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German Pages 364 Year 2019
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 355
Die Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Rentenalters Zur Systematik der Befristungskontrolle am Beispiel der Befristung nach Erreichen des Rentenalters im Spannungsfeld von Unionsrecht und nationalem Recht
Von
Katja Chandna-Hoppe
Duncker & Humblot · Berlin
KATJA CHANDNA-HOPPE
Die Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Rentenalters
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn
Band 355
Die Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Rentenalters Zur Systematik der Befristungskontrolle am Beispiel der Befristung nach Erreichen des Rentenalters im Spannungsfeld von Unionsrecht und nationalem Recht
Von
Katja Chandna-Hoppe
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany
ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-15702-0 (Print) ISBN 978-3-428-55702-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85702-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Die arbeits- und sozialrechtliche Ausgestaltung der Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters steht im Kontext der rechtlichen Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Während die Phase der Erwerbstätigkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze lange Zeit nicht spezifisch geregelt wurde, sind in den letzten Jahren verschiedene arbeits- und sozialrechtliche Regelungen sowie höchstrichterliche Entscheidungen ergangen. Diese Entwicklungen greift die vorliegende Arbeit auf, die im Sommersemester 2018 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen wurde. Sie ist während meiner Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Professor Dr. Raimund Waltermann an der Universität Bonn entstanden. Die vorliegende Arbeit ordnet die geltende Befristungsregelung für Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters in die Systematik des nationalen und unionsrechtlichen Befristungsrechts ein und analysiert sie im Hinblick auf das Ziel einer langfristigen und systemkonformen Ausgestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Rechtsprechung und Literatur konnten bis März 2019 berücksichtigt werden. An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei meinem Doktorvater und akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Raimund Waltermann, für die Betreuung meiner Dissertation bedanken. Bedanken möchte ich mich bei ihm auch für den steten fachlichen Austausch, seinen umfassenden Rat und die vielen wissenschaftlichen Freiräume, Chancen und Möglichkeiten, die ich während meiner Promotionszeit erhalten habe. Herrn Professor Dr. Stefan Greiner danke ich sehr herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens zur Dissertation. Weiterhin bedanke ich mich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes und dem Maria von Linden-Programm der Universität Bonn für die Förderung meiner Promotion durch ein Promotionsstipendium. Ebenfalls danke ich der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung und dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft für die Förderung der Drucklegung dieser Arbeit durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Den Herausgebern der Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht danke ich für die Aufnahme meiner Dissertation in diese Schriftenreihe. Ich möchte mich auch bei meiner Familie und meinen Freunden für die große persönliche Unterstützung während der Promotionszeit bedanken. Ganz besonders danke ich meinem Mann, Dr. Rajiv Chandna, für die vielen ausführlichen
Vorwort
8
Gespräche, das Korrekturlesen dieser Arbeit und sein großes Vertrauen in mich. Meinen Eltern, Dr. Annette und Professor Dr. Bernhard Hoppe, danke ich für ihr lebhaftes Interesse an meinem Dissertationsthema und für ihre umfassende Förderung auf meinem bisherigen Lebensweg. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Bonn, im März 2019
Katja Chandna-Hoppe
Inhaltsübersicht Kapitel 1
Einführung 27
A. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Forschungsfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Gang der Untersuchung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Kapitel 2
Altersgrenzen und die arbeitsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit im Rentenalter 38
A. Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 C. Schlussfolgerungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Kapitel 3
Einordnung der Befristung im Rentenalter in die Systematik des Befristungsrechts 71
A. Die richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 B. Gesetzgebung zum Befristungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 C. Systematik des Befristungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter mit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 E. Implikationen für die nationale Rechtsprechung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 F. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Kapitel 4
Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter mit dem Gleichbehandlungsrecht 163
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 C. Diskriminierung wegen des Alters durch § 41 S. 3 SGB VI .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 E. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
10
Inhaltsübersicht Kapitel 5
Ausgestaltung der Weiterarbeit in anderen europäischen Rechtsordnungen am Beispiel von Großbritannien 215
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 B. Rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 C. Das Verbot der Altersdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 E. Schlussfolgerungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Kapitel 6
Ökonomische Folgenbewertung 253
A. Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 B. Relevante ökonomische Folgen der Weiterarbeit im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 C. Folgenermittlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 D. Folgenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 E. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Kapitel 7
Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter 280
A. Kündigungsschutzrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 B. Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 C. Befristungsrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 D. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Kapitel 8
Ergebnis und Ausblick 323 Kapitel 9
Thesen 325
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Sachverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung 27 A. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I.
Gründe für die Weiterarbeit im Rentenalter auf Arbeitnehmerseite .. . . . . . . 28
II.
1. Demografischer Wandel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Niedrige Altersrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Persönliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Verbesserter Gesundheitszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Gründe für die Weiterbeschäftigung auf Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Forschungsfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Kapitel 2
Altersgrenzen und die arbeitsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit im Rentenalter 38
A. Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I.
Anforderungen an die Wirksamkeit allgemeiner Altersgrenzen . . . . . . . . . . . 39
1. Sozialrechtliche Regelaltersgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Befristungsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Verfassungsrechtliche Anforderungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4. Europarechtliche Anforderungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I.
Unbefristete Weiterbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
II.
Freie Mitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
III. Arbeitnehmerüberlassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 IV. Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Sachgrundlose Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Sachgrundlose Befristung älterer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Sachgrundbefristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Inhaltsverzeichnis
12
a) Vorübergehender Bedarf (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG) .. . . . . . . . . . 50 b) Vertretung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Gründe in der Person des Arbeitnehmers (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Befristungsgrund „Rentenalter“ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) Urteil des LAG Berlin-Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (2) Urteil des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (3) Stellungnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Befristung auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI .. . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Gesetzgebungshistorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Voraussetzungen der befristeten Weiterbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Anwendungsbereich der Vorschrift .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Anwendung des TzBfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (1) Schriftform .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (2) Anrufung des Arbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (3) Sonstige Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (4) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 cc) Grenzen der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (1) Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . 60 (2) Änderung des Inhalts des Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (3) Anzahl der zulässigen Verlängerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 dd) Kollektivarbeitsrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (1) Tarifdispositivität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (2) Mitbestimmung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Sozialrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Rentenversicherungsbeiträge bei Inanspruchnahme der Regelaltersrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (1) Isolierter Arbeitgeberanteil .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Stellungnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Rentenversicherungsbeiträge bei hinausgeschobenem Rentenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 cc) Arbeitslosenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 dd) Hinzuverdienstgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 C. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Kapitel 3
Einordnung der Befristung im Rentenalter in die Systematik des Befristungsrechts 71
A. Die richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I.
Die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Inhaltsverzeichnis II.
13
Erlass des KSchG und frühe Rechtsprechung des BAG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
III. Die Entscheidung des Großen Senats .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1.
Herleitung der richterrechtlichen Befristungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Abweichende Begründungsansätze in der Literatur .. . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Voraussetzungen der Sachgrundbefristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Anwendungsbereich der Befristungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 IV. Anwendung der Grundsätze auf die Befristung nach Erreichen des Rentenalters .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 B. Gesetzgebung zum Befristungsrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
II.
Die Befristungsrichtlinie 1999/70/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
1. Gesetzgebung und Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Anwendungsbereich der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Vorgaben des § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Konkretisierung des Sachgrundbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Grundsatz der autonomen Auslegung unionsrechtlicher Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Weitere Sprachfassungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Rechtswirkung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Sachgrundbefristungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Sachgrundlose Befristungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Sachgrundlose Befristung gemäß § 14 Abs. 2, Abs. 2a TzBfG . . . . . 92 b) Sachgrundlose Befristung älterer beschäftigungsloser Arbeitnehmer gemäß § 14 Abs. 3 TzBfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Die Rechtssache Mangold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Die Rechtssache Kumpan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Gesetzliche Änderung des § 14 Abs. 3 TzBfG . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 IV. Auswirkungen der Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 C. Systematik des Befristungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I.
II.
Ziele der Systembildung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Äußeres System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Inneres System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Grundsätze der Sachgrundbefristung in der Rechtsprechung von EuGH und BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Inhaltsverzeichnis
14
1. Adeneler und Angelidaki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter .. . . . 104 2. Kücük .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Hintergrund der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Grundsätze des EuGH-Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Neuorientierung des Befristungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 d) Verbleibende Fragestellungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Fehlende inhaltliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Ableitung des Kriteriums „vorübergehender Bedarf“ . . . . . . . . 109 e) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Die Rechtsmissbrauchskontrolle in der Rechtsprechung des BAG . . . . 110 a) Fragestellungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Rechtssicherheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Dogmatische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Márquez Samohano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter .. . . . 117 5. Fiamingo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6. Mascolo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7. Kommission/Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter .. . . . 120 8. Pérez López . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter .. . . . 121 III. Grundsätze des Sachgrundbegriffs .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Gerichtliche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Tätigkeitsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Vorübergehender Beschäftigungsbedarf .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenaltermit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I.
Die Rechtssache John . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
II.
1. Sachverhalt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Die Entscheidung des EuGH zur Befristungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . 127 Bewertung der Entscheidung im Hinblick auf die Befristungsrichtlinie . . . 129 1. Anwendbarkeit der Befristungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Inhaltsverzeichnis
15
a) Mitgliedstaatliche Beurteilung des Vorliegens einer Befristung . . . . 129 b) Unionsrechtliche Einordnung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Befristungskontrolle der ersten Befristung nach Erreichen des Rentenalters .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Beschränkung auf die Auslegung des Unionsrechts . . . . . . . . . . 132 c) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie . . . . . . 133 a) Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Anforderungen an Sachgrundbefristungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Gerichtliche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Tätigkeitsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Änderung von Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (2) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Vorübergehender Beschäftigungsbedarf .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 ee) Sozialpolitische Ziele der Befristung im Rentenalter . . . . . . . . . 139 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Anforderungen der Richtlinie an sachgrundlose Befristungen . . . . . 141 d) Schlussfolgerung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Abgestufter Befristungsschutz von Arbeitnehmern im Rentenalter . . . 142 a) Argumente für abgestufte Befristungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Argumente gegen abgestufte Befristungsanforderungen . . . . . . . . . . . 145 c) Abwägung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Finanzielle Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Strukturelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (1) Motivationen für die Weiterarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (2) Regelungsbedarf für die befristete Weiterbeschäftigung . 148 (3) Zielsetzung des Befristungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 III. Abschließende Einordnung der Entscheidung John . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 E. Implikationen für die nationale Rechtsprechung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. Rechtsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Einfluss der Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Ableitung konkretisierender Kriterien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Widerspruch zwischen dem Wortlaut und dem Ziel des Gesetzes .. 156 c) Ausgestaltung der teleologischen Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Inhaltsverzeichnis
16
aa) Begrenzung der maximalen Befristungsdauer .. . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Begrenzung der Anzahl der Verlängerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Sachliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 d) Grenzen der Rechtsfortbildung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Kapitel 4
Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter mit dem Gleichbehandlungsrecht 163
A. Einführung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I.
Bezug zum Befristungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
II.
Besondere Fragestellungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Unterscheidungsmerkmal „Alter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters . . . . . . . . . . . . . . 168 I.
Entwicklung des Verbots der Altersdiskriminierung im deutschen Recht . 168
II.
Völkerrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
III. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Die Gesetzgebungshistorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Inhalt und Gewährleistung des Gleichbehandlungsgebots . . . . . . . . . 171 2. Grundrechtliche Gleichbehandlungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Richterrechtliche Ausgestaltung des Verbots der Altersdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Die Rechtssache Mangold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Entscheidung des EuGH .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Reaktionen in der Literatur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (1) Herleitung des Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (2) Unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (3) Verfassungsrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Die Honeywell-Entscheidung des BVerfG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Die Rechtssache Kücükdeveci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Sachverhalt und Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Die Rechtssache Dansk Industri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Inhaltsverzeichnis
17
C. Diskriminierung wegen des Alters durch § 41 S. 3 SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I.
Anwendbarkeit der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
II.
Vorliegen einer Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Unmittelbare und mittelbare Diskriminierung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Weniger günstige Behandlung (Benachteiligung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen Georgiev und Mangold 182 b) EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache John . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Stellungnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Weitergehende Anforderungen der BAG-Rechtsprechung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I.
Legitimes Ziel der Ungleichbehandlung wegen des Alters .. . . . . . . . . . . . . . . . 187
1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Legitimes Ziel der sachgrundlosen Befristung im Rentenalter .. . . . . . . 189 a) Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Beschäftigungsförderung jüngerer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. Verhältnismäßigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Kohärenzprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (1) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Enge Verhältnismäßigkeitsprüfung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (1) Altersbezogene Befristungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (a) Mangold .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (b) Abercrombie & Fitch Italia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (aa) Unterschiede zur Mangold-Entscheidung . . . . . . 193 (bb) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (c) Georgiev . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Kündigungsfristen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (3) Berechnung der vergütungsrelevanten Vorbeschäftigungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (a) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (4) Entlassungsabfindungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (a) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (5) Berufsbezogene Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Inhaltsverzeichnis
18
(a) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Prüfungsmaßstab bei allgemeinen Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . 201 (1) Voraussetzungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (2) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Prüfungsmaßstab für die sachgrundlose Befristung im Rentenalter. 204 aa) Übertragung der Rechtfertigungsmaßstäbe für Altersgrenzen. 205 bb) Strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 cc) Schlussfolgerung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Beschäftigungsförderung für ältere Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Beschäftigungsförderung für jüngere Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . 209 3. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4. Angemessenheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Kapitel 5
Ausgestaltung der Weiterarbeit in anderen europäischen Rechtsordnungen am Beispiel von Großbritannien 215
A. Einführung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I.
Methode des Rechtsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
II.
Auswahl der englischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
III. Funktionale Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 B. Rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I.
Rechtsquellen des englischen Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
II.
1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Der geplante EU-Austritt Großbritanniens („Brexit“) . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Demografische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Alterung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Rentensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I.
Rechtsstand vor dem Erlass der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie . . . . . . 222
II.
Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Die Rechtslage bis 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Die Rechtslage bis 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Anhörungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Inhaltsverzeichnis
19
bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 cc) Die Rechtssache Age Concern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 c) Abschaffung des Default Retirement Age im Jahr 2011 .. . . . . . . . . . . 226 aa) Gesetzgebungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 cc) Die Rechtssache Seldon v Clarkson Wright & Jakes . . . . . . . . . . 228 dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Ökonomische Konsequenzen der Abschaffung des Default Retirement Age . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Vergleich in Bezug auf Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Vorteile der englischen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Nachteile der englischen Rechtslage .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I.
Überblick über das Kündigungsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
II.
1. Die Tatbestände des unfair dismissal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Die Kündigung nach Erreichen des Rentenalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Rechtsschutz gegen unwirksame Kündigungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Überblick über das Befristungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
1. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Entwicklung des Befristungsrechts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Einfluss der Befristungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Allgemeine Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Das Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Ununterbrochene Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Sachgrunderfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Rechtsfolgen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Vergleich zur deutschen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. Die Weiterbeschäftigung von Rentnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Bedeutung des Befristungsrechts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Alternative Ansätze der Beschäftigungsförderung in England .. . . . . . . 248 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 E. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I.
Individueller Ansatz in Bezug auf Altersgrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
II.
Rechtlicher Rahmen des Bestandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
III. Übertragbarkeit auf das deutsche Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Inhaltsverzeichnis
20
Kapitel 6
Ökonomische Folgenbewertung 253
A. Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 I. Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
II.
1. Modell des homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Ansatz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Einschränkung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Bewertungskriterien für Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Besonderheiten im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
III. Methode der Folgenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Relevante Rechts- und Realfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Folgenprognose und Folgenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Folgenbewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 B. Relevante ökonomische Folgen der Weiterarbeit im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . 261 I.
Förderung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
II.
1. Arbeitsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2. Beschäftigungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Beschäftigungskosten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Ausgleich beschäftigungshemmender Schutznormen . . . . . . . . . . . . . . 263 c) Beendigungskosten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Transparenz und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
1. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Ökonomische Dimension .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 III. Vermeidung von Gegentendenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 IV. Rentensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C. Folgenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I.
Förderung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
II.
1. Statistische Entwicklung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter .. . . 269 2. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Schlussfolgerung in Bezug auf § 41 S. 3 SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Transparenz und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
Inhaltsverzeichnis
21
III. Vermeidung von Gegentendenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 IV. Rentensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 D. Folgenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I.
Förderung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
II.
Transparenz und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
III. Vermeidung von Gegentendenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 IV. Rentensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Kapitel 7
Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter 280
A. Kündigungsschutzrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 I.
Tarifliche Unkündbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
II.
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Reformansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . 283
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Reformansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 III. Anwendungsbereich des KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Vereinbarkeit mit der RL 2000/78/EG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Absenkung des Kündigungsschutzes anstelle allgemeiner Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 IV. Kündigungsgründe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Personenbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Krankheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 aa) Anforderungen an die Kündigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Bezug zu Arbeitnehmern im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 b) Nachlassende Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 aa) Anforderungen an die Kündigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 bb) Leistungsmaßstab im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 cc) Bezugspunkt der personenbedingten Kündigung im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Inhaltsverzeichnis
22
2. Betriebsbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 a) Anpassung der Altersstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 b) Berücksichtigung des Rentenanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 aa) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 V. Abfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Problemstellung bei der Weiterbeschäftigung im Rentenalter .. . . . . . . . 298 2. Prozessbeendigende Abfindungsvergleiche .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 a) Deckelung von Abfindungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 aa) Vereinbarkeit mit der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Anpassung von § 1a KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 3. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 4. Sozialplanabfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Einschränkungen für Arbeitnehmer im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 B. Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 I.
Regelungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
II.
1. Vertragliche Regelaltersgrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3. Schrittweise Abschaffung von Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Anhaltspunkte für die Ausgestaltung einer flexiblen Altersgrenze . . . . . . . . 307
1. Regelungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 2. Regelungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 a) Bedingter Anspruch auf eine Weiterarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 aa) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 bb) Nachteile .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Maximale Altersgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Berücksichtigung der konkreten Rentenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 d) Maßgebliche Vorbeschäftigungszeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 e) Anpassungen im Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 f) Bezug einer Altersrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 g) Tarifvertragliche Abweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
Inhaltsverzeichnis
23
C. Befristungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 I.
Vorschläge in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
II.
Vorschlag zur Anpassung der Befristung im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 2. Zeitliche Begrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 3. Sachliche Begrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Gesetzgebungsvorschlag .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 aa) Erreichen der Regelaltersgrenze .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 bb) Bezug einer Altersrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 cc) Personalplanung des Arbeitgebers .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 b) Verhältnis zu anderen Befristungsgründen in § 14 TzBfG . . . . . . . . . 319 c) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 aa) Art. 12 Abs. 1 GG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 bb) Befristungsrichtlinie (RL 1999/70/EG) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 cc) Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG) . . . . . . . 320 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 D. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Kapitel 8
Ergebnis und Ausblick 323 Kapitel 9
Thesen 325 Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
ABl. Amtsblatt ACAS Advisory, Conciliation and Arbitration Service AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union APS Ascheid/Preis/Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht ArbVG-E Entwurf zu einem Arbeitsvertragsgesetz BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bearb. Bearbeiter Beil. Beilage BeschFG Beschäftigungsförderungsgesetz BiB Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung BIS Department for Business Innovation & Skills BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BT-Drs. Bundestag Drucksache CA Court of Appeal CEEP Europäischer Verband öffentlicher Arbeitgeber und Unternehmen (Centre européen des entreprises à participation publique et des entreprises d‘intérêt économique général) DRV Deutsche Rentenversicherung DTI Department of Trade and Industry DWP Department for Work and Pensions EE(A)R Employment Equality (Age) Regulations 2006 EG Europäische Gemeinschaft EGB Europäischer Gewerkschaftsbund EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGV EG-Vertrag (seit 2009: AEUV) EnzEuR Enzyklopädie Europarecht ERA Employment Rights Act 1996 EAT Employment Appeal Tribunal ET Employment Tribunal EurArbR Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht FTER Fixed-term Employees (Prevention of Less Favourable Treatment) Regulations 2002 HC House of Commons HL House of Lords HWK Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung KassKomm Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht KKW Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht
Abkürzungsverzeichnis
25
KR Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz MüKoBGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch MüKoVVG Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ONS Office for National Statistics Para Paragraph Reg Regulation RL Richtlinie RV Rahmenvereinbarung Sched. Schedule Sec Section SGB Sozialgesetzbuch Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz SPV Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis UA Unterabsatz UNICE Europäischer Dachverband der Arbeitgeber (heute: BusinessEurope) Im Übrigen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Aufl., Berlin 2018 verwiesen.
Kapitel 1
Einführung Kap. 1: Einführung
A. Ausgangssituation „Ältere Beschäftigte sind unverzichtbar im Arbeitsleben.“1 Mit dieser Feststellung der Regierungsparteien im Koalitionsvertrag 2013 begann seitens der Politik eine verstärkte Beschäftigung mit dem Themenfeld „Arbeit im Alter“. Diese Entwicklung steht in einem Gegensatz zur tatsächlichen Lage älterer Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren. Häufig lag der Schwerpunkt von Politik und Sozialpartnern auf frühen Verrentungen, um jüngeren Beschäftigten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen.2 Dieser Ansatz wurde mit der Annahme einer abnehmenden Leistungsfähigkeit nach Erreichen des 60. Lebensjahrs begründet, obwohl diese These in ihrer Pauschalität nicht bestätigt ist.3 Derzeit besteht jedoch eine Entwicklung hin zu einer verstärkten Wertschätzung älterer Arbeitnehmer4 aufgrund des großen Erfahrungsschatzes, der betrieblichen Vernetzung und besonderer berufsbezogener Erfahrungen.5 Die zunehmende Bedeutung der Weiterarbeit im Rentenalter spiegelt sich auch in der neueren Gesetzgebung im Arbeits- und Sozialrecht6 und in der aktuellen höchst richterlichen Rechtsprechung wider.7 Zudem belegen Beschäftigungsstatistiken 1 CDU, CSU, SPD, Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag, 18. Legislaturperiode, 17. 12. 2013, S. 72. 2 Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 13 ff.; Börsch-Supan/Schnabel, in: Gruber/Wise (Hrsg.), Social Security and Retirement around the World, S. 135 (136, 154); Tisch, ZAF 2015, S. 233 (234); Waltermann, in: GS Blomeyer, 2003, S. 495 (497); vgl. auch Steinmeyer, NZA 1998, S. 905. 3 Preis, Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. I, B14; Schlegel, NZA-Beil. 2010, S. 155; Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345). 4 In der folgenden Darstellung beziehen sich personenbezogene Bezeichnungen auf beide Geschlechter. Zur besseren Lesbarkeit wird im Text nur die männliche Form verwendet. 5 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (56); Lorenz-Schmidt, ZTR 2016, S. 63; Lehr, NZA-Beil. 2008, S. 3 (7); Preis, Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. I, B13; Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345); ders., in: Maschmann (Hrsg.), Rigidität und Flexibilität im Arbeitsrecht, S. 105 (111 f.). 6 BGBl. 2016 I, S. 2838 ff.; vertiefend Rolfs, NZA 2017, S. 164 ff. 7 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 ff. – John; BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 ff.
28
Kap. 1: Einführung
einen Trend steigender Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer.8 Die Erwerbstätigenquote der 65- bis 69-Jährigen stieg im Zeitraum von 2007 bis 2017 von etwa 7 auf 16 Prozent an.9 Damit liegt die Erwerbstätigenquote um etwa drei Prozent höher als der EU-Durchschnitt von 13 Prozent.10 Die Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter über 65 Jahre erhöhte sich zwischen den Jahren 2005 und 2018 von etwa 95.000 auf 246.000.11 Insgesamt wurde im Jahr 2017 von etwa 1,1 Millionen erwerbstätigen Personen über 65 Jahre ausgegangen.12 Es ist abzusehen, dass der Anteil berufstätiger Rentner in Zukunft weiter ansteigen wird, da sich laut Umfragen etwa die Hälfte der Erwerbstätigen vorstellen kann, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten.13
I. Gründe für die Weiterarbeit im Rentenalter auf Arbeitnehmerseite Ein wesentlicher Grund für die verstärkte Berufstätigkeit im Rentenalter ist neben dem finanziellen Aspekt auch der individuell verbesserte Gesundheitszustand und die damit einhergehende höhere Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer. Weiterhin sind ein gestiegenes Arbeitsangebot infolge des demografischen Wandels, nicht existenzsichernde Altersrenten sowie das Interesse älterer Arbeitnehmer an einer beruflichen Teilhabe wesentliche Gründe für eine längere Erwerbstätigkeit über das Rentenalter hinaus.14 1. Demografischer Wandel Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und des demografischen Wandels besteht ein erhöhtes Arbeitsangebot für ältere Arbeitnehmer. Der demografische 8
Larsen/Pedersen, Journal for Labour Market Research 2017, S. 1 (2); IAB/Rhein, Aktuelle Berichte, Arbeiten im Rentenalter: Erwerbstätigkeit 65plus in Europa, 21. 12. 2016, S. 3 ff.; Statistisches Bundesamt, Die Generation 65+ in Deutschland, 2015, S. 11. 9 Statistisches Bundesamt, Arbeitsmarkt auf einen Blick, 2018, S. 72 f. Im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit aller über 65-Jährigen ist von einem Anstieg der Erwerbstätigenquote von 3,3 Prozent im Jahr 2005 auf 7,0 Prozent im Jahr 2017 auszugehen, vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2018, Oktober 2018, S. 364. 10 Statistisches Bundesamt, Arbeitsmarkt auf einen Blick, 2018, S. 72. 11 Agentur für Arbeit, Zeitreihe über Beschäftigte nach Altersgruppen, 27. 12. 2018. 12 Vgl. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, 2017, Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung, Ergebnisse des Mikrozensus zum Arbeitsmarkt, Fachserie 1 Reihe 4.1, 21. 9. 2018, S. 20. 13 Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 5. 14 Vgl. zur Weiterarbeit im Rentenalter in Finnland Schlachter/Vaitkeviciute, EuZA 2016, S. 283 (297 ff.).
A. Ausgangssituation
29
Wandel resultiert aus einem Aufstieg geburtenstarker Jahrgänge in der Alters pyramide, bei rückläufiger Geburtenrate und einer regelmäßig ansteigenden Lebenserwartung.15 In der Folge wird der Anteil der unter 64-jährigen an der Bevölkerung von etwa 49 Millionen Menschen im Jahr 2013 auf voraussichtlich 34 bis 38 Millionen Menschen im Jahr 2060 sinken.16 Auch eine verstärkte Zuwanderung wird die Folgen des demografischen Wandels für das Arbeitskräfteangebot nur abschwächen.17 Eine weitere Abnahme der Bevölkerung im Erwerbsalter könnte die Nachfrage der Arbeitgeber nach weiterarbeitenden Arbeitnehmern im Rentenalter erhöhen. Gleichzeitig kann ein längerer Verbleib in der Berufstätigkeit den aufkommenden Fachkräftemangel ausgleichen oder abschwächen. Die demografische Entwicklung birgt auch Herausforderungen für die Finanzierung des Renten- und Gesundheitssystems,18 da der Altenquotient und damit das Verhältnis zwischen nicht erwerbstätigen Älteren und Jüngeren im erwerbsfähigen Alter erheblich ansteigen wird.19 Kommen heute noch 35 Rentenberechtigte auf 100 Erwerbstätige, so sind es etwa 48 im Jahr 2035.20 Zudem geht eine erhöhte Lebenserwartung mit einer Verlängerung der Rentenbezugszeit von etwa 10 Jahren im Jahr 1960 auf etwa 20 Jahre im Jahr 2017 einher.21 Aus diesen Entwicklungen folgen voraussehbare Finanzierungslücken in der gesetzlichen Rentenversicherung. Um die steigenden Ausgaben der Rentenversicherung zu decken, ohne die Rentenbeiträge wesentlich zu erhöhen oder das Rentenniveau langfristig zu senken, ist daher eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit erforderlich. Die Regelaltersgrenze wurde in diesem Sinn mit Wirkung vom 1. 1. 2008 von 65 auf 67 Jahre erhöht (§ 35 S. 2 SGB VI).22 Eine verlängerte 15 Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 2015, S. 3; Becker, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, S. 3 (6). 16 Ein Absinken auf 38 Millionen wird angenommen, wenn das Wanderungssaldo bis 2021 von rund 500.000 auf 200.000 Menschen pro Jahr sinkt und danach konstant bleibt. Von 34 Millionen wird ausgegangen, wenn die Zuwanderung bis 2021 auf 100.000 Personen zurückgeht und danach konstant bleibt, Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 2015, S. 20; Schlegel, NZA 2017, S. 241 (242). 17 Vgl. Beispielsrechnung des Statistischen Bundesamts, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 2015, S. 20; IAB/Fuchs/Söhnlein/Weber, IAB-Kurzbericht Nr. 6/2017, 16. 2. 2017, S. 2 ff.; IAB/Fuchs/Weber, IAB-Aktuelle Berichte Nr. 22/2016, 24. 11. 2016, S. 4. 18 So Numhauser-Henning (2013) 4 ELLJ, S. 84 (85); Schlegel, NZS 2017, S. 241 (242 f.). 19 OECD, Pensions at a Glance 2017, OECD and G20 Indicators, 5. 12. 2017, S. 19 f.; Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 2015, S. 7; Schlegel, NZS 2017, S. 241 (242). 20 Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 2015, S. 24 f.; ferner Schlegel, NZS 2017, S. 241 (242). 21 DRV, Rentenversicherung in Zahlen 2018, 23. 10. 2018, S. 67. 22 BGBl. 2007 I, S. 554; zu den Übergangsregelungen vgl. Kapitel 2 A.I.1.
30
Kap. 1: Einführung
freiwillige Erwerbstätigkeit über das Erreichen des Rentenalters hinaus könnte Finanzierungslücken im Rentensystem aufgrund der längeren Einzahlung von Rentenbeiträgen zusätzlich abschwächen. 2. Niedrige Altersrenten Es bestehen auch finanzielle Anreize für die Weiterarbeit, wenn die Rentenansprüche für den Lebensunterhalt nicht ausreichen. Altersrenten, die aufgrund einer kürzeren Einzahlungsdauer oder eines geringen Verdiensts auf niedrigem Niveau liegen, werden durch eine längere Erwerbstätigkeit angehoben oder ergänzt.23 Etwa ein Drittel der Weiterarbeitenden deckt den laufenden Lebensunterhalt durch die längere Erwerbstätigkeit.24 Dies belegt einen Zusammenhang zwischen niedrigen Rentenansprüchen und einer längeren Erwerbstätigkeit im Alter. Das Problem unzureichender Altersrenten wird sich Zukunft weiter verschärfen. Bereits heute fallen besonders Regelaltersrenten niedrig aus. Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag der Regelaltersrente betrug im Jahr 2017 etwa 544 Euro monatlich in den alten Bundesländern und 863 Euro in den neuen Bundesländern.25 Höher sind Renten aufgrund eines vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand, weil diese eine längere Mindestversicherungszeit von 35 bis 45 Jahren voraussetzen.26 Der Anstieg von geringfügiger Beschäftigung und atypischen Beschäftigungsverhältnissen, wie befristeter Arbeitsverträge, Leih- oder Zeitarbeit kann dazu führen, dass die erarbeitete Rente nicht das Niveau der Grundsicherung im Alter erreicht.27 Aufgrund des geringen Beschäftigungsumfangs und niedriger Löhne sind atypische Arbeitsverhältnisse rentenrechtlich besonders problema-
23 BiB, Erwerbsarbeit und informelle Tätigkeiten der 55- bis 70-Jährigen in Deutschland, Januar 2014, S. 20 f.; Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 3, 7. 24 Statistisches Bundesamt, 11 % der 65- bis 74-Jährigen sind erwerbstätig, Pressemitteilung 240/17, 12. 7. 2017. 25 Der Rentenzahlbetrag bezeichnet die Rentenhöhe inklusive Auffüllbetrag nach Abzug des Beitrags für die Kranken- und Pflegeversicherung DRV, Rentenversicherung in Zahlen 2018, 23. 10. 2018, S. 52 ff. 26 DRV, Rentenversicherung in Zahlen 2018, 23. 10. 2018, S. 52 ff. 27 Der Anteil atypisch Beschäftigter stieg von 17 Prozent im Jahr 1999 auf etwa 22 Prozent im Jahr 2009 an und liegt heute unverändert bei 21 Prozent Statistisches Bundesamt, Anteil atypischer Beschäftigung unverändert bei 21 %, Pressemitteilung 281/17, 16. 8. 2017; Statistisches Bundesamt, Arbeitsmärkte im Wandel, 2012, S. 60; hierzu auch Butzer, in: Denkschrift 60 Jahre BSG, Bd. II, S. 3 (10); Eichenhofer, VSSR 2016, S. 17 (28 f.); Waltermann, RdA 2015, S. 343 (346); ders., Verhandlungen des 68. DJT 2010, Bd. I, B10; zu den Funktionen des Normalarbeitsverhältnisses Wank, RdA 2010, 193 (195).
A. Ausgangssituation
31
tisch.28 Im Jahr 2010 erhielten etwa 50 Prozent der atypisch Beschäftigten einen Niedriglohn, der geringer als zwei Drittel des Medianverdiensts aller Arbeitnehmer ist.29 Entsprechend besteht auch keine Möglichkeit, privat für den Ruhestand vorzusorgen.30 Seit 2003 hat sich der Anteil der Rentner, die eine Grundsicherung im Alter gemäß §§ 41 ff. SGB XII beziehen, auf 2,5 Prozent erhöht.31 Der Anteil könnte bis 2030 auf 3,5 Prozent ansteigen.32 Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass die Weiterarbeit im Rentenalter zukünftig weiter zunehmen wird. 3. Persönliche Motive Neben finanziellen Anreizen gibt es auch ideelle und persönliche Gründe für eine Weiterarbeit. Insbesondere Rentner, die hoch qualifiziert und gut ausgebildet sind, haben häufig ein ideelles Interesse an einer längeren Erwerbstätigkeit. Eine hohe Identifikation und Freude an der ausgeübten Tätigkeit fördern die Bereitschaft, länger zu arbeiten.33 Besonders hoch ist der Anteil der Weiterarbeitenden daher, wenn das durchschnittliche Rentennettoeinkommen 1.600,- Euro im Monat überschreitet.34 Daneben dient die Weiterarbeit der aktiven Lebensgestaltung und der Partizipation im Alter.35 Befragte Arbeitnehmer gaben an, sie wollten „fitter bleiben“,
28 Zur Berechnung der Mindestbeschäftigungsdauer und der Höhe des erforderlichen Lohns, um nach 45 Jahren Vollzeitbeschäftigung eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung im Alter zu erhalten Waltermann, Arbeitsrecht, § 4, Rn. 42a; vgl. auch ders., JZ 2012, S. 553 ff.; ders., SR 2014, S. 66 (73 ff.). 29 Zum Begriff des Niedriglohns siehe: C. Picker, RdA 2014, S. 25 ff.; Waltermann, SGb 2013, 433 (435); ders., SR 2014, S. 66 (72). 30 Ruland, NZS 2016, S. 721 (722); Waltermann, JZ 2012, S. 553 f. 31 Ruland, NZS 2016, S. 721 (724). 32 Ruland, NZS 2016, S. 721 (725); allgemein Öchsner, Süddeutsche Zeitung vom 29. 04. 2015, S. 23. 33 BiB, Erwerbsarbeit und informelle Tätigkeiten der 55- bis 70-Jährigen in Deutschland, Januar 2014 S. 22; Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 5. 34 Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 16 ff., 25; Brandl, in: Igl (Hrsg.), Alter und Beschäftigungen: Arbeitssituation, Lebensentwürfe und soziale Sicherung der über 50-Jährigen, S. 89 (103); Gasche, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 15 (27); Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (57). 35 Schlegel, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentags (Hrsg.), Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. II/1, K39 (K46), ders., NZA-Beil. 2010, S. 155 (158).
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Kap. 1: Einführung
Erfahrung und Wissen weitergeben oder „nicht ständig zu Hause zu sein“.36 Diese Motivation erklärt sich damit, dass sich die Dauer des Ruhestandes seit 1960 aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung von durchschnittlich zehn auf fast zwanzig Jahre im Jahr 2017 verlängert hat.37 In einer verlängerten Phase des Ruhestands werden bei guter Gesundheit immer häufiger ansprechende Betätigungsfelder gesucht. 4. Verbesserter Gesundheitszustand Der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers spielt bei der Möglichkeit zur Weiterarbeit eine erhebliche Rolle. In der Gruppe der Weiterarbeitenden sind besonders Erwerbstätige vertreten, die ihren Gesundheitszustand als gut einschätzen.38 Ein schlechter Gesundheitszustand ist hingegen einer der Hauptgründe gegen eine Weiterarbeit.39 Daneben spielt auch die Art der Erwerbstätigkeit eine Rolle. Bei physisch und psychisch anspruchsvollen Tätigkeiten, bei einer gesundheitlich belastenden Arbeitsumgebung oder fremdbestimmter Arbeitsorganisation endet die berufliche Tätigkeit häufig bereits vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze.40
II. Gründe für die Weiterbeschäftigung auf Arbeitgeberseite Auch auf Seite der Arbeitgeber bestehen vielfältige Gründe für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer. Angesichts eines sich bereits abzeichnenden Fachkräftemangels haben Arbeitgeber ein zunehmendes Interesse daran, auf die Erfahrung, das Potential und die Ressourcen älterer Arbeitnehmer zurückzugreifen. Eine längere Berufserfahrung in höherem Lebensalter geht häufig mit gutem Urteilsvermögen, angemessener Schwerpunktsetzung und Selbstreflexion ein36 BiB, Erwerbsarbeit und informelle Tätigkeiten der 55- bis 70-Jährigen in Deutschland, Januar 2014 S. 22; Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 5, 8. 37 DRV, Rentenversicherung in Zahlen 2018, 23. 10. 2018, S. 67. 38 BiB, Erwerbsarbeit und informelle Tätigkeiten der 55- bis 70-Jährigen in Deutschland, Januar 2014 S. 22; Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 14 ff. 39 Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 6. 40 Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Hanemann/Goll, Erwerbsbeteiligung und Erwerbsintensität Älterer in Deutschland vor und nach dem Renteneintritt, S. 5; Frerichs, ZAF 2015, S. 203 (206) m. w. N.
B. Forschungsfragen
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her.41 Die zunehmende Spezialisierung in einzelnen Branchen führt dazu, dass ältere Arbeitnehmer aufgrund ihres Expertenwissens geschätzt sind und jüngere Kollegen in Arbeitsprozesse einarbeiten können.42 Weiterhin gelten Arbeitnehmer, die sich bewusst für eine Weiterarbeit entscheiden, als besonders motiviert.
III. Zwischenergebnis Die Zunahme der Erwerbstätigkeit im Rentenalter eröffnet für einzelne Arbeitnehmer, die Gesamtwirtschaft und für die Sozialversicherungssysteme Chancen. Für die Weiterarbeit gibt es verschiedene Gründe auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Eine freiwillige verlängerte Berufstätigkeit im Rentenalter kann dazu beitragen, die Herausforderungen des demografischen Wandels für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungssysteme abzuschwächen. Sie ist daher ein vorzugswürdiges und milderes Mittel im Vergleich zu anderen Ansätzen der Stabilisierung des Rentensystems, wie einer Erhöhung der Rentenbeiträge, einer Senkung des Rentenniveaus oder der weiteren Anhebung der Regelaltersgrenze. Aufgrund der langfristigen Bedeutung der Weiterarbeit im Rentenalter ist es eine Aufgabe des Arbeits- und Sozialrechts, diese rechtlich zu ermöglichen und zu fördern. Die Weiterarbeit muss jedoch freiwillig erfolgen. Arbeitnehmer, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen oder der körperlichen Anforderungen der Tätigkeit ab einem bestimmten Alter nicht mehr arbeiten können, müssen durch die Rentenversicherung und das Sozialversicherungsrecht finanziell abgesichert werden.43
B. Forschungsfragen Die Entscheidung über eine Weiterarbeit im Rentenalter hängt besonders von den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen ab. Diese sollten die Wahlfreiheit ermöglichen und eine alters- und leistungsgerechte Gestaltung der Berufstätigkeit im Alter fördern. Die vorliegende Untersuchung widmet sich daher den folgenden Forschungsfragen: Wie gestaltet das Arbeitsrecht die Weiterarbeit im Rentenalter gegenwärtig aus? Trägt diese Ausgestaltung der besonderen Interessenlage und 41
Numhauser-Henning (2013) 4 ELLJ, S. 84 (90). Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (57); Lorenz-Schmidt, ZTR 2016, S. 63. 43 Preis, Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. I, B 31; vgl. zu den entsprechenden Vorschlägen Waltermann, SGb 2013, S. 433 (435); ders., JZ 2012, S. 553 (559); ders., NZA 2013, S. 1041 (1042); Ruland, NZS 2016, S. 721 (726). 42
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Kap. 1: Einführung
den Anforderungen des bestehenden arbeitsrechtlichen Rechtsrahmens Rechnung? Und wie könnte eine alternative Ausgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen einer Weiterarbeit im Rentenalter erfolgen? Zur Beantwortung dieser Fragen muss auch eine Analyse des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes erfolgen. Dieser schränkt die Vertragsgestaltungs- und Vertragsbeendigungsfreiheit des Arbeitgebers ein und stellt den Bestand laufender Arbeitsverhältnisse unter rechtlichen Schutz. Es ist zu prüfen, ob nach Erreichen des Rentenalters ein vergleichbarer Bestandsschutz wie bei jüngeren Arbeitnehmern gilt und gelten sollte, obwohl die Arbeitnehmer ein wesentlich höheres Lebensalter erreichten und einen Anspruch auf eine Altersrente haben. Der Bestandsschutz nach Erreichen der Regelaltersgrenze beeinflusst die Entscheidung des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer unbefristet weiter zu beschäftigen. Eine Auseinandersetzung in einem arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzprozess möchten viele Arbeitgeber nicht riskieren.44 Aus diesem Grund schied ein Großteil der Arbeitnehmer bislang mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze aus der Erwerbstätigkeit aus. Um die Weiterarbeit im Rentenalter zu fördern, schuf der Gesetzgeber im Jahr 2014 die Möglichkeit einer befristeten Weiterbeschäftigung und fasste § 41 S. 3 SGB VI wie folgt: „Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben.“45
Die Regelung soll dem gestiegenen Interesse der Arbeitsvertragsparteien an einer rechtssicheren Fortführung des Arbeitsvertrags nach Erreichen des Rentenalters Rechnung tragen46 und gibt über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus keine weitergehenden Anforderungen an die Befristung vor. Mit dem Erlass der Regelung begann die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung über die Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Unionsrechts.47 Der EuGH entschied nun in der Rechtssache John, dass die Vorgaben des unionsrechtlichen Befristungs- und Gleichbehandlungsrechts der Regelung nicht entgegenstehen.48 Aus der Entscheidung könnte abgeleitet werden, dass die Grundsätze des Bestands- und Befristungsschutzes für Arbeitnehmer nach Erreichen der Re44
Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (79). über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23. 06. 2014 (BGBl. I S. 787). 46 BT-Drs. 18/1489, S. 25. 47 Vertiefend Kapitel 3 D. 48 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 33, 57) – John; vertiefend Kapitel 3 D., 4 C. 45 Gesetz
C. Gang der Untersuchung
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gelaltersgrenze nicht mehr gelten. Dieser Ansatz wirft angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Weiterarbeit im Rentenalter Fragen auf. Auch nach dem Erreichen des Rentenalters können überzeugende Argumente für die Einschränkung von missbräuchlichen Kettenbefristungen bestehen. In sozialpolitischer Hinsicht könnten Beschränkungen relevant werden, um ökonomische Fehlanreize zulasten jüngerer Arbeitnehmer durch eine „Rentnerbeschäftigung zweiter Klasse“ zu vermeiden.49 Die folgende Untersuchung nimmt die Entscheidung des EuGH zur Befristung im Rentenalter daher als Ausgangspunkt, um zu überprüfen, welche Maßstäbe des Bestandsschutzes im nationalen Recht und im Unionsrecht für Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze gelten und gelten sollten. Die hierfür erforderliche Abwägung zwischen Bestandsschutz und Rentenbezug erfolgte in der rechtswissenschaftlichen Diskussion bislang vorwiegend im Rahmen der Rechtfertigung von Altersgrenzen.50 Angesichts der oben genannten Gesichtspunkte des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und vielfach nicht existenzsichernder Altersrenten bedarf es einer eigenständigen Untersuchung der vielfältigen Fragen in Zusammenhang mit der Weiterarbeit im Rentenalter.
C. Gang der Untersuchung Als Ausgangspunkt dieser Untersuchung dient der gegenwärtige Regelungsansatz des Gesetzgebers zur Weiterarbeit im Rentenalter. Daran anknüpfend wird in Kapitel 2 die Rechtslage zu Altersgrenzen und möglichen Ausgestaltungen der Weiterarbeit im Rentenalter dargestellt. Im dritten Kapitel wird § 41 S. 3 SGB VI in die Systematik des deutschen und europäischen Befristungsrechts eingeordnet. Bis zur Einführung von § 41 S. 3 SGB VI war es in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten, ob der Rentnerstatus ein Sachgrund für eine Befristung ist.51 Nach einer Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2015 begründet allein das Rentenalter keinen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Befristungsgrund (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG).52 Im Jahr 2014 schuf der Gesetzgeber mit § 41 S. 3 49
Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345). Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 144 ff.; Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 339 ff.; Preis, NZA 2010, S. 1323 ff. 51 Befürwortend Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945 (951); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 249; Stoffels, in: Rieble/Junker/ Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (66); ablehnend Gräf, in: Latzel/ Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (56). 52 BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 26). 50 Vgl.
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Kap. 1: Einführung
SGB VI die Option einer befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter. Während des Gesetzgebungsprozesses zur Einführung von § 41 S. 3 SGB VI fand jedoch keine ausführliche politische und rechtliche Diskussion über alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit im Alter statt, obwohl eine bislang gesetzlich ungeregelte Phase des Erwerbslebens neu ausgestaltet wurde. Wie die verschiedenen Ansätze in der Rechtsprechung von BAG und EuGH verdeutlichen, lässt sich die befristete Weiterarbeit im Rentenalter nicht ohne Weiteres in die Systematik des deutschen und europäischen Befristungsrechts einordnen. Ausgehend von den unterschiedlichen Ansätzen soll § 41 S. 3 SGB VI als Ausgangspunkt einer Systematisierung des Befristungsrechts dienen. Das Befristungsrecht entwickelte sich aus den verschiedenen Schutzkonzepten des nationalen Rechts und des Unionsrechts. Nach einer Prüfung, ob sich die Regelung zur Befristung im Rentenalter in die Systematik des Befristungsrechts einfügt, wird diskutiert, welche Grundsätze des Bestands- und Befristungsschutzes für Arbeitnehmer im Rentenalter gelten sollten. Für die Ausgestaltung der Weiterarbeit sind neben den befristungsrechtlichen Vorgaben, auch die Anforderungen der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG53 maßgeblich, die in Kapitel 4 dargestellt werden. Seit der Mangold-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) steht das Antidiskriminierungsrecht in einem unmittelbaren Bezug zur Befristungskontrolle.54 So entschied der EuGH, dass allein das Alter eines Beschäftigten nicht einziger Anknüpfungspunkt für eine Befristung sein kann, wenn keine konkreten Umstände des Arbeitsmarkts oder der persönlichen Situation des Arbeitnehmers die Befristung erfordern.55 In der Rechtssache John hingegen legte der EuGH einen genau entgegengesetzten Ansatz zugrunde und nahm keine Benachteiligung aufgrund des Alters durch die Befristungsmöglichkeit im Rentenalter an.56 Diese Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern vor und nach Erreichen des Rentenalters ist der Anlass für die Untersuchung der Frage, welche Grundsätze des Gleichbehandlungsrechts für die Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters gelten. Um die Forschungsfrage zu beantworten, wie die Weiterarbeit im Rentenalter alternativ ausgestaltet werden sollte, wird geprüft, ob die Befristungsmöglichkeit 53 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303 S. 16, im Folgenden: Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie, Richtlinie 2000/78/EG. 54 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 = NZA 2005, S. 1345 – Mangold; vgl. zu diesem Zusammenhang Greiner, RdA 2018, S. 65 (69). 55 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 65) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 65) – Mangold. 56 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 32) – John.
C. Gang der Untersuchung
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in sozialpolitischer und ökonomischer Hinsicht als Regelungsinstrument geeignet ist. Zur Beantwortung dieser Frage wird in Kapitel 5 der Ansatz Großbritanniens als Rechtsordnung mit einem ähnlichen demografischen Hintergrund betrachtet und mit dem deutschen Regelungsansatz verglichen. Hierbei ist insbesondere relevant, wie sich die Abschaffung der allgemeinen Altersgrenze (Default Retirement Age) in Großbritannien wirtschaftlich und gesellschaftlich ausgewirkt hat. In Kapitel 6 wird anhand einer ökonomischen Analyse untersucht, welche Auswirkungen die Einführung der Befristungsmöglichkeit im Rentenalter auf die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele hat. Gerade im Arbeits- und Sozialrecht haben gesetzgeberische Neuregelungen direkte Auswirkungen auf eine Vielzahl bestehender und zukünftiger Rechtsverhältnisse. Anhand der ökonomischen Analyse soll geprüft werden, wie Fehlanreize – gerade auch zulasten jüngerer Beschäftigter – vermieden werden können. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse werden in Kapitel 7 mögliche Regelungsalternativen vorgestellt und bewertet. In Kapitel 8 erfolgt ein abschließender Ausblick, bevor in Kapitel 9 die Forschungsergebnisse in Thesen zusammengefasst werden.
Kapitel 2
Altersgrenzen und die arbeitsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit im Rentenalter Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
Die Beendigung eines Arbeitsvertrags mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze ist in zeitlicher und rechtlicher Hinsicht eine Voraussetzung für die anschließende Weiterarbeit im Rentenalter. Vertragliche Altersgrenzen und die Anforderungen der Rechtsprechung an ihre Wirksamkeit hängen somit untrennbar mit Fragen der Weiterbeschäftigung zusammen. Zugleich wird die Möglichkeit weiterzuarbeiten im Rahmen der Rechtfertigung von Altersgrenzen relevant.1 Diese Wechselwirkung führt dazu, dass die Weiterarbeit im Kontext der Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Altersgrenzen gesehen werden muss.
A. Altersgrenzen Mit Erreichen des Rentenalters enden Arbeitsverhältnisse nicht automatisch, sondern nur nach einer rechtmäßigen Kündigung oder nach Ablauf einer Befristung. Auch für Arbeitsverhältnisse nach Erreichen der Regelaltersgrenze gilt das Kündigungsschutzrecht grundsätzlich. Weder das Rentenalter noch der Rentenanspruch des Arbeitnehmers rechtfertigen eine personenbedingte Kündigung (§ 41 S. 1 SGB VI).2 Daher werden Arbeitsverhältnisse durch vertragliche Altersgrenzen in Arbeitsverträgen, Tarifverträgen oder in Betriebsvereinbarungen auf das Erreichen der Regelaltersgrenze von 67 Jahren (§ 35 S. 2 SGB VI) befristet.3 Von der Rechtsprechung werden allgemeine Altersgrenzen als Befristungen eingeordnet.4 Neben allgemeinen vertraglichen Altersgrenzen gibt es besondere 1 Vgl. EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (787) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 74) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 74) – Rosenbladt. 2 BAG, Urt. v. 28. 9. 1961 - 2 AZR 428/60, NJW 1962, S. 73 f.; BeckOK-ArbR/Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 129. 3 Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, Teil II A 20, Rn. 2; Gallner/Mestwerdt/Nägele/ Mestwerdt, § 14 TzBfG, Rn. 135.
A. Altersgrenzen
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Altersgrenzen, die nicht auf das Erreichen der Regelaltersgrenze, sondern auf bestimmte berufliche Anforderungen abstellen. Diese unterliegen höheren Anforderungen bei der Rechtfertigung nach der unionsrechtlichen Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG,5 da nur besondere berufliche Anforderungen wie eine erhöhte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit die Altersgrenzen rechtfertigen können.6 Die folgende Darstellung befasst sich mit allgemeinen Altersgrenzen, die an das Erreichen der Regelaltersgrenze anknüpfen. 4
I. Anforderungen an die Wirksamkeit allgemeiner Altersgrenzen Materiellrechtlich werden an Altersgrenzen sowohl befristungs-, als auch verfassungs- und europarechtliche Anforderungen gestellt. Die Zulässigkeit allgemeiner Altersgrenzen ist gesetzlich nicht geregelt. Aus Normen, die auf vertragliche Altersgrenzen Bezug nehmen wie § 10 S. 3 Nr. 5 AGG und § 41 S. 2 SGB VI, folgt jedoch, dass der Gesetzgeber Altersgrenzen anerkennt und voraussetzt.7 1. Sozialrechtliche Regelaltersgrenze Allgemeine vertragliche Altersgrenzen setzen das Erreichen der sozialrechtlichen Regelaltersgrenze voraus. Dies führt gemäß § 35 S. 1 SGB VI zum Entstehen eines Anspruchs auf Zahlung einer Regelaltersrente, wenn der Arbeitnehmer die allgemeine Wartezeit erfüllt.8 Seit dem 1. 1. 2008 wird die Regelaltersgrenze bei Vollendung des 67. Lebensjahrs (§ 35 S. 2 SGB VI) erreicht. Aufgrund von Übergangsvorschriften gilt dies jedoch nur für die nach 1963 Geborenen 4 BAG, Urt. v. 27. 7. 2005 – 7 AZR 443/04, NZA 2006, S. 37 (39); BAG, Urt. v. 19. 11. 2003 – 7 AZR 296/03, NZA 2004, S. 1336 (1337); die frühere Rechtsprechung, die Altersgrenzen als auflösende Bedingung nach § 158 Abs. 2 BGB einordnete, ist überholt, weil das Erreichen des Rentenalters nicht mehr als unsicheres Ereignis angesehen wird, vgl. BAG, Urt. v. 20. 12. 1984 – 2 AZR 3/84, NZA 1986, S. 325 (327); Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945; HWK/Rennpferdt, § 14 TzBfG, Rn. 99; BeckOK-ArbR/Rolfs, § 14 TzBfG, Rn. 67. 5 BAG, Urt. v. 15. 2. 2012 – 7 AZR 946/07, NZA 2012, S. 866 (869 f.); Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II A 20, Rn. 26 ff. 6 EuGH, Urt. v. 13. 9. 2011 – C-447/09, Slg. 2011, I-8003 (Rn. 67 ff.), NZA 2011, S. 1039 (Rn. 67 ff.) – Prigge; Meinel/Heyn/Herms/Meinel, § 14 TzBfG, Rn. 226. 7 Vgl. Giesen, ZfA 2014, S. 217 (219). 8 Weiterhin setzt der Leistungsanspruch die Erfüllung der fünfjährigen Wartezeit gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI voraus. Neben dem Anspruch auf Zahlung einer Regelaltersrente gemäß § 35 SGB VI gibt es auch besondere Altersrententatbestände, wie z. B. die Altersrente für langjährig Versicherte (§§ 36, 236 SGB VI), die Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§§ 37, 236a SGB VI), für besonders langjährig Versicherte („Rente ab 63“; §§ 38, 236b Abs. 1 SGB VI), die Altersrente für Frauen (§ 237a SGB VI) sowie die Altersrente der langjährig unter Tage Beschäftigten (§§ 40, 238 SGB VI).
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
(§ 35 S. 2 SGB VI i. V. m. § 235 Abs. 1 S. 1 SGB VI). Arbeitnehmer, die vor 1947 geboren wurden, erreichten die Regelaltersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahrs (§ 235 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Für die zwischen 1947 und 1963 Geborenen erhöht sich die Regelaltersgrenze in monatlichen Schritten von 65 auf 67 Jahre (§ 235 Abs. 2 SGB VI).9 Vertragliche Altersgrenzenvereinbarungen, die sich auf die früher geltende Regelaltersgrenze von 65 Jahren beziehen, werden dahingehend ausgelegt, dass sie auf die mittlerweile erhöhte Altersgrenze Bezug nehmen.10 Dies gilt zumindest für Vereinbarungen vor Änderung der Rechtslage.11 Altersgrenzen, die sich auf eine frühere Rentenbezugsberechtigung beziehen, wie z. B. auf die Altersrente für besonders langjährig Versicherte („Rente mit 63“) nach §§ 38, 236b SGB VI, müssen in den letzten drei Jahren vor dem Ausscheiden abgeschlossen oder durch den Arbeitnehmer bestätigt werden (§ 41 S. 2 SGB VI). Ansonsten gelten sie als auf das Erreichen der allgemeinen Regelaltersgrenze geschlossen. Damit wird verhindert, dass ein früherer Rentenanspruch zu einem zwingenden Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis führt.12 2. Befristungsrechtliche Anforderungen Altersgrenzen befristen das Arbeitsverhältnis und müssen durch einen Sachgrund gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG gerechtfertigt sein.13 Sie werden von der Rechtsprechung teils als unbenannter sonstiger Befristungsgrund i. S. d. § 14 9 Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20. 04. 2007 (BGBl. I S. 554); KassKomm/ Gürtner, § 35 SGB VI, Rn. 2. 10 Zu Altersgrenzen in AGB BAG, Urt. v. 9. 12. 2015 – 7 AZR 68/14, NZA 2016, S. 695 (Rn. 15 ff.); zu Betriebsvereinbarungen BAG, Urt. v. 13. 10. 2015 – 1 AZR 853/13, NZA 2016, S. 54 (Rn. 25); zu einer betrieblichen Versorgungsordnung BAG, Urt. v. 15. 5. 2012 – 3 AZR 11/10, NZA-RR 2012, S. 433 (438 f.); HWK/Rennpferdt, § 14 TzBfG, Rn. 101; Waltermann, SR 2014, S. 66 (67); Hanau, NZA 2011, S. 537 (538) befürwortet eine Anwendung von § 41 S. 2 SGB VI. 11 So auch Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 100; ErfK/Rolfs, § 41 SGB VI, Rn. 10. 12 Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II A 20, Rn. 16; kollektivvertragliche Altersgrenzen stehen grundsätzlich nicht unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch einzelne Arbeitnehmer. Es wurde jedoch ein richterrechtlicher Zustimmungsvorbehalt abgeleitet BAG, Urt. v. 20. 10. 1993 – 7 AZR 135/93, NZA 1994, S. 128 (130, 132); BAG, Urt. v. 1. 12. 1993 – 7 AZR 428/93, NZA 1994, S. 369 (371 f.); LAG Hamm, Urt. v. 22. 1. 2015 – 11 Sa 1252/14, BeckRS 2015, 66615; Kreikebohm/Dankelmann, § 41 SGB VI, Rn. 5; ErfK/Rolfs, § 41 SGB VI, Rn. 11. 13 Statt vieler BAG, Urt. v. 5. 3. 2013 – 1 AZR 417/12, NZA 2013, S. 916 (918); BAG, Urt. v. 12. 6. 2013 – 7 AZR 917/11, NZA 2013 S. 1428 (1430).
A. Altersgrenzen
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Abs. 1 S. 1 TzBfG,14 teils als in der Person des Arbeitnehmers liegender Befristungsgrund gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG15 eingeordnet. Das BAG ordnet Regelaltersgrenzen als zulässige Sachgrundbefristungen ein.16 Dies wird anhand einer Abwägung der Parteiinteressen an der Fortsetzung beziehungsweise Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründet.17 Zwar verfolgen Arbeitnehmer das legitime Interesse, solange wie gewünscht beruflich tätig zu sein und sich eine Existenzgrundlage zu erarbeiten.18 Jedoch profitierten sie selbst von Altersgrenzen, weil diese die eigenen Einstellungs- und Aufstiegs chancen verbesserten.19 Zudem sind Arbeitnehmer im Rentenalter zumindest im Grundsatz durch eine Altersrente abgesichert,20 wenn während der Dauer des Arbeitsverhältnisses Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung erworben und die Wartezeit gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt wurde.21 Es kommt dabei nicht auf die tatsächliche Höhe der Altersrente an, da der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Rentenversicherung eine geeignete Altersversorgung schuf und sich der Arbeitnehmer auf die vorher berechenbare Rentenhöhe einstellen konnte.22 Arbeitgeber haben häufig keine Einblicke in die Erwerbsbiographie des Arbeitnehmers, um die zu erwartende Rentenhöhe beurteilen zu können.23 Zudem hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an einer ausgewogenen Altersstruktur im Betrieb und einer Voraussehbarkeit des Ausscheidens älterer Arbeitnehmer für die Personal- und Nachwuchsplanung.24 14 BAG, Urt. v. 12. 6. 2013 – 7 AZR 917/11, NZA 2013 S. 1428 (Rn. 22 ff.); BAG, Beschl. v. 17. 6. 2009 – 7 AZR 112/08, NZA 2009, S. 1355 (Rn. 13). 15 MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG, 59 ff.; Gallner/Mestwerdt/Nägele/Mestwerdt, § 14 TzBfG, Rn. 136; HWK/Rennpferdt, § 14 TzBfG, Rn. 98 f.; Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II A 20, Rn. 5. 16 Ständige Rechtsprechung BAG, Urt. v. 18. 6. 2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, S. 1302 (Rn. 24); BAG, Urt. v. 27. 7. 2005 – 7 AZR 443/04, NZA 2006, S. 37 (39); BAG, Urt. v. 19. 11. 2003 – 7 AZR 296/03, NZA 2004, S. 1336 (1337); BAG, Urt. v. 20. 11. 1987 – 2 AZR 284/86, NZA 1988, S. 617 (618). 17 BAG, Urt. v. 18. 6. 2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, S. 1302 (Rn. 24); KassKomm/ Gürtner, § 41 SGB VI, Rn. 10; Persch, NZA 2010, S. 77 (78). 18 BAG, Urt. v. 12. 6. 2013 – 7 AZR 917/11, NZA 2013 S. 1428 (1430); BAG, Urt. v. 18. 6. 2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, S. 1302 (1304). 19 BAG, Urt. v. 21. 9. 2011 – 7 AZR 134/10, NZA 2012, S. 271 (Rn. 22). 20 BAG, Urt. v. 12. 6. 2013 – 7 AZR 917/11, NZA 2013 S. 1428 (1430); BAG, Urt. v. 18. 6. 2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, S. 1302 (1304). 21 HWK/Rennpferdt, § 14 TzBfG, Rn. 104. 22 BAG, Urt. v. 18. 06. 2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, S. 1302 (1305); Gallner/Mestwerdt/Nägele/Mestwerdt, § 14 TzBfG, Rn. 136. 23 Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945 (947). 24 BAG, Urt. v. 18. 6. 2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, S. 1302 (Rn. 24); BAG, Urt. v. 27. 07. 2005 – 7 AZR 443/04, NZA 2006, S. 37 (39); HWK/Rennpferdt, § 14 TzBfG, Rn. 104.
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
3. Verfassungsrechtliche Anforderungen Weitergehende Anforderungen an Altersgrenzen könnten sich aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ableiten.25 Art. 12 Abs. 1 GG schützt als einheitliches Grundrecht die Wahl und die Ausübung eines Berufs. Primär handelt es sich um ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe,26 z. B. durch gesetzliche Altersgrenzen. Allgemeine vertragliche Altersgrenzen beruhen nicht auf einem Gesetz, sondern auf einzel- oder kollektivvertraglichen Vereinbarungen. Auch die Tarifvertragsparteien üben nach überwiegender Ansicht keine gesetzgebende Gewalt im Sinn von Art. 1 Abs. 3 GG aus und sind nicht direkt an Grundrechte gebunden.27 Art. 12 Abs. 1 GG schützt grundsätzlich nicht vor einem Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition.28 Dennoch ist das Privatrecht aufgrund der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten anhand grundrechtlicher Gewährleistungen auszulegen und anzuwenden.29 Aus der objektivrechtlichen Grundrechtsfunktion folgt eine Schutzpflicht des Gesetzgebers, wenn wirtschaftliche Ungleichgewichte eine privatautonome Disposition verhindern.30 25 Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II A 20, Rn. 8; Waltermann, NJW 1998, S. 2488 (2489 ff.); vertiefend ders., Berufsfreiheit im Alter, S. 83 ff. 26 Sachs/Mann, Art. 12 GG, Rn. 16 ff.; Stern/Becker/Nolte, Art. 12 GG, Rn. 67; zur gesetzlichen Altersgrenze für Notare BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 29. 10. 1992 – 1 BvR 1581/91, NJW 1993, S. 1575. 27 Gesetzgebend i. S. v. Art. 1 Abs. 3 GG werden Tarifvertragsparteien tätig, wenn der Tarifvertrag gemäß § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt wird, Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 100; Sachs/Höfling, Art. 1 GG, Rn. 100. Die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien bei Vereinbarung von Tarifverträgen ist in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten. Zum Streitstand Sachs/Höfling, Art. 1 GG, Rn. 99 ff., Art. 9 Rn. 97 m. w. N.; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG, Rn. 357. Das BVerfG hat die Frage bislang offengelassen BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 25. 11. 2004 - 1 BvR 2459/04, AP Nr. 25 zu § 620 BGB Altersgrenze; BVerfG, Beschl. v. 30. 5. 1990 – 1 BvL 2/83 u. a., BVerfGE 82, 126 (154) = NZA 1990, 721 (723). Während das BAG die Frage der Grundrechtsbindung in seiner früheren Rechtsprechung bejahte BAG, Urt. v. 7. 3. 1995 – 3 AZR 282/94, NZA 1996, S. 48 (50); BAG, Urt. v. 13. 11. 1985 – 4 AZR 234/84, NZA 1986, S. 321; BAG, Urt. v. 15. 1. 1955 – 1 AZR 305/54, NJW 1955, S. 684 (685 ff.) lehnen einige Senate die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien mittlerweile ab; BAG, Urt. v. 24. 4. 2001 – 3 AZR 329/00, NZA 2002, S. 912 (916); BAG, Urt. v. 11. 3. 1998 – 7 AZR 700/96, NZA 1998, S. 716 (718 f.); vgl. auch BeckOK-GG/Hillgruber, Art. 1 GG, Rn. 72.3; vertiefend Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 85 ff. 28 BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 25. 11. 2004 – 1 BvR 2459/04, AP Nr. 25 zu § 620 BGB Altersgrenze (B II.2 der Gründe). 29 Grundlegend BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, S. 198 (205 f.) = NJW 1958, S. 257 f. – Lüth; BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, S. 242 (254) = NZA 1990, S. 389 (390); Stern/Becker/Enders, Art. 1 GG, Rn. 117; Klein, NJW 1989, S. 1633; Sachs/Mann, Art. 12 GG, Rn. 101; Schlüter/Belling, NZA 1988, S. 297 (300 f.); ErfK/Schmidt, GG, Einleitung, Rn. 33 ff.
A. Altersgrenzen
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Bei gesetzgeberischen Schutzpflichten gelten jedoch herabgesetzte Anforderungen im Vergleich zur Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Grundrechtseingriffen. Der Gesetzgeber muss den betroffenen Grundrechtspositionen im Wege praktischer Konkordanz zu maximaler Wirksamkeit verhelfen, wobei weitgehende Handlungs- und Gestaltungsspielräume bestehen.31 Insbesondere liegt es im Ermessen des Gesetzgebers, die betroffenen Interessen festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen.32 Unzulässig sind nur völlig unzureichende Maßnahmen. 30
Bei der Vereinbarung einer vertraglichen Altersgrenze besteht regelmäßig ein Verhandlungsungleichgewicht der Arbeitsvertragsparteien. Aufgrund seiner Schutzpflicht muss der Gesetzgeber die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Vertrags- und Beendigungsfreiheit des Arbeitgebers (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG)33 in Ausgleich bringen. Die ständige Rechtsprechung geht hierbei davon aus, dass der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht genügt, wenn Altersgrenzen einer gerichtlichen Befristungskontrolle unterliegen.34 Die Abwägung der Grundrechte wird damit in die Prüfung des Sachgrunds der Befristung integriert.35 Problematisch ist, dass die Prüfung der Befristung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt. Zu diesem Zeitpunkt können die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers bei Erreichen der Regelaltersgrenze sowie besondere betriebliche Umstände und die Höhe der zu erwartenden Altersrente nicht vorhergesehen und damit nicht überprüft werden. Überprüfbar ist allein, ob die Wartezeit für die gesetzliche Rentenversicherung erfüllt wird. Das im Befristungsrecht geltende Prognoseprinzip stößt an seine Grenzen.36 Aus diesem Grund wird eine verallgemeinerte Gesetzmäßigkeit des Alterns zugrunde gelegt.37 30 BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, S. 242 (254 f.) = NZA 1990, S. 389 (390); Klein, NJW 1989, S. 1633 (1640); vgl. Nußberger, JZ 2002, S. 524 (529). 31 BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1994 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, S. 169 (176) = NZA 1998, S. 470 (471); BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 –1 BvR 567/89 u. a., BVerfGE 89, 214 (232) = NJW 1994 S. 36 (38); BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 - 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, S. 242 (255) = NZA 1990, S. 389 (390); Linsenmaier, RdA 2012, S. 193 (194); Sachs/Sachs, vor Art. 1 GG, Rn. 36 ff.; I. Schmidt, in: FS Dieterich, S. 585 (594); Söllner, RdA 1989, S. 144 (148); Papier, RdA 1989, S. 137 (140). 32 BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1994 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, S. 169 (176) = NZA 1998, S. 470 (471). 33 BVerfG, Beschluss vom 27. 1. 1994 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, S. 169 (176) = NZA 1998, S. 470; Papier, RdA 1989, S. 137 (138). 34 BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 25. 11. 2004 – 1 BvR 2459/04, AP Nr. 25 zu § 620 BGB Altersgrenze (B.II.2. der Gründe); Persch, NZA 2010, S. 77 (78). 35 I. Schmidt, in: FS Dieterich, S. 585 (594). 36 Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 343 ff. 37 Vgl. auch Nußberger, JZ 2002, S. 524 (527).
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
Trotz dieser Defizite der Befristungskontrolle kann nur dann nicht mehr von einem angemessenen Ausgleich der Grundrechtspositionen gesprochen werden, wenn eine strukturelle Unterversorgung pensionierter Arbeitnehmer eintritt.38 Ein sinkendes Rentenniveau erschwert die Rechtfertigung von Altersgrenzen, da besonders die wirtschaftliche Absicherung im Rentenalter maßgeblich ist.39 Aufgrund der hohen Voraussetzungen, die an eine Verletzung des Untermaßverbots gestellt werden, kann eine solche bislang jedoch nicht angenommen werden. 4. Europarechtliche Anforderungen Auch europarechtlich sind vertragliche Regelaltersgrenzen nach der Rechtsprechung des EuGH zulässig. Die Rechtsprechung misst Altersgrenzen am Verbot der Altersdiskriminierung nach Art. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG.40 Die Richtlinie wurde mit anderen Gleichbehandlungsrichtlinien im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umgesetzt.41 Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung erfolgt gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, da legitime sozialpolitische Ziele verfolgt werden und das gewählte Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich ist. Altersgrenzen dienen nach Ansicht des EuGH dem legitimen Ziel der Förderung des Zugangs Jüngerer zum Arbeitsmarkt und der Arbeitsteilung zwischen den Generationen.42 Es ist nicht erforderlich, dass die konkrete Arbeitsmarktsituation das Ausscheiden 38 Bepler, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentags (Hrsg.), Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. II/1, K9 (K31). 39 Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 310; Preis, Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. I, B54. 40 Siehe z. B. EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 36 ff.) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 36 ff.) – Rosenbladt. 41 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. 8. 2006, BGBl. I S. 1897; BT-Drs. 16/1780, S. 1, 35 ff. Das AGG setzte auch drei weitere Gleichbehandlungsrichtlinien um: RL-2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. 2000 L 180 S. 22); RL 2002/73/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 2002 L 269 S. 15) und RL 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. 2004 L 373 S. 37). 42 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 38 ff.) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 38 ff.) – Rosenbladt; EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 66) = NZA 2007, 1219 (Rn. 66) – Palacios de la Villa.
A. Altersgrenzen
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eines älteren Arbeitnehmers erforderlich macht.43 Vielmehr genügt, dass die jeweilige Altersgrenze zur Erreichung des angestrebten Ziels „nicht unvernünftig“ ist.44 Die Nachteile für ältere Arbeitnehmer sind durch den Einkommensersatz in Form einer Altersrente oder zumindest durch die sozialrechtliche Absicherung kompensiert.45 Altersgrenzen führten auch nicht zu einer „Zwangsverrentung“, da im Anschluss an das Ausscheiden ein neues Beschäftigungsverhältnis aufgenommen werden kann.46 In der Rechtssache Rosenbladt entschied der EuGH zudem, dass verrentete Arbeitnehmer bei einer Neubewerbung nicht aufgrund ihres Alters abgelehnt werden dürfen.47 Weiterhin führt der EuGH an, dass Altersgrenzen eine für den Arbeitnehmer erniedrigende Beendigung des Arbeitsverhältnisses verhindern sollen.48 Der Zusatz, dass Arbeitnehmer bei einer Neubewerbung nicht wegen ihres Alters abgelehnt werden dürfen, kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass ein Arbeitnehmer unmittelbar nach seinem Ausscheiden wiedereingestellt werden muss.49 Dies wäre widersprüchlich. Vielmehr handelt es sich um einen deklaratorischen Hinweis darauf, dass der Zugang zu anderen Beschäftigungsverhältnissen nicht verwehrt ist und Benachteiligungen wegen des Alters unzulässig sind.50 In der Rechtssache Hörnfeldt wurde in diesem Sinn bestätigt, dass die Arbeitsvertragsparteien über die Neueinstellung frei entscheiden können.51 Diese Argumente belegen einen weitgefassten Prüfungsmaßstab. Der EuGH sieht Altersgrenzen als Element einer Sozialpolitik an, mit einem entsprechenden Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten.52 Weiterhin ist auch die Möglichkeit 43
Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945 (946 f.). Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (787) – Hörnfeldt; Bauer/ v. Medem, NZA 2012, S. 945 (946 f.). 45 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 43, 48) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 43) – Rosenbladt; EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (787 f.) – Hörnfeldt. 46 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (787) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 5. 3. 2009 – C-388/07, Slg. 2009, I-1569 (Rn. 27) = NZA 2009, S. 305 (Rn. 27) – Age Concern. 47 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 74) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 74) – Rosenbladt. 48 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (786) – Hörnfeldt. 49 Vgl. Bauer, DB 2010, 2727 (2728 f.); Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945 (948); S. 2727 f.; Bayreuther, NJW 2011, S. 19 (20). 50 Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945 (948); Bayreuther, NJW 2011, S. 19 (20); Sagan, ZESAR 2011, S. 412 (416 f.). 51 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 40 f.) – Hörnfeldt; Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84. 52 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 24) – John; EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (786 f.) – Hörnfeldt; Grünberger, EuZA 2011, 44 EuGH,
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
zur Weiterarbeit im Rentenalter ein wesentlicher Aspekt der Rechtfertigung von Altersgrenzen.
II. Zwischenergebnis Altersgrenzen werden mit der wirtschaftlichen Absicherung rentenberechtigter Arbeitnehmer und der Arbeitsteilung zwischen Generationen gerechtfertigt. Dementsprechend wirft der demografische Wandel, der mit einem Rückgang des Anteils jüngerer Erwerbspersonen einhergeht, die Frage auf, ob starre Altersgrenzen, unabhängig von der jeweiligen Beschäftigungssituation noch zeitgemäß sind.53 Zudem erhöhen Altersgrenzen die Einstellungs- und Aufstiegschancen nachrückender Arbeitnehmer nicht generell, sondern vorwiegend bei Führungspositionen oder beschränkt verfügbaren Stellen.54 Auch sind mit dem Rentenalter keine zwingenden Aussagen über die Leistungsfähigkeit verbunden.55 Aus diesen Gründen soll am Ende dieses Kapitels diskutiert werden, welche Auswirkungen die Möglichkeit der Weiterarbeit im Rentenalter auf die Rechtfertigung von Altersgrenzen hat. Zuvor sind jedoch die rechtlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit im Rentenalter zu betrachten.
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit Die arbeitsrechtliche Ausgestaltung der Weiterarbeit kann in befristeter oder unbefristeter Form erfolgen. Weiterhin können alternative Vertragsgestaltungen, wie Dienstverträge, Werkverträge oder Dienstverschaffungsverträge gewählt werden.
S. 171 (173); Junker, NZA 2011, S. 950 (957); Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, 2008, S. B 48. 53 Vgl. Boecken, Verhandlungen des 62. DJT 1998, Bd. I, B56 ff.; Preis, Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. I, B 31; Waltermann, RdA 2015, S. 343 (346). 54 Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 318 f.; Waltermann, RdA 2015, S. 343 (352). 55 Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 14; vgl. Numhauser-Henning (2013) 4 ELLJ, S. 84 (91).
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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I. Unbefristete Weiterbeschäftigung Eine unbefristete Weiterbeschäftigung im Rentenalter kann sowohl durch die lückenlose Fortsetzung des Arbeitsvertrags (§ 15 Abs. 5 TzBfG) als auch durch Abschluss eines neuen unbefristeten Arbeitsvertrags mit geänderten Bedingungen (§ 611a Abs. 1 BGB) erfolgen. In der Praxis ist diese Gestaltung selten, da der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nur durch eine Kündigung und gegebenenfalls unter den Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes beenden könnte.
II. Freie Mitarbeit Alternativ kommt eine freie Mitarbeit in Betracht. Freie Mitarbeiter werden – ohne Arbeitnehmer zu sein – auf der Grundlage von Dienst- oder Werkverträgen für den Auftraggeber tätig.56 Sie sind nicht persönlich abhängig und unterliegen keinem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers.57 Sofern ein Rentner ohne Änderung der Arbeitsbedingungen in seiner bisherigen Position weisungsgebunden beschäftigt werden soll, ist eine freie Mitarbeit als Gestaltungsform somit ausgeschlossen.58 In Grenzfällen besteht zudem das Risiko einer Scheinselbstständigkeit, die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nachteilige Konsequenzen wie z. B. die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen auslösen kann.59
III. Arbeitnehmerüberlassung Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit ist der Abschluss eines Dienstverschaffungs- oder eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags mit einem Verleiher, der den Rentner als Arbeitnehmer anstellt und an den bisherigen Arbeitgeber entleiht. Die Arbeitnehmerüberlassung muss durch die Bundesagentur für Arbeit genehmigt werden, wenn sie im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Verleihers ausgeübt wird (§ 1 Abs. 1 S. 1 AÜG). Eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht besteht bei der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG).
56 MüKoHGB/v.
Hoyningen-Huene, § 59 HGB, Rn. 61. BAG, Urt. v. 27. 3. 1991 – 5 AZR 194/90, NZA 1991, S. 933 (933 f.). 58 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (60); Sediq, NZA 2009, S. 524 (530). 59 Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 152; Sediq, NZA 2009, S. 524 (530). 57
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
Bei einer Arbeitnehmerüberlassung geht das arbeitsvertragliche Direktionsrecht gemäß § 106 S. 1 GewO auf den Entleiher über.60 Somit könnte das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen weitergeführt werden. Der Verleiher als neuer Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis darüber hinaus gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG sachgrundlos befristen.61 Das Verbot der Zuvor-Beschäftigung gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG, wonach bei sachgrundlosen Befristungen zuvor kein Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bestanden haben darf, greift aufgrund des Arbeitgeberwechsels nicht ein. Die Kombination einer Arbeitnehmerüberlassung mit einer sachgrundlosen Befristung kann jedoch rechtsmissbräuchlich sein (§ 242 BGB), wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots bezweckt wurde.62 In diesem Fall entsteht ein unbefristeter Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitnehmer und dem Verleiher.63 Es ist unerheblich, ob die Befristung als Sachgrundbefristung hypothetisch zulässig wäre.64 Die Konstruktion einer Arbeitnehmerüberlassung ist somit nur zulässig, wenn sie nicht der Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots dient.
IV. Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags Die zuvor genannten Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung weisen teilweise Gestaltungsschwierigkeiten auf oder widersprechen den Interessen der Vertragsparteien. Eine unbefristete Weiterbeschäftigung führt dazu, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gegebenenfalls nur unter den Voraussetzungen des Kündigungsschutzrechts beenden könnte. Eine freie Mitarbeit oder Arbeitnehmer überlassung kommt nur unter den genannten einschränkenden Anforderungen in Betracht. Naheliegend ist daher der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags. Im Folgenden werden zunächst die Grundlagen einer Befristung im Rentenalter nach dem TzBfG dargestellt. 60 Schüren/Hamann,
Einl., Rn. 196; § 1 AÜG, Rn. 155, 225. BAG, Urt. v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 749/05, AP Nr. 28 zu § 14 TzBfG (Rn. 18); BAG, Urt. v. 10. 11. 2004 – 7 AZR 101/04, NZA 2005, S. 514 (515). 62 BAG, Urt. v. 24. 2. 2016 – AZR 712/13, NZA 2016, 758 (Rn. 39); BAG, Urt. v. 4. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426 (Rn. 25); BAG, Urt. v. 15. 5. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, S. 1214 (1215 ff.); BAG, Urt. v. 19. 3. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840 (Rn. 25); zur Darlegungs- und Beweislast Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (77); vertiefend Sieker, in: FS Kohte, S. 347 (353 ff.). Nach der alten Rechtsprechung wurde ein Rechtsmissbrauch nur angenommen, wenn die Überlassung dazu diente, den Arbeitnehmer für eine unangemessen lange Zeit sachgrundlos zu befristen, BAG, Urt. v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 145/06, NZA 2007, S. 443 (Rn. 16). 63 BAG, Urt. v. 15. 5. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, S. 1214 (Rn. 25); kritisch Greiner, NZA 2014, S. 284 (287 f.). 64 Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (77). 61 Vgl.
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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1. Sachgrundlose Befristung a) Allgemeines Eine sachgrundlose Befristung zur Weiterbeschäftigung ist nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG unzulässig, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestand. Dies gilt auch, wenn seit dem Ende des letzten Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre vergingen.65 Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass durch die Rechtsprechung des BAG, die das Verbot der Zuvor-Beschäftigung auf die Beschäftigungsverhältnisse der letzten drei Jahre beschränkte, die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten wurden.66 Unter den Begriff der Zuvor-Beschäftigung fallen insbesondere aufgrund der Gesetzgebungshistorie zu § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG grundsätzlich alle vorausgegangenen Beschäftigungsverhältnisse. Eine Ausnahme kann aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift nur bestehen, wenn das vorausgegangene Arbeitsverhältnis sehr lange zurückliegt, vollständig anders geartet oder von kurzer Dauer war.67 Aufgrund des Verbots der Zuvor-Beschäftigung in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG scheidet eine sachgrundlose Befristung mithin grundsätzlich aus, wenn eine Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Renten alters an ein zuvor bestehendes Arbeitsverhältnis anschließen soll. b) Sachgrundlose Befristung älterer Arbeitnehmer In Betracht käme weiterhin eine sachgrundlose Befristung auf der Grundlage von § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Arbeitnehmer das 52. Lebensjahr vollendet hat und zu Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses vier Monate beschäftigungslos i. S. v. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III war. Der Begriff der „Beschäftigungslosigkeit“ wurde gewählt, um den persönlichen Anwendungsbereich der Norm zu erweitern, z. B. auf Personen, die wegen der Pflege ihrer Angehörigen nicht arbeiten können und nicht arbeitslos gemeldet sind.68 Diese Anforderungen könnten auch bei Rentnern vorliegen, die nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vier Monate keiner Beschäftigung nachgehen. Hierfür spricht, dass bewusst zwischen dem weiteren Begriff der „Beschäftigungslosigkeit“ und dem engeren Begriff der „Arbeitslosigkeit“ differenziert 65
Anders noch BAG, Urt. v. 6. 4. 2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, S. 905 (906 ff.). Beschl. v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, NJW 2018, 2542 (Rn. 76 ff.). 67 BVerfG, Beschl. v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, NJW 2018, 2542 (Rn. 63); ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 98. 68 Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen vom 12. 12. 2006, BT-Drs. 16/3793, S. 1, 7. 66 BVerfG,
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
wird.69 Beschäftigungslos sind nicht nur Arbeitssuchende, sondern alle Personen, die keiner Beschäftigung i. S. d. § 7 SGB IV nachgehen.70 Der Bezug einer Altersrente ohne Erwerbstätigkeit ist grundsätzlich keine Beschäftigung.71 Gegen eine Anwendung von § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG auf Arbeitnehmer im Rentenalter spricht jedoch die Zielsetzung des Gesetzgebers, die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern.72 Rentner sind keine „älteren Arbeitssuchenden“ im Sinn der Gesetzesbegründung, die auf die Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen ausgerichtet ist.73 Zudem sollte mit Erlass des § 14 Abs. 3 TzBfG keine Ausgestaltung der Befristung im Rentenalter erfolgen.74 Demnach scheidet dieser Befristungstatbestand für die Weiterbeschäftigung von Rentnern aus. 2. Sachgrundbefristung Weiterhin wäre eine Sachgrundbefristung gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG nach Erreichen des Rentenalters möglich. a) Vorübergehender Bedarf (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG) In Betracht kommt eine Sachgrundbefristung gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG aufgrund eines vorübergehenden betrieblichen Bedarfs. Für diesen Sachgrund muss bei Vertragsschluss feststehen, dass nach Ende der Befristung mit hinreichender Sicherheit kein Bedarf an der Arbeitskraft mehr bestehen wird.75 Ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf kann aus einem zeitlich begrenzten Anstieg des Arbeitsvolumens, einem vorübergehenden Projekt oder einer zukünftig erforderlichen Reduktion des Arbeitskräftebedarfs resultieren.76 Der Sachgrund ist daher anwendbar, wenn ein Nachfolger eingearbeitet werden soll, da hierdurch für eine beschränkte Zeit ein erhöhter Arbeitsaufwand entsteht. Wird durch die Weiterbeschäftigung hingegen ein dauerhafter Bedarf an der Ar69
Bader, NZA 2007, S. 713 (714 f.); Sediq, NZA 2009, S. 524 (525). Sediq, NZA 2009, S. 524 (525), v. Steinau-Steinrück/Burkard-Pötter, NJW-Spezial 2012, S. 306 (307). 71 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (64). 72 BT-Drs. 16/3793, S. 1, 7; Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (61). 73 BT-Drs. 16/3793, S. 1, 7. 74 Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (86); a. A. v. Steinau-Steinrück/Burkard-Pötter, NJW-Spezial 2012, S. 306 (307). 75 BAG, Urt. v. 25. 8. 2004 – 7 AZR 7/04, NZA 2005, S. 357 (358); ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 23. 76 BAG, Urt. v. 14. 12. 2016 – 7 AZR 688/14, NZA 2017, S. 711 (Rn. 12); BAG, Urt. v. 27. 7. 2016 – 7 AZR 545/14, NZA 2016, S. 1531 (Rn. 17). 70
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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beitsleistung des Rentners nur vorübergehend gedeckt, ist § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG nicht anwendbar.77 b) Vertretung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG) Zudem kann die befristete Einstellung eines Rentners zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers erfolgen. Eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Sachgrunds ist die Prognose, dass der Vertretungsbedarf mit Rückkehr des vertretenen Arbeitnehmers entfällt.78 c) Gründe in der Person des Arbeitnehmers (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG) Liegt keiner der oben genannten Befristungsgründe vor, könnte § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG einschlägig sein. Diese Fallgruppe erfasst Befristungen, die unabhängig von der Art der Arbeitsleistung allein aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt sind.79 Anerkannt sind verschiedene Sachgrundtypen, wie die Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers oder aus sozialen Gründen.80 aa) Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers Eine Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer eine befristete Beschäftigung wünschte und eine unbefristete Beschäftigung abgelehnt hätte.81 Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss vom Arbeitgeber dargelegt und bewiesen werden. Der Bezug einer Rente belegt kein Interesse an einer befristeten Beschäftigung, da unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer wirtschaftlich auf die Tätigkeit angewiesen ist.82 Auch aus besseren Vertragsbedingungen eines befristeten Arbeitsvertrags folgt kein automatischer Befristungswunsch des Arbeitnehmers.83 Aus diesen Gründen wird dieser Befristungsgrund nur in Ausnahmefällen relevant.
77 Bauer/Gottschalk, BB 2013, S. 501 (502); Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (68). 78 BAG, Urt. v. 2. 7. 2003 – 7 AZR 529/02, NZA 2004, S. 1055 (1056); ErfK/Müller-Glöge, § 14, Rn. 35. 79 Boecken/Joussen/Boecken, § 14 TzBfG, Rn. 85. 80 APS/Backhaus, § 14 TzBfG, Rn. 97. 81 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 61. 82 BAG, Urt. v. 11. 12. 1991 – 7 AZR 128/91, NZA 1993, S. 354 (355); Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (64). 83 BAG, Urt. v. 18. 1. 2017 – 7 AZR 236/15, NZA 2017, 849 (Rn. 30).
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
bb) Befristungsgrund „Rentenalter“ Bei Erreichen der Regelaltersgrenze und bei Bestehen eines Anspruchs auf eine Regelaltersrente könnte eine Befristung automatisch durch einen Sachgrund gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG gerechtfertigt sein.84 Eine früher überwiegende Ansicht in der Rechtsliteratur bejahte dies. Argumentiert wurde, dass die befristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer günstiger sei als das Ausscheiden aufgrund einer Altersgrenze und daher erst recht zulässig sein müsse.85 (1) Urteil des LAG Berlin-Brandenburg Diese Argumentation lag auch einem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2012 zugrunde, das über die Rechtswirksamkeit einer Befristung nach Erreichen des Rentenalters entschied.86 Der Kläger war zunächst in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis ohne vertragliche Altersgrenze beschäftigt. Am 21. 1. 2010 erreichte der Kläger das 65. Lebensjahr und bezog seither eine Altersrente. Die Parteien unterzeichneten daraufhin eine Vereinbarung, die als „Ergänzung zum Anstellungsvertrag“ bezeichnet wurde. Hiernach sollte der Kläger bis Ende des Jahres 2010 zu unveränderten Bedingungen weiterarbeiten. Nach Ablauf dieses Zeitraums verlängerten die Parteien die Vereinbarung bis zum 31. 12. 2011. Im Anschluss verweigerte die Beklagte eine erneute Verlängerung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger erhob daraufhin eine Entfristungsklage, welche von dem Arbeitsgericht Berlin zurückgewiesen wurde.87 Das LAG wies die Berufung des Klägers zurück. Es sah die letzte Befristung als zulässige Sachgrundbefristung gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG an. Das LAG übertrug die Argumente für die Rechtfertigung vertraglicher Altersgrenzen auf die befristete Weiterbeschäftigung. Auch nach Erreichen des Rentenalters überwiege das Interesse des Arbeitgebers an einer voraussehbaren Personalplanung und einer ausgewogenen Altersstruktur gegenüber dem Interesse eines Rentners, noch für eine bestimmte Zeit weiterzuarbeiten.88 84 Bauer/Gottschalk, BB 2013, S. 501 (503); Bayreuther, NJW 2012, S. 2758; Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (60 ff.); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 209 ff.; Sediq, NZA 2009, S. 524 (526 ff.); Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (64 ff.). 85 Vgl. Bauer/Gottschalk, BB 2013, S. 501 (503); Bayreuther, NJW 2012, S. 2758; Meinel/Heyn/Herms/Meinel, § 14 TzBfG, Rn. 236; Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 209 ff.; Sediq, NZA 2009, S. 524 (526 ff.); Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (64 ff.). 86 LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20. 11. 2012 – 12 Sa 1303/12, BeckRS 2013, 66631. 87 ArbG Berlin, Urt. v. 22. 6. 2012 – 18 Ca 738/12, BeckRS 2015, 69642.
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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(2) Urteil des BAG Das BAG hob das Urteil auf die Revision des Klägers auf und verwies die Sache zurück. Nach Ansicht des BAG kann die Rechtfertigung von Altersgrenzen nicht auf Befristungen nach Erreichen des Rentenalters übertragen werden.89 Altersgrenzen werden typischerweise bei Begründung des Arbeitsverhältnisses und damit zu einem früheren Zeitpunkt als Befristungen zur Weiterbeschäftigung vereinbart. Zu diesem Zeitpunkt kann nicht vorausgesehen werden, ob das Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers erforderlich werde. Daher ist eine typisierende Betrachtung erforderlich.90 Dies gilt jedoch nicht, wenn die Befristungsvereinbarung erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses getroffen wird. 88
Befristungen im Rentenalter können jedoch auf § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG gestützt werden, wenn der Arbeitnehmer durch eine Altersrente abgesichert ist und die Befristung „einer konkreten, im Zeitpunkt der Befristungsabrede bestehenden Personalplanung des Arbeitgebers, z. B. der Einarbeitung einer Ersatzkraft oder der Überbrückung bis zur Nachbesetzung einer Stelle mit einer Ersatzkraft“ dient.91 (3) Stellungnahme Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Ein „Erst-recht-Schluss“ zwischen Altersgrenzen und der Weiterbeschäftigung im Rentenalter konnte im vorliegenden Fall schon deshalb keine Anwendung finden, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch eine Altersgrenze befristet war.92 Unabhängig von der jeweiligen Sachverhaltskonstellation kann ein „ErstRecht-Schluss“ (argumentum a forteriori) in Form des argumentum a maiore ad minus nur dann Anwendung finden, wenn von einer stärkeren auf eine schwächere Aussage geschlossen wird.93 Von der Rechtmäßigkeit eines Sachverhalts kann nur dann auf die Rechtmäßigkeit eines anderen geschlossen werden, wenn beide Sachverhalte dieselben Eigenschaften haben und ein Sachver88 LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20. 11. 2012 – 12 Sa 1303/12, BeckRS 2013, 66631 (2. 3. 2.1. der Gründe). 89 BAG, Urt. v. 11. 02. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 26 ff.). 90 BAG, Urt. v. 11. 02. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 28). 91 BAG, Urt. v. 11. 02. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 26); kritisch Bauer, ArbRAktuell 2015, S. 354; Schmitt-Rolfes, AuA 2015, S. 263. 92 Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 212. 93 Joerden, Logik im Recht, S. 306; Máynez, ARSP-Beiheft Nr. 41 N. F. Nr. 4 (1965), S. 115 (129 f.).
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
halt den rechtfertigenden Umstand in höherem Umfang aufweist.94 Eine solche Konstellation besteht bei einer befristeten Weiterbeschäftigung gerade nicht. Es wird zwar regelmäßig darauf abgestellt, dass ein Ausscheiden in einem höheren Lebensalter günstiger und damit weniger belastend im Vergleich zu einem Ausscheiden bei Erreichen der Altersgrenze sei.95 Allerdings fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung, dass beide Sachverhalte dieselben Eigenschaften aufweisen. Eine Befristung nach Erreichen des Rentenalters ist keine spätere und damit erst recht zulässige Altersgrenze mit denselben Eigenschaften, sondern begründet ein neues Arbeitsverhältnis. Es handelt sich damit um zwei unabhängige Gestaltungen, die nicht unter Rückgriff auf die gleichen Argumente gerechtfertigt werden können.96 Der Erst-Recht-Schluss könnte ansonsten dazu führen, Rentnern jeglichen Schutz vor Befristungen nach Erreichen der Regelaltersgrenze abzuerkennen.97 Zudem bestehen zwischen einer Altersgrenze und der befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter erhebliche tatsächliche und rechtliche Unterschiede: Bei Altersgrenzen werden die der Befristung zugrundeliegenden Umstände abstrakt beurteilt, weil sie zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses vereinbart werden. Ihnen liegen sozial- und beschäftigungspolitische Ziele zugrunde. Für einzelne Befristungen, die nach Erreichen des Rentenalters vereinbart werden, gilt dies nicht. Der Arbeitgeber kann vor einer Befristung nach Erreichen des Rentenalters genau absehen, wie lange er die Arbeitskraft des Rentners benötigt. Es besteht daher kein Unterschied zu sonstigen Befristungskonstellationen, in denen eine zukunftsbezogene Prognose erfolgt.98 Aus diesen Gründen sind die Anforderungen an die Prognose nicht herabzusetzen. Der restriktive Ansatz des BAG ist daher überzeugend. 3. Befristung auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI Mit Wirkung vom 1. 7. 2014 ergänzte der Gesetzgeber § 41 SGB VI durch das Gesetz über die Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) dahingehend, dass die Arbeitsver94 Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 166 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 209; Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 34. 95 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 55) – John. 96 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (81) verweist darauf, dass eine isolierte Betrachtung der Interessenlage erforderlich sei, um zwei verschiedene Befristungsmöglichkeiten zu rechtfertigen. 97 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (81). 98 Hoppe, RdA 2016, S. 236 (238); kritisch Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (81).
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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tragsparteien den vereinbarten Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses auf das Erreichen der Regelaltersgrenze auch mehrfach hinausschieben können.99 a) Gesetzgebungshistorie Die Gesetzesänderung beruht auf dem Beschluss der Regierungsparteien im Koalitionsvertrag 2013, flexible Übergänge in den Ruhestand zu gestalten.100 Als Überbegriff der gesetzgeberischen Maßnahmen wurde der Begriff der Flexirente gewählt der alle arbeits- und sozialrechtlichen Regeln umfasst, „mit denen mögliche Hemmnisse für die weitere Beschäftigung älterer Arbeitnehmer/-innen neben dem Bezug einer Rente abgebaut werden sollen“.101 Hierbei wählte der Gesetzgeber arbeits- und sozialrechtliche Regelungsansätze. Die Einführung des § 41 S. 3 SGB VI durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz erfolgte fast unbemerkt.102 Zunächst brachte die Bundesregierung im Januar 2014 einen Entwurf des Gesetzes in den Bundestag ein, der jedoch keine Regelung zu einer befristeten Weiterarbeit im Rentenalter enthielt.103 Die folgende Anhörung vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales behandelte die Fragen nach der Weiterbeschäftigung im Rentenalter nur unter dem Gesichtspunkt möglicher Verdrängungseffekte gegenüber jüngeren Arbeitnehmern.104 Im Anschluss an die Anhörung erging eine Beschlussempfehlung des Ausschusses, die erstmals einen Vorschlag für die Befristungsregelung enthielt und diese mit dem Bedürfnis nach einer rechtssicheren Gestaltung der Weiterarbeit begründete.105 Eine politische oder rechtswissenschaftliche Diskussion der Befristungsregelung fand nicht statt. Die Beschluss empfehlung korrespondiert auch mit einem Entschließungsantrag der CDU/ CSU- und SPD-Fraktionen vom 22. 5. 2014, welche den Bundestag aufforderten, Möglichkeiten der Weiterarbeit im Rentenalter zu prüfen.106 Beide Empfehlungen 99 Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23. 6. 2014 (BGBl. I S. 787). 100 CDU, CSU, SPD, Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag, 18. Legislaturperiode, 17. 12. 2013, S. 71 f. 101 Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Aktueller Begriff: Der variable Übergang in den Ruhestand als sogenannte Flexi-Rente (Nr. 21/14), 7. 7. 2014, S. 1. 102 Devetzi, in: Igl/Welti/Eßer (Hrsg.), Alter und Beschäftigungen: Arbeitssituation, Lebensentwürfe und soziale Sicherung der über 50-Jährigen, S. 67 (70). 103 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz), 25. 03. 2014, BT-Drs. 18/909. 104 Wortprotokoll der 11. Sitzung, Ausschuss für Arbeit und Soziales, 5. 5. 2014, Prot. Nr. 18/11, S. 154. 105 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, 21. 5. 2014, BT-Drs. 18/1489, S. 24 f. 106 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, 22. 5. 2014, BT-Drs. 18/1507.
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
wurden vom Parlament in der Sitzung vom 23. 5. 2014 angenommen und mündeten in den Erlass von § 41 S. 3 SGB VI.107 b) Voraussetzungen der befristeten Weiterbeschäftigung aa) Anwendungsbereich der Vorschrift Die Anwendung von § 41 S. 3 SGB VI setzt zunächst voraus, dass der zeitliche und sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist. In zeitlicher Hinsicht ist § 41 S. 3 SGB VI auf Vereinbarungen anwendbar, die nach dem 1. 7. 2014 getroffen wurden.108 Wie für alle Befristungen ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Vereinbarung maßgeblich.109 In sachlicher Hinsicht findet die Vorschrift auf bestehende Arbeitsverhältnisse Anwendung, die mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze enden.110 Es wird daher entweder eine individual- oder kollektivvertragliche Altersgrenze vorausgesetzt. Aus dem Wortlaut der Norm lässt sich nicht ableiten, ob die Altersgrenze auch wirksam sein muss. Dies ist jedoch anzunehmen, weil die vorausgesetzte Beendigung des Arbeitsverhältnisses von einer wirksamen Altersgrenze abhängt.111 Anderenfalls läuft das Arbeitsverhältnis gemäß § 16 S. 1 TzBfG ohnehin unbefristet weiter. Keine Anwendung findet § 41 S. 3 SGB VI, wenn ein bereits beendetes Arbeitsverhältnis nach Unterbrechung wiederaufgenommen werden soll. Aus dem Begriff „Hinausschieben“ folgt in zeitlicher Hinsicht, dass der Verlängerungszeitpunkt vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis liegen muss.112 Zudem muss die vertragliche Vereinbarung nach den Gesetzgebungsmaterialien „während des laufenden Arbeitsverhältnisses“ getroffen werden.113 In jedem Fall wird die Verlängerung gesondert nach Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbart.114
107 Vgl. die Annahme des Gesetzesbeschlusses des deutschen Bundestags, Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) v. 23. 5. 2014 durch den Bundesrat, BR-Drs. 209/14. 108 BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 20). 109 Vgl. BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 20); BAG, Beschl. v. 17. 6. 2009 – 7 AZR 112/08 (A), NZA 2009, S. 1355 (Rn. 37); BAG, Urt. v. 15. 1. 2003 – 7 AZR 346/02, NZA 2003, S. 914. 110 Worzalla, P&R 2014, S. 132. 111 APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 66. 112 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (221); Groeger, ZTR 2015, S. 115 (120); Kroll, ZTR 2016, S. 179 (181); Worzalla, P&R 2014, S. 132 (133). 113 BT-Drs. 18/909; BT-Drs. 18/1489, S. 25. 114 APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 70; ErfK/Rolfs, § 41 SGB VI, Rn. 23; KKW/Roßbach, § 41 SGB VI, Rn. 4.
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI könnte auch anwendbar sein, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund anderer Befristungstatbestände und nicht infolge einer Regelaltersgrenze endet. Hierfür spricht, dass der Wortlaut der Norm eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze voraussetzt und keine Aussage zu deren Rechtsgrundlage trifft. Auch andere Beendigungstatbestände, wie z. B. eine sachgrundlose Befristung auf das Erreichen des Rentenalters, begründen das vergleichbare Bedürfnis nach einer möglichen Weiterarbeit. Aus diesen Gründen werden auch andere Beendigungstatbestände erfasst, die auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abstellen.115 Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI sollte zudem auch dann Anwendung finden, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund der Fiktion des § 41 S. 2 SGB VI mit Eintritt ins Rentenalter endet.116 Keine Anwendung findet § 41 S. 3 SGB VI jedoch, wenn der Arbeitnehmer im Rentenalter ein Beschäftigungsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber begründet. Der Gesetzgeber wollte den Übergang in den Ruhestand flexibilisieren und keine generelle Befristungsmöglichkeit im Rentenalter schaffen.117 In diesem Fall kann auf die sachgrundlose Befristung gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG zurückgegriffen werden. bb) Anwendung des TzBfG Die Befristungsregelung in § 41 S. 3 SGB VI ist eine Sonderregelung i. S. d. § 23 TzBfG.118 Hierfür spricht, dass die befristete Weiterbeschäftigung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Altersgrenzen geregelt ist, deren Zulässigkeit sich nach dem TzBfG richtet.119 Nach § 23 TzBfG bleiben besondere gesetzliche Regelungen über die Befristung von Arbeitsverträgen unberührt. (1) Schriftform Sofern eine Sonderbefristungsregelung keine anderweitigen Bestimmungen trifft, finden die allgemeinen Bestimmungen des TzBfG ergänzend Anwendung (§ 23 TzBfG).120 Die Befristungsabrede nach Erreichen des Rentenalters 115 Vgl. Giesen, ZfA 2014, S. 217 (227); Groeger, ZTR 2015, S. 115 (119); a.A. Schmitt-Rolfes, AuA 2015, S. 263. 116 Bader, NZA 2014, S. 749, (750 f.); Kleinebrink, DB 2014, S. 1490 (1492). 117 APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 71; Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 37/2015 Anm. 3. 118 Bader, NZA 2014, 749; APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 62; ErfK/Rolfs, § 41 S. 3 SGB VI, Rn. 21; Meinel/Heyn/Herms/Meinel, § 14 TzBfG, Rn. 232. 119 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (222). 120 BAG, Urt. v. 13. 6. 2007 – 7 AZR 700/06, NZA 2008, S. 108 (109); Däubler/Hjort/ Schubert/Wolmerath/Ahrendt/Tillmanns, § 23 TzBfG, Rn. 1; APS/Backhaus, § 23 TzBfG, Rn. 1.
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
muss nach § 14 Abs. 4 TzBfG schriftlich getroffen werden.121 Die Funktionen der Schriftform,122 wie die Warnfunktion über das feststehende Ende des Arbeitsverhältnisses, die Dokumentationsfunktion bezüglich Inhalt und Dauer der Befristung und die Beweisfunktion im Fall von Rechtsstreitigkeiten greifen auch bei einer befristeten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses. Zudem ist auch für Rentner Rechtssicherheit über die Dauer der Fortsetzung erforderlich, um entsprechend planen und vorsorgen zu können. Dies gilt insbesondere, wenn die Weiterarbeit der finanziellen Absicherung dient. (2) Anrufung des Arbeitsgerichts Weiterhin findet § 17 TzBfG Anwendung, wonach der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrags Klage vor den Arbeitsgerichten auf Feststellung erheben kann, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung endete. Bei einer befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter läuft die Frist ab dem vereinbarten Ende der befristeten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses.123 Grundsätzlich wird im Rahmen der Befristungskontrollklage nur die zeitlich letzte Befristung kontrolliert.124 Im Fall der Weiterbeschäftigung wäre dies die letzte befristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses. Wenn der Arbeitnehmer auch die Wirksamkeit der vorausgehenden Altersgrenze angreifen wollte, müsste er in der Regel noch während der Laufzeit des verlängerten Arbeitsverhältnisses gegen die Altersgrenze klagen, um die Drei-Wochen-Frist nicht zu versäumen. Dies wäre kaum praktikabel. Es spricht daher viel dafür, die Grundsätze der Annex-Rechtsprechung des BAG anzuwenden.125 Demnach kommt es bei aufeinanderfolgenden Befristungen auch auf die Rechtmäßigkeit einer vorausgehenden Befristung – wie einer Altersgrenze – an, wenn die letzte Befristung einen unselbstständigen Annex darstellt. Ein Annex liegt vor, wenn die Parteien der erneuten Verlängerung keine eigenständige Bedeutung beimessen, sondern lediglich den Beendigungszeitpunkt an-
121 Bader, NZA 2014, S. 749 (751); Giesen, ZfA 2014, S. 217 (222, 227); APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 76 f.; Kleinebrink, DB 2014, S. 1490 (1493); S. Kramer, ArbR 2015, S. 144; Neufeld/Flockenhaus/Schemmel, BB 2014, S. 2741 (2744); Poguntke, NZA 2014, S. 1372 (1374); ErfK/Rolfs, § 41 SGB VI, Rn. 23; Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II A 20, Rn. 40; Waltermann, RdA 2015, S. 343 (347). 122 Zu den Zwecken der Formvorschrift APS/Greiner, § 14 TzBfG, Rn. 440. 123 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (225). 124 APS/Backhaus, § 17 TzBfG, Rn. 68. 125 BAG, Urteil vom 21. 1. 1987 – 7 AZR 265/85, NZA 1988, S. 280 (281); APS/Backhaus, § 17 TzBfG, Rn. 68; Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, S. 45.
