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German Pages 344 Year 1970
KARL HOLL ENTHUSIASMUS U N D BUSSGEWALT BEIM G R I E C H I S C H E N M Ö N C H T U M
KARL HOLL
Enthusiasmus und Bußgewalt beim griechischen Mönchtum Eine Studie zu Symeon dem neuen Theologen
Q 1969
G E O R G OLMS
VERLAGSBUCHHANDLUNG HILDESHEIM
D i e Originalvorlage befindet sich im Besitz der Universitätsbibliothek Marburg. Signatur: X I X d C 1551°
Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1898 Mit Genehmigung des J. C. Hinrichs Verlages, Leipzig. Printed in Germany Herstellung: fotokop wilhelm weihert, Darmstadt Best.-Nr. 5102 383
ENTHUSIASMUS UND BUSSGEWALT BEIM
GRIECHISCHEN MÖNCHTI M EINE
STUDIE ZU
SYMEON DEM NEUEN THEOLOGEN VON
Lie. DR. K A R L HOLL P R I V A T D O Z E N T D E R T H E O L O G I E IN B E R L I N
LEIPZIG J. C. HINEICHS'SCHE BUCHHANDLUNG 1898
Vorwort. Bei den Studien, die ich anlässlich meiner Arbeit über die Sacra parallela machte, stiess ich auf die im Folgenden behandelte Schrift. Der Gegenstand fesselte mich im höchsten Masse; Schritt ftir Schritt bin ich weitergeführt worden und nur schwer konnte ich mich entschliessen, da innezuhalten, wo ich notgedrungen stehen bleiben musste. Es ist mir erst an dieser Schrift klar geworden, welche Bedeutung der Enthusiasmus für das Mönchtum und das Mönchtum für die Fortpflanzung des Enthusiasmus gehabt hat. Der Gegensatz zwischen Amt und Geist ist nicht verschwunden, als sich die festen Formen einer Verfassung in der Kirche herausbildeten. Das Mönchtum hat ihn neu belebt und die Kirche hat ihn verewigt, indem sie das Mönchtum anerkannte. Die Reibung zwischen dem selbständigen Geist im Mönchtum und der Ordnung der Kirche ist eines der wichtigsten Momente in der inneren Entwicklung der Kirche. Ungern habe ich darauf verzichtet, auch im Abendland diese Geschichte zu verfolgen. Der Prozess ist dort lebendiger und interessanter, weil der Widerstand des Kirchenregiments energischer ist. Ich musste dies bei Seite lassen, da ich, durch andere Pflichten gebunden, sonst den Abschluss der Arbeit auf unabsehbare Zeit hätte hinausschieben müssen. Auch innerhalb des Gebiets, auf das ich mich beschränkte, habe ich mir Entsagung auferlegen müssen. Es lag mir daran, gewisse Zusammenhänge aufzuzeigen und ich hielt es für nötig, die hauptsächlichsten Beweisstellen ausführlich mitzuteilen. Bekanntes habe ich darum so kurz wie möglich behandelt und aus dem Material nur dasjenige vorgelegt, was mir das Bezeichnendste zu sein schien. Dass man beim Durchwandern eines so weiten Gebiets viele Blumen am Wege stehen sieht, die man nicht pflücken kann, dass viele
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Seitenwege sich öffnen, die man nicht gehen darf, das sind wohl Erfahrungen, die nicht ich allein gemacht habe. Zur Handschriftenbeschreibung auf S. 34 habe ich noch eine Kleinigkeit nachzutragen. Omont giebt für den Par. suppl. gr. 103 280 Blätter an, während dort der bis f. 255 y reichende Quaternio als letzter bezeichnet ist. Die Differenz rührt daher, dass bei Omont auch Blätter mitgezählt sind, die ursprünglich zu einem andern codex gehörten und nur jetzt im selben Einband mit dem uns angehenden Werk vereinigt sind. Schliesslich ist es mir noch eine angenehme Pflicht, den Bibliotheksverwaltungen in Paris, Venedig, München und Cambridge, speziell den Herren, Herrn Direktor von Laubmann in München, Mr. Robert Sinker und Mr. Henry Jackson in Cambridge den geziemenden Dank auszusprechen. Ohne das grosse Entgegenkommen, das ich hier gefunden habe, wäre es mir nicht möglich gewesen, die Grundlage für meine Arbeit zu gewinnen. B e r l i n , den 23. März 1898.
