Unechte Umsatzsteuerbefreiungen im Unionsrecht: Eine Untersuchung der Primärrechtskonformität am Beispiel der unechten Befreiung für Postdienstleistungen 9783504385859

Seit dem Erlass der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG vom 17. Mai 1977 verfügen die Mitgliedstaaten im Bereich des harmonis

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German Pages 548 Year 2017

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Unechte Umsatzsteuerbefreiungen im Unionsrecht: Eine Untersuchung der Primärrechtskonformität am Beispiel der unechten Befreiung für Postdienstleistungen
 9783504385859

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Krieger Unechte Umsatzsteuerbefreiungen im Unionsrecht

Rechtsordnung und Steuerwesen Band 50 Schriftenreihe begründet von Brigitte Knobbe-Keuk herausgegeben von Wolfgang Schön und Rainer Hüttemann

Unechte Umsatzsteuerbefreiungen im Unionsrecht Eine Untersuchung der Primärrechtskonformität am Beispiel der unechten Befreiung für Postdienstleistungen (Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL)

von

Dr. jur. Richard Krieger

2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-64249-5 ©2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

Geleitwort Zu dieser Schriftenreihe Seit Brigitte Knobbe-Keuk im Jahre 1986 diese Schriftenreihe in der Nachfolge von Werner Flume begründet hat, sind mehr als 40 Bände er­ schienen, in deren thematischen Mittelpunkt die Frage nach dem Ver­ hältnis zwischen dem Steuerrecht und der allgemeinen Rechtsordnung gestellt ist. Die Entwicklung der Reihe hat gezeigt, dass die vielfältigen Verflechtungen des Steuerrechts mit anderen Rechtsgebieten den ge­ wählten Zuschnitt eindrucksvoll gerechtfertigt haben. Die publizierten Arbeiten nehmen Bezüge zum allgemeinen Zivilrecht, zum Gesellschafts­ recht, zum Bilanzrecht und zu den Wirtschaftswissenschaften ebenso in den Blick wie die Rahmenbedingungen des Verfassungsrechts, des Euro­ parechts und des Internationalen Rechts. Strafrechtliche Zusammenhän­ ge unserer Steuerrechtsordnung werden ebenso beleuchtet wie verfah­ rensrechtliche Implikationen der Besteuerungspraxis. Der Erkenntnis der Begründerin der Schriftenreihe, dass in den juristi­ schen Fragestellungen aus dem Bereich des Steuerwesens Fragestellun­ gen aus den Teilgebieten der allgemeinen Rechtsordnung zusammentref­ fen, muss besonders Nachdruck in einer Zeit verliehen werden, in der die innere Stabilität unserer Besteuerungsordnung in hohem Maße gefährdet ist und der Wunsch, aus der eigenen Systematik des Steuerrechts heraus feste Leitlinien für Rechtspolitik und Rechtsanwendung zu gewinnen, hinter den fiskalischen Zwängen der öffentlichen Hand und dem Ge­ staltungswillen der Steuerpolitik immer weiter zurücktritt. Die Veran­ kerung des Steuerrechts in der allgemeinen Rechtsordnung dient daher auch den Anliegen der Rechtssicherheit und Rationalität unseres Steuer­ rechts. Darüber hinaus kann durch die Anlehnung an die der Privatauto­ nomie verpflichtete Zivilrechtsordnung sowie durch die Verwirklichung verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Freiheitsgewährungen dem Steuerwesen ein Stück rechtsstaatlicher Liberalität zurückgegeben wer­ den. Die Herausgeber wünschen daher, dass die Schriftenreihe in ihrer Gesamtheit einen Beitrag zur Kultur unserer Steuerrechtsordnung zu leisten vermag. München und Bonn, im Oktober 2011 Wolfgang Schön

Rainer Hüttemann

V

Geleitwort

Zu dieser Schrift „Unechte Steuerbefreiungen“ gehören zu den umstrittensten Elementen des harmonisierten Mehrwertsteuersystems, denn sie enthalten nicht nur Ausnahmen von der allgemeinen Konsumbesteuerung, sondern sind aufseiten des Unternehmers mit einem Verlust des Vorsteuerabzugs verbunden, so dass es u.U. zu einer „verdeckten“ Belastung befreiter Leistungen mit Mehrwertsteuer kommt. Diese Grundentscheidung des europäischen Richtliniengebers wurde lange als gegeben hingenommen und so konzentrierte sich die steuerrechtliche Diskussion zunächst auf Fragen der richtlinienkonformen Umsetzung und der unmittelbaren Berufung auf unionsrechtliche Befreiungen. Erst in den letzten Jahren wird verstärkt die grundsätzliche Vereinbarkeit von unechten Steuerbefreiungen mit primärrechtlichen Vorgaben diskutiert. Die vorliegende Studie von Krieger setzt sich erstmals monographisch mit der Problematik unechter Steuerbefreiungen am Beispiel der Postdienstleistungen eingehend auseinander. Dieser Befreiungstatbestand ist geschickt gewählt, denn er war nicht nur mehrfach Gegenstand von EuGH-Entscheidungen, sondern ist nach der Liberalisierung der Postmärkte auch rechtspolitisch umstritten. Zugleich lassen sich an diesem Beispiel die komplexen ökonomischen Wirkungen unechter Umsatzsteuerbefreiungen aufseiten der Unternehmer und der Verbraucher besonders anschaulich verdeutlichen. Nach einer ausführlichen rechtlichen und ökonomischen Analyse der Befreiung von Leistungen „öffentlicher Posteinrichtungen“ nach Art. 132 Abs. 1 lit. a MwStSystRL wendet sich die Untersuchung der allgemeinen Frage zu, ob die durch unechte Umsatzsteuerbefreiungen regelmäßig bewirkten Ungleichbehandlungen und Wett­bewerbsverzerrungen den primärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts (Beihilfenverbot, Grundfreiheiten, Unionsgrundrechte und Gleich­ behandlungsgrundsatz) standhalten. Krieger entfaltet diese Problematik wiederum am Beispiel des Postsektors und gelangt in anschaulichen, abgewogenen und stets eigenständigen Überlegungen zu einer neuen und differenzierten Sicht auf die Ziellegitimität und Rechtfertigung von unechten Umsatzsteuerbefreiungen. Die gedankenreiche Arbeit ist ein gelungenes Beispiel für anspruchsvolle und zugleich relevante wissenschaftliche Arbeit im Grenzbereich von Steuer- und Unionsrecht. München und Bonn, im September 2017 Wolfgang Schön

VI

Rainer Hüttemann

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 als Dissertation durch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen. Sie wurde im Sep­ tember 2017 mit dem Albert-Hensel-Preis durch die Deutsche Steuerju­ ristische Gesellschaft e.V. in Wien ausgezeichnet. Literatur und Recht­ sprechung konnten bis einschließlich Juni 2017 berücksichtigt werden. Über den mehr als drei Jahre währenden Zeitraum der Entstehung dieser Arbeit haben mich viele Menschen begleitet und unterstützt, denen an dieser Stelle aufrichtig danken möchte. Mein verehrter Doktorvater Herr Prof. Dr. Hüttemann, Dipl.-Volksw. hat mich während meines Promotionsvorhabens hervorragend betreut. Durch seine konstruktiven Anmerkungen, weiterführenden Hinweise sowie nicht zuletzt durch seine jederzeit bestehende Bereitschaft zur fachlichen Diskussion hat er wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit bei­ getragen. Herrn Prof. Dr. DDr. h.c. Herdegen danke ich ganz herzlich für die freundliche Übernahme und rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gebührt ebenfalls dem Geschäftsführenden Di­ rektor des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finan­ zen, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Schön, für seine freundliche Zustimmung zur Aufnahme dieser Arbeit in die vorliegende Schriftenreihe. Der Deut­ schen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. danke ich sehr für die überaus großzügige finanzielle Förderung in Form des gewährten Preisgeldes. Von Herzen gedankt sei an dieser Stelle auch Frau Prof. Dr. Ehrke-Rabel, Lei­ terin des Instituts für Finanzrecht der Karl-Franzens-Universität Graz, für ihre sehr persönliche und gleichermaßen eindrucksvolle Laudatio an­ lässlich Verleihung des Albert-Hensel-Preises 2017 in Wien. Meine Eltern, Egon und Sabine Krieger, haben mich auf meinem langen Bildungsweg jederzeit und vorbehaltlos unterstützt, wodurch diese Ar­ beit erst ermöglicht wurde. Mein ganz persönlicher Dank gilt schließlich Maria, die für mich durch ihre schier unerschöpfliche Geduld, ihren be­ dingungslosen Zuspruch und ihre zahlreichen aufmunternden Worte ge­ rade in den entbehrungsreichen Phasen während der Entstehung dieser Arbeit ein unverzichtbarer Rückhalt war. Ihr sei diese Arbeit gewidmet. Dortmund, im September 2017

Richard Krieger

VII

Inhaltsübersicht Seite

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Teil: Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt A. Primärrechtliche Fokussierung auf indirekte Steuern . . . . . . . . . 3 B. Europäisierung des Umsatzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 C. Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Teil: Befreiungen im System der Umsatzsteuer A. Die Wirkungsweise von Umsatzsteuerbefreiungen . . . . . . . . . . . 31 B. Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen 35 3. Teil: Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen A. Freistellung auf nationaler Ebene – ein Überblick bis 1977 . . . . 53 B. Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von P ­ ost­dienstleistungen 61 C. Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 D. Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 E. Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG . . . . . . . . . . . . . 110 F. Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext . . . 162

IX

Inhaltsübersicht

4. Teil: Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt A. Gespaltene Wirkung der Postdienstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . 193 B. Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz . . . . . . . . . 196 C. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 5. Teil: Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte A. Nationales Verfassungsrecht als untauglicher ­Prüfungsmaßstab 227 B. Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6. Teil: Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen A. Entfall der Regelsteuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 B. Ausschluss des Vorsteuerabzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

X

Inhaltsverzeichnis Seite

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Teil: Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt A. Primärrechtliche Fokussierung auf indirekte Steuern . . . . . . . . . 3 B. Europäisierung des Umsatzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 I. Übergang zur Allphasennettoumsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . 4 1. Wettbewerbsverzerrende Allphasenbruttoumsatzbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Wettbewerbsneutrale Allphasennettoumsatzsteuer . . . . . 5 3. Typologie der Umsatzsteuer: Allgemeine Verbrauchbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 II. Angleichung der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 C. Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Kompetenzstiftende Harmonisierungsanforderungen . . . . . 11 1. Zielvorgabe: Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Bestimmungslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 b) Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Verhältnismäßigkeit der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . 13 II. Wirtschaftsverfassungsrechtliche Beschränkungen . . . . . . . 14 1. Subjektive Funktionsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 a) Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 b) Wirtschaftsbezogene Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . 17 2. Die Wettbewerbsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Das Neutralitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Regel-Ausnahme-Prinzip als Konfliktlösungsansatz . . . . . 21 III. Grenzüberschreitende Umsatzbesteuerung im Binnenmarkt 22 XI

Inhaltsverzeichnis

1. Besteuerung im Ursprungs- oder Bestimmungsstaat . . . . 23 a) Bestimmungslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Ursprungslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Übergangsregime und Binnenmarktvollendung . . . . . . . . 24 a) Grenzüberschreitende Warenlieferungen innerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Sonstige Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Binnenmarktadäquate Grenzbesteuerung . . . . . . . . . . . . . 26 a) Besteuerungsprinzipien und Kompetenzschranken . . . 26 b) Grundfreiheitliche Wirkungsverhältnisse . . . . . . . . . . 28 4. Strategiewechsel der Kommission und Ausblick . . . . . . . 29 2. Teil: Befreiungen im System der Umsatzsteuer A. Die Wirkungsweise von Umsatzsteuerbefreiungen . . . . . . . . . . . 31 I. Echte Umsatzsteuerbefreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Unechte Umsatzsteuerbefreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Ungewisse Belastungsinzidenz infolge unechter Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Tatbestandliche Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen 35 I. Echte Befreiungen mit grenzüberschreitendem Bezug . . . . . 35 II. Unechte Befreiungen mit innerstaatlichem Bezug . . . . . . . . 36 1. Andere Tätigkeiten, Art. 135 MwStSystRL . . . . . . . . . . . 37 2. Bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten, Art. 132 ­MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Objektive und subjektive Umsatzsteuerbefreiungen . . . . . . . 40 IV. Mitgliedstaatliche Befreiungsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Befreiungsspezifische Gestaltungsfreiheiten . . . . . . . . . . 42 a) Optionale Bedingungen, Art. 133 MwStSystRL . . . . . . 42 b) Optionsrechte, Art. 137 MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Tatbestandliches Umsetzungsermessen . . . . . . . . . . . . 43 d) Übergangsregime, Art. 370 ff MwStSystRL . . . . . . . . . . 44 e) Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, Art. 267 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Nationale Befreiungsautonomie und Binnenmarktkompatibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 V. Unechte Umsatzsteuerbefreiungen als Systembruch . . . . . . 48 XII

Inhaltsverzeichnis

1. Auslegungsgrundsätze des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Normative Verortung der Systemkritik . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Teil: Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen A. Freistellung auf nationaler Ebene – ein Überblick bis 1977 . . . . 53 I. Befreiung versus Steuerbarkeit von Postumsätzen . . . . . . . . 55 II. UStG 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Aufhebung der Befreiung zum 01.01.1977 . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen 61 I. Richtlinienkonforme Substituierbarkeit zwingender Befreiungs­tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Alternativität zwischen Befreiung und Steuerbarkeitsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Ausübung öffentlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Substitution im Schnittpunkt der Wettbewerbsrelevanz . 65 a) Steuerpflichtvorbehalt versus Befreiungszwang . . . . . . 66 b) Spezieller Wettbewerbsvorbehalt, Art. 13 Abs. 1 UAbs. 3 M ­ wStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Entlastung der Leistungsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Organisatorische Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Objektiv-subjektive Tatbestandsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Kernbereich der Postdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Subjektive Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Derogation des subjektiven Befreiungsmerkmals – ein ge­scheiterter Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 C. Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Neustrukturierung und richtlinienwidrige Nichtumsetzung (Postreform I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Postprivatisierung (Postreform II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Übergang zum Gewährleistungsstaat und Postregulierung, Art. 87f GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Europarechtliche Implikationen und überschießende Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Unmittelbar dem Postwesen dienende Umsätze, § 4 Nr. 11b UStG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 XIII

Inhaltsverzeichnis

1. Die Postregulierung als Leitlinie der Umsatzsteuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Monopolleistungen und Lizenzbereich . . . . . . . . . . . . . 82 b) Universaldienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Unmittelbar dem Postwesen dienende Umsätze . . . . . 86 2. Liberalisierungskonforme Umsatzbesteuerung – „Dansk ­Post­ordreforening“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Wettbewerbsverzerrung im Lichte der Äquivalenzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Wettbewerbsneutrale Auslegung von § 4 Nr. 11b UStG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Befreiung im Monopolsegment: „Geelhoedsches“ Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Subjektive Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Neugewichtung der Äquivalenzfunktion . . . . . . . . . . . 90 D. Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Umsatzsteuerbefreiung am Scheideweg – Änderung oder Abschaffung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Vollständige Streichung des § 4 Nr. 11b UStG a.F. . . . . . . 93 2. Erster Regierungsentwurf und die ursprüngliche Reformvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Befreiungsvorgaben aus Luxemburg: Das Urteil „TNT Post UK“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Subjektiv basierte Interpretationsmaxime . . . . . . . . . . . . 97 2. Der rechtliche Leistungskontext als Begrenzung des Neutralitäts­prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Subjektspezifischer Befreiungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Abgrenzung zwischen befreiten und nicht befreiten Umsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Das Neutralitätsprinzip in tatbestandsbegrenzender Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Reform des Value Added Tax Act 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Kein abstrakter Unternehmerbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Leistungsspezifische Subjektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 IV. Neufassung des § 4 Nr. 11b UStG im Kontext der Postmarkt­öffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Abschaffung als richtlinienwidriger Ansatz . . . . . . . . . . . 106

XIV

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2. Unmittelbare Wirksamkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Reformkonzept für § 4 Nr. 11b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Flächendeckende Teilversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Subjektive Öffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 E. Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG . . . . . . . . . . . . . 110 I. Der objektiv befreite Leistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Befreiungsrechtliche Bindung an das Universaldienstkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Flächendeckende Grundversorgung . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Mitgliedstaatliche Umsetzung als zwingende Leitlinie 113 2. Unionsrechtswidrige Missachtung der ordnungsrechtlichen ­Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Ausgenommene Leistungen, § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG . . . . . 115 1. Individuell ausgehandelte Vereinbarungen, § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. a) UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. AGB-Leistungen, § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) UStG . . . . . . . . 116 a) Zulässiger Ausschluss von AGB-Leistungen . . . . . . . . 116 b) Abweichende Qualitätsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Günstigere Tarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Keine Beeinträchtigung der Grundversorgung . . . . 120 bb) Konkrete Entgeltvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Steuerpflichtigkeit der öffentlichen Postzustellung . . . . . . . . 125 IV. Subjektive Befreiungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Unternehmerspezifische Anforderungen gemäß der Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Zulässige Verpflichtungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Hoheitlich begründete Verpflichtung . . . . . . . . . . . 128 bb) Gleichwertige Selbstverpflichtung . . . . . . . . . . . . . 128 b) Gemeinwohlbindung als Konstante im Verpflichtungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Rechtstatsächliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG . . 134 a) Die Selbstverpflichtung als zwingender Ansatz? . . . . . 135 aa) Selbstverpflichtung der DPAG . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Latente Verpflichtung durch Marktbeherrschung, § 13 Abs. 2 PostG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Effektives Kontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Überprüfung im Verbund zwischen BZSt und BNetzA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Zeitlich kongruente Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 142 XV

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c) Befreiungsrechtliche Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . 143 aa) Richtlinienwidrige Option zugunsten der DPAG . 143 bb) Konstitutive Wirkung der Selbstverpflichtung . . . 145 1) Gegenkonzept: Zwingende Bescheinigungserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2) Richtlinienkonforme Optionsmöglichkeit . . . . 146 d) Befreiungswirkung im Lichte unternehmerischer Organisations­freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Befreiung des Organträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Befreiungskonforme Kooperationsverhältnisse . . . 149 3. Subjektspezifische Gestaltungsspielräume auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Unternehmerische Ausrichtung der Postdienstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Selektiv wirksame Umsetzungen in rechtsvergleichender ­Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1) Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Subjektive Selektion im Fokus der Rechtsprechung 153 cc) Fazit: Wettbewerbskonforme Befreiung als optionale ­Grundausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Ordnungsrechtlich induzierte Ausschlusswirkung . . . 157 aa) Territorial begrenzte Verpflichtung . . . . . . . . . . . . 158 bb) Marktbasierte Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1) Uniforme Kernelemente staatlicher Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2) Reflexartiger Schutz des Endverbraucherinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 F. Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext . . . 162 I. Grenzüberschreitende Exemtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Grenzüberschreitende Postzustellung im praktischen Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Leistungsort grenzüberschreitend ausgeführter Postdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) B2C-Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) B2B-Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) B2B-Leistungsort bei Drittstaatsbezug, § 3a Abs. 8 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Fallinzidenz transnationaler Befreiungswirkung . . . . . . . . 170 a) Innergemeinschaftliche Postdienstleistungen . . . . . . . 171 b) Postdienstleistungen mit Drittstaatsbezug . . . . . . . . . 171 aa) Postsendungen aus Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . 171 XVI

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bb) Postsendungen aus EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . 172 4. Grenzüberschreitende Befreiung für Auslandszustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Ausgangsproblem: Divergenz zwischen Leistungsort und ­tatsächlicher Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Zwingende Befreiung innergemeinschaftlicher Postdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Verrichtungsgebundene Befreiungsdogmatik . . . . . 177 bb) Befreiungsrechtliches Streckenprinzip versus Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1) Gesamtbetrachtung nach Ansicht der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2) Universaldienstspezifische Parzellierung von Streckenabschnitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Befreiung drittstaatlicher Postanbieter . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Strukturverwandte Anknüpfung an die bilaterale ­Zustellverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Drittstaatenspezifische Gemeinwohlbedingungen 184 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Postdienstleistungsbefreiung in Konkurrenz zur Ausfuhr­ befreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Grenzüberschreitende Paketsendungen als ausfuhrbezogene ­Güterbeförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Anwendungsvorrang der unechten Umsatzsteuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Grenzüberschreitende Benachteiligung gemeinwohlspezifischer Postdienst­leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Systemkonforme Einbindung in das Bestimmungslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4. Teil: Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt A. Gespaltene Wirkung der Postdienstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Preisvorteil im Verhältnis zu nicht vorsteuerberechtigten ­Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Negative Kostenbelastung im vorsteuerberechtigten ­Kunden­segment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 B. Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz . . . . . . . . . 196 I. Postdienstbefreiung als gesamtbilanzierter Wettbewerbsvorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 II. Vorsteuerausschlussbedingte Benachteiligung der DPAG . . 199 XVII

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III. Die Befreiungssaldierung als notorisch schwierige ­Aufgaben­stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Ökonomisch relevante Bewertungsfaktoren . . . . . . . . . . . 201 2. Begünstigungsstellung der DPAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Wettbewerbsprivileg nach Ansicht der Bundesmonopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Zweistufiges Berechnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 205 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 C. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Systematische Einordnung der Ungleichbehandlung . . . . . . 207 1. Ungleichbehandlung auf Unternehmerebene . . . . . . . . . . 207 2. Ungleiche Steuerbelastung von Konsumaufwendungen . . 207 a) Postdienstbefreiung auf der Endstufe . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Postdienstbefreiung auf der Zwischenstufe . . . . . . . . . . 208 II. Wettbewerbsverzerrungen im Postsektor . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Postalische Ausgangsumsätze im Wettbewerbsverhältnis 209 a) Sachlich relevanter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Expressdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Förmliche Postzustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 cc) Standardbriefdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1) Postvorbereitende Dienstleistungen . . . . . . . . . 213 2) Nicht adressierte Werbesendungen . . . . . . . . . . 213 3) Getrennte Teilmärkte für Geschäfts- und Privatkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4) Teilleistungen innerhalb der Beförderungskette 214 5) Grenzüberschreitender Standardbriefdienst . . . 217 dd) Standardpaketdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1) Teilmärkte für Privat- und Geschäftskunden . . 219 2) Internationaler Paketdienst . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Territorial relevanter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Unechte Befreiung als Markteintrittsbarriere . . . . . . . . . . 223 5. Teil: Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte A. Nationales Verfassungsrecht als untauglicher ­Prüfungsmaßstab 227 I. Befreiungsharmonisierung ultra vires? . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Beschränkte Grundrechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Regelungsdichte des Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL . 231 a) Kernbereich der Postdienstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . 231 XVIII

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b) Postordnungsrechtlich induziertes Gestaltungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Optionale Selbstverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 B. Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Europäisches Beihilfenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Anwendbarkeit von Art. 107 AEUV auf Unionsbeihilfen 236 a) Zwingender Kerngehalt gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Ermessensabhängige Selbstverpflichtung . . . . . . . . . . . 240 2. Primärrechtliche Beihilfenkontrolle von Sekundärrecht . 240 a) Ausprägungen der Unternehmerbegünstigung . . . . . . . 241 aa) Vollständige Einpreisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 bb) Eigennütziger Einbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 cc) Bilanzierungserfordernis gemäß der beihilferechtlichen ­Wirkungsdoktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Selektivität im Kontext subjektiver Umsatzsteuerbefreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Persönliche Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Objektiver Leistungsbezug durch subjektive Befreiungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1) Leistungsspezifische Ausprägungen in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2) Objektive Gewährleistungsfunktion der Universaldienst­verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . 251 cc) Fazit: Fehlender Wettbewerbsbezug dogmatischer Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Stellungnahme: Beihilfenkontrolle für mitgliedstaatliche ­Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Beeinträchtigung der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Anwendungsbereich und Prüfgegenstand . . . . . . . . . . . . . 254 a) Determinierende Richtlinienvorgaben . . . . . . . . . . . . . 255 b) Sekundärrechtliches Gestaltungsermessen . . . . . . . . . . 255 2. Niederlassungsfreiheit, Art. 49 ff AEUV . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Sachlicher und persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . 256 b) Beeinträchtigung des Schutzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . 257 aa) Unmittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . 258 bb) Mittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1) Typisierte Regelungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . 258 2) Statistische Korrelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 cc) Diskriminierungsfreie Beschränkung . . . . . . . . . . . 261 1) Marktzugangsbeschränkung zum Nachteil nicht befreiter Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 XIX

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2) Vorsteuerausschluss zum Nachteil öffentlicher Posteinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 c) Rechtfertigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Geschriebene Rechtfertigungsgründe, Art. 52 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . 267 3. Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 ff AEUV . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Grenzüberschreitendes Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) Kein sporadischer Grenzübertritt – Praktischer Vorrang der Niederlassungs­freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Beeinträchtigung im grenzüberschreitenden Kontext . 270 d) Rechtfertigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Wirtschaftsbezogene Unionsgrundrechte, Art. 15 und  16 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Unionsgrundrechtliche Anwendungsprinzipien . . . . . . . . 274 a) Grundsätzlicher Anwendungsvorrang der Chartarechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Grundrechtecharta und ungeschriebene Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 bb) Verhältnis der Chartarechte zur EMRK . . . . . . . . . . 275 b) Verhältnis zu Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Schutzbereich der Berufs- und Unternehmerfreiheit . . . . 276 a) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3. Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Marktzutrittshemmende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Ausschluss vom Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 aa) Eingriffscharakter und Saldierungsverbot . . . . . . . 283 bb) Ausschlussgründe für die Rechtfertigungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1) Staatlich kontrollierte Universaldienstleister . . 283 2) Selbstverpflichtung als Schutzverzicht . . . . . . . 285 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 4. Rechtfertigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Gesetzliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Wesensgehalt des Art. 16 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 c) Gemeinwohlbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung . 287 IV. Das mehrwertsteuerliche Neutralitätsprinzip . . . . . . . . . . . 287 1. Primärrechtliche Verortung der umsatzsteuerlichen Wettbewerbs­neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Richtlinienrechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . 289 XX

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aa) Sekundärrechtliche Präambeln . . . . . . . . . . . . . . . . 289 bb) Fakultativer Wettbewerbsbezug, Art. 133 UAbs. 1 lit. d) M ­ wStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1) Gegenständliche Begrenzung der Wettbewerbsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2) Optionale Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 cc) Ausdifferenzierter Wettbewerbsvorbehalt, Art. 132 Abs. 1 lit. f), l) und o) MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . 294 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Der allgemeine Gleichheitssatz als Fundament umsatzsteuerlicher Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Binnenmarktadäquate Wettbewerbsneutralität, Art. 113 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 bb) Folgerichtige Verbrauchsteuertypologie . . . . . . . . . 297 1) Das Gebot der Folgerichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . 298 2) Analoge Bindung der steuerlichen Unionsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3) Verbrauchsteuertypologie im funktionalen Kontext der ­Wettbewerbsparität . . . . . . . . . . . . . 302 c) Die neutralitätsspezifische Rechtsprechung des EuGH 303 aa) Neutralität als richtlinienbedingter Ansatz . . . . . . 303 bb) Neutralität als Ausprägung des Gleichbehandlungs­ grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 cc) Abkehr von der gleichheitsrechtlichen Fundierung 305 1) Differenzierte Sichtweise, Rs. C-174/08 – NCC Construction Danmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2) Sekundärrechtliche Fundierung der Neutralität 307 dd) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 1) Umsatzsteuerliche Gleichheit im mehrgliedrigen Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 2) Belastungsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Neutralitätsspezifische Implikationen für Umsatzsteuer­ vergünstigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Unternehmerische Ausgangsumsätze . . . . . . . . . . . . . . 314 aa) Die Substituierbarkeit als gleichheitsrechtliche Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 bb) Folge: Gleichstellung konkurrierender Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1) Formale Gleichstellung – Substitutionsverhältnis im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2) Allgemeine Umsatzbesteuerung im Wettbewerb um Marktanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 XXI

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cc) Wettbewerbsneutralität und subjektive Begünstigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Umsatzsteuerneutraler Vorleistungsbezug . . . . . . . . . . 324 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Folgerungen für die unechte Postdienstbefreiung . . . . . . . 326 a) Anbieterneutrale Konzeption, § 4 Nr. 11b UStG . . . . . 326 aa) Vereinzelter Vorsteuerausschluss für Eingangsumsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 bb) Ausgangsumsätze: Wettbewerb trotz Verpflichtungsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1) Der rechtliche Kontext im Bedarfsmarktkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 b) Subjektive Umsetzung und rechtfertigungsrelevante ­Gestaltungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4. Rechtfertigung grundrechtsrelevanter Unionsbeihilfen . . 333 V. Neuausrichtung des Gleichheitssatzes auf Verbraucherebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. Regelungsakzessorischer Vergleichsmaßstab (Rs. C‑390/15, „RPO“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Relativierung der Unternehmerperspektive in Reinform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Kritik an der regelungsakzessorischen Vergleichsgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Umsatzsteuerlicher Belastungsgrund aus Verbraucherperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Das Leistungsfähigkeitsprinzip als (umsatz)steuerlicher ­Gerechtigkeitsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 aa) Leistungsfähigkeitsgerechte Konsumbesteuerung . 342 bb) Bindung der sekundärrechtlichen Umsatzsteuerharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Gebot zu gleichheitskonformer Kaufkraftbelastung . . 346 aa) Steuerliche Verschonung existenzieller Bedürfnisbefriedigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 1) Grundgesetzlicher Schutz des soziokulturellen Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2) Gleichheitsrechtlich induzierte Existenzverschonung auf U ­ nionsebene . . . . . . . . . . . . . . . 352 (aa) Disponible Bedürfnisbefriedigung als ver­ brauchsteuerteleologische Bezugsgröße . . . . 352 (bb) Qualitative und quantitative Zuordnung . . . 355 (cc) Mitgliedstaatliche Folgeverantwortung . . . 356 3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 bb) Verbotene Umsätze und Wertneutralität . . . . . . . . 358 XXII

Inhaltsverzeichnis

c) Gleichheitswidrige Konsumbelastung mittels verdeckter ­Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 d) Konsequenzen für die Postdienstbefreiung . . . . . . . . . . 360 e) Relation zwischen Neutralität und Leistungsfähigkeit 362 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 6. Teil: Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen A. Entfall der Regelsteuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 I. Legitime Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL – Befreiungskontinuität im ­Strukturwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Maßstäbe der Ziellegitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 a) Binnenmarktadäquate Motivlagen, Art. 113 AEUV . . . 370 aa) Die EU-Eigenmittelfinanzierung, Art. 311 AEUV . 370 bb) Die Systematik der grenzüberschreitenden Umsatzbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 cc) Außersteuerliche Ziele im Kontext binnenmarktakzessorischer Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Umsatzsteuersystematische Zieladäquanz . . . . . . . . . . 376 3. Universale Postdienstversorgung als primärrechtskonformer ­Allgemeinwohlbelang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 II. Geeignetheit zur Zielförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 1. Inhaltliche Bezugspunkte der Geeignetheitsprüfung . . . . 383 2. Freistellung und Vorsteuerausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . 385 a) Unternehmereigene Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Ambivalente Kundenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 3. Begünstigung der Steuerträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 a) Erschwinglichkeit und Kostenorientierung, Art. 12 PostRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 b) Ineffiziente Grundversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 aa) Marktwirtschaftlich induzierte Überwälzungsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 bb) Folgerichtigkeit der Befreiungswirkung . . . . . . . . . 393 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 III. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 1. Echte Befreiungen / Nullsatzbesteuerung . . . . . . . . . . . . . 396 a) Systemkompatible Entlastungseffizienz . . . . . . . . . . . . 397 b) Verzerrungspotenzial und Kostenintensität . . . . . . . . . 398 aa) Ungleichbehandlung der Ausgangsumsätze . . . . . . 399 bb) Neutralitätswidrige Vorsteuerbelastung . . . . . . . . . 399 cc) Verwerfungen im Gemeinnützigkeitssektor . . . . . . 401 XXIII

