bestehenden Unterbilanz verstößt eine Leistung daher gegen § 30 GmbHG, auch wenn der Rückzahlungsanspruch vollwertig ist. Der Schutz der Gläubiger verlangt grundsätzlich, dass kein zum Erhalt des Stammkapitals notwendiges Vermögen in der Weise entzogen wird, dass liquide Mittel in Ansprüche gegen die Gesellschaft umgewandelt werden54. Sofern eine Leistung erst zu einer Unterbilanz führt, sind die von BGHZ 157, 72 aufgestellten Grundsätze nicht anwendbar55. Es bleibt bei einer bilanziellen Betrachtung, wobei der Geschäftsführer das Risiko absichern muss, dass der Rückzahlungsanspruch gegen die Muttergesellschaft nicht mehr vollwertig ist. Im GmbH-Vertragskonzern finden §§ 30 f. GmbHG keine Anwendung, sofern der Verlustausgleichsanspruch vollwertig ist.
IV. Modernisierung des GmbH-Rechts Infolge der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften56 muss sich die GmbH im Wettbewerb der Gesellschaftsformen57 in Europa behaupten – ein dem Jubilar bestens vertrauter Bereich58. Die europäischen Nachbarländer haben bereits reagiert bzw. arbeiten an Reformen59. Um die GmbH als Rechtsform für den Mittelstand attraktiver zu gestalten, sind angesichts einiger Schwächen60 zumindest Einzelpunkte reformbedürftig. Diesem Ziel verpflichtet wurde bereits am 29.5.2006 der Referentenentwurf (RefE) „eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“ (MoMiG) vorgelegt61. Am 23.5.2007 folgte der Regierungsentwurf (RegE) des MoMiG.
__________ 53 Zustimmend de lege lata Bayer/Lieder, GmbHR 2006, 1121, 1122. 54 BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263. 55 So auch der Hauptfachausschuss des Instituts für Wirtschaftsprüfer, vgl. NJW-Spezial 2006, 416, mit Verweis auf HFA, FN-IDW 2006, 545. 56 Etwa EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C 167/01, EuGHE 2003 I, S. 10155 – Inspire Art; Begr. RefE (Fn. 4), S. 33. 57 Hierzu H. P. Westermann, ZIP 2005, 1849; ferner Triebel/Otto, ZIP 2006, 1321. 58 H. P. Westermann, GmbHR 2005, 4, zur internationalen Konkurrenz. Die Aktiengesellschaft hingegen steht durch den Bericht der im Jahre 2001 von der Europäischen Kommission eingesetzten „Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gesellschaftsrecht“ unter Druck. Die Empfehlungen dieser Expertengruppe weichen in grundlegenden Fragen vom deutschen Recht ab. Der Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa v. 4.11.2002 ist im Internet unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf abrufbar (zuletzt besucht 25.4.2007). 59 Hierzu Müller/Müller, GmbHR 2006, 583. 60 Von Seibert, Status:Recht 2007, 22 (im Internet verfügbar unter http://www.jura.uniduesseldorf.de/dozenten/noack/Texte/SR_Seibert.pdf (zuletzt besucht 25.4.2007), mit „Jahresringen“ umschrieben. 61 Hierzu Noack, DB 2006, 1475.
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Ziel der Reform ist auch die Schaffung einer verlässlichen Rechtsgrundlage für das Cash Pooling. Als zentralem Aspekt der Finanzierung kommt dem im internationalen Vergleich der Rechtsformen eine tragende Rolle zu. Insbesondere bei international tätigen Konzernen besteht nach der Anwendung der Kapitalerhaltungsregeln auf das Cash Pooling eine erhebliche Verunsicherung62. Besonders misslich ist die Lage für einen GmbH-Geschäftsführer im Fall einer globalen Cash Management Vereinbarung. Wird er angewiesen, überschüssiges Barguthaben einer Schwestergesellschaft anzuweisen, steht er vor einer folgenschwere Entscheidung: Unterwerfung unter die Weisung der Muttergesellschaft oder gesetzeskonformes Handeln im Sinne der §§ 30 f. GmbHG – wobei letzteres seine weitere Anstellung zu gefährden vermag63. Aber auch den Organen der beherrschenden Muttergesellschaft drohen Konsequenzen, wenn liquide Mittel der abhängigen GmbH ungesichert im Konzern angelegt werden und im Verlustfall die Existenz der Tochtergesellschaft gefährdet ist. Darin kann eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der abhängigen GmbH liegen, was die Strafbarkeit nach § 266 StGB nach sich ziehen kann64. Daneben drohen haftungsrechtliche Konsequenzen nach § 43 GmbHG, § 93 AktG und §§ 823 ff. BGB. 1. Referententwurf des MoMiG (RefE) a) Gesellschafterdarlehen aus gebundenem Vermögen Der Referentenentwurf regelt das Cash Pool-Verfahren im Rahmen allgemeiner Vorschriften zur Kapitalerhaltung mit jeweils einem Satz. Einer isolierten Vorschrift wurde eine Absage erteilt. Die Ergänzung des § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG-RefE lautet: „Wird das Stammkapital durch eine Vorleistung aufgrund eines Vertrages mit einem Gesellschafter angegriffen, so gilt das Verbot des Satzes 1 nicht, wenn die Leistung im Interesse der Gesellschaft liegt.“ Und § 57 AktG-RefE sieht vor: „Vorleistungen der Gesellschaft aufgrund eines Vertrages mit einem Aktionär sind keine Rückgewähr von Einlagen, wenn die Leistung im Interesse der Gesellschaft liegt.“ Mit dem Begriff der Vorleistung sollen sowohl die Kreditgewährung an Gesellschafter als auch jede Leistung bei Stundung der Gegenleistung erfasst werden65. Vom Schutzzweck sind auch Leistungen an verbundene Unternehmen erfasst66. Verallgemeinert wird in diesen Fällen Realvermögen gegen eine Forderung eingetauscht. Angegriffen wird das Stammkapital durch eine Vorleistung bei bereits bestehender Unterbilanz oder durch eine Vorleistung, die zu einer Unterbilanz führt67. Der Regelungsbereich des § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG-RefE geht über das Cash Pooling hinaus, dürfte jedoch insbesondere in diesen Gestaltungen eingreifen.
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62 Vgl. auch Begr. RefE (Fn. 4), S. 53; Begr. RegE (Fn. 4), S. 93. 63 Nach Hauschka, ZRP 2006, 258, 260, der das Urteil des OLG München (NZG 2006, 195; vgl. unter III.2.) unter Compliance und Best Practice Gesichtspunkten erläutert. 64 BGH, Urt. v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, NJW 2004, 2248. 65 Begr. RefE (Fn. 4), S. 54. 66 Seibert, ZIP 2006, 1157, 1163. 67 Begr. RefE (Fn. 4), S. 54.
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aa) „Interesse der Gesellschaft“ Für das Interesse der Gesellschaft nennt der RefE mehrere Indizien68. Auf eine Aufzählung im Gesetz wurde verzichtet, da die nachfolgenden Kriterien allesamt im Rahmen der Bewertung des Gesellschaftsinteresses zu berücksichtigen sind: Die Kreditvergabe muss einem Drittvergleich bezogen auf die spezifische Situation des Gesellschafters standhalten. Maßgeblich ist dabei die Verzinsung. Aber auch die sonstigen Bedingungen müssen im üblichen Rahmen bleiben. Eine Stundung liegt im Rahmen kaufmännisch üblicher Zahlungsziele. Die Kreditgewährung ist kurzfristig kündbar. Der Anspruch der Gesellschaft ist bilanziell vollwertig (§ 253 HGB). Ferner geht die Neuregelung auf den eingangs erwähnten Gedanken ein, wonach die Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung der Bonität des Schuldners zu vermeiden ist. Vorkehrungen zur Früherkennung können ebenfalls ein Interesse der Gesellschaft begründen. bb) Kapitalaufbringung Auch bei der Kapitalaufbringung besteht kein Sonderrecht für Cash Pool-Systeme. Es gelten nach der Rechtsprechung die allgemeinen Regeln69. Eine wirksame Einlageleistung ist daher grundsätzlich zu verneinen, wenn die auf die Stammeinlage geleisteten Mittel im Rahmen des Cash Pooling an den Gesellschafter zurückfließen (Hin- und Herzahlung). Eine Ausnahmeregelung für die Kapitalaufbringung bei Cash Pool Systemen sieht die Neuregelung im Gegensatz zu dem Bereich der Kapitalerhaltung nicht vor. Die in § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG-RefE geregelten Maßstäbe sollen jedoch ohne weiteres auch auf die Kapitalaufbringung zu übertragen sein70, so dass eine positiv-rechtliche Regelung nicht für erforderlich erachtet wurde. b) Vergleich mit bisheriger Rechtslage Der Referentenentwurf verlangt für ein Handeln „im Interesse der Gesellschaft“ nicht, dass kumulativ die vom BGH gestellten Anforderungen erfüllt sein müssen. Der Ausnahmetatbestand knüpft an bekannte Kriterien an, ist jedoch weiter gefasst. Ferner beruht er auf der strengen Interpretation der BGH-Rechtsprechung71. Danach wird das Stammkapital durch eine Vorleistung nicht nur bei bereits bestehender Unterbilanz angegriffen, sondern auch durch eine Vorleistung, die zu einer Unterbilanz führt72. Dies ist bislang umstritten73.
__________ 68 Begr. RefE (Fn. 4), S. 54. 69 BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, NJW 2006, 1736. 70 Begr. RefE (Fn. 4), S. 55. Nach Seibert, ZIP 2006, 1157, 1163 sollte man davon ausgehen dürfen, dass die Einschränkung zu § 30 GmbHG, § 57 AktG auf die Kapitalaufbringung „ausstrahle“. Selbiges gelte für die Fälle des „Stehenlassens“ von Darlehen. 71 Dazu III.2. 72 Begr. RefE (Fn. 4), S. 54. 73 S. dazu unter III.2.
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c) Beurteilung der Neuregelung Auf dem 66. Deutschen Juristentag wurde die im RefE-MoMiG vorgesehene Anerkennung des Cash Pools für den Fall, dass durch Darlehensauszahlungen das Stammkapital angegriffen wird, grundsätzlich befürwortet74. Eine ähnliche Bewertung ist der gemeinsamen Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) v. 4.10.2006 zu entnehmen75. Befürwortet wird insbesondere die Einbettung in allgemeine Regelungen, ohne eine umfassende Reform anzustreben. Die bisherige Problematik will man mit einem Satz in den Griff bekommen. An tragenden Säulen im System wird festgehalten und nur punktuell nachgebessert, was auf reformfreudige Autoren ernüchternd wirkt. Dem Referentenentwurf wird denn auch entgegengehalten, dass mit ihm kein unmittelbarer Gewinn an Rechtssicherheit verbunden sei76. Das liege an der Unbestimmtheit der Tatbestandsvoraussetzung „Interesse der Gesellschaft“. Ferner wird die Erstreckung der Kapitalerhaltungsgrundsätze auf die Kapitalaufbringung ohne gesetzliche Anordnung kritisiert. aa) „Interesse der Gesellschaft“ Tatsächlich ist die vorgeschlagene Interessenprüfung in einem sensiblen Bereich wie dem der Konzernfinanzierung nur bedingt geeignet, die bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Daran ändern auch die genannten Indizien nichts. Wie die einzelnen Indizien zueinander stehen, ist freilich unklar. Jedenfalls müssen sie nicht kumulativ vorliegen. Letztlich wäre es Aufgabe der Rechtsprechung auch unter Rückgriff auf frühere Entscheidungen für eine Konkretisierung zu sorgen77. So klang bereits im „Bremer Vulkan“-Urteil der Gedanke des Früherkennungssystems an, wenn „Vorkehrungen, die frühzeitig eine wesentliche Verschlechterung der Bonität des Schuldners erkennen lassen“, angesprochen wurden78. Zum Kriterium des Gesellschaftsinteresses mangelt es an überzeugenden Alternativen, solange keine umfassende Reform angestrebt wird. Einige Autoren lehnen die punktuelle Nachbesserung in § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHGRefE ab. Sie befürworten, die Regelungen zur Erhaltung des Stammkapitals umfassend zu modifizieren. Vorgeschlagen wird eine Abschaffung des Mindeststammkapitals in Verbindung mit Solvenzprüfungen nach US-amerikanischem Vorbild79. Danach muss die Gesellschaft nach Einschätzung der Geschäftsleitung nach erfolgter Ausschüttung weiterhin in der Lage bleiben, ihre Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu erfüllen und ihre im folgenden Geschäfts-
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74 Befürwortet mit 95:32:27 Stimmen (Beschlüsse zum Wirtschaftsrecht, III.14.). 75 Im Internet abrufbar unter www.bdi-online.de/Dokumente/Recht-Wettbewerb-Ver sicherungen/BDI_GDV-STN_26_9_06_MoMiG.DOC (zuletzt besucht 25.4.2007). 76 Teichmann, NJW 2006, 2444, 2450; Bayer/Lieder, GmbHR 2006, 1121, 1126; Bormann, DB 2006, 2616, 2620. 77 Bormann, DB 2006, 2616, 2620. 78 BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10, 19 = NJW 2001, 3622. 79 Triebel/Otto, ZIP 2006, 1321, 1323.
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jahr fällig werdenden Schulden zu tilgen. Zum Schutz der Gläubiger soll die Geschäftsleitung zur Abgabe einer schriftlichen Solvenzbestätigung verpflichtet und bei schuldhafter Ausstellung einer unrichtigen Solvenzerklärung zivilund strafrechtlich verantwortlich sein. Diese situativ wirkenden Ausschüttungssperren hätten eine erhebliche Deregulierung zur Folge. In sich ist das System zwar schlüssig. Jedoch ist es nicht geeignet, große Anhängerschaft zu gewinnen, da dies eine vollständige Abkehr vom traditionellen Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsrecht erfordern würde. Letztlich würde eine größtmögliche Sicherung der Darlehen mit dem „neuen“ Tatbestandsmerkmal des Gesellschaftsinteresses angestrebt. Auch wenn der Referentenentwurf damit den Ausnahmetatbestand erweitern möchte, ist verwunderlich, warum das Stammkapital auch durch eine Vorleistung, die zu einer Unterbilanz führt, angegriffen werden soll. Bislang ist diese Frage höchst umstritten. Die wohl herrschende Literatur befürwortet insoweit eine rein bilanzielle Betrachtung, weshalb ein Aktivtausch nicht zur Anwendbarkeit des § 30 GmbHG führt. Von der bilanziellen Betrachtungsweise wird nur für die Fälle abgewichen, die durch das Bestehen einer Unterbilanz gekennzeichnet sind. So kritisiert selbst einer der Verfasser des MoMiG, Seibert, dass die Rechtsprechung den Anspruch auf die Gegenleistung nicht mehr in Ansatz bringe und sich somit vom bilanziellen Denken befreie80. Die im Referentenentwurf geäußerte Rechtsauffassung verschärft somit die rechtliche Unsicherheit, indem sie ohne Not von dieser bilanziellen Betrachtung abweicht. Dies widerstrebt dem gesetzten Ziel einer für die Praxis sicheren Rechtsgrundlage, da auch der Ausnahmetatbestand zwar weiter ist, jedoch an seiner tatbestandlichen Unschärfe leidet81. bb) Kapitalaufbringung Hinsichtlich der Kapitalaufbringung sollen die in § 30 GmbHG-RefE geregelten Maßstäbe ohne weiteres zu übertragen sein, so dass auf eine gesonderte Regelung verzichtet wird. Auch wenn die Trennung in der Rechtsprechung zwischen Kapitalaufbringung und -erhaltung teilweise verloren geht82, gibt es Unterschiede, die eine unterschiedliche Regelung für die Kapitalaufbringung rechtfertigen würden. Während bei der Kapitalaufbringung die Frage nach der endgültigen freien Verfügbarkeit im Vordergrund steht, ist bei der Kapitalerhaltung problematisch, inwieweit der Rückzahlungsanspruch Berücksichtigung findet. Ferner wird der Neuregelung entgegengehalten, dass die Indizien für den Ausnahmetatbestand primär an normale Geschäftsbeziehungen anknüpften, was bei der Kapitalaufbringung gerade nicht gegeben sei83. Zwar könnte auch hier als gemeinsamer Nenner im Sinne des Gesellschaftsinteres-
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80 Seibert, ZIP 2006, 1157, 1163. Zu dem dort genannten Urteil des OLG München s. unter III.2. 81 Vgl. zum Ausnahmetatbestand auch Westermann in Scholz (Fn. 5), § 30 GmbHG Rz. 72 ff. 82 Etwa OLG Jena, Urt. v. 21.9.2004 – 8 U 1187/03, DStR 2005, 1372. 83 Priester, ZIP 2006, 1557, 1559.