Karl Holl.
Inhaltsverzeichnis. L Die dein Johannes Daniascenus zugeschriebene èitiatoXri
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Qtvoewg, ihr -wirklicher Verfasser und seine Theologie. Die epistola auch unter einem andern Namen überliefert S. 1 f. S y m e o n d e r n e u e T h e o l o g e : seine vita, deren Verfasser und historischer Wert S. 3—7; das Leben Symeon's S. 7—22; Chronologie S. 23—2G. Symeon's Schriftstellerei S. 26—36; die Angaben der vita S. 26— 29; die handschriftliche Überlieferung S. 29—36. Die T h e o l o g i e S.'s S. 36—103. Seine Offenbarungen und seine persönliche Heilserfahrung S. 38—49; seine Beschreibung des Heilswegs S. 49—72; der Heilsbesitz und die Heilsgewissheit S. 72—89; Gnade und Freiheit S. 89—92; die Idee des Reiches Gottes S. 92—96; zur Beurteilung S. 96—103. S.'s Stellung zum Dogma und zur Kirche S. 103—106. Die e p i s t o l a de c o n f e s s i o n e : handschriftliche Überlieferung S. 106—109; Text S. 110 bis 127; Inhaltsangabe S. 128—132; Sicherstellung der Abfassung durch Symeon S. 132—136; die durch den Inhalt der epistola angeregten Fragen S. 136 f.
II. Der Enthusiasmus im griechischen Mönchtum. Vorfragen S. 138—141. Das Ideal des Mönchtums nach der v i t a A n t o n i i S. 141—148; die Verknüpfung des Enthusiasmus mit diesem Ideal S. 148—152; der Charakter des mönchischen Enthusiasmus und seine Fähigkeit, nach aussen zu wirken S. 153—155. Das Ideal des B a s i l e i os: Verhältnis zum anachoretischen Ideal S. 156 bis 162; der Enthusiasmus im Ideal des Basileios S. 162—166; Mönchsgemeinschaft und Kirche S. 166—170. Das Mönchtum in P a l ä s t i n a : Bedeutung des heiligen Landes im 5. und 6. Jahrh. S. 171 f.; friedliches Verhältnis zwischen beiden Formen des Mönchtums, Vorrang des Anachoretentums S. 172—178; Fortleben des Enthusiasmus S. 178—186; der Enthusiasmus und die Volksfrömmigkeit S. 186—191. Das Mönchtum im byzantinischen Reich v o n d e r Z e i t d e r A r a b e r i n v a s i o n b i s z u m U n t e r g a n g d e s R e i c h s : der Einfluss der neuen Verhältnisse auf die Stellung des Mönchtums S. 191—193; der Fortbestand der Lauren und des Anachoretenlebens S. 193—198; Tendenz zum Anachoretentum in den Könobien S. 198—202; Fortleben und Fortwirken des Enthusiasmus S. 202—205; veränderter Charakter des Enthusiasmus in dieser Periode, Einfluss des Dionysios Areopagites S. 205—211; das
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Schauen des Lichts und die Bedeutung Symeon's des Theologen S. 211 bis 214; die Hesychasten S. 214—224.