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passen. Zudem müssen besondere Umstände für einen Annex sprechen.126 Dies ist der Fall, wenn der ursprünglich vorgesehene Beendigungszeitpunkt nur um eine verhältnismäßig kurze Zeit hinausgeschoben wird oder die Verlängerung erfolgt, um die Laufzeit des Vertrags mit dem Sachgrund der Befristung oder nicht vorausgesehenen Umständen in Einklang zu bringen.127 Für die Befristung im Rentenalter bedeutet dies, dass die Verlängerung nur für eine kurze Zeitspanne erfolgen darf und einen unmittelbaren Bezug zu dem verlängerten Arbeitsverhältnis haben muss, wie z. B. bei der Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss eines begonnenen Projekts. Keine Anwendung findet die Annex-Rechtsprechung hingegen, wenn die anschließende Befristung eine erhebliche Dauer hat128 oder sich Inhalt und Umfang der Tätigkeit wesentlich ändern.129 (3) Sonstige Vorschriften Neben § 17 S. 1 TzBfG finden auch § 15 Abs. 5 und § 16 S. 1 TzBfG Anwendung, so dass bei einer unwirksamen befristeten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses dieses auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt.130 Nur § 15 Abs. 3 TzBfG, wonach die ordentliche Kündbarkeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen gesondert vereinbart werden muss, ist bei der Befristung im Rentenalter nicht anwendbar. Dies folgt daraus, dass das ursprüngliche Arbeitsverhältnis fortgeführt wird und die ordentliche Kündbarkeit somit bestehen bleibt.131 (4) Zwischenergebnis Damit ist festzustellen, dass die allgemeinen Bestimmungen des TzBfG bis auf § 15 Abs. 3 TzBfG umfassend auf Befristungen nach § 41 S. 3 SGB VI Anwendung finden. cc) Grenzen der Vertragsgestaltung Weiterhin stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber bei der Vereinbarung einer befristeten Weiterbeschäftigung auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI Grenzen unterliegt. Aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz könnte sich eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer ergeben. Für die praktische Vertragsgestaltung ist auch relevant, ob die Vertrags126
BAG, Urt. v. 21. 1. 1987 – 7 AZR 265/85, NZA 1988, S. 280 (281). BAG, Urt. v. 1. 12. 1999 – 7 AZR 236/98, NZA 2000, S. 374 (375). 128 BAG, Urt. v. 1. 12. 1999 – 7 AZR 236/98, NZA 2000, S. 374 (375). 129 BAG, Urt. v. 15. 8. 2011 – 7 AZR 144/00, NJOZ 2002, S. 1483 (1486). 130 Beitz, P&R 2015, S. 78 (79); Giesen, ZfA 2014, S. 132 (229). 131 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (223). 127
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
bedingungen geändert werden können und ob eine zeitliche Maximalgrenze für Vertragsverlängerungen besteht. (1) Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz Der Arbeitgeber könnte gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, wenn er nur einzelnen Arbeitnehmern eine Weiterarbeit anbietet.132 Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz sind Differenzierungen zwischen Arbeitnehmern nur aus sachlichen Gründen zulässig.133 Grundsätzlich sprechen verschiedene Argumente dafür, aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch keinen Anspruch auf Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses abzuleiten.134 Die Voraussetzungen wirksamer Befristungen werden im Befristungsrecht abschließend normiert. Innerhalb dieser Grenzen kann der Arbeitgeber frei entschieden, ob er einen Arbeitsvertrag verlängert. Darüber hinaus ist für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Befristung der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblich.135 Spätere Entwicklungen und Handlungen des Arbeitgebers sind unerheblich.136 Diese Grundsätze sind auf die Verlängerung befristeter Arbeitsverhältnisse im Rentenalter übertragbar, da die Voraussetzungen der befristeten Vertragsverlängerung in § 41 S. 3 SGB VI abschließend geregelt sind.137 (2) Änderung des Inhalts des Arbeitsvertrags Bislang ist ungeklärt, ob bei einer befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter gleichzeitig auch die Bedingungen des Arbeitsvertrags geändert werden können oder ob eine Bindung an die zuvor geltenden Vertragsbestimmungen besteht. In einer Entscheidung zur Wirksamkeit einer einmaligen befristeten Weiterbeschäftigung auf Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI konnte das BAG diese Frage offenlassen. Im konkret vorliegenden Sachverhalt erfolgte die Änderung der Arbeitszeit mit zeitlichem Abstand zur Vereinbarung der Weiterbeschäftigung.138 132 Hierzu
Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2760). Altenburg, in: Moll (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, § 1, Rn. 38. 134 So APS/Backhaus, § 15 TzBfG, Rn. 112; ebenso zu § 14 Abs. 2 TzBfG BAG, Urt. v. 13. 8. 2008 – 7 AZR 513/07, NZA 2009, 27 (Rn. 22 ff.); offenlassend BAG, Urt. v. 27. 7. 2016 – 7 AZR 545/14, NZA 2016, 1531 (Rn. 37); a. A. KR/Bader, § 17 TzBfG, Rn. 89 f.; Strecker, RdA 2009, S. 381 (384 f.). 135 BAG, Urt. v. 24. 09. 2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, S. 301 (Rn. 22); BeckOKArbR/Bayreuther, § 14 TzBfG, Rn. 22; ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 16, 16a. 136 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 16a. 137 Bauer/Gottschalk, BB 2013, S. 501 (504). 138 BAG, Urt. v. 19. 12. 2018 – 7 AZR 70/17, NJW 2019, S.1322 (Rn. 20 ff.); ebenso die Vorinstanz LAG Niedersachen, Urt. v. 29. 11. 2016 – 10 Sa 218/16, ZTR 2017, S. 318 (319). 133
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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Daher konnte dahinstehen, ob eine Änderung der Arbeitsbedingungen zeitgleich mit der Vereinbarung einer befristeten Weiterbeschäftigung zulässig ist. Der EuGH nahm in der Entscheidung John zur befristeten Weiterbeschäftigung auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI an, dass die Vertragsbedingungen bei einer Weiterbeschäftigung nicht geändert werden können.139 Da der EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 lit. a AEUV über die Auslegung des Unionsrechts urteilt, kommt dieser Äußerung jedoch keine bindende Wirkung zu. Es handelt sich vielmehr um ein Argument im Rahmen der unionsrechtlichen Prüfung der Befristungsregelung.140 Gleichwohl wird auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertreten, dass § 41 S. 3 SGB VI ebenso wie § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG ausgelegt werde.141 Demnach könnte nur der Beendigungszeitpunkt hinausgeschoben und nicht der Vertragsinhalt geändert werden.142 Teilweise wird eine zusätzliche Inhaltskontrolle der Vertragsänderung befürwortet.143 Eine weitere Ansicht geht davon aus, dass nach Erreichen des Rentenalters die Vertragsbedingungen ohne Einschränkung geändert werden können.144 Um die Zulässigkeit der Vertragsänderungen zu beurteilen, bedarf es der Gesetzesauslegung. Zunächst stellt § 41 S. 3 SGB VI auf das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts des „Arbeitsverhältnisses“ ab. Unter einem Arbeitsverhältnis versteht man das Dauerschuldverhältnis zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer, welches durch den Arbeitsvertrag begründet wird.145 § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG bezieht sich hingegen auf die Verlängerung des „Arbeitsvertrags“. Der Begriff des Arbeitsvertrags ist im Verhältnis zum Arbeitsverhältnis enger, da das Arbeitsverhältnis auch bei Änderung einzelner Vertragsbedingun139
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 56) – John. Greiner, RdA 2018, S. 250 (252); Sprenger, EuZA 2018, 346 (353); vertiefend Kapitel 3 D.II.2.b)bb)(1). 141 Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (88); BeckOK-ArbR/Bayreuther, § 14 TzBfG, Rn. 72b; Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 37/2015, Anm. 3; Kleinebrink, DB 2014, S. 1490 (1493); S. Kramer, ArbR 2015, S. 144 (146); Kroll, ZTR 2016, S. 179 (181 f.); Meinel/Heyn/ Herms/Meinel, § 14 TzBfG, Rn. 234; Waltermann, RdA 2015, S. 343 (347); grds. hierzu Worzalla, P&R 2014, S. 132 (133); Beitz, P&R 2015, S. 78 (79); kritisch zu § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG Preis, NZA 2005, S. 714 (715 f.). 142 Zu § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG BAG, 19. 3. 2014 – 7 AZR 828/12, NZA-RR 2014, S. 462 (Rn. 22); BAG, Urt. v. 4. 12. 2013 – 7 AZR 468/12, NZA 2014, S. 623 (Rn. 14); BAG, Urt. v. 23. 8. 2006 – 7 AZR 12/06, NZA 2007, S. 204 (Rn. 11); APS/Backhaus, § 14 TzBfG, Rn. 373. 143 Bader, NZA 2014, S. 749 (751 f.). 144 Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); Giesen, ZfA 2014, S. 217 (225 f.); APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 73; Groeger, ZTR 2015, S. 115 (120); Poguntke, NZA 2014, S. 1372 (1375 f.); HWK/Ricken, § 41 SGB VI, Rn. 21. 145 Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, § 29, Rn. 7, 8. 140
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
gen unverändert weiterbesteht.146 Der weitere Begriff könnte bewusst durch den Gesetzgeber gewählt worden sein, um zu verdeutlichen, dass nicht sämtliche Vertragsbedingungen beibehalten werden müssen.147 Weiterhin könnte für die Zulässigkeit der Änderung von Arbeitsbedingungen sprechen, dass § 41 S. 3 SGB VI anders als § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG von einem „Hinausschieben“ des Beendigungszeitpunkts und nicht von einer „Verlängerung“ spricht. Das BAG definiert die Vertragsverlängerung als Änderung der Laufzeit eines Vertrags ohne Anpassung sonstiger Arbeitsbedingungen.148 Diese enge Auslegung kann nicht auf den Begriff des Hinausschiebens übertragen werden, da nicht auf den gesamten Arbeitsvertrag, sondern nur punktuell auf den Beendigungszeitpunkt Bezug genommen wird.149 Aus diesen unterschiedlichen Anknüpfungspunkten könnte man ableiten, dass eine Änderung einzelner Vertragsbedingungen zulässig sei. Auch die historische Auslegung spricht nicht gegen die Zulässigkeit der Änderung von Vertragsbedingungen. In den Gesetzgebungsmaterialien ist aufgeführt, dass „die sonstigen im jeweiligen Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen […] von der Neuregelung unberührt“ bleiben.150 Die Begründung wird teilweise dahingehend ausgelegt, dass der Gesetzgeber nur den Befristungsschutz und nicht den Schutz des Vertragsinhalts herabsetzte.151 Dies kann jedoch nicht aus der Gesetzesbegründung abgeleitet werden. Es wird ausschließlich klargestellt, dass die Verlängerung nach Erreichen des Rentenalters keine weiteren Implikationen hat.152 Die teleologische Gesetzesauslegung weist in Richtung der Zulässigkeit der Änderung von Arbeitsbedingungen. Die begriffliche Einschränkung von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG soll sozialpolitisch unerwünschte sachgrundlose Befristungsketten eindämmen, um Anreize für den Übergang in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu schaffen.153 Es handelt sich damit um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Im Gegensatz hierzu ermöglicht § 41 S. 3 SGB VI die Verlängerung eines zunächst unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Anders als im Fall 146 Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeitsund sozialrechtlichen Aspekten, S. 168. 147 ArbG Karlsruhe, Urt. v. 27. 4. 2016 – 3 Ca 22/16 (Juris-Rn. 52); Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); Giesen, ZfA 2014, S. 217 (226); Stoffels, in: FS Müller-Graff, S. 347 (351). 148 BAG, Urt. v. 23. 8. 2006 – 7 AZR 12/06, NZA 2007, S. 204 (Rn. 11); BAG, Urt. v. 26. 7. 2000 – 7 AZR 51/99, NZA 2001, 546 (548). 149 Groeger, ZTR 2015, S. 115 (120). 150 BT-Drs. 18/1489, S. 25. 151 Bader, NZA 2014, S. 749 (752); Kroll, ZTR 2016, S. 179 (181). 152 Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (80). 153 Groeger, ZTR 2015, S. 115 (120); MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG, Rn. 84.
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
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von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG verfolgt die Regelung daher keine Lenkungsfunktion, die eine Einschränkung rechtfertigt.154 Weiterhin war es das gesetzgeberische Ziel der Neuregelung, eine flexible und rechtssichere Grundlage für die Weiterarbeit zu schaffen.155 Hierfür müssen die Vertragsbedingungen an die jeweiligen Bedürfnisse der Parteien angepasst werden. Nach Erreichen des Rentenalters arbeitet der größte Teil berufstätiger Rentner in geringerem zeitlichem Umfang als zuvor. Anders als die Alternativen einer Vollzeitbeschäftigung oder einer geringfügigen Beschäftigung sollte die Verlängerungsoption ein flexibles Weiterarbeiten ermöglichen.156 Aus der Gesetzesauslegung kann somit abgeleitet werden, dass die Veränderung der Arbeitsbedingungen im Rahmen der Weiterbeschäftigung gemäß § 41 S. 3 SGB VI zulässig ist. (3) Anzahl der zulässigen Verlängerungen Für die Vertragsgestaltung stellt sich weiterhin die Frage, wie häufig die Beendigungszeitpunkte des Arbeitsverhältnisses hinausgeschoben werden können. § 41 S. 3 SGB VI regelt, dass der Beendigungszeitpunkt eines Arbeitsvertrags „auch mehrfach“ hinausgeschoben werden kann. Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht bezüglich der Anzahl zulässiger Verlängerungen keine Beschränkung.157 Im Extremfall wäre es theoretisch denkbar, dass jeden Tag eine neue Befristungsabrede getroffen wird.158 Aus diesem Grund wird teilweise eine einschränkende Auslegung der Norm vorgeschlagen.159 Diese Aspekte werden vertiefend im dritten Kapitel dieser Arbeit behandelt.160 dd) Kollektivarbeitsrechtliche Fragen Weiterhin bestehen auch kollektivarbeitsrechtliche Fragen zur Tarifdispositivität von § 41 S. 3 SGB VI und zu den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats.
154 APS/Greiner,
§ 41 SGB VI, Rn. 73; Groeger, ZTR 2015, S. 115 (120). Greiner, RdA 2018, S. 65 (67); Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (82); Neufeld/Flockenhaus/Schemmel, BB 2014, S. 2741 (2744); Poguntke, NZA 2014, S. 1372 (1376); Staudinger/Preis, § 620 BGB, Rn. 144e. 156 ArbG Karlsruhe, Urt. v. 27. 4. 2016 – 3 Ca 22/16, (Juris-Rn. 54 f.); Giesen, ZfA 2014, 217 (225 f.); APS/Greiner, SGB VI, § 41, Rn. 73; HWK/Ricken, § 41 SGB VI, Rn. 21; Schiefer/Köster/Pöttering, DB 2014, S. 2965 f. 157 Bader, NZA 2014, S. 749 (752); Giesen, ZfA 2014, S. 217 (222). 158 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (228). 159 Kapitel 7 C.I. 160 Vgl. Kapitel 3 D. 155
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Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
(1) Tarifdispositivität § 41 S. 3 SGB VI enthält keine Regelung zur Tarifdispositivität. Für die Abdingbarkeit der Norm durch Tarifvertrag könnte sprechen, dass § 41 S. 3 SGB VI nur die Möglichkeit begründet, das Arbeitsverhältnis über die Altersgrenze hinaus zu verlängern.161 Gegen die Tarifdispositivität spricht jedoch, dass dem Gesetzgeber bei neueren Gesetzen die Fragestellung nach tarifdispositivem Gesetzesrecht bekannt ist.162 Im Befristungsrecht, dem § 41 S. 3 SGB VI systematisch zuzuordnen ist, traf der Gesetzgeber zudem eine ausdrückliche Regelung zur Tarifdispositivität. Als Arbeitnehmerschutzrecht ist das Befristungsrecht nicht zulasten des Arbeitnehmers dispositiv, sofern nicht ausdrückliche Ausnahmen normiert sind (§ 22 Abs. 1 TzBfG).163 Von § 41 S. 3 SGB VI kann daher auch durch einen Tarifvertrag nur abgewichen werden, um einen höheren Bestandsschutz für den Arbeitnehmer vorzusehen.164 (2) Mitbestimmung des Betriebsrats Das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI könnte eine mitbestimmungspflichtige Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG darstellen.165 Hiergegen spricht, dass der Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG die Beschäftigung im Betrieb fördern soll.166 Dem widerspräche es, wenn der Betriebsrat einem bereits beschäftigten Arbeitnehmer den Arbeitsplatz entziehen könnte.167 Zudem erfolgt die Weiterbeschäftigung regelmäßig ohne Änderungen der betrieblichen Abläufe, da der Arbeitnehmer auf demselben Arbeitsplatz weiterarbeitet und sich nur die Beschäftigungsdauer und gegebenenfalls der Beschäftigungsumfang ändert.168 Die Dauer der Beschäftigung unterliegt ohnehin nicht dem Mitbestimmungsrecht des Be-
161
Groeger, ZTR 2015, S. 115 (121). TVG, Einl. C, Rn. 593; Kempen/Zachert/Kempen, TVG, Grundlagen, Rn. 381. 163 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (229); grds. APS/Backhaus, § 22 TzBfG, Rn. 13. 164 Bader, NZA 2014, S. 749; Luzius, Altersgrenzen und der Fortbestand des Kündigungsschutzes nach dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters, S. 98; a. A. APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 78. 165 So Bader, NZA 2014, S. 749 (751); Bauer, NZA 2014, S. 889 (891); Meinel/Heyn/ Herms/Meinel, § 14 TzBfG, Rn. 233; a. A. APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 75; Poguntke, NZA 2014, S. 1372 (1376). 166 APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 75. 167 Richardi/Thüsing, § 99 BetrVG, Rn. 42. 168 Poguntke, NZA 2014, S. 1372 (1376). 162 Wiedemann/Jacobs,
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
65
triebsrats.169 Aus diesen Gründen könnte der Schutzzweck des § 99 BetrVG, die übrige Belegschaft vor nachteiligen betrieblichen Veränderungen zu schützen, nicht betroffen sein.170 Der VGH Baden-Württemberg entschied entsprechend zum Landespersonalvertretungsgesetz (LPVG), dass die Weiterbeschäftigung im Rentenalter keine mitbestimmungspflichtige Einstellung i. S. d. § 75 Abs. 1 Nr. 2 LPVG ist.171 Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung ordnet die Weiterbeschäftigung nach Erreichen der Altersgrenze jedoch als mitbestimmungspflichtige Einstellung ein.172 Für die Mitbestimmungspflicht spricht, dass der Betriebsrat die betrieblichen Besonderheiten kennt und prüfen kann, ob die Weiterbeschäftigung nachteilige Auswirkungen auf die betriebliche Altersstruktur oder die künftige Einstellungspraxis haben wird. Weiterhin gilt die Verlängerung einer Befristung als mitbestimmungspflichtige Einstellung, auch wenn in diesen Fällen keine neue Eingliederung in die Arbeitsorganisation erfolgt.173 Zudem ist auch bei einer Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst die Zustimmung des Personalrats erforderlich (§ 75 Abs. 1 Nr. 5 BPersVG).174 Angesichts dieser weiten Auslegung des Mitbestimmungserfordernisses durch die Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die Weiterbeschäftigung eines Rentners der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. c) Sozialrechtliche Fragen In sozialrechtlicher Hinsicht ist relevant, ob eine Versicherungspflicht für weiterarbeitende Rentner in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung besteht und ob Hinzuverdienstgrenzen gelten. Die Krankenversicherungspflicht weiterarbeitender Rentner folgt aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V.175 Es gilt jedoch ein ermäßigter Beitragssatz nach § 243 SGB V, weil Rentner keinen Anspruch auf Krankengeld haben (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XI besteht ebenfalls eine Pflichtmitgliedschaft in der Pflegeversicherung. 169 BAG, Beschl. v. 28. 6. 1994 – 1 ABR 59/93, AP Nr. 4 zu § 99 BetrVG; ErfK/Kania, § 99 BetrVG, Rn. 6. 170 Zu den Zwecken der Mitbestimmung Richardi/Thüsing, § 99 BetrVG, Rn. 26. 171 VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10. 11. 2016 – PL 15 S. 2083/5. 172 BAG, Beschl. v. 10. 3. 1992 – 1 ABR 67/91, NZA 1992, S. 992 (993); Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (89); ErfK/Kania, § 99 BetrVG, Rn. 6; Kroll, ZTR 2016, S. 179 (182); BeckOK-ArbR/Mauer, § 99 BetrVG, Rn. 3. 173 BAG, Urt. v. 23. 6. 2009 – 1 ABR 30/08, NZA 2009, 1162 (Rn. 32); ErfK/Kania, § 99 BetrVG, Rn. 6. 174 Bader, NZA 2014, 749 (751); Richardi/Thüsing, § 99 BetrVG, Rn. 42. 175 Beitz, P&R 2015, S. 78 (81), Giesen, ZfA 2014, S. 217 (220).
66
Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
aa) Rentenversicherungsbeiträge bei Inanspruchnahme der Regelaltersrente Weiterarbeitende Rentner sind gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI rentenversicherungsfrei, wenn eine Altersrente als Vollrente nach Erreichen der Regelaltersgrenze bezogen wird.176 (1) Isolierter Arbeitgeberanteil Dennoch muss der Arbeitgeberanteil der Rentenversicherungsbeiträge gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 SGB VI weiterhin entrichtet werden. Diese Beitragszahlungen führen grundsätzlich nicht zu einer Erhöhung des Rentenanspruchs. Dies wurde lange Zeit als Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung kritisiert.177 Es müsse ein unmittelbarer Bezug zwischen den zu erwartenden Ausgaben einer Versicherung und den zu erwartenden Einnahmen aus Versicherungsbeiträgen bestehen.178 Dies folge auch daraus, dass der Arbeitgeberanteil in der Sozialversicherung unter die Eigentumsgarantie fällt.179 Trotz dieser Kritik entschied das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1962, dass die Vorgängerregelung in § 113 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG)180 verfassungsgemäß ist. Es handele sich um einen Beitrag, der aus arbeitsmarktpolitischen Gründen erhoben werde, um keine finanziellen Anreize für eine Rentnerbeschäftigung zu schaffen.181 Diese Zielsetzung entspricht auch der Gesetzesbegründung.182 Zum 1. 1. 2017 wurde die Rechtslage durch das Flexirentengesetz dahingehend geändert, dass Rentner auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze freiwillig den Arbeitnehmeranteil an der Rentenversicherung zahlen können (§ 5 Abs. 4 S. 2 – 3 176 Lorenz-Schmidt, ZTR 2016, S. 63 (67). Dies gilt nicht für Rentner, die eine andere Rente als eine Regelaltersrente beziehen, vgl. Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (72); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 368. 177 Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 369. 178 MüKoVVG/Schradin, Bd. III, 2. Tl., § 104, Rn. 11. 179 BVerfG v. 16. 7. 1985 – 1 BvL 5/80 u. a., BVerfGE 69, S. 272 (302) = NJW 1986, S. 39 (40); Schmähl, in: Denkschrift 60 Jahre BSG, Bd. II, S. 29 (49 f.). 180 § 113 AVG in der Fassung v. 23. 02. 1957, BGBl. I S. 88: „Für Versicherte, die nach § 6 Abs. 1 Ziff. 1 versicherungsfrei oder nach § 7 Abs. 1 von der Versicherungspflicht befreit sind, hat der Arbeitgeber den Beitragsanteil zu entrichten, den er entrichten müßte, wenn der Versicherte versicherungspflichtig wäre.“. § 6 Abs. 1 Ziff. 1 AVG: „Versicherungsfrei sind 1. Personen, die ein Altersruhegeld aus der Rentenversicherung der Angestellten, der Rentenversicherung der Arbeiter oder der knappschaftlichen Rentenversicherung beziehen, vom Rentenbeginn an.“ 181 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1962 – 2 BvL 27/60, BVerfGE 14, S. 312 (319 f.) = NJW 1963, S. 199. 182 BT-Drs. 11/4124, S. 185; KassKomm/Wehrhahn, § 172 SGB VI, Rn. 2.
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
67
SGB VI). Durch die Beitragszahlungen können zusätzliche Entgeltpunkte und Zuschläge erworben werden, die zusammen mit dem isolierten Arbeitgeberanteil gemäß § 66 Abs. 3a SGB VI den Anspruch auf Zahlung einer Altersrente erhöhen und jährlich zum 1. Juli berücksichtigt werden.183 (2) Stellungnahme Eine Aufhebung des isolierten Arbeitgeberanteils zur Rentenversicherung, welcher derzeit bei 9,3 Prozent liegt, würde dazu führen, dass die Arbeitsleistung von Rentnern im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern etwa um ein Zehntel günstiger wäre. Um einen entsprechenden ökonomischen Anreiz für die Beschäftigung von Rentnern zulasten jüngerer Arbeitnehmer zu verhindern, ist die Beibehaltung des isolierten Arbeitgeberanteils zu befürworten. Gleichzeitig ist dem Ansatz zuzustimmen, dass freiwillige Beitragszahlungen der weiterarbeitenden Rentner zu erhöhten Rentenansprüchen führen. Der isolierte Arbeitgeberbeitrag verstößt zwar nicht gegen das Äquivalenzprinzip, da dieses in seiner eigentlichen Form nur für die Privatversicherung gilt.184 Durch die Option, den Rentenanspruch durch eine freiwillige Beitragszahlung zu erhöhen, wird jedoch dem Ziel vieler Rentner Rechnung getragen, die Rentenbezüge zu erhöhen und das Einkommen im Rentenalter dauerhaft zu steigern. bb) Rentenversicherungsbeiträge bei hinausgeschobenem Rentenbezug Ein weiterarbeitender Rentner kann den Bezug einer Altersrente auch zeitlich hinausschieben. In diesem Fall bestimmt sich die Sozialversicherungspflicht während der Weiterarbeit nach allgemeinen Grundsätzen. Das Hinausschieben führt dazu, dass der Zugangsfaktor der Altersrente pro Monat um 0,005 im Vergleich zum üblichen Zugangsfaktor 1 steigt (§ 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b SGB VI).185 Der Zugangsfaktor ist der Wert, mit dem die erlangten Entgeltpunkte zur Rentenberechnung multipliziert werden. Eine Verzögerung des Rentenbezugs um sechs Monate führt zu einem Rentenzugangsfaktor 1,030 und damit zu einer dreiprozentigen Erhöhung des Rentenanspruchs.186 Der Anstieg des Zugangsfaktors bei verzögerter Inanspruchnahme der Rente liegt mithin höher als die Reduktion von 0,003 pro Monat bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente (§ 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. a SGB VI).187 183
Rolfs, NZS 2017, S. 164 (168 f.); Schlegel, NZS 2017, S. 241 (244). Hierzu BVerfG, Beschl. v. 30. 9. 1987 – 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, S. 256 (300 f.) = NVwZ 1988, S. 329 (331). 185 Lorenz-Schmidt, ZTR 2016, S. 63 (67); ErfK/Rolfs, § 41 SGB VI, Rn. 24. 186 Vgl. BeckOK-SozR/Kreikebohm/Kuszynski, § 77 SGB VI, Rn. 4.1. 187 Vgl. Rolfs, NZS 2017, S. 164 (169); zur Gesetzgebungsgeschichte W. Schmidt, RVaktuell 2017, S. 215 (219). 184
68
Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
cc) Arbeitslosenversicherung Bis 2017 musste auch ein isolierter Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung entrichtet werden. Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III sind Arbeitnehmer über der Regelaltersgrenze versicherungsfrei, der Arbeitgeber blieb jedoch gemäß § 346 Abs. 3 SGB III beitragspflichtig. Durch das Flexirentengesetz wurde der isolierte Arbeitgeberbeitrag befristet bis zum 31. 12. 2021 abgeschafft (§ 346 Abs. 3 S. 3 SGB III). Hiermit verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Attraktivität der Beschäftigung von Rentnern zu erhöhen.188 Die befristete Abschaffung des Arbeitgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung ist zu befürworten. Die Aufhebung führt nur zu einer geringen Reduktion der Lohnnebenkosten, denn der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung beträgt drei Prozent des Bruttoarbeitslohns (§ 341 Abs. 2 SGB III). Da die Beträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Hälfte getragen werden, reduzieren sich die Lohnkosten für den Arbeitgeber um 1,5 Prozent. Diese Reduktion ist aufgrund ihrer geringen Höhe nicht geeignet, Fehlanreize für die Beschäftigung von Rentnern zu setzen. Weiterhin sind Rentner gemäß § 136 Abs. 2 SGB III von einem Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschlossen, so dass anders als bei der Rentenversicherung keine Möglichkeit einer freiwilligen Beitragszahlung zur Erhöhung des Leistungsanspruchs besteht. dd) Hinzuverdienstgrenzen Die Weiterarbeit neben dem Bezug einer Vollrente nach Erreichen der Regelaltersgrenze unterliegt keinen Hinzuverdienstgrenzen.189 Bei vorgezogenen Altersrenten gestalten sich die Hinzuverdienstgrenzen des § 34 SGB VI differenzierter.190 Aus diesem Grund wurde bisher von der Möglichkeit der Kombination des Bezugs einer Teilrente und der Weiterarbeit in der Praxis nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Mit Wirkung zum 1. 1. 2017 schaffte der Gesetzgeber die gestuften Hinzuverdienstgrenzen ab und führte eine einheitliche Hinzuverdienstgrenze von 6.300,- Euro jährlich ein, um den flexiblen Übergang in den Ruhestand zu fördern (§ 34 Abs. 2 SGB VI).191
188
BT-Drs. 18/9787, S. 51; Rolfs, NZS 2017, S. 164 (169). Kritisch hierzu Boecken, Verhandlungen des 62. DJT 1998, Bd. I, B65 ff. 190 Vertiefend Lorenz-Schmidt, ZTR 2016, S. 63 (67); zu den Änderungen durch das Flexirentengesetz Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (73 ff.); Rolfs, NZA 2017, S. 164 ff.; Schiefer/Köster/Borchard/Korte, DB 2017, S. 546 (547). 191 Rolfs, NZS 2017, S. 164 (165). 189
C. Schlussfolgerungen
69
C. Schlussfolgerungen Die Neuregelung zur Weiterarbeit im Rentenalter beeinflusst die offenen Fragen und Rechtfertigungsprobleme von Altersgrenzen. Im Regelfall enden Arbeitsverhältnisse mit Erreichen des Rentenalters aufgrund individual- oder kollektivvertraglicher Altersgrenzen. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel führen jedoch dazu, dass immer häufiger ein Bedürfnis nach einer möglichen Weiterarbeit im Rentenalter entsteht. Zudem stellen der medizinische Fortschritt und der erwartete Anstieg der Lebenserwartung die zwingende Gesetzmäßigkeit des altersbedingten Ausscheidens infrage. Altern wird als individueller Entwicklungsprozess aufgefasst, dem starre Altersgrenzen nicht in ausreichender Form Rechnung tragen. Durch die Einführung der Option einer befristeten Weiterarbeit erkennt der Gesetzgeber an, dass in Einzelfällen ein Interesse beider Arbeitsvertragsparteien an einer zeitlich begrenzten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Altersgrenze hinaus bestehen kann. Macht ein Arbeitgeber von der Neuregelung Gebrauch, widerlegt dies die an sich bei Vertragsabschluss getroffene Prognose, dass ein Ausscheiden mit Erreichen des Rentenalters erforderlich wird. Entweder konnte der Arbeitsbedarf auf Arbeitgeberseite nicht durch Einstellung jüngerer Arbeitnehmer gedeckt werden oder der weiterbeschäftigte Arbeitnehmer gilt auch nach Erreichen der Altersgrenze als unverzichtbar. Trotz der Begründungsschwierigkeiten von Altersgrenzen schrecken Gesetzgeber und Rechtsprechung bislang davor zurück, diese einzuschränken. Befürchtet wird ein „ewiges Arbeitsleben“ oder das Szenario einer „Altenwerkstatt“.192 Eine vollständige Abschaffung von Altersgrenzen erfordert grundlegende Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht, da bisher von einem zeitlich festgelegten Übergang in den Rentenbezug ausgegangen wurde. Die Abschaffung allgemeiner Altersgrenzen müsste von Änderungen im Kündigungsschutzrecht flankiert werden. Entsprechende Ansätze werden im siebten Kapitel dieser Arbeit diskutiert. Die Einführung von § 41 S. 3 SGB VI belegt jedoch, dass der Gesetzgeber zunächst an Altersgrenzen festhalten wird.193 Zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand wählte der Gesetzgeber eine Befristungsmöglichkeit. Über die Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter fand jedoch kein umfassender Diskussionsprozess statt. Die Befristungsregelung fand erst nachträglich Eingang in die Gesetzgebungsdokumente. Es wurden weder Alternativen diskutiert, noch konkrete Folgenprognosen durchgeführt. Dieses Vorgehen erstaunt angesichts der Tatsache, dass eine bisher ungeregelte Phase der Erwerbsarbeit erstmals ausgestaltet wurde. 192 Vgl. 193
Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 48; Simitis, NJW 1994, S. 1453. Greiner, RdA 2018, S. 65 (67).
70
Kap. 2: Altersgrenzen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterarbeit
Die Resultate des verkürzten Gesetzgebungsprozesses zeigen sich besonders im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung der Norm. Zunächst wurde die für das Befristungsrecht untypische Terminologie194 des „Hinausschiebens des Beendigungszeitpunkts“ verwendet. Angesichts der vergleichbaren Auslegungsproblematik im Rahmen von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG wäre eine Klarstellung sinnvoll gewesen, ob eine Änderung der Arbeitsbedingungen bei der Weiterbeschäftigung im Rentenalter möglich ist. Die verschiedenen Auslegungs- und Anwendungsfragen mindern somit die praktische Anwendbarkeit der Norm. Die Option der befristeten Weiterbeschäftigung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Arbeitsvertragsparteien eine unbefristete Weiterarbeit regelmäßig nicht anstreben und andere Gestaltungsmöglichkeiten, wie eine freie Mitarbeit oder Arbeitnehmerüberlassung den Parteiinteressen nicht ausreichend Rechnung tragen. Die Einführung von § 41 S. 3 SGB VI verdeutlicht zudem, dass der Gesetzgeber nach Erreichen des Rentenalters von einer Beschäftigung mit reduziertem Bestandsschutz ausgeht.195 Die erleichterte Befristungsmöglichkeit wird als „Hinausschieben der Altersgrenze“ bezeichnet, obwohl es sich rechtlich um eine eigenständige arbeitsvertragliche Vereinbarung handelt. Damit wird eine zweite Phase der Erwerbstätigkeit nach Erreichen der Altersgrenze ausgestaltet. Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI führt damit insgesamt nicht zu einer Flexibilisierung von Altersgrenzen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des jeweiligen Arbeitnehmers, sondern mildert die Folgen starrer Altersgrenzen in Einzelfällen ab. Insbesondere enthält die Befristungsregelung keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung und kein Begründungserfordernis bei einer Ablehnung. In sozialrechtlicher Hinsicht ist zu begrüßen, dass weiterarbeitende Rentner durch die Änderungen des Flexirentengesetzes eine Möglichkeit erhalten, freiwillig Rentenbeiträge zu zahlen. Hierdurch können die Rentenansprüche auch neben dem Bezug einer Vollrente erhöht werden.196 Zudem werden finanzielle Fehlanreize der Weiterbeschäftigung im Rentenalter zulasten jüngerer Arbeitnehmer verhindert. Die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen gestalten die Weiterarbeit im Rentenalter daher angemessen aus. Im Hinblick auf die arbeitsrechtliche Ausgestaltung verbleiben neben den geschilderten Auslegungsproblemen auch weitergehende Fragen zur systematischen Einordnung der befristeten Weiterbeschäftigung in das deutsche und europäische Befristungsrecht. Diese Fragen werden in den folgenden Kapiteln untersucht.
194 Vgl.
Greiner, RdA 2018, S. 65 (66). § 41 SGB VI, Rn. 4. 196 Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (76 f., 79). 195 APS/Greiner,
Kapitel 3
Einordnung der Befristung im Rentenalter in die Systematik des Befristungsrechts Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Das befristete Arbeitsverhältnis gilt grundsätzlich als sozialpolitisch unerwünschtes Arbeitsverhältnis.1 Zunächst stehen befristete Arbeitsverhältnisse in einem Wertungswiderspruch zum Kündigungsschutzrecht und zu dem aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) abgeleiteten Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen. Zudem können befristete Beschäftigungsverhältnisse zu einer Segmentierung des Arbeitsmarkts führen, wenn sie keine Brücke in die Dauerbeschäftigung bilden.2 Weniger als die Hälfte der befristeten Arbeitsverträge wird nach Ablauf einer Befristung unbefristet weitergeführt.3 Fragen des Befristungsrechts sind damit von sozialpolitischer Bedeutung, da sie für den Anteil der Beschäftigten ohne Kündigungsschutz in einem weitgehend eigenständigen Arbeitsmarkt maßgeblich sind. Vor diesem Hintergrund verfolgt das Befristungsrecht das sozialpolitische Ziel, unbefristete Arbeitsverhältnisse als Normalarbeitsverhältnisse durch die Einschränkung von Befristungen zu fördern. Die Möglichkeit Arbeitsverträge zu befristen, wurde lange Zeit nicht gesetzlich begrenzt. Nach § 620 Abs. 1 BGB a. F. war der Abschluss von Arbeitsverträgen für eine bestimmte oder unbestimmte Laufzeit ohne Einschränkung zulässig.4 Arbeitsverhältnisse konnten ohne weitere Voraussetzungen allein durch Zeitablauf beendet werden. Seit Einführung des KSchG im Jahr 1951 unterliegen arbeitgeberseitige Kündigungen jedoch engen Begründungsvoraussetzungen. Dies stand im Widerspruch zu § 620 BGB a. F., wonach der Abschluss befristeter Arbeitsverträge ohne Einschränkung zulässig war.5 Aufgrund dieses Wertungswiderspruchs schränkte die Rechtsprechung Be-
1 Vgl. Erwägungsgrund 6 der EGB-CEEP-UNICE Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse; vgl. auch EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 39 ff.) – John; I. Schmidt, in: FS Dieterich, S. 585; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, S. 533; Schröter, Befristete Arbeitsverträge und arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit, S. 118. 2 Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 287 ff.; Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (93). 3 Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (93). 4 Staudinger/Preis, § 620 BGB, Rn. 1. 5 Adam, AuR 2013, 394; Laux/Schlachter/Schlachter, TzBfG, Einführung B, Rn. 1.
72
Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
fristungen ein, sofern sie einer Umgehung des Kündigungsschutzes dienten.6 Mit Erlass der europäischen Befristungsrichtlinie 1999/70/EG7 wurde erstmals ein gesetzliches Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverträgen eingeführt.8 In Erwägungsgrund Nr. 6 der zugrundeliegenden EGB-UNICE-CEEP Rahmenvereinbarung9 wird anerkannt, dass „unbefristete Arbeitsverhältnisse […] die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses“ sind und „zur Lebensqualität der betreffenden Arbeitnehmer und zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit bei[tragen]“.10 Dies ist nicht als Beschreibung eines Ist-Zustands sondern als normative Forderung zu verstehen: Nach dem Willen der Richtliniengeber sind befristete Arbeitsverhältnisse eine begründungsbedürftige Ausnahme. Trotz der gesetzgeberischen Wertung stieg die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse insbesondere bei Neueinstellungen stets an.11 Im Rahmen der befristeten Weiterbeschäftigung stellt sich die Frage, welche Maßstäbe der Befristungskontrolle nach deutschem und europäischem Recht vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze bestehen und ob die Befristung im Rentenalter diesen Vorgaben gerecht wird. Die Rechtfertigungsgründe, die Altersgrenzen zugrunde liegen, führt der Gesetzgeber auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI auch für die Weiterbeschäftigung im Rentenalter weiter. Nach Erreichen des Rentenalters unterliegen Befristungen der privatautonomen Vereinbarung der Vertragsparteien, da keine einschränkenden Tatbestandsmerkmale benannt werden. Damit kann der Arbeitgeber flexibel über die Weiterbeschäftigung entscheiden. Dies steht bei erstem Hinsehen in einem Widerspruch zur Systematik des Befristungsrechts, wonach ein entsprechendes Flexibilitätsinteresse nur bei sachgrundlosen Befristungen unter eingeschränkten zeitlichen Voraussetzungen anerkannt wird. Dennoch entschied der EuGH, dass die Vorgaben der Befristungsrichtlinie einer inhaltlich und zeitlich unbeschränkten Befristung im Rentenalter nicht entgegenstehen.12 Wie diese Entscheidung vor dem Hintergrund der Systematik des deutschen und europäischen Befristungsrechts einzuordnen ist, wird in den letzten Ab6 Grundlegend BAG, Großer Senat, Urt. v. 12. 10. 1960 – 3 AZR 65/59, AP Nr. 16 zu § 620 BGB; Staudinger/Preis, § 620 BGB, Rn. 9. 7 Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl. 1999 L 175 S. 43 (im Folgenden: Befristungsrichtlinie, Richtlinie 1999/70/EG). 8 Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (90). 9 Im Folgenden: Rahmenvereinbarung. 10 Vgl. auch Heuschmid, AuR 2014, S. 221. 11 Adam, AuR 2013, S. 394; IAB/Hohendanner/Ostmeier/Ramos Lobato, IAB-Kurzbericht Nr. 5/2016, 14. 3. 2016, S. 1; Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72; Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (93, 97 f.); Schmitt, ZESAR 2012, S. 369; v. Stein, NJW 2015, 369. 12 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 57) – John.
A. Die richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle
73
schnitten dieses Kapitels untersucht. Zunächst wird jedoch die historische Entwicklung des deutschen und europäischen Befristungsrechts unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Schutzkonzepte dargestellt. Im Anschluss erfolgt eine Annäherung an das Konzept der Sachgrundbefristung auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH und des BAG. Zudem bedarf es einer Antwort auf die Frage, ob die Grundsätze des Bestandsund Befristungsschutzes auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze Anwendung finden. Die spezifische Zielsetzung bei der befristeten Weiterbeschäftigung, dem demografischen Wandel entgegenzutreten und älteren Personen einen flexiblen Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen, könnte zu geänderten Anforderungen an die Befristungskontrolle führen.
A. Die richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle Die richterrechtliche Entwicklung des Befristungsrechts begann vor etwa 90 Jahren durch das Reichsarbeitsgericht, dessen Rechtsprechung durch das Bundesarbeitsgericht weitergeführt wurde. Die von der Rechtsprechung entwickelten Schutzkonzepte sind auch nach Einführung des TzBfG insbesondere bei der Anerkennung neuer Befristungsgründe relevant. Damit werden die Grundsätze auch für die Beurteilung der Zulässigkeit von Befristungen nach Erreichen des Rentenalters maßgeblich. Zudem beeinflusst die historische und wissenschaftliche Entwicklung der Befristungskontrolle, im Spannungsfeld zwischen Vertragsund Beendigungskontrolle, auch die systematische Einordnung der Befristung im Rentenalter.
I. Die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts Das erste Urteil des Reichsarbeitsgerichts, das sich mit der Einschränkung von § 620 BGB a. F. befasst, erging im Jahr 1928 in zeitlichem Zusammenhang mit dem Erlass der ersten Kündigungsschutzgesetze.13 Aufgrund der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien wurden Befristungen für zulässig befunden und die Kündigungsschutzvorschriften nicht analog angewendet.14 Gleichzeitig 13 RAG, Urt. v. 19. 5. 1928 – RAG 90/28, Bensh. Slg. Bd. 3, S. 3 ff.; vgl. §§ 84 – 90 und 96 des Betriebsrätegesetzes (BRG) von 1920 (RGBl. 1920, S. 147 ff.) und der Betriebsstilllegungsverordnung von 1923 (RGBl. 1923, S. 983 ff.); Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 358; Thüsing/Lambrich, BB 2002, S. 829. 14 APS/Backhaus, § 14 TzBfG, Rn. 2 f.; Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 359 f.
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
können Kettenbefristungen zu einer Umgehung des Kündigungsschutzes führen. Aus diesem Grund überprüfte das RAG aufeinanderfolgende Befristungen dahingehend, ob der Arbeitgeber mit einer Umgehungsabsicht handelte.15 Dies war nicht der Fall, wenn ein wirtschaftlicher Grund oder ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers die Befristung rechtfertigte.16 Der vom RAG entwickelte Umgehungsgedanke beeinflusste bis zum Inkrafttreten des TzBfG im Jahr 2001 die gesamte Befristungsrechtsprechung.17
II. Erlass des KSchG und frühe Rechtsprechung des BAG Der Widerspruch zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen vertiefte sich mit Erlass des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) im Jahr 1951. Aus den Gesetzgebungsmaterialien folgte, dass befristete Arbeitsverhältnisse von dem Anwendungsbereich des KSchG ausgeschlossen sind, das Kündigungsrecht jedoch nicht umgehen dürfen.18 Die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten eines umfassenden Kündigungsschutzrechts beendete damit die Möglichkeit, zwischen einem befristeten und einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu wählen.19 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1954 leitete das BAG Einschränkungen von § 620 BGB a. F. aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) und dem fehlenden Verhandlungsgleichgewicht der Vertragspartner ab.20 Aufeinanderfolgende Befristungen waren nur zulässig, wenn sie der Beurteilung eines verständig und sachlich denkenden Arbeitnehmers entsprachen.21
15 RAG,
Urt. v. 19. 5. 1928 – RAG 90/28, Bensh. Slg. Bd. 3, S. 3 (4 f.); RAG, Urt. v. 27. 6. 1928 – RAG 55/28, Bensh. Slg. Bd. 3, S. 114 (115); RAG, Urt. v. 28. 11. 1930 – RAG 286/30, Bensh. Slg. Bd. 10, S. 549 (552 f.); RAG, Urt. v. 6. 5. 1931 – RAG 564/30, Bensh. Slg. Bd. 12, S. 95 (97); RAG, Urt. v. 10. 9. 1931 – RAG 136/31, Bensh. Slg. Bd. 13, S. 42 (47 f.); auch APS/Backhaus, § 14 TzBfG, Rn. 2 f.; Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, S. 2 f.; Junker, EuZA 2013, S. 3 (4); Thüsing/Lambrich, BB 2002, S. 829; Schröter, Befristete Arbeitsverträge und arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit, S. 7 ff. 16 RAG, Urt. v. 10. 9. 1931 – RAG 136/31, Bensh. Slg. Bd. 13, S. 42 (47). 17 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 158. 18 BT-Drs. I/2090, S. 12; vgl. auch Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, S. 85 (86). 19 Wiedemann, in: FS Lange, S. 395 (399). 20 BAG, Urt. v. 21. 10. 1954 – 2 AZR 25/53, NJW 1955, 78 (80); vgl. auch Schröter, Befristete Arbeitsverträge und arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit, S. 32; Laux/Schlachter/ Schlachter, TzBfG, Einführung B, Rn. 3; Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 376, 383. 21 BAG, Urt. v. 21. 10. 1954 – 2 AZR 25/53, NJW 1955, 78 (80).
A. Die richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle
75
III. Die Entscheidung des Großen Senats Zur Grundlage der Befristungskontrolle wurde das Sachgrundkriterium in der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 12. 10. 1960.22 1. Herleitung der richterrechtlichen Befristungskontrolle Anders als die frühe Rechtsprechung des BAG knüpfte das Urteil des Großen Senats wieder an den Umgehungsgedanken des RAG an. Ausgangspunkt der Herleitung der Befristungskontrolle war § 1 KSchG, wonach Arbeitsverhältnisse nur aus sachlichen Gründen beendet werden dürfen.23 Die Befristungskontrolle des BAG ging jedoch weiter. Es sollten auch objektive Umgehungen des Kündigungsschutzrechts verhindert werden.24 Eine subjektive Umgehungsabsicht war nicht mehr erforderlich.25 Nach der Rechtsprechung des BAG waren Befristungen somit nur dann rechtmäßig, wenn sie „mit Recht und aus gutem Grund nicht von den Kündigungsschutzvorschriften betroffen werden“.26 Dies ist der Fall, wenn ein anerkennenswertes sachliches Interesse des Arbeitgebers vorliegt, ein zeitlich befristetes Arbeitsverhältnis zu vereinbaren. Ausgangspunkt der richterrechtlichen Befristungskontrolle ist damit der Widerspruch zwischen dem Kündigungsschutzrecht und der unbegrenzten Befristungsmöglichkeit. Diesen Widerspruch löst das BAG durch das Sachgrundkriterium auf, anhand dessen die Interessen der Arbeitsvertragsparteien normativ abgewogen werden.
22 BAG, Großer Senat, Urt. v. 12. 10. 1960 – 3 AZR 65/69, AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 23 Vgl. Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 54; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 386. 24 BAG, Urt. v. 29. 8. 1979 – 4 AZR 863/77, AP Nr. 50 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag „Ein schutzwertes Interesse für eine solche Vertragsgestaltung entfällt nur dann, wenn die Befristung nicht durch sachl. Gründe gerechtfertigt ist. Die Befristung ist unzulässig, wenn sie als rechtl. Gestaltungsmöglichkeit objektiv funktionswidrig verwendet wird.“; Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, Rn. 11; Laux/Schlachter/Schlachter, TzBfG, Einführung B, Rn. 3. 25 BAG, Urt. v. 29. 8. 1979 – 4 AZR 863/77, AP Nr. 50 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 166. 26 BAG, Großer Senat, Urt. v. 12. 10. 1960, AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG, Urt. v. 3. 7. 1970 – 2 AZR 280/69, AP Nr. 33 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag.
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
a) Abweichende Begründungsansätze in der Literatur Im Ergebnis fand die Sachgrundkontrolle in der Literatur überwiegend Zustimmung.27 Einwände bestanden jedoch insbesondere gegen die Herleitung der Befristungskontrolle aus der Gesetzesumgehung.28 Hierbei wurde hinterfragt, ob es sich um ein eigenständiges Rechtsinstitut oder eine Frage der Gesetzesauslegung handelt.29 Weiterhin sei ein Konzept der objektiven Gesetzesumgehung ohne Umgehungsabsicht schwer zu definieren, da bereits begrifflich ein bewusst umgehendes Vorgehen vorausgesetzt wird.30 Zudem werde im Rahmen der Befristungskontrolle eine gesetzlich vorgesehene Gestaltungsform als rechtsmissbräuchlich eingeordnet.31 Das Kündigungsrecht sei auf befristete Arbeitsverträge ohnehin nicht anwendbar und könne daher nicht umgangen werden.32 Auch die Rechtsfolge unwirksamer Befristungen wurde kritisiert, da eine Gesetzesumgehung zur Anwendung des umgangenen Rechtssatzes führen müsse.33 Aufgrund dieser Kritikpunkte wurden alternative Ansätze der Literatur für eine Herleitung der Befristungskontrolle entwickelt. Ältere Ansätze sprachen sich dafür aus, auch auf befristete Arbeitsverhältnisse analog das Kündigungs-
27 BAG, Urt. v. 25. 6. 1987 – 2 AZR 541/86, AP Nr. 14 zu § 620 BGB Bedingung; Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, Rn. 17. 28 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 170 f.; Gamillscheg, AcP 164 (1964), S. 385 (392 f.); Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, S. 535 ff.; Koller, Anm. zu BAG, Urt. v. 26. 04. 1979 – 2 AZR 431/77, AP Nr. 47 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag; Kraft, Anm. zu BAG, Urt. v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, AP Nr. 50 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag; Richardi, Anm. zu BAG, Urt. v. 17. 02. 1983 – 2 AZR 208/8, AP Nr. 74 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag; Schröter, Befristete Arbeitsverträge und arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit, S. 43 ff.; Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 55; Wiedemann, RdA 1977, S. 85 (86); Wolf, RdA 1988, 1988, 270 f. 29 Von einer Gesetzesauslegung gehen aus MüKoBGB/Armbrüster, § 134 BGB, Rn. 12 m. w. N.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, § 17, Ziff. 5; Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 64, 78 ff.; mit Einschränkung Benecke, Gesetzesu mgehung im Zivilrecht, S. 109 f.; 182 f.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 660; Schurig, in: FS Ferid (1988), S. 375 (384, 399 f.); Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 64 f.; a. A.: MüKoBGB/Mayer-Maly (4. Aufl.), § 134 BGB, Rn. 12 ff. 30 Vertiefend Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 15 ff.; 48 ff.; 78 ff. 31 Hueck, RdA 1953, S. 85 (86). 32 BAG, Urt. v. 7. 3. 1980 – 7 AZR 177/78, AP Nr. 54 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG, Urt. v. 29.8. 1979 – 4 AZR 863/77, NJW 1980, S. 1766 (1767); Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, S. 137; grundsätzlich Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 178 f., 194 f. 33 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, § 17, Ziff. 5; Wolf, RdA 1988, S. 270 f.; eine analoge Anwendung befürwortend Teichmann, Die Gesetzesumgehung S. 64, 78 ff.; Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 67.
A. Die richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle
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schutzrecht anzuwenden.34 Fastrich hingegen strukturierte die Befristungskon trolle als vertragliche Inhalts- und Angemessenheitskontrolle ausgehend von dem allgemeinen Rechtsprinzip von Treu und Glauben, das in § 242 BGB verankert ist und den unterlegenen Vertragspartner vor einer unangemessenen Benachteiligung aufgrund eines strukturellen Ungleichgewichts schützt.35 Aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Abhängigkeiten bieten privatautonome Entscheidungen im Arbeitsrecht keine „Richtigkeitsgewähr“ bezüglich des Inhalts des Vertrags.36 Aus diesem Grund wird eine Vertragskontrolle befürwortet, die sich an den Wertungen des Kündigungsschutzrechts orientiert.37 Wolf schlug hingegen vor, Befristungsvereinbarungen auf das Vorliegen einer freien rechtsgeschäftlichen Entscheidung hin zu kontrollieren.38 Eine solche liege dann vor, wenn die Parteien eine Befristung mit einem Sachgrund vereinbaren. Feuerborn ordnet die Befristungskontrolle als Vertragskontrolle auf der Grundlage der gesetzlichen Wertungen des KSchG ein.39 Unabhängig von der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, sei die Zulässigkeit von Befristungen anhand der Wertungen zwingender Arbeitnehmerschutzgesetze zu prüfen. Diese gehen typisierend von einem Verhandlungsungleichgewicht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus. Das Vorliegen eines Sachgrunds für die Befristung beurteilt sich anhand der Grundprinzipien des deutschen Arbeitsrechts unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Arbeitsvertragsparteien.40 Preis hingegen differenziert zwischen Erst- und Kettenbefristungen.41 Bei Erstbefristungen erfolge eine Vertragskontrolle zum Schutz des Arbeitnehmers vor der überlegenen Machtposition des Arbeitgebers. Der Umgehungsansatz passe nicht, da der Kündigungsschutz in zeitlicher Hinsicht ohnehin nicht anwend34 Blomeyer, RdA 1967, S. 406 (408 ff.); Bötticher, BB 1955, S. 673 (674 f.); Otte, Zeitvertrag und Kündigungsschutz, S. 190; Molitor, BB 1954, S. 504 (505). 35 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 162, 170 ff., 176 ff.; Lange, Die arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle als Angemessenheitskontrolle, S. 55; ähnlich Richardi, Anm. zu BAG, Urt. v. 17. 02. 1983 – 2 AZR 208/8, AP Nr. 74 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag; zum Rückgriff auf § 315 Abs. 3 BGB Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung, S. 57 – 60; 121 f., 136 f.; Säcker, RdA 1976, S. 91 (96). 36 Gamillscheg, AcP 164 (1964) S. 385 (408 ff.); Singer, JZ 1995, S. 1133 (1137 f.); Wolf, Anm. zu BAG, Urt. v. 22. 03. 1973 – 2 AZR 274/72, AP Nr. 38 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag. 37 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 171, 284 ff.; ähnlich Gamillscheg, AcP 164 (1964), S. 385 (393). 38 Wolf, RdA 1988, S. 270 (272 f.); ders., Anm. zu BAG, Urt. v. 22. 03. 1973 – 2 AZR 274/72, AP Nr. 38 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag. 39 Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht S. 97 f., 480. 40 Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 387 ff. 41 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 385 f.
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
bar sei.42 Hier könnten Befristungen sogar zu einem gesteigerten Bestandsschutz führen, da der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag nur bei gesonderter Vereinbarung ordentlich kündigen kann.43 Bei Kettenbefristungen müsse hingegen eine Prüfung stattfinden, ob zwingendes Gesetzesrecht umgangen wird. b) Zwischenergebnis Die richterrechtliche Befristungskontrolle erfolgte als Vertragskontrolle, die dem Schutz der unterlegenen Vertragspartei dient.44 In methodischer Hinsicht handelt es sich um eine teleologische Reduktion von § 620 BGB a. F.45 Benecke definiert die Einführung des Sachgrundkriteriums als Rechtsfortbildung extra legem durch einen teleologischen Analogieschluss im Vergleich zum Kündigungsrecht.46 Aus dem scheinbar umgangenen Kündigungsschutzrecht werden die Kriterien der Rechtsfortbildung abgeleitet. Die Wertentscheidungen des Gesetzgebers werden, wie Feuerborn analysierte, bei der Rechtsfortbildung zugrunde gelegt und in einer umfassenden normativ strukturierten Interessenabwägung konkretisiert.47 Die richterrechtlich entwickelte Befristungskontrolle leitete sich damit aus dem grundsätzlichen Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis durch das Kündigungsschutzrecht ab48 und brachte den Bestandsschutz mit der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Einklang.49 Aufgrund wesentlicher Unterschiede des Kündigungsschutz- und des Befristungsrechts können die Grundsätze jedoch nicht direkt auf die inhaltliche Ausgestaltung des Befristungsrechts übertragen werden.50 Das KSchG regelt allein die Beendigung des Arbeits42
Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 387, 390. Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 387 unter Verweis auf BAG, Urt. v. 19. 6. 1980 – 2 AZR 660/78, AP Nr. 55 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 44 Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 25 f. 45 Kraft, Anm. zu BAG, Urt. v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, AP Nr. 50 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag. 46 Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 195, 198. 47 Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 101 ff., 450 ff., 460 f. 48 Zum Mindestkündigungsschutz BVerfG, Urt. v. 24. 4. 1991 – 1 BvR 1341/90, BVerf GE 84, S. 133 (146 f.) = NJW 1991, 1667; BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1998, 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, S. 169 (176 f.) = NZA 1998, 470 (471 f.); BAG, Urt. v. 11. 6. 1997 – 7 AZR 186/96, NZA 1997, S. 1290 (1292); BAG, Urt. v. 14. 2. 1996 – 7 AZR 613/95, NZA 1996, S. 1095 (1096); kritisch zur allgemeinen Argumentation mit dem Bestandsschutzgedanken im Arbeitsrecht Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 121 ff. 49 Grundlegend Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 101, 103, 107; Junker, NZA 1997, S. 1305 (1306); Linsenmaier, RdA 2012, S. 193 (194). 50 Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, Rn. 101; Wank, RdA 2010, 193 (199 f.). 43
A. Die richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle
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verhältnisses und bietet keine Anhaltspunkte oder Richtlinien zur Gestaltung von Arbeitsverträgen.51 Insbesondere unterscheidet sich die soziale Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG grundlegend von der Prüfung eines Befristungsgrunds. Im Befristungsrecht werden vertragliche Abreden anhand einer Prognose zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses überprüft. Während sich die Prognose im Befristungsrecht nicht bewahrheiten muss, ist dies im Kündigungsschutzrecht erforderlich.52 Weiterhin müssen Kündigungen nach dem Ultima-Ratio-Prinzip das letzte Mittel sein.53 Befristungen können vorbehaltlich richterrechtlicher oder gesetzlicher Einschränkungen frei vereinbart werden. Aufgrund dieser wesentlichen Unterschiede können die Wertungen des Kündigungsschutzes nur indirekt auf das Befristungsrecht übertragen werden, indem geprüft wird, ob der Arbeitsvertrag aus sachlichen Gründen nicht in den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzrechts fällt. Gemeinsamkeiten zwischen Kündigungsschutz- und Befristungsrecht bestehen damit im Wesentlichen bezüglich der Zielsetzung, die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sachlich zu überprüfen. 2. Voraussetzungen der Sachgrundbefristung Das BAG definierte den Sachgrundbegriff vor dem Inkrafttreten des TzBfG nicht ausdrücklich. Es erfolgte vielmehr eine objektive, die Interessen der Vertragsparteien abwägende Einzelfallprüfung.54 Maßgeblich waren die Üblichkeit im Arbeitsleben, das Verhalten verständiger und verantwortungsbewusster Vertragsparteien sowie die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zumindest einer Partei.55 Der Maßstab verständiger und verantwortungsvoller Vertragsparteien verwies im Wesentlichen auf einen objektiven Prüfungsmaßstab.56 Wesentliches Element der Befristung war ferner ein zeitlich begrenzter Beschäftigungs-
51 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 168 f.: „Das KSchG setzt ein mit bestimmten Inhalten begründetes Arbeitsverhältnis voraus, wirkt aber nicht selbst konstitutiv auf den Vertragsinhalt.“ 52 APS/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 73 f. 53 APS/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 65 f. 54 BAG, Großer Senat, Urt. v. 12. 10. 1960, AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG, Urt. v. 3. 7. 1970 – 2 AZR 380/69, AP Nr. 33 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag; BAG, Urt. v. 30. 9. 1971 – 5 AZR 176/71, AP Nr. 36 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG, Urt. v. 31. 10. 1974 – 2 AZR 483/73, AP Nr. 39 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag. 55 BAG, Großer Senat, Urt. v. 12. 10. 1960, AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 56 Vgl. Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 425.
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
bedarf. Sozialpolitische Erwägungen oder Drittinteressen konnten die Befristung eines Arbeitsverhältnisses hingegen nicht allein rechtfertigen.57 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen eines Sachgrunds war der Abschluss des Arbeitsvertrags.58 Zu diesem Zeitpunkt musste auf der Grundlage einer objektiven Würdigung der Sachlage feststehen, dass der Beschäftigungsbedarf nach Ende der Befristung nicht mehr besteht.59 Weiterhin musste der Sachgrund auch die Dauer der befristeten Beschäftigung rechtfertigen.60 3. Anwendungsbereich der Befristungskontrolle Aufgrund der Herleitung aus dem Kündigungsschutzrecht fand die Befristungskontrolle nur Anwendung, wenn das zugrundeliegende Arbeitsverhältnis dem Kündigungsschutz unterlag.61 Im Gegensatz zum Ansatz des Reichsarbeitsgerichts wurden daher nicht nur Kettenbefristungen, sondern auch Erstbefristungen kontrolliert.62 Rechtsfolge einer unwirksamen Befristung war, dass ein Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Dauer geschlossen galt und nur durch eine Kündigung beendet werden konnte.
IV. Anwendung der Grundsätze auf die Befristung nach Erreichen des Rentenalters Der Meinungsstreit über die dogmatische Herleitung der richterrechtlichen Befristungskontrolle zeigt die Probleme bei der Einschränkung einer gesetzlich zugelassenen Vertragsgestaltung auf. Eine vergleichbare Problematik besteht auch bei der Befristung im Rentenalter. Gemäß § 41 S. 3 SGB VI unterliegt die befristete Weiterbeschäftigung keinen zeitlichen oder inhaltlichen Beschränkungen. Für Kündigungen nach Erreichen des Rentenalters gelten jedoch die einschränkenden Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes. In Bezug auf 57 BAG, Urt. v. 14. 1. 1982 – 2 AZR 245/80, AP Nr. 64 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag (II.4.a. der Gründe); BAG, Urt. v. 3. 7. 1970 – 2 AZR 380/69, AP Nr. 33 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag (3.b der Gründe); APS/Backhaus, § 14 TzBfG, Rn. 32. 58 BAG, Großer Senat, Urt. v. 12. 10. 1960, AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 59 BAG, Urt. v. 3. 12. 1997 – 7 AZR 651/96 – NZA 1998, S. 1000. 60 BAG, Urt. v. 29. 8. 1979 – 4 AZR 863/77, AP Nr. 50 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG, Urt. v. 16. 6. 1976 – 2 AZR 630/74, AP Nr. 46 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag (II. 4. der Gründe). 61 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 2. 62 Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (610).
B. Gesetzgebung zum Befristungsrecht
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weiterbeschäftigte Arbeitnehmer im Rentenalter stellen sich daher ebenso wie bei § 620 Abs. 1 BGB a. F. Fragen nach der Einschränkung einer zu weitreichenden Befristungsmöglichkeit. Auf der Grundlage der richterrechtlich entwickelten Befristungskontrolle wäre ein Befristungsgrund für die Weiterarbeit im Rentenalter nicht generell, sondern nur bei besonderen Interessen im Einzelfall anzunehmen. Es müssten die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Arbeitsvertragsparteien an einer zeitlich begrenzten Beschäftigung umfassend abgewogen werden. Aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters kann zwar in einigen Fällen davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer nur aus persönlichen Motiven oder für eine beschränkte Zeit weiterarbeiten möchte. Dies lässt sich jedoch kaum verallgemeinern, da verschiedene Motivationen für eine Weiterarbeit im Rentenalter bestehen. Auch die Tatsache, dass nach Erreichen des Rentenalters abstrakt mit einer abfallenden Leistungsfähigkeit gerechnet werden kann, führt nicht zum Vorliegen eines Befristungsgrunds im Einzelfall.
B. Gesetzgebung zum Befristungsrecht I. Das Beschäftigungsförderungsgesetz Die richterrechtlich entwickelte Rechtslage zum Befristungsrecht änderte sich mit Erlass des BeschFG im Jahr 1985. Vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosenzahlen schuf der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 BeschFG die Möglichkeit, Arbeitsverträge bis zu 18 Monate ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds zu befristen.63 Die Zielsetzung des Gesetzes war es, die sachgrundlose Befristung als Brücke in die Dauerbeschäftigung auszubauen. Zunächst galt das Gesetz nur befristet und ausschließlich für Neueinstellungen oder Befristungen in direktem Anschluss an eine Berufsausbildung. Im Anschluss verlängerte der Gesetzgeber die Befristungsmöglichkeit mehrfach und fasste sie 1996 neu.64 Insbesondere konnten ältere Arbeitnehmer nach Erreichen des 60. Lebensjahrs unbegrenzt sachgrundlos befristet werden (§ 1 Abs. 2 BeschFG). Hierdurch sollten Arbeitnehmer mit geringeren Beschäftigungschancen in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden.65 In dieser Form enthielt das BeschFG von 1996 erstmals einen speziellen Befristungstatbestand für ältere Arbeitnehmer.
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Beschäftigungsförderungsgesetz v. 26. 4. 1985, BGBl. I S. 710. Arbeitsrechtliches Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung, BGBl. I S. 1476. 65 BT-Drs. 13/4612, S. 13, 17. 64
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
II. Die Befristungsrichtlinie 1999/70/EG Am 28. Juni 1999 trat die Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge in Kraft. Richtlinien sind im Hinblick auf das verfolgte Ziel verbindlich und überlassen die Wahl von Form und Mitteln der Umsetzung den Mitgliedstaaten (Art. 288 UA 3 AEUV). Die Richtlinie beinhaltet selbst keine materiellrechtlichen Regelungen. Sie dient vielmehr dazu, der Rahmenvereinbarung der drei Sozialpartner auf europäischer Ebene, des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB), des europäischen Dachverbands der Arbeitgeber (UNICE)66 sowie des Europäischen Verbands der öffentlichen Arbeitgeber und Unternehmen (CEEP) vom 18. März 1999 Geltung zu verschaffen. 1. Gesetzgebung und Erwägungsgründe Die europäische Befristungsrichtlinie entstand Ende der neunziger Jahre vor dem Hintergrund unternehmerischer Flexibilisierungsinteressen angesichts steigender Arbeitslosenzahlen. Die erweiterte Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung durch das BeschFG führte zur Bildung sogenannter „Randbelegschaften“.67 Daher verfolgte das Gesetzgebungsverfahren das Ziel, Mindestrichtlinien für befristete Arbeitsverhältnisse zu regeln. Die Richtlinie definiert unbefristete Arbeitsverhältnisse erstmals als typische Form der Beschäftigung. Frühere Rechtsakte der Union strebten hingegen allein ein hohes Beschäftigungsniveau an. So zielte z. B. Art. 2 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) aus dem Jahr 1951 auf eine Beschäftigungsförderung durch den Ausbau des Binnenmarkts. Befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse wurden als gleichberechtigt angesehen.68 Die Rahmenvereinbarung erkennt nun erstmals an, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse die übliche Form der Beschäftigung sind.
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UNICE wird nun als BUSINESSEUROPE bezeichnet. Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (93). 68 Vgl. auch Titel I, Nr. 7 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (1989), in welcher befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse gleichberechtigt genannt werden: „Die Verwirklichung des Binnenmarktes muß zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen. Dieser Prozeß erfolgt durch eine Angleichung dieser Bedingungen auf dem Wege des Fortschritts und betrifft namentlich die Arbeitszeit und die Arbeitszeitgestaltung sowie andere Arbeitsformen als das unbefristete Arbeitsverhältnis, wie das befristete Arbeitsverhältnis, Teilzeitarbeit, Leiharbeit und Saisonarbeit.“; Latzel, in: Mezger/Graser (Hrsg.), Bestandsschutz oder Planungsfreiheit, S. 75 (85). 67
B. Gesetzgebung zum Befristungsrecht
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Die Rahmenvereinbarung wurde im Weg des sozialen Dialogs gemäß Art. 139 Abs. 2 EGV verabschiedet.69 Das Verfahren ermöglichte eine Regelung des Befristungsrechts auf europäischer Ebene, die lange Zeit am Widerstand des Vereinigten Königreichs scheiterte.70 Sie enthält materiellrechtliche Vorschriften zur Bekämpfung der Diskriminierung befristet Beschäftigter (§ 4 RV) und zum Schutz vor Rechtsmissbrauch durch befristete Verträge (§ 5 RV). Das Diskriminierungsverbot stellt sicher, dass befristet Beschäftigte aufgrund der vorübergehenden Tätigkeit nicht schlechter behandelt werden als Dauerbeschäftigte.71 In § 5 der Rahmenvereinbarung – der im Zentrum der folgenden Untersuchung steht – werden konkrete Anforderungen für Befristungen festgelegt, um „durch Festlegung von allgemeinen Grundsätzen und Mindestvorschriften einen allgemeinen Rahmen [… zu] schaffen, der Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge und Beschäftigungsverhältnisse“ verhindert.72 2. Anwendungsbereich der Richtlinie Die Richtlinie findet gemäß § 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung auf befristet beschäftige Arbeitnehmer Anwendung. a) Persönlicher Anwendungsbereich Grundsätzlich ist für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses und der Arbeitnehmereigenschaft der mitgliedstaatliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich. Dieser wird jedoch von unionsrechtlichen Vorgaben überlagert.73 Insbesondere begrenzt der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit die Ausgestaltungsbefugnis des nationalen Rechts.74 In diesem Sinn legt der EuGH den Anwendungsbereich der Richtlinie weit aus und wendet sie auf alle Personen an, die entgeltliche 69
Heute Art. 155 Abs. 2 AEUV. Fuchs, ZESAR 2016, S. 7 (8); Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (100); Laux/Schlachter/Schlachter, TzBfG, Einführung B, Rn. 10; Wank/Börgmann, RdA 1999, S. 383; Wank, RdA 1999, S. 383. 71 Zu § 4 der Rahmenvereinbarung EuGH, Urt. v. 14. 9. 2016 – C-596/14, NZA 2015, S. 1193 (Rn. 52) – De Diego Porras. 72 EuGH, Urt. v. 3. 7. 2014 – C-362/13 u. a., ZESAR 2015, S. 326 (Rn. 44) – Fiamingo, m. Anm. v. Medem; Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (101). 73 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 37 f.) – John; EuGH, Urt. v. 9. 7. 2015 – C-177/14, NZA 2016, S. 95 (Rn. 31 f.) – Regojo Dans; EuGH, Urt. v. 13. 9. 2007 – C-307/05, Slg. 2007, I-7109 (Rn. 27 f.) = NZA 2007, S. 1223 (Rn. 27 f.) – Del Cerro Alonso; Krebber, EuZA 2017, S. 3 (11 f.); EurArbR/Krebber, § 2 RL 1999/70/EG, Rn. 4 f. 74 BAG, Urt. v. 15. 2. 2017 – 7 AZR 143/15, NZA 2017, S. 1258 (Rn. 24). 70
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Arbeitsleistungen erbringen.75 Anders als im Rahmen des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs wird keine Weisungsgebundenheit vorausgesetzt.76 Bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern oder einzelne Branchen dürfen nicht aus dem Schutzbereich der Richtlinie ausgenommen werden.77 Ein Ausschluss aus dem Anwendungsbereich ist nur möglich, wenn sich das jeweilige Arbeitsverhältnis in seiner Ausgestaltung wesentlich von sonstigen Arbeitsverhältnissen unterscheidet.78 Hierbei sind die Modalitäten der Begründung des Arbeitsverhältnisses, die Organisation von Arbeitsinhalt und Arbeitszeit sowie die Bezahlung relevant.79 Nach der EuGH-Rechtsprechung unterfallen völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten nicht dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff.80 Ein Tätigkeitsumfang von wenigen Arbeitsstunden kann jedoch ausreichen, solange eine tatsächliche und echte Tätigkeit erfolgt.81 Diese Beschränkung sollte auch auf den Anwendungsbereich der Befristungsrichtlinie übertragen werden, da die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen verhindert werden soll. Ein entsprechendes Risiko besteht nur bei Tätigkeiten, die einen gewissen Umfang aufweisen und damit einen Beitrag zum Lebensunterhalt leisten. Eine untergeordnete Tätigkeit liegt jedoch nicht bereits dann vor, wenn ein Zuverdienst- oder Teilzeitarbeitsverhältnis vorliegt.82 Grundsätzlich fallen auch befristet beschäftigte Rentner unter den persönlichen Anwendungsbereich der Befristungsrichtlinie. Ein pauschaler Ausschluss 75 EuGH, Urt. v. 9. 7. 2015 – C-177/14, NZA 2016, S. 95 (Rn. 31 f.) – Regojo Dans; EuGH, Urt. v. 13. 9. 2007 – C-307/05, Slg. 2007, I-7109 (Rn. 28) = NZA 2007, S. 1223 (Rn. 28) – Del Cerro Alonso. 76 Zum unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff EuGH, Urt. v. 9. 7. 2015 – C-229/14, NZA 2015, S. 861 (Rn. 34) – Balkaya; EuGH, Urt. v. 11. 11. 2010 – C-232/09, Slg. 2010, I-11405 (Rn. 39) = NZA 2011, S. 143 (Rn. 39) – Danosa; EuGH, Urt. v. 3. 7. 1986 – C-66/85, Slg. 1986, 2121 (Rn. 16 f.) = NVwZ 1987, S. 41– Lawrie Blum. 77 EuGH, Urt. v. 3. 7. 2014 – C-362/13 u. a. (Rn. 31, 38), ZESAR 2015, S. 236 – Fiamingo; EuGH, Urt. v. 13. 9. 2007 – C-307/05, Slg. 2007, I-7109 (Rn. 29) = NZA 2007, S. 1223 (Rn. 29) – Del Cerro Alonso; zur Teilzeitarbeitsrichtlinie EuGH, Urt. v. 21. 9. 2016 – C-614/15, NZA 2016, S. 1323 (Rn. 34) – Popescu; EuGH, Urt. v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u. a., NZA 2015, S. 153 (Rn. 69) – Mascolo; EuGH, Urt. v. 1. 3. 2012 – C-393/10, NZA 2012, S. 313 (Rn. 36) – O’Brien. 78 EuGH, Urt. v. 1. 3. 2012 – C-393/10, NZA 2012, S. 313 (Rn. 42) – O’Brien. 79 EuGH, Urt. v. 1. 3. 2012 – C-393/10, NZA 2012, S. 313 (Rn. 43 ff.) – O’Brien. 80 EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-456/02, Slg. 2004 I-7573 (Rn. 15) = NZA 2005, S. 757 (Rn. 15) – Trojani; EuGH, Urt. v. 23. 3. 2004 – C-138/02, Slg. 2004 I-2703 (Rn. 26) = AP Nr. 14 zu Art. 39 EG, Rn. 26 – Collins; EuGH, Urt. v. 3. 7. 1986 – C-66/85, Slg. 1986, 2121 (Rn. 16 f.) = NVwZ 1987, S. 41 – Lawrie Blum. 81 EuGH, Urt. v. 1. 10. 2015 – C-432/14, NZA 2015, S. 1309 (Rn. 24) – Bio Philippe Auguste SARL. 82 Vgl. EuGH, Urt. v. 19. 7. 2017 – C-143/16, NZA 2017, S. 1247 (Rn. 19 ff.) – Abercrombie & Fitch Italia.
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aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters und der wirtschaftlichen Absicherung wäre aufgrund des umfassenden Anwendungsbereichs der Richtlinie unzulässig. Es sind nur Arbeitsverhältnisse aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen, die einen besonders geringen Beschäftigungsumfang aufweisen. b) Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht setzt die Richtlinie eine befristete Beschäftigung voraus (§ 2 Nr. 1, § 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung). Befristet beschäftigt sind Arbeitnehmer, die einen Arbeitsvertrag mit einem Arbeitgeber geschlossen haben, der bei Eintritt einer objektiven Bedingung, wie dem Erreichen eines bestimmten Datums, der Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses endet (§ 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung). Im Hinblick auf das Vorliegen einer Befristung ist zu prüfen, ob sich dies nach der unionsrechtlichen Definition oder nach der Rechtslage in dem jeweiligen Mitgliedstaat richtet. Einerseits wird vertreten, dass die unionsrechtliche Definition maßgeblich sei.83 Hierfür sprechen die Definition des befristeten Arbeitsverhältnisses in § 3 Nr. 1 sowie die grammatikalisch-syntaktische Auslegung von § 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung.84 Andererseits wird angenommen, dass es auf den mitgliedstaatlichen Befristungsbegriff ankomme, der durch die Vorgaben des § 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung ergänzt wird.85 In der neueren Entscheidung zur Rechtssache John scheint sich der EuGH letzterer Ansicht anzuschließen.86 Zumindest im deutschen Recht wird die mitgliedstaatliche Beurteilung des Vorliegens einer Befristung nur in Ausnahmefällen zu Abweichungen führen.87 Die autonome Definition befristeter Arbeitsverhältnisse in § 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung und § 15 Abs. 1 TzBfG stimmen im Wesentlichen überein. Bei verbleibenden Unterschieden gehen die unionsrechtlichen Vorgaben des § 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung weiterhin vor.88 Auch im Hinblick auf den unstreitig mitgliedstaatlich definierten Arbeitnehmerbegriff sind stets auch die Vorgaben des
83 EnzEuR/Kamanabrou,
Bd. 7, § 15, Rn. 5. Greiner, RdA 2018, 250 (251). 85 EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 2, Rn. 21, Anh. § 3, Rn. 4. 86 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 37) – John; kritisch Greiner, RdA 2018, 250 (251). 87 EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 2, Rn. 5. 88 Vgl. zu Einschränkung bei Leiharbeitsverhältnissen EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-290/12, NZA 2013, 495 (Rn. 32 ff., Rn. 42) – Della Rocca; EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 2, Rn. 3 ff. 84
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Unionsrechts zu beachten.89 Im Anschluss an die Entscheidung John bleibt somit abzuwarten, ob der EuGH in Zukunft weitere Konkretisierungen im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung vornehmen wird. 3. Vorgaben des § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung In § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung ist geregelt, dass die Mitgliedstaaten zur Vermeidung des Missbrauchs durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge eine der folgenden Maßnahmen anwenden: Es können sachliche Gründe festgelegt werden, welche die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen (§ 5 Nr. 1 lit. a). Alternativ kann die maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge (§ 5 Nr. 1 lit. b) oder die zulässige Zahl der Verlängerungen (§ 5 Nr. 1 lit. c) geregelt werden. Aus der Zielsetzung von § 5 der Rahmenvereinbarung, den Missbrauch durch aufeinanderfolgende Befristungen zu verhindern, ergibt sich, dass die Maßstäbe des § 5 keine Anwendung auf das erste befristete Arbeitsverhältnis finden.90 Dies gilt auch, wenn eine längere zeitliche Pause zwischen zwei befristeten Arbeitsverhältnissen liegt. Eine Unterbrechung von 20 Tagen reicht jedoch nicht aus.91 Erst ab einer Unterbrechung von 60 Tagen gelten Arbeitsverhältnisse nicht mehr als „aufeinanderfolgend“.92 Die in § 5 genannten Maßnahmen können alternativ oder kumulativ angewandt werden. Die Richtlinie normiert weder inhaltliche Vorgaben für den Sachgrundbegriff noch zeitliche Grenzen.93 Neben den genannten Maßnahmen können auch andere gleich effektive Maßnahmen ergriffen werden. Eine Sanktion
89 Vgl. insb. zu Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 74) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 54 f.) – Adeneler. 90 EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009 – C-378/07 u. a., Slg. 2009, I-3071 (Rn. 90) = AP Nr. 6 zu RL 1999/70/EG (Rn. 90) – Angelidaki; EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 40 ff.) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 40 ff.) – Mangold; Preis/Sagan/Brose, Europäisches Arbeitsrecht, § 13, Rz. 13.33 unter Hinweis darauf, dass die Richtlinie insgesamt auch auf die erste Befristung Anwendung findet; Kamanabrou, EuZA 2012, S. 441 (452); EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 5, Rn. 5; Junker, EuZA 2013, S. 3 (5); Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 17, Rn. 3. 91 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 83 ff.) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 83 ff.) – Adeneler. 92 EuGH, Urt. v. 3. 7. 2014 – C-362/13 u. a., ZESAR 2015, S. 236 (Rn. 71) – Fiamingo m. Anm. v. Medem; Krebber, EuZA 2017, S. 3 (13). 93 Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (19); EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 5, Rn. 2; Laux/ Schlachter/Schlachter, TzBfG, Einführung B, Rn. 12.
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für unwirksame Befristungen gibt die Richtlinie nicht vor. Die mitgliedstaatlich vorgesehenen Sanktionen müssen jedoch effektiv und abschreckend sein.94 a) Konkretisierung des Sachgrundbegriffs Der Begriff des Sachgrunds, der in § 5 der Rahmenvereinbarung verwendet wird, bedarf der Konkretisierung und der Ausgestaltung. Nach Erwägungsgrund Nr. 17 der Befristungsrichtlinie erfolgt die Ausgestaltung nicht genau definierter Begriffe in der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten. Somit besteht ein Ermessensspielraum, unbestimmte Rechtsbegriffe auch durch dahinterstehende Wertungen auszufüllen.95 aa) Grundsatz der autonomen Auslegung unionsrechtlicher Rechtsbegriffe Trotz des mitgliedstaatlichen Ausgestaltungsspielraums erfolgt die Auslegung unionsrechtlicher Rechtsbegriffe im Regelfall autonom anhand unionsrechtlicher Grundsätze und nicht unter Rückgriff auf das mitgliedstaatliche Recht.96 Dies gilt besonders bei Kernregelungen des harmonisierenden Rechts, wenn aus dem Regelungskontext Anhaltspunkte für die Auslegung der Norm abgeleitet werden.97 Die autonome Auslegung verfolgt das Ziel, eine einheitliche und effektive Anwendung des Unionsrechts zu erreichen.98 Neben der Zielvorgabe des § 5 der Rahmenvereinbarung, den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu vermeiden, gibt es keine weiteren Vorgaben der Richtlinie für die Konkretisierung des Sachgrundbegriffs. In den Erwägungsgründen sind jedoch entsprechende Anhaltspunkte zu finden. Nach dem 6. Erwägungsgrund der Rahmenvereinbarung sind unbefristete Arbeitsverhältnisse die typische Form der Beschäftigung. Im 7. und 8. Erwägungsgrund wird anerkannt, dass befristete Arbeitsverhältnisse unter bestimmten Voraussetzungen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Rechnung 94 Zuletzt EuGH, Urt. v. 25. 10. 2018 – C-331/17, NZA 2018, 1535 (Rn. 64 ff.) – Sciotto; EuGH, Urt. v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u. a., NZA 2015, S. 153 (Rn. 77) – Mascolo; Krebber, EuZA 2017, S. 3 (13). 95 Bleckmann, RIW 1987, S. 929 (934). 96 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 454 f., 475 ff.; Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 208 ff.; Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 13; zum Begriff der unionsrechtsautonomen Auslegung EuGH, Urt. v. 26. 4. 2012 – C-510/10, EuZW 2012, S. 635 (Rn. 33) – Nordisk Copyright Bureau; EuGH, Urt. v. 18. 10. 2011 – C-34/10, Slg. 2011, I-9821 (Rn. 25) = EuZW 2011, S. 908 (Rn. 25) – Brüstle; Britz, EuGRZ 2015, S. 275 (279); Preis/Sagan/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, § 1, Rz. 1.76 f.; zum unionsrechtlichen Befristungsrecht Preis/Sagan/Brose, Europäisches Arbeitsrecht, § 13, Rz. 13.34. 97 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 490 ff. 98 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 482.
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tragen. Das Sachgrundkriterium gibt mithin vor, wann von dem Normalbild des unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses abgewichen werden kann. Der EuGH geht von einer spezifisch unionsrechtlichen Zielsetzung der Richtlinie aus und definiert den Sachgrundbegriff trotz des mitgliedstaatlichen Ausgestaltungsvorbehalts eigenständig auf der Grundlage seiner abschließenden Definitionskompetenz gemäß Art. 19 EUV.99 Hierbei kommt der teleologischen, am effet utile ausgerichteten Auslegung nach Sinn und Zweck eine besondere Bedeutung zu.100 Auch die Erwägungsgründe sind als Bestandteil des Gesetzes für die teleologische Auslegung von wesentlicher Bedeutung.101 Die Grenze der mitgliedstaatlichen Ausgestaltung ist erreicht, wenn sie dem Regelungsziel der Rahmenvereinbarung zuwiderläuft.102 Die Zielsetzung gibt jedoch nur einen Gesichtspunkt wieder, der für die Auslegung relevant ist.103 Gleichzeitig können die Interessen und Erwartungen der Arbeitsvertragsparteien und der systematische Regelungskontext auf die Rechtsfindung einwirken.104 So haben die Normen des Befristungsschutzes vollständig unterschiedliche Auswirkungen auf den Bestandsschutz eines Arbeitsverhältnisses, je nachdem, ob der entsprechende Mitgliedstaat ein starkes Kündigungsschutzrecht hat oder nicht. Aus diesem Grund sind auch der nationale Regelungskontext und die Entwicklung des Befristungsrechts für die Auslegung der Rechtsnorm relevant.
99
Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 336 f. Zu den Auslegungsmethoden EuGH, Urt. v. 7. 6. 2005 – C-17/03, Slg. 2005, I-4983 (Rn. 41) = EuZW 2005, S. 695 (Rn. 41) – VEMW u. a.; EuGH, Urt. v. 9. 3. 2006 – C-323/03, Slg. 2006, I-2161 (Rn. 23) = NZBau 2006, S. 386 (Rn. 23) – Kommission/Spanien; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 452 ff., 457 f., 461 ff.; zur teleologischen Auslegung Bleckmann, RIW 1987, S. 929 (930); Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, § 9, Rn. 176 ff.; Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 16. 101 Rengeling/Middeke/Gellermann/Gärditz, § 34, Rn. 58; Köndgen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 95 (115 f.). 102 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 68) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 68) – Adeneler „Die Mitgliedstaaten verfügen somit in diesem Bereich über einen Spielraum; doch ändert dies nichts daran, dass sie das gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Ergebnis erreichen müssen“; EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Art. 1 – 4, Rn. 8. 103 Schlachter, Der Europäische Gerichtshof und die Arbeitsgerichtsbarkeit, S. 36; ebenso Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 461 f. 104 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 462 ff. 100
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bb) Weitere Sprachfassungen Aus dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts folgt, dass auch andere Sprachfassungen berücksichtigt werden.105 Bei einer Divergenz der verschiedenen Sprachfassungen entscheidet das mit der Richtlinie verfolgte Ziel.106 Sachgründe für Befristungen werden in der französischen Fassung der Richtlinie als „raisons objectives“ und im Englischen als „objective reasons“ bezeichnet. „Objective“ lässt sich mit den Begriffen „neutral“, „objektiv“ oder „sachlich“ übersetzen. Die Wortbedeutungen unterscheiden sich jedoch, da die Begriffe „objektiv“ und „neutral“ nur auf die Beurteilungsperspektive abstellen und der Begriff „sachlich“ auch eine inhaltlich-rechtfertigende Dimension enthält. Aus dem Sinn und Zweck der Richtlinie, den Missbrauch durch Befristungen einzudämmen, lässt sich jedoch ableiten, dass auch eine sachlich-inhaltliche Berechtigung erforderlich ist. b) Zwischenergebnis Auch wenn die konkrete Ausgestaltung des Befristungsrechts den Mitgliedstaaten obliegt, erfolgt die abschließende Auslegung der Richtlinienvorgaben in § 5 der Rahmenvereinbarung autonom nach unionsrechtlichen Grundsätzen. Die Auslegung des Sachgrundbegriffs hängt wesentlich von der Zielsetzung der Richtlinie ab und erfolgt insoweit eigenständig von der Sachgrunddefinition der BAG-Rechtsprechung. Die Richtlinie gibt im Wesentlichen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Verträgen vor und enthält keine konkreten inhaltlichen Kriterien für die Auslegung des Sachgrundbegriffs. 4. Rechtswirkung der Richtlinie Grundsätzlich sind die Vorgaben des § 5 der Rahmenvereinbarung im deutschen Recht nicht unmittelbar anwendbar. Auch wenn das Recht der Europäischen Union einen Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht entfaltet,107 richten sich Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ausschließlich an die Mitgliedstaaten und finden erst nach ihrer mitgliedstaatlichen Umsetzung auf Privatpersonen Anwendung.108 Ausnahmsweise können sich Einzelne gegenüber dem Mitgliedstaat unmittelbar auf eine Richtlinie berufen. Die unmittelbare An105 EuGH, Urt. v. 27. 3. 1990 – C-372/88, Slg. I-1990, S. 1345 (Rn. 18 f.) – Cricket St Thomas. 106 EuGH, Urt. v. 12. 11. 1998 – C-149/97, Slg. I-1998, S. 7053 (Rn. 16) – Institute of the Motor Industry. 107 EuGH, Urt. v. 15. 7. 1964 – C-6/64, Slg. 1964, 1253 (1269 ff.) – Costa/ENEL; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 1 AEUV, Rn. 1 ff. m. w. N. 108 Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 2.
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wendbarkeit setzt jedoch voraus, dass die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, keine ausreichende Umsetzung der Richtlinienvorgaben erfolgte und die Vorgaben der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind.109 Im Gegensatz zu dem aus § 4 der Rahmenvereinbarung folgenden Diskriminierungsverbot, ist § 5 nicht ausreichend bestimmt und daher nicht unmittelbar anwendbar.110 Das Missbrauchsverbot bildet nur einen Mindeststandard111 und billigt den Mitgliedstaaten einen weitreichenden Spielraum bei der Umsetzung zu. Daher bestehen keine inhaltlich unbedingten und hinreichend genauen Vorgaben, die der Einzelne vor Gericht geltend machen könnte.112 Trotz der großen Umsetzungsspielräume wirkte die Richtlinie maßgeblich auf die Entwicklung des deutschen Befristungsrechts ein.113 Hierfür ist besonders die Rechtsprechung des EuGH relevant, die das Sachgrunderfordernis seit den grundlegenden Entscheidungen Adeneler und Angelidaki unter Rückgriff auf die Erwägungsgründe der Rahmenvereinbarung konkretisierte und fortbildete.114 Die Befristungsrichtlinie leitete einen Methodenwechsel ein, da anders als im Rahmen der richterrechtlich entwickelten Befristungskontrolle nicht mehr an das Kündigungsschutzrecht angeknüpft wird.115 Der Widerspruch zum Kündi109 Grundlegend EuGH, Urt. v. 4. 12. 1974 – Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 (Rn. 12 ff.) – Van Duyn; EuGH, Urt. v. 5. 4. 1979 – Rs. 148/78, NJW 1979, S. 1764 (1765); EuGH, Urt. v. 19. 1. 1982 – Rs. 8/81, Slg. 1982, 53 (Rn. 17 ff.) – Becker; die unmittelbare Anwendung führt – mit eng begrenzten Ausnahmen – jedoch nicht dazu, dass Richtlinien unmittelbar zwischen Privatpersonen gelten, Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 14. 7. 1994 – Rs. 91/92, Slg. 1994, I-3325 (Rn. 20 ff.) – Faccini Dori. 110 EuGH, Urt. v. 10. 3. 2011 – C-109/09, Slg. 2011, I-1309 (Rn. 51) = NZA 2011, S. 397 (Rn. 51) – Kumpan; EuGH, Urt. v. 15. 4. 2008 – C-268/06, Slg. 2008, I-2483 (Rn. 69 ff., 80) = NZA 2008, S. 581 (Rn. 69 ff., 80) – Impact; EurArbR/Krebber, Art. 1 – 4 RL 1999/70/ EG, Rn. 27; Rolfs/Evke de Groot, ZESAR 2009, S. 3 (11). 111 Preis/Sagan/Brose, Europäisches Arbeitsrecht, § 13, Rz. 13.207, 125; EnzEuR/ Kamanabrou, Bd. 7, § 15, Rn. 3; Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (99 f.). 112 EuGH, Urt. v. 10. 03. 2011 – C-109/09, Slg. 2011, I-1309 (Rn. 51) = NZA 2011, S. 397 (Rn. 51) – Kumpan; EuGH, Urt. v. 05. 04. 2008 – C-268/06, Slg. 2008, I-2483 (Rn. 79) = NZA 2008, S. 581 (Rn. 79) – Impact; zustimmend Preis/Sagan/Brose, Europäisches Arbeitsrecht, § 13, Rz. 13.56 f.; EurArbR/Krebber, Art. 1 – 4 RL 1999/70/EG, Rn. 27; ders., EuZA 2017, S. 3 (5). 113 Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (99). 114 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 60 ff.) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 60 ff.) – Adeneler; EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009 – C-378/07 u. a., Slg. 2009, I-3071 (Rn. 73 ff.) = AP Nr. 6 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 73 ff.) – Angelidaki; EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 5, Rn. 17. 115 BAG, Urt. v. 6. 11. 2003 – 2 AZR 690/02, NZA 2005, S. 218 (219 f.); Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, Rn. 103, 107; Kliemt, NZA 2001, S. 296 (297, 301); Annuß/Thüsing/Maschmann, § 14 TzBfG, Rn. 4; Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (102); Laux/Schlachter/Schlachter, TzBfG, Einführung B, Rn. 13 f.;
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gungsschutzrecht eignet sich auch nicht als normativer Ausgangspunkt für die Entwicklung der Befristungskontrolle, da ein Kündigungsschutzrecht auf europäischer Ebene nie geplant war.116 Die Richtlinie knüpft vielmehr an die Situation der Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt an und zielt darauf ab, die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen zu verhindern. Der Begriff der Prekarisierung leitet sich aus dem lateinischen Begriff „precarius“ ab, der mit „zweifelhaft“ oder „unsicher“ übersetzt werden kann.117 Der Begriff der Prekarisierung bezieht sich auf die Unsicherheit des Arbeitsverhältnisses in Bestand und Fortdauer. Dies gilt insbesondere, da befristete Arbeitsverhältnisse meist für kurze Zeitspannen vereinbart werden und betroffenen Arbeitnehmern die Planungssicherheit nehmen. In Bezug auf die befristete Weiterarbeit stellt sich die wesentliche Frage, ob und inwiefern die Zielsetzung, die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen zu verhindern, auch nach Erreichen des Renteneintrittsalters Anwendung finden kann. Diese Problemstellung wird in den letzten Abschnitten dieses Kapitels untersucht. Zunächst steht jedoch die Umsetzung der Befristungsrichtlinie in das deutsche Recht durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz im Vordergrund.
III. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) Den Umsetzungsauftrag in Art. 2 der RL 1999/70/EG nahm der deutsche Gesetzgeber zum Anlass, das deutsche Befristungsrecht durch Erlass des TzBfG umfassend neu zu kodifizieren.118 Es wurde eine Alternativlösung bezüglich der in § 5 der Rahmenvereinbarung genannten Möglichkeiten zur Begrenzung befristeter Arbeitsverträge gewählt.119 1. Sachgrundbefristungen In § 14 Abs. 1 TzBfG regelte der Gesetzgeber die in zeitlicher Hinsicht unbeschränkte Sachgrundbefristung.120 Die bisher richterrechtlich entwickelten Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 335 f.; Waas, ZAF 2007, S. 99 (103); Hanau/Steinmeyer/Wank/Wank, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 18, Rn. 276. 116 EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Art. 4, Rn. 3. 117 Langenscheidt Wörterbuch Latein, Stichwort „precarius“. 118 BT-Drs. 14/4374, S. 13; Staudinger/Preis, § 620 BGB, Rn. 17; Thüsing/Lambrich, BB 2002, 829. 119 Linsenmaier, RdA 2012, S. 193 (195, 197). 120 Preis/Greiner, RdA 2010, S. 148 (149). Auf eine zeitliche Begrenzung von Sachgrundbefristungen zielt der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, 7. 2. 2018, S. 52 Nr. 2347 ff.; vgl. Arnold/Romero, NZA 2018, S. 329 (331).
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Befristungsgründe werden nicht abstrakt systematisiert, sondern exemplarisch aufgelistet.121 Hierdurch soll die Anerkennung weiterer Sachgründe ermöglicht werden.122 Die Voraussetzungen von § 14 Abs. 1 TzBfG müssen bereits bei dem ersten Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags vorliegen, insoweit geht der deutsche Gesetzgeber über die Anforderungen der Befristungsrichtlinie hinaus.123 2. Sachgrundlose Befristungen a) Sachgrundlose Befristung gemäß § 14 Abs. 2, Abs. 2a TzBfG Der Gesetzgeber greift die zuvor im BeschFG geregelte Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung auf, die nicht durch sachliche Voraussetzungen, sondern nur durch formale Grenzen beschränkt wird. Diese soll eine „Brücke in die Dauerbeschäftigung“ bilden und hierdurch Beschäftigung fördern.124 Die sachgrundlose Befristung wird in § 14 Abs. 2 und Abs. 2a TzBfG bezüglich der maximalen Dauer und der Anzahl von Verlängerungen eingeschränkt.125 Während § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG eine sachgrundlose Befristung für maximal zwei Jahre bei höchstens dreimaliger Verlängerung zulässt, regelt § 14 Abs. 2a TzBfG einen Sondertatbestand für Unternehmensneugründungen. Zudem gilt bei sachgrundlosen Befristungen ein Verbot der Zuvor-Beschäftigung (§ 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG), wonach mit demselben Arbeitgeber zuvor kein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden haben darf. Dies ist eine wesentliche Veränderung im Vergleich zu der Vorgängerregelung des § 1 Abs. 3 BeschFG. b) Sachgrundlose Befristung älterer beschäftigungsloser Arbeitnehmer gemäß § 14 Abs. 3 TzBfG Der im Jahr 2001 eingeführte § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. ermöglichte die sachgrundlose Befristung von Arbeitnehmern nach Erreichen des 58. Lebensjahrs. Die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit wurde mit einer höheren Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer begründet.126 Daher fand die Norm keine 121 Waas, ZAF 2007, S. 99 (104); zur Regelungstechnik Schünemann, JZ 2005, S. 271 ff. 122 BT-Drs. 14/4374, S. 18. 123 Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72. 124 Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (74). 125 Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, 7. 2. 2018, S. 52 Nr. 2336 ff. sieht eine Begrenzung sachgrundloser Befristungen auf 18 Monate bei höchstens einmaliger Verlängerung und eine maximale Befristungsquote von 2,5 Prozent für Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten vor. 126 BT-Drs. 14/4374, S. 14, 20.
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Anwendung, wenn ein enger Zusammenhang mit einem früheren unbefristeten Arbeitsverhältnis bestand (§ 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG a. F.). Im Jahr 2002 erweiterte der Gesetzgeber die Vorschrift dahingehend, dass bereits ab dem 52. Lebensjahr sachgrundlose Befristungen vereinbart werden konnten.127 aa) Die Rechtssache Mangold Im Jahr 2005 entschied der EuGH über die Vereinbarkeit der Norm mit Europarecht aus Anlass der erstmaligen Befristung eines Arbeitnehmers auf der Grundlage von § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a. F.128 Der EuGH stellte zunächst klar, dass § 5 der Rahmenvereinbarung keine Anwendung auf Erstbefristungen findet.129 Auch das Verschlechterungsverbot gemäß § 8 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung war nicht betroffen, da die Herabsetzung des Alters für die sachgrundlose Befristung nicht in Umsetzung der Befristungsrichtlinie, sondern zur Förderung des Beschäftigungsniveaus älterer Arbeitnehmer erfolgte.130 Aus diesen Gründen befasste sich der EuGH inhaltlich nicht mit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie. Es lag jedoch ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen das in der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG geregelte Verbot der Altersdiskriminierung vor.131 Dieser Aspekt der Entscheidung wird im 4. Kapitel vertieft.132 Für die befristungsrechtlichen Fragestellungen wäre eine Entscheidung zur Vereinbarkeit von § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a. F. mit der Befristungsrichtlinie hilfreich gewesen. Auch wenn es im konkreten Fall Mangold um eine Erstbefristung ging, ließ die Vorschrift wiederholte Befristungen älterer Arbeitnehmer zu.133 Demnach entsprach die Vorschrift strukturell der hier untersuchten Regelung zur Befristung im Rentenalter und unterschied sich nur in Bezug auf die betroffene Altersgruppe.
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Die Absenkung wurde auf das Jahr 2006 befristet, BGBl. I S. 4607 (4619). Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 = NZA 2005, S. 1345 – Mangold. 129 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 40 ff.) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 40 ff.) – Mangold. 130 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 53) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 53) – Mangold. 131 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 65) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 65) – Mangold. 132 Vgl. Kapitel 4 B.III.3.a). 133 So auch Wiedemann, Anm. zu EuGH, Urt. v. 22. 11. 2004 – C-144/04 – Mangold, AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG (II.2.a.). 128 EuGH,
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bb) Die Rechtssache Kumpan Der EuGH befasste sich in der Rechtssache Kumpan mit der Einschränkung der sachgrundlosen Befristung älterer Arbeitnehmer in § 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG a. F., wonach bei sachgrundlosen Befristungen kein Zusammenhang mit einem früheren unbefristeten Arbeitsverhältnis bestehen durfte.134 Nach Ansicht des EuGH enthielt § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. weder einen Sachgrund noch eine zeitliche Grenze zum Schutz vor dem Missbrauch befristeter Arbeitsverhältnisse.135 Die Einschränkung in § 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG a. F war nach Ansicht des EuGH jedoch ebenfalls geeignet, Missbrauch durch aufeinanderfolgende Befristungen zu verhindern, wenn sie dahingehend ausgelegt werde, dass die Befristung auch nicht an weiter zurückliegende unbefristete Arbeitsverhältnisse anknüpfen darf.136 Überraschend ist zunächst, dass anders als in der Entscheidung Mangold nicht die Vereinbarkeit mit der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie, sondern vielmehr mit der Befristungsrichtlinie geprüft wird. Diesbezüglich gibt der EuGH keine eindeutige Antwort, sondern stellt fest, dass § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. unproblematisch ist, wenn die Einschränkung in S. 2 in unionsrechtskonformer Art und Weise ausgelegt wird.137 Der Abschluss eines befristeten Vertrags nach einem zuvor bestehenden unbefristeten Arbeitsverhältnis ist demnach auch unzulässig, wenn zwischen beiden Arbeitsverträgen eine längere Zeitspanne liegt, die durch weitere befristete Verträge überbrückt wurde.138 Es blieb somit offen, ob die zeitlich unbegrenzte Befristung von älteren Arbeitnehmern zur Beschäftigungsförderung mit der Befristungsrichtlinie vereinbar ist. Es wird jedoch klargestellt, dass Befristungen, die ausschließlich auf das Erreichen eines bestimmten Lebensalters abstellen, keine der in § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung vorgesehenen Maßnahmen beinhalten.139 Ein Sachgrund der Befristung ergibt sich nicht bereits aus dem sozialpolitischen Ziel, ältere Arbeitnehmer in den Beruf einzugliedern, da die Vorschrift unabhängig von einer möglichen Beschäftigungslosigkeit Anwendung findet. Es muss daher durch alternative Maßnahmen sichergestellt werden, dass kein Missbrauch durch die Verknüpfung von unbefristeten mit mehreren befristeten Arbeitsverträgen erfolgt. 134
EuGH, Urt. v. 10. 3. 2011 – C-109/09, Slg. 2011, I-1309 = NZA 2011, 397 – Kumpan. Urt. v. 10. 3. 2011 – C-109/09, Slg. 2011, I-1309 (Rn. 41) = NZA 2011, 397 (Rn. 41) – Kumpan. 136 EuGH, Urt. v. 10. 3. 2011 – C-109/09, Slg. 2011, I-1309 (Rn. 57)= NZA 2011, 397 (Rn. 57) – Kumpan. 137 Linsenmaier, RdA 2012, S. 193 (206). 138 EuGH, Urt. v. 10. 3. 2011 – C-109/09, Slg. 2011, I-1309 (Rn. 57) = NZA 2011, 397 (Rn. 57) – Kumpan. 139 EuGH, Urt. v. 10. 3. 2011 – C-109/09, Slg. 2011, I-1309 (Rn. 41) = NZA 2011, 397 (Rn. 41) – Kumpan. 135 EuGH,
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cc) Gesetzliche Änderung des § 14 Abs. 3 TzBfG Infolge der Mangold-Entscheidung änderte der Gesetzgeber § 14 Abs. 3 TzBfG im Jahr 2007, um die Vorschrift an die unionsrechtlichen Anforderungen anzupassen.140 Tatbestandsvoraussetzung ist nun weiterhin, dass der Arbeitnehmer unmittelbar vor der befristeten Beschäftigung mindestens vier Monate beschäftigungslos war (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), Transferkurzarbeitergeld bezog oder an einer geförderten Beschaffungsmaßnahme nach dem SGB II oder III teilnahm. Die Befristung kann bis zu fünf Jahre bei mehrfacher Verlängerung erfolgen. Das BAG entschied zu § 14 Abs. 3 TzBfG n. F., dass die Regelung zumindest bei erstmaliger Anwendung mit Europarecht vereinbar sei, da nun auch an die Beschäftigungslosigkeit des Arbeitnehmer angeknüpft wird.141 Unionsrechtliche Bedenken bestehen jedoch, wenn eine viermonatige Beschäftigungsunterbrechung wiederholt durch den Arbeitgeber herbeigeführt wird, um die Voraussetzungen einer sachgrundlosen Befristung älterer Arbeitnehmer zu schaffen.142 Die Norm muss daher richtlinienkonform einschränkend ausgelegt werden.143 3. Zusammenfassung Mit der Einführung des TzBfG im Jahr 2001 kodifizierte der Gesetzgeber das zuvor durch das BAG gestaltete und das BeschFG ergänzte Befristungssystem. Die Sachgründe für Befristungen, die das BAG richterrechtlich entwickelte, sind nun in § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG geregelt. Gleichzeitig ist die Auflistung nicht abschließend, sondern es besteht Raum für die Anerkennung weiterer Sachgründe. Neben der Möglichkeit der Sachgrundbefristung besteht seit Einführung des TzBfG dauerhaft die Möglichkeit, eine zeitlich begrenzte sachgrundlose Befristung zu vereinbaren.