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ses die hinreichende Sicherung angesehen werden, was für eine entsprechende Anwendung reichen könnte. Jedoch stellt sich die Frage, inwieweit ein Richter an die Gesetzesbegründung gebunden wäre. Schließlich schlägt sich auch die Gesetzesbegründung im Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG nicht nieder. Dem gesteckten Ziel der Rechtssicherheit wird man damit nicht gerecht. Systematisch würde sich eher § 19 GmbHG als Standort für eine Neuregelung anbieten. 2. Regierungsentwurf des MoMiG (RegE) Der RegE des MoMiG hält demgegenüber grundsätzlich an dem bewährten Haftkapitalsystem fest, zeichnet sich aber durch eine weitgehende Modernisierung aus84. So wird das Recht der Kapitalaufbringung sowie der Gesellschafterdarlehen dereguliert. Im Bereich der Kapitalerhaltung kehrt der RegE zum bilanziellen Denken zurück. Gegenüber dem RefE sind daher in Bezug auf Cash Pooling bedeutsame Änderungen zu verzeichnen. a) Kapitalaufbringung Für die Kapitalaufbringung sind vielfältige Abweichungen vorgesehen85. Relevant ist insbesondere die ausdrückliche Regelung der Fallgestaltungen des „Hin- und Herzahlens“ (§ 8 Abs. 2 Satz 2 GmbHG-RegE): „Die vor Einlage getroffene Vereinbarung einer Leistung an den Gesellschafter, die wirtschaftlich einer Einlagenrückgewähr entspricht und die nicht bereits als verdeckte Sacheinlage nach § 19 Abs. 4 zu beurteilen ist, steht der Erfüllung der Einlagenschuld nicht entgegen, wenn sie durch einen vollwertigen Gegenleistungsoder Rückgewähranspruch gedeckt ist.“ Die bisherige Rechtsprechung sieht diese Vorgehensweise als unzulässig an, da es an dem gesetzlichen Erfordernis der freien Verfügbarkeit der Einlage fehlt (§ 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG)86. Nun sind diejenigen Fälle durch § 8 Abs. 2 Satz 2 GmbHG-RegE abgesichert, bei denen die empfangene Bareinlage durch Einzahlung auf das in den Cash Pool einbezogene Konto sogleich an den Inferenten zurückfließt und die Leistung dabei nicht zu einer Tilgung bereits bestehender Darlehensverbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber dem Inferenten führt (verdeckte Sacheinlage87). Die mit dem Cash Pool verbundenen Zinsvorteile werden so bereits in der Kapitalaufbringungsphase erreicht. Voraussetzung für eine Erfüllungswirkung der ur-
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Begr. RegE (Fn. 4), S. 56. Ausführlich Veil, ZIP 2007, 1241 ff. Vgl. nur die unter III. 3. verzeichneten Urteile. Das Rechtsinstitut der verdeckten Sacheinlage wird in § 19 Abs. 4 GmbHG-RegE geregelt. Entgegen der derzeitigen Rechtsprechung hat danach die verdeckte Sacheinlage Erfüllungswirkung. Sofern ihr Wert nicht den der geschuldeten Bareinlage erreicht, hat der Gesellschafter die Differenz bar zu erbringen. Durch diese Differenzhaftung statt einer Doppelzahlung werden die Rechtsfolgen deutlich entschärft. Kritisch zu der Differenzierung zwischen verdeckter Sacheinlage und dem „Hin- und Herzahlen“ Drygala, NZG 2007, 561, 563 f.: „komplizierte und wenig überzeugende Unterscheidung“.
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sprünglichen Bareinlage ist allerdings, dass der Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch vollwertig ist88. § 8 GmbHG-RegE führt damit bei der Kapitalaufbringung eine bilanzielle Betrachtungsweise ein. b) Kapitalerhaltung Im Bereich der Kapitalerhaltung berücksichtigt der RegE ebenfalls die entstandene Rechtsunsicherheit in der Praxis infolge des „November-Urteils“. § 30 Abs. 1 GmbHG wird (wie auch § 57 Abs. 1 AktG) ergänzt. Die für das Cash Pooling relevanten ersten beiden Sätze lauten: „Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden. Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags (§ 291 des Aktiengesetzes) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind.“ Der RegE kehrt im Gegensatz zum RefE zum bilanziellen Denken zurück. Das gilt auch im Zeitpunkt einer Unterbilanz. Die Rechtslage ähnelt89 damit derjenigen vor dem „November-Urteil“. Der Schutzzweck des § 30 GmbHG liege nicht in einem gegenständlichen Schutz, sondern in einem reinen Vermögensschutz90. Das Stammkapital ist danach eine bilanzielle Ausschüttungssperre91. Es gelten die allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze. Demnach wird bei einer Leistung, die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückerstattungsanspruch gedeckt wird, ein zulässiger Aktivtausch vorgenommen92. Entscheidend für die Vollwertigkeit ist die Einschätzung der Realisierbarkeit der Forderung. Nur realisierbare Forderungen dürfen in der Bilanz zum Nennwert angesetzt werden. Beachtlich ist die Formulierung in der Begründung zum RegE, wonach für eine Vollwertigkeit die Durchsetzbarkeit der Forderung aus anderen Gründen nicht absehbar in Frage gestellt sein darf93. An die Formulierung des „November-Urteils“, die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters müsse selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels liegen, knüpft der RegE gerade nicht an. Zusammengefasst ist der Gesellschaftsgläubiger gegen Vermögensminderungen, nicht jedoch gegen Vermögensumschichtungen geschützt94. § 30 Abs. 1 Satz 2 Variante 1 GmbHG-RegE stellt klar95, dass die Grundsätze der Kapitalerhaltung im GmbH-Vertragskonzern nicht gelten sollen. Damit
__________ 88 Falls die Vollwertigkeit nicht gegeben ist, bleibt die bisherige „Heilungsrechtsprechung“ des BGH anwendbar; vgl. Begr. RegE (Fn. 4), S. 78; ferner Veil, ZIP 2007, 1241, 1247. 89 Auf Unterschiede weisen Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1293 hin. 90 Begr. RegE (Fn. 4), S. 94 mit Verweis auf den Wortlaut des § 30 GmbHG „das Vermögen“. 91 Begr. RegE (Fn. 4), S. 94. 92 Begr. RegE (Fn. 4), S. 94 mit weiteren Ausführungen zu nicht vorhersehbaren negativen Folgeentwicklungen. 93 Begr. RegE (Fn. 4), S. 94. 94 Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1291. 95 Vgl. auch die Ausführungen unter III.1.
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folgt der RegE, der freilich keine weiteren Bestimmungen trifft, der schon bisher herrschenden Lehre. Unsicherheiten waren zuletzt nach einem Urteil des BGH96 vom 10.7.2006 aufgekommen, bei dem der BGH die Vertreter der Gegenmeinungen anführt und anschließend offen formuliert: „Soweit demgegenüber nach der Rechtsprechung des Senats der Verlustausgleich gem. § 302 AktG auch im GmbH-Vertragskonzern «an die Stelle der Kapitalerhaltungsvorschriften» tritt …, bedeutet dies nicht die gänzliche Preisgabe des von diesen Vorschriften intendierten Gläubigerschutzes, andererseits aber auch nicht, dass der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG vollumfänglich den für §§ 30 f. GmbHG geltenden Grundsätzen unterliegt“97. Die Regelung im RegE dürfte als Reaktion hierauf zu werten sein. Verzichtet wird auf eine Differenzierung zwischen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag98. c) Rechtssicherheit durch bilanzielle Betrachtung „Der Gedanke der bilanziellen Betrachtungsweise zieht sich … als roter Faden durch die Neuregelungen zum Haftkapitalsystem“99. Durch das bilanzielle Denken sowohl im Bereich der Kapitalaufbringung als auch bei der Kapitalerhaltung wird ein Gewinn an Rechtssicherheit erreicht. Der Kritik100 am RefE wird damit Rechnung getragen. Zwar hat auch dieser an die bilanzielle Vollwertigkeit angeknüpft. Doch war sie nur ein Indiz unter mehreren im Rahmen des rechtfertigenden „Interesses der Gesellschaft“101. Methodisch hat der RefE an die im „November-Urteil“ angedeuteten Ausnahmetatbestände angeknüpft und sie erweitert. Damit würden die Kapitalerhaltungsgrundsätze erst durch einen unbestimmten Ausnahmekatalog modifiziert. Statt ohne Not von der bilanziellen Betrachtung abzuweichen, ist die Lösung des RegE angesichts seines Ziels – nämlich Rechtssicherheit herbeizuführen – vorzugswürdig. Der Gleichklang zwischen Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung ist berechtigt und konsequent, da eine isolierte Änderung des § 30 GmbHG keinen Fortschritt bedeuten würde. Durch eine grundsätzlich bilanzielle Betrachtungsweise lässt sich die Cash Pool-Problematik praktikabel regeln. Doch entstehen Folgeprobleme bei in der Bilanz nicht abgebildeten Vermögenswerten wie stillen Reserven102. Bei ausschließlich bilanzieller Betrachtung könnten diese der Gesellschaft ohne Gegenleistung entzogen werden, was einen Verlust an Haftungsmasse bedeuten würde. Derartigen „Ausplünderungsfällen“, wozu auch der dem „NovemberUrteil“ zugrunde liegende Sachverhalt zu zählen ist, soll durch das Vollwertigkeits- und das Deckungsgebot begegnet werden. Wird in dem Vollwertig-
__________ 96 97 98 99 100 101 102
BGH, Urt. v. 10.7.2006 – II ZR 238/04, NJW 2006, 3279. BGH, Urt. v. 10.7.2006 – II ZR 238/04, NJW 2006, 3279, 3280. Hierzu Winter, DStR 2007, 1484, 1490. Begr. RegE (Fn. 4), S. 78. Vgl. etwa Flesner, NZG 2006, 641, 645; Grunewald, WM 2006, 2333, 2334. Vgl. oben unter IV.1.a)aa). Hierzu schon Stimpel (Fn. 37), S. 335, 341 f.; weitere Beispiele bei Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1292; ferner Winter, DStR 2007, 1484, 1486 f.
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keitsgebot schon „eine nicht geringe Schutzschwelle“103 gesehen, schränkt das Deckungsgebot die bilanzielle Betrachtung ein. Bei Austauschverträgen muss die Gegenleistung im Stadium der Unterbilanz nicht nur den bilanziellen, sondern gerade den wirtschaftlichen Wert decken. Von daher wird vorrangig, aber nicht ausschließlich auf bilanzielle Kriterien abgestellt. Das dürfte nur im Stadium der bestehenden Unterbilanz gelten104. Für Cash Pooling hat das Deckungsgebot aber keine Auswirkungen. Die Begründung des RegE erwähnt das Deckungsgebot in Zusammenhang mit Ausplünderungsfällen, wozu das ökonomisch sinnvolle Cash Pooling gerade nicht zählt. Relevant würde es lediglich, wenn der Tausch liquider Haftungsmasse gegen eine schuldrechtliche Darlehensforderung einen Verstoß darstellen würde. Doch hat der RegE dem eine ausdrückliche Absage erteilt, indem er den Schutzzweck des § 30 GmbHG in einem reinen Vermögensschutz sieht, weshalb in derartigen Konstellationen ein zulässiger Aktivtausch vorliegt105. Freilich birgt der RegE MoMiG erhebliche Haftungsgefahren für Geschäftsführer. So führen etwa nicht vorhersehbare negative Entwicklungen der Forderung gegen den Gesellschafter und bilanzielle Abwertungen zwar nicht nachträglich zu einer verbotenen Auszahlung im Stadium der Unterbilanz106. Doch muss er die Forderungen beobachten und gegebenenfalls reagieren. Versäumt er dies, haftet er nach § 43 GmbHG. Die Verantwortung wird verstärkt von den Gesellschaftern auf die Geschäftsführer übertragen107. Mit der gestiegenen Verantwortung der Geschäftsführer gehen Haftungsrisiken einher, denen diese werden vorbeugen müssen. Gleichwohl steigt mit dem RegE die Rechtssicherheit gerade im Cash Pooling. Auf Gesellschafterebene wird diese durch die Änderung des Haftungskonzepts des BGH108 zum existenzvernichtenden Eingriff noch verstärkt. Dessen Schwäche bildeten bislang mangels unmittelbarer gesetzlicher Grundlage seine unbestimmten Haftungsvoraussetzungen, weshalb es zu befürchten galt, dass sich Cash Pooling als potentiell existenzvernichtender Eingriff darstellen konnte109. Dem wird durch das neue (Innen-)Haftungskonzept über § 826 BGB abgeholfen. Die deliktsrechtliche Verankerung hat eine Erstreckung des Adressatenkreises auf den Geschäftsführer über § 830 Abs. 2 BGB als möglichen Gehilfen zur Folge. Da die Lockerung des Kapitalschutzes durch das MoMiG110 eine steigende Bedeutung der Rechtsfigur erwarten lässt, liegt der „Kurs-
__________ 103 104 105 106 107
Begr. RegE (Fn. 4), S. 94. Vgl. zur differenzierenden Betrachtung nach derzeitiger Rechtslage III.2. Begr. RegE (Fn. 4), S. 94. Begr. RegE (Fn. 4), S. 94. Dahingehend auch Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1295: eine Deregulierung auf Gesellschafterebene gehe häufig mit zusätzlichen Risiken für die Geschäftsführer einher. 108 BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 = BB 2007, 1970. 109 H. P.Westermann in Scholz (Fn. 5), § 30 GmbHG Rz. 22. 110 Im Rahmen des MoMiG beabsichtigt der Gesetzgeber keine Regelung der Existenzvernichtungshaftung, Begr. RegE (Fn. 4), S. 106.
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wechsel“ des BGH mit seiner besseren Handhabbarkeit auf der Linie des MoMiG.
V. Resümee Im Bereich des Cash Pooling herrscht derzeit Rechtsunsicherheit – angesichts der gravierenden Rechtsfolgen ein in einem zentralen Finanzierungsinstrument schwer tragbarer Zustand. Nach geltendem Recht ist eine differenzierende Interpretation des „November-Urteils“ vorzugswürdig, welche viele Probleme der Praxis entschärft. Jedoch fehlt ein klarstellendes höchstrichterliches Urteil, das auch nicht absehbar ist. Deshalb vermag die vorgeschlagene Möglichkeit, auf eine gesetzliche Regelung im Rahmen des MoMiG ganz zu verzichten111, nicht zu überzeugen. Die Konzeption des RefE für das Cash Pooling war vom Grundansatz her verfehlt. Auch eine deutliche Erweiterung der vom BGH angedeuteten Ausnahmetatbestände in BGHZ 157, 72 bringt keine Rechtsklarheit. Das Konzept des RegE vermag demgegenüber zu überzeugen. Er enthält eine konsequente bilanzielle Betrachtungsweise sowohl im Bereich der Kapitalerhaltung als auch bei der Kapitalaufbringung, bei der eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 8 Abs. 2 Satz 2 GmbHG-RegE vorgesehen ist. Für die Praxis besonders relevant ist die explizite Regelung der Nichtanwendbarkeit des § 30 GmbHG-RegE im Vertragskonzern. § 291 AktG ist entsprechend auf die GmbH anwendbar.
__________ 111 Ebenso auch Pentz, ZIP 2006, 481, 484.
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Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Geltungsgrund und Adressaten der Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung 1. Rechtssystematisches Verhältnis 2. Anwendung bei der Verschmelzung zur Neugründung a) GmbH b) Verschmelzung durch Neugründung einer AG
3. Anwendung auf die Verschmelzung zur Aufnahme a) GmbH b) AG 4. Anwendung auf die Spaltung a) Spaltung zur Neugründung aa) GmbH bb) AG b) Spaltung zur Aufnahme 5. Formwechselnde Umwandlung III. Zusammenfassung
I. Einleitung Das Umwandlungsgesetz 1994 hat einen umfassenden Rechtsrahmen für rechtsformenübergreifende Verschmelzungen, Spaltungen, Ausgliederungen und formwechselnde Umwandlungen geschaffen1. Zum einen war es sein Regelungsziel, eine unübersichtliche, in sich lückenhafte Regelungsmaterie systematisch zusammenzufassen und den durch europäische Richtlinien vorgegebenen Anforderungen zu entsprechen, zum anderen die Abwicklung der Umstrukturierungsvorgänge durch das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge, bei Spaltungsvorgängen der Teilrechtsnachfolge, anstelle der bei Einbringung von Unternehmen sonst notwendigen Einzelrechtsnachfolge zu erleichtern, schließlich den Gesellschafter- und Gläubigerschutz zu verbessern2. Das Umwandlungsgesetz sieht bei Umstrukturierungsmaßnahmen grundsätzlich eine Mitwirkung der Gesellschafter vor3, während die Einbringung von Unternehmen im Wege der Einzelrechtsnachfolge, soweit diese nicht das Gesamtvermögen der Gesellschaft betreffen, bei Kapitalgesellschaften im Regelfall in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands (§§ 77, 82 AktG) bzw. des Geschäftsführers (§ 37 GmbHG) fallen. Mit dem obligatorischen Verschmelzungs- bzw. Um-
__________ 1 Für die übertragenden, übernehmenden oder neuen verschmelzungsfähigen Rechtsträger vgl. § 3 Abs. 1 und 2 UmwG, für die spaltungsfähigen Rechtsträger vgl. § 124 UmwG, für die in den Formwechsel einbezogenen Rechtsträger § 191 UmwG. 2 Vgl. Amtl. Begr., BT-Drucks. 12/6699, S. 71 ff. 3 §§ 13, 43, 50, 65, 84, 103, 112 UmwG (Verschmelzung), 125 mit Verweisung darauf (Spaltung), 193, 217, 232, 240, 252, 262, 275, 284, 293 (Formwechsel).