III. Die Binde- and Lösegewalt des Mönchtums. Das Ideal der christlichen Vollkommenheit und die Auffassung von Sünde und Busse im Orient S. 225—227; die Idee einer praktisch-seelsorgerlichen Wirksamkeit des Vollkommenen an den Schwächeren bei K l e m e n s S. 227—230; der Begriff der Binde- und Lösegewalt bei O r i g e n e s S. 230—233; Anerkennung der faktischen Ausübung der Gewalt durch das Amt, aber gleichzeitige Empfehlung einer nebenhergehenden geistlichen Thätigkeit auktoritativer Persönlichkeiten S. 233—238; der verhüllte Widerspruch in der Anschauung des Orígenes S. 238 f. Die k i r c h l i c h e B u s s d i s z i p l i n ; die Verschiedenheit ihrer Handhabung im Orient: die Bussdisziplin nach den a p o s t o l i s c h e n K o n s t i t u t i o n e n S. 240—245; das System der B u s s s t a t i o n e n S. 245— 246; die Institution des B u s s p r i e s t e r s S. 246—253. — Die Berücksichtigung der kleineren Sünden in der kirchlichen Disziplin S. 254—257. — M ä n g e l der kirchlichen Bussdisziplin S. 257 f. Die Disziplin innerhalb des M ö n c h t u m s : tiefere Anschauung von Sünde und Zucht im Mönchtum von Anfang an heimisch S. 258—261; die Einführung der Beichte durch Basileios S. 261—268. — Der Einfluss der mönchischen Disziplin auf die Kirche beschränkt sich zunächst auf eine Korrektur der herrschenden sittlichen Anschauungen, ohne dass eine Umgestaltung der Praxis der Bussdisziplin erfolgte, S. 268—273. Die A u f r e c h t e r h a l t u n g der ö f f e n t l i c h e n k i r c h l i c h e n Bussd i s z i p l i n bis zum Untergang des oströmischen Reiches: die Aufhebung des Busspriesteramts nicht von einschneidender Bedeutung S. 274—275; positive Beweise für den Fortbestand der öffentlichen Disziplin; die Entwicklung der kirchenrechtlichen Literatur S. 277—279; Beweise aus einzelnen Thatsachen S. 280—288; der Reformversuch des Nesteutes S. 289 bis 298; seine Abwehr durch die offizielle Kirche S. 298—301. Das Aufkommen der B e i c h t e : keine gesetzlich festgelegte Beichtpflicht in der griechischen Kirche bis zum Untergang des Reichs S. 301 bis 308; Seltenheit der Empfehlung der Beichte in der Predigt S. 308 bis 310; Mangel der moralischen Auktorität beim Priester S. 311. — Ü b e l g r e i f e n des Mönchtums auf das kirchliche Gebiet: Voraussetzung dafür, das Selbstbewusstsein des Mönchtums, die Disziplin (zunächst innerhalb seines eigenen Kreises) souverän ordnen zu können, S. 312—314; Anziehungskraft dieser Disziplin für Laien; Beispiele der Beichte von Weltleuten bei Mönchen S. 314—318; Anerkennung der Thätigkeit des Mönchtums seitens der offiziellen Kirche S. 319—322. — Die A l l e i n h e r r s c h a f t des M ö n c h t u m s von der Zeit des Bilderstreits bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts S. 322—326. O p p o s i t i o n gegen das Vorrecht der Mönche von Seiten der Kanonisten S. 326—328; entscheidender Umschlag bei der Verwandlung der Busse in ein Sakrament S. 328—330; Fortdauer der bevorzugten Stellung der Mönche im kirchlichen Leben S. 330 f.