Inhaltsverzeichnis

c) Durchbrechung des allgemeinen Verbrauchsteuerprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 d) Formelle Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 aa) Partielle Steuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 bb) Verwaltungskosten und Streitanfälligkeit . . . . . . . . 405 cc) Ungesicherte Abwägungsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . 406 e) Entlastung der Steuerträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 f) Fazit: Unechte Postdienstbefreiung als schonender Subventionsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 2. Ermäßigte Steuersätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 a) Gegenstandsbezug in der Abwägungsrelation . . . . . . . 414 b) Allgemeinpräferenz ermäßigter Steuersätze . . . . . . . . . 415 aa) Zieltauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 bb) Ausgangsumsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 cc) Eingangsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 dd) Verbrauchsteuerprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 ee) Verwaltungs- und Befolgungskosten . . . . . . . . . . . . 418 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 c) Vorzüge unechter Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 aa) Historischer Rückblick auf die Befreiungsmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 bb) Ausnahmekonstellationen mit Vorrang unechter Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 1) Befreite Einrichtungen mit gemeinnütziger Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 2) Niedriges Vorsteuervolumen . . . . . . . . . . . . . . . . 422 3) Umsatzsteuerliche Vorrangstellung im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (aa) Forcierte Verzerrungsparameter . . . . . . . . . . 423 (bb) Kommissionsvorschlag zur Postdienstprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 3. Direkte Subventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 a) Stärken einer direkten Subventionsvergabe . . . . . . . . . 426 aa) Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 bb) Flexibilität und rechtsverbindliche Maßstäbe . . . . 428 cc) Zielgenauigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 b) Technische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 aa) Anknüpfung an die Person des Unternehmers . . . . 431 bb) Direkte Verbraucherzuwendungen . . . . . . . . . . . . . 433 1) Typisierter Bedarfsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . 433 2) Konsumgeleitete Bezuschussung ausgewählter Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 c) Postsektorale Beihilfenvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 XXIV

Inhaltsverzeichnis

aa) Mitgliedstaatlich initiierte Beihilfen . . . . . . . . . . . 437 1) Primärrechtliche Beihilfenrestriktionen . . . . . . . 438 (aa) Ausgleichskriterien nach „Altmark Trans“ 438 (bb) Rechtfertigung gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 2) Sozialadäquate Verbraucherentlastung, Art. 107 Abs. 2 lit. a) AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 3) Ausgleich der Nettomehrkosten, Art. 7 Abs. 3 lit. b) PostRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 bb) Unionsbeihilfen als Steuerlastkompensation . . . . . 443 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 IV. Angemessenheit der Postdienstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . 444 1. Primärrechtliche Gewichtung des Universaldienstes . . . . 446 2. Abwägungsrelevante Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 a) Reflexive Verbraucherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 b) Ungleichbehandlung alternativer Dienstleister . . . . . . 448 aa) Gesetzgeberische Zielhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 bb) Subjektive Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 cc) Gemeinwohlbedingte Sonderlasten . . . . . . . . . . . . . 450 dd) Vorteile der Steuerpflichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 451 ee) Polyvalente Zutrittsbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 c) Unsicherer Entlastungseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 3. Exklusiver Befreiungszuschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 B. Ausschluss des Vorsteuerabzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 I. Technische Befreiungen als Vereinfachungszwecknormen . . 456 II. Gesteigerte Wettbewerbsverträglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 457 1. Gleichstellung der Angebotsbedingungen . . . . . . . . . . . . . 457 2. Subjektive Befreiungen im Unternehmerinteresse . . . . . . 458 3. Konsequenz für die Postdienstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . 459 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

XXV

Einführung Befreiungen bilden seit Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage durch die RL 77/388/EWG einen festen Bestandteil im Gefüge der europarecht­ lich har­monisierten Umsatzsteuer. Gleichwohl zählen gerade unechte Befreiungen zu den am stärksten umstrittenen Regelungskomplexen, lassen sie doch nicht allein die äußere Steuerpflicht entfallen, sondern schließen gleichzeitig noch den Vorsteuerabzug zulasten des ausführen­ den Unternehmers aus. Seit jeher hält angesichts dieser Systemabwei­ chung die Diskussion darüber an, ob die vorsteuerschädlich gewährte Steuerfreiheit nicht besser gänzlich aus der Richtlinie verbannt werden sollte. Die aus juristischer Sicht entscheidende Weichenstellung ergibt sich unterdessen aus den höherrangig zu veranschlagenden Maßstäben für den Prozess der Umsatzsteuer­harmonisierung, die es wegen der ver­ bindlich in nationales Recht umzusetzenden Sekundärrechtsvorgaben vornehmlich auf europäischer Ebene anzusiedeln gilt. Zusammen mit dem Bestreben, steuerrechtsspezifische Verfassungsstandards aus den Verträgen zu eruieren, rückt verstärkt ins Bewusstsein, dass eine profun­ de Durchdringung der Umsatzsteuer nicht bei der allseits rezipierten Richt­ linien­ konformität des nationalen Rechts haltmachen darf. Viel­ mehr muss auch die Ver­einbarkeit der harmonisierenden Akte selbst mit dem Primärrecht Beachtung finden, obgleich sich der EuGH bisweilen noch mehr oder weniger renitent gegenüber dieser Entwicklung zeigt. Im Rahmen dieser Arbeit soll auf dem mittlerweile primärrechtlich kon­ solidierten Prüfprogramm aufbauend die – im materiellen Sinne verstan­ dene – verfassungsmäßige Neuausrichtung am konkreten Fall der Exem­ tion für Postdienstleistungen untersucht werden. Die hierzu in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL getroffene Regelung befindet sich nicht nur an prominentester Stelle im Katalog innerstaatlicher Freistellungen veror­ tet, sondern zählt zugleich zu denjenigen Tatbeständen, die schärfste Kri­ tik sowohl vonseiten der steuerjuristischen als auch der ökonomischen Forschungsdisziplin her erfahren. Was die legitime Fördermotivation an­ belangt, fungiert die Postdienstbefreiung somit als eine Art „Bruchtest“, um die zulässigen Grenzen für anderweitig begründete Regelungen aus­ loten zu können. Zudem wartet diese Befreiung, obwohl sie bereits mehrfach Gegenstand der EuGH-Rechtsprechung gewesen ist, immer noch mit vor allem praktisch relevanten Auslegungsfragen für die Um­ setzung in nationales Recht auf. Nicht zuletzt zeichnet sich ihr auf öf­ fentliche Posteinrichtungen verengter Tatbestand durch einige funktio­ nelle Besonderheiten aus, die in Abgrenzung zum befrei­ungsrechtlich anzutreffenden Regelfall einen tiefergehenden Erkenntnisgewinn über die allgemeine Systematik von unechten Freistellungen erlauben. Schließ­ lich hat die Thematik um die Umsatzsteuerfreiheit von Postdiensten 1

Einführung 

nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Bereits vor der erstmaligen Fixie­ rung gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG war speziell in Deutschland die Frage virulent, ob die damalige Deutsche Bundespost (DBP) als hoheitlicher Betrieb der Umsatzsteuer unterworfen werden durfte und sollte1. Seitdem ist zu dieser stark umstrittenen Sachlage kei­ ne aktuelle Aufarbeitung mehr ergangen, zumal aus heutiger Sicht vor allem die europarechtliche Einkleidung zwingend in den Blick genom­ men werden muss und nicht zu erwarten steht, dass die Befreiungsvorga­ be auf absehbare Zeit durch einstimmigen Beschluss im Rat abgeschafft werden könnte. Die Untersuchung gliedert sich in sechs Teile. Nach einem kurzen Über­ blick über die Stellung der Umsatzsteuer im europäischen Binnenmarkt und die vertraglich fixierten Schranken des Harmonisierungsprozesses wird auf die Erscheinungsformen und Funktionsweise von Befreiungen eingegangen, bevor anschließend speziell die Postdienstexemtion in ih­ rer historischen Entwicklung bis zur aktuellen Fassung in § 4 Nr. 11b UStG dargelegt wird. Dabei wird anhand der deutschen Reformgesetzge­ bung vertieft analysiert, welche Vorgaben der EuGH zur Auslegung der Richtlinien­bestimmung aufgestellt hat und inwiefern sich die Neufas­ sung gemäß § 4 Nr. 11b UStG mit diesen deckt. Nach einer Darstellung ihrer wirtschaftlichen Auswirkung im Wettbewerb wird sodann heraus­ gearbeitet, mit welchen primärrechtlichen Verbürgungen die postalische Befreiung kollidiert. Abschließend folgt die universell am Verhältnismä­ ßigkeitsprinzip orientierte Überprüfung einer Rechtfertigung. Eine bislang noch nie dagewesene Situation bedingt das britische Votum zum Ausstieg aus der Europäischen Union2. Mit welchem konkreten Er­ gebnis das am 29.03.2017 nunmehr offiziell eingeleitete Austrittsverfah­ ren gemäß Art. 50 EUV nach Ablauf von zwei Jahren enden wird, ist der­ zeit noch nicht absehbar. Für die vorliegende Arbeit besitzt der wohl oder übel bevorstehende „Brexit“ allerdings kein Gewicht. Zwar nahm das wegweisende Urteil des EuGH in Sachen „TNT Post UK“ zu Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG seinen Ausgang im Vereinigten Kö­ nigreich; die darin zugrunde gelegten Wertungen wahren aber ihren allge­ meingültigen Bestand ebenso wie die Rückschlüsse, die vergleichsweise anhand der britischen Regulierungskonzeption und der Anpassung des Value Added Tax Act 1994 gewonnen werden konnten.

1 Grundlegend von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971. 2 F.A.Z. v. 25.06.2016, S. 9.

2

1. Teil: Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt Einleitend zu dieser Arbeit soll zunächst ein kursorischer Überblick über die Stellung der Umsatzsteuer im Konzept des europäischen Binnen­ marktes gegeben werden1. Angelegt im primärrechtlichen Normenbe­ stand zeigt sich der verkürzt darzulegende Entwicklungsprozess, den die allgemeine Verbrauchbesteuerung schon frühzeitig auf ihrem Weg zu ei­ ner europarechtlich durchtränkten Materie durchlaufen hat; zugleich ist dieser Zustand wesentlich, um die erfolgte Verschiebung der höherrangig verbindlichen Koordinaten für die Umsatzsteuergesetzgebung erfassen zu können. Eine systematische Analyse der grenzüberschreitenden Funk­ tionsweise der Umsatzsteuer schließt die Einleitung ab.

A. Primärrechtliche Fokussierung auf indirekte Steuern Das europäische Vertragsrecht widmet dem Bereich Steuern mit Titel VII Kapitel 2 AEUV explizit vier Vorschriften. Neben den unmittelbar wirk­ samen Verboten sowohl von diskriminierenden Abgaben als auch Steuer­ vergütungen bei der Wareneinfuhr oder Ausfuhr (Art. 110 bis Art. 112 AEUV) sticht in besonderer Weise Art. 113 AEUV hervor. Dem Rat ob­ liegt demnach die einstimmige Harmonisierung nationaler Vorschriften über die Umsatzsteuern, Verbrauchsabgaben sowie sonstige indirekte Steuern, soweit dies zur Verwirklichung des Binnenmarktes und Vermei­ dung von Wettbewerbsverzerrungen erforderlich ist. Ausweislich der ex­ pliziten Bezugnahme dieses verbindlichen Harmonisierungsauftrags auf Formen der indirekten Besteuerung erfolgt eine primärrechtliche Diffe­ renzierung gegenüber direkten Steuern, die einer jeweils unterschiedli­ chen Wirkungsweise in technischer Hinsicht geschuldet ist. Indirekt er­ hobene Steuern sind durch eine Personenverschiedenheit im Verhältnis von Schuldner und avisiertem Träger gekennzeichnet2. Sie belasten vor­ nehmlich die Verwendung von Einkommen oder Vermögen aufgrund ei­ ner Steuerschuldüberwälzung im Preis des gehandelten Gegenstands. Anders als direkte Steuern, die im europä­­­­­­­ischen Recht ausschließlich einer punktuellen Angleichung in bestimmten grenzüberschreitend ge­ prägten Sachverhalten unterworfen sind3, knüpfen indirekte Steuern nicht an die Person, sondern entfalten preiswirksame Effekte durch eine 1 Siehe zu einem anschaulichen Überblick über die weltweite Verbreitung der Um­ satzsteuer Cnossen, International Tax and Public Finance 1998, 399 (401 f). 2 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 7 Rn 20; Hagen, Harmonisierung, 2000, S. 25 ff. 3 Insoweit sind Art. 114 ff AEUV einschlägig, vgl. Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommen­ tar, 3. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 2; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 5.

3

1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

direkte Belastung von Güterströmen1. Divergenzen in der nationalen Ausgestaltung indirekter Steuersysteme bergen folglich ein strukturelles Bedrohungspotenzial für freie Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU und damit für die Funktionsweise des angestrebten Binnenmarktes insgesamt2.

B. Europäisierung des Umsatzsteuerrechts Unter der Prämisse des primärrechtlich statuierten Harmonisierungs­ gebots, das erstmals in Art. 99 des Vertrags über die Gründung der Euro­ päischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) zum 01.01.1958 Eingang ge­ funden hat, durchlebte speziell die Landschaft der Umsatzbesteuerung innerhalb Europas durchgreifende Wandlungen. Die Umsatzsteuer unter­ liegt aus heutiger Sicht weitgehend europarechtlich verbindlichen Vorga­ ben und wird daher richtigerweise zumindest faktisch als Unionsrecht qualifiziert3. Fragestellungen auf diesem Gebiet sind nicht mehr allein im rein nationalen Kontext lösbar, sondern fordern stets die hinreichen­ de Berücksichtigung der einschlägigen Richtlinienbestimmung heraus4. Als rechtlich umfassendes Regelwerk und Blaupause der nationalen Ge­ setzgebung fungiert derzeit die Mehrwertsteuersystemricht­linie (MwSt­ SystRL)5, die mit Wirksamkeit zum 01.01.2007 sämtliche bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Richtlinien konsolidiert hat. Die umsatzsteuerli­ che Harmonisierung umfasst zwei entscheidende Phasen, deren Betrach­ tung nicht zuletzt für das Verständnis von Befreiungsvorschriften auf­ schlussreich ist.

I. Übergang zur Allphasennettoumsatzsteuer Den zentralen Ausgangspunkt markierte 1967 der Erlass der Ersten und Zweiten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mit­ gliedstaaten über die Umsatzsteuer6. Während die 2. MwStRL lediglich die formalen Erhebungsmodalitäten regelte, verpflichtete Art. 1 Abs. 1 der 1. MwStRL die damals sechs EWG-Mitgliedstaaten, ihre bis dato 1 Siehe dazu Frenz, HdB EuR, Bd 6, 2011, Rn 3208; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 6. Aufl. Art. 113 AEUV Rn 5. 2 Anschaulich Endres, RIW 1994, 572 (573); Hemels, in: Lang/Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (41 f); Birk, FR 2005, 121 (122). 3 So etwa noch auf den Begriff „Gemeinschaftsrecht“ abstellend Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 19; siehe zuletzt auch zur Bedeutung der Mehrwertsteuerdurchführungsverord­ nung Kemper, UR 2017, 1 ff. 4 Ausf. zu den europrechtlichen Einflüssen Birkenfeld, StuW 1998, 55 ff. 5 RL 2006/112/EG, ABl EU Nr. L 347 v. 11.12.2006, S. 1. 6 RL 67/227/EWG, ABl EG 1967 Nr. L 71 v. 14.04.1967, S. 1301 (sog. 1. MwStRL); RL 67/228/EWG, ABl EG 1967 Nr. L 71 v. 14.04.1967, S. 1303 (sog. 2. MwStRL).

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B.  Europäisierung des Umsatzsteuerrechts

mehrheitlich praktizierte Bruttoallphasen- respektive Bruttomehrpha­ senbesteuerung durch das in Art. 2 fixierte System der Allphasennet­ toumsatzsteuer zu ersetzen. Als Vorbild für diesen grundlegenden System­ umschwung diente die französische Taxe sur la Valeur Ajoutée (TVA)1. 1. Wettbewerbsverzerrende Allphasenbruttoumsatzbesteuerung Die in Deutschland ab 1918 zur Finanzierung der hohen Kriegslasten ein­ geführte Allphasenbruttoumsatzsteuer mit einem Satz von zunächst 0,5 % belastete Waren und Dienstleistungen auf jeder einzelnen Pro­ duktions- und Handelsstufe. Bemessungsgrundlage bildete das jeweils vereinnahmte Bruttoentgelt ohne Abzüge, so dass hierin die im Preis überwälzte Vorstufenbelastung enthalten war2. Dieser Mechanismus be­ wirkte eine steuerliche Kumulation, wobei die durchgereichte Gesamt­ belastung eines Umsatzes aus Endverbrauchersicht von der Anzahl der zuvor durchlaufenen Wirtschaftsstufen abhing3. Um eine möglichst weit­ gehende Reduktion der steuererheb­lichen Phasen zu erreichen, unterla­ gen Unternehmer dem Anreiz zur vertikalen Konzentration betrieblicher Strukturen4. Der kumulierte Belastungseffekt verzerrte so die ­Bedingungen eines freien Wettbewerbs, da gerade kleine und mittelständische Unter­ nehmer typischerweise nicht direkt vom Hersteller beliefert werden und somit anders als Konzerne oder Großunternehmen auf verlängerte Han­ delsketten angewiesen sind. 2. Wettbewerbsneutrale Allphasennettoumsatzsteuer Zum 01.01.1968 führte der deutsche Gesetzgeber den geforderten System­ wechsel zugunsten einer vorsteuerabzugsbasierten Allphasennettoum­ satzsteuer durch. Zugleich stellte dieser Umschwung die Reaktion auf eine Appellentscheidung des BVerfG dar, nachdem es die wettbewerbs­ verfälschende Bruttoallphasenumsatzsteuer als nur übergangsweise hin­ nehmbaren Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG eingestuft hatte5. Gleichfalls war auf europäischer Ebene der Kumulationseffekt als Hindernis für den Gemeinsamen Markt erkannt worden. Die Systematik des Vorsteuerab­ zugs sollte einen exakten Grenzausgleich transnational bewirkter Um­ sätze ermöglichen, ferner bezweckte sie die steuerliche Gleichbehand­ lung angebotener Leistungen ungeachtet der Länge von Vertriebs- und Handelswegen6. Dieses Postulat einer wettbewerbskompatiblen Umsatz­ 1 Siehe Menner, Umsatzsteuerharmonisierung in der EG, 1992, S. 9; Meyding, Um­ satzbesteuerung und Europäischer Binnenmarkt, 1991, S. 3 ff. 2 Vgl. Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 2. 3 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl., Rn 1673; Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 22. 4 Schneider, Umsatzsteuerfreiheit, 1959, S. 10 ff. 5 BVerfGE 21, 12 ff. 6 Birkenfeld/Forst, Umsatzsteuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, 3. Aufl., S. 99.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

besteuerung reflektierte den Abbau schädlicher Faktoren sowohl im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr als auch auf rein nationaler Ebene1. Das Wesen der Allphasennettoumsatzsteuer besteht in der allgemeinen Belastung von Lieferungen und sonstigen Leistungen zu einem propor­ tionalen Satz auf das Entgelt jeder Wirtschaftsstufe2, allerdings zielt sie ausschließlich auf den generierten Mehrwert ab. Seine rechtstechnische Umsetzung erlangt dieser Grundgedanke durch die Möglichkeit des Vor­ steuerabzugs zugunsten steuerpflichtiger Unternehmer. Ebenso wie bei einer Allphasenbruttobesteuerung wird die für einen ausgeführten Um­ satz entstehende Steuerschuld im Preis auf die nächste Stufe überwälzt, wobei jeweils das gesamte Entgelt zunächst die Bemessungsgrundlage bildet (§ 10 Abs. 1 UStG)3. Im Bereich zwischenunternehmerischer Um­ sätze kann der Empfänger unterdessen die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt erstattet verlangen (§ 15 Abs. 1 UStG), so dass im Ergebnis nur der eigens generierte Mehrwert auf jeder durchlaufenen Wirtschaftsstufe steuerlich belastet wird4. Durch die Kombination aus Vorsteuerabzug und preislicher Steuerschuld­ überwälzung wirkt die Allphasennettoumsatzsteuer für Unternehmer ihrer idealen Belastungskonzeption nach neutral5. Ein effektives Steuer­ aufkommen entsteht erst auf der letzten Umsatzstufe gegenüber Endver­ brauchern oder diesen gleichgestellten Empfängern, die Vorsteuern selbst nicht in Abzug bringen können. In materieller Hinsicht entspricht die Allphasennettoumsatzsteuer aufgrund des prinzipiellen Belastungsaus­ schlusses von zwischenunternehmerischen Umsätzen einer einphasigen Einzelhandelssteuer, die auf eine exklusive Erfassung des nichtunterneh­ merischen Konsums auf der Endverbraucherebene zielt6. Innerhalb die­ ses Systems fungiert der Unternehmer als staatlicher Gehilfe für die Ein­ sammlung der Umsatzsteuer, seine Eigenschaft als Steuerschuldner (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG) ist daher lediglich formaler Natur7. Der vor­ steuerbasierte Lösungsansatz vermeidet verzerrende Kaskadeneffekte und ermöglicht eine dem freien Marktprinzip entsprechende Preisgestal­ 1 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 RL 67/227/EG. 2 EuGH, Rs. C-475/03, Banca popolare di Cremona, Slg. 2006, I‑9373 Rn 21; Rs. C‑370/95, Careda, Slg. 1997, I-3721 Rn 17. 3 Insoweit ist die Bezeichnung „Mehrwertsteuer“ irreführend, da die Umsatzsteuer rechtstechnisch nicht den bloßen Mehrwert als Bemessungsgrundlage erfasst, vgl. Rose/Watrin, Umsatzsteuerrecht, 18. Aufl., S. 21 Fn 1. 4 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl., Rn 1683. 5 Siehe auch Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 23; Reiß, UR 2002, 561 (562). 6 Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 19; Reiß, UR 2002, 561 (562); Krüger, UR 1988, 65. 7 Ausf. hierzu mit verfassungsrechtlichen Bedenken Stadie, UStG, 3. Aufl., Vorbem. Rn 41 ff.

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B.  Europäisierung des Umsatzsteuerrechts

tung auf der Grundlage einer proportionalen Steuerbelastung1. Aus dieser tragenden Systementscheidung bezieht die in Art. 113 AEUV veran­ schlagte Zielvorgabe einer wettbewerbsneutralen Umsatzsteuergestal­ tung ihren konkretisierten Gehalt2. 3. Typologie der Umsatzsteuer: Allgemeine Verbrauchbesteuerung Die umsatzsteuerliche Typologie wird ganz überwiegend mit einer all­ gemeinen Verbrauchsteuer übersetzt3. Eine verbindliche Klarstellung enthält Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL, wonach das gemeinsame Mehrwert­ steuersystem auf einer „proportionalen Verbrauchsteuer“ beruht. Über­ einstimmend prägt auch der EuGH in ständiger Rechtsprechung den Begriff der Verbrauchsteuer4; dem hat sich der BFH mittlerweile an­ ­ geschlossen5. Ausschlaggebend für diese Sichtweise ist die materielle Be­ lastungskonzeption der Umsatzsteuer. Rechtstechnisch betrachtet, knüpft deren Erhebung zwar an Akte des Rechtsverkehrs in Gestalt von Liefe­ rungen oder sonstigen Leistungen gegen Entgelt. Dieser verkehrsteuerli­ che Einschlag bestimmt aber nicht die Typologie, denn die Abgrenzung unterschiedlicher Steuerarten richtet sich ausschließlich nach einer ziel­ orientierten Erfassung des materiell avisierten Steuerguts6. Ihrer gesetz­ lich fixierten Konzeption nach bleibt die Umsatzsteuer darauf gerichtet, konsumtive Aufwendungen des Leistungsempfängers für den Erhalt ei­ nes Produkts und die in dieser Vermögensverwendung indizierte Leis­ tungsfähigkeit zu erfassen7. Das Verbrauch­steuerkonzept gelangt induk­ tiv in den Regelungen über den Vorsteuerabzug (§§ 14, 15 UStG), die Entnahmebesteuerung (§ 3 Abs. 1b, 9a UStG), die Bemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG) sowie aufgrund des Verbrauchsortprinzips im internationalen Umsatzsteuerrecht klar zum Ausdruck8. Von der Warte des Unternehmers aus gesehen, soll die Umsatzsteuer nur einen durch­ laufenden Posten bilden, seine Einbindung in den indirekten Erhebungs­ prozess erfolgt allein aus Gründen der Praktikabilität9. Soweit diesbezüg­ 1 Kirchhof, DStR 2008, 1 (3). 2 Vgl. Begründungserwägungen Nr. 2 und 8 RL 67/227/EG. 3 Siehe etwa de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 3; Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 10; Seer, ZfZ 2013, 146; Robisch, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., vor § 1 Rn 25; Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 11; Kirchhof, DStR 2008, 1 (3); Söhn, StuW 1976, 1 (17); ders., StuW 1996, 165 (166); Tipke, UStR 1972, 2 (3); Theler, DStR 1983, 215 (216 f). 4 EuGH, Rs. C-249/12, Tulica, ECLI:EU:C:2013:722 Rn 35; Rs. C-475/03, Banca popo­ lare di Cremona, Slg. 2006, I-9373 Rn 31. 5 BFH BStBl. II 2006, 479 (480); vgl. dazu Seer, ZfZ 2013, 146. 6 Vgl. Söhn, StuW 1975, 1 (6). 7 Statt vieler Stadie, UStG, 3. Aufl., Vorbem. Rn 17; Dziadkowski, UR 2017, 416. 8 Vgl. Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 10 a.E. 9 Tipke, UStR 1972, 2 (3). Lediglich in Ausnahmefällen wie z.B. der Entnahmebesteue­ rung (§ 3 Abs. 1b, 9a UStG) oder der Einfuhrumsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) findet eine direkte Erhebung beim Endverbraucher statt.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

lich eingewandt wird, die preisliche Steuerschuldüberwälzung sei von den Marktbedingungen abhängig und falle daher stets ungewiss aus1, vermag diese ökonomisch zutreffende Betrachtung nicht die juristische Wertung zu beeinflussen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Umsatzsteuer ihrer gesetzlich definierten Anlage gemäß auf eine ge­ lingende Überwälzung angelegt ist und diese Annahme hinreichend be­ lastbar erscheint. Hingegen ist ein tatsächlicher Erfolg im Einzelfall nicht entscheidend2. Die hier skizzierte Problematik um eine zutreffende Qualifizierung der Umsatzsteuer ist nicht bloß theoretischer Natur, sondern erlangt prak­ tisches Gewicht für die Auslegung wie auch das systematische Ver­ ständnis der zugrunde liegenden Gesetzesvorschriften. Maßgebliche Be­ rücksichtigung beansprucht insoweit die prinzipielle Neu­ tra­ lität der Umsatzsteuer gegenüber Unternehmern, die eine prägende Kehrseite ih­ rer verbrauchsteuerlichen Belastungskonzeption darstellt.

II. Angleichung der Bemessungsgrundlage Einen erheblich intensivierten Grad erreichte die supranationale Ein­ flussnahme durch die Verabschiedung der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17.05.19773. Die 6. MwStRL zielte auf die Einfüh­ rung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage und enthielt detaillierte Vorgaben für die Umsatzsteuergestaltung auf nationaler Ebene4. Eine entscheidende Triebfeder dieser neuen Entwicklungsstufe bildete der Be­ schluss des Rates vom 21.04.1970 über die Eigenmittelfinanzierung der Gemeinschaft5, die ab 1975 neben Agrarabschöpfungen und Zöllen zu­ sätzlich aus der mitgliedstaatlichen Abführung von zunächst maximal 1 % der mehrwertsteuerlichen Bemessungsgrundlage gespeist wurde. Außerhalb spezifischer Vorgaben hinsichtlich der Steuerbarkeit, des Ent­ gelts sowie des Vorsteuerabzugs gerieten erstmals auch die bislang na­ tional höchst heterogen ausgeformten Befreiungstatbestände in den Fo­ kus detaillierter Angleichung6. Im Rahmen der 1. und 2. MwStRL hatten 1 So etwa Theile, StuW 1996, 154 (159); Krüger, UR 1988, 65; a.A. Stadie, UStG, 3. Aufl., Vorbem. Rn 16, der infolge der gleichen Steuersatzbelastung von einer auto­ matischen Überwälzbarkeit ausgeht. 2 Zutreffend Söhn, StuW 1996, 165; Reiß, in: DStJG 13 (1990), S. 3 (22); Tipke, UStR 1972, 2 (3). 3 RL 77/388/EWG, ABl EG 1977 Nr. L 145 v. 13.06.1977, S. 1. 4 Stadie, UStG, 3. Aufl., Vorbem. Rn 59; Menner, Umsatzsteuerharmonisierung in der EG, 1992, S. 9. 5 ABl EG 1970 Nr. L 94 v. 28.04.1970, S. 19. 6 Menner, Umsatzsteuerharmonisierung in der EG, 1992, S. 10; Meyding, Umsatz­ besteu­erung und Europäischer Binnenmarkt, 1991, S. 11.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

die Mitgliedstaaten noch weitgehende Befreiungsautonomie genossen1, war dieser Bereich doch nach Maßgabe der 1. MwStRL ebenso wie die Steuersatzfestlegung vorerst ausgeklammert worden2. Einleitend dekla­ rierte die 2. MwStRL zwar die strenge Begrenzung umsatzsteuerlicher Befreiungen als wünschenswert3; gleichwohl legte sie verbindliche Re­ geln gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. a) und b) nur in Ansehung grenzüberschrei­ tender Umsätze fest, während Art. 10 Abs. 3 die Festsetzung von für erforderlich gehaltenen Exemtionen vorbehaltlich einer Konsultation ­ gemäß Art. 16 dem Regelungsermessen der Mitgliedstaaten überantwor­ tete. Im Vergleich dazu verwirklichte die RL 77/388/EWG eine neue Qualität, indem sie in Abschnitt X erstmals ein komplexes Katalogsystem von verbindlichen Freistellungen statuierte4. Die Vorschriften gemäß Art. 14 bis 16 RL 77/388/EWG betrafen Befrei­ungen im Zusammenhang mit der Ein- und Ausfuhr, während Art. 13 RL 77/388/EWG dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten mit reinem Inlandsbezug regelte. Da Umsatzsteu­ erbefreiungen wirtschaftspolitisch bedeutsame Lenkungsinstrumente verkörpern, gestaltete sich die mitgliedstaatliche Einigung in diesem sensiblen Kernpunkt steuerlicher Autonomie als äußerst schwieriges Unterfangen. Von politischer Kompromissfindung zeugten insbesondere die komplizierten Übergangsregelungen in Art. 28 Abs. 3 lit. a), b) und c) RL 77/388/EWG, die korrespondierend zu den in Anhang E, F und G auf­ gelisteten Umsätzen nationale Abweichungen zuließen5.

C. Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­ gesetzgebung Sowohl der Umfang als auch die enorme Detailtiefe zwingender Vorga­ ben, mit deren Vollzug sich die nationale Gesetzgebung erstmals nach Erlass RL 77/388/EWG konfrontiert sah und die nunmehr zum 01.01.2007 in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie als umfassendes Regelwerk auf­ gegangen sind, bezeugen einen supranationalen Transfer der mitglied­ staatlichen Steuersouveränität. Von übergangsweise gestatteten Bestim­ mungen sowie den Steuersätzen einmal abgesehen, verfügen die nationalen 1 Rahn, Dezentrale Umsatzbesteuerung, 2009, S. 28. 2 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 RL 67/227/EWG; Tumpel, in: DStJG 32 (2009), S. 53 (57); Forst, DStZ 1992, 651. 3 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 RL 67/228/EWG. 4 In Deutschland erfolgte die Anpassung der im UStG 1973 geregelten Befreiungen an die neuen Richtlinienvorgaben durch das Gesetz zur Neufassung des UStG und zur Änderung anderer Gesetze v. 26.11.1979, BGBl. I 1979, 1953; berichtigt in BGBl. I 1980, 137. 5 Krit. dazu etwa Terra/Kajus, 6th VAT Directive, Vol. A, 1991, S. 578.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

Parlamente längst nicht mehr über veritable Spielräume zur konkreten Umsatzsteuergestaltung. Ersatzweise hat diese Aufgabe vielmehr der Unionsgesetzgeber übernommen. Interpretiert wurde die Harmonisie­ rungskompetenz gemäß Art. 113 AEUV (Art. 99 EWGV, Art. 93 EGV) da­ bei stets relativ großzügig über eine bloß rahmenverbindliche System­ festlegung hinausreichend. Parallel zu dieser Entwicklung haben sich aus Sicht der materiellen Um­ satzsteuergesetzgebung die höherrangig verbindlichen Vorgaben verscho­ ben. Soweit zwin­gendes Unionsrecht Vorrang im Verhältnis zur nationa­ len Gesamtrechtsordnung genießt, geht allein von den vertraglich einschlägigen Bestimmungen des Primärrechts eine disziplinierende Ef­ fektuierung aus1. Infrage steht somit, welchen höherrangigen Einschrän­ kungen speziell die auf Art. 113 AEUV gestützten Sekundärrechtsakte unterliegen. Neben die kompetenzspezifisch normierten Voraussetzun­ gen (I) treten dabei allgemeingültige Grenzen der Unionsgesetzgebung als Ausfluss einer primärrecht­lichen Bindungswirkung gegenüber dem Sekundärrecht (II) in Erscheinung2. Seit Anbeginn der Umsatzsteuerhar­ monisierung verschränkt sich ihre Betrachtung schwerpunktmäßig auf die Kompatibilität nationaler Vorschriften mit geltenden Richtlinienvor­ gaben. Sukzessive zunehmendes Interesse verzeichnet unterdessen gera­ de im Steuerbereich die Entwicklung spezifischer Kontrollmaßstäbe auf unionsrechtlicher Grundlage3. Dies fordert insbesondere mit Blick auf die Umsatzsteuer und hierzu festgelegte Befreiungen die bislang nur un­ zureichend geübte Prüfung heraus, inwiefern sich der umsatzsteuerspe­ zifische Sekundärrechtsbestand mit dem Primärrecht konform verhält4. Innerhalb des unionalen Mehrebenensystems erfährt die harmonisierte Umsatzsteuer eine dreipolige Zuordnung. Sie bewegt sich auf europäi­ scher Ebene zunächst im vertraglich definierten Spannungsfeld von Pri­ mär- und Sekundärrecht, anschließend weist sie noch Berührungspunkte zum nationalen Recht auf5. Die stringente Beachtung dieser normativen Verflechtung liefert die verbindlichen Maßstäbe für den Angleichungs­ prozess und vermag je nach Inhalt zu einer struktur- und prinzipienge­ rechteren Besteuerung in Europa beizutragen6.

1 Siehe ausf. hierzu Teil 5 A. 2 Mellinghoff, UR 2013, 5 (10 f); spez. für die Bindung an Grundfreiheiten Widmann, UR 2012, 32; ders., UR 2013, 15 (21); Rahn, Dezentrale Umsatzbesteuerung, 2009, S. 39; Reiß, in: UStKongrBer 2007, S. 13 (27). 3 Siehe z.B. Engler, Steuerverfassungsrecht im Mehrebenensystem, 2014. 4 Vgl. Widmann, UR 2012, 32; Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 10. 5 So auch Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 2. 6 Dies fordernd etwa Kube, UR 2013, 489 (490).

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

I. Kompetenzstiftende Harmonisierungsanforderungen Die Befugnis zur Umsatzsteuerharmonisierung wird gemäß Art. 113 AEUV explizit durch zwei Merkmale umgrenzt1. Zum einen ist die Angleichung nationaler Steuervorschriften an die finale Vorgabe des Bin­ nenmarktes gebunden. Zum Zweiten steht der Erlass sekundärrechtli­ cher Akte zwecks Verwirklichung dieser Zielvorgabe unter dem Vorbe­ halt der Erforderlichkeit. 1. Zielvorgabe: Binnenmarkt Die binnenmarktfinale Ausrichtung gemäß Art. 113 AEUV markiert eine innere Grenze der zulässigen Umsatzsteuerharmonisierung2. Erfor­ derlich ist, dass die jeweils einstimmig zu beschließende Maßnahme eine gerichtlich nachprüfbare Verbesserung für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes in qualitativer Hinsicht bewirkt3. Die auf indirekte Steuern bezogene Gesetzgebung bildet eine bereichsspezifische Überset­ zung des bereits in Art. 26 Abs. 1 AEUV undifferenziert niedergelegten Auftrags, wonach es der EU obliegt, im Einklang mit den Verträgen die erforderlichen Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes zu treffen4. Nach Art. 26 Abs. 2 AEUV umfasst derselbe „einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienst­ leistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewähr­ leistet ist.“ Ausweislich dieser die Grundfreiheiten rezitierenden Defini­ tion besteht das Kernan­ liegen in einer ungehinderten Zirkulation wirtschaftlicher Güter über die mitgliedstaatlichen Grenzen hinweg , so dass wohlfahrtsteigernde Effekte durch eine optimierte Faktorallokation unter freien Wettbewerbsbedingungen ermöglicht werden5. Gefördert wird der Binnenmarkt also jedenfalls, sofern bestehende Hindernisse für den freien Handel oder wettbewerbsverzerrende Bedingungen beseitigt respektive angepasst werden. Der positivrechtliche Funktionsbeitrag muss dabei auf der Grundlage objektiv nachprüfbarer Tatsachen verifi­ zierbar sein und ist letztlich durch den EuGH voll überprüfbar6. Weiter­ hin bleibt es dem Unionsgesetzgeber im Rahmen von Art. 113 AEUV aber unbenommen, neben rein wirtschaftsbezogenen Primärzielen sons­ 1 Art. 113 AEUV ist lex specialis im Verhältnis zu Art. 114 ff AEUV, siehe Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 4. 2 Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 7. 3 Vgl. allg. Hillgruber, in: GS Blomeyer, 2004, S. 597 (600 ff). 4 Die Bedeutung geht über einen allgemeinpolitischen Programmsatz hinaus, vgl. zu Art. 8a EWGV Magiera, in: FS Stern, 1997, S. 1317 (1326). 5 Grundlegend Cecchini, Europa ´92. Der Vorteil des Binnenmarktes, 1988; siehe auch Müller-Graff, in: Dauses, HdB EU-WirtschR, Bd 1, 40. Lfg., A.I Rn 118; Kirchner, in: Schuppert/Pernice/Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 375 (379); Möschel, EuZW 2013, 252; Dauses, EuZW 1990, 8. 6 EuGH, Rs. C-301/06, Vorratsdatenspeicherung, Slg. 2009, I-593 Rn 60.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

tige anerkannte Belange des Allgemeinwohls zu verfolgen und diesen in­ nerhalb eines weiten Ermessensspielraums sogar maßgebende Bedeutung zuzuschreiben1. Wesentlich für die Funktionsweise des Binnenmarktes sind zwei entge­ gengesetzte Wirkprinzipien, die jeweils einen abweichenden Integra­ tionsgrad kennzeichnen. Der theoretische Idealzustand wird durch einen Markt zu vereinheitlichten Rahmenbe­ dingungen beschrieben2, aller­ dings halten die vertraglichen Harmonisierungskompetenzen eine derart weitreichende Ermächtigung zur Nivellierung sämtlicher Rechtsunter­ schiede auf nationaler Ebene nicht bereit3. a) Bestimmungslandprinzip Das Bestimmungslandprinzip beruht auf einer diskriminierungsfreien Anwendung von Rechtsvorschriften im Falle grenzüberschreitender Ak­ tivitäten. Nach ihm muss ein auslän­discher An­bieter von Waren oder Leistungen die geltenden Vorschriften des Zielmarktes wahren, ohne dass der Zutritt durch eine Schlechterstellung im Vergleich zu Inländern er­ schwert werden darf. Zwar wird auf diese Weise die Anwendung recht­ lich identischer Rahmenbedingungen gewährleistet. Faktisch kann der Grenzübertritt aber gleichwohl vor allem infolge nichttarifärer Hemm­ nisse erschwert sein, sobald vom Herkunftsstaat wesentlich abweichen­ de Bestimmungen eine Produktanpassung erforderlich machen4. b) Herkunftslandprinzip Eine intensivierte Form der Marktöffnung erfüllt das Herkunfts­- oder auch Ursprungslandprinzip, nach dessen Konzeption jeder ausländische Unternehmer seine Güter EU-weit zu den Bedingungen anbieten darf, die im Mitgliedstaat seiner Herkunft gelten5. Dabei beziehen sich die herkunftsstaatlichen Rahmen­­­bedingungen nicht nur auf nationalstaat­ lich geformtes Recht, sondern umfassen ebenso eine harmonisierende Unionsge­setzgebung als vollzugspflichtigen Be­stand­teil der nationalen Rechtsordnung6. Eine den Handel beein­träch­tigende Wirkung, die sich 1 So auch Kamann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 9. 2 Vgl. Schorkopf, Der Europäische Weg, 2010, S. 74; Grabitz, in: FS Steindorff, 1990, S. 1229 (1230); siehe auch zum abgelösten Begriff des Gemeinsamen Marktes EuGH, Rs. C‑15/81, Gaston Schul, Slg. 1982, 1409 Rn 33. 3 Siehe nur Frenz, HdB EuR, Bd 6, 2011, Rn 3335. 4 Vgl. Seidel, in: FS Steindorff, 1990, S. 1455 (1460); Kirchner, in: Schuppert/Pernice/ Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 375 (407). 5 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 26 AEUV Rn 27; Dauses, EuZW 1990, 8 (10); Steindorff, ZHR 158 (1994), 149 (165); ders., ZHR 150 (1986), 687; Classen, EuR 2004, 416 (419). 6 Reich, EuZW 1991, 203 (205).

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

aus der diskriminierungsfreien Parallelität nationaler Teilmärkte erge­ ben kann, wird praktisch aufgelöst, indem der Zielstaat fremde Rechts­ standards als gleichwertig zu den eigenen anerkennen muss1. Insbeson­ dere nichttarifäre Handelshemmnisse werden auf diese Weise eliminiert und der unge­hinderte Marktzugang im stärkeren Maße ausgebaut, als es das auf bloße Dis­ krimi­ nierungs­ freiheit angelegte Bestimmungsland­ prinzip zu leisten vermag. 2. Verhältnismäßigkeit der Harmonisierung Tatbestandlich stellt Art. 113 AEUV auf das Grundprinzip der Verhält­ nismäßigkeit gesondert über das Merkmal der Erforderlichkeit ab, ob­ gleich es bereits gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EUV zum fest etablierten Bestand objektiver Rechtsgrundsätze zählt. Allgemein müssen nach Art. 5 Abs. 4 EUV Unionsmaßnahmen zur Erreichung des zugrunde lie­ genden Zwecks geeignet sein sowie das relativ mildeste Mittel darstel­ len2. Die zulässige Reichweite der Steuerharmonisierung ist daher funk­ tional zu bestimmen und richtet sich nach den Anforderungen an eine binnenmarktadäquate Ausgestaltung der indirekten Besteuerung3, ohne dass eine punktgenaue Präzisierung möglich wäre. Gerade über die Mög­ lichkeit zur Förderung gemeinwohlbedingter Belange erhält die taugliche Basis für einen harmonisierenden Zugriff auf den nationalen Normenbe­ stand eine zusätzliche Verbreiterung. Auf der Grundlage einer gesetzge­ berisch auszufüllenden Abwägungsprämisse muss die binnenmarktfina­ le Harmonisierung dennoch eine maßvolle Gestaltung erfahren. Sie darf nicht unbesehen mit einer flächendeckenden Rechtsvereinheitlichung im Sinne eines uniformen Marktes gleichgesetzt werden, sondern wird vornehmlich durch den Prozess der näherungsweisen Rechtsangleichung gekennzeichnet4. Zusätzlich unterliegt die Unionsgesetzgebung dem Subsidiaritätsprin­ zip, dessen Geltung sich gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV auf alle Regelungsbe­ reiche erstreckt, die nicht einer ausschließlichen Unionszuständigkeit überführt sind. Erfasst ist insbesondere die Ausübung sämtlicher binnen­ marktfinal ausgestalteter Ermächtigungskompetenzen, denn dieser Be­ reich unterfällt gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. a) EUV der geteilten Zuständig­ keit. Aus dem Subsidiaritätsprinzip folgt ein grundsätzlicher Vorrang 1 EuGH, Rs. 120/78, REWE/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“), Slg. 1979, 649; Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 26 AEUV Rn 27. 2 Siehe dazu Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl 2008 Nr. C 115 v. 09.05.2008, S. 206 ff. 3 Vgl. Beermann, in: UStKongrBer 1995/96, S. 17 (22). 4 Vgl. Khan, in: Geiger/Kotzur/Khan, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 2; Müller-Graff, EuR 1989, 107 (137); diff. Kuntze, Kompetenzen in der EG, 1999, S. 117.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

zugunsten der nationalen Steuergesetzgebung, es sei denn, das konkret verfolgte Regelungsziel lässt sich auf Unionsebene besser verwirklichen.

II. Wirtschaftsverfassungsrechtliche Beschränkungen Der Binnenmarkt impliziert definitionsgemäß einen Raum der wirt­ schaftlichen Betätigungsfreiheit und adressiert als solcher die private Autonomie und Initiative der Marktbürger. Nicht allein markiert dieses Konzept ein zentrales Ziel der europäischen Integration, sondern instru­ mentalisiert dem neofunktionalistischen Ansatz gemäß zugleich eine schrittweise und schließlich unumkehrbare Verflechtung staatlicher Kompetenzen („Spill-over-Effekt“) auf wirtschaftlichem Gebiet1, nach­ dem rein politisch inspirierte Bemühungen um einen vertieften Zu­ sammenschluss Europas in Form der EVG und EPG zunächst gescheitert waren2. Eingebettet wird die Idee eines grenzüberschreitend befreiten Wirtschaftsverkehrs in das grundlegendere Bekenntnis zugunsten einer wettbewerbsbasierten Marktordnung3, welches das europäische Vertrags­ recht gegenüber der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgeset­ zes im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Diktion wesentlich unterscheidet4. Diese systemrelevante Festlegung war ehemals in Art. 4 Abs. 1 EGV klar angelegt, weiterhin zählte Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV einen unverfälschten Wettbewerb zu den allgemeinen Zielvorgaben der Ge­ meinschaft. Verglichen mit diesem Befund, führte der Lissabonner Reformvertrag ei­ nige textliche Ver­änder­ungen herbei. So wurde der unverfälschte Wettbe­ werb nicht länger in den Katalog allgemeiner Zielsetzungen übernom­ men5, ferner stellt Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EUV nunmehr auf eine „in hohem Maße wett­ bewerbs­ fähige soziale Marktwirtschaft“ ab. Diese auf den ­ersten Blick gravierenden Änderungen bewirken jedoch aus mehreren

1 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 981; Niemann/Schmitter, in: Wie­ ner/Diez, European Integration Theory, 2nd Edt., S. 49 ff. Siehe zum Neo-Funktio­ nalismus Haas, The Uniting of Europe, 1958; Lindberg, European economic Inte­ gration, 1963; Zellentin, in: Kreile, Integration Europas, 1992, S. 62 ff. 2 Vgl. Haltern, Europa und das Politische, 2005, S. 123 f; Küsters, Die Gründung der EWG, 1982, S. 64 f; Craig, in: Craig/de Búrca, The Evolution of EU Law, 5th Edt., S. 2 ff. 3 So auch Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR Bd 3, 5. Aufl., Einl Rn 53; Mestmäcker, in: FS Groeben, 1987, S. 9 (16 ff); Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (806); Basedow, Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 32; Nowak, EuR (Beiheft 1), 129 (147); a.A. van Themaat, in: FS Groeben, 1987, S. 425 ff; Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG, 1970, S. 205. 4 BVerfGE 4, 7 (17 f); vgl. Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., § 2 Rn 25 ff; Dreher, WuW 1998, 656 (657). 5 Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon, 3. Aufl., S. 83.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

Gründen keine weitreichende Akzentverschiebung1. Das Prinzip eines freien und unverfälschten Wett­bewerbs findet sich nach wie vor verbind­ lich festgeschrieben im Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb2, dessen einziger Erwä­gungs­­grund die Wettbewerbs­freiheit weiterhin als festen Bestandteil des Binnenmarktziels ausweist und die­ ser gemäß Art. 51 EUV primärrechtlichen Rang verleiht3. Überdies ist die wirtschaftspolitische Verpflichtung auf eine freie Marktwirtschaft unver­ ändert in Art. 119 Abs. 1 AEUV fortgesetzt worden, gleichsam statuiert wird diese gemäß Art. 120 Satz 2 AEUV4. Ohnedies schließt das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft eine im Grundsatz frei­heitlich ge­prägte Wirtschaftsordnung keineswegs aus, sondern integriert deren Grundaus­ richtung bereits begrifflich5. Sowohl der Binnenmarkt wie auch das vorgegebene Leitbild einer frei­ heitlichen Marktordnung verkörpern Prinzipen von grundlegender Be­ deutung. Ihnen ist unweigerlich ein hoher Abstraktionsgrad immanent. Außer Zweifel steht die Bindungswirkung gegenüber Unionsorganen (Art. 3 Abs. 3 EUV) und Mitgliedstaaten (Art. 119 Abs. 1, Art. 120 Satz 2 AEUV)6. Gesichert ist überdies, dass der freien Marktordnung isoliert keine subjektive Rechtsqualität zukommt, sie als solche mithin kein in­ dividuell einklagbares Recht vermittelt7; sehr wohl aber verfestigt dieser objektive Grundsatz eine Interpretationsmaxime gegenüber thematisch einschlägigem Primär- und Sekundärrecht8. Für eine weitergehende Kon­ kretisierung, die insbesondere das spannungsgeladene Verhältnis zwi­ schen reiner Marktwirtschaft und sozialer Intervention austarieren muss, sorgen neben den subjektiven Funktionsgarantien des Primär­ rechts die institutionellen Vorschriften zum Wettbewerbsschutz. Diese Vorgaben gilt es für eine mögliche Begrenzung der binnenmarktfinalen Umsatzsteuerharmonisierung nachfolgend in den Blick zu nehmen. Zeitgleich bestätigt diese Betrachtung, dass die europäischen Vertrags­ vorschriften in Gestalt politisch beständiger Maßgaben für die Vertei­ 1 So auch Weidenfeld, Lissabon in der Analyse, 2008, S. 116; Terhechte, EuR 2008, 143 (177); Hatje/Kind, NJW 2008, 1761 (1765 f); Öhlinger, in: Griller, Die europäi­ sche Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 269 (274); abw. Luczak, Die Europäische Wirt­ schaftsverfassung, 2009, S. 409 ff. 2 ABl 2008 Nr. C 115/309 v. 09.05.2008, S. 309. 3 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 3 EUV Rn 26; Weidenfeld, Lissabon in der Analyse, 2008, S. 118; Streinz/Ohler/Herrmann, Der Ver­trag von Lis­ sabon zur Reform der EU, 3. Aufl., S. 83; Pernice/Hindelang, EuZW 2010, 407 (411). 4 Siehe auch Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Einführung Rn 41; Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (810). 5 Zudem soll diese global in hohem Maße wettbewerbsfähig sein, vgl. Schwarze, EuZW 2004, 135 (136). 6 Vgl. Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 3 EUV Rn 5. 7 EuGH, Rs. C-9/99, Échirolles Distribution, Slg. 2000 I-8207 Rn 25. 8 Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (811).

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

lung knapper Ressourcen die Funktion einer Wirtschaftsverfassung im formellen Sinne erfüllen1. Schon seit Längerem hat sich außerhalb dieses speziellen Ausschnitts legislativer Einhegung die Erkenntnis durchge­ setzt, wonach das supranationale Primärrecht aller anderslautenden Be­ kundungen anlässlich der Lissabonner Agenda zum Trotz de facto Verfas­ sungsqualität besitzt2. 1. Subjektive Funktionsgarantien Subjektive Funktionsgarantien im Geiste einer freien Marktordnung ver­ bürgen bereits seit Anbeginn der wirtschaftlichen Integration im Rah­ men der EWG die Grundfreiheiten, hinzu gesellten sich später die ­wirtschaftsbezogenen Unionsgrundrechte. Sie vermitteln jeweils indivi­ dualschützende Rechte3, allerdings sind die Unionsgrundrechte im Ver­ gleich zu den Grundfreiheiten durch einen allgemeiner definierten An­ wendungsbereich gekennzeichnet. a) Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten sind bereits nach der Legaldefinition des Art. 26 Abs. 2 AEUV integraler Bestandteil des Binnenmarktes und schützen die grenz­­über­schreitende Wirtschaftsbetätigung in Gestalt der Waren-, Dienst­ leistungs-, Personen- sowie Kapitalverkehrsfreiheit. Ihrer ursprünglichen Ausrichtung nach beinhalten die Grundfreiheiten objektive Dis­krimi­ nierungs­verbote im Sinne des Bestimmungslandprinzips, was sich auch heute noch stellenweise an der textlichen Fassung in Art. 45 Abs. 2, Art. 49 Abs. 2, Art. 57 Abs. 3 und Art. 36 Satz 2 AEUV ablesen lässt4. In spezieller Ausprägung zu Art. 18 AEUV bleibt demzufolge jede unmittel­ bar oder mittelbar an die Staats­angehörigkeit anknüpfende Schlech­­­t­er­­ stellung im Verhältnis zu Inländern grund­­sätzlich untersagt. Eine erheb­ lich tiefer gehende Funktion ver­ lieh der EuGH den Grundfreiheiten, 1 Vgl. Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (804); Öhlinger, in: Griller, Die europäische Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 269 (270); Petersmann, EuZW 1993, 593; Oppermann, in: Müller-Graff/Zuleeg, Staat und Wirtschaft in der EG, 1987, S. 53 (55). Allg. zu den unterschiedlichen Begriffsverständnissen etwa Kloepfer, ­VerfR, Bd 1, 2011, § 25 Rn 1 ff; Schmidt, Öffentliches WirtschR, 1990, S. 70; Mest­ mäcker, RabelsZ 54 (1990), 409 ff; Fikentscher, WirtschR, Bd 2, 1983, § 20 I.2. 2 Siehe auch von Danwitz, JZ 2003, 1125 (1126); Dorau, Die Verfassungsfrage der EU, 2001, S. 96 ff; Pache, EuR 2002, 767 ff; Grimm, JZ 1995, 581 (584 ff); Nowak, EuR 2009 (Beiheft 1), 129 (146). 3 Für die Grundfreiheiten EuGH, Rs. C-83/78, Pigs Marketing Board, Slg. 1978, 2347; Rs. C‑41/74, van Duyn, Slg. 1974, 1337; Rs. C-2/74, Reyners, Slg. 1974, 631; Rs. C‑33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299. 4 Siehe Streinz, Europarecht, 10. Aufl., Rn 823; Schorkopf, Der Europäische Weg, 2010, S. 78 ff; Frenz, HdB EuR, Bd 1, 2. Aufl., Rn 20; a.A. Herdegen, EuR, 18. Aufl., § 14 Rn 3.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

indem er diese schrittweise als allgemeine Be­schränkungs­verbote gegen­ über unterschiedslos geltenden Maßnahmen etablierte1. Diese Schutzbe­ reichsausweitung, zunächst vollzogen für die Wa­ren­­­ver­kehrs- und die Dienstleistungsfreiheit2, sodann für die Arbeitnehmer­frei­zü­gig­keit3 so­ wie mit gewissen Differenzierungen auch für die Niederlassungs­freiheit4, markiert den Übergang zu einer verstärkten Durchsetzung des Her­ kunfts­­land­prinzips5. Neben der eindeutig mitgliedstaatlichen Adressierung bejaht die h.M. zu Recht ebenso eine Bindung der Unionsorgane an die Grundfreiheiten6. Der grundfreiheitliche Schutzbereich bezieht sich ausschließlich auf grenzüberschreitende Sachverhalte und erfasst nicht solche Fälle, die durch einen rei­nen Inlandsbezug gekennzeichnet sind. Den Mitgliedstaa­ ten wird es unionsrechtlich daher nicht untersagt, ihre Inländer im Ver­ hältnis zu EU-Ausländern rechtlich gesehen schlechter zu stel­len7. Diese sog. umgekehrte Diskriminierung wird auch nicht durch das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) erfasst, denn die Schlechterstel­ lung resultiert nicht aus der An­knüpf­ung an die inländische Staatsange­ hörigkeit, sondern beruht auf der vertraglich unerheblichen Interaktion zwischen Unionsrecht und natio­naler Rechtsordnung8. Nach der sog. „Gebhard-Formel“ können Eingriffe in den Schutzgehalt der Grundfrei­ heiten wegen geschriebener und ungeschriebener Gemeinwohlgründe im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein9. b) Wirtschaftsbezogene Unionsgrundrechte Weitere marktrelevante Verbürgungen enthalten die wirtschaftlich ge­ prägten Unionsgrundrechte, deren Bestand im Zuge der Lissabonner Re­ form bedeutsame Ergänz­ ungen erfahren hat. Traditionsbewusst hebt Art. 6 Abs. 3 EUV hervor, dass die richterrechtlich entwickelten Ge­ 1 EuGH, Rs. C-110/78 und 111/78, Ministre public und ASBL/van Wesemael, Slg. 1979, 35; vgl. auch Weber-Grellet, Eur StR, 2. Aufl., § 9 Rn 7 ff; Crones, Grundrechtlicher Schutz, 2002, S. 23. 2 EuGH, Rs. C-8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837; Rs. 120/78, REWE/Bundesmonopol­ verwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“), Slg. 1979, 649; Rs. C-33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299. 3 EuGH, Rs. C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921. 4 Siehe dazu ausf. Streinz, Europarecht, 10. Aufl., Rn 829 ff. 5 Vgl. Steindorff, ZHR 158 (1994), 149 (168); abl. Kingreen, Struktur der Grund­ freiheiten, 1999, S. 92 ff. 6 Mit ausf. Analyse der EuGH-Rechtsprechung Zazoff, Der Unionsgesetzgeber als ­Adressat der Grundfreiheiten, 2011, S. 79 ff; ebenso Schwemer, Die Bindung des Ge­ meinschaftsgesetzgebers, 1995, S. 45; Frenz, HdB EuR, Bd 1, 2. Aufl., Rn 62; Lurger, Regulierung und Deregulierung, 1997, S. 110; a.A. Möstl, EuR 2002, 318 (345 ff). 7 Siehe auch Giegerich, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, EuR, 3. Aufl., § 9 Rn 16. 8 Vgl. dazu Reich, EuZW 1991, 203 (205). 9 EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165 Rn 37.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

währ­ leistungen als ungeschriebene Primärrechtsgrundsätze weiter­ hin Geltung beanspruchen. Neue Elemente bestimmen hin­ gegen ge­ mäß Art. 6 Abs. 1 EUV das Inkrafttreten der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh), ferner der noch ausstehende EU-Beitritt zur EMRK, Art. 6 Abs. 2 EUV. Der europäische Grund­rechtekanon ist folglich mehrstufig aufgebaut und wird nach einer übernom­menen Mitgliedschaft im Euro­­ pa­rat aus drei Rechtsquellen gespeist werden1. Angesichts dieser komple­ xen Systematik ist nicht weiter verwunderlich, dass in der jünger­en Ver­ gangenheit zahlreiche Streit­fragen um die Auslegung und Anwendung der einzelnen Gewährleistungen entbrannt sind2. Die aus wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sicht zentralen Garantien fin­ den sich in Art. 15 bis 17 GRCh wieder. Hierzu zählt neben der Berufs­ freiheit (Art. 15 GRCh) und dem Eigen­tums­recht (Art. 17 GRCh) die ex­ plizite Gewährleistung der unternehmer­ischen Freiheit, Art. 16 GRCh. Dank ihrer Ausrichtung auf den Schutz jedweder Wirtschafts- oder Geschäfts­tätig­keit vermittelt die Unternehmerfreiheit einen den Perso­ nenverkehrsfreiheiten sowie der Dienstleistungsfreiheit vergleichbaren Ge­­halt, der auch die allgemeine Freiheit des Wettbewerbs impliziert3. Eine inhaltliche Überschneidung weisen diese wirtschaftsgeprägten Grundrechte ferner zu den richterrechtlich ge­schaffen­en Unionsgrund­ rechten iSv Art. 6 Abs. 3 AEUV auf4, die der EuGH in Reaktion auf die Solange-Rechtsprechung des BVerfG als Komplement zu den nationalen Verfassungsstandards entwickelt hat5. Als Ausfluss des vortrefflich öko­ nomisch geprägten Inte­gra­tionsverlaufs nah­­­m dabei gerade in den An­ fangsjahren dieser Grund­rechts­ju­di­­katur der Schutz wirt­schaftlicher Be­ tätigungsformen einen besonderen Stellenwert ein6. Anders als die Grundfreiheiten verlangen die Unionsgrundrechte keinen grenzüber­schrei­tenden Sachverhalt, sondern setzen einen spezifischen Zusammenhang zu unionsrechtlichen Rege­lung­en voraus7. Sie binden daher stets und in vollem Umfange die Unionsorgane, darüber hinaus aber auch die Mitgliedstaaten, soweit diese Unions­recht umsetzen, voll­ ziehen oder allgemein in dessen Anwendungsbereich tätig werden (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh)8. Analog zur grundfreiheitlichen Dogmatik