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wandlungsbericht4, bei Aktiengesellschaften obligatorischen Verschmelzungsprüfung5 und der Überprüfung des Umtauschverhältnisses im Spruchverfahren6 ist insbesondere die Informationsbasis und der Schutz der Vermögensinteressen der Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften nachhaltig gestärkt worden. Das Umwandlungsrecht erschließt sich mit seiner Regelungstechnik rechtsformübergreifender Grundregelungen und rechtsformspezifischer Modifikationen, vor allem aber auch durch seine Verweisungstechnik nicht einfach. Hinzu kommt, dass es rechtssystematisch in das jeweilige Gründungs-Organisationsrecht, Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsrecht der bei den Umstrukturierungsvorgängen beteiligten Rechtsträger eingebunden ist7. Es stellt zudem keine abschließende Regelung für Umstrukturierungstatbestände dar, sondern konkurriert mit den bisherigen Möglichkeiten des Zusammenschlusses durch Sacheinlage in bestehende oder neu gegründete Unternehmen im Wege der Einzelrechtsübertragung, durch Teilausgliederungen von Unternehmensteilen oder mit dem Formwechsel innerhalb von Personengesellschaften bzw. Neuerrichtung und Einzelübertragung8. Die unterschiedlichen Anforderungen an die Beteiligung und den vermögensrechtlichen Schutz der Gesellschafter, an den vermögensrechtlichen Vollzug und die Haftungsfolgen bei der Wahl der vom Gesetz eingeräumten Zweigleisigkeit haben in der Rechtsprechung und Lehre eine Kontroverse ausgelöst, inwieweit das unterschiedliche Schutzniveau der Regelungen des Gesellschafter- und Gläubigerschutzes des Umwandlungsrechtes oder der Einzelübertragung bei Sachgründungen hinzunehmen oder das aufwendigere Schutzinstrumentarium des Umwandlungsgesetzes auf den wirtschaftlich äquivalenten Umstrukturierungsvorgang entsprechend anzuwenden sind. Sowohl die Rechtsprechung als auch die Lehre nimmt – von Umgehungstatbeständen und der Grenze willkürlicher Ungleichbehandlung abgesehen – die sich aus der Zweigleisigkeit von Umwandlungsvorgängen entstehenden unterschiedlichen Rechtsfolgen für den Gesellschafter- und Gläubigerschutz hin9.
__________ 4 5 6 7 8 9
§§ 8, 125, 127, 192 UmwG. §§ 9, 60 UmwG, bei PersonenG vgl. § 41, bei GmbH § 48. § 1 Nr. 4 SpruchG. Vgl. Amtl. Begr. (Fn. 1), S. 71. Vgl. Amtl. Begr. (Fn. 1), S. 80. Zur Rspr. vgl. LG Hamburg, DB 1997, 516 – Wünsche; LG Frankfurt, ZIP 1997, 1698; OLG Frankfurt, DB 1999, 1004 – Altana/Milupa; LG Karlsruhe, ZPP 1998, 385 – Badenwerk; BayObLG, ZIP 1998, 2002 – Magna Media; BVerfG, NJW 2001, 279 – Moto Meter; aus der Lit.: K. Schmidt, ZGR 1990, 580, 587; ders., ZGR 1995, 675, 677; ders., GesR, 4. Aufl. 2002, § 13 I 4; Zöllner, ZGR 1993, 334, 337; Timm, ZGR 1996, 247, 250; W. Bayer, ZIP 1997, 1613; Bungert, NZG 1998, 367 ff.; Lutter/Drygala in FS Kropff, 1997, S. 191, 193; Veil, ZIP 1998, 361, 366; Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 805; Wiedemann, ZGR 1999, 857 ff.; Monographien: Kollmar, Die Ausstrahlungen des UmwG auf Spaltungen nach traditionellem Recht, 1999; Leinekugel, Die Ausstrahlungswirkungen des Umwandlungsgesetzes, 2000; Alexander Müller, Gläubigerschutzkonzepte bei Sachgründung und Umwandlungsgründung einer GmbH, Diss. Tübingen, 2005, S. 7 ff.
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Differenz-, Unterbilanz- und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen
Das Thema der Geltung der Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen ist ein Teilausschnitt dieser allgemeineren Problematik. Sowohl bei Verschmelzungs- wie Spaltungsvorgängen ist bei der Verschmelzung oder Spaltung durch Neugründung der Tatbestand der Sach-Gründung der aufnehmenden Gesellschaft, bei der Verschmelzung oder Spaltung durch Aufnahme durch eine Kapitalgesellschaft der Tatbestand der Sach-Kapitalerhöhung bei der aufnehmenden Gesellschaft, bei der formwechselnden Umwandlung der Tatbestand der Sachgründung erfüllt. Differenzhaftung als objektive Wertdeckungshaftung für die Übereinstimmung des bei Sacheinlagen in GmbHs (§ 9 GmbHG) und AGs10 festzulegenden Werts mit der übernommenen Stammeinlage oder dem Nennbetrag der Aktien, Unterbilanzhaftung der Gesellschafter als Einstandspflicht für das Vorhandensein des im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung festgestellten Stamm- bzw. Grundkapitals im Zeitpunkt der Eintragung und die verschuldensabhängige Gründerhaftung (§§ 9a GmbHG, 45 ff. AktG) für die ordnungsgemäße Errichtung der Gesellschaft sind die Ecksteine des institutionellen, auf unversehrte Kapitalaufbringung ausgerichteten Gläubigerschutzes bei der Gründung von GmbHs und AGs. Zugleich dienen sie dem Schutz der übrigen Gesellschafter gegen die Verwässerung ihrer Beteiligung durch überbewertete Sacheinlagen oder Schmälerung ihrer Kapitalbeteiligung durch nachteilige Dispositionen in der Gründungsphase der Gesellschaft. Bei Sach-Kapitalerhöhungen wird bei der GmbH für die Einstandspflicht des Inferenten für den festgesetzten Wert der Sacheinlage neben den Publizitätsanforderungen und Sachgründungsprüfungen auf die Gründungsvorschriften verwiesen (§ 56 Abs. 3 GmbHG), bei der AG wird die Haftung des Inferenten aus §§ 183 Abs. 1, 188 Abs. 2 und dessen Verweisung auf § 36a AktG hergeleitet. Erfolgt die Neugründung oder Kapitalerhöhung im Kontext einer Verschmelzung, Spaltung oder formwechselnden Umwandlung, stellt sich die Frage, ob diese Grundsätze uneingeschränkt oder modifiziert gelten. Bei der Verschmelzung und Spaltung besteht gegenüber dem Normalfall der Sachgründung und Sachkapitalerhöhung die Besonderheit, dass Inferent der übertragende Rechtsträger, Empfänger der Gesellschaftsanteile an der aufnehmenden oder neu gegründeten Gesellschaft aufgrund der Auflösung des übertragenden Rechtsträgers ohne Liquidation aber dessen Gesellschafter werden. Im Fall der formwechselnden Umwandlung einer Personenin eine Kapitalgesellschaft stehen nach § 219 UmwG die Gesellschafter der formwechselnden Gesellschaft den Gründern gleich, beim Wechsel einer GmbH in eine AG nur die GmbH-Gesellschafter, die der Umwandlung zugestimmt haben (§ 245 UmwG). Das UmwG beantwortet die Frage, in welchem Ausmaß das Gründungsrecht oder Recht der Kapitalerhöhung der Zielgesellschaft bei den verschiedenen Umwandlungsvorgängen gelten soll, nicht eindeutig und im Quervergleich nicht kohärent. Für die Verschmelzung schreibt § 36 Abs. 2 UmwG vor, dass die für die Gründung des neuen Rechtsträgers gel-
__________
10 Für die AG nicht gesetzlich geregelt, aber als Ausfluss des Verbots der Unter-PariEmission (§ 9 AktG) im Wege der Rechtsanalogie zu § 9 GmbHG und der Qualifikation der Sacheinlagevereinbarung als Garantie objektive Wertdeckung seit BGHZ 64, 52, 62; BGHZ 68, 191, 195 (GmbH vor Einführung des § 9 GmbHG anerkannt.
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tenden Gründungsvorschriften anzuwenden sind, soweit sich aus dem ersten Buch des Gesetzes nichts anderes ergibt. Offen bleibt, ob zu den Gründungsvorschriften auch die von der Rechtsprechung zum Aktienrecht in Entsprechung zu § 9 GmbHG entwickelte Differenzhaftung des Inferenten und die aus richterlicher Rechtsfortbildung hervorgegangene Unterbilanzhaftung und schließlich die Gründerhaftung (§§ 9a GmbHG, 45 ff. AktG) gehört. Ebenso bleibt das Ausmaß von Einschränkungen durch das Umwandlungsgesetz im Unklaren, da die Vorschriften über die Verschmelzung durch Neugründung in §§ 57, 58 UmwG (GmbH), 74 und 75 UmwG (AG) nur Teilaspekte des Inhalts des Gesellschaftsvertrages bzw. der Satzung, des Sachgründungsberichts und der Gründungsprüfung regeln. Gleiches gilt für die Verschmelzung durch Aufnahme (§§ 55 und 69 UmwG), die mit Teilverweisungen auf das Recht der Sachkapitalerhöhung bei der GmbH und AG für die Ausgangsfrage keine eindeutige Antwort geben. Auch die Regelung für die Spaltung, die weitgehend auf die Vorschriften der Verschmelzung verweist (§ 125 UmwG) lässt die Frage offen. Für die formwechselnde Umwandlung verweist § 197 UmwG, ähnlich wie § 36 Abs. 2 UmwG auf die Gründungsvorschriften der beabsichtigten Rechtsform und stellt diese unter den Änderungsvorbehalt der für die einzelnen Rechtsträger geltenden Modifikationen. Wird die Anwendung der Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung oder Gründerhaftung grundsätzlich bejaht, stellt sich bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften die weitere Frage, ob deren Gesellschafter bei einer Überbewertung des Vermögens der übertragenden Gesellschaft, des übertragenen Teilvermögens oder im Falle des gegenüber dem eingebrachten Reinvermögen höheren Nennwerts des Grund- oder Stammkapitals der formwechselnden Gesellschaft persönlich haften, obwohl sie der Verschmelzung, Spaltung oder dem Formwechsel nicht zugestimmt haben. Exemplarisch wird die rechtliche Problematik, aber auch ihre praktische Bedeutung an einem kürzlich vom OLG München11 entschiedenen Fall einer Verschmelzung durch Aufnahme einer weitgehend vermögenslosen Aktiengesellschaft deutlich. Das OLG hat eine Differenzhaftung der Aktionäre der übertragenden AG zum einen unter Hinweis auf den Ausschluss der Verweisung des § 69 Abs. 1 UmwG auf §§ 188 Abs. 2, 36a AktG, zum anderen mit der Begründung abgelehnt, dass bei der Verschmelzung nicht die Gesellschafter, sondern die beteiligten Gesellschaften die Übernahme der Einlageverpflichtung vereinbaren. Zudem könnte die Beschlussfassung in der Hauptversammlung nicht die Übernahme der Einlageverpflichtung jedenfalls nicht für Aktionäre ersetzen, die der Hauptversammlung ferngeblieben sind oder gegen die Verschmelzung gestimmt haben. Im Folgenden wird zunächst das rechtssystematische Verhältnis von Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung abgeglichen (II.1.). Daran schließt sich die Klärung ihrer Geltung und ihrer Adressaten bei Um-
__________ 11 OLG München, AG 2006, 209, bestätigt durch BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, AG 2007, 487.
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Differenz-, Unterbilanz- und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen
wandlungsvorgängen anhand einer kritischen Bestandsaufnahme der Rechtsprechung und Rechtslehre differenziert für einzelne Umwandlungsvorgänge und die an ihr beteiligten Rechtsträger (II.2.).
II. Geltungsgrund und Adressaten der Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung 1. Rechtssystematisches Verhältnis Die nur für die GmbH gesetzlich geregelte (§ 9 GmbHG) Differenzhaftung, die von der Rechtsprechung zum Ausgleich von Vorbelastungen des Stamm- und Grundkapitals von GmbHs und AGs vor deren Eintragung entwickelte Unterbilanzhaftung und die gesetzliche Gründerhaftung (§§ 9a GmbHG, 46 ff. AktG) bedürfen terminologischer, gegenständlicher und systematischer Abgrenzung. Terminologische Überschneidungen zwischen Differenzhaftung und Unterbilanzhaftung entstanden ursprünglich daraus, dass der BGH sowohl die Haftung aus § 9 GmbHG, als auch die Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung als Differenzhaftung im Sinne des Einstehenmüssens für die Differenz zwischen dem realen Wert des eingebrachten Unternehmens und dem Nominalwert der Stammeinlage oder der Aktien bzw. dem Stamm- und Grundkapital im Zeitpunkt der Anmeldung, bei der Vorbelastungshaftung im Zeitpunkt der Eintragung, bezeichnet, ja die Unterbilanzhaftung analog aus § 9 GmbH abgeleitet hat12. Diese terminologische Unschärfe hat der BGH unter dem Eindruck der Lit.13 korrigiert und verwendet den Begriff der Differenzhaftung nur noch für den Fall der Unterwertigkeit der Sacheinlage im Zeitpunkt der Anmeldung14 bzw. ihrer Verschlechterung oder ihres Verlustes bis zum Zeitpunkt der Eintragung15, den Begriff der Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung für den Fall des (teilweisen) Verlustes des Stamm- oder Grundkapitals vor Eintragung16 und den Begriff der unbeschränkten Verlustdeckungshaftung für den Fall nicht erfolgter Eintragung17. Die terminologische Trennung ist auch wegen des unterschiedlichen Haftungsgrunds und der Haftungsfolgen geboten. Haftungsgrund für die Differenzhaftung des Sacheinlegers ist das Verbot der Unterpariemission (§§ 9 AktG, 9 GmbHG), das den Inhalt der Sacheinlagevereinbarung im Sinne einer objektiven Wertdeckungshaftung mit der Folge der Ausgleichung der Wertdifferenz in bar bestimmt. Folglich trifft die Haftung nur den Inferenten. Die Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung hat demgegenüber die Funktion, Verluste aus Geschäftstätigkeit der Gesellschaft in der Gründungsphase vor Eintragung auszugleichen. Sie ist die Kompensation für die Aufgabe des Vorbelastungsverbots und des uneingeschränkten Übergangs
__________ 12 13 14 15
BGHZ 80, 129, 140. Vor allem K. Schmidt, ZHR 156 (1992), 108 ff. BGHZ 80, 129, 137. BGHZ 37, 75; BGHZ 45, 338, 345; BGHZ 51, 157, 159; BGHZ 80, 129, 137; BGHZ 105, 300, 303. 16 BGHZ 134, 333, 337. 17 Seit BGHZ 134, 333, 338 f.
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aller Verbindlichkeiten auf die eingetragene Gesellschaft. Sie ergibt sich aus dem durch eine Reihe weiterer Regelungen wie der Publizität der Sacheinlage (§§ 5 Abs. 4 GmbHG, 27 AktG), dem Gründungsbericht (32 AktG), der Gründungsprüfung (§ 33 AktG) und der registerrichterlichen Überprüfung obligatorischer Angaben bei der Anmeldung der Gründung (§§ 9c GmbHG, 38 AktG, §§ 37 AktG, 8 GmbHG) zum Handelsregister abgesicherten Grundsatz unversehrter Kapitalaufbringung. Haftungsfolge ist die pro rata Haftung aller Gesellschafter18. Stichtag ist der Zeitpunkt der Eintragung. Auf diesen Zeitpunkt ist eine Vorbelastungsbilanz zu erstellen, die das Gesellschaftsvermögen mit seinen wirklichen Werten, also einschließlich des Geschäfts-/Firmenwerts nach Fortführungsgrundsätzen, d. h. i. d. R. nach der Ertragswertmethode, bei negativer Fortsetzungsprognose zum Veräußerungswert zu bewerten hat19. Nach h. M. umfasst die Vorbelastungshaftung alle Verluste, sie folgt damit nicht der von K. Schmidt vorgeschlagenen Beschränkung auf operative Verluste in der Phase der Vorgesellschaft, die zudem allenfalls aus der GUV abzuleiten wären20. Die verschuldensabhängige Gründerhaftung (§§ 9a GmbHG, 46 ff. AktG ist eine organähnliche Haftung für die Wahrnehmung von Pflichten der Gründer neben den Geschäftsführern/dem Vorstand und bei der AG den Gründungsprüfern im Zusammenhang mit der Gründung, vor allem für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben gegenüber dem Registergericht, der Erhebung und freien Verfügbarkeit der Einlagen und für vorsätzliche oder grobfahrlässige Schädigungen durch Sacheinlagen, Sachübernahmen und Gründungsaufwand (§§ 46 Abs. 1 u. 2 AktG, 9a Abs. 1 u. 2 GmbHG). Haftungsfolge ist nicht objektive Wertdeckung, sondern Schadensausgleich, als normativer Mindestschaden der Ausgleich fehlender Einlagen und unberechtigter Gründungsvergütung (§§ 46 Abs. 1 Satz 2 AktG, 9a Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Haftungsfolge ist gesamtschuldnerische Haftung. Die Einführung der Differenzhaftung (Inferentenhaftung) als objektive Wertdeckungshaftung löst eine Überschneidung mit der Gründerhaftung aus. Die Rspr. löst die Anspruchskonkurrenz über den Schadensbegriff. Solange eine werthaltige Forderung der Gesellschaft gegen den Inferenten besteht, fehlt es an einem Schaden. Damit ist die Gründerhaftung bei Realisierbarkeit der Differenzhaftung subsidiär21. 2. Anwendung bei der Verschmelzung zur Neugründung a) GmbH Werden die beteiligten Gesellschaften bei der Verschmelzung durch Neugründung auf eine GmbH verschmolzen, so ist nach § 36 Abs. 2 i. V. m. § 56 UmwG das Gründungsrecht der GmbH anzuwenden. Dieses umfasst neben den formalen Anforderungen an den Gesellschaftsvertrag nach § 5 GmbHG,
__________
18 BGHZ 80, 129, 136. 19 BGHZ 124, 282, 285; BGH, NJW 1998, 233; BGHZ 140, 35; zu den Besonderheiten bei sog. Start up-Unternehmen vgl. jetzt BGH, BB 2006, 907. 20 Vgl. dazu K. Schmidt, GesR, 3. Aufl. 1997, § 34 III 4. bei Fn. 128. 21 BGHZ 64, 52 (betraf Haftung der Gründungsprüfer). Dazu K. Schmidt, DB 1975, 1781; ders., GesR (Fn. 20), § 27 II 6.