IV. Auswirkungen der Grundrechtecharta Neben der Befristungsrichtlinie könnten sich weitere Anforderungen an Befristungen aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ergeben. Art. 30 GRCh gewährt einen unionsgrundrechtlichen Schutz vor ungerechtfertigten Entlassungen. 140 Gesetz
zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen v. 19. 4. 2007, BGBl. I S. 538; BT-Drs. 16/3793, S. 9 f. 141 BAG, Urt. v. 28. 5. 2014 – 7 AZR 360/12, NZA 2015, 1131 (Rn. 14 f.). 142 BAG, Urt. v. 28. 5. 2014 – 7 AZR 360/12, NZA 2015, 1131 (Rn. 15); Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (78 f.). 143 BAG, Urt. v. 28. 5. 2014 – 7 AZR 360/12, NZA 2015, 1131 (Rn. 16, 36).
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Die Anwendbarkeit der GRCh ist jedoch weniger für die inhaltlichen Anforderungen an Befristungen, sondern vielmehr für die Rechtsfolgen eines potentiellen Richtlinienverstoßes maßgeblich. In inhaltlicher Hinsicht wird überwiegend davon ausgegangen, dass die Grundrechtecharta nur einen Mindestbestandsschutz gewährleistet144 und nicht über die Gewährleistungen der Befristungsrichtlinie hinausgeht. Wären die unionsrechtlichen Vorgaben des Befristungsrechts jedoch Bestandteil des unionsgrundrechtlichen Bestandsschutzes, könnten die Grundsätze auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten unmittelbar gelten.145 Dies folgt daraus, dass die GRCh als Primärrecht der Europäischen Union einen Anwendungsvorrang vor dem nationalem Recht hat.146 Die Grundrechtecharta müsste zunächst nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh Anwendung finden, wenn Mitgliedstaaten befristungsrechtliche Regelungen erlassen. Grundsätzlich bindet die EU-Grundrechtecharta die Mitgliedstaaten ausschließlich bei „Durchführung des Rechts der Union“ (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh). Der Inhalt dieser Voraussetzung ist jedoch umstritten. Nach der weiten Auslegung des EuGH in der Rechtssache Åkerberg Fransson genügt bereits, dass „eine nationale Rechtsvorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt.“147 Es reicht somit ein unionsrechtlicher Anknüpfungspunkt oder ein mittelbarer Zusammenhang mit dem Unionsrecht.148 Da das Befristungsrecht ein unionsrechtlich geregeltes Rechtsgebiet ist, fände die Grundrechtecharta bei Er-
144
Franzen, NZA-Beil. 2015, S. 77 (82). unionsgrundrechtlich verankerten Verbot der Altersdiskriminierung EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 75) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 75) – Mangold; EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 50 f.) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 50 f.) – Kücükdeveci; Calliess/Ruffert/Krebber, Art. 27 GRCh, Rn. 6; kritisch Preis, NZA 2006, S. 401 (406 ff.); befürwortend Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 391 ff. 146 EuGH, Urt. v. 15. 7. 1964 – C-6/64, Slg. 1964, 1253 (1269 ff.) – Costa/ENEL; EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009 – C-378/07 u. a., Slg. 2009, I-3071 (Rn. 196) = AP Nr. 6 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 196) – Angelidaki; BAG, Urt. v. 28. 5. 2014 – 7 AZR 360/12, NZA 2015 (Rn. 16 ff.); Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 1, Rn. 36. 147 EuGH, Urt. v. 26. 2. 2013 – C-617/10, NJW 2013, S. 1415 (Rn. 21) – Åkerberg Fransson; vertiefend Junker, ZfA 2013, S. 91 (108 ff.). 148 EuGH, Urt. v. 26. 2. 2013 – C-617/10, NJW 2013, S. 1415 (Rn. 21) – Åkerberg Fransson; ähnlich EuGH, Urt. v. 30. 4. 2014 – C-390/12, EuZW 2014, S. 597 (Rn. 31 ff.) – Pfleger u. a.; EuGH, Urt. v. 6. 3. 2014 – C-206/13, NVwZ 2014, S. 575 (Rn. 21) – Cruciano Siragusa/Regione Sicilia; wohl auch EuGH, Urt. v. 18. 7. 2013 – C-426/11, NZA 2013, S. 835 (Rn. 30 ff.) – Alemo-Herron; EuGH, Urt. v. 16. 9. 2010 – C-149/10, Slg. 2010, I-8489 (Rn. 63 ff.) = EuZW 2011, S. 62 (Rn. 63 ff.) – Chatzi, in beiden Entscheidungen geht der EuGH nicht ausdrücklich auf den Anwendungsbereich der GRCh ein; zustimmend Buschmann, AuR 2013, S. 388 (391 f.); Krebber, EuZA 2016, S. 3 (7); zusammenfassend Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 138; Winter, NZA 2013, S. 473 (476). 145 Zum
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lass befristungsrechtlicher Regelungen durch den deutschen Gesetzgeber Anwendung.149 Einen anderen Ansatz wählte das Bundesverfassungsgericht. Es sieht den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta als eröffnet, wenn „zwingende“ Vorgaben des Unionsrechts bestehen.150 In späteren Entscheidungen näherte sich der EuGH dieser Ansicht an, ohne auf die noch anders lautenden Entscheidungen Åkerberg Fransson, Alemo-Herron oder Chatzi einzugehen.151 Ausgangspunkt der zweiten Ansicht ist der Effizienzgedanke: Die Unionsgrundrechte bieten dort einen einheitlichen Grundrechtsschutz, wo die Umsetzung zwingenden Unionsrechts durch nationales Verfassungsrecht gehindert werden könnte.152 Das Befristungsrecht ist hingegen unionsrechtlich nicht abschließend und zwingend geregelt, da nur Mindestanforderungen vorgegeben werden.153 Demnach fände die Grundrechtecharta keine Anwendung. Letztere Ansicht ist vorzugswürdig.154 Dies begründet sich zunächst damit, dass der Wortlaut des § 51 Abs. 1 S. 1 GRCh den eingeschränkten Anwendungsbereich der Charta verdeutlicht. Die Einschränkung dient der klaren Zuordnung des jeweils anwendbaren Grundrechtsregimes und fördert das Nebeneinander von europäischem und nationalem Verfassungsrecht. Nur bei abschließend unionsrechtlich determinierten Sachverhalten gelten die Maßstäbe der GRCh, in anderen Fällen findet nationales Verfassungsrecht Anwendung. Zuletzt würde ein umfassender Anwendungsbereich der Grundrechtecharta die zweistufige Gesetzgebung mittels Verordnungen und Richtlinien aushebeln. Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten könnte regelmäßig auf das Unionsgrundrecht zurückgegriffen 149 EuGH Beschl. v. 5. 2. 2015 – C-117/14, NZA 2015, S. 349 – Nisttahuz Poclava, in diesem Verfahren stellte der EuGH seine Unzuständigkeit für die Prüfung einer Verletzung von Art. 30 GRCh unter Verweis auf die Rechtssache Åkerberg Fransson fest, da der Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich der RL 1999/70/EG fiel. 150 BVerfG, Urt. v. 24. 4. 2013 – 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, S. 277 (Rn. 88, 90 f.) = NJW 2013, S. 1499 (Rn. 88, 90 f.) – Antiterrordatei; Willemsen/Sagan, NZA 2011, S. 258; zum Kündigungsschutzrecht BAG, Beschl. v. 8. 12. 2011 – 6 AZN 1371/11, NZA 2012, S. 286 (Rn. 12); H. Wißmann, RdA 2015, S. 301 (302). 151 EuGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – C-198/13, NZA 2014, 1325 (Rn. 35 f.) – Hernández; Krebber, EuZA 2016, S. 3 (6 f.). 152 EuGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – C-198/13, NZA 2014, 1325 (Rn. 47) – Hernández; EuGH, Urt. v. 6. 3. 2014 – C-206/13, NVwZ 2014, S. 575 (Rn. 32) – Cruciano Siragusa/Regione Sicilia; EuGH, Urt. v. 26. 2. 2013 – C-399/11, EuZW 2013, S. 305 (Rn. 60) – Melloni; Britz, EuGRZ 2015, S. 275 (276, 279). 153 Greiner, RdA 2018, 65 (68) geht von einem „Programmsatzcharakter“ der RL 1999/70/EG aus. 154 Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 51 GRCh, Rn. 13 ff.; a. A. Greif, Die Unanwendbarkeit richtlinienwidriger deutscher Arbeitsgesetze, S. 162 ff.; Thüsing/Pötters/Stiebert, RdA 2012, S. 281 (289 f.).
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
werden.155 Die Unionsgrundrechtecharta führt demnach nicht zu einer unmittelbaren Anwendbarkeit des EU-Befristungsrechts in Privatrechtsverhältnissen. Der begrenzte Anwendungsbereich der Charta nimmt den Unionsgrundrechten damit die weitreichende Wirkung, die zunächst angenommen wurde.156
C. Systematik des Befristungsrechts Anknüpfend an die historische Entwicklung und ausgehend von den verschiedenen Rechtsgrundlagen, drängen sich Fragen der Systematisierung des deutschen Befristungsrechts unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Einflüsse auf. Eine wesentliche Aufgabe der wissenschaftlichen Jurisprudenz ist die Darstellung von Sinnzusammenhängen einzelner Rechtsnormen und Regelungen zu den jeweils übergreifenden Rechtsprinzipien.157 Die Systembildung erfolgt, um die Auslegung und Anwendung des Rechts zu erleichtern, sowie um Lösungen von Rechtsfragen zu erarbeiten.158
I. Ziele der Systembildung Die Grundannahme, dass zwischen einzelnen Rechtsnormen ein übergreifendes System besteht, folgt aus dem Gebot der Rechtssicherheit, der Wertungsgerechtigkeit, dem Gleichheitssatz sowie der Einheit der Rechtsordnung.159 Sämtliche Ansätze zur Definition eines Rechtssystems gehen von den Oberbegriffen Ordnung und Einheit aus.160 Bei der Systematisierung des Rechts ergeben sich Probleme, wenn innerhalb eines Regelungszusammenhangs einzelne Rechtsvorschriften unabhängig von-
155
Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (470 f.). Willemsen/Sagan, NZA 2011, S. 258 (259). 157 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 263; Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, § 4, Rn. 139. 158 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 276. 159 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 16 – 18; Riesenhuber, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts, S. 6 f. 160 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 12 m. w. N.; „innerer Zusammenhang, welcher alle Rechtsinstitute und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft“ v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, S. 214; „erschöpfend gegliederte Einheit“ Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, S. 221; „Ordnung von Erkenntnissen nach einem einheitlichen Gesichtspunkt“ Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 9. 156
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einander erlassen wurden.161 Insbesondere im Arbeitsrecht fehlt es an einer umfassenden Kodifikation. Ergänzend zu §§ 611a ff. BGB erlassene Vorschriften verfolgen häufig das Ziel, auf praktische Anforderungen sowie richterrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben zu reagieren. Auch wenn verschiedene Regelungsebenen auf nationaler und unionsrechtlicher Ebene ineinandergreifen, stellt die Systematisierung des Rechts eine besondere Herausforderung dar. Weiterhin ist jede wertende Einordnung zugleich Teil der Rechtsauslegung. Die Idee eines widerspruchsfreien und einheitlich geltenden Systems ist daher eine Idealvorstellung, anhand derer unvollkommene Gesetze ausgelegt werden.162 Dennoch soll im Folgenden eine Annäherung an die Systematik des geltenden Befristungsrechts erfolgen. Diese kann dazu beitragen, Ansätze zur Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter zu erarbeiten. Grundsätzlich kann zwischen dem inneren und äußeren System der Rechtsordnung unterschieden werden. Während das äußere System eine Strukturierung nach formalen Kriterien beinhaltet, orientiert sich das innere System an Normzwecken.163 Ausgehend von diesen methodischen Grundsätzen wird das Befristungsrecht systematisiert, um Ansatzpunkte für die Auslegung des Sachgrundbegriffs zu entwickeln und die Befristung im Rentenalter entsprechend einzuordnen. 1. Äußeres System Im Befristungsrecht sind zwei Ebenen des äußeren Systems zu unterscheiden. Im nationalen Arbeitsrecht waren Befristungen lange Zeit ausschließlich in § 620 Abs. 1 BGB a. F. unter der Überschrift „Beendigung des Dienstverhältnisses“ geregelt. Demnach endeten Dienstverhältnisse grundsätzlich mit dem Ablauf der Zeit für die sie eingegangen wurden. Das Befristungsrecht hat daher einen Bezug zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Gleichzeitig betreffen Befristungen die Vertragsgestaltung, da sie bei Abschluss des Arbeitsvertrags vereinbart werden. Seit dem 1. 1. 2001 verweist § 620 Abs. 3 BGB für befristete Arbeitsverhältnisse auf das TzBfG. Hierbei handelt es sich um ein spezielles arbeitsrechtliches Schutzgesetz, das vorrangig zu den allgemeinen Grenzen der Vertragsgestaltung (§§ 134, 138 und 242 BGB) gilt. Die zentrale Norm § 14 TzBfG differenziert zwischen Sachgrundbefristungen (§ 14 Abs. 1 TzBfG) und sachgrundlosen Befristungen (§ 14 Abs. 2, 2a und 3 TzBfG) und begründet damit die zwei grundlegenden Befristungsformen im deutschen Recht.
161
Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316. Riesenhuber, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts, S. 9. 163 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 263 ff. 162
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Auf europäischer Ebene sind arbeitsrechtliche Regelungen dem Bereich der Sozialpolitik zugeordnet.164 Seit der Gründungszeit setzten sich die Europäischen Verträge, wie z. B. Art. 2 des EGKS-Vertrags, das Ziel, die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern.165 Dabei verlieh Art. 3e) des EGKS-Vertrags den Unionsorganen die Kompetenz, auf die „Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter hinzuwirken“. Eine ähnliche Zielbekundung enthielten die Römischen Verträge aus dem Jahr 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Art. 2 EWG). Durch den Vertrag von Amsterdam aus dem Jahr 1999 wurde das Abkommen über die Sozialpolitik, das dem Vertrag von Maastricht nur als Protokoll beifügt war, in den EG-Vertrag eingefügt.166 Hierdurch entstanden neue Harmonisierungskompetenzen im Bereich der Sozialpolitik (vgl. Art. 137 EGV)167, die den späteren Erlass der Befristungsrichtlinie ermöglichten. Gleichzeitig wurde das Dialogverfahren zwischen den Sozialpartnern (Art. 138 und 139 EGV)168 eingeführt, das dem Erlass der Rahmenvereinbarung zur Befristungsrichtlinie zugrunde lag. Im deutschen Recht wurde das Vertragsrecht des BGB somit von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften überlagert. Das unionsrechtliche Arbeitsrecht entstand hingegen vorwiegend aus sozialpolitischen Erwägungen, unabhängig von der systematischen Einordnung der Rechtsfragen in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Die Zielvorgaben im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts sind seit jeher mit Aspekten der Binnenmarktverwirklichung verwoben.169 Einerseits sollten die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch den gemeinsamen Binnenmarkt verbessert werden. Andererseits dient die Harmonisierung des Arbeitsund Sozialrechts auch der Verwirklichung des Binnenmarkts, da unterschiedliche Schutzmaßstäbe der Freizügigkeit von Arbeitnehmern faktisch entgegenstehen. Die Eingliederung des Befristungsrechts als Teil des Zivilrechts beziehungsweise als Element europäischer Sozialpolitik verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven der Befristungskontrolle im nationalen Arbeitsrecht und im Unionsrecht. 2. Inneres System Canaris definiert das innere Rechtssystem als „axiologische oder teleologische Ordnung aller Rechtsprinzipien“, mithin als wertungs- und zielbezogene 164 ErfK/Preis,
§ 611a BGB, Rn. 202. v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Rose Langer, Art. 151 AEUV, Rn. 1 ff. 166 v. d. Groeben/Schwarze/Hatje/Rose Langer, Art. 151 AEUV, Rn. 37 ff. 167 Heute Art. 153 AEUV. 168 Heute Art. 155 AEUV. 169 Vgl. Waltermann, Sozialrecht, § 6, Rn. 90 ff. 165
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Einordnung aller Rechtssätze.170 Ausgehend von der Annahme, dass sämtliche Prinzipienkonflikte anhand gleicher Wertungsmaßstäbe gelöst werden, kann das innere System der Rechtsnormen aufgedeckt werden.171 Als Prinzipien gelten die zugrundeliegenden Ideen, die durch einzelne Regelungen verwirklicht werden.172 Prinzipien stehen häufig in Wertungswiderspruch miteinander.173 Durch gegenseitiges Abwägen und Begrenzen im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens erhalten sie ihre eigentliche Bedeutung.174 Das richterrechtlich entwickelte Befristungsrecht versucht durch den Sachgrundbegriff widerstreitende Prinzipien der Vertragsfreiheit und der rechtfertigungsbedürftigen Vertragsbeendigung in Ausgleich zu bringen. Befristungen werden auf Fälle beschränkt, in denen ein von der Rechtsordnung anerkanntes und sachlich gerechtfertigtes Interesse des Arbeitgebers besteht.175 In Abgrenzung hierzu dient die sachgrundlose Befristung der Flexibilisierung.176 Für eine begrenzte Zeitspanne, wird der Arbeitgeber vom Nachweis eines Sachgrunds befreit. Einen entsprechenden Prinzipien-Widerspruch gab es im Europäischen Arbeitsrecht nicht. Vielmehr sollten die Arbeitsbedingungen durch Einführung eines Mindeststandards harmonisiert und prekäre Beschäftigungsverhältnisse eingedämmt werden. Ein gegenläufiges Prinzip fand sich nicht auf rechtlicher, sondern auf politischer Ebene. Im Gesetzgebungsprozess ermöglichte die Verwendung des weiten Sachgrundbegriffs einen politischen Kompromiss über die Voraussetzungen von Befristungen. In diesem Sinn bildete die Rahmenvereinbarung einen Regelungskompromiss. Dies zeigt sich auch an den gegenläufigen Zielvorstellungen von Flexibilität und Sicherheit.177 Der weitgefasste Sachgrundbegriff legt fest, wann eine unerwünschte Gestaltung im Einzelfall ausnahmsweise zulässig ist.178 Nicht überraschend ist, dass die wesentliche Ausgestaltung des Sachgrundbegriffs durch den EuGH erfolgte. 170
Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 47. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 4 Rn. 143. 172 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 164 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 4 Rn. 144a. 173 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 216. 174 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 53, 55 f.; Medicus, AcP 192 (1992) S. 35 (54 ff.); Riesenhuber, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts, S. 13 f. 175 Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (614); Kamanabrou, NZA 2016, S. 385 (389). 176 Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (614); Kamanabrou, NZA 2016, S. 385 (389). 177 Präambel der EGB-UNICE-CEEP Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge; Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (15). 178 Loth, Prognoseprinzip und Vertragskontrolle im befristeten Arbeitsverhältnis, S. 141 f.; Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (91, 105). 171
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Der sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht verwendete Begriff des Sachgrunds dient mithin dazu, rechtliche Abläufe oder Sachverhalte zu typisieren und diese gleichzeitig nach individuellen Besonderheiten differenzieren.179 Abgeleitet von dieser Funktionsbestimmung könnte das Sachgrundkriterium teils als unbestimmter Rechtsbegriff 180 teils als Generalklausel181 eingeordnet werden. Unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten einen „begrifflichen Fixpunkt“, der maßgeblich für die Auslegung der Norm unter Ermittlung eines weitergehenden Bedeutungsgehalts ist.182 Generalklauseln sind hingegen inhaltlich und funktional weiter gefasst. Sie dienen der Flexibilisierung der Rechtsfindung und werden anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen konkretisiert.183 Aufgrund der großen Unbestimmtheit ist eine klassische Gesetzesauslegung zur Ermittlung des Bedeutungsgehalts der Norm nicht möglich. Anhand dieser Abgrenzung ist das Sachgrunderfordernis als Generalklausel einzuordnen, weil außer dem Kriterium der „Sachlichkeit“ kein vorgegebener inhaltlicher Fixpunkt besteht. Die Generalklausel enthält keine subsumtionsfähigen Tatbestandsmerkmale, sondern bildet die Grundlage für eine richterliche Rechtsfortbildung.184 Es handelt sich damit um eine „Leerformel“, die einer normativen Konkretisierung bedarf.185 Damit bringt der offene Sachgrundbegriff rechtliche als auch politische Zielkonflikte in Einklang.186 In der praktischen Rechtsanwendung verbleiben jedoch Auslegungsschwierigkeiten und die Kernfrage, was den Sachgrund einer Befristung ausmacht.
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Wieacker, in: FS 100 Jahre DJT, S. 1 (8). BAG, Urt. v. 21. 1. 1987 – 7 AZR 265/85, AP Nr. 4 zu § 620 BGB Hochschule (II.1 der Gründe); BAG, Urt. v. 29. 9. 1982 – 7 AZR 147/80, AP Nr. 70 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag (III.1. der Gründe); Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, Rn. 148; Wiedemann, in: FS Lange, S. 395 (400). 181 Schünemann, JZ 2005, S. 271 (276); Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, S. 85 (86). 182 APS/Preis, Grundlagen H, Rn. 8; ders., Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 98 ff. 183 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 120 ff.; ders., Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, S. 79; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 536 f. 184 Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 150 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 538; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 66 ff. 185 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 307; Staudinger/ Preis, § 620 BGB, Rn. 66. 186 Vgl. Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 80 ff.; 356 ff. 180
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II. Grundsätze der Sachgrundbefristung in der Rechtsprechung von EuGH und BAG Im Folgenden werden die Grundsätze und Voraussetzungen der Sachgrundbefristung dargestellt, die in den Urteilen von EuGH und BAG definiert wurden. Im Anschluss wird geprüft, wie die Befristung von Rentnern in die Sachgrundsystematik des deutschen und europäischen Befristungsrechts eingeordnet werden kann. 1. Adeneler und Angelidaki Die Entscheidung Adeneler erging im Hinblick auf die Befristung mehrerer Arbeitnehmer auf der Grundlage einer Regelung in einem griechischen Präsidialdekret, das zur Umsetzung der Befristungsrichtlinie erlassen wurde. Die Regelung sah vor, dass ein Sachgrund vorliegt, wenn ein Gesetz oder eine Verordnung die Befristung zulässt.187 Das spätere EuGH-Urteil Angelidaki befasste sich ebenfalls mit einer griechischen Regelung, die festlegte, dass Befristungen im Wesentlichen zur Deckung eines vorübergehenden Bedarfs zulässig sind.188 In der grundlegenden Entscheidung Adeneler definierte der EuGH den Sachgrund als „genau bezeichnete, konkrete Umstände […], die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang die Verwendung aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung diese Verträge geschlossen worden sind, und deren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Zieles durch einen Mitgliedstaat ergeben.“189 Nationale Vorschriften müssen objektive und transparente Kriterien enthalten, um zu prüfen „ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet und insoweit erforderlich ist.“190 Die im Fall Adeneler maßgebliche Norm war unzulässig, da Befristungen ohne einschränkende Voraussetzungen allein auf der Grundlage eines Gesetzes zugelassen wurden.191 Die Vor187 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 60 ff.) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 60 ff.) – Adeneler. 188 EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009 – C-378/07 u. a., Slg. 2009, I-3071 (Rn. 101 f.) = AP Nr. 6 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 101 f.) – Angelidaki. 189 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 69 f.) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 69 f.) – Adeneler. 190 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 74) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 74) – Adeneler. 191 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 70 ff.) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 70 ff.) – Adeneler.
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schrift beinhaltete keine objektiven und transparenten Prüfungskriterien, anhand derer sich der Bedarf an einer befristeten Beschäftigung überprüfen ließ.192 Ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf konnte im Fall Angelidaki jedoch einen Sachgrund für eine Befristung darstellen.193 a) Bewertung Der Sachgrundbegriff wird durch den Europäischen Gerichtshof in den Rechtssachen Adeneler und Angelidaki unter Rückgriff auf das Richtlinienziel konkretisiert.194 Andere Auslegungsansätze, wie der Wortlaut, die systematische Einordnung oder die historische Entstehung der Norm werden nicht angewandt. Die Generalklausel des sachlichen Grunds wird durch weitere ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe wie „Umstände“, „Wesensmerkmale“ oder „legitimes sozialpolitisches Ziel“ konkretisiert. Wesentliche Voraussetzung ist, dass anhand objektiver und transparenter Kriterien eine gerichtliche Prüfung ermöglicht wird, ob die Vertragsverlängerung einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Weiterhin können die Umstände, welche eine Befristung rechtfertigen, sowohl aus der Art der Tätigkeit als auch aus sozialpolitischen Gründen abgeleitet werden.195 Der Hinweis auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Befristung könnte auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hindeuten. Dies würde Befristungen über das Sachgrunderfordernis hinaus einschränken. Ähnlich wie im Kündigungsrecht wären befristete Verträge nur als ultima ratio zulässig. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der EuGH eine entsprechende Einschränkung beabsichtigte, da auch in späteren Entscheidungen keine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgte.196 b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter Die Tatsache, dass sich Befristungsgründe aus legitimen sozialpolitischen Zielen ergeben können, ist insbesondere für die hier untersuchte Befristung im Rentenalter relevant. Aus der Entscheidung lässt sich jedoch nicht ableiten, wann sozialpolitische Ziele als „legitim“ anerkannt werden.197 Aus der syntaktischen Verknüpfung der vom EuGH in den Entscheidungen Adeneler und Angelidaki 192 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 74) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 74) – Adeneler. 193 EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009 – C-378/07 u. a., Slg. 2009, I-3071 = AP Nr. 6 zu Richtlinie 99/70/EG – Angelidaki. 194 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 60 ff.) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 60 ff.) – Adeneler. 195 Greiner, EuZA 2012, S. 529 (532). 196 EnzEuR/Kamanabrou, Bd. 7, § 15, Rn. 32. 197 Vgl. Rolfs/Evke de Groot, ZESAR 2009, S. 5 (8 f.).
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verwendeten Formel wird deutlich, dass auch bei Vorliegen eines sozialpolitischen Ziels ein Bezug zu einer bestimmten Tätigkeit des Arbeitnehmers bestehen muss. In Abschnitt D. wird daher geprüft, ob das sozialpolitische Ziel von § 41 S. 3 SGB VI, die Beschäftigung rentenberechtigter Arbeitnehmer zu fördern, nach den Maßstäben des Unionsrechts einen Sachgrund begründen kann.198 2. Kücük Durch die Kücük-Entscheidung aus dem Jahr 2010 wurde das Kriterium des vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs zu einem Element des Sachgrunds.199 a) Hintergrund der Entscheidung Die Entscheidung erging, nachdem Entwicklungen in der Befristungspraxis dem Ziel zuwiderliefen, missbräuchliche Kettenbefristungen einzuschränken. Besonders im öffentlichen Dienst folgten aus Vertretungskonstellationen langjährige Kettenbefristungen.200 Auch großzügige Beurlaubungsregelungen im öffentlichen Dienst führten dazu, dass Personalreserven „durch flexible Belegschaftsrandgruppen“201 geschaffen wurden. Das Problem verschärfte sich dadurch, dass das BAG bei langjährigen Kettenbefristungen lange Zeit einen wenig restriktiven Ansatz verfolgte. Auf Grundlage des punktuellen Streitgegenstandsbegriffs, der sich aus § 17 S. 1 TzBfG ableitet, wurde stets nur die letzte Befristung überprüft. Gleichzeitig unterliegen Sachgrundbefristungen im deutschen Befristungsrecht keinen zeitlichen Einschränkungen.202 Zudem erhöhten sich nach der Rechtsprechung des BAG die Prognoseanforderungen an den Sachgrund nicht mit jeder weiteren Befristung.203 Eine Vertretungsbefristung gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG schied nur dann aus, 198
Vgl. Kapitel 3 D.II.2.b)ee). Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 36) – Kücük; EuGH, Urt. v. 13. 3. 2014 – C-190/13, NZA 2014, S. 475 (Rn. 55) – Márquez Samohano; EuGH, Urt. v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u. a., NZA 2015, S. 153 (Rn. 100) – Mascolo; Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (21 ff.). 200 Brose, NZA 2009, S. 706 (707 f.); Eisemann, NZA 2009, 1113 f.; Kiel, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 50, S. 25 (27 ff.); Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (94 ff.); Preis/Greiner, RdA 2010, S. 148 ff. 201 Nebe, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 48, S. 89 (93). 202 Preis/Greiner, RdA 2010, S. 148 (149). 203 Vgl. BAG, Urt. v. 25. 3. 2009 – 7 AZR 34/08, NZA 2009, S. 3180 (3181); BAG, Urt. v. 13. 6. 2007 – 7 AZR 747/05, AP Nr. 3 zu § 14 TzBfG Vertretung (Rn. 14); BAG, Urt. v. 18. 4. 2007 – 7 AZR 255/06, BeckRS 2009, 73625 (Rn. 18); Preis/Greiner, RdA 2010, S. 148 (150 ff.). 199 EuGH,
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
wenn der vertretene Arbeitnehmer ausdrücklich ankündigte, nicht zurückkehren zu wollen.204 Ein Rechtsmissbrauch wurde erst angenommen, wenn bereits zu Beginn des befristeten Beschäftigungsverhältnisses die Absicht des Arbeitgebers bestand, den Arbeitnehmer für eine unbestimmte Vielzahl an Fällen befristet weiter zu beschäftigen.205 Im Jahr 2010 legte das BAG den Fall von Bianca Kücük dem EuGH vor. Die Justizangestellte war aufgrund von insgesamt dreizehn befristeten Arbeitsverträgen über elf Jahre beim Amtsgericht Köln beschäftigt. Eine Vorlagefrage bezog sich darauf, ob ein sachlicher Grund für die befristete Beschäftigung auch bei einem längeren Vertretungsbedarf besteht, der durch Einstellung eines unbefristeten Arbeitnehmers als Springer gedeckt werden könnte. Weiterhin bat das BAG um Klärung der Frage, ob auch Anzahl und Dauer sämtlicher Befristungen im Rahmen der Sachgrundprüfung berücksichtigt werden müssen. Zuletzt fragte das BAG, ob sich die Maßstäbe verschieben, wenn die Befristung dazu dient, den vertretenen Arbeitnehmern aus sozialpolitischen Gründen Auszeiten für Elternoder Erziehungsurlaub oder eine Pflegezeit zu ermöglichen. b) Grundsätze des EuGH-Urteils Der EuGH entschied, dass die Vertretung eines anderen Arbeitnehmers ein Befristungsgrund ist, der dem sozialpolitischen Ziel dient, anderen Beschäftigten eine Elternzeit oder Erziehungsurlaub zu ermöglichen. 206 Allein daraus, dass der Arbeitgeber den Vertretungsbedarf durch einen unbefristet eingestellten Springer decken kann, folgt kein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot.207 Es darf jedoch kein ständiger und dauerhafter Beschäftigungsbedarf durch befristete Arbeitsverhältnisse gedeckt werden.208 Grundsätzlich genügen die in § 5 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen, um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse zu vermeiden „es sei denn, eine umfassende Prüfung der mit der Verlängerung der betreffenden befristeten Arbeitsverträge oder 204 BAG, Urt. v. 17. 11. 2010 - 7 AZR 443/09 (A), NZA 2011, 34 (Rn. 19); BAG, Urt. v. 25. 3. 2009 – 7 AZR 34/08, NZA 2010, 34 (Rn. 25); kritisch Preis/Greiner, RdA 2010, S. 148 (150 ff.). 205 BAG, Urt. v. 25. 3. 2009 – 7 AZR 34/08, NZA 2010, S. 34 (Rn. 22). 206 EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 30) – Kücük. 207 EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 38, 50) – Kücük; BAG, Urt. v. 24. 8. 2016 – 7 AZR 41/15, NZA 2017, S. 301 (Rn. 26); BAG, Urt. v. 7. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, S. 354 (Rn. 15); Kamanabrou, in: Uffmann/Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos? – Aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, S. 1 (5). 208 EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 36) – Kücük; Kamanabrou, in: Uffmann/Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos? – Aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, S. 1 (5).
C. Systematik des Befristungsrechts
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-verhältnisse verbundenen Umstände zeigt, dass ein nicht nur vorübergehender Bedarf an den vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen besteht.“209 Zur Beurteilung der Frage, ob ein Dauerbedarf durch befristete Arbeitsverhältnisse gedeckt wird, sind „Zahl und […] Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge […] zu berücksichtigen.“210 c) Neuorientierung des Befristungsrechts Nach Greiner begründet das Urteil eine Phase „grundlegender Neuorientierung“ des europäischen Befristungsrechts.211 In der Kücük-Entscheidung wurde das Missbrauchsverbot in § 5 der Rahmenvereinbarung zu einem Merkmal der Befristungskontrolle erhoben.212 Die in § 5 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen einer zeitlichen oder sachlichen Beschränkung von Befristungen sind damit zwar notwendig, aber nicht allein ausreichend für die Einschränkung von missbräuchlichen Befristungsketten.213 Es ist zudem erforderlich, dass die befristete Beschäftigung keinem dauerhaften Beschäftigungsbedarf dient. Die Beschränkungen befristeter Arbeitsverträge in § 5 der Rahmenvereinbarung werden somit im Licht des übergreifenden Ziels ausgelegt, Missbrauch durch aufeinanderfolgende Befristungen zu verhindern. Gleichzeitig sind nach Ansicht des EuGH befristete Arbeitsverhältnisse nicht subsidiär zu einer Dauerbeschäftigung. Zwar betont der EuGH ebenso wie in den zuvor besprochenen Entscheidungen Adeneler und Angelidaki, dass Befristungen geeignet und erforderlich sein müssen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.214 Tatsächlich wird die Erforderlichkeit einer Befristung jedoch nicht geprüft, da es dem Arbeitgeber freisteht, einen länger andauernden Befristungsbedarf durch wiederholte Befristungen anstatt durch die Einstellung eines Springers zu decken.215 Dies überzeugt, da die Befristungsrichtlinie nur einen Mindestmaßstab vorgibt und keine Subsidiarität befristeter Beschäftigungen fordert.216 Entsprechende Beschränkungen könnten de lege ferenda durch eine weitergehende Regelung im nationalen Recht erfolgen. 209
EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 51) – Kücük. EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 56) – Kücük. 211 Greiner, NZA 2014, S. 284. 212 Greiner, ZESAR 2013, 305 (307). 213 Schlachter, in: FS Wank, S. 503 (507). 214 EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 34) – Kücük. 215 EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 50) – Kücük; Brose/ Sagan, NZA 2012, S. 308 (309); Kamanabrou, EuZA 2012, S. 441 (458); Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (82 f.). 216 Kamanabrou, in: Uffmann/Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos? – Aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, S. 1 (8). 210
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Zudem betont der EuGH das sozialpolitische Ziel von Vertretungsbefristungen, längere Auszeiten von vertretenen Arbeitnehmern zu ermöglichen.217 Die Missbrauchskontrolle soll Sachgrundbefristungen einschränken, die eingesetzt werden um einen „ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken.“218 Die Begrenzung von Kettenbefristungen, auf Fälle eines in zeitlicher Hinsicht beschränkten Beschäftigungsbedarfs, folgt aus dem in der Befristungsrichtlinie angelegten Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen.219 Aufgrund dieser Zielsetzung spielen bei Sachgrundbefristungen Dauer und Anzahl der befristeten Beschäftigungen eine maßgebliche Rolle. Der vorübergehende Beschäftigungsbedarf muss ferner in Bezug auf die arbeitsvertragliche Tätigkeit des Arbeitnehmers bestehen.220 Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer Daueraufgaben wahrnimmt, sondern ob die Wahrnehmung der Aufgabe durch den jeweiligen Arbeitnehmer zeitlich begrenzt erfolgen soll. Im Fall der Vertretungsbefristung besteht der Bedarf an der Arbeitskraft des Vertreters nur zeitlich beschränkt, bis die vertretene Stammkraft an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt. d) Verbleibende Fragestellungen Im Hinblick auf die umfangreichen Neuerungen für das Befristungsrecht, die aus der Entscheidung Kücük folgen, verbleiben jedoch weitere offene Rechts- und Auslegungsfragen. aa) Fehlende inhaltliche Vorgaben Zunächst benennt der EuGH weder Voraussetzungen noch Rechtsfolgen des Missbrauchsverbots.221 Gleichzeitig wird die Zielsetzung der unionsrechtlichen Befristungskontrolle, den Missbrauch durch aufeinanderfolgende Kettenbefristungen zu verhindern (§ 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung), zu einem Merkmal der Befristungskontrolle erhoben. Dies ist ein Zirkelschluss, der nicht unerhebliche Probleme in der Rechtsanwendung verursacht.
217
EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 32) – Kücük. EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 39) – Kücük. 219 Erwägungsgrund 6 der Rahmenvereinbarung zur RL 1999/70/EG. 220 Preis/Sagan/Brose, Europäisches Arbeitsrecht, § 13, Rz. 13.163; Joussen, EuZA 2015, S. 323 (327); Kiel, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 50, S. 25 (37). 221 Schlachter, in: FS Wank, S. 503 (505); Schmitt, ZESAR 2012, S. 369 (372). 218
C. Systematik des Befristungsrechts
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bb) Ableitung des Kriteriums „vorübergehender Bedarf“ Zugleich stellt sich die Frage nach der Herleitung des Kriteriums des vorübergehenden Bedarfs. Der EuGH leitet den Grundsatz aus der früheren Entscheidung Angelidaki her.222 Das zitierte Urteil befasst sich jedoch mit einer konkreten Norm des griechischen Rechts, die Befristungen bei einem vorübergehenden Bedarf zulässt, so dass aus der Entscheidung keine verallgemeinerbaren Schlussfolgerungen abgeleitet werden können.223 Weitaus überzeugender ist daher die Herleitung der Beschränkung aus der Zielsetzung der Richtlinie. Durch die umfassende Missbrauchskontrolle soll sichergestellt werden, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse die übliche Form der Beschäftigung bleiben.224 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass anderenfalls die Einschränkungen für die Beendigung unbefristeter Arbeitsverhältnisse umgangen werden könnten. Diese Argumentation hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Umgehungsansatz in der richterrechtlich entwickelten Befristungskontrolle des BAG.225 Trotz des Methodenwechsels im europäischen Befristungsrecht bestehen somit gemeinsame zugrundeliegende Ansätze einer Befristungskontrolle. e) Zwischenergebnis Die Kücük-Entscheidung stellt klar, dass die übergeordnete Zielsetzung der Befristungsrichtlinie, Missbrauch durch befristete Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, auf die notwendigen Maßnahmen zur Einschränkung von Befristungen durchschlägt. Eine formale Umsetzung der Vorgaben in § 5 Nr. 1 lit. a-c der Rahmenvereinbarung genügt nicht.226 Vielmehr müssen die Beschränkungen von Befristungen auch effektiv sein, um den Missbrauch durch wiederholte Befristungen einzuschränken. Gleichzeitig ist den genannten Kritikpunkten zuzustimmen. Die fehlenden inhaltlichen Vorgaben zur Durchführung und Verortung der Missbrauchskontrolle führten zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Vorgaben. Zudem kann die Gesamtbetrachtung der Befristungshistorie gerade in Grenzfällen zu Rechtsunsicherheit führen.
222 EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 36) – Kücük unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009 – C-378/07 u. a., Slg. 2009, I-3071 (Rn. 103) = AP Nr. 6 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 103) – Angelidaki. 223 Vgl. EnzEuR/Kamanabrou, Bd. 7, § 15, Rn. 34; dies., EuZA 2012, S. 441 (455 f.); dies., in: Uffmann/Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos? – Aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, S. 1 (5 ff.). 224 EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 37) – Kücük. 225 Vgl. Kapitel 3 A.III. 226 Vgl. Schlachter, in: FS Wank, S. 503 (507).
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
3. Die Rechtsmissbrauchskontrolle in der Rechtsprechung des BAG Die Anforderungen der Kücük-Entscheidung gliederte das BAG in das nationale Recht ein, indem im Anschluss an die Prüfung eines Sachgrunds der Befristung eine Rechtsmissbrauchskontrolle anhand des Verbots des institutionellen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB durchgeführt wird.227 Das Konzept des institutionellen Rechtsmissbrauchs begrenzt als objektive Schranke Rechte und Gesetze, wenn die Rechtsausübung dem objektiven Gesetzeszweck widerspricht.228 Geprüft wird, ob der vorliegende Sachgrund nur vorgeschoben wird, um einen ständigen und dauernden Befristungsbedarf zu decken.229 Die Missbrauchskontrolle berührt die Strukturen der Befristungskontrolle somit nicht und setzt eine äußerste Grenze für Ausnahmefälle.230 Ob eine Rechtsmissbrauchsprüfung erforderlich ist, orientiert sich an den gesetzlich normierten zeitlichen Grenzen der sachgrundlosen Befristung.231 Gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG sind sachgrundlose Befristungen bis zu zwei Jahre bei maximal dreifacher Verlängerung zulässig. Eine Orientierung bietet an dieser Stelle die sogenannte „Rechtsmissbrauchsampel“.232 Der „grüne Bereich“, in dem keine Rechtsmissbrauchskontrolle erforderlich ist, liegt in den zeitlichen Grenzen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG.233 Im „gelben Bereich“ werden die zeitlichen Grenzen bei sachgrundlosen Befristungen in Form der höchstmöglichen Gesamtbefristungsdauer von zwei Jahren oder der maximal dreifachen Verlängerung alternativ oder kumulativ mehrfach überschritten. In diesem Bereich erfolgt eine Missbrauchskontrolle und der Arbeitnehmer muss weitere Gründe vortragen, die eine missbräuchliche Verwendung von Kettenbefristungen nahelegen.234 Das BAG entschied nun, dass der „gelbe Bereich“ erreicht ist, wenn beide zeitli227 BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 37 ff.); kritisch Bayreuther, NZA 2013, S. 23 (24 f.); Greiner, ZESAR 2014, S. 357 (362). 228 BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 38); Kiel, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 50, S. 25 (42); Staudinger/Looschelders/ Olzen, § 242 BGB, Rn. 217. 229 Gooren, ZESAR 2012, S. 225 (228); Maschmann, Anm. zu EuGH v. 26. 1. 2012 – C-586/1, BB 2012, S. 1098 (1099). 230 Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (85). 231 BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 42, 48). 232 Kiel, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 50, S. 25 (45 ff.); zustimmend Greiner, EuZA 2012, S. 529 (538); Brose/Sagan, NZA 2012, S. 308 (310) gehen aufgrund von § 14 Abs. 3 TzBfG ab einer fünfjährigen Befristung von einem indizierten Rechtsmissbrauch aus. 233 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 6. 2. 2013 – 8 Sa 207/12 zu einer Befristung von 3 Jahren und 10 Monaten. 234 BAG, Urt. v. 13. 2. 2013 – 7 AZR 225/11, NZA 2013, S. 777 (Rn. 37 ff.); BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 48); v. Stein, NJW 2015, S. 369 (371).
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che Grenzen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG dreifach oder eine der beiden Grenzen vierfach überschritten wird.235 Der „rote Bereich“ ist erreicht, wenn die zeitlichen Grenzen von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG alternativ oder kumulativ in gravierendem Ausmaß überschritten werden. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber den indizierten Rechtsmissbrauch durch den Vortrag entsprechender Besonderheiten widerlegen.236 Nach der neueren Rechtsprechung des BAG ist der Rechtsmissbrauch indiziert, wenn eine der beiden zeitlichen Grenzen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG um das Fünffache oder beide Zeitgrenzen um das Vierfache überschritten werden.237 Ein indizierter Rechtsmissbrauch setzt damit entweder ein befristetes Arbeitsverhältnis von mehr als zehn Jahren, eine 15-fache Vertragsverlängerung oder eine achtjährige Befristung bei mehr als 12-facher Verlängerung voraus. Im Rahmen der Rechtsmissbrauchskontrolle prüft das Gericht sämtliche Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang und Dauer der befristeten Beschäftigung, Unterbrechungen zwischen den einzelnen Befristungen,238 die Art der wahrgenommenen Aufgaben, das Verhältnis von Vertretungsdauer und Länge der Befristung sowie branchenspezifische Besonderheiten.239 Relevant wird auch, inwieweit die Befristung mit der Dauer des Vertretungsgrunds übereinstimmt, welche Aufgaben der Arbeitnehmer wahrnimmt und ob grundrechtliche Freiheiten eingeschränkt werden.240 a) Fragestellungen Die Einführung der Rechtsmissbrauchskontrolle durch die Rechtsprechung des BAG führte zu einer grundlegenden Neuausrichtung der befristungsrechtlichen Rechtsprechung. Die Einführung einer Zeitkomponente in die Sachgrundbefristung war zunächst erforderlich, um die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen durch wiederholte Befristungen zu verhindern.241 Es stellen sich jedoch weitere Folgefragen bezüglich der Anwendung und Systematisierung der Befristungskontrolle. 235
BAG, Urt. v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382 (Rn. 26). BAG, Urt. v. 24. 9. 2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, S. 301 (Rn. 43); BAG, Urt. v. 19. 2. 2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, S. 408 (Rn. 38) m. Anm. Sievers, JurisPRArbR 26/2014, Anm. 3; BAG, Urt. v. 13. 2. 2013 – 7 AZR 225/11, NZA 2013, S. 777 (Rn. 39); BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 48). 237 BAG, Urt. v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, S. 382 (Rn. 28); BAG, Urt. v. 17. 5. 2017 – 7 AZR 420/15, NJW 2017, S. 3737 (Rn. 24 ff.). 238 BAG, Urt. v. 21. 3. 2017 – 7 AZR 369/15, NZA 2017, 796 (Rn. 32). 239 BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 40 ff.); BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 783/10, NZA 2012, S. 1359 (Rn. 32 ff.); Greiner, NZA 2014, S. 284 (286); Linsenmaier, RdA 2012, S. 193 (195). 240 BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 45 ff.). 241 Greiner, ZESAR 2013, S. 305 (310). 236
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
aa) Rechtssicherheit Die erste Problematik der Rechtsmissbrauchskontrolle lag lange Zeit in der fehlenden Rechtssicherheit. Häufig war unklar, wann von einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung ausgegangen werden konnte.242 Mit der Festlegung konkreter zeitlicher Grenzen durch das BAG scheint diese Frage geklärt. Dennoch stellen sich weitere Folgefragen: Zunächst müsste die Einschränkung von Befristungen im Wege der Rechtsmissbrauchskontrolle dem unionsrechtlichen Transparenzgebot für die Umsetzung von Richtlinien genügen.243 Zudem könnten zeitliche Maximalgrenzen für den Arbeitnehmer deutlich ungünstiger sein, da Anreize zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesetzt werden, um nicht das Risiko einer unwirksamen Befristung einzugehen.244 Weiterhin werden zeitliche Grenzen dem Einzelfall nicht immer gerecht. Im Fall Kücük bestanden z. B. über 13 befristete Arbeitsverträge, die jeweils in kürzeren Intervallen von weniger als einem Jahr verlängert wurden.245 In einer anderen Konstellation wurden bei gleicher Beschäftigungsdauer nur drei befristete Verträge geschlossen.246 Eine strenge zeitliche Grenze erfasst den Unterschied beider Sachverhaltskonstellationen nur unzureichend, da gerade auch extrem kurze Befristungszeiträume zur Unsicherheit in einem Beschäftigungsverhältnis führen.247 Die Hürden der Rechtsmissbrauchskontrolle liegen nach den Maßstäben der neuen Rechtsprechung des BAG zudem sehr hoch, so dass sich die Frage stellt, wie effektiv die Befristungsschranke der Rechtsmissbrauchskontrolle ist. Der größte Anteil von Kettenbefristungen wird nicht erfasst und es werden hauptsächlich extreme Ausnahmefälle eingeschränkt. bb) Dogmatische Herleitung Die Rechtsmissbrauchskontrolle führt nicht nur zu einer Neuorientierung des Befristungsrechts, sondern auch zu Schwierigkeiten bei der systematischen Ordnung der Schutzkonzepte von Sachgrundbefristung, sachgrundloser Befristung und der Rechtsmissbrauchskontrolle im deutschen und europäischen Recht. 242 Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, S. 1345 (1347); Greiner, NZA 2014, S. 284 (286); Schmid, BB 2013, S. 192; Schmitt, ZESAR 2012, S. 369 (372 f.). 243 Vgl. Greiner, RdA 2018, S. 65 (70 f.); allg. Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 29. 244 Drosdeck/Bitsch, NJW 2012, S. 977; Greiner, EuZA 2012, S. 529 (539); Kamanabrou, in: Uffmann/Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos? – Aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, S. 1 (15). 245 BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 135. 246 BAG, Urt. v. 23. 9. 2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, S. 301 (Rn. 43). 247 BAG, Urt. v. 24. 9. 2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, S. 301 (Rn. 43 ff.); Greiner, ZESAR 2013, S. 305 (310 f.).
C. Systematik des Befristungsrechts
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Zur Einordnung der Rechtsmissbrauchskontrolle muss zunächst zwischen den verschiedenen Rechtsmissbrauchskonzepten unterschieden werden.248 Neben dem Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs, auf welches das BAG-Urteil in der Rechtssache Kücük Bezug nimmt, wird auch im Unionsrecht der Begriff des Missbrauchsverbots verwendet. Das allgemeine Verbot des Rechtsmissbrauchs im Unionsrecht untersagt Gestaltungen, die den Zielsetzungen des Europarechts objektiv und subjektiv zuwiderlaufen.249 In der befristungsrechtlichen Missbrauchskontrolle ist ein subjektives Element jedoch nicht erforderlich.250 Der Begriff des Missbrauchsverbots wird in unterschiedlichen Regelungskontexten verwendet und beinhaltet in jedem Fall unterschiedliche Anforderungen an die gerichtliche Überprüfung der Vertragsgestaltung. Bei der Rechtsmissbrauchskontrolle i. S. d. § 242 BGB und dem Verbot des Missbrauchs durch befristete Arbeitsverträge handelt es sich, trotz ähnlicher Bezeichnung, um zwei unterschiedliche Konzepte. Der institutionelle Rechtsmissbrauch beschränkt ein gesetzlich zulässiges Verhalten im Einzelfall.251 Das Missbrauchsverbot ist hingegen Tatbestandsmerkmal und Zielsetzung der zwingenden unionsrechtlichen Befristungskontrolle.252 Bei Kettenbefristungen zur Deckung eines dauerhaften Bedarfs handelt es sich jedoch nicht um ein zulässiges Verhalten, das nur im Einzelfall unzulässig ist.253 Die Herleitung aus dem Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs passt daher nicht vollständig. Aufgrund der verschiedenen Konzepte bestehen Inkonsistenzen bei der Umsetzung der Rechtsmissbrauchskontrolle im deutschen Recht. Auch die Trennung der Sachgrundprüfung und der Missbrauchskontrolle durch das BAG wird kritisiert. Es wird argumentiert, dass sich das Vorliegen eines Sachgrunds und die Annahme eines institutionellen Rechtsmissbrauchs gegenseitig ausschließen.254 Eine missbräuchliche Befristung könnte nicht sachlich 248 Vgl.
Greiner, ZESAR 2013, S. 305 (310); Schwarze, RdA 2017, S. 302 (303). Urt. v. 11. 1. 2007 – C-279/05, Slg. 2007, I-239 (Rn. 33) – Vonk Dairy Products BV; EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – C-515/03, Slg. 2005, I-7370 (Rn. 39) – Eichsfelder Schlachtbetrieb; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2000 – C-110/99, Slg. 2000, I-11595 (Rn. 52 f.) – Emsland-Stärke. 250 BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, S. 1351 (Rn. 38); Sieker, in: FS Kohte, S. 347. 251 Kamanabrou, in: Uffmann/Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos? – Aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, S. 1 (14). 252 Sieker, in: FS Kohte, S. 347 (349). 253 Kamanabrou, in: Uffmann/Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos? – Aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, S. 1 (14). 254 Greiner, ZESAR 2014, S. 357 (362); ders., NZA 2014, S. 284 (296); ders., ZESAR 2013, S. 305 (309); Schlachter, in: FS Wank, S. 503 (504 f.); Sieker, in: FS Kohte, S. 347 (352). 249 EuGH,
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
gerechtfertigt werden und „zwar auch nicht an sich“.255 Dies gelte insbesondere, da Sachgründe für die Befristung als Konkretisierung des allgemeinen Rechts prinzips von Treu und Glauben angesehen werden.256 Es wird daher befürwortet, dass die unionsrechtliche Missbrauchskontrolle in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sachgrundprüfung erfolgt.257 cc) Bewertung Aufgrund dieser Kritikpunkte sollte die Sachgrundprüfung im deutschen Befristungsrecht ergänzt werden. Im Rahmen der Befristungskontrolle wäre demnach zunächst zu ermitteln, ob ein Sachgrund vorliegt, der Befristungen nach den Grundsätzen der Befristungsrichtlinie rechtfertigen kann. Dies erfolgt in der Regel anhand einer Subsumtion unter die normierten Tatbestandsmerkmale. Wenn die Merkmale des Sachgrunds, wie z. B. in Fällen der Vertretungsbefristung, nicht geeignet sind, einen Missbrauch durch Kettenbefristungen effektiv zu verhindern, greift die Missbrauchskontrolle ein.258 Über die abstrakte Tatbestands prüfung hinaus ist maßgeblich, ob der Sachgrund auch im konkreten Einzelfall vorliegt.259 Hierfür ist insbesondere die zeitliche Dauer der Befristung relevant. Die Gefahr des Missbrauchs steigt mit der Zeit, wenn wiederholte befristete Verlängerungen erfolgten. Während der Sachgrund zunächst noch stellvertretend für einen befristeten Beschäftigungsbedarf steht, genügt er seiner Begrenzungsfunktion nach einigen Vertragsverlängerungen nicht mehr abstrakt, sondern nur nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Diese ergänzende Prüfung beruht auf der unionsrechtskonformen Auslegung des befristungsrechtlichen Sachgrunds unter Berücksichtigung der Vorgaben von § 5 der Rahmenvereinbarung. Eine unionsrechtskonforme Auslegung ist überdies auch vorrangig zu einer Anwendung von § 242 BGB in Form des institutionellen Rechtsmissbrauchs.260
255 Bayreuther, NZA 2013, S. 23 (24 f.); Greiner, ZESAR 2014, S. 357 (362), ebenso Adam, AuR 2013, S. 394 (396); Kamanabrou, EuZA 2012, S. 441 (461 f.); KR/Lipke, § 14 TzBfG, Rn. 180; Staudinger/Preis, § 620 BGB, Rn. 54b; Schwarze, RdA 2017, S. 302 (304 f.). 256 Greiner, ZESAR 2014, 357 (362) unter Verweis auf Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 94 f. 257 Bayreuther, NZA 2013, S. 23 (24 f.); Greiner, ZESAR 2014, S. 357 (362). 258 Vgl. Krebber, EuZA 2017, S. 3 (16 f.); vgl. auch Sieker, in: FS Kohte, S. 347 (353, 358); kritisch Schwarze, RdA 2017, S. 302 (304 f.). 259 Greiner, Anm. zu EuGH C-586/10 – Kücük, AP Nr. 99 zu § 14 TzBfG. 260 Vgl. Brose, NZA 2009, S. 706 (710 f.); Greiner, ZESAR 2013, 305 (308); ders., Anm. zu EuGH C-586/10 – Kücük, AP Nr. 99 zu § 14 TzBfG; MüKoBGB/Schubert, § 242 BGB, Rn. 278 nimmt im Ergebnis jedoch einen Fall des institutionellen Rechtsmiss-
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Die Missbrauchskontrolle stellt damit eine Verbindung zwischen dem Sachgrund der Befristung und der Ausübung der Befristungsmöglichkeit her. Es ist zu prüfen, ob tatsächlich der Vertretungsbedarf oder vielmehr ein andauernder Beschäftigungsbedarf zur Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses führte. Über die Anforderungen der Kausalität hinaus erfolgt eine Zuordnung des Befristungsgrunds zur befristeten Vertragsverlängerung. Auch wenn dem Vorgehen des BAG ein anderer systematischer Ansatz zugrunde liegt, werden unter Rückgriff auf das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) die gleichen Ergebnisse erreicht. b) Zwischenergebnis Die offenen Fragen zur Systematisierung der Rechtsmissbrauchskontrolle resultieren aus den unterschiedlichen Schutzkonzepten des nationalen Rechts und des Unionsrechts. Im Ansatz gehen beide Konzepte von dem Sachgrundbegriff als wesentlichem Bestandteil der Befristungskontrolle aus. Der Begriff des Sachgrunds eignet sich aufgrund seiner Offenheit dazu, sämtliche Befristungskon stellationen zu erfassen, lässt sich aber gleichzeitig nicht abschließend konkretisieren. Trotz der einheitlichen Begrifflichkeit des Sachgrunds verbleiben Differenzen zwischen den Befristungsregimen, die sich nicht vollständig auflösen lassen. Nach der Rechtsprechung des BAG diente das Sachgrundkriterium zunächst dazu, den Grund für die Befristung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses anhand eines objektiven Maßstabs zu überprüfen. Eine Zielvorgabe, aufeinanderfolgende Sachgrundbefristungen auch in zeitlicher Hinsicht zu begrenzen, war mit dem Kriterium lange Zeit nicht verbunden. Um das unionsrechtlich vorgegebene Ziel umzusetzen, greift das BAG auf § 242 BGB zurück. Das europäische Befristungsrecht verfolgt hingegen das arbeitsmarktpolitische Ziel, den Abschluss unbefristeter Arbeitsverhältnisse durch die Festlegung von Mindeststandards zu fördern. In der Rechtssache Kücük zeigte sich, dass diese Mindeststandards allein nicht geeignet sind, die Bildung prekär beschäftigter Randbelegschaften effektiv zu verhindern. Es bedurfte einer weitergehenden Zielvorgabe in Form des Missbrauchsverbots. Die Einordnung der Missbrauchskontrolle in die Befristungsprüfung ist auch von Bedeutung für die Befristung im Rentenalter. In der Kücük-Entscheidung zeigte sich, dass das Tatbestandsmerkmal der Vertretung eines anderen Arbeitnehmers allein unzureichend war, um den Missbrauch durch Kettenbefristungen zu verhindern. Die Befristung im Rentenalter nach § 41 S. 3 SGB VI wird jedoch nicht durch einschränkende Tatbestandsmerkmale begrenzt. Aus diesem Grund brauchs an; zu den Vorgaben der unionsrechtskonformen Auslegung Schlachter, EuZA 2015, S. 1 (6 ff.).
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
stellt sich die in Abschnitt D. behandelte Frage, ob eine Missbrauchskontrolle im Einzelfall als Bestandteil der Sachgrundprüfung die Normierung entsprechender Tatbestandsmerkmale ersetzen kann. 4. Márquez Samohano Im Anschluss an die Rechtssache Kücük ergingen weitere EuGH-Entscheidungen zu den Voraussetzungen eines Sachgrunds. Das Urteil in der Rechtssache Márquez Samohano befasst sich mit der befristeten Beschäftigung von Teilzeit-Assistenzprofessoren. Der EuGH sieht die Anforderungen des spanischen Rechts an die befristete Vergabe von Lehraufträgen mit der Befristungsrichtlinie vereinbar. Da Assistenzprofessoren neben der Lehrtätigkeit eine hauptberufliche Tätigkeit ausüben, könne die befristete Beschäftigung nicht zu einer Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse führen.261 Hierbei wird insbesondere geprüft, inwieweit das jeweils betrachtete Arbeitsverhältnis geeignet ist, die Ziele der Richtlinie zu unterlaufen: „[Es] ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, inwiefern ein derartiger befristeter Arbeitsvertrag als solcher geeignet sein soll, das Ziel der Rahmenvereinbarung in Frage zu stellen, Arbeitnehmer vor einer Instabilität im Bereich der Beschäftigung zu schützen.“262 Erneut betont der EuGH, dass Befristungen zur Deckung eines ständigen und dauerhaften Bedarfs nicht gerechtfertigt sind.263 Die Lehrtätigkeit sei jedoch nur vorübergehend, da Professoren im Anschluss auf den ursprünglichen Arbeitsplatz zurückkehren.264 Der EuGH stellt zudem auf die Erwägungsgründe Nr. 8 und Nr. 10 der Rahmenvereinbarung ab und betont, dass befristete Arbeitsverträge in bestimmten Branchen und bei bestimmten Tätigkeiten charakteristisch sind und den Bedürfnissen der Vertragsparteien entsprechen.265 a) Bewertung Die Entscheidung Márquez Samohano zeigt, dass das Kriterium des vorübergehenden Bedarfs nicht nur für Vertretungsbefristungen gilt. Auch in dieser Entscheidung erfolgt eine arbeitnehmer- und nicht eine tätigkeitsbezogene Prüfung, 261
EuGH, Urt. v. 13. 3. 2014 – C-190/13, NZA 2014, S. 475 (Rn. 52) – Márquez Samo-
262
EuGH, Urt. v. 13. 3. 2014 – C-190/13, NZA 2014, S. 475 (Rn. 52) – Márquez Samo-
263
EuGH, Urt. v. 13. 3. 2014 – C-190/13, NZA 2014, S. 475 (Rn. 55) – Márquez Samo-
264
EuGH, Urt. v. 13. 3. 2014 – C-190/13, NZA 2014, S. 475 (Rn. 57) – Márquez Samo-
265
EuGH, Urt. v. 13. 3. 2014 – C-190/13, NZA 2014, S. 475 (Rn. 51) – Márquez Samo-
hano.
hano. hano. hano. hano.
C. Systematik des Befristungsrechts
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ob ein zeitlich beschränkter Bedarf vorliegt.266 Auch wenn die Stelle des Assistenzprofessors dauerhaft besteht, füllt der nebenberufliche Assistenzprofessor diese immer nur vorübergehend aus. Weiterhin stellt das Urteil auf die Relevanz der Einzelfallregelung für das Befristungsrecht insgesamt ab. Der Entscheidung liegt die Annahme zugrunde, dass atypische Ausnahmesituationen nicht geeignet sind, den generellen Schutzstandard für Arbeitnehmer herabzusetzen. b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter Das Urteil kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Nebentätigkeiten generell aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind.267 Die Nebentätigkeit als Teilzeit-Assistenzprofessor ist eine wissenschaftliche Tätigkeit, die aufgrund ihrer Besonderheiten und des angestrebten Praxisbezugs auf einen Wechsel angelegt ist. Die entsprechenden Grundsätze können aufgrund dieser Besonderheiten nicht auf die befristete Weiterbeschäftigung übertragen werden, auch wenn diese in geringem zeitlichem Umfang erfolgt und dem Zuverdienst neben dem Rentenbezug dient. Vielmehr muss eine Betrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls erfolgen. Aus der Entscheidung lässt sich somit nicht ableiten, dass im Falle der Weiterarbeit im Rentenalter die Voraussetzungen der Befristungsrichtlinie keine Anwendung finden. Weiterhin ist relevant, inwiefern die konkrete Befristung im Einzelfall geeignet ist, die Ziele der Richtlinie insgesamt infrage zu stellen. Im Hinblick auf die befristete Weiterbeschäftigung von Rentnern könnte argumentiert werden, dass Befristungen in dieser Sonderkonstellation das Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen nicht generell beeinflussen können. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass sich die Aussage in der Entscheidung Márquez Samohano auf die Arbeitnehmergruppe der nebenberuflichen Assistenzprofessoren bezog, die sich aufgrund einer speziellen Tätigkeit definiert. Bei Altersrentnern erfolgt eine tätigkeitsbezogene Abgrenzung gerade nicht, es wird allein nach dem jeweiligen Lebensalter differenziert. Aus diesem Grund sind beide Gruppen nicht per se vergleichbar. Zudem kann die Erleichterung von Befristungen für Arbeitnehmer in einem bestimmten Lebensalter, stärker als für Arbeitnehmer in bestimmten Branchen oder Tätigkeitsbereichen, Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse anderer Arbeitnehmer haben.268
266 Preis/Sagan/Brose, Europäisches Arbeitsrecht, § 13, Rz. 13.163; Joussen, EuZA 2015, S. 323 (327); ders., RdA 2015, S. 305 (313); Kiel, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 50, S. 25 (37). 267 Vgl. Krebber, EuZA 2017, S. 3 (15). 268 Grds. Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (617).
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
5. Fiamingo Die Rechtssache Fiamingo betrifft befristete Arbeitsverträge von Seeleuten. Das italienische Gericht stellte die Vorlagefrage, ob die Durchführung einer Seereise ein Sachgrund i. S. d. Befristungsrichtlinie ist. Diese Frage kam auf, da die Seereise als Gegenstand und Anlass des Arbeitsvertrags zugleich auch der Befristungsgrund war. Der EuGH beantwortete die Frage nicht, da die italienische Befristungsvorschrift ohnehin eine zeitliche Beschränkung enthielt und dies nach den Vorgaben der Richtlinie genügte.269 Die Vorlagefrage hat Bezüge zu der Problemstellung bei der befristeten Weiterbeschäftigung von Rentnern auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI. Die Weiterarbeit im Rentenalter soll als Gegenstand des Arbeitsvertrags den Sachgrund der Befristung bilden. Gleichzeitig besteht anders als in der Rechtssache Fiamingo keine zeitliche Beschränkung durch die Befristungsnorm. Zur Fragestellung, ob der Gegenstand des Arbeitsvertrags zugleich auch einen Sachgrund für die Befristung begründen kann, nahm der Gerichtshof jedoch nicht Stellung. 6. Mascolo In der Rechtssache Mascolo befasst sich der EuGH mit der befristeten Einstellung von Vertretungslehrern bis zum endgültigen Abschluss des Einstellungsverfahrens. In der Entscheidung betont der EuGH die Besonderheiten des Bildungssystems, die eine Befristung von Arbeitsverträgen rechtfertigen können.270 Allerdings müsse sichergestellt werden, dass kein missbräuchlicher Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge erfolge.271 Der italienische Gesetzgeber legte für das Auswahlverfahren keine konkreten Vorgaben und keinen zeitlichen Rahmen fest. Objektive und transparente Kriterien, wie der EuGH sie seit Adeneler forderte, bestanden aufgrund des nur grob geregelten Bewerbungsverfahrens nicht. Daher genügte die verfahrensgegenständliche Befristungsnorm nicht den Anforderungen der Richtlinie. 7. Kommission/Luxemburg Die Rechtssache Kommission/Luxemburg betrifft ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Luxemburg. Das luxemburgische Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) ermöglicht Befristungen bei vorübergehenden Tätigkei-
269
EuGH, Urt. v. 3. 7. 2014 – C-362/13 u. a., ZESAR 2015, S. 326 (Rn. 69 f.) – Fiamingo. EuGH, Urt. v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u. a., NZA 2015, S. 153 (Rn. 92 ff.) – Mascolo. 271 EuGH, Urt. v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u. a., NZA 2015, S. 153 (Rn. 99) – Mascolo. 270
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ten.272 In bestimmten Fällen sind hiervon Ausnahmen vorgesehen. So können z. B. Kurzzeitbeschäftigte im Kulturbetrieb stets befristet beschäftigt werden. Gegen diese Befristungsregelung leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Im gerichtlichen Verfahren argumentierte die luxemburgische Regierung, dass Beschäftigungen in der Kultur- und Kunstbranche häufig nur für kurzzeitige Projekte erfolgen und befristete Arbeitsverhältnisse vorteilhafter sind als eine freie Mitarbeit. Der europäische Gerichtshof wies diese Argumente zurück. Grundsätzlich kann zwar ein „provisorische(r) und spezifische(r) Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers“ einen Sachgrund i. S. d. § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung darstellen.273 Jedoch fallen kurzfristige Projekttätigkeiten im luxemburgischen Recht bereits unter die gesetzlich vorgesehene Befristungsmöglichkeit bei vorübergehenden Tätigkeiten. Die Spezialvorschrift für Beschäftigte im Kulturbetrieb ist somit eine Ausnahme von der Voraussetzung eines vorübergehenden Bedarfs. Tätigkeiten in der Kulturbranche erfolgen zwar häufig, jedoch nicht in jedem Fall für kurzzeitige Projekte, da es auch Dauerstellen im Kulturbetrieb, wie z. B. in der Verwaltung, gibt. Die Befristungsvorschrift für Kurzzeitbeschäftigte im Kulturbetrieb enthält auch keine überprüfbaren Tatbestandsmerkmale, die sicherstellen, dass die befristet Beschäftigten nicht für Daueraufgaben eingesetzt werden.274 Es genügt nicht, dass eine branchenumfassende Befristungsregelung zufällig auch Konstellationen, wie eine kurzzeitige Projekttätigkeit, erfasst, die den Anforderungen des unionsrechtlichen Sachgrundbegriffs genügt. Auch das zweite Argument, befristete Beschäftigungen seien für Künstler vorzugswürdig, überzeugt den EuGH nicht. Das Ziel der Richtlinie, Missbrauch durch befristete Arbeitsverhältnisse zu verhindern, gilt unabhängig von branchenspezifischen Besonderheiten.275 a) Bewertung Vorliegend wiederholt der EuGH den Grundsatz, dass Befristungsnormen, die keine Einschränkungen der Befristungsdauer vorsehen, durch einen Sachgrund gerechtfertigt sein müssen. Dies verdeutlicht, dass entweder ein Sachgrund oder eine zeitliche Beschränkung der Befristung erforderlich ist und bestimmte Bran272
Art. L-122 – 1 Abs. 1 Code du travail (Luxemburg). zuletzt EuGH, Urt. v. 25. 10. 2018 – C-331/17, NZA 2018, S. 1535 (Rn. 47 f.) – Sciotto zum italienischen Recht; noch offenlassend EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-238/14, NZA 2015, S. 424 (Rn. 46 ff.) – Kommission/Luxemburg. 274 Vgl. zuletzt auch Sciotto, EuGH, Urt. v. 25. 10. 2018 – C-331/17, NZA 2018, S. 1535 (Rn. 49 ff.). 275 EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-238/14, NZA 2015, S. 424 (Rn. 50) – Kommission/ Luxemburg. 273 So
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
chen, wie die Kulturbranche, nicht aus dem Befristungsschutz ausgenommen werden können.276 Weiterhin müssen die jeweiligen Tatbestandsmerkmale einer Sachgrundbefristung ausdrücklich geregelt werden. „Zufällige Sachgründe“, deren Sachgrundmerkmale in einigen Fällen, aber nicht immer vorliegen, genügen nicht.277 Im vorliegenden Fall reichte es nicht, dass Befristungen in der Kulturbranche häufig für kurzzeitige Projektbeschäftigungen erfolgten, da dieses Merkmal durch die Befristungsvorschrift nicht zwingend und überprüfbar vorausgesetzt wurde. Die Befristungsnorm muss somit zwingende Kriterien enthalten und eine Überprüfung des Sachgrunds der Befristung im Einzelfall ermöglichen. b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter In § 41 S. 3 SGB VI werden keine Kriterien festgelegt, die sicherstellen, dass nur ein vorübergehendes Beschäftigungsbedürfnis besteht. Ebenso wie im lu xemburgischen Arbeitsrecht sind auch im deutschen Recht Befristungen bei einem vorübergehenden Tätigkeitsbedarf bereits nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG möglich. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass das Kriterium des vorübergehenden Bedarfs bei den gesondert geregelten Rentnerarbeitsverträgen gerade nicht vorliegen muss. Implizit wird zwar davon ausgegangen, dass die Beschäftigung ohnehin nur für eine beschränkte Zeit erfolgt. Es besteht jedoch kein überprüfbares Tatbestandsmerkmal, das sicherstellt, dass von der Regelung nur im gesetzgeberischen Interesse Gebrauch gemacht wird. Unter Anwendung der Grundsätze dieser Entscheidung wäre daher fraglich, ob § 41 S. 3 SGB VI den Anforderungen der EuGH-Entscheidungen entspricht. 8. Pérez López In der Rechtssache Pérez López bestätigt der Europäische Gerichtshof den Ansatz, dass befristete Arbeitsverhältnisse nicht zur Deckung eines ständigen Arbeitsbedarfs eingesetzt werden dürfen.278 Ein spanisches Gesetz ließ befristete Beschäftigungen im Gesundheitssektor zur Deckung eines besonderen Personalbedarfs zu. Etwa 25 Prozent der 50.000 Ärzte und Pflegekräfte in Madrid sind befristet beschäftigt und durchschnittlich 276
Ebenso EuGH, Urt. v. 25. 10. 2018 – C-331/17, NZA 2018, S. 1535 (Rn. 44) – Sciotto. Urt. v. 26. 2. 2015 – C-238/14, NZA 2015, S. 424 (Rn. 46) – Kommission/ Luxemburg; zum Begriff des zufälligen Sachgrunds Joussen, EuZA 2015, S. 313 (328); Krebber, EuZA 2017, S. 3 (8). 278 EuGH, Urt. v. 14. 9. 2016 – C-16/15, NZA 2016, 1265 (Rn. 47 f.) – Pérez López unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 26. 1. 2012 – C-586/10, NZA 2012, S. 135 (Rn. 39) – Kücük und EuGH, Urt. v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u. a., NZA 2015, S. 153 (Rn. 101) – Mascolo. 277 EuGH,
C. Systematik des Befristungsrechts
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etwa fünf bis sechs Jahre für einen Arbeitgeber tätig.279 Auch die Klägerin wurde aufgrund von sieben befristeten Arbeitsverträgen über einen Zeitraum von vier Jahren befristet beschäftigt. Aufgrund der Befristungsdauer und der strukturellen Befristungen ging der EuGH von einem dauerhaften Beschäftigungsbedarf aus.280 Der EuGH sah auch als entscheidend an, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet war, Planstellen zu schaffen, um den strukturellen Mangel an Dauerstellen zu beheben.281 a) Bewertung Die Rechtssache Pérez López baut auf den Vorgaben der Kücük-Entscheidung auf. Sie geht jedoch über die Vorgängerentscheidung hinaus, indem gefordert wird, dass ein struktureller Mangel an Dauerstellen behoben werden muss.282 In der Kücük-Entscheidung betonte der EuGH hingegen, dass der Arbeitgeber auch bei einem längeren Vertretungsbedarf nicht gezwungen ist, einen Springer zu beschäftigen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Aussage der Entscheidung verallgemeinert werden kann. Dies könnte zu einer Subsidiarität befristeter Beschäftigungsverhältnisse führen, wenn ein Personalmangel von erheblichem Gewicht vorliegt, der aus einem „strukturellen Mangel“ an Dauerstellen folgt. Weiterhin ist interessant, dass bereits nach einem Beschäftigungszeitraum von vier Jahren ein offensichtlicher dauernder Beschäftigungsbedarf angenommen wurde.283 Es spricht viel dafür, dass dies auf die Besonderheiten des Sachverhalts zurückzuführen ist, da ein wesentlicher Teil des Gesundheitspersonals des Stadt Madrid befristet beschäftigt war. b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter Im Hinblick auf die befristete Weiterbeschäftigung von Altersrentnern lässt sich feststellen, dass ein struktureller Personalmangel nicht durch die zeitlich begrenzte Weiterbeschäftigung von Altersrentnern gedeckt werden darf. Die Personalstruktur kann die Zulässigkeit einer Befristung daher insgesamt beeinflussen.
279
EuGH, Urt. v. 14. 9. 2016 – C-16/15, NZA 2016, 1265 (Rn. 51) – Pérez López. EuGH, Urt. v. 14. 9. 2016 – C-16/15 NZA 2016, 1265 (Rn. 50) – Pérez López. 281 EuGH, Urt. v. 14. 9. 2016 – C-16/15 NZA 2016, 1265 (Rn. 55) – Pérez López. 282 Ebenso Gooren, Anm. zu EuGH C-16/15 – Pérez López, NZA 2016, S. 1270 (1271). 283 Vgl. Gooren, Anm. zu EuGH C-16/15 – Pérez López, NZA 2016, S. 1270 (1271). 280
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
III. Grundsätze des Sachgrundbegriffs Die sich stets wandelnde Befristungskontrolle zeigt die Schwierigkeit, anhand einer Generalklausel, wie dem Sachgrundbegriff, eine Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen zu treffen. Auch die inhaltliche Annäherung an den Sachgrundbegriff birgt Schwierigkeiten, wie die vielfältigen Ansätze zur Herleitung, Ausgestaltung und Definition des Sachgrunds zeigen. Aus dem Gesamtbild der dargestellten Entscheidungen des EuGH lassen sich die einzelnen Elemente des unionsrechtlichen Sachgrundbegriffs ableiten. Zentrales Element des europäischen Befristungsrechts ist das verbindliche Ziel, Missbrauch durch aufeinanderfolgende Befristungen zu verhindern. Dies soll insbesondere durch das Erfordernis eines Sachgrunds für Befristungen erreicht werden. Als Wesensmerkmal des Sachgrunds können drei Kriterien abgeleitet werden: Die gerichtliche Überprüfbarkeit des Sachgrunds für die befristete Beschäftigung, der Bezug zu einer konkreten Tätigkeit des Arbeitnehmers sowie ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf. Diese Merkmale dienen als Mittel, um missbräuchliche Kettenbefristungen einzuschränken. Es müssen nicht alle Merkmale des Sachgrunds gemeinsam vorliegen, damit ein Befristungsgrund im nationalen Recht die unionsrechtlichen Vorgaben erfüllt. Das Fehlen eines Merkmals kann durch die anderen Kriterien im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ausgeglichen werden. 1. Gerichtliche Überprüfbarkeit Ein wesentliches Merkmal lässt sich zunächst aus der Beschränkungs- und Überprüfungsfunktion des Sachgrunds ableiten. Nach Wiedemann diente auch der Sachgrundbegriff im deutschen Befristungsrecht im Wesentlichen der gerichtlichen Überprüfung vertraglicher Gestaltungen.284 Die gerichtliche Überprüfbarkeit gesetzlicher Vorgaben ist grundsätzlich nur dort eingeschränkt, wo der Gesetzgeber dem Rechtsanwender Wertungsspielräume einräumt oder sich diese aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen ergeben.285 Im Rahmen der Sachgrundbefristung besteht kein Wertungsspielraum des Arbeitgebers, da bereits begrifflich ein objektiv-normativer Prüfungsmaßstab voraussetzt wird.286 Dies folgt auch aus dem Umkehrschluss zur sachgrundlosen Befristung, die nach ihrer Ausgestaltung im deutschen Recht dem Arbeitgeberinteresse Rechnung trägt, den Arbeitnehmer vorübergehend ohne Nachweis eines Befristungsgrunds zu 284
Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (614 f.). Für das Verwaltungsrecht z. B. BVerfG, Beschl. v. 31.5. 2011 – 1 BvR 857/07, BVerf GE 129, 1 (S. 21 f.) = NVwZ 2011, 1062 (Rn. 71). 286 Vgl. Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 23. 285
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beschäftigen.287 Sachgrundlos bedeutet daher mehr „ohne gerichtliche Überprüfung“ als „ohne tatsächliches Vorliegen eines sachlichen Grunds“.288 Aufgrund der fehlenden Überprüfbarkeit ist die sachgrundlose Befristung eine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme von dem Grundsatz der sachlichen Rechtfertigung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.289 Wiedemann entwickelte mit dem Kriterium der gerichtlichen Überprüfbarkeit ein Merkmal, das sich auch im unionsrechtlichen Sachgrundkonzept widerspiegelt. Die frühere Rechtsprechung des BAG überprüfte anhand des Sachgrundbegriffs, in welchen Fällen berechtigterweise vom Kündigungsschutzrecht abgewichen wurde. Auch der unionsrechtliche Begriff des Sachgrunds setzt voraus, dass nationale Vorschriften objektive und transparente Kriterien enthalten müssen, damit geprüft werden könne, „ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet und insoweit erforderlich ist.“290 Die funktionsbezogene Annäherung an den Sachgrundbegriff hat jedoch den Nachteil, dass keine direkten inhaltliche Maßstäbe aufgestellt werden. Es stellt sich damit die schwierige Abgrenzungsfrage zwischen dem Sachgrund und dem reinen Anlass einer Befristung.291 Dies zeigt sich besonders am Kriterium des Lebensalters, welches zwar gerichtlich überprüfbar ist, jedoch keine darüberhinausgehende inhaltliche Überprüfung der Befristung ermöglicht. Aus der Begrenzungsfunktion lassen sich jedoch indirekt inhaltliche Schlussfolgerungen für den Sachgrundbegriff ableiten. Der Sachgrund muss sich zunächst objektiv nachvollziehen lassen, indem ein Gericht allein auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhalts das Vorliegen und die inhaltliche Rechtfertigung der Befristung überprüfen kann. Es müssen somit konkrete Tatbestandsmerkmale vorliegen, anhand derer zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen unterschieden werden kann. Ansonsten verbliebe es bei einer rein formalen Anwendbarkeitsprüfung ohne inhaltliche Beschränkung von Befristungen.292 Aus diesem Grund sind nach der Rechtsprechung des EuGH „zufällige Sachgründe“,293 deren Eingreifen nicht immer mit dem Vorliegen eines tatsächlichen Befristungsbedarfs einhergeht, unzulässig. In der Entscheidung Kommission/ 287
Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (611). Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (614). 289 Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (615). 290 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 74) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 74) – Adeneler; zuletzt EuGH, Urt. v. 25. 10. 2018 – C-331/17, NZA 2018, S. 1535 (Rn. 50) – Sciotto. 291 Zu § 41 S. 3 SGB VI Waltermann, RdA 2015, S. 343 (348). 292 Zu § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. Schlachter, RdA 2004, S. 352 (354). 293 Zum Begriff Joussen, EuZA 2015, S. 313 (328). 288
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Luxemburg stellte der EuGH darauf ab, dass die Tätigkeit in der Kulturbranche nur zufällig mit dem Befristungsmerkmal einer vorübergehenden Beschäftigung übereinstimmt. Wenn die Zugehörigkeit zu bestimmten Branchen oder Arbeitnehmergruppen pauschal als Sachgrund anerkannt würde, bestünde keine Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle.294 Bestimmte Anlässe können nur dann zu Sachgründen aufgewertet werden, wenn bei ihrem Vorliegen stets die zugrundeliegenden Merkmale auftreten, die eine Befristung rechtfertigen. Aus der Kontrollfunktion des Sachgrunds folgt ferner, dass „selbstgerechte“295 Sachgründe, die der Arbeitgeber selbst schaffen kann, nicht zulässig sind. Hierbei handelt es sich um Sachgründe, deren Bestehen und Dauer einseitig von der Entscheidung des Arbeitgebers abhängen. Die gerichtliche Überprüfbarkeit könnte in entsprechenden Fällen nicht effektiv eingreifen. Dieser Grundsatz zeigte sich in der Rechtssache Mascolo, da genaue Kriterien für das Auswahlverfahrens fehlten. Gleiches gilt auch für die Haushaltsbefristung im deutschen Recht nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG. Haushaltserwägungen selbst sind kein sozialpolitisches Ziel i. S. d. europarechtlichen Definition des Sachgrunds.296 Um zu verhindern, dass ein Sonderbefristungstatbestand für die öffentliche Hand geschaffen wird, muss eine tätigkeitsbezogene Zwecksetzung der Haushaltsmittel für die befristete Beschäftigung im Vorhinein festgelegt sein.297 2. Tätigkeitsbezug Ein zweites Element des unionsrechtlichen Sachgrundbegriffs ist der Bezug zu einer bestimmten Tätigkeit des Arbeitnehmers.298 Dies folgt insbesondere aus der Definition des Sachgrunds in der Entscheidung Adeneler. Erforderlich sind „genau bezeichnete, konkrete Umstände […], die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang die Verwendung aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung diese Verträge geschlossen worden sind, und deren Wesensmerkmalen
294 EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-238/14, NZA 2015, S. 424 (Rn. 46 ff.) – Kommission/ Luxemburg; ebenso EuGH, Urt. v. 25. 10. 2018 – C-331/17, NZA 2018, S. 1535 (Rn. 44 ff.) – Sciotto. 295 Zum Begriff EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 5, Rn. 18; ders., EuZA 2017, S. 3 (8). 296 EuGH, Urt. v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u. a., NZA 2015, S. 153 (Rn. 110) – Mascolo; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2018 – C-331/17, NZA 2018, S. 1535 (Rn. 55) – Sciotto. 297 BAG, Urt. v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 419/05, NZA 2007, S. 332 (Rn. 14 ff.); APS/Greiner, § 14 TzBfG, Rn. 101; Preis, NZA 2005, S. 714 (715). 298 Zu den Befristungstatbeständen des TzBfG Franzen, JZ 2007, S. 191 (193).
C. Systematik des Befristungsrechts
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oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Zieles durch einen Mitgliedstaat ergeben.“299 Die Umstände, die eine Befristung rechtfertigen, müssen eine „bestimmte Tätigkeit“ des Arbeitnehmers kennzeichnen. Auch, wenn sich entsprechende Umstände aus sozialpolitischen Zielen ergeben können, müssen sie einen Zusammenhang mit einer bestimmten Tätigkeit aufweisen und die Verwendung aufeinanderfolgender befristeter Verträge rechtfertigen.300 Dies folgt aus der systematischen Stellung des Tätigkeitsbezugs im ersten Satz der Sachgrunddefinition. In Abgrenzung hierzu können Drittinteressen oder sozialpolitische Ziele, die unabhängig von einer bestimmten Tätigkeit bestehen, keine Befristung rechtfertigen. 3. Vorübergehender Beschäftigungsbedarf Seit der Kücük-Entscheidung wird der Sachgrundbegriff durch die Missbrauchskontrolle überlagert. Diese fungiert als Zielvorgabe. Ein Sachgrund muss nicht nur die genannten Kriterien aufweisen, sondern auch im Einzelfall eine effektive Durchsetzung des Missbrauchsverbots gewährleisten. Befristungen dürfen demnach keinen dauerhaften, sondern nur einen vorübergehenden Beschäftigungsbedarf decken. Auch die meisten der im deutschen Befristungsrecht in § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG niedergelegten Befristungsgründe weisen ein Element zeitlicher Begrenzung auf.301 Dies gilt für die Befristung aufgrund eines vorübergehenden Bedarfs (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG), die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG) und die Befristung zur Erprobung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG). Während im ersten Fall die zeitliche Beschränkung ein ausdrückliches Tatbestandsmerkmal ist, implizieren die weiteren Befristungsgründe eine zeitliche Begrenzung auf eine zeitlich begrenzte Lebens- bzw. Tätigkeitsphase. Bei der Vertretungsbefristung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG) ergibt sich das vorübergehende Element aus der Tatsache, dass der vertretene Arbeitnehmer an den Arbeitsplatz zurückkehren wird. Die zeitliche Befristung aufgrund der Eigenart der Arbeitsleistung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG) erfolgt,
299 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 69 f.) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 69 f.) – Adeneler; EuGH, Urt. v. 23. 4. 2009 – C-378/07 u. a., Slg. 2009, I-3071 (Rn. 96) = AP Nr. 6 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 96) – Angelidaki. 300 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (72 f.) stellt auf den „Bezug zum Arbeitsverhältnis“ ab. 301 Vgl. Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (73 – 78); einschränkend Kamanabrou, in: Giesen/Junker/Rieble, Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, S. 155 (163).
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
wenn die ausgeführte Tätigkeit ein vertragstypisches Verschleißrisiko birgt.302 Bei der Haushaltsbefristung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG) wird eine zeitliche Begrenzung der ausgeführten Tätigkeit aufgrund einer einschränkenden Auslegung vorausgesetzt.303 Atypisch sind jedoch die Befristung aus persönlichen Gründen des Arbeitnehmers (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG) und aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG). Diese Befristungsgründe sind nicht per se zeitlich beschränkt.304 Bei einem ausdrücklichen Befristungswunsch verzichtet der Arbeitnehmer jedoch auf den gesetzlichen Schutz.305 Bei einer Befristung auf Grundlage eines gerichtlichen Vergleichs erfolgt zumindest eine vorgelagerte gerichtliche Prüfung. Wenn ein Sachgrund an sich keinen zeitlich beschränkten Beschäftigungsbedarf voraussetzt, müssen andere Umstände überwiegen, die eine Befristung rechtfertigen. 4. Schlussfolgerung Es zeigt sich, dass Sachgründe Tatbestandsmerkmale aufweisen müssen, die sie der gerichtlichen Überprüfung zugänglich machen. Darüber hinaus muss ein Bezug zur konkreten ausgeführten Tätigkeit und ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf bestehen.306 Die vom EuGH in der Rechtssache Kücük entwickelte Missbrauchskontrolle ist ein weiteres Element der Sachgrundprüfung, welche Unzulänglichkeiten des Sachgrundbegriffs im Einzelfall ausgleicht. Eine genaue Subsumtion unter sämtliche der genannten Kriterien führte der EuGH in den zitierten Entscheidungen jedoch nicht durch. Je nach Sachverhaltskonstellation wurde auf verschiedene Aspekte des Sachgrundbegriffs abgestellt, wie die vorübergehende Natur der Tätigkeit in der Rechtssache Kücük, die Besonderheit der Beschäftigung von Assistenzprofessoren in der Rechtssache Márquez Samohano oder die konkrete Beschäftigungssituation wie in Mascolo und Pérez López.
302 ErfK/Müller-Glöge,
§ 14 TzBfG, Rn. 44. § 14 TzBfG, Rn. 71b. 304 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (76). 305 Unter Verweis auf die Situation bei Eigenkündigungen des Arbeitnehmers Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (76). 306 So auch Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (72 ff.); bzgl. der vorübergehenden Natur der Sache auch APS/Backhaus, § 14 TzBfG, Rn. 39. 303 ErfK/Müller-Glöge,
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
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D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter mit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie Anhand der herausgearbeiteten Gesichtspunkte soll nun überprüft werden, ob und inwiefern die Befristungsmöglichkeit im Rentenalter in die Systematik des deutschen und europäischen Befristungsrechts eingeordnet werden kann.
I. Die Rechtssache John In seinem Urteil in der Rechtssache John, das im Februar 2018 auf eine Vorlage des LAG Bremen307 erging, befasste sich der EuGH mit der befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI. 1. Sachverhalt Das LAG Bremen hatte über die Befristungskontrollklage eines angestellten Lehrers zu entscheiden, der im Jahr 2014 die tarifvertragliche Regelaltersgrenze erreichte. Der Kläger vereinbarte mit der beklagten Arbeitgeberin das „Hinausschieben“ der automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des laufenden Schuljahrs 2014/2015. Vor Ablauf der Befristung beantragte der Kläger die erneute Verlängerung seines Beschäftigungsverhältnisses. Dies lehnte die Beklagte ab. Der Kläger machte daraufhin die Unwirksamkeit der Befristung aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit von § 41 S. 3 SGB VI arbeitsgerichtlich geltend. Das LAG legte dem EuGH die Fragen zur Entscheidung vor, ob die Vorgaben der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG)308 und der Befristungsrichtlinie (RL 1999/70/EG) einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den Arbeitsvertragsparteien ohne einschränkende Voraussetzungen ermöglicht, den Beendigungszeitpunkt eines Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben. 2. Die Entscheidung des EuGH zur Befristungsrichtlinie Der Gerichtshof warf in den Entscheidungsgründen zunächst die Frage auf, ob die befristete Weiterbeschäftigung im Rentenalter als „Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge“ i. S. v. § 5 der Rahmenvereinbarung zu qualifizieren ist.309 In der Entscheidung lässt der EuGH anklingen, dass es nicht ausgeschlossen scheint, „die in der streitigen Bestimmung vorgesehene Verschie307
Vgl. LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – 3 Sa 78/16, NZA-RR 2017, S. 290 ff. Hierzu vertiefend Kapitel 4. 309 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 45 – 47) – John. 308
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
bung als bloße vertragliche Verschiebung des ursprünglich vereinbarten Rentenalters aufzufassen“.310 Eine abschließende Einordnung müsse jedoch durch die nationalen Gerichte erfolgen.311 Für den Fall, dass die Weiterbeschäftigung im Rentenalter als Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu qualifizieren wäre, liege es auch in ihrer Zuständigkeit zu beurteilen, inwieweit die maßgeblichen Vorschiften „unter Berücksichtigung ihrer Anwendungsvo raussetzungen und ihrer tatsächlichen Anwendung“ geeignet sind, missbräuchliche Kettenbefristungen einzuschränken.312 Für die Beurteilung der Unionsrechtskonformität des nationalen Rechts nimmt der EuGH in der Entscheidung jedoch Klarstellungen vor und benennt hierzu drei Besonderheiten der Weiterbeschäftigung im Rentenalter.313 Zunächst seien Arbeitnehmer im Rentenalter im Gegensatz zu jüngeren Arbeitnehmern sozial abgesichert und stünden am Ende ihres Berufslebens.314 Weiterhin könne die Befristung im Rentenalter als Ausnahme vom Grundsatz der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen des Rentenalters angesehen werden.315 Zuletzt geht der EuGH auf die Besonderheiten der Weiterarbeit auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI ein, wie z. B. den nahtlosen Anschluss der Weiterbeschäftigung an die Laufzeit des Arbeitsverhältnisses.316 Dadurch werde sichergestellt, dass Arbeitnehmer zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigt werden und eine Altersrente beziehen. Diese Argumente leiten den EuGH zu der Schlussfolgerung, dass § 5 der Rahmenvereinbarung „einer nationalen Bestimmung nicht entgegensteht, die es […] den Arbeitsvertragsparteien ohne weitere Voraussetzungen zeitlich unbegrenzt ermöglicht, die vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses, gegebenenfalls auch mehrfach, hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehmer durch Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Altersrente hat.“317
310
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 45) – John. EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 47) – John. 312 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 51) – John. 313 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 52 f.) – John. 314 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 54) – John. 315 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 55) – John. 316 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 56) – John. 317 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 57) – John. 311
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
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II. Bewertung der Entscheidung im Hinblick auf die Befristungsrichtlinie Die Entscheidung in der Rechtssache John trägt dem praktischen Bedürfnis nach einer rechtssicheren Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter Rechnung. Gleichzeitig wirft das Urteil unter systematischen Gesichtspunkten im Befristungsrecht drei grundsätzliche Fragen auf, die im Folgenden genauer betrachtet werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob Altersgrenzen und die zeitlich begrenzte Weiterbeschäftigung als Befristung zu qualifizieren sind. Die zweite Frage betrifft die Vereinbarkeit von § 41 S. 3 SGB VI mit den Vorgaben der Befristungsrichtlinie. Das Urteil beinhaltet eine Absage an eine inhaltliche Befristungskontrolle für Arbeitsverhältnisse, die nach Erreichen des Rentenalters abgeschlossen wurden. Diese klare Differenzierung zwischen Arbeitsverhältnissen vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze überrascht, da weder im Wortlaut der Richtlinie noch in den befristungsrechtlichen Urteilen des EuGH auf das Alter des Arbeitnehmers abgestellt wurde. Aus diesem Grund ist an dritter Stelle zu hinterfragen, ob nach Erreichen der Regelaltersgrenze grundlegend andere Maßstäbe für die Befristungskontrolle gelten. Die Entscheidung macht mithin eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie an die Befristung im Rentenalter erforderlich. 1. Anwendbarkeit der Befristungsrichtlinie Die erste Frage betrifft den Anwendungsbereich der Befristungsrichtlinie. Der EuGH hinterfragte in der Rechtssache John, ob die befristete Weiterbeschäftigung „als bloße vertragliche Verschiebung des ursprünglich vereinbarten Rentenalters“ aufgefasst werden könne und damit nicht als Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse i. S. d. § 5 der Rahmenvereinbarung.318 Die abschließende Einordnung obliege hierbei den nationalen Gerichten. a) Mitgliedstaatliche Beurteilung des Vorliegens einer Befristung Zunächst scheint der EuGH anzunehmen, dass sich die Definition des Anwendungsbereichs der Befristungsrichtlinie sowohl im Hinblick auf den Arbeitnehmerbegriff als auch im Hinblick auf das Vorliegen einer Befristung nach dem nationalen Recht richtet.319 So überraschend diese Annahme des EuGH ist, dürfte zumindest im deutschen Recht die mitgliedstaatliche Beurteilung des Vorliegens 318
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 45 – 47) – John. EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 37) – John; vgl. Greiner, RdA 2018, 250 (251). 319
130
Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
einer Befristung nur in Ausnahmefällen zu Änderungen führen.320 Im Hinblick auf verbleibende Unterschiede werden die unionsrechtlichen Vorgaben des § 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung weiterhin vorgehen.321 b) Unionsrechtliche Einordnung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter Zum anderen lässt der Gerichtshof anklingen, dass die befristete Weiterbeschäftigung im Rentenalter als „Verschiebung des ursprünglich vereinbarten Rentenalters“ und nicht als eigenständige Befristungsvereinbarung eingeordnet werden könne.322 Es sei im Hinblick auf die Zielrichtung des europäischen Befristungsrechts „nicht ersichtlich, dass eine solche Bestimmung geeignet ist, den Abschluss aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu fördern, oder eine Quelle potenziellen Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer darstellt“.323 Diese Aussage überrascht aus der Perspektive des deutschen Rechts, da sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Rechtswissenschaft das Vorliegen einer Befristung bei einer Weiterbeschäftigung auf Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI stets vorausgesetzt wurde.324 Die Einordnung der zeitlich begrenzten Weiterbeschäftigung im Rentenalter als Befristung ist im Hinblick auf das deutsche Recht überzeugend, weil auch die Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses den Einschränkungen des Befristungsrechts unterliegt. Zudem wird im deutschen Befristungsrecht die Differenzierung zwischen einer Vertragsverlängerung und einer unabhängigen neuen Befristung allein in § 14 Abs. 2 TzBfG relevant. Bei Sachgrundbefristungen, wie der Befristung auf das Erreichen der Regelaltersgrenze, gelten auch für Vertragsverlängerungen die gleichen befristungsrechtlichen Anforderungen wie für eine neue Befristung. Die, aus der Perspektive der deutschen Rechtswissenschaft, überraschende Passage des Urteils kann jedoch unter zwei Gesichtspunkten in die Systematik des europäischen Befristungsrechts eingeordnet werden.
320
Vgl. Kapitel 3 B.II.2.b). zu Einschränkung bei Leiharbeitsverhältnissen EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-290/12, NZA 2013, 495 (Rn. 32 ff., Rn. 42) – Della Rocca; EurArbR/Krebber, RL 1999/70/EG, Anh. § 2, Rn. 3 ff. 322 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 46 f.) – John. 323 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 46) – John. 324 Vgl. LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – 3 Sa 78/16, NZA-RR 2017, 290; LAG Niedersachsen, Urt. v. 29. 11. 2016 – 10 Sa 218/16, ZTR 2017, S. 318 f.; Greiner, RdA 2018, 250 (251); Greiner, RdA 2018, 65 (66). 321 Vgl.
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
131
aa) Befristungskontrolle der ersten Befristung nach Erreichen des Rentenalters Zum einen kann sich die Fragestellung darauf beziehen, ob die einschränkenden Anforderungen des § 5 der Rahmenvereinbarung auch für die erstmalige Befristung nach Erreichen des Rentenalters gelten. Grundsätzlich finden die Vorgaben auf die erste Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses Anwendung und gelten damit von der zweiten Befristung an. Dies folgt aus der Zielsetzung von § 5 Nr. 1 der Befristungsrichtlinie, Missbrauch durch aufeinanderfolgende Befristungen zu verhindern. Eine befristete Weiterbeschäftigung auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI könnte sowohl als erste als auch als zweite Befristung eingeordnet werden. Als erste Befristung gilt die Weiterbeschäftigung, wenn allein die Zahl der befristeten Vertragsverlängerungen maßgeblich ist. Zählt hingegen die Befristung durch eine Altersgrenze mit, wäre die Weiterbeschäftigung bereits die zweite Befristung.325 Vorzugswürdig wäre die die Annahme, dass die Anforderungen von § 5 der Rahmenvereinbarung bei der einmaligen befristeten Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Rentenalters keine Anwendung finden. Hierfür spricht, dass Arbeitsverhältnisse, die auf das Erreichen der Regelaltersgrenze befristet sind, als Normalarbeitsverhältnisse gelten.326 Aus dem Sinn und Zweck der Rahmenvereinbarung, Missbrauch durch wiederholte Befristungen zu vermeiden, folgt zudem, dass eine zumindest abstrakte Missbrauchsgefahr durch Kettenbefristungen bestehen muss. Eine solche Gefahr besteht bei der einmaligen befristeten Weiterbeschäftigung im Anschluss an das Erreichen der Regelaltersgrenze nicht. Bei vertraglichen Altersgrenzen handelt es sich um einen befristungsrechtlichen Sonderfall aus sozialpolitischen Gesichtspunkten.327 Wird die Laufzeit des durch eine Altersgrenze befristeten Arbeitsverhältnisses einmal verlängert, besteht keine Gefahr der Prekarisierung des Arbeitsverhältnisses. In diese Richtung argumentiert auch das LAG Niedersachen, das von der Zulässigkeit der erstmaligen Befristung nach Erreichen des Rentenalters ausging.328 Aus diesen Gründen ist es überzeugend, dass die Anforderungen der Befristungsrichtlinie erst ab der zweiten befristeten Beschäftigung nach Erreichen der Regelaltersgrenze Anwendung finden. 325
LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – 3 Sa 78/16, NZA-RR 2017, 290 (Rn. 16). EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 42 ff.) – John; BAG, Urt. v. 19. 11. 2011 – 7 AZR 253/07, NZA 2012, 1297 (Rn. 30); BAG, Urt. v. 8. 12. 2010 – 7 AZR 438/09, NZA 2011, 586 (Rn. 19 ff.); ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 56a. 327 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 42, 46) – John. 328 LAG Niedersachsen, Urt. v. 29. 11. 2016 – 10 Sa 218/16, ZTR 2017, S. 318 (319); Meinel/Heyn/Herms/Meinel, § 14 TzBfG, Rn. 235; Stoffels, in: FS Müller-Graff, S. 347 (355). 326
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Etwas anderes gilt, wenn das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund einer Altersgrenze, sondern aufgrund anderer Befristungstatbestände auf das Erreichen der Regelaltersgrenze befristet wurde und § 41 S. 3 SGB VI nur entsprechend angewandt wird. In diesem Fall gelten die besonderen Überlegungen in Bezug auf die Regelaltersgrenze nicht. Bereits die erste befristete Verlängerung unterläge damit den Anforderungen des § 5 der Rahmenvereinbarung zur Befristungsrichtlinie. bb) Beschränkung auf die Auslegung des Unionsrechts Weiterhin folgt die Zurückhaltung des EuGH im Hinblick auf eine abschließende Einordnung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter daraus, dass diese nicht die Auslegung des Unionsrechts betrifft. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens entscheidet der EuGH über die Auslegung des Unionsrechts und nicht über das nationale Recht und die Anwendung auf den konkreten Sachverhalt.329 Aus der Perspektive des Unionsrechts sind Altersgrenzen und damit auch ihre Verlängerung nicht zwingend als Befristungen einzuordnen. Vielmehr sind Altersgrenzen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet. So befasste sich der Gerichtshof bereits mit einer gesetzlichen Altersgrenze in Bulgarien330 und mit altersbezogenen Ausnahmen vom Kündigungsschutzrecht im Vereinigten Königreich331 und in Schweden.332 In den einzelnen Mitgliedstaaten ist der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand somit nicht in jedem Fall als Befristungskonstellation einzuordnen. Aus diesem Grund hängt die rechtliche Einordnung einer Altersgrenze und ihrer sogenannten „Verlängerung“ von der jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung ab und betrifft nicht die Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH. c) Zwischenergebnis Aus der Perspektive des Unionsrechts ist die Einordnung einer Altersgrenze und ihrer „Verlängerung“ als Befristung mithin nicht zwingend. Vielmehr hängt die rechtliche Einordnung von der Ausgestaltung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ab. Teilweise gelten gesetzliche Altersgrenzen, teilweise werden Altersgrenzen als Befristungen oder als Ausnahmen vom Geltungsbereich des Kündigungsschutzrechts vereinbart. Somit lässt sich erklären, dass der EuGH die abschließende Einordnung den nationalen Gerichten überließ. Für die deutsche Rechtslage bleibt es jedoch bei dem Ergebnis, dass sowohl Altersgren329 Calliess/Ruffert/Wegener,
EUV/AEUV, Art. 267 AEUV, Rn. 3 f. EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2010, I-11869 = NZA 2011, S. 29 – Georgiev. 331 EuGH, Urt. v. 5. 3. 2009 – C-388/07, Slg. 2009, I-1569 = NZA 2009, S. 305 – Age Concern. 332 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 − C-141/11, NZA 2012, S. 785 – Hörnfeldt. 330
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
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zen als auch anschließende befristete Verlängerungen rechtlich als Befristungen einzuordnen sind. 2. Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie Das Urteil befasst sich auch mit der zweiten Frage, ob § 41 S. 3 SGB VI den befristungsrechtlichen Anforderungen des § 5 der Rahmenvereinbarung genügt, sofern die befristete Weiterbeschäftigung als Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge eingeordnet wird.333 Diesbezüglich geht der EuGH davon aus, dass § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung § 41 S. 3 SGB VI nicht entgegensteht.334 Dieses Ergebnis ist im Hinblick auf die im vorausgehenden Abschnitt herausgearbeitete Systematik des europäischen Befristungsrechts zu hinterfragen. Für die Anforderungen der Befristungsrichtlinie an die befristete Weiterbeschäftigung ist zunächst maßgeblich, ob die Befristung im Rentenalter eine Sachgrundbefristung oder eine sachgrundlose Befristung darstellt. Die Gesetzesbegründung zu § 41 S. 3 SGB VI nimmt zu dieser Frage nicht Stellung.335 Da die Norm jedoch keine zeitlichen Beschränkungen aufweist, nimmt die rechtswissenschaftliche Literatur überwiegend das Vorliegen einer Sachgrundbefristung an.336 Auch der EuGH gibt ausschließlich die Anforderungen des § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung an Sachgrundbefristungen wieder.337 Aus diesen Gründen ist zu prüfen, ob die Befristung nach Erreichen des Rentenalters den Anforderungen an Sachgrundbefristungen genügt. a) Meinungsstand in der Literatur Ob § 41 S. 3 SGB VI den unionsrechtlichen Anforderungen an die Sachgrundbefristung genügt, war in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten. Auf der einen Seite wurde argumentiert, dass die Befristung im Rentenal333
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 47) – John. EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 57) – John. 335 Sprenger, BB 2016, S. 757 (759). 336 Bader, NZA 2014, S. 749; Beitz, P&R 2015, S. 78 (80); BeckOK-ArbR/Bayreuther, § 14 TzBfG, Rn. 72a; Giesen, ZfA 2014, S. 218 (236); Greiner, RdA 2018, S. 65 (70); Greiner, RdA 2018, S. 250 (252); Groeger, ZTR 2015, S. 115 (121); Klösel/Reitz, NZA 2014, 1366; Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (81); Kroll, ZTR 2016, S. 179 (182); Luzius, Altersgrenzen und der Fortbestand des Kündigungsschutzes nach dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters, S. 95; Meinel/Heyn/Herms/Meinel, § 14 TzBfG, Rn. 235; HWK/Ricken, § 41 SGB VI, Rn. 19 offenlassend APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 62; grds. zum Sachgrund „Rentenalter“ Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 221. 337 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 53) – John. 334
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
ter das sozialpolitische Ziel verfolge, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu fördern. Diese Aspekte seien im Befristungsmerkmal „Rentenalter“ integriert.338 Auch strahle der Sachgrund der Altersgrenzen, zumindest für einen bestimmten Zeitraum, auch auf nachfolgende Befristungen aus.339 Zuletzt könne die Art der ausgeführten Tätigkeit aufgrund einer langjährigen Berufserfahrung den Sachgrund begründen.340 Aus einer Urteilspassage in der Rechtssache Hörnfeldt, die darlegte, dass Rentner nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund einer Altersgrenze auch befristet weiterarbeiten können,341 wurde teilweise abgeleitet, dass der Gerichtshof allgemein von der Zulässigkeit von Befristungen im Rentenalter ausgehe.342 Auf der anderen Seite wurde vertreten, dass allein das Lebensalter des Arbeitnehmers kein Sachgrund für eine Befristung ist.343 Zunächst gelten die Voraussetzungen in § 5 der Rahmenvereinbarung für alle Arbeitnehmer i. S. d. § 2 Nr. 1 und damit auch für rentenberechtigte Arbeitnehmer.344 Wäre das Lebensalter selbst ein Sachgrund für Befristungen, könnten bestimmte Altersgruppen aus dem Befristungsschutz ausgenommen werden. Weiterhin hat das Lebensalter weder einen Bezug zum konkreten Arbeitsverhältnis, noch zu einer Tätigkeit vorübergehender Art.345 Es handele sich vielmehr um den „Anlass“ oder das „sozialpolitische Motiv“ der Befristung.346 Aus diesem Grund passe der Sachgrund Rentenalter nicht zu den übrigen Sachgründen des § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG und es bestehe eine Nähe zu den Tatbeständen der sachgrundlosen Befristung aus 338 Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 220. 339 Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2760); Greiner, RdA 2019, S. 65 (70); Groeger, ZTR 2015, S. 115 (121); Kroll/Meyer-Lang, ZTR 2017, S. 700 (703 f.). 340 Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 220. 341 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 − C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 41) – Hörnfeldt: „Zum anderen hat die schwedische Regierung vorgetragen, dass der Arbeitgeber, wenn das Arbeitsverhältnis beendet werde, dem betreffenden Arbeitnehmer ein befristetes Arbeitsverhältnis anbieten könne. Der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer könnten die Dauer dieses Verhältnisses frei vereinbaren und es erforderlichenfalls auch verlängern.“ 342 Bauer/Gottschalk, BB 2013, S. 501 (503); Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2759); ders., NZA-Beil. 2015, S. 84 (87); Giesen, ZfA 2014, S. 217 (233); Klösel/Reitz, NZA 2014, S. 1366 (1368). 343 Boecken/Joussen/Boecken, § 41 SGB VI, Rn. 7; ErfK/Rolfs, 18. Aufl., § 41 SGB VI, Rn. 22; Sprenger, BB 2016, S. 757 (759); Stoffels, in: FS Müller-Graff, S. 347 (356 f.); Vollstädt, AuA 2017, S. 85; Waltermann, RdA 2015, S. 343 (348). 344 So Preis/Gotthardt, ZESAR 2002, S. 13 (17). 345 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (73, 78 f.). 346 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (348).