1 Weiß, EuZW 2013, 287; Schwarze, EuZW 2001, 517 (523). 2 Ausf. Weiß, EuZW 2013, 287 (288 ff); Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343 (353 ff). 3 Blanke, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 1 Rn 8;  Schwarze, EuZW 2001, 517 (518). 4 Siehe auch Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (812). 5 Grundlegend zum Vorbehalt einer nationalen Grundrechtskontrolle BVerfGE 37, 271 ff. 6 EuGH, Rs. C-4/73, Nold/Kommission, Slg. 1974, 491; Rs. C-44/79, Hauer, Slg. 1979, 3727. 7 Müller-Graff, EuR 2002 (Beiheft 1), 7 (34); Classen, EuR 2004, 416 (431). 8 EuGH, Rs. C-617/10, Fransson, ECLI:EU:C:2013:280 Rn 18 ff.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

unterliegen Eingriffe in den Schutzbereich gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRCh dem Verhältnis­mäßig­keitsprinzip1. 2. Die Wettbewerbsvorschriften In einem interdependenten Verhältnis stehen die subjektiven Funktions­ garantien mit dem wirt­ schafts­ verfassungsrechtlich festge­ legten Wett­ bewerbsprinzip2. Damit sich effizienter Wettbewerb im Binnenmarkt entfalten kann, be­ darf es der Wirtschaftsbetätigung im Rahmen von Grundfreiheiten und Grundrechten. Gleich­zeitig nährt aber nur die Er­ wartung auf Chancengleichheit innerhalb der betreffenden Zielmärkte die erwünschte Motivation, unternehmerische Ak­ti­vitäten über die nati­ onalen Grenzen hinweg auszudehnen. Die institutionelle Absicherung einer freiheitlich orientierten Marktordnung bildet die primäre Aufgabe der Wettbewerbsregeln gemäß Art. 101 ff AEUV. Im steuerrechtlichen Kontext tat sich in jüngerer Vergangenheit vor allem das in Art. 107 Abs. 1 AEUV zugrunde gelegte Verbot mitgliedstaatlicher Beihilfen her­ vor3. Diese Entwicklung ist der zutreffenden Einsicht geschuldet, dass eine selektive Unternehmersubvention nicht allein mithilfe direkter Zu­ wendungen, sondern ebenso gut mithilfe steuerlicher Verschonungen geschehen kann4. Gleichwohl versagt das EU-Beihilfenregime staatliche Förderprogramme nicht absolut, sondern unterwirft diese nach Maßga­ be von Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV einem präventiven Verbot mit ­Erlaubnisvorbehalt5. Eine weitere Restriktion ergibt sich in Anbetracht der noch zu klärenden Frage, inwiefern Art. 107 AEUV unionsrechtlich harmonisierte Vergünstigungstatbestände noch als staatliche Beihilfen zu erfassen vermag und damit überhaupt eine bindende Direktive vor­ gibt6. 3. Das Neutralitätsprinzip Das fundamentale Funktionsprinzip der harmonisierten Umsatzsteuer verkörpert die Neutralität7. Ihr bisweilen schillernder Charakter ist dem Umstand geschuldet, dass sie letztlich ein gleichheitsrechtlich unterleg­ 1 Nowak, EuR 2009 (Beiheft 1), 137 (161 f). 2 Bock, Regulierung im Binnenmarkt, 2005, S. 29; Nowak, EuR 2009 (Beiheft 1), 137 (156). 3 Reich/König, Eur StR, 2006, S. 14; spez. für die Umsatzsteuer Terra, Intertax 2012, 101 ff. 4 Vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 10. Aufl., Rn 1209. Bislang hat der EuGH – soweit ersichtlich – nur ein einziges Mal eine Beihilfe im Umsatzsteuer­ recht erkannt, vgl. EuGH, Rs. C‑172/03, Heiser, Slg. 2005, I‑1627. 5 Siehe dazu statt vieler Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 7. Aufl., § 21 Rn 13. 6 Siehe hierzu ausf. Teil 5 B.I.1. 7 Vgl. de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 2, 4 f.; Kogels, EC Tax Review 2012, 230 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

tes Phänomen beschreibt und als solches auf eine relativierende Katego­ risierung angewiesen bleibt1. Neutralitätskonform muss die Umsatz­ steuer so allgemein wie möglich erhoben werden, dass heißt, prinzipiell sämtliche unternehmerisch ausgeführten Leistungen sollten gleicher­ maßen proportional zum Bruttoentgelt erfasst werden2. Als Ausprägung der Belastungsneutralität versteht es der EuGH, dass die auf den unter­ nehmerisch bezogenen Vorleistungen ruhende Umsatzsteuer im Wege des Vorsteuerabzugs neutralisiert werden kann3. Zudem gilt es, im Rah­ men des grenzüberschreitenden Wirtschafts­verkehrs eine doppelte Be­ steuerung von Umsätzen zu vermeiden4. Eine dritte Komponente bildet das Gebot zu wettbewerblicher Neutrali­ tät, welches grundsätzlich verbietet, substituierbare Produkte einer di­ vergierenden Steuer­behandlung zu unterwerfen5. Sofern aus Sicht poten­ zieller Abnehmer die Aus­wahlentscheidung unter alternativen Umsätzen nicht infolge einer vorzugsweisen Belastungskonzeption beeinflusst wird, respektiert die Umsatzsteuer unverfälschten Wettbewerb6. In emp­ findlichen Widerstreit hierzu können neben ermäßigten Umsatzsteuer­ sätzen vornehmlich Befreiungstatbestände geraten7. Ist die Bedeutung des Neutralitätsprinzips als eine wesentliche Auslegungsdirektive für das sekundärrechtlich eingebundene Umsatzsteuerrecht unstreitig8, be­ wegt sich die genaue dogmatische Herleitung in Literatur und Rechtspre­ chung nach wie vor zwischen den Polen primärrechtlicher Grundrechts­ prägung einerseits und rein sekundärrechtlicher Verortung andererseits. Die genaue Bestimmung des normativen Stellenwerts ist im weiteren Verlauf dieser Arbeit unumgänglich. Allein diese Verortung vermag Auf­ 1 Vgl. die Aufzählung bei Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., Einf. Rn 47. 2 So Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL; vgl. auch Dziadkowski, UR 2017, 416; McDaniel/ Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 63. 3 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-564/15, Farkas, ECLI:EU:C:2017:302 Rn 43Rs. C‑38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 34; Rs. C‑400/15, Landkreis Potsdam-Mittelmark u.a., ECLI:EU:C:2016:687 Rn 35; Rs. C‑174/08, NCC Con­ struction Danmark, Slg. 2009, I-10567 Rn 27; Rs. C‑408/98, Abbey National, Slg. 2001, I-1361 Rn 24; Rs. C‑268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655 Rn 19; siehe ferner Karabulut, Der Vorsteuerabzug, 2014, S. 5; Richter, Die Regelungen zum Vorsteuer­ abzug, 2012, S. 19. 4 EuGH, Rs. C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861 Rn 23; Rs. C-409/04, Teleos u.a., Slg. 2007, I-7797 Rn 25; Rs. C‑245/04, EMAG Handel Eder, Slg. 2006, I-3227 Rn 25 ff; siehe dazu Henze, in: UStKongrBer 2010, S. 7 (13). 5 EuGH, Rs. C‑699/15, Brockenhurst College, ECLI:EU:C:2017:344 Rn 35; Rs. C‑460/07, Puffer, Slg. 2009, I-3251 Rn 53; Rs. C-309/06, Marks & Spencer, Slg. 2008, I-2283 Rn 47; Rs. C‑498/03, Kingscrest Associates Ltd., Slg. 2005, I‑4427 Rn 54 f. 6 Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 19; Rahn, Dezentrale Umsatz­ be­steuerung, 2009, S. 39; Krüger, UR 1988, 65 (66). 7 Siehe auch Kokott/Dobratz, in: Schön/Heber, Grundfragen, 2015, S. 25 (37); Mellinghoff, UR 2013, 5 (10). 8 Dazu ausf. Lohse, Die Zuordnung im MwStR, 1999, S. 103 ff.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

schluss darüber zu geben, inwiefern die Neutralität eine die Umsatzsteu­ erharmonisierung disziplinierende Bindung von höherrangiger Qualität entfaltet1. 4. Regel-Ausnahme-Prinzip als Konfliktlösungsansatz Aus der vorausgehenden Betrachtung der wirtschaftsrelevanten Funkti­ onselemente im Binnenmarkt wird ein Regel-Ausnahme-Prinzip erkenn­ bar, das zwischen konfligierenden Grundanliegen vermittelt2. Gibt die liberale Marktordnung mit ungehindertem Wettbewerb die systemrele­ vante Konstante wieder, unterliegen dirigistische Eingriffe dem Zwang zu verhältnismäßiger Rechtfertigung. Hiervon strikt abzuschichten gilt es allerdings die Frage nach einer festgefügten Hierarchie zwischen Marktfreiheit und außerökonomischen Belangen. Das funktionssyste­ matisch auf eine Abwägung zugeschnittene Regel-Ausnahme-Konstrukt billigt dem freien Spiel der Marktkräfte keine absolute Vorrangwirkung dergestalt zu, dass anderweitig verankerte Primärrechtsziele tendenziell zu weichen hätten3. Ent­sprechend betont der EuGH in ständiger Recht­ sprechung die prinzipielle Gleichrangigkeit vertraglich festgelegter Vor­ gaben4, wobei er den Unionsorganen ein weites Ent­schei­dungs­ermessen für die konkrete Gewichtung zugesteht5. In gleicher Weise beansprucht die Abwägungsprämisse Geltung für den Ausgleich sozialpolitischer Ge­ staltungsanliegen gegenüber den Grundfreiheiten und Unionsgrundrech­ ten6, wodurch interventio­nis­tischen Politiken eine nicht zu unterschät­ zende Durchschlagskraft verliehen wird. Die vertraglich festgelegte Orientierung hin zu freier Marktwirt­schaft darf also nicht verzerren, dass diese Systementscheidung durch das Pri­ märrecht verschiedentlich relativiert wird7. Beispielhaft können die ­Bereiche der Agrarwirtschaft (Art. 38 bis Art. 44 AEUV) und der In­ dustriepolitik (Art. 173 AEUV) benannt werden, sehen sich diese doch 1 Siehe hierzu Teil 5 B.IV. 2 Vgl. Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (836); Öhlinger, in: Griller, Die europäische Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 269 (276); Oppermann, in: Mül­ ler-Graff/Zuleeg, Staat und Wirtschaft in der EG, 1987, S. 53 (69); Nowak, EuR 2009 (Beiheft 1), 137 (162 ff); Schwarze, EuZW 2004, 135 (140); Weiß, EuR 2003, 165 (184); Müller-Graff, EuR 2002 (Beiheft 1), 7 (18, 22); Petersmann, EuZW 1993, 593 (594). 3 So auch Nowak, EuR 2009 (Beiheft 1), 137 (165); abw. Dreher, WuW 1998, 656 (657); Basedow, in: FS Everling, 1995, S. 49. 4 Für die Agrarpolitik z.B. EuGH, Rs. C-9/56, Meroni, Slg. 1958 Rn 43 ff; Rs. 139/79, Maizena, Slg. 1980, 3393 Rn 23; Rs. C-44/94, National Federation of Fishermen’s Organisations, Slg. 1995, I-3115 Rn 37. 5 EuGH, Rs. C-379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099 Rn 72 ff; vgl. dazu Lippert, DVBl. 2008, 492 (495). 6 EuGH, Rs. C-438/05, Viking Line, Slg. 2007, I-10779 Rn 78 f; Rs. C-341/05, Laval, Slg. 2007, I‑11767 Rn 104 f; vgl. dazu Nowak, EuR 2009 (Beiheft 1), 137 (164). 7 Beherens, Jura 1989, 561 (562).

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

vom Primat einer freien Marktordnung weitgehend entkoppelt1. Des Weiteren setzten die Ver­trä­ge zahlreiche außer­­ökonomische Ziele etwa in Gestalt des Umwelt-, Verbraucher- oder Gesund­heits­schutzes, die in­ nerhalb des Binnenmarktes zu verwirklichen sind2. Ebenso eine soziale Dimension repräsentiert der Aspekt der Daseinsvorsorge mittels Dienst­ leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI)3. Deren staatliche Sicherstellung zu hoher Qualität und erschwinglichen Preisen genießt ausweislich Art. 14 AEUV, Art. 36 GRCh einen primärrecht­ lichen Stellenwert und kann folglich korrigierende Eingriffe mit wett­ bewerbsbeschränkender Wirkung in einem relativ großzügigen Umfang legitimieren4. Insgesamt ist die Koexistenz aus freiheit­lichen und dirigis­ tischen Elementen innerhalb der europäischen Wirtschaftsverfassung unmittel­barer Ausdruck ihres Rahmencharakters, der in Umsetz­ung des Binnenmarktes einer weitgehend poli­tisch verantwortlichen Ausgestal­ tung durch Unionsorgane wie Mitgliedstaaten bedarf5. Begrifflich zum Aus­druck gebracht wird dieser Befund bisweilen, indem das ökonomi­ sche Leit­bild der EU mit dem einer „gemischten“ oder gar „offenen“ Wirtschaftsverfassung apostrophiert wird6.

III. Grenzüberschreitende Umsatzbesteuerung im Binnenmarkt Überschreiten Umsätze die Landesgrenzen, bedarf es im Verhältnis von Import- und Exportstaat einer angemessenen Zuordnung des Besteue­ rungsrechts mit gerechter Aufkommensverteilung. Lediglich theoreti­ scher Natur ist die Möglichkeit einer simultanen Abschöpfung (Doppel­ besteuerung) oder eines beiderseitigen Verzichts auf den Steuerzugriff (Steuerfreiheit)7. Auf diese Weise entstünden nicht hinnehmbare Wettbe­ werbsverzerrungen im Binnenmarkt, wären grenzüberschreitende Um­ sätze im Verhältnis zu rein innerstaatlichen Vorgängen diskriminiert oder privilegiert8.

1 Frenz, HdB EuR, Bd 6, 2011, Rn 3583; Öhlinger, in: Griller, Die europäische Wirt­ schaftsverfassung, 2007, S. 269 (274). 2 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 26 AEUV Rn 14. 3 Krit. dazu Horn, in: Gehlen/Schorkopf, Demokratie und Wirtschaft, 2013, S. 154 ff. 4 Vgl. Knauff, EuR 2010, 725 (730). 5 Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (853). 6 Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 320; Hatje, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 801 (809); Scherer, Wirtschaftsverfassung der EWG, 1970, S. 201 ff; diff. auch Oppermann, in: Müller-Graff/Zuleeg, Staat und Wirtschaft in der EG, 1987, S. 53 (56). 7 Vgl. dazu Hagen, Harmonisierung, 2000, S. 28 f. 8 Siehe auch Bahns/Brinkmann/Gläser/Sedlaczek, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 22; Meyding, Umsatzbesteuerung und Europäischer Bin­ nenmarkt, 1991, S. 23.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

1. Besteuerung im Ursprungs- oder Bestimmungsstaat Alternative Konzepte, die eine einmalige Erfassung grenzüberschreiten­ der Sachverhalte implizieren, verkörpern gleichermaßen das Ursprungswie das Bestimmungslandprinzip. Ihr Stellenwert als funktionale Grund­ muster des Binnenmarktes wurde bereits im Hinblick auf nicht tarifäre Handelsbarrieren erläutert1. a) Bestimmungslandprinzip Nach Maßgabe des Bestimmungslandprinzips werden grenzüberschrei­ tende Umsätze exklusiv im Importstaat besteuert, während der Export­ staat auf einen simultanen Zugriff verzichtet2. Das generierte Aufkom­ men fließt ausschließlich dem Importstaat zu, innerhalb dessen Gebiet der bestimmungsgemäße Verbrauch stattfindet3. Dieser Verteilungsef­ fekt bildet einen sachgerechten Ausgleich für die Infrastruktur, deren Bereitstellung erst einen geldwerten Konsum ermöglicht4. Ein weiterer Vorzug besteht in der Integration unterschiedlicher Steuergestaltungen in das Gebot zu Wettbewerbsneu­tralität, indem jeder Umsatz auf dem Zielmarkt ungeachtet seiner Herkunft nach den gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen behandelt wird5. Rechtstechnisch kann das Be­ stimmungslandprinzip auf zweierlei Weise umgesetzt werden. Einerseits neutralisiert eine Ausfuhrbefreiung samt Vorsteuerabzug die Steuerbe­ lastung des Export­ staates, so dass eine originäre Einfuhrbesteuerung durch den Importstaat erfolgen kann6. Alternativ wird der für die Steuer­ barkeit eines Umsatzes maßgebliche Leistungsort in das Bestimmungs­ land ohne gesondert erforderliche Ausfuhrbefreiung verlegt7. b) Ursprungslandprinzip Das entgegengesetzte Ursprungslandprinzip unterwirft grenzüberschrei­ tende Umsätze den exportstaatlichen Steuervorschriften8. Dem Vorteil, dass Grenzkontrollen oder ersatzweise Mechanismen entfallen können, steht der entscheidende Nachteil wettbewerbsverzerrender Effekte auf­ grund zwischenstaatlich divergierender Umsatzsteuervorschriften ge­

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Siehe hierzu vorstehend I.1. Ruppe, in: FS Rödler, 2010, S. 801 (804); Böckli, Indirekte Steuern, 1975, S. 143. Sikorski, USt im Binnenmarkt, 9. Aufl., Rn 30. Sog. „benefit principle“, siehe auch Reiß, UR 2002, 561 (563); Kletzath, in: DStJG 13 (1990), S. 167 (171). 5 Vgl. Wernsmann, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 30 Rn 27. 6 Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 51. 7 Siehe zum Empfängerortprinzip Tumpel, in: DStJG 32 (2009), S. 53 (69 f). 8 Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 501; Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 183.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

genüber1. Insbesondere provozieren unterschiedliche Steuersätze oder Befreiungstatbestände ungleiche Belastungseffekte je nach Herkunft ei­ nes Umsatzes, die sich wiederum in einer verzerrten Preisgestaltung nie­ derschlagen werden2. Um die Neutralität folglich zu wahren, setzt das Ursprungslandprinzip eine weitgehende Rechtsangleichung unter emp­ findlichen Einbußen an nationaler Sou­­veräni­tät voraus3. 2. Übergangsregime und Binnenmarktvollendung Zu den elementaren Anforderungen an eine binnenmarktadäquate Um­ satzsteuer zählt die Beseitigung physischer Grenzkontrollen4. Die sog. Binnenmarktrichtlinie5 verwirklichte diese Zielsetzung mit Wirkung zum 01.01.1993, indem sie die Grenzabfertigung im innergemeinschaft­ lichen Warenverkehr abschaffte6. Ohne zollbehördliche Grenzkontrollen konnte das Bestimmungslandprinzip in seiner bisher praktizierten Form nicht aufrechterhalten werden. Die ursprünglich von der Kommissi­ on angedachten Reformpläne sahen vor, das Ursprungslandprinzip bei gleichzeitiger Anpassung der Steuersätze einzuführen, überdies sollte das Aufkommen dem Bestimmungsstaat des Letztverbrauchs mithilfe eines Clearing-Verfahrens nachträglich zugeteilt werden7. Trotz Unter­ stützung durch die deutsche Delegation war diesen Vorstellungen kein Erfolg beschieden. Im Kern sahen sich die Mitgliedstaaten mehrheitlich nicht zu einem profunden Verzicht auf ihre Steuersatzautonomie bereit, zudem konnte ihnen die bis heute virulente Furcht vor einer umvertei­ lungsbedingten Benachteiligung nicht genommen werden8. Die Kompro­ misslösung bestand nach den Vorarbeiten des ECOFIN-Rates in einer auf den 31.12.1996 befristeten Übergangslösung durch die Binnenmarkt­ richtlinie, die sich jedoch infolge automatischer Verlängerung bis heute im Grundsatz erhalten hat. Für die Umsatzbesteuerung des grenzüber­ schreitenden EU-Wirtschaftsverkehrs existiert nach diesem System eine Kombination aus Bestimmungs- und Herkunftslandprinzip9, deren kon­ 1 Vgl. dazu Hagen, Harmonisierung, 2000, S. 41; Rau, in: UStKongrBer 1991/92, S. 17 (33). 2 Beispielhaft für den deutschen Goldhandel Forst, DStZ 1992, 651 (653). 3 Tumpel, in: DStJG 32 (2009), S. 53 (68 f); Bill, in: UStKongrBer 2007, S. 5 (7); Hagen/ Reiß, UR 2000, 106 (108); dies befürwortend Bahns/Brinkmann/Gläser/Sedlaczek, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 30; Haufler/Menner, RIW 1991, 128 (131); offen Kuntze, Kompetenzen in der EG, 1999, S. 117. 4 Siehe Meyding, Umsatzbesteuerung und Europäischer Binnenmarkt, 1991, S. 114. 5 RL 91/680/EWG, ABl EG 1991 Nr. L 376 v. 31.12.1991, S. 1. 6 Vgl. Birkenfeld/Forst, Umsatzsteuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, 3. Aufl., S. 121 ff. 7 Siehe dazu Kletzath, in: DStJG 13 (1990), S. 167 (169 ff); Sikorski, USt im Binnen­ markt, 9. Aufl., Rn 32. 8 Forst, DStZ 1992, 651 (652). 9 Vgl. Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 60.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

krete Anwendung von der Art des ausgeführten Umsatzes sowie vor al­ lem der Stellung des Empfängers abhängig ist1. a) Grenzüberschreitende Warenlieferungen innerhalb der EU Ebenso wie im Verhältnis von Mitglied- zu Drittstaaten gilt für den grenz­ überschreitenden EU-Warenverkehr zwischen Unternehmern (B2B) ma­ teriell unverändert das Bestimmungslandprinzip. Der Wegfall der Grenz­ abfertigung nötigte jedoch eine Anpassung dahingehend ab, dass an die Stelle der Ausfuhrbefreiung und Einfuhrbesteuer­ung bei Grenzübertritt die Substitute des steuerbaren innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG) und der befreiten innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 4 Nr. 1 lit. b) UStG) getreten sind. Dieses System belastet grenzüber­ schreitend aktive Unternehmer mit einem erheblichen Befolgungsauf­ wand, da die ehemals durch die Zollbehörden erfüllten Aufgaben in Form umfassender Melde- und Deklarationspflichten in die Betriebe verlagert worden sind2. Demgegenüber erfasst das Ursprungslandprinzip grund­ sätzlich Lieferungen an Verbraucher (B2C), darunter insbesondere die sog. Abholfälle im Rahmen des Reiseverkehrs. Wettbewerbsrelevante Be­ reiche, die wie der Versandhandel ab Überschreitung festzulegender Um­ satzschwellen (§ 3c UStG) oder aber der Kauf von Neufahrzeugen (§ 1b UStG) durch ein erhebliches Umsatzsteuerpotenzial gekennzeichnet sind, wurden hiervon allerdings ausgenommen. In diesen Fällen kom­ pensiert das Bestimmungslandprinzip das nationale Steuersatzgefälle, das anderenfalls wettbewerbsverzerrende Nachfrageverschiebungen zum Nachteil der in Hochsteuerländern ansässigen Unternehmer hervorzuru­ fen drohte3. b) Sonstige Leistungen Anders als Lieferungen ist der Steuertatbestand sonstiger Leistungen iSv § 3 Abs. 9 Satz 1, Abs. 1 UStG nicht auf die Verschaffung der Verfügungs­ macht an einem körperlichen Gegenstand gerichtet. Da somit keine An­ knüpfungsmöglichkeit an eine phy­sische Warenbewegung besteht, bleibt eine zwischenstaatliche Grenzabfertigung von vornherein ausgeschlos­ sen4. Im außer- und innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehr er­ folgt die Zuweisung des Besteuerungsrechts daher einheitlich anhand des gesetzlich definierten Leistungsorts5. Zum 01.01.2010 führte diesbe­ 1 Siehe auch Merkx, Int VAT Monitor 2012, 22 ff. 2 Vgl. Rahn, Dezentrale Umsatzbesteuerung, 2009, S. 60 ff.; Endres, RIW 1994, 572 (576). 3 Rau, in: UStKongrBer 1991/92, S. 17 (20). 4 Siehe auch Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 527. 5 Sikorski, USt im Binnenmarkt, 9. Aufl., Rn 37; Rau, in: UStKongrBer 1991/91, S. 17 (22).

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

züglich die Richtlinie über die Neuregelung des Orts von Dienstleistun­ gen vom 12.02.2008 zu einer Neufassung zahlreicher Bestimmungen ins­ besondere des Titels V Kapitel 3 MwStSystRL1. Demnach unterliegen nunmehr B2B-Leistungen grundsätzlich der Besteuerung am Sitz des Empfängers (Bestimmungslandprinzip)2. Zusätzlich findet für viele in­ nergemeinschaftliche Leistungen eine Steuerschuldverlagerung auf den Empfänger statt, wodurch ein grenzüberschreitender Vorsteuerabzug entbehrlich wird3. Der Ort für an Verbraucher erbrachte Dienstleistun­ gen (B2C) befindet sich dessen ungeachtet weiterhin am Sitz des ausfüh­ renden Unternehmers (Ursprungslandprinzip). Diese Regel gilt aber nur, soweit nicht eine der vielen kasuistisch gestalteten Ausnahmebestim­ mungen eine abweichende Zuordnung trifft4. 3. Binnenmarktadäquate Grenzbesteuerung Als richtungsweisend für ein sachgerecht harmonisiertes Grenzbesteue­ rungskonzept erweist sich, ob das Bestimmungs- oder das Ursprungs­ landprinzip die vorzugswürdige Orientierung vorgibt. Eine zutreffende Antwort auf diese vor allem kompetenzrechtlich relevante Fragestellung vermögen allein die Anforderungen des Binnenmarktes in umsatzsteuer­ licher Hinsicht zu geben, deren inhaltliche Konkretisierung wiederum aus den begriffskonstitutiven Grundfreiheiten abgeleitet werden muss. a) Besteuerungsprinzipien und Kompetenzschranken Traditionell wird die Umsatzbesteuerung im Herkunftsland als die allein binnenmarktkonforme Konzeption favorisiert5. Betont wird der unerläss­ liche Verzicht auf Steuergrenzen beruhend auf der völligen Gleichstel­ lung von grenzüberschreitenden und rein innerstaatlichen Umsätzen6. Rechtspolitisch zu etablieren vermochte sich bislang im Wesentli­ chen aber allein das Bestimmungslandprinzip, weil es insbesondere kei­ 1 RL 2008/8/EG, ABl EU 2008 Nr. L 44 v. 20.02.2008, S. 11; vgl. dazu Widmann, in: UStKongrBer 2010, S. 91 ff. 2 Robisch, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., vor § 1 Rn 27; Tumpel, in: DStJG 32 (2009), S. 53 (62 f). Zuvor war regelmäßig noch der Sitz des ausführenden Unternehmers maßgeblich. 3 Sog. „reverse-charge“, vgl. Merkx, Int VAT Monitor 2012, 22 (24); Widmann, in: USt­ KongrBer 2010, S. 91 (93). 4 Die Komplexität des derzeitigen Systems wird dadurch signifikant erhöht, vgl. Sikorski, USt im Binnenmarkt, 9. Aufl., Rn 33; Robisch, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., vor § 1 Rn 27. 5 So etwa Bill, in: UStKongrBer 2007, S. 5 (7); Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 499; Rüth, Die Umsetzung der 6. MwStRL, 2005, S. 45; Birkenfeld/Forst, Umsatzsteuerrecht im Eu­ ropäischen Binnenmarkt, 3. Aufl., S. 129; Kletzath, in: DStJG 13 (1990), S. 167 (169); Widmann, in: DStJG 19 (1996), S. 219 (222); Nieskens, UR 2012, 230; Endres, RIW 1994, 572 (575); ebenfalls KOM (96) 328 v. 22.07.1996, S. 14. 6 Vgl. dazu ausf. Kuntze, Kompetenzen der EG, 1999, S. 112 ff. mwN.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

ne nachträgliche Aufkommenskorrektur erfordert1. Neben der angemes­ senen Aufkommenszuweisung besticht diese weltweit anerkannte Besteuerungsform durch zwei Vorzüge, denn eine konsequente Umset­ zung ­ermöglicht Wettbewerbsneutralität unter weitgehender Schonung der mitgliedstaatlichen Souveränität2. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Steuersatzautonomie3, die als identitätsstiftender Ausfluss nationaler Besteuerungstraditionen im Kontext der haushaltsmäßigen Finanzie­ rungsstrukur einen schützenswerten Belang iSv Art. 6 Abs. 3, Art. 5 Abs. 3 EUV markiert4. Ebenso könnte aber auch die Festlegung von Steuerbefreiungen zumindest hinsichtlich solcher Umsätze, die typi­ ­ scherweise durch Endverbraucher oder diesen gleichgestellte Empfänger bezogen werden, weitgehend der nationalen Autonomie überlassen blei­ ben5. Einen gewichtigen Nachteil stellen augenscheinlich die notwendigen Steuergrenzen dar, die anlässlich der nur übergangsweise angedachten Kompromisslösung von der Zollabfertigung formal auf die Unternehmer verlagert worden sind. Anmelde- und Deklarationspflichten sowie nicht zuletzt die erhebliche Komplexität des durch zahlreiche Ausnahmen zer­ setzten Regimes behindern vor allem kleine und mittelständische Betrie­ be in grenzüberschreitenden Initiativen6. Diese Handelshemmnisse lö­ sen eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung der Waren- und Dienstleistungsfreiheit sowie der grundrechtlich verbürgten Unterneh­ merfreiheit aus7. Mag dieser Eingriff zwecks Vermeidung von Wettbe­ werbsverzerrungen sowie zum Schutz mitgliedstaatlicher Steuersouve­ ränität übergangsweise gerechtfertigt sein8, spiegelt das geltende System

1 Rau/Winter, Umsatzbesteuerung, 1993, Einf. Rn 4; Reiß, UR 2002, 561 (563). 2 Siehe Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, 2010, S. 39; Tumpel, in: DStJG 32 (2009), S. 53 (55). 3 Diese unterliegen seit RL 92/77/EG, ABl EG 1992 Nr. L 316/1 v. 31.10.1992 nur der Mindestharmonisierung, wonach die Mitgliedstaaten allgemein einen Normalsatz von mindestens 15 % (Art. 97 MwStSystRL) sowie für bestimmte Umsätze zwei er­ mäßigte Sätze von mindestens 5 % (Art. 99 MwStSystRL) erheben dürfen. 4 Vgl. Rahn, Dezentrale Umsatzbesteuerung, 2009, S. 42 f; Schaumburg, in: Schaum­ burg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 11.31. 5 Dies unterstellt auch Erwägungsgrund Nr. 7 MwStSystRL. Eine Ausnahme könnte indes für kostenintensive und vor Ort konsumierbare Güter angezeigt sein, sollte deren Begünstigung eine wettbewerbsverzerrende Sogwirkung auf reisebereite Kon­ sumenten auslösen. 6 KOM (2011) 851 v. 06.12.2011, S. 4. 7 Rahn, Dezentrale Umsatzbesteuerung, 2009, S. 65 ff; Hagen, Harmonisierung, 2000, S. 37. 8 So Rahn, Dezentrale Umsatzbesteuerung, 2009, S. 70 f, unter Hinweis auf den wei­ ten Ermessensspielraum des Unionsgesetzgebers im Rahmen der Verhältnismäßig­ keitsprüfung.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuer im Binnenmarkt

jedenfalls wirtschaftspolitisch betrachtet keinen binnenmarktadäquaten Zustand wieder1. Entgegen weitverbreiteter Ansicht erzwingt dieser Befund aber nicht, das Bestimmungslandprinzip als Grundkonsens generell zu verwerfen2. Der Schutzgehalt von Grundfreiheiten und Unionsgrundrechten verlangt vielmehr nur eine effektive Um­setz­ung dergestalt, dass grenzüberschrei­ tende Aktivitäten nicht durch unverhältnismäßige Aufwendungen ver­ fahrenstechnischer Art behindert und so im Verhältnis zu Inlandsumsät­ zen erheblich diskriminiert werden3. Eine vollständige Nivellierung ist mit dieser Vorgabe aber gerade nicht verbunden4. Vielmehr bedarf das Herkunftslandprinzip lediglich in administrativer Hinsicht der Verwirk­ lichung insoweit, als Unternehmer von ihrem Sitzstaat aus sämtliche umsatzsteuerliche Zahlungs- und Deklara­tionspflichten gegenüber der Verwaltung in den übrigen EU-Mitgliedstaaten in zumutbarer Weise er­ füllen können, damit eine möglichst ungehinderte Partizipation am grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr ermöglicht wird5. b) Grundfreiheitliche Wirkungsverhältnisse Verglichen mit nicht tarifären Produkt- und Dienstleistungsstandards zeichnen sich die subjektiven Funktionsgarantien des Primärrechts auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Umsatzbesteuerung durch eine umgekehrte Wirkungsstruktur aus. Gegenüber unverhältnismäßigen Schutzstandards mitgliedstaatlichen Ursprungs setzen die zu Beschrän­ kungsverboten mutierten Grundfreiheiten das Herkunftslandprinzip ­autonom um. Den Anforderungen an eine binnenmarktkonforme Um­ satzbesteuerung genügt derweil das Bestimmungslandprinzip, da es vor­ behaltlich einer administrativ tragfähigen Umsetzung den freien Wirt­ schaftsverkehr mit unverfälschtem Wettbewerb gewährleistet. Anders als Produkt- und Dienstleistungsstandards bleibt die Umsatzsteuer als abstrakte Zahllast ohne Einfluss auf die physische Beschaffenheit und erzeugt somit keinen kostenintensiven Anpassungsdruck. Der Wettbe­ werbsgleichheit genügt somit bereits eine relativ gleich hoch ausfallende Steuerbelastung der innerhalb des Zielmarktes konkurrierenden Umsät­ ze. Diese umsatzsteuerspezifisch skizzierte Grundfreiheitsdogmatik ver­ 1 Vgl. Nieskens, UR 2012, 2300; Hagen/Reiß, UR 2000, 106 (108); Endres, RIW 1994, 572 (575); einen Gleichheitssatzverstoß mangels inhaltlicher Kohärenz annehmend Kirchhof, UR 2002, 541 (547). 2 Siehe auch Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 397; Kirchhof, UR 2002, 541 (547). 3 So Reiß, UR 2002, 561 (563); ders., in: FS Tipke, 1995, S. 433 (442). 4 Reiß, in: UStKongrBer 2007, S. 13 (23); Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 397; Hagen, Harmonisierung, 2000, S. 37 f; Tumpel, in: DStJG 32 (2009), S. 53 (85). 5 Vgl. Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (337 ff); Tumpel, in: DStJG 32 (2009), S. 53 (99 ff); siehe zu möglichen Reformentwürfen ak­ tuell TAXUD/2013/DE/319.