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der Einlagepflicht (§§ 5, 7 GmbHG), den Erklärungen der Gründer (§ 8 GmbHG) und der Prüfungspflicht des Registerrichters, insbesondere der Wertdeckungsprüfung (§ 9c GmbHG) auch die Differenzhaftung für fehlende Wertdeckung nach § 9 GmbHG und die Gründerhaftung nach § 9a GmbHG22. Im Rahmen der registerrichterlichen Prüfung ist die Bewertung der von den übertragenden Gesellschaften eingebrachten Unternehmen zu prüfen, vor allem, ob der Unternehmenswert im Zeitpunkt der Anmeldung mindestens das Stammkapital der neu gegründeten erreicht23. Im Falle der Überschuldung i. S. des § 64 GmbHG, d. h. wenn das Vermögen einer Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Aufdeckung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt, muss die Eintragung der GmbH und damit auch der Verschmelzung zurückgewiesen werden24. Str. ist dabei, ob die Überschuldung einer Gesellschaft ausreicht, wenn die andere an der Verschmelzung mit Neugründung über ein für die Deckung des Stammkapitals ausreichendes Reinvermögen verfügt. Unter dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung ist diese Frage zu bejahen25, auch wenn sich daraus Probleme bei der Ausgestaltung des Beteiligungsverhältnisses der Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften ergeben können26. Anders als im Falle der Ausgliederung aus dem Vermögen des Einzelkaufmanns zur Aufnahme (§ 152 UmwG) oder Neugründung (§§ 159, 154 UmwG) stellt die Überschuldung einer beteiligten Gesellschaft unter der Voraussetzung, dass das Stammkapital durch die Übertragung der Vermögen der beteiligten Gesellschaften insgesamt gedeckt ist, kein Eintragungshindernis dar. Bei der Prüfung der Wertdeckung hat das Registergericht den Zeitpunkt der Eintragung, nicht den Verschmelzungsstichtag und die auf diesen Zeitpunkt aufzustellenden Schlussbilanzen (§ 17 Abs. 2 UmwG) oder den für die Barabfindung und deren Überprüfung relevanten Zeitpunkt der Beschlussfassung des übertragenden Rechtsträgers (§§ 29, 30 UmwG) zugrunde zu legen. Der Verschmelzungsstichtag hat zwar entscheidende Relevanz für die Festlegung des Umtauschverhältnisses im Verschmelzungsvertrag, seiner Erläuterung im Verschmelzungsbericht (§ 8 UmwG) und der Überprüfung im Prüfungsbericht (§ 15 UmwG) sowie seiner gerichtlichen Überprüfung, nicht aber für die Wertdeckung des Stammkapitals, für den § 9 GmbHG für die Inferentenhaftung den Anmeldestichtag festsetzt27. Für die Verschmelzung muss, da das Vermögen der übertragenden Gesellschaften erst
__________ 22 Bärwald in Semler/Stengel, UmwG, 2003, § 36 UmwG Rz. 42; Marsch-Barner in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006, § 36 UmwG Rz. 11; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblatt 88. Lfg., § 36 UmwG Rz. 28 ff., 100 ff.; Ihring, GmbHR 1995, 622, 626 m. Hinweisen in Fn. 20 auf den Meinungsstand vor dem UmwG 1994; Wälzholz, AG 2006, 469, 471. 23 Vgl. Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 29. 24 Vgl. BayObLG, GmbHR 1998, 540; Ihring, GmbHR 1995, 622, 626 r. Sp. 25 So das OLG Stuttgart im Fall der Verschmelzung auf den Alleingesellschafter, GmbHR 2006, 380, anders OLG Frankfurt, DB 1998, 917 für den Fall der Verschmelzung mehrerer Schwestergesellschaften sowie Ihring, GmbHR 1995, 622, 630; ebenso Winter in Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 55 Rz. 10. 26 So auch Heckschen, DB 1998, 1385, 1387. 27 Ihring, GmbHR 1995, 622, 627 f.
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mit der Eintragung übergeht und zwischen Anmeldung und Eintragung noch operative oder sonstige Verluste eintreten können, die das Vermögen schmälern oder als Verbindlichkeiten die übernehmende Gesellschaft belasten, abweichend zu § 9 GmbHG für die Differenzhaftung daher der Zeitpunkt der Eintragung zugrunde gelegt werden28. Bei der Feststellung der Wertdeckung sind auch verschmelzungsbedingte Abfindungsangebote, z. B. beim Rechtsformwechsel (§ 29 UmwG), nun29 auch bei der internationalen Verschmelzung (§ 122i UmwG) und dem sog. kalten Delisting (§ 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG) als Forderungen gegen die übernehmende Gesellschaft zu berücksichtigen, ebenso aber bare Zuzahlungen zum Ausgleich von Wertdifferenzen30. Die nach den Grundsätzen des Jahresabschlusses anzufertigenden Schlussbilanzen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 UmwG) können wegen der anderen Kriterien ihrer Erstellung nur einen Einstieg für die Wertdeckungsprüfung liefern31, maßgeblich ist der tatsächliche Unternehmenswert32. Grundlage der registerrichterlichen Prüfung ist auch der Sachgründungsbericht (§ 5 Abs. 4 GmbHG, den § 58 Abs. 1), erweitert um Angaben zum Geschäftsverlauf und zur Lage übertragender Rechtsträger. Auf einen Sachgründungsbericht wird allerdings verzichtet, wenn eine Kapitalgesellschaft (AG, GmbH) übertragender Rechtsträger ist (§ 58 Abs. 2 UmwG). Trotz dieser „Präventivmaßnahmen“ zum Schutz der Kapitalaufbringung hat die Differenzhaftung nach § 9 GmbHG schon deswegen praktische Relevanz, weil an die Tiefe der Wertdeckungsprüfung durch den Registerrichter trotz des gegenüber der Vergleichsvorschrift des § 38 Abs. 2 Satz 2 AktG33 strengeren Wortlauts des § 9c GmbHG keine zu hohen Anforderungen gestellt werden können. Fraglich ist aber, wen die Differenzhaftung trifft. Nach § 36 Abs. 2 Satz 2 UmwG steht den Gründern der übertragende Rechtsträger gleich. Dessen Haftung ist aber wenig effektiv, da dieser mit Eintragung der Verschmelzung erlischt und seine Haftung als Verbindlichkeit auf den neuen Rechtsträger übergeht, also nicht zu einem Ausgleich der Überbewertung beiträgt (§§ 36, 56, 20 Nr. 2 und Nr. 1 UmwG)34. Zudem bliebe außer Betracht, dass die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft aufgrund der liquidationslosen Auflösung dieser Gesellschaften Stammeinlagen erhalten. Sie sind zwar nicht im Rechtssinne, aber wirtschaftlich Rechtsnach-
__________ 28 Ihring, GmbHR 1995, 628; differenzierend Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 30. 29 2. Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I 2007, 542; RegE, BR-Drucks. 548/06. 30 Vgl. Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 41 und 164. Bei Abfindungen gem. § 29 UmwG ist zu berücksichtigen, dass die Gesellschaft den Anteil als eigenen Anteil erwirbt, aber dafür eine Kapitalrücklage nach § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG bzw. § 33 Abs. 2 Satz 1 GmbHG bilden muss. 31 Zutreffend Ihring, GmbHR 1995, 628 Fn. 29. 32 Grunewald in Lutter (Fn. 25), § 37 UmwG Rz. 3a; Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 31; ders., DB 1998, 913, 915. 33 Maßgeblich ist nach § 38 Abs. 2 Satz 2 AktG, ob der Wert der Sacheinlage nach Auffassung des Gerichts nicht unwesentlich hinter dem geringsten Ausgabebetrag zurückbleibt. 34 Vgl. Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 168.
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folger der übertragenden Gesellschaften, die ihre Einlagepflicht gem. § 9 GmbHG verletzt haben. Für diese müssten sie im Falle echter Rechtsnachfolge, wie sie bei übertragender Auflösung gegeben wäre, gem. § 22 GmbHG eintreten35. Dennoch ist die Frage der Differenzhaftung der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaften umstritten. Die Gegner einer Differenzhaftung berufen sich darauf, dass die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaften anders als der Sacheinleger bei der Verschmelzung keinen Einfluss auf die Bewertung haben36. Dem steht aber der Gesichtspunkt einer verschuldensunabhängigen Haftung aus § 9 GmbHG entgegen37. Gewichtiger ist das Argument, dass bei der Sacheinlage der Gesellschafter sich freiwillig an der Sacheinlage beteiligt und damit auch freiwillig das Risiko eingeht, dass der Wert Sacheinlage nicht den Nennwert der übernommenen Stammeinlage erreicht, bei der Verschmelzung, die bei der GmbH und AG mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden kann, dagegen auch dann Gesellschafter wird, wenn er der Verschmelzung nicht zugestimmt hat (§§ 50, 56, 65, 73, 76 UmwG)38. Daran ändert sich nichts für den Fall, dass Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft im Falle eines Rechtsformwechsels durch Widerspruch gegen den Verschmelzungsbeschluss statt dem Erwerb der Anteile an der übernehmenden Gesellschaft nach §§ 29, 30, 36 UmwG Barabfindung verlangen können39. Abgesehen davon, dass das Widerspruchsrecht eine andere Schutzfunktion hat, ist u. U. im Zeitpunkt des Beschlusses der Gesellschafterversammlung die Überbewertung des übergehenden Vermögens noch nicht erkennbar. Daraus wird von einer verbreiteten Meinung der Schluss gezogen, dass bei der Verschmelzung eine Gleichbehandlung mit einem Sachinferenten nur im Falle einer Sperrminorität geboten ist40. Die Konsequenz dieser Auffassung ist, dass der mit der Inferentenhaftung bezweckte Schutz unversehrter Kapitalaufbringung zu Lasten der Gläubiger und zugunsten von Minderheitsgesellschaftern eingeschränkt würde. Sie findet im UmwG keine Grundlage. Eine analoge Anwendung der §§ 219 Satz 2, 245 Abs. 1 UmwG, die die Gründerverantwortlichkeit der Gesellschaft bei der formwechselnden Umwandlung auf die der Umwandlung zustimmenden Gesellschafter beschränkt, scheidet aus, weil es bei der formwechselnden Umwandlung am Tatbestand der Sacheinlage fehlt41. Zumindest bei der GmbH spricht auch die subsidiäre pro rata-Gesamtverantwortung aller Gesellschafter für die Kapitalaufbringung nach § 24 GmbHG
__________ 35 Vgl. Ihring, GmbHR 1995, 622, 634. 36 So z. B. Grunewald zum früheren Recht in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1974, § 343 AktG Rz. 20. 37 Z. B. zum früheren Recht Priester in Scholz, 7. Aufl. 1988, Anh. § 57b GmbHG § 22 KapErhG Rz. 11. 38 Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 169. 39 So zu Recht Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 169. 40 So Bärwaldt in Semler/Stengel (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 56; Mayer in Widmann/ Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 170; OLG München, AG 2006, 59 für den Fall einer Verschmelzung durch Aufnahme. 41 Ähnlich Ihring, GmbHR 1995, 622, 635.
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dafür, dass auch die der Verschmelzung nicht zustimmenden Gesellschafter anteilig die Inferentenhaftung nach § 9 GmbHG tragen. Das Risiko einer Differenzhaftung kann vermieden werden, wenn bei der Festsetzung des Stammkapitals der übernehmenden Gesellschaft Bewertungsunsicherheiten Rechnung getragen und ggf. Kapitalrücklagen (§ 272 Abs. 2 HGB) gebildet werden. Für das Austauschverhältnis können die angenommenen tatsächlichen Werte zugrunde gelegt werden42. Jeder Minderheitsgesellschafter hat es ferner in der Hand, soweit nicht – wie bei der AG als übernehmender Gesellschaft (§ 60 UmwG) – eine obligatorische Verschmelzungsprüfung vorgesehen ist, eine Verschmelzungsprüfung (§§ 44, 48 UmwG) zu verlangen, in deren Rahmen auch die Frage Kapitaldeckung des Werts des eingebrachten Vermögens geprüft wird43. Als Lösung wird vereinzelt auch ein Austrittsrecht bei drohender Kapitaldeckung befürwortet44. Der Gesellschafter kann sich aber seinen Pflichten zur Kapitalaufbringung nicht durch Austritt entziehen45. Dem Gesellschafter steht es jedoch frei, seine Geschäftsanteile an der übernehmenden Gesellschaft in Höhe der ihn pro rata treffenden Differenzhaftung zur Einziehung (§ 34 GmbH) ohne Abfindung anzubieten. Allerdings muss auch bei Einziehung mit Zustimmung des Gesellschafters die Satzung die Möglichkeit der Einziehung vorsehen. Im Anschluss daran kann das Stammkapital in Höhe des Nennwerts der auf die Geschäftsanteile entfallenden Stammeinlagen herabgesetzt werden, um die Unterbilanz auszugleichen. Weigert sich der Gesellschafter, seine Deckungspflicht zu erfüllen, kommt auch eine Kaduzierung seiner Anteile nach §§ 21 ff. GmbHG in Frage. Nach alledem ist es sachgerecht, die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaften entsprechend ihrer Beteiligung an der übernehmenden Gesellschaft als Schuldner der Differenzhaftung bei UnterPari-Emission anzusehen46. Ob neben der Differenzhaftung auch eine Unterbilanzhaftung für Verluste durch rechtsgeschäftliches oder sonstiges Handeln vor Eintragung der übernehmenden GmbH in Frage kommt, ist streitig. Mit dem notariellen Abschluss des Verschmelzungsvertrages, mit dem der Gesellschaftsvertrag bzw. die Satzung festgestellt wird und auch die Vertretungsorgane gebildet werden, (§§ 5, 36, 37, 46, 73, 74 UmwG) kommt eine Vor-GmbH oder Vor-AG zustande, sodass die Grundsätze der Vorgesellschaft, also auch die Verlustdeckungsbzw. Unterbilanzhaftung greifen. Voraussetzung ist aber stets Handeln der Gesellschaftsorgane der Vorgesellschaft in deren Namen und mit Vertretungsmacht bzw. der Vorgesellschaft zurechenbares Handeln. Anders als bei der Sachgründung besteht bei der Verschmelzung durch Neugründung keine Handlungsnotwendigkeit für die werdende GmbH47. Soweit in diese Phase noch Geschäfte für die übertragenden Gesellschaften durch deren Organe abgewickelt werden, treffen die Rechtsfolgen nach den Grundsätzen des firmenbe-
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Rechenbeispiele bei Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 35. Vgl. Ihring, GmbHR 1995, 635. Vgl Nachweise zum früheren Recht bei Ihring, GmbHR 1995, 635 Fn. 64. So zu Recht Ihring, GmbHR 1995, 635. So auch Wälzholz, AG 2006, 469, 471; Ihring, GmbHR 1995, 622, 635. Ihring, GmbHR 1995, 622, 636.