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beschäftigungspolitischen Gründen.347 Weiterhin gebe das kurze obiter dictum in der Rechtssache Hörnfeldt allein die Argumentation der schwedischen Regierung wieder.348 b) Anforderungen an Sachgrundbefristungen Die verschiedenen Ansichten belegen, dass sich die Einordnung der Befristung im Rentenalter in die Sachgrundsystematik schwierig gestaltet. Anhand der im vorherigen Abschnitt herausgearbeiteten Sachgrundmerkmale der gerichtlichen Überprüfbarkeit, des Tätigkeitsbezugs und des vorübergehenden Charakters der Beschäftigung wird daher geprüft, ob das Merkmal „Rentenalter“ den Anforderungen genügt. Im Anschluss wird der Frage nachgegangen, ob die besonderen sozialpolitischen Ziele der erleichterten Befristung im Rentenalter einen Sachgrund begründen. aa) Gerichtliche Überprüfbarkeit Nach den Grundsätzen, die aus den oben genannten Entscheidungen zum Befristungsrecht abgeleitet wurden, müssten genau bezeichnete, konkrete Umstände eine gerichtliche Überprüfung des Sachgrunds ermöglichen. Das Erreichen des Rentenalters ist zunächst eindeutig überprüfbar. Jedoch kann insoweit nur festgestellt werden, ob die Regelung § 41 S. 3 SGB VI überhaupt Anwendung findet. Nicht überprüfbar sind die zugrundeliegenden Motive der Arbeitsvertragsparteien, um festzustellen, ob die Befristung den sozialpolitischen Zielen des Gesetzgebers bei Einführung der Weiterbeschäftigung entspricht. In der Gesetzesbegründung werden die Zielsetzungen genannt, eine Überbrückung bis zur Nachbesetzung einer Stelle zu ermöglichen, ein begonnenes Projekt abzuschließen und den jeweiligen Nachfolger in die Tätigkeit einzuarbeiten.349 Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI enthält hingegen keine überprüfbaren Tatbestandsmerkmale, um festzustellen, „ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet und insoweit erforderlich ist.“350 Die entsprechen347 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (78); Waltermann, RdA 2015, S. 343 (347 f.). 348 Gem. § 5 Nr. 4 Lagen om anställningsskydd (LAS), Schwedisches Kündigungsschutzgesetz, liegt ein Sachgrund für eine Befristung vor, wenn der Arbeitnehmer das 67. Lebensjahr beendete; vgl. Gotthardt, EuZA 2013, S. 268 (276 f.) m. w. N.; Gräf, in: Latzel/ Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (88 f.); APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 56; Staudinger/Preis, § 620 BGB, Rn. 144c. 349 BT-Drs. 18/1489, S. 25. 350 EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, Slg. 2006, I-6057 (Rn. 74) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70/EG (Rn. 69 f.) – Adeneler.
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den Gründe und Motive können im Fall einer Befristung im Rentenalter zwar zufällig vorliegen, sie sind jedoch keine zwingende Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Befristung. Aus der Entscheidung Kommission/Luxemburg folgt jedoch, dass allein das zufällige Vorliegen von Merkmalen nicht genügt. Im Hinblick auf die ähnlich strukturierte Regelung des § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. führte Schlachter aus, dass der Missbrauch durch befristete Arbeitsverhältnisse nicht verhindert werden könne, wenn eine Befristungsnorm allein ein bestimmtes Lebensalter voraussetzt. Auf jüngere Arbeitnehmer findet eine Befristungsregelung, die ein höheres Alter voraussetzt, ohnehin keine Anwendung.351 Wenn ältere Arbeitnehmer einmal unter den altersbezogenen Anwendungsbereich der Befristungsnorm fallen, werden Befristungsketten nicht weitergehend begrenzt.352 Eine inhaltliche Beschränkung erfolgt nur dann, wenn zusätzlich zum Lebensalter an die spezifische Arbeitsmarktsituation einer Altersgruppe oder die individuelle Situation des Arbeitnehmers angeknüpft wird.353 Nach diesen Grundsätzen enthält die Regelung zur Befristung im Rentenalter keine über das Alter hinausgehenden gerichtlich überprüfbaren Tatbestandsmerkmale, die eine effektive Einschränkung von Befristungsketten ermöglichen. Aufgrund des offenen Wortlauts ist jede unmittelbar anschließende Befristung im Rentenalter unabhängig von ihrer Dauer und ihrem Anlass zulässig. bb) Tätigkeitsbezug Weiterhin wäre ein Bezug des Sachgrunds zu einer konkreten ausgeführten Tätigkeit erforderlich. Die Gesichtspunkte, die zur Rechtfertigung einer Befristung im Rentenalter angeführt werden, wie die Absicherung durch eine Altersrente oder die drohende Abnahme der Leistungsfähigkeit, sind jedoch unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit. Die bei einer Weiterbeschäftigung im Rentenalter ausgeführten Tätigkeiten können nicht verallgemeinert werden, da die Motive der Weiterarbeit ebenso vielfältig sind, wie die im Einzelnen übertragenen Arbeitsaufgaben.354 Auch aus dem Begriff des „Hinausschiebens“ der Altersgrenze können keine tätigkeitsbezogenen Implikationen abgeleitet werden. Der Gesetzgeber ging in der Gesetzesbegründung zwar davon aus, eine Weiterbeschäftigung erfolge zum Abschluss eines Projekts oder zur Einarbeitung des Nachfolgers. Die konkrete Befristungsregelung enthält jedoch keine entsprechenden Tatbestandsmerkmale, 351
Zu § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. Schlachter, RdA 2004, S. 352 (354). Schlachter, RdA 2004, S. 352 (354). 353 Schlachter, RdA 2004, S. 352 (354); a. A. Koberski, NZA 2005, S. 79 (80 f.), der vom Alter als immanenter Sachgrund ausgeht. 354 Anders Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 220 f. 352
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die auf eine konkrete Tätigkeit im Rentenalter Bezug nehmen. Eine Weiterbeschäftigung kann damit zwar den genannten Zielen dienen. Allein aufgrund des Wortlauts von § 41 S. 3 SGB VI wären Befristungen im Rentenalter jedoch auch zulässig, wenn der Arbeitgeber flexibel auf Arbeitskräfte zurückgreifen möchte. (1) Änderung von Arbeitsbedingungen Der EuGH stellt in der Entscheidung John weiterhin auf den Gesichtspunkt ab, dass auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI eine nahtlose und – nach Auffassung des Gerichtshofs355 – inhaltlich unveränderte Weiterführung des Arbeitsverhältnisses erfolgen müsse.356 Die konkreten Beschäftigungsbedingungen werden als Argument dafür anführt, dass die befristete Weiterbeschäftigung eine starke Verbindung mit dem vorausgegangenen Arbeitsverhältnis haben muss und nicht flächendeckend zum Einsatz kommen kann. Die Argumentation mit den konkreten Bedingungen der Weiterarbeit ist im unionsrechtlichen Befristungsrecht untypisch. Die Argumentation, dass atypische Befristungskonstellationen leichter gerechtfertigt werden können, wurde jedoch auch in der Rechtssache Márquez Samohano relevant.357 Diese Entscheidung betraf jedoch die Beschäftigtengruppe der nebenberuflichen Assistenzprofessoren, die sich durch ein besonderes Tätigkeitsprofil klar abgrenzte. Bei weiterbeschäftigten Rentnern bestehen solche Tätigkeitsmerkmale gerade nicht. Vielmehr werden alle Beschäftigten der jeweiligen Altersgruppe aus dem Befristungsschutz herausgenommen, unabhängig davon ob die konkrete Tätigkeit an sich eine befristete Beschäftigung erfordert. Aus diesem Grund können die Wertungen der Márquez-Entscheidung nicht übertragen werden. (2) Zwischenergebnis Die vom EuGH angenommene Unzulässigkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen spricht nicht für das Vorliegen eines Sachgrunds für eine Befristung. Der unionsrechtliche Sachgrund dient der Differenzierung zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen, die erforderlich wird, weil befristete Arbeitsverhältnisse nach den Wertungen der Richtlinie eine Ausnahme vom unbefristeten Normalarbeitsverhältnis darstellen. Daher können nur Gesichtspunkte relevant werden, die eine Ausnahme vom üblicherweise geltenden arbeitsrechtlichen Bestandsschutz begründen. Die Beibehaltung der zuvor geltenden Arbeitsbedingungen kann den Schutz der Arbeitnehmer vor ungewollten Vertragsänderungen 355 Vorliegend wird davon ausgegangen, dass eine Änderung der Arbeitsbedingungen zulässig ist, vgl. Kapitel 2 B.IV.3.b)cc)(2). 356 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 56) – John. 357 Vertiefend Kapitel 3 C.II.4.
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zwar erhöhen, begründet jedoch nicht für sich alleine, warum eine Ausnahme vom Bestandsschutz anzuerkennen ist. Dies zeigt sich bereits daran, dass gleichbleibende Arbeitsbedingungen auch für jüngere Arbeitnehmer keine neue Befristung rechtfertigen können. Hierfür wären vielmehr Umstände maßgeblich, die sich aus der konkreten Tätigkeit oder einem vorübergehenden Beschäftigungsbedarf ergeben. cc) Vorübergehender Beschäftigungsbedarf Das dritte Merkmal des Sachgrunds, der vorübergehende Beschäftigungsbedarf, muss ebenfalls in einem Zusammenhang mit der ausgeführten Tätigkeit stehen. Ansonsten wäre das Merkmal nicht gerichtlich überprüfbar. Ein zeitlich begrenzter Beschäftigungsbedarf kann sich nur aus der Tätigkeit des konkreten Arbeitnehmers ergeben. Das reine Interesse des Arbeitgebers an einer zeitlich befristeten Beschäftigung genügt nicht. Dies ergibt sich im Hinblick auf das deutsche Befristungsrecht bereits daraus, dass nur bei einem ausdrücklichen Befristungswunsch des Arbeitnehmers § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG eingreift. Dem Wunsch des Arbeitgebers, unabhängig von der jeweiligen Tätigkeit eine Befristung zu vereinbaren, trägt allein die sachgrundlose Befristung in engen zeitlichen Grenzen Rechnung. Bei einer Weiterarbeit im Rentenalter bestehen keine tätigkeitsbezogenen Merkmale, die stets für einen vorübergehenden Beschäftigungsbedarf sprechen. Das zu erwartende Ausscheiden aus der Berufstätigkeit nach Erreichen des Rentenalters ist ein alters- und kein tätigkeitsbezogenes Phänomen. Der allgemeine Verweis darauf, dass jedes Arbeitsverhältnis sachnotwendig irgendwann ende, könnte in seiner Verallgemeinerung die Ansätze des europäischen Befristungsschutzes vollständig aushebeln.358 Es müssen vielmehr einschränkende Tatbestandsmerkmale den vorübergehenden Bedarf an der Tätigkeit des Arbeitnehmers sicherstellen. Dies wäre der Fall, wenn eine Weiterbeschäftigung nur zum Abschluss eines begonnenen Projekts oder zur Überbrückung zulässig wäre. dd) Zwischenergebnis Es ist somit festzustellen, dass § 41 S. 3 SGB VI den oben abgeleiteten unionsrechtlichen Anforderungen an den Sachgrund nicht genügt. Es bestehen weder gerichtlich überprüfbare Tatbestandsmerkmale, noch wird eine konkrete Tätigkeit im Rahmen der befristeten Weiterbeschäftigung gefordert. Überraschend ist, dass die EuGH-Entscheidung John nicht auf die genannten Kriterien oder die vorausgegangenen befristungsrechtlichen Entscheidungen eingeht. Es wird allein die Definition des Sachgrunds zitiert, die auf die Ent358
Zu § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. Schlachter, RdA 2004, S. 352 (354).
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scheidung Adeneler zurückgeht.359 Eine Subsumtion oder inhaltliche Auseinandersetzung mit den genannten Merkmalen erfolgt nicht. Vielmehr benennt der Gerichtshof drei Aspekte, die eine Unterscheidung der Erwerbsarbeit vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze begründen sollen. Ob eine solche grundlegende Unterscheidung anzuerkennen ist, wird im folgenden Abschnitt IV. untersucht. Zuvor soll jedoch geprüft werden, ob sich ein Sachgrund allein aus der besonderen sozialpolitischen Zielsetzung der Weiterarbeit im Rentenalter ergeben kann. ee) Sozialpolitische Ziele der Befristung im Rentenalter In der Rechtssache John erfolgte keine Auseinandersetzung mit den sozialpolitischen Zielen der Weiterarbeit. Dennoch wird der Gesichtspunkt der Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer relevant, weil die Möglichkeit der Befristung im Rentenalter auch das sozialpolitische Ziel verfolgt, die Beschäftigung von Rentnern durch eine rechtssichere Ausgestaltung der Weiterarbeit zu fördern.360 Die erleichtere Befristungsmöglichkeit soll dem längeren Verbleib älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt dienen und Beschäftigungshindernisse reduzieren. Die befristete Weiterbeschäftigung kann damit auch unfreiwillige Unterbrechungen der Berufstätigkeit verhindern, aufgrund derer die Qualifikation älterer Arbeitnehmer abnimmt.361 Das Ziel der Beschäftigungsförderung ist in der Rechtsprechung des EuGH bereits anerkannt. In der Rechtssache Mangold stellte der Gerichtshof zur Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie fest, dass die schrittweise Absenkung des Alters, ab dem die sachgrundlose Befristung älterer Arbeitnehmer möglich ist, die Beschäftigung älterer Menschen in Deutschland fördern könne.362 Nach der vorliegend vertretenen Ansicht überzeugt es jedoch nicht, einen Sachgrund für die Befristung im Rentenalter allein mit sozialpolitischen Gesichtspunkten zu begründen. Zunächst verfolgte der Gesetzgeber mit der Einführung von § 41 S. 3 SGB VI nicht ausschließlich sozialpolitische Ziele der Beschäftigungsförderung. Vielmehr werden Beispiele für die Anwendung der Norm genannt, wie die Überbrückung bis zur Nachbesetzung einer Stelle oder bis zum Abschluss eines Projekts, die unter dem Oberbegriff der Personalplanung zusammengefasst werden können.363 Diese Gesichtspunkte stehen nicht zwingend im Zusammenhang mit der Beschäftigungsförderung rentenberechtigter Arbeitnehmer. 359
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 53) – John. BT-Drs. 18/1489, S. 25. 361 Vgl. Numhauser-Henning (2013) 4 ELLJ, S. 84 (95 f.). 362 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 53) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 53) – Mangold; Waas, ZESAR 2006, S. 289 (290). 363 BT-Drs. 18/1489, S. 25. 360
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Zudem liegen bei einer befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter nicht in jedem Fall sozialpolitische Gesichtspunkte vor, die eine Befristung rechtfertigen. So sind es häufig gut qualifizierte Berufstätige, die über das Rentenalter hinaus weiterarbeiten. Über die Befristungsmöglichkeit hinaus gibt es damit weitere Umstände, wie z. B. die Fähigkeiten und Erfahrungen der älteren Arbeitnehmer oder akute Personalengpässe, die für eine Weiterbeschäftigung ausschlaggebend sein können. Aus diesem Grund ist bei Rentnern nicht grundsätzlich anzunehmen, dass allein die Befristungsmöglichkeit Anreize zur Weiterbeschäftigung setzt. Weiterhin ist die Annahme eines Sachgrunds aus sozialpolitischen Gründen aufgrund des Alters des Arbeitnehmers auch nicht ohne Weiteres mit der Systematik des deutschen und europäischen Befristungsrechts vereinbar. Im deutschen Befristungsrecht entspricht es vielmehr der Zielsetzung der zeitlich begrenzten sachgrundlosen Befristung, Befristungen aus beschäftigungspolitischen Gründen ohne überprüfbare Tatbestandsvoraussetzungen zuzulassen.364 Sachgrundbefristungen verfolgen hingegen nur mittelbar das Ziel der Beschäftigungsförderung, wenn in bestimmten und überprüfbaren Konstellationen einem begrenzten Beschäftigungsbedarf Rechnung getragen wird. Aus diesem Grund werden auch andere altersbezogene Befristungsvorschriften zur Beschäftigungsförderung, wie § 14 Abs. 3 TzBfG, in die Kategorie der sachgrundlosen Befristung eingeordnet, weil sie einer vermuteten Einstellungshemmung der Arbeitgeber Rechnung tragen.365 Geringere Befristungsanforderungen im Rahmen der Sachgrundbefristung können auch nicht überzeugend damit begründet werden, dass anderenfalls von der Möglichkeit zur befristeten Weiterbeschäftigung kein Gebrauch gemacht werde.366 Mit dieser Argumentation könnte jede Absenkung des Bestandsschutzes gerechtfertigt werden. Das Risiko, dass ein Arbeitnehmer aufgrund der mit den Tatbestandsvoraussetzungen von Sachgründen verbundenen Rechtsunsicherheit nicht weiterbeschäftigt wird, ist für Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters nicht höher als für jüngere Arbeitnehmer.367 Diese Folge nahm der europäische Gesetzgeber durch Erlass der Befristungsrichtlinie jedoch in Kauf.368 Auch nach der Systematik des europäischen Befristungsrechts müssen neben dem Erreichen des Rentenalters noch weitere sozialpolitische Gesichtspunkte, wie 364 Ebenso
Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (78 f.). Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (78 f.). 366 Anders LAG Niedersachsen, Urt. v. 29. 11. 2016 – 10 Sa 218/16, ZTR 2017, S. 318 (319 f.); Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (81). 367 Zu § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (617). 368 Zu § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. Kerwer, NZA 2002, S. 1316 (1317). 365
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z. B. eine längere Arbeitslosigkeit, die Befristung rechtfertigen.369 So setzte auch Generalanwältin Kokott in ihrem Schlussantrag in der Rechtssache Adeneler voraus, dass „ein sachlicher Grund auch etwa in dem Bestreben liegen [kann], bestimmte Personengruppen – etwa Langzeitarbeitslose oder Arbeitslose, die eine bestimmte Altersgrenze überschritten haben – wieder in das Berufsleben einzugliedern.“370 Wenn das Erreichen eines bestimmten Alters automatisch mit einem Befristungsgrund aus sozialpolitischen Gründen gleichgesetzt würde, könnte der Befristungsschutz für eine bestimmte Altersgruppe vollständig ausgehebelt werden. Generalanwalt Tizzano äußerte in seinem Schlussantrag zur Rechtssache Mangold ähnliche Bedenken. Den Arbeitnehmern werde der Einstieg in die Beschäftigung erleichtert, jedoch „um den Preis des grundsätzlichen dauerhaften Ausschlusses von der Garantie des unbefristeten Arbeitsvertrags, der doch nach der Absicht der Sozialpartner […] „die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses“ bleiben muss“.371 Diese Kritik geht in die Richtung des Ansatzes von Schlachter, wonach auch bei älteren Arbeitnehmern nach Erreichen des maßgeblichen Alters eine weitergehende Befristungskontrolle erfolgen müsse. ff) Ergebnis Nach den Wertungen der Befristungsrichtlinie müssten auch bei der Weiterbeschäftigung im Rentenalter objektiv nachprüfbare Umstände die dringende Erforderlichkeit der Förderung einer längeren Berufstätigkeit belegen. Dies könnte durch Anknüpfung an die vorausgegangene Beschäftigungslosigkeit, eine geringe Altersrente unter dem Niveau der Grundsicherung oder branchenspezifische Besonderheiten geschehen. Anhand des Lebensalters oder des Rentenanspruchs kann das Vorliegen der entsprechenden Merkmale nicht überprüft werden. Aus diesen Gründen folgt aus den sozialpolitischen Zielen allein kein Sachgrund für die Befristung im Rentenalter auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI. Die Vorschrift genügt nach hier vertretener Ansicht damit den unionsrechtlichen Anforderungen an einen Befristungsgrund nicht. c) Anforderungen der Richtlinie an sachgrundlose Befristungen Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI kann auch nicht alternativ als sachgrundlose Befristung eingeordnet werden. Bei sachgrundlosen Befristungen sind Beschränkungen bezüglich der Anzahl der möglichen Verlängerungen oder der Gesamtdauer des befristeten Beschäftigungsverhältnisses erforderlich (§ 5 Nr. 1 369
Schlachter/Vaitkeviciute, EuZA 2016, S. 283 (293). Kokott, Schlussanträge v. 27. 10. 2005 – C-212/04, Slg. 2005, I-6062 (Rn. 57) – Adeneler. 371 Generalanwalt Tizzano, Schlussanträge v. 30. 6. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9985 (Rn. 95) – Mangold; Preis, NZA 2005, S. 714. 370 Generalanwältin
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lit. b und lit. c der Rahmenvereinbarung). Die Gesetzesbegründung betont zwar, dass § 41 S. 3 SGB VI eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses für „einen von vorneherein bestimmten Zeitraum“ ermöglichen soll.372 Diese Absicht des Gesetzgebers findet sich im Wortlaut der Norm jedoch nicht wieder, da § 41 S. 3 SGB VI keine zeitlichen Beschränkungen enthält.373 Dies unterscheidet § 41 S. 3 SGB VI von § 14 Abs. 3 S. 2 TzBfG, der eine maximale Befristungsdauer von fünf Jahren zulässt.374 Es kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass die Weiterarbeit aufgrund des zu erwartenden Ausscheidens aus dem Berufsleben sachnotwendig zeitlich befristet ist. Solche impliziten Begrenzungen genügen den Anforderungen der Rahmenvereinbarung nicht. Die Umsetzungsakte müssen klar und bestimmt sein, damit der Rechtsadressat die rechtlichen Anforderungen eindeutig erkennen kann.375 d) Schlussfolgerung Auf Grundlage der vorausgegangenen Untersuchung der Systematik des europäischen Befristungsrechts ist festzustellen, dass die Regelung den unionsrechtlichen Anforderungen an Sachgrundbefristungen nicht ohne Weiteres genügt. Insbesondere ist das Erreichen der Altersgrenze auf Grundlage der genannten Kriterien kein Sachgrund für eine Befristung. Somit ist die Schlussfolgerung des EuGH in der Rechtssache John, dass § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die eine zeitlich und inhaltlich unbeschränkte Befristung nach Erreichen des Rentenalters zulässt, zu hinterfragen. 3. Abgestufter Befristungsschutz von Arbeitnehmern im Rentenalter Etwas anderes könnte jedoch angenommen werden, wenn aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters von weiterarbeitenden Rentnern grundlegend andere Anforderungen an den Bestands- und Befristungsschutz im Arbeitsverhältnis gestellt werden. Aus diesem Grund wirft das Urteil des EuGH in der Rechtssache John die dritte Frage auf, ob es sich bei Arbeitnehmern nach Erreichen einer Altersgrenze um eine besondere Kategorie von Arbeitnehmern handelt, für die abgesenkte Befristungsanforderungen gelten. 372
BT Drs. 18/1489, S. 25. Bader, NZA 2014, S. 749 (752); Greiner, RdA 2018, S. 65 (69 f.); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 170; Stoffels, in: FS Müller-Graff, S. 347 (355). 374 Heinz, BB 2016, S. 2037 (2040). 375 EuGH, Urt. v. 10. 5. 2001 – C-144/99, Slg. 2001, I-3541 (Rn. 17) – Kommission/ Niederlande; EuGH, Urt. v. 23. 3. 1995 – C-365/93, Slg. 1995, I-499 (Rn. 9) – Kommission/ Griechenland; Schlachter, RdA 2004, S. 352 (354). 373
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Das EuGH-Urteil in der Rechtssache John scheint von der grundsätzlichen Erwägung auszugehen, dass nach Erreichen der Regelaltersgrenze andere Anforderungen an den Bestands- und Befristungsschutz zu stellen sind. Aus diesem Grund ging die Urteilsbegründung auch nicht auf die oben genannten Anforderungen der Richtlinie an Befristungen ein, sondern betonte ausschließlich die Besonderheiten der Weiterbeschäftigung im Rentenalter.376 Es wird im Wesentlichen argumentiert, dass sich jüngere Arbeitnehmer und Arbeitnehmer im Rentenalter im Hinblick auf soziale Gesichtspunkte und die weitere Dauer des Berufslebens wesentlich unterscheiden.377 Die Rechtfertigung allgemeiner vertraglicher Altersgrenzen wird damit auch auf spätere Befristungen nach Erreichen des Rentenalters übertragen. Um diesen Ansatz zu bewerten, werden nachfolgend die Argumente für und gegen einen abgestuften Befristungsschutz im Rentenalter untersucht. Im Anschluss wird abgewogen, ob aufgrund der finanziellen Absicherung im Rentenalter und des fortgeschrittenen Lebensalters strukturelle Unterschiede zu üblichen Beschäftigungsverhältnissen bestehen, die unterschiedliche Maßstäbe der Befristungskontrolle rechtfertigen. a) Argumente für abgestufte Befristungsanforderungen Für einen abgestuften Befristungsschutz könnten auch einzelne Passagen der Urteile des EuGH in den Rechtssachen Mangold und Georgiev sprechen, die zur Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG ergingen.378 In der Rechtssache Georgiev schied ein bulgarischer Universitätsprofessor nach Erreichen des 68. Lebensjahrs aus dem Beschäftigungsverhältnis aus, nachdem die geltende Altersgrenze um maximal drei Jahre verlängert wurde. Während der EuGH im Mangold-Urteil von einer unverhältnismäßigen Benachteiligung älterer Arbeitnehmer ausging, wurde die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung wegen des Alters in der Rechtssache Georgiev auch mit dem wesentlich höheren Lebensalter des ausscheidenden Arbeitnehmers begründet.379 Daneben sollte auch jüngeren Professoren ein Zugang zu begrenzten Hochschulstellen ermöglicht werden.380 Die Befristung im Rentenalter könnte sich daher positiv für die Beschäftigungs376
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 54 – 56) – John. EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 54) – John. 378 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 60) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 64 f.) – Mangold; EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2010, I-11869 (Rn. 59 ff.) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 59 ff.) – Georgiev. 379 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2010, I-11869 (Rn. 63) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 63) – Georgiev. 380 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2010, I-11869 (Rn. 61) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 61) – Georgiev. 377
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
situation jüngerer Arbeitnehmer auswirken. Das Ausscheiden rentenberechtigter Arbeitnehmer erfolgt zwar verzögert, jedoch nur um eine bestimmte Dauer.381 Zudem wird argumentiert, dass Rentner aufgrund von Altersgrenzen ohnehin aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden müssten und die Option der befristeten Weiterarbeit damit zur einer Besserstellung der Arbeitnehmer führe.382 Weiterhin spielen die fehlenden Alternativen zu einer befristeten Weiterbeschäftigung eine Rolle, da sich ein Arbeitnehmer im Rentenalter „regelmäßig am Ende seines Arbeitslebens befindet und er damit im Hinblick auf die Befristung nicht vor der Alternative eines ansonsten unbefristeten Arbeitsverhältnisses steht“.383 Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen weiterarbeitende Rentner ihre Altersrente weiter. Anders als bei jüngeren Arbeitnehmern besteht daher kein alternatives Regelarbeitsverhältnis.384 Auch der deutsche Gesetzgeber schien davon auszugehen, dass im Rentenalter keine „reguläre“ Arbeit mehr stattfindet, sondern eine solche mit reduziertem Bestandsschutz.385 Gründe hierfür seien die absehbar abnehmende Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers mit Erreichen des Rentenalters und die Übergangsfunktion der Weiterbeschäftigung, um kurzzeitige Personalengpässe, Projektabschlüsse oder Einarbeitungsphasen zu überbrücken.386 Weiterhin könnte nach Erreichen des Rentenalters darauf abgestellt werden, dass die Ziele der Befristungsrichtlinie nicht mehr eingreifen. Der EuGH lässt in der Rechtssache John erkennen, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Befristungsregelung für Rentner systematisch zu einer „Prekarisierung der Lage der betreffenden Arbeitnehmer“ führen kann.387 Das Risiko der Arbeitslosigkeit oder einer dauerhaften prekären Beschäftigung bestehe im Rentenalter nicht mehr.388 Anders als bei jüngeren Arbeitnehmern bilden Befristungen im Rentenalter auch keine Brücke in die Dauerbeschäftigung.389 Angesichts der mit 67 Jahren recht 381
Klösel/Reitz, NZA 2014, S. 1366 (1368). EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 29, 55) – John; Bauer/ Gottschalk, BB 2013, S. 501 (503); Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945 (951); Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2760); Klösel/Reitz, NZA 2014, S. 1366 (1368); Stoffels, in: Rieble/ Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (64 ff.). 383 LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – Sa 78/16, NZA-RR 2017, S. 290 (Rn. 31). 384 Kroll, ZTR 2016, S. 169 (187); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeitsund sozialrechtlichen Aspekten, S. 221. 385 Vgl. APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 4; Greiner, RdA 2018, S. 65 (67); W. Schmidt, RVaktuell 2017, S. 215 (216). 386 Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (87). 387 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 46) – John. 388 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (349); ähnlich Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 221. 389 Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (80). 382
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
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hoch liegenden Regelaltersgrenze, die in Zukunft gegebenenfalls weiter ansteigen wird, wird es nur selten vorkommen, dass Arbeitnehmer im Rentenalter ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anstreben.390 b) Argumente gegen abgestufte Befristungsanforderungen Auf der anderen Seite kann die Abstufung der Befristungsanforderungen bei Rentnerarbeitsverhältnissen infrage gestellt werden. Die Bezugnahme auf Altersgrenzen, aufgrund derer Arbeitnehmer ohnehin aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheiden müssen, berücksichtigt nicht, dass eine befristete Weiterbeschäftigung im Rentenalter keinesfalls nur günstig für Arbeitnehmer ist.391 Das Hinausschieben der Altersgrenze begründet ein selbstständiges befristetes Arbeitsverhältnis, in welchem wie bei jüngeren Arbeitnehmern auch ein Anspruch auf Gleichbehandlung und Befristungsschutz besteht. Gegen beschäftigungspolitische Argumente wird eingewandt, dass die Beschäftigungsförderung durch die Befristungsregelung nur vermutet wird.392 Bader befürchtet sogar einen gegenteiligen Effekt für jüngere Arbeitnehmer, der sich aus der Privilegierung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer ableitet.393 Auch stellt sich die Frage, ob das Interesse an Beschäftigungsverhältnissen ohne Befristungsschutz aus beschäftigungspolitischen Gründen berechtigt ist.394 Hieraus könnte ein Dammbruchargument dahingehend abgeleitet werden, dass sämtliche arbeitsrechtliche Einschränkungen aus beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten abzulehnen wären. Das Argument, dass weiterarbeitende Rentner finanziell abgesichert sind, wird unter Hinweis auf das zum Teil niedrige Rentenniveau kritisiert. Wenn der Rentenanspruch unter dem Niveau der Grundsicherung im Alter (§ 41 ff. SGB XII) liegt, sind Rentner ebenso wie länger beschäftigungslose jüngere Arbeitnehmer auf sozialrechtliche Leistungen angewiesen.395 c) Abwägung Im Folgenden werden die Positionen zu den Maßstäben des Bestandsschutzes im Rentenalter gegenübergestellt. 390
Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (87). Bader, NZA 2014, S. 749 (752). 392 Zu § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 339; Däubler, ZIP 2000, S. 1961 (1967) verweist auf gesunkene Beschäftigungszahlen älterer Arbeitnehmer nach Einführung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit im BeschFG; Schlachter, RdA 2004, S. 352. 393 Bader, NZA 2014, S. 749 (752); vgl. auch APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 54. 394 Kamanabrou, NZA 2016, S. 385 (389); Waltermann, RdA 2015, S. 343 (349). 395 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (83). 391
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
aa) Finanzielle Absicherung Zunächst spricht die finanzielle Absicherung von weiterbeschäftigten Rentnern nicht zwingend für andere Rechtfertigungsmaßstäbe im Befristungsrecht. Eine ausreichende finanzielle Absicherung hängt vielmehr von der jeweiligen Rentenhöhe im Einzelfall ab. Die statistischen Daten zeigen, dass häufig Rentner mit sehr geringen Altersrenten weiterarbeiten, die gerade nicht ausreichend finanziell abgesichert sind.396 Weiterhin besteht, anders als bei der Rechtfertigung von Altersgrenzen, kein Grund für eine abstrakte Betrachtung der wirtschaftlichen Absicherung unabhängig von der konkreten Rentenhöhe im Einzelfall. Vor einer Weiterbeschäftigung ist das konkrete Rentenniveau bereits prognostizierbar. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Tatsache, dass die Weiterarbeit im Rentenalter häufig dem Hinzuverdienst dient und in einem geringeren zeitlichen Umfang erfolgt. Aus den Äußerungen des EuGH in der Rechtssache Márquez Samohano zu einer befristeten Nebentätigkeit als Teilzeit-Assistenzprofessor kann nicht abgeleitet werden, dass bei entsprechenden Beschäftigungsformen weniger strenge Maßstäbe gelten. Unter den Schutz des Unionsrechts fallen nicht nur Vollzeitbeschäftigungen.397 Die Befristungsrichtlinie sieht aufgrund ihres umfassenden Anwendungsbereichs gerade keine abgesenkten Anforderungen bei Zuverdienst-Arbeitsverhältnissen vor. Weiterhin können, ausgehend von einer Konkurrenzsituation der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt, Regelungen für Zuverdienst-Arbeitsverhältnisse Auswirkungen auf den übrigen Arbeitsmarkt haben.398 Dies gilt insbesondere, wenn hinzuverdienende Rentner gegenüber einer niedrigen Bezahlung unempfindlicher sind als jüngere Arbeitnehmer.399 Zuletzt ist es im Arbeitsrecht systemfremd, die wirtschaftliche Absicherung zu berücksichtigen. Dies beginnt schon mit der Problematik festzulegen, welche Einkommensarten relevant sind. Auch berücksichtigt der Verweis auf die finanzielle Absicherung im Rentenalter nicht, dass die Weiterarbeit ein Element der gemäß Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsentfaltung ist.400 Dieser Gesichtspunkt spielt gerade bei der Weiterarbeit aus ideellen Gründen eine erhebliche Rolle.
396 Vgl. Gasche, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], 2013, S. 15 (27 f.). 397 Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (27). 398 Grds. Wiedemann, in: FS Otto, S. 609 (617). 399 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345). 400 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (352); vertiefend ders., Berufsfreiheit im Alter, S. 35 ff.
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
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bb) Altersgrenzen Auch das Kernargument des EuGH-Urteils John, dass die befristete Weiterbeschäftigung eine zulässige Ausnahme von allgemeinen Altersgrenzen ist,401 überzeugt kaum. Wie im vorausgegangenen Kapitel dargestellt, können zwei verschiedene Befristungen nicht unter Rückgriff auf dieselben Argumente gerechtfertigt werden.402 Es ist auch wenig überzeugend, Altersgrenzen unter Rückgriff auf die Option zur Weiterarbeit und die befristete Weiterarbeit unter Rückgriff auf Altersgrenzen zu rechtfertigen. Dies wäre ein Zirkelschluss. Die vertragliche Vereinbarung einer Altersgrenze kann nicht den Zeitpunkt festlegen, zu dem der gesamten Altersgruppe der Altersrentner kein oder nur ein geringer Befristungsschutz zukommt.403 Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass auch weiterarbeitende Rentner grundrechtlich unter den Mindestbestandsschutz nach Art. 12 Abs. 1 GG fallen. Weiterhin sind Altersgrenzen aufgrund ihrer Anwendung auf eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen auch aus sozialpolitischen Gründen gerechtfertigt. Eine anschließende Befristung ist weder in ihren Voraussetzungen noch in ihrer Funktion mit allgemeinen Altersgrenzen vergleichbar. Zudem besteht bei Altersgrenzen die Besonderheit, dass diese weit vorgelagert mit dem Beginn eines Arbeitsverhältnisses vereinbart werden. Wie das BAG im Jahr 2015 für das deutsche Befristungsrecht klarstellte, kann die typisierende Rechtfertigungsprüfung von Altersgrenzen nicht auf individuelle Befristungen nach Erreichen des Rentenalters übertragen werden, da diese für einen überschaubaren Zeitraum vereinbart werden.404 cc) Strukturelle Unterschiede Zuletzt ist zu klären, ob strukturell zwischen der Arbeit vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze unterschieden werden kann. Hierbei sollen insbesondere die folgenden Fragen beantwortet werden: Sind die entsprechenden strukturellen Besonderheiten abhängig von dem Lebensalter des Arbeitnehmers? Könnte ihnen nicht mit den bislang bestehenden Mitteln des Befristungsschutzes begegnet werden? Und inwieweit finden die Ziele des Befristungsrechts Anwendung auf Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters? 401
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 55) – John. Kapitel 2 B.IV.2.c)bb)(3). 403 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (72 f.) stellt darauf ab, dass es sich bei dem Bezug einer Altersrente um einen Umstand außerhalb des Arbeitsverhältnisses handelt. 404 Vgl. BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 28). 402
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
(1) Motivationen für die Weiterarbeit Ein Anknüpfungspunkt für strukturelle Unterschiede könnten besondere Motive für die Verlängerung eines Arbeitsvertrags im Rentenalter sein. Die Motive, die mit der Weiterarbeit verfolgt werden, wie z. B. nur eine bestimmte Zeit weiterzuarbeiten oder ausschließlich aus ideellen Gründen tätig zu sein, sind jedoch nicht notwendig vom Alter des Betroffenen abhängig. Sie können auch bei anderen Übergangsphasen, wie z. B. vor einem Umzug oder einem Beschäftigungswechsel, vorliegen. Weiterhin könnte vermutet werden, dass Rentner ohnehin nur eine zeitlich beschränkte Tätigkeit anstreben. Dies verkennt jedoch, dass eine Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG stets möglich ist.405 Auch die arbeitgeberbezogenen Motivationen für die befristete Weiterbeschäftigung, wie die Beschäftigung zum Abschluss eines Projekts oder zur Einarbeitung von Nachfolgern, sind unabhängig vom Alter des Beschäftigten. Daher besteht keine zwingende Verknüpfung zwischen den Motivationen für eine Weiterarbeit und dem Lebensalter. (2) Regelungsbedarf für die befristete Weiterbeschäftigung Die Frage nach strukturellen Unterschieden zwischen der Arbeit vor und nach Erreichen der Regelungsgrenze ist eng mit der Frage nach einem spezifischen Regelungsbedarf im Hinblick auf die Weiterarbeit verbunden. Wenn das bislang geltende Befristungsrecht die Weiterbeschäftigung bereits ausreichend erfasste, legt dies nahe, dass keine wesentlichen Wertungsunterschiede bestehen. Die Frage, ob die Weiterarbeit im deutschen Recht nicht bereits ausreichend durch das bisher geltende Befristungsrecht ausgestaltet war, stellte auch das LAG Bremen im Vorlagebeschluss an den EuGH.406 Die vom Gesetzgeber benannten praktischen Anwendungsfälle des § 41 S. 3 SGB VI werden bereits von den Sachgründen des § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG erfasst. Nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG ist der vorübergehende Bedarf an einer Arbeitsleistung ein Sachgrund für Befristungen zur Überbrückung, zur Einarbeitung oder zum Abschluss eines bereits begonnenen Projekts. Liegen Gründe in der Person des Arbeitnehmers vor, wie z. B. der Wunsch nur noch für einen begrenzten Zeitraum tätig zu sein, findet § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG Anwendung. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des BAG, wenn ein Arbeitsverhältnis nach Erreichen des Rentenalters befristet wird und sich die Befristung auf eine konkrete Personalplanung des Arbeitgebers stützt.407 405
Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (77). LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – Sa 78/16, NZA-RR 2017, S. 290 (Rn. 22 f.). 407 BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 28). 406
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
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§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG erfasst zudem Verschleißtatbestände. Dieser Befristungsgrund kann Anwendung finden, wenn in absehbarer Zeit mit einer Minderung der Leistungsfähigkeit zu rechnen ist. Gleichzeitig ist eine Prognose, ab wann die Leistungsfähigkeit voraussehbar abnehmen wird, nur schwer zu treffen. Hierzu muss aufgrund bestimmter Tatsachen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des jeweiligen Tatbestands bestehen.408 Der Prozess des Alterns verläuft jedoch individuell und nicht gradlinig, so dass Wahrscheinlichkeiten kaum festzulegen sind. Jedoch können gerade bei einer befristeten Weiterbeschäftigung Anhaltspunkte aus dem vorausgegangen Beschäftigungsverhältnis herangezogen werden. Aus diesen Gründen ist das allgemeine Befristungsrecht gemäß § 14 TzBfG durchaus geeignet, die verschiedenen Fallkonstellationen der Weiterarbeit im Rentenalter zu erfassen. Dies legt nahe, dass keine strukturellen Unterschiede bestehen, die einer Übertragung der Grundsätze des allgemeinen Befristungsrechts entgegenstehen. (3) Zielsetzung des Befristungsrechts Auch die Zielsetzung des Befristungsrechts ist relevant, um zu beantworten, ob strukturelle Unterschiede zwischen der Rentnerbeschäftigung und der Beschäftigung Jüngerer bestehen. Es könnte darauf abgestellt werden, dass weiterbeschäftigte Rentner ohnehin keine Dauerbeschäftigung anstreben und am Ende ihres Berufslebens stehen.409 Weiterhin könnte argumentiert werden, dass eine Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse bei Arbeitnehmern mit einem Anspruch auf eine Regelaltersrente ohnehin nicht entstehen kann, sofern diese existenzsichernd ist.410 Trotz dieser gewichtigen Argumente kann auch in den Fällen, in denen keine unbefristete Dauerbeschäftigung angestrebt wird, das Befristungsrecht von Bedeutung sein. Auch die Unsicherheit über den weiteren Bestand oder die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses kann im Rentenalter zu prekären Arbeitsbedingungen führen, besonders wenn unangemessen kurze Befristungszeiträume vereinbart werden.411 Ein Interesse daran, vor willkürlich häufigen oder kurzen Befristungszeiträumen geschützt zu werden, haben auch rentenberechtigte Arbeitnehmer. Dies gilt insbesondere, wenn die Weiterarbeit der wirtschaftlichen Absicherung dient. 408 ErfK/Müller-Glöge,
§ 14 TzBfG, Rn. 17. EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 54) – John. 410 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 46) – John; LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – Sa 78/16, NZA-RR 2017, S. 290 (Rn. 30). 411 Vgl. Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2760). 409
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Die Tatsache, dass ein Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses im Rentenalter häufig nicht mehr besteht, kann nicht dazu führen, dass Arbeitnehmern nach Erreichen der Altersgrenze jeglicher Befristungsschutz aberkannt wird. Den Besonderheiten einer zeitlich beschränkten Weiterarbeit im Rentenalter kann, wie oben dargelegt, auch durch angepasste Sachgründe für die befristete Weiterbeschäftigung Rechnung getragen werden. Insbesondere der Befristungsgrund in § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG lässt hierbei Spielräume offen.412 Eine vollständige Herausnahme von weiterbeschäftigten Altersrentnern aus dem Befristungsschutz ist somit nicht erforderlich. Auch der konkrete Gesetzgebungsprozess vor Einführung des § 41 S. 3 SGB VI zeigt, dass der nationale Gesetzgeber nicht von einer strukturellen Sonderbehandlung älterer Arbeitnehmer ausging. Zunächst erfasst die Neuregelung nach dem Wortlaut nur Weiterbeschäftigungen und keine Neubefristungen. Diese Unterscheidung wäre widersprüchlich, wenn für Rentnerbeschäftigungen per se andere Grundsätze gelten würden. Angesichts der weitreichenden Folgen für eine immer größer werdende Altersgruppe hätte die vollständige Herausnahme rentenberechtigter Arbeitnehmer aus dem Befristungsschutz auch eine ausdrückliche Begründung erfordert. Die verkürzte Diskussion im Gesetzgebungsverfahren belegt vielmehr, dass der Gesetzgeber die Weiterbeschäftigung fördern und erleichtern wollte, jedoch keine grundlegende Aufhebung des Befristungsschutzes im Rentenalter beabsichtigte. dd) Ergebnis Aus diesen Gründen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zielsetzung des Befristungsrechts keine Anwendung auf Arbeitnehmer nach Erreichen der Altersgrenze findet. Trotz der tatsächlichen Unterschiede bestehen nach vorliegend vertretener Ansicht keine grundlegenden strukturellen Unterschiede der Weiterarbeit im Rentenalter zur Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer. Insbesondere kann eine entsprechende Unterscheidung nicht aus der Zulässigkeit allgemeiner Altersgrenzen abgeleitet werden. Diese werden für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen vereinbart und verfolgen grundsätzlich die sozialpolitische Zielsetzung der Ausgestaltung des Übergangs in den Ruhestand. Im Hinblick auf eine zukünftige, konsistente und rechtssystematische Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter sollte daher keine grundsätzliche Unterscheidung des Befristungsschutzes von Arbeitnehmern vor und nach Erreichen der Altersgrenze erfolgen.
412
Vgl. BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 28).
D. Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter
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III. Abschließende Einordnung der Entscheidung John Nach vorliegend vertretener Ansicht erfüllt § 41 S. 3 SGB VI nicht die Voraussetzungen der Rahmenvereinbarung zur Vermeidung des Missbrauchs durch befristete Arbeitsverhältnisse, solange keine differenzierenden Einschränkungen bestehen.413 Die anderslautende Entscheidung John entspricht weniger den oben angeführten Grundsatzentscheidungen des EuGH zum Befristungsrecht, sondern vielmehr den Urteilen zu vertraglichen Altersgrenzen.414 Der EuGH betont wiederholt das mitgliedstaatliche Ermessen im Rahmen der sozialpolitischen Entscheidung über die Festlegung von Regelaltersgrenzen.415 Diese Feststellung bezieht sich jedoch nicht nur auf das Gleichbehandlungsrecht,416 wie in vorausgegangenen Entscheidungen, sondern wird auch auf das Befristungsrecht übertragen. Somit wendet der EuGH einen Grundsatz, der zunächst für den Zeitpunkt des Erreichens des Rentenalters galt, auf den gesamten Zeitraum des Rentenbezugs an. Auf der Grundlage der Entscheidung John gelten damit nach Erreichen des Rentenalters grundlegend andere Anforderungen an den Befristungsschutz. Die Entscheidung in der Rechtssache John beendet gleichzeitig auch die in der rechtswissenschaftlichen Literatur bestehende Kontroverse über die Vereinbarkeit von § 41 S. 3 SGB VI mit dem Unionsrecht und führt zu einer gestiegenen Rechtssicherheit bei der Vereinbarung einer befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter.417 Dies trägt der zunehmenden Bedeutung der Weiterarbeit und dem praktischen Bedürfnis nach einer rechtssicheren Ausgestaltung Rechnung.418 Gleichzeitig bleibt § 41 S. 3 SGB VI im Hinblick auf eine langfristige und systemkonforme Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter unzulänglich. Es bestehen Wertungswidersprüche mit der Systematik des Befristungsrechts, weil für Befristungen im Rentenalter weder inhaltliche noch zeitliche Beschränkungen gelten, die für eine Befristung jüngerer Arbeitnehmer erforderlich wären. 413 Ebenso Bader, NZA 2014, S. 749 (752); Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); Boecken/ Joussen/Boecken, § 41 SGB VI, Rn. 7; Bruns, NJW 2015, S. 2682 (2686); ErfK/Rolfs, 18. Aufl., § 41 SGB VI, Rn. 22; Stoffels, in: FS Müller-Graff, S. 347 (355 f.); Waltermann, RdA 2015, S. 343 (348). 414 Vertiefend Kapitel 4 D.II.1.a)cc). 415 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 42, 46) – John. 416 Vgl. EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 19 ff.) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 36 ff.) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 36 ff.) – Rosenbladt. 417 Greiner, RdA 2018, S. 65 (71). 418 Greiner, RdA 2018, S. 65 (71).
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Aus diesem Grund sind Anpassungen der Regelung zu erwägen, die zu einer Vereinbarkeit mit der Systematik des bestehenden Rechtsrahmens führen und gleichzeitig den Besonderheiten der Weiterarbeit Rechnung tragen.419 Eine solche Anpassung hätte den Vorteil, dass bei der befristungsrechtlichen Ausgestaltung nicht allein nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze, sondern auch nach den konkreten Umständen der weiteren Beschäftigung differenziert wird.
E. Implikationen für die nationale Rechtsprechung Die Befristungsregelung in § 41 S. 3 SGB VI wird nach der EuGH-Entscheidung John für die absehbare Zukunft die gesetzliche Grundlage der Weiterbeschäftigung im Rentenalter bilden. Dies bestätigt auch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit einer einmaligen Befristung auf Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI.420 Aufgrund der tatbestandlichen Weite der Vorschrift stellt sich jedoch die Frage, welche Implikationen die Entscheidung für die nationale Rechtsprechung im Einzelfall hat. In der Rechtssache John betonte der EuGH die Verantwortung der nationalen Gerichte zu prüfen, inwieweit die Regelungen des nationalen Rechts „unter Berücksichtigung ihrer Anwendungsvoraussetzungen und ihrer tatsächlichen Anwendung“ geeignet sind, Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu verhindern.421 Somit muss auch die praktische Anwendung einer Vorschrift mit den Zielen des unionsrechtlichen Befristungsrechts vereinbar sein. Einzelne Vertragsgestaltungen der Weiterbeschäftigung mit besonders kurzen Befristungszeiträumen könnten dem Verbot des Missbrauchs durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse zuwiderlaufen. In diesen Fällen bleibt eine Begrenzung durch die Rechtsprechung im jeweiligen Anwendungsfall möglich, unabhängig davon, dass nach der Rechtsprechung des EuGH keine grundsätzlichen unionsrechtlichen Bedenken gegen § 41 S. 3 SGB VI bestehen.
419
Vgl. Kapitel 7. BAG, Urt. v. 19. 12. 2018 – 7 AZR 70/17, NJW 2019, S. 1322 (Rn. 33 ff.). 421 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 51) – John; vgl. auch Fuhlrott, EWiR 2018, S. 187 (188). 420
E. Implikationen für die nationale Rechtsprechung
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I. Rechtsauslegung Eine begrenzende Gesetzesauslegung im engeren Sinn von § 41 S. 3 SGB VI ist aufgrund der Wortlautgrenze nicht möglich. § 41 S. 3 SGB VI sieht vor, dass die Arbeitsvertragsparteien den Beendigungszeitpunkt „gegebenenfalls auch mehrfach“ hinausschieben können. Der Begriff „mehrfach“ kann nicht als zeitliche oder inhaltliche Beschränkung ausgelegt werden.422 „Mehrfach“ bedeutet lediglich „mehr als einmal“.
II. Rechtsfortbildung Im Wege der Rechtsfortbildung könnten allgemeine Kriterien entwickelt werden, anhand derer im jeweiligen Einzelfall der Rechtsanwendung zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen differenziert werden könnte. Grundsätzlich findet die Rechtsfortbildung nur bei einer Gesetzeslücke Anwendung.423 1. Einfluss der Missbrauchskontrolle Eine Beschränkung der Anwendung von § 41 S. 3 SGB VI wird durch eine umfassende Missbrauchskontrolle im Einzelfall ermöglicht.424 Hintergrund der Missbrauchskontrolle ist die Annäherung der Schutzkonzepte von Sachgrundbefristung und sachgrundloser Befristung seit der Kücük-Entscheidung des EuGH.425 Im Rahmen der Missbrauchskontrolle einer befristeten Weiterbeschäftigung auf der Grundlage von § 242 BGB wären sämtliche Umstände des Einzelfalls abzuwägen.426 Eine übergreifende Rechtsmissbrauchskontrolle ist sowohl geeignet als auch erforderlich, um besonders häufige oder kurze Befristungen im Rentenalter zu 422 So
Sprenger, BB 2016, S. 757 (760). Canaris, in: FS Bydlinski, S. 47 (82); Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 189, 191. 424 ArbG Karlsruhe, Urt. v. 27. 4. 2016 – 3 Ca 22/16, BeckRS 2016, 118163; APS/ Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 80; Greiner, RdA 2018, S. 65 (71); Sprenger, BB 2016, S. 757 (760), ebenso auch Fuhlrott, EWiR 2018, S. 187 (188). Die unionsrechtlich gebotene Missbrauchskontrolle wurde in Kapitel 3 C.II.3. als spezieller Fall der unionsrechtskonformen Auslegung eingeordnet. Die unionsrechtskonforme Auslegung umfasst sowohl die Rechtsauslegung als auch die Rechtsfortbildung, sofern diese nach der nationalen Methodenlehre zulässig ist (BGH, Urt. v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, S. 427 (Rn. 21)). 425 Greiner, RdA 2018, S. 65 (69 f.); Greiner, ZESAR 2014, S. 357 (361); ders., ZESAR 2013, S. 305 (307 f.). 426 Greiner, RdA 2018, S. 65 (71); APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 80 ff.; ders., ZESAR 2013, S. 305 (308); Brock, öAT 2018, S. 67 (70). 423
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
begrenzen. Da die gesetzliche Regelung in § 41 S. 3 SGB VI keine Anforderungen an die Befristung stellt, könnte die Rechtsprechung extreme Vertragsgestaltungen, wie z. B. eine tageweise Verlängerung der befristeten Beschäftigung, durch eine Missbrauchskontrolle einschränken. Für die Weiterbeschäftigung im Rentenalter stellt sich jedoch auch die Frage nach der Funktionalität einer Missbrauchskontrolle. Diese erfasst angesichts der erheblichen zeitlichen Hürden nur einen geringen Anteil an Befristungen.427 Zu denken wäre an den Extremfall, dass der Arbeitgeber in unangemessen kurzen Abständen neu über die Vertragsverlängerung entscheidet.428 Eine weitere Problematik resultiert daraus, dass die Missbrauchskontrolle im Grundsatz eine Ergänzung zum Schutzkonzept des Sachgrunds darstellt. Der Sachgrundbegriff beinhaltet grundsätzlich eine antizipierte Interessenabwägung des Gesetzgebers. Während der Sachgrundbegriff sicherstellt, dass vom Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses nur aus sachlichen Gründen abgewichen wird, ermöglicht die Missbrauchskontrolle eine Prüfung, ob ein Dauerbedarf an der Beschäftigung gedeckt wird. In besonderen Konstellationen, wie längeren Befristungsketten, verliert die abstrakte Wertentscheidung des Gesetzgebers an Bedeutung; sie muss durch eine konkrete Betrachtung ergänzt werden. Aus dem Wortlaut des § 41 S. 3 SGB VI, der allein auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abstellt, können inhaltliche Ansatzpunkte für die konkrete Betrachtung nicht abgeleitet werden. Daher könnte es bei aufeinanderfolgenden Befristungen im Rentenalter erschwert sein, die Zulässigkeit von Befristungen vor Abschluss eines Arbeitsvertrags vorauszusehen.429 Aus diesen Gründen sollte die Missbrauchskontrolle nach hier vertretener Ansicht durch eine Ableitung sachlicher Kriterien aus dem Regelungswillen des Gesetzgebers konkretisiert werden. 2. Ableitung konkretisierender Kriterien Zur Entwicklung entsprechender Kriterien könnte auf die Methode der teleologischen Reduktion zurückgegriffen werden. Die Voraussetzungen der teleologischen Reduktion sind eine planwidrige Gesetzeslücke sowie das Erfordernis einer einschränkenden Anwendung der Vorschrift nach dem Gesetzeszweck.
427
Vgl. BAG, Urt. v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15 – NZA 2017, 382 (Rn. 26 ff.). Giesen, ZfA 2014, S. 217 (227 f.). 429 Vgl. Schwarze, RdA 2017, S. 302 (305), der davon ausgeht, dass eine konkrete Einzelfallabwägung „beim konkreten Sachgrundtatbestand gerade erspart bleiben sollte.“ 428
E. Implikationen für die nationale Rechtsprechung
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a) Planwidrige Regelungslücke Das Vorliegen einer Regelungslücke beurteilt sich im deutschen Recht nicht nur auf der Grundlage des einzelnen Gesetzes, sondern „gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung“.430 Planwidrig ist die Lücke, wenn die fehlende Regelung gerade nicht der gesetzgeberischen Zielsetzung entspricht.431 Von einer verdeckten Lücke ist auszugehen, wenn der gesetzlichen Regelung eine Einschränkung fehlt und sie damit auf Sachverhalte anwendbar ist, die das Gesetz nach seinem Sinn und Zweck nicht erfassen sollte.432 Vorliegend ist von einer Regelungslücke vor dem Hintergrund des geltenden Befristungsrechts auszugehen, da der Wortlaut von § 41 S. 3 SGB VI nicht zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen differenziert. Die Regelungslücke wäre auch planwidrig, wenn Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht bewusst von einem zeitlichen oder sachlichen Befristungsschutz ausgeschlossen werden sollten. Eine bewusste Nichtregelung könnte erfolgt sein, um die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien wiederherzustellen, sobald der Arbeitnehmer das Rentenalter erreichte.433 Gegen diese Annahme spricht, dass auch nach dem Erreichen des Rentenalters nicht von einem Verhandlungsgleichgewicht der Arbeitsvertragsparteien ausgegangen werden kann. Es besteht auch im Fall der Weiterarbeit ein ausreichendes Maß an Austauschbarkeit und wirtschaftlicher Abhängigkeit, um das Verhandlungsgleichgewicht wesentlich zu stören.434 Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass auch nach Erreichen des Rentenalters der verfassungsrechtliche Mindestbestandsschutz gewährleistet werden muss.435 Zudem sind Befristungen auf der Grundlage einer privatautonomen Vereinbarung stets zulässig, wenn der Arbeitnehmer eine befristete Beschäftigung wünscht (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG).436 Weiterhin betont die Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, die als einziges Dokument die Erwägungen des Gesetzgebungsprozesses dokumentiert, allein den praktischen Bedarf der Arbeitsvertragsparteien, Arbeitsverhältnisse auch nach Erreichen der Altersgrenze rechtssicher fortsetzen zu können.437 430 Canaris, in: FS Bydlinski, S. 47 (84 f.); Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, § 29; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 195, 198. 431 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, § 34. 432 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 198. 433 Vgl. grundsätzlich Junker, NZA 1997, S. 1305 (1307). 434 Greiner, RdA 2018, S. 65 (71). 435 Grds. BVerfG, Urt. v. 24. 4. 1991 – 1 BvR 1341/90, BVerfGE 84, S. 133 (146 f.) = NJW 1991, 1667; Greiner, RdA 2018, S. 65 (71). 436 Zu § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 61 f. 437 BT-Drs. 18/1489, S. 25.
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Es kann somit zumindest nicht angenommen werden, dass der Befristungsschutz von Rentnern ohne eine detaillierte Begründung und Diskussion im Gesetzgebungsprozess in der Form aufgehoben werden sollte, dass im Extremfall auch eine tageweise Vertragsverlängerung zulässig wäre. Die Ergänzung von § 41 S. 3 SGB VI kann aufgrund der planwidrigen Regelungslücke daher im Wege der Rechtsfortbildung erfolgen. b) Widerspruch zwischen dem Wortlaut und dem Ziel des Gesetzes Die teleologische Reduktion setzt weiterhin voraus, dass der Wortlaut der einzuschränkenden Norm dem Ziel des Gesetzes widerspricht.438 Vorliegend wird nicht davon ausgegangen, dass sehr lange Befristungsketten sowie extrem kurze Befristungszeiträume mit der Vorstellung des Gesetzgebers im Einklang stehen. Der Gesetzgeber wollte eine rechtssichere Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zum Abschluss begonnener Tätigkeiten, zur Überbrückung von Personalengpässen oder zur Einarbeitung jüngerer Kollegen für eine begrenzte Zeit ermöglichen.439 Dies entspricht auch dem systematischen Vergleich mit den Regelungen in § 14 TzBfG. Im Rahmen der Gestaltung des Bestandsschutzes hat der Gesetzgeber die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers sowie die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer (Art. 12 Abs. 1 GG), die unabhängig vom Lebensalter besteht,440 im Wege praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen.441 Im Befristungsrecht ist der Bestandsschutz durch §§ 14 ff. TzBfG ausgestaltet.442 Diese Regelungen lassen den gesetzgeberischen Willen erkennen, Befristungen nicht uneingeschränkt anzuerkennen. Dies gilt auch für Befristungen älterer Arbeitnehmer. So müssen z. B. auch Altersgrenzen auf das Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG gerechtfertigt werden und sind nicht ohne Weiteres zulässig. Zudem folgt aus § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG, dass neben dem höheren Lebensalter weitere 438 BGH, Urt. v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, S. 427 (Rn. 25); Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 210 ff.; Seiwerth, RdA 2016, S. 214 (220). 439 BT-Drs. 18/1489, S. 25; Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 72 (81). 440 Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 83. 441 BVerfG, Urt. v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14 u. 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 (Rn. 38); zum Mindestschutzanspruch BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, S. 169 (176) = NJW 1998, S. 1475 f.; BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, S. 242 (254 f.) = NJW 1990, S. 1469 (1470); Kühling, in: FS Dieterich, S. 325 (332 f.); Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, S. 64 ff.; I. Schmidt, in: FS Dieterich, S. 585 (599 f.); kritisch Lindner, RdA 2015, S. 166 ff. 442 BAG, Urt. v. 18. 3. 2015 – 7 AZR 272/13, NZA 2015, S. 821 (Rn. 25); BAG, Urt. v. 15. 8. 2012, 7 AZR 184/11, NZA 2013, S. 45 (Rn. 26); BAG, Urt. v. 6. 4. 2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, S. 905 (Rn. 35).
E. Implikationen für die nationale Rechtsprechung
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Voraussetzungen – wie eine längere Beschäftigungslosigkeit – gegeben sein müssen, um die sachgrundlose Befristung zu rechtfertigen. c) Ausgestaltung der teleologischen Reduktion Die Konkretisierung der Missbrauchskontrolle im Einzelfall könnte entweder durch eine zeitliche Grenze erfolgen oder durch eine Orientierung an sachlichen Kriterien. aa) Begrenzung der maximalen Befristungsdauer Einige Autoren befürworteten vor der Entscheidung des EuGH eine Einschränkung der Regelung durch eine maximale Befristungsdauer.443 Die Ansicht beruht auf der Gesetzesbegründung, wonach der Gesetzgeber von einer zeitlich begrenzten Weiterarbeit ausging,444 obwohl sich dies im Wortlaut der Vorschrift nicht widerspiegelt. Groeger plädiert z. B. für eine zeitliche Grenze von drei Jahren, da in diesem Zeitraum noch ein nachvollziehbarer Zusammenhang mit dem zuvor bestehenden und verlängerten Arbeitsverhältnis besteht.445 bb) Begrenzung der Anzahl der Verlängerungen Teilweise wurde auch eine Einschränkung bezüglich der Dauer und Anzahl der befristeten Verlängerungen des Arbeitsverhältnisses befürwortet. Nach Giesen sollte sich die Dauer der einzelnen Befristungen an den in § 622 BGB geregelten Kündigungsfristen orientieren.446 Diese enthalten Anhaltspunkte dafür, ab wann das Beschäftigungsende vorhersehbar sein muss.447 Koch schlägt in Anlehnung an § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG eine maximal dreifache Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses vor.448
443 Groeger, ZTR 2015, S. 115 (121); Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 40, Rn. 53 stellt auf die Grenzen des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ab; Sprenger, BB 2016, S. 757 (760 f.); eine gesetzgeberische Einschränkung befürworten Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 71 (81); Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (82 f.) und Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); vgl. auch Kapitel 7 C.I. 444 BT Drs. 18/1489, S. 25. 445 Groeger, ZTR 2015, S. 115 (121). 446 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (228). 447 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (228). 448 Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 40, Rn. 53.
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
cc) Sachliche Kriterien Ausgehend von der Zielsetzung des Gesetzgebers, flexible Übergänge in den Ruhestand zu ermöglichen und Lücken bei der Personalplanung zu schließen, könnten alternativ Aspekte einer konkreten Personalplanung des Arbeitgebers zur Begrenzung von Kettenbefristungen im Einzelfall maßgeblich werden. Der Gesetzgeber ging bei Einführung von § 41 S. 3 SGB VI von den Anwendungsfällen der Überbrückung bis zur Nachbesetzung einer Stelle oder der Einarbeitung eines Nachfolgers aus.449 Diese vom Gesetzgeber anvisierten Anwendungsfälle könnten dazu dienen, im jeweiligen Einzelfall zwischen zulässigen und unzulässigen Kettenbefristungen zu differenzieren. dd) Bewertung Zeitliche Kriterien bieten den Vorteil der Rechtssicherheit. Dies entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, eine rechtssichere Möglichkeit der Weiterarbeit im Rentenalter zu schaffen.450 Zudem soll kein Übergang in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ermöglicht, sondern vor willkürlich kurzen Kettenbefristungen geschützt werden.451 Diese Zielsetzung wäre durch zeitliche Grenzen weitgehend erreicht. Demgegenüber sprechen verschiedene Gesichtspunkte gegen allein zeitliche Begrenzungen und für eine Orientierung an sachlichen Kriterien im Einzelfall: Zunächst stellt sich in zeitlicher Hinsicht die Frage des Orientierungspunkts. Der Gesetzgeber differenziert in § 14 Abs. 2 und Abs. 3 TzBfG zwischen der Befristung jüngerer und älterer Arbeitnehmer. Während § 14 Abs. 2 TzBfG eine maximale Befristungsdauer von zwei Jahren vorsieht, kann nach Erreichen des 58. Lebensjahrs ein Arbeitsverhältnis bis zu fünf Jahre befristet werden. Einen Anhaltspunkt für die zulässige Dauer einer Befristung im Rentenalter bietet das EuGH-Urteil Georgiev, in dem eine dreijährige Befristung nach Erreichen der Altersgrenze bei maximal zweifacher Verlängerung als zulässig eingeordnet wurde.452 Aufgrund der Besonderheiten des Hochschulsystems lässt sich hieraus allerdings kein allgemeiner zeitlicher Maßstab ableiten. In Abhängigkeit von den jeweiligen branchenspezifischen Besonderheiten könnte in Einzelfällen eine längere oder kürzere Maximaldauer erforderlich sein. Auch sind zeitliche Kontrollmaßstäbe der Befristung von Rentnern häufig nicht das geeignete Mittel, um missbräuchliche Kettenbefristungen zu vermei449
BT-Drs. 18/1489, S. 25. BT-Drs. 18/1489, S. 25. 451 Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (86). 452 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 65) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 65) – Georgiev. 450
E. Implikationen für die nationale Rechtsprechung
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den. Eine Höchstgrenze von fünf Jahren würde bei Altersrentnern erstmalig im Alter von 72 Jahren greifen. Es ist unwahrscheinlich, dass Arbeitnehmer in diesem Alter ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anstreben,453 zumal in diesem Alter allmählich mit altersbedingten Einschränkungen des Gesundheitszustands und der Leistungsfähigkeit zu rechnen ist.454 Aus diesem Grund ist eine zeitliche Begrenzung zwar ein möglicher Ansatz, sie wäre jedoch allein nicht geeignet, um missbräuchliche Befristungen im Rentenalter effektiv einzudämmen. Vorzugswürdig wäre daher eine Orientierung an den sachlichen Zielen des Gesetzgebers bei Einführung von § 41 S. 3 SGB VI. Die in der Gesetzesbegründung genannten Anwendungsbeispiele sind hierbei ein geeigneter Ausgangspunkt. Zudem besteht in diesen Fällen auch ein Bezug zur jeweiligen Tätigkeit und zur Arbeitsaufgabe des Arbeitnehmers sowie ein Element der zeitlichen Begrenzung. d) Grenzen der Rechtsfortbildung Die Grenzen der zulässigen Rechtsfortbildung dürfen nicht überschritten werden. Unzulässig sind Rechtsfortbildungen contra legem, die dazu führen, dass Gerichte ihre eigene Gerechtigkeitsvorstellung anstelle derjenigen des Gesetzgebers setzen.455 Aus diesem Grund wurde auch eine europarechtskonforme Einschränkung von § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. abgelehnt, der vorsah, dass Befristungen nach Beendigung des 58. Lebensjahrs „keines sachlichen Grundes“ bedürfen.456 Die Frage nach den Grenzen der Rechtsfortbildung stellt sich insbesondere, weil der Unionsgesetzgeber die Einschränkung von Befristungen grundsätzlich vollständig an den nationalen Gesetzgeber delegierte. Der Gesetzgeber selbst nahm in § 41 S. 3 SGB VI keine Beschränkung von Befristungen im Rentenalter vor. Gegen die Überschreitung der Grenzen der Rechtsfortbildung spricht jedoch, dass die Rechtsfortbildung durch eine Missbrauchskontrolle im Einzelfall dem bestehenden befristungsrechtlichen Regelungsrahmen entspricht. Der Gesetzgeber selbst wählte bei Umsetzung der Befristungsrichtlinie auch die Kombination zeitlich beschränkter sachgrundloser Befristungen mit zeitlich unbeschränkten Sachgrundbefristungen. Ferner kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG neben dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes auch der Entstehungsgeschichte eine besondere Bedeutung zu, um zu ermitteln, ob eine Rechtsfortbildung contra legem erfolgt.457 Die Materialien 453
Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (87). Waltermann, RdA 2015, S. 343 (346 f.). 455 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung BVerfG, Urt. v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 u. 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 (Rn. 73); Maunz/Dürig/Jachmann, Art. 95 GG, Rn. 16. 456 Schlachter, RdA 2004, S. 352 (357); Kerwer, NZA 2002, S. 1316 (1321). 457 BVerfG, Urt. v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14 u. 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 (Rn. 74). 454
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
zur Entstehung von § 41 S. 3 SGB VI belegen, dass Befristungen im Rentenalter in bestimmten Übergangsfällen, wie z. B. der Überbrückung bis zur Nachbesetzung einer Stelle oder bis zur Einarbeitung eines Nachfolgers, erleichtert werden sollten.458 Die Einzelfallprüfung von Kettenbefristungen anhand des Kriteriums der Personalplanung des Arbeitgebers verwirklicht somit die Vorstellung des Gesetzgebers bei Einführung von § 41 S. 3 SGB VI. Anders als in § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. wurde auch nicht ausdrücklich geregelt, dass kein sachlicher Grund für die Befristung vorliegen müsse. Es handelt sich bei der Rechtsfortbildung damit nicht um einen unzulässigen rechtspolitischen Ansatz, sondern um eine systemimmanente Weiterentwicklung.459 Demnach läge eine nach der Methodik des deutschen Rechts zulässige teleologische Reduktion vor, die in den Grenzen der Rechtsfortbildung erfolgt und im Einzelfall Korrekturen einer zu weitreichenden Regelung ermöglichen kann. Langfristig wäre jedoch eine gesetzgeberische Anpassung des Befristungstatbestands für Arbeitnehmer im Rentenalter in jedem Fall vorzugswürdig.460
III. Zusammenfassung Die Entscheidung in der Rechtssache John beruht auf der Annahme des EuGH, dass eine grundlegende Unterscheidung zwischen Arbeitsverhältnissen vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze besteht. Aufgrund dieser grundlegenden Unterscheidung befasst sich der Gerichtshof nicht mit den Anforderungen der Richtlinie 1999/70/EG und den vorausgegangenen EuGH-Urteilen zum Befristungsrecht. Nach der hier vertretenen Ansicht können grundlegend andere Maßstäbe im Befristungsschutz nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht überzeugend begründet werden. Dies folgt daraus, dass die Motivationen und die Umstände der Weiterarbeit zu vielfältig sind, um verallgemeinerbare Aussagen über die Weiterarbeit zu treffen. Zugleich können Befristungen nach Erreichen der Regelaltersgrenze auch im Wege der Auslegung oder Anpassung des geltenden Befristungsrechts ausgestaltet werden. Dies würde differenzierende Lösungen anhand der konkreten Ausgestaltung der Weiterarbeit ermöglichen. Eine Herangehensweise, die allein an das Erreichen der Regelaltersgrenze anknüpft, ist somit nicht erforderlich. Nach der vorliegend vertretenen Ansicht erfüllt § 41 S. 3 SGB VI die Anforderungen der europäischen Befristungsrichtlinie daher nicht. Durch eine Missbrauchskontrolle könnte jedoch im jeweiligen Einzelfall sichergestellt werden, 458
BT-Drs. 18/1489, S. 25. Unterscheidung BVerfG, Beschl. v. 14. 2. 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, S. 269 (292) = AP Nr. 21 zu Art. 2 GG. 460 Vgl. Kapitel 7 C. 459 Zur
F. Ergebnis
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dass von der Befristungsmöglichkeit nur in den vom Gesetzgeber vorgesehenen Anwendungsfällen Gebrauch gemacht wird. Eine solche richterrechtliche Einschränkung ist aufgrund des konkreten Regelungsauftrags des Gesetzgebers in der Befristungsrichtlinie keine optimale Lösung, sondern eine Korrektur einer zu weitgehenden Regelung.461 Auch kann die Rechtsfortbildung nur anlassbezogen anhand einer Entscheidung über einen konkreten Sachverhalt erfolgen.462 De lege ferenda liegt es daher im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, zeitliche Einschränkungen oder inhaltliche Anforderungen an die befristete Weiterbeschäftigung im Wortlaut des Gesetzes festzulegen.
F. Ergebnis Im Ergebnis steht fest, dass sich aus der richterrechtlichen Entwicklung des Befristungsrechts noch heute gültige Ansätze ableiten lassen. Gleichzeitig ist die Entwicklung des Befristungsrechts, wie die Rechtsprechung des EuGH zeigt, noch nicht abgeschlossen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Anerkennung befristeter Arbeitsverhältnisse und der erforderlichen Einschränkung von Befristungen besteht trotz der zahlreichen Lösungsansätze weiterhin fort. Dies zeigt sich insbesondere in Fällen der Befristung im Rentenalter. Nach den Vorgaben der Befristungsrichtlinie liegt es in der Verantwortung des Gesetzgebers, die Grundsätze zulässiger Befristungen vorzugeben. Diesem Gestaltungsauftrag kam der Gesetzgeber durch die Einführung von § 14 TzBfG nach. Die Vorschrift wirft zwar im Einzelfall noch Auslegungsfragen auf, ist aufgrund der Kombination von zeitlich beschränkten sachgrundlosen Befristungen und konkret geregelten Sachgründen jedoch geeignet, sämtliche Anwendungsfälle zulässiger Befristungen zu erfassen. Auch für Befristungen im Rentenalter bietet § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG auf der Grundlage der Vorgaben des BAG eine Gestaltungsmöglichkeit. Dennoch regelte der Gesetzgeber die befristete Weiterbeschäftigung im Rentenalter ausdrücklich. Dem lag die Zielsetzung zugrunde, die Weiterarbeit im Rentenalter rechtssicher auszugestalten. Aus diesem Grund wurden keine einschränkenden Voraussetzungen oder Tatbestandsmerkmale für zulässige Befristungen definiert. Die Gesetzesbegründung geht gleichzeitig von einer zeitlich begrenzten Weiterbeschäftigung zur Überbrückung aus. Dies spiegelt sich jedoch nicht im Wortlaut von § 41 S. 3 SGB VI wider. 461 Als „wenig ermutigende Reparaturlösung“ bezeichnet dies Waltermann, ZfA 2017, S. 445 (454). 462 Grds. Hergenröder, in: FS Zöllner, S. 1139 (1154).
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Kap. 3: Einordnung in die Systematik des Befristungsrechts
Der EuGH nimmt in der Rechtssache John an, dass aus dem Blickwinkel des Unionsrechts nach Erreichen des Rentenalters nicht zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen differenziert werden muss.463 Diese Entscheidung wird den Umgang mit § 41 S. 3 SGB VI zukünftig erleichtern und die befristete Weiterbeschäftigung im Rentenalter fördern. Jedoch führt die Entscheidung zu der Konsequenz, dass nach Erreichen des Rentenalters keine Möglichkeit mehr besteht, anhand abstrakt bestimmter Merkmale zulässige von unzulässigen Befristungsketten zu unterscheiden. Die nationale Rechtsprechung kann jedoch durch eine Missbrauchskontrolle im Einzelfall Korrekturen vornehmen, auch wenn der EuGH die Vorschrift als grundsätzlich unionsrechtskonform einordnet. Langfristig wären jedoch gesetzliche Vorgaben für eine differenzierte Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter anhand der gesetzgeberischen Zielsetzung wünschenswert. Bevor entsprechende Ansätze für eine zukünftige Ausgestaltung des Rechts in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit entwickelt werden, erfolgt zunächst eine Betrachtung der Anforderungen der unionsrechtlichen Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie an die befristete Weiterbeschäftigung im Rentenalter.
463
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 57) – John.
Kapitel 4
Vereinbarkeit der Befristung im Rentenalter mit dem Gleichbehandlungsrecht Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
A. Einführung Schon Aristoteles betonte den Zusammenhang zwischen Gleichbehandlung und Gerechtigkeit.1 Auch nach heutigem Recht sollen Maßstäbe des Gleichbehandlungs- beziehungsweise Antidiskriminierungsrechts Gerechtigkeit in einzelnen Arbeitsverhältnissen verwirklichen.2 Der Begriff der Diskriminierung leitet sich von dem lateinischen Verb „discriminare“ ab, das wertfrei „unterscheiden“ bedeutet.3 Im heutigen Sprachverständnis wird Diskriminierung als benachteiligende Differenzierung verstanden.4 Durch die Europäisierung des deutschen Arbeitsrechts gewannen das Diskriminierungsrecht und das Verbot der Altersdiskriminierung wachsende Bedeutung.5 Von besonderer Bedeutung ist die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG.
I. Bezug zum Befristungsrecht Im Gegensatz zum zuvor untersuchten Befristungsrecht schützt das Antidiskriminierungsrecht nicht den Bestand eines Arbeitsverhältnisses, sondern soll ungerechtfertigte Benachteiligungen bei der Begründung, Ausgestaltung und der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses verhindern.6 Ähnlich wie das Befristungsrecht wurde auch das Gleichbehandlungsrecht maßgeblich durch unionsrechtliche Vorgaben beeinflusst. Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie und 1 „Wer die Herrschergewalt innehat (ist) Hüter des Rechts, wenn aber des Rechts, dann auch der Gleichheit.“ Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 137; vgl. auch Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 3, Rn. 1. 2 Wiedemann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 265 (285). 3 Linsenmaier, RdA-Sonderbeil. 5/2003, S. 22 (25); Repgen, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 11 (27). 4 Edward, in: Schulze (Hrsg.), Non-Discrimination in European Private Law, S. 3; Wiedemann, RdA 2015, S. 298 (299). 5 Preis, NZA 2006 S. 401 (410); Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 8, Rn. 1; Thüsing, ZESAR 2014, S. 364. 6 Zu den Schutzzwecken des Gleichbehandlungsrechts Mohr, RdA 2017, S. 35 f.
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
die Befristungsrichtlinie verdrängen sich nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nicht.7 Auch gilt bezüglich keiner der Richtlinien der lex specialis-Grundsatz, wonach die speziellere Regelung vorrangig Anwendung findet. Hierfür müsste sich der Regelungsbereich zweier Rechtsakte überschneiden, die Intensität der Vorgaben beider Regelungen jedoch unterscheiden. Beide Richtlinien haben jedoch einen unterschiedlichen Regelungsbereich und regeln verschiedene Rechtsfragen.8 Eine zulässige Befristung schließt eine Benachteiligung aufgrund eines der in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Merkmale nicht logisch aus.9 Gerade der Anlass einer Befristung kann wie in der Mangold-Entscheidung gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen.10 Es bestehen auch wesentliche Unterschiede bei der befristungs- und antidiskriminierungsrechtlichen Beurteilung einer Befristung im Rentenalter.11 Bei der Bewertung von Ungleichbehandlungen liegt der Schwerpunkt nicht auf der Beeinträchtigung des Bestandsschutzes, sondern darauf, ob die Ungleichbehandlung auf das erforderliche und sachlich gerechtfertigte Mindestmaß beschränkt ist. Der Inhalt einer Regelung wird dabei wertungsfrei betrachtet, solange sie unterschiedslos gilt.12 Eine Übereinstimmung besteht jedoch dahingehend, dass beide Rechtsgebiete das Spannungsverhältnis zwischen Privatautonomie und dem Schutz des faktisch unterlegenen Vertragspartners betreffen.13 Vor Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zur Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie bestand aufgrund dieses Spannungsverhältnisses eine erhebliche Skepsis gegenüber Diskriminierungsverboten im Privatrecht.14 Traditionell haben Gleichbehandlungsgebote, wie Art. 3 Abs. 1 GG, ihren Ursprung im Verhältnis des Bürgers zum Staat.15 Staatliches Handeln ist einem Begründungs- und Rechtfertigungszwang unterworfen. Merkmal der Privatautonomie ist hingegen das Prin7 Grds. EuGH, Urt. v. 22. 4. 1999 – C-423/97, Slg. 1999, I-2195 (2225) = EuZW 1999, 377 (378) – Travel Vac; Schlachter, RdA 2004, S. 352 (355). 8 Schlachter, RdA 2004, S. 352 (355). 9 Hierzu Schlachter, RdA 2004, S. 352 (355); a. A. Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2674). 10 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 = NZA 2005, S. 1345 – Mangold. 11 APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 51; a. A. Giesen, ZfA 2014, S. 217 (235). 12 Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG. 13 Vertiefend Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, S. 17 ff., zur spezifischen Interessenlage im Arbeitsrecht S. 103 ff.; 419; E. Picker, JZ 2003, S. 540 f.; Reichold, JZ 2004, S. 384 (385). 14 Z. B. Repgen, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 11 (15 f., 34 f., 39 ff.) m. w. N. 15 Differenzierend zum unionsrechtlichen Gleichheitssatz Mohn, Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht, S. 43 ff.
A. Einführung
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zip, Rechtsverhältnisse nach dem eigenen Willen zu gestalten.16 Zum Wesensgehalt der Privatautonomie gehört auch die Vertragsfreiheit und das Recht seinen Vertragspartner in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB frei zu wählen.17 Durch das Gleichbehandlungsrecht kam eine Neuerung in das deutsche Arbeitsrecht, da Ungleichbehandlungen in privaten Arbeitsverhältnissen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen können. Die Voraussetzungen einer gleichberechtigten Teilhabe am Privatrechtsverkehr sind insbesondere im Arbeitsrecht, aufgrund der existenzsichernden Bedeutung des Arbeitsvertrags18 und der kompetenzbezogenen einseitigen Entscheidungsgewalt des Arbeitgebers,19 häufig nicht gegeben. Es besteht daher auch im Privatrecht ein, mit dem Verhältnis Staat und Bürger vergleichbares, Über- und Unterordnungsverhältnis. Dieses begründet eine Sonderverantwortlichkeit des Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis20 und eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Gesetzgebers, dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen.21 Neben der formalen Gleichbehandlung zielt das Antidiskriminierungsrecht damit auch auf eine Erhöhung der Chancengleichheit.22 Diskriminierungsverbote sind damit die Grundlage für beschäftigungsrelevante und privatautonome Entscheidungen.23
II. Besondere Fragestellungen In Bezug auf die Weiterbeschäftigung von Rentnern stellen sich im Antidiskriminierungsrecht andere Fragestellungen als im Befristungsrecht.
16
Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, S. 1. Isensee, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 239 (250); Lobinger, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99 (104). 18 Krebber, in: Leible/Schlachter (Hrsg.) Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, S. 93 (104); allgemein Lobinger, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99 (108); Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 18 f. 19 BAG, Urt. v. 17. 11. 1998 – 1 AZR 147/98, NZA 1999, S. 606 (608 f.); vgl. Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 10 ff., 21. 20 Lobinger, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99 (161). 21 Lobinger, AcP 216 (2016), S. 28 (82 f.) ordnet den zivilrechtlichen Schutz vor Diskriminierungen dem besonderen Persönlichkeitsschutz zu; vgl. Thüsing, ZESAR 2014, S. 364 (367); Wiedemann, RdA 2017, 333. 22 Reichold, JZ 2004, S. 384 (391). 23 Grünberger, EuZA 2011, 171. 17
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
1. Unterscheidungsmerkmal „Alter“ Das Alter eines Arbeitnehmers ist ein unklares Unterscheidungskriterium, dessen Einordnung als Diskriminierungsmerkmal nicht selbstverständlich ist.24 Bereits sprachlich steht der Begriff „Alter“ sowohl für ein besonders hohes Alter, als auch für jedes andere Lebensalter.25 Es handelt sich um ein relatives Merkmal, das sich im jeweiligen Zusammenhang positiv und negativ auswirken kann.26 Ein höheres Lebensalter kann sich aufgrund einer höheren Lebenserfahrung positiv und gleichzeitig aufgrund des vermuteten Abfalls der Leistungsfähigkeit negativ auswirken. Zugleich kann sowohl ein fortgeschrittenes, als auch ein jüngeres Alter Ursache einer Diskriminierung sein.27 Zudem ist gerade bei älteren Arbeitnehmern die Grenze zwischen rechtswidrigen Benachteiligungen und Vorschriften zur Erhöhung der Beschäftigungschancen schwierig zu bestimmen. Regelmäßig beinhaltet die Diskriminierung wegen des Alters eine Ungleichbehandlung aufgrund subjektiv mit dem Alter verbundener Eigenschaften, wie der Erfahrung, der Belastbarkeit und der Leistungsfähigkeit.28 Ein höheres Lebensalter wird entsprechend des inzwischen überholten Defizitmodells des Alterns mit verminderter Leistungsfähigkeit, geringerer Flexibilität und einem erhöhten Erkrankungsrisiko gleichgesetzt.29 Diese Assoziation ist problematisch und rechtfertigungsbedürftig, da nachteilige Bewertungen „mit einem in Bezug auf diese Eigenschaft nicht aussagekräftigen Kriterium ohne Ansehung des jeweiligen Individuums“ verbunden werden.30 Weiterhin durchläuft jeder Arbeitnehmer im Laufe seines Berufslebens verschiedene Altersstufen.31 Ungleichbehandlungen wegen des Alters könnten sich 24
Grünberger, EuZA 2011, S. 171; Mager, in: FS Säcker, S. 1075 f. Linsenmaier, RdA-Sonderbeil. 5/2003, S. 22 (25). 26 Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsrecht, S. 16. 27 König, ZESAR 2005, S. 218; Mohr, RdA 2017, S. 35 (38); Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 3, Rn. 93. 28 EurArbR/Mohr, Art. 1 RL 2000/78/EG, Rn. 53; Mohr, RdA 2017, S. 35 (38); Waltermann, NZA 2008, S. 2529; vgl. auch Dewhurst (2015) 78(2) MLR, 189 (190 ff.); König, ZESAR 2005, S. 218. 29 Hahn, Auswirkungen der europäischen Regelungen zur Altersdiskriminierung im deutschen Arbeitsrecht, S. 32; v. Hoff, Das Verbot der Altersdiskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 80 f. m. w. N.; König, ZESAR 2005, S. 218; Schlachter, in: Schlachter (Hrsg.), The Prohibition of Age Discrimination in Labour Relations, S. 9 (13). Die Ursache der Diskriminierung sind vor allem Assoziationen mit einem bestimmten Alter, diese werden in der Literatur unter dem Stichwort „ageism“ diskutiert, vgl. Brownell/Powell, in: Brownell/Kelly (Hrsg.), Ageism and Mistreatment of Older Workers, Current Reality, Future Solutions, S. 17 (20 ff.); Dewhurst (2015) 78(2) MLR, 189 (195 ff.); Temming, Altersdiskriminierung, S. 19 m. w. N. 30 Mager, in: FS Säcker, S. 1075 (1089). 25
A. Einführung
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daher bei einer diachronen, zeitbezogenen Betrachtung relativieren.32 Dieses Argument wird insbesondere bei der Rechtfertigung von Altersgrenzen relevant. Argumentiert wird, dass ältere Arbeitnehmer selbst von dem Ausscheiden ihrer Vorgänger profitiert haben.33 Es gehe somit nicht um eine klassische Schlechterstellung, sondern um die Ausgestaltung der Erwerbstätigkeit im jeweiligen Lebensalter. Entsprechend gibt es im Arbeitsrecht verschiedene Differenzierungen nach dem Alter z. B. im Rahmen der Sozialauswahl, bei Sozialplänen oder Tarifgruppen. 31
2. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen ist das „Herzstück der Gleichheitsprüfung“.34 Die Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Differenzierungen bestimmt sich im Einzelfall anhand der Verhältnismäßigkeit einer Ungleichbehandlung, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.35 Die Relevanz des Unterscheidungskriteriums „Alter“ ergibt sich daher erst im jeweiligen Kontext.36 Aufgrund der genannten Besonderheiten des Diskriminierungsmerkmals enthält Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG weitergehende Rechtfertigungsmöglichkeiten für Ungleichbehandlungen wegen des Alters aufgrund sozialpolitischer Ziele.37 Im Folgenden wird geprüft, ob die Anknüpfung von § 41 S. 3 SGB VI an das Rentenalter sachlich gerechtfertigt werden kann. Es wird insbesondere darauf eingegangen, inwiefern sich die Maßstäbe zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen vor und nach der Regelaltersgrenze verschieben.
31 Linsenmaier, RdA-Sonderbeil. 5/2003, S. 22 (25); EurArbR/Mohr, Art. 1 RL 2000/78/EG, Rn. 51; Schlachter, in: Schlachter (Hrsg.), The Prohibition of Age Discrimination in Labour Relations, S. 9 (15); Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 210. 32 Vgl. Grünberger, EuZA 2011, S. 171; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 494; Waltermann, NZA 2005, S. 1265 (1269). 33 Vgl. BAG, Urt. v. 21. 9. 2011 – 7 AZR 134/10, NZA 2012, S. 271 (Rn. 22). 34 Britz, NJW 2014, S. 346. 35 Repgen, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 11 (28); Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 38. 36 Mager, in: FS Säcker, S. 1075; EurArbR/Mohr, Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 19. 37 Lobinger, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99 (133) hinterfragt „warum das Verbot der Altersdiskriminierung überhaupt in die Richtlinie aufgenommen wurde.“
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters Im August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, das der Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG und dreier weiterer Richtlinien diente.38 Das AGG enthält ebenso wie die Richtlinie besondere Diskriminierungsverbote39 und untersagt die Benachteiligung wegen des Alters (§ 1 AGG). Besondere Gleichbehandlungsgebote, wie sie im AGG geregelt sind, haben ihren Ursprung im Schutz der Menschenwürde, da die jeweiligen persönlichen Diskriminierungsmerkmale nicht veränderbar sind.40 Allgemeine Gleichbehandlungsgebote dienen hingegen der Verteilungsgerechtigkeit.
I. Entwicklung des Verbots der Altersdiskriminierung im deutschen Recht Bis zum Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 erfolgte der Schutz vor ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen im deutschen Arbeitsrecht im Wesentlichen durch den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser gilt jedoch nur bei kollektiven Maßnahmen und nicht bei individuellen vertraglichen Vereinbarungen.41 Das Gleichbehandlungsgebot verhindert im Wesentlichen die willkürliche Verteilung und Allokation von Vorteilen. Der Grundsatz 38 BGBl. I S. 1897; umgesetzt wurden die RL 2000/43/EG des Rates vom 29. 6. 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft; die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf; die RL 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 9. 2002 zur Änderung der RL 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen; die RL 2004/113/EG des Rates vom 13. 12. 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. 39 MüKoBGB/Thüsing, § 1 AGG, Rn. 4; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 148; zur Unterscheidung Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 59 ff. 40 Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (235); Edward, in: Schulze (Hrsg.), Non-Discrimination in European Private Law, S. 3 (5); Calliess/Ruffert/Rossi, Art. 21 GRCh, Rn. 3; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 150 nimmt eine Abgrenzung zum allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vor, der auf das Erreichen von Verteilungsgerechtigkeit abzielt; MüKoBGB/Thüsing, § 1 AGG, Rn. 6; Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG; Wiedemann, RdA 2005, S. 193 f. 41 Polloczek, Altersdiskriminierung im Licht des Europarechts, S. 117.
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters
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leitet sich aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem allgemeinen Rechtsgrundsatz ab, der die Gleichbehandlung von Gleichem und die Ungleichbehandlung von Ungleichem gebietet.42 Das Grundgesetz regelt in Art. 3 Abs. 1 GG einen allgemeinen Gleichheitssatz, der als Gleichheitsgrundrecht alle Staatsgewalten bindet (Art. 1 Abs. 3 GG).43 Im Wege der mittelbaren Drittwirkung ist Art. 3 GG jedoch auch bei der Auslegung und Ausgestaltung von Privatrechtsbeziehungen zu berücksichtigen.44 Neben dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz galt lange Zeit kein besonderes Benachteiligungsverbot wegen des Alters. § 611a BGB a. F. enthielt nur ein Verbot der Geschlechterdiskriminierung. Der Schutz vor Diskriminierungen blieb damit hinter den später eingeführten Gewährleistungen des Unionsrechts und des darauf beruhenden AGG zurück.45
II. Völkerrechtliche Vorgaben Noch vor Erlass der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie entstanden besondere Diskriminierungsverbote wegen des Alters aus völkerrechtlichen Vorgaben, die jedoch nur staatliches Handeln betrafen.46 Im Wesentlichen wurden akzessorische Diskriminierungsverbote bezüglich der Rechte in den jeweiligen Konventio nen geregelt. Dies gilt z. B. für Art. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 und für Art. 2 Abs. 2 des UN-Sozialpakts (IPWSKR). Auch die EMRK beinhaltet ein akzessorisches Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK), da eine Einigung auf einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht erzielt werden konnte.47 Das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf regelt ein nicht akzessorisches Diskriminierungsverbot für mehrere Diskriminierungsmerkmale, nicht jedoch in Bezug auf das Alter. Das 12. Zusatzprotokoll zur EMRK aus dem Jahr 2000 beinhaltet ein allgemeines umfassendes Diskriminierungsverbot, das jedoch ein Verbot der 42 BAG, Urt. v. 3. 9. 2014 – 5 AZR 6/13, NZA 2015, S. 222 (Rn. 18); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 574; vertiefend Reichold, JZ 2004, S. 384 (385 f.) m. w. N. 43 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Einl. A, Rn. 48. 44 ErfK/Schmidt, Art. 3 GG, Rn. 29; vertiefend Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (221 ff., 235 f.). 45 Polloczek, Altersdiskriminierung im Licht des Europarechts, S. 115; MüKoBGB/ Thüsing, § 1 AGG, Rn. 4. 46 Edward, in: Schulze (Hrsg.), Non-Discrimination in European Private Law, S. 3 ff.; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Einl. A, Rn. 8 ff.; Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 8 ff. 47 Maunz/Dürig/Langenfeld, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 2 f.; vertiefend Temming, Alters diskriminierung im Arbeitsleben, S. 72 ff.
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
Altersdiskriminierung nicht ausdrücklich aufführt. Das Protokoll wurde von der Bundesrepublik Deutschland bislang jedoch nur unterzeichnet und nicht ratifiziert.
III. Europarecht Im Folgenden wird die Entwicklung des Gleichbehandlungsrechts auf Unionsebene dargestellt. Die EuGH-Rechtsprechung leitet seit den Siebzigerjahren einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus den Gewährleistungen der Verfassungen der Mitgliedstaaten ab.48 Vergleichbare Sachverhalte dürfen nur bei sachlichen Unterscheidungsmerkmalen unterschiedlich behandelt werden.49 Seit Beginn der Achtzigerjahre befasst sich auch die Gesetzgebung der Europäischen Union mit dem Schutz vor Altersdiskriminierung. Zunächst erfolgten entsprechende Hinweise, Programme und Vorschläge. Die 1989 verabschiedete Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte beinhaltete erstmals soziale Garantien für Ältere im Hinblick auf Renten- und Sozialansprüche. Es fehlte jedoch lange Zeit ein umfassendes Gleichbehandlungsgebot in Beschäftigung und Beruf. Mit dem Amsterdamer Vertrag im Jahr 1997 wurde Art. 13 EGV (Art. 19 AEUV) eingeführt, der dem Rat die Kompetenz verlieh, auf Vorschlag der Kommission Maßnahmen gegen Diskriminierungen, auch wegen des Alters, zu ergreifen. Daran anknüpfend stellte die europäische Kommission im Jahr 1999 ein Strategiepapier zur Förderung des Wohlstands und der Solidarität zwischen den Generationen vor.50 1. Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG a) Die Gesetzgebungshistorie Im Jahr 2000 brachte die Kommission einen Richtlinienvorschlag für eine allgemeine Gleichbehandlungsrichtlinie in Beschäftigung und Beruf ein.51 Als Vorbild diente der US-amerikanische Age Discrimination and Employment Act (ADEA) von 1967, der gemäß sec 623 die Diskriminierung von Arbeitnehmern 48 Grundlegend EuGH, Urt. v. 19. 10. 1977 – C-117/76, Slg. 1977, S. 1753 (Rn. 7) – Ruckdeschel; vertiefend Mohn, Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht; Polloczek, Altersdiskriminierung im Licht des Europarechts, S. 74 ff. 49 EuGH, Urt. v. 19. 10. 1977 – C-117/76, Slg. 1977, S. 1753 (Rn. 7) – Ruckdeschel. 50 Ein Europa für alle Altersgruppen, 21. 5. 1999, KOM(1999)221. 51 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 C 177E, S. 41.
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters
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über dem 40. Lebensjahr untersagt.52 Am 27. 11. 2000 trat die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Kraft. Die Richtlinie bildet einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, der Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf. Die besondere Bedeutung des Verbots der Altersdiskriminierung für die Beschäftigungsförderung geht aus Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie hervor. Das Ziel, ältere Arbeitnehmer länger in der Beschäftigung zu halten und Diskriminierungen aufgrund des Alters zu verhindern, hatte eine wesentliche Bedeutung für den Erlass der Richtlinie.53 In Erwägungsgrund Nr. 14 wird demgegenüber betont, dass mitgliedstaatliche Bestimmungen über Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand nicht berührt werden. Es besteht damit ein mitgliedstaatlicher Ermessensspielraum, ein nationales Renteneintrittsalter festzulegen, ohne dass gleichzeitig Altersgrenzen der Kontrolle entzogen werden.54 b) Inhalt und Gewährleistung des Gleichbehandlungsgebots Eine Neuerung ist die umfassende Anwendung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie im öffentlichen und privaten Bereich (Art. 3 RL 2000/78/EG). Auch die prozessuale Durchsetzung der Gleichbehandlungsrechte wurde mittels Beweiserleichterungen und Schadensersatzansprüchen gestärkt.55 Die gerichtliche Überprüf- und Kontrollfähigkeit wird als wesentliche Neuerung im Vergleich zum zuvor bestehenden Diskriminierungsschutz gesehen.56 2. Grundrechtliche Gleichbehandlungsgebote Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. 12. 2009 sind die Grundrechte der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und damit auch die mitgliedstaatlichen grundrechtlichen Gleichbehandlungsgebote Teil des Unionsrechts (Art. 6 Abs. 3 EUV). Zudem normiert Art. 21 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta, die 2009 in Kraft trat, ebenfalls besondere Gleichbehandlungsgebote. In Art. 21 GRCh werden ausdrücklich Diskriminierungen wegen personenbezogener Diskriminierungsmerkmale, insbesondere wegen des Alters, 52
Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, S. 1324 (1235). Ein Europa für alle Altersgruppen, 21. 5. 1999, KOM(1999)221, S. 12. 54 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 69) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 69) – Palacios de la Villa; ErfK/Schlachter, § 10 AGG, Rn. 12; a. A. Nußberger, JZ 2002, S. 524 (530). 55 Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 8, Rn. 49 ff. 56 Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 95; in Bezug auf das AGG Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Einl. A, Rn. 72. 53
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
untersagt. Gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV sind die Grundrechte der Charta Teil des europäischen Primärrechts.57 Adressaten des Verbots der Altersdiskriminierung sind alle Stellen der Union bzw. der Mitgliedstaaten, sofern sie Unionsrecht umsetzen (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh).58 3. Richterrechtliche Ausgestaltung des Verbots der Altersdiskriminierung Das Verbot der Altersdiskriminierung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG erlangte durch zwei EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Mangold und Kücükdeveci besondere Ausgestaltung. a) Die Rechtssache Mangold Die Rechtssache Mangold behandelte die Rechtmäßigkeit von § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a. F., der eine sachgrundlose Befristung von Arbeitnehmern über dem 52. Lebensjahr ermöglichte.59 aa) Entscheidung des EuGH Der EuGH entschied, dass die erleichterte Befristung von Arbeitnehmern ab dem 52. Lebensjahr eine auf dem Alter beruhende unmittelbare Ungleichbehandlung ist. Diese ist nicht durch sozialpolitische Ziele nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt, da sachgrundlose Befristungen unabhängig von der konkreten Beschäftigungssituation des Arbeitnehmers möglich waren. Aus diesem Grund ging die Vorschrift, insoweit „als sie das Alter des betroffenen Arbeitnehmers als einziges Kriterium für die Befristung des Arbeitsvertrags festleg[te], ohne dass nachgewiesen wäre, dass die Festlegung einer Altersgrenze als solche unabhängig von anderen Erwägungen im Zusammenhang mit der Struktur des jeweiligen Arbeitsmarktes und der persönlichen Situation des Betroffenen zur Erreichung des Zieles der beruflichen Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer objektiv erforderlich ist, über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist.“60 Für die Rechtsfolgen des Unionsrechtsverstoßes war unerheblich, dass die Umsetzungsfrist der Rahmenrichtlinie noch lief. Infolge der Richtlinienvorwir57
EuGH, Urt. v. 8. 9. 2011 – C-297/10 u. a., Slg. 2011, I-7965 (Rn. 47) = NZA 2011, 1100 (Rn. 47) – Hennigs und Mai. 58 EurArbR/Mohr, Art. 21 GRCh, Rn. 48 f. 59 Zum Befristungsrecht Kapitel 3 B.III.2.b)aa). 60 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 65) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 65) – Mangold.
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters
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kung und des Frustrationsverbots dürfen Mitgliedstaaten ab dem Beginn der Umsetzungsfrist keine Gesetze erlassen, welche die Richtlinienumsetzung vereiteln.61 Dies folgt aus dem Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts. Ansonsten könnten sachgrundlos befristete Arbeitsverträge mit älteren Arbeitnehmern, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist abgeschlossen wurden, zu einer irreparablen Verwirklichung der Benachteiligung führen.62 Der EuGH entschied zudem, dass das Verbot der Altersdiskriminierung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anzusehen sei. Nach den Erwägungsgründen Nr. 1 und 4 der Richtlinie habe das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters seinen Ursprung in völkerrechtlichen Verträgen sowie den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten. Die Richtlinie bilde nur eine Durchführungsregelung des unionsgrundrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung.63 Da das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Primärrecht der europäischen Union verankert ist, führte der Verstoß zur Unanwendbarkeit des entgegenstehenden nationalen Rechts. bb) Reaktionen in der Literatur Die Entscheidung des EuGH überraschte nicht aufgrund der Unzulässigkeit der sachgrundlosen Befristung ab dem 52. Lebensjahr, sondern bezüglich der weitreichenden Rechtsfolgen des Verstoßes gegen die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie.64 Das in der RL 2000/78/EG niedergelegte Verbot der Altersdiskriminierung fand aufgrund der unionsgrundrechtlichen Verankerung in Privatrechtsverhältnissen Anwendung und führte zu der Unanwendbarkeit einer nationalen Regelung. Dies verursachte in der rechtswissenschaftlichen Literatur erhebliche Kritik an der Entscheidung.65
61 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 67 ff.) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 67 ff.) – Mangold; EuGH, Urt. v. 18. 12. 1997 – C-129/96, Slg. 1997, I-7411 (Rn. 45 ff.) = NVwZ 1998, S. 385 (Rn. 45 ff.) – Inter-Environnement Wallonie; Rengeling/ Middeke/Gellermann/Gärditz, § 34, Rn. 46; Franzen, JZ 2007, S. 191 (192). 62 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 72 f.) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 72 f.) – Mangold. 63 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 74 ff.) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 74 ff.) – Mangold. 64 Anders Generalanwalt Tizzano, Schlussanträge v. 30. 6. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9985 (Rn. 106 ff.) – Mangold; Kuras, RdA 2007, S. 169 (173). 65 Junker, in: FS Carl Heymanns Verlag, S. 65 (74); kritisch Bauer/Arnold, NJW 2006, S. 6 (8 ff.); Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, S. 17 ff.; Reichold, JZ 2006, S. 549 f.; Riesenhuber, in: FS Adomeit, S. 631 ff.; Thüsing, ZIP 2005, S. 2149 ff.