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C.  Primärrechtliche Disziplinierung der Umsatzsteuer­gesetzgebung

deutlicht, dass ein flächendeckendes Herkunftslandprinzip die primär­ rechtlich fundierten Grenzen des aktuell vereinbarten Integrationsstands missachtet, mithin also das europäische Binnenmarktkonzept überstra­ paziert. Unter dem Vorbehalt mitgliedstaatlicher Steuerautonomie tritt gerade in Art. 113 AEUV die beachtliche Abweichung des Binnenmark­ tes gegenüber einem Zustand idealtypischer Uniformität hervor, da in Proportion zu unionsrechtlich akzeptierten Rechtsunterschieden die Funktionsweise eines nationalen Marktes nicht realisierbar ist1. 4. Strategiewechsel der Kommission und Ausblick Den Reformbedarf des aktuellen Rechtszustands hat die Kommission mit der Vorlage ihres Grünbuchs zur Zukunft der Mehrwertsteuer auf­ gegriffen2. Gleichzeitig gab sie eine rückblickende Evaluierung über zen­ trale Elemente des geltenden Umsatzsteuerrechts in Auftrag. Ihre Be­ mühungen mündeten unlängst in der Annahme einer Mitteilung zur Zukunft der Mehrwertsteuer3, in welcher die Kommission wesentliche Reformpunkte für ein verbessertes System entwirft. Dieses Dokument markiert einen einschneidenden Wendepunkt hinsichtlich der Thematik zur grenzüberschreitenden Besteuerung, weil die Kommission die Ver­ folgung des Ursprungslandprinzips explizit aufgibt und künftig eine rechtspolitisch allein umsetzbare Vertiefung des Binnenmarktes auf der Grundlage des Bestimmungslandprinzips anzustreben beabsichtigt4. Der vollzogene Strategiewechsel mag vor dem Hintergrund der anhaltend vehement geführten Prinzipiendebatte auf ein ambivalentes Echo sto­ ßen5. Jedenfalls aus rein praktischer Sicht gilt es gleichwohl zu resümie­ ren, dass eine alsbaldige Abkehr vom Primat der Besteuerung im Bestim­ mungsland ungeachtet dessen primärrechtlicher Einordnung obsolet geworden ist.

1 Vgl. Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 5. 2 KOM (2010) 695 v. 01.12.2010; siehe dazu Nieskens/Slapio, UR 2011, 573 ff. 3 KOM (2011) 851 v. 06.12.2011. 4 KOM (2011) 851 v. 06.12.2011, S. 5; vgl. zuletzt auch TAXUD/2013/DE/319. 5 Von einer „Lebenslüge des umsatzsteuerlichen Binnenmarktes“ sprechend Widmann, UR 2013, 15 (19); krit. auch Kube, UR 2013, 489 (491). Abw. muss die Bewer­ tung ausfallen, wenn Art. 113 AEUV als bloße Angleichungsbefugnis aufgefasst wird, vgl. Seiler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, 60. Lfg., Art. 113 AEUV Rn 34; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 2; Klein, in: DStJG 19 (1996), S. 7 (24 f); Mick, in: Birk, HdB des Europäischen Steuer- und Abga­ benrechts, 1995, § 24 Rn 16.

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2. Teil: Befreiungen im System der Umsatzsteuer Steuerbefreiungen beschreiben eine mögliche Subform steuerlicher Ver­ günstigungen. Gemeinhin begründen sie eine Verschonung von der Re­ gelsteuerpflicht, durch die der Gesetzgeber gänzlich unterschiedliche Zielsetzungen sozial-, lenkungspolitischer oder auch rein technischer Art verfolgen kann. Ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung gemäß können Be­ freiungen an das Steuersubjekt und dessen Eigenschaften anknüpfen; ebenfalls möglich ist eine sachlich orientierte Ausnahme bezüglich des ausgewählten Steuerobjekts1. Im System der Umsatzsteuer durchbrechen Befreiungen den festen Konnex zwischen der Steuerbarkeit eines Umsat­ zes und dessen Steuerpflicht. Liegt demnach ein steuerbarer Geschäftsvor­ gang iSv § 1 Abs. 1 UStG vor, ist dieser stets steuerpflichtig, es sei denn, seine Freistellung findet sich speziell angeordnet2. Auf nationaler Ebene ist die weit überwiegende Zahl der aktuell geltenden Befreiungsvorschrif­ ten in § 4 UStG geregelt3. Ihre Umsetzung dem Grunde nach wie auch die inhaltliche Ausformung wird im Wesentlichen durch die detaillierten Vorgaben aus Titel IX der Mehrwertsteuersystemrichtlinie determiniert. Die in Art. 132 ff MwStSystRL katalogisierten Tatbestände lassen sich danach unterteilen, ob sie sich lediglich auf rein innerstaatliche Umsätze beziehen (Art. 132 bis 137 MwStSystRL, § 4 Nr. 8 bis 28 UStG) oder aber grenzüberschreitende Vorgänge erfassen (Art. 138 ff MwStSystRL, § 4 Nr. 1 bis 7 UStG). Aus Unternehmersicht hat die Freistellung zur Folge, dass die sonst einzupreisende Steuerschuld auf das Bruttoentgelt weg­ fällt. Innerstaatlich wirksame Befreiungen mit Gemeinwohlbezug, wie sie gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL geregelt werden, sind mit jeweils unterschiedlicher Motivation darauf angelegt, zumindest primär einer umsatzsteuerbedingten Verteuerung hinsichtlich qualifizierter Waren oder Leistungen im vornehmlichen Interesse der Steuerträger entgegen­ zuwirken.

A. Die Wirkungsweise von Umsatzsteuerbefreiungen Die tatsächliche Auswirkung von Umsatzsteuerbefreiungen richtet sich nach der grundlegenden Differenzierung, ob das Recht zum Vorsteuerab­ zug für den ausführenden Unternehmer ausgeschlossen wird oder aber 1 Siehe zu dieser generellen Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Be­ freiungen Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 19 Rn 16. 2 Rose/Watrin, USt, 18. Aufl., S. 131; Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 44. 3 Weitere Tatbestände finden sich noch in § 25 Abs. 2 (Reiseleistungen), § 25c Abs. 1 (Anlagegold) und § 26 Abs. 5 UStG (Umsätze an NATO-Streitkräfte); ferner wirkt die optionale Kleinunternehmerreglung gemäß § 19 UStG de facto wie eine Befreiung.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

erhalten bleibt. In Anknüpfung an diese Systematik ergibt sich eine Zweiteilung, nach der die geltenden Tatbestände entsprechend ihrer wirtschaftlich bemessenen Entlastungseffekte in echte und unechte Be­ freiungen unterschieden werden1.

I. Echte Umsatzsteuerbefreiungen Als echte Befreiungen werden diejenigen Tatbestände bezeichnet, bei de­ nen das Recht zum Vorsteuerabzug iSv § 15 Abs. 3 Nr. 1 lit. a), Nr. 2 lit. a) UStG unberührt bleibt (§ 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2, § 26 Abs. 5 UStG)2. Sie bewirken eine perfektionierte Entlastung, denn der Unternehmer selbst schuldet keine Umsatzsteuer, umgekehrt kann er die ihm für Vor­ leistungen durch andere Unternehmer in Rechnung gestellte Umsatz­ steuer gegenüber dem Finanzamt erstattet verlangen. Auf diese Weise entfällt ein steuerbedingtes Überwälzungsmotiv, so dass die Endpreise für betreffende Warenlieferungen oder sonstige Leistungen von jeglicher Umsatzsteuerbelastung bereinigt sind.

II. Unechte Umsatzsteuerbefreiungen Unechte Befreiungen schließen den Vorsteuerabzug aus. Im Unterschied zu echten Exemtionen hängen Eintritt wie auch Höhe eines Entlastungs­ effekts maßgeblich davon ab, auf welcher Wirtschaftsstufe der Tatbe­ stand eingreift3. Bezieht sich die unechte Befreiung auf zwischenunter­ nehmerische Umsätze, wird eine zweckwidrige Kumula­ tionswirkung die häufige Folge sein4. Da der befreit leistende Unternehmer die ihm selbst in Rechnung gestellten Vorsteuerbeträge nicht in Abzug bringen kann, wird er versucht sein, diese über einen Preisaufschlag an den Emp­ fänger weiterzugeben. Die nicht abziehbare Vorsteuer gerinnt so auf den nachfolgenden Umsatzstufen zu einem endgültigen Preisbestandteil, wo­ durch sich das Entgelt auf der Endstufe naturgemäß erhöht. Die Belas­ tung kumuliert, indem Umsatzsteuer auf Umsatzsteuer erhoben wird5. Zu erwarten steht eine Vergünstigung im Verbraucherinteresse daher nur, falls die unechte Befreiung auf der letzten Umsatzstufe einsetzt6. 1 Vgl. Birkenfeld, Umsatzbesteuerung, 2. Aufl., S. 61. 2 Statt vieler Lippross, USt, 24. Aufl., S. 535. 3 Vgl. auch McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 86 f. 4 James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 50; Henkow, The VAT/GST Treatment of Public Bodies, 2013, § 1.02 (c) (3); Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 53; McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 64 f. 5 Siehe auch OECD, Consumption Tax Trends, 2014, S. 47; Mc Lure, The Value-Added Tax, 1987, S. 73; Böckli, Indirekte Steuern, 1975, S. 161 ff. 6 Widmann, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 15 Rn 359; Teichmann, StuW 1975, 189 (192).

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A.  Die Wirkungsweise von Umsatzsteuerbefreiungen

Zweite maßgebliche Voraussetzung für ein vergünstigtes Preisniveau ist, dass der Unternehmer auf der letzten Umsatzstufe eine ausreichend hohe Wertschöpfung generiert1. Liegt diese erheblich unterhalb der fremdleistungsbedingten Vorsteuerbeträge, resultiert deren gelungene Überwälzung in einer effektiven Mehrbelastung trotz nomineller Befrei­ ung. Da der Unternehmer stets bestrebt sein wird, die ihm für unterstüt­ zende Leistungen in Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer soweit als möglich einzupreisen, bedingt das Abzugsverbot regelmäßig eine ver­ deckte Konsumbelastung mit der Steuerschuld Dritter (sog. „tax occul­ te“). Im Ergebnis ist allenfalls eine geminderte Entlastung unecht befrei­ ter Umsätze vorprogrammiert, deren Höhe sich aus der durchgereichten Vorsteuersumme abzüglich der auf die eigene Wertschöpfung des ausfüh­ renden Unternehmers ersparten Umsatzsteuerschuld errechnet2.

III. Ungewisse Belastungsinzidenz infolge unechter Befreiungen Ob und in welcher Höhe eine verdeckte Belastung der Konsumaufwen­ dungen im Falle einer unechten Befreiung auf der Endstufe verbleibt, ist im Wesentlichen von zwei interdependenten Faktoren abhängig. Der erste betrifft die Frage, ob und inwieweit die Steuerschuldersparnis ein­ schließlich der definitiven Vorsteuerbelastung faktisch weitergegeben wird. Verschafft die Befreiung die im Ausgangspunkt gesetzlich inten­ dierte Entlastung, kann sich der Unternehmer gleichwohl gegen die er­ öffnete Option einer Preisreduktion entschließen und stattdessen un­ mittelbar seine Gewinnspanne erhöhen, während proportional eine Begünstigung der Leistungsbezieher ausbleibt3. Gleichermaßen beruht die Vorsteuer­überwälzung auf der betriebswirtschaftlichen Disposition des Unternehmers, der seine Entscheidung an die vorgegebene Marktla­ ge anpassen muss. Unter starkem Konkurrenzdruck sowie niedriger Preiselastizität besteht die Möglichkeit, dass Vorsteuern, wenn über­ haupt, so doch nur unter erheblichen Umsatzeinbußen abwälzbar sind, der Unternehmer also von einer solchen Entscheidung ganz oder teilwei­ se absehen muss. Das vollständige Gelingen der Vorsteuereinpreisung hängt von ­einer Reihe individueller Faktoren ab und entzieht sich ei­ ner generalisierenden Bewertung4. Schlägt sie zumindest teilweise fehl,

1 Schmidt, Konsumbesteuerung, 1999, S. 190; Georgi, UStR 1968, 269 (272). 2 Siehe auch Dziadkowski, in: UStKongrBer 1985, S. 103 (117, 119); ders., UR 2006, 87 (88); Heidner, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., § 4 Rn 9; McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 86; Hemels, VAT treatment of charities, 2010, S. 16. 3 Schmidt, Konsumbesteuerung, 1999, S. 190 f. Dies gilt in gleicher Weise für die Nichtweitergabe von Tarifermäßigungen, vgl. Weber, UR 2011, 886 (887). 4 Allg. abl. EuGH, Rs. 8/81, Becker, Slg. 1982, 53 Rn 44; krit. Englisch, in: Tipke/Lang, 22. Aufl., § 17 Rn 206: größtenteils verdeckte Überwälzung; ebenso Teufel, Beteili­

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

avanciert der Unternehmer entgegen dem Verbrauchsteuertelos zum Steuerträger1. Direkt mit dessen Überwälzbarkeit hängt die konkrete Höhe des aufge­ laufenen Vorsteuervolumens zusammen. Relevant ist die Art der ausge­ führten Umsätze sowie der Umfang hierzu benötigter Vorleistungen. Wichtig ist vor allem die Unterscheidung, ob vorsteuerintensives Sach­ kapital oder aber verstärkt Arbeitskraft aufgewendet wird2. Eine ent­ scheidende Rolle spielt überdies die Beschaffenheit der betrieblichen Strukturen und die Fähigkeit des Unternehmers, erforderliche Hilfsleis­ tungen intern zu generieren anstatt sie arbeitsteilig an umsatzsteuer­ pflichtige Anbieter auszulagern3. Insofern bestimmt als zweiter Faktor die Summe der unternehmerisch erzielten Wertschöpfungsquote auf der Endstufe des Absatzes das individuelle Ausmaß einer potenziellen Ver­ billigung. Fällt die Wertschöpfung im Verhältnis zu den vorsteuerbelaste­ ten Eingangsumsätzen niedrig aus, so verringert sich zwangsläufig auch der entsprechende Spielraum für einen Entlastungseffekt auf Verbrau­ cherebene. Umgekehrt steigt das Entlastungspotenzial mit zunehmender Wertschöpfung sukzessive an. Zu resümieren bleibt, dass die mittels un­ echter Befreiungen an die Steuerträger überbrachten Effekte in komplexe Wirkungszusammenhänge verwoben sind. Weil sich die entscheidenden Parameter differenziert verhalten und zudem wechselseitig beeinflussen, entziehen sie sich einer pauschalen Bewertung. Die steuerliche Belas­ tungsinzidenz auf der letzten Stufe bleibt folglich in hohem Maße mit Unsicherheit behaftet4.

IV. Tatbestandliche Konkurrenz Im Falle innerstaatlicher Befreiungen erstreckt sich der Ausschluss vom Vorsteuerabzug sogar auf im Ausland erbrachte Umsätze, soweit diese hypothetisch im Inland unecht steuerbefreit wären. Positivrechtlich ord­ net Art. 169 lit. a) MwStSystRL die Vorsteuerabzugsmöglichkeit hin­ sichtlich im Ausland erbrachter Umsätze an, sollten diese hypothetisch gungsverwaltung, S. 87 ff; restriktiver für den Gesundheitssektor dagegen Dziadkowski, ifo 2/2007, 20 (21). 1 Frink, Der Ausschluss des Vorsteuerabzuges, S. 121; Schneider, Umsatzsteuerfrei­ heit, 1959, S. 17; Dziadkowski, DStZ 1985, 419. 2 Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (462); Teichmann, StuW 1975, 189 (196). 3 Vgl. Cnossen, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 370 (383); siehe schon Fasold, BB 1967, 1205 (1206). 4 Schmidt, Konsumbesteuerung, 1999, S. 191; Tait, Value Added Tax, 1988, S. 50; Böckli, Indirekte Steuern, 1975, S. 161. Wegen des Vorsteuerabzugs besteht auch kei­ ne dirkete Korrelation zwischen der Steuerpflichtigkeit eines Umsatzes sowie einer Preiserhöhung, vgl. EuGH, Rs. C‑543/14, Ordre des barreaux francophones et ger­ manophone u.a., ECLI:EU:C:2016:605 Rn 35.

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

im Inland keinem Ausschluss unterliegen. Die im Umkehrschluss zu folgernde Regel, dass nämlich eine hypothetisch einschlägige unechte Befreiung im Inland den Vorsteuerabzug ebenso für Auslandsumsätze nach sich zieht, normiert ausdrücklich § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG. Diese Regelung verdeutlicht, dass die rein innerstaatlichen Befreiungen unterfallenden Umsätze durchaus in einem grenzüberschreitenden Kon­ text auftreten können. In dieser Situation entsteht eine Konkurrenz, soll­ te ein einheitlicher Umsatz sowohl unter dem Tatbestand einer echten als auch dem einer unechten Befreiungsvorschrift subsumierbar sein. Der EuGH löst diese Konfliktlage im Bereich gemeinwohlbezogener Freistellungen zugunsten von unechten Befreiungen mit Ausschluss des Vorsteuerabzugs, indem er die in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL normier­ ten Tatbestände als lex specialis begreift und somit Vorrang gegenüber grenzüberschreitenden Freistellungen einräumt1.

B. Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­ befreiungen Die sekundärrechtlich implementierten Befreiungen verfolgen ungeach­ tet ihrer divergierenden Auswirkungen auf das Recht zum Vorsteuerab­ zug ein uniformes Ziel. Dieses besteht zuvörderst darin, die Steuerpflicht der erfassten Umsätze zu beseitigen, so dass der Unternehmer nicht mehr gezwungen ist, die sonst auf das Bruttoentgelt erhobene Regel­ belastung als Kostenfaktor in die Preiskalkulation einzustellen. Diese im Ausgangspunkt bestehende Gemeinsamkeit ist unterdessen lediglich technischer Art und wird in ein vielschichtiges Geflecht übergeordneter Gestaltungsmotive einbezogen. Zur besseren Veranschaulichung dieser finalen Wirkungszusammenhänge bietet sich an, die steuertechnische Freistellung als unmittelbares Nahziel gegenüber den auf gleichsam zweiter Ebene verfolgten Gestaltungsmotiven als Fernziele zu trennen. Die befreiungsrechtlichen Fernziele sind komplex und variieren nach den Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug.

I. Echte Befreiungen mit grenzüberschreitendem Bezug Echte Befreiungen iSv § 4 Nr. 1 bis 7 UStG (außer Nr. 4) verwirklichen das Bestimmungslandprinzip im grenzüberschreitenden Wirtschaftsver­

1 EuGH, Rs. C-240/05, Eurodental, Slg. 2006, I-11479 Rn 37; GA Kokott, Rs. C‑144/13, C‑154/13 und C‑160/113, VDP Dental Laboratory, ECLI:EU:C:2014:2163 Rn 72; ebenso BMF v. 11.04.2011, IV D 3 ‑ S 7130/07/100008 (2011/0294414); krit. Lippross, USt, 24. Aufl., S. 535; ders., in: FS Reiß, 2008, S. 195 ff; Reiß, UR 2007, 565 ff.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

kehr1. In Kombination mit dem Vorsteuerabzug wird eine vollständige Umsatzsteuerbereinigung im Ursprungsland zugunsten einer exklusiven Besteuerung am Ort des bestimmungsgemäßen Konsums erreicht. Zu­ gleich werden exportierende Unternehmer auf diese Weise befähigt, ihre Leistungen auf dem Zielmarkt ohne preisinduktive Vorbelastung anzu­ bieten2. Im Ergebnis sorgen echte Befreiungstatbestände für Wettbewerbs­ parität. Zudem grenzen sie die zwischenstaatlichen Besteuerungsbefug­ nisse im supranationalen Anwendungsbereich gegeneinander ab3. Sie stellen angesichts dieser systemimmanenten Zuweisungsfunktion keine Vergünstigung im eigentlichen Sinne dar, sondern sichern die einmali­ ge Besteuerung grenzüberschreitender Vorgänge als regeladäquate Belas­ tungsfolge.

II. Unechte Befreiungen mit innerstaatlichem Bezug Befreiungstatbestände mit innerstaatlichem Bezug gemäß § 4 Nr. 8 bis 28 UStG dienen nicht einem einheitlichen Besteuerungsprinzip, sondern erfüllen spezifizierte und sich teilweise überschneidende Zielvorgaben mit unterschiedlicher Gewichtung. Eine treffsichere Systematisierung dieser auf den zwingenden Vorgaben gemäß Art. 132 bis Art. 137 MwSt­ SystRL ruhenden Tatbestände ist nicht möglich, da diese mehr oder minder ein wertungsgebundenes Konglomerat ohne feste inhaltliche ­ Kohärenz wiedergeben4. Verantwortlich für diesen Zustand zeichnet der historische Entwicklungsprozess, nachdem erstmals im Zuge der RL 77/388/EWG die geltenden Befreiungsvorschriften vereinheitlicht worden sind. Dabei haben sich die damaligen Mitgliedstaaten lediglich auf eine Zusammenstellung der bereits auf nationaler Ebene existenten Befreiungen einigen können5, so dass der sekundärrechtliche Befreiungs­ katalog mehr Zeugnis politischer Kompromissfindung denn systemins­ pirierter Gesetzgebung ablegt6. Eine grobe Orientierung folgt jedoch aus der richtlinienrechtlich fundierten Aufteilung unecht befreiter Umsätze in dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten gemäß Art. 132 MwStSystRL sowie andere Tätigkeiten gemäß Art. 135 MwStSystRL. Über die exakte Zielsetzung und Hintergründe der einzelnen Tatbestände geben die 1 Vallender/Keller/Richner/Stockar, Schweizerisches Steuerlexikon, Bd 1, 2. Aufl., S.  138. 2 Siehe hierzu 1. Teil C.III. 3 Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 51; Parker, International and Compara­ tive Law Review 1988, 155 (157). 4 Vgl. Lippross, USt, 21. Aufl., S. 533, wonach ein einheitliches Rechtskonzept fehlt. 5 Vorschlag der Kommission für eine sechste Richtlinie v. 29.06.1973, Bulletin der Euro­ päischen Gemeinschaften, Beilage 11/73, S. 16; BT-Drucks. 7/913 v. 19.07.1973, S. 43; vgl. Stadie, in: DStJG 33 (2009), S. 143 (149); de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 3. 6 Cnossen, Int Tax and Public Finance 10 (2003), 625 (627).

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

vorhan­ denen Materialien zur Richtliniengebung nur sehr sporadisch Aufschluss. Viele der derzeit aktuellen Vorschriften weisen evidente Pa­ rallelen zu den der deutschen Umsatzsteuer vor 1968 inhärenten Rege­ lungen auf, die im Vergleich zur französischen TVA über eine gegen­ ständlich sehr viel breiter definierte Grundlage verfügte1. 1. Andere Tätigkeiten, Art. 135 MwStSystRL Dem Kreis der anderen Tätigkeiten unterfallen nach Maßgabe von Art. 135 MwStSystRL insbesondere systematisch und erhebungstech­ nisch bedingte Exemtionen. Hierzu zählt etwa die praktisch bedeutsame Freistellung bestimmter Finanzdienstleistungen (§ 4 Nr. 8a und 8b UStG), sofern die korrekte Ermittlung der Bemessungsgrundlage einen unverhältnismäßigen Aufwand erforderte. Weitere Beispiele begegnen bei bestimmten Transaktionen im Hinblick auf Immobiliengeschäfte oder Lotterien2. Zwecks Entlastung des Steuerverfahrens verzichtet der Fiskus auf einen Teil des möglichen Aufkommens, weshalb entsprechen­ de Tatbestände als verhältnismäßige Vereinfachungszwecknormen ge­ rechtfertigt sein können3. Ferner existieren für den Erwerb von Beteili­ gungen oder bei bestimmten Versicherungsbeiträgen systembedingte Ausnahmen von der Steuerpflicht (§ 4 Nr. 8 und 10 UStG). Soweit solche Sachverhalte die formalen Definitionsmerkmale eines steuerbaren Um­ satzes erfüllen, materiell aber abseits steuerwürdiger Konsumausgaben stehen, zielt die Freistellung auf eine systemkonforme Korrektur4. Eben­ falls dem Bereich systematisch-technisch bedingter Befreiungen zugeord­ net werden können § 4 Nr. 9a und 9b UStG. Diese Regelungen bezwecken eine Abgrenzung der Umsatzsteuer zu spe­ ziellen Verbrauch- und Verkehrsteuern, wodurch eine Doppelbelastung der betreffenden Umsätze vermieden werden soll5. Gemein ist den vor­ stehend beschriebenen Tatbeständen, dass die Reaktion auf steuerintern begründete Sonderlagen eine per se legitime Zielsetzung für die Durch­ brechung des sekundärrechtlich präferierten Verbrauchsteueransatzes liefert. 1 Vgl. Amand, International VAT Monitor, 2010, 409 (413). 2 Ausf. zu alternativen Besteuerungsansätzen Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 335 ff; Poddar, in: Honohan, Taxation of Financial Intermediation, 2003, S. 345 ff; Huizinga, Economic Policy 2002, 497 ff. 3 Dazu ausf. Heidemann, Finanzdienstleistungen, 2008, S. 104 ff; krit. Stadie, in: Rau/ Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., Vor §§ 4–9 Rn 71 ff. 4 Siehe auch Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 203; a.A. Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 93 (95). Systematisch inkonsequent ist frei­ lich der Ausschluss vom Vorsteuerabzug. 5 Rose/Watrin, USt, 18. Aufl., S. 143. Zweifelhaft ist aber, ob das supranational vorge­ gebene System einer allgemeinen Verbrauchsteuer stets Rücksicht auf national spe­ zifizierte Sondersteuern nehmen muss.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

2. Bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten, Art. 132 ­MwStSystRL Im Rahmen gemeinwohlorientierter Umsatzsteuerbefreiungen gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL geht es um die Verwirklichung politisch ausgewählter Gestaltungsziele auf sozialem, kulturellem oder auch wirt­ schaftlichem Gebiet1. Im Regelfall bilden den Gegenstand der Begünsti­ gung solche Umsätze, die typischerweise nur gegenüber Endverbrau­ chern auf der letzten Wirtschaftsstufe ausgeführt werden. In erster Linie bezweckt die Steuerpflichtentstrickung eine vergünstigte Preiskalkula­ tion aufseiten des Unternehmers, so dass dieser seine Leistungen billiger anbieten kann2. Der Unionsgesetzgeber geht dabei stillschweigend von der Annahme aus, eine Weitergabe der Steuerentlastung an den Endver­ braucher werde prinzipiell gelingen. Die Preissenkung soll den Verbrau­ chern einen vereinfachten Zugang zu solchen Waren und Dienstleistun­ gen eröffnen, welche gesetzgeberisch als förderwürdig eingestuft sind3. Unterdessen kann bereits rein wirtschaftlich betrachtet nicht ausge­ schlossen werden, dass herabgesetzte Entgelte zugleich auch die Wettbe­ werbsposition des leistenden Unternehmers bestärken4. Entsprechend ist anzunehmen, dass an rein subjektive Unternehmereigenschaften knüpfende Befreiungsregelungen vornehmlich diesen begünstigen sol­ len. Die einzelnen Erwägungen für die Gemeinwohlbegünstigung sind viel­ fältig und entbehren entstehungsgeschichtlich bedingt einer logischen Stringenz. Dies plakatiert bereits die Überschrift zu Art. 132 MwStSyst­ RL, wonach nur „bestimmte“ Tätigkeiten im Gemeinwohlinteresse be­ freit sind. Mag demnach den Katalogtatbeständen das Ziel einer Verbilli­ gung übergreifend inhärent sein, bleibt weiterhin zu differenzieren, in welche übergeordnete Zwecksetzung eine belastungsoptimierte Zu­ gangsmöglichkeit eingebunden ist. Eine grobe und für die Zwecke der 1 Siehe zur Auswahl bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten etwa zu­ letzt EuGH, Rs. C‑699/15, Brockenhurst College, ECLI:EU:C:2017:344 Rn 22 mwN. 2 St. Rspr. zu Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL, vgl. EuGH Rs. C‑412/15, TMD, ECLI:EU:C:2016:738 Rn 30; Rs. C-144/13, 154/13, 160/13, VDP Dental Laboratories, ECLI:EU:C:2015:116 Rn 43; Rs. C-319/12, MDDP, ECLI:EU:2013:778 Rn 26; Rs. C‑287/00, Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I-5811 Rn 47. Dies gilt in glei­ cher Weise für zugelassene ermäßigte Steuersätze, vgl. EuGH, Rs. C-573/15, Oxycu­ re Belgium, ECLI:EU:C:2017:189 Rn 22; Rs. C-360/11, Kommission/Spanien, ECLI:EU:C:2013:17 Rn 48. 3 Stadie, UStG, 3. Aufl., Vor §§ 4–9, Rn 8. Dies als ausschließliche Zielsetzung für gemein­ nützigkeitsbezogene Befreiungen erkennend Hüttemann, Gemeinnützig­ keits- und Spendenrecht, 3. Aufl., Kap. 7 Rn 149. 4 Vgl. Schmidt, Konsumbesteuerung, 1999, S. 190; Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., vor §§ 4–9 Rn 86; Mollard, ASA 1994, 443 (453). Krit. zu einer umsatzsteuer­lichen Unternehmerbegünstigung Achatz, in: DStJG 26 (2003), S. 279 (306); Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 41; abl. auch BVerfGE 101, 132 (139).

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

weiteren Bearbeitung ausreichende Klassifizierung bietet die Unterschei­ dung danach, ob eine Befreiung primär sozialpolitisch oder durch ander­ weitige Vorstellungen determiniert wird. Gewisse Überschneidungen sind dabei unausweichlich. Decken befreite Güter und Dienstleistungen den unausweichlichen Grundbedarf des Verbrauchers ab, berücksichtigen entsprechende Tatbe­ stände das Existenzminimum in typisierender Weise1. Außerhalb dieses Kernbereichs menschlicher Bedürfnisbefriedigung angesiedelt, liegt eine schlicht verteilungspolitische Zielsetzung hinsichtlich solcher Umsätze, die überproportional durch einkommensschwache Gruppen nachgefragt werden oder deren Konsum mit einer höheren Belastungsquote am ver­ fügbaren Gesamteinkommen einhergeht2. Von diesem sozialpolitischen Bereich abgrenzen lassen sich des Weiteren Tatbestände, die allenfalls mittelbar sozial, in erster Linie aber an anderweitigen Politikzielen aus­ gerichtet sind. Ein Beispiel bietet die Förderung meritorischer Güter wie der Besuch von Theater- und Orchesteraufführungen (vgl. § 4 Nr. 20 UStG)3. Bei dieser Befreiung geht es primär um die Internalisierung von gesellschaftlich erwünschten Leistungen durch Nachfragestimulation. Die wirtschaftlich typisierten Empfängerverhältnisse erfahren dabei nicht unbedingt eine realitätsgerechte Abbildung, auch wenn die inten­ dierte Verbilligung im Einzelfall eine distributive Komponente erfüllen mag. Eine weiterhin mögliche Kategorisierung besteht darin, Befrei­ ungen iSv Art. 132 MwStSystRL allgemein dem Geltungsbereich des Gemein­nüt­zig­keitsrechts unterzuordnen, soweit ausschließlich die Um­ sätze entsprechend orientierter Einrichtungen erfasst sind4. Im Unter­ schied zu echten Befreiungen und solchen mit steuerintern veranlagten Bezugsmomenten ist Art. 132 MwStSystRL Ausdruck der politisch inspi­ rierten Verfolgung außersteuerlicher Motive. Gerade in diesem Anwen­ dungsfeld entzündet sich die vielfach diskutierte Grundfrage, ob und in­ wiefern sich die Umsatzsteuer als effizienter Katalysator anbietet oder alternative Fördermodelle über direkte Steuern, Subventionen oder das Sozialrecht zu präferieren sind5.