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zogenen Handelns diese48. Soweit sie noch nicht abgewickelt sind, gehen sie dann als Verbindlichkeiten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über(§§ 20, 21 UmwG). Ggf. greift bei fehlender Wertdeckung die Differenzhaftung gem. §§ 36, 56 UmwG, 9 GmbHG. Obwohl bei der Verschmelzung durch Neugründung eine Vorgesellschaft entsteht, wird die Unterbilanzhaftung die Ausnahme sein. Neben der Handelndenhaftung würden dafür als Gründer die übertragenden Gesellschaften haften (§ 36 Abs. 2 Satz 2 UmwG), deren Verpflichtung mit deren Auflösung auf die übernehmende Gesellschaft übergeht. Damit bliebe die Vorbelastung aber ohne Ausgleich. Deshalb müssen, wie bei der Differenzhaftung, die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaften wie Erwerber von Gesellschaftsanteilen (§ 16 Abs. 3 GmbHG) pro rata für den Ausgleich der Unterbilanz haften49. Im Gegensatz zur Differenzhaftung und Unterbilanzhaftung ist die Gründerhaftung (§ 9a GmbHG) keine objektive, mit der Einlagepflicht (§§ 5, 7, 9 GmbHG) verbundene sondern an schuldhaftes Verhalten gebundene Haftung. Sie ist an die formale Gründerstellung gebunden und geht nicht auf den Rechtsnachfolger über. Schon formal sind die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaften keine Gründer (§ 36 Abs. 2 Satz 2 UmwG). Sie sind an der Verschmelzung durch Neubildung nur durch ihre Zustimmung zum Verschmelzungsvertrag und dem/der in ihm enthaltenen Gesellschaftsvertrag/Satzung beteiligt, während die Verantwortung für die Ordnungsmäßigkeit der Gründung den Geschäftsführern bzw. dem Vorstand obliegt (vgl. §§ 25, 27 UmwG). Deshalb ist eine Gründerhaftung der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaften abzulehnen50. b) Verschmelzung durch Neugründung einer AG Ebenso wie für die Gründung der GmbH als neuem Rechtsträger verweist § 36 Abs. 2 Satz 1 UmwG auch für die AG auf deren Gründungsvorschriften. §§ 74 und 75 UmwG fordern daneben zusätzliche Angaben in der Satzung über Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen und Sachübernahmen aus den Satzungen und Gesellschaftsverträgen der übertragenden Gesellschaften sowie Angaben über deren Geschäftsverlauf und wirtschaftlichen Lage. Damit kommen, wie bei der GmbH neben den prospektiven Maßnahmen wie der Festsetzung der Sacheinlagen (§ 27 AktG), dem Gründungsbericht (§ 32 AktG) und der Gründungsprüfung (§ 33 AktG), der Registerprüfung (§ 38 AktG) auch die Grundsätze der Inferentenhaftung, Unterbilanz- und Gründerhaftung zum Tragen51. Eine Unter-Pari-Emission stellt sich damit, wie bei der GmbH, als Verschmelzungshindernis dar52. Die Inferentenhaftung wird mangels gesetzlicher
__________ 48 Winter in Lutter (Fn. 25), § 56 UmwG Rz. 30; Bärwaldt in Semler/Stengel (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 43. 49 Ihring, GmbHR 1995, 636. 50 So Winter in Lutter (Fn. 25), § 55 UmwG Rz. 27. 51 Übersicht bei Stratz in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 4. Aufl. 2006, § 36 UmwG Rz. 18. 52 Vgl. unter II. 1. bei Fn. 28 ff.
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Regelung auf das Verbot der Unterpariemission (§§ 9, 36a Abs. 2 Satz 3 AktG) gestützt53. Wie bei der GmbH ist auch bei der AG der Adressat der Inferentenhaftung strittig. Formal stehen die übertragenden Gesellschaften Gründern gleich (§ 36 Abs. 2 Satz 2 UmwG), jedoch gehen mit dem Vollzug der Verschmelzung nach Maßgabe des Umtauschverhältnisses die Aktien auf die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft über (§§ 2, 20 Nr. 3 UmwG), sodass nach den Grundsätzen der Rechtsnachfolge die Aktionäre für die mit der Einlagepflicht (§ 54 AktG) verbundene Inferentenhaftung wie Rechtsnachfolger haften54. Dennoch wird von einem Teil der Lit. in diesem Fall eine Beschränkung der Inferentenhaftung auf Gesellschafter befürwortet, die über eine Sperrminorität verfügen55. Als Grund für die Entlastung der Minderheitsaktionären von der Inferentenhaftung, wird, entsprechend der Rechtslage bei der GmbH, die Unzumutbarkeit einer Haftung bei Überstimmung genannt56. Diese Einschränkung ist aber mit dem Kapitaldeckungsgrundsatz nicht vereinbar und beruht auf reinen Billigkeitserwägungen. Auch wenn Minderheitsaktionäre der Verschmelzung nicht zugestimmt haben, würden sie zu Lasten der Gläubiger bevorzugt. Sie müssen sich das Handeln der Organe zurechnen lassen und stehen der Verantwortung für eine Überbewertung näher als die Gläubiger, zumal sie die Möglichkeit haben, die Organe der übertragenden Gesellschaft, ggf. auch die Verschmelzungsprüfer auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen (§§ 25, 27 UmwG, 36 Abs. 2, 60, 73, 75 UmwG, 33, 34, 49 AktG, 323 HGB)57. Sie haben aber die Möglichkeit, ihre Aktien zum Zwecke der Kapitalherabsetzung durch Einziehung (§ 237 Abs. 3 Nr. 1 AktG) anteilig zur Verfügung zu stellen58. Die Differenzhaftung trifft deshalb in dem für die GmbH entwickelten Umfang und zu den dafür geltenden Modalitäten auch die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft bei Verschmelzung zur Neugründung59. Ebenso kann für die Frage der Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung (§§ 36 Abs. 2, 46 ff. AktG) auf die Ausführungen zur GmbH verwiesen werden.
__________ 53 S. oben unter II. 1. 54 Explizit geregelt in § 16 Abs. 3 GmbHG, zur Rechtslage bei der AG vgl. Hüffer, AktG, 4. Aufl. 2004, § 54 AktG Rz. 4 und 10; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1986 ff., § 54 AktG Rz. 7. 55 Bärwaldt in Semler/Stengel (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 49; Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 169. 56 Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 170; Bärwald in Semler/Stengel (Fn. 22), § 36 UmwG Rz. 56; OLG München, AG 2006, 209 zur Verschmelzung durch Aufnahme, dazu unten unter II. 3.2. 57 So insbesondere Ihring, GmbHR 1995, 622, 633 ff., ihm folgend auch Wälzholz, AG 2006, 469, 472. 58 Vgl. zur Rechtslage bei der GmbH unter II. 1. bei Fn. 35 ff. 59 Zustimmend auch Winter in Lutter (Fn. 25), § 55 UmwG Rz. 12 zur Verschmelzung durch Aufnahme.
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3. Anwendung auf die Verschmelzung zur Aufnahme Die Verschmelzung zur Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG) stellt nach der Systematik des UmwG den Regeltypus dar, an dem sich sowohl die allgemeinen Vorschriften (§§ 4–35) als auch die rechtsformspezifischen Vorschriften (§§ 39–45, 46–55, 60–72, 79–95, 99–113) orientieren. Für den Fall, dass für die an die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft zu gewährenden Anteile bei der übernehmenden Gesellschaft eine Kapitalerhöhung erforderlich ist (Ausnahmen in den Fällen der §§ 54, 68 UmwG), verwendet das UmwG gegenüber der Neugründung eine andere Regelungstechnik und schließt für die GmbH in § 55 UmwG, für die AG in § 69 UmwG bestimmte Normen des Kapitalerhöhungsrechts aus. Anders als bei der Neugründung kommt bei der Verschmelzung durch Aufnahme nur die Geltung der Differenzhaftung, nicht aber der Unterbilanzhaftung oder der Gründerhaftung in Frage. Bei einer Kapitalerhöhung hat der BGH den Grundsatz wertgleicher Deckung bei Wertverlust vor Eintragung ausgeschlossen60. Die Verschmelzung durch Aufnahme stellt einen Sonderfall der Sachkapitalerhöhung (§§ 183 AktG, 56 GmbHG) dar, bei der Inferent (übertragende Gesellschaft) und Bezugsberechtigte (deren Gesellschafter) auseinander fallen. Soweit §§ 55, 69 UmwG die Vorschriften über die Kapitalerhöhung nicht abdingen, sind diese neben den Vorschriften des UmwG zu beachten. Dabei geht die Eintragung der Kapitalerhöhung (§§ 184, 188 AktG, 57 GmbHG) der Eintragung der Verschmelzung (§ 19 UmwG) voraus, obwohl erst mit der Eintragung der Verschmelzung im Register der übernehmenden Gesellschaft das Vermögen nach § 20 Nr. 1 UmwG auf diese übergeht und damit die Sacheinlage geleistet ist. Anwendbar sind vor allem die Vorschriften über die Publizität der Sacheinlagen (§§ 183, 27 AktG, 56 GmbHG), dagegen entfallen die Vorschriften über die Übernahme der Anteile gegen Leistung der Einlage (§§ 185, 188 Abs. 3 AktG, 55 Abs. 1 GmbHG), über die Modalitäten und den Zeitpunkt der Einlageleistung (§§ 188 Abs. 2 u. 3 Nr. 1 AktG, 56a, 57 Abs. 1 u. 3 GmbHG), über das Bezugsrecht (§§ 186, 187 AktG, 55 Abs. 2 GmbHG) oder die Mindeststückelung der Geschäftsanteile (§ 5 Abs. 1 u.3 GmbHG). Ferner entfällt das Gebot der Volleinzahlung vor Kapitalerhöhung (§ 182 Abs. 4 AktG). Eine Einlageprüfung muss bei der AG nur im Falle einer Verschmelzung mit einer „Nicht-Kapital-Gesellschaft“ oder wenn das Gericht Zweifel hat, ob der Wert der Sacheinlage den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Anteile hat (§ 69 Satz 1 UmwG). Daraus ergibt sich auch der Hinweis, dass das registerrichterliche Prüfungsrecht vor Eintragung – wie bei der Sachgründung – nicht nur die Formalia, sondern auch die (Kapital-)Wertdeckung des eingebrachten Vermögens der übertragenden Gesellschaft umfasst61. Bei der sog. Mehrfachverschmelzung kommt es auch hier darauf an, dass bei Saldierung des Vermögens der einbringenden Gesellschaften der Betrag der Erhöhung des Grund- bzw. Stammkapitals er-
__________ 60 BGHZ 145, 150 = NJW 2002, 1716; BGHZ 158, 283. 61 Vgl. Ihring, GmbHR 1995, 622, 640.
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reicht wird62. Deshalb ist ein entsprechender Wertnachweis zu führen, wobei es genügt, dass sich aus der Schlussbilanz der Nachweis entsprechender NettoBuchwerte ergibt63, anderenfalls ist ein Wertgutachten erforderlich64. Werden die Zweifel nicht ausgeräumt, muss der Registerrichter die Eintragung ablehnen (§§ 55 UmwG, 57a, 9c GmbHG). a) GmbH Die Geltung der Differenzhaftung auch im Falle der Kapitalerhöhung im Kontext der Verschmelzung ergibt sich aus §§ 56 UmwG, 56 Abs. 2 GmbHG. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Differenzhaftung ist nicht die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung und Verschmelzung oder der Stichtag der Umwandlungsbilanz (§ 17 Abs. 2 UmwG), entgegen §§ 56 Abs. 2, 9 GmbhG auch nicht der Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung, sondern die Eintragung der Verschmelzung im Register der aufnehmenden Gesellschaft, weil – im Gegensatz zur ordentlichen Kapitalerhöhung – erst damit das Vermögen als Gegenwert für die Geschäftsanteile eingebracht ist65. Da die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers die Geschäftsanteile für die Einbringung dessen Vermögens erhalten (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 UmwG), haben sie – entsprechend ihrem Anteil an den für die Verschmelzung ausgegebenen Anteilen – für einen Fehlbetrag einzustehen. Bei Mehrfachverschmelzung ist der Differenzbetrag für jede übertragende Gesellschaft zu ermitteln66. Eine Differenzierung danach, ob sie der Verschmelzung zugestimmt haben, verbietet sich, abgesehen davon, dass § 53 Abs. 3 GmbHG, das Verbot der Vermehrung von Leistungspflichten ohne Zustimmung der Gesellschafter nicht greift, schon deshalb, weil sie sonst zu Lasten der anderen Gesellschafter vermögensmäßig unberechtigt besser gestellt würden, die dazu noch die Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG tragen müssten67. Der Gefahr einer Differenzhaftung kann, wie bei der Verschmelzung durch Neugründung, durch einen niedrigeren Erhöhungsbetrag und Bildung einer Kapitalrücklage oder bei Fortschreibung der Buchwerte unter Hinnahme stiller Reserven begegnet werden. Bei einer Überschuldung scheidet dagegen eine Verschmelzung aus. Davon unabhängig ist die Festlegung des Austauschverhältnisses, die zu dem nach den üblichen Bewertungsmethoden zu ermittelnden inneren Wert der Anteile zu erfolgen hat.
__________ 62 Winter in Lutter (Fn. 25), § 55 UmwG Rz. 10; Reichert in Semler/Stengel (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 9 gegen OLG Frankfurt, GmbHR 1998, 542. 63 Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 75. 64 Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 75. 65 A. A. Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 80. 66 Reichert in Semler/Stengel (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 12. 67 Ebenso Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 80 ff.; Reichert in Semler/Stengel (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 11; Winter in Lutter (Fn. 25), § 55 UmwG Rz. 12; Ihring, GmbHR 1995, 622, 642.
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b) AG Im Unterschied zu §§ 56 UmwG, 56 Abs. 2, 9 GmbHG fehlt bei der Verschmelzung zur Aufnahme durch eine AG eine unmittelbare Verweisung auf die Differenzhaftung. Dies hat seinen Grund aber darin, dass die Differenzhaftung bei der Sachgründung und Sachkapitalerhöhung nicht auf gesetzlicher Anordnung, sondern richterlicher Rechtsfortbildung beruht68. Daraus, dass das UmwG eine Differenzhaftung nicht ausdrücklich vorsieht und § 69 Abs. 1 Satz 1 UmwG die Anwendbarkeit der §§ 188 Abs. 2, 36a Abs. 2 Satz 3 AktG, aus denen die Differenzhaftung bei einer Sachkapitalerhöhung in der AG abgeleitet wird69, schließt das OLG München, dass die Differenzhaftung nicht greift. Verstärkt wird diese Folgerung mit dem Argument der Unterschiede zwischen der Sachkapitalerhöhung und Verschmelzung durch Aufnahme, bei der die Einlage nicht auf dem Leistungsversprechen der Gesellschafter, sondern dem Verschmelzungsvertrag beruht70, mit dem der Senat auch eine Analogie zu §§ 56 Abs. 2, 9 GmbHG ablehnt. Die Argumentation des Senats, der sich auch auf Stellen der einschlägigen Kommentarliteratur71 stützt, ist in mehrfacher Hinsicht nicht überzeugend. Da die Konstellation bei der Verschmelzung durch Aufnahme durch eine GmbH die gleiche ist, für die der Gesetzgeber trotz der Unterschiede zur Sachkapitalerhöhung die Geltung der Differenztheorie anordnet, wie bei der AG, geht die Begründung gegen eine Analogie fehl. Vor allem lässt der Senat § 69 Abs. 1 Satz 3 UmwG außer Betracht, der mit dem Ziel der Überprüfung der Wertdeckung bei Zweifeln ihres Vorliegens die Anordnung einer Sacheinlageprüfung durch das Registergericht vorsieht. Diese Vorschrift würde keinen Sinn machen, wenn das Wertdeckungsprinzip nicht auch materiell gilt. Demgegenüber erscheint der Hinweis auf die ausgeschlossene Verweisung auf §§ 188 Abs. 2, 36a AktG in § 69 Abs. 1 Satz 1 UmwG zum Ausschluss der Differenzhaftung als nicht tragfähig. Damit würde ein systematischer Widerspruch von Satz 1 und 3 in den Gesetzestext hineingedeutet, ohne dass die Entstehungsgeschichte eine derartige Schlussfolgerung nahe legt. Außerdem ist es unzutreffend, dass die Differenzhaftung in der AG ihre positivrechtliche Grundlage in § 36a Abs. 2 AktG hat. Sie stützt sich vorrangig auf das Verbot der Unter-Pari-Emission (§ 9 AktG), der in § 36a Abs. 2 Satz 3 AktG nur wiederholt wird. § 69 Abs. 1 Satz 3 UmwG bestärkt seine Geltung bei der Verschmelzung durch Aufnahme. Gewichtiger ist das Argument, dass die Beschlussfassung in der HV die Übernahme einer Einlageverpflichtung nicht ersetzen könne, da die Auferlegung zusätzlicher Einlagepflichten der Zustimmung der betroffenen Aktionäre bedarf (vgl. §§ 55, 180 AktG für sog. Nebenverpflichtungen). Hierbei geht das OLG offenbar davon aus, dass Rechtsgrundlage der Verpflichtung der Verschmelzungsvertrag sei. Dieser enthält zwar
__________ 68 69 70 71
BGHZ 64, 52, 62, s. oben unter II. 1. Vgl. z. B. Hüffer (Fn. 54), § 183 AktG Rz. 21. OLG München, AG 2006, 209; ebenso jetzt BGH, AG 2007, 487, 488. Z. B. Grunewald in Lutter (Fn. 25), § 69 UmwG Rz. 27; Marsch-Barner in Kallmeyer (Fn. 22), § 69 UmwG Rz. 18.