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
(1) Herleitung des Grundsatzes Als problematisch wurde die Herleitung und die Verortung des unionsgrundrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung angesehen.66 Insbesondere wurde kritisiert, dass der EuGH sowohl mit der Vorwirkung der Richtlinie als auch mit dem Vorrang des Primärrechts argumentierte und damit eine „Melange aus Primärrecht und Richtlinie“ zugrunde legte.67 Auf die Vorwirkung von Richtlinien kommt es aufgrund der primärrechtlichen Verankerung des Verbots der Altersdiskriminierung nicht an.68 Gleichzeitig müsste die rangniedere und speziellere Richtlinie vorrangig Anwendung finden.69 Zudem wurde die fehlende Bestimmtheit von Inhalt und Gewährleistungen des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes kritisiert.70 Die Voraussetzungen der Ungleichbehandlung wurden aus der Richtlinie, die Rechtsfolgen aber aus dem Primärrecht abgeleitet. Auch die methodische Herleitung des unionsgrundrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung aus den nationalstaatlichen Verfassungen überzeugte nicht, da ein spezielles Verbot der Altersdiskriminierung in den nationalen Verfassungen, außer in Finnland und Portugal, nicht besteht.71 Im acquis des europäischen Rechts und in den Verfassungen der Mitgliedstaaten ist nur ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot verankert.72 Entsprechendes gilt für die angeführten völkerrechtlichen Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts, die zum Teil nur akzessorische Diskriminierungsverbote enthalten.73 66 BAG, Urt. v. 26. 4. 2006 – 7 AZR 500/04, NZA 2006, S. 1162 (Rn. 28 ff.); Generalanwalt Mazák, Schlussanträge v. 15. 2. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8535 (Rn. 88 ff.) – Palacios de la Villa; Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (454); Sprenger, EuZA 2016, S. 460 (466 f.); Streinz/Herrmann, RdA 2007, S. 165 (168); Waltermann, NJW 2008, S. 2529 (2532). 67 Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (453). 68 Streinz/Herrmann, RdA 2007, S. 165 (168 f.); Riesenhuber, in: FS Adomeit, S. 631 (637). 69 Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold als ausbrechender Rechtsakt“, S. 30 f.; Wank, in: FS Birk, 929 (940 ff.); Wiedemann, Anm. AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG. 70 Kohler/Puffer-Mariette, ZEuP 2014, S. 696 (733); Reichold, JZ 2006, S. 549. 71 Greif, Die Unanwendbarkeit richtlinienwidriger deutscher Arbeitsgesetze, S. 125 ff.; Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (460 f.); Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold als ausbrechender Rechtsakt“, S. 20; Leible, in: Schulze (Hrsg.), Non-Discrimination ein European Private Law, S. 27 (28 f.); Preis, NZA 2006, S. 401 (406); Preis, NZA 2010, S. 1323; Sprenger, EuZA 2016, S. 460 (464); Thüsing, ZIP 2005, S. 2149 f.; Waltermann, in: FS Birk, 915 (916). 72 Kuras, RdA 2007, S. 169 (174); Repasi, EuZW 2009, S. 756 (757); Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG; vgl. hierzu auch EuGH, Urt. v. 19. 10. 1977 – C-117/76, Slg. 1977, S. 1753 (Rn. 7) – Ruckdeschel; vertiefend Polloczek, Altersdiskriminierung im Licht des Europarechts, S. 74 ff. 73 Vgl. Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold als ausbrechender Rechtsakt“, S. 19 f.
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters
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(2) Unmittelbare Anwendbarkeit Viel diskutiert wurde ebenfalls, ob durch das Mangold-Urteil eine unmittelbare Wirkung der Antidiskriminierungsrichtlinie in Privatrechtsverhältnissen geschaffen wurde. Die Nichtanwendbarkeit des nationalen Rechts wird deshalb auch als „negative horizontal direct effect“ beschrieben. Danach wären private Parteien im negativen Sinn direkt an die Richtlinie gebunden.74 Die Herleitung des Verbots der Altersdiskriminierung aus dem Primärrecht der Union wurde als „Kunstgriff“ angesehen, um eine unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie in Privatrechtsverhältnissen zu konstituieren.75 Aus diesen Gründen wurde die Legitimation der rechtsfortbildenden Rechtsprechung des EuGH hinterfragt.76 (3) Verfassungsrechtliche Fragen Gegen das Urteil wurden verfassungsrechtliche Einwände geltend gemacht. Es wurde kritisiert, dass der EuGH die Kompetenzen der Union durch die Anerkennung eines primärrechtlichen Grundsatzes einseitig erweiterte.77 Zudem könnte die Normenverwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts umgangen werden.78 cc) Die Honeywell-Entscheidung des BVerfG Gegen das Urteil des BAG, das die Vorgaben der Mangold-Entscheidung umsetzte,79 wurde eine Urteilsverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG erhoben. Das Bundesverfassungsgericht überprüfte die Grundsätze in der sogenannten Honeywell-Entscheidung anhand einer Identitätskontrolle dahingehend, ob ein hinreichend qualifizierter Rechtsverstoß vorliegt, der zu einer „strukturell bedeutsamen Verschiebung im Kompetenzgefüge zulasten der Mitgliedstaaten führt.“80 Die Anerkennung eines unionsgrundrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung weitete nach Ansicht des BVerfG die Kompetenzen der Union nicht aus, da ohnehin ein vorwirkender Sekundärrechtsakt in Form der Richtlinie bestand. 74
Reich, in: Schulze (Hrsg.), Non-Discrimination in European Private Law, S. 57 (78). Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (453); Junker, in: FS Carl Heymanns Verlag, S. 65 (74); Kohler/Puffer-Mariette, ZEuP 2014, S. 696 (733 f.); Kufer/Weishaupt, EuZA 2011, S. 238 f.; Waas, ZESAR 2006, S. 289 (291); ähnlich Rengeling/Middeke/Gellermann/Gärditz, § 34, Rn. 43. 76 Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold als ausbrechender Rechtsakt“, S. 18. 77 Kufer/Weishaupt, EuZA 2011, S. 233 (236). 78 Vertiefend Wackerbarth/Kreße, EuZW 2010, S. 252 ff. 79 BAG, Urt. v. 24. 6. 2006 – 7 AZR 500/04, NZA 2006, S. 1162 (1163 f.). 80 BVerfG, Beschl. v. 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, S. 286 (304 f.) = NZA 2010 S. 995 (Rn. 61); die abweichende Meinung des Richters Landau warnt vor schleichenden Verschiebungen im Kompetenzgefüge (Rn. 103). 75
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
Es wurden mithin keine neuen Rechte und Pflichten der Bürger durch Rechtsauslegung begründet.81 Bezüglich der Normenverwerfungskompetenz führte das BVerfG bereits in einem früheren Beschluss aus, dass unionsrechtswidrige Normen ohnehin nicht entscheidungserheblich sind und eine Vorlagepflicht an das BVerfG daher entfällt.82 Die Entscheidung des EuGH verstieß demnach nicht gegen die Vorgaben der deutschen Verfassung. dd) Stellungnahme Das Mangold-Urteil des EuGH überzeugt in Bezug auf die Prüfung der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie. Es entspricht der strengen Prüfung im Schlussantrag des Generalanwalts Tizzano.83 Dieser argumentierte, dass die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit zum dauerhaften Ausschluss der erfassten Altersgruppe von unbefristeten Arbeitsverhältnissen führt.84 Neben dem Alter des Arbeitnehmers sind zudem konkrete Tatbestandsmerkmale erforderlich, die eine Verknüpfung der beschäftigungspolitischen Zielsetzung mit der erleichterten Befristungsmöglichkeit nahelegen. In der Entscheidung Mangold wurde keine unmittelbare Wirkung von Richtlinien anerkannt.85 Die Unanwendbarkeit nationalen Rechts resultiert aus dem Anwendungsvorrang des Primärrechts der Union vor nationalem Recht.86 Dieser wiederum leitet sich aus dem Rechtsanwendungsbefehl des Unionsrechts ab, den die Mitgliedstaaten bei Gründung der Europäischen Union mitgetragen haben.87 Das Verbot der Altersdiskriminierung wurde auf die höhere Ebene des Primärrechts verlagert und reicht daher weiter, als dies im Rahmen der Richtliniengel81 BVerfG, Beschl. v. 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, S. 286 (312 f.) = NZA 2010 S. 995 (Rn. 78). 82 BVerfG, Urt. v. 28. 1. 1992 – 1 BvR 1025/82 u. a., BVerfGE 85, S. 191 (203 ff.) = NJW 1992, S. 964; BVerfG, Urt. v. 17. 12. 2002 – 1 BvL 28/95, BVerfGE 106, S. 275 (295) = NJW 2003, S. 1232; BVerfG, Beschl. v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, S. 202 (214 f.) = NZA 2007, S. 42 (Rn. 52); BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 18. 11. 2008 – 1 BvL 4/08. 83 Generalanwalt Tizzano, Schlussanträge v. 30. 6. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9985 (Rn. 95) – Mangold. 84 Generalanwalt Tizzano, Schlussanträge v. 30. 6. 2005 – C-144/04, Slg. 2005, I-9985 (Rn. 95) – Mangold. 85 Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 3 Rn. 119; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Einl. A, Rn. 43; Thüsing, ZIP 2005, S. 2149 (2150 f.); Waltermann, in: FS Birk, 915 (918 ff.). 86 Grundlegend EuGH, Urt. v. 15. 7. 1964 – C-6/64, Slg. 1964, 1253 (1269 ff.) – Costa/ ENEL; Rengeling/Middeke/Gellermann/Gärditz, § 35, Rn. 7. 87 Rengeling/Middeke/Gellermann/Gärditz, § 35, Rn. 4; Streinz, in: FS Söllner, S. 1139 (1148 f.).
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters
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tung möglich war.88 Es handelte sich damit nur um einen Reflex der „Vergrundrechtlichung“ des Verbots der Altersdiskriminierung.89 Problematisch ist jedoch die Herleitung des unionsgrundrechtlichen Grundsatzes des Verbots der Altersdiskriminierung. Ein solches Verbot ist angesichts der Vertragsfreiheit in privaten Schuldverhältnissen keine Selbstverständlichkeit. So enthalten die vom EuGH beispielhaft zitierten völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen im Wesentlichen akzessorische Diskriminierungsverbote, die nicht allgemein, sondern bezüglich des jeweiligen Rechtsakts gelten. Die Unterscheidung zwischen akzessorischen und nicht-akzessorischen Gleichbehandlungsgeboten belegt, dass bei der Ausgestaltung des Diskriminierungsrechts wesentliche Gestaltungsspielräume bestehen, die nicht ohne Weiteres umgangen werden dürfen. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 13 EGV (Art. 19 AEUV), da die Vorschrift nur eine Kompetenzgrundlage enthält und verdeutlicht, dass bestimmte Diskriminierungen nur nach sekundärrechtlicher Konkretisierung untersagt werden sollen.90 Auch die nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten enthalten zu einem überwiegenden Anteil keine Verbote der Diskriminierung wegen des Alters, sondern nur allgemeine Gleichbehandlungsgebote.91 Diese unterscheiden sich jedoch wesentlich von besonderen Diskriminierungsverboten wegen des Alters, die ein Anknüpfen an das jeweilige Unterscheidungsmerkmal unterbinden wollen.92 Aus diesen Gründen kann aus der Gesamtschau der genannten Rechtsakte nicht ohne Weiteres ein übergreifendes Diskriminierungsverbot wegen des Alters abgeleitet werden.93 Angesichts der erheblichen Tragweite eines solchen Verbots, hätte die Herleitung zudem argumentativ fundierter erfolgen müssen. Die Defizite der dogmatischen Herleitung des unionsgrundrechtlichen Grundsatzes der Altersdiskriminierung wurden jedoch im Jahr 2009 mit Inkrafttreten der EU-Grundrechtecharta beseitigt. Art. 21 GRCh führte ein ausdrückliches Verbot der Altersdiskriminierung im Primärrecht der Union ein. Die umstrittene Herleitung aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten erübrigt sich 88
Linsenmaier, RdA 2012, S. 193, S. 196; Preis/Temming, NZA 2010, S. 185 (190). Riesenhuber, in: FS Adomeit, S. 631 (638); Streinz/Herrmann, RdA 2007, S. 165 (169); zum Begriff der „Vergrundrechtlichung“ Waas, ZESAR 2006, S. 289 (291). 90 Vgl. die abweichende Meinung des Richters Landau BVerfG, Beschl. v. 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, S. 286 (326 f.) = NZA 2010 S. 995 (Rn. 109). 91 Z. B. Art. 3 der Italienischen Verfassung v. 27. 12. 1947; Art. 7 des Österreichischen Bundesverfassungsgesetzes v. 1. 10. 1920 beinhaltet ein besonderes Benachteiligungsverbot wegen Behinderung und wegen Geschlechts; Art. 2 der Französischen Verfassung vom 4. 10. 1958 beinhaltet Benachteiligungsverbote wegen Herkunft, Rasse und Religion; Art. 1 des Human Rights Act des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nord irland vom 9. 11. 1998 verweist auf die Garantien der EMRK. 92 Kuras, RdA 2007, S. 169 (174). 93 Kufer/Weishaupt, EuZA 2011, S. 233 (238). 89
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
demnach. In neueren Entscheidungen legt der EuGH nunmehr die Anforderungen von Art. 21 GRCh neben der Richtlinie 2000/78/EG zugrunde.94 b) Die Rechtssache Kücükdeveci Die in Mangold niedergelegten Grundsätze bestätigte der EuGH in der Rechtssache Kücükdeveci. aa) Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die Entscheidung betrifft die Vereinbarkeit von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. mit der Richtlinie 2000/78/EG. Die Vorschrift regelte, dass bei Berechnung der Kündigungsfrist Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr unberücksichtigt bleiben. Der EuGH sah in der Regelung eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die vor dem 25. Lebensjahr in den Beruf eintraten.95 Diese sei nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie aufgrund von beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Auch wenn jüngeren Arbeitnehmern grundsätzlich eine höhere Mobilität und dementsprechend eine kürzere Kündigungsfrist zugemutet werden könne, sei die Regelung inkonsequent, da sie unabhängig von dem Alter des Arbeitnehmers bei der Entlassung gilt.96 Der EuGH wiederholte, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist. Aufgrund der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, müsse die entgegenstehende nationale Norm gegebenenfalls unangewendet bleiben.97 bb) Bewertung Die Grundsätze der Mangold Entscheidung werden vollumfänglich bestätigt. Der Gerichtshof legt die Richtlinie 2000/78/EG erneut als Konkretisierung des unionsgrundrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung zugrunde.98 Auch in der Rechtssache Kücükdeveci wird nicht eindeutig zwischen der Anwendung des Primärrechts und der Richtlinie abgegrenzt. Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung erfolgt anhand von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG. Gleichzeitig wird das 94
EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016 – C-441/14, NZA 2016, S. 537 (Rn. 22) – Dansk Industri. Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 29) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 29) – Kücükdeveci. 96 EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 40) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 40) – Kücükdeveci. 97 EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 51) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 51) – Kücükdeveci. 98 EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 50) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 50) – Kücükdeveci. 95 EuGH,
B. Entwicklung des Diskriminierungsverbots aufgrund des Alters
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Verbot der Altersdiskriminierung im Primärrecht verortet. Daher blieb die entgegenstehende Regelung des nationalen Rechts unangewendet.99 Neu ist jedoch, dass die Richtlinie zum erforderlichen Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit des Unionsrechts wird.100 Es genügt, dass die Regelung von Kündigungsfristen in den Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie fällt, auch wenn die Beendigung von Arbeitsverhältnissen selbst unionsrechtlich nicht geregelt ist.101 Der EuGH ging nicht auf die weitergehende Forderung des Generalanwalts Bot ein, eine negative unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie mit der Rechtsfolge der Unanwendbarkeit entgegenstehenden nationalen Rechts anzuerkennen.102 Der Gerichtshof argumentierte, dass ein allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung in der Richtlinie nur konkretisiert wird.103 Es handele sich damit nicht um einen negativen Effekt der Richtlinie, sondern um das Verhältnis des Primärrechts zu entgegenstehendem nationalen Recht. Weiterhin wird das auch in späteren Entscheidungen betonte Kohärenzgebot bei Ungleichbehandlungen relevant. Das Ziel, Kündigungsfristen an den Chancen des ausscheidenden Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt auszurichten, wurde nicht kohärent verfolgt, da nicht das Alter des Ausscheidens, sondern des Berufseinstiegs für die Berechnung der Kündigungsfrist maßgeblich war. Das Einstiegsalter hat wiederum keine Aussagekraft in Bezug auf die späteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. c) Die Rechtssache Dansk Industri In der neueren Entscheidung Dansk Industri beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, inwieweit die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes das Gebot, die unvereinbare nationale Vorschrift nicht anzuwenden, beeinflussen.104 In dieser Entscheidung ging es um eine Vorschrift des dänischen Rechts, welche Arbeitnehmer über 60 Jahre von einem Anspruch auf eine Entlassungsabfindung ausnahm, wenn sie einen Anspruch auf Zahlung einer Altersrente aus 99 EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 50 ff.) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 50 ff.) – Kücükdeveci. 100 Vgl. Waltermann, EuZA 2010, S. 541 (548 f.). 101 EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 25 f.) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 25 f.) – Kücükdeveci. 102 EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 50 f.) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 50 f.) – Kücükdeveci; Generalanwalt Bot, Schlussanträge v. 7. 7. 2009 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 70 f.); Waltermann, EuZA 2010, S. 541 (549). 103 EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 51) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 51) – Kücükdeveci; a. A. Reich, in: Schulze (Hrsg.), Non-Discrimination in European Private Law, S. 57 (78) sieht den „negative horizontal direct effect“ durch die Entscheidung Kücükdeveci bestätigt. 104 EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016 – C-441/14, NZA 2016, S. 537 (Rn. 43) – Dansk Industri.
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
einem Rentensystem hatten, dem sie vor Erreichen des 50. Lebensjahrs beigetreten sind. Der EuGH entschied, dass der Ausschluss der älteren Arbeitnehmer von Entlassungsabfindungen gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstößt.105 Bei Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem unionsgrundrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung ist zunächst eine unionsrechtskonforme einschränkende Auslegung durch die nationalen Gerichte erforderlich. Sofern dies nicht möglich ist, kann die unvereinbare Regelung auch in einem Rechtsstreit zwischen zwei privaten Arbeitsvertragsparteien unanwendbar sein.106 Dem steht der Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht entgegen. Diese Grundsätze können den Kläger nicht hindern, sich auf die für ihn vorteilhafte Unionsrechtswidrigkeit einer Norm zu berufen.107 Damit führte der EuGH die Grundsätze der Entscheidungen Kücükdeveci und Mangold fort. Der EuGH räumt dem Grundsatz der Gleichbehandlung den Vorrang gegenüber den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten ein. Überraschend ist die Begründung, dass der klagenden Partei die Rechte aus der Richtlinie nicht versagt werden können. Da die Prozessrolle häufig vom Zufall abhängt, kann diese Argumentation nicht überzeugen.108 Die Entscheidung des EuGH zeigt jedoch, dass die Grundsätze der Mangold und Kücükdeveci-Rechtsprechung konsequent weitergeführt werden, um dem unionsgrundrechtlichen Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Alters Wirkung zu verleihen.
IV. Zusammenfassung Das Verbot der Altersdiskriminierung hat eine besondere Bedeutung im europäischen Arbeitsrecht und fand erst schrittweise Einzug in das deutsche Arbeitsrecht. Das Verbot beruht zu einem wesentlichen Teil auf der Rechtsprechung des EuGH in den Entscheidungen Mangold und Kücükdeveci. Aus den genannten Entscheidungen lassen sich die Grundsätze der Kohärenz und Korrelation ableiten. Die Unterscheidung aufgrund des Alters muss das verfolgte Ziel kohärent und systematisch in sämtlichen Anwendungsfällen fördern. Es genügt nicht, wenn das jeweilige Ziel nur in Einzelfällen erreicht wird. Weiterhin muss eine Korrelation zwischen dem Differenzierungsmerkmal und dem beschäftigungspolitischen Förderbedarf bestehen. Hierzu muss der Anwendungsbereich so weit 105
EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016 – C-441/14, NZA 2016, S. 537 (Rn. 27) – Dansk Industri. EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016 – C-441/14, NZA 2016, S. 537 (Rn. 35) – Dansk Industri. 107 EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016 – C-441/14, NZA 2016, S. 537 (Rn. 41) – Dansk Industri. 108 Benecke, EuZW 2016, S. 466 (470). 106
C. Diskriminierung wegen des Alters durch § 41 S. 3 SGB VI
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wie möglich eingeschränkt werden, um die Ungleichbehandlung auf das erforderliche Minimum zu reduzieren.
C. Diskriminierung wegen des Alters durch § 41 S. 3 SGB VI Anhand dieser Kriterien wird nun untersucht, ob die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze gemäß § 41 S. 3 SGB VI mit der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie vereinbar ist.
I. Anwendbarkeit der Richtlinie Zunächst müsste die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie auf Befristungen nach Erreichen des Rentenalters Anwendung finden. Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. c gilt die Richtlinie für Arbeitgeber des öffentlichen und privaten Bereichs für Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen. Die Richtlinie ist somit auf Befristungen nach Erreichen des Rentenalters anwendbar, da es sich um eine Entlassungsbedingung handelt. Etwas anderes folgt nicht aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie, wonach nationale Bestimmungen zu Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand unberührt bleiben. Dieser Erwägungsgrund trifft keine Aussage zu arbeitsrechtlichen Gestaltungen nach Erreichen der Altersgrenze.
II. Vorliegen einer Diskriminierung Weiterhin ist zu prüfen, ob die unbeschränkte Befristungsmöglichkeit eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters darstellt. Dies wäre der Fall, wenn eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung aufgrund des Alters vorliegt, die nicht nach Art. 4 oder Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt ist. 1. Unmittelbare und mittelbare Diskriminierung Eine Diskriminierung aufgrund des Alters setzt im Fall der unmittelbaren Diskriminierung eine weniger günstige Behandlung aufgrund eines der in Art. 1 der RL 2000/78/EG genannten Merkmale voraus (Art. 2 Abs. 2 lit. a RL 2000/78/ EG). Eine mittelbare Diskriminierung läge dann vor, wenn ein dem Anschein nach neutrales Kriterium geeignet ist, Personen aufgrund eines bestimmten Alters gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, wenn das Kriterium nicht zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels angemessen und erforderlich ist (Art. 2 Abs. 2 lit. b i RL 2000/78/EG).
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
Vorliegend knüpft § 41 S. 3 SGB VI nicht direkt an das Alter des Arbeitnehmers, sondern das Erreichen einer vertraglichen Altersgrenze auf das Erreichen der Regelaltersgrenze an. Dieser Zeitpunkt bestimmt sich jedoch anhand des in § 35 S. 2 SGB VI genannten Lebensalters. Aus diesem Grund ist der Anknüpfungspunkt der Befristungsvorschrift kein neutrales Merkmal, so dass eine unmittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Alters vorliegt. 2. Weniger günstige Behandlung (Benachteiligung) Die Befristungsvorschrift müsste zu einer weniger günstigen Behandlung, einer Benachteiligung, rentenberechtigter Arbeitnehmer führen. Das Vorliegen einer weniger günstigen Behandlung ist fraglich, da die Abstufung des Befristungsschutzes zu einem Vorteil der rentenberechtigten Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt führen soll.109 a) EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen Georgiev und Mangold In früheren Entscheidungen nahm der EuGH grundsätzlich eine Benachteiligung aufgrund des Alters an, wenn eine Absenkung des Befristungsschutzes zu einem geringeren arbeitsrechtlichen Schutzniveau führte. In der Rechtssache Georgiev entschied der EuGH zur Vereinbarkeit der befristeten Weiterbeschäftigungsmöglichkeit von Professoren mit der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie. Ein bulgarisches Gesetz regelte, dass Professoren nach Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze für mindestens ein Jahr und maximal für drei Jahre befristet weiterbeschäftigt werden durften. Der EuGH ging von einer Benachteiligung aus, da Professoren nach Erreichen des 65. Lebensjahrs anders als jüngere Kollegen ausschließlich aufgrund befristeter Arbeitsverträge weiterarbeiten konnten. Demnach zwinge die Befristungsregelung den betroffenen Professoren „diese Art von Arbeitsvertrag auf“ und hindere sie daran, „die Ausübung ihrer Tätigkeit auf Grund unbefristeter Verträge fortzusetzen“.110 Die Tatsache, dass die Professoren bereits die gesetzliche Altersgrenze erreichten, ändere nichts daran, „dass die Beschäftigungsbedingungen dieser Professoren, da sie nicht mehr über einen unbefristeten Arbeitsvertrag verfügen, unsicherer werden als die von Professoren im Alter von unter 65 Jahren.“111 Auch in der Rechtssache Mangold nahm der EuGH eine „Verminderung des den Arbeitnehmern im Hinblick auf befristete Ar109
Vgl. EurArbR/Mohr, Art. 2 RL 2000/78/EG, Rn. 17. EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 33) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 33) – Georgiev; vgl. auch EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 37) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 37) – Rosenbladt. 111 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 34) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 34) – Georgiev. 110
C. Diskriminierung wegen des Alters durch § 41 S. 3 SGB VI
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beitsverhältnisse garantierten Schutzes“ durch die erleichterte Befristungsmöglichkeit ab dem 52. Lebensjahr an.112 b) EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache John Das Urteil des EuGH in der Rechtssache John trifft nun eine genau entgegengesetzte Entscheidung, ohne auf die Georgiev-Grundsätze einzugehen. Der EuGH führt aus, dass die Regelung zur befristeten Weiterarbeit im Rentenalter (§ 41 S. 3 SGB VI) keine Benachteiligung aufgrund des Alters begründe, sondern einen „günstigen und vorteilhaften Charakter“ habe.113 Im Gegensatz zu jüngeren Arbeitnehmern könne der „Arbeitnehmer, der die Regelaltersgrenze erreicht, zwischen der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses und dem völligen Ausscheiden aus dem Berufsleben wählen“.114 Die Option der befristeten Weiterbeschäftigung sei damit eine günstige Ausnahme von der grundsätzlichen Beendigung des Arbeitsvertrags durch eine Altersgrenze.115 In der Rechtssache John wiegt der EuGH damit die beschäftigungspolitischen Vorteile gegen die Absenkung des arbeitsrechtlichen Schutzes auf 116 und verneint eine Benachteiligung aufgrund des Alters. In der Literatur wurde dieser Ansatz, rechtliche Nachteile durch potentielle beschäftigungspolitische Vorteile zu kompensieren, teilweise als „subjektive Günstigkeit“117 oder als „wertende Gesamtbetrachtung“118 bezeichnet. c) Stellungnahme Die unterschiedlichen Ansätze des EuGH im Hinblick auf die Befristungsregelungen für ältere Arbeitnehmer überraschen. Dies gilt insbesondere, als die Rechtssache John die in befristungsrechtlicher Hinsicht wesentlich weitreichendere Möglichkeit einer zeitlich unbeschränkten sachgrundlosen Befristung betrifft. In der Rechtssache Georgiev waren die Weiterbeschäftigten zumindest durch eine Mindestbefristungsdauer von einem Jahr geschützt. Aus diesem Grund sind die Unterschiede der beiden Entscheidungen und die Argumente des EuGH genauer zu überprüfen. 112
EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – C-144/04, NZA 2005, 1345 (Rn. 52) – Mangold. EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 30 ff.) – John. 114 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 29) – John. 115 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 27 ff.) – John. 116 EurArbR/Mohr, Art. 2 RL 2000/78/EG, Rn. 17. 117 Grds. zur subjektiven Günstigkeit Rieble, JZ 2008, S. 811 (813); Lobinger in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99 (135 f.); vgl. ferner Adomeit, NJW 1984, S. 26; Fastrich, in: FS Kissel, S. 193 (208); Gitter, in: FS Wlotzke, S. 297 (300 ff.). 118 EurArbR/Mohr, Art. 2 RL 2000/78/EG, Rn. 17. 113
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
Zunächst liegt ein wesentlicher Unterschied der beiden Rechtssachen darin, dass der Georgiev-Entscheidung eine gesetzliche und keine vertragliche Altersgrenze zugrunde lag. Somit fiel die Option einer vertraglich vereinbarten unbefristeten Weiterbeschäftigung nach Erreichen der Regelaltersgrenze vollständig weg. Anderes gilt für die Weiterbeschäftigung nach Erreichen einer vertraglichen Altersgrenze in der Rechtssache John. Im Anschluss an eine vertragliche Regelaltersgrenze können sich die Vertragsparteien auch für eine unbefristete Weiterbeschäftigung entscheiden. Obwohl dieser Unterschied wesentlich ist, rechtfertigt er die geänderte Annahme des EuGH in der Rechtssache John nicht. Eine unmittelbare Diskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 lit. a RL 2000/78/EG setzt allein voraus, dass eine weniger günstige Behandlung aufgrund des Alters erfolgt. Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht unbeschränkte Befristungsmöglichkeit in § 41 S. 3 SGB VI führt dazu, dass rentenberechtigte Arbeitnehmer gesetzlich weniger günstig behandelt werden, als jüngere Arbeitnehmer. Letztere werden durch entsprechende Einschränkungen vor unzulässigen Befristungen geschützt. Dies gilt unabhängig davon, ob vertragliche Alternativen zur befristeten Weiterbeschäftigung gewählt werden könnten. Inhaltlich geht der EuGH in der Rechtssache John für Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters von der Zulässigkeit vertraglicher Regelaltersgrenzen aus und ordnet die befristete Weiterbeschäftigung als vorteilhafte Ausnahme ein.119 In der bisherigen Rechtsprechung des EuGH waren die indirekten Vorteile des Arbeitnehmers infolge einer Differenzierung für die Feststellung einer Benachteiligung jedoch nicht relevant.120 In der Rechtssache Georgiev wies der EuGH eine entsprechende Argumentation noch ausdrücklich zurück.121 Auch in der Mangold-Entscheidung wurde nicht problematisiert, ob die Benachteiligung aufgrund möglicher positiver Beschäftigungseffekte entfällt.122 Die indirekten Vorteile wurden erst im Rahmen der Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG berücksichtigt.123 Diese Trennung der beiden Prüfungsschritte überzeugt, da allein die Rechtfertigungsprüfung eine Abwägung der Vor- und Nachteile einer Regelung unter 119
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 27 ff.) – John. EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 57) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 57) – Mangold; EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 34) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 34) – Georgiev. 121 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 34) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 34) – Georgiev. 122 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 57) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 57) – Mangold. 123 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 59) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 59) – Mangold; Grünberger, EuZA 2011, S. 171 (175 f.). 120
C. Diskriminierung wegen des Alters durch § 41 S. 3 SGB VI
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Berücksichtigung des Gewichts der Benachteiligung und des Diskriminierungsmerkmals bietet. Mithin sollte es auf der ersten Stufe, der Ermittlung einer Benachteiligung wegen des Alters, nur darauf ankommen, ob objektiv eine weniger günstige Behandlung erfolgt. Dies ist nach vorliegend vertretener Ansicht der Fall. Eine unbeschränkte Befristungsmöglichkeit ist nicht nur vorteilhaft, da rentenberechtigte Arbeitnehmer, anders als Jüngere, weder durch sachliche noch durch zeitliche Einschränkungen geschützt werden. Weiterhin besteht die Option zur Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters nicht erst seit Einführung des § 41 S. 3 SGB VI. Vielmehr konnte auch schon nach zuvor geltender Rechtslage eine befristete Weiterbeschäftigung vereinbart werden. Es handelt sich daher um eine nachteilige Absenkung des Bestandsschutzes, die zu möglichen Beschäftigungsvorteilen führen soll. Diese Vorteile sind in der Systematik des Gleichbehandlungsrechts nicht auf erster Stufe, sondern erst auf der zweiten Stufe, im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung zu berücksichtigen. Gegen die Benachteiligung wegen des Alters spricht auch nicht, dass sämtliche Arbeitnehmer unter Betrachtung des zeitlichen Verlaufs gleichbehandelt werden.124 Im Gleichbehandlungsrecht werden die jeweiligen Altersstufen nicht isoliert betrachtet, sondern miteinander verglichen. Aus diesen Gründen ist nach der hier vertretenen Ansicht eine Benachteiligung rentenberechtigter Arbeitnehmer anzunehmen.125 3. Weitergehende Anforderungen der BAGRechtsprechung im deutschen Recht Auch unter Berücksichtigung der einschränkenden Anforderungen der Rechtsprechung des BAG liegt in der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit nach Erreichen des Rentenalters eine Benachteiligung aufgrund des Alters. Nach einschränkender Rechtsprechung des BAG zu § 3 Abs. 1 S. 1 AGG ist bei dem offenen Diskriminierungsmerkmal „Alter“ neben einer formalen Ungleichbehandlung weiterhin auch eine materielle Benachteiligung unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie notwendig.126 Ältere Arbeitnehmer müssen im Vergleich zu Jüngeren negativ behandelt oder zurückgesetzt werden. In einer Entscheidung des BAG wurde der Ausschluss älterer Arbeitnehmer von Entlassungsabfindungen als nicht benachteiligend angesehen, weil diese im Gegenzug vom Personal124
Zu Altersgrenzen Mager, in: FS Säcker, S. 1075 (1090 f.). einer vorliegenden Ungleichbehandlung gehen Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (82) aus; ebenso Bader, NZA 2014, S. 749 (752); APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 54; Greiner, RdA 2018, S. 65 (68); a. A. Brock, öAT 2018, S. 67 (68). 126 BAG, Urt. v. 25. 2. 2010 – 6 AZR 911/08, NZA 2010, S. 561 (Rn. 20, 25); Grünberger, EuZA 2011, S. 171 (178). 125 Von
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
abbau ausgenommen waren.127 Angesichts der Zielsetzung der Richtlinie, ältere Arbeitnehmer länger in der Erwerbstätigkeit zu halten, lag keine rechtfertigungsbedürftige Schlechterstellung vor.128 Im vorliegenden Fall erfolgt jedoch eine Reduktion des Befristungsschutzes im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern und damit auch eine materielle Schlechterstellung rentenberechtigter Arbeitnehmer.
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die Ungleichbehandlung aufgrund des Alters müsste auch sachlich gerechtfertigt sein. Da der EuGH bereits eine Benachteiligung verneinte, wurde die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung in der Entscheidung John nicht mehr geprüft. Dennoch sind die Anforderungen des Gleichbehandlungsrechts an die Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter wesentlich für eine zukünftige Rechtsentwicklung. Die Grundsätze der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung wegen des Alters werden somit relevant, um die Weiterbeschäftigung im Rentenalter zukünftig auszugestalten. Im Rahmen der Rechtfertigung ist zu unterscheiden, ob Gesetze eines Mitgliedstaats oder Maßnahmen des Arbeitgebers im konkreten Arbeitsverhältnis überprüft werden. Mitgliedstaatliche Gesetze werden an der Richtlinie 2000/78/ EG als höherrangigem Recht, Maßnahmen der Arbeitsvertragsparteien am Maßstab des AGG als Umsetzungsgesetz geprüft.129 Die Richtlinie 2000/78/EG beinhaltet verschiedene Anknüpfungspunkte für die Rechtfertigung. Aufgrund des ordre public Vorbehalts in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie können bestimmte Maßnahmen aus dem Diskriminierungsverbot herausfallen. Dieser Vorbehalt findet jedoch nur bei Maßnahmen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum Gesundheitsschutz Anwendung, nicht aber bei beschäftigungs- und sozialpolitischen Zielen. Unmittelbare Ungleichbehandlungen aufgrund der in Art. 1 der Richtlinie genannten Diskriminierungsmerkmale können nach Art. 4 und Art. 6 der Richtlinie gerechtfertigt werden. Beide Rechtfertigungsgründe sind nebeneinander anwendbar.130 Art. 4 Abs. 1 der RL 2000/78/EG, der § 8 AGG entspricht, regelt 127
BAG, Urt. v. 25. 2. 2010 – 6 AZR 911/08, NZA 2010, S. 561 (Rn. 26 ff.). Grünberger, EuZA 2011, S. 171 (177), der auf die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit verweist. 129 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (87); Wank, in: FS Bepler, S. 585 (586). 130 EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-229/08, Slg. 2010, I-1 (Rn. 30 ff.) = EuZW 2010, S. 142 (Rn. 30 ff.) – Wolf; EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-341/08, Slg. 2010, I-47 (Rn. 44 ff.) = NJW 2010, S. 587 (Rn. 44 ff.) – Petersen; EurArbR/Mohr, Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 3. 128 Kritisch
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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die Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen aufgrund beruflicher Anforderungen. Das jeweilige Unterscheidungsmerkmal muss für die berufliche Tätigkeit oder die Art ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen. Jeder Arbeitgeber kann demnach ein spezifisches, ggf. auch an Diskriminierungsmerkmalen ausgerichtetes, Anforderungsprofil für eine bestimmte Tätigkeit erstellen.131 Ein Beispiel sind Höchstaltersgrenzen aufgrund beruflicher Anforderungen zur Sicherung der Leistungsfähigkeit.132 Die Rechtfertigung der angenommenen Ungleichbehandlung durch § 41 S. 3 SGB VI kann jedoch nicht nach Art. 4 erfolgen, da die Befristungsvorschrift unabhängig von den jeweiligen beruflichen Anforderungen Anwendung findet. Da § 41 S. 3 SGB VI keine tätigkeitsbezogene, sondern eine sozialpolitische Zielsetzung verfolgt, erfolgt die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung wegen des Alters auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG, der § 10 AGG entspricht. Die Rechtfertigung nach Art. 6 der Richtlinie setzt ein legitimes Ziel aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung voraus. Hierbei handelt es sich um eine Generalklausel zur Rechtfertigung von Benachteiligungen wegen des Alters.133 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie konkretisiert demnach den Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie, wonach in Einzelfällen Ungleichbehandlungen wegen des Alters zur Beschäftigungsförderung gerechtfertigt und die Besonderheiten der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind. Die erleichterte Rechtfertigungsmöglichkeit bei sozialpolitischen Zielsetzungen trägt dem Umstand Rechnung, dass das Differenzierungsmerkmal des Alters ein besonderes Unterscheidungskriterium ist.134
I. Legitimes Ziel der Ungleichbehandlung wegen des Alters Zunächst müsste für die Ungleichbehandlung wegen des Alters ein entsprechendes legitimes Ziel vorliegen. Die in Art. 6 genannten legitimen Ziele der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarkts und der beruflichen Bildung sind nicht abschließend,135 vielmehr haben die Mitgliedstaaten ein Ermessen bei der Anerkennung weiterer Ziele.136 131 EurArbR/Mohr,
Art. 4 RL 2000/78/EG, Rn. 2. Höchstaltersgrenze für die Einstellung in den feuerwehrtechnischen Dienst EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-229/08, Slg. 2010, I-1 (Rn. 35 ff.) = EuZW 2010, S. 142 (Rn. 35 ff.) – Wolf. 133 Zu § 10 AGG ErfK/Schlachter, § 10 AGG, Rn. 1. 134 Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, S. 71. 135 EurArbR/Mohr, Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 41. 136 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 63) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 63) – Mangold; EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 132 Zur
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
1. Allgemeines Nach der Rechtsprechung des EuGH können allein sozialpolitische Gründe Benachteiligungen wegen des Alters rechtfertigen.137 Diese Beschränkung ist vorzugswürdig und folgt aus dem Charakter von Art. 6 Abs. 1 als Ausnahmevorschrift.138 Sozialpolitische Ziele sind solche, zu denen „sich die betreffenden nationalen Stellen aufgrund politischer, wirtschaftlicher, sozialer, demografischer und/oder haushaltsbezogener Erwägungen und in Anbetracht der konkreten Arbeitsmarktlage in einem bestimmten Mitgliedstaat veranlasst sehen können.“139 Berechtigte Ziele sind die Förderung eines höheren Beschäftigungsniveaus,140 die Schaffung einer altersmäßig ausgeglichenen Personalstruktur141 sowie die Beschäftigungsförderung jüngerer Arbeitnehmer.142 Allgemeine Ziele, wie die Förderung der Flugsicherheit, genügen jedoch nicht, um eine Ungleichbehandlung wegen des Alters nach Art. 6 der Richtlinie zu rechtfertigen.143 In diesen Fällen findet Art. 4 Anwendung.
(Rn. 68) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 68) – Palacios de la Villa; EuGH, Urt. v. 5. 3. 2009 – C-388/07, Slg. 2009, I-1569 (Rn. 51) = NZA 2009, S. 305 (Rn. 51) – Age Concern; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 33) = NZA 2010, S. 1341 (Rn. 33) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 41) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 41) – Rosenbladt; EuGH, Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 38) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 38) – Kücükdeveci; Joussen, ZESAR 2013, S. 276 (286); Waltermann, NZA 2005, S. 1265 (1267); Wiedemann, RdA 2017, 333 (334). 137 EuGH, Urt. v. 5. 3. 2009 – C-388/07, Slg. 2009, I-1569 (Rn. 46) = NZA 2009, S. 305 (Rn. 46) – Age Concern; EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 52) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 52) – Fuchs/Köhler; Grünberger, EuZA 2011, S. 171 (181); Preis/Temming, NZA 2010, S. 185 (195); Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, S. 1234 (1237 f.); a. A. BAG, Urt. v. 12. 1. 2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (Rn. 53); König, ZESAR 2005, 218; vermittelnd Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Teil E, Rn. 419. 138 Maschmann, EuZA 2011, S. 372 (377 f.). 139 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 69) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 69) – Palacios de la Villa. 140 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 69) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 69) – Palacios de la Villa. 141 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 45 f.) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 45 f.) – Georgiev. 142 EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-341/08, Slg. 2010, I-47 (Rn. 68) = NJW 2010, S. 587 (Rn. 68) – Petersen; EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 45 f.) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 45 f.) – Georgiev. 143 EuGH, Urt. v. 13. 9. 2011 – C-447/09, Slg. 2011, I-8003 (Rn. 77 ff.) = NZA 2011, S. 1039 (Rn. 77 ff.) – Prigge.
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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2. Legitimes Ziel der sachgrundlosen Befristung im Rentenalter Die befristete Weiterbeschäftigung von Rentnern nach Erreichen der Regelaltersgrenze könnte das legitime Ziel verfolgen, die Beschäftigung älterer und jüngerer Arbeitnehmer zu fördern. a) Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer Die Zielsetzung, den Beschäftigungsanteil älterer Arbeitnehmer zu erhöhen, wird in der Rechtssache Hörnfeldt vom EuGH als legitim anerkannt.144 Auch in der Rechtssache John klingt der Aspekt an, dass die rentenberechtigten Arbeitnehmer eine zusätzliche Option als Alternative zum Ausscheiden aufgrund einer Altersgrenze erlangen.145 Der Aspekt der Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer hat eine politische, soziale und demografische Dimension. Politisch wird angestrebt, dass ältere Arbeitnehmer gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben, indem sie erwerbstätig sind. In sozialer Hinsicht fördert die Weiterarbeit die finanzielle Absicherung von Rentnern bei geringen Altersrenten. Die Option zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit kann damit die sozialen Konsequenzen starrer Altersgrenzen abmildern.146 Zuletzt trägt die Weiterarbeit auch der Alterung der Gesellschaft und dem Fachkräftemangel Rechnung. b) Beschäftigungsförderung jüngerer Arbeitnehmer Alternativ könnte auf die Beschäftigungsförderung jüngerer Arbeitnehmer abgestellt werden.147 Erleichterte Befristungen im Rentenalter könnten dazu führen, dass besetzte Stellen schneller wieder für jüngere Bewerber frei werden. Dieser Gesichtspunkt wird zur Rechtfertigung vertraglicher Altersgrenzen angeführt und wurde durch den EuGH als legitimes sozialpolitisches Ziel anerkannt.148
144 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 26 ff.) – Hörnfeldt; vgl. APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 54. 145 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 27 ff.) – John. 146 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (232). 147 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 61) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 61) – Georgiev; Giesen, ZfA 2014, S. 217 (233); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 131. 148 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 44 ff.) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 44 ff.) – Rosenbladt; EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 65) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 65) – Palacios de la Villa.
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
II. Verhältnismäßigkeit Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie muss die differenzierende Maßnahme objektiv, erforderlich und angemessen sein, um das sozialpolitische Ziel zu erreichen. Das Kriterium der Objektivität beinhaltet kein über die Legitimität des jeweiligen Ziels hinausgehendes Kriterium.149 Die Überprüfung der Angemessenheit einer Maßnahme entspricht einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und beinhaltet damit zugleich auch die Prüfung der Erforderlichkeit.150 1. Prüfungsmaßstab Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung variiert der Prüfungsmaßstab des EuGH. Während bei allgemeinen Altersgrenzen eine eingeschränkte Rechtmäßigkeitsprüfung erfolgt,151 findet bei individuellen arbeitsrechtlichen Regelungen eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung statt.152 Es erfolgt eine umfassende Kontrolle der differenzierenden Maßnahme im Hinblick auf das verfolgte Ziel.153 Die Prüfung von Altersgrenzen beschränkt sich jedoch darauf, festzustellen, ob für eine Ungleichbehandlung ein vernünftiger und sachlich nachvollziehbarer Grund besteht. Der Prüfungsmaßstab im Rahmen der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen hat Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung.154 Er ist maßgeblich dafür, welche Handlungsspielräume der Gesetzgeber hat und inwieweit Typisierungsmöglichkeiten bestehen.155 In den verschiedenen Entscheidungen des EuGH zur Altersdiskriminierung wird dieser Zusammenhang deutlich. Während in der Mangold-Entscheidung kaum Spielräume des Gesetzgebers anerkannt wurden, besteht ein weiter Ermessensspielraum des Gesetzgebers bei Altersgrenzen.156 149 EurArbR/Mohr,
Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 13. Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 14. 151 So z. B. EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 67 ff.) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 67 ff.) – Palacios de la Villa; Einordnung als Willkürkontrolle Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 35; Kocher, RdA 2008, S. 238 (239 f.). 152 Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge v. 17. 7. 2014 – C-416/13 (Rn. 56) – Vital Pérez; Connolly (2009) 38(2) I.L.J., S. 233 (239); Grünberger, EuZA 2011, S. 171 (173); Kaiser, ZESAR 2014, S. 473 (482); Kilpatrick (2011) 40 I.L.J., 280 (291 ff.); EurArbR/ Mohr, Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 5, 18; Preis, NZA 2010, S. 1323 (1327); Temming, Al tersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 473 ff.; Wiedemann, RdA 2017, 333 (334). 153 Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (459). 154 Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (458). 155 Britz, NJW 2014, S. 346 (351). 156 Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (472 f.). 150 EurArbR/Mohr,
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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a) Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung Im Folgenden wird anhand einer Übersicht über die Rechtsprechung des EuGH geprüft, welcher Maßstab bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen durch die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze gilt. aa) Kohärenzprüfung Der EuGH fordert als ungeschriebenes Merkmal, dass die Mitgliedstaaten ihre legitimen Ziele kohärent und systematisch verfolgen.157 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt eine Kohärenzprüfung, ob die differenzierende Vorschrift widerspruchsfrei angewendet wird.158 Dies zeigt sich besonders in der Rechtssache Petersen. Dieser Fall betraf die Altersgrenze für niedergelassene Zahnärzte nach deutschem Recht, die jedoch ausschließlich für die vertragszahnärztliche Versorgung galt. Der EuGH prüfte die Altersgrenze anhand von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie und stufte sie als inkohärent und damit als nicht erforderlich zum Schutz der Gesundheit der Patienten ein, da sie nicht für die Behandlung von Privatpatienten galt.159 Gleichzeitig wies der EuGH darauf hin, dass die Vorschrift zur Förderung des Zugangs jüngerer Zahnärzte zur vertragsärztlichen Versorgung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zulässig sein könnte.160 (1) Bewertung Es wird kritisiert, dass die Kohärenz der Rechtsordnung gemessen an ein verfolgtes Ziel nicht zentrales Schutzelement des Antidiskriminierungsrechts sei.161 Dennoch ist es überzeugend, differenzierende Regelungen auf inkohärente Ausnahmen hin zu kontrollieren. Der Gesetzgeber widerlegt die Eignung und Erforderlichkeit der Differenzierung selbst, wenn eine Regelung nur teilweise auf vergleichbare Sachverhalte angewandt wird. Diese Wertungswidersprüche sprechen gegen die Erforderlichkeit einer Regelung, wenn das legitime Ziel zwingend durch eine umfassendere Norm hätte durchgesetzt werden müssen.
157 EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-341/08, Slg. 2010, I-47 (Rn. 53) = NJW 2010, S. 587 (Rn. 53) – Petersen; EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 85) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 85) – Fuchs/Köhler. 158 Mager, in: FS Säcker, S. 1075 (1086); kritisch Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (472). 159 EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-341/08, Slg. 2010, I-47 (Rn. 58 ff.) = NJW 2010, S. 587 (Rn. 58 ff.) – Petersen. 160 EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-341/08, Slg. 2010, I-47 (Rn. 73) = NJW 2010, S. 587 (Rn. 73) – Petersen. 161 Höpfner, ZfA 2010, S. 449 (475).
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
(2) Zwischenergebnis Die Kohärenzprüfung ist mittlerweile fester Bestandteil bei der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung durch den EuGH und wird bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von § 41 S. 3 SGB VI im Folgenden zugrunde gelegt. bb) Enge Verhältnismäßigkeitsprüfung In den nachfolgend dargestellten Urteilen rechtfertigte der EuGH die Angemessenheit altersdifferenzierender Regelungen anhand einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Zur Systematisierung der Rechtsprechung werden die Entscheidungen anhand des Regelungsgegenstands dargestellt. Daher wird die Rechtsprechung des EuGH zu altersbezogenen Befristungsregelungen, Kündigungsfristen, zur Berechnung der vergütungsrelevanten Vorbeschäftigungsdauer, zu Entlassungsabfindungen und berufsbezogenen Altersgrenzen dargestellt und bewertet. (1) Altersbezogene Befristungsregelungen Eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt grundsätzlich bei Befristungsregelungen, die an das Alter des jeweiligen Arbeitnehmers anknüpfen. (a) Mangold In der Rechtssache Mangold betont der EuGH den erheblichen Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Wahl ihrer Mittel zur Erreichung sozialpolitischer Ziele. Gleichzeitig wurde die weitgehende sachgrundlose Befristungsvorschrift für unzulässig erklärt, da sie allein an das Alter des Arbeitnehmers anknüpfte.162 Der vollständige Ausschluss älterer Arbeitnehmer aus dem Befristungsschutz gehe über das Erforderliche für eine effektive Eingliederung älterer Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt hinaus. Es müsse vielmehr ein konkretes Erfordernis der Beschäftigungsförderung aufgrund einer längeren Beschäftigungslosigkeit oder arbeitsmarktspezifischer Besonderheiten bestehen.163 (b) Abercrombie & Fitch Italia Angesichts dieser strengen Maßstäbe überrascht die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Abercrombie & Fitch Italia aus dem Jahr 2017.164 Eine Verordnung 162 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 63 ff.) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 63 ff.) – Mangold. 163 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 64 f.) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 64 f.) – Mangold; Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 474. 164 EuGH, Urt. v. 19. 7. 2017 – C-143/16, NZA 2017, S. 1247 – Abercrombie & Fitch Italia.
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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des italienischen Rechts ließ den Abschluss befristeter Gelegenheitsarbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern unter 25 Jahren oder über 45 Jahren bis zu maximal 400 effektiven Arbeitstagen in einem Zeitraum von drei Jahren zu. Mit Erreichen des 25. Lebensjahrs endeten die befristeten Arbeitsverhältnisse jüngerer Arbeitnehmer automatisch. Die italienische Regierung rechtfertigte die Befristungsvorschrift mit der Zielsetzung, jüngeren Arbeitnehmern, deren Beschäftigungsanteil im Kontext der Wirtschaftskrise in den letzten Jahren abnahm, den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern. Diese Zielsetzung ordnete der Gerichtshof als legitim i. S. d. Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG ein. Weiterhin nahm der Gerichtshof die Angemessenheit der Regelung an und stellte auf den entsprechenden Ermessensspielraum des Gesetzgebers ab.165 Es solle eine soziale Ausgrenzung infolge längerer Arbeitslosigkeit verhindert werden, indem einer möglichst großen Zahl von Arbeitnehmern ein Zugang zu flexiblen Beschäftigungsformen ermöglicht werde.166 Im Rahmen der Rechtfertigung war ebenfalls relevant, dass die vollständige Gleichbehandlung der Gelegenheitsarbeiter zu anderen Arbeitnehmern vorgesehen war. (aa) Unterschiede zur Mangold-Entscheidung Die vorgenannte Entscheidung scheint bei erstem Hinsehen kaum vereinbar mit den strengen Vorgaben des Mangold-Urteils zu sein. Allerdings gibt es wesentliche Gesichtspunkte, die beide Urteile unterscheiden: Zum einen enthält die Befristungsvorschrift für Gelegenheitsarbeiter eine Begrenzung des Beschäftigungsumfangs und der Gesamtbeschäftigungsdauer. Die Befristungsmöglichkeit gilt damit ausschließlich für Aushilfsarbeitsverhältnisse. Längere Befristungsketten unter Umgehung des Kündigungsschutzes werden damit verhindert. Zum anderen erfolgt kein vollständiger Ausschluss jüngerer Arbeitnehmer aus dem Schutzbereich des Befristungsrechts, da die Vorschrift aufgrund der sachlichen Beschränkungen einen geringen Anwendungsbereich aufweist. Weiterhin wird ausdrücklich auf die konkrete Beschäftigungssituation jüngerer Arbeitnehmer in Italien verwiesen. Aufgrund der erheblichen Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit infolge der Wirtschaftskrise besteht ein ausreichend konkreter Zusammenhang zwischen dem legitimen Zweck der Ungleichbehandlung und der Befristungsmöglichkeit. Dies unterscheidet die einschlägige Norm des italienischen Rechts von § 14 Abs. 3 TzBfG a. F., da nicht allein auf den abstrakten Zusammenhang eines höheren Lebensalters mit dem damit verbundenen Risiko der Arbeitslosigkeit abgestellt wird. 165 EuGH, Urt. v. 19. 7. 2017 – C-143/16, NZA 2017, S. 1247 (Rn. 41) – Abercrombie & Fitch Italia. 166 EuGH, Urt. v. 19. 7. 2017 – C-143/16, NZA 2017, S. 1247 (Rn. 43 f.) – Abercrombie & Fitch Italia.
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
(bb) Bewertung Die italienische Vorschrift findet somit ausschließlich auf bestimmte Aushilfsarbeitsverhältnisse Anwendung und hat einen konkreten Bezug zur nationalen Arbeitsmarktsituation. Es wird damit in legitimer Weise unter spezifischen Voraussetzungen von dem Ziel der Gleichbehandlung abgewichen. Unter diesen Gesichtspunkten sind die unterschiedlichen Maßstäbe der Entscheidungen Mangold und Abercrombie & Fitch Italia zu erklären. Die Entscheidung wirft jedoch Fragen auf. Die sachgrundlose Befristung jüngerer Arbeitnehmer in Gelegenheitsarbeitsverhältnissen führt aufgrund der zeitlichen Begrenzung im jeweiligen Einzelfall nicht zu dauerhaften Befristungsketten. Jüngere Arbeitnehmer, die für Gelegenheits- und Aushilfstätigkeiten beschäftigt werden, sind aufgrund der geringen fachlichen Tätigkeitsanforderungen regelmäßig austauschbar. Damit besteht ohnehin kein Anreiz, einzelne Arbeitnehmer über längere Zeiträume zu beschäftigen. Weiterhin verstärkt die extreme Begrenzung des Beschäftigungsumfangs das Risiko der Prekarisierung, da zusätzlich zum fehlenden Bestandsschutz eine geringe Vergütung hinzukommt. Es ist widersprüchlich, die Befristungsregelung gerade mit Umständen zu rechtfertigen, welche die Existenzsicherung durch das Arbeitsverhältnis erschweren. (c) Georgiev Die Rechtssache Georgiev betrifft eine bulgarische Regelung zur maximal dreijährigen befristeten Weiterbeschäftigung von Professoren über das Rentenalter von 65 Jahren hinaus. Die Regelung ist aufgrund des legitimen Ziels gerechtfertigt, begrenzt verfügbare Professorenstellen generationengerecht aufzuteilen.167 Im Unterschied zur Rechtssache Mangold erfolgte die erste mögliche Befristung in einem deutlich höheren Alter von 65 anstatt von 52 Jahren.168 Zu diesem Zeitpunkt besteht eine Absicherung durch eine Altersrente169 und der Arbeitnehmer kann sich frei zwischen der Weiterarbeit und der Inanspruchnahme einer Altersrente entscheiden.170 Allerdings musste das nationale Gericht überprüfen, ob eine inkohärente Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Lehrkräften der Universität erfolgt.171 167 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 45 f.) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 45 f.) – Georgiev. 168 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 63) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 63) – Georgiev; Kilpatrick (2011) 40 I.L.J., S. 280 (293). 169 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 54) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 54) – Georgiev. 170 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 64) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 64) – Georgiev. 171 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 56) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 56) – Georgiev.
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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(d) Zwischenergebnis Differenzierungen aufgrund des Alters können auch aufgrund eines zu weiten Anwendungsbereichs der Norm unzulässig sein. Die Befristungsregelungen in den Rechtssachen Georgiev und Abercrombie & Fitch Italia wurden aufgrund des engen sachlichen Anwendungsbereichs als zulässig eingeordnet. Im Fall Mangold hätte der Gesetzgeber ebenfalls konkrete einschränkende Tatbestandsmerkmale vorgeben müssen, anstatt die Befristung pauschal für eine Altersgruppe zuzulassen. Die Befristungsvorschrift muss im Hinblick auf das verfolgte sozialpolitische Ziel so präzise wie möglich ausgestaltet werden. Neben der Kohärenz, ist somit auch eine Konsequenz im Hinblick auf das verfolgte Ziel erforderlich. Weiterhin ist zu prüfen, ob nach Erreichen des Rentenalters herabgesetzte Anforderungen des Gleichbehandlungsrechts gelten und damit auch das konkrete Alter des Arbeitnehmers relevant ist. In der Entscheidung Georgiev scheint diese Annahme naheliegend. In der Urteilsbegründung verglich der EuGH das Alter der Kläger Georgiev und Mangold, anstatt eine eigenständige Rechtfertigungsprüfung vorzunehmen. Dieses Vorgehen entspricht der Abgrenzung von Präzedenzfällen in Common Law-Rechtssystemen.172 Angesichts der Tatsache, dass die Vorgaben zur Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung in der Richtlinie 2000/78/EG gesetzlich normiert sind, wäre eine erneute Prüfung der Verhältnismäßigkeit überzeugender gewesen. Neben dem Alter der Arbeitnehmer gab es auch weitere Anknüpfungspunkte, um die befristete Weiterbeschäftigung nach Erreichen des 65. Lebensjahrs von der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit in § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a. F., die Gegenstand der Mangold-Entscheidung war, abzugrenzen. So betraf die befristete Weiterbeschäftigung in der Rechtssache Georgiev den Hochschulbereich mit begrenzt verfügbaren Stellen. Zudem war die maximale Dauer der befristeten Verlängerung anders als im Fall Mangold auf drei Jahre begrenzt. Daher lag der Grund für die unterschiedlichen Entscheidungen nicht allein im Lebensalter des Arbeitnehmers. (2) Kündigungsfristen Auch im Hinblick auf die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen des Alters bei Kündigungsfristen fand in der Rechtssache Kücükdeveci eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Der EuGH stellte zunächst die Inkohärenz von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. fest, weil die Differenzierung anhand des Alters des Arbeitnehmers bei Einstieg in die Berufstätigkeit und nicht anhand des Alters im Zeitpunkt der Kündigung erfolgte. Das Alter des Arbeitnehmers bei Beginn der Berufstätigkeit steht jedoch in keinem Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel, jüngeren und damit flexibleren Arbeitnehmern eine kürzere Kündigungs172 Vgl.
Kischel, Rechtsvergleichung, § 5, Rn. 29.
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
frist zuzumuten.173 Anders als in der Rechtssache Mangold fehlte es damit nicht an der Erforderlichkeit, sondern an der Eignung der Differenzierung.174 (3) Berechnung der vergütungsrelevanten Vorbeschäftigungsdauer Ebenso streng prüft der EuGH altersbezogene Differenzierungen bei der Anrechnung von Vordienstzeiten in Vergütungssystemen. Diese werden anhand zweier Beispiele übersichtsartig dargestellt.175 In der Rechtssache Hütter befasste sich der EuGH mit einer Regelung, wonach Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr nicht angerechnet wurden.176 Die Regelung diente dazu, Schüler nicht zum vorzeitigen Verlassen der Schule zu verleiten. Auch hier stellte der EuGH die Inkohärenz der Regelung fest, die nicht auf die erlangte Schulbildung, sondern allein auf das Alter abstellte.177 Als verhältnismäßig ordnete der EuGH hingegen eine Regelung in der Rechtssache Felber ein, nach welcher Schulzeiten vor Erreichen des 18. Lebensjahrs bei der Berechnung von Pensionsansprüchen nicht berücksichtigt werden.178 Die grundsätzliche Anrechnung von Schulzeiten diene der Gleichstellung von Beamten, die vor Beginn der Laufbahn eine längere Schulbildung absolvierten, mit denjenigen, die früher in ein Beschäftigungsverhältnis eintraten. Da auch die Begründung eines Beamtenverhältnisses erst ab dem 18. Lebensjahr möglich ist, handelte es sich um eine angemessene Regelung zur Verwirklichung der Gleichbehandlung.179 (a) Bewertung In Entscheidungen zur Berücksichtigung von Vordienstzeiten zeigt sich die besondere Bedeutung der Kohärenz einer Regelung. Das Alter bei Eintritt in ein Dienstverhältnis korreliert nicht zwingend mit der Dauer eines Schulbesuchs und kann daher nicht als Anknüpfungsmerkmal für die Differenzierung verwendet werden. Anderes gilt, wenn im Interesse der Gleichbehandlung bei Pensionsansprüchen auf den frühestmöglichen Eintritt in ein Beamtenverhältnis abgestellt wird. 173
Joussen, ZESAR 2010, S. 185 (189). Urt. v. 19. 1. 2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 (Rn. 41) = NZA 2010, S. 85 (Rn. 41) – Kücükdeveci. 175 Vertiefend Thüsing/Pötters, EuZW 2015, S. 935 ff. 176 EuGH, Urt. v. 18. 6. 2009 – C-88/08, Slg. 2009, I-5325 = NZA 2009, S. 891 – Hütter. 177 EuGH, Urt. v. 18. 6. 2009 – C-88/08, Slg. 2009, I-5325 (Rn. 48) = NZA 2009, S. 891 (Rn. 48) – Hütter; EuGH, Urt. v. 21. 12. 2016 – C-539/15, NZA 2017, S. 109 (Rn. 30) – Bowman. 178 EuGH, Urt. v. 21. 1. 2015 – C-529/13, NVwZ 2015, S. 798 (Rn. 39) – Felber. 179 EuGH, Urt. v. 21. 1. 2015 – C-529/13, NVwZ 2015, S. 798 (Rn. 31 ff.) – Felber. 174 EuGH,
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(b) Zwischenergebnis Im Rahmen einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung müssen Differenzierungsanlass und Differenzierungsmerkmal somit zwingend zusammenfallen. Häufige oder zufällige Übereinstimmungen genügen nicht. (4) Entlassungsabfindungen Eine genaue Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgt bei Entlassungsabfindungen, die anhand des Alters des Arbeitnehmers oder der Rentenberechtigung differenzieren. In den Rechtssachen Andersen und Dansk Industri wurden Arbeitnehmer, die berechtigt waren, eine Betriebsrente zu beantragen, von Entlassungsabfindungen ausgeschlossen.180 Grundsätzlich sah der EuGH das Ziel, die berufliche Wiedereingliederung älterer Arbeitnehmer zu fördern und Arbeitnehmer, die unmittelbar in den Rentenbezug eintreten, von einer Abfindungszahlung auszuschließen, als legitim an.181 Hierdurch sollen die begrenzten finanziellen Mittel bei Abfindungen für Arbeitnehmer aufgespart werden, deren Arbeitslosigkeit bis zum Wiedereinstieg in den Beruf überbrückt werden muss.182 Die Reichweite der Maßnahme ging jedoch über das Erforderliche hinaus, da sie auch Arbeitnehmer erfasste, die keine Betriebsrente beantragten wollten oder keine existenzsichernde Rente erhielten.183 Durch den Ausschluss von der Entlassungsabfindung konnte der Arbeitnehmer gezwungen sein, eine niedrigere vorzeitige Rente zu beantragen, um nicht arbeitslos zu werden und so eine zusätzliche Einkommenseinbuße zu erleiden.184 Anders hingegen lautete die Entscheidung in der Rechtssache Poul Landin. Hier bestand kein Anspruch auf eine Entlassungsabfindung, wenn der Arbeitnehmer eine „Volksrente“ als Regelaltersrente beantragen konnte.185 Der EuGH entschied, dass die Regelung erforderlich und angemessen ist, weil der ausscheidende Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Regelaltersrente hatte und nicht dem Risiko unterlag, eine erhebliche Einkommenseinbuße aufgrund der vorzeiti180 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 23) = NZA 2010, S. 1341 (Rn. 23) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]; EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016 – C-441/14, NZA 2016, S. 537 (Rn. 25) – Dansk Industri. 181 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 27 ff.) = NZA 2010, S. 1341 (Rn. 27 ff.) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]. 182 EuGH, Urt. v. 6. 12. 2012 – C-152/11, NZA 2012, S. 1435 (Rn. 48) – Odar. 183 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 47) = NZA 2010, S. 1341 (Rn. 47) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]; EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016 – C-441/14, NZA 2016, S. 537 (Rn. 26) – Dansk Industri. 184 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 46) = NZA 2010, S. 1341 (Rn. 46) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]. 185 EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-515/13, NZA 2015, S. 473 – Poul Landin.
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gen Inanspruchnahme einer Rente zu erleiden.186 Zudem entsprach die Rente des Arbeitnehmers dem Betrag, den er bei dem Ausscheiden aufgrund einer Regelaltersgrenze erhalten hätte.187 In der Rechtssache Odar entschied der EuGH, dass es unzulässig ist, pauschal auf den Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns abzustellen. Der Ausschluss des Anspruchs auf eine Entlassungsabfindung knüpft damit auch an die Möglichkeit des vorzeitigen Rentenbezugs für schwerbehinderte Arbeitnehmer an.188 Dies berücksichtigt die Bedarfssituation älterer Schwerbehinderter jedoch nicht ausreichend. Es ist vielmehr „dem Risiko Rechnung zu tragen, dass Schwerbehinderte unabweisbaren finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung ausgesetzt sind und/oder dass sich die finanziellen Aufwendungen mit zunehmendem Alter erhöhen.“189 (a) Bewertung Sowohl in Bezug auf die Anrechnung vergütungsrelevanter Vordienstzeiten als auch bei Entlassungsabfindungen fanden einige Regelungen über das Differenzierungsziel hinaus Anwendung.190 Es fehlte eine Beschränkung des Anwendungsbereichs in Abhängigkeit von dem jeweiligen beschäftigungspolitischen Ziel der Vorschrift. So wurden auch Konstellationen erfasst, die mit dem Erreichen des jeweiligen Ziels in keinem Zusammenhang standen. Differenzierungen nach dem Alter müssen jedoch in jeder Konstellation, die unter den Anwendungsbereich der Norm fällt, unbedingt notwendig sein. Anderenfalls müssen weitere einschränkende Tatbestandsmerkmale, wie z. B. die Berechtigung zum Bezug einer Regelaltersrente, benannt werden. Zudem verdeutlichen die Entscheidungen zu Entlassungsabfindungen unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze. Sofern an eine vorzeitige Rentenberechtigung angeknüpft wird, wird das Recht der Arbeitnehmer betont, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen und selbstbestimmt zwischen dem Rentenbezug und einer Erwerbstätigkeit zu entscheiden. Ähnliches gilt für Rentenansprüche, die einen besonderen Finanzbedarf abdecken. In der Entscheidung Odar wird das Interesse Schwerbehinderter, für den gesteigerten Finanzbedarf im Ruhestand vorzusorgen, als abwägungswürdiges Interesse anerkannt. Die Möglichkeit des vorzeitigen Rentenbezugs für Schwerbehinderte kann daher nicht der Anlass für den Ausschluss von Entlassungsabfindungen sein. 186
EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-515/13, NZA 2015, S. 473 (Rn. 40) – Poul Landin. EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-515/13, NZA 2015, S. 473 (Rn. 39) – Poul Landin. 188 EuGH, Urt. v. 6. 12. 2012 – C-152/11, NZA 2012, S. 1435 (Rn. 70) – Odar. 189 EuGH, Urt. v. 6. 12. 2012 – C-152/11, NZA 2012, S. 1435 (Rn. 69) – Odar. 190 T. Wißmann, RdA 2011, S. 181 (182, 184). 187
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(b) Zwischenergebnis in Bezug auf die Befristung im Rentenalter In den Entscheidungen zu Entlassungsabfindungen wird vorwiegend darauf abgestellt, dass der Arbeitnehmer nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze ohnehin aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden würde. Diesen Gesichtspunkt betont der EuGH in der Rechtssache John auch im Hinblick auf Befristungen nach Erreichen des Rentenalters.191 Gegen eine Übertragung der Grundsätze zu Entlassungsabfindungen spricht jedoch, dass die befristete Weiterarbeit den Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis betrifft und kein finanzielles Verteilungsproblem im Hinblick auf ein begrenztes Abfindungsbudget. Im Rahmen der Aufteilung einer Gesamtabfindungssumme ist es nachvollziehbar, eine anderweitige finanzielle Absicherung zu berücksichtigen. Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist jedoch grundsätzlich vom Bestand anderer Arbeitsverhältnisse unabhängig, so dass sich kein konkretes Verteilungsproblem stellt. (5) Berufsbezogene Altersgrenzen Auch bei berufsbezogenen Altersgrenzen findet eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Dies folgt insbesondere daraus, dass berufsspezifische Altersgrenzen im Regelfall anhand von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt werden. In der Rechtssache Prigge, die eine tarifvertragliche Altersgrenze für Piloten betraf, prüfte der EuGH die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie. Die tarifliche Altersgrenze konnte angesichts der Tatsache, dass gesetzliche Regelungen über die Flugfähigkeit von Piloten eine höhere Altersgrenze vorsahen, nicht gemäß Art. 4 der Richtlinie gerechtfertigt werden. In der Rechtssache Fries entschied der EuGH hingegen, dass internationale Normen, die ein altersbedingtes Ausscheiden von Piloten im gewerblichen Luftverkehr mit Erreichen des 65. Lebensjahrs vorsehen, mit Art. 21 GRCh vereinbar sind.192 Insbesondere wurde argumentiert, dass die Altersgrenze ausschließlich die Pilotentätigkeit im gewerblichen Flugverkehr einschränke.193 In der Rechtssache Petersen ging es um die gesetzliche Altersgrenze auf das 68. Lebensjahr für niedergelassene Vertragszahnärzte.194 Im Hinblick auf das Ziel des Gesundheitsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie war die Regelung nicht erforderlich. Die Altersgrenze galt nicht für die Behandlung von Privatpatienten und war demnach nicht zwingend erforderlich für die Gewährleistung der
191
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 29) – John. EuGH, Urt. v. 5. 7. 2017 – C-190/16, NZA 2017, S. 897 (Rn. 61) – Fries. 193 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2017 – C-190/16, NZA 2017, S. 897 (Rn. 51, 66 f.) – Fries. 194 EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-341/08, Slg. 2010, I-47 = NJW 2010, S. 587 – Petersen. 192
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Qualität der medizinischen Behandlung. Der EuGH stellte mithin die Inkohärenz der Regelung fest.195 (a) Bewertung In den Entscheidungen Prigge und Petersen spielt der Aspekt der Kohärenz der gesetzlichen Regelung eine besondere Rolle. Im Fall Prigge missbilligte der EuGH die fehlende Kohärenz der vertraglichen Altersgrenze mit der gesetzlichen Entscheidung zur Flugfähigkeit älterer Piloten. Auch in der Entscheidung Petersen war relevant, dass das Ziel des Gesundheitsschutzes durch den Ausschluss älterer Zahnärzte von der vertragsärztlichen Versorgung nicht konsequent erreicht werden kann. Die gesetzliche Altersgrenze auf das 65. Lebensjahr im gewerblichen Flugverkehr stufte der EuGH in der Rechtssache Fries als verhältnismäßig ein, obwohl die Altersgrenze nicht mit der Regelaltersgrenze übereinstimmt. Der Gerichtshof verließ sich hierbei auf Expertenmeinungen, auf welchen die internationalen Regelwerke bei sicherheits- und berufsbezogenen Altersgrenzen basieren. Eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit muss der Gesetzgeber nicht zulassen. Zudem spielte die Option zur Weiterarbeit nach Erreichen der Altersgrenze außerhalb des gewerblichen Flugverkehrs ebenfalls eine wesentliche Rolle für die Rechtfertigung. Dies zeigt, dass die Option der Weiterarbeit im Rentenalter auch bei berufsbezogenen Altersgrenzen Gewicht hat. (b) Zwischenergebnis Die Entscheidungen Prigge und Petersen verdeutlichen, dass an eine Rechtfertigung nach Art. 4 der RL 2000/78/EG höhere Anforderungen gestellt werden. Anderes gilt nach der Entscheidung Fries bei den zugrundeliegenden Regelwerken für berufsbezogene Altersgrenzen, wenn diese an ein Alter anknüpfen, dass dem gesetzlichen Rentenalter nahekommt. Aus diesem Grund stellt sich erneut die Frage, ob sich die Maßstäbe der Rechtfertigung altersbedingter Ungleichbehandlungen vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze verschieben. Die strengeren Anforderungen in dem Fall Prigge im Vergleich zu Fries lassen sich jedoch damit erklären, dass individuelle arbeitsvertragliche Regelungen strenger überprüft werden, als gesetzliche Regelwerke, die abstrakt und generell gelten. Zudem wurde in der Rechtssache Petersen eine Altersgrenze auf das 68. Lebensjahr, also auf einen Zeitpunkt nach Erreichen der Regelaltersgrenze, für inkohärent erklärt. Es kommt daher vielmehr auf die sachlichen Anknüpfungspunkte für die Differenzierung an und nicht auf das konkrete Lebensalter. 195 EuGH, Urt. v. 12. 1. 2010 – C-341/08, Slg. 2010, I-47 (Rn. 53) = NJW 2010, S. 587 (Rn. 53) – Petersen; Kaiser, ZESAR 2014, S. 473 (480).
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cc) Prüfungsmaßstab bei allgemeinen Altersgrenzen Im Gegensatz zu den dargestellten Fallgruppen erfolgt bei der Überprüfung vertraglicher Altersgrenzen für das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine eingeschränkte Kontrolle. (1) Voraussetzungen In der Rechtssache Palacios de la Villa entschied der EuGH über eine tarifvertragliche Altersgrenze für Arbeitnehmer ab dem Erreichen des 65. Lebensjahrs. In der Urteilsbegründung betonte der Gerichtshof den weiten Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten bei Ausgestaltung vertraglicher Altersgrenzen. Diese seien „nicht unvernünftig“, um das legitime Ziel der Beschäftigungsförderung zu erreichen.196 Altersgrenzen sind das Ergebnis eines politischen, sozialen und demografischen Kompromisses in den Mitgliedstaaten bezüglich der Dauer der Berufstätigkeit.197 Sie sind zudem in vielen Mitgliedstaaten „Niederschlag eines Ausgleichs zwischen divergierenden, aber rechtmäßigen Interessen, der sich in einen komplexen Kontext von Beziehungen des Arbeitslebens einfügt und eng mit politischen Entscheidungen im Bereich Ruhestand und Beschäftigung verknüpft ist.“198 Als legitime Ziele werden der Zugang Jüngerer zum Arbeitsmarkt sowie die Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur angeführt.199 Ein weiteres Argument ist die wirtschaftliche Absicherung des Arbeitnehmers durch eine Altersrente.200 In der Rechtssache Palacios stellt der EuGH noch darauf ab, dass die Höhe der Altersrente im jeweiligen Einzelfall nicht als „unangemessen“ bezeichnet werden kann.201 Die spätere Entscheidung Rosenbladt befasste sich mit der tarifvertraglich auf das 65. Lebensjahr festgelegten Altersgrenze einer Arbeitneh196 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 72) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 72) – Palacios de la Villa; vertiefend zum Prüfungsmaßstab Kilpatrick (2011) 40 I.L.J., S. 80 (292 ff.). 197 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 28) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 44) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 44) – Rosenbladt; EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 69) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 69) – Palacios de la Villa. 198 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 68) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 68) – Rosenbladt. 199 Z. B. EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 29) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 65) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 65) – Palacios de la Villa. 200 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 73) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 73) – Palacios de la Villa. 201 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 73) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 73) – Palacios de la Villa.
202
Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
merin. Die Klägerin erhielt nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine Altersrente in Höhe von 253,19 Euro brutto. In der Entscheidung setzte sich der Gerichtshof hingegen nicht mit dem Aspekt auseinander, dass die Altersrente nicht existenzsichernd war.202 Für die Rechtfertigung genügte, dass zumindest im Grundsatz eine wirtschaftliche Absicherung bestand.203 In der Rechtssache Fuchs und Köhler ging es um die Rechtmäßigkeit einer Altersgrenze für Beamte. Hier wurde das legitime Ziel angeführt, eine effektive Justizverwaltung mit ausgewogener Altersstruktur zu erreichen, um den Zugang jüngerer Bewerber in die Justiz sicherzustellen.204 In der Rechtfertigung verwendete der EuGH erneut die Formulierung, dass die jeweilige Regelung „nicht unvernünftig“ sei, um die jeweiligen Ziele zu erreichen. Im Unterschied zu anderen Entscheidungen führte der Gerichtshof auch das in Art. 15 GRCh geregelte Unionsgrundrecht der Berufsfreiheit an: Das Verbot der Altersdiskriminierung „ist im Licht des in Art. 15 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Rechts, zu arbeiten, zu sehen. Daraus folgt, dass auf die Teilnahme älterer Arbeitnehmer am Berufsleben und damit am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben besonderes Augenmerk zu richten ist.“205 Eine genaue Grundrechtsprüfung fand nicht statt, vielmehr wurde das Ausscheiden der Beamten mit dem Anspruch auf Zahlung einer Pension, der Sicherung des Zugangs zu einem Beamtenverhältnis für jüngere Beschäftigte und dem Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei Abwägung sozialer Interessen gerechtfertigt.206 Die bislang einzige EuGH-Entscheidung, in welcher eine allgemeine Altersgrenze als unverhältnismäßig eingeordnet wurde, war die Entscheidung Kommission/Ungarn.207 Ein ungarisches Gesetz senkte die gesetzliche Altersgrenze für Richter, Staatsanwälte und Notare vom 70. auf das 62. Lebensjahr ab, ohne eine Übergangsregelung zu treffen. Diese drastische Herabsetzung des Renten202 Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 75) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 75) – Rosenbladt; Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 945 (947). 203 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 48 ff.) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 48 ff.) – Rosenbladt; zustimmend Gotthardt, EuZA 2013, S. 268 (277); das vorlegende ArbG Hamburg sah die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die tarifvertragliche Altersgrenze letztlich aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen unzulässiger Gruppenbildung als unwirksam an, ArbG Hamburg, Urt. v. 25. 1. 2011 – 21 Ca 235/08. 204 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 50 ff.) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 50 ff.) – Fuchs/Köhler. 205 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 62 f.) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 62 f.) – Fuchs/Köhler; ähnlich EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 37) – Hörnfeldt. 206 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 64 ff.) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 64 ff.) – Fuchs/Köhler. 207 EuGH, Urt. v. 6. 11. 2012 – C-286/12 – Kommission/Ungarn.
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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eintrittsalters ohne eine Übergangsfrist ging weit über das Erforderliche für das Erreichen der sozialpolitischen Ziele hinaus.208 (2) Bewertung Bei Altersgrenzen gesteht der EuGH den Mitgliedstaaten einen erheblichen Ermessensspielraum zu. Es bestehen damit zwei Maßstäbe innerhalb der politisch zugestandenen „Lebensarbeitszeitspanne“ und nach dieser Zeitspanne.209 In dieser Zeitspanne gelten strenge Kriterien, um den Marktzutritt für Arbeitnehmer aller Altersklassen zu sichern.210 Die gesellschaftspolitische Entscheidung, wie lange die entsprechende Phase der Erwerbstätigkeit dauert, wird unionsrechtlich nicht überprüft.211 Die Entscheidung über den Zeitpunkt des Renteneintritts beruht auf demokratisch legitimierten Entscheidungen über das Rentensystem, die Regelaltersgrenze und die damit verbundene Beschäftigungsverteilung zwischen Generationen.212 Dementsprechend verweist der EuGH auf den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung des Arbeitsmarkts und der Sozialpolitik.213 Im Rahmen der Rechtfertigung kommt es nur abstrakt auf die soziale Absicherung des ausscheidenden Arbeitnehmers an. Während in der Rechtssache Palacios noch auf die Bedeutung einer angemessenen Altersrente verwiesen wird, ändert sich dies in späteren Entscheidungen. In Rosenbladt spielte die Höhe der Altersbezüge, die zweifellos nicht existenzsichernd waren, keine Rolle. In der Entscheidung wird pauschal darauf verwiesen, die Arbeitnehmerin könne nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis weiterarbeiten, um ihren finanziellen Bedarf zu decken. Anderes gilt bei Entlassungsabfindungen für Arbeitnehmer mit vorzeitiger Rentenberechtigung. In der Rechtssache Andersen wurde der Kläger davor geschützt, eine niedrigere vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen.214 Betrifft die Diskriminierung mithin Maßnahmen vor Erreichen der Regelaltersgrenze, gewinnt die Höhe der Altersbezüge an Bedeutung. Die Rechtssache Kommission/Ungarn belegt auch keine Verschärfung des Prüfungsmaßstabs bei Altersgrenzen. Vielmehr ging die drastische Herabsen208
EuGH, Urt. v. 6. 11. 2012 – C-286/12 (Rn. 65 ff.) – Kommission/Ungarn. Grünberger, EuZA 2011, S. 171 (173 f.). 210 Grünberger, EuZA 2011, S. 171 (173 f.). 211 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 24) – John; APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 55; Joussen, RdA 2015, S. 305 (308); Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 410 ff. 212 Mager, in: FS Säcker, S. 1075 (1090 f.). 213 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 68 ff.) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 68 ff.) – Palacios de la Villa; Waltermann, in: FS Birk, 915 (925). 214 Sagan, ZESAR 2011, S. 412 (418). 209
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Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
kung der Altersgrenze durch den ungarischen Gesetzgeber erheblich über das Erforderliche hinaus. Darüber hinaus bestand der Verdacht, dass die abgesenkte Altersgrenze politisch genutzt wurde, um die Amtsdauer von Richtern und Staatsanwälten zu verkürzen, die noch unter der alten Verfassung gewählt oder ernannt wurden.215 Diese besonderen Umstände des Einzelfalls führten zu dem strengen Prüfungsansatz. dd) Ergebnis Die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe sind angesichts des Grundsatzes, dass spezielle Gleichbehandlungsgebote einheitlich anzuwenden sind, problematisch.216 Eine Systematisierung wird erschwert, wenn die Prüfungsintensität im Wesentlichen von dem jeweils betroffenen Sachgebiet abhängt. Feststellen lässt sich jedoch, dass homogenere Regelungen zu einem großzügigen Prüfungsmaßstab führen.217 Allgemeine Altersgrenzen, die für sämtliche Arbeitsverhältnisse gelten, werden anhand allgemeiner Maßstäbe geprüft. Auch im Gleichbehandlungsrecht ist die Verallgemeinerbarkeit einer Regelung maßgeblich. Die geringeren Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen des Alters sind vergleichbar mit den geringeren Prognoseanforderungen im Befristungsrecht aufgrund der weit vorgelagerten Vereinbarung von Altersgrenzen. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtfertigungsmaßstäbe spielt auch das Verhältnis des EuGH zur nationalen Sozialpolitik eine Rolle. Grundlegende politische Entscheidungen zur Arbeitsteilung der Generationen und dem Zeitpunkt des Renteneintritts werden zurückhaltender geprüft, als einzelne arbeitsrechtliche Regelungen.218 Die unterschiedlichen Rechtfertigungsmaßstäbe sind den Besonderheiten des Diskriminierungsmerkmals „Alter“ geschuldet. Bei generell anwendbaren benachteiligenden Regelungen erfolgt eine Gleichbehandlung sämtlicher Arbeitnehmer bei zeitbezogener Betrachtung. Regelungen, die nicht für alle Arbeitsverhältnisse gelten und insbesondere Vorschriften, welche die Beendigung des Arbeitsverhältnisses betreffen, müssen hingegen durch konkrete Tatbestandsmerkmale eingeschränkt werden. b) Prüfungsmaßstab für die sachgrundlose Befristung im Rentenalter Angesichts der verschiedenen Prüfungsmaßstäbe ist relevant, welche Maßstäbe für die Rechtfertigung der nach hier vertretener Ansicht vorliegenden Un215 Vgl.
Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 52 m. w. N. Preis, NZA 2010, S. 1323 (1327). 217 Preis, NZA 2010, S. 1323 (1327). 218 Preis, NZA 2010, S. 1323 (1328). 216
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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gleichbehandlung durch § 41 S. 3 SGB VI nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gelten sollen. Da der EuGH in der Rechtssache John schon die Benachteiligung aufgrund des Alters verneinte, können aus der Entscheidung keine Richtlinien für den Maßstab der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung abgeleitet werden. Einerseits könnten aufgrund des höheren Alters der weiterbeschäftigten Rentner die Maßstäbe für Altersgrenzen maßgeblich sein. Andererseits handelt es nicht um eine generelle sozialpolitische, sondern um eine arbeitsverhältnisbezogene Befristungsregelung. aa) Übertragung der Rechtfertigungsmaßstäbe für Altersgrenzen Für die Übertragung der Rechtfertigungsmaßstäbe von Altersgrenzen spricht, dass bei sachgrundlosen Befristungen nach Erreichen des Rentenalters verschiedene sozialpolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Die aufkommenden gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen lassen sich in gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt klären.219 Zudem werden die Argumente für die Rechtfertigung von Altersgrenzen teilweise auch auf Befristungen im Rentenalter übertragen. So wird ein erst Erst-Recht-Schluss dahingehend gebildet,220 dass die sachgrundlose Befristung nach Erreichen des Rentenalters geeignet sei, die Folgen von starren Altersgrenzen abzumildern.221 Auch einzelne Argumentationslinien des EuGH könnten nahelegen, dass der Gerichtshof von einer Phase der Erwerbstätigkeit vor und nach Beginn des Rentenbezugs ausging.222 So betonte der EuGH in der Rechtssache Mangold, dass Arbeitnehmer auf der Grundlage von § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a. F. „bis zum Erreichen des Alters, ab dem sie ihre Rentenansprüche geltend machen können“ befristet beschäftigt werden können.223 bb) Strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung Für eine strenge Überprüfung der Verhältnismäßigkeit spricht jedoch, dass die Äußerungen stets unter Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts und der
219 APS/Greiner,
§ 41 SGB VI, Rn. 55. Giesen, ZfA 2014, S. 217 (232 f.). 221 Zur Ungleichbehandlung EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 27 ff.) – John; LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – 3 Sa 78/16, NZA-RR 2017, 290 (Rn. 34 f.); APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 52; Greiner, RdA 2018, S. 65 (69). 222 Vgl. Bauer/Gottschalk, BB 2013, S. 501 (503); Giesen, ZfA 2014, S. 217 (231); Klösel/Reitz, NZA 2014, S. 1366 (1368); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeitsund sozialrechtlichen Aspekten, S. 233. 223 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 64) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 64) – Mangold. 220
206
Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
Rechtsprechungsentwicklung gesehen werden müssen.224 Die Rechtssache Hörnfeldt behandelte nicht die Zulässigkeit der Befristung im Rentenalter. Im Rahmen der Rechtfertigung einer Altersgrenze wurde vielmehr ein Argument der schwedischen Regierung wiedergegeben.225 Zudem erkennt der Gerichtshof auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze ein Recht älterer Arbeitnehmer an, nicht wegen des Alters diskriminiert zu werden.226 In den Urteilen Hörnfeldt sowie Fuchs und Köhler wird ferner deutlich, dass der EuGH das Interesse älterer Arbeitnehmer an einer weiteren Erwerbstätigkeit anerkennt.227 cc) Schlussfolgerung Die Ausführungen des EuGH in den Entscheidungen Mangold, Georgiev und Hörnfeldt, die als Beleg für unterschiedliche Rechtfertigungsmaßstäbe je nach Alter angeführt werden, beinhalten im Wesentlichen nur kontextbezogene und keine verallgemeinerbaren Aussagen. Auch in der EuGH-Entscheidung John wurden keine Richtlinien für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern nach Erreichen des Rentenalters aufgestellt. Es hätte klargestellt werden können, ob die Rechtfertigungsgrundsätze für allgemeine Altersgrenzen auch für individuelle Vertragsgestaltungen nach Erreichen des Rentenalters gelten. Stattdessen verneinte der EuGH bereits das Vorliegen einer Benachteiligung.228 Aus diesem Grund können Anhaltspunkte für den Rechtfertigungsmaßstab nur aus der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie abgeleitet werden. Grundsätzlich bestehen im unionsrechtlichen Antidiskriminierungsrecht keine Anhaltspunkte für eine Absenkung der Maßstäbe nach Erreichen des Rentenalters. Insbesondere differenziert die Richtlinie ihrem Wortlaut nach nicht zwischen Arbeitnehmern vor und nach Erreichen des Rentenalters. Vielmehr sollte die Richtlinie ältere Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Lebensalter vor ungerechtfertigten Benachteiligungen schützen. Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie formuliert das Ziel, den Beschäftigungsanteil älterer Arbeitnehmer zu erhöhen und die Vielfalt in der Beschäftigung zu fördern.
224
Z. B. Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (88 ff.). Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (89); Gotthardt, EuZA 2013, S. 268 (276 f.). 226 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 75) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 75) – Rosenbladt. 227 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 62 f.) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 62 f.) – Fuchs/Köhler; ähnlich EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 37) – Hörnfeldt. 228 Vgl. Kapitel 4 C.II. 225
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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Aus der Gesamtschau der Urteile des EuGH und aus Erwägungsgrund 14 zu der Richtlinie 2000/78/EG folgt jedoch auch ein erheblicher mitgliedstaatlicher Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung der Regelaltersgrenze. Bei arbeitsrechtlichen Ausgestaltungen steht auch den Tarifvertragsparteien ein weiter Entscheidungsspielraum zu,229 da diese von ihrer grundrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG Gebrauch machen.230 Die vom EuGH entschiedenen Rechtssachen Hörnfeldt, Rosenbladt sowie Fuchs und Köhler betrafen gesetzliche oder tarifvertragliche Altersgrenzen, die flächendeckend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen gelten. Mit der Festlegung einer Altersgrenze haben der Gesetzgeber beziehungsweise die Tarifvertragsparteien eine grundsätzliche Entscheidung über die Art der Versorgung nach Erreichen des Rentenalters und das Ausscheiden aus der Berufstätigkeit getroffen. Dies erklärt die eingeschränkte Rechtfertigungsprüfung. Anderes gilt für einzelvertragliche Befristungsabreden, weil sich die weiterarbeitenden Rentner nicht in einer vergleichbaren einmaligen Sondersituation befinden.231 Zudem fehlt es an einer grundlegenden sozialpolitischen Entscheidung und einer Korrelation mit dem mitgliedstaatlichen Rentensystem. Der Rentenbezug kann ebenfalls kaum als Argument für einen abgesenkten Befristungsschutz herangezogen werden. Hierbei handelt es sich um eine Sozialversicherungsleistung nach dem SGB VI. Der Schutz vor Ungleichbehandlungen im Bestandsschutz hängt weder von dem Bestehen eines Rentenanspruchs noch von der allgemeinen finanziellen Bedürftigkeit ab. Anderes gilt bei Entlassungsabfindungen, die in ihrer Gesamthöhe begrenzt sind und zu einem Verteilungsproblem zwischen Arbeitnehmern führen. Aus diesen Gründen sind die Wertungen der Prüfung von Altersgrenzen nicht auf die befristete Weiterarbeit übertragbar. Es kann nicht jede Differenzierung aufgrund des Alters nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze für zulässig erklärt werden, nur weil allgemeine Altersgrenzen diskriminierungsrechtlich unbedenklich sind. Die Ungleichbehandlung muss vielmehr der Verfolgung eines legitimen Ziels im Sinne des Art. 6 der Richtlinie dienen und geeignet, erforderlich und angemessen sein. Im Rahmen der Abwägung sind dann jedoch auch die Besonderheiten der Weiterarbeit im Rentenalter sowie die rentenrechtliche Absicherung zu berücksichtigen. Anhand des herausgearbeiteten Prüfungsmaßstabs wird im Folgenden die Verhältnismäßigkeit der sachgrundlosen Befristung im Rentenalter geprüft.
229
Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (90 f.). Bayreuther, NJW 2011, S. 19 (20 f.). 231 Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (92); Waltermann, RdA 2015, S. 343 (350). 230 Hierzu
208
Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
2. Geeignetheit Eine Regelung ist zur Erreichung des jeweiligen Ziels geeignet, wenn sie – unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ermessensspielraums – nicht offensichtlich ungeeignet ist.232 In diesem Zusammenhang ist auch eine typisierende Betrachtung zulässig.233 a) Beschäftigungsförderung für ältere Arbeitnehmer Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI ist auf ihre Eignung zu prüfen, das Beschäftigungsniveau älterer Arbeitnehmer zu erhöhen. Aufgrund der Schwierigkeit, die beschäftigungspolitischen Konsequenzen einer Maßnahme nachzuweisen, bestehen geringe Nachweisanforderungen.234 Beim Abbau von Arbeitnehmerschutzvorschriften stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit dies die Beschäftigung fördert.235 In der Arbeitsrechtsdogmatik wird grundsätzlich zwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in bestehenden Arbeitsverhältnissen abgewogen.236 Im Hinblick auf das Ziel der Beschäftigungsförderung stellen sich jedoch weniger rechtliche als faktische und empirische Fragen.237 Zudem ist der Ansatz einer Beschäftigungsförderung durch den Abbau von Schutzvorschriften problematisch, da er zur Aufhebung sämtlicher arbeitsrechtlicher Regelungen, wie z. B. dem allgemeinen Kündigungsschutz oder der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall238 führen könnte. Der geringere Bestandsschutz könnte zudem auf alle Arbeitnehmergruppen ausgeweitet werden, die im Zugang zu einer Berufstätigkeit benachteiligt sind, wie z. B. auf Arbeitnehmer ohne Berufsausbildung.239 Gleichzeitig ist das Risiko, ein einmal begonnenes Arbeitsverhältnis nur schwer oder unter erheblichen Kosten beenden zu können, ein wesentlicher Gesichtspunkt für den Arbeitgeber vor der Begründung eines Arbeitsverhältnisses.240 232 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 35) = NZA 2010, S. 1341 (Rn. 35) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]; EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 32) – Hörnfeldt. 233 EurArbR/Mohr, Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 15. 234 Sagan, ZESAR 2011, S. 412 (417). 235 Vgl. Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 35 ff. 236 Zum Ermessenspielraum des Gesetzgebers bei ökonomischen Ansätzen Steiner, NZA 2005, S. 657 (661 f.). 237 Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 39 f. 238 Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, S. 1234 (1239). 239 Linsenmaier, RdA-Sonderbeil. 5/2003, S. 22 (30). 240 Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 39; Junker, Verhandlungen des 65. DJT, Bd. I, B 61.
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
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Inwieweit Einstellungsbarrieren durch die Befristungsmöglichkeit Älterer gesenkt werden können, lässt sich empirisch nicht zweifelsfrei belegen. Im Fall des vergleichbaren § 1 Abs. 2 BeschFG a. F., der eine sachgrundlose Befristung ab dem 60. Lebensjahr ermöglichte, konnte keine eindeutige beschäftigungsfördernde Wirkung festgestellt werden.241 Gleiches gilt für § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F.242 Im Hinblick auf § 41 S. 3 SGB VI lässt sich feststellen, dass sich die Anzahl der Erwerbstätigen im Rentenalter auch schon vor Einführung der Befristungsmöglichkeit erhöhte. Zwischen den Jahren 2005 und 2013 stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 65 Jahre von etwa 95.000 auf 155.000 an.243 Neben der Ausgestaltung des Bestandsschutzes sind zudem auch andere Faktoren für die längere Erwerbstätigkeit maßgeblich. So erfolgt eine Weiterarbeit im Rentenalter überdurchschnittlich häufig, wenn der Verdienst des Arbeitnehmers hoch ist, eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird und ein durchschnittliches bis höheres Nettoeinkommen erzielt wird.244 Eine direkte Kausalität zwischen der Befristungsregelung und arbeitsmarktpolitischen Effekten lässt sich somit nicht abschließend belegen. Die Herabsetzung der Befristungsanforderungen für ältere Arbeitnehmer ist jedoch grundsätzlich geeignet, Einstellungshemmnisse auf Arbeitgeberseite gegen die unbefristete Weiterbeschäftigung abzubauen. b) Beschäftigungsförderung für jüngere Arbeitnehmer Es ist umstritten, ob herabgesetzte Befristungsanforderungen für rentenberechtigte Arbeitnehmer der Beschäftigungsförderung jüngerer Arbeitnehmer dienen. Argumentiert wird, dass die Befristung im Rentenalter zu einem früheren Freiwerden von Stellen führt. Dies entspricht dem sozialpolitischen Ziel, die Beschäftigung zwischen Generationen zu verteilen.245 Diese Argumentation überzeugt jedoch nur bei begrenzt verfügbaren Arbeitsplätzen, um die ein erheblicher Wettbewerb besteht, da es zu einer Verteidigung des Besitzstandes kommen könnte.246 Dies klingt im Fall Georgiev an, in dem 241
Däubler, ZIP 2000, S. 1961 (1967). Fertig/Jacobi, Wirt Sozialstat Archiv 2007, S. 263 (271 f.). 243 Agentur für Arbeit, Zeitreihe über Beschäftigte nach Altersgruppen, 27. 12. 2018, die Zahlen beziehen sich auf Beschäftigte nach Erreichen der Regelaltersgrenze. Weiterhin hatten im Jahr 2013 23.474 Beschäftigte über 65-Jahre noch nicht die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht. 244 Vgl. die Daten des Statistischen Bundesamtes, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit 2017, Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung, Ergebnisse des Mikrozensus zum Arbeitsmarkt, Fachserie 1 Reihe 4.1, 21. 9. 2018, S. 43. 245 LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – 3 Sa 78/16, NZA-RR 2017, 290 (Rn. 34 f.). 246 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (352). 242
210
Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
der EuGH mit einer geringen Anzahl von Professorenstellen argumentiert.247 Beamtenstellen sind grundsätzlich nur begrenzt verfügbar, da diese auf Lebenszeit vergeben werden und neue Stellen gemäß § 49 BHO nur bei haushaltsrechtlicher Einweisung in eine Planstelle geschaffen werden. Die Weiterarbeit von Beamten wird jedoch nicht vom Anwendungsbereich der Neuregelung erfasst, da der Wortlaut des § 41 S. 3 SGB VI eine vertragliche Altersgrenze voraussetzt. Dienstverhältnisse von Beamten unterliegen hingegen einer gesetzlichen Altersgrenze.248 Auch wenn Befristungen dazu führen können, dass besetzte Stellen schneller wieder frei werden, hat dies keine Auswirkung darauf, mit wem und in welcher Form eine Stelle im Anschluss besetzt wird. Möglich ist, dass anstatt der intendierten Neubesetzung eine weitere sachgrundlose Befristung des Rentners angeschlossen wird. Dies gilt insbesondere, wenn die wiederholte befristete Beschäftigung von Rentnern vereinfacht wird.249 Gleichzeitig sind hinzuverdienende Rentner möglicherweise unempfindlicher gegenüber einer geringeren Bezahlung.250 Dies könnte zu einer Beschäftigung „zweiter Klasse“ mit ungünstigen Auswirkungen auf die Einstellungschancen und Beschäftigungsbedingungen Jüngerer führen.251 Die Privilegierung der Beschäftigung von Rentnern durch geringere Befristungsanforderungen ist daher nicht geeignet, die Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer zu fördern. 3. Erforderlichkeit Weiterhin muss die Ungleichbehandlung erforderlich sein, um das legitime Ziel zu erreichen. Es darf kein milderes, gleich effektives Mittel bestehen.252 Die Prüfung der Erforderlichkeit wird in der EuGH-Rechtsprechung häufig nicht von der Angemessenheitsprüfung abgegrenzt. Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit wird geprüft, ob der Erwerbsanteil älterer Arbeitnehmer mit weniger einschneidenden, gleich effektiven Mitteln erhöht werden könnte. Infrage kommen Maßnahmen, die sich positiv auf die Einstellungsbereitschaft auswirken, ohne den Bestands- und Befristungsschutz Äl247 EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 45) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 45) – Georgiev. 248 Vgl. § 25 BeamtStG. 249 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345); vermittelnd APS/Greiner, § 41 SGB VI, Rn. 54; a. A. Klösel/Reitz, NZA 2014, S. 1366 (1368). 250 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345). 251 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345). 252 Schlussantrag der Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 6. 5. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 67 ff.) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen].
D. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
211
terer abzusenken. Möglich wären steuerliche Anreize für Betriebe, die Beschäftigte nach Erreichen der Altersgrenze weiterbeschäftigen oder eine staatliche Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen. Diese Maßnahmen beinhalten ein förderndes Eingreifen des Staates zur Erreichung der Gleichbehandlungsziele.253 Alternativ könnte der Ansatz von § 41 S. 3 SGB VI beibehalten werden und ähnlich wie § 14 Abs. 3 TzBfG n. F. auf Arbeitnehmergruppen beschränkt werden, die nachweisbare Schwierigkeiten beim Zugang in den Arbeitsmarkt haben. Die vorgeschlagenen alternativen Maßnahmen müssten auch gleich effektiv sein. Aufgrund der begrenzten empirischen Erkenntnismöglichkeiten ist ein Einschätzungs- und Ermessenspielraum des Gesetzgebers anzuerkennen. Anreize für die Weiterbeschäftigung Älterer sind zunächst geeignet, das Bewusstsein für die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung zu schärfen. Zudem könnten Weiterbildungsmaßnahmen dazu führen, dass verschiedene Gruppen von Erwerbstätigen im Beruf verbleiben. Für die Entscheidung des Arbeitgebers, ob eine Weiterarbeit erfolgt, ist jedoch auch der rechtliche Rahmen und der Bestandsschutz des Arbeitnehmers angesichts einer möglicherweise abfallenden Leistungsfähigkeit relevant. Auch eine anlassbezogene Einschränkung der Befristungsregelung müsste gleich effektiv sein. Anders als im Rahmen von § 14 Abs. 3 TzBfG kann bei der Befristung nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht an eine Beschäftigungslosigkeit angeknüpft werden, da die Weiterbeschäftigung in den meisten Fällen ohne Unterbrechung erfolgen soll. Eine Abgrenzung kann zudem nicht anhand des Bezugs von Arbeitslosengeld vorgenommen werden, da dieses gemäß § 136 Abs. 2 SGB III nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr gezahlt wird. Alternativ könnte an die Höhe der Altersrente angeknüpft werden, um zu differenzieren, inwieweit die Rentner auf eine Weiterbeschäftigung angewiesen sind. Zudem könnte eine sachliche Anknüpfung an den Zweck der Weiterbeschäftigung oder eine bestimmte Tätigkeit erfolgen. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Regelung kann jedoch argumentiert werden, dass positive Beschäftigungsanreize oder eine eingeschränkte Befristungsregelung nicht gleich effektiv sind, um die Beschäftigungsquote Älterer zu erhöhen. Statistische Untersuchungen belegen, dass spätestens nach Erreichen des Rentenalters die Beschäftigungsquote aller Arbeitnehmer signifikant abnimmt.254 Daher ist die Annahme vertretbar, dass allein positive Anreize nicht ausreichend sind, um den großen Anteil ausscheidender Arbeitnehmer zu verringern. 253 Vgl.
(162).
Lobinger, in: Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99
254 OECD, Pensions at a Glance 2017, OECD and G20 Indicators, 5. 12. 2017, S. 21; Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2017, S. 364.
212
Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
4. Angemessenheit Zuletzt ist die Angemessenheit der abgesenkten Befristungsanforderungen für Arbeitsverhältnisse jenseits der Altersgrenze zu prüfen. Hierbei werden die Vorteile einer Maßnahme mit ihren Nachteilen abgewogen.255 Zudem wird zwischen den verschiedenen Interessen der Parteien unter Berücksichtigung des jeweiligen Regelungskontexts abgewogen.256 Ein möglicher Vorteil der Maßnahme wäre, dass aufgrund der Neuregelung mehr befristete Arbeitsverhältnisse begründet werden und hierdurch der Beschäftigungsanteil älterer Arbeitnehmer im Rentenalter erhöht wird. Zudem könnten der demografisch bedingte Fachkräftemangel und die Probleme bei der Nachbesetzung von Positionen behoben sowie die Folgen starrer Altersgrenzen abgemildert werden. Der EuGH betont auch den Aspekt, dass die Arbeitsvertragsparteien durch die sachgrundlose Befristung im Rentenalter eine weitere Handlungsmöglichkeit erlangen.257 Nachteilig ist jedoch, dass bei Fortführung eines Vertrags keine Anforderungen an die Befristung des Arbeitsverhältnisses gestellt werden. Im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern muss weder ein Sachgrund noch eine zeitliche Grenze vorliegen. Der Anlass einer Befristung und ihre Dauer sind nicht gerichtlich überprüfbar. Es besteht somit anders als bei jüngeren Arbeitnehmern kein Schutz vor sachfremden Befristungen. Die Nachteile wiegen auch unter Berücksichtigung der Wertungen des EuGH schwer, da auch nach Erreichen des Rentenalters Bestandsschutzinteressen anerkannt werden.258 Dies ergibt sich daraus, dass auch die Arbeit im Alter gemäß Art. 15 Abs. 1 GRCh geschützt ist und der Entfaltung der Persönlichkeit dient.259 Die sachgrundlose Befristung im Rentenalter führt nun dazu, dass die Ungleichbehandlung aufgrund von Altersgrenzen durch eine andere Ungleichbehandlung abgemildert wird. 255 EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 73 ff.) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 73ff.) – Palacios de la Villa; Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 6. 5. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 67 f.) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]; EurArbR/Mohr, Art. 6 RL 2000/78/EG, Rn. 17. 256 EuGH, Urt. v. 19. 6. 2014 – C-501/12 u. a., NZA 2014, S. 831 (Rn. 71) – Specht; EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 38) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 16. 10. 2007 – C-411/05, Slg. 2007, I-8531 (Rn. 73 ff.) = NZA 2007, S. 1219 (Rn. 73ff.) – Palacios de la Villa. 257 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 27 ff.) – John. 258 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 62 f.) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 62 f.) – Fuchs/Köhler; ähnlich EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 37) – Hörnfeldt. 259 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2011 − C-159/10 u. a., Slg. 2011, I-6919 (Rn. 62 f.) = NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 62 f.) – Fuchs/Köhler.