I. Die dem Johannes Damascenus zugeschriebene èmoTolrj
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ihr wirklicher Verfasser und seine Theologie. Unter den Werken des Johannes Damascenus steht bei Lequien eine Schrift, die es verdient, der Vergessenheit, in die sie geraten ist, entrissen zu werden: die sogenannte epistola de confessione (Ioannis Damasceni opp. I, 598—610). Lequien hat die Schrift nicht einem der von ihm benutzten codices des Johannes Damascenus entnommen; der Text war ihm aus England von dem decanus Eboracensis Thomas Gale (f 1702, dean of York seit 1697) übersandt worden und Lequien nahm den Beitrag des berühmten Gelehrten in seine Ausgabe auf, obwohl er sich von der Echtheit des Stücks nicht überzeugen konnte. Den Inhalt der epistola bildet die Erörterung der Frage: ei aga èvóéyexai elq (¿oväCovzag rivag ègayyétàeiv rag àfiagriag avxcöv IsQmövvtjv firj exovzag. Der Verfasser, der nach der Uberschrift Johannes Damascenus sein soll, protestiert energisch gegen die Meinung, als ob die Priesterwürde die Fähigkeit zum Binden und Lösen verleihe; er erklärt das Recht, Sünden zu vergeben, für eine lediglich von der persönlichen Würdigkeit, von der persönlichen Stellung zu Gott abhängige Befugnis. Die kritische Frage, ob eine Schrift dieses Inhalts wirklich von dem Vorkämpfer der Orthodoxie herrühren könne, bewegt sich auf einem Gebiete, das zu Lequien's Zeit schon gründlich bearbeitet war. Ich erinnere nur an die Namen: Bellarmin, Petau, Morin, Daillé, Boileau, Thomassin. Lequien war daher darüber unterrichtet, dass unser Verfasser mit seiner Ansicht in der griechischen Kirche nicht alleinsteht. Trotzdem und obwohl er — allerdings durch eine falsche Lesart verleitet: er stützt sich p. 599 auf die Worte IEQOVQyolg yàg xal (lóvoig avrò ovyxsxcÓQfjrai — dem Brief in der H o l l , Symeon.
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Hauptsache eine „benigna interpretatio" angedeihen liess, konnte Lequien sich nicht dazu entschliessen, die epistola als ein echtes Werk des Johannes Damascenus anzuerkennen. Triftiges vermochte er freilich für die Ablehnung des in der Überschrift genannten Autors nicht vorzubringen; seinen Einwänden gegenüber hätte sich mancherlei zur Verteidigung des in der Handschrift überlieferten Verfassernamens ins Feld führen lassen. Indessen es verlohnt sich nicht, sich mit Lequien ausführlich auseinanderzusetzen. Bei seiner Kritik ist ihm die wichtige Thatsache verborgen geblieben, dass die epistola de confessione auch unter einem anderen Namen läuft. Es wäre Lequien möglich gewesen, darauf aufmerksam zu werden. Denn eine Angabe, von der aus man weiter kommen konnte, fand sich schon in Leo Allatius' de Symeonum scriptis diatriba, Parisiis 1664. Allatius giebt in diesem Werk unter anderem (p. 153 ff.) Nachträge zu J: Pontanus' Ingolstadt 1603 erschienener Ausgabe der Werke S y m e o n ' s , des praefectus monasterii S. Mamantis '). Allatius zählt eine lange Reihe von Schriften auf, die Pontanus nicht gekannt, er jedoch in variis manuscriptis codicibus bemerkt hätte und unter diesen steht als nro LXII: JCSQL e^ofioXoyrjCscog jtgoq riva yga' 'èva 'èxaoxov Tjftmv èv óixaioovvy xaì yvcóoei xaì ¿Xrj&eia. xavxtjv xocyaQovv Xtyu Cflxslv xrjv ßaOiXriav i)tuäg. or. 13 (Mi. 378C) C f. 51 r siisi ós ßaatXeiag lóicofia èoxiv xò xoieloO-ai jtQovoiav, mv ßaoiXsla èoxiv, jtoielxai xaì ò frsòg xovxcov ¿xavxcov JTQÓvoiav; aber weil die vernünftigen Geschöpfe dazu bestimmt sind, Gott zu erkennen und ihm zu danken, ßaOiXevg rnv xrjg oXrjg xxtOecog o &eog [iovre;J G ¿xri&éfitvoi | 13 ffyovv nTcu/eia^J CC 1 C | 14 vor xa&tùq G + xal \ napaßoXtxwqJ OC 1 < | 15 (ptjolvi G tptjol \ 16