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auch die Vereinbarung über die Übertragung des Vermögens (§ 5 Nr. 2 UmwG), der als Anlage eine Schlussbilanz (§ 17 Abs. 2 UmwG) zuzufügen ist, jedoch enthält dieser keine vertragliche Garantie für die Wertdeckung. Die Verpflichtung zur Wertdeckung ergibt sich, wie bei § 9 GmbHG, vielmehr aus den Grundsätzen der Unter-Pari-Emission (§ 9 AktG) und ist damit gesetzlicher Natur. Aus den Grundsätzen der Kapitalaufbringung abgeleitete zusätzliche Einlagepflichten unterliegen aber nicht dem Verbot der Belastung mit zusätzlichen Einlageleistungen72. Die Entscheidung des OLG München, Aktionäre, die der Verschmelzung nicht zugestimmt haben, von der Differenzhaftung auszunehmen, wird des weiteren mit einem Vorrang des Schutzes der Aktionäre vor „systemfremden Mehrbelastungen gegenüber potentiellen Neugläubigern der übernehmenden AG begründet73. Damit wird das System der Kapitalaufbringung in sein Gegenteil verkehrt, zumal das Gericht auch noch die wertmäßige Unterdeckung des Kapitalerhöhungsbetrages mit den Risiken der Veröffentlichung unzutreffender Unternehmenszahlen vergleicht. Ebenso unzutreffend ist die Argumentation, dass die Aktionäre mit den Aktien im Falle einer Überbewertung wertmäßig nicht das erhalten, was eine Differenzhaftung ausfüllen würde. Der Wert der einzelnen Aktie wird nicht durch das nach dem Gesamtnennbetrag bzw. Zahl der ausgegebenen Aktien bestimmte Verhältnis zum nominellen Grundkapital, sondern vom Anteil am tatsächlichen Wert des Gesamtvermögens der verschmolzenen Gesellschaften bestimmt. Bei einer Überbewertung des Vermögens der übertragenen Gesellschaft kommt es zu einer Vermögensverschiebung zwischen den Anteilsinhabern der beteiligten Gesellschaften. Deshalb ist der Vergleich der anteilig von den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft zu tragenden Differenzhaftung mit dem Vermögenszuwachs aus einem unrichtig bestimmten Umtauschverhältnis irrelevant. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Anteilsinhaber durch den Erwerb der Anteile die Verantwortung für die gesetzliche Kapitalaufbringung zu tragen haben. Wie im Falle der Verschmelzung durch Neugründung sind die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft auch bei der Verschmelzung durch Aufnahme in eine AG entgegen der Entscheidung des OLG München und des BGH nicht vor der persönlichen Differenzhaftung geschützt74. 4. Anwendung auf die Spaltung Die Spaltung in ihren drei Formen, der Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG), Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) und Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG), ist von ihrer Rechtskonstruktion das Spiegelbild der Verschmelzung und bedeutet im Gegensatz zu ihr nicht die Vereinigung, sondern die Herauslösung von Vermögensteilen eines Rechtsträgers im Wege der partiellen Gesamtrechts-
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72 So schon BGHZ 80, 129, 139 ff. für die Begründung der Vorbelastungshaftung bei der GmbH. 73 So OLG München, AG 2006, 209 r. Sp.; ähnlich BGH, AG 2007 487, 488 r. Sp. 74 So schon Ihring, GmbHR 1995, 622, 642; ihm folgend Reichert in Semler/Stengel (Fn. 22), § 55 UmwG Rz. 11; Schmitt/Hörtnagl/Stratz (Fn. 51), § 69 UmwG Rz. 29, nach Sperrminorität differenzierend: Marsch/Barner in Kallmeyer (Fn. 22), § 69 UmwG Rz. 18; wie OLG München Grunewald in Lutter (Fn. 25), § 69 UmwG Rz. 27.
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Differenz-, Unterbilanz- und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen
nachfolge auf einen übernehmenden Rechtsträger gegen Gewährung von Anteilsrechten, im Falle der Auf- und Abspaltung an die Anteilsinhaber, im Falle der Ausgliederung an den übertragenden Rechtsträger. Deshalb regelt das UmwG die Spaltung durch einen Generalverweis auf das Verschmelzungsrecht in § 125 UmwG und modifiziert dieses sodann für die verschiedenen Spaltungsformen, innerhalb deren auch mit rechtsformspezifischen Vorschriften in §§ 126 ff., 138 ff. UmwG. Von den drei Spaltungsarten liegen die Problemkonstellationen bei der Aufspaltung parallel zur Verschmelzung, weil die spaltende (übertragende) Gesellschaft mit der Eintragung der Spaltung erlischt und deren Vermögen auf andere Rechtsträger übergeht (§§ 123 Abs. 1, 131 Nr. 1 u. 2 UmwG). Bei der Abspaltung bleibt der übertragende Rechtsträger bestehen, doch gehen die Anteile am übernehmenden Rechtsträger an dessen Anteilsinhaber über (§§ 123 Abs. 2, 131 Nr. 3 UmwG). Dagegen steht die Ausgliederung der Sacheinlage am nächsten, da die Anteile am übernehmenden Rechtsträger dem übertragenden Rechtsträger zufallen (§§ 123 Abs. 3, 131 Nr. 3 Satz 3 UmwG). Alle drei Varianten können zur Neugründung einer GmbH oder AG oder zur Aufnahme durch einen Rechtsträger in der Rechtsform der GmbH oder AG führen (vgl. §§ 135, 138, 141, 158 UmwG – Spaltung/Ausgliederung zur Neugründung), §§ 126 ff., 138, 141, 152 – Spaltung/Ausgliederung zur Aufnahme führen. Dabei geht das Gesetz sowohl für die GmbH, als auch für die AG von einer Sachgründung aus (§§ 138, 144 UmwG). Deshalb stellt sich die Frage der Anwendung der Differenz-, Unterbilanz- und Gründerhaftung auch bei Spaltungsvorgängen, bei der Spaltung durch Aufnahme ist sie auf die Geltung der Differenzhaftung beschränkt. a) Spaltung zur Neugründung aa) GmbH Die Parallelität zur Regelung der Verschmelzung kommt in § 135 Abs. 2 UmwG zum Ausdruck, der wie § 36 Abs. 2 UmwG vorbehaltlich von Sonderregelungen des 3. Buches des UmwG auf das Gründungsrecht des jeweiligen Rechtsträgers verweist und den übertragenden Rechtsträger den Gründern gleichstellt. Damit ist, wie unter 2.b) begründet, von der grundsätzlichen Geltung der Differenz- und Unterbilanzhaftung der Gesellschafter der übertragenden Rechtsträger auszugehen. Dagegen scheidet die Gründerhaftung (§§ 9a GmbHG, 46 AktG) der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft aus, da sie keinen Einfluss auf die Gestaltung der Gründung haben. Die Beschlussfassung über den Spaltungsplan (§ 126 UmwG), der auch die Satzung bzw. den Gesellschaftsvertrag der übernehmenden Rechtsträger enthält, rechtfertigt keine Gleichstellung mit den Gründern. Dagegen sind die für den Spaltungsplan verantwortlichen Vertretungsorgane der übertragenden Gesellschaft (§§ 126, 136 UmwG) als Gründungsorgane nach §§ 9a GmbHG, 48 AktG verantwortlich. Zu den auch für die Spaltung maßgeblichen Gründungsvorschriften75
__________ 75 Vgl. dazu die Übersicht bei Kallmeyer (Fn. 22), § 135 UmwG Rz. 9 ff.; Ihring, GmbHR 1995, 622, 637.
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gehört neben den Vorschriften über die Publizität der Sacheinlagen, dem Gründungsbericht sowie der Gründungsprüfung bei der AG, das registerrichterliche Prüfungsrecht der bei der Anmeldung vorzulegenden Unterlagen und Wertdeckung des in die übernehmende Gesellschaft einzubringenden Vermögens. Bei der Kapitaldeckung kommt es auf den Wert der im Spaltungsplan zu bezeichnenden Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens an, die bei der Aufspaltung auf die, bei der Abspaltung und Ausgliederung auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen (§§ 126 Abs. 1 Nr. 9, 131 Nr. 1 UmwG). Weitere Voraussetzung beim Aktivvermögen ist, dass sich aus allgemeinem Recht keine Übertragungsbeschränkungen ergeben (§ 132 UmwG)76. Bei der Berücksichtigung der Verbindlichkeiten sind nicht nur die im Spaltungsplan übernommenen Verbindlichkeiten zu beachten, sondern auch die zeitlich befristete gesamtschuldnerische Haftung für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers (§ 133 UmwG), wenn diese bei der Eröffnungsbilanz der übernehmenden Gesellschaft zu passivieren sind, ihr kein werthaltiger Ausgleichsanspruch (§ 426 BGB) gegenübersteht und durch die Passivierung eine Unterbilanz entsteht77. Die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts hat an der gesetzlich angeordneten Abfolge des Spaltungsvorgangs anzusetzen. Nach §§ 137 Abs. 3 Satz 1, 130 Abs. 1 UmwG geht die Eintragung der/des neuen Rechtsträger(s) der Eintragung der Spaltung voraus, die aber erst den Vermögensübergang bewirkt. Dadurch entsteht zunächst eine vermögenslose Gesellschaft, deren endgültiges Entstehen aber nach § 130 Abs. 1 Satz 2 UmwG von der Eintragung der Spaltung abhängt78. Für die Wertdeckung kommt es auf den Zeitpunkt der Eintragung der Spaltung an. Gem. §§ 135 Abs. 2 Satz 3 UmwG, 9 GmbHG trifft bei der GmbH die Kapitaldeckungsverantwortung zunächst den übertragenden Rechtsträger. Wie bei der Verschmelzung geht aber dieser bei der Aufspaltung79 unter, die Anteile an den übernehmenden Rechtsträgern gehen entsprechend dem Spaltungsplan auf deren Anteilsinhaber über (§ 131 Nr. 3 Satz 1 UmwG). Daraus ergibt sich deren Kapitaldeckungsverantwortung. Demgegenüber kann nicht auf die Vermögensrechtsnachfolge der übernehmenden Rechtsträger verwiesen werden, weil der übernehmende Rechtsträger damit zugleich Berechtigter und Verpflichteter wäre und die Konfusion von Forderung und Verbindlichkeit gerade den Wertausgleich verhindern würde. Bei der Aufspaltung durch Neugründung kann neben dem neuen Rechtsträger als Empfänger des im Spaltungsplans vorgesehenen Teils (Kombination von § 123 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 UmwG) auch eine bestehende Gesellschaft als übernehmender Rechtsträger beteiligt sein. Dann stellt sich die Frage, ob die gesamtschuldnerische Mithaftung des weiteren übernehmenden Rechtsträgers gem. § 133 Abs. 1 UmwG auch die Ausfallhaftung für die Wertdeckung der neu gegründeten Gesellschaft umfasst, auch wenn ihm die zur Unterbilanz führenden Verbindlichkeiten nicht zugewiesen
__________ 76 77 78 79
Kallmeyer (Fn. 22), § 135 UmwG Rz. 11 und 12. Vgl. Ihring, GmbHR 1995, 622, 637. Vgl. Ihring, GmbHR 1995, 638. § 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG.
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sind. Problematisch erscheint schon, ob die Differenzhaftung eine Verbindlichkeit des übertragenden Rechtsträgers ist, obwohl sie erst durch den Tatbestand der Unterdeckung im Zeitpunkt des Vollzugs der Spaltung entsteht. Zumindest dem Grunde nach ist dies aber zu bejahen, da der Rechtsgrund der Differenzhaftung gem. § 9 GmbHG in der Einbringung des überbewerteten Vermögensteils liegt. § 133 UmwG geht aber von Verbindlichkeiten aus, die alle an der Aufspaltung beteiligten Rechtsträger treffen. Eine Haftung für die eigene Kapitalausstattung kommt aber nicht in Betracht. Außerdem erscheint es unangemessen, die weiteren beteiligten Rechtsträger für eine Unterdeckung der Aufteilung bei dem betroffenen Rechtsträger haften zu lassen, obwohl sie keine Anteile erhalten. Deshalb trifft die Differenzhaftung ausschließlich die Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft entsprechend dem Verhältnis ihrer Anteile80. Bei der Abspaltung bleibt der übertragende Rechtsträger mit der im Spaltungsplan vorgesehenen Vermögensaufteilung bestehen. Deshalb wäre denkbar, dass, zumindest im Außenverhältnis, die aus der Gründerstellung nach § 136 Abs. 2 UmwG folgende Differenzhaftung erhalten bleibt. Diese Betrachtungsweise erscheint aber formal, weil die Gesellschaftsanteile an der neu gegründeten Gesellschaft nicht der übertragenden Gesellschaft, sondern deren Gesellschaftern zufallen (§ 131 Nr. 3 UmwG) und damit das Gesellschaftsvermögen der übertragenden Gesellschaft vermindert wird. Dennoch wird unter analoger Anwendung des § 16 Abs. 3 GmbHG eine gesamtschuldnerische Haftung der fortbestehenden übertragenden Gesellschaft und ihrer Anteilseigner befürwortet. Nicht überzeugend ist aber, dass diese auch im Innenverhältnis der Primärschuldner bleiben soll81. Dies wäre nur dann vertretbar, wenn bei der Aufteilung der Aktiva und Passiva die übertragende Gesellschaft bevorzugt worden ist. Im Falle der Ausgliederung besteht der übertragende Rechtsträger fort und bleibt an der übernehmenden Gesellschaft beteiligt (§ 123 Abs. 3 UmwG). Ihn trifft deshalb die Differenzhaftung uneingeschränkt. Bei der Ausgliederung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns (§ 152 UmwG) besteht im Falle offensichtlicher Überschuldung eine Eintragungssperre (§§ 152 Satz 2, 154 Satz 2, 158 UmwG). Dabei ist auch der Anspruch aus Differenzhaftung nicht aktivierbar, da er wegen der Überschuldung nicht werthaltig ist. Das Eintragungsverbot besteht auch, wenn die Ausgliederung in eine neu gegründete GmbH mit einer zusätzlichen Kapitalzuführung durch Dritte verbunden wäre und behindert damit die Sanierung überschuldeter Einzelunternehmen82. Im Falle der Spaltung durch Neugründung kommt auch eine Unterbilanzhaftung für Geschäfte vor Eintragung in Frage. Voraussetzung ist aber, dass die Organe der GmbH im Namen der Vor-GmbH und mit Vertretungsmacht gehandelt haben. Ist dies nicht der Fall, gelten die Grundsätze firmenbezogenen
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80 So zu Recht Ihring, GmbHR 1995, 639. 81 Ihring, GmbHR 1995, 639. 82 Kritisch A. Müller (Fn. 9), S. 228 ff.