1 So etwa für Heilbehandlungen (§ 4 Nr. 14 UStG), Organe und Blut (§ 4 Nr. 17 UStG) und grundlegende Postdienstleistungen (§ 4 Nr. 11b UStG) Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 200. 2 Vgl. z.B. § 4 Nr. 8a, 18, 23 und 24 UStG. 3 Grundlegend zum Begriff der meritorischen Güter Musgrave, FinanzArchiv 17 (1957), 333 ff. 4 So für § 4 Nr. 14, 16, 19, 20, 22, 24 und 25 UStG Hüttemann, Gemeinnützigkeitsund Spendenrecht, 3. Aufl., Kap. 7 Rn 149; vgl. auch Jacobs, Umsatzsteuer und Ge­ meinnützigkeit, 2009. 5 Siehe etwa FiFo Köln/Copenhagen Economics/ZEW, Steuervergünstigungen, Bd 2, 2009, S. 293 ff.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

III. Objektive und subjektive Umsatzsteuerbefreiungen Bleibt eine übergeordnete Systematik innerstaatlicher Befreiungsvor­ schriften wegen ihrer vielfältigen Zielsetzungen nicht erkennbar, werden die Tatbestände gemäß § 4 Nr. 8 bis 28 UStG dennoch im Wesentlichen durch eine gemeinsame Charakteristik geprägt. Diese besteht darin, dass die ganz überwiegende Zahl der Befreiungen jedenfalls im Ausgangs­ punkt eine objektive Ausgestaltung erfahren hat. Die Exemtion knüpft im Ansatz an die Merkmale einer bestimmten Art von Umsätzen an, so dass die Leistungsgattung das in erster Linie ausschlaggebende Kriterium für die bezweckte Entlastung im Verbraucherinteresse stilisiert1. Im Ge­ gensatz dazu verlagern sich die tatbestand­lichen Voraussetzungen einer subjektiven Befreiung primär auf die persönlichen Eigenschaften des Steuerpflichtigen, im Bereich der Umsatzsteuer mithin auf bestimmte Merkmale in der Person des leistenden Unternehmers2. Das einzige Bei­ spiel einer rein subjektiven Ausformung gemäß § 4 UStG bildet derzeit das Blindenprivileg in Nr. 19, das vornehmlich auf eine Unternehmer­ subvention abzielt3. Obwohl die Befreiungstatbestände in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL sämt­ lich auf bestimmte Umsätze zugeschnitten sind, bleibt festzustellen, dass zahlreiche Tatbestände neben rein umsatzspezifischen Merkmalen zusätzlich an Voraussetzungen in der Person des leistenden Unterneh­ mers knüpfen4. Derartige Bestimmungen statuieren faktisch Mischfor­ men aus sach- und personenbezogenen Kriterien5. Neben der mitglied­ staatlichen Anerkennung von Einrichtungen iSv Art. 132 Abs. 1 lit. b), g), h), i), n) und p) MwStSystRL liefern ferner das fehlende Gewinnstreben (Art. 132 Abs. 1 lit. l) und m) MwStSystRL) sowie die in Art. 132 Abs. 1 lit. b), c) und e) MwStSystRL jeweils vorausgesetzte berufliche Eignung anschauliche Belege für die Verwendung personenbezogener Elemente. Jüngst beschäftigt haben den EuGH unternehmerspezifische Anforde­ rungen im Hinblick auf die Gleichstellungsklauseln in Art. 140 lit. a) und b), Art. 143 lit. a) MwStSystRL. Diese sehen eine Erstreckung unech­ ter Befreiungen auf auslän­dische Warenlieferungen nur unter der Voraus­ 1 Heidner, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., § 4 Rn 3; Stadie, UStG, 3. Aufl., Vor §§ 4–9 Rn 8. 2 Vgl. Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 48, 263; krit. Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (469 f). 3 BFH BStBl. II 1971, 430 (432); Kirchhof, UStG, 2008, § 11 Rn 104; siehe zur Historie ausf. Weckesser, Steuerrechtliche Behandlung, 2014, S. 108 ff. Nach Rose/Watrin, USt, 18. Aufl., S. 151 normieren auch § 4 Nr. 7, 20 lit. a), b) und 26 UStG persönliche Befreiungen. 4 Siehe auch Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 127. 5 Herman/Kersteren/Gabriel, in: Ecker/Lang/Lejeune, Indirect Taxation, 2012, S. 607 (608 f); Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 40; Pötters, USt im Gesundheitswesen, 2016, S. 5.

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

setzung vor, dass diese „in jedem Fall“ im Bestimmungsstaat zur Anwen­ dung gelangen. Indes sah der EuGH in der notwendigen Berufsqualifikation von Zahnärzten oder Zahntechnikern gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. m) MwStSystRL keinen tragenden Grund, einen solchermaßen verfassten Tatbestand bezüglich der formalrechtlich eingeforderten Gleichstellung abweichend zu rein objektiv definierten Freistellungen zu behandeln1. Im Rahmen befreiungsrechtlicher Mischtatbestände spitzt sich die dog­ matisch entscheidende Frage dahingehend zu, inwieweit die Aufnahme subjektiver Kriterien eine Derogation des objektiven Exemtionscharak­ ters hervorzurufen geeignet ist2. Ein solcher Effekt tritt ein, falls die im Ausgangspunkt maßgebliche Art der Umsätze durch persönliche Eigen­ schaften des Unternehmers dergestalt überlagert wird, dass die befreien­ de Wirkung im Ergebnis nur bestimmten Unternehmergruppen ohne hinreichende Berücksichtigung der konkret erbrachten Leistungsqualität zuteilwird3. Erblickt man in der unternehmerischen Begünstigung eine generell mit dem Verbrauchsteuercharakter unvereinbare Wirkung von Umsatzsteuerbefreiungen4, droht in diesem Falle ein systemwidriger Zu­ stand verwirklicht zu werden.

IV. Mitgliedstaatliche Befreiungsautonomie In Anbetracht der detailliert ausgeformten Befreiungsvorgaben verblei­ ben auf Ebene der Mitgliedstaaten seit Vereinheitlichung der Bemes­ sungsgrundlage durch die RL 77/388/EWG nur noch geringe Spielräume anlässlich der verbindlichen Transformation in nationales Recht. Außer­ halb dieser zwingenden Katalogtatbestände besteht eine begrenzte Frei­ heit zu eigenständiger Gestaltung überdies nur, soweit die Harmonisie­ rung nach Maßgabe von Titel XIII MwStSystRL zugunsten nationaler Bestandsnormen ausdrücklich zurückgenommen ist5. Gerade auch mit Blick auf das lenkungspolitisch relevante Instrumentarium der Umsatz­ steuerbefreiungen tritt der in Art. 113 AEUV angelegte Spannungsbogen um die gebotene Reichweite einer binnenmarktadäquaten Harmonisie­ rung deutlich hervor.

1 EuGH, Rs. C-144/13, C-154/13 und C-160/13, VDP Dental Laboratory, ECLI:EU:C:2015:116; abw. für drittstaatliche Lieferungen GA Kokott, Rs. C‑144/13, C‑154/13 und C-160/13, VDP Dental Laboratory, ECLI:EU:C:2015:2163 Rn 46. 2 Dziadkowski, UR 2006, 87 (88). 3 Siehe hierzu Teil 5 B.I.2.b). 4 So etwa Achatz, in: DStJG 26 (2003), S. 279 (306); Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 41; Frink, Der Ausschluss des Vorsteuerabzugs, 2002, S. 141. 5 Krit. zum Übergangsregime Terra/Kajus, 6th VAT Directive, Vol. A, 1991, S. 578.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

1. Befreiungsspezifische Gestaltungsfreiheiten Trotz ihrer ganz überwiegend rigide gestrickten Umsetzungsvorgaben belässt die Mehrwertsteuersystemrichtlinie auch im Bereich unechter Befreiungen gewisse Freiräume zu gesetzgeberischer Gestaltung auf nati­ onaler Ebene. Die sekundärrechtlich statuierte Öffnung gegenüber einer mitgliedstaatlichen Ausdifferenzierung umfasst vier unterschiedliche Aspekte. a) Optionale Bedingungen, Art. 133 MwStSystRL Die Vorschrift in Art. 133 MwStSystRL eröffnet eine gestalterische Opti­ onsmöglichkeit. Demnach können die Befreiungen gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. b), g), h), i), l), m) und n) MwStSystRL gegenüber nicht öffentlich-recht­ lichen Einrichtungen ermessensfrei davon abhängig gemacht werden, ob eines oder mehrere der in Art. 133 lit. a) bis d) MwStSystRL aufgelisteten Kriterien erfüllt sind. Zu diesen zählt neben dem Ausschluss einer syste­ matischen Gewinnerzielung, der Leistung und Verwaltung durch ehren­ amtliche Personen sowie einer behördlichen Preisgenehmigung insbe­ sondere das Erfordernis, dass befreiungsbedingte Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil steuerpflichtiger Unternehmer ausbleiben. Diese besonde­ ren Voraussetzungen können sowohl kumulativ als auch wahlweise kombiniert in die nationale Gesetzgebung inkorporiert werden1. b) Optionsrechte, Art. 137 MwStSystRL Ferner besteht die Möglichkeit, dem an sich befreiten Unternehmer be­ züglich der abschließend in Art. 137 MwStSystRL aufgeführten Tatbe­ stände ein Optionsrecht für die Steuerpflichtigkeit zwischenunterneh­ merischer Umsätze zuzugestehen. Von dieser Befugnis hat der deutsche Gesetzgeber gemäß § 9 UStG Gebrauch gemacht, wodurch im Einzelfall ein vorsteuerneutraler und damit wirtschaftlich günstigerer Leistungs­ austausch zugelassen wird. Die optional vorbehaltene Steuerpflicht lässt den Unternehmer wahlweise vom Vorsteuerabzug profitieren, während der Empfänger die ihm gesondert in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ebenfalls im Wege des Vorsteuerabzugs neutralisieren kann. Unter dem Eindruck der wenigstens partiell etablierten Rückkehrmöglichkeit zur Nettosteuerkonzeption werden Optionsrechte als ein probates Mittel ge­ billigt, um Systembrüche und vorsteuerbedingte Wettbewerbsverzerrun­ gen zu kompensieren2.

1 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 3. Aufl., Kap. 7 Rn 154. 2 Stadie, in: DStJG 33 (2009), S. 143 (153); krit. dagegen Teichmann, StuW 1975, 189 (197).

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

c) Tatbestandliches Umsetzungsermessen Umsetzungsrelevante Spielräume können außerhalb ausdrücklich be­ stellter Optionsrechte bisweilen auch in den originären Befreiungsvor­ gaben selbst verortet sein. Dies ist anzunehmen, falls einzelne Tatbe­ standsmerkmale der mitgliedstaatlichen Interpretation bedürfen1, ferner insbesondere dann, sollte ihre Ausfüllung explizit in das gesetzgeberi­ sche Ermessen gestellt sein. Anders als im Geltungsbereich fakultativer Optionen, wie sie nach Maßgabe von Art. 133 und 137 MwStSystRL be­ stehen, sind die Mitgliedstaaten im Falle tatbestandlich induzierter Er­ messensräume stets verpflichtet, diese anlässlich der Transformations­ verpflichtung positivrechtlich innerhalb der Grenzen des vorrangigen Unionsrechts auszuschöpfen2. Beispielhaft kann für ent­sprech­ende Spiel­ räume Art. 132 Abs. 1 lit. i) MwStSystRL angeführt werden, wonach die Exemtion erziehungs- und bildungsbezogener Dienstleistungen von ei­ ner Betrauung der ausführenden öffentlichen Einrichtung abhängig ist. Der Betrauungsakt stellt ein subjektives Merkmal in der Person des Un­ ternehmers dar und begründet ein weitgehendes Ermessen bezüglich der Auswahl zu befreiender Anbieter3. In ähnlicher Weise obliegt es der mit­ gliedstaatlichen Zuständigkeit, mangels konkreter unionsrechtlicher Vorgaben die maßgeblichen Kriterien für andere ordnungsgemäß aner­ kannte Einrichtungen anlässlich der Befreiung ärztlicher Heilbehandlun­ gen zu fixieren4. Weiteres Anschauungsmaterial bietet die Öffnungsklau­ sel in Art. 135 Abs. 1 lit. i) MwStSystRL, nach der Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden, freizustellen sind5. Gesetzeshistorisch sind tatbestandliche Ermessensspielräume in erster Linie als schlichter Ausdruck einer Kompromissfindung einzuordnen, die mit der Festlegung eines supranationalen Befreiungskatalogs not­ wendigerweise einhergeht. Nicht selten sind sie aber auch durch die ver­ fassungsrelevante Funktion gekennzeichnet, eine Schutzwirkung im In­ teresse der mitgliedstaatlichen Souveränität zu entfalten und so die Harmonisierung auf ein angemessenes Maß zu beschränken. Mögliches Konfliktpotenzial wohnt dabei solchen Befreiungsvorgaben inne, die be­ reichsspezifische Verschränkungen mit innerstaatlichen Organisations­ befugnissen aufweisen und somit über das Instrument der Umsatzsteuer­ harmonisierung einen indirekten Zugriff auf Sektoren ermöglichen, hinsichtlich derer eine explizite Unionszuständigkeit fehlt. Entspre­ 1 Borselli/Chiri/Romagnano, Int VAT Monitor 2012, 13. 2 Siehe auch Martin, UR 2008, 34 (36 ff). 3 Hüttemann, UR 2014, 45 (53). 4 Vgl. Heidner, UR 2006, 74 (78); siehe weiterführend zum Kriterium der Anerken­ nung Martin, UR 2008, 34 (36 f). 5 Dazu ausf. Birk/Jahndorf, UR 2002, 289 (293).

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

chend ist etwa das Umsetzungsermessen bei der Betrauung iSv Art. 132 Abs. 1 lit. i) MwStSystRL durch das Motiv geprägt, binnenorganisatori­ sche Kompetenzen im nationalen Bildungssektor zu respektieren1. Eben­ so kann diese Qualität der glücksspielspezifischen Öffnungsklausel at­ testiert werden, die es gestattet, gefährlichere Arten des Glücksspiels gemäß nationaler Prärogative mit dem Ziel zu befreien, diese einem ge­ sonderten Besteuerungsregime etwa zur Erzielung eines gemeinnützig­ keitsgebundenen Aufkommens zu unterwerfen2. Festzustellen gilt es an dieser Stelle, dass sich umsatzsteuerliche Befreiungen in die rechtlichen Umfeldbedingungen des ausgewählten Lebensbereichs einfügen müssen, nicht aber umgekehrt dessen Ausgestaltung bestimmen dürfen. d) Übergangsregime, Art. 370 ff MwStSystRL Schließlich hält Titel XIII MwStSystRL in Art. 370 ff ein komplexes Übergangsregime bereit, nach dessen Maßgabe die Mitgliedstaaten in Anhang X aufgeführte Umsätze entgegen den Art. 131 ff MwStSystRL weiterhin besteuern oder aber freistellen dürfen3. Während nach Maßga­ be von Art. 370 f MwStSystRL die bereits vor dem 01.01.1978 beigetrete­ nen Mitgliedstaaten sämtliche in Anhang X Teil A genannten Umsätze weiterhin besteuern sowie die in Teil B aufgeführten Umsätze freistellen dürfen, bleiben entsprechende Befugnisse gemäß Art. 375 ff MwStSystRL für später beigetretene Staaten auf ausgewählte Einzelumsätze begrenzt4. In diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigen sind die Bestim­ mungen in Titel VIII Kapitel 4 MwStSystRL (Art. 109 ff), die weitere re­ gulatorische Zugeständnisse im Bereich der Steuersätze enthalten und einzelnen Mitgliedstaaten den fortgesetzten Vollzug einer Nullsatzbe­ steuerung auf bestimmte Umsätze erlauben. Auf der Grundlage des Art. 113 AEUV dürfen gemeinhin Ausnahmen von der Harmonisierung vorgesehen werden, um dem unterschiedlichen Entwicklungsstand der Volkswirtschaften durch eine schrittweise Angleichung Rechnung zu tragen5. Ob allerdings ein Rekurs auf Art. 27 AEUV die Legitimation für das mittlerweile seit 1977 existierende Übergangsregime liefert, er­ scheint mehr als zweifelhaft6. Die Besitzstandsklauseln kollidieren aus unternehmerischer Sicht nicht nur mit Art. 20 GRCh wegen möglicher 1 So Hüttemann, UR 2014, 45 (53). 2 Vgl. zu § 4 Nr. 9 lit. b) UStG a.F. Birk/Jahndorf, UR 2002, 289 (295). 3 Krit. zu dieser Fragmentierung Terra/Kajus, 6th VAT Directive, Vol. A, 1991, S. 578. 4 Auf Art. 371 iVm Anhang X Teil B Nr. 5 MwStSystRL beruht etwa die subjektive Befreiung zugunsten Blinder in § 4 Nr. 19 UStG; vgl. entspr. für Österreich § 6 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) Ö‑UStG. 5 Bahns/Brinkmann/Gläser/Sedlaczek, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 10. 6 Vgl. GA Kokott, Rs. C-144/13, C-154/13 und C-160/113, VDP Dental Laboratory, ECLI:EU:C:2014:2163 Rn 84.

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Verkehr, sondern könnten künftig zusätzlich auch in Ansehung der Mit­glied­staaten auf­ grund des Gleichstellungsgebots in Art. 4 Abs. 2 EUV unter Druck gera­ ten1. Aus der Regelungssystematik der Art. 131 ff MwStSystRL folgt in Zu­ sammenschau mit den speziellen Abweichungskompetenzen, dass die verbindlich vorgegebenen Befreiungstatbestände abschließender Natur sind. Die Mitgliedstaaten sind daher nicht befugt, eigenständige Befrei­ ungen einzuführen oder den zugelassenen Ausnahmebestand zu erwei­ tern2. Gestattet bleiben aber Verengungen wie auch die gänzliche Ab­ schaffung außerhalb der Harmonisierung beibehaltener Tatbestände, ohne dass hierdurch ausgelöste Wettbewerbsverzerrungen zur unions­ rechtlichen Überprüfung stünden3. Auf einem anderen Blatt steht frei­ lich, ob der Unionsgesetzgeber – wenn er denn schon eine weitgehend vereinheitlichte Bemessungsgrundlage anstrebt – durch einen derart frag­ mentarischen Regelungsbestand dauerhaft seinem Auftrag aus Art. 113 AEUV gerecht zu werden vermag. e) Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, Art. 267 AEUV Belassen die Richtlinienbestimmungen keine ausdrücklichen Umset­ zungsspielräume, dürfen sich die Mitgliedstaaten entsprechende Befug­ nisse nicht eigenmächtig im Wege einer am nationalen Rechtsverständ­ nis verhafteten Tatbestandsinterpretation verschaffen. Sekundärrechtliche Befreiungsmerkmale sind vielmehr als autonome Begriffe des Unions­ rechts zu qualifizieren, deren eigenständige Auslegung eine uniforme Umsetzung und Geltung innerhalb der Mitgliedstaaten sicherstellt4. Ins­ trumentell flankierend wirkt insoweit das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV, welches dem EuGH ein Monopol über die Ausle­ gung von Unionsrecht sowie die alleinige Entscheidungsbefugnis über Gültigkeit und Inhalt von Maßnahmen der EU-Organe verschafft. Zur Interpretation von Richtlinienvorschriften ist folglich ausschließlich der EuGH berufen, der dieser Aufgabe in Kooperation mit den nach Maßgabe von Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV zur Vorlage berechtigten oder sogar letzt­ instanzlich verpflichteten Gerichten der Mitgliedstaaten nachkommt. Insbesondere in Deutschland förderte der EuGH in der Vergangenheit zahlreiche Umsetzungsdefizite in § 4 UStG zutage. Ursächlich hierfür 1 Siehe auch KOM (2016) 148 v. 07.04.2016, S. 12. 2 EuGH, Rs. C-307/01, d’Ambrumenil, Slg. 2003, I-13989 Rn 54; Rs. C‑287/00, Kom­ mission/Deutschland, Slg. 2002, I-5811 Rn 45. 3 EuGH, Rs. C-36/99, Idéal Tourisme, Slg. 2000, I-6049 Rn 32 ff; Rs. C-136/97, Nor­ bury Developments, Slg. 1999, I-2491 Rn 19. 4 EuGH, Rs. C-472/03, Arthur Andersen, Slg. 2005, I-1719 Rn 25; Lippross, USt, 24. Aufl., S. 533.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

war, dass der Gesetzgeber anknüpfend an die RL 77/388/EWG zahlreiche der bereits existenten Befreiungen in § 4 UStG 1980 unverändert fortge­ führt hat1. Durch vielfache Stellungnahmen zu befreiungsspezifischen Vorlagefragen aus der Finanzgerichtsbarkeit erhielt der EuGH ausrei­ chend Gelegenheit, diesem fehlerhaften Verständnis entgegenzutreten. Angesichts ihres überragenden Stellenwerts, den die innerstaatlich zu achtende EuGH-Judikatur genießt, erscheint zu einem gewissen Grad die umsatzsteuerrechtliche Spezifizierung als „case-law“ durchaus treffend2. 2. Nationale Befreiungsautonomie und Binnenmarktkompatibilität Ausgehend von den rigiden Richtlinienvorgaben ist fraglich, ob die in­ tensive Angleichung unechter Befreiungstatbestände allein unter dem Blickwinkel der Wettbewerbsneutralität eine hinreichende Grundlage in Art. 113 AEUV findet3. Als problematisch erweist sich die Wahrung der Verhältnismäßigkeit, soweit die Beschneidung mitgliedstaatlicher Sou­ veränität keine zwingende Notwendigkeit des europäischen Binnen­ marktes abbildet. Bei stringenter Umsetzung des Bestimmungslandprin­ zips wäre es unterdessen möglich, die nationale Steuerautonomie für innerstaatliche Befreiungsvorschriften weitergehend ohne Hemmnisse für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr zu erhalten4. Unab­ hängig von den innerstaatlichen Bedingungen zu unechten Freistellun­ gen müsste exportierenden Unternehmern eine stets vorrangige Befrei­ ung mit Vorsteuerabzug gewährt werden, damit diese ihre Produkte wettbewerbsneutral auf dem Zielmarkt zu den dort geltenden Bedingun­ gen anbieten können5. Grundfreiheitenwidrige Zustände ruft derweil auch das harmonisierte Befreiungsregime hervor, indem Anbieter aus Hochsteuerländern stets eine größere Vorsteuerbelastung ihrer Leistungen in den ausländischen Zielmarkt hineintragen werden6. Als besonderer Nachteil wirkt sich in diesem Zusammenhang die Jurisdiktion des EuGH zur Konkurrenz von Befreiungsvorschriften aus, sollte einem transnational operierenden Unternehmer der Vorsteuerabzug trotz Grenzübertritts des Umsatzes 1 Vgl. Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., Vor §§ 4–9 Rn 13; Söhn, StuW 1976, 1 (18). 2 So Heidner, UR 2006, 74 (76). 3 Krit. Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 6; Reiß, in: UStKongr­ Ber 2007, S. 13 (24 ff). 4 So in Bezug auf Umsätze gegenüber Endverbrauchern Reiß, in: UStKongrBer 2007, S. 13 (32); a.A. Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 63. 5 Vgl. stattdessen die abweichende Umsetzung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG. Nicht korrigierbar wären aber Vorsteuerlasten auf den vorausgehenden Umsatzstu­ fen, weshalb unechte Befreiungen auf Umsätze an Endverbraucher begrenzt sein müssten. 6 Vgl. Heidemann, Finanzdienstleistungen, 2008, S. 154 f.

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

unter Hinweis auf die Spezialität unechter Freistellungen im Herkunfts­ land verwehrt bleiben1. Weiterhin stellen sich vorsteuerbedingte Verzer­ rungseffekte aufgrund des bisweilen nur fragmentarisch harmonisierten Systems ein. Dies gilt zum einen, falls aufgrund von mitgliedstaatlich divergierenden Übergangsregelungen steuerpflichtige Anbieter in ihrem Heimatland einseitig das volle Vorsteuerabzugsrecht genießen, während Impor­teure aus einem unecht befreienden Herkunftsstaat keinen Ab­ zug geltend machen können. Ebenso ist die umgekehrte Konstellati­ on möglich, wonach im Herkunftsstaat uneingeschränkt abzugsberech­ tigte Exportunternehmer zusätzlich von einer unechten Befreiung im Bestimmungsstaat profitieren2. Keinen probaten Lösungsansatz vermit­ telt bei dieser Sachlage die bisweilen geforderte Steuersatzangleichung3, denn der profunde Einschnitt in die nationale Finanzierungsautonomie stünde außer Verhältnis zu einer bloßen Abschwächung der wett­ bewerbsverzerrenden Symptome. Ungemein effektiver und weniger einschneidend zeigte sich stattdessen die Beseitigung des Vorsteuer­ ­ ausschlusses als dem eigentlichen Quell für die grenzüberschreitenden Verwerfungen. Ein binnenmarktkonzeptionell allenfalls vordergründiges Hindernis ru­ fen autonom implementierte Befreiungen zudem aus Sicht der im Be­ stimmungsstaat ansässigen Unternehmer hervor. Zwar bestünde diesbe­ züglich eine Schlechterstellung im Verhältnis zu vorsteuerentlasteten Importeuren4. Diese Ungleichbehandlung wäre jedoch als bloße Inlän­ derdiskriminierung zu werten, die weder den primärrechtlichen Grund­ freiheiten noch dem allgemeinen Diskriminierungsverbot zuwiderläuft5. Als ebenso wenig einschlägig erwiesen sich die unionsgrundrechtlichen Verbürgungen, da eine rein nationalstaatlich implementierte Regelung den erforderlichen Unionsrechtsbezug verfehlt6. Folgerichtig wären hö­ herrangige Einschränkungen exklusiv anhand des nationalen Verfas­ sungsrechts zu erschließen. Rechtspolitisch betrachtet, könnte sich eine Neuakzentuierung der be­ freiungsrechtlichen Gestaltungsautonomie schließlich in zweifacher Hinsicht als belebendes Element erweisen. So wären reformwillige Mit­ gliedstaaten nicht länger auf eine einstimmige Beschlussfassung im Rat angewiesen. Es entstünde mithin auch eine transparentere Verantwor­ 1 Reiß, in: UStKongrBer 2007, S. 13 (33). 2 Siehe dazu GA Kokott, Rs. C-144/13, C-154/13 und C-160/113, VDP Dental Labora­ tory, ECLI:EU:C:2014:2163 Rn 80 ff; dies entspricht im Ergebnis einer Nullsatzbe­ steuerung respektive echten Befreiung. 3 So aber Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 5. 4 Vgl. Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 88. 5 Siehe auch Hammerl, Inländerdiskriminierung, 1997, S. 141 ff. 6 Ausf. dazu Engler, Steuerverfassungsrecht, 2014, S. 103 ff.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

tungskultur, da sich ein Partikularinteressen verschriebener Lobbyismus nicht länger hinter dem Brüsseler Reformstau kaschieren ließe. Ein zu­ weilen ernüchterndes Zeugnis darüber, dass die Einflussnahme wirt­ schaftlicher Interessengruppen offenbar ein veritables Hindernis auf dem Weg zu einer systemorientierten Erneuerung darstellt, legte jüngst die Kommission selbst ab1. Darüber hinaus wären unechte Befreiungstatbe­ stände ungeachtet verfassungsrechtlicher Implikationen nicht zuletzt in standortpolitischer Hinsicht legitimationsbedürftig („voting by feet“). In einem Wettbewerb der nationalen Befreiungssysteme stünde ein diszipli­ nierender Anpassungsdruck in Richtung echter Freistellungen oder er­ mäßigter Steuersätze zu erwarten2. Partiell besteht eine solche Situation schon jetzt unter dem Einfluss der Besitzstandsklauseln. Wie der EuGH nämlich jüngst in Sachen „VDP Dental Laboratory“ entschieden hat, kann sich die unterlassene Fortführung einer gemäß Art. 370 MwStSyst­ RL übergangsweise zulässigen Vollbesteuerung durchaus zu einem Nach­ teil der heimischen Wirtschaftsteilnehmer entwickeln, sofern eine un­ echte Befreiung gemäß Art. 140 lit. a) und b) MwStSystRL auch Anbietern aus solchen Mitgliedstaaten zu gewähren ist, die ihrerseits auf eine vor­ steuerschädliche Freistellung verzichten3. 3. Fazit Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass unter der Akzeptanz des Bestim­ mungslandprinzips als systemleitendem Ansatz keine wettbewerbsbe­ dingte Notwendigkeit dafür besteht, die umsatzsteuerliche Bemessungs­ grundlage gerade mit Blick auf die Befreiungsvorschriften umfassend zu vereinheitlichen. Von einer solchermaßen zwingenden Verpflichtung zu unterscheiden ist allerdings, ob sich der Unionsgesetzgeber be­sonderer Vergünstigungsformen anlässlich der binnenmarktfinalen Harmonisie­ rung gemäß Art. 113 AEUV nicht auch bedienen darf, um außersteuerli­ che Zielsetzungen zu uniformieren.

V. Unechte Umsatzsteuerbefreiungen als Systembruch In Art. 1 MwStSystRL wird vorweg die allgemeingültige Funktionsweise der harmonisierten Umsatzsteuer in systematischer Hinsicht herausge­ stellt. Diese bildet eine Verbrauchsteuer, die auf der letzten Stufe das Entgelt für Lieferungen und sonstige Leistungen zu einem proportiona­ 1 KOM (2011) 851 v. 06.12.2011, S. 11; vgl. auch KOM (2016) 148 v. 07.04.2016, wo von einer Reform der geltenden Befreiungen keine Rede ist. 2 Für einen Vorzug vorsteuerneutraler Vergünstigungen statt vieler Dziadkowski, DStZ 1985, 419 (421); Fasold, BB 1967, 1205 (1206). 3 EuGH, Rs. C-144/13, C-154/13 und C-160/113, VDP Dental Laboratory, ECLI:EU:C:2015:116 Rn 63.

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

len Satz belastet, Art. 1 Abs. 2 UAbs. 1 MwStSystRL. Unechte Befreiun­ gen durchbrechen diese einfachrechtliche Grundentscheidung in doppel­ ter Hinsicht. Generell entkoppeln sämtliche Befreiungsarten steuerbare Umsätze vom Primat der äußeren Steuerpflicht, so dass die Umsatzsteu­ er entgegen ihrer allgemeinen Charakteristik nicht mehr sämtliche un­ ternehmerisch bewirkten Geschäftsvorgänge gleichermaßen erfasst1. Die zweite Durchbrechung markiert der verwehrte Vorsteuerabzug2. Der An­ spruch auf Erstattung auflaufender Vorsteuern stellt das prägende Stand­ bein der europäischen Allphasennettoumsatzsteuer dar. Sein Wirkungs­ prinzip klingt in Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 MwStSystRL dahingehend an, die Verbrauch­steuer solle ungeachtet der Anzahl zuvor passierter Stufen be­ messen werden. Während die gewährte Abzugsmöglichkeit eine Entlas­ tung der Unternehmer und zudem einen exakten Grenzausgleich von Exporten nach dem Bestimmungslandprinzip ermöglicht, generiert die Versagung auf der letzten Umsatzstufe zielgenau das effektive Steuer­ aufkommen3. Bereichsweise fortgesetzt wird in Form unechter Befrei­ ungstatbestände das an sich obsolete Konzept einer Bruttoallphasenbe­ steuerung4, so dass sämtliche damit verbundenen Restriktionen aufleben. Die entscheidenden Schwachpunkte vorsteuerschädlicher Freistellungen sind seit Längerem dem Grunde nach klar identifiziert und stellen sich aus Unternehmersicht zusammenfassend wie folgt dar5: • Die Auslagerung benötigter Hilfsleistungen wird verteuert und so ein Anreiz zur Konzentration betrieblicher Strukturen übermittelt (sog. „Insourcing“), auch wenn arbeitsteilig organisierte Produktionsab­ läufe wirtschaftlich gesehen effizienter wären6; den praktischen Beleg liefert hierzu das Institut der Organschaft, dessen Entwicklung auf die frühere Bruttoallphasenbesteuerung zurückgeht und das aus heu­ tiger Sicht vor allem aus der Existenz unechter Befreiungen seine fort­ geltende Relevanz bezieht. • Gelingt die preisliche Überwälzung von Vorsteuern nicht vollständig, mutiert der Unternehmer insoweit entgegen dem Telos der Ver­ brauchsteuer zu deren Träger7.