E. Ergebnis
213
Daher überwiegen die Nachteile der Regelung ihre Vorteile. Dies ergibt sich daraus, dass die Parteien auch vor Einführung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit die Option hatten, eine Sachgrundbefristung zur Weiterarbeit zu vereinbaren. Aus diesem Grund werden nicht die Optionen des Arbeitnehmers erweitert, sondern vielmehr abgesenkte Anforderungen an das Vorliegen eines Befristungsgrunds gestellt. Die verbleibenden Vorteile, welche die abgesenkten Anforderungen an die Befristung im Rentenalter bieten, werden durch die Nachteile vollständig aufgehoben. Zudem wurde keine kohärente Regelung der Weiterarbeit im Rentenalter getroffen. Es ist kaum überzeugend, dass für die Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses andere Maßstäbe gelten, als für eine Neubegründung nach Erreichen der Altersgrenze.260 Wenn eine in zeitlicher und sachlicher Hinsicht unbegrenzte Befristungsmöglichkeit zwingend erforderlich wäre, um rentenberechtigte Arbeitnehmer in der Beschäftigung zu halten, müsste die Regelung auch auf Neueinstellungen nach Erreichen des Rentenalters anwendbar sein. Weiterhin findet die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit auch nicht auf andere Arbeitnehmergruppen Anwendung, die am Arbeitsmarkt benachteiligt werden. Andere Befristungsgründe knüpfen an konkrete Umstände, wie z. B. den Abschluss einer Ausbildung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG) an. Ähnliches gilt im Fall des § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG, der neben dem Überschreiten des 52. Lebensjahrs auch eine mindestens viermonatige Beschäftigungslosigkeit voraussetzt. Es stellt sich damit die Frage, warum gerade bei Altersrentnern sachlich und zeitlich unbeschränkte sachgrundlose Befristungen ermöglicht werden. Nach der hier vertretenen Ansicht ist die Ungleichbehandlung rentenberechtigter Arbeitnehmer durch § 41 S. 3 SGB VI somit nicht angemessen, solange keine differenzierenden Einschränkungen bestehen. Die vorgenommene Abwägung lässt sich, aufgrund der gleichen Voraussetzungen der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nach dem AGG, auch auf die Prüfung individualvertraglicher Befristungsregelungen übertragen.
E. Ergebnis Die vorliegende Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit in § 41 S. 3 SGB VI den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG mangels differenzierender Einschränkungen grundsätzlich nicht genügt. Der EuGH prüfte die sachliche Rechtfertigung in der
260 APS/Greiner,
§ 41 SGB VI, Rn. 56.
214
Kap. 4: Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsrecht
Rechtssache John hingegen nicht, sondern verneinte bereits die Benachteiligung aufgrund des Alters.261 Für die praktische Rechtsanwendung erleichtert die Entscheidung des EuGH die Befristung nach dem Erreichen des Rentenalters auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI. Hätte der EuGH in der Rechtssache John einen Verstoß gegen das unionsgrundrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung festgestellt, wäre die Vorschrift möglicherweise auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten unanwendbar gewesen. Damit hätte ein Verstoß gegen die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie weitreichendere Folgen, als eine Verletzung der Befristungsrichtlinie. Auch wenn die Befristung im Rentenalter durch das aktuelle Urteil des EuGH erleichtert wird, sollte sich eine zukünftige Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter an den Vorgaben der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie orientieren. Weiterbeschäftigte Rentner sollten unter vergleichbaren Bedingungen befristet beschäftigt werden können, wie jüngere Arbeitnehmer. Eine Möglichkeit wäre eine sachliche Einschränkung durch die Voraussetzung einer konkreten Personalplanung des Arbeitgebers. Über das Erreichen des Rentenalters als Anlass der Befristung hinaus, wäre in diesem Fall ein zeitlich begrenzter betrieblicher Beschäftigungsbedarf erforderlich. In der Zwischenzeit könnten durch die Rechtsprechung Korrekturen im jeweiligen Einzelfall im Wege der Rechtsfortbildung erfolgen.262 Vorzugswürdig wäre jedoch ein umfassender gesetzgeberischer Ansatz, der den Besonderheiten der Weiterarbeit im Rentenalter Rechnung trägt. In den folgenden Kapiteln wird daher anhand eines Rechtsvergleichs und einer ökonomischen Analyse der Regelungswirkungen geprüft, wie eine alternative Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter erfolgen kann.
261 262
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 32) – John. Vgl. Kapitel 3 E.II.
Kapitel 5
Ausgestaltung der Weiterarbeit in anderen europäischen Rechtsordnungen am Beispiel von Großbritannien Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
A. Einführung Ein Vergleich mit den Rechtsordnungen anderer europäischer Länder kann alternative Möglichkeiten für die Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter aufzeigen. Der Vergleich mit einer ausländischen Rechtsordnung nimmt diese als Ausgangspunkt, um das eigene Recht „kritisch und systematisch, historisch und soziologisch“ zu vergleichen.1 Auch andere Länder Europas stehen den Herausforderungen des demografischen Wandels gegenüber. Es bestehen somit gleichgerichtete Interessen, Lösungen zu Fragen der Integration älterer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt und zur Weiterarbeit im Rentenalter zu finden. Nach Jhering lohnt sich ein Rechtsvergleich zudem besonders, wenn die eigene Rechtsordnung noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden hat.2 Der Rechtsvergleich dient mithin dazu, den Kreis möglicher Lösungsmöglichkeiten zu erweitern.3 Daher bietet sich ein Rechtsvergleich besonders im Hinblick auf die Frage nach der Ausgestaltung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter an. Für einen Vergleich eignet sich besonders die englische Rechtsordnung aufgrund ihrer konzeptionell anderen Sichtweise. Anders als das deutsche Recht kennt das englische Recht keine allgemeinen vertraglichen Altersgrenzen auf das Erreichen des Rentenalters. Die englische Rechtsordnung geht damit nicht von der Beendigung, sondern von der grundsätzlichen Weiterarbeit bei Erreichen des Rentenalters aus. Weiterhin zeigt der britische Gesetzgeber traditionell eine erhebliche Zurückhaltung bei der Regelung von Arbeitsverhältnissen.4 Entsprechend unterscheidet sich auch der Grad des Bestandsschutzes in beiden Rechtsordnungen.5 Die englische Rechtsordnung kann damit als Gegenmodell herangezogen werden. 1
Dölle, in: FS 100 Jahre DJT, S. 19 (21). v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 1, S. 8 f.; ähnlich Dölle, in: FS 100 Jahre DJT, S. 19 (34). 3 Dölle, in: FS 100 Jahre DJT, S. 19 (34); Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 13 f. 4 Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (216). 5 Für eine vergleichende Übersicht siehe OECD, Strictness of employment protection – individual dismissals (regular contracts), 2013. 2
216
Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
I. Methode des Rechtsvergleichs Im Folgenden wird die Methode des zweistufigen funktionalen Rechtsvergleichs von Zweigert und Kötz angewendet. Nach einer begründeten Auswahl der zu vergleichenden Rechtsordnung6 werden die Regelungen miteinander verglichen, die jeweils dieselbe Funktion erfüllen.7
II. Auswahl der englischen Rechtsordnung Zunächst stellt sich die Frage, warum gerade die englische Rechtsordnung für einen Rechtsvergleich geeignet ist. Das englische Rechtssystem versteht sich in seinen Ursprüngen als Rechtssystem, das in Isolation vom europäischen Rechtskreis entstand. Tatsächlich bestehen jedoch erhebliche Gemeinsamkeiten mit den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, die sich insbesondere aus dem harmonisierenden EU-Recht ableiten.8 Die hier untersuchten Bereiche des Gleichbehandlungs- und Befristungsrechts wurden sowohl in Deutschland als auch in England maßgeblich von unionsrechtlichen Vorgaben beeinflusst. Hiervon ausgehend kann die Umsetzung in den ansonsten verschiedenen Rechtssystemen gegenübergestellt werden.9 Die unterschiedlichen historischen Ausgangspunkte und späteren Annäherungstendenzen machen das englische Recht zu einem interessanten Untersuchungs- und Vergleichsgegenstand. Weiterhin sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und Großbritannien vergleichbar. Beide Gesellschaften stehen den Herausforderungen des demografischen Wandels und der Frage gegenüber, wie einem fortschreitenden Fachkräftemangel begegnet werden kann. Dementsprechend besteht ein ähnliches gesellschaftliches Bedürfnis, Antworten auf Fragen der Integration Älterer in den Arbeitsmarkt zu finden. Großbritannien wählte im Jahr 2011 den Ansatz, das Standardrentenalter (Default Retirement Age)10 von 65 Jahren für alle Arbeitnehmer abzuschaffen. Trotz erheblicher Kritik an vertraglichen Altersgrenzen, ist ein entsprechender Weg in Deutschland wenig wahrscheinlich. Zu bedrohlich scheint der Ausblick auf ein endloses Arbeitsleben. Die Erfahrungen Großbritanniens mit der Abschaffung von Altersgrenzen können den Aus6 Zu den Grundsätzen Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 31 ff., 40 ff. 7 Junker, JZ 1994, S. 921 (922 f.); Kischel, Rechtsvergleichung, § 1, Rn. 14 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 33. 8 Vertiefend Zimmermann, ZEuP 1993, S. 4 (5). 9 Rebhahn, ZEuP 2002, S. 452 (450 ff.). 10 Zur Übersetzung Guttenberg, Schutz vor Diskriminierung im Beschäftigungsverhältnis in Großbritannien, S. 398 f.
B. Rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen
217
gangspunkt für die Beurteilung möglicher Gestaltungsalternativen im deutschen Recht bilden. Zuletzt ist terminologisch zu klären, auf welche Rechtssysteme des Vereinigten Königreichs sich der folgende Rechtsvergleich bezieht. Die Rechtssysteme Nordirlands, Schottlands sowie von England und Wales sind jeweils unterschiedlich ausgestaltet.11 Während sich das schottische Rechtssystem weitgehend eigenständig entwickelte, bestehen zwischen dem nordirischen Rechtssystem und der Rechtsordnung von England und Wales Ähnlichkeiten.12 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die folgende Untersuchung das schottische und nordirische Recht nicht berücksichtigen und sich auf die Rechtslage in England und Wales konzentrieren. Der Begriff „englisches Recht“ oder „Recht in Großbritannien“ wird im Folgenden als Synonym für die untersuchte Rechtsordnung von England und Wales verwendet.
III. Funktionale Gegenüberstellung Ausgehend von einem funktionalen Ansatz wird der Fokus dieser Untersuchung das englische Gleichbehandlungsrecht sowie das Befristungs- und Kündigungsschutzrecht sein. Besonders das Gleichbehandlungsrecht spielt in Großbritannien eine wesentliche Rolle bei der Förderung der Berufstätigkeit älterer Arbeitnehmer. Im Rahmen der Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG wurde das Recht in Bezug auf vertragliche Altersgrenzen wiederholt überarbeitet.
B. Rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen Den Ausgangspunkt des Rechtsvergleichs bilden die Rahmenbedingungen des englischen Arbeitsrechts und die gesellschaftlichen Gegebenheiten in Großbritannien. In diesem Zusammenhang sind die Rechtsquellen des englischen Rechts, die Implikationen des bevorstehenden EU-Austritts Großbritanniens sowie die demografische Situation in England relevant.
11
Harth/Taggart, in: Henssler/Braun (Hrsg.), Arbeitsrecht in Europa, S. 487. Harth/Taggart, in: Henssler/Braun (Hrsg.), Arbeitsrecht in Europa, S. 487 f.; Sims, English Law and Terminology, S. 28. 12
218
Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
I. Rechtsquellen des englischen Arbeitsrechts 1. Allgemeines Eine wesentliche Rechtsquelle des englischen Arbeitsrechts ist das richterrechtlich entwickelte Common Law, das sich aus den schriftlichen Urteilsbegründungen der entscheidenden Richter in Präzedenzfällen ableitet.13 Die tragenden Urteilsgründe, die ratio decidendi, binden entsprechend der doctrine of precedent die jeweils unteren Gerichte.14 Im Arbeitsrecht wurden insbesondere Fragen der Arbeitnehmerhaftung und des Arbeitsvertragsrechts richterrechtlich entwickelt.15 Daneben gelten auch Parlamentsgesetze (Statute Law), die im Arbeitsrecht zum Teil bereits bestehende Common Law Grundsätze kodifizieren. Unter den Begriff des Statute Law fallen sowohl Parlamentsgesetze als auch Gesetze im materiellen Sinn, sogenannte statutory instruments. Diese werden häufig in Form von orders oder regulations erlassen, die besonders im Befristungsrecht Anwendung finden. Seit Inkrafttreten des European Communities Act im Jahr 1972 gewann auch das Unionsrecht wachsende Bedeutung.16 Besonders die hier betrachteten Rechtsgebiete des Befristungs- und Antidiskriminierungsrechts sind von harmonisierendem Unionsrecht beeinflusst. 2. Der geplante EU-Austritt Großbritanniens („Brexit“) Ein großer Teil des englischen Arbeitsrechts ist unionsrechtlich beeinflusst. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, welche Implikationen der am 29. 3. 2017 beantragte EU-Austritt Großbritanniens („Brexit“) haben wird. Am 23. 6. 2016 wurde der Volksentscheid über den Verbleib in der Europäischen Union negativ entschieden. Nach dem darauffolgenden Regierungswechsel bereitete Premierministerin May den Ausstieg aus der Europäischen Union vor und präsentierte im Januar 2017 ein Grundsatzprogramm für einen vollständigen Austritt.17 Am 29. 3. 2017 veranlasste die Regierung Großbritanniens auf der Grundlage von Art. 50 Abs. 2 S. 1 EUV die Erklärung des Austrittswunschs gegenüber der Eu13 Zur Entwicklung Tröger/Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 1 f. In seinem weiteren Sinne wird der Begriff „Common Law“ auch als Abgrenzung des englischen Rechtskreises zum europäischen Rechtskreis „Civil Law“ verwendet, vgl. Kischel, Rechtsvergleichung, § 5, Rn. 1 f.; Sims, English Law and Terminology, S. 30 ff.; Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 37. 14 Kischel, Rechtsvergleichung, § 5, Rn. 22 f.; Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 38. 15 Stein/Rabe von Pappenheim, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 1 ff. 16 Stein/Rabe von Pappenheim, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 2. 17 Prime Minister’s Office, The government’s negotiating objectives for exiting the EU: PM speech, 17. 1. 2017.
B. Rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen
219
ropäischen Union. Zu diesem Zeitpunkt begann die Verhandlungsphase über den Unionsaustritt und die zukünftigen Beziehungen. Gemäß Art. 50 Abs. 3 EUV finden die Europäischen Verträge mit Inkrafttreten des Abkommens, spätestens aber zwei Jahre nach Erklärung des Austrittswunschs keine Anwendung mehr, wenn der Europäische Rat und der austretende Mitgliedstaat nicht einvernehmlich die Verlängerung der Frist erklären.18 Nach dem Austritt soll Rechtssicherheit über die Fortgeltung von Unionsgesetzen bestehen. Ein am 26. 6. 2018 erlassenes Parlamentsgesetz, der European Union (Withdrawal) Act 2018, wird zum Zeitpunkt des Unionsaustritts in Kraft treten, den European Communities Act aufheben sowie den geltenden acquis communautaire in englisches Recht übertragen.19 Dies gilt für umgesetztes Unionsrecht, unmittelbar geltende Richtlinien und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Das Unionsrecht wird nach dem Austritt damit den Rang eines einfachen Gesetzes erlangen. Eine parlamentarische Überprüfung und eventuelle Aufhebung geltender Unionsgesetze wurde bereits angekündigt. Zukünftige Unionsrechtsakte, sowie Urteile des Europäischen Gerichtshofs werden nach dem Austritt demnach nicht mehr bindend sein. Mit einer umfassenden Aufhebung von Gesetzen zum Schutz der Arbeitnehmer, die in Umsetzung des Unionsrechts erlassen wurden, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu rechnen. So gab Premierministerin May in ihrer Brexit Grundsatzrede im Januar 2017 an, die bestehenden Rechte von Arbeitnehmern beizubehalten und weiter ausbauen zu wollen.20 Unabhängig von den politischen Absichtserklärungen sprechen auch systematische Gründe gegen eine umfassende Aufhebung des Arbeitnehmerschutzrechts. So gehen die englischen Umsetzungsakte teilweise über die Vorgaben der Europäischen Union hinaus. Altersgrenzen unterliegen in Großbritannien z. B. einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall.21 Auch mischten sich unionsrechtliche Vorgaben mit dem bestehenden Rechtsrahmen des Common Law, so dass eine isolierte Aufhebung unionsrechtlich vorgegebener Bestimmungen kaum möglich ist. Das auf der Befristungsrichtlinie beruhende Befristungsrecht verweist in den Rechtsfolgen auf das Kündigungsrecht, das sich allein aus Common Law Grundsätzen ableitet. Aus diesen Gründen wird davon ausgegangen, dass nur besonders umstrittene Gesetze, wie die Umsetzung der Betriebsüber18 Vgl. die Verlängerung der Frist bis zum 31. 10. 2019; Europäischer Rat, Schlussfolgerungen v. 10. 4. 2019, EUCO XT 20015/19. 19 House of Commons/Caird, Legislating for Brexit: The Great Repeal Bill, Briefing Paper, 23. 2. 2017. 20 Prime Minister’s Office, The government’s negotiating objectives for exiting the EU: PM speech, 17. 1. 2017; House of Commons/Pyper, Brexit: Employment law, Briefing Paper, 10. 11. 2016, S. 6. 21 Vgl. Abschnitt C II.2.c).
220
Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
gangsrichtlinie (TUPE Regulations), neu verhandelt werden.22 Von einer zeitnahen Änderung der Befristungs- oder Antidiskriminierungsgesetze ist somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auszugehen.
II. Demografische Situation Die Frage nach der Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer rückt besonders in alternden Gesellschaften in den Vordergrund, in denen sich das Verhältnis von jüngeren zu älteren Arbeitnehmern verschiebt. 1. Alterung der Gesellschaft Großbritannien steht ebenso wie Deutschland vor demografischen He rausforderungen.23 Seit den sechziger Jahren ging auch in Großbritannien die Geburtenrate zurück, bis sie sich in den neunziger Jahren stabilisierte und nun bei durchschnittlich 1,81 Kindern pro Frau liegt.24 Damit altert die Bevölkerung Großbritanniens langsamer als in Deutschland. Dennoch machen die über 50-jährigen bereits 27 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus; 2020 wird es bereits über ein Drittel sein.25 Der Anteil der über 65-jährigen liegt derzeit bei 18,2 Prozent.26 Es wird geschätzt, dass sich dieser Anteil bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um weitere 51 Prozent erhöhen wird.27 Angesichts niedrigerer Geburtenraten wird in den nächsten Jahren ein Arbeits- bzw. Fachkräftemangel auf den englischen Arbeitsmarkt zukommen. Diese Entwicklung kann sich durch die prognostizierte Abwanderung von Fachkräften als Konsequenz des Brexit zudem noch verstärken.28 Schätzungen zufolge werden bis 2023 etwa 13,5 Millionen Arbeitskräfte gesucht, denen nur sieben Millionen Absolventen aus Schulen und Hochschulen gegenüberstehen.29 Neben der Immigration von Fachkräften kann eine längere Lebensarbeitszeit dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken. Dementsprechend stellt sich auch in Großbri-
22
Tröger/Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 9. Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 68 ff.; vertiefend Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 1, 5. 24 OECD, Fertility rates, 2017. 25 DWP, Employing older workers, Februar 2013, S. 4. 26 ONS, Population Estimates for UK, England and Wales, Scotland and Northern Ireland: mid-2017, 28. 6. 2018, S. 12. 27 Barrett/Sargeant (2015) 44(1) I.L.J., S. 75 (77). 28 Vgl. Deloitte, Power Up, The UK Workplace, 2017, S. 9. 29 DWP, Employing older workers, Februar 2013, S. 5. 23
B. Rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen
221
tannien die Frage, durch welche rechtlichen Rahmenbedingungen eine längere Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer gefördert werden kann. 2. Rentensystem Die demografische Veränderung der Bevölkerung geht häufig mit einer Ungleichverteilung in den sozialen Sicherungssystemen einher. Diese kann durch eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen Beitragszahlern und Beitragsempfängern entstehen. In Großbritannien wird sich das Verhältnis von 3,3 Beitragszahlern pro Beitragsempfänger im Jahr 2006 auf 2,9 im Jahr 2031 verringern. Im Jahr 2045 könnte das Verhältnis auf weniger als 2,0 fallen.30 Das Alter, ab dem die staatliche Altersrente in Anspruch genommen werden kann (State Pension Age), liegt in Großbritannien niedriger als die Regelaltersgrenze in Deutschland. Männer erreichen das Rentenalter mit 65 Jahren, für Frauen wird das Rentenalter erst schrittweise auf 65 angehoben.31 Weitere Erhöhungen des Rentenalters auf 68 Jahre bis 2046 sind geplant.32 Neben höheren Belastungen für Jüngere werden zukünftig geringere Rentenzahlungen für Ältere prognostiziert. Entsprechend steigt die Motivation, sich durch eine Weiterarbeit für das Alter und eine längere Rentenbezugsdauer finanziell abzusichern.33 Das Alterssicherungssystem Großbritanniens beruht auf drei Grundpfeilern. Der erste Pfeiler ist die gesetzliche Altersrente, die sogenannte State Pension. Diese kann erst nach 35 Beitragsjahren beantragt werden und maximal 155,65 Pfund pro Woche betragen.34 Im OECD Vergleich ist die Rentenhöhe in Großbritannien im Vergleich zum letzten Einkommen am niedrigsten.35 Die staatliche Altersrente allein deckt den Lebensunterhalt häufig nicht ab, so dass auch die betriebliche Altersvorsorge (Occupational Pension Scheme) als zweite Säule besondere Bedeutung erlangt. Der Arbeitgeber muss jedem Arbeitnehmer zwingend eine betriebliche Altersversorgung anbieten.36 Die dritte Säule besteht aus der freiwilligen privaten Altersvorsorge. 30
Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 71. Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 86. 32 Schedule 3, Pensions Act 2007; gegenwärtig liegt ein Strategiepapier der Regierung mit der Zielsetzung vor, das Rentenalter bereits bis 2039 zu erhöhen: DWP, State Pension age review, Juli 2017, S. 23. 33 Barrett/Sargeant (2015) 44(1) I.L.J., S. 75 (78). 34 Tröger/Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 52 f. 35 Sogenannte „net replacement rate”, Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 3; OECD, Pensions at a Glance 2017, OECD and G20 Indicators, 5. 12. 2017, S. 11, 27. 36 Vertiefend Tröger/Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 52 ff. 31
222
Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
Die Inanspruchnahme der State Pension kann um bis zu fünf Jahre hinausgezögert werden und zahlt sich durch einen Anstieg des Rentenanspruchs von bis zu 5,8 Prozent jährlich aus.37 Dies zeigt, dass besonders finanzielle Anreize für die verzögerte Inanspruchnahme der Rente und für eine Weiterarbeit sprechen. Zudem verbinden Arbeitnehmer mit der Weiterarbeit im Rentenalter immaterielle Ziele, wie z. B. sozial aktiv zu bleiben und ein positives Selbstwertgefühl zu behalten.38 Aus diesem Gründen sind sowohl der demografische Hintergrund als auch die sozialpolitischen Motivationen, eine Weiterarbeit zu fördern, in Deutschland und Großbritannien ähnlich. Beide Länder eignen sich daher ideal für einen Vergleich der Lösungsansätze.
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung Lange Zeit gab es im englischen Recht kein gesetzliches Verbot der Altersdiskriminierung. Auch in Großbritannien stieg die Bedeutung des Gleichbehandlungsrechts jedoch aufgrund des zunehmenden unionsrechtlichen Einflusses an. Diese Entwicklung führte zu einer mehrfachen Änderung der Rechtslage im Hinblick auf Altersgrenzen und den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Das Gleichbehandlungsrecht ist damit ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter im englischen Recht.
I. Rechtsstand vor dem Erlass der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie Erste Gesetze gegen Rassen- oder Geschlechterdiskriminierung (Sex Discrimination Act und Race Relations Act) wurden in den siebziger Jahren erlassen. Erst in den neunziger Jahren rückte die Fragestellung der Altersdiskriminierung in den Vordergrund. Entsprechende Gesetzesinitiativen konnten sich jedoch nicht durchsetzen.39 Der englische Gesetzgeber setzte lange Zeit auf freiwillige Selbstverpflichtungen anstatt auf bindende gesetzliche Regelungen. 1999 erließ die Regierung Großbritanniens einen Code of Practice zum Umgang mit älteren
37 DWP, Smoothing the transition: Independent Review of the State Pension Age, 23. 3. 2017, S. 106. 38 Barrett/Sargeant (2015) 44(1) I.L.J., S. 75 (78); Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 5. 39 Vertiefend Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 89 ff. m. w. N.
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung
223
Arbeitnehmern.40 Ein solcher Code hat grundsätzlich keine bindende Wirkung, aber findet bei der gerichtlichen Abwägung Berücksichtigung.41
II. Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie Erst die unionsrechtliche Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie veranlasste den Gesetzgeber zur Regelung eines Verbots der Altersdiskriminierung. Die Richtlinie wurde im Jahr 2006 durch die Employment Equality (Age) Regulations 2006 (EE(A)R 2006) umgesetzt.42 Dem Erlass der Regulations ging ein fünfjähriges Konsultationsverfahren voraus, in dem kontrovers über die verschiedenen Ansätze zum Schutz vor Altersdiskriminierung diskutiert wurde.43 Sie erfassten sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen aufgrund des Alters in Beschäftigung und Beruf. Der spätere Equality Act 2010 überarbeitete die Regelungen von 2006 erneut und erfasst nun, ähnlich wie das AGG im deutschen Recht, Ungleichbehandlungen aufgrund verschiedener Merkmale. Im Hinblick auf das Kriterium des Alters werden direkte und indirekte Diskriminierungen, Belästigungen und Maßregelungen untersagt (sec 13 ff. Equality Act 2010). Diskriminierungen können jedoch gerechtfertigt sein, wenn die Ungleichbehandlung verhältnismäßig ist, um ein legitimes Ziel zu erreichen. 1. Altersgrenzen Ebenso wie im deutschen Recht gibt es im englischen Recht keine allgemeinen gesetzlichen Altersgrenzen. Es bestehen jedoch spezielle Altersgrenzen für bestimmte Berufsgruppen.44 Die folgende Untersuchung befasst sich mit vertraglichen Altersgrenzen aufgrund des Erreichens des Rentenalters. a) Die Rechtslage bis 2006 Die Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie im englischen Recht hatte wesentliche Auswirkungen auf allgemeine vertragliche Altersgrenzen. Bis zum Jahr 2006 regelte sec 109(1) Employment Rights Act 1996 a. F. (ERA 1996), 40 Rees (2003) 26 Euro. Law, S. 47; vertiefend Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 89 ff. 41 Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 91. 42 Großbritannien machte von der Möglichkeit Gebrauch, die Umsetzungsfrist zu verlängern (Art. 18 Abs. 2 S. 1 RL 2000/78/EG). 43 Vertiefend Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 110 ff. 44 Zur Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Altersgrenze für ehrenamtliche Richter Employment Tribunals John v Ministry of Justice 2014 WL 8663535.
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
dass Arbeitnehmer nach Überschreiten des Rentenalters kein Recht darauf hatten, ungerechtfertigte Entlassungen anzufechten.45 Demnach konnte das Arbeitsverhältnis ohne einschränkende Voraussetzungen gekündigt werden, wenn der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr oder das normal retirement age seines Arbeitgebers erreicht hatte.46 Letzteres konnte der Arbeitgeber als übliches betriebliches Rentenalter für die jeweilige Position festlegen.47 Gemäß Sec 156(1) ERA 1996 a. F. war der Anspruch auf eine Abfindung wegen betriebsbedingter Kündigung (redundancy payment) ausgeschlossen, falls die Kündigung nach Erreichen des Rentenalters erfolgte. b) Die Rechtslage bis 2011 Die Ausgestaltung von Altersgrenzen war ein wesentlicher Diskussionspunkt im Rahmen der Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie. Letztlich führte der britische Gesetzgeber ein differenziertes Verfahren ein und hob die zuvor geltenden Vorschriften zur Kündigungsmöglichkeit bei Erreichen des Rentenalters auf. Reg 30(2) Employment Equality (Age) Regulations (EE(A)R) 2006 sah vor, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Renteneintritts nach Erreichen des 65. Lebensjahrs nur rechtmäßig ist, wenn ein formales Anhörungsverfahren durchgeführt wird.48 Das 65. Lebensjahr wurde daher als Default Retirement Age, als Standardrentenalter, bezeichnet. aa) Anhörungsverfahren Die neu eingeführten sec 98ZA bis 98ZH ERA 1996 regelten, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer sechs bis zwölf Monate vor dem Erreichen des Rentenalters über das geplante Ende des Arbeitsverhältnisses und das Recht, einen Antrag auf Weiterarbeit zu stellen, informieren musste.49 Daraufhin konnte der Arbeitnehmer eine befristete oder unbefristete Weiterarbeit beantragen. Der Antrag musste von den Vertragsparteien in einem Anhörungsverfahren besprochen und vom Arbeitgeber innerhalb einer angemessenen Zeitspanne beschieden werden. Es konnte auch eine befristete Weiterarbeit vereinbart werden (sec 7(7)(a) sched. 6 Employment Equality (Age) Regulations 2006). Eine Ablehnung des Antrags musste nicht begründet werden und unterlag keiner gerichtlichen Über45
Manfredi/Vickers (2009) 38(4) I.L.J., S. 343 (351 f.). Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 229. 47 Näher Kilpatrick (2008) 37(1) I.L.J., S. 1 (2). 48 Die Vorschrift wurde später durch sec 8 Equality Act 2010 (Schedule 9) ersetzt; vertiefend Guttenberg, Schutz vor Diskriminierung im Beschäftigungsverhältnis in Großbritannien, S. 401. 49 Das Verfahren richtete sich nach den Vorschriften des sched. 6 der regulations. 46
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung
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prüfung. Nur bei Verletzung der Verfahrensvoraussetzungen konnte der Arbeitnehmer eine Klage vor den Arbeitsgerichten erheben. bb) Bewertung Der Gesetzgeber verfolgte mit der Einführung des Anhörungsverfahrens das Ziel, die Arbeitsvertragsparteien dazu anzuhalten, die Verrentung der Arbeitnehmer vorausschauend zu planen und flexibel zu gestalten.50 Das formalisierte Verfahren wurde jedoch als unbestimmt, unwirksam und bürokratisch kritisiert.51 Grundsätzlich ist zu befürworten, dass Absprachen der Arbeitsvertragsparteien einen flexiblen Übergang in den Ruhestand ermöglichen. Im Abstimmungsverfahren können die Umstände des jeweiligen Arbeitsverhältnisses, des Betriebs und der jeweiligen Branche berücksichtigt werden. Allerdings bestanden außer formalen Anforderungen keine materiellen Ansprüche des Arbeitnehmers und kein Anspruch auf Begründung der Ablehnung. Somit verwundert es nicht, dass die Regelung nur als bürokratische Hürde angesehen wurde. Der wesentliche Vorteil der Regelung bestand allein darin, dass sich beide Parteien über den Übergang in den Ruhestand austauschten. Es lag jedoch im Ermessen des Arbeitgebers, ob das Verfahren erfolgreich verlief und es zu einer Weiterarbeit kam. cc) Die Rechtssache Age Concern Gegen das Standardrentenalter von 65 Lebensjahren klagte die gemeinnützige Organisation Age Concern im Jahr 2009.52 Der zuständige High Court legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob die entsprechende Altersgrenze gerechtfertigt sei. Der Gerichtshof gab an, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt sein kann, wenn ein sozialpolitisches Ziel durch eine angemessene Regelung verfolgt werde.53 Anhand der Vorgaben des EuGH setzte sich der High Court intensiv mit der Rechtfertigung der Altersgrenze und dem konkreten Rentenalter von 65 Jahren auseinander.54 Das Urteil problematisierte insbesondere, dass die Möglichkeit der Verrentung allein an das Alter des Arbeitnehmers und nicht an andere Umstände, wie die 50
Christie (2006) 8 S.L.T., S. 41 f. Kilpatrick (2008) 37(1) I.L.J., S. 1 ff.; ferner Christie (2006) 8 S.L.T., S. 41 f.; Manfredi/Vickers (2013) 4 ELLJ, S. 251 (254). 52 The Queen on the application of Age UK v Secretary of State for Business, Innovation and Skills [2009] EWHC 2336. 53 EuGH, Urt. v. 5. 3. 2009 – C-388/07, Slg. 2009, I-1569 (Rn. 46 f.) = NZA 2009, S. 305 (Rn. 46 f.) – Age Concern. 54 The Queen on the application of Age UK v Secretary of State for Business, Innovation and Skills [2009] EWHC 2336 (Rn. 115 ff.). 51
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
Dauer der Beschäftigung oder eine ausreichende Altersrente anknüpfte.55 Weiterhin wurde hinterfragt, ob die angestrebten sozialpolitischen Ziele nicht auch durch eine höhere Altersgrenze hätten erreicht werden können.56 Aufgrund des gesetzgeberischen Ermessensspielraums sah das Gericht das Standardrentenalter jedoch als gerechtfertigt an.57 c) Abschaffung des Default Retirement Age im Jahr 2011 Bereits kurz nach Einführung des Standardrentenalters im Jahr 2006 kündigte der Gesetzgeber an, die entsprechenden Vorschriften nach fünf Jahren zu evaluieren und gegebenenfalls zu überarbeiten.58 Im Mai 2010 verkündete die liberal-konservative Koalition das Ziel, das eingeführte Rentenalter mit einer Übergangsfrist zum Oktober 2011 auslaufen zu lassen.59 aa) Gesetzgebungsprozess Die britische Regierung führte zwischen Juli und Oktober 2010 ein öffentliches Anhörungsverfahren sowie ein ökonomisches Folgenabschätzungsverfahren zur Abschaffung des Standardrentenalters durch. 55,6 Prozent der Eingaben befürworteten die Abschaffung des Standardrentenalters.60 Auch das wirtschaftliche Folgenabschätzungsverfahren der Regierung Großbritanniens ergab, dass keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu befürchten seien, sondern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt gestärkt werde.61 Um den Befürchtungen vor einer steigenden Anzahl an Rechtsstreitigkeiten Rechnung zu tragen, sollten entsprechende Richtlinien für Arbeitgeber (guidances) Rechtssicherheit gewährleisten.62 55 The Queen on the application of Age UK v Secretary of State for Business, Innovation and Skills [2009] EWHC 2336 (Rn. 115). 56 The Queen on the application of Age UK v Secretary of State for Business, Innovation and Skills [2009] EWHC 2336 (Rn. 118 ff.). 57 The Queen on the application of Age UK v Secretary of State for Business, Innovation and Skills [2009] EWHC 2336 (Rn. 129). 58 Kilpatrick (2008) 37(1) I.L.J., S. 1 (4). 59 Vgl. Cabinet Office, The Coalition: our programme for government, Mai 2010, S. 26; Guttenberg, Schutz vor Diskriminierung im Beschäftigungsverhältnis in Großbritannien, S. 400. 60 BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Januar 2011, S. 6. 61 BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Januar 2011, S. 7. 62 Eine gesetzliche Regelung der Voraussetzungen einer Verrentung wurde abgelehnt BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Januar 2011, S. 9, 11; Richtlinien enthält die Guidance von ACAS, Guidance for employers:
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung
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In den folgenden Parlamentsdebatten wurden häufig auch die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des längeren Verbleibs Älterer in der Erwerbstätigkeit genannt.63 Insbesondere sollten die Rentenkassen entlastet und die Arbeit älterer Arbeitnehmer aufgewertet werden.64 In den Parlamentsdebatten wurde auch das Ziel angeführt, einem abrupten Übergang in den Ruhestand („cliff-edge retirement“) entgegenzuwirken und Anreize für flexible Lösungen zu setzen.65 Der Arbeitnehmer sollte eine freie Wahl zum Übergang in den Ruhestand erhalten, jedoch nicht gezwungen sein, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten: „These changes do not mean that individuals can no longer retire at 65 – simply that the timing of that retirement becomes a matter of choice rather than compulsion.“66 bb) Aktuelle Rechtslage Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ergingen die Employment Equality (Repeal of Retirement Age Provisions) Regulations 2011, die sec 30(2) EE(A)R 2006 und damit das Anhörungsverfahren aufhoben. Somit sind Kündigungen wegen Erreichens des Rentenalters nicht mehr generell zulässig. Arbeitgeber können jedoch eine einheitliche betriebliche Verrentungspraxis (Employer Justified Retirement Age) einführen, wenn diese einem legitimen Ziel dient und der Eintritt in den Ruhestand für den Arbeitnehmer verhältnismäßig ist. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des Rentenalters als Diskriminierung wegen des Alters gemäß sec 13(2) Equality Act 2010 gerechtfertigt. Die Voraussetzungen eines arbeitgeberspezifischen Rentenalters muss der Arbeitgeber darlegen und gegebenenfalls beweisen.67 Entsprechende Richtlinien für Arbeitgeber wurden durch den Advisory, Conciliation and Arbitration Service (ACAS) veröffentlicht.68
Working without the default retirement age, März 2011. ACAS ist eine unabhängige Organisation, die in arbeitsrechtlichen Fragen Beratung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber anbietet; vgl. Steinhauser, Altersdiskriminierung in Großbritannien, S. 56 f. 63 HL, Deb 29. 3. 2011, Vol. 726, Col. 148 ff. 64 Blackham (2016) 45(2) I.L.J., S. 144 (146 f.) m. w. N.; Blackham, Extending Worki ng Life for Older Workers, S. 5. 65 HL, Deb 29. 3. 2011, Vol. 726, Col. 148 ff. 66 BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Januar 2011, S. 2: „Diese Änderungen bedeuten nicht, dass der Renteneintritt mit 65 Jahren nicht mehr möglich ist – der Zeitpunkt des Renteneintritts wird jedoch eine Frage der persönlichen Wahl anstatt von Zwang sein“. 67 Vgl. Engel v Transport and Environment Committee of London Councils (2013) UKET 2200472/2012. 68 ACAS, Guidance for employers: Working without the default retirement age, März 2011.
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
Wenn ein diskriminierungsfreies Rentenalter festgelegt wurde, ist die Kündigung gerechtfertigt, weil die betriebliche Altersgrenze einen anderen wesentlichen Kündigungsgrund (some other substantial reason) gemäß sec 98(1)(b) Employment Rights Act 1996 darstellt. Besteht kein betriebliches Rentenalter, wird das Arbeitsverhältnis nach Erreichen des Rentenalters unter gleichen Arbeitsbedingungen wie zuvor weitergeführt. Die Arbeitszeit kann reduziert werden, wenn der Arbeitnehmer nach einer Mindestbeschäftigungsdauer von 26 Wochen einen Antrag auf Änderung der Arbeitszeiten stellt und der Arbeitgeber den Antrag nicht aufgrund berechtigter betrieblicher Interessen zurückweist (sec 80G(1)(b) ERA 1996).69 Gegen eine unberechtigte Ablehnung des Teilzeitantrags kann der Arbeitnehmer binnen drei Monaten nach Mitteilung der Entscheidung Klage erheben; das Arbeitsgericht überprüft jedoch nur die Einhaltung formaler Kriterien bei der Entscheidung über die Teilzeitbeschäftigung (sec 80H ERA 1996). cc) Die Rechtssache Seldon v Clarkson Wright & Jakes Zu den vorerst unklaren Voraussetzungen der betrieblichen Altersgrenzen erging ein richtungsweisendes Urteil des obersten Gerichts (Supreme Court), in der Entscheidung Seldon v Clarkson Wright & Jakes.70 Der Kläger war Partner einer Anwaltskanzlei und musste aufgrund seines Partnerschaftsvertrags mit 65 Jahren in Rente gehen. Sein Antrag auf Weiterarbeit wurde vom Arbeitgeber abgelehnt. Hierfür nannte die beklagte Kanzlei personalpolitische Gründe, wie das Ziel eine Partnerschaft auch jüngeren Anwälten zu ermöglichen. Weiterhin sollten Rechtsstreitigkeiten über die Beendigung des Partnerschaftsverhältnisses aufgrund eines Leistungsabfalls vermieden werden. Das Gericht prüfte die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ausschließlich nach dem Antidiskriminierungsrecht und nicht nach dem Kündigungsrecht, da der Kläger kein Arbeitnehmer war. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Age Concern ordnete das oberste Gericht die Ziele der Nachfolgeplanung (intergenerational fairness) und die Vermeidung von entwürdigenden Beendigungsstreitigkeiten als legitime Ziele für eine Altersgrenze ein.71 Bezüglich der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwies der Supreme Court den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht (Employment Tribunal) zurück, das ermitteln sollte, ob das konkret gewählte Rentenalter von 65 Jahren verhältnismäßig ist. Richterin Lady Hale drückte ihre Skepsis gegenüber der Festlegung einer angemessenen Altersgrenze aus. Das Argument der rechtssiche-
69
Hierzu vertiefend Tröger/Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 60 ff. Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2012] UKSC 16. 71 Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2012] UKSC 16, Rn. 56 ff. 70
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung
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ren Nachfolgeplanung und der würdevollen Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne jedes Rentenalter im fortgeschrittenen Alter rechtfertigen.72 Das erstinstanzliche Employment Tribunal entschied, dass die Altersgrenze von 65 Jahren im konkreten Fall angemessen war.73 Das Gericht verwies in der Urteilsbegründung auf das bis zum Jahr 2011 geltende Default Retirement Age und die Rechtsprechung des EuGH, die Altersgrenzen von 65 Jahren nicht als unangemessen ansah.74 Auf die Berufung des Klägers befasste sich im Jahr 2014 auch das Arbeitsberufungsgericht (Employment Appeal Tribunal) mit der konkreten Altersgrenze von 65 Lebensjahren und sah diese als verhältnismäßig an. Es wurden jedoch Zweifel daran geäußert, dass sich eine exakt verhältnismäßige Altersgrenze festlegen lässt.75 dd) Bewertung Nach insgesamt sechs Gerichtsentscheidungen erging im Jahr 2014 das letzte Urteil des Employment Appeal Tribunal in der Rechtssache Seldon. Auch wenn die Entscheidung des Supreme Court als richterrechtliche Klarstellung der Voraussetzungen einer betrieblichen Regelaltersgrenze eingeordnet wird, bleibt die Aussagekraft auf Fragen des Gleichbehandlungsrechts beschränkt. Das Kündigungsschutzrecht wurde mangels Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht geprüft.76 Der Supreme Court stellte klar, dass die Rechtfertigung betrieblicher Altersgrenzen anhand der Wertungen von Art. 6 der RL 2000/78/EG erfolgt. Zunächst orientierte sich das Gericht bezüglich möglicher legitimer Ziele an der Rechtsprechung des EuGH. Die Ziele der Arbeitsteilung zwischen Generationen und der würdevollen Beendigung von Arbeitsverhältnissen werden auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs angeführt. Im vorliegenden Fall kam auch der vom EuGH im Urteil Georgiev genannte Aspekt zum Tragen, dass höhere Positionen nach einer bestimmten Zeit für jüngere Arbeitnehmer frei werden sollen. Anders als der EuGH prüft der Supreme Court die Erforderlichkeit des Ausscheidens älterer Arbeitnehmer anhand der Umstände des Einzelfalls. In der Entscheidung Hampton v Lord Chancellor wurde so die Erforderlichkeit einer Altersgrenze von 65 Jahren für sogenannte Recorder, nebenberufliche Circuit Judges, verneint, da die voraussehbare Zahl der weiterarbeitenden Richter so gering sein würde, dass ein zwingendes Ausscheiden zum Zwecke der Übergangs- und Nachwuchsplanung nicht erforderlich ist.77 Dies belegt, dass sich das legitime Ziel der Personal72
Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2012] UKSC 16, Rn. 68. Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2013] UKET 1100275/2007. 74 Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2013] UKET 1100275/2007 (Rn. 79 ff.). 75 Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2014] UKEAT/0434/13/RN (Rn. 26 f.). 76 Zu Fragen des Kündigungsschutzrechts Connolly (2012) 109(Jun) Emp.L.B., S. 6 (8). 77 Hampton v Lord Chancellor and another [2008] I.R.L.R. 258 (Rn. 51 ff.). 73
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
und Nachfolgeplanung gerade für höhere Positionen leicht begründen lässt, es aber nicht für alle Berufsgruppen verallgemeinerbar ist.78 Der zweite Rechtfertigungsgrund, die würdevolle Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach einer längeren Berufstätigkeit, ist ebenfalls problematisch. Zunächst steht das Alter eines Arbeitnehmers nicht zwingend für die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Zudem geht ein bestimmtes Lebensalter nicht per se mit einem Abfall der Leistungsfähigkeit einher.79 Auch spricht kein besonderer Grund dafür, den Ansatz der würdevollen Beendigung gerade bei Arbeitnehmern im Rentenalter zu verfolgen, wenn jüngere Arbeitnehmer Kontrollen der Leistungsfähigkeit ausgesetzt werden.80 Den Kern der Abwägung bildet die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die konkrete Altersgrenze muss im Einzelfall verhältnismäßig und angemessen sein.81 Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur abstrakten Interessenabwägung in der BAG- und EuGH-Rechtsprechung. Der englische Supreme Court entwickelte daher einen eigenen Ansatz, wonach das konkret gewählte Rentenalter ebenfalls gerechtfertigt sein muss.82 Die zurückhaltend formulierten Passagen der Urteilsbegründung belegen jedoch, wie schwer sich die konkrete Verhältnismäßigkeitsabwägung einer betrieblichen Altersgrenze gestaltet. Abstrakt lässt sich kaum ein geeignetes Lebensalter für das Ausscheiden festlegen, um die verfolgten Ziele zu erreichen. Die Angemessenheit und Erforderlichkeit des Ausscheidens nach Erreichen eines bestimmten Alters ist mithin weniger eine Rechtsfrage, als eine Tatsachenfrage.83 Aus diesem Grund hielten sich die Gerichte in der Rechtssache Seldon bezüglich des konkreten Rentenalters von 65 Jahren zurück und verwiesen auf das bis 2011 bestehende Default Retirement Age.84 Dieser Ansatz kann jedoch nicht verallgemeinert werden, da die Gerichte das Gebot, Altersgrenzen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ernst nehmen. Auch eine Altersgrenze von 65 Jahren kann im Einzelfall unverhältnismäßig sein, wenn auch ein höheres Rentenalter mit den legitimen Zielen vereinbar ist.85 Dies entspricht dem Willen des englischen Gesetzgebers, wonach das 65. Lebensjahr keine generellen 78
Blackham (2015) 4(1) C.J.I.C.L., S. 108 (122). Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2012] UKSC 16, Rn. 57; Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 48 f. m. w. N. 80 Manfredi/Vickers (2013) 42(1) I.L.J., S. 61 (69); vgl. auch Willey v England and Wales Cricket Board Limited UKET 2201406/2014, 2201407/2014. 81 Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2012] UKSC 16, Rn. 62. 82 Dewhurst (2016) 45 (1) I.L.J., S. 60 (65). 83 Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2014] UKEAT/0434/13/RN (Rn. 12); zur Festlegung des konkreten Rentenalters Steinmeyer, NZA 1998, S. 905 (908). 84 Seldon v Clarkson Wright & Jakes [2012] UKSC 16, Rn. 77. 85 Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 64 ff.; Hampton v Lord Chancellor and another [2008] I.R.L.R. 258 (Rn. 51 ff.). 79
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Verrentungen rechtfertigen kann. Nach Abschaffung des Default Retirement Age bietet allein das staatliche Renteneintrittsalter (Pension Age) oder das Rentenalter vergleichbarer Berufsgruppen Orientierung.86 ee) Zwischenergebnis Der praktisch schwierigste und unsicherste Aspekt des Employer Justified Retirement Age ist somit die Rechtfertigung des konkreten Rentenalters.87 Gleichzeitig ist diese Prüfung eine Besonderheit der englischen Rechtsprechung.88 Die Abwägung ist von den individuellen Umständen des Einzelfalls, den Besonderheiten der Branche und tatsächlichen Beschäftigungsstatistiken abhängig und gewährleistet ex ante kaum Rechtssicherheit.89 Dementsprechend ist es nachvollziehbar, dass betriebliche Altersgrenzen aufgrund der erheblichen Rechtsunsicherheit kritisiert wurden.90 2. Ökonomische Konsequenzen der Abschaffung des Default Retirement Age Sechs Jahre nach Abschaffung des Default Retirement Age ist fraglich, wie sich dies in ökonomischer Hinsicht auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob es nach Abschaffung des Standardrentenalters tatsächlich zu dem gefürchteten ewigen Arbeitsleben kam.91 Anhaltspunkte für den Umgang mit der Aufhebung des Retirement Age lassen sich aus Umfragen unter Arbeitgebern ableiten. Eine Untersuchung im Jahr 2011 ergab, dass zwei Drittel der befragten Unternehmen für die Abschaffung von Altersgrenzen plädierten, um Fachwissen im Unternehmen zu halten.92 Gleichzeitig befürchteten etwa 68 Prozent der befragten Arbeitgeber negative Auswirkungen der Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf den Arbeitsmarkt.93 Auch Arbeitnehmervertreter zeigten sich besorgt über die Abschaffung des Default Retirement Age, da diese zeitgleich mit einer Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters (State Pension Age) einherging. Befürchtet wurde eine Sanierung der Rentenkassen auf 86 Vgl.
Dewhurst (2016) 45(1) I.L.J., S. 60 (82 ff.). Connolly (2012) 109(Jun) Emp.L.B., S. 6 (8); Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 62. 88 Dewhurst (2016) 45(1) I.L.J., S. 60 (82). 89 Dewhurst (2016) 45(1) I.L.J., S. 60 (62). 90 Vgl. zur Kritik Barrett/Sargeant (2015) 44(1) I.L.J., S. 75 (84 f.). 91 Vgl. Theurer, F.A.Z. vom 31. 07. 2010. 92 Freshfields Bruckhaus Deringer, Abolishing the Default Retirement Age: The Impact on Business, 26. 5. 2011, S. 4. 93 Freshfields Bruckhaus Deringer, Abolishing the Default Retirement Age: The Impact on Business, 26. 5. 2011, S. 3. 87
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
Kosten der Älteren, die keine Wahl hatten, ob sie über das Rentenalter hinaus beruflich tätig sein wollten oder nicht.94 Die Reaktionen auf die Ankündigung der Abschaffung des Standardrentenalters fielen mithin gemischt aus. Auf Arbeitgeberseite wurde der Vorteil betont, Arbeitnehmer länger im Betrieb zu halten. Auf Seiten der Arbeitnehmer wurde der Wunsch deutlich, die verlängerte Weiterarbeit allein als Option auszugestalten. Es stellt sich demnach die Frage, ob die befürchteten Verwerfungen tatsächlich eingetreten sind. Diesbezüglich sind verschiedene Faktoren relevant, anhand derer sich eine Folgenbewertung orientieren kann. Dies sind die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Anwendung betrieblicher Altersgrenzen, die Anzahl von Beendigungs- und Diskriminierungsstreitigkeiten sowie die entsprechenden Prozess- und Abfindungskosten. Im Hinblick auf die Folgen für den Arbeitsmarkt durch die Abschaffung des Standard-Rentenalters ergab eine wirtschaftliche Folgenabschätzung der britischen Regierung im Gesetzgebungsverfahren, dass vor 2006 nur ein Drittel der Arbeitgeber Arbeitsverhältnisse nach dem Erreichen festgelegter Altersgrenzen pauschal beendeten.95 Dies galt im Wesentlichen für größere Unternehmen und den öffentlichen Dienst.96 Im Abstimmungsverfahren auf der Grundlage der Employment Equality (Age) Regulations 2006 wurden etwa 80 Prozent der gestellten Weiterarbeitsanträge genehmigt.97 Aus diesen Gründen ging die Regierung davon aus, dass sich die Abschaffung des Default Retirement Age nur auf einen geringen Anteil aller Arbeitsverhältnisse auswirke. Umfassende statistische Erhebungen zu den praktischen Auswirkungen der Abschaffung des Standardrentenalters gibt es bislang nicht. Die verfügbaren Befragungen von einigen Arbeitgebern sind jedoch Indizien für den Umgang mit der neuen Rechtslage. Befragte Arbeitgeber gaben mehrheitlich an, die Verrentungspraxis aufgrund der Abschaffung des Standard-Rentenalters geändert zu haben.98 Nur 2,9 Prozent der befragten Arbeitgeber legte jedoch ein arbeitgeberspezifisches Rentenalter fest.99 Dies gilt insbesondere für Universitäten und 94
Manfredi/Vickers (2013) 4 ELLJ, S. 251 (259 ff.). BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Impact Assessment, 8. 1. 2011, S. 6, 17. 96 Manfredi/Vickers (2013) 42(1) I.L.J., S. 61 (63); dies. (2013) 4 ELLJ, S. 251 (257). 97 BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Impact Assessment, 8. 1. 2011, S. 7. 98 Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 68; Eversheds Sutherland/Williams, Eversheds UK HR e-briefing: How are employers managing without the default retirement age?, S. 2. 99 Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 68; Eversheds Sutherland/Williams, Eversheds UK HR e-briefing: How are employers managing without the default retirement age?, S. 2. 95
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung
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andere Bildungseinrichtungen. Die Mehrzahl der Arbeitgeber nahm aufgrund der Rechtsunsicherheit von betrieblichen Regelaltersgrenzen Abstand.100 Das Standardrentenalter wurde damit nicht vollständig durch betriebliche Altersgrenzen ersetzt. Vielmehr verwirklichte sich das gesetzgeberische Ziel der individuellen Beendigung jedes Arbeitsverhältnisses. Die britische Regierung ging aufgrund der Abschaffung des Standardrentenalters von jährlich 10.000 zusätzlichen Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt aus.101 Diese anfängliche Prognose scheint sich zu bestätigen. So erhöhte sich die Beschäftigungsquote von Arbeitnehmern im Rentenalter nach 2011 nicht sprunghaft, sondern stieg kontinuierlich an.102 Es traten damit keine abrupten Veränderungen der Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer ein. Den derzeit etwa 1,29 Millionen Erwerbstätigen über 65 Jahre stehen etwa 31,3 Millionen jüngere Erwerbstätige gegenüber. Sie machen damit 4,1 Prozent der Erwerbstätigen in Großbritannien aus.103 Der Anteil der über 65-Jährigen Erwerbstätigen vergrößerte sich im Vergleich zu jüngeren Erwerbstätigen seit 2011 nicht überproportional. Dennoch stieg die Erwerbstätigenquote der 65 bis 69-jährigen im Vereinigten Königreich auf 21,2 Prozent im Jahr 2017 an und liegt damit fünf Prozentpunkte höher als in Deutschland.104 Die höhere Erwerbstätigenquote älterer Arbeitnehmer resultiert jedoch nicht allein aus der Abschaffung des Standardrentenalters, da schon früher eine ähnliche Differenz bestand. Die britische Regierung prognostizierte nach Abschaffung des Rentenalters etwa 400 bis 800 zusätzliche Altersdiskriminierungs- oder Kündigungsschutzklagen jährlich. Die durchschnittlichen Gerichts- und Rechtsanwaltskosten sowie die Kosten für Entschädigungszahlungen in einem Kündigungsschutzverfahren belaufen sich für Arbeitgeber auf etwa 3.000 Pfund, bei Altersdiskriminierungsklagen auf etwa 5.400 Pfund.105 Ausgehend von diesen Schätzungen wurden zu-
100 Barrett/Sargeant (2015) 44(1) I.L.J., S. 75 (82 ff.); Blackham (2016) 45(2) I.L.J., S. 144 (147). 101 BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Impact Assessment, 8. 1. 2011, S. 7, 19. 102 Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 3; DWP, Older Workers Statistical Information Booklet 2013, S. 11 f., 14. 103 Eigene Berechnung auf Grundlage von ONS, UK Labour Market, 19. 2. 2019, S. 3. 104 Statistisches Bundesamt, Arbeitsmarkt auf einen Blick, 2018, S. 73. Im Jahr 2015 bestand noch ein Unterschied von sieben Prozent, vgl. Statistisches Bundesamt, Erwerbstätigenquote der 65- bis 69-Jährigen deutlich gestiegen, Pressemitteilung 343/16, 27. 9. 2016. 105 BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Impact Assessment, 8. 1. 2011, S. 28 f.
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
sätzliche Gerichtskosten von 3,4 Millionen Pfund pro Jahr für alle Arbeitgeber vorausgesagt.106 Ob sich die Schätzungen realisierten, lässt sich nur schwer überprüfen, da die Statistiken über Verfahren vor den Arbeitsgerichten nur die Art des Verfahrens aufführen. Der konkrete Anlass, wie z. B. der Streit um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Altersgrenze, wird jedoch nicht aufgeführt. Ein Anstieg von Diskriminierungsklagen blieb seit 2011 jedoch aus, vielmehr ging die Anzahl der Rechtsstreitigkeiten zurück.107 Zudem ergingen auch sechs Jahre nach Abschaffung des Default Retirement Age nur vereinzelte Urteile zur Zulässigkeit eines betrieblichen Rentenalters. Unabhängig von den Prozesskosten gaben Arbeitgeber jedoch an, dass höhere Verwaltungskosten entstanden, um die Leistung von Arbeitnehmern aller Altersgruppen zu evaluieren.108 Zudem seien höhere Kosten für Entschädigungszahlungen infolge von betriebsbedingten Kündigungen (redundancy payments) angefallen.109 Dies könnte jedoch darauf zurückzuführen seien, dass Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein höheres Lebensalter erreichten und damit einen Anspruch auf eine höhere Entschädigungssumme haben oder ein Personalabbau nicht mehr allein durch Verrentungen verwirklicht werden kann.110 Den gestiegenen Kosten stehen jedoch auch wirtschaftliche Vorteile gegenüber, da die Arbeitgeber für den Zeitraum der Weiterarbeit kein neues Personal suchen, einstellen und einarbeiten müssen. Die Zahlen belegen insgesamt, dass eine Klagewelle ausblieb auch wenn teilweise höhere Kosten anfielen. Die Erfahrungen mit der flexiblen Beendigung von Arbeitsverhältnissen nach Erreichen des Rentenalters sind somit insgesamt gemischt. Es lässt sich zunächst feststellen, dass die Abschaffung von Altersgrenzen in Großbritannien nicht zu den befürchteten Arbeitsmarktverwerfungen führte. Rund die Hälfte der befragten Arbeitgeber befürwortet jedoch die Wiedereinführung des Default Retirement Age.111 Dies hängt im Wesentlichen mit der fehlenden Rechtssicherheit zusammen. Die Unsicherheit über das Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers hemmt zudem neue Einstellungen und hat damit für jüngere Arbeitnehmer nachteilige 106 BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Impact Assessment, 8. 1. 2011, S. 29. 107 Zwischen den Jahren 2011 und 2012 reduzierte sich die Zahl der Altersdiskriminierungsklagen von 6.800 auf 3.700, Ministry of Justice, Employment Tribunals and EAT Statistics, 2011 – 12, 20. 9. 2012. 108 Manfredi/Vickers (2013) 4 ELLJ, S. 251 (257 f.). 109 Eversheds Sutherland/Williams, Eversheds UK HR e-briefing: How are employers managing without the default retirement age?, S. 5. 110 Eversheds Sutherland/Williams, Eversheds UK HR e-briefing: How are employers managing without the default retirement age?, S. 5. 111 Blackham, Extending Working Life for Older Workers, S. 68.
C. Das Verbot der Altersdiskriminierung
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Konsequenzen.112 Derzeit gibt es jedoch keine politische oder wissenschaftliche Diskussion, das Standardrentenalter wiedereinzuführen. Vielmehr liegt der Fokus auf praktischen Fragen der Eingliederung und Integration Älterer in den Arbeitsmarkt.113 Dies belegt, dass sich die Ausgestaltung des Übergangs in den Ruhestand in Großbritannien dahingehend verfestigt hat, dass keine allgemeinen Altersgrenzen gelten.
III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland Im Folgenden wird die Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund von Altersgrenzen in Deutschland und Großbritannien verglichen. Zunächst ähneln sich die gesellschaftlichen Ausgangspunkte zu Fragen der Weiterarbeit in Deutschland und Großbritannien. Aufgrund des demografischen Wandels in beiden Gesellschaften zeichnet sich ein Fachkräftemangel und ein Ungleichgewicht in staatlichen Pensions- und Sicherungssystemen ab. Um diese Probleme abzumildern, versuchen beide Rechtsordnungen, den längeren Verbleib älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu fördern. Dennoch bestehen in der rechtlichen Ausgestaltung wesentliche Unterschiede. 1. Vergleich in Bezug auf Altersgrenzen Die Rechtslage zu Altersgrenzen änderte sich in Großbritannien in den letzten Jahren erheblich. Die Abschaffung des Default Retirement Age wird als Richtungswechsel des englischen Gesetzgebers nach der Rechtssache Age Concern eingeordnet.114 In Deutschland werden Altersgrenzen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hingegen stets bestätigt und allein in der Rechtsliteratur hinterfragt.115 Die Erfahrungen mit der Abschaffung festgelegter Altersgrenzen in Großbritannien können kaum direkt auf das deutsche Arbeitsrecht übertragen werden. Zunächst stehen vertragliche Altersgrenzen als Befristungsregelungen stets in direktem Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer. In England steht der Kündigungsschutz – wie in Abschnitt D. vertiefend dargestellt
112
Manfredi/Vickers (2013) 4 ELLJ, S. 251 (257 f.). DWP, Fuller Working Lives: a partnership approach, 2. 2. 2017. 114 Blackham (2015) 4(1) C.J.I.C.L., S. 108 (127). 115 Vgl. Boerner, Altersgrenzen für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 312 ff.; Schröder, Altersbedingte Kündigung und Altersgrenzen im Individualarbeitsrecht, S. 208 f.; Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 365 ff.; Waltermann, Berufsfreiheit im Alter, S. 144 ff. 113 Vgl.
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
wird – im Vergleich zum deutschen Recht weit zurück. Daher übernehmen Kündigungen im Einzelfall die Funktion von Altersgrenzen weitgehend. Weiterhin kann auch die Zahl der Beendigungsstreitigkeiten nicht mit der Lage in Deutschland verglichen werden, da sich die Anzahl von gerichtlichen Verfahren in beiden Ländern erheblich unterscheidet. Werden in Deutschland jährlich etwa 437.000 Klagen vor den Arbeitsgerichten erhoben, von denen etwa 44 Prozent Bestandsstreitigkeiten sind,116 betreffen im Vereinigten Königreich nur etwa 46.000 Klagen unrechtmäßige Kündigungen.117 Dies belegt eine deutlich geringere Anzahl von Beendigungsrechtsstreitigkeiten. Aus diesem Grund kann das Ergebnis, dass die Abschaffung von Altersgrenzen in England ohne erheblichen Anstieg der Kündigungsschutzklagen und ohne wesentliche Änderungen auf dem Arbeitsmarkt erfolgte, nicht auf Deutschland übertragen werden. Im deutschen Recht wäre eine umfassende Anpassung des rechtlichen Rahmens erforderlich. Dies wird im Kapitel 7 dieser Arbeit erörtert. Auch bestehen bezüglich der systematischen Einordnung von Altersgrenzen Unterschiede. Anders als im deutschen Recht finden Altersgrenzen im englischen Recht ihren Ursprung im Kündigungsschutzrecht. Seit der Abschaffung des Default Retirement Age unterliegt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses allgemeinen Regeln des Kündigungsschutzes sowie des Gleichbehandlungsrechts. Insoweit wird anders als in Deutschland kein generalisierender Ansatz gewählt. Die englische Herangehensweise berücksichtigt vielmehr das jeweilige Arbeitsverhältnis, branchenspezifische Umstände sowie den Zeitpunkt des Ausscheidens.118 2. Vorteile der englischen Rechtslage Im englischen Recht muss die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen des Rentenalters individuell ausgesprochen oder ein Ausscheiden einvernehmlich vereinbart werden. Dies hat den Vorteil, dass jeder Arbeitgeber das Ausscheiden eines Arbeitnehmers konkret planen und begründen muss. Eine Verrentung tritt nicht automatisch bei Erreichen eines bestimmten Alters ein. Auch wenn das formalisierte Abstimmungsverfahren aus dem Jahr 2006 abgeschafft wurde, führt die Aufhebung des Default Retirement Age dazu, dass individuelle Lösungen gewählt werden. Es entsteht damit ein umgedrehtes Regel-Ausnahme-Verhältnis, in dem zunächst von der Weiterarbeit ausgegangen wird. Dies 116 Eigene Berechnung auf Grundlage von Statistisches Bundesamt, Rechtspflege – Arbeitsgerichte, Fachserie 10 Reihe 2.8, 2017, 15. 8. 2018, S. 105. 117 Ministry of Justice, Employment Tribunals and EAT Statistics, 2011 – 12, 20. 9. 2012, Table 1; Kallos, Der gesetzliche Kündigungsschutz Englands, S. 258 ff. 118 Vgl. Blackham (2015) 4(1) C.J.I.C.L., S. 108 (133 ff.).
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz
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entspricht dem Ziel des britischen Gesetzgebers, Fragen des Renteneintritts von Arbeitnehmern flexibel durch die Arbeitsvertragsparteien regeln zu lassen. 3. Nachteile der englischen Rechtslage Ein wesentlicher Nachteil der Abschaffung des DRA ist die Rechtsunsicherheit, die aus der jeweiligen Einzelfallabwägung resultiert. So ergingen allein in der Rechtssache Seldon insgesamt sechs Gerichtsentscheidungen bis die Rechtmäßigkeit der Verrentung feststand. Die gerichtliche Überprüfung des Rentenalters stellt sich als schwierig dar, so dass die Gerichte auf vergleichbare Altersgrenzen oder die Beschäftigungssituation in der jeweiligen Branche abstellen. Eine konkrete Prüfung der Fähigkeiten des älteren Arbeitnehmers findet nicht statt. Die fehlende Rechtssicherheit über die Voraussetzungen von wirksamen Altersgrenzen führt auch zu einem Beschäftigungshindernis für jüngere Arbeitnehmer. Auch hat der einzelfallbasierte Ansatz den Nachteil, dass die Umsetzung der Gleichbehandlungsvorgaben wesentlich von der Bereitschaft Einzelner abhängt, eine entsprechende Klage zu erheben.119 Ob sich aus den Ansätzen des englischen Rechts Schlussfolgerungen für das deutsche Arbeitsrecht ableiten lassen, soll am Ende dieses Kapitels erörtert werden.
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz Vor einer abschließenden Bewertung wird der arbeitsrechtliche Bestandsschutz in England relevant. Ausgehend von dem funktionellen Ansatz des Rechtsvergleichs sind diejenigen Aspekte in den verschiedenen Rechtsordnungen zu vergleichen, die jeweils ähnliche Funktionen erfüllen. Im deutschen Recht dienen allgemeine vertragliche Altersgrenzen sowie die erleichterte Befristungsmöglichkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze dazu, die hohen Voraussetzungen der Kündigung rentenberechtigter Arbeitnehmer auszugleichen. Im Übergang zwischen dem Erwerbsleben und dem Ruhestand greifen somit das Kündigungsschutzrecht, das Befristungsrecht und die Ausgestaltung von Altersgrenzen ineinander. Auch im englischen Recht bildet das Kündigungsschutzrecht den rechtlichen Rahmen für die Abschaffung des Standard-Rentenalters. Zuletzt wird auch das englische Befristungsrecht unter dem Blickwinkel der Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer analysiert.
119
Blackham (2015) 4(1) C.J.I.C.L., S. 108 (133 ff.).
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
I. Überblick über das Kündigungsschutzrecht Der Kündigungsschutz erfolgt im englischen Arbeitsrecht im Wesentlichen durch Abfindungsansprüche. Nur in seltenen Fällen ergeht bei einer unrechtmäßigen Kündigung eine nicht vollstreckbare Anordnung der Weiterbeschäftigung.120 1. Die Tatbestände des unfair dismissal Das zuvor im Wesentlichen richterrechtlich ausgestaltete Kündigungsschutzrecht wurde seit den sechziger Jahren gesetzlich geregelt.121 Der Employment Rights Act 1996 enthält Vorschriften zu ungerechtfertigten Kündigungen (unfair dismissal). Das Kündigungsschutzrecht findet in zeitlicher Hinsicht erst nach einer zweijährigen Beschäftigungsdauer Anwendung (sec 108(1) ERA 1996).122 Dies gilt jedoch nicht, wenn die Kündigung auf absolut unzulässige Kündigungsgründe, wie z. B. die Gewerkschaftsmitgliedschaft, gestützt wird.123 Das Bestehen des Kündigungsschutzes ist nicht an eine betriebliche Mindestgröße geknüpft.124 Eine Kündigung ist nicht unfair, wenn sie durch einen Kündigungsgrund gerechtfertigt ist (sec 98(1) ERA 1996).125 Die fairness einer Kündigung wird in einem zweistufigen Test ermittelt:126 Zunächst wird geprüft, ob ein Kündigungsgrund gemäß sec 98 ERA 1996 vorliegt. Dieser kann sich aus den Fähigkeiten, dem Verhalten, dem betriebsbedingten Wegfall des Arbeitsplatzes oder einem anderen vergleichbaren Grund (other substantial reason) ergeben. Letzterer ist besonders bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Erreichen des Ren120 Honeyball, Honeyball & Bowers’ Textbook on Employment Law, S. 179 ff.; Koukiadaki, in: Blanpain/Araki/Nakakubo (Hrsg.), Regulation of fixed-term employment contracts: a comparative overview, S. 23 (25); Stein/Rabe von Pappenheim, Arbeitsrecht in Großbritannien, Rn. 169. 121 Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien und Deutschland, S. 26 ff.; Kallos, Der gesetzliche Kündigungsschutz Englands, S. 4 ff.; Koukiadaki, in: Blanpain/Araki/ Nakakubo (Hrsg.), Regulation of fixed-term employment contracts: a comparative overview, S. 23 (25 f.); Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (217). 122 Die Mindestbeschäftigungsdauer gilt für Arbeitsverträge, die seit dem 6. 4. 2012 geschlossen wurden. Für zuvor geschlossene Verträge galt eine einjährige Mindestfrist, vgl. Art. 3 Unfair Dismissal and Statement of Reasons for Dismissal (Variation of Qualifying Period) Order 1999/1436. Zu unterscheiden ist der Tatbestand des wrongful dismissal, der bei der Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung durch den Arbeitgeber vorliegt. 123 Tröger/Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 130. 124 Hoffmann, Befristungsrecht in Deutschland und Großbritannien, S. 262. 125 Vgl. auch Earl v Slater and Wheeler (Airlyne) Limited [1973] 1 W.L.R. 51. 126 Deakin/Morris, Labour Law, S. 504.
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz
239
tenalters maßgeblich. Auf einer zweiten Stufe wird im Einzelfall geprüft, ob der Arbeitgeber angemessen (reasonable) im Einzelfall handelte (sec 98 (4) ERA 1996).127 Weiterhin gibt es absolute Kündigungsgründe (automatic unfair dismissal), die unabhängig von den Umständen des Einzelfalls rechtswidrig sind.128 2. Die Kündigung nach Erreichen des Rentenalters Seit Aufhebung von sec 109 ERA 1996 im Jahr 2006 ist der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer nicht auf das Erreichen der Altersgrenze befristet. Arbeitsverhältnisse können auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze nur nach allgemeinen Grundsätzen gekündigt werden.129 Einschlägig ist häufig der Kündigungsgrund des Leistungsabfalls. Da der Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen des Kündigungsgrunds trägt, muss zunächst eine interne Evaluation der Leistung des Arbeitnehmers erfolgen, im Rahmen derer dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Verbesserung seiner Arbeitsergebnisse gegeben wird.130 Wenn der Arbeitgeber ein betriebliches Rentenalter festlegt, findet der Auffangtatbestand der Kündigung wegen eines anderen vergleichbaren Grunds (other substantial reason) gemäß sec 98(1)(b) ERA 1996 Anwendung.131 In diesen Fällen besteht ein Gleichlauf zwischen den Anforderungen des Kündigungsschutzund des Antidiskriminierungsrechts. In der Entscheidung de Castro Cerqueira v Embassy of Brazil aus dem Jahr 2014 entschied das Employment Tribunal, dass es widersprüchlich wäre, eine betriebliche Altersgrenze als zulässig und gleichzeitig die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Altersgrenze als unzulässig anzusehen.132 Bei einer wirksamen betrieblichen Altersgrenze kann der Arbeitgeber somit wegen Erreichens des Rentenalters kündigen. Die Anforderungen an ein faires Kündigungsverfahren müssen dennoch eingehalten werden.133 127
Deakin/Morris, Labour Law, S. 504. Sec 98B-104G regeln Fallgruppen wie z. B. die Kündigung aufgrund einer Schwangerschaft oder der Gewerkschaftsmitgliedschaft. 129 Nisbet (2011) 103(Jun) Emp.LB. S. 3 (4 f.). 130 Tröger/Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 132 f.; eine ausführliche Richtlinie veröffentlichte ACAS, How to manage performance, Oktober 2014. 131 De Castro Cerqueira v Embassy of Brazil [2014] WL 12546239 (ET), Rn. 49; Connolly (2012) 109 (Jun) Emp.L.B. S. 6 (8) unter Verweis auf die Gesetzgebungsmaterialien BIS, Phasing out the Default Retirement Age: Government Response to Consultation, Januar 2011, S. 9; Nisbet (2011) 103(Jun) Emp.L.B. S. 3 (4 f.). 132 De Castro Cerqueira v Embassy of Brazil [2014] WL 12546239 (ET), Rn. 49 das Urteil wurde in der späteren Berufung bezüglich der Fragen zum unfair dismissal vollständig aufrechterhalten De Castro Cerqueira v Embassy of Brazil [2014] 1 W.L.R. 3718, Rn. 35 (EAT). 133 Nisbet (2011) 103 (Jun) Emp.L.B. S. 3 (4 f.). 128
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
3. Rechtsschutz gegen unwirksame Kündigungen Der Arbeitnehmer kann nach der Kündigung eine Kündigungsschutzklage erheben. Bei einer unwirksamen Kündigung kann das Gericht eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (reinstatement) oder eine Wiedereinstellung (re-engagement) des entlassenen Arbeitnehmers anordnen, soweit dies unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien und der betrieblichen Situation angemessen ist.134 In der Praxis werden jedoch kaum entsprechende Anordnungen getroffen, die zudem auch nicht vollstreckbar sind.135 In den meisten Fällen wird der Arbeitgeber auf Zahlung einer Entschädigung verurteilt. Diese besteht aus einem basic award (sec 119 ERA 1996), der in Abhängigkeit von dem Alter des Arbeitnehmers und der Dauer der Beschäftigung zwischen einem halben und eineinhalb Wochenentgelten pro Dienstjahr beträgt und einem compensatory award (sec 124 ERA 1996). Letzterer soll einen gerechten Ausgleich für den erlittenen Schaden herstellen und ist auf eine Maximalsumme begrenzt, die in der Praxis jedoch meist unterschritten wird.136 Im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung (redundancy) kann eine weitere Entschädigung gemäß sec 135 ff. ERA 1996 zugesprochen werden, die sich anhand der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses berechnet und auf eine mögliche Entschädigung wegen unfair dismissal angerechnet wird.137 Damit ist der Kündigungsschutz im englischen Recht im Wesentlichen als Abfindungsschutz ausgestaltet.
II. Überblick über das Befristungsrecht Im Folgenden wird das Befristungsrecht in England dargestellt. Die Bedeutung von Befristungen in Großbritannien ist im Verhältnis zu Deutschland verhältnismäßig gering. Die englische Befristungsquote von 5,4 Prozent liegt wesentlich unter der mittleren europäischen Befristungsquote von 14,3 Prozent.138 Die untergeordnete Bedeutung folgt aus den geringen Anforderungen des englischen Kündigungsschutzrechts. 134 Hoffmann, Befristungsrecht in Deutschland und Großbritannien, S. 278; Honeyball, Honeyball & Bowers’ Textbook on Employment Law, S. 180 f.; Kallos, Der gesetzliche Kündigungsschutz Englands, S. 112 ff. 135 Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien und Deutschland, S. 278 f. 136 Reg. 2 Unfair Dismissal (Variation of the Limit of Compensatory Award) Order 2013; vertiefend Kallos, Der gesetzliche Kündigungsschutz Englands, S. 119 ff. m. w. N. 137 Vgl. Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (246). 138 Eurostat, Beschäftigungsstatistik, März 2019; Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (33); Lorber (1999) 15(2) IJCLLIR, S. 121 (127); Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (221).
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz
241
1. Terminologie Befristete Verträge werden im englischen Recht grundsätzlich als fixed term contracts bezeichnet. Teilweise wird auch der Begriff der limited term contracts verwendet.139 Auch der Gesetzgeber verwendet beide Begriffe parallel. Teilweise wird auch der Begriff temporary work verwendet, der sowohl die Zeitarbeit, Befristungen und Leiharbeit (agency work) erfasst. 2. Entwicklung des Befristungsrechts Der Abschluss befristeter Arbeitsverträge war in Großbritannien bis zur Umsetzung der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG kaum gesetzlichen Regelungen unterworfen.140 Um Umgehungen des Kündigungsschutzes durch befristete Arbeitsverträge zu vermeiden,141 wurde die Nichtverlängerung von Befristungen einer Kündigung rechtlich gleichgestellt.142 Die Gleichstellung erfolgte lange Zeit jedoch nur dann, wenn das befristete Arbeitsverhältnis unter die enge richterrechtliche Definition des befristeten Arbeitsvertrags fiel.143 Erfasst wurden z. B. nur Zeitbefristungen und nicht zweckbefristete Arbeitsverträge.144 Weiterhin sah das richterrechtlich entwickelte Befristungsrecht keine Beschränkung von Anzahl und Dauer der Befristungen vor. Mehrere Kurzzeitbefristungen konnten daher mit einzelnen Unterbrechungen vereinbart werden, um die zeitliche Anwendbarkeit des Kündigungsschutzrechts zu verhindern.145 Eine weitere Schutzlücke bestand darin, dass verschiedene Arbeitnehmerschutzvorschriften, wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, nicht für befristete Verträge unter drei 139 Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 22 f. 140 Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 16 f., 157; Lorber (1999) 15(2) IJCLLIR, S. 121 (127). 141 Zum Umgehungsgedanken Deakin/Morris, Labour Law, S. 495; Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien und Deutschland, S. 35; Koukiadaki (2009) 38(1) I.L.J., S. 89 (90); Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (247). 142 Sec 95(1)(b) und sec 136(1)(b) Employment Rights Act 1996; die Gleichstellung erfolgte seit Einführung von sec 55(2) und sec 83(2) des Employment Protection (Consolidation) Act 1978; Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 158. 143 Vgl. BBC v Ioannou [1975] I.C.R. 267 (CA). 144 BBC v Ioannou [1975] I.C.R. 267 (CA), die Einschränkung, dass bereits die Kündigungsmöglichkeit einem befristeten Arbeitsverhältniss entgegenstehe wurde in Dixon v BBC [1978] I.C.R. 357 (CA) aufgehoben; Wiltshire County Council v National Association of Teachers in Further and Higher Education [1980] I.C.R. 455 (CA); Lorber (1999) 15(2) IJCLLIR, S. 121 (128). 145 Vgl. Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien und Deutschland, S. 43 ff.
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
Monaten galten.146 Zuletzt konnten Arbeitnehmer gemäß sec 197(1) und (3) ERA 1996 a. F. auch formularmäßig auf Entschädigungsansprüche wegen einer rechtswidrigen Kündigung verzichten.147 Entsprechend nahm in den neunziger Jahren der Anteil befristeter Beschäftigungen unter pauschalem Verzicht auf Entschädigungsansprüche erheblich zu.148 3. Einfluss der Befristungsrichtlinie Angesichts der lückenhaften Gesetzgebung wurde nach Erlass der Befristungsrichtlinie eine Neugestaltung des englischen Befristungsrechts erforderlich.149 Nach umfassenden parlamentarischen Diskussionen150 wurde der zuständige Minister in sec 45 Employment Act 2002 ermächtigt, eine Verordnung zur Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge (Fixed-term Employees (Prevention of Less Favourable Treatment) Regulations 2002 (FTER)) zu erlassen. Diese trat zum 1. 10. 2002 in Kraft. Regulations sind delegierte Rechtsakte, die durch den jeweiligen Minister erlassen und durch das Parlament bestätigt werden. a) Allgemeine Regelungen In persönlicher Hinsicht gilt die Verordnung nur für Arbeitnehmer (employees), die aufgrund eines contracts of employment beschäftigt sind (reg 1(2) FTER).151 Der sachliche Anwendungsbereich der Regulations reicht jedoch weiter 146 Vgl. sec 65(2) Employment Rights Act 1996 a. F.; Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 160. 147 Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien und Deutschland, S. 37 ff., 46; Kilpatrick (2003) 32(3) I.L.J. S. 135 (142); Koukiadaki, in: Blanpain/Araki/Nakakubo (Hrsg.), Regulation of fixed-term employment contracts: a comparative overview, S. 23 (33 f.). 148 Koukiadaki (2009) 38(1) I.L.J., S. 89. 149 Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (218 f.). 150 Kilpatrick (2003) 32(3) I.L.J., S. 135 (137); Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 161; Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (218). 151 Legaldefinitionen des Arbeitnehmerbegriffs finden sich auch in sec 230(1), (3) (a) Employment Rights Act 1996. Reg. 13 – 20 FTER enthalten darüber hinaus weitere Regelungen bezüglich des personenbezogenen Anwendungsbereichs der Richtlinie. Diese ist nicht auf worker anwendbar, die persönliche Dienste für einen Vertragspartner erbringen, jedoch nicht vollständig dem Arbeitnehmerbegriff entsprechen (sec 230(3)(b) Employment Rights Act 1996). Ein wesentliches Abgrenzungskriterium ist das Vorliegen eines Über-Unterordnungsverhältnisses, das sich in einer Kontrolle des Arbeitgebers über die Tätigkeiten des Arbeitnehmers manifestiert, vgl. Kallos, Der gesetzliche Kündigungsschutz Englands, S. 26; Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frank-
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz
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als die zuvor richterrechtlich entwickelte Definition von befristeten Arbeitsverträgen. Reg 1(2) FTER definiert befristete Arbeitsverträge als Verträge, die mit Fristablauf, dem Abschluss eines bestimmten Arbeitsauftrags oder dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses enden.152 Der Umsetzung des Diskriminierungsverbots in § 4 der Rahmenvereinbarung zur Richtlinie 1999/70/EG dienen reg 3 bis 7 FTER. b) Das Missbrauchsverbot In reg 8 FTER wurden erstmalig materielle Beschränkungen für den Abschluss wiederholter befristeter Arbeitsverträge eingeführt.153 Gemäß reg 8(2) FTER liegt ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vor, wenn mindestens eine ununterbrochene vierjährige Beschäftigung bestand und zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses kein Sachgrund (objective ground) für eine Befristung vorlag.154 Dementsprechend können Arbeitgeber in Großbritannien zwischen einer zeitlich unbeschränkten Sachgrundbefristung sowie einer auf maximal vier Jahre beschränkten sachgrundlosen Befristung wählen.155 Eine Begrenzung der maximalen Anzahl sachgrundloser Befristungen erfolgte jedoch nicht. Durch kollektivvertragliche Bestimmungen (collective oder workforce agreements) kann zudem von den Anforderungen des FTER abgewichen werden.156 Ein individualreich, Großbritannien und Deutschland, S. 171 ff.; Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (240); Tröger/ Roß-Kirsch, Arbeitsrecht in Großbritannien, S. 11 ff.; Carmichael v National Power Plc [1999] I.C.R. 1226 (HL); Montgomery v Johnson Underwood Ltd [2001] I.C.R. 819 (CA); Nethermere (St. Neots) Ltd v Gardiner [1984] I.C.R. 612 (CA). 152 Reg 1(2) FTER: “ fixed-term contract” means a contract of employment that, under its provisions determining how it will terminate in the normal course, will terminate (a) on the expiry of a specific term, (b) on the completion of a particular task, or (c) on the occurrence or non-occurrence of any other specific event other than the attainment by the employee of any normal and bona fide retiring age in the establishment for an employee holding the position held by him. 153 Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien und Deutschland, S. 68; Möller/ Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (219). 154 Hierbei werden Beschäftigungszeiten ab dem 10. 7. 2002 berücksichtigt (reg. 8 (4) FTER). 155 Duncombe v Secretary of State for Children, Schools and Families [2011] I.C.R. 495 (Rn. 23); Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (51, 92 f.); Kilpatrick (2003) 32(3) I.L.J. S. 135 (158). 156 „Collective agreements“ sind Tarifverträge, die zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abgeschlossen werden. „Workforce agreements“ werden in reg. 1 (2) FTER definiert und bezeichnen Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen auf betrieblicher Ebene; vertiefend Hoffmann, Befristungsrecht
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
vertraglicher Verzicht scheidet jedoch aus (sec 18(1) ERA 1999 i. V. m. para 2(15) Schedule 2 FTER). Weiterhin besteht keine Möglichkeit, auf Abfindungen wegen betriebsbedingter Kündigungen zu verzichten. aa) Ununterbrochene Beschäftigung Die erste Hürde für das Eingreifen der Befristungsvorschriften ist das Erfordernis einer ununterbrochenen Beschäftigung (continuous employment). Die Kontinuität der Beschäftigung endet, wenn für mehr als eine Woche (sec 210(4) ERA 1996) keine vertraglichen Verpflichtungen der Vertragsparteien bestehen und keine Ausnahme gemäß sec 212(3) ERA 1996, z. B. bei einer vorübergehenden Unterbrechung, eingreift.157 Eine ordentliche Kündigung während der Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses kann nur erfolgen, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde.158 Diese Hürde einer mindestens vierjährigen ununterbrochenen Beschäftigung ist eine erhebliche Einschränkung des Befristungsschutzes. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der befristeten Arbeitsverträge für eine deutlich kürzere Dauer geschlossen wird.159 Zudem kann die durchgehende Beschäftigungsdauer auch bewusst durch den Arbeitgeber unterbrochen werden, mit der Folge, dass die Vierjahresfrist erneut beginnt.160 bb) Sachgrunderfordernis Nach vier Jahren muss im Zeitpunkt der letzten Verlängerung (reg 8(2)(a)(i) FTER) ein Sachgrund für die befristete Beschäftigung vorliegen. Eine Auflistung zulässiger Sachgründe oder eine Definition des Sachgrundbegriffs enthal-
in Deutschland und Großbritannien, S. 298 ff.; kritisch zum Abweichungsrecht Kilpatrick (2003) 32(3) I.L.J., S. 135 (159). 157 Eine Ausnahme greift nach sec 213(3)(a) Employment Rights Act 1996 im Fall einer krankheitsbedingten Unterbrechung des Arbeitsvertrags bis zu maximal 26 Wochen ein; gleiches gilt nach sec 213(3)(b), wenn die vorübergehende Arbeitsunterbrechung auf einen Arbeitsmangel zurückzuführen ist (Fitzgerald v Hall Russel & Co Ltd. [1970] A.C. 984 (HL)) oder wenn die Unterbrechung aufgrund einer Absprache mit dem Arbeitgeber erfolgt oder branchenüblich ist (sec 213(3)(c) ERA 1996); vertiefend Hoffmann, Befristungsrecht in Deutschland und Großbritannien, S. 196 ff. 158 Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (247). 159 Koukiadaki, in: Blanpain/Araki/Nakakubo (Hrsg.), Regulation of fixed-term employment contracts: a comparative overview, S. 23 (47). 160 Unschädlich ist eine bewusste Herbeiführung der Unterbrechung Booth & Ors. v United States of America [1999] IRLR 16 (EAT); Sädevirta (2015) 2 IJCLLIR, S. 207 (224).
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz
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ten die Regulations nicht.161 Im Einzelfall wird ein sogenannter dreistufiger Test (general three-fold-test) angewandt, der sich aus der Gesetzeserläuterung des Department of Trade and Industry ableitet und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht.162 Der Einsatz eines befristeten Arbeitsvertrags muss auf einem legitimen Ziel beruhen und erforderlich und angemessen sein, um das entsprechende Ziel zu erreichen. Aufgrund der vergleichsweise geringen Bedeutung befristeter Arbeitsverträge in Großbritannien gibt es zu Einzelfragen des Befristungsrechts vergleichsweise wenig Rechtsprechung.163 In Duncombe v Secretary of State for Children, Schools and Families entschied der Supreme Court, dass die neunjährige Befristung von Lehrern einer Europäischen Schule zulässig war, weil das entsprechende Personalstatut eine Beschäftigung für maximal neun Jahre zuließ.164 Das Urteil der Richterin Lady Hale stellte heraus, dass die FTER Befristungen nicht grundsätzlich verhindern sollen. Vielmehr soll die missbräuchliche Verwendung von Befristungsketten durch Dauerbefristungen eingeschränkt werden.165 Dies war in der Rechtssache Duncombe jedoch nicht zu befürchten, da eine Weiterbeschäftigung über die neunjährige Maximaldauer hinaus ohnehin unzulässig war. Diese Maßstäbe belegen einen weiten Prüfungsmaßstab, der an die Grundsätze der Missbrauchskontrolle im deutschen Befristungsrecht erinnert. Jedoch findet im englischen Recht neben dem Befristungsrecht auch das Kündigungsschutzrecht Anwendung. Eine strengere Prüfung des Sachgrunds einer Befristung erfolgte in der Rechtssache Ball v University of Aberdeen. Das Gericht entschied, dass allein die Finanzierung einer Stelle durch Drittmittel nicht genüge, um eine befristete Beschäftigung zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr die konkreten Umstände im Einzelfall, wie die Wahrscheinlichkeit des Auslaufens der Drittmittel, für eine Befristung sprechen und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten abgewogen werden.166 161 Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien und Deutschland, S. 209 ff.; Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (45); Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (227). 162 DTI, Fixed term work – a guide to the regulations, August 2002, S. 18. 163 Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (228). 164 Duncombe v Secretary of State for Children, Schools and Families [2011] UKSC 14 (Rn. 25). 165 Duncombe v Secretary of State for Children, Schools and Families [2011] UKSC 14 (Rn. 24 ff.); vgl. Möller/Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 215 (230). 166 Ball v University of Aberdeen, 23. 5. 2008, S/101486/08 (ET), Rn. 80 ff.
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
c) Rechtsfolgen Grundsätzlich enden befristete Arbeitsverhältnisse mit Ablauf des Befristungszeitraums oder mit Erreichen des vorgesehenen Befristungszwecks. Wenn das ursprünglich befristete Arbeitsverhältnis über den Endzeitpunkt hinaus weitergeführt wird, entsteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.167 Die Nichtverlängerung des befristeten Arbeitsvertrags steht einer Kündigung gleich.168 Bestand das befristete Arbeitsverhältnis länger als zwei Jahre (sec 108 ERA 1996), finden somit die Grundsätze des Kündigungsschutzes Anwendung (sec 95(1)(b); 136(1)(b) ERA 1996).169 Die Mindestbeschäftigungsdauer gilt nicht, wenn das Maßregelungsverbot gemäß reg 6 FTER i. V. m. sec 108(3)(j) ERA 1996 eingreift, weil der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an der Geltendmachung seiner Rechte aus dem FTER hinderte. Ebenso wie nach der Kündigung eines Arbeitsvertrags prüft das Arbeitsgericht nach Beendigung der Befristung, ob ein persönlicher oder betriebsbedingter Kündigungsgrund besteht.170 Die Befristung an sich kann die Beendigung des Arbeitsvertrags nicht rechtfertigen.171 Eine zulässige betriebsbedingte Kündigung (redundancy) liegt z. B. vor, wenn der Arbeitgeber keinen betrieblichen Bedarf an der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers hat172 und keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit besteht.173 Liegt eine ungerechtfertigte Kündigung vor, kann der Arbeitnehmer eine Abfindung geltend machen und in seltenen Fällen auf Weiterbeschäftigung klagen. 4. Vergleich zur deutschen Rechtslage Im Folgenden soll der Schutz vor Missbrauch durch befristete Arbeitsverträge in Deutschland und Großbritannien verglichen werden. Ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Rechtslage ist der Gleichlauf zwischen Befristungs- und Kündigungsschutzrecht im englischen Recht. Dies wirkt sich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus. Zudem wird der Bestand des Arbeitsverhältnisses unabhängig vom 167
Hoffmann, Befristungsrecht in Großbritannien, S. 240 ff. Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (85). 169 Sec 235 (2A, 2B) ERA 1996 definieren den befristeten Arbeitsvertrag in Anlehnung an die Begriffsbestimmung in reg. 1 (2) FTER; vertiefend Hoffmann, Befristungsrecht in Deutschland und Großbritannien, S. 264 ff. 170 Vgl. Pfaffinger v City of Liverpool Community College [1997] I.C.R. 142 (EAT). 171 University and College Union v University of Stirling [2015] UKSC 26 (Rn. 22). 172 University and College Union v University of Stirling [2015] UKSC 26 (Rn. 22). 173 Koukiadaki (2009) 38(1) I.L.J. 89 (94). 168
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz
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Vorliegen einer Befristung oder einer Kündigung im Wesentlichen durch Abfindungszahlungen geschützt. In Großbritannien erleichtern Befristungen damit nicht die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Sie dienen somit weniger als im deutschen Recht der Beschäftigungsförderung und finden seltener Anwendung. In Bezug auf sachgrundlose Befristungen steht der Schutzstandard des englischen Rechts wesentlich hinter dem Maßstab des deutschen Rechts zurück. Für die ersten vier Jahre der Beschäftigung werden Anzahl und Dauer einzelner Befristungen nicht beschränkt. Anders als im deutschen Befristungsrecht besteht auch kein Verbot der Zuvor-Beschäftigung (§ 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG), so dass bei kürzeren und sogar bei vorsätzlich herbeigeführten Unterbrechungen die Vierjahres-Frist erneut zu laufen beginnt.174 Dies unterscheidet sich von der deutschen Rechtslage, welche sachgrundlose Befristungen auf zwei Jahre bei maximal dreifacher Verlängerung begrenzt (§ 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG). Angesichts einer erheblich geringeren Durchschnittsdauer befristeter Beschäftigungsverhältnisse erfasst das Befristungsrecht damit nur Ausnahmefälle.175 Die in § 5 der Rahmenvereinbarung genannten Einschränkungsmöglichkeiten wurden im Vereinigten Königreich somit sehr zurückhaltend umgesetzt, da ein Sachgrund für eine Befristung erst nach vier Jahren erforderlich ist.176 Ähnlich wie im deutschen Recht bestehen bei Vorliegen eines sachlichen Grundes keine zeitlichen Einschränkungen. Eine wesentliche Unterscheidung besteht jedoch in der Definition des Sachgrundbegriffs. Die Richtlinien des Department of Trade and Industry sehen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall vor. Dieser Test wurde auch in den bislang ergangenen Entscheidungen der britischen Arbeitsgerichte durchgeführt. Eine entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung von Befristungen gibt es bislang weder im deutschen noch im europäischen Recht. Somit lässt sich feststellen, dass die wesentliche Unterscheidung darin besteht, dass Arbeitnehmer bis zu vier Jahre ohne Vorliegen eines Sachgrunds befristet werden können und dass bei Sachgrundbefristungen zusätzlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet.
174 Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (46, 93); McColgan (2003) 32 I.L.J., S. 194 (197 f.). 175 Vgl. Koukiadaki, in: Blanpain/Araki/Nakakubo (Hrsg.), Regulation of fixed-term employment contracts: a comparative overview, S. 23 (47). 176 Kamanabrou, in: Kamanabrou (Hrsg.), Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU, S. 3 (92 ff.).
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
III. Die Weiterbeschäftigung von Rentnern 1. Bedeutung des Befristungsrechts Das Befristungsrecht wird in England kaum als Element der Beschäftigungsförderung eingesetzt, da die Rechtsfolgen der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses und des Ablaufs einer Befristung übereinstimmen.177 Es bestehen daher keine Sonderbefristungstatbestände für benachteiligte Gruppen am Arbeitsmarkt wie für ältere beschäftigungslose Arbeitnehmer.178 Ein rechtspolitisches Bedürfnis entsprechende Befristungsvorschriften zu schaffen, besteht in Großbritannien nach derzeitiger Rechtslage ebenfalls nicht. Dies folgt aus der weitreichenden Möglichkeit, Arbeitnehmer vier Jahre sachgrundlos zu befristen. Im deutschen Recht lässt selbst der Sonderbefristungstatbestand für ältere beschäftigungslose Arbeitnehmer (§ 14 Abs. 3 TzBfG) sachgrundlose Befristungen nur für maximal fünf Jahre zu. Auch führen bereits kürzere Unterbrechungen der Beschäftigung zu einem Neubeginn der Vierjahres-Frist. Läge zwischen dem Erreichen des Rentenalters und der Weiterbeschäftigung eine Pause von einer Woche, wäre der Arbeitgeber nicht mehr an das Sachgrunderfordernis gebunden. Die geringe Bedeutung des Befristungsrechts für die Förderung der Berufstätigkeit älterer Arbeitnehmer folgt auch daraus, dass Arbeitsverhältnisse seit der Aufhebung des Default Retirement Age automatisch über das Rentenalter hinausgeführt werden. Die Frage nach einem Sachgrund für Befristungen nach Erreichen der Regelaltersgrenze stellt sich somit nur bei Neueinstellungen, die für eine Zeitdauer von mehr als vier Jahren erfolgen. Diese Konstellation dürfte in der Praxis kaum vorkommen. In jedem Fall bestimmt sich die Zulässigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach den Anforderungen des Kündigungsschutzrechts. 2. Alternative Ansätze der Beschäftigungsförderung in England Die Förderung der Erwerbstätigkeit im Rentenalter beginnt in England somit bereits mit dem ersten Arbeitsverhältnis, das vor Erreichen des Rentenalters bestand. Anstatt gesetzlicher Regelungen zur Ausgestaltung einer befristeten Weiterbeschäftigung, setzt der britische Gesetzgeber auf flexible Absprachen im jeweiligen Arbeitsverhältnis und ermöglicht betriebliche Altersgrenzen. Fragen zum Bestandsschutz nach Erreichen der Regelaltersgrenze werden in der englischen Rechtswissenschaft ebenfalls kaum diskutiert. Die rechtlichen Fragestellungen konzentrieren sich vielmehr auf die Ausgestaltung der Weiter177 Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 16 f. 178 Koukiadaki, in: Blanpain/Araki/Nakakubo (Hrsg.), Regulation of fixed-term employment contracts: a comparative overview, S. 23 (37).
D. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz
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arbeit. Im Bereich des Sozialrechts sind die Reform der staatlichen Altersrente und die Flexibilisierung des Rentenbezugs relevant.179 Arbeitsrechtlich werden im Wesentlichen Teilzeitmodelle diskutiert, um die Weiterarbeit flexibel zu gestalten.180 Besonders die Möglichkeit, die Arbeitszeit nach Erreichen des Rentenalters zu reduzieren, spielt für die Motivation zur Weiterarbeit eine Rolle.181 Derzeit sind etwa 66 Prozent der Weiterarbeitenden Teilzeitbeschäftigte und 18 Prozent der Arbeitnehmer über 65 Jahre geben in Umfragen an, die Arbeitszeit bei einer Weiterarbeit reduzieren zu wollen.182 In England besteht jedoch kein mit § 8 Abs. 4 TzBfG vergleichbarer und einklagbarer Teilzeitanspruch. Wie so oft im englischen Arbeitsrecht ist nur die Einhaltung der formalen Anforderungen durch den Arbeitgeber justiziabel. Zur Förderung der Weiterarbeit erlangten im englischen Recht auch informelle Richtlinien (guidances) und Absichtserklärungen Bedeutung.183 So informieren Positionspapiere der Regierung über die Berufsbildung älterer Arbeitnehmer und weisen auf Vorteile der Weiterbeschäftigung hin.184 Zudem bestehen Beratungsmöglichkeiten für Arbeitgeber seitens des Advisory, Conciliation and Arbitration Service. Die informellen Anleitungen dienen im Wesentlichen dazu, Rechtssicherheit zu schaffen und den Umgang mit der Weiterbeschäftigung im Rentenalter zu vereinheitlichen. 3. Ergebnis Aus diesen Gründen erfolgt die Förderung der längeren Erwerbstätigkeit in vollständig anderen Kontexten als im deutschen Rechtssystem. Das Befristungsrecht hat bei der Beschäftigungsförderung insgesamt nur eine untergeordnete Bedeutung. Anders als in Deutschland wird in England nicht der flexible Übergang in den Ruhestand an sich, sondern die konkrete Ausgestaltung diskutiert. Der Gesetzgeber geht nicht von zwei verschiedenen befristeten Arbeitsverhältnissen vor und nach der Regelaltersgrenze aus. Vielmehr wird das ursprüngliche Arbeitsverhältnis nach Erreichen des Rentenalters in Großbritannien grundsätzlich unverändert weitergeführt und kann nur nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen angepasst oder beendet werden. Anreize zur Weiterbeschäftigung 179
DWP, Fuller Working Lives: a partnership approach, 2. 2. 2017, S. 35. DWP, Fuller Working Lives: a partnership approach, 2. 2. 2017, S. 35. 181 DWP, Employing older workers, Februar 2013, S. 12. 182 DWP, Older Workers Statistical Information Booklet 2013, 12. 12. 2013, S. 10. 183 Vgl. DWP, Guidance, Help and support for older workers, 31. 7. 2018, abrufbar unter https://www.gov.uk/government/publications/help-and-support-for-older-workers/ help-and-support-for-older-workers (Stand: 15. 3. 2019); Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 170 f. 184 Vgl. DWP, Fuller Working Lives: a partnership approach, 2. 2. 2017, S. 39 ff. 180
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
werden damit nicht durch eine Reduktion des Bestandsschutzes gesetzt. Vielmehr soll die Abschaffung der allgemeinen Altersgrenze dazu führen, dass die Arbeitsvertragsparteien über den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis verhandeln.
E. Schlussfolgerungen In Deutschland und Großbritannien besteht somit eine ähnliche Interessenlage, die Beschäftigung Älterer zu fördern, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Jedoch unterscheiden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Lösungsansätze wesentlich.
I. Individueller Ansatz in Bezug auf Altersgrenzen Insgesamt erfolgt in Großbritannien anders als in Deutschland keine generelle, sondern eine individuelle Ausgestaltung des Übergangs in den Ruhestand. Mangels allgemeiner vertraglicher Altersgrenzen muss die Verrentung im Einzelfall entweder im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses oder bei Einführung einer betrieblichen Altersgrenze gerechtfertigt werden. Betriebliche Altersgrenzen haben den wesentlichen Vorteil, dass stets auch die konkreten Umstände des Betriebes, der jeweiligen Branche und die Interessen der Vertragsparteien Berücksichtigung finden. Dies geht jedoch zulasten der Rechtssicherheit. Aufgrund der unklaren rechtlichen Anforderungen werden betriebliche Altersgrenzen in der Praxis nur selten verwendet. Die derzeitige Rechtslage beruht auf mehrfachen Rechtsänderungen im Zuge der Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG. In England kam es zu wesentlichen Änderungen der Ausgestaltung von Altersgrenzen im Hinblick auf gesellschaftliche, demografische und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen. Überraschend ist besonders, dass auch die vollständige Abschaffung von Altersgrenzen zu keinen wesentlichen Änderungen auf dem Arbeitsmarkt führte. Dies lässt sich mit den geringen Anforderungen des englischen Kündigungsschutzrechts erklären.
II. Rechtlicher Rahmen des Bestandsschutzes Der geringe Bestandsschutz im englischen Arbeitsrecht erklärt auch die unterschiedliche Bedeutung des Befristungsrechts für die Weiterarbeit im Rentenalter. Das englische Kündigungsschutzrecht gibt im Wesentlichen Verfahrensan-
E. Schlussfolgerungen
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forderungen vor und stellt kaum materielle Anforderungen an die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses.185 Zudem erfolgt der Schutz des Arbeitnehmers durch Abfindungen. Anders als in Großbritannien spielt das Befristungsrecht im deutschen Arbeitsrecht aufgrund des strengen Kündigungsschutzes eine viel größere Rolle. Befristungen sind im deutschen Arbeitsrecht ein zentrales Element der Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen. Dementsprechend bestanden in Großbritannien auch vergleichsweise geringere Hemmungen, die Regelaltersgrenze im Jahr 2011 abzuschaffen.
III. Übertragbarkeit auf das deutsche Arbeitsrecht Aus dem englischen Recht können Ansätze abgeleitet werden, welche die Diskussion um die Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen nach Erreichen der Regelaltersgrenze beeinflussen. Der Ansatz der englischen Rechtsordnung, das Default Retirement Age vollständig aufzuheben, führt dazu, dass die Erforderlichkeit allgemeiner Altersgrenzen vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft rechtlich, ökonomisch und empirisch hinterfragt werden kann. Weiterhin können anhand der praktischen Erfahrungen des englischen Rechts, Chancen und Risiken flexiblerer Übergänge in den Ruhestand evaluiert werden. Ein wesentlicher Vorteil des englischen Rechts ist, dass im jeweiligen Arbeitsverhältnis Lösungen für den Übergang in den Ruhestand gefunden werden. Hierdurch werden die Interessen der Vertragsparteien und die betrieblichen Bedürfnisse berücksichtigt. Wie Umfragen in Großbritannien zeigen, haben sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer häufig ein gemeinsames Interesse, das Arbeitsverhältnis für eine beschränkte Zeit fortzusetzen. So beabsichtigt nur ein geringer Anteil der weiterarbeitenden Rentner länger als bis zum 70. Lebensjahr zu arbeiten. Auch in Großbritannien ist der größte Anteil der weiterarbeitenden Rentner zwischen 65 und 70 Jahren alt. Weiterhin ermöglichen flexible Absprachen im jeweiligen Arbeitsverhältnis Lösungen, die den Interessen beider Vertragsparteien Rechnung tragen. So ist ein nicht unerheblicher Anteil der Weiterarbeitenden in Teilzeit tätig. Zudem sollte die Weiterarbeit im Rentenalter nur aus berechtigten Interessen erfolgen. Um zu verhindern, dass Arbeitsverhältnisse nach Erreichen des Rentenalters nur fortgesetzt werden, um eine Abfindung in einem Kündigungsschutzprozess zu erstreiten, müssen nach Erreichen des Rentenalters Anpassungen im Bestandsschutz getroffen werden. Hierzu wählte der deutsche Gesetzgeber die Option der sachgrundlosen Befristung im Rentenalter durch Einführung von § 41 S. 3 SGB VI. In Großbritannien erübrigte sich ein Rückgriff auf das Be185 Kallos, Der gesetzliche Kündigungsschutz Englands, S. 277; Rebhahn, RdA 2002, S. 272 (279 f.).