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Handelns. Die Geschäfte sind dann der übertragenden Gesellschaft zuzurechnen, Verbindlichkeiten gehen nach Maßgabe des Spaltungsplans auf die neu gegründete Gesellschaft über, bei der Abspaltung und Ausgliederung haftet die übertragende Gesellschaft als Gesamtschuldner (§ 133 Abs. 1 UmwG). Die Gründerhaftung (§ 9a GmbH) obliegt dem übertragenden Rechtsträger (§ 136 Abs. 2 Satz 2 UmwG). Daneben haften die Gründungsorgane (§ 9a GmbHG). bb) AG Diese Grundsätze gelten nach der rechtsformübergreifenden Regelung des § 135 Abs. 2 UmwG auch für die AG. Nach § 144 UmwG ist ein Gründungsbericht (§ 32 AktG) und eine Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 2 AktG) stets also auch bei der Spaltung einer Kapitalgesellschaft erforderlich. Nach § 38 Abs. 2 AktG umfasst das richterliche Prüfungsrecht auch die Wertdeckung des eingebrachten Unternehmensteils. Bei der Aufspaltung trifft die Differenzhaftung die Aktionäre der neu gegründeten AG entsprechend dem Anteil ihrer Aktien am Grundkapital. Bei der Abspaltung haftet daneben die übertragende Gesellschaft gesamtschuldnerisch neben den Aktionären. Bei der Ausgliederung trifft die Differenzhaftung ausschließlich diese. b) Spaltung zur Aufnahme Bei der Spaltung zur Aufnahme löst eine Unterdeckung des erhöhten Stammkapitals oder Grundkapitals die Differenzhaftung aus. Dies ergibt sich aus der Pauschalverweisung des § 125 UmwG auf das Verschmelzungsrecht, somit auch auf die §§ 55 (GmbH) und 69 (AG) UmwG. Für die AG wird dies durch § 142 UmwG, der eine obligatorische Prüfung der Sacheinlage nach § 183 Abs. 3 AktG anordnet, bestätigt. Die materielle Kapitaldeckungsverantwortung der beteiligten Rechtsträger und ihrer Gesellschafter richtet sich nach den für die Spaltung durch Neugründung entwickelten Grundsätzen. 5. Formwechselnde Umwandlung Trotz Identitätswahrung (§ 202 Nr. 1 UmwG) stellt § 197 Satz 2 UmwG den Formwechsel einer Neugründung gleich und unterwirft diesen den Gründungsvorschriften der neuen Rechtsform. Gründer sind beim Formwechsel von Personalgesellschaften nach § 219 UmwG die Gesellschafter der formwechselnden Gesellschaft, im Falle einer Mehrheitsentscheidung (§ 217 UmwG) die Gesellschafter, die dem Formwechsel zugestimmt haben, Letzteres gilt nach § 245 Abs. 1 UmwG auch beim Formwechsel von einer GmbH in eine AG oder KGaA. Beim Formwechsel in eine GmbH oder AG kommen damit sowohl eine Differenzhaftung (§§ 9 GmbHG, 9, 36a Abs. 3 AktG), wie eine Unterbilanzhaftung der Gesellschafter in Frage. Allerdings stellt sich für die Differenz- und Unterbilanzhaftung die Frage, ob die Identität des Rechtsträgers ihrer Anwendung entgegensteht. Verstärkt werden die Zweifel beim 1420
Differenz-, Unterbilanz- und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen
Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform (z. B. GmbH in AG), für den § 247 UmwG von der Kontinuität des Nominalkapitals ausgeht. Dagegen ist die Gründerhaftung (§§ 9a GmbHG, 46 AktG) an den Gründerstatus gebunden. Beim Formwechsel von Personal- in Kapitalgesellschaften, einer GmbH in eine AG oder KGaA, einer KGaA in eine AG und AG in eine KGaA gilt im Falle der Überschuldung der formwechselnden Gesellschaft eine Eintragungssperre (§§ 220 Abs. 1, 245 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 UmwG). Mit dem Eintragungsverbot im Falle der Überschuldung (§ 220 UmwG)83 wird der Kapitaldeckungsgrundsatz in besonderer Weise betont. Dieses geht einerseits weiter als das in §§ 9 GmbHG, 9, 36a Abs. 2 Satz 3 AktG für Sacheinlagen geltende Verbot der Unterpariemission, aus dem die Differenzhaftung folgt. Andererseits erfasst die Differenzhaftung nicht nur den Tatbestand der Überschuldung, sondern jede Unterdeckung des Nominalkapitals. Die Geltung der Differenzhaftung ist nur beim Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft unbestritten. Allerdings ist es verfehlt, diese aus § 220 UmwG abzuleiten, der nur ein Eintragungsverbot bei Überschuldung, aber keine Rechtsfolge bei gleichwohl erfolgter Eintragung des Formwechsels, geschweige denn für den Fall normaler Unterdeckung enthält. Sie ergibt sich vielmehr durch die Verweisung auf die Gründungsvorschriften der neuen Rechtsform in § 197 Satz 1 UmwG. Schwieriger sind die Normadressaten der Differenzhaftung zu begründen. Nur für den Fall des Formwechsels einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft stellt § 219 UmwG die bisherigen Gesellschafter den Gründern einer Kapitalgesellschaft gleich und modifiziert dies im Falle gesellschaftsvertraglich vorgesehener Mehrheitsentscheidung auf die Gesellschafter, die dem Formwechsel zugestimmt haben. Gleiches gilt nach § 245 Abs. 1 UmwG beim Formwechsel einer GmbH in eine AG. Dies würde auf eine erhebliche Einschränkung der Differenzhaftung beim Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft und zwischen Kapitalgesellschaften führen und den Grundsatz der Kapitalaufbringung, also den Gläubigerschutz zugunsten des Gesellschafterschutzes einschränken. Die Konsequenz der Nichtanwendung der Differenztheorie mag im Hinblick auf den Identitätsgrundsatz und die Identität des Nennkapitals beim Formwechsel zwischen Kapitalgesellschaften hinzunehmen sein, da in diesem Fall kein Vertrauensschutz auf ein bestimmtes Haftungskapital besteht84. Anders ist die Rechtslage beim Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft, bei der die persönliche Haftung durch das gegen Ausschüttungen an die Gesellschafter gesicherte Stamm- bzw. Grundkapital abgelöst wird. Deshalb stellt
__________ 83 Überschuldung bedeutet nicht formelle, sondern nach Buchwertaufstockungen und Auflösung stiller Reserven sich ergebende „materielle Unterbilanz“. 84 So schon Busch, AG 1995, 555, 559; Priester, DB 1995, 911; Mayer in Widmann/ Mayer (Fn. 22), § 197 UmwG Rz. 76; Decher in Lutter (Fn. 25), § 197 UmwG Rz. 40; Meister/Klöcker in Kallmeyer (Fn. 22), § 197 UmwG Rz. 26; Trölitzsch, Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998, S. 363; Wälzholz, AG 2006, 469, 473.
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sich die Frage der Tragweite der Rechtsstellung der Gesellschafter als Gründer in §§ 219, 245 UmwG. Schon nach dem Wortlaut ist zweifelhaft, ob die Differenzhaftung als Ausfluss der Rechtsstellung der Gründer angesehen werden kann. Sowohl §§ 9 und 9a GmbHG, als auch §§ 9, 36a, 46 AktG treffen eine rechtssystematisch klare Differenzierung zwischen Einleger- und Gründerhaftung. Schon dies spricht gegen eine Einbeziehung der Inferentenhaftung in die Regelung der §§ 219, 245 UmwG. Vor allem ist aber nicht erkennbar, dass die auf eine umfassende Wahrung des Kapitalaufbringungsgrundsatzes angelegten Verweisungen des UmwG bei der formwechselnden Umwandlung auf das Recht der Zielgesellschaft (§§ 197 Satz 1, 220, 245 UmwG) einen wesentlichen Baustein ausklammern wollten. Sowohl nach dem Wortlaut, als auch der Rechtssystematik kann sich die Einschränkung der Gründerverantwortung beim Formwechsel nur auf die Gründerhaftung nach §§ 9a GmbH, 46 AktG beziehen. Dagegen sind Normadressaten der Differenzhaftung beim Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft alle Gesellschafter85. Beim Formwechsel zwischen Kapitalgesellschaften scheidet dagegen die Differenzhaftung wegen des Grundsatzes der Kontinuität des Nominalkapitals und der rechtlichen Identität der Gesellschaft aus. Die Differenzhaftung kann ein Gesellschafter nach § 207 UmwG durch das Angebot des Erwerbs seines umgewandelten Gesellschaftsanteils durch die Gesellschaft, falls der Erwerb wegen § 33, 31 GmbHG oder § 71 AktG ausgeschlossen ist, durch Ausscheiden aus der Gesellschaft abwenden. Eine Unterbilanzhaftung scheidet beim Formwechsel wegen der Identität des Rechtsträgers dagegen aus86. Für in der Schwebezeit getätigte Rechtsgeschäfte gelten noch das Vertretungsrecht und die Haftungsverfassung der bisherigen Rechtsform. Handeln die Organe des Rechtsträgers im Namen der künftigen Kapitalgesellschaft, trifft sie die Handelndenhaftung nach §§ 11 GmbHG, 41 AktG.
III. Zusammenfassung Die Geltung der Differenz-, Vorbelastungs- bzw. Unterbilanz- und Gründerhaftung bei den Umwandlungsvorgängen: Verschmelzung durch Neugründung, Verschmelzung durch Aufnahme, Spaltung mit einer Kapitalgesellschaft als übernehmende Gesellschaft oder formwechselnde Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft erschließt sich nur bei näherer Analyse. Dies hat seinen Grund in der komplexen, rechtsform-übergreifende und rechtsformspezifische Regelungen umfassenden Regelungs- und Verweisungstechnik des Gesetzes. Daraus entstehen sowohl bei der Eintragung von Umwandlungsvorgängen, an denen überschuldete Rechtsträger oder Rechtsträger beteiligt sind, deren Reinvermögen das Nominalkapital einer GmbH oder AG nicht decken, als auch nach erfolgter Eintragung Rechtsstreitigkeiten. Im letztgenannten Fall stellt sich vor allem die Frage einer persönlichen Haftung der Gesellschafter der
__________ 85 Ebenso Decher in Lutter (Fn. 25), § 197 UmwG Rz. 38; Mayer in Widmann/Mayer (Fn. 22), § 197 UmwG Rz. 64. 86 Vgl. Trölitzsch (Fn. 84), S. 364 ff.; A. Müller (Fn. 9), S. 171 ff. m. w. N.
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Differenz-, Unterbilanz- und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen
übertragenden Gesellschaft für die Kapitalaufbringung der übernehmenden Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht dabei die Geltung der aus §§ 9 GmbHG, 9, 36a AktG folgenden Differenzhaftung. Sowohl für den Fall der Verschmelzung durch Neugründung, wie für den Fall der Verschmelzung durch Aufnahme durch eine GmbH oder AG trifft die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft im Falle der Unterdeckung des Stamm- oder Grundkapitals der übernehmenden Gesellschaft eine proratische Differenzhaftung. Eine differenzierende Behandlung wegen unterschiedlicher Verweisungstatbestände bei §§ 55 (GmbH) und 69 (AG) ist bei genauer Analyse nicht haltbar. Auch bei der Verschmelzung durch Aufnahme durch eine AG gilt der Kapitaldeckungsgrundsatz uneingeschränkt. Bei der Spaltung durch Neugründung oder Aufnahme ist nach Spaltungsarten zu unterscheiden. Bei der Aufspaltung tragen die Gesellschafter die Differenzhaftung uneingeschränkt, bei der Abspaltung haften übertragende Gesellschaft und deren Gesellschafter gesamtschuldnerisch, bei der Spaltung durch Ausgliederung haftet die übertragende Gesellschaft als Inferent alleine. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung einer Unterdeckung ist, entgegen §§ 9 GmbHG, 9, 36a AktG, nicht der Zeitpunkt der Anmeldung, sondern des Vollzugs des Vermögensübergangs, d. h. die den jeweiligen Umwandlungsvorgang abschließende Eintragung. Einschränkungen der Differenzhaftung auf Gesellschafter, die der Verschmelzung bzw. Spaltung zugestimmt haben, sind weder bei der GmbH, noch AG als übernehmender Gesellschaft begründbar und laufen auf einen nicht vertretbaren Vorrang des Minderheitenschutzes vor dem Schutz der Neugläubiger der übernehmenden Gesellschaft hinaus. Die den Ausgangsfall der behandelten Fragestellungen bildende Entscheidung des OLG München und nach Abschluss des Manuskripts ergangene Entscheidung des BGH87 ist daher abzulehnen. Bei der formwechselnden Umwandlung einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft trifft die Differenzhaftung ebenfalls alle Gesellschafter. Die Beschränkungen der Gründerverantwortlichkeit in §§ 219, 245 UmwG bezieht sich nicht auf die Differenzhaftung. Dagegen scheidet die Differenzhaftung bei einem Formwechsel zwischen Kapitalgesellschaften im Hinblick auf § 247 UmwG aus. Für eine Unterbilanzhaftung für Verbindlichkeiten, die nach Beschlussfassung und Anmeldung einer Verschmelzung, Spaltung oder eines Formwechsels entstanden sind, ist kein Raum. Ebenso scheidet eine Gründerhaftung der Gesellschafter bei der Verschmelzung durch Neugründung und Spaltung aus. Bei der formwechselnden Umwandlung beschränkt sie sich auf die Gesellschafter, die dem Formwechsel zugestimmt und schuldhaft die nach §§ 9a GmbHG, 46 AktG den Gründer treffende Pflichten verletzt haben.
__________ 87 Vgl. AG 2006, 209; BGH, AG 2007, 487.
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Zur Einheits-GmbH & Co. KG Kautelarjurisprudenz an ihren Grenzen oder Triumph der Typizität des Atypischen? Inhaltsübersicht I. Die Aufgabe 1. Gestaltungsfreiheit, Typengesetzlichkeit und Einheits-GmbH & Co. KG 2. Tatbestand und Zulässigkeit der Einheits-GmbH & Co. KG 3. Die Sinnhaftigkeit der EinheitsGmbH & Co. KG 4. Einheitsgesellschaft und „Handelsgesellschaft auf Einlagen“ 5. Zwischenergebnis II. Das Instrumentarium 1. Außenverhältnis und Innenverhältnis 2. Das Willensbildungsproblem und das Trennungsdogma
3. Kautelarjuristische Lösungen unter dem Trennungsdogma 4. Zwischenergebnis III. Auf dem Wege zu einem organisationsrechtlichen Durchgriff? 1. Ausweichstrategien 2. Vorwärtsstrategien: Einheitsgesellschaft und organisationsrechtlicher Durchgriff IV. Schluss 1. Zum Dialog zwischen Praxis und Rechtsdogmatik 2. Nachtrag 3. Thesen
I. Die Aufgabe 1. Gestaltungsfreiheit, Typengesetzlichkeit und Einheits-GmbH & Co. KG Harm Peter Westermann hat sich seit seiner im Jahr 1970 erschienenen Habilitationsschrift über „Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften“1 mit der Gestaltungsfreiheit im Personengesellschaftsrecht auseinandergesetzt und dreißig Jahre später in der BGH-Festschrift von 2000 hieran angeknüpft2. Grundlegendes zur GmbH & Co. im Licht der Gestaltungsfreiheit lag aus seiner Feder schon bald nach der Habilitationsschrift vor3. Über den Verlauf dieser sein Wissenschaftlerleben begleitenden Diskussion kann der Jubilar nach nunmehr fast vierzig Jahren zufrieden sein4: Der
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1 Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970. 2 Westermann, Gestaltungsfreiheit im Personengesellschaftsrecht in den Händen des BGH, in FS BGH II, 2000, S. 245 ff. 3 Westermann, Die GmbH & Co. KG im Lichte der Wirtschaftsverfassung, 1973. 4 Vgl. die Ergebnisse bei Westermann in ders., Handbuch der Personengesellschaften, 26. Lfg. Sept. 2000, Rz. I 21 ff.; Aderhold (ebd.), 37. Lfg. Sept. 2006, Rz. I 2025 ff.; zur Rechtsentwicklung auch Karsten Schmidt, GmbHR 1984, 272 ff.
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teils auf die Autorität des Gesetzes gestützte, teils durch paternalistische Vorverständnisse erklärbare Zug vergangener Jahrzehnte zu starren Beschränkungen der Vertragsfreiheit im Personengesellschaftsrecht im Allgemeinen und im Recht der GmbH & Co. KG im Besonderen ist einer pragmatischen Offenheit für Gestaltungsoptionen gewichen. In denselben Jahrzehnten haben Gesetzgebung und Rechtsprechung von der anderen Seite gerade im Recht der GmbH & Co. KG viel an objektiv vorhandenem Umgehungspotential abgebaut, bemerkenswerterweise also ausgerechnet durch die Einführung zwingender Detailregeln5 viel an legitim zu nutzendem allgemeinem Gestaltungsspielraum eröffnet. Auch die hier zu diskutierende Einheits-GmbH & Co. KG ist heute nicht Gegenstand ängstlichen Soupçons – nicht also mehr eine Frage des rechtlichen Dürfens und Könnens –, sondern Gegenstand nüchterner Gestaltungsanalyse. Die heute zu diskutierende Frage lautet: Ist diese Gestaltung als kautelarjuristische Vollendung tragender GmbH & Co.-Architektur einzuschätzen, oder handelt sich die Praxis mit ihr nur neue Gestaltungsprobleme ein? Und wenn das Letztere der Fall sein sollte, so fragt sich alsbald: Wo liegt das Defizit – bei der Einheitsgesellschaft oder bei dem für diese noch nicht reifen Stand des Gesellschaftsrechts? Liegt es, um im Bild zu bleiben, im architektonischen Gedanken, oder müssen die Regeln der Statik korrigiert werden? 2. Tatbestand und Zulässigkeit der Einheits-GmbH & Co. KG a) Unter einer Einheits-GmbH & Co. KG verstehen wir eine Kommanditgesellschaft, deren einzige Komplementärin, eine GmbH, ihrerseits im alleinigen Anteilsbesitz der Kommanditgesellschaft steht. Typischerweise verhält es sich so, dass die Kommanditgesellschaft gewerblich und operativ tätig ist und hierbei durch die GmbH-Komplementärin – und damit durch deren Geschäftsführer – vertreten wird, die sie ihrerseits als Alleingesellschafterin beherrscht6. Die hierin liegende wechselseitige Beteiligung7 führt dazu, dass die Kommanditgesellschaft, ob sie nun „nach oben“ auf ihre Komplementärin oder „nach unten“ auf ihre GmbH-Tochter blickt, jedes Mal dasselbe Subjekt vor sich sieht: die von ihrem Geschäftsführer geleitete GmbH. b) Die Bezeichnung „Einheits-GmbH & Co. KG“ wird auf Heinrich Sudhoff, einen in früheren Jahrzehnten dominierenden Autor der auf mittelständische Unternehmen zielenden Vertragsgestaltungsliteratur8, zurückgeführt9. Dass Sudhoff geradezu ihr Erfinder gewesen wäre, ist zu bezweifeln. Offenbar hatte
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5 Erinnert sei an die §§ 19 Abs. 2, 125a, 129a, 130a, 131 Abs. 2, 172 Abs. 6, 172a, 177a, 264a Abs. 1, 264c HGB, § 19 Abs. 3 InsO, § 4 Abs. 1 MitbestG; auch die Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG auf Ausschüttungen aus dem KG-Vermögen (BGHZ 60, 324; 67, 171; 110, 342) gehört zu diesen zwingenden Regeln. 6 Vgl. statt vieler Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch der GmbH & Co. KG, 19. Aufl. 2005, § 4 Rz. 23. 7 Vgl. Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 10. Aufl. 2005, § 8 Rz. 7; Liebscher in Sudhoff, GmbH & Co. KG, 6. Aufl. 2005, § 3 Rz. 9. 8 Vgl. heute noch in Fortsetzung seiner Tradition Sudhoff (Begründer, Fn. 7). 9 Schilling in FS Barz, 1974, S. 67 mit Hinweis auf Sudhoff, Der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co., 1. Aufl. 1967, S. 47.