1 Vgl. Söhn, StuW 1976, 1 (17). 2 Siehe Dziadkowski, in: UStKongrBer 1985, S. 103 (120 f). Im Gegenzug handelt es sich bei den echten Befreiungen um einen notwendigen Systembestandteil zur Um­ setzung des Bestimmungslandprinzips. 3 Zutreffend Eckhardt, UR 1968, 1 f. 4 Reiß, in: UStKongrBer 2007, S. 13 (32). 5 Vgl. James, The Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 52. 6 Ausf. hierzu TAXUD/2011/DE/334, S. 25 ff; TAXUD/2010/DE/328, S. 9; vgl. zu Outsourcing und Kooperationen im Krankenhausbereich Musil, Gesundheitsreform, 2010, S. 11 ff. 7 Reiß, in: FS Tipke 1995, S. 433 (440).

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

• Das Bestimmungslandprinzip wird unterminiert, sobald ein exportie­ render Unternehmer für seine Ausgangsumsätze unecht befreite Hilfs­ leistungen mit nicht abzugsfähiger Umsatzsteuerbelastung verwendet. • Auf der Passivseite können Anbieter von unterstützenden Hilfsleis­ tungen beeinträchtigt sein, indem befreite Unternehmer auf Outsour­ cing verzichten oder aber vorzugsweise nicht vorsteuerbelastete Lie­ ferungen aus Drittstaaten beziehen. • Ein weiteres Problem, das aber zunächst für sämtliche Formen umsatz­ steuerlicher Verschonungen gilt1, besteht in einer um Abgrenzungs­ fragen gesteigerten Systemkomplexität und den hierdurch erhöhten Befolgungslasten2; einen spezifischen Nachteil unechter Befreiungen bedingt allerdings die mitunter komplizierte und gleichsam streitan­ fällige Anrechnung von Vorsteuerbeträgen für den nicht seltenen Fall, dass ein Unternehmer partiell steuerpflichtig ist3. Mit Blick auf die Verbraucherebene erweist sich schließlich die ungewisse Steuerinzidenz als der zentrale Aspekt4. Verglichen mit dem umsatzsteu­ erlichen Regelfall, in dem eine preisliche Überwälzung der relativ gleich hoch bemessenen Steuerschuld erwartungsgemäß ist, reicht die mögliche Belastungsbandbreite infolge unechter Befrei­ung­en je nach Branche und Anbieter von einer faktischen Freistellung bis hin zur kumulierten Zu­ satzbelastung. Insgesamt ist nicht verwunderlich, dass der breit gefächerte Kanon unechter Exemtionen gemessen am modernen Idealbild der allge­ meinen Verbrauchbesteuerung nicht nur auf berechtigte Kritik, sondern nahezu einhellige Ablehnung stößt5. Bezeichnend fällt das Votum durch die im Kommissionsauftrag erstellte Studie zur rückblickenden Bewer­ tung des europäischen Mehrwertsteuersystems aus, wonach die Ausnah­ men von der Umsatzsteuerpflicht „die offensichtlichsten und vermutlich auch die wirtschaftlich schädlichsten“ Systemverwerfungen begründen6. 1. Auslegungsgrundsätze des EuGH Der EuGH reagiert auf den vorausgehend dargelegten Systembruch, in­ dem er speziell für unechte Befreiungstatbestände in ständiger Recht­ 1 Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 48. 2 Siehe auch Henkow, The VAT/GST Treatment of Public Bodies, 2013, § 1.02 (c) (5). 3 Vgl. etwa Due, National Tax Journal 1990, 383 (385). 4 Siehe hierzu vorstehend A.III. 5 Vgl. etwa Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (305); Lejeune/Daou-Azzi/Powell, in: Lang/Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 59 (78); Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 100; Williams, in: Thuronyi, Tax Law Design, 1996, S. 164 (203); Dziadkowski, in: UStKongrBer 1985, S. 103 (120 f); Georgi, UStR 1968, 269 (272); Fasold, BB 1967, 1205 f; abw. Stadie, in: DStJG 33 (2009), S. 143 (161). 6 TAXUD/2010/DE/328, S. 6.

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B.  Unterschiedliche Zielsetzungen von Umsatzsteuer­befreiungen

sprechung einen Kanon aus vier maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen profiliert. Den Ausgangspunkt bildet die Autonomie unionsrechtlicher Begriffe samt eigenständiger Interpretation1. Darüber hinaus bestätigt der Gerichtshof Befreiungen als Ausnahmen vom gemeinsamen Mehrwert­ steuersystem und vollzieht vor diesem Hintergrund eine enge Auslegung der sekundärrechtlich vorgesehenen Tatbestände2. Diese Prämisse kon­ sequent beibehaltend, sind umgekehrt etwaige Ausnahmen zu den Frei­ stellungen gerade nicht eng, sondern weit zu verstehen3. Den systemorientierten Grundsatz einer strikten Auslegung führt der EuGH jedoch Relativierungen zu, indem er zunächst auch den Sinn und Zweck der in Rede stehenden Regelung respektiert. Folgerichtig darf das interpretatorische Ergebnis nicht die gesetzgeberisch intendierte Wir­ kung konterkarieren4. In gewisser Weise vollführt der EuGH mit diesen Vorgaben einen herausfordernden Spagat zwischen einer prinzipiell en­ gen, aber im Einzelfall nicht allzu verengten Deutung. Eine der zugrunde liegenden Zielsetzung entsprechende Stoßrichtung vermag schließlich noch die gebotene Berücksichtigung der Neutralität zu entfalten. Aus diesem die harmonisierte Umsatzsteuer universell umspannenden Prin­ zip kann sich das Gebot zu einer weitergehenden Einbeziehung von Um­ sätzen in den befreiungsrechtlichen Anwendungsbereich aus Gründen der Gleichstellung ergeben5. In diesem Zusammenhang hat der EuGH beispielsweise mehrfach die Subsumtion natürlicher Personen unter den in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL verschiedentlich auftauchenden Begriff der „Einrichtung “ bejaht6. 2. Normative Verortung der Systemkritik Die im umsatzsteuerlichen Diskurs mehrheitsfähige Positionierung ge­ gen unechte Befreiungen mag auf gewichtigen Argumenten aufbauen. Gleichwohl erlangt das stets bemühte Symptom der Systemwidrigkeit nur insoweit einen rechtlich relevanten Bedeutungsgehalt, als dieses ­zugleich eine Kollisionslage gegenüber höherrangigen Verfassungsprinzi­ 1 Siehe hierzu vorstehend IV.1.e). 2 EuGH Rs. C‑412/15, TMD, ECLI:EU:C:2016:738 Rn 34; Rs. C‑259/11, DTZ Zadel­ hoff, ECLI:EU:C:2012:423 Rn 20; Rs. C-269/00, Seeling, Slg. 2003, I‑4101 Rn 44; Rs. C‑358/97, Kommission/Irland, Slg. 2000, I-6301 Rn 52; krit. hierzu Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., Vor §§ 4–9 Rn 19. 3 EuGH, Rs. C-428/02, Fonden Marselisborg Lystbadehavn, Slg. 2005, I-1527 Rn 43. 4 EuGH, Rs. C-253/07, Canterbury Hockey Club, Slg. 2008, I-7821 Rn 17; C-498/03, Kingscrest Associates, Slg. 2005, I-4427 Rn 29; Rs. C-45/01, Christoph-Dornier-Stif­ tung, Slg. 2003, I-12911 Rn 42. 5 Vgl. ausf. zum Konflikt zwischen Neutralität und enger Auslegung de la Feria, VAT Principles, 2016. 6 EuGH, Rs. C-144/00, Hoffmann, Slg. 2003, I-2921 Rn 25; Rs. C-216/97, Gregg, Slg. 1999, I‑4947 Rn 17.

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2. Teil:  Befreiungen im System der Umsatzsteuer

pien impliziert1. Im Ausgangspunkt empfängt die harmonisierte Um­ satzsteuer ihre Belastungskonzeption zunächst aus einer rein sekundär­ rechtlichen Festlegung. Der Unionsgesetzgeber scheint daher zunächst durchaus berechtigt, Brüche gegenüber dieser erwählten Grundentschei­ dung mittels gleichrangiger Bestimmungen als einen integrativen Sys­ tembestandteil etablieren zu dürfen2. Eine unanfechtbare Legitimität vermögen unechte Befreiungen wie anderweitige Ausnahmeregelungen auch allerdings dann nicht aus ihrer bloßen Existenz zu erschließen, so­ fern höherrangiges Primärrecht das legislative Handeln entweder isoliert oder aber in Zusammenschau mit der einfachgesetzlich favorisierten Belastungstypologie durch verbindliche Leitlinien und einen entspre­ ­ chenden Rechtfertigungszwang diszipliniert. Diese normative Verortung der Systemkritik mündet somit in die entscheidende Fragestellung, in welchem Umfange das sekundärrechtlich fixierte Regelsystem über die allgemeine Verbrauchbesteuerung gleichsam einen primärrechtlichen Bestandschutz genießt. Wird hingegen ein unbegrenztes Ermessen selbst­ bestimmter Ausnahmen postuliert, erschöpft sich der systemkritische Aussagewert bezüglich unechter Befreiungen in einer ausschließlich re­ formpolitisch bedeutsamen Kategorie3.

1 So im Ansatz zutreffend Stadie, UStG, 3. Aufl., Vor §§ 4–9 Rn 11; ders., in: DStJG 33 (2009), S. 143 ff. 2 Stadie, UStG, 3. Aufl., Vor §§ 4–9 Rn 11. 3 Vgl. zu diesem Aspekt Seer, in: DStJG 32 (2009), S. 497 (502).

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3. Teil: Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen Die umsatzsteuerliche Befreiung von Postdienstleistungen besitzt in Deutschland eine lange historische Tradition, die bis in die Kaiserzeit des frühen 20. Jahrhunderts zurückreicht1. Die Ausklammerung des Postwesens ist dabei so alt wie die Umsatzsteuer selbst, nachdem diese erstmals 1918 noch vor Gründung der Weimarer Republik im Rahmen der Erzberger’schen Finanzrechtsreform nach der durch Johannes von ­Popitz ausgearbeiteten Grundidee eingeführt worden war. Vor Erlass der RL 77/388/EWG vom 17.05.1977 war die Exemtion der deutschen Post zunächst in einen rein natio­ nalen Kontext eingebettet. Durch die in Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG verankerte Pflicht zur Frei­ stellung von durch öffentliche Posteinrichtungen erbrachte Leistungen entstand jedoch eine unmittelbare Verflechtung mit dem vorrangigen Europarecht, dessen Vorgaben die Mitgliedstaaten seitdem unter beson­ derer Berücksichtigung der einschlägigen Judikatur des EuGH auf natio­ naler Ebene einhalten müssen.

A. Freistellung auf nationaler Ebene – ein Überblick bis 1977 Den Ursprung einer Privilegierung des Postwesens im Geltungsbereich indirekter Besteuerung markierte die in § 121 enthaltene Regelung des am 01.10.1916 zur Kriegslastenfinanzierung in Kraft getretenen Gesetzes über den Warenumsatzstempel (WUStG)2. Während § 76 Abs. 2 Satz 3 WUStG festlegte, dass auch Warenlieferungen im gewerblichen Betrieb der juristischen Personen des öffentlichen Rechts steuerlich erfasst wa­ ren3, stellte § 121 WUStG die Lieferung von amtlichen Postwertzeichen frei4. Diese Exemtion wirkte einer Belastungskumulation entgegen, da seit dem 01.08.1916 bereits eine besondere Reichsabgabe auf Post- und Telegraphengebühren erhoben wurde5. Mit Einführung der Umsatzsteuer durch das UStG vom 27.07.1918 (RGBl. 1918, 779) wurde eine eigenständige Befreiungsregelung in § 3 Nr. 1 aufgenommen6. Eine umfassende Freistellung der Post war notwen­ 1 Siehe dazu von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 1 ff. 2 Gesetz über den Warenumsatzstempel v. 26.06.1916, RGBl. 1916, 639. 3 Lange, UR 2000, 1 (4). 4 Vgl. von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 2. 5 Gesetz betreffend eine mit den Post- und Telegraphengebühren zu erhebende außer­ ordentliche Reichsabgabe v. 21.06.1916, RGBl. 1916, 146. 6 Siehe dazu von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 2 f.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

dig geworden, weil die Umsatzsteuer neben Warenlieferungen auch sons­ tige Leistungen als steuerbare Vorgänge qualifizierte. Nach dieser Vor­ schrift wurden erstmals das Reich und die Länder wegen des öffent­lich­en Post-, Telegraphen- und Fernmeldeverkehrs sowie die Beförderungsleis­ tungen selbstständiger Unternehmer für diesen Verkehr von der Besteue­ rung ausgenommen; das UStG 1919 vom 24.12.1919 (RGBl. 1919, 2157) befreite sodann in § 3 Abs. 1 Nr. 1 UStG nur noch Beförderungsleistun­ gen, für deren Ausführung eine gesetzliche Verpflichtung bestand1. Es handelte sich bei dieser Regelung um einen subjektiv wirksamen Tatbe­ stand mit einer sachspezifischen Begrenzung, denn ausschließlich adres­ siert waren die öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften als verant­ wortliche Betreiber von Postdienstleistungen2. Ausschlaggebend für die fortgesetzte Begünstigung in § 3 Nr. 1 UStG 1918 war zunächst, dass die außerordentliche Reichsabgabe auf Postgebühren noch durch Änderungsgesetz vom 26.07.1918 (RGBl. 1918, 975) einen Tag vor Erlass des UStG 1918 erhöht wurde3. Dass die Umsatzsteuer­ befreiung indes auch nach Abschaffung dieser Sonderbelastung zum 01.10.19194 weiterhin in § 3 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1919 beibehalten wurde, lag vornehmlich darin begründet, dass staatlichen Leistungen im Postund Fernmeldesektor eine gemeinnützige Funktion zuerkannt wurde5. Vor diesem Hintergrund zielte die Befreiungsvorschrift darauf ab, eine Verteuerung der Postgebühren zu verhindern. Diese Motivlage lässt sich insbesondere aus der zusätzlich verankerten Befreiung selbstständiger Beförderungsleistungen für den Postverkehr entnehmen, wodurch eine vergünstigte Kostenstruktur mit Blick auf die in Anspruch genommenen Vorleistungen ermöglicht werden sollte6. Auch in der Folgezeit blieb die subjektive Postdienstexemtion ein­ schließlich der dazu gesetzlich vorgeschriebenen Beförderungsleistungen im Kern unverändert. Die in den 30er-Jahren vollzogene Zentralisierung der Posthoheit unter Aufhebung der föderalen Länderkompetenzen be­ wirkte formal, dass nunmehr § 3 Nr. 1 UStG 1932 ausschließlich das

1 Dieser Teil der Befreiung bezog sich auf die der Deutschen Reichsbahn sowie den nichtreichseigenen Eisenbahnen nach Maßgabe des Eisenbahnpostgesetzes vom 20.10.1875 (RGBl. 1875, 318) auferlegte Beförderungspflicht, fortgesetzt durch § 4 Postgesetz v. 28.07.1969 (BGBl. I 1969, 1006) für die Bundesbahn und nichtbundesei­ gene Eisenbahnen. Siehe auch für § 4 Nr. 7 UStG Macho/Polduwe, Umsatzsteuerbe­ freiungen, 1957, S. 23. 2 Vgl. Popitz/Kloß/Grabower, UStG, 3. Aufl., Vorbem. zu § 3 I. 3 Siehe auch von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 2. 4 Gesetz v. 08.09.1918, RGBl. 1918, 1521. 5 RFH 28, 187 (192); Popitz/Kloß/Grabower, UStG, 3. Aufl., § 3 Nr. 1 III; Eckhardt/ Weiß, UStG, 11. Lfg., § 4 Nr. 7 Rn 1; Schneider, Umsatzsteuerfreiheit, 1959, S. 187. 6 Popitz/Kloß/Grabower, UStG, 3. Aufl., § 3 Nr. 1 VI 1.

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A.  Freistellung auf nationaler Ebene – ein Überblick bis 1977

Reich adressierte. In § 4 Nr. 7 UStG 19341 wurde die Freistellung für den Post- und Fernmeldeverkehr systematisch neu verortet und auf die Um­ sätze des Rundfunks ausgeweitet2. Bis zur zwischenzeitlichen Abschaf­ fung ab dem 01.01.1977 behielt der Gesetzgeber den seit 1918/1919 gel­ tenden Befreiungsstand auch nach Gründung der BRD konstant bei, indem § 4 Nr. 7 UStG 19513 die Umsätze des Bundes im Post-, Fernmel­ de- und Rundfunkverkehr sowie die auf Gesetz beruhenden Beförde­ rungsdienste für diesen Verkehr von der Steuerpflicht ausnahm.

I. Befreiung versus Steuerbarkeit von Postumsätzen Seit ihrer erstmaligen Einführung war die Befreiung lange Zeit mit der Frage verknüpft, ob Postdienstleistungen unter hoheitlicher Verwaltung überhaupt als steuerbare Umsätze zu gelten hatten4. Aus heutiger Sicht ist diese Qualifizierung von dogmatischem Interesse, da die Befreiung erst anschließend an die bejahte Steuerbarkeit eines Umsatzes iSv § 1 Abs. 1 UStG relevant wird, unterdessen die wirtschaftlichen Auswirkun­ gen in beiden Fällen gleich gelagert sind. Im Hinblick auf die damals noch in hoheitlicher Form organisierte Verwaltung des Postverkehrs be­ maß sich dessen Steuerbarkeit nach einer Unternehmereigenschaft des Staates. Die Deutsche Reichspost (DRP) wurde seit ihrer Gründung durch das Reichspostfinanzgesetz (RPFG) vom 18.03.1924 (RGBl. I 1924, 287), welches die vermögensrechtliche Verselbstständigung von Post- und Telegraphendienst herbeiführte, gemäß § 1 Abs. 1 RPFG als „selbststän­ diges Unternehmen“ geführt. Trotz dieser formalen Bezeichnung war all­ gemein anerkannt, dass die DRP staatsorganisatorisch betrachtet einen Bestandteil der unmittelbaren Reichsverwaltung auf der Grundlage von Art. 88 Abs. 1 WRV bildete5. In gleicher Weise wurde die Deutsche Bun­ despost (DBP), die 1947 als Nachfolgerin an die Stelle der DRP trat, in bundesunmittelbarer Verwaltung mit eigenem Unterbau gemäß Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG a.F. geführt und stellte ein unselbstständiges Sonderver­ mögen des Bundes dar6. Auch in Anbetracht der hoheitlichen Verwal­ tungsform ging der Gesetzgeber offenbar von der Umsatzsteuerbarkeit des Postwesens aus, anderenfalls hätte es einer gesonderten Freistellung wohl kaum bedurft7. In diesem Zusammenhang entsprach es bereits seit Einführung der Reichsstempelsteuer von 1916 ausweislich § 76 Abs. 2 1 RGBl. I 1934, 942. 2 Vgl. von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 7 f. 3 Umsatzsteuergesetz v. 01.09.1951, BGBl. I 1951, 791. 4 Siehe dazu ausf. von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 1 ff. 5 Von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 69 mwN. 6 Jarass, MMR 2009, 223; Kämmerer, DVBl. 1966, 357 (358). 7 Krit. aber von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 15 f mwN.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Satz 3 WUStG gesicherter Erkenntnis, dass – die Ausübung hoheitlicher Gewalt ausgenommen – auch Tätigkeiten der öffentlichen Hand durch eine an Verkehrsvorgänge anknüpfende Besteuerung erfasst sein müssen, sollten diese zu privaten Unternehmungen in Konkurrenz treten kön­ nen1. Bei dieser breit definierten Grundlage handelt es sich um eine ur­ sprüngliche Ausprägung des umsatzsteuerlichen Neutralitätsprinzips2. Wäre eine Einbeziehung der staatlichen Post in die Umsatzbesteuerung also durchaus probat gewesen3, entschied sich der Gesetzgeber aus den unter I. bereits erläuterten Motiven gleichwohl bewusst gegen diesen Ansatz. Der RFH nahm die gesetzliche Systematik zum Anlass, ebenfalls die prinzipielle Steuerbarkeit von postalischen Beförderungsleistungen zu bejahen4. Eine lediglich klarstellende Funktion des § 3 Nr. 1 UStG lehnte er unter Rekurs auf zwei wesentliche Argumente ab. Zum einen könne die Erbringung von Postdiensten allgemein auch durch private Anbieter erfolgen, den betreffenden Umsätzen komme daher eine gewerbliche ­Natur zu. Dabei ließ das Gericht bereits hypothetischen Wettbewerb ge­ nügen wohlweislich der Tatsache, dass die DRP in weiten Teilen ihres Leistungsspektrums durch ein gesetzliches Beförderungsmonopol abge­ schirmt war5. Des Weiteren stufte es die Kundenbeziehung bei der Briefund Paketbeförderung als eine zivilrechtliche ein, mangels Ausübung hoheitlicher Gewalt bedürfe es deshalb einer ausdrücklichen Befreiung6. Erschüttert wurde diese auch in der Literatur zunächst gefestigte Sicht­ weise erst, nachdem das RG im Jahre 1938 eine Kehrtwende zu seiner bisherigen Recht­sprechung vollzog und die postrechtliche Leistungsbe­ ziehung nunmehr anlässlich der Amtshaftung als hoheitliche Gewalt­ ausübung wertete7. Wegen dieser Neuausrichtung begannen viele Stim­ men im Schrifttum, eine Unternehmereigenschaft der deutschen Post in Zweifel zu ziehen8.

1 Popitz/Kloß/Grabower, UStG, 3. Aufl., § 3 Nr. 1 III; Hensel, StuW 1930, 875; Lange, UR 2000, 1 (4). 2 Vgl. zur Wettbewerbsneutralität als Ziel der Besteuerung der öffentlichen Hand Hüttemann, FR 2009, 308 f; Seer, DStR 1992, 1751 ff. 3 RFH 4, 330 (331); von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 73 f. 4 St. Rspr., RFH 13, 221 (223); 17, 73 (75); 28, 187 (192 f). 5 RFH 17, 73 (75). 6 RFH 28, 187 (192 f). 7 Für die Briefbeförderung RGZ 158, 83 (87, 91 ff); ebenso für die Paketbeförderung RGZ 164, 273 (276 ff); zust. BGHZ 16, 111 (112). 8 Vgl. ausf. zum Meinungsstand sowie eigener Kritik zur Handlungsmodalität als Kri­ terium für die Umsatzsteuerbarkeit von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 56 ff mwN.

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A.  Freistellung auf nationaler Ebene – ein Überblick bis 1977

II. UStG 1967 Eine intensivere Diskussion über das Für und Wider der Postdienstbefrei­ ung fand im Zuge der Beratungen zum UStG 1967 statt, ohne dass dabei jedoch die fragliche Unternehmereigenschaft der DBP weiterführend er­ örtert worden wäre1. Der Gesetzgeber bezog zu dieser seit Langem strit­ tigen Problematik nicht explizit Stellung und entschied sich ganz im Sinne der Kontinuität für die fortgesetzte Freistellung des Postverkehrs in § 4 Nr. 7 Satz 1 UStG 1967. Zur Begründung stellte die Bundesregie­ rung in ihrem erstmals 1963 vorgelegten Entwurf auf die Verpflichtung der DBP ab, gemäß § 21 PVwG2 einen Anteil der erzielten Entgelteinnah­ men an den Bundeshaushalt abführen zu müssen3. Dieser Ansatz spiegel­ te die verbreitete Ansicht wider, die Ablieferung stelle ein umsatzsteuer­ liches Äquivalent dar und verbiete eine Doppelbelastung4. Folgerichtig stellte der Finanzausschuss im weiteren Verlauf der Be­ ratungen klar, dass die Befreiung einen sozialpolitisch unerwünschten Gebührenanstieg für die als gemeinnützig anerkannten Postdienste un­ terbinden sollte5. Zwar wurde die Einbeziehung der DBP in die Umsatz­ steuer als systematisch vorzugswürdiger Weg erkannt, da unter dieser Voraussetzung eine vorsteuerbereinigte Nettokalkulation ermöglicht worden wäre. Aus diesem Grunde forderten insbesondere unternehmeri­ sche Interessenverbände vehement eine Beendigung der Freistellung, konnten sie sich unter Geltung der bevorstehenden Allphasennettobe­ steuerung doch günstigere Portogebühren erhoffen. Nach den ernüch­ ternden Angaben der DBP sowie Untersuchungen des Ifo-Instituts betru­ gen die Ausgaben der Gesamtwirtschaft für Postdienstleistungen jedoch gerade einmal 0,3 % des Umsatzes, während die Vorsteuerbelastung der DBP infolge ihrer hohen Wertschöpfungsquote nur etwa 3 % ausmachte6. Diesem geringen Einsparpotenzial zugunsten gewerblich Tätiger hätte ein erheblicher Anstieg der Postgebühren zulasten der Allgemeinheit ge­ genübergestanden. Bei einem Steuersatz von 11 % sowie einem unter­ stellten Gesamtumsatz von 12 Mrd. DM hätte die Besteuerung eine Zahllast in Höhe von 1 Mrd. DM und einen relativen Anstieg des Gebüh­

1 Krit. hierzu Eckhardt/Weiß, UStG, 11. Lfg., § 4 Nr. 7 Rn 2. 2 Postverwaltungsgesetz v. 24.07.1953, BGBl. I 1953, 676. 3 BT-Drucks. IV/1590 v. 30.10.1963, S. 36. 4 Vgl. dazu von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 168 f mwN; a.A. und für die Einstufung als Kosten überdeckende Erwerbseinnahmen des Bundes Schmelz, Postmonopol und Ablieferungen, 1986, S. 127 f. 5 BT-Drucks. V/1581 v. 17.03.1967, S. 5; Schmidt, StBJb 1967/68, 122 (125).; siehe auch von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 164. 6 Vgl. Schulhoff, Sten. Ber. 101. Sitzung des BT v. 12.04.1967, 5. WP Bd 63, S. 4694; Eckhardt/Weiß, UStG, 11. Lfg., § 4 Nr. 7 Rn 2.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

renniveaus um etwa 8 % hervorgebracht1. Zusätzlich belastet worden wären außer privaten Endverbrauchern auch soziale Verbände sowie steuerbefreit leistende Unternehmer, die ebenfalls nicht zum Vorsteuer­ abzug berechtigt sind2. Die Abweichung vom System einer möglichst allgemein zu erhebenden Verbrauch­steuer erwies sich zugleich als Kehrseite der besonderen Ge­ meinwohlverpflichtung, welche dem hoheitlichen Postbetrieb traditio­ nell infolge der postordnungsrechtlichen Rahmenbestimmungen aufer­ legt war. Ausdruck dieser Daseinsvorsorgefunktion waren etwa die Beförderungspflicht gemäß § 8 PostG 19693 sowie der Grundsatz der Ge­ bührenbindung nach § 9 PostG 1969; ferner war die DBP gemäß § 2 PVwG an poli­tische Richtlinien und eine bedarfsgerechte Versorgungs­ bereitschaft gebunden4. Diese regulativen Vorgaben bewirkten eine emp­ findliche Beschränkung der unternehmer­ischen Dispositionsfreiheit zu­ lasten betriebswirtschaftlicher Effizienz5. Die Freistellung wurde daher als notwendiges Komplement zu den besonderen Gemeinwohlbelastun­ gen gewährt, damit erschwingliche Tarife trotz einer kostenintensiven Infrastruktur aufrechterhalten werden konnten6. In die Zielvorgabe eines konstant bleibenden Gebührenniveaus fügte sich der ursprüngliche Begründungsansatz der Bundesregierung wieder­ um in gewisser Weise ein. Ein fiskalpolitischer Anreiz bestand für die umsatzsteuerliche Einbeziehung der Postdienste insoweit, als sich der Bund auf langfristige Sicht eine zusätzliche Einnahmequelle neben den beanspruchten Entgeltanteilen der DBP hätte sichern können. Für die öf­ fentliche Haushaltsbilanz wirkt sich die indirekte Erhebung im Vergleich zu direkten Gewinnsteuern auf staatliche Betriebe positiv aus, sofern die Steuerschuld infolge einer gelingenden Überwälzung neutralisiert wird und der öffentlich-rechtliche Unternehmensträger am generierten Auf­ kommen partizipiert. Vor diesem Hintergrund konnte der Verweis auf die bereits existierende Abgabepflicht in § 21 Abs. 1 PostVwG dahingehend interpretiert werden, dass der Bund im Interesse allgemeiner Gebüh­ 1 Siehe von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 159, unter Verweis auf Wohlfahrt, APF 1969, 31 (40). 2 Siehe auch von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 159. 3 Gesetz über das Postwesen v. 28.07.1969, BGBl. I 1969, 1006; vgl. zur vorherigen Gemeinwohlverpflichtung Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reichs v. 28.10.1871, RGBl. 1871, 347 und PG-Novelle v. 20.12.1899, RGBl. 1899, 715. 4 Vgl. zu gemeinwirtschaftlichen Lasten der DBP auch von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 165. 5 So auch von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 165, unter Verweis auf Steinmetz, APF 1966, 91 (98). 6 Siehe auch Schulhoff, Sten. Ber. 101. Sitzung des BT v. 12.04.1967, 5. WP Bd 63, S. 4694; von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 163 ff, der die Steuerfreiheit als Äquivalent der Gemeinwohlfunktion bezeichnet.

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A.  Freistellung auf nationaler Ebene – ein Überblick bis 1977

renstabilität auf eine doppelte Gläubigerstellung verzichtete, die sich einmal aus der teilweisen Abführung eingenommener Entgelte sowie des Weiteren aus seiner Teilhabe am Umsatzsteueraufkommen nach Maßga­ be von Art. 106 Abs. 3 GG ergeben hätte1. Als weiteren bedeutsamen Grund für die Befreiung der Bundesumsätze im Postverkehr benannte der Finanzausschuss in seinem Abschluss­ bericht die besonderen Schwierigkeiten technischer Art, die eine Be­ steuerung für die DBP aufgrund der hiermit verbundenen Anpassung sämtlicher betrieblicher Rechnungsabläufe mit sich gebracht hätte2. Ent­ sprechend sprach sich insbesondere auch die DBP selbst für den weitge­ henden Erhalt des Status quo aus. Schließlich wird für den Gesetzgeber ausschlaggebend gewesen sein, dass im Postsektor keine gravierenden Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten standen3. Als zusätzlichen Fi­ nanzierungsausgleich für die ihr auferlegten Gemeinwohlpflichten ge­ noss die DBP im Bereich der Briefsendungen gemäß § 2 Abs. 1 PostG 1969 ein umfassendes Beförderungsmonopol, so dass Marktmechanis­ men insoweit ausgeschaltet waren4. Außerhalb dieses Alleinbetriebs­ rechts bestand eine Konkurrenzsituation zu umsatzsteuerpflichtigen Unternehmern lediglich im Postreise- und Paketdienst sowie im Fern­ sprech-Nebenstellenwesen5. Erhebliche Verwerfungen befürchtete der Gesetzgeber zunächst nur für den Postreisedienst, da die DBP in diesem Geschäftsfeld mit privaten Personenbeförderungsunternehmen konkur­ rierte. Als Reaktion auf den Wegfall der Beförderungssteuer wurde daher zur Wahrung der Neutralität in § 4 Nr. 7 Satz 2 UStG 1967 die Personen­ beförderung mit Kraftomnibussen und Landkraftposten von der Befrei­ ung ausgenommen6. Während die Verwerfungen im Nebenstellenwesen wenige Jahre später im Gesetz zur Änderung des UStG vom 29.07.1976 angegangen wurden7, nahm man für den Paketdienst gewisse Verzerrun­ gen in Relation zu Spediteuren und dem Expressdienst der Eisenbahn in Kauf. Diese Effekte wurden aber wegen geschlossener Tarifabsprachen zwischen DBP und Deutscher Bundesbahn (DBB) im Kleingutabkommen sowie der generell kostenunterdeckenden Paketbeförderung wohl als we­

1 Vgl. entspr. zur Befreiung der DRP Schmelz, Postmonopol und Ablieferungen, 1986, S. 121. 2 BT-Drucks. V/1581 v. 17.03.1967, S. 5; siehe auch von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 169. 3 Vgl. BT‑Drucks. IV/1590 v. 30.10.1963, S. 16. 4 Vgl. BVerfGE 108, 370 (389); Stern, DVBl. 1997, 309 (311). 5 Siehe zu Wettbewerbsverzerungen von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 132 ff mwN. Entspr. stellte die FDP-Fraktion bereits in der 2. Le­ sung des Gesetzesentwurfs einen Antrag zur umfassenden Umsatzbesteuerung der DBP, vgl. Funcke, Sten. Ber. 101. Sitzung des BT v. 12.04.1967, 5. WP Bd 63, S 4962 ff. 6 Zu dieser Begründung BT-Drucks. IV/1590 v. 30.10.1963, S. 36. 7 Siehe hierzu nachfolgend III.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

niger gravierend eingestuft1. Ferner ließen sich die kostspieligen Anpas­ sungen der DPB an eine Steuerpflicht nur vermeiden, indem der gesamte Postsendungsverkehr befreit wurde2.