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Kap. 5: Ausgestaltung der Weiterarbeit in Großbritannien
fristungsrecht zur Beschäftigungsförderung rentenberechtigter Arbeitnehmer, da das Befristungsrecht keine über das Kündigungsschutzrecht hinausgehende Flexibilisierung gewährleistet. Das Befristungsrecht und das Kündigungsschutzrecht stehen mithin in Abhängigkeit zueinander. Ein höherer Kündigungsschutz bedingt eine verstärkte Anwendung des Befristungsrechts. Der hohe Stellenwert des Bestandsschutzes im deutschen Arbeitsrecht führt dazu, dass das Konzept eines liberalen Kündigungsschutzes nicht auf das deutsche Recht übertragbar ist. Aus diesem Grund wird die beschäftigungspolitische Bedeutung von Befristungen im deutschen Recht bestehen bleiben. Jedoch müssen sich die Anpassungen im Bestandsschutz auch in die Systematik des vorhandenen Rechtsrahmens einfügen. Diese Voraussetzung ist in Bezug auf § 41 S. 3 SGB VI nach vorliegend vertretener Ansicht nicht erfüllt, solange keine differenzierenden Einschränkungen bestehen. Anstatt einer Sonderbefristungsvorschrift für ältere Arbeitnehmer, wäre – ebenso wie im englischen Recht – eine Eingliederung der Weiterarbeit in den bestehenden arbeitsrechtlichen Rahmen vorzugswürdig. Zuletzt muss die Ausgestaltung der Weiterarbeit rechtssicher erfolgen. In England wurde aufgrund der Rechtsunsicherheit nur zurückhaltend Gebrauch von der Option gemacht, ein arbeitgeberspezifisches Rentenalter festzulegen. Dies wirkt sich negativ auf die Einstellungschancen jüngerer Arbeitnehmer aus, da der Arbeitgeber keine Rechtssicherheit über das Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers hat. Entsprechende Fehlentwicklungen müssen vermieden werden, indem unabhängig von der Ausgestaltung der Weiterarbeit klare und eindeutige Voraussetzungen festgelegt werden. Demnach kann aus dem englischen Recht abgeleitet werden, dass eine flexible Lösung durch eine Modifikation vertraglicher Altersgrenzen vorzugswürdig ist. Zudem müssen sich Anpassungen im Bestandsschutz rentenberechtigter Arbeitnehmer in den vorgegebenen rechtlichen Rahmen sowie in das höherrangige Recht einfügen. Zuletzt ist eine rechtssichere Gestaltung wesentlich, um negative Folgewirkungen für jüngere Arbeitnehmer zu vermeiden. Auch wenn sich die Ansätze des englischen Rechts nicht direkt auf die Rechtslage in Deutschland übertragen lassen, zeigte die Perspektive auf eine Rechtsordnung ohne allgemeine Altersgrenzen mithin Ansatzpunkte für eine alternative Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter auf.
Kapitel 6
Ökonomische Folgenbewertung Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
Das folgende Kapitel nimmt die ökonomischen Folgen der Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter in den Blick. Ebenso wie der vorausgehende Rechtsvergleich verfolgt die ökonomische Analyse von Regelungsfolgen einen interdisziplinären Ansatz.1 Während sich die Rechtsdogmatik vorrangig mit der Frage befasst, ob Regelungen mit höherrangigem Recht vereinbar sind und sich in die Systematik des Rechtssystems einfügen, orientiert sich die ökonomische Analyse an wirtschaftlichen Theorien und befasst sich mit den Kosten und Nutzen von Regelungen.2 Die Perspektive wechselt damit vom Ausgleich der Interessen zweier Vertragsparteien hin zu einer ökonomischen Folgenbetrachtung.3 Es findet eine konsequentialistische Betrachtung statt, anhand derer die Folgen von Rechtsnormen unter ökonomischen Gesichtspunkten analysiert und bewertet werden.4 Das folgende Kapitel wendet die Methodik der ökonomischen Analyse auf arbeits- und sozialrechtliche Fragen an. Gerade in diesen Rechtsgebieten haben Gesetze direkte Auswirkungen auf eine Vielzahl bestehender und zukünftiger Rechtsverhältnisse. In den meisten Fällen verfolgen Gesetzgebungsinitiativen arbeitsmarktpolitische oder wirtschaftliche Ziele. Es handelt sich damit um „wirtschaftlich relevantes Recht“,5 das „einen wesentlichen Rahmen für Beschäftigung und Beschäftigungsquote bildet“.6 Dies gilt auch für die Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter. Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung zu § 41 S. 3 SGB VI ausdrücklich das praktische Bedürfnis nach einer rechtssicheren Ausgestaltung der Weiterarbeit an.7 Die Berücksichtigung ökonomischer Regelungsfolgen ist daher ein wesentlicher Gesichtspunkt im Rahmen der Bewertung arbeitsrechtlicher Regelungen. Die ökonomische 1
Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 14. Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 6. 3 Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 8 f.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 340 f. 4 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 5; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 8 f.; Posner, Economic Analysis of Law, Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXIV. 5 Franz/Rüthers, RdA 1999, S. 32. 6 Thüsing, in: FS Adomeit, S. 757 (765). 7 BT-Drs. 18/1489, S. 25. 2
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
Folgenbetrachtung ermöglicht aufgrund des Praxisbezugs eine weitere methodische Annäherung an die Frage, wie die Weiterarbeit von Rentnern rechtlich ausgestaltet werden kann.
A. Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts Die ökonomische Analyse des Rechts etablierte sich in den sechziger Jahren in den Vereinigten Staaten. Ein Pionier der Methode war Posner, der ein Grundlagenwerk über die ökonomische Analyse des Rechts verfasste.8 Sein Werk Economic Analysis of Law wurde namensgebend für eine Methodik, die häufig mit dem auf Effizienz ausgerichteten Ansatz der von Posner begründeten Chicagoer-Schule gleichgesetzt wurde.9 Wesentliche Beiträge zur Entwicklung der Methode lieferten auch Coase und Calabresi.10 Letzterer befasste sich auch mit der kostenorientierten Ausgestaltung des Deliktsrechts.11 Die ökonomische Analyse beschäftigte sich zunächst mit dem mikroökonomischen Verhalten handelnder Akteure in Abhängigkeit von rechtlichen Rahmenbedingungen.12 Es wurde der Einfluss rechtlicher Beschränkungen als unabhängige Variable auf das menschliche Verhalten als abhängige Größe untersucht.13 Ausgehend von einer Kosten- und Nutzen-Relation von menschlichen Handlungen fand die ökonomische Analyse besonders im Delikts- und Schadensrecht Anwendung.14 Seit den achtziger Jahren nahm die Bedeutung der ökonomischen Analyse im deutschen Recht, deren Ansätze bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, zu.15
8 Vgl.
Posner, Economic Analysis of Law, S. 29 ff. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 6. 10 Coase, 3 J. Law Econ. 1 ff. (1960); Calabresi, 78(4) Harvard Law Review, S. 713 ff. (1965); ders., The Costs of Accidents, S. 39 ff. 11 Calabresi, 78(4) Harvard Law Review, S. 713 (725 ff.) (1965); ders., The Costs of Accidents, S. 46 ff., 68 ff. 12 Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 295. 13 Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 11 ff.; Kircher, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 8. 14 MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 BGB, Vorbemerkungen, Rn. 51 f. 15 Vertiefend zur historischen Entwicklung der ökonomischen Analyse Dieckmann/ Sorge, in: Dieckmann/Sorge (Hrsg.), Der homo oeconomicus in der Rechtsanwendung, S. 1 (2 ff.) m. w. N. 9
A. Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts
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I. Grundannahmen Von einer zusammenhängenden ökonomischen Analyse beziehungsweise einer ökonomischen Theorie des Rechts lässt sich bislang jedoch nicht sprechen.16 Der Gesamtzusammenhang von volkswirtschaftlichen und rechtlichen Folgen wird in Gesetzgebungsverfahren nur selten analysiert. Insbesondere im Arbeitsrecht sind die entsprechenden Zusammenhänge umstritten.17 1. Modell des homo oeconomicus Aus diesem Grund spielen ökonomische Modelle für die Folgenprognose eine wesentliche Rolle. Dies gilt besonders, wenn Regelungsfolgen prognostiziert werden und keine empirischen Erkenntnisse über die Wirkungsweise gesetzlicher Regelungen vorliegen.18 Eine wesentliche Modellannahme der Ökonomie ist das Modell des Menschen als rational handelnder Nutzenmaximierer (homo oeconomicus).19 a) Ansatz In diesem Modell stecken bereits zwei ökonomische Grundannahmen: Die Annahme eigennützigen Handelns und rationaler Entscheidungskriterien.20 Neben der beschreibenden Komponente hat das Modell auch eine wertende Dimension, welche für die Ausgestaltung der Rechtsordnung relevant ist. Nur wenn von einem rationalen und damit voraussehbaren menschlichen Verhalten ausgegangen wird, kann die Rechtsordnung Handlungsanreize setzen. Gesetze, die Handlungen mit Sanktionen belegen oder subventionieren, setzen implizit ein rationales und kostenorientiertes Verhalten der Rechtsadressaten voraus.21 Das Entscheidungsmodell ist daher eine wesentliche Voraussetzung der Grundannahme, dass steigende oder fallende Kosten bestimmter Handlungen zu einer geänderten 16
Behrens, ZfA 1989, S. 209 (211); Kircher, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 6. Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 295. 18 Däubler, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 37 (45); Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (55). 19 Vgl. Behrens, ZfA 1989, S. 209 (212); Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 28 ff.; ders., JZ 2005, S. 216 (217); v. Hoff, Das Verbot der Altersdiskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 29 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 95 ff. 20 Vgl. Becker, Ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens, S. 15; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13 f.; Schäfer, Ökonomische Analyse des Rechts, S. 9; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 95 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 350. 21 Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (218). 17
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
Präferenzbildung des Einzelnen führen.22 Der Einführung einer sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit liegt damit die Annahme zugrunde, dass sich die entsprechende Reduktion der Beendigungskosten auf die Einstellungspräferenzen des Arbeitgebers auswirkt. b) Einschränkung und Kritik Der Ansatz des homo oeconomicus ist ein vereinfachendes Modell, das die Vielfalt menschlicher Handlungsmotivationen nicht erklären kann.23 Hier setzt das Forschungsfeld der Verhaltensökonomik an, das auf empirische Erkenntnisse aufbaut und die Bedeutung nicht-wirtschaftlicher Entscheidungskriterien betont.24 Entsprechende Entscheidungskriterien sind auch im Arbeitsrecht relevant, da die Arbeit nicht allein wirtschaftlichen Zwecken, sondern auch der Persönlichkeitsverwirklichung dient.25 Weiterhin wird rationales Handeln dadurch erschwert, dass den Akteuren nur unvollständige Informationen vorliegen.26 Verstärkend wirkt sich aus, dass die Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung häufig keinen rationalen Kriterien unterliegen.27 Diese Faktoren werden von dem Ausgangsmodell teilweise nur unzureichend berücksichtigt.28 Trotz dieser Problemstellungen ist das Modell des homo oeconomicus bislang das geeignetste ökonomische Modell, weil es die Grundzüge menschlichen Handelns in wirtschaftlichen Problemfeldern berücksichtigt.29 Nur bei Annahme rationaler Entscheidungen können bestimmte Rechts- oder Realfolgen prognostiziert werden. Das Modell des homo oeconomicus begründet daher ein „normatives Menschenbild für das Recht.“30 22 Vgl.
Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 7. Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (217 ff.); Calabresi, 78(4) Harvard Law Review, S. 713 (743) (1965). 24 Vgl. hierzu Däubler, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 37 (45); Eidenmüller, JZ 2005, S. 218 ff.; v. Hoff, Das Verbot der Altersdiskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 30; Schäfer, Die ökonomische Analyse des Rechts, S. 50 ff. 25 Vgl. BAG, Großer Senat, Beschl. v. 27. 2. 1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968 (2973). 26 Eidenmüller, JZ 2005, S. 218. 27 Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (218); Thüsing, Wertende Schadensberechnung. S. 352. 28 Kübler, in: Schäfer/Ott (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 244 (269). 29 Becker, Ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens, S. 15; Dieckmann/Sorge, in: Dieckmann/Sorge (Hrsg.), Der homo oeconomicus in der Rechtsanwendung, S. 1 (28 – 30); Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (218). 30 Dieckmann/Sorge, in: Dieckmann/Sorge (Hrsg.), Der homo oeconomicus in der Rechtsanwendung, S. 1 (30). 23
A. Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts
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2. Bewertungskriterien für Rechtsfolgen Die ökonomische Analyse des Rechts befasst sich, neben der Folgenprognose, auch mit der Bewertung von Rechts- und Realfolgen. Hierfür wird besonders das Kriterium der Effizienz relevant. Im Ansatz geht die Ökonomie von einer Knappheit der Ressourcen aus. Aus diesem Grund werden effiziente Wahlentscheidungen erforderlich. In der Wohlfahrtsökonomie ist Effizienz selbst das zu erreichende Ziel.31 Das Kriterium der Effizienz kann auch als Bewertungskriterium für ökonomische Regelungsfolgen herangezogen werden.32 In der ökonomischen Theorie des Rechts wird Effizienz als optimale Zweck-Mittel-Relation verstanden.33 Regeln sind damit effizient, wenn sie ein Ziel „mit einem möglichst geringen Aufwand“ möglichst umfassend erfüllen.34 Weiterhin werden Regelungen als effizient angesehen, wenn sie die effizienteste Allokation knapper Ressourcen ermöglichen. Beide Bewertungsmaßstäbe sind damit im Rahmen der ökonomischen Analyse des Rechts maßgeblich. Neben dem Effizienzkriterium sind bei der Bewertung von Regelungsfolgen auch das Kriterium der Zielgenauigkeit und der Durchsetzungsfähigkeit (effectiveness) einer Norm relevant.35 3. Besonderheiten im Arbeitsrecht In ökonomischer Hinsicht wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass der privatautonome Abschluss von Verträgen die effizienteste Allokation knapper Ressourcen ermöglicht.36 Hierbei wird ein optimales Wettbewerbssystem vorausgesetzt.37 Gerade diese Prämisse ist im Arbeitsrecht angesichts eines strukturellen Ungleichgewichts der Verhandlungspartner regelmäßig nicht gegeben, so dass rechtliche Einschränkungen privatautonomer Entscheidungen erforderlich werden.
31 Eidenmüller, Ökonomische Analyse des Rechts, S. 48, 56; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 338 ff. m. w. N. Nach Kaldor (1939) 49 (195) Econ. J. (London), S. 549 (550) und Hicks (1939) 49 (196) Econ. J. (London), S. 696 (706) ist ein Zustand effizient, wenn die Vorteile einer Maßnahme für den Gewinner die Nachteile anderer Individuen hypothetisch ausgleichen könnten. 32 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 41. 33 Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (22). 34 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 55; Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (73). 35 Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (18). 36 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423. 37 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423.
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
Arbeitsverhältnisse sind zudem Dauerschuldverhältnisse, in denen sich die Positionen beider Vertragspartner im Laufe der Zeit verändern. Im Vorfeld lässt sich eine Veränderung von äußeren Einflüssen oder das zukünftige Verhalten des Vertragspartners kaum voraussehen.38 Es besteht daher eine Asymmetrie und ein Defizit an Informationen. Weiterhin sind Investitionen in das Arbeitsverhältnis, wie z. B. Weiterbildungsmaßnahmen, außerhalb der Vertragsbeziehung wertlos.39 Diese Umstände können dazu führen, dass sich Vertragsparteien opportunistisch verhalten und versuchen, die Vertragsbedingungen während der Dauer des Schuldverhältnisses für sich günstig auszugestalten.40 Ein solches Verhalten kann durch das Arbeitsrecht eingeschränkt werden, indem die Handlungsoptionen der Vertragsparteien rechtlich beschränkt werden.41
II. Verfassungsrechtliche Vorgaben In Gesetzgebungsverfahren werden ökonomische Aspekte häufig relevant, wenn verschiedene Interessengruppen eingebunden und eine Vielzahl ökonomischer Gesichtspunkte berücksichtigt werden sollen.42 Daneben stellt sich auch die Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, ökonomische Aspekte im Rahmen der Rechtssetzung zu berücksichtigen.43 Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgen aus dem Grundgesetz und insbesondere den Grundrechten keine Vorgaben für die Wirtschaftsordnung.44 Da das Grundgesetz keine wirtschaftspolitischen Vorgaben enthält, kann „schwerlich die These vertreten [werden], daß der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet sein soll, Recht nach Gesichtspunkten der ökonomischen Effizienz zu setzen.“45 Das Kriterium der Effizienz verpflichtet die Rechtssetzung aus verfassungsrechtlicher Sicht daher nicht.46 Der Gesetzgeber hat innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen einen Entscheidungsspielraum.47 38
Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 426 f. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 426. 40 Behrens, ZfA 1989, S. 209 (226 f.); Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 427. 41 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 428. 42 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 419 ff. 43 Auf die weitergehende Frage, ob die Rechtsprechung ökonomische Kriterien im Rahmen der Urteilsfindung heranziehen kann, kommt es vorliegend nicht an; hierzu vertiefend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 417 ff.; Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (27 f.). 44 BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., NJW 1979, S. 699 (702) = BVerfGE 50, 290 (337 f.); Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 444; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 343. 45 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 445. 39
A. Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts
259
Die Grundrechte legen zudem den äußeren Rahmen zulässiger ökonomischer Erwägungen fest.48 Die Ausgestaltung des Arbeitsrechts orientiert sich beispielsweise auch an Schutzzielen.49 Aus der in Art. 12 Abs. 1 GG geregelten Berufsfreiheit leitet sich ein Mindestbestandsschutz des Arbeitnehmers ab und aus der Wertung des Sozialstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 GG folgt, dass auch Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit relevant sind.50 Widersprechende Vorgaben müssen im Wege praktischer Konkordanz ausgeglichen werden. 46
47
Der Gesetzgeber verfügt demnach über einen Prognosespielraum zu möglichen Regelungsfolgen und über einen Ermessensspielraum bezüglich zugrundeliegender ökonomischen Theorien. Er kann sein Gestaltungsermessen ausüben und Schwerpunkte setzen.51 Die Effizienz von Regelungen ist damit keine zwingende Gestaltungsvorgabe, sondern eine von mehreren Bewertungsansätzen, anhand derer gesetzgeberische Regelungsentscheidungen überprüft werden können.52
III. Methode der Folgenbewertung Die Folgenbewertung von Regelungen erfolgt anhand eines gestuften Verfahrens.53 1. Relevante Rechts- und Realfolgen Zunächst stellt sich die Frage, welche ökonomischen Konsequenzen zu berücksichtigen sind.54 Die Auswahl der zu berücksichtigenden Rechts- und Realfolgen 46 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 450 f.; v. Hoff, Das Verbot der Alters diskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 35 f.; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 283; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 343. 47 BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a., NJW 1979, S. 699 (702) = BVerfGE 50, 290 (337 f.). 48 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 445 ff. 49 Däubler, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 37 (49). 50 Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 343; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 7, 9. 51 Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (18); Steiner, NZA 2005, S. 657 (661). 52 Vgl. grds. Behrens, ZfA 1989, S. 209 (237); Krebber, in: FS Stürner, S. 1105 (1119). 53 Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, S. 121 ff.; Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (33); Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (56 f.). 54 Stoffels, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 77 (85).
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
orientiert sich an den Wertentscheidungen der Rechtsordnung.55 Gesetze können grundsätzlich Haupt- oder Nebenfolgen, Nah- und Fernfolgen, rechtliche, soziale und wirtschaftliche Folgen, individuelle oder generelle Folgen auslösen.56 Weiterhin kann zwischen Rechtsfolgen und den empirisch beschreibbaren Realfolgen unterschieden werden.57 Die zu berücksichtigenden Konsequenzen müssen einer Regelung auch kausal zurechenbar sein. 2. Folgenprognose und Folgenermittlung Im Anschluss werden die erwarteten Folgen in tatsächlicher Hinsicht prognostiziert oder ex post ermittelt.58 Im Vorfeld der Gesetzgebung können Sachverständige die zu erwartenden Regelungsfolgen und die Kosten der Gesetzesumsetzung prognostizieren.59 Im Rahmen der ex post Betrachtung sind insbesondere statistische Erkenntnisse über die ökonomische Auswirkung der getroffenen Regelung relevant. 3. Folgenbewertung Zuletzt werden in der ökonomischen Folgenbewertung die tatsächlichen oder prognostizierten Konsequenzen eines Gesetzes bewertet. Hierbei besteht die Schwierigkeit, dass die Vor- und Nachteile einer Regelung nur schwer in ein Verhältnis gesetzt werden können und es kein messbares Kriterium für ihre Gewichtung in Bezug auf die verschiedenen Arbeitsvertragsparteien gibt.60 Es bietet sich daher an, die Folgenbewertung an der Regelungsabsicht des Gesetzgebers auszurichten. Die Regelung zur Befristung nach Erreichen des Rentenalters ist somit daran zu messen, ob sie die verfolgten Ziele des Gesetzgebers fördern kann. Die Folgenbewertung kann auch Anhaltspunkte für die Ausgestaltung des Rechts de lege ferenda liefern.
55
Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (56). Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (15 f.). 57 Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, S. 107; Karpen, in: Rieble/ Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (16). 58 Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (56 f.). 59 Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (24). 60 Franz, ZfA 1994, S. 439 (454); Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (57). 56
B. Relevante ökonomische Folgen der Weiterarbeit im Rentenalter
261
IV. Zwischenergebnis Da im Arbeitsrecht auch Verteilungs- und Schutzgesichtspunkte sowie Freiheitsgrundrechte einzelner Arbeitnehmer relevant werden, kann die ökonomische Folgenbewertung allein keine zwingenden Vorgaben für die zukünftige Ausgestaltung des Rechts machen. Es handelt sich jedoch um eine Evaluationsmethode, die sich darauf stützt, dass Gesetze ihre Legitimität aus bestimmten wirtschaftlichen Folgen ableiten und anhand ihrer tatsächlichen Wirkung zu bewerten sind.61 Gerade im Arbeitsrecht sollen Regelungen bestimmte Arbeitsmarktfolgen herbeiführen. Die ökonomische Folgenbewertung ist damit das Spiegelbild der teleologischen Gesetzesauslegung, indem geprüft wird, ob sich die Regelungsabsicht des Gesetzgebers realisieren könnte (ex ante) oder realisiert hat (ex post). Im Rahmen der ökonomischen Folgenbewertung werden die Ziele des Gesetzgebers nicht erst in der Rechtsauslegung berücksichtigt. Sie werden vielmehr bereits bei der vorgelagerten Frage nach der Ausgestaltung des Rechts einbezogen.
B. Relevante ökonomische Folgen der Weiterarbeit im Rentenalter Die Regelung zur befristeten Weiterarbeit im Rentenalter gemäß § 41 S. 3 SGB VI wird im Folgenden anhand der Kriterien der ökonomischen Analyse des Rechts bewertet. Zur Beantwortung der Frage, ob die Regelung aus ökonomischen Gesichtspunkten geeignet ist, werden zunächst relevante Folgengesichtspunkte benannt, die aus ökonomischer Perspektive bei der Ausgestaltung der Weiterarbeit Berücksichtigung finden müssen. Im Anschluss werden die Auswirkungen der untersuchten Regelung auf die genannten Aspekte ermittelt oder prognostiziert. Zuletzt wird die Regelung im Hinblick auf die ökonomischen Ziele evaluiert.
I. Förderung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter Das wesentliche Ziel des Gesetzgebers bei Einführung von § 41 S. 3 SGB VI bestand darin, die Weiterarbeit im Rentenalter zu fördern. Die längere Erwerbstätigkeit setzt aus sozialwissenschaftlicher Sicht voraus, dass Arbeitnehmer auch im Rentenalter arbeits- und beschäftigungsfähig sind.62 Regelungen zur Förde61
Steiner, NZA 2005, S. 657 (662); ähnlich Thüsing, in: FS Adomeit, S. 757 (764 f.). IAB/Bellmann/Kistler/Wahse, IAB-Kurzbericht Nr. 21/2007, 11. 10. 2007, S. 2 f.; Popp (Hrsg.)/Steinbach/Linnenschmidt/Schüll, Zukunftsstrategien für eine alternsgerechte Arbeitswelt, S. 76. 62
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
rung der Beschäftigung im Rentenalter sind daher dahingehend zu evaluieren, ob sie geeignet sind, diese beiden Kriterien zu fördern. 1. Arbeitsfähigkeit Die individuelle Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers liegt bei einer entsprechenden gesundheitlichen Verfassung, Motivation und fachlichen Kompetenz vor.63 Sie hängt damit im Wesentlichen von der gesundheitlichen Veranlagung des Arbeitnehmers und den physischen und psychischen Anforderungen der Tätigkeit ab. Diese Umstände können durch eine arbeitsrechtliche Gestaltung kaum beeinflusst werden. Daneben sind für die Arbeitsfähigkeit in einem höheren Lebensalter auch Fortbildungsmaßnahmen maßgeblich, da sich die Anforderungen an bestimmte berufliche Tätigkeiten dynamisch verändern. Die Bereitschaft der Arbeitsvertragsparteien, Zeit und Ressourcen in Fortbildungsmaßnahmen zu investieren, kann dadurch gehemmt werden, dass diese erst in weiter Zukunft Resultate zeigen. Zum Zeitpunkt der Fortbildungsmaßnahme lässt sich die Motivation oder die Möglichkeit über das Rentenalter hinaus beruflich tätig zu sein, nicht voraussehen.64 Die Fortbildungsbereitschaft auf Arbeitnehmerseite wird dementsprechend erhöht, wenn eine längere Berufstätigkeit nach Erreichen des Rentenalters ermöglicht wird. Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI könnte die Präferenz des Arbeitgebers dahingehend beeinflussen, Einstellungs- oder Weiterbeschäftigungshemmnisse für Ältere abzubauen. Die Vorschrift schafft auch ein Bewusstsein für die Möglichkeit einer längeren Berufstätigkeit im Rentenalter und setzt damit für beide Parteien Anreize für Investitionen. 2. Beschäftigungsfähigkeit Eine zweite Voraussetzung für die Weiterarbeit im Rentenalter ist die Beschäftigungsfähigkeit. Diese hängt – nach der hier verwendeten Definition – von der Arbeitsmarktsituation und der Bereitschaft des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung ab.65 Damit ist die Beschäftigungsfähigkeit Hauptansatzpunkt der gesetzlichen Beschäftigungsförderung. In eine entsprechende Richtung zielt auch § 41 S. 3 SGB VI, auch wenn diese Zielsetzung in den Gesetzgebungsmaterialien nicht ausdrücklich genannt wurde. Ausgangspunkt für die Einführung der Norm 63
IAB/Bellmann/Kistler/Wahse, IAB-Kurzbericht Nr. 21/2007, 11. 10. 2007, S. 2. Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 26; Posner, Economic Analysis of Law, S. 453; Reinhold (Hrsg.)/Steinbach/Linnenschmidt/Schüll, Zukunftsstrategien für eine alternsgerechte Arbeitswelt, S. 94 f. 65 IAB/Bellmann/Kistler/Wahse, IAB-Kurzbericht Nr. 21/2007, 11. 10. 2007, S. 3. 64
B. Relevante ökonomische Folgen der Weiterarbeit im Rentenalter
263
war das praktische Bedürfnis, die Weiterbeschäftigung im Rentenalter rechtssicher zu ermöglichen.66 Der zunehmenden Nachfrage nach einer Weiterarbeit sollte ein rechtliches Ausgestaltungsangebot unterbreitet und hierdurch die Anzahl weitergeführter Arbeitsverhältnisse erhöht werden. Diese Zielsetzung entspricht auch dem gesetzgeberischen Ansatz bei anderen Befristungserleichterungen für ältere Arbeitnehmer. Das BeschFG ließ sachgrundlose Befristungen von Arbeitnehmern über dem 60. Lebensjahr zur Beschäftigungsförderung zu (§ 1 Abs. 2 BeschFG). Auch § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. diente nach der Gesetzesbegründung dem Abbau psychologischer Einstellungsbarrieren aufgrund befürchteter zukünftiger Leistungsdefizite.67 Damit ist die Befristungsregelung im Rentenalter danach zu bewerten, inwiefern sie die Beschäftigungsfähigkeit im Rentenalter fördert. Es bestehen drei wesentliche Faktoren, die für die Beschäftigungsfähigkeit und damit die Beschäftigungsförderung relevant sind. a) Beschäftigungskosten Für einen unterstellt kostenorientiert entscheidenden Arbeitgeber sind zunächst die direkten und indirekten Kosten der Beschäftigung relevant.68 Diese umfassen sowohl den Arbeitslohn als auch anfallende Lohnnebenkosten. Ein weiterer Ansatz zur Beschäftigungsförderung ist daher auch die Abschaffung des isolierten Arbeitgeberanteils zur Arbeitslosenversicherung für Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters bis Ende 2021 (§ 346 Abs. 3 S. 3 SGB III).69 Die Reduktion der Lohnnebenkosten um 1,5 Prozent des Bruttolohns könnte ergänzend dazu beitragen, die Beschäftigung im Rentenalter zu fördern.70 b) Ausgleich beschäftigungshemmender Schutznormen Besondere Schutzvorschriften für benachteiligte Arbeitnehmergruppen können sich negativ auf Neueinstellungen oder Weiterbeschäftigungen auswirken. Dieser Effekt wird als „Bumerang-Effekt“ bezeichnet, da die beabsichtigte Schutzwirkung ins Gegenteil verkehrt wird.71 Die nachteilige Wirkung resultiert 66
BT-Drs. 18/1489, S. 25. BT-Drs. 15/25, S. 40; zur Terminologie Thüsing, RdA 2003, S. 257 (261). 68 Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 21. 69 Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben v. 8. 12. 2016, BGBl. I S. 2838, 2846. 70 BT-Drs. 18/9787, S. 51; Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (72 f.); Rolfs, NZS 2017, S. 164 (169); Waltermann, ZfA 2017, S. 445 (460). 71 Däubler, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 37 (48); Giesen, NZA 2008, 905 (908, 910 f.); Preis, in: FS Hanau, S. 53, (77); Walwei, in: Klein67
264
Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
aus den Kosten, die durch die Schutzvorschriften ausgelöst werden und entsprechende Vermeidungsstrategien des Arbeitgebers nach sich ziehen können.72 Auch begünstigende Senioritätsregelungen, wie die tarifliche Unkündbarkeit, stehen im Verdacht, Einstellungen zu verhindern.73 Befristungsmöglichkeiten könnten den beschäftigungshemmenden Wirkungen begünstigender Sondervorschriften gegebenenfalls entgegen wirken. c) Beendigungskosten Ein weiterer Ansatzpunkt zur Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit ist die Reduktion potentieller Beendigungs- oder Anpassungskosten. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zunächst beobachten74 und im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers anpassen.75 Es besteht ein geringeres Kostenhemmnis einen Arbeitnehmer zu ersetzen, als bei unbefristeten Arbeitsverträgen.76 Zudem können auch Informationsdefizite der Vertragsparteien über eine möglicherweise abfallende Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers ausgeglichen werden.77 3. Zwischenergebnis Die Folgenbewertung orientiert sich damit an der Eignung der Regelung zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit. Diese erhöht indirekt auch die Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer, da den Vertragsparteien ein längerer Nutzen von Investitionen in das Arbeitsverhältnis in Aussicht gestellt wird. Somit erhöht sich die Bereitschaft, in die Ausgestaltung altersgerechter Arbeitsplätze zu investieren oder die eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten. henz (Hrsg.), IAB-Kompendium Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, S. 95 (102); ebenfalls Posner, Economic Analysis of Law, S. 451. 72 Preis, in: FS Hanau, S. 53 (77). 73 Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 21; Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 60 ff.; eine solche negative Wirkung bestand nach Ansicht des BVerfG auch durch die frühere Regelung zum Mutterschaftsgeld BVerfG, Beschl. v. 18. 11. 2003 – 1 BvR 302/96, BVerfGE 109, S. 64 (91 f.) = NJW 2004, 146 (150). 74 Vgl. Walwei, Ökonomisch-rechtliche Analyse befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 192. 75 Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Kluth/Haupt/Goll, Vor- und Nachteile höherer Flexibilität als Instrument zur Erhöhung der Beschäftigung Älterer, S. 35 ff. 76 Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 228 f.; Kübler, in: Schäfer/Ott (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 244 (248). 77 Vgl. Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 32 m. w. N.
B. Relevante ökonomische Folgen der Weiterarbeit im Rentenalter
265
II. Transparenz und Rechtssicherheit Ein weiterer relevanter Gesichtspunkt ist die Transparenz und Rechtssicherheit.78 Unerwünschte Folgen für Normadressaten ergeben sich nicht nur aus dem materiellen Gehalt von Regelungen, sondern auch aus fehlender Rechtssicherheit.79 Anreize für Beschäftigung entstehen nur bei verlässlichen Rechtsgrundlagen. 1. Rechtssicherheit Die Anforderungen an die Verlässlichkeit der Rechtsordnung leiten sich auch aus dem in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG garantierten Rechtsstaatsprinzip ab.80 Demnach müssen Gesetze klar und bestimmt ausgestaltet sein, so dass ein Adressat sein Verhalten an der jeweiligen Norm ausrichten kann.81 Auch das Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen ist ein wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips. Häufige Rechtsänderungen hindern eine Vertrauensbildung, wenn der Abschluss eines längerfristigen Dauerschuldverhältnisses geplant ist.82 So wurde von der sachgrundlosen Befristungsregelung im BeschFG aufgrund der Ankündigung, diese bald abzuschaffen, nur zurückhaltend Gebrauch gemacht.83 2. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Weiterhin muss die Ausgestaltung mit dem höherrangigen Recht und dem System des Privatrechts vereinbar sein.84 Dies steht in einem engen Zusammenhang mit dem Kriterium des Vertrauensschutzes: Nur ein geschlossenes Regelungssystem ermöglicht kohärente und voraussehbare Entscheidungen. Systemwidrige Normen, die im Wege der Auslegung korrigiert werden müssen, verursachen einen Spielraum für Korrekturen durch die Rechtsprechung.85 Besondere Unsi78
Thüsing, in: FS Adomeit, S. 757. Walwei, in: Kleinhenz (Hrsg.), IAB-Kompendium Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, S. 95 (102). 80 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG, VII, Rn. 50. 81 BVerfG, Beschl. v. 27. 11. 1990 – 1 BvR 402/87, NJW 1991, 1471 (1473) = BVerfGE 83, 130 (145); Klumpp, in: Rieble (Hrsg.), Transparenz und Reform im Arbeitsrecht, S. 9 (29). 82 Klumpp, in: Rieble (Hrsg.), Transparenz und Reform im Arbeitsrecht, S. 9 (15); Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (55). 83 Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (69). 84 Behrens, ZfA 1989, S. 209 (238); Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz, S. 403. 85 Thüsing, in: FS Adomeit, S. 757 (759). 79
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
cherheit wird zudem durch eine Einzelfallabwägung in der Rechtsprechung verursacht.86 3. Ökonomische Dimension Nicht nur aus verfassungsrechtlichen, sondern auch aus ökonomischen Gesichtspunkten ist das Vertrauen in den Bestand und den Inhalt von Rechtsnormen grundlegend.87 Zweifel über die Auslegung oder Wirksamkeit einer Regelung hemmen ihre Anwendung. Unklare Normen verursachen zudem Transaktionskosten für die Rechtsberatung im Vorfeld des Vertragsabschlusses.88 Auch nach Vertragsschluss besteht ein Risiko von kostenintensiven Rechtsstreitigkeiten.89 4. Zwischenergebnis Aus den genannten Gründen ist eine verlässliche Rechtsgrundlage zur Weiterbeschäftigung im Rentenalter wesentlich. Befristungen werden gewählt, um die Beendigungskosten zu reduzieren.90 Dieses Ziel wird verfehlt, wenn vor dem Vertragsabschluss Unklarheiten über die Voraussetzungen und die Wirksamkeit einer Befristung bestehen. Neben der tatsächlichen Unsicherheit kann sich auch eine vermutete Rechtsunsicherheit einstellungshemmend auswirken.91 Zusätzliche Kosten für die Rechtsberatung und Rechtsverfolgung könnten die wirtschaftlichen Vorteile reduzieren, die ein Arbeitgeber bei längerem Verbleib eines qualifizierten rentenberechtigten Arbeitnehmers erlangt und damit die Weiterbeschäftigung verhindern. Aus diesem Grund muss sich die Befristungsregelung auch an den Kriterien der Transparenz und Rechtssicherheit messen lassen.
III. Vermeidung von Gegentendenzen Zu überprüfen ist auch, ob nachteilige Gegentendenzen für andere Arbeitnehmergruppen vermieden werden. Vorschriften zur Beschäftigungsförderung, die Schutzstandards absenken, haben teilweise unerwünschte Auswirkungen für an86
Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (69). Kissel, Standortfaktor Arbeitsrecht, S. 80 f. 88 Vertiefend zum Begriff der Transaktionskosten Eidenmüller, Effizienz als Rechts prinzip, S. 97 ff. 89 Klumpp, in: Rieble (Hrsg.), Transparenz und Reform im Arbeitsrecht, S. 9 (17); Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (67). 90 Löwisch, in: FS 50 Jahre BAG, S. 423 (431). 91 Klumpp, in: Rieble (Hrsg.), Transparenz und Reform im Arbeitsrecht, S. 9 (14). 87
B. Relevante ökonomische Folgen der Weiterarbeit im Rentenalter
267
dere Arbeitnehmer. Insbesondere können gruppenbezogene Ausnahmen vom Bestandsschutz die Entstehung eines sogenannten dualen Arbeitsmarkts fördern.92 Es droht die Aufspaltung zwischen einem primären Arbeitsmarkt mit hohem Schutzniveau und einem sekundären Arbeitsmarkt mit atypischen Arbeitsverhältnissen und einem erheblich geringeren Schutzstandard.93 Hierdurch könnte die Bereitschaft sinken, Arbeitnehmer im primären Bereich zu beschäftigen.94 Die erleichterte sachgrundlose Befristung von Rentnern könnte sich dementsprechend zulasten jüngerer Arbeitnehmer auswirken. Eine unterstellt rationale Einstellungsentscheidung wird auf der Grundlage des homo oeconomicus-Modells in einer unmittelbaren Konkurrenzsituation stets zugunsten des Altersrentners ausfallen. In der Folgenabwägung sind daher auch die Interessen Arbeitsloser als „Arbeitnehmer im Wartestand“95 und eventuelle Verdrängungsfolgen zu berücksichtigen.96
IV. Rentensystem Zuletzt sind die sozialrechtlichen Konsequenzen arbeitsrechtlicher Regelungen insbesondere für das Rentensystem relevant. Die Finanzierungsprobleme eines umlagefinanzierten Rentensystems infolge des demografischen Wandels erfordern eine längere Erwerbstätigkeit. Nicht umsonst erfolgte die Einführung von § 41 S. 3 SGB VI im Rahmen des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Neben dem Arbeitsrecht kann auch das Sozialrecht Anreize für einen längeren Verbleib im Beruf setzen, indem bestimmte Wahlentscheidungen mit Kosten belegt werden. Der Preis eines früheren Renteneintritts bemisst sich beispielsweise daran, dass ein Arbeitnehmer für den Zeitraum bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze keinen Arbeitslohn erhält und ein Rentenabschlag erfolgt. Werden Rentenbeiträge jedoch länger eingezahlt oder der Rentenbezug hinausgeschoben, erhöhen sich die Rentenansprüche langfristig. Deshalb verfolgt § 41 S. 3 SGB VI neben arbeitsrechtlichen auch sozialrechtliche Regelungsziele und ist an diesen zu messen.
92 Doeringer/Piore, Internal Labor Markets and Manpower Analysis, S. 165 ff.; Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 235. 93 Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 220; Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 29. 94 Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 36, 234; Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 36. 95 Steiner, NZA 2005, S. 657 (659 f.). 96 Sendler, WiVerw 1993, S. 235 (244).
268
Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
V. Zwischenergebnis Die genannten Ziele der Beschäftigungsförderung, der Rechtssicherheit, der Vermeidung von Gegentendenzen sowie der Absicherung des Rentensystems stehen teilweise in einem Zielkonflikt. Unerwünschte Auswirkungen für andere Arbeitnehmergruppen lassen sich ebenfalls nicht vollständig vermeiden. Auch kann eine Rechtssicherheit, die verschiedenen Einzelfällen Rechnung trägt, letztlich kaum verwirklicht werden. In der Folgenbewertung ist daher zu berücksichtigen, dass sämtliche Regelungsziele stets nur im gegenseitigen Ausgleich verwirklicht werden können.
C. Folgenermittlung In einem zweiten Schritt werden die Rechtsfolgen von § 41 S. 3 SGB VI als Grundlage für die spätere Folgenbewertung ermittelt. Die ökonomische Analyse der Folgen arbeitsrechtlicher Regelungen ist in erster Linie von empirischen Erkenntnissen abhängig. Während sich beschäftigungsfördernde Effekte durch den Rückgriff auf Arbeitsmarktstatistiken ermitteln lassen, besteht bei anderen angestrebte Rechtsfolgen häufig Unklarheit. Die Präsidentin des BAG Ingrid Schmidt kritisierte dementsprechend, dass „belastbares Wissen über die Realfolgen des Arbeitsrechts […] kaum vorhanden“ sei.97 Der Gesetzgeber führte vor Erlass des § 41 S. 3 SGB VI keine ökonomische Folgenprognose durch. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales wird allein auf das praktische Bedürfnis einer Regelung zur Weiterbeschäftigung im Rentenalter verwiesen.98 Es wurden weder Beschäftigungsstatistiken zitiert, noch Schätzungen der zukünftigen Arbeitsmarktentwicklung durchgeführt. Dies überrascht, da schon die Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG a. F. aus dem Jahr 2002 die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer in den Blick nahm. Zudem wurde dort auf die beschäftigungspolitischen Leitlinien des Rats der Europäischen Union verwiesen, in denen der deutsche Gesetzgeber aufgefordert wurde, Hindernisse für die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer abzubauen.99 Es gab somit eine Vorlage der Beschäftigungsförderung durch sachgrundlose Befristungen, die für eine Folgenprognose hätte herangezogen werden können. Weiterhin fand kaum eine wissenschaftliche Diskussion des Entwurfs zu § 41 S. 3 SGB VI unter Berücksichtigung möglicher ökonomischer Regelungs97
I. Schmidt, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 5. BT-Drs. 18/1489, S. 25. 99 BT-Drs. 15/25, S. 40. 98
C. Folgenermittlung
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folgen statt. Es wurde weder ermittelt, auf welcher rechtlichen Grundlage die Weiterbeschäftigung vor der Rechtsänderung erfolgte, noch warum bestehende Gestaltungsoptionen defizitär waren und ob ein konkretes Regelungsbedürfnis bestand. Allein aus dem Regelungsziel lässt sich implizit die Folgenprognose ableiten, dass der Gesetzgeber von einem Anstieg der Beschäftigung von Arbeitnehmern im Rentenalter ausging.
I. Förderung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bezeichnete die Einführung von § 41 S. 3 SGB VI als „substantielle[n] Fortschritt“ zur Förderung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter.100 Ob diese Einschätzung zutrifft, wird nachfolgend überprüft. Der Zeitraum, der seit Inkrafttreten der Befristungsmöglichkeit im Jahr 2014 vergangen ist, genügt bislang kaum, um eine abschließende Bewertung bezüglich der Förderung der Weiterbeschäftigung vorzunehmen. Dennoch können erste Einschätzungen zu den Auswirkungen der Regelung getroffen werden. 1. Statistische Entwicklung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter Der seit etwa zehn Jahren bestehende Trend der steigenden Erwerbstätigkeit von Arbeitnehmern über 65 Jahre setzte sich auch nach der Einführung von § 41 S. 3 SGB VI im Jahr 2014 weiter fort.101 Der Anteil erwerbstätiger Rentner zwischen 65 und 69 Jahren verdoppelte sich schon vor der Einführung des Befristungstatbestands zwischen 2005 und 2013. Während 2005 etwa 95.000 Arbeitnehmer über 65 Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, erhöhte sich die Anzahl auf etwa 180.000 bis zum Ende des Jahres 2013.102 Aufgrund der schrittweisen Erhöhung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre seit dem Jahr 2012, erreichten im Jahr 2013 etwa 25.000 Arbeitnehmer über 65 Jahre noch nicht die Regelaltersgrenze.103 Diese Arbeitnehmer bleiben in der folgenden Untersuchung außer Betracht, da es allein um die Weiterarbeit nach Erreichen der Regelalters-
100
Kröger/Swyter, BetrAV 2014, S. 591. IAB/Rhein, Aktuelle Berichte, Arbeiten im Rentenalter: Erwerbstätigkeit 65plus in Europa, 21. 12. 2016, S. 3 ff.; Larsen/Pedersen, Journal for Labour Market Research 2017, S. 15 ff.; Statistisches Bundesamt, Die Generation 65+ in Deutschland, S. 11. 102 Agentur für Arbeit, Zeitreihe über Beschäftigte nach Altersgruppen, 27. 12. 2018. 103 Agentur für Arbeit, Zeitreihe über Beschäftigte nach Altersgruppen, 27. 12. 2018; IAB/Rhein, Aktuelle Berichte, Arbeiten im Rentenalter: Erwerbstätigkeit 65plus in Europa, 21. 12. 2016, S. 4. 101
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
grenze geht. Demnach waren 2013 etwa 155.500 Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit Einführung der Befristungsregelung im Jahr 2014 ist ein verstärkter Anstieg der Erwerbstätigkeit im Rentenalter zu verzeichnen. Im September des Jahres 2014, kurz nach Einführung von § 41 S. 3 SGB VI, arbeiteten etwa 162.000 Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze sozialversicherungspflichtig weiter. Im Juni 2018 waren es bereits etwa 246.000 Arbeitnehmer.104 Demnach stieg die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Rentner seit der Einführung von § 41 S. 3 SGB VI um etwa 84.000 Arbeitnehmer an.105 2. Kausalität Dies führt zu der weitergehenden Frage, ob ein Kausalzusammenhang zwischen den Arbeitsmarktdaten und der untersuchten Regelung abgeleitet werden kann.106 a) Allgemeines Die allgemeine Kausalität eines abgesenkten Bestandsschutzes für die Förderung der Beschäftigung ist seit jeher umstritten.107 Die Kontroverse verstärkt sich dadurch, dass widersprechende empirische Erkenntnisse bestehen, die aus Unterschieden in Methodik, Umfang und Durchführung empirischer Untersuchungen resultieren.108 Folgenabschätzungen von Regelungen basieren daher häufig auf Ausgangshypothesen und empirischen Daten, welche die Realität nicht immer vollständig abbilden. Auf der einen Seite wird eine positive Beschäftigungswirkung durch einen abgesenkten Bestandsschutz angenommen.109 Ein starker Bestandsschutz reduziere Beschäftigung, da der Zugang von Arbeitssuchenden zum Arbeitsmarkt erschwert werde.110 Gerade für ältere Arbeitnehmer seien Befristungen das primäre 104 Eigene Berechnung auf der Grundlage der Agentur für Arbeit, Zeitreihe über Beschäftigte nach Altersgruppen, 27. 12. 2018. 105 Eigene Berechnung auf der Grundlage der Agentur für Arbeit, Zeitreihe über Beschäftigte nach Altersgruppen, 27. 12. 2018. 106 Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (57). 107 Übersicht bei Kissel, Standortfaktor Arbeitsrecht, S. 82 f.; Krebber, in: FS Stürner, S. 1105 (1114 f.). 108 Vgl. zu Letzterem Däubler, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 37 (45); Franz/Rüthers, RdA 1999, S. 32 (33); APS/Preis, Grundlagen B, Rn. 33; Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (56). 109 Zur Übersicht Krebber, in: FS Stürner, S. 1105 (1115) m. w. N. 110 Löwisch, in: FS 50 Jahre BAG, 2004, S. 423 ff.; Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (65).
C. Folgenermittlung
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Instrument der Beschäftigungsförderung.111 Auf der anderen Seite wird vertreten, dass der Bestandsschutz die Voraussetzung für langfristige Investitionen in das Arbeitsverhältnis sei112 und die Beschäftigung damit fördere.113 Der Gesetzgeber legt regelmäßig die erste Ansicht zugrunde. Es werden spezifische Ausnahmen vom Bestandsschutz für Arbeitnehmergruppen entwickelt, die häufig von Beschäftigungslosigkeit betroffen sind.114 Hierdurch sollen tatsächliche oder vermutete Beschäftigungshemmnisse auf Arbeitgeberseite abgebaut werden.115 So wurde in § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG der Befristungsschutz älterer beschäftigungsloser Arbeitnehmer gesenkt. In § 41 S. 3 SGB VI erfolgte ebenfalls eine Absenkung des Befristungsschutzes für Arbeitnehmer im Rentenalter. b) Schlussfolgerung in Bezug auf § 41 S. 3 SGB VI Es ist unklar, ob die untersuchte Befristungsvorschrift die gewünschten Beschäftigungseffekte allein verwirklichen kann. Eine Einstellung ist eine „multikausale Investitionsentscheidung“, deren Ursachen nur vermutet werden können.116 Zudem wechselt ein erheblicher Anteil der Weiterarbeitenden nach dem Erreichen des Rentenalters den Arbeitgeber.117 In dieser Konstellation findet § 41 S. 3 SGB VI keine Anwendung. Auch andere Umstände, wie die Alterung der Bevölkerung, konjunkturelle Entwicklungen im Zusammenhang mit einem steigenden Fachkräftemangel sowie ein höheres Interesse an der Weiterarbeit können maßgeblich sein. Zudem hängt die Entscheidung über die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers auch mit den Erfahrungen im jeweiligen Arbeitsverhältnis zusammen. Die Arbeitsmarktdaten sind somit nur bedingt aussagekräftig dahingehend, ob eine Befristungsmöglichkeit ursächlich für die Zunahme von Beschäftigung ist. Aus den Beschäftigungsdaten folgt auch nicht, in welchem Umfang Arbeitgeber speziell von § 41 S. 3 SGB VI Gebrauch machten. Es kann jedoch vermutet wer111
Numhauser-Henning (2013) 4 ELLJ, S. 84 (96). Behrens, ZfA 1989, S. 209 (233); Franz/Rüthers, RdA 1999, S. 32 (33); Kröger, Die Befristung von Arbeitsverträgen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, S. 32 f.; Kübler, in: Schäfer/Ott (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 244 (269). 113 Däubler, NJW 2002, 2292 (2293); Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 295 f.; Krebber, in: FS Stürner, S. 1105 (1114 f.); APS/Preis, Grundlagen B, Rn. 30 ff.; Preis, in: FS Hanau, S. 53 (76). 114 Krebber, in: FS Stürner, S. 1105 (1114). 115 Vgl. zu entsprechenden Hemmnissen v. Hoff, Das Verbot der Altersdiskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 68 ff. 116 Klumpp, in: Rieble (Hrsg.), Transparenz und Reform im Arbeitsrecht, S. 9 (14). 117 BiB, (Un-)Ruhestände in Deutschland, Übergänge, Potentiale und Lebenspläne älterer Menschen im Wandel, März 2017, S. 22. 112
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
den, dass aufgrund von Rechtsunsicherheiten in der Vergangenheit eine Zurückhaltung bei der Anwendung der Norm bestand.118 Wie die Arbeitgeberverbände der Branchen Chemie und Metall angaben, wurde die Regelung in nur wenigen Betrieben angewandt.119 Auch im Schrifttum wurde vielfach zu einer Zurückhaltung im Gebrauch der Norm geraten.120 Die Anwendung von § 41 S. 3 SGB VI wird sich nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache John jedoch verstärken, da der Gerichtshof die Befristungsmöglichkeit im Rentenalter als umfassend unionsrechtskonform einordnete.121 Dennoch bleibt es zumindest für die Vergangenheit bei der Folgenvermutung, dass § 41 S. 3 SGB VI nicht allein für den Anstieg der Beschäftigung von Arbeitnehmern über dem 65. Lebensjahr verantwortlich ist. Eine abschließende Folgenermittlung ist ebenso wie bei anderen beschäftigungsfördernden Normen jedoch kaum unmöglich.122
II. Transparenz und Rechtssicherheit Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit ist festzustellen, dass weiterhin Auslegungsfragen bestehen und die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht bis zur EuGH-Entscheidung John im Jahr 2018 fraglich war. Weiterhin ist ungeklärt, ob die Vertragsbedingungen bei einer Weiterbeschäftigung verändert werden können.123 Auch eine mögliche einschränkende Rechtsfortbildung von § 41 S. 3 SGB VI kann Rechtsunsicherheit verursachen. Sollte die sachgrundlose Befristung im Rentenalter im Einzelfall eingeschränkt werden, führt dies zwar zu nachvollziehbaren, nicht jedoch zu voraussehbaren Entscheidungen.
III. Vermeidung von Gegentendenzen Weiterhin stellt sich die Frage nach möglichen Auswirkungen der Regelung auf die Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer. Das Eintreten solcher Gegenten118 Bader/Jörchel, NZA 2016, S. 1105 (1107); Öchsner, Süddeutsche Zeitung vom 12. 3. 2015, S. 17. 119 Siehe Öchsner, Süddeutsche Zeitung vom 12. 3. 2015, S. 17. 120 Vgl. Bader, NZA 2014, 749 (752 f.); Bauer, NZA 2014, 889 (890); Hoppe, RdA 2016, S. 236 (239); Kroll, ZTR 2016, S. 179 (182); ErfK/Rolfs, 18. Aufl., § 41 SGB VI, Rn. 22; Stoffels, in: FS Müller-Graff, 2015, S. 347 (356 f.). 121 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 – John. 122 Grds. Rieble, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 53 (64 f.). 123 Vgl. Kapitel 2 B.IV.3.b)cc)(2); Bauer, NZA 2014, 889 (890); BeckOK-ArbR/Bayreuther, § 14 TzBfG, Rn. 72b; Kleinebrink, DB 2014, 1490 (1493).
C. Folgenermittlung
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denzen lässt sich bislang kaum empirisch feststellen. Wenn bereits die direkte Kausalität zwischen einer Befristungsmöglichkeit und der Einstellungsentscheidung schwer festzustellen ist, gilt dies umso mehr für die hypothetische Kausalität dahingehend, dass alternativ ein jüngerer Arbeitnehmer eingestellt worden wäre. Allgemein ist die Fragestellung, wie sich die verlängerte Berufstätigkeit Älterer auf die Einstiegschancen jüngerer Arbeitnehmer auswirkt, umstritten. Während insbesondere Altersgrenzen die implizite Annahme zugrundliegt, eine längere Weiterarbeit verzögere das Freiwerden von Stellen und benachteilige Jüngere,124 gibt es auch Erkenntnisse, dass sich ein höheres Beschäftigungsniveau Älterer positiv auf die Neueinstellung Jüngerer auswirkt.125 Bei Regelungen, die darauf gerichtet sind, Beschäftigung durch Kostensenkung zu fördern, besteht grundsätzlich die Gefahr von Verdrängungseffekten auf dem primären Arbeitsmarkt.126 Die erleichterte Befristungsmöglichkeit im Rentenalter könnte ökonomische Anreize gegen eine unbefristete Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer setzen und einen zweiten, weniger regulierten Arbeitsmarkt schaffen.127 Es besteht das Risiko, dass ein bestehender Beschäftigungsbedarf durch die befristete Weiterbeschäftigung eines Rentners abgedeckt und kein neues unbefristetes Arbeitsverhältnis mit einem jüngeren Arbeitnehmer begründet wird. Diese Entwicklung könnte dadurch verstärkt werden, dass sich bei einer Weiterbeschäftigung beide Vertragsparteien bereits aus einem früheren Arbeitsverhältnis kennen. Dies unterscheidet § 41 S. 3 SGB VI auch von § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG, der nur anwendbar ist, wenn ein älterer, beschäftigungsloser Arbeitnehmer neu einstellt wird. Im Rahmen der Weiterbeschäftigung im Rentenalter besteht daher ein geringeres Informationsdefizit des Arbeitgebers und ein geringeres Risiko als bei einer Neueinstellung. Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI soll allein Unsicherheiten über die zukünftige Leistungsfähigkeit des Rentners ausgleichen. Somit haben weiterarbeitende Rentner gegenüber jüngeren Arbeitnehmern den Vorteil, dass sie bekannt und bereits eingearbeitet sind und deutlich erleichtert befristet werden können. Diese Diskrepanz könnte sich 124 Vgl. die Argumentation des EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 29) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 45) = NZA 2011, S. 29 (Rn. 45) – Georgiev; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 43 ff.) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 43 ff.) – Rosenbladt. 125 Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 37 – 40; Giesen, ZfA 2014, S. 217 (233); OECD, Alter und Beschäftigungspolitik, Deutschland, 2005, S. 12, 48, 173; Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 52 f. 126 Vgl. zur Abgabenprivilegierung bei Mini-Jobs Waltermann, NJW 2013, S. 118 (120 f.); ders., JZ 2012, S. 553 (555 f.). 127 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345); zur vergleichbaren Problemstellung bei Minijobs ders., NJW 2013, S. 118 ff.; ders., JZ 2012, S. 553 (555 f.).
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
durch die im Koalitionsvertrag vorgesehenen weiteren Beschränkungen der sachgrundlosen Befristung weiter verschärfen.128
IV. Rentensystem Eine verlängerte Berufstätigkeit im Rentenalter kann die demografischen Probleme eines umlagefinanzierten Rentensystems sowie die Problematik geringer Altersrenten bei nicht kontinuierlichen Erwerbsbiografien abschwächen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, eine Vollrente wegen Alters in Anspruch zu nehmen und wird hierdurch selbst rentenversicherungsbeitragsfrei (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI). Der Arbeitgeber zahlt jedoch weiterhin die hälftigen Beiträge in die Rentenversicherung von derzeit 18,7 Prozent (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).129 Diese Beiträge erhöhten den Rentenanspruch des weiterarbeitenden Rentners lange Zeit nicht. Seit Inkrafttreten des Flexirentengesetzes zum 1. 1. 2017 kann ein Arbeitnehmer, der eine Regelaltersrente bezieht, gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 – 4 SGB VI auf seine Versicherungsfreiheit verzichten, freiwillig Rentenbeiträge zahlen und seine Rentenansprüche erhöhen (§ 66 Abs. 3a SGB VI). Alternativ kann der Arbeitnehmer den Bezug seiner Altersrente hinausschieben, weiter Rentenversicherungsbeiträge zahlen und damit den Rentenanspruch langfristig erhöhen.130 Arbeitnehmer mit geringen Altersrenten können den Rentenbezug daher zurückstellen oder auf die Versicherungsfreiheit verzichten, um das Rentenniveau langfristig zu erhöhen. Für das Beitragsaufkommen der Rentenversicherung sind auch die isolierten Arbeitgeberbeiträge und die gegebenenfalls freiwillig entrichteten Beiträge der Arbeitnehmer relevant. So wurde im Jahr 2016 für etwa 211.500 versicherungsfreie Arbeitnehmer ein isolierter Arbeitgeberanteil gezahlt.131 Im gleichen Jahr nahmen jedoch nur 8.800 Weiterarbeitende keine Altersrente in Anspruch.132 Dies zeigt, dass eine verzögerte Inanspruchnahme der Altersrente nur in Ausnahmefällen erfolgt.
128 Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, 7. 2. 2018, S. 52 Nr. 2336 ff. sieht eine Begrenzung sachgrundloser Befristungen auf 18 Monate bei höchstens einmaliger Verlängerung und eine maximale Befristungsquote von 2,5 Prozent für Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten vor; vgl. Arnold/Romero, NZA 2018, S. 329 f. 129 Rolfs, NZS 2017, S. 164 (168). 130 Vgl. Kapitel 2 B.IV.3.c)bb). 131 DRV, Versichertenbericht 2018, S. 49. 132 DRV, Versichertenbericht 2018, S. 49.
D. Folgenbewertung
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D. Folgenbewertung Im dritten Schritt werden die aus ökonomischer Sicht zu erwartenden Chancen und Risiken der Befristungsregelung analysiert und bewertet.
I. Förderung der Weiterbeschäftigung im Rentenalter Der Gesetzgeber scheint im Wesentlichen davon auszugehen, dass die Frage der Weiterarbeit im Rentenalter eine Frage des Bestandsschutzes ist. § 41 S. 3 SGB VI fördert die Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer somit durch eine rechtliche Erleichterung im Befristungsrecht. Aus diesem Grund wird vertreten, die Befristungsvorschrift sei für Arbeitnehmer im Rentenalter vorteilhaft, da sie befristet weiterarbeiten können anstatt aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden.133 Der Vorteil von Arbeitnehmern im Rentenalter resultiert dabei aus der angenommenen Reflexwirkung des abgesenkten Bestandsschutzes. Hierdurch sollen die negative Wirkung von Schutzvorschriften zugunsten älterer Arbeitnehmer aufgehoben und die Beendigungskosten gesenkt werden. Bislang war es angesichts der erheblichen Unsicherheit über die Vereinbarkeit der Norm mit dem Unionsrecht zweifelhaft, ob § 41 S. 3 SGB VI die Kosten der Beendigung von Arbeitsverhältnissen senkte oder die Rechtsverfolgungskosten erhöhte. Dies dürfte sich angesichts der klarstellenden Entscheidung des EuGH in der Rechtssache John jedoch ändern. Insgesamt ist positiv zu berücksichtigen, dass der Anteil weiterarbeitender Arbeitnehmer im Rentenalter seit 2014 kontinuierlich zunahm. Gleichzeitig ist der direkte Kausalzusammenhang zwischen der Befristungsmöglichkeit und dem Anstieg der Weiterarbeit im Rentenalter fraglich. Zur abschließenden Ermittlung der Beschäftigungsfolgen wäre eine langfristige Evaluation erforderlich, um z. B. konjunkturelle Einflüsse auszuschließen. Die längere Berufstätigkeit im Rentenalter hängt auch von der Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer ab. Diese wird durch die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit im Rentenalter nicht allein gefördert. Zudem könnten Anreize gegen den Erhalt der eigenen Arbeitsfähigkeit gesetzt werden, da sich nach Erreichen des Rentenalters das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen umdrehen wird. Für weiterarbeitende Arbeit133 Unter Verweis auf die Abschwächung der Altersgrenze EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 42 ff.; 54 f.) – John; Greiner, RdA 2018, 250 (251); Klösel/ Reitz, NZA 2014, S. 1366 (1368 f.); Poguntke, NZA 2014, S. 1372 (1374); Stoffels, in: FS Müller-Graff, S. 347 (353).
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Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
nehmer sind damit nur zeitlich unbegrenzte Befristungsketten zu erwarten. Der arbeitsrechtliche Rechtsrahmen beeinflusst somit die vertraglichen Gestaltungen im Einzelfall.134 Ferner können infolge der fehlenden zeitlichen Einschränkung auch sehr kurze Befristungen vereinbart werden. Eine bereits bestehende prekäre Beschäftigungssituation könnte sich durch abgesenkte Schutzvorschriften im Rentenalter daher langfristig weiter verstärken.135 Aus diesen Gründen können langfristige Anreize für die Weiterbeschäftigung und die Weiterarbeit im Rentenalter nur durch ein umfassendes gesetzgeberisches Regelungskonzept geschaffen werden. Neben Fragen des Bestandsschutzes sind auch andere Maßnahmen, wie die Förderung der langfristigen Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen relevant.136 Die bislang geltenden Regelungsgrundlagen erreichten das Ziel, die Weiterarbeit im Rentenalter zu fördern, somit nur zum Teil.
II. Transparenz und Rechtssicherheit Transparenz und Rechtssicherheit sind in ökonomischer Hinsicht maßgeblich, da sich anderenfalls die Rechtsverfolgungskosten für beide Parteien erhöhen. Das Ziel der Rechtssicherheit steht auch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel der Beschäftigungsförderung. Da eine unwirksame Befristung gemäß § 16 S. 1 TzBfG zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis führt, kann die Rechtsunsicherheit über die Voraussetzungen einer Befristung, Arbeitgeber von der Weiterbeschäftigung abhalten. Im Hinblick auf das Kriterium der Transparenz überzeugt die systematische Zuordnung von § 41 S. 3 SGB VI zum Rentenversicherungsrecht kaum, da es sich primär um eine arbeitsrechtliche Befristungsvorschrift handelt.137 Bei Beurteilung der Rechtssicherheit sind auch die verbleibenden Auslegungsfragen zu berücksichtigen. So überrascht die Verwendung des umgangssprachlichen Begriffs „hinausschieben“ im Wortlaut von § 41 S. 3 SGB VI. Diese Formulierung findet sich im Befristungsrecht ansonsten nicht.138 Der Wortlaut erweckt ferner den Anschein, es handele sich um die Möglichkeit, ein auf die Altersgrenze befristetes Arbeitsverhältnis flexibel zu verlängern. Tatsächlich wird jedoch die
134 Vgl. Waltermann, JZ 2012, S. 553 (556) zu ähnlichen Effekten der Abgabenprivilegierung bei „Minijobs“. 135 Vgl. Jahn, Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes, S. 220. 136 Vgl. hierzu Boecken, Verhandlungen des 62. DJT 2008, Bd. I, B152 ff. 137 Vgl. Greiner, RdA 2018, S. 65 (66). 138 Preis, Vortrag auf dem Symposion Nachhaltiges Arbeits- und Sozialrecht in der alternden Gesellschaft in Japan und Deutschland, 17. 2. 2017.
D. Folgenbewertung
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Möglichkeit geschaffen, ein zweites befristetes Arbeitsverhältnis nach Erreichen der Regelaltersgrenze anzuschließen. Zudem stellt sich bei der Rechtsanwendung die Frage, ob die Bedingungen des Arbeitsvertrags mit der Vereinbarung der Weiterbeschäftigung geändert werden können. Angesichts der bekannten Problematik in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG verwundert es, dass der Gesetzgeber eine ebenso missverständliche Formulierung verwendete. Eine gesetzgeberische Evaluation des geltenden Befristungsrechts mit bestehenden Auslegungsproblemen hätte Zweifel bei der Anwendung der Norm ausschließen können. Die Unbestimmtheit schränkt die praktische Anwendbarkeit der Norm erheblich ein und veranlasst die Vertragsparteien zu alternativen Gestaltungen. Die Unsicherheit über die Vereinbarkeit der Norm mit dem Unionsrecht besteht seit der John-Entscheidung des EuGH nicht mehr. Es wäre jedoch möglich, dass die nationalen Gerichte weitergehende Begrenzungen im Einzelfall vornehmen. Dies kann ebenfalls Rechtsunsicherheit verursachen, die durch den Gesetzgeber hätte vermieden werden können, wenn auch für die befristete Weiterbeschäftigung eine zeitliche Maximalgrenze oder eine sachliche Einschränkung erfolgt wäre. Aufgrund der genannten Erwägungen wurden die Ziele der Rechtssicherheit und der Transparenz noch nicht vollständig erreicht. Dies überrascht, da § 41 S. 3 SGB VI durch den Gesetzgeber eingeführt wurde, um eine rechtssichere Weiterbeschäftigung im Rentenalter zu ermöglichen.139
III. Vermeidung von Gegentendenzen Ferner ist zu evaluieren, inwieweit die Norm geeignet ist, unerwünschte Gegentendenzen für andere Arbeitnehmergruppen zu vermeiden. Wie sich die verlängerte Berufstätigkeit Älterer auf die Einstiegschancen jüngerer Arbeitnehmer auswirkt, ist umstritten. Es besteht jedoch das Risiko, dass auf der Grundlage der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit im Rentenalter ein Beschäftigungsbedarf ohne langfristige Bindung abgedeckt wird, anstatt neue unbefristete Arbeitsverhältnisse mit jüngeren Arbeitnehmern abzuschließen. Dies sind erhebliche Fehlanreize angesichts der Tatsache, dass die befristete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ebenso wie Altersgrenzen auch dem Ziel dient, Arbeitsplätze für jüngere Arbeitnehmer frei werden zu lassen.140 In ökonomischer Hinsicht erfolgte mit Einführung des § 41 S. 3 SGB VI daher noch keine vollständige und nach139
BT-Drs. 18/1489, S. 25. zu Altersgrenzen EuGH, Urt. v. 5. 7. 2012 – C-141/11, NZA 2012, S. 785 (Rn. 29) – Hörnfeldt; EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – C-250/09 u. a., Slg. 2011, I-11869 (Rn. 45) 140 Vgl.
278
Kap. 6: Ökonomische Folgenbewertung
haltige Ausgestaltung des Arbeitsrechts für Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters mit Blick auf die verschiedenen Generationen der Erwerbstätigen.
IV. Rentensystem Im Hinblick auf die ökonomischen Folgen der Regelung für das Rentensystem ist es vorzugswürdig, dass der isolierte Arbeitgeberanteil für die Rentenversicherung beibehalten wurde. Die Aufhebung des isolierten Arbeitgeberanteils hätte zur Folge, dass sich die Kosten für die Beschäftigung von Rentnern um etwa neun Prozent reduzierten.141 Dies begründet einen erheblichen wirtschaftlichen Fehlanreiz für die Weiterbeschäftigung. Dieser könnte dadurch verstärkt werden, dass Rentner als Hinzuverdienende flexibler bezüglich der Höhe der Bezahlung sind.142 Die Option, den Rentenbezug hinauszuschieben oder auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten, um spätere Rentenansprüche zu erhöhen, ermöglicht auch präferenzorientierte Entscheidungen. Hierdurch erlangen auch die zu einer Altersrente hinzuverdienenden Rentner die Chance, ihren Rentenanspruch langfristig zu erhöhen. Damit ist die sozialrechtliche Ausgestaltung der Weiterarbeit geeignet, die Einnahmen der Rentenversicherung zu steigern und die individuellen Rentenansprüche zu erhöhen. Jedoch relativieren sich diese positiven Folgen von § 41 S. 3 SGB VI, da sie bei jeder Form der Weiterbeschäftigung eintreten. Die Zunahme der Weiterarbeit im Rentenalter erhöht die Beitragszahlungen insgesamt und trägt damit zur Lösung des Finanzierungsproblems der Rentenversicherung bei. In dieser Hinsicht fördert die derzeitige Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter auch das ökonomische Ziel, die Beiträge zur Renten- und Sozialversicherung zu stabilisieren.
E. Ergebnis Im Zentrum der Gesamtbewertung der Regelungsfolgen aus ökonomischer Sicht steht das Ziel der Effizienz. Dieses wird in der ökonomischen Folgenbewertung als optimales Kosten-Nutzen Verhältnis von Regelungen verstanden.
= NZA 2011, S. 29 (Rn. 45) – Georgiev; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-45/09, Slg. 2010, I-9391 (Rn. 43 ff.) = NZA 2010, S. 1167 (Rn. 43 ff.) – Rosenbladt. 141 Vgl. auch Kapitel 2 B.IV.3.c)aa). 142 Waltermann, RdA 2015, S. 343 (345).
E. Ergebnis
279
Das aus ökonomischer Perspektive angestrebte Effizienzziel wurde bei der Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter noch nicht vollständig erreicht. Anstatt einer umfassenden Regelung der Weiterarbeit im Rentenalter wird nur die lückenlose Weiterbeschäftigung rentenberechtigter Arbeitnehmer über einen abgesenkten Bestandsschutz gefördert. Die unbeschränkte Befristungsmöglichkeit nach § 41 S. 3 SGB VI soll die Kosten der Beschäftigung reduzieren und mithin ökonomische Anreize für die Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Rentenalters setzen. Die sachgrundlose Befristungsmöglichkeit schafft allein jedoch noch keine ausreichenden Anreize für eine verstärkte Beschäftigung im Rentenalter. Langfristig wäre ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, wie der Weiterbildung, einer altersgerechten Arbeitsplatzgestaltung und steuer- bzw. abgabenbezogener Anreize anzudenken.143 Zugleich stehen dem angestrebten beschäftigungspolitischen Nutzen der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit entsprechende Nachteile gegenüber. Zum einen können für den einzelnen Arbeitnehmer aufgrund von Rechtsunsicherheiten, z. B. im Hinblick auf die Änderung von Arbeitsbedingungen, zusätzliche Rechtsverfolgungs- und Rechtsdurchsetzungskosten anfallen, die den Kostenvorteil wieder reduzieren. Relevanter ist jedoch das gesamtgesellschaftliche Risiko, dass negative Beschäftigungsanreize gesetzt werden. Ältere Arbeitnehmer könnte die Aussicht auf fortgesetzte Kettenbefristungen im Rentenalter davon abhalten, sich im Hinblick auf eine längere Erwerbstätigkeit weiterzubilden. Gleichzeitig werden negative Anreize gegen die Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer gesetzt. Diese könnten im Wettbewerb mit rentenberechtigten Arbeitnehmern unterliegen, die ohne zeitliche Begrenzung sachgrundlos befristet werden können und dem Arbeitgeber nicht nur bekannt, sondern auch bereits eingearbeitet sind. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die untersuchte Regelung auch in ökonomischer Hinsicht verbessert werden könnte, um die verbleibenden Rechtsunsicherheiten zu beheben und mögliche Verdrängungseffekte gegenüber jüngeren Arbeitnehmern zu verhindern. Aus diesem Grund sollen auf Grundlage der erlangten Ergebnisse im folgenden Kapitel Ansätze für eine alternative Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter entwickelt werden.
143 Vgl. Schlachter, RdA 2004, S. 352 (356) m. w. N.; zu den nachteiligen Wirkungen steuerrechtlicher Gestaltungen für die Weiterarbeit Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 18.
Kapitel 7
Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
Wie die Ergebnisse der vorausgehenden Kapitel zeigen, bestehen im Hinblick auf § 41 S. 3 SGB VI verschiedene Auslegungsfragen. Zudem gerät die Vorschrift in Konflikt mit der Systematik des deutschen Befristungsrechts, solange keine differenzierenden Einschränkungen bestehen. Auch wenn die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache John die praktische Anwendbarkeit der Norm fördert, verbleibt die Frage nach einer alternativen, langfristigen und systemkonformen Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter unter Berücksichtigung der ökonomischen Ziele der Norm. Im Folgenden werden daher mögliche arbeitsrechtliche Gestaltungen betrachtet und verschiedene Reformansätze im Bestandsschutz vorgestellt. Es lassen sich zwei verschiedene Lösungsansätze unterscheiden. Eine „große Lösung“ beinhaltet die Anpassung des gesamten arbeitsrechtlichen Rechtsrahmens an die Weiterarbeit im Rentenalter. Weder das BGB, das TzBfG noch das KSchG nehmen die Belange der Weiterbeschäftigung bislang in den Blick. Für Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters müssen entsprechende Anpassungen vorgenommen werden, um den Besonderheiten der Weiterarbeit im Rentenalter Rechnung zu tragen und Fehlentwicklungen zu vermeiden. Zunächst werden in den Abschnitten A. und B. Lösungsansätze einer „großen Lösung“ erarbeitet, die eine Anpassung des Kündigungsschutzrechts bzw. der vertraglichen Altersgrenzen beinhalten. In Abschnitt C. wird eine „kleine Lösung“ vorgestellt, die an die gegenwärtige Regelung im Befristungsrecht angeknüpft. Dies entspricht dem Ansatz des Gesetzgebers bei Einführung von § 41 S. 3 SGB VI. Somit würden sich umfangreiche Modifikationen in anderen Regelungsfeldern erübrigen.
A. Kündigungsschutzrecht Das Kündigungsschutzgesetz findet unabhängig vom Alter des Arbeitnehmers Anwendung, wenn der persönliche und sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Im Kündigungsschutzrecht gibt es, bis auf § 10 Abs. 2 S. 2 KSchG,1 keine Spezialregelungen für Arbeitnehmer im Rentneralter. 1 Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 286.
A. Kündigungsschutzrecht
281
Aufgrund der in Kapitel 1 dargestellten besonderen Interessenlage bei der Weiterarbeit entsteht daher für Arbeitnehmer im Rentenalter ein Anpassungsbedarf.
I. Tarifliche Unkündbarkeit Anpassungsfragen stellen sich zunächst in Bezug auf Tarifregelungen, welche die ordentliche Kündigung älterer Arbeitnehmer ganz oder teilweise ausschließen. Eine Einschränkung der Kündigungsmöglichkeit sieht z. B. § 34 Abs. 2 TVöD für Beschäftigte über 40 Lebensjahren nach 15 Jahren Beschäftigungszeit vor; andere Tarifverträge regeln bereits ab dem 53. Lebensjahr und dreijähriger Betriebszugehörigkeit eine Unkündbarkeit.2 Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags fallen, können folglich nur außerordentlich gekündigt werden. Weiterarbeitende Arbeitnehmer erfüllen die zeitlichen Voraussetzungen eines entsprechenden Tarifvertrags entweder bei Erreichen des Rentenalters oder spätestens nach einer gewissen Dauer der Weiterarbeit. Auch bei kurzzeitigen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses vor der Weiterbeschäftigung läuft die maßgebliche Beschäftigungszeit weiter.3 Ausdrückliche Ausnahmen für weiterbeschäftigte Rentner enthalten nur wenige Tarifverträge, wie z. B. die Manteltarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Bayerns (§ 8 Abs. 3 S. 2) und Sachsens (§ 24 Nr. 4).4 Eine explizite zeitliche Begrenzung der Unkündbarkeit ist jedoch selten, da es sich bei der Weiterarbeit im Rentenalter um ein relativ neues Phänomen handelt.5 1. Problemstellung Auch im Rentenalter wären ordentlich unkündbare Arbeitnehmer damit erheblich stärker geschützt als jüngere Arbeitnehmer und gleichzeitig durch einen Anspruch auf eine Altersrente abgesichert.
2 Vgl. § 4.4 MTV der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden; kritisch Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 98 f.; zu weiteren Beispielen vgl. Bertelsmann Stiftung/BDA (Hrsg.), Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer, S. 59 f. 3 Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2759); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 300. 4 Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (88); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 905. 5 Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 301.
282
Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
2. Reformansätze Um diesen Widerspruch aufzulösen, könnten die Klauseln der Tarifverträge als auf das Rentenalter befristet ausgelegt werden.6 Hierfür spricht, dass Sinn und Zweck der Unkündbarkeit die Alterssicherung älterer Arbeitnehmer ist.7 Dieser Zweck entfällt, sobald der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Regelaltersrente hat. Zudem liegt den entsprechenden Klauseln die Annahme zugrunde, dass der Arbeitgeber nur bis zum Erreichen des Rentenalters in der Kündigungsmöglichkeit eingeschränkt wird. Bei einer unbefristeten Weiterarbeit im Rentenalter verlängert sich der Kündigungsausschluss auf unbestimmte Zeit. Das weitergeführte Vertragsverhältnis könnte nicht an die abfallende Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder einen geänderten Beschäftigungsbedarf angepasst oder beendet werden.8 Dass die Tarifvertragsparteien eine entsprechend weitgehende Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit beabsichtigten, die zulasten jüngerer Beschäftigter geht, ist unwahrscheinlich. Zudem steht die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers in Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und darf nicht unverhältnismäßig beschränkt werden.9 Bei der gerichtlichen Auslegung einer entsprechenden Vorschrift wären daher die grundrechtlich geschützten Positionen im Wege praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen. Diese Aspekte würden die einschränkende Auslegung der Unkündbarkeitsregelung rechtfertigen. Alternativ wird vorgeschlagen, außerordentliche Kündigungen unter Beachtung einer sozialen Auslauffrist zuzulassen.10 Dies führt jedoch zu der Problematik, dass die Grenzen zwischen ordentlichen und außerordentlichen Kündigungen verschwimmen.11 Zudem bestehen bei außerordentlichen Kündigungen aufgrund einer alters- oder krankheitsbedingten Leistungsminderung hohe Anforderungen.12 Auch außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen sind nur im Ausnahmefall begründbar.13 Daher ist neben einer ausdrücklichen Anpassung eine 6 Vgl. Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2759 f.); Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (94); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialpolitischen Aspekten, S. 301; Waltermann, in: GS Blomeyer, S. 495 (515); ders., NZA 1994, S. 822 (829); a. A. Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (70 f.). 7 BAG, Urt. v. 12. 7. 1995 – 2 AZR 762/94, NZA 1995, S. 1100 (1101). 8 Boecken, Verhandlungen des 62. DJT 1998, Bd. I, B 151 f. 9 Grds. APS/Preis, Grundlagen Teil A, Rn. 29 ff., Grundlagen Teil G, Rn. 2; Maunz/ Dürig/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 59, 439. 10 So Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2760); zur außerordentlichen Kündigung bei tariflicher Unkündbarkeit BAG, Urt. v. 9. 9. 1992 – 2 AZR 190/92, NZA 1993, S. 598 ff. 11 Preis, Arbeitsrecht, Rn. 3139. 12 BAG, Urt. v. 12. 7. 1995 – 2 AZR 762/94, NZA 1995, S. 1100 (1101); Greiner, RdA 2007, S. 22 (24). 13 BAG, Urt. v. 10. 5. 2007 – 2 AZR 626/05, NZA 2007, S. 1278 (Rn. 25).
A. Kündigungsschutzrecht
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einschränkende Auslegung der Tarifverträge dahingehend vorzugswürdig, dass die Unkündbarkeit mit Erreichen des Rentenalters endet.
II. Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer Weitere Fragen stellen sich im Hinblick auf den Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer, der die ordentliche Kündigung von der Zustimmung des Integrationsamts abhängig macht (§ 168 SGB IX).14 Ferner muss die Schwerbehindertenvertretung vor der Kündigung beteiligt werden (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX).15 Dieser Schutz dient vorwiegend dem Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen und soll verhindern, dass sich Arbeitgeber der sozialen Verpflichtung durch Kündigung entziehen.16 1. Problemstellung Die Zunahme chronischer Krankheiten im Alter könnte die Zahl schwerbehinderter älterer Arbeitnehmer und damit die Anforderungen an die Kündigung signifikant erhöhen.17 Erkrankungen, welche die Teilhabe am Berufsleben einschränken, könnten zur Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 152 Abs. 1 S. 1 SGB IX führen.18 Gleichzeitig ist die soziale Verantwortung des Arbeitgebers zumindest dann herabgesetzt, wenn rentenberechtigte Arbeitnehmer durch eine Altersrente abgesichert sind. Es kann auch kaum davon gesprochen werden, dass sich der Arbeitgeber einer sozialen Verantwortung entzieht, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft erst nach Erreichen des Rentenalters festgestellt wird. Zuletzt müssen keine Wettbewerbsnachteile ausgeglichen werden, wenn der Arbeitnehmer keine weitere Berufstätigkeit anstrebt, sondern direkt in den Ruhestand eintritt. Damit finden die Gründe für den Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters nur abgeschwächt Anwendung.
14
Bis zum 31. 12. 2017 § 85 SGB IX. Bis zum 31. 12. 2017 § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX. 16 APS/Vossen, § 85 SGB IX, Rn. 2; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 2. 7. 1992 – 5 C 31/91, NZA 1993, S. 123 (125); BAG, Urt. v. 16. 2. 2012 – 6 AZR 553/10, NZA 2012, S. 555 (Rn. 21). 17 Vgl. Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (88); Waltermann, ZfA 2017, S. 445 (459). 18 Bis zum 31. 12. 2017 § 69 SGB IX; EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-335/11, NZA 2013, 553 (Rn. 41) – Ring; EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006 – C-13/05, NZA 2006, 839 (Rn. 43) – Chacón Navas; zur symptomlosen HIV Infektion BAG, Urt. v. 19. 12. 2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 (Rn. 57 ff.). 15
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
2. Reformansätze Es stellt sich daher die Frage, ob der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer auf das Erreichen der Regelaltersgrenze befristet werden kann. Ähnlich wie in § 173 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX19 könnte eine Ausnahme vom Zustimmungserfordernis des Integrationsamts vorgesehen werden. Die Vorschrift regelt bislang, dass eine Ausnahme vom Zustimmungserfordernis besteht, wenn der Arbeitnehmer über 58 Jahre alt ist, einen Anspruch auf eine Abfindung hat und der Kündigung nicht widerspricht.20 Die Vorschrift wird überwiegend nicht als altersdiskriminierend angesehen, weil die europäische Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie keinen zwingenden Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer vorsieht.21 Zudem ist der gekündigte Arbeitnehmer durch die Abfindung finanziell abgesichert. Eine Kündigung im Rentenalter ist, sofern der gekündigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung einer Altersrente hat, mit der Kündigung nach Zahlung einer Abfindung wertungsmäßig vergleichbar. Allerdings setzt § 173 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX eine einvernehmliche Kündigung voraus. Die Interessen der Vertragsparteien bei der Weiterarbeit im Rentenalter könnten es jedoch rechtfertigen, nach Erreichen des Rentenalters von einem Zustimmungserfordernis abzusehen. Hierfür könnte weiterhin sprechen, dass die Schutzzwecke des Sonderkündigungsschutzes bei rentenberechtigten Arbeitnehmern nur abgeschwächt gelten.
III. Anwendungsbereich des KSchG Weitere Fragen stellen sich im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes für Arbeitnehmer im Rentenalter. 1. Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs Teilweise wird vorgeschlagen, ältere Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzrechts herauszunehmen.22 In diesem Fall bestünde nur ein Mindestkündigungsschutz nach §§ 138 Abs. 1, 242 BGB und durch Kündigungsfristen gemäß § 622 Abs. 2 19
Bis zum 31. 12. 2017 § 90 SGB IX. BT-Drs. 10/3138, S. 21. 21 Vgl. ErfK/Rolfs, § 173 SGB IX, Rn. 3; a. A. Bertelsmann, ZESAR 2005, 242 (249); Däubler/Bertzbach/Däubler, § 10 AGG, Rn. 63. 22 Zu weitgehend ist der Vorschlag einer Herausnahme älterer Arbeitnehmer aus dem Kündigungsschutz ab dem 56. Lebensjahr vgl. Bauer, NZA 2002, S. 529 (531) oder ab dem 52. Lebensjahr bei Neueinstellungen Bauer, NZA 2003, S. 366 (367). 20
A. Kündigungsschutzrecht
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BGB.23 Die Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzrechts müsste jedoch auch mit höherrangigem Recht vereinbar sein. a) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG Eine zeitliche Begrenzung des Kündigungsschutzes auf das Erreichen des Rentenalters verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da der verfassungsrechtlich vorausgesetzte Mindestbestandsschutz weiterhin besteht.24 Vor treu- und sittenwidrigen Kündigungen sind ältere Arbeitnehmer weiterhin durch §§ 138 Abs. 1, 242 BGB geschützt. Auch bietet sich ein Erst-Recht-Schluss im Vergleich zu Altersgrenzen an. Wenn die pauschale Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Befristung mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist, muss es erst recht zulässig sein, die spätere und einzelfallbezogene Beendigung von der Einhaltung des Mindestbestandsschutzes abhängig zu machen. Dies ist eine zeitliche und inhaltliche Abschwächung im Vergleich zur Beendigung des Arbeitsvertrags durch eine Altersgrenze. Die Kündigung erfolgt zeitlich zu einem späteren Zeitpunkt, da mindestens die Kündigungsfrist eingehalten werden muss. Auch müssen bei der späteren Kündigung die Vorgaben des Mindestkündigungsschutzes beachtet werden. Anders als bei der Befristung im Rentenalter wird bei einer zeitlichen Begrenzung des KSchG auch ein bestehendes Arbeitsverhältnis ununterbrochen weitergeführt, so dass der Erst-Recht-Schluss anwendbar ist. b) Vereinbarkeit mit der RL 2000/78/EG Der Ausschluss rentenberechtigter Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzrechts wäre jedoch nicht mit dem unionsrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung in der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar. Die Benachteiligung älterer Arbeitnehmer ist nicht nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wären ebenso wie bei der sachgrundlosen Befristung nach Erreichen des Rentenalters die strengen Grundsätze der Mangold-Entscheidung maßgeblich.25 Hierbei ist problematisch, dass allein an das Rentenalter und nicht an die Arbeitsmarktlage oder die persönliche Situation des Arbeitnehmers angeknüpft wird. Das sozialpolitische Ziel der Arbeitsteilung zwischen Generationen wird zudem bereits durch allgemeine vertragliche Altersgrenzen verwirklicht, so dass ein Kündigungsausschluss nicht erforderlich ist. 23 Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (83) schlagen eine Verlängerung der Kündigungsfristen vor. 24 Vgl. zur Kleinbetriebsklausel BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, S. 169 (176) = NJW 1998, S. 1475 (1476). 25 EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Rn. 65) = NZA 2005, S. 1345 (Rn. 65) – Mangold.
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
2. Absenkung des Kündigungsschutzes anstelle allgemeiner Altersgrenzen Eine Anpassung des Kündigungsschutzrechts könnte jedoch bei einem Verbot vertraglicher Altersgrenzen angedacht werden. In diesem Sinn hält Preis es in seinem Gutachten zum 67. Deutschen Juristentag für möglich, eine Absenkung des Kündigungsschutzes anstelle allgemeiner Altersgrenzen vorzusehen und von einem Anspruch auf eine angemessene Altersrente abhängig zu machen.26 Die Argumente für die diskriminierungsrechtliche Zulässigkeit allgemeiner Altersgrenzen wären dann auf die Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes übertragbar, so dass kein Verstoß gegen die RL 2000/78/EG vorläge. 3. Bewertung Eine Begrenzung des Kündigungsschutzes des KSchG anstelle allgemeiner Altersgrenzen trägt dem Umstand Rechnung, dass Altersgrenzen sowie die anschließende sachgrundlose Befristungsmöglichkeit nach § 41 S. 3 SGB VI im Wesentlichen dem Ausgleich des strengen Kündigungsschutzrechts für ältere Arbeitnehmer dienen. Im Gegensatz zu den derzeit regelmäßig vereinbarten Altersgrenzen auf das Erreichen der Regelaltersgrenze wären die Arbeitnehmer durch Kündigungsfristen und den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz geschützt. Gleichzeitig ist auch eine Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand zu erwarten, da der Kündigungszeitpunkt an ein eventuelles betriebliches Bedürfnis der Weiterarbeit angepasst werden könnte. Es bestünde jedoch auch weiterhin kein bedingter Anspruch auf eine Weiterarbeit im Rentenalter. Nach Preis müsste die Begrenzung des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzrechts auch von einer existenzsichernden Altersrente abhängig sein. Diese Lösung hat den Vorteil, dass eine ausreichende Absicherung der Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall eine Voraussetzung für die Begrenzung des Kündigungsschutzes ist. Bei der Feststellung, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine existenzsichernde Altersrente hat, können jedoch gleichzeitig auch Rechtsunsicherheiten entstehen. Dies gilt insbesondere, wenn Arbeitnehmer im Laufe des Berufslebens mehrfach den Arbeitsplatz wechseln. In diesem Fall müssten zunächst die erworbenen Rentenansprüche offengelegt und überprüft werden, damit Klarheit über die Geltung des Kündigungsschutzrechts besteht. Dieser Aufwand könnte von der Einstellung rentennaher Arbeitnehmer abhalten.
26
Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 90.
A. Kündigungsschutzrecht
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4. Zwischenergebnis Aus diesen Gründen wäre die Herausnahme rentenberechtigter Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzrechts anstelle allgemeiner Altersgrenzen ein möglicher alternativer Ansatz, der im Rahmen der Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter angedacht werden könnte. Zumindest wäre der Beendigungsschutz für Arbeitnehmer, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterarbeiten, durch geltende Kündigungsfristen und einen Mindestkündigungsschutz im Vergleich zur derzeit geltenden Rechtslage erhöht. Die Begrenzung des Kündigungsschutzes könnte vom Bestehen eines existenzsichernden Rentenanspruchs, abhängig gemacht werden. Jedoch bestünde auch nach dieser Lösung für Arbeitnehmer mit einem ausreichenden Rentenanspruch weiterhin kein bedingter Anspruch auf eine Weiterarbeit im Rentenalter.
IV. Kündigungsgründe Für den Fall, dass keine Herausnahme rentenberechtigter Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzrechts erfolgt, stellen sich weitere Anpassungsfragen zu den Kündigungsgründen in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Nur bei verhaltensbedingten Kündigungen bestehen im Rentenalter keine Besonderheiten, da diese an ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers anknüpfen.27 Die Kündigung erfolgt mithin unabhängig von altersspezifischen Entwicklungen. Anpassungen können jedoch bei personen- oder betriebsbedingten Kündigungen erforderlich werden. 1. Personenbedingte Kündigung Eine personenbedingte Kündigung kann ausgesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung für die Arbeitsleistung nicht mehr besitzt.28 a) Krankheit Ein Unterfall der personenbedingten Kündigung ist die Kündigung wegen Krankheit. Eine Krankheit wird definiert als regelwidriger Zustand, der nach „allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufes 27 ErfK/Oetker,
§ 1 KSchG, Rn. 188. Urt. v. 10. 4. 2014 – 2 AZR 812/12, NZA 2014, S. 653 (Rn. 26); BAG, Urt. v. 20. 6. 2013 – 2 AZR 583/12, NZA 2013, S. 1345 (Rn. 14); BAG, Urt. v. 18. 1. 2007 – 2 AZR 731/05, NZA 2007, S. 680 (Rn. 15); ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 98 f. 28 BAG,
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
des Lebensganges nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters oder Geschlechts zu erwarten ist“.29 Nicht als Krankheit gilt hingegen das Nachlassen der Leistungsfähigkeit im fortgeschrittenen Lebensalter.30 aa) Anforderungen an die Kündigung An eine Kündigung wegen Krankheit werden von der Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt. Zunächst müssen lange Fehlzeiten des Arbeitnehmers vorliegen, welche betriebliche oder wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers erheblich beinträchtigen.31 Weiterhin muss eine Negativprognose dahingehend bestehen, dass von weiteren Erkrankungen von vergleichbarer Dauer ausgegangen wird.32 Zudem sind mildere Mittel des Arbeitgebers, wie die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX33 oder die Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz, zu prüfen.34 Zuletzt werden die Interessen beider Vertragsparteien umfassend abgewogen. Insbesondere wird geprüft, wie lange das Arbeitsverhältnis störungsfrei bestanden hat, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers vorliegt und welche sozialen Kriterien der Arbeitnehmer aufweist.35 bb) Bezug zu Arbeitnehmern im Rentenalter Mit höherem Lebensalter steigt die Gefahr längerer oder häufiger Erkrankungen, so dass sich die Frage nach den Voraussetzungen der personenbedingten Kündigung wegen Krankheit besonders auch bei der Weiterarbeit im Rentenalter stellt.36 Die Voraussetzungen der personenbedingten Kündigung wegen Krankheit erhöhen sich bei älteren Arbeitnehmern, da der Arbeitgeber krankheitsbedingte Ausfälle häufiger in Kauf nehmen muss.37 Daneben können auch mildere 29
Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 76. BAG, Urt. v. 7. 12. 2005 – 5 AZR 228/05, AP Nr. 1 zu TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa (II.1.b. der Gründe); Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 190. 31 SPV/Preis, Rn. 1248. 32 BAG, Urt. v. 17. 6. 1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, S. 1328 (1329 f.). 33 Bis zum 31. 12. 2017 § 84 SGB IX. 34 BAG, Urt. v. 9. 4. 2014 – 10 AZR 637/13, NZA 2014, S. 719 (Rn. 25 ff.); MüKoBGB/Hergenröder, § 1 KSchG, Rn. 132; SPV/Preis, Rn. 1250 ff. 35 BAG, Urt. v. 8. 11. 2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, S. 593 (Rn. 16); APS/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 173. 36 Zur Korrelation der Zunahme von Krankheiten bei steigendem Lebensalter Saß/ Wurm/Ziese, in: Böhm/Tesch-Römer/Ziese (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit im Alter, S. 33 ff. 37 ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 151, 154; APS/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 179. 30
A. Kündigungsschutzrecht
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Mittel wie die Versetzung auf einen leidens- oder altersgerechten Arbeitsplatz erforderlich werden.38 Im Rahmen der Interessenabwägung sind zudem nur solche Umstände relevant, die in unmittelbarer Beziehung zu dem Arbeitsverhältnis stehen.39 Die finanzielle Absicherung aufgrund einer Regelaltersrente wäre daher nicht zu berücksichtigen.40 Aus diesem Grund müsste der Arbeitgeber bei krankheitsbedingten Ausfällen des Arbeitnehmers, die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten werden, eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen oder entsprechende Lohnfortzahlungskosten nachweisen, damit diese im Vergleich zu den gestiegenen Bestandsschutzinteressen älterer Arbeitnehmer ins Gewicht fallen. cc) Zwischenergebnis Die hohen Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung führen dazu, dass im Voraus vereinbarte vertragliche Altersgrenzen die Funktion der Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund des erwarteten verschlechterten Gesundheitszustands von Arbeitnehmern nach Erreichen der Regelaltersgrenze übernehmen. Altersgrenzen finden jedoch unabhängig von einem tatsächlichen Leistungsabfall Anwendung. Dies ist ein Widerspruch angesichts der Tatsache, dass die Kündigung als Gestaltungsrecht der Anpassung von Dauerschuldverhältnissen an geänderte Umstände dient. Besonders nach Erreichen des Rentenalters stellt sich die Frage, ob die Anforderungen an krankheitsbedingte Kündigungen abgesenkt werden können.41 Bei jüngeren Arbeitnehmern muss der Arbeitgeber aus sozialen Gründen Lohnfortzahlungskosten in Kauf nehmen und mildere Mittel ergreifen, weil er nicht davon ausgehen kann, dass jeder Arbeitnehmer dauerhaft gesund und maximal leistungsfähig ist. Bei Arbeitnehmern im Rentenalter, die einer Erwerbstätigkeit krankheitsbedingt nicht oder nur eingeschränkt nachgehen können, ist jedoch nicht der Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, sondern der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung betroffen. Anders als bei jüngeren Arbeitnehmern handelt es sich bei einer längeren Arbeitsunfähigkeit im Rentenalter nicht um eine Zufallsbelastung, sondern um eine vorhersehbare gesundheitliche Entwicklung.42 Dieser Zusammenhang liegt auch vertraglichen Altersgrenzen zugrunde. Die Grenze der zumutbaren Belastung für den Arbeitgeber müsste daher nied38
LAG Hessen, Urt. v. 25. 1. 2010 – 16 Sa 389/09; APS/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 179. § 1 KSchG, Rn. 108. 40 Zu dem Kriterium Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (71). 41 So Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2759). 42 Vgl. Saß/Wurm/Ziese, in: Böhm/Tesch-Römer/Ziese (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit im Alter, S. 33 ff. 39 ErfK/Oetker,
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riger als bei jüngeren Arbeitnehmern liegen.43 Dies gilt insbesondere, weil die sozialen Versicherungen, die der Arbeitgeber mitfinanziert, den Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters primär vor Risiken durch Krankheit und Alter schützen. Die richterrechtlich entwickelten Grundsätze zu den Voraussetzungen krankheitsbedingter Kündigungen müssten für die Weiterbeschäftigung im Rentenalter angepasst werden. Bis zur Entwicklung einer gefestigten Rechtsprechung bestünde jedoch erhebliche Rechtsunsicherheit. Aus diesem Grund wäre eine gesetzgeberische Regelung vorzugswürdig, die das Maß des wirtschaftlich Zumutbaren für den Arbeitgeber im Rahmen der Weiterbeschäftigung im Rentenalter definiert. b) Nachlassende Leistungsfähigkeit Eine personenbedingte Kündigung kommt auch bei einer altersbedingten Leistungsminderung in Betracht, wenn keine diagnostizierbare Erkrankung vorliegt. aa) Anforderungen an die Kündigung Bei einer Kündigung wegen Leistungsminderung stellt sich zunächst die Frage, welche Leistung der Arbeitgeber einfordern kann. Sofern die geschuldete Arbeitsleistung nicht genau bestimmt ist, muss der Arbeitnehmer im Rahmen des subjektiven Leistungsmaßstabs seine individuelle Leistungsfähigkeit ausschöpfen.44 Ein altersbedingtes Nachlassen der Leistungsfähigkeit muss der Arbeitgeber üblicherweise hinnehmen.45 Dies folgt daraus, dass Einschränkungen des Austauschverhältnisses aus sozialen Gründen grundsätzlich zuzumuten sind.46 Die Grenze der Zumutbarkeit ist jedoch erreicht, wenn die dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende Leistungserwartung in erheblichem Maße unterschritten wird.47 Eine Kündigung kommt daher bei einem stärkeren quantitativen oder qualitativen Abfall der Leistungsfähigkeit im Vergleich zu einem durchschnittlichen Arbeitnehmer in Betracht, wenn hierdurch betriebliche Interessen beeinträchtigt
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Vgl. auch Preis, in: FS Stahlhacke, S. 417 (436). Rechtsprechung BAG, Urt. v. 21. 5. 1992 – 2 AZR 551/91, NJW 1993, S. 154 (155); BAG, Urt. v. 11. 12. 2003 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, S. 784 (786); BAG, Urt. v. 17. 1. 2008 – 2 AZR 536/06, NZA 2008, S. 693 (Rn. 15 ff.); KR/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 412 ff. 45 Däubler/Deinert/Zwanziger/Deinert, § 1 KSchG, Rn. 167, 209; MüKoBGB/Hergenröder, § 1 KSchG, Rn. 178. 46 Greiner, RdA 2007, 22 (27). 47 Greiner, RdA 2007, 22 (29). 44 Ständige
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werden.48 Kern der personenbedingten Kündigung wegen Leistungsminderung ist damit die Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung, das den Erwartungen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss zugrunde lag.49 bb) Leistungsmaßstab im Rentenalter Bei der Weiterbeschäftigung von Rentnern ist der subjektive Leistungsmaßstab problematisch. Auch wenn der Alterungsprozess grundsätzlich individuell verläuft, ist ein langfristiger altersbedingter Leistungsabfall voraussehbar. Es wird daher teilweise vorgeschlagen, nach Erreichen des Rentenalters zu einem objektiven Leistungsmaßstab zu wechseln.50 Damit ließe sich ein erhebliches Nachlassen der Leistungsfähigkeit im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses leichter feststellen. Ein objektiver Leistungsmaßstab ist vertragsrechtlich jedoch kaum zu begründen. Bei Abschluss eines Arbeitsvertrags wird im Rahmen der gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegenden Willenserklärungen ein subjektiver Leistungsmaßstab vereinbart. Dem widerspräche es, wenn die Erklärungen bei der Weiterbeschäftigung im Rentenalter ohne entsprechende Anhaltspunkte anders ausgelegt werden. Es kann bei lebensnaher Betrachtung nicht unterstellt werden, dass die Vertragsparteien einen geänderten Leistungsstandard vereinbaren wollten. Weiterhin stellen sich Folgeprobleme, wenn der Arbeitnehmer die aufgrund eines objektiven Leistungsmaßstabs geschuldete Leistung nicht erbringen kann. Demnach muss auch nach Erreichen des Rentenalters von einem subjektiven Leistungsbegriff ausgegangen werden. Das Problem der fehlenden Feststellbarkeit einer nachlassenden Leistungsfähigkeit kann zudem über die abgestufte Darlegungs- und Beweislast auf der Grundlage der BAG-Rechtsprechung gelöst werden.51 Legt der Arbeitgeber Umstände dar, die belegen, dass die Leistung eines Arbeitnehmers deutlich unter der Leistung vergleichbarer Arbeitnehmer bleibt, muss dieser darlegen, dass er seine subjektive Leistungsfähigkeit dennoch vollständig ausschöpft.52 48 Däubler/Deinert/Zwanziger/Deinert, § 1 KSchG, Rn. 209; MükoBGB/Hergenröder, § 1 KSchG, Rn. 178; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 190; v. Hoyningen-Huene/ Linck/Krause, § 1 Rn. 331, 449; SPV/Preis, Rn. 1271; APS/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 252. 49 BAG, Urt. v. 3. 6. 2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380 (1382); Greiner, RdA 2007, S. 22 (25). 50 Bayreuther, NJW 2012, S. 2758 (2759); Klösel/Reitz, NZA 2014, S. 1366 (1371 f.); Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 290. 51 Vgl. BAG, Urt. v. 17. 1. 2008 – 2 AZR 536/06, NZA 2008, 693 (Rn. 18 ff.); BAG, Urt. v. 11. 2. 2013 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784 (786). 52 Im Einzelnen BAG, Urt. v. 17. 1. 2008 – 2 AZR 536/06, NZA 2008, 693 (Rn. 18 ff.).
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cc) Bezugspunkt der personenbedingten Kündigung im Rentenalter Unterschreitet die subjektive Leistungsfähigkeit eines Rentners altersbedingt das objektiv zu Erwartende jedoch dauerhaft und erheblich, wäre es vorzugswürdig an die mit der Weiterbeschäftigung verbundenen Erwartungen anzuknüpfen, anstatt den Leistungsmaßstab anzupassen. Einer Vereinbarung zur Weiterarbeit im Rentenalter liegt die berechtigte Annahme beider Vertragsparteien zugrunde, dass ein Arbeitsverhältnis auf der Grundlage des bisherigen Leistungsniveaus unverändert fortgeführt wird. Diese Leistungserwartung ist der Ausgangspunkt dafür, welche Änderungen im Äquivalenzverhältnis der Arbeitgeber auf Basis der Geschäftsgrundlage hinzunehmen hat.53 Auch wenn das Kündigungsrecht im Vergleich zum Recht der Störung der Geschäftsgrundlage spezieller ist (§ 313 Abs. 3 S. 2 BGB),54 könnte der Rechtsgedanke von § 313 BGB übertragen werden. Die zugrundeliegende Erwartung der Vertragsparteien wird demnach enttäuscht, wenn die Leistungsfähigkeit des weiterbeschäftigten Rentners im Vergleich zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Weiterbeschäftigung signifikant abnimmt. In diesem Fall muss die personenbedingte Kündigung eine Anpassung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses ermöglichen, um die Äquivalenzstörung zu beheben.55 dd) Zwischenergebnis Dieser Ansatz könnte sachgerechte Lösungen bei personenbedingten Kündigungen ermöglichen. Die Grenze der Zumutbarkeit für die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses ist herabgesetzt, weil die sozialpolitischen Gesichtspunkte bei rentenberechtigten Arbeitnehmern nur eingeschränkt Anwendung finden.56 Dennoch verbleiben weitere Fragen, wie z. B. ob vorrangig mildere Maßnahmen, wie die Beschäftigung auf einem altersgerechten Arbeitsplatz, ergriffen werden müssen. Vorzugswürdig wäre daher ein grundlegendes gesetzgeberisches Konzept, welches das Maß des für den Arbeitgeber Zumutbaren im Rahmen der Weiterarbeit regelt. Diesbezüglich könnte auch eine Übertragung der Kosten für eine altersgerechte Beschäftigung auf Sozial- und Krankenversicherungsträger angedacht werden, um den Arbeitgeber von den wirtschaftlichen Nachteilen der Weiterbeschäftigung zu entlasten.