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er das Institut bereits vorgefunden10. Heute wird diese Variante der GmbH & Co. KG in den Formularwerken wie bei der Mandantenberatung empfohlen11, ja, geradezu zum Regelmodell der GmbH & Co. mit geschlossenem Gesellschafterkreis erklärt12. Ihre Zulässigkeit wird nicht mehr ernsthaft bestritten13, teilweise in naiver Gesetzeshörigkeit gar aus der in Reaktion auf die Einheitsgesellschaft entstandenen Regeln des § 172 Abs. 6 HGB hergeleitet14. Dessen bedarf es nicht, so bemerkenswert die Zurkenntnisnahme des Tatbestands von Seiten des Gesetzgebers ist. Die Einheits-GmbH & Co. KG wird von Befürwortern als die konsequenteste Fortentwicklung der GmbH & Co. bezeichnet15. Die architektonische Schönheit oder gar Nützlichkeit ihrer labyrinthisch anmutenden Anlage wird gleichwohl unterschiedlich eingeschätzt. Den Jubilar und den Verfasser der vorliegenden Studie verbindet eine bisher eher kritische Sicht. Harm Peter Westermann hat die Einheits-GmbH & Co. KG als „kautelarjuristisches Akrobatenstück“ bezeichnet16, und bei dem Verfasser hat diese „absonderliche Verschachtelung“ den Eindruck hinterlassen, hier sei die „Phantasie der Kautelarjuristen mit den Gestaltungsformen durchgegangen“17. Die Einheitsgesellschaft, so die eigene bisherige Einschätzung, ist „keine wirkliche Vereinfachung, sondern eine hypertrophe Rechtskonstruktion“, die „nicht alle Probleme löst“, vielmehr nur durch neuerlichen „Kraftaufwand … funktionsfähig zu machen“ ist18. Der vorliegende Beitrag wird diese Beurteilung nach dem gegenwärtigen Stand nicht ändern, wird aber der Frage nachgehen, ob es nicht die gesellschaftsrechtliche Dogmatik ist, die diesen notwendigen Kraftaufwand schuldet. Hier soll m.a.W. nicht bloß den vorhandenen Aufsätzen pro oder contra Einheitsgesellschaft ein neuer hinzugefügt werden, sondern die Frage wird sein, ob nicht die Schwierigkeiten im Umgang mit der Einheitsgesellschaft Indizien für Rückständigkeit des Gesellschaftsrechts sind. 3. Die Sinnhaftigkeit der Einheits-GmbH & Co. KG Bekanntlich ist die Rechtskonstruktion der Einheits-GmbH & Co. KG eine Antwort auf die schwierigen Verzahnungsprobleme bei der gesellschafteriden-
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10 Vgl. nur Ippen, Die GmbH & Co. KG als Inhaberin sämtlicher Geschäftsanteile ihrer allein persönlich haftenden Gesellschafterin, 1967. 11 Vgl. nur Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns (Fn. 6), § 4 Rz. 23; Binz/Sorg (Fn. 7), § 8 Rz. 72. 12 Binz/Sorg (Fn. 7), § 8 Rz. 38 ff. (Verzahnung nur noch als „Ersatzlösung“). 13 Vgl. statt vieler nur Überblick über Kritik in älterem Schrifttum Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns (Fn. 6), § 4 Rz. 23. 14 So etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 837; Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 161 HGB Rz. 95; Henze in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, Anh. A nach § 177a HGB Rz. 19; Fleck in FS Semler, 1993, S. 114, 116; Esch, BB 1993, 664; Bahnsen, GmbHR 2001, 186; richtig ist, dass die Vorschrift als Reaktion auf die Einheitsgesellschaft aufgefasst werden muss. 15 Vgl. im Anschluss an Mertens Binz/Sorg (Fn. 7), § 8 Rz. 6, 72. 16 Westermann, ZRP 1972, 93, 98; ders. in FS BGH II (Fn. 2), S. 245, 271. 17 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1637. 18 Ebd., S. 1637 f.
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tischen GmbH & Co. KG. Während bei der GmbH & Co. ohne Gesellschafteridentität – nicht selten eine Publikumsgesellschaft – die Innenbalance durch das Gegeneinander von Leitungszentrum (GmbH) und Mitunternehmerkreis (KG) geschaffen wird, besteht bei der gesellschafteridentischen GmbH & Co. KG das ganze Bemühen darin, Beteiligungen und Stimmrechte in beiden Gesellschaften quotengleich in Balance zu halten19. Dazu braucht zunächst nur jeder Kommanditist eine quotenidentische GmbH-Beteiligung zu übernehmen. Zur Balance der Stimmrechte wird in den KG-Gesellschaftsvertrag eine dem GmbH-Recht entsprechende Regelung über Mehrheitsbeschlüsse eingeführt20 und die GmbH von der Kapitalbeteiligung an der KG ausgeschlossen21. Insbesondere durch Anteilsvinkulierungen und Einziehungsklauseln wird sodann dafür gesorgt, dass dieses Gleichgewicht auch über Veräußerungsgänge und Erbfälle hinweg erhalten bleibt22. Das ist ein die Gesellschaft immer wieder belastendes Gleichgewichtsmodell: gedanklich einfach, jedoch im Vollzug kompliziert, vor allem bei Erbfällen23. Die hiermit verbundene Last entfällt, wenn durch die Einheitsgestaltung die GmbH-Beteiligung ein für allemal kollektiv im KG-Vermögen gehalten wird und der direkten Zuordnung bei den einzelnen Kommanditisten entzogen ist. Vermögenstransfer unter Lebenden oder von Todes wegen findet nur noch hinsichtlich der ja auch wirtschaftlich allein interessierenden Kommanditanteile statt. Das kommt den Gesellschafterinteressen entgegen, scheint alle Verzahnungsprobleme obsolet zu machen. Kein Wunder also, dass die Einheitsgesellschaft schon als die zu Ende gedachte GmbH & Co. KG bezeichnet und als Regelmodell der verzahnten GmbH & Co. KG angepriesen wird24, neben der die klassische Personenidentität der Gesellschafterkreise wie ein vierschrötiges Provisorium dasteht25. Wenn es dabei bleibt, ist die Einheitsgesellschaft im Vergleich zur verzahnten GmbH & Co. eine hochtechnologische Umkehrung der gewohnten Arbeitsteilung: konstruktiv hoch kompliziert, jedoch im Alltagsgebrauch einfach wie ein Fertighaus. a) Die spezifischen Vorteile der Einheitsgesellschaft werden in folgenden Punkten gesehen: – Die Verzahnung der Beteiligungen ist nicht mehr nötig, denn an der Komplementär-GmbH ist (1.) kein Dritter, aber unmittelbar auch (2.) kein Kom-
__________ 19 Hoppe in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns (Fn. 6), § 3 Rz. 1 ff.; Karsten Schmidt, Steuerrecht und Gesellschaftsrecht als Gestaltungsaufgabe, in Freundesgabe für Franz Josef Haas, 1996, S. 313 ff. 20 Vgl. über Mehrheitsklauseln in der GmbH & Co. KG Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 205 ff. 21 Über die Komplementär-GmbH als Gesellschafterin ohne Kapitalanteil vgl. statt vieler Binz/Sorg (Fn. 7), § 4 Rz. 24 ff. 22 Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns (Fn. 6), § 3 Rz. 13 ff. 23 Die Schwierigkeit resultiert aus der unterschiedlichen Rechtszuordnung im Fall einer Erbengemeinschaft; vgl. zur Folgenbewältigung Lüke in Hesselmann/Tillmann/ Mueller-Thuns (Fn. 6), § 3 Rz. 15 f. 24 Vgl. Fn. 12. 25 Binz/Sorg (Fn. 7), § 8 Rz. 38 ff.
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manditist, dafür aber (3.) mittelbar jeder Kommanditist nach Maßgabe seines Festkapitalanteils beteiligt26. – Vorkehrungen zur Kontrolle von Anteilsübertragungen, -pfändungen usw. (Vinkulierungs- und Ausschließungsklauseln) sind nur bezüglich der Kommanditanteile erforderlich27. – Damit entfallen auch die vor allem bei Erbfällen sonst schwer vermeidbaren, insbesondere mit der unterschiedlichen Rechtszuordnung des vererbten GmbH- und Kommanditanteils bei einer Mehrheit von Erben entstehenden Schwierigkeiten28. – Der Beurkundungszwang bei Anteilsübertragungen (§ 15 GmbHG) – bei einer durch Gesellschafteridentität verzahnten GmbH & Co. KG unvermeidlich! – entfällt, weil nur über Kommanditanteile verfügt wird29. – Änderungen des Gesellschaftsvertrags können sich in aller Regel auf die Kommanditgesellschaft konzentrieren und lassen die GmbH-Satzung, soweit irgend vermeidlich, unberührt30. – Ganz nebenbei entfallen auch die grotesken Rechenexempel und Kapitalerhöhungen, mit denen bei vorweggenommener Erbfolge und bei Erbteilungen die Stammeinlage jedes Gesellschafters durch 50 teilbar bleibt (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG)31. b) Zu bestreiten sind demgegenüber andere angebliche Vorteile, die gleichfalls zugunsten der Einheits-GmbH & Co. KG geltend gemacht werden: – Die Beschlussmehrheiten seien in beiden Gesellschaften unterschiedlich (§ 47 Abs. 1 GmbHG gegenüber § 119 HGB)32. – Die Unternehmensführungskompetenz der Komplementär-GmbH und ihrer Gesellschafter gegenüber den von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Kommanditisten werde vermieden33. Dies sind keine spezifischen Vorteile der Einheitsgesellschaft, denn in der typischen, durch Gesellschafteridentität verzahnten GmbH & Co. KG wird das
__________ 26 Binz/Sorg (Fn. 7), § 8 Rz. 2; Karsten Schmidt in Freundesgabe Haas (Fn. 19), S. 313; Esch, BB 1991, 1129; Jorde/Götz, BB 2005, 2718, 2719; Werner, DStR 2006, 706. 27 Vgl. statt vieler Binz/Sorg (Fn. 7), § 8 Rz. 2. 28 Dazu etwa Esch, BB 1991, 1129, 1131; Gonnella, DB 1965, 1165; Mertens, NJW 1966, 1049, 1052; Simon, DB 1963, 1209; vollends schwierig war bis zu dem Urteil BGHZ 108, 187 = NJW 1989, 3152 die Verzahnung im Fall der Testamentsvollstreckung (die zuvor nur für den GmbH-Geschäftsanteil anerkannt worden war). 29 Binz/Sorg (Fn. 7), § 8 Rz. 4; Grunewald in MünchKomm.HGB (Fn. 14), § 161 HGB Rz. 95; Binz/Mayer, NJW 2002, 3054, 3061; Werner, DStR 2006, 706. 30 Esch, BB 1991, 1129, 1131. 31 Zur Kritik hieran vgl. Michalski/Zeidler, GmbHG, 2002, § 5, Rz. 56; das MoMiG (GmbH-Reform 2007) soll diese Schwierigkeit minimieren (Teilbarkeit durch ganze Euro), wird sie allerdings nicht ganz beheben. 32 Esch, BB 1991, 1129, 1130. 33 Esch, BB 1991, 1129, 1130.
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Kommanditistenstimmrecht ebenso gewährleistet wie die Weisungsbefugnis der Kommanditisten34. c) Als Vorteil wurde der mittelständischen Wirtschaft bisweilen die angebliche Mitbestimmungsfreiheit der Einheits-GmbH & Co. KG angepriesen35. Die vermeintliche Lücke im Mitbestimmungsrecht hängt mit der angreifbaren36 Konzeption des § 4 MitbestG zusammen, der bei der GmbH & Co. den mitbestimmten Aufsichtsrat nicht bei der unternehmenstragenden Kommanditgesellschaft ansiedelt, sondern bei der GmbH, und auch dies nur, wenn die Mehrheit der Kommanditisten, nach Stimmrechten berechnet, die Mehrheit der Anteile an der GmbH hat. Dass dieser Tatbestand bei der gesellschafteridentischen GmbH & Co. KG, nicht aber bei der Einheits-GmbH & Co. KG erfüllt ist, ist rasch zu erkennen. Unverkennbar ist aber auch, dass dies nur ein klassischer Analogiefall sein kann37. So einfach ist der Mitbestimmung nicht zu entkommen. Doch bleiben genügend organisationsrechtliche Vorteile, um die Einheitsgesellschaft als attraktiv erscheinen zu lassen, immer jedoch vorausgesetzt, dass diese Gestaltung zur Vereinfachung und nicht zur Verkomplizierung der gesellschaftsrechtlichen Rechtsverhältnisse führt. 4. Einheitsgesellschaft und „Handelsgesellschaft auf Einlagen“ a) Rechten Sinn hat die Zulassung der Einheits-GmbH & Co. KG nicht schon deshalb, weil das geltende Gesellschaftsrecht eine solche Rechtskonstruktion nicht verhindern kann. Sinn hat sie nur, wenn mit ihr auch das erreicht wird, was sich die Praxis von ihr erhofft, und zwar auf einfachere Weise als mit der personenidentischen GmbH & Co. Fragt man nun, was eigentlich die ökonomischen und organisationsrechtlichen Ziele dieser Gestaltung sind, so stößt man auf die folgenden: – Die Gesellschaft soll Personengesellschaft sein, denn sonst wäre ja eine GmbH zweckmäßiger (die für eine Personengesellschaft sprechenden Gründe sind häufig steuerrechtlicher Art). – Die Komplementär-GmbH, im Außenverhältnis unentbehrlich, soll im Innenverhältnis „nicht stören“, vielmehr nur den gesetzlichen Haftungsstatus der Kommanditisten gewährleisten (was ohne Komplementär nun einmal nicht geht) und den Geschäftsführer zur Verfügung stellen.
__________ 34 Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511 ff. 35 So noch Hennerkes/Binz, GmbH & Co., 7. Aufl. 1984, S. 416 f., 251 ff. 36 Zur Kritik Raiser, MitbestG, 4. Aufl. 2002, § 4 MitbestG Rz. 3; Martens, ZHR 138 (1974), 179, 223 f. 37 Vgl. statt vieler OLG Celle, BB 1979, 1577; OLG Bremen, DB 1980, 1332; Binz/Sorg (Fn. 7), § 14 Rz. 68; Raiser (Fn. 36), § 4 MitbestG Rz. 13; Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestG, 2. Aufl. 2006, § 4 MitbestG Rz. 17.
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– Die Gesellschaft soll, soweit gesetzlich möglich, als eine Einheit funktionieren, also als eine atypische Personengesellschaft mbH, nicht als eine aus zwei Organisationen zusammengesetzte Vielheit. – In dieser Einheit steht der Geschäftsführer als Fremdorgan den Kommanditisten als Gesellschaftern gegenüber (was eine Personalunion zwischen Anteilsteilhabe und Geschäftsführerstellung ebenso wenig ausschließt wie bei der GmbH). – Die Gesellschaft soll also wie eine Kommanditgesellschaft mit Fremdorgan funktionieren, bei der eine bloße Haftungsmasse an die Stelle des Komplementärs tritt. – Die GmbH fungiert nur als ein der Gewährleistung dieser Haftungsmasse und der Zurverfügungstellung durch Vertrag oder Beschluss zu bildenden Fremdorgans dienendes Konstrukt und ist sonst ohne organisationsrechtliche Bedeutung. b) Im Ergebnis erinnert die Einheitsgesellschaft damit an den vor Jahrzehnten vom „Arbeitskreis GmbH-Reform“38 vorgelegten, von Westermann seinerzeit kritisierten39 und vom Gesetzgeber nicht aufgegriffenen Entwurf einer „Handelsgesellschaft auf Einlagen“. Dieser Entwurf wollte das Provisorium der GmbH & Co. KG durch Zulassung einer Kommanditgesellschaft ohne Komplementär überwinden und das nur um der Form willen fortgeschleppte Konstrukt einer ausgewachsenen GmbH-Komplementärin durch ein neben die Kommanditistenhaftung tretendes gebundenes Haftungskapital ersetzen40. Und siehe da: Wer die Einheits-GmbH & Co. KG als das de lege lata zu Ende gedachte Modell der GmbH & Co. KG bezeichnet41, sollte kleinmütig zugestehen, dass dann die rechtspolitisch zu Ende gedachte GmbH & Co. KG zur „Handelsgesellschaft auf Einlagen“ führen muss, während die Einheitsgesellschaft nur als ein kautelarjuristischer, immer noch provisorischer Schritt hin zu dieser vom Gesetzgeber nicht angebotenen Rechtsform erscheint42. Denn auch auf die Einheitsgesellschaft passen ja folgende Feststellungen: – Es geht um eine Personengesellschaft, an deren Vermögen und Willensbildung nur die Kommanditisten beteiligt sein sollen.
__________ 38 Mitglieder waren die Professoren Hueck, Lutter, Mertens, Rehbinder, Ulmer, Wiedemann und Zöllner. 39 Westermann