III. Aufhebung der Befreiung zum 01.01.1977 Das Änderungsgesetz 19763 hob mit Inkrafttreten zum 01.01.1977 ge­ mäß Art. 1 Nr. 2 erstmals die Befreiung für Umsätze des Bundes im Postund Fernmeldeverkehr idF des § 4 Nr. 7 UStG 19734 auf. Weiterhin be­ freit blieben nur die auf Gesetz beruhenden Beförderungsleistungen selbstständiger Unternehmer für die DBP. Der Gesetzgeber bezweckte mit dieser Neuregelung indes lediglich eine Klarstellung, nachdem durch den zeitgleich gemäß Art. 1 Nr. 1 neu eingefügten § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG 1973 die Beförderung von Personen mit Kraftomnibussen sowie die Über­ lassung und Unterhaltung von Fernsprech-Nebenstellenanlagen durch die DBP als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im umsatzsteuerrecht­ lichen Sinne fingiert wurden. Im Umkehrschluss ergab sich, dass die üb­ rigen Leistungen der DBP als nicht steuerbar qualifiziert waren mit der Folge, dass eine nunmehr rein deklaratorische Befreiungsvorschrift ent­ fallen konnte. Der Gesetzgeber folgte insoweit der mittlerweile etablier­ ten Meinung, wonach die DBP einen Hoheitsbetrieb iSv § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG repräsentierte5. Zum Vollzug dieses Umschwungs dürfte die Ver­ waltungsanweisung des Bundesministers für Finanzen beigetragen ha­ ben, in der die DBP bereits kurz nach Inkrafttreten des UStG 1967 u.a. für Brief-, Päckchen-, Paket- und Postzeitungsdienste als Hoheitsbetrieb eingestuft worden war6. Aus der Neufassung des UStG 1973 konnten zwei wesentliche Feststel­ lungen abgeleitet werden. Zum einen kehrte der Gesetzgeber die gesetz­ liche Systematik, wie sie bis dahin dem UStG 1967 für den Postverkehr noch zugrunde gelegen hatte, in ihr genaues Gegenteil um. An die Stelle einer ausdrücklichen Befreiungsvorschrift für Post­umsätze mit Ausnah­ meregelung trat eine explizite Fiktion für die Steuerbarkeit einzelner Tä­ tigkeitsbereiche der DBP. Die folgerichtig zur Besteuerung des Postreise­ dienstes angeordnete Fiktion gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG 1973 n.F. entsprach spiegelbildlich dem vormaligen Befreiungsausschluss in § 4 1 Vgl. dazu von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 133 ff mwN. 2 Schulhoff, Sten. Ber. 101. Sitzung des BT v. 12.04.1967, 5. WP Bd 63, S. 4694. 3 Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes v. 29.07.1976, BGBl. I 1976, 2045. 4 Bekanntmachung v. 16.11.1973, BGBl. I 1973, 1681. 5 BReg, BT-Drucks. VI/2817 v. 11.11.1971, S. 15; vgl. dazu Dziadkowski, DStZ 1985, 419 (420). 6 BdF vom 08.07.1968, BStBl. 1968 I, 1036.

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B.  Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen

Nr. 7 Satz 2 UStG 1973 a.F., zusätzlich wurde die Unternehmerfiktion auf das Nebenstellengewerbe ausgedehnt, um die bis dahin bestehende Marktaufspaltung zu beseitigen1. Des Weiteren bleibt aber zu konstatie­ ren, dass die wirtschaftliche Situation der DBP trotz dieser Novellierung im Ergebnis unberührt blieb. Mangels einer Unternehmereigenschaft schuldete sie weiterhin keine Umsatzsteuer, umgekehrt verfügte sie – parallel zu den seit 1968 geltenden Grundsätzen über unechte Befreiun­ gen – nicht über das Recht zum Vorsteuerabzug2. Vor diesem Hintergrund begründete das Änderungsgesetz 1976 keine inhaltliche Abkehr von der bislang auf nationaler Ebene seit 1918 praktizierten Befreiungstradition, sondern führte – von der steuerlichen Einbeziehung des Nebenstellenge­ werbes einmal abgesehen – lediglich eine redaktionelle Anpassung her­ bei.

B. Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen Mit Erlass der 6. MwStRL am 17.05.1977 wurde in Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG die Umsatzsteuerbefreiung für Postdienstleistun­ gen auf europarechtlicher Ebene verankert. Trotz dieser gegenüber den Mitgliedstaaten verbindlich­en Vorgabe verzichtete der deutsche Gesetz­ geber im Rahmen des UStG 1980, dessen Erlass vor allem auch den na­ tionalen Befreiungskatalog gemäß § 4 UStG an die Richtlinie adaptieren sollte, auf eine neue Befreiungsregelung. Stattdessen wurde die in § 4 Nr. 7 UStG 1973 enthaltene Bestimmung in der seit dem 01.01.1977 gel­ tenden Fassung inhaltlich unverändert in § 4 Nr. 7 lit. a) UStG 1980 überführt, während gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG 1980 weiterhin ausschließlich der Postreiseverkehr sowie die Überlassung und Unter­ haltung von Fernsprech-Neben­stellen­anlagen als unter­neh­mer­­ische Tä­ tigkeiten der DBP fingiert wurden. Keine Bedeutung für das deutsche Umsatzsteuerrecht besaß insoweit die gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a) RL 77/388/EWG eröffnete Abweichungsbe­ fugnis zur fortgesetzten Umsatzbesteuerung der Paketbeförderung (An­ hang E Nr. 1). Entsprechendes galt auch für die in Art. 28 Abs. 3 lit. c) RL 77/388/EWG eingeräumte Möglichkeit, eine auf natio­naler Ebene bereits bestehende Optionsregelung für den Paketdienst (Anhang G Nr. 1 lit. a)) beizubehalten. Aus heutiger Sicht sind die postsektoralen Sonder­ befugnisse weitgehend eingeschränkt worden. Eine Besteuerung ist aus­ 1 BReg, BT-Drucks. VI/2817 v. 11.11.1971, S. 15 f. 2 Vgl. zur identischen Wirkung subjektiver Befreiungen und Nichtsteuerbarkeit we­ gen hoheitlicher Betätigung Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 89; Dziadkowski, DStZ 1985, 419 (420 Fn 11).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

weislich Art. 370 iVm Anhang X Teil A MwStSystRL nicht mehr gestat­ tet. Zulässigerweise dürfen die Altmitgliedstaaten gemäß Art. 371 iVm Anhang X Teil B Nr. 3 MwStSystRL nur die durch öffentliche Postein­ richtungen erbrachten Telekommunikationsdienste samt dazugehören­ der Lieferungen auch nach dem 01.01.1978 weiterhin freistellen, obwohl dieser Sachbereich explizit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ausge­ klammert ist.

I. Richtlinienkonforme Substituierbarkeit zwingender Befreiungs­tatbestände Ausweislich der Entwurfsbegründung stand die Exemtion der gesetzli­ chen Beför­derungs­leistungen für die DBP gemäß § 4 Nr. 7 lit. a) UStG 1980 im Einklang mit Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG, wäh­ rend zur Notwendigkeit eines eigenständigen Befreiungstatbestands be­ treffend die unmittelbar durch die Post selbst erbrachten Umsätze er­ staunlicherweise überhaupt nicht Stellung bezogen wurde1. Letzteres war nach der zum 01.01.1977 eingeführten Systematik entbehrlich, da die Postdienste bereits als nicht umsatzsteuerbar qualifiziert wurden. Aus europarechtlicher Sicht konnte die Konformität dieses Rechtszu­ stands aus Art. 4 Abs. 5 RL 77/388/EWG abgeleitet werden2. 1. Alternativität zwischen Befreiung und Steuerbarkeitsausschluss In normativer Hinsicht legte Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 RL 77/388/EWG (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 MwStSystRL) fest, dass Staaten, Länder, Gemein­ den und sonstige Einrich­tungen des öffentlichen Rechts keine steuer­ pflichtigen Unternehmer sind, soweit sie Leistungen im Rahmen der ­ihnen obliegenden öffentlichen Gewalt ausführen. Zusätzlich schaffte Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 RL 77/388/EWG (Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL) die Möglichkeit, anstelle einer nach Art. 13 oder Art. 28 vorgeschriebenen Befreiung die betreffende Tätigkeit der in UAbs. 1 genannten Einrichtun­ gen als solche im Rahmen der öffentlichen Gewalt zu behandeln. Die erlaubte Gleichbehandlung stellt ein Recht zur Fiktion dar3. Der EuGH hat diesbezüglich klargestellt, dass sogar privatrechtlich ausgeübte Tä­ tigkeiten als öffentliche Gewaltausübung fingiert werden dürfen4. Auf diese Weise verfügen die Mitgliedstaaten über die Option, für bestimmte 1 Vgl. BReg, BT-Drucks. 8/1779 v. 05.05.1978, S. 32. 2 Die Besteuerung des Postreisedienstes wie auch des Nebenstellenwesens gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG 1980 war allerdings geboten, da Personenbeförderung und Fernmeldewesen von der Befreiung explizit ausgenommen sind. 3 Lohse/Peltner, 6. MwSt-Richtlinie, 2, Aufl., Vorbemerkung Art. 4. 4 EuGH Rs. C-247/95, Marktgemeinde Welden, Slg. 1997, I-779 Rn 20; Rs. C‑446/98, Câmara Municipal do Porto, Slg. 2000, I-11435 Rn 42.

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B.  Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen

Umsätze europarechtskonform zwischen der Implementierung einer ori­ ginären Befreiungsregelung oder aber dem Ausschluss der Steuerbarkeit frei zu wählen1. Innerhalb des ehemals monopolistisch geprägten Postsektors verdichtete sich dieses Wahlrecht dergestalt, dass sogar vollständig auf einen eigen­ ständigen Befreiungstatbestand verzichtet werden konnte. In Deutsch­ land kam insoweit ausschließlich die DBP als Posteinrichtung und damit begünstigungsfähiger Dienstleister iSv Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG in Betracht. Private Spediteure und Eisenbahnen beför­ derten zwar Kleingüter als mögliches Äquivalent zu Paketdiensten, je­ doch hielten sie kein dem traditionellen Postwesen eigentümliches ­Zustellnetz mit standardisierten und auf den massenhaften Verkehr aus­ gerichteten Geschäftsbedingungen vor2. Aus diesem Grunde konnte die Postdienstbefreiung gänzlich durch einen Ausschluss der Steuerbarkeit substituiert werden, denn zum damaligen Zeitpunkt verwaltete aus­ schließlich der Bund als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts – äußerlich repräsentiert durch die DBP3 – den relevanten Postverkehr4. 2. Ausübung öffentlicher Gewalt Gestand bereits Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 RL 77/388/EWG (Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL) den Mitgliedstaaten formal zu, befreite Tätigkeiten als Ausübung öffentlicher Gewalt zu behandeln, hat der deutsche Gesetzge­ ber aber eine derartige Fiktion entgegen dem Gebot zu einer eindeutigen Regelung für die rechtssichere Abgrenzbarkeit nicht ausdrücklich in das UStG 1980 aufgenommen5. Lediglich anhand der Teilfiktion gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG 1980 ließ sich e contrario die Wertung ablesen, dass die übrigen Betätigungsfelder der DBP und insbesondere die Postgut­ beförderung als nicht steuerbare Hoheitsverwaltung eingestuft waren. Dass sich der Steuerbarkeitsausschluss dennoch als gemeinschaftsrecht­ konforme Alternative erwies, liegt an der Tatsache, dass sich die sonst zu befreienden Beförderungsdienste der DBP bereits materiell als öffentli­ che Gewaltausübung gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 RL 77/388/EWG qua­ lifizierten. Zur Auslegung dieses Merkmals äußerte sich der EuGH grundlegend in seiner 1989 ergangenen Entscheidung „Piacenca“. Ein 1 Borgsmidt, UR 1999, 1 (7) wählt für Art. 4 Abs. 5 RL 77/388/EWG sogar die Termi­ nologie der subjektiven Befreiung. 2 BT-Drucks. 12/7269 v. 14.04.1994, S. 4; von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 133. 3 Siehe dazu Eckhardt/Weiß, UStG, 11. Lfg., § 4 Nr. 7 Rn 10. 4 Vgl. Musil, UR 2015, 533. 5 Siehe zum Gebot einer ausdrücklichen Regelung EuGH, Rs. C-102/08, Salix, Slg. 2009, I‑4629 Rn 52 ff; Wagner, in: DStJG 13 (1990), S. 59 (74); Sorgenfrei, DStR 1993, 1893 (1897).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Ausschluss der Umsatzsteuerschuld setzt gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 RL 77/388/EWG neben dem Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung vo­ raus, dass diese ihre Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt aus­ übt1. Für das Verständnis des zweitgenannten Merkmals kann es nach Ansicht des Gerichtshofs indes unter Hinweis auf die innere Richtlinien­ systematik nicht darauf ankommen, welchem Gegenstand die konkrete Betätigung gewidmet ist. Dieses Unterscheidungskriterium findet be­ reits im Rahmen der zweckorientierten Befreiungstatbestände in Art. 13 ff RL 77/388/EWG (Art. 132 ff MwStSystRL) sowie für die partielle Steuer­ pflichtfiktion von öffentlichen Einrichtung gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 3 iVm Anhang D RL 77/388/EWG (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 3 MwStSystRL) abschließend Verwendung2. Eine zielführende Differenzierung könne stattdessen nur erreicht werden, stellt man auf die nach nationalem Recht geltenden Ausübungsmodalitäten ab. Bedient sich die öffentliche Einrichtung der ihr ausschließlich vorbehaltenen Handlungsformen des öffentlichen Rechts, liegt die Ausübung öffentlicher Gewalt vor; steuer­ bar sind hingegen solche Tätigkeiten, die unter den gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen wie durch sonstige private Wirtschaftsteilnehmer ausgeübt werden3. Da die äußere Handlungsform durch die Auswahl des geltenden Regelungsregimes variabel adaptiert werden kann, eröffnet diese Abgrenzung ein veritables Gestaltungspotenzial4. Eine eingren­ zende Balance findet freilich durch den zweifach abgesicherten Wettbe­ werbsvorbehalt statt5. In diesen Gestaltungsspielraum fügte sich der seit dem 01.01.1977 im deutschen Umsatzsteuerrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG 1973 syste­ matisch bestätigte sowie später in § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG 1980 überführte Ausschluss der Steuerbarkeit von Postumsätzen allgemein ein. Denn jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes am 01.07.1989 wurde aus der etablierten Eingliederung der DBP in die staat­ liche Verwaltung sowie mit Blick auf deren besondere Versorgungsstel­ lung nach Maßgabe der postordnungsrechtlich veranlagten Vorgaben ge­ meinhin deduziert, dass diese eine öffentlich-rechtlich konstituierte Leistungsbeziehung den Kunden gegenüber einnehme6. Da die Hand­ 1 EuGH, Rs. 231/87 und 129/88, Piacenca, Slg. 1989, 3233 Rn 12; Rs. 235/85, Kommis­ sion/Königreich der Niederlande, Slg. 1987, 1485 Rn 21. 2 EuGH, Rs. 231/87 und 129/88, Piacenca, Slg. 1989, 3233 Rn 14 ff; Rs. C‑4/89, Comu­ ne di Carpaneto Piacentino u.a., Slg. 1990, I-1869 Rn 8. 3 Tehler, EU-UStB 2008, 51 f; Wagner, UR 1993, 301 (302). Siehe zur jetzigen Umset­ zung dieses Kriteriums in § 2b UStG (BGBl. I 2015, 846) Hüttemann, UR 2017, 129 (130). 4 Siehe auch Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 90; Lange, UR 2000, 1 (9). 5 Vgl. Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 und 3 RL 77/388/EWG; Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 MwStSystRL. 6 BGHZ 16, 111 (112); Sorgenfrei, DStR 1993, 1893 (1896); Birkenfeld, UR 1989, 1 (5).

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B.  Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen

lungsmodalitäten der DBP somit jenseits des für jedermann geltenden Privatrechts angesiedelt waren, erwies sich der konstitutive Steuerbar­ keitsausschluss nach der Wertung des Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 RL 77/388/ EWG insoweit erst recht als richtlinienkonformes Freistellungssubstitut für den Postverkehr1, als hierzu bereits eine (ausdrückliche) Fiktion aus­ gereicht hätte. 3. Substitution im Schnittpunkt der Wettbewerbsrelevanz Wie die Postdienstexemtion verdeutlicht, bleibt es den Mitgliedstaaten im Geltungsbereich diverser Befreiungen einschließlich derjenigen aus Art. 132 MwStSystRL mit Blick auf öffentliche Einrichtungen anheim­ gestellt, die jeweilige Betätigung als Ausübung öffentlicher Gewalt zu konstituieren (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 MwStSystRL) oder als solche zu fingieren (Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL). Das sekundärrechtlich eröffnete Austauschverhältnis wird von der Erkenntnis getragen, dass die Nicht-­ Steuerbarkeit eines Umsatzes wirtschaftlich betrachtet identische Wir­ kungen hervorruft wie eine unechte Freistellung unter Vorsteueraus­ schluss2. Zudem muss in diesem Zusammenhang als geklärt gelten, dass eine Fiktion für sämtliche Befreiungen aus den benannten Katalognor­ men ungeachtet dessen in Betracht kommt, ob der jeweilige Tatbestand gerade auf eine öffentlich-rechtliche Einrichtung rekurriert3. Ausdrück­ lich verworfen wurde somit das seitens der Kommission favorisierte Konzept einer verengten Interpretation der Transfusionsklausel. Bestä­ tigt sieht sich dieses Ergebnis in der erweiterten Fassung von Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL, die im Vergleich zu Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 RL 77/388/ EWG zusätzliche Tatbestände auch ohne spezifischen Zuschnitt auf öf­ fentliche Einrichtungen aufgenommen hat. Dessen unbeschadet unterwirft Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL beide Rege­ lungsansätze einer abweichenden Folgebetrachtung. Nach dem Wortlaut wird klar indiziert, dass die öffentliche Gewaltausübung dem allgemei­ nen Wettbewerbsvorbehalt gemäß Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL unterstellt ist, wonach die Steuerbarkeit im Falle größerer Wettbewerbs­ verzerrungen zwingend angeordnet wird4. Hierzu bietet die Regelung in Art. 13 Abs. 1 UAbs. 3 MwStSystRL eine Konkretisierung mit gleicher 1 FG Baden-Württemberg EFG 1992, 632; allg. für die Vereinbarkeit des § 4 UStG 1980 mit Art. 13 RL 77/388/EWG Rau, UStG 1980, S. 134. 2 Diese Wertung findet auch in § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG ihren Ausdruck, vgl. Hüttemann, UR 2017, 129 (134). Siehe auch Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 226. 3 EuGH, Rs. C-274/95, Marktgemeinde Welden, Slg. 1997, I-779 Rn 20. 4 Der deutsche Gesetzgeber unterstellt solche ab einer Umsatzgrenze von 17.500 EUR jährlich, vgl. dazu Hüttemann, UR 2017, 129 (133 f). Siehe zum Merkmal größerer Wettbewerbsverzerrungen auch Dziadkowski, UR 2017, 416 ff.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Rechtsfolge für explizit in Anhang I aufgeführte Aktivitäten, deren Aus­ übung der Unionsgesetzgeber bei nicht unbedeutendem Umfange jeden­ falls als Quell inakzeptabler Verzerrungen generalisiert1. Weniger deut­ lich fällt die Bewertung bezüglich einer bloßen Fiktion aus, der nunmehr mit Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL ein eigenständiger Absatz gewidmet ist. Nach der systematischen Stellung im Normaufbau scheint sich der Wettbewerbsvorbehalt in UAbs. 2 und 3 lediglich auf den vorausgehen­ den UAbs. 1 zu beziehen, beanspruchte also keine zwingende Geltung für den nachfolgenden Abs. 2. In seiner grundlegenden Entscheidung „Marktgemeinde Welden“ deutete der EuGH dennoch eine abweichen­ de Sicht der Dinge an, wonach nationale Gerichte die Behandlung öffent­ licher Einrichtungen als Nichtsteuerpflichtige gemäß Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL (Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 RL 77/388/EWG) gegebenenfalls da­ raufhin zu überprüfen haben, ob auch die Einschränkung aus Abs. 1 UAbs. 2 (Abs. 5 UAbs. 2) gewahrt ist2. Erneut wurde diese Auffassung in Sachen „Câmara Municipal do Porto“ bestätigt3. Der Gerichtshof be­ sinnt sich dabei auf das differenzierte System zur Besteuerung der öffent­ lichen Hand als originärem Ansatz: Die „Befreiung“ nach Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 MwStSystRL darf auf sonst freigestellte Tätigkeiten iSv Abs. 2 übertragen werden, angesichts dieser Gleichstellung beanspruchen dann aber auch die identischen Steuerausschlussgrenzen Geltung. Obwohl durch den EuGH nicht nachdrücklich in Bezug genommen, ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Folgerung nicht auch gleichermaßen für den in UAbs. 3 normierten Unterfall des allgemeinen Wettbewerbsvorbehalts gelten sollte4. Beziehen somit beide Klauselvorbehalte den Steueraus­ schluss der öffentlichen Hand umfassend ein, ist fraglich, welche Bedeu­ tung in diesem Komplex gerade die Fiktionsberechtigung entfaltet und wo die Grenzen einer zulässigen Gestaltung im Verhältnis zu verbindli­ chen Freistellungsregeln auf nationaler Ebene verlaufen. a) Steuerpflichtvorbehalt versus Befreiungszwang Der deutsche Gesetzgeber hat auf eine mögliche Steuerbarkeit hoheit­ lich verwalteter Postumsätze gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 RL 77/388/ EWG keine weiterführenden Gedanken verwendet wohlweislich der Tat­ sache, dass dieser Sektor zum damaligen Zeitpunkt noch nicht den un­ eingeschränkten Gesetzmäßigkeiten eines freien Marktes unterworfen war. In den EWG-Mitgliedstaaten wurde die Postversorgung hoheitlich 1 Vgl. auch GA Kokott, Rs. C-369/04, Hutchison 3 G u.a., Slg. 2007, I-5249 Rn 78; dies., Rs. C‑284/04, T-Mobile Austria u.a., Slg. 2007, I-5191 Rn 81; Wiesch, Behand­ lung der öffentlichen Hand, 2016, S. 97. 2 EuGH Rs. C-247/95, Marktgemeinde Welden, Slg. 1997, I-779 Rn 21. 3 EuGH, Rs. C-446/98, Câmara Municipal do Porto, Slg. 2000, I-11435 Rn 43. 4 So auch de la Feria, Intertax 2009, 148 (154).

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B.  Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen

bewerkstelligt und durch weitreichende Monopolrechte flankiert. Im Zuge der späteren Postprivatisierung löste sich ein möglicher Konflikt der Nicht-Besteuerung zum Befreiungsregime derweil auf, sobald Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG wegen einer nunmehr unterneh­ merisch ausgeübten Betätigung zwingend umgesetzt wurde. Für das ­Umsatzsteuersystem sind die Grenzen einer möglichen Substitution al­ lerdings nach wie vor von Brisanz, da das Aufgabenverständnis der öf­ fentlichen Hand aus mitgliedstaatlicher Sicht bisweilen gerade im Be­ reich der Befriedigung adäquater Gemeinwohlinteressen stark variiert. Die eigentliche Bedeutung von Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL erschließt sich vor dem Hintergrund, dass zahlreiche Befreiungen, insbesondere diejenigen gemäß Art. 132 MwStSystRL, u.a. an die Eigenschaft des aus­ führenden Unternehmers anknüpfen. Werden öffentliche Einrichtungen nicht explizit adressiert, können die Mitgliedstaaten eine nicht katalogi­ sierte Exemtionswirkung de facto in der rechtlich abgewandelten Form eines Steuerbarkeitsausschlusses begründen1. In diesem Falle steht ein erweitertes Korrektiv gemäß Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL insofern nicht zu beanstanden, als die Extraktion betreffender Umsätze aus der Erhe­ bung im ursprünglichen Befreiungskonzept nicht angelegt ist. So gese­ hen kompensieren die Schutzklauseln die gesteigerte Gefahr möglicher Verzerrungseffekte in Anbetracht dessen, dass die Betätigungsmöglich­ keiten der öffentlichen Hand unbegrenzt sind. Lediglich formeller Natur ist die mitgliedstaatliche Auswahlmöglichkeit allerdings in Bezug auf Tatbestände, die zumindest auch öffentlich-recht­ liche Einrichtungen explizit adressieren. Über die Klauselvorbehalte zu­ gunsten der Steuerpflichtigkeit leitet sich gerade kein verdecktes Gestal­ tungspotenzial zwecks Umgehung unliebsamer Freistellungen ab, denn deren verbindlich vorgeschriebene Wirkung setzte sich in letzter Konse­ quenz durch, sollte die Fiktion iSv Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL tatsäch­ lich als wettbewerbsverzerrend an Abs. 1 scheitern und Umsätze der öf­ fentlichen Einrichtung deshalb automatisch als steuerbar, aber eben auch zwingend befreit gelten2. Allein diese Deutung harmoniert gegen­ über den ausdifferenzierten Wettbewerbsvorbehalten, mit denen das ge­ meinwohlspezifische Befreiungsregime seinerseits aufwartet. Dies be­ trifft zunächst Art. 133 UAbs. 1 lit. d) MwStSystRL, wonach die Gewähr bestimmter Befreiungen optional davon abhängig gemacht werden darf, dass keine Wettbewerbsverzerrungen zu mehrwertsteuerpflichtigen Un­ ternehmern eintreten. Öffentliche Einrichtungen werden hiervon aber ausdrücklich ausgenommen und sind damit befreiungstechnisch privile­ 1 Vgl. de la Feria, Intertax 2009, 148 (154). 2 Die in Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 MwStSystRL verwandte Terminologie der „Steuerpflicht“ darf daher nicht missverstanden werden, gemeint ist im Hinblick auf die Umsätze vielmehr deren Steuerbarkeit.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

giert. Weiterhin führen vereinzelte Tatbestände eine gesonderte Schutz­ klausel auf, wie sie in Art. 132 Abs. 1 lit. f) und l) MwStSystRL begegnen. Diese befreiungsrechtlich ausdifferenzierte Systematik darf nicht unter Rückgriff auf das für die öffentliche Hand konzipierte Korrektiv ausge­ höhlt werden. b) Spezieller Wettbewerbsvorbehalt, Art. 13 Abs. 1 UAbs. 3 ­MwStSystRL Anlässlich der Einstufung der DBP als nicht steuerbare Einrichtung des öffentlichen Rechts setzte sich der deutsche Gesetzgeber auch nicht wei­ ter mit dem qualifizierten Wettbewerbsvorbehalt gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 3 RL 77/388/EWG (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 3 MwStSystRL) auseinan­ der. Dies wäre insofern angezeigt gewesen, als Anhang D Nr. 3 RL 77/388/ EWG (Anhang I Nr. 3 MwStSystRL) die Güterbeförderung als Tätigkeit aufführt, deren nicht unbedeutender Umfang zwingend das Verdikt der Steuerbarkeit nach sich zieht1. Postdienste sind zumindest im Segment der Paketbe­förderung auf bewegliche Sachen als Güter im weitgefassten Sinne bezogen. Eine wettbewerbsschützende Ausrichtung im Interesse von Spediteuren, Kurieren oder auch Eisenbahnen bezüglich Kleingütern hätte durchaus angezeigt sein können, insbesondere da ein nicht uner­ heblicher Umfang im Falle einer flächendeckend wahrgenommenen Grundversorgung stets gegeben ist. Eine genaue Definition der einzelnen Tätigkeitskategorien in Anhang I hält die Richtlinie nicht bereit. Bislang äußerte sich der EuGH zu dieser Thematik sporadisch, indes geht aus seiner Rechtsprechung klar hervor, dass die Interpretation nicht isoliert auf den Wortlaut, sondern ebenso auf Sinn und Zweck wie auch die his­ torische Entwicklung abstellen muss2. Eine mögliche Lösung bestünde folglich darin, Postdienste als eine historisch überkommene Leistungs­ kategorie von besonderer Charakteristik zu begreifen, so dass dieser spe­ zielle Unterfall aus dem Kreis steuerpflichtauslösender Güterbeförde­ rungen zu eliminieren ist. Aus heutiger Sicht zeigt dieser Umstand allerdings kaum mehr Relevanz auf. Die Mitgliedstaaten können öffent­ liche Posteinrichtungen zwar weiterhin als öffentlich-rechtlich verfasste Einrichtungen betreiben3, jedenfalls aber wird im Kontext der für Kon­ kurrenzanbieter vollkommen geöffneten Postmärkte die Steuerbarkeit mit anschließender Befreiung gemäß der Wertung des Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL zwingende Folge sein. 1 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt die Argumentation der beklagten Finanzverwaltung im Verfahren vor dem FG Düsseldorf, Urteil v. 15.11.1995 – 5 K 5395/92 U – juris. 2 Grundlegend EuGH, Rs. C-442/05, Zweckverband Torgau-Westelbien, Slg. 2008, I‑1817 Rn 30. 3 Vgl. EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655 Rn 16; siehe hierzu nachfolgend IV.

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B.  Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen

II. Historische Entwicklung Der am 29.06.1973 erstmals dem Rat zugeleitete Kommissionsentwurf zur Vorbereitung der RL 77/388/EWG beinhaltete ursprünglich in Art. 14 Teil A Abs. 1 lit. a) die umsatzsteuerliche Befreiung von Leistungen und dazu gehörenden Lieferungen im öffentlichen Post- und Fernmeldever­ kehr mit Ausnahme der Personenbeförderung1. Die Kritik des Europäi­ schen Parlaments an dieser Regelung führte dazu, dass die Kommission in ihrem zweiten am 12.08.1974 unterbreitetem Entwurf die Ausnahme zusätzlich auf den Fernmeldeverkehr erstreckte2. Telekommunikations­ dienstleistungen sollten gemäß der angenommenen Empfehlung des par­ lamentarischen Haushaltsausschusses der Umsatzsteuer unterfallen, um wegen der hohen Investitionsvolumina für die Errichtung einer zukunfts­ fähigen Infrastruktur das Recht zum Vorsteuerabzug zu ermöglichen3. Obwohl der Wirtschafts- und Sozialausschuss sogar für die völlige Strei­ chung einer Postdienstexemtion plädierte4, pochte das Europäische Par­ lament aus „praktischen Gründen“ auf die verbindliche Fixierung