53 Grundlegend zum Gedanken des § 313 im Kündigungsrecht Greiner, RdA 2007, S. 22 (29 ff.). 54 Vgl. SPV/Preis, Rn. 59. 55 Vgl. Greiner, RdA 2007, S. 22 (29). 56 Vgl. zur krankheitsbedingten Kündigung Greiner, RdA 2007, S. 22 (27).
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c) Ergebnis Es würde einige Zeit vergehen, bis eine Anpassung der Anforderungen an die personenbedingte Kündigung von Arbeitnehmern im Rentenalter durch eine gefestigte Rechtsprechung oder im Wege der Gesetzesänderung erfolgt. Bis dahin verbleiben hohe Hürden für die Anpassung oder Beendigung eines weitergeführten Arbeitsverhältnisses aufgrund längerer Krankheit oder abfallender Leistungsfähigkeit. Diese eröffnen einen Spielraum für umfangreiche Abfindungsverhandlungen über das Ausscheiden des Arbeitnehmers nach Erreichen des Rentenalters.57 Nach gegenwärtiger Rechtslage ist die personenbedingte Kündigung daher kaum geeignet, Arbeitsverhältnisse nach Erreichen der Regelaltersgrenze anzupassen. 2. Betriebsbedingte Kündigung Des Weiteren soll die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Rentenalter untersucht werden. a) Anpassung der Altersstruktur Aufgrund der in Art. 12 Abs. 1 GG niedergelegten Unternehmerfreiheit kann der Arbeitgeber bei dringenden betrieblichen Erfordernissen, die zu einem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen, eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen.58 Teilweise wird vertreten, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG auch dann vorliegt, wenn die Kündigung eines Arbeitnehmers erfolgt, um eine ausgewogene Altersstruktur zu erreichen.59 Gegen diese Auslegung spricht jedoch, dass betriebliche Interessen grundsätzlich mit dem Unternehmenszweck in Zusammenhang stehen müssen: „Arbeitsmarkt-, beschäftigungs- oder sozialpolitisch motivierte Unternehmerentscheidungen stellen als solche wegen des fehlenden konkreten Bezuges zum Betrieb keine „dringenden betrieblichen Erfordernisse“ i. S. des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG dar […]. Als kündigungsschutzrechtlich relevante außerbetriebliche Umstände hat das BAG aber nur jeweils solche Faktoren anerkannt, die einen konkreten Bezug zu dem Betrieb des Arbeitgebers aufweisen.“60 Ein betriebliches 57
Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (94). Urt. v. 26. 9. 2002 – 2 AZR 636/01, NZA 2003, 549 (550); APS/Kiel, § 1 KSchG, Rn. 444. 59 Bauer/Lingemann, NZA 1993, 625 (626); v. Hoyningen-Huene/Linck/Krause, § 1 KSchG, Rn. 331; a. A. ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 154; SPV/Preis, Rn. 1235. 60 BAG, Urt. v. 13. 3. 1987 – 7 AZR 724/85, NZA 1987, S. 629 (632); vgl. auch Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 229. 58 BAG,
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Erfordernis für die Kündigung eines rentenberechtigten Arbeitnehmers zur Veränderung der Altersstruktur läge daher nur vor, wenn ein Zusammenhang zwischen der entsprechenden Altersstruktur und der unternehmerischen Tätigkeit besteht. Dies ist nur in Ausnahmefällen vorstellbar. Weiterhin ist es Zweck einer betriebsbedingten Kündigung, die Anzahl der Beschäftigten an den jeweiligen Personalbedarf anzupassen.61 Eine Kündigung, um eine bestimmte Altersstruktur zu erreichen, trägt keinem geänderten Beschäftigungsbedarf Rechnung. Dies gilt insbesondere, wenn der entsprechende Arbeitsplatz mit einem jüngeren Arbeitnehmer nachbesetzt werden soll. Somit ist die genannte Zielsetzung nicht als dringendes betriebliches Erfordernis i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG einzuordnen.62 Abgesehen von Ausnahmefällen ist die betriebsbedingte Kündigung somit kein geeignetes Instrument, um die Altersstruktur des jeweiligen Unternehmens anzupassen. b) Berücksichtigung des Rentenanspruchs Daneben stellt sich die Frage, wie sich das Erreichen des Rentenalters im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG auswirkt. Dies war im Schrifttum und der Rechtsprechung lange Zeit umstritten.63 In der Literatur und in verschiedenen Urteilen der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte wurde eine Erweiterung der Sozialauswahl auf Kriterien, die mit dem konkreten Arbeitsverhältnis nicht in Verbindung stehen, aus Gründen der Rechtssicherheit abgelehnt.64 Der Gesetzeswortlaut beschränke sich auf die in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten Kriterien, um die Rechtssicherheit zu erhöhen.65 Zudem wird argumentiert, dass die Berücksichtigung der finanziellen Absicherung außerhalb des Arbeits61
Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 402. Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 198. 63 Ablehnend LAG Köln, 2. 2. 2006 – 6 Sa 1287/05; LAG Düsseldorf, Urt. v. 21. 1. 2004 – 12 Sa 1188/03; LAG Düsseldorf, Urt. v. 13. 7. 2005 – 12 Sa 616/05; Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 93 f. m. w. N.; Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (71); Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 181 ff.; befürwortend LAG Niedersachsen, Urt. v. 23. 5. 2005 – 5 Sa 198/05, NZA-RR 2005, 584 (585); ArbG Wetzlar, Urt. v. 27. 1. 1987 – 1 Ca 402/86, BB 1987, 760; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 421; Rolfs, NZA-Beil. 2008, S. 8 (14). 64 LAG Köln, Urt. v. 2. 2. 2006 – 6 Sa 1287/05; LAG Düsseldorf, Urt. v. 13. 7. 2005 – 2 Sa 616/05, AuR 2006, S. 69 f.; LAG Düsseldorf, 21. 1. 2004 – 12 Sa 1188/03, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 43, S. 10; ArbG Paderborn, Urt. v. 22. 3. 2006 – 3 Ca 1947/05, AE 2007, S. 65 (66); Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (71). 65 BT/Drs. 15/1204, S. 8, 11; BAG, Urt. v. 31. 5. 2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, S. 33 (38 f.); vgl. APS/Kiel, § 1 KSchG, Rn. 653; Müller, Beschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten, S. 298; Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 62 Ebenso
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verhältnisses systemwidrig sei, da die Sozialauswahl keine Bedürftigkeitsprüfung darstelle.66 Auf der anderen Seite wurde vertreten, dass die Rentenberechtigung für eine geringere soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers spreche und daher zu berücksichtigen sei.67 Das BAG hat nun entschieden, dass die Rentenberechtigung eines Arbeitnehmers im Rahmen der Bewertung des Sozialkriteriums Lebensalter maßgeblich ist.68 Das Kriterium „Lebensalter“ stehe stellvertretend für die Vermittlungschancen des gekündigten Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt. Auch bei Sozialplanabfindungen werde gemäß § 10 S. 3 Nr. 6 AGG nach den Chancen des ausscheidenden Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt differenziert. Zudem begrenze § 10 Abs. 2 S. 2 KSchG Abfindungen bei Auflösung eines Arbeitsverhältnisses nach Erreichen des Rentenalters.69 Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf eine Regelaltersrente haben, seien sozial weniger schutzbedürftig als jüngere Arbeitnehmer, die für einen längeren Zeitraum beschäftigungslos sein könnten. aa) Bewertung Die Klarstellung durch das BAG ist im Interesse einer rechtssicheren Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter zu begrüßen. Im Rahmen der Sozialauswahl steht nicht die Interessenabwägung zweier Parteien im Vordergrund. Sie dient vielmehr dazu, den sozial stärksten Arbeitnehmer zu ermitteln.70 Hierfür sind die zukünftigen Chancen eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt wesentlich. Das Kriterium des Alters steht stellvertretend für die Arbeitsmarktchancen des Arbeitnehmers, da eine negative Korrelation zwischen dem steigenden Lebensalter und den Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt besteht.71 Bei Vorliegen eines Rentenanspruchs sinkt jedoch die Schutzbedürftigkeit im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern wieder, da zumindest grundsätzlich eine anderweitige Absicherung besteht. Allerdings stellen sich weitere Folgefragen, die der Klärung bedürfen. Zunächst befasst sich das Urteil des BAG nicht mit der Höhe des jeweiligen Rentenanspruchs. Weiterhin geht das Urteil nur auf das Sozialkriterium „Alter“ ein und 93 f.; Stoffels, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Arbeiten im Alter [von 55 bis 75], S. 53 (71). 66 Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 95. 67 LAG Niedersachsen, Urt. v. 28. 5. 2004 – 10 Sa 2180/03; ArbG Wetzlar, Urt. v. 27. 1. 1967 – 1 Ca 402/86. 68 BAG, Urt. v. 27. 4. 2017 – 2 AZR 67/16, NZA 2017, S. 902 (Rn. 15). 69 BAG, Urt. v. 27. 4. 2017 – 2 AZR 67/16, NZA 2017, S. 902 (Rn. 15, 17). 70 BAG, Urt. v. 4. 5. 2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, S. 1096 (1099). 71 BAG, Urt. v. 18. 1. 1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, S. 729 (733 f.); SPV/Preis, Rn. 1083; kritisch APS/Kiel, § 1 KSchG, § 1, Rn. 636.
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nicht auf die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers.72 Es bleibt daher unklar, ob auch dieses Sozialkriterium bei einem Rentenanspruch des Arbeitnehmers geringer zu gewichten wäre. bb) Zwischenergebnis Das Urteil des BAG führt dazu, dass eine Hürde im Kündigungsrecht bei Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer gesenkt wurde. Dies ist ein erster Schritt zur Anpassung des Kündigungsschutzrechts an die Fragestellungen der Weiterarbeit im Rentenalter. Aufgrund der Unklarheiten wäre es jedoch vorzugswürdig, das Kriterium des Alters aus dem Katalog des § 1 Abs. 3 KSchG herauszunehmen, anstatt den Rentenanspruch im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Dies entspricht dem Vorschlag von Preis und Henssler im Entwurf zu einem Arbeitsvertragsgesetz (§ 115 Abs. 2, § 117 Abs. 1 ArbVG-E).73 In Kombination mit den Kriterien der Beschäftigungsdauer und der Unterhaltspflichten führt die Berücksichtigung des Lebensalters zu einer Bevorzugung älterer Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl. Besonders problematisch ist dies bei rentenberechtigten Arbeitnehmern. Die Herausnahme des Lebensalters aus dem Katalog des § 1 Abs. 3 KSchG würde das deutliche Überwiegen des Alters im Rahmen der Sozialauswahl ausgleichen. Alternativ können die Vorgaben zur Sozialauswahl dahingehend ausgelegt werden, dass allein das Alter eines Arbeitnehmers nicht ausschlaggebend sein darf.74 Dies sollte der Gesetzgeber insbesondere für weiterarbeitende Rentner in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG klarstellen. 3. Ergebnis Insgesamt gibt es im Kündigungsrecht einen erheblichen Anpassungsbedarf, wenn eine unbefristete Weiterarbeit im Rentenalter vereinbart wird. Die geltende Rechtslage trägt den Interessen der Vertragsparteien nur eingeschränkt Rechnung und kann in vielen Bereichen zu einer Privilegierung weiterarbeitender Rentner im Verhältnis zu jüngeren Arbeitnehmern führen. Diese Ausgangslage hält viele Arbeitgeber davon ab, Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze unbefristet weiter zu beschäftigen. Erforderlich wäre eine umfassende Anpassung des Kündigungsschutzrechts in Bezug auf Fragen der tariflichen Unkündbarkeit, des Sonderkündigungsschut72
BAG, Urt. v. 27. 4. 2017 – 2 AZR 67/16, NZA 2017, S. 902. zu den Vorschlägen Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 97; Preis/ Henssler, NZA-Beil. 2007, S. 6 (26); vertiefend Kapitel 7 B.I.2. 74 Preis, Arbeitsrecht, Rn. 2880. 73 Vgl.
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zes für schwerbehinderte Arbeitnehmer und der Anforderungen an die personen- und betriebsbedingte Kündigung, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Eine entsprechende Anpassung würde zu einer umfassenden Berücksichtigung der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern führen.75 In diesem Fall entfiele auch das Erfordernis einer sachgrundlosen Befristung nach Erreichen des Rentenalters.
V. Abfindungen Weiterhin stellen sich Anpassungsfragen im Hinblick auf Abfindungszahlungen, die im Rahmen von Aufhebungsvergleichen oder Sozialplänen vereinbart werden. Unter dem Begriff der Abfindung versteht man den Zahlungsanspruch eines Arbeitnehmers, der zur Ablösung eines Rechts vereinbart wird.76 Abfindungen entschädigen für den Verlust eines Arbeitsverhältnisses77 und dienen der Kompensation eines Entgeltausfalls.78 Nach einer ausgesprochenen Kündigung wird die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse nicht infolge der Kündigung beendet, sondern im Rahmen eines Vergleichs gegen Zahlung einer Abfindung. Im Jahr 2014 wurden 60 Prozent der arbeitsrechtlichen Streitigkeiten im Wege eines Prozessvergleichs erledigt, bei Bestandsstreitigkeiten betrug die Vergleichsquote sogar 77 Prozent.79 Die Zahlen erfassen gerichtliche Vergleiche auf der Grundlage von § 779 BGB und § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Daneben können Aufhebungsvereinbarungen auch außergerichtlich geschlossen werden. Die Häufigkeit von Vergleichsabschlüssen unter Vereinbarung einer Abfindung erklärt sich damit, dass dies den Interessen der Arbeitsvertragsparteien regelmäßig näherkommt, als die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Zudem besteht für Arbeitgeber bei einem längeren Rechtsstreit ein Annahmeverzugslohnrisiko, wenn sich die Kündigung als unwirksam herausstellt (§ 615 S. 1 BGB).
75 76
Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (83). Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort: Abfindung; Temming, RdA 2008, S. 205
(206). 77 Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, C, Rn. 15; Temming, RdA 2008, S. 205 (207); zu § 9 KSchG v. Hoyningen-Huene/Linck/Linck, § 9 KSchG, Rn. 4 f. 78 Rebhahn, RdA 2002, S. 282 (285); T. Schmidt, ZESAR 2011, S. 164 (168). 79 Statistisches Bundesamt, Ergebnisse der Statistik der Arbeitsgerichtsbarkeit 2015, Fachserie 10, Reihe 2.8, 2015, S. 1; APS/Preis, Grundlagen B, Rn. 25.
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1. Problemstellung bei der Weiterbeschäftigung im Rentenalter Die Aussichten der Parteien in einem Kündigungsschutzprozess spielen bei Vergleichsverhandlungen eine wesentliche Rolle.80 Der starke Kündigungsschutz und die lange Betriebszugehörigkeit älterer Arbeitnehmer spiegeln sich auch in der Höhe der Abfindungen wider. Durchschnittlich wird etwa ein halbes Monatsentgelt pro Beschäftigungsjahr angesetzt. Auch sind die Chancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.81 Bei personenbedingten Kündigungen und bei älteren Arbeitnehmern werden höhere Quoten zuerkannt.82 Bei einer Weiterbeschäftigung im Rentenalter kann es daher aufgrund der längeren Beschäftigungsdauer und der strengen Voraussetzungen einer personen- und betriebsbedingten Kündigung im Rentenalter zu hohen Abfindungszahlungen kommen. Die Beendigungskosten eines Arbeitsverhältnisses sind ein wirtschaftlicher Faktor, der Einstellungs- oder Weiterbeschäftigungsentscheidungen beeinflussen kann. Insbesondere kann die Befürchtung, dass ein rentenberechtigter Arbeitnehmer sein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis von einer hohen Abfindung abhängig macht, dazu führen, dass nach Erreichen des Rentenalters keine oder ausschließlich befristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen werden. Es stellt sich daher die Frage, ob die Zahlung von Abfindungen an Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters auf der Grundlage von Prozessvergleichen oder Sozialplanabfindungen beschränkt werden sollte. Dies könnte Anpassungen im materiellen Bestandsschutz überflüssig machen. 2. Prozessbeendigende Abfindungsvergleiche Prozessbeendigende Vergleiche unter Vereinbarung einer Abfindung dienen unter anderem dem Ziel, den Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsverhältnisses zu entschädigen. Bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses im Rentenalter kann nicht ausgeblendet werden, dass die hypothetische Restdauer der Weiterbeschäftigung kürzer ausfällt, als bei einer Kündigung vor Erreichen des Rentenalters.83 Angesichts der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, ist mit einer zeitlich beschränkten Weiterbeschäftigung zu rechnen, auch wenn der konkrete Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses ex ante nicht feststeht. Damit erleidet der rentenberechtigte Arbeitnehmer in der Regel einen 80
Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, C, Rn. 17; Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 355. 81 T. Schmidt, ZESAR 2011, S. 164 (168). 82 Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, C, Rn. 17; Hjort, Aufhebungsvertrag und Abfindung, S. 103 f. 83 Giesen, NZA 2008, S. 905 (909).
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geringeren wirtschaftlichen Nachteil als ein jüngerer Arbeitnehmer. Es könnte daher erwogen werden, Abfindungssummen nach Erreichen des Rentenalters zu begrenzen. Eine Begrenzung der Abfindungssumme nach Erreichen des Rentenalters ist auch mit dem Grundsatz vereinbar, dass der Bestandsschutz eines Arbeitsverhältnisses nicht dadurch gemindert wird, dass der Arbeitnehmer gegenwärtig oder in Zukunft eine Rente beziehen kann.84 Der Wert des Bestandsschutzes mindert sich nicht mit fortschreitendem Lebensalter, jedoch kann bei der finanziellen Entschädigung für den Verlust eines Arbeitsplatzes eine anderweitige finanzielle Absicherung durch eine Rente berücksichtigt werden. a) Deckelung von Abfindungsvereinbarungen aa) Vereinbarkeit mit der Privatautonomie Auch wenn für eine Einschränkung überzeugende Argumente bestehen, ist fraglich, wie eine entsprechende Regelung ausgestaltet werden könnte. Abfindungsvergleiche werden privatautonom vereinbart. Die Privatautonomie ist als rechtliche Handlungsfreiheit ein Unterfall der allgemeinen Handlungsfreiheit.85 Staatliche Vorgaben bezüglich des Inhalts vertraglicher Vereinbarungen oder entsprechende Abschlussverbote greifen in Art. 2 Abs. 1 GG ein.86 Der Eingriff in die gemäß Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie wäre voraussichtlich durch das Ziel der Beschäftigungsförderung rentenberechtigter Arbeitnehmer gerechtfertigt. Problematisch ist die Angemessenheit der Regelung. Diese setzt voraus, dass die wirtschaftlichen Nachteile des Arbeitnehmers durch die schwer feststellbaren Vorteile im Rahmen der Einstellungsentscheidung aufgewogen werden. Für die Angemessenheit könnte sprechen, dass eine Begrenzung der Abfindungssumme Rechtssicherheit über die maximalen Beendigungskosten schafft und damit eine wesentliche Grundlage für die Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers darstellt. bb) Zwischenergebnis Auch wenn die gesetzliche Deckelung von Abfindungszahlungen nach Erreichen der Regelaltersgrenze zulässig wäre, ist die Begrenzung aus systematischen Gesichtspunkten problematisch. Das Kündigungsschutzgesetz ist als Bestands-
84
Temming, RdA 2008, S. 205 (207). Ständige Rechtsprechung BVerfG, Beschl. v. 12. 11. 1958 – 2 BvL 4/56 (u. a.), BVerfGE 8, 274 (328); BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 –1 BvR 567/89 u. a., BVerfGE 89, 214 (232) = NJW 1994 S. 36 (38). 86 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 102. 85
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
schutz- und nicht als Abfindungsgesetz ausgestaltet.87 Dies gilt auch, wenn faktisch eher ein Abfindungsschutz als ein Bestandsschutz besteht.88 Eine Regelung der Abfindungshöhe im Rentenalter trägt zwar der Realität Rechnung, nicht jedoch der bestehenden Systematik des Kündigungsrechts. Die Begrenzung von Abfindungen wäre daher eine systemfremde Sonderregelung für weiterarbeitende Rentner. Die Höhe von Abfindungen sollte vielmehr mittelbar über die Anpassung des Kündigungsschutzrechts nach Erreichen der Altersgrenze beeinflusst werden. b) Anpassung von § 1a KSchG Als weiterer Anknüpfungspunkt für die Einschränkung von Abfindungsansprüchen im Rentenalter kommt § 1a KSchG in Betracht, der nach dem gesetzgeberischen Regelungsziel eine einfach handhabbare Alternative zu einem Kündigungsschutzprozess schaffen soll.89 Die Vorschrift regelt Inhalt und Höhe eines Abfindungsanspruchs bei Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage90 und wird teilweise als gesetzlicher, teilweise als rechtsgeschäftlich begründeter Anspruch angesehen.91 Die Vorschrift ist damit ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Regelung eines Abfindungsanspruchs bei Beendigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses im Rentenalter. Der Wortlaut könnte dahingehend ergänzt werden, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Abfindung erhält, wenn eine ordentliche Kündigung nach Erreichen des Rentenalters erfolgt und der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass nach Ablauf der Kündigungsfrist ein Anspruch auf eine Abfindung entsteht. Zudem sollte ergänzt werden, dass in diesem Fall nur Beschäftigungsjahre nach Erreichen des Rentenalters für die Berechnung der Abfindungshöhe maßgeblich sind. Durch die Neuzählung der Beschäftigungsjahre fiele der Abfindungsbetrag deutlich geringer aus. Damit wäre § 1a KSchG auf sämtliche ordentliche Kündigungen nach Erreichen des Rentenalters und nicht nur auf betriebsbedingte Kündigungen anwend87 In diese Richtung gehen Vorschläge von Rebhahn, RdA 2002, S. 272 (286 ff.); Willemsen, NJW 2000, S. 2779 ff. 88 Vgl. Bauer, NZA 2002, S. 529; v. Hoyningen-Huene/Linck/v. Hoyningen-Huene, Einl., Rn. 80; Rebhahn, RdA 2002, S. 272 f.; Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 355; Willemsen, NJW 2000, S. 2779 ff. 89 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 90 BAG, Urt. v. 19. 6. 2007 – 1 AZR 40/07, NZA 2007, S. 1357 (Rn. 24). 91 Von einem gesetzlichen Anspruch gehen aus BT-Drs. 15/1204, S. 12; LAG Hamm, Urt. v. 12. 12. 2005 – 16 Sa 493/05; APS/Hesse, § 1a KSchG, Rn. 5 m. w. N.; v. Hoyningen-Huene/Linck/Krause, § 1a KSchG, Rn. 6; a. A. SPV/Preis, Rn. 1173; Thüsing/Stelljes, BB 2003, S. 1673 (1677); offenlassend BAG, Urt. v. 19. 6. 2007 – 1 AZR 40/07, NZA 2007, S. 1357 (Rn. 24).
A. Kündigungsschutzrecht
301
bar. Für die Beschränkung der Abfindungshöhe spricht, dass sich die Höhe der Abfindung auch daran orientiert, wie lange das Arbeitsverhältnis ohne die Kündigung fortbestanden hätte. Die Höhe der geschuldeten Abfindung ist für den Arbeitgeber bei Verlängerung des Arbeitsverhältnisses überschaubar, so dass keine wirtschaftlichen Negativanreize gesetzt werden. Eine Begrenzung der Höhe des Abfindungsanspruchs wäre auch mit der RL 2000/78/EG vereinbar, da keine Benachteiligung wegen des Alters vorliegt. Hierfür spricht im Wesentlichen, dass der Reformvorschlag nicht allein an das Erreichen des Rentenalters anknüpft, sondern auch an das Nichterheben einer Kündigungsschutzklage. Zudem wirkt sich die Begrenzung des Maximalbetrags der Abfindung nicht auf den Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis aus. c) Zwischenergebnis Die Reform von § 1a KSchG wäre damit ein möglicher Weg, Abfindungszahlungen im Rentenalter einzuschränken. Die Regelung findet jedoch nur Anwendung, wenn keine Kündigungsschutzklage erhoben wird. Damit reduziert sich der Anwendungsbereich der Vorschrift erheblich. Die Begrenzung des Abfindungsanspruchs müsste daher durch die oben genannten Änderungen im materiellen Kündigungsschutzrecht ergänzt werden. Ansonsten bestünde kein Anreiz, von § 1a KSchG Gebrauch zu machen. 3. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil Auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 KSchG kann das Gericht das Arbeitsverhältnis im Falle einer unwirksamen Kündigung auf Antrag einer der Arbeitsvertragsparteien durch gerichtliches Urteil auflösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung nach § 10 KSchG verurteilen. Voraussetzung ist, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer nicht zumutbar ist (§ 9 Abs. 1 S. 1 KSchG) oder eine den Betriebszwecken dienende weitere Zusammenarbeit nicht erwartet werden kann (§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG). Wenn bei einer Weiterbeschäftigung im Rentenalter die Voraussetzungen eines Auflösungsurteils nach § 9 Abs. 1 KSchG vorliegen, beschränkt § 10 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 KSchG den Anspruch auf eine Abfindung auf maximal 12 Monatsverdienste. Die Vorschriften beinhalten damit eine eng gefasste Durchbrechung des Bestandsschutzes im Arbeitsverhältnis.92 Aufgrund des engen Anwendungsbereichs des Auflösungsantrags kommt eine Anpassung von §§ 9 und 10 KSchG für die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses im Rentenalter aus systematischen 92 APS/Biebl,
§ 9 KSchG, Rn. 2.
302
Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
Gründen kaum in Betracht. Vorzugswürdig ist vielmehr eine materiellrechtliche Anpassung des Kündigungsschutzrechts für Arbeitnehmer im Rentenalter, um nachträgliche Anpassungen des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen. 4. Sozialplanabfindungen a) Einschränkungen für Arbeitnehmer im Rentenalter Bei Sozialplanabfindungen gemäß §§ 112 und 112a BetrVG ergibt sich eine andere Situation. Sozialpläne dienen dem Ausgleich und der Milderung wirtschaftlicher Nachteile für den Arbeitnehmer infolge einer Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG. Nach Ansicht des BAG verfolgen sie eine zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion.93 Da arbeitslos gewordene jüngere Arbeitnehmer häufig längere Phasen ohne Einkommen überbrücken müssen als rentennahe oder rentenberechtige Arbeitnehmer, können die Abfindungsansprüche älterer Arbeitnehmer aus Umverteilungsgesichtspunkten gekürzt und teilweise sogar ausgeschlossen werden.94 Dies genügt unter bestimmten Voraussetzungen den Anforderungen des höherrangigen Rechts.95 § 10 S. 3 Nr. 6 AGG lässt eine altersbezogene Differenzierung im Rahmen von Sozialplanregelungen zu, wenn die zukünftigen Beschäftigungschancen oder der Bezug einer Altersrente berücksichtigt werden. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH ist die gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Gesamtabfindungssumme ein legitimes Ziel i. S. d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG.96 Jedoch muss sich die altersbezogene Unterscheidung an der Berechtigung zum Bezug einer Regelaltersrente ausrichten.97
93 BAG, Urt. v. 9. 11. 1994 – 10 AZR 281/94, NZA 1995, S. 644 (646); BAG, Urt. v. 30. 3. 1994 – 10 AZR 352/93, NZA 1995, S. 88; T. Schmidt, ZESAR 2011, S. 164; Temming, RdA 2008, S. 205. 94 Krieger/Arnold, NZA 2008, S. 1153; kritisch T. Schmidt, ZESAR 2011, 164; Temming, RdA 2008, S. 205 ff.; differenzierend Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 100 ff. 95 ErfK/Kania, § 112a BetrVG, Rn. 24; T. Schmidt, ZESAR 2011, S. 164. 96 EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-515/13, NZA 2015, S. 473 (Rn. 22) – Poul Landin; EuGH, Urt. v. 6. 12. 2012 – C-152/11, NZA 2012, S. 1435 (Rn. 43 ff.) – Odar; EuGH, Urt. v. 12. 10. 2010 – C-499/08, Slg. 2010, I-9343 (Rn. 29) = NZA 2010, S. 1341 (Rn. 29) – Ingeniørforeningen i Danmark [Andersen]; ebenso BAG, Urt. v. 6. 3. 2013 - 1 AZR 813/11, NZA 2013, S. 921 (Rn. 38). 97 EuGH, Urt. v. 26. 2. 2015 – C-515/13, NZA 2015, S. 473 (Rn. 32 ff.) – Poul Landin; ebenso BAG, Urt. v. 23. 3. 2010 - 1 AZR 832/08, NZA 2010, S. 774 (Rn. 30); BAG; Urt. v. 26. 5. 2009 - 1 AZR 198/08, NZA 2009, S. 849 (Rn. 49).
A. Kündigungsschutzrecht
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b) Zwischenergebnis Unterscheidungen im Rahmen kollektiv vereinbarter Abfindungszahlungen vor und nach der Regelaltersgrenze sind demnach zulässig. Auch bei Sozialplanabfindungen erfolgt eine typisierende Betrachtung und keine Berücksichtigung der finanziellen Bedürftigkeit. Diese hat bei Abfindungsregelungen, wie bereits in Kapitel 4 dargestellt, ihre Berechtigung.98 Sozialplanabfindungen regeln keine Ansprüche in einem Zwei-Personen-Verhältnis, sondern betreffen die Verteilung eines begrenzten Abfindungsvolumens auf eine Vielzahl von Arbeitnehmern. Zudem kommt die Überbrückungsfunktion von Sozialplanabfindungen bei Arbeitnehmern, die voraussichtlich in den Rentenbezug eintreten, schwächer zum Tragen, als bei jüngeren Arbeitnehmern, die gegebenenfalls vor einer längeren Phase der unfreiwilligen Erwerbslosigkeit stehen. Zuletzt geht es bei Sozialplanabfindungen um die finanzielle Überbrückung bei bereits feststehender Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Anders als im Befristungs- und Kündigungsschutzrecht wird nicht bezüglich der Voraussetzungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses differenziert, sondern allein im Hinblick auf den Abfindungsbetrag. Dies rechtfertigt es, den Gesichtspunkt der anderweitigen finanziellen Absicherung durch Rentenansprüche heranzuziehen.
VI. Ergebnis Im Ergebnis können auf der Grundlage der Rechtsprechung von EuGH und BAG zu Sozialplanabfindungen angemessene Regelungen getroffen werden. Problematischer ist die Rechtslage bei prozessbeendigenden Abfindungen. Hier bilden die Prozesschancen im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses und die in Aussicht stehende Zahlung des Annahmeverzugslohns den Ausgangspunkt der Abfindungsverhandlungen. Eine Deckelung der Abfindungsbeträge nach Erreichen der Regelaltersgrenze widerspräche jedoch dem Bestandsschutzsystem im Kündigungsschutzrecht. Demnach müssten vorrangig Anpassungen des materiellen Kündigungsschutzrechts erfolgen. Diese Feststellungen belegen, dass das geltende Kündigungsschutzrecht der Interessenlage bei einer Weiterbeschäftigung im Rentenalter nur eingeschränkt Rechnung trägt. Insbesondere tarifliche Regelungen zur Unkündbarkeit älterer Arbeitnehmer sollten als auf das Rentenalter befristet ausgelegt werden. Darüber hinaus wäre eine mögliche Lösung, rentenberechtigte Arbeitnehmer aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes auszunehmen. Dies müsste jedoch, wie Preis vorschlägt, anstelle von allgemeinen Altersgren-
98
Vgl. Kapitel 4 D.II.1.a)bb)(4)(b).
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
zen und gegebenenfalls in Abhängigkeit von einem existenzsichernden Rentenanspruch erfolgen. Vorzugswürdig wären jedoch differenzierende Anpassungen, die der besonderen Situation der Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters Rechnung tragen. Insbesondere besteht ein Anpassungsbedarf bei personenbedingten Kündigungen wegen Krankheit oder Leistungsminderung. Bei Krankheiten oder einer abfallenden Leistungsfähigkeit im Rentenalter handelt es sich nicht um eine Zufallsbelastung. Vielmehr muss die Versorgung und Absicherung erkrankter Personen nach Erreichen des Rentenalters durch die Sozialversicherung erfolgen. Entsprechende Änderungen des Kündigungsschutzrechts ließen sich durch die Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung realisieren. Bis zur Entwicklung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, bestünde jedoch erhebliche Rechtsunsicherheit. Aus diesem Grund wird eine gesetzgeberische Regelung befürwortet. Dies bietet die Chance, die Rentnerbeschäftigung kohärent und rechtssicher auszugestalten. Zudem könnten Eckpunkte für die künftige Ausgestaltung der Erwerbstätigkeit im Rentenalter gesetzt und damit eine immer bedeutender werdende Problematik abschließend geregelt werden. Der Gesetzgeber unterließ eine Anpassung des Kündigungsschutzes für weiterarbeitende Rentner bislang. Die Problematik wurde vielmehr in das Befristungsrecht verlagert, um eine Anpassung des zu weitreichend erscheinenden Kündigungsschutzes nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu vermeiden. Diese Lösung führt zu den aufgezeigten Inkonsistenzen mit der Systematik des deutschen Befristungsrechts.
B. Altersgrenzen Alternativ oder ergänzend zu einer Reform des Kündigungsschutzrechts, besteht die Möglichkeit, den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand durch flexible Altersgrenzen auszugestalten. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass viele Fragestellungen in Zusammenhang mit der Weiterbeschäftigung nach Rentenbeginn aus den offenen Fragen zu Altersgrenzen resultieren.99 Angepasst werden sollten jedoch nur allgemeine und nicht besondere Altersgrenzen aufgrund berufsspezifischer Anforderungen. Die Tatsache, dass eine Flexibilisierung von Altersgrenzen ungewollte Rechtsfolgen verursachen kann, zeigt das Beispiel von § 41 Abs. 4 S. 3 SGB VI i. d. Fassung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vom 18. 12. 1989.100 Die Vorschrift setzte voraus, dass allgemeine Altersgrenzen drei 99
Gräf, in: Latzel/Picker (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, S. 55 (94). „Eine Vereinbarung, wonach ein Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt enden soll, in dem der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Rente wegen Alters hat, ist nur wirksam, wenn 100
B. Altersgrenzen
305
Jahre vor Erreichen des Rentenalters bestätigt wurden. Ein umstrittenes Urteil des BAG fasste auch tarifvertragliche Altersgrenzen unter den Anwendungsbereich der Norm.101 Da die Arbeitsvertragsparteien bis dahin von der Zulässigkeit allgemeiner Altersgrenzen ausgingen, gab es kaum alternative vertragliche Gestaltungen des Übergangs in den Ruhestand.102 Die Regelung eröffnete daher die Möglichkeit, den Übergang in den Ruhestand mit umfangreichen Abfindungsverhandlungen zu verbinden. Das Zustimmungserfordernis für allgemeine Altersgrenzen trat 1994 außer Kraft.103
I. Regelungsansätze in der Literatur Gegenwärtig gibt es verschiedene Ansätze zu Flexibilisierung allgemeiner Altersgrenzen.104 Diese werden im Folgenden überblicksartig dargestellt und im Anschluss evaluiert. 1. Vertragliche Regelaltersgrenzen Ein möglicher Ansatz der flexiblen Ausgestaltung wären vertragliche Regelaltersgrenzen, wie Waltermann sie vorschlägt.105 Hiernach muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Erreichen des Rentenalters mitteilen, dass er weiterarbeiten möchte.106 Anderenfalls läuft das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze aus. Bei einer weiteren Tätigkeit im Rentenalter entsteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis und kann im Wege der Kündigung beendet werden. Mögliche Abfindungsverhandlungen des Arbeitdie Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt geschlossen oder von dem Arbeitnehmer bestätigt worden ist.“, BGBl. I S. 2261; kritisch Kienast, DB 1991, 1725 ff. 101 BAG, Urt. v. 20. 10. 1993 – 7 AZR 135/93, NZA 1994, S. 128 (130); kritisch: Waltermann, NZA 1994, S. 822 (823); ders., ZfA 2017, S. 445 (451); ebenso Ackmann, EWiR 1994, S. 179 f.; Hanau/Preis, F.A.Z. v. 29. 1. 1994, S. 12; Pfeiffer, ZIP 1994, S. 264 ff.; Waltermann, NJW 2018, S. 193 (198). 102 Giesen, NZA 2008, S. 905 (909); Waltermann, NZA 1994, S. 822 (823). 103 Zu den weiter reichenden Folgen Boecken, NZA 1995, 145 (149). 104 Vgl. Igl, in: Becker/Roth (Hrsg.), Recht der Älteren, S. 161 (190); Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 89 f.; Rieble, JZ 2008, S. 811 (814); Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 611 ff.; Waltermann, NZA 1994, 822 (828 f.); ders., SR 2014, 66 (80); ders., RdA 2015, 343 (351 ff.); ders., ZfA 2017, S. 445 (451). 105 Vgl. Waltermann, in: GS Blomeyer, S. 495 (515); ders., NJW 2018, 193 (195). 106 Waltermann, NZA 1994, S. 822 (828); ders., NZA 2005, S. 1265 (1270); ders., in: Maschmann (Hrsg.), Rigidität und Flexibilität im Arbeitsrecht, S. 105 (116 f.); ders., SR 2014, S. 66 (80).
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
nehmers sollen durch Ausschluss von Abfindungen in den gesetzlichen Grenzen verhindert werden.107 Ferner sind Anpassungen im Sonderkündigungsschutz und bei Unkündbarkeitsklauseln vorgesehen.108 Bepler befürwortet einen ähnlichen Ansatz, wenn der Arbeitnehmer keine existenzsichernde Altersrente erarbeiten konnte.109 2. Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes Preis und Henssler räumen dem Arbeitnehmer in ihrem Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes einen bedingten Anspruch auf Weiterarbeit ein. Der Diskussionsentwurf (im Folgenden ArbVG-E) ist ein von Preis und Henssler im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erarbeiteter Vorschlag für ein kodifiziertes Arbeitsrecht.110 Der von den Autoren als unabhängige Gutachter verfasste Entwurf knüpft an die Vorschläge des Deutschen Juristentags111 sowie an zwei Gesetzgebungsvorschläge der Länder Sachsen und Brandenburg112 an. Der Entwurf gibt im Wesentlichen die geltende Rechtslage und die höchstrichterliche Rechtsprechung im Arbeitsrecht wieder und enthält zugleich Reformvorschläge. In § 130 Abs. 1 ArbVG-E ist vorgesehen, dass die Arbeitsvertragsparteien eine Altersgrenze vereinbaren können, wenn diese „aufgrund der Art der Tätigkeit sachlich gerechtfertigt ist und der Arbeitnehmer eine angemessene Abfindung erhält.“113 Bis ein Jahr vor Erreichen der Regelaltersgrenze kann der Arbeitnehmer den Wunsch erklären, weiterbeschäftigt zu werden (§ 130 Abs. 2 ArbVG-E). Der Arbeitgeber darf dies aus Gründen einer ausgewogenen Personalstruktur sowie mangelnder Eignung des Arbeitnehmers ablehnen. Nach Beginn der Weiterbeschäftigung kann das weitergeführte Arbeitsverhältnis aus denselben Gründen gekündigt werden. Im Übrigen gilt das Recht zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 115 ArbVG-E. Im Rahmen der Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung findet das Lebensalter des Arbeitnehmers gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 ArbVG-E keine Berücksichtigung.
107
Waltermann, NZA 1994, S. 822 (829). Waltermann, NZA 1994, S. 822 (829). 109 Bepler, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentags (Hrsg.), Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. II/1, K9 (K26 f.). 110 Vertiefend Dietermann, ZRP 2007, S. 98 ff. 111 Ständige Deputation des Deutschen Juristentags (Hrsg.), Verhandlungen des 59. DJT, Gutachten D, Bd. I, D7 (D63). 112 Gesetzentwurf des Bundeslands Sachsen v. 23. 5. 1996, BR-Drs. 293/95; Gesetzentwurf des Bundeslands Brandenburg v. 12. 9. 1996, BR-Drs. 671/96. 113 Preis/Henssler, NZA-Beil. 2007, S. 6 (29). 108
B. Altersgrenzen
307
3. Schrittweise Abschaffung von Altersgrenzen Rieble schlägt hingegen vor, Altersgrenzen abzuschaffen und ein Übergangsfristenschema einzuführen.114 Es soll zwischen drei Phasen der Erwerbstätigkeit unterschieden werden. Die erste Phase ist die Erwerbtätigkeit vor Erreichen des Rentenalters. In einer Zwischenphase nach Erreichen der Regelaltersgrenze kann der Arbeitnehmer frei zwischen der Weiterarbeit und dem abschlagsfreien Wechsel in den Ruhestand wählen. In der letzten Phase greift eine Maximalaltersgrenze ein, die ein Ausscheiden des Arbeitnehmers zur Folge hat.115 Ein ähnlicher Ansatz wird bereits im finnischen Arbeitsrecht verfolgt. Hier besteht eine vollständige Flexibilität des Renteneintritts zwischen dem 63. und 68. Lebensjahr des Arbeitnehmers (Art. 11 Finnisches Arbeitnehmerrentengesetz).116 Je später der Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben ausscheidet, desto höher ist sein Rentenanspruch. Nach dem 68. Lebensjahr können Arbeitnehmer den Wunsch zur Weiterarbeit äußern, es besteht jedoch keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung. Nach Erreichen des maximalen Rentenalters ist zudem eine sachgrundlose Befristung des Arbeitnehmers möglich.117 Der Ansatz des finnischen Rechts kann nur eingeschränkt auf das deutsche Recht übertragen werden. Ein genereller abschlagsfreier Renteneintritt mit 63 Jahren wäre für die Rentenversicherung kaum zu finanzieren. Weiterhin liegt die Regelaltersgrenze in Deutschland bei 67 Jahren, so dass eine Verlängerungsmöglichkeit bis zum 68. Lebensjahr kaum ins Gewicht fallen würde. Aus dem phasenbezogenen Ansatz des finnischen Rechts können jedoch Erkenntnisse für die Ausgestaltung flexibler Altersgrenzen abgeleitet werden, die im Folgenden diskutiert werden.
II. Anhaltspunkte für die Ausgestaltung einer flexiblen Altersgrenze Im Folgenden werden Anhaltspunkte zur Ausgestaltung einer flexibilisierten Altersgrenze vorgestellt, die sich an den verschiedenen Regelungsmodellen orientieren. Maßgabe für die Ausgestaltung flexibler Altersgrenzen sind die Interessen der Arbeitsvertragsparteien. Das Arbeitnehmerinteresse an einem flexiblen Übergang ist mit dem Interesse des Arbeitgebers an einer vorhersehbaren Personal- und Übergangsplanung in Ausgleich zu bringen. 114
Rieble, JZ 2008, S. 811 (814). Rieble, JZ 2008, S. 811 (814). 116 Das Mindestalter von 63 Jahren wird seit 2017 schrittweise auf 65 Jahre erhöht; vertiefend Schlachter/Vaitkeviciute, EuZA 2016, S. 283 ff. 117 Art. 6 Abs. 1a) Finnisches Arbeitsvertragsgesetz; Schlachter/Vaitkeviciute, EuZA 2016, S. 283 (292 f.). 115
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
1. Regelungsebene Zunächst stellt sich die Frage, auf welcher Regelungsebene eine Flexibilisierung von Altersgrenzen erfolgen könnte. Allgemeine Altersgrenzen werden in individualvertraglichen Vereinbarungen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen vereinbart. Die allgemeinen Rechtsfolgen vertraglicher Altersgrenzen könnten daher durch eine Gesetzesänderung geregelt werden. 2. Regelungsansätze Zunächst könnte die ständige Rechtsprechung des BAG kodifiziert werden, wonach einzel- und kollektivvertragliche Altersgrenzen als Befristung auf das Erreichen der sozialrechtlichen Regelaltersgrenze vereinbart werden können. a) Bedingter Anspruch auf eine Weiterarbeit Ähnlich wie Preis, Henssler und Waltermann vorschlagen, bestünde eine Regelungsmöglichkeit darin, dass der Arbeitnehmer spätestens ein Jahr vor Erreichen des Rentenalters seinen Wunsch auf eine Weiterarbeit geltend machen kann. Es könnte geregelt werden, dass der Arbeitgeber einen Antrag auf Weiterarbeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze ablehnen kann, wenn hierfür berechtigte betriebliche Gründe oder Gründe in der Person des Arbeitnehmers vorliegen.118 Aus den gleichen Gründen könnte der Arbeitgeber die Weiterarbeit auch nur befristet zulassen. Die Ablehnung oder Befristung der Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters aufgrund entgegenstehender betrieblicher Interessen könnte auf Gesichtspunkte, wie z. B. das Ziel einer ausgewogenen Alters- und Personalstruktur, gestützt werden. Die Konkretisierung dieses Ablehnungsgrunds könnte anhand der Maßstäbe des § 8 Abs. 4 TzBfG zur Ablehnung eines Teilzeitverlangens erfolgen. In beiden Konstellationen stellt sich die vergleichbare Frage, welche Anpassungen des betrieblichen Organisationskonzepts dem Arbeitgeber zumutbar sind. Im Rahmen von § 8 Abs. 4 TzBfG erfolgt eine Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers mit der Unternehmer- und Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG) des Arbeitgebers.119 Ebenso können organisatorische, wirtschaftliche oder personalpolitische Gründe des Arbeitgebers dem Interesse des Arbeitnehmers an einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Im Rahmen der Interessenabwägung 118
Vgl. § 130 Abs. 2 S. 1 ArbVG-E; Preis, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. I, B 89. entsprechenden Abwägung BAG, Urt. v. 18. 2. 2003 – 9 AZR 164/02, NZA 2003, S. 1392 (1395 f.); BAG, Urt. v. 20. 1. 2015 – 9 AZR 735/13, NZA 2015, S. 816 (Rn. 17); Rolfs, RdA 2001, S. 130 (132 f.); ErfK/Preis, § 8 TzBfG, Rn. 24. 119 Zur
B. Altersgrenzen
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wären die Motivation für die Weiterarbeit, die Dauer der angestrebten weiteren Berufstätigkeit und die betriebliche Altersstruktur maßgeblich. Die Weiterarbeit kann auch aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen abgelehnt oder nur befristet zugelassen werden. Personenbezogene Gründe müssen im Zusammenhang mit einer nachlassenden Leistungsfähigkeit oder einem verschlechterten Gesundheitszustand stehen. An die Ablehnung sind jedoch nicht die gleichen Voraussetzungen wie im Falle einer personenbezogenen Kündigung zu stellen. Zunächst müssen für eine Ablehnung der Weiterbeschäftigung keine nachweisbaren Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen vorliegen und es muss auch nicht das mildeste Mittel gewählt werden. Kommt es zwischen den Vertragsparteien nicht zu einer Einigung über die Weiterbeschäftigung und deren Dauer, könnte der Arbeitnehmer eine Klage auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die vertragliche Altersgrenze beendet ist. In diesem Fall überprüft das Gericht die Zulässigkeit der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung. aa) Vorteile Zunächst ermöglicht die flexible Verlängerung der Berufstätigkeit einen an die jeweilige betriebliche oder persönliche Situation angepassten Übergang in den Ruhestand. Eine flexible Altersgrenze hat zudem den Vorteil, dass Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen weiterarbeiten und auch im Rentenalter ihren Lebensunterhalt durch die Erwerbstätigkeit verdienen können. Der bedingte Anspruch auf Weiterarbeit, der von den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers oder Gründen in der Person des Arbeitnehmers abhängig ist, ermöglicht ferner eine Abwägung der Interessen der Arbeitsvertragsparteien. Auch erlangt der Arbeitgeber mindestens ein Jahr vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aufgrund der Regelaltersgrenze Klarheit über den Wunsch zur Weiterarbeit. Weiterhin handelt es sich bei der flexiblen Weiterarbeit nur um eine Option und keine Verpflichtung des Arbeitnehmers. Ein Ausscheiden bei Erreichen der Regelaltersgrenze ist weiterhin möglich. bb) Nachteile Wie bei jedem Ansatz, der eine Abwägung der Interessen der Vertragsparteien ermöglicht, besteht auch bei flexiblen Altersgrenzen das Problem fehlender Rechtssicherheit. Im Vorhinein besteht keine Klarheit über das Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers. Dies kann sich zulasten jüngerer Arbeitnehmer und beschäftigungshemmend für rentennahe Arbeitnehmer auswirken. Ein weiterer Nachteil des bedingten Anspruchs auf eine Weiterarbeit wäre, dass im Streitfall über die Weiterbeschäftigung und über das Eingreifen eines Ablehnungsgrunds gerichtlich
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
entschieden werden muss. Es kann bezweifelt werden, dass nach einem Gerichtsprozess noch ein funktionierendes Weiterarbeitsverhältnis geführt werden kann.120 cc) Zwischenergebnis Der vorgestellte Lösungsansatz ist mit der früheren Regelung im englischen Recht vergleichbar, die in Schedule 6 der EE(A)R 2006 ein Anhörungsverfahren der Arbeitsvertragsparteien vor dem Eintritt in das Rentenalter vorsah.121 Im englischen Recht musste der Arbeitgeber jedoch keine überprüfbaren Gründe für die Ablehnung der Weiterbeschäftigung nachweisen. Auch im Rahmen von § 41 S. 3 SGB VI steht es im Ermessen des Arbeitgebers, ob er dem Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter anbietet. Die wesentliche Neuerung des Ansatzes besteht darin, dass der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nur unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen ablehnen kann.122 Die flexible Altersgrenze stärkt damit die Position des Arbeitnehmers im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage, da ein bedingter Anspruch darauf besteht, nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiter berufstätig zu sein. Für den Arbeitnehmer ist die Weiterarbeit nur als Option und nicht als Verpflichtung ausgestaltet. Der Arbeitgeber hingegen unterliegt einem Begründungserfordernis, wenn er eine Weiterbeschäftigung ablehnt oder nur befristet zulässt. Aufgrund der erforderlichen Interessenabwägung besteht Rechtsunsicherheit über das Ausscheiden eines Arbeitnehmers. Daher wäre es vorzugswürdig, einen Katalog von Regelbeispielen betrieblicher Gründe zu normieren, aufgrund derer eine Ablehnung des Arbeitgebers im Regelfall rechtmäßig wäre. Die Entscheidung, welcher Ansatz vorzugswürdig ist und ob den Interessen von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern im Rahmen der Weiterarbeit im Rentenalter ein höheres Gewicht zuzuerkennen ist, muss letztlich durch den Gesetzgeber getroffen werden. Allein dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch im Hinblick auf die Interessen verschiedener Generationen ein entsprechender Entscheidungsspielraum zu. In diesem Rahmen können die in Konflikt stehenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien vor dem Übergang in den Ruhestand gegeneinander abgewogen und in Ausgleich gebracht werden. Einer demokratisch legitimierten Entscheidung müssten auch umfangreiche parlamentarische sowie wissenschaftliche Diskussionen vorausgehen. Nur aus einer Pluralität der Ansichten lässt sich ein Regelungskompromiss schaffen, welcher den Interessen der Arbeitsvertragsparteien Rechnung trägt. In jedem Fall sollte jedoch eine rechtssichere Lösung gefunden werden, die Rechts120
Rieble, JZ 2008, S. 811 (813). Vgl. Kapitel 5 C.II.1.b); Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 607. 122 Vgl. Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 608. 121
B. Altersgrenzen
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streitigkeiten über das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nach Erreichen der Regelaltersgrenze vermeidet. Im Folgenden werden verschiedene Regelungsbestandteile vorgestellt, die bei einer Flexibilisierung von Altersgrenzen ergänzend vorgesehen werden könnten, um einen Ausgleich der Interessen der Arbeitsvertragsparteien zu erreichen. b) Maximale Altersgrenze Eine Möglichkeit wäre es, eine maximale Altersgrenze für die Weiterarbeit im Rentenalter einzuführen. Rieble schlug vor, zumindest vorübergehend eine maximale Altersgrenze von 70 Lebensjahren vorzusehen, die später erhöht oder vollständig aufgehoben werden könnte.123 Die Höchstaltersgrenze wäre unabhängig von der sozialrechtlichen Regelaltersgrenze und von der Möglichkeit eines abschlagsfreien Renteneintritts. Sie ist eine Maximalbefristung und schließt die anschließende weitere Berufstätigkeit des Arbeitnehmers bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber nicht aus, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine neue Vereinbarung treffen. Eine entsprechende Begrenzung hätte den Vorteil, dass flexible Übergänge ermöglicht werden und zugleich feststeht, wann der Arbeitnehmer spätestens aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Zugleich könnte eine übergangsweise eingeführte Maximalaltersgrenze dazu dienen, die Erfahrungen mit einer flexiblen Altersgrenze zu testen. Dies reduziert negative Beschäftigungsanreize. Bei positiven Erfahrungen mit der flexiblen Altersgrenze könnte die maximale Altersgrenze erhöht oder vollständig abgeschafft werden. Sie könnte damit als Brücke zwischen der früheren und der neuen Rechtslage fungieren. c) Berücksichtigung der konkreten Rentenhöhe Zu überlegen ist ferner, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Weiterarbeit erleichtert werden sollten, wenn der Arbeitnehmer keine existenzsichernde Altersrente erhält. Dies hätte den Vorteil, dass Arbeitnehmer auch im Rentenalter ihren Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit verdienen können, anstatt auf die Grundsicherung im Alter zurückzugreifen. Bei einer entsprechenden Differenzierung bestehen jedoch zwei Folgeprobleme: Zunächst bestehen praktische Schwierigkeiten bei der Feststellung der Rentenhöhe. Über die Höhe der Rentenansprüche eines Arbeitnehmers ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht informiert. Gerade bei längeren Phasen der Erwerbslosigkeit und einem späten Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit könnte ein zwingender Weiterbeschäftigungsanspruch bei einer nicht existenzsichernden 123 So
Rieble, JZ 2008, S. 811 (814).
312
Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
Altersrente Arbeitgeber von einer Neueinstellung rentennaher Arbeitnehmer abhalten. Weiterhin kommt es gerade im Niedriglohnbereich und bei geringqualifizierten Tätigkeiten zu nicht existenzsichernden Altersrenten. In diesen Bereichen bestehen auch für jüngere Arbeitnehmer erhebliche Schwierigkeiten, eine Beschäftigung zu finden. Die Erwerbslosenquote geringqualifizierter Arbeitnehmer beträgt bei Männern 13,4 Prozent und bei Frauen bei etwa 9,4 Prozent.124 Sie liegt damit signifikant höher als die durchschnittliche Erwerbslosenquote von 3,8 Prozent.125 Eine längere Berufstätigkeit der rentenberechtigten Arbeitnehmer könnte jüngere Arbeitnehmer gerade angesichts der beschränkten Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte auf längere Zeit von einer Berufstätigkeit ausschließen. Aus diesen Gründen ist eine Differenzierung nach der Höhe der Rentenbezüge nicht vorzugswürdig. d) Maßgebliche Vorbeschäftigungszeit Zu prüfen ist weiterhin, ob eine flexible Altersgrenze von einer Mindestbeschäftigungsdauer abhängig gemacht werden sollte. Demnach müsste das Arbeitsverhältnis eine bestimmte Zeit bestanden haben, bevor ein Anspruch auf Weiterarbeit aufgrund einer flexiblen Altersgrenze besteht. Wenn die erforderliche Vorbeschäftigungszeit nicht vorliegt, könnte eine Weiterbeschäftigung nur aufgrund einer neuen vertraglichen Vereinbarung erfolgen. Diese Voraussetzung wäre sinnvoll, um zu verhindern, dass flexible Altersgrenzen die Neueinstellung rentennaher Arbeitnehmer hemmen. Nur bei einer längeren Vorbeschäftigung und einer Erprobung des Arbeitnehmers ist es gerechtfertigt, dem Arbeitgeber ein Begründungserfordernis aufzuerlegen. Weiterhin besteht nur bei einer gewissen Vorbeschäftigungsdauer eine gesteigerte soziale Verantwortung des Arbeitgebers. Diese rechtfertigt es, dem Arbeitgeber Anpassungen im Rahmen der Personalplanung zuzumuten. Die Vorbeschäftigungszeit dürfte jedoch nicht zu lang sein, um Arbeitnehmer mit Diskontinuitäten in der Erwerbsbiografie nicht von flexiblen Lösungen auszuschließen. e) Anpassungen im Kündigungsschutz Bei der Ausgestaltung flexibler Altersgrenzen könnten parallel auch die in Abschnitt A. dieses Kapitels vorgeschlagenen Anpassungen im Kündigungsschutz124 Statistisches Bundesamt, Arbeitsmarkt auf einen Blick, Deutschland und Europa, November 2018, S. 10 f.: Durchschnittsberechnung auf Grundlage der Erwerbslosenquote von 10,7 Prozent für Männer und 8,0 Prozent für Frauen. 125 Statistisches Bundesamt, Arbeitsmarkt auf einen Blick, Deutschland und Europa, November 2018, S. 10.
B. Altersgrenzen
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recht erfolgen, um dem Arbeitgeber die nachträgliche Anpassung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen. In jedem Fall müssen tarifliche Regelungen zur Unkündbarkeit angepasst oder im Wege der Auslegung begrenzt werden. f) Bezug einer Altersrente Es ist zudem zu prüfen, ob die Möglichkeit der flexiblen Weiterarbeit davon abhängig sein sollte, dass die weiterarbeitenden Arbeitnehmer den Bezug der Regelaltersrente hinauszögern. Dies könnte damit begründet werden, dass Mitnahmeeffekten vorgebeugt und die Ernsthaftigkeit der Entscheidung zur Weiterarbeit gewährleistet wird, wenn sich der weiterarbeitende Arbeitnehmer zwischen dem Rentenbezug oder der Weiterarbeit entscheiden muss.126 Diesem Vorschlag ist jedoch nicht zu folgen, weil die persönliche Wahlfreiheit des Arbeitnehmers eingeschränkt wird. Wäre eine Kombination von Rentenbezug und Weiterarbeit nicht möglich, bestünde gerade bei einer Weiterarbeit in Teilzeit die Gefahr, dass das erwirtschaftete Einkommen allein den Lebensunterhalt nicht deckt. Bei einer flexiblen Altersgrenze ist auch nicht mit generellen Mitnahmeeffekten zu rechnen, da die Vorschrift einen beschränkten sachlichen Anwendungsbereich hat. Zudem setzt das Rentenrecht mit der möglichen Erhöhung des Rentenzugangsfaktors (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 lit. b SGB VI) einen langfristigen wirtschaftlichen Anreiz, den Rentenbezug hinauszuschieben. g) Tarifvertragliche Abweichung Zuletzt soll es den Tarifvertragsparteien möglich sein, branchenspezifische abweichende Lösungen zu erarbeiten. Für bestimmte Branchen oder Führungspositionen könnte es sinnvoll sein, allgemeine Altersgrenzen aufrecht zu erhalten. Die Tarifvertragsparteien könnten die jeweiligen Besonderheiten aufgrund gesteigerter Sachnähe besonders berücksichtigen. 3. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Die flexiblen Altersgrenzen müssten auch mit dem höherrangigen Recht vereinbar sein. Wenn flexible Altersgrenzen es zulassen, dass ein Arbeitsverhältnis aufgrund betrieblicher oder persönlicher Gründe nur befristet ermöglicht wird, genügt dies dem Sachgrunderfordernis in § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung. Es werden konkrete Tatbestandsmerkmale benannt, anhand derer die Zulässigkeit von Befristungen überprüft werden kann. 126
Vgl. auch Bepler, Verhandlungen des 67. DJT, Bd. II/1, K 9 (36).
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
Weiterhin dürfte die Regelung nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in der Richtlinie 2000/78/EG verstoßen. In den Rechtssachen Palacios de la Villa, Hörnfeldt und Rosenbladt ordnet der EuGH Altersgrenzen als zulässig ein, die auf eine Bezugsmöglichkeit der Regelaltersrente abstellen. Der bedingte Anspruch auf Weiterarbeit begrenzt allgemeine Altersgrenzen inhaltlich und stellt rentenberechtigte Arbeitnehmer im Vergleich zur gegenwärtigen Rechtslage besser. Zudem ist die befristete Weiterbeschäftigung ebenso wie bei jüngeren Arbeitnehmern von einem Sachgrund abhängig. Es besteht im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern somit keine Ungleichbehandlung. Die Einführung flexibler Altersgrenzen mit einem bedingten Anspruch auf Weiterarbeit wäre mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar.
III. Ergebnis Wie die vorausgehende Darstellung belegt, erfordert die Einführung flexibler Altersgrenzen umfassende Anpassungen des arbeitsrechtlichen Rechtsrahmens. Hierbei stehen das Kündigungsrecht nach Erreichen der Regelaltersgrenze und das Recht der Altersgrenzen miteinander im Zusammenhang.127 Die Ausgestaltung flexibler Altersgrenzen sollte daher davon abhängig gemacht werden, inwieweit Anpassungen im Kündigungsschutzrecht nach Erreichen des Rentenalters erfolgen. Ein „mehr“ an Kündigungsschutz bedingt strengere Altersgrenzen oder Befristungsvorschriften. Bei einer Anpassung des Kündigungsschutzrechts an die besondere Interessenlage nach Erreichen der Regelaltersgrenze könnten Altersgrenzen in Zukunft vollständig entbehrlich werden. Es handelt sich somit um zwei alternative Ansatzpunkte, um den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu flexibilisieren und den Interessen der Weiterarbeitenden Rechnung zu tragen. In jedem Fall steht es im Ermessen des Gesetzgebers, inwieweit dem Arbeitnehmer ein unbedingter oder bedingter Anspruch auf eine Weiterarbeit zugebilligt wird. Im Rahmen der Ausgestaltung könnten die vorgestellten Regelungsbestandteile flexibler Altersgrenzen relevant werden, um die Interessen der Arbeitsvertragsparteien in Einklang zu bringen. Die grundlegenden Entscheidungen zum Bestandsschutz vor und nach Erreichen der Regelaltersgrenze müssen auf dieser Grundlage durch den Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums getroffen werden.
127 Vgl.
Steinmeyer, NZA 1998, S. 905 (908).
C. Befristungsrecht
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C. Befristungsrecht Der letzte Ansatzpunkt für eine Ausgestaltung des flexiblen Übergangs in den Ruhestand ist das Befristungsrecht. Nach gegenwärtiger Rechtslage können Befristungen nach Erreichen des Rentenalters auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI oder § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG vereinbart werden. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache John führt zu mehr Rechtssicherheit bei der Anwendung von § 41 S. 3 SGB VI. Die Entscheidung bezieht sich auf den befristungsrechtlichen Mindeststandard der Rahmenvereinbarung zur Befristungsrichtlinie. Darüber hinausgehend könnten die Mitgliedstaaten weitergehende Einschränkungen von Befristungen im Rentenalter vornehmen. Da die Befristungsmöglichkeit in § 41 S. 3 SGB VI nach vorliegend vertretener Ansicht nicht in die Systematik des deutschen und europäischen Befristungsrechts passt, solange keine differenzierenden Einschränkungen bestehen und zu nachteiligen ökonomischen Folgen führen kann, wird eine Anpassung der Norm befürwortet.
I. Vorschläge in der Literatur In der rechtswissenschaftlichen Literatur werden verschiedene Ansätze zur Einschränkung von § 41 S. 3 SGB VI vertreten. Hauptsächlich wird vorgeschlagen, den zeitlichen Anwendungsbereich von § 41 S. 3 SGB VI zu begrenzen. In Anlehnung an § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG wird eine maximale Befristungsdauer von fünf Jahren vorgeschlagen.128 Zusätzlich wird auch eine Begrenzung der Anzahl der Verlängerungen befürwortet.129 Groeger geht davon aus, dass nach einer Befristung von drei Jahren der Zusammenhang mit der ursprünglichen Altersgrenze entfällt, deren Sachgrund auf die Weiterarbeit ausstrahlt.130 Giesen hingegen schlägt eine Orientierung der Mindestbefristungsdauer an den Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 S. 1 BGB vor.131
128 Vgl. Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (87); Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 71 (81); Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (82); Sprenger, BB 2016, S. 757 (760 f.). 129 Bauer, NZA 2014, S. 889 (890); Bayreuther, NZA-Beil. 2015, S. 84 (87); Kiel, NZA-Beil. 2016, S. 71 (81); Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (82) befürworten maximal fünf Verlängerungen; Sprenger, BB 2016, S. 757 (760 f.) schlägt maximal sieben Befristungen vor. 130 Groeger, ZTR 2015, S. 115 (119 ff.). 131 Giesen, ZfA 2014, S. 217 (228).
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
II. Vorschlag zur Anpassung der Befristung im Rentenalter Im Anschluss an die John-Entscheidung des EuGH, die auf eine Vorlage des Landesarbeitsgerichts Bremen erging,132 entschied das BAG Ende des Jahres 2018 ebenfalls zur Wirksamkeit einer Befristung auf Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI.133 Beide Rechtssachen befassen sich mit der Wirksamkeit einer erstmaligen Befristung auf der Grundlage von § 41 S. 3 SGB VI. In dieser Konstellation gelten nach hier vertretener Ansicht die Vorgaben von § 5 der Rahmenvereinbarung nicht.134 Auf Grundlage der Entscheidungen des EuGH und des BAG wird § 41 S. 3 SGB VI auf absehbare Zeit die Rechtsgrundlage der Weiterbeschäf tigung nach Erreichen des Rentenalters bilden. Im Folgenden werden jedoch A nsätze für eine mögliche systemkonforme Anpassung der Befristungsregelung de lege ferenda dargestellt. 1. Systematische Einordnung In systematischer Hinsicht ist es vorzugswürdig, die Befristung im Rentenalter in § 14 TzBfG zu integrieren, anstatt diese in § 41 SGB VI zu regeln. Die Befristung im Rentenalter stünde dann in sachlich-formalem Zusammenhang mit den anderen Sachgründen und dem Befristungsgrund der Altersgrenzen gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG. Darüber hinaus gibt es zwei Möglichkeiten, um § 41 S. 3 SGB VI an die Vorgaben der Befristungsrichtlinie anzupassen. Es könnten entweder zeitliche oder sachliche Einschränkungen aufgenommen werden. 2. Zeitliche Begrenzungen Die Befristung im Rentenalter könnte zunächst im Hinblick auf die maximale Befristungsdauer oder die Anzahl möglicher Verlängerungen begrenzt werden. Dies würde dazu führen, dass besonders lange oder in kurzen Abständen erfolgende Befristungen eingeschränkt würden. Gegen eine zeitliche Begrenzung spricht jedoch, dass eine solche sachgrundlose Befristung im Rentenalter nicht ohne Weiteres in die Struktur der sachgrundlosen Befristungen im TzBfG gemäß § 14 Abs. 2, Abs. 2a und Abs. 3 TzBfG passt. Diese ermöglichen die Erprobung des Beschäftigungsverhältnisses aufgrund eines betrieblichen oder persönlichen Unsicherheitstatbestands und sollen Neueinstellungen fördern. Die Gesichtspunkte sind, wie Greiner betont, ein 132
LAG Bremen, Beschl. v. 23. 11. 2016 – 3 Sa 78/16, NZA-RR 2017, 290 ff. BAG, Urt. v. 19. 12. 2018 – 7 AZR 70/17, NJW 2019, 1322; Vorinstanz: LAG Niedersachen, Urt. v. 29. 11. 2016 – 10 Sa 218/16, ZTR 2017, S. 318 ff. 134 Vgl. Kapitel 3 D.II.1. 133
C. Befristungsrecht
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Sachgrundkern der sachgrundlosen Befristung, deren gerichtliche Überprüfung aus beschäftigungspolitischen Gründen entfällt.135 In diesem Sinn dient § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG der Erprobung der Fähigkeiten eines neu eingestellten Arbeitnehmers und § 14 Abs. 2a TzBfG trägt bei Unternehmensneugründungen der wirtschaftlichen Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung Rechnung. Die Befristung älterer Arbeitnehmer bei längerer Beschäftigungslosigkeit (§ 14 Abs. 3 TzBfG) dient der Überwindung von Einstellungshemmnissen in Bezug auf langzeitarbeitslose ältere Arbeitnehmer. Bei der Befristung von Rentnern gilt der Gesichtspunkt der Erprobung von Fähigkeiten jedoch nur bedingt, wenn ein bestehendes Arbeitsverhältnis eines bereits eingearbeiteten Arbeitnehmers verlängert wird. Die Unsicherheit bezieht sich vielmehr auf den zukünftig möglicherweise abfallenden Gesundheitszustand älterer Arbeitnehmer. Angesichts des bekannten und weitergeführten Arbeitsverhältnisses besteht jedoch eine deutlich geringere Unsicherheit. Weiterhin führen zeitliche Grenzen zu einer Inflexibilität, die auch durch Altersgrenzen geschaffen wird. Zuletzt birgt eine sachgrundlose Befristungsmöglichkeit im Rentenalter, die nur zeitlich begrenzt ist, erneut die Gefahr, dass die Beschäftigung von Rentnern vergünstigt wird. Der Arbeitgeber könnte sachgrundlose Anschlussbefristungen in Kenntnis der Person und der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers vereinbaren und unterläge geringeren Rechtfertigungsanforderungen als bei einer Sachgrundbefristung jüngerer Arbeitnehmer. Hierdurch könnten Anreize gegen die Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer gesetzt werden. Die maximale Dauer der Befristung sollte daher nicht von vorgegebenen Befristungszeiträumen abhängig gemacht werden, sondern vom jeweiligen sachlichen Anlass der Befristung. 3. Sachliche Begrenzungen Aus diesen Gründen ist die Ausgestaltung der Befristung im Rentenalter als Sachgrundbefristung zu befürworten. Die jeweiligen Motivationen der Weiterarbeit und Weiterbeschäftigung könnten als Tatbestandsmerkmale normiert werden. Dies ermöglicht eine gerichtliche Überprüfung und eine Differenzierung zwischen erwünschten und unerwünschten Befristungen im Rentenalter. Ansatzpunkte für entsprechende Sachgründe bietet die Gesetzesbegründung zu § 41 S. 3 SGB VI136 sowie das BAG-Urteil zu den Voraussetzungen der Befristung im Rentenalter auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG.137
135
Greiner, ZESAR 2013, S. 305 (307). BT-Drs. 18/1489. 137 BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 28). 136
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Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
Die Entscheidung des BAG wurde teilweise als wenig praktikabel und unbestimmt kritisiert.138 Dennoch bieten die richterrechtlich entwickelten Merkmale Anhaltspunkte für die Differenzierung zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen im Einzelfall. Ferner würde ein Gleichlauf der Anforderungen von § 41 S. 3 SGB VI und § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG zu einer Gleichbehandlung sämtlicher Befristungen im Rentenalter führen, unabhängig davon, ob eine Neueinstellung oder eine Weiterarbeit erfolgt. a) Gesetzgebungsvorschlag Eine Abänderung von § 41 S. 3 SGB VI könnte wie folgt gestaltet werden: § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6a TzBfG-E: Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn die Befristung nach Erreichen der vertraglichen Regelaltersgrenze erfolgt und der Einarbeitung eines Nachfolgers, dem Abschluss eines Projekts oder der Personal- und Übergangsplanung des Arbeitgebers dient. aa) Erreichen der Regelaltersgrenze Zunächst sollte vorausgesetzt werden, dass der Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze erreicht hat. bb) Bezug einer Altersrente Der Gesetzgebungsvorschlag setzt keinen Rentenanspruch des Arbeitnehmers voraus. Das BAG sah „eine rentenrechtliche Versorgung“ hingegen als Teil des Sachgrunds einer Befristung im Rentenalter an.139 Hierbei handelt es sich jedoch um eine Doppelung der Voraussetzungen, da das Bestehen eines Rentenanspruchs bereits Voraussetzung für eine wirksame vertragliche Altersgrenze ist.140 Weiterhin erfolgt aufgrund der sachlichen Anforderungen keine Absenkung des Befristungsschutzes im Vergleich zu den übrigen Sachgründen des § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG. Daher ist eine finanzielle Absicherung durch die Altersrente nicht erforderlich. cc) Personalplanung des Arbeitgebers Im vorliegenden Entwurf werden drei Regelbeispiele für zulässige Befristungen nach Erreichen des Rentenalters aufgeführt. Den Abschluss eines Projekts oder die Einarbeitung eines Nachfolgers benennt auch die Gesetzesbegründung 138
Greiner, RdA 2018, S. 65 (66); Kreikebohm/Mestwerdt, RdA 2018, S. 71 (81). BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (1068). 140 Vgl. BeckOK-ArbR/Bayreuther, § 14 TzBfG, Rn. 71. 139
C. Befristungsrecht
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zu § 41 S. 3 SGB VI als Beispiele für eine zulässige befristete Weiterbeschäftigung.141 Auch das BAG führte die Einarbeitung eines Nachfolgers als Beispiel einer zulässigen Befristung im Rentenalter auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG an.142 Weiterhin kann die Befristung erfolgen, wenn diese allgemein der Personal- und Übergangsplanung des Arbeitgebers dient. Die aufgeführten Beispiele normieren die zulässige Befristung im Rentenalter nicht abschließend. Insbesondere der letzte Halbsatz des Regelungsvorschlags lässt Befristungen auch in sonstigen Fällen einer entsprechenden Personal- und Übergangsplanung des Arbeitgebers zu. Es ist eine Vielzahl weiterer Fallgestaltungen denkbar, in denen eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses möglich wäre, wie zum Beispiel bei Verzögerungen im Rahmen der Nachbesetzung einer Stelle. b) Verhältnis zu anderen Befristungsgründen in § 14 TzBfG Neben dem vorgeschlagenen neuen Befristungsgrund für Arbeitnehmer im Rentenalter finden die Befristungsgründe in § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG weiterhin Anwendung. Eine Differenzierung könnte danach erfolgen, ob die jeweilige Tätigkeit des Arbeitnehmers verlängert wird oder ob sie unabhängig von der früheren Tätigkeit erfolgt.143 Bei einer Verlängerung der ursprünglichen Tätigkeit, wäre der vorgeschlagene spezielle Befristungsgrund für Arbeitnehmer im Rentenalter einschlägig. c) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Der Regelungsvorschlag müsste auch den Anforderungen des höherrangigen Rechts entsprechen. aa) Art. 12 Abs. 1 GG Zunächst ist der in Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Mindestbestandsschutz zu beachten. Die vorgeschlagene Regelung ist als Sachgrundbefristung ausgestaltet und lässt Befristungen nur zu, wenn eine konkrete Personalplanung des Arbeitgebers die zeitlich begrenzte Tätigkeit rechtfertigt. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegt somit einer inhaltlichen Überprüfung anhand des Sachgrundkriteriums, so dass die Voraussetzungen des Mindestbestandsschutzes gewahrt sind.
141
BT-Drs. 18/1489, S. 25. BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (1069). 143 Hoppe, RdA 2016, S. 236 (238). 142
320
Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
bb) Befristungsrichtlinie (RL 1999/70/EG) Auf der Grundlage der John-Entscheidung des EuGH liegt die Annahme nahe, dass jede Befristungsregelung für Arbeitnehmer nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze unionsrechtlich unbedenklich wäre. Nach den Maßstäben von § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung, die auch für jüngere Arbeitnehmer gelten, müsste die Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Nach dem oben genannten Regelungsvorschlag darf eine Befristung nur erfolgen, wenn die Verlängerung aufgrund der konkreten Personal- und Übergangsplanung des Arbeitgebers gerechtfertigt ist. Diese Voraussetzung genügt den Anforderungen an den Sachgrund im deutschen und europäischen Befristungsrecht, da die Zulässigkeit der Befristung gerichtlich überprüft werden kann. Der Sachgrund ist im Übrigen auch geeignet, missbräuchliche Kettenbefristungen zu verhindern. Die genannten Konstellationen der Einarbeitung eines Nachfolgers oder des Abschlusses eines Projekts konkretisieren Tätigkeiten, die vorübergehend und zeitlich begrenzt sind. Auch das Kriterium der Personal- und Übergangsplanung setzt sachlogisch voraus, dass die Weiterarbeit auf einer vorübergehenden konkreten Planung des Arbeitgebers beruht. cc) Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG) Weiterhin müsste der Regelungsvorschlag mit der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie vereinbar sein. Eine unmittelbare Diskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 lit. a setzt eine weniger günstige Behandlung aufgrund eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Diskriminierungsmerkmale voraus. Eine weniger günstige Behandlung liegt nicht vor, da das Erfordernis einer konkreten Übergangs- und Personalplanung im Regelungsentwurf den übrigen in § 14 TzBfG genannten Sachgründen wertungsmäßig entspricht. Dies folgt daraus, dass der Sachgrund eine gerichtliche Überprüfung ermöglicht, an eine konkrete Tätigkeit anknüpft und inhärent das Kriterium zeitlicher Begrenzung aufweist.
III. Ergebnis Demnach bietet das Befristungsrecht eine Alternative für die rechtssichere Ausgestaltung der zeitlich begrenzten Weiterarbeit im Rentenalter. Eine Regelung im Befristungsrecht ist im Vergleich zur Anpassung des Kündigungsschutzrechts oder der Altersgrenzen eine „kleinere“ Lösung, die sich in die vom Gesetzgeber geschaffene, vorhandene Regelungsstruktur einfügt. Ausgehend von der bestehenden Regelungsstruktur könnten die herausgearbeiteten systematischen Defizite der befristeten Weiterbeschäftigung im Rentenalter ausgeglichen werden. Dies wäre möglich, wenn die in der Gesetzesbegründung zu § 41 S. 3 SGB VI
D. Schlussfolgerung
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genannten Anwendungsfälle der Befristungsvorschrift als Sachgründe für eine Befristung im Rentenalter normiert würden, indem eine konkrete Personalplanung für die Befristung vorausgesetzt wird. Weiterhin wäre es vorzugswürdig, die Regelung in das TzBfG einzugliedern.
D. Schlussfolgerung Im vorliegenden Kapitel wurden Regelungsalternativen zur Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter untersucht. Die Ausgestaltungsoptionen im Kündigungsschutzrecht, im Hinblick auf Altersgrenzen und im Befristungsrecht stehen hierbei in Abhängigkeit zueinander. Im Kündigungsschutzrecht sind insbesondere Anpassungen der tariflichen Unkündbarkeit älterer Arbeitnehmer sowie der personen- und betriebsbedingten Kündigung erforderlich, um das geltende Recht an die Bedürfnisse der Weiterarbeit im Rentenalter anzupassen. Die gesetzliche Einschränkung von Abfindungszahlungen für Arbeitnehmer im Rentenalter gestaltet sich aus systematischen Gesichtspunkten schwierig, da das Kündigungsschutzrecht grundsätzlich als Bestandsschutzrecht ausgestaltet ist. Es sind nur Einschränkungen von Sozialplanabfindungen oder eine Anpassung von § 1a KSchG denkbar. Weiterhin könnte eine gesetzgeberische Flexibilisierung von Altersgrenzen durch einen bedingten Anspruch auf Weiterarbeit erfolgen. Anders als nach geltender Rechtslage müsste das Ausscheiden eines Arbeitnehmers bei Erreichen des Rentenalters konkret gerechtfertigt werden. Dies stärkt die Position des A rbeitnehmers, führt jedoch auch zu einer gesteigerten Rechtsunsicherheit für Arbeitgeber. Um dem entgegenzuwirken, könnte die flexible Altersgrenze daher durch die dargestellten Regelungselemente, wie z. B. eine maximale Altersgrenze, eine bestimmte Vorbeschäftigungsdauer oder durch Anpassungen im Kündigungsschutzrecht ergänzt werden. Weiterhin könnten flexible Altersgrenzen Anpassungen der tariflichen Unkündbarkeitsregelungen älterer Arbeitnehmer oder Einschränkungen von Abfindungsansprüchen erforderlich machen. Diese Regelungsbausteine tragen dazu bei, Rechtssicherheit zu schaffen und negative Beschäftigungsanreize zulasten älterer Arbeitnehmer zu vermeiden. Zuletzt könnte eine Anpassung des Befristungsrechts durch eine sachliche Einschränkung der Befristung im Rentenalter erfolgen, die sich an den Regelungszielen des Gesetzgebers bei Einführung von § 41 S. 3 SGB VI und den Vorgaben der Rechtsprechung des BAG aus dem Jahr 2015 orientiert. Eine Befristung im Rentenalter wäre nach dem vorgestellten Entwurf möglich, wenn dies der Einarbeitung eines Nachfolgers, dem Abschluss eines Projekts oder einer Personal- und Übergangsplanung des Arbeitgebers dient. Eine entsprechende
322
Kap. 7: Vorschläge zur alternativen Ausgestaltung der Weiterarbeit
Gesetzesänderung ermöglicht eine rechtssichere Ausgestaltung der Weiterarbeit und erfordert keine umfassende Anpassung des arbeitsrechtlichen Regelungsrahmens. Demnach gibt es verschiedene Alternativen für die Ausgestaltung der Weiterarbeit. Zwischen den vorgestellten Varianten ist eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung erforderlich, da nur der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die Abwägungsentscheidung zwischen den Interessen der Arbeitsvertragsparteien treffen kann. Es handelt sich mithin um eine umfassende gesetzgeberische Gestaltungsaufgabe, die nicht nur den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern auch den Interessen verschiedener Generationen sowie der Systematik des Bestandsschutzes Rechnung tragen muss. Angesichts der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Befristungsmöglichkeit im Rentenalter sollte daher zunächst eine sachliche Eingrenzung von § 41 S. 3 SGB VI und eine Eingliederung in das TzBfG erfolgen. Langfristig wäre eine Eingliederung der Weiterarbeit im Rentenalter in den Regelungsrahmen von Altersgrenzen vorzugswürdig. Je nach Ausgestaltung flexibler Altersgrenzen wären allgemeine vertragliche Altersgrenzen damit auf lange Sicht entbehrlich.
Kapitel 8
Ergebnis und Ausblick Kap. 8: Ergebnis und Ausblick
Die vorliegende Arbeit untersuchte die Frage, wie die Erwerbsarbeit im Rentenalter derzeit ausgestaltet ist und zukünftig ausgestaltet werden kann. Aufgrund des demografischen Wandels müssen Antworten im Hinblick auf den Fachkräftemangel und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme gefunden werden. Ein Ansatz, um diese Problemstellung zu beheben, ist die freiwillige verlängerte Erwerbstätigkeit im Rentenalter. Gleichzeitig müssen soziale Sicherungssysteme auch in Zukunft eine verlässliche Grundlage der Absicherung im Rentenalter bilden. Mit § 41 S. 3 SGB VI erließ der Gesetzgeber eine Befristungsregelung, um die stetig zunehmende Weiterarbeit im Rentenalter erstmals gesetzlich auszugestalten. Die in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht unbegrenzte Befristungsmöglichkeit im Rentenalter führte zu einer Kontroverse in der rechtswissenschaftlichen Literatur über die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht. Der EuGH stellte nun klar, dass die Vorschrift nicht gegen das unionsrechtliche Gleichbehandlung- oder Befristungsrecht verstößt.1 Diese weitreichende Entscheidung eignete sich als Anknüpfungspunkt für eine Untersuchung der Systematik des nationalen und unionsrechtlichen Befristungsrechts. Das EuGH-Urteil knüpft ebenso wie § 41 S. 3 SGB VI an allgemeine Altersgrenzen an und überträgt ihre Rechtfertigung auf Befristungen im Rentenalter. Die befristete Weiterarbeit ist jedoch weder in ihren Voraussetzungen noch in ihrer Funktion mit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses durch Altersgrenzen vergleichbar. Diese werden regelmäßig zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses und damit weit im Voraus vereinbart. Für Altersgrenzen ist daher eine „typisierende Betrachtung“ gerechtfertigt, die jedoch nicht auf einzelne Befristungen nach Erreichen des Rentenalters übertragen werden kann.2 Zudem bestehen weder im nationalen Recht noch im Unionsrecht Anhaltspunkte dafür, dass nach Erreichen der Regelaltersgrenze andere Maßstäbe im Bestandsschutz gelten. Somit müssen die allgemeinen Voraussetzungen des Befristungs- und Gleichbehandlungsrechts eingehalten werden. § 41 S. 3 SGB VI setzt jedoch nur voraus, dass der Arbeitnehmer das Rentenalter erreichte, und enthält darüber hinaus keine der unionsrechtlich vorgegebenen sachlichen oder zeitlichen Einschränkungen von Befristungen. Aus 1 2
EuGH, Urt. v. 28. 2. 2018 – C-46/17, NZA 2018, S. 355 (Rn. 33, 57) – John. BAG, Urt. v. 11. 2. 2015 – 7 AZR 17/13, NZA 2015, S. 1066 (Rn. 28).
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Kap. 8: Ergebnis und Ausblick
diesen Gründen genügt § 41 S. 3 SGB VI den Anforderungen des unionsrechtlichen Befristungsrechts kaum, solange keine differenzierenden Einschränkungen bestehen. Die nach vorliegend vertretener Ansicht entstehende Ungleichbehandlung rentenberechtigter Arbeitnehmer kann ebenfalls nicht allein mit dem Ziel der Beschäftigungsförderung gerechtfertigt werden. Aus diesen Gründen wäre es trotz der großzügigen EuGH-Rechtsprechung zur Befristung im Rentenalter möglich, dass in Einzelfällen eine Einschränkung von § 41 S. 3 SGB VI durch die nationale Rechtsprechung erfolgen wird. Neben der Einführung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit hätte der Gesetzgeber die Ausgestaltung der Weiterarbeit auch nutzen können, um grundlegende arbeits- und sozialrechtliche Eckpfeiler der Berufstätigkeit nach Erreichen vertraglicher Altersgrenzen grundsätzlich zu regeln. Wie die vorgestellten Gestaltungsvarianten zeigen, gibt es im Kündigungsschutzrecht, im Recht vertraglicher Altersgrenzen oder im Befristungsrecht entsprechende Ausgangspunkte. So könnte § 41 S. 3 SGB VI in die Regelungsstruktur des TzBfG eingegliedert und durch sachliche Befristungsvoraussetzungen eingeschränkt werden. Langfristig wäre es möglich, an Altersgrenzen anzusetzen und den Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand zu flexibilisieren. Hierbei obliegt es dem Gesetzgeber, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitsvertragsparteien in bestehenden Arbeitsverhältnissen und der Arbeitssuchenden sowie der Interessen der verschiedenen Generationen von Arbeitnehmern zu finden. Ein solcher Ausgleich könnte anhand der vorgestellten Regelungselemente gestaltet werden. Das Arbeitsrecht und insbesondere das Bestandsschutzrecht ist jedoch nur ein Baustein im Rahmen der Förderung einer Weiterarbeit im Rentenalter. Diese muss ferner „eingebettet sein in eine Politik des lebenslangen Lernens einschließlich der betrieblichen Weiterbildung, der betrieblichen Gesundheitsförderung und einer alternsgerechten Gestaltung der Arbeit.“3 Insbesondere ist der Erhalt der Erwerbsfähigkeit bis ins höhere Alter erforderlich. Weiterhin stellen sich auch Fragen der steuerlichen Förderung des längeren Verbleibs in der Berufstätigkeit. Erst eine Kombination gesetzlicher, sozialer und bildungsbezogener Maßnahmen kann eine verstärkte Wertschätzung und größere Beteiligung älterer Arbeitnehmer nach Erreichen des Rentenalters herbeiführen. Eine gesetzliche Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen ist hierfür jedoch der erste Schritt. Diese kann und sollte aus sozialen, demografischen und ökonomischen Gesichtspunkten dazu beitragen, die Weiterarbeit im Rentenalter zu ermöglichen und zu fördern. Wie es der frühere Bundespräsident Gauck formulierte, ist „eine der wichtigsten Botschaften des demographischen Wandels […] doch: Wir gewinnen Lebenszeit. Es geht darum, diese Zeit sinnvoll zu nutzen und zu verteilen.“4 3 4
Kohte, AuR 2007, S. 168. Gauck, Neue Altersbilder, 31. 3. 2015, S. 5.
Kapitel 9
Thesen Kap. 9: Thesen
1. In alternden Gesellschaften erlangt die Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters zunehmende Bedeutung. Die freiwillige verlängerte Erwerbstätigkeit im Rentenalter kann den demografisch bedingten Fachkräftemangel und die Auswirkungen der Alterung der Gesellschaft auf das Rentenversicherungssystem abschwächen. Sie hat somit eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. 2. Regelmäßig enden Arbeitsverhältnisse aufgrund einzel- oder kollektivvertraglicher Altersgrenzen. Die Entscheidung der Arbeitsvertragsparteien über die anschließende Weiterarbeit hängt im Wesentlichen vom arbeitsrechtlichen Rechtsrahmen ab. 3. Bei der Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter gibt es verschiedene Ansätze, die den Interessen der Arbeitsvertragsparteien teilweise nur eingeschränkt Rechnung tragen. Im Zentrum der rechtswissenschaftlichen Diskussion steht die befristete Weiterarbeit im Rentenalter. Seit der Einführung von § 41 S. 3 SGB VI im Jahr 2014 können die Arbeitsvertragsparteien den Beendigungszeitpunkt einer Altersgrenze während der Laufzeit des Arbeitsverhältnisses auch mehrfach „hinausschieben“. 4. Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI eignet sich als Ausgangspunkt für eine Untersuchung der grundlegenden Systematik des Befristungsrechts und des Sachgrundbegriffs anhand der verschiedenen Schutzkonzepte im europäischen und nationalen Befristungsrecht. Beide Schutzsysteme näherten sich infolge der Harmonisierung des Befristungsrechts an. 5. Ausgangspunkt der Befristungskontrolle ist das Erfordernis eines Sachgrunds, der als Generalklausel rechtliche Zielkonflikte in Einklang bringt. Aus einer Gesamtschau der Rechtsprechung des EuGH zur Befristungsrichtlinie können drei Kriterien des unionsrechtlichen Sachgrundbegriffs abgeleitet werden. Der Sachgrund muss zunächst eine gerichtliche Überprüfung der Befristung anhand konkreter Tatbestandsmerkmale ermöglichen. Dies unterscheidet die Sachgrundbefristung im Wesentlichen von der sachgrundlosen Befristung. Weiterhin setzt der Sachgrundbegriff einen Bezug zur Tätigkeit des Arbeitnehmers und einen vorübergehenden Beschäftigungsbedarf voraus. Die unionsrechtlich vorgegebene Missbrauchskontrolle ergänzt das Kriterium des Sachgrunds darüber hinaus im jeweiligen Einzelfall.
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6. Der EuGH entschied in der Rechtssache John, dass § 41 S. 3 SGB VI umfassend mit den Anforderungen der Befristungsrichtlinie vereinbar ist. Die Entscheidung beendet die Rechtsunsicherheit über die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Unionsrecht und wird zu einer verstärkten Anwendung der Befristungsregelung in der Praxis führen. Gleichzeitig wirft die Entscheidung unter systematischen Gesichtspunkten Fragen auf. 7. Die Regelung in § 41 S. 3 SGB VI genügt nach vorliegend vertretener Ansicht nicht den unionsrechtlichen Anforderungen an Befristungen, da weder zeitliche noch sachliche Beschränkungen bestehen. Insbesondere ist das Erreichen der Altersgrenze nicht als Sachgrund für eine Befristung anzusehen. Es steht in keinem Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit oder einem vorübergehenden Beschäftigungsbedarf. Vielmehr eröffnet das Erreichen der Altersgrenze allein den persönlichen Anwendungsbereich der Norm und ermöglicht keine weitergehende gerichtliche Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Befristungen anhand konkreter Tatbestandsmerkmale. In der Systematik des deutschen Befristungsrechts entspricht es vielmehr der Zielsetzung der zeitlich begrenzten sachgrundlosen Befristung, Befristungen aus beschäftigungspolitischen Gründen ohne überprüfbare Tatbestandsvoraussetzungen zuzulassen. 8. Der EuGH prüft in der Rechtssache John nicht die unionsrechtlichen Anforderungen an Befristungen, sondern überträgt die Rechtfertigung allgemeiner Altersgrenzen auf die anschließende Weiterbeschäftigung im Rentenalter. Die Befristung nach Erreichen des Rentenalters ist als individuelle arbeitsvertragliche Gestaltung jedoch weder in ihren Voraussetzungen noch in ihrer Funktion mit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses durch Altersgrenzen vergleichbar. Die Zielsetzung des Befristungsrechts, die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen zu verhindern, findet auch im Rentenalter Anwendung. Den Besonderheiten der Weiterarbeit kann ferner auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Einschränkungen von Befristungen Rechnung getragen werden. 9. Der EuGH nimmt keine Benachteiligung aufgrund des Alters i. S. v. Art. 2 Abs. 2 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG) an. Der Gerichtshof geht von einem subjektiv „günstigen und vorteilhaften“ Charakter von § 41 S. 3 SGB VI aus. Trotz der möglichen positiven Beschäftigungseffekte liegt nach vorliegend vertretener Ansicht eine Benachteiligung aufgrund des Alters vor, weil die erleichterte Befristungsmöglichkeit unmittelbar an das Erreichen der Altersgrenze anknüpft. 10. Die Vorteile der erleichterten Befristungsmöglichkeit sind auf Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen. Die Ungleichbehandlung aufgrund des Alters ist nach vorliegend vertretener Ansicht auch im Hinblick auf das legitime Ziel der Beschäftigungsförderung unverhältnismäßig. Die Weiterarbeit
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im Rentenalter kann auch gefördert werden, wenn sachliche oder zeitliche Begrenzungen der Befristung bestehen. Zudem gilt die erleichterte Befristungsregelung in § 41 S. 3 SGB VI nicht kohärent für alle Arbeitnehmer im Rentenalter, sondern nur bei Verlängerung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses. Im unionsrechtlichen Gleichbehandlungsrecht bestehen auch keine Anhaltspunkte für die grundsätzliche Absenkung der Maßstäbe nach Erreichen des Rentenalters. Die erleichterte Rechtfertigung allgemeiner Altersgrenzen beruht vielmehr darauf, dass der EuGH einen mitgliedstaatlichen Ermessensspielraum im Hinblick auf die grundlegende gesellschaftspolitische Entscheidung über die Dauer der Erwerbstätigkeit und die Ausgestaltung des Rentensystems anerkennt. Dieser Gesichtspunkt kann nicht auf individuelle arbeitsvertragliche Gestaltungen übertragen werden. 11. Das englische Recht eignet sich für einen Rechtsvergleich aufgrund der konzeptionell anderen Sichtweise im Hinblick auf die Ausgestaltung des Arbeitsrechts und die Weiterarbeit im Rentenalter. In England werden Arbeitsverhältnisse seit dem Jahr 2011 nicht durch allgemeine Altersgrenzen, sondern individuell durch Vereinbarungen oder Kündigungen nach Erreichen des Rentenalters beendet. Aufgrund der wesentlichen Unterschiede im Bestandsschutz kann dieser Ansatz nicht ohne Anpassung auf das deutsche Arbeitsrecht übertragen werden. Die Perspektive auf eine Rechtsordnung ohne allgemeine Altersgrenzen zeigt jedoch alternative Ansatzpunkte für die flexible Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter auf. 12. Die ökonomische Folgenbewertung ist im Arbeitsrecht von besonderer Bedeutung, weil Rechtsänderungen direkte Auswirkungen auf eine Vielzahl bestehender und zukünftiger Rechtsverhältnisse haben. Es handelt sich um eine Evaluationsmethode, die darauf beruht, dass arbeitsrechtliche Regelungen häufig bestimmte Arbeitsmarktfolgen herbeiführen sollen. Die Folgenbewertung von § 41 S. 3 SGB VI zeigt, dass die sachlich und zeitlich unbegrenzte Befristungsmöglichkeit die Beschäftigungskosten für Arbeitnehmer im Rentenalter reduziert. Da die weiterarbeitenden Rentner häufig bereits eingearbeitet sind, kann die erleichterte Befristungsmöglichkeit für Rentner Beschäftigungsanreize zulasten jüngerer Arbeitnehmer setzen. 13. Eine alternative Ausgestaltung der Weiterarbeit im Rentenalter de lege ferenda ist eine umfassende gesetzgeberische Gestaltungsaufgabe. Hierbei sind die verschiedenen Interessen unterschiedlicher Altersgruppen, die Systematik des Bestandsschutzes im Arbeitsrecht und das höherrangige Recht zu berücksichtigen. Die Weiterarbeit im Rentenalter sollte hierbei grundlegend und nicht nur im Hinblick auf die Verlängerung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses geregelt werden. Ansätze für eine alternative Ausgestaltung bestehen im Kündigungsschutzrecht, im Hinblick auf Altersgrenzen oder im Befristungsrecht.
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14. Ein richtungsweisender Ansatz wäre die Flexibilisierung allgemeiner Altersgrenzen durch Einführung eines bedingten Anspruchs auf Weiterarbeit. Die Ausgestaltung allgemeiner Altersgrenzen steht hierbei in Abhängigkeit zum Kündigungsschutzrecht bzw. zum Befristungsrecht. Werden Arbeitsverhältnisse nach Erreichen der Altersgrenze unbefristet weitergeführt, sind insbesondere Anpassungen der tariflichen Unkündbarkeitsregelungen älterer Arbeitnehmer erforderlich. Daneben sind auch Einschränkungen von Abfindungsansprüchen in Sozialplänen oder eine Anpassung von § 1a KSchG zu erwägen. 15. Ausgehend vom derzeitigen gesetzgeberischen Regelungsansatz könnten alternativ auch die systematischen Defizite von § 41 S. 3 SGB VI behoben werden, indem die Befristung im Rentenalter als Sachgrundbefristung ausgestaltet und in das TzBfG eingegliedert wird.
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Sachverzeichnis Sachverzeichnis
Abfallende Leistungsfähigkeit 144, 149, 304
Argumentum a forteriori siehe Erst-Recht-Schluss
Abfindungsanspruch 297
Autonome Auslegung
179, 197, 198, 207,
Akzessorische Diskriminierungsverbote 169 Altenquotient 29
Änderung des Inhalts des Arbeitsvertrags 60, 137, 277 225, 310 58
Anwendungsbereich der Befristungsrichtlinie 83, 129 – Persönlicher Anwendungsbereich
83 85
– Vorliegen einer Befristung 129 Äquivalenzprinzip
66
Arbeitnehmeranteil
42, 43, 71, 156, 202, 259
Beschäftigungsfähigkeit 262
47
Arbeitsfähigkeit 262
Besonderheiten der Weiterbeschäftigung 143 Bestandsschutz
34
Betriebsbedingte Kündigung
293
Brexit siehe EU-Austritt Großbritanniens 195, 218, 219
Default Retirement Age 37, 216, 226, 229, 232, 234, 236, 248
Arbeitslosenversicherung 68
Demografischer Wandel 220, 323
Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz 60, 168
Diskriminierungsmerkmal
Arbeitslosengeld 68
81
Beschäftigungslosigkeit 49
Common Law
66
Arbeitnehmerüberlassung
Berufsfreiheit
39, 199,
Beschäftigungsförderungsgesetz
57
– Sachlicher Anwendungsbereich
Berufsbezogene Altersgrenzen 200
Beschäftigungsförderung 93, 94, 134, 139, 140, 189, 208, 247, 263, 269
Annex-Rechtsprechung 58 Anwendung des TzBfG
240
Benachteiligung 182
41
Anrufung des Arbeitsgerichts
Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers 51, 148
Befristungsrecht in Großbritannien
294
Anhörungsverfahren
87
Befristungsquote 240, 274
Altersgrenzen im englischen Recht siehe Default Retirement Age Altersversorgung
301
Befristungskontrollklage siehe Anrufung des Arbeitsgerichts
Altersgrenzen 38, 131, 133, 144, 147, 184, 201, 203, 304
Altersstruktur
Auflösungsurteil
Direktionsrecht
28, 69, 216,
48 166, 204
Sachverzeichnis
361
Diskussionsentwurf eines Arbeits vertragsgesetzes 306
Hinausgeschobener Rentenbezug 67, 274
Employer Justified Retirement Age 227, 231
Hinzuverdienst
Englisches Recht
217
Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten 202 Erst-Recht-Schluss
53, 54, 205, 285
146
Hinzuverdienstgrenzen
68
Homo oeconomicus 255 Implikationen für die nationale Recht sprechung 152
Erwägungsgründe 87
Institutioneller Rechtsmissbrauch 113
Erwerbstätigenquote 28
Isolierter Arbeitgeberanteil
EU-Austritt Großbritanniens 218 EU-Sozialpolitik
100
66, 278
Kettenbefristungen 108, 112, 114, 122, 128, 131, 158
Fachkräftemangel 29, 69, 212, 216, 220
Kohärenzgebot 180, 191
Finanzielle Absicherung
Konkrete Personalplanung 148
Fixed term contracts
146
241
110,
Krankengeld 65
Flexible Altersgrenzen 304, 309
Krankenversicherungspflicht 65
Flexirente
Kündigungsschutzrecht 38, 69, 71, 75, 77, 78, 79, 80, 88, 90, 91, 123, 132, 217, 229, 236, 237, 238, 245, 246, 250, 252, 280, 281, 301, 303, 313, 314, 321, 324, 327, 328
55
Flexirentengesetz 66, 68, 70, 274 Freie Mitarbeit 47 Freiwillige Beitragszahlungen 67 Funktionaler Ansatz 217 Generalklausel 102 Generationengerechtigkeit
194, 201
Gerichtliche Überprüfbarkeit 135
104, 122,
Gesetzesbegründung 160, 161 Gesetzesumgehung 75, 76 Gesetzgeberische Schutzpflichten 42 Gesetzgebungshistorie 55, 70, 82, 226 Gesetzgebungsmaterialien
62
Gesundheitszustand 28, 32, 309, 317 Grenzen der Vertragsgestaltung 59 Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung 49, 159 Grundrechtecharta
95, 202
Grundrechtsbindung der Tarifvertrags parteien 42 Grundsatz der Nichtdiskriminierung 83
Legitime sozialpolitische Ziele von Altersgrenzen 44 Maßgeblicher Zeitpunkt der Befristungskontrolle 43 Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch 83, 86 Methode des Rechtsvergleichs Mindestbestandsschutz 319
216
147, 156, 285,
Missbräuchliche Kettenbefristungen siehe Missbrauchskontrolle Missbrauchskontrolle 125, 126, 153
106, 108, 109,
Mitbestimmung des Betriebsrats
64
Mitgliedstaatlicher Ausgestaltungs spielraum 87 Mitgliedstaatlicher Ermessensspielraum 171, 207
Sachverzeichnis
362
Mitgliedstaatliche Umsetzung 89 Mittelbare Diskriminierung 181
143, 158, 182, 194, 206,
– Hörnfeldt 134, 189, 206, 314
Mittelbare Drittwirkung 42, 169
– Hütter 196
Nebentätigkeit 117 Normalarbeitsverhältnis
– Georgiev 209
– John 86, 127, 129, 183, 189, 199, 206, 214, 275, 277
82
Ökonomische Analyse des Rechts 254
– Kommission/Luxemburg 118, 124
Ökonomische Folgenbewertung 253, 259, 275
– Kommission/Ungarn
231,
202, 203
– Kücük 105, 115, 125, 126, 153
Ökonomisches Folgenabschätzungs verfahren 226
– Kücükdeveci 178, 195
Personalplanung 53
– Mangold 93, 139, 141, 143, 172, 182, 192, 196, 206
Personenbedingte Kündigung 38, 287
– Kumpan
94
Persönliche Motive 31, 81
– Márquez Samohano 116, 137, 146
Pflegeversicherungspflicht 65
– Mascolo 118, 124
Prekarisierung
91, 111, 131, 144
– Odar 198
Prognoseprinzip 43, 345
– Palacios de la Villa 201, 203, 314
Prüfungsmaßstab
– Pérez López 120
45, 190, 204
Punktueller Streitgegenstandsbegriff 105
– Petersen 191, 199, 200
Rahmenvereinbarung zur Befristungsrichtlinie 72, 82, 100
– Prigge 199, 200
Rechtsauslegung
– Seldon 228, 237
153
Rechtsfortbildung 153 Rechtsmissbrauchsampel
110
– Poul Landin 197 – Rosenbladt
201, 203, 314
Rechtssicherheit 315
151, 161, 265, 272, 276,
Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts 73
Rechtswirkung von Richtlinien
89
Rechtssache Abercrombie & Fitch Italia 192
Regelaltersgrenze 29, 38, 39, 145
Redundancy payment 224, 234
– Adeneler 103, 139, 141
Regelaltersrente 30, 39, 52, 66, 149, 197, 198, 274, 282, 289, 295, 302, 313, 314
– Age Concern 225, 235
Regelungsebenen
– Andersen 197, 203
Regelungslücke
– Angelidaki 103
Rentenhöhe
– Dansk Industri 179, 197
Rentenniveau 44
– Felber 196
Rentensystem in Großbritannien
– Fiamingo 118
Rentenversicherungsbeiträge 274
– Fries 199, 200 – Fuchs/Köhler
202, 206
99 155, 156
41, 146, 201, 311
Rentenzahlbetrag
30
221
66, 67,
Sachverzeichnis
Richterrechtliche Entwicklung der Befristungskontrolle 73, 75 RV-Leistungsverbesserungsgesetz
54
Sachgrund. siehe Sachgrundbegriff Sachgrundbefristung
363
Typisierende Betrachtung
53, 147, 323
Unbefristete Weiterbeschäftigung
47
Unfair dismissal 238 Unionsgrundrechte siehe Grundrechtecharta
91, 135
Sachgrundbegriff 75, 79, 86, 87, 88, 101, 115, 122, 154
Unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff 84
Sachgrundlose Befristung 141
Unmittelbare Anwendbarkeit 89, 90, 175
81, 92, 122,
Sachgrundlose Befristung älterer Arbeitnehmer 49, 81, 92 Schriftform 57
Sozialauswahl
283
Verdrängungseffekte 273
Verfassungskonforme Auslegung
295
Verhältnismäßigkeit
Sozialer Dialog 83, 100 106, 135,
Verschlechterungsverbot Verschleißtatbestände
Sozialversicherungspflicht 67
74, 77,
93
149
Vertragsänderungen siehe Änderung des Inhalts des Arbeitsvertrags
State Pension Age siehe Rentensystem in Großbritannien
Vertragsfreiheit 34, 43, 155, 164
Strukturelle Unterschiede
Vertretungsbefristung
147, 160
Systematik des Befristungsrechts
98
49
165, 167, 190, 192
Verhandlungsungleichgewicht 155, 257
Sozialplanabfindungen 302, 303 Sozialpolitische Zielsetzung 139, 147
181, 184
Vereinbarung während des laufenden Arbeitsverhältnisses 56
Schutzpflicht 43 Sonderkündigungsschutz
Unmittelbare Diskriminierung
51, 105, 125
Vorabentscheidungsverfahren
61, 132
– Inneres System 100
Vorübergehender Bedarf 50, 108, 109, 125, 138
Tarifdispositivität 64
Wartezeit 30, 39, 41
– Äußeres System 99
Tarifliche Unkündbarkeit
281
Wertungsmaßstäbe 101
Tätigkeitsbezug 124, 136
Zielsetzung des Befristungsrechts 149
Teleologische Reduktion 78, 154
Zugangsfaktor
Terminologie 70
Zuvor-Beschäftigung
67 48, 49, 92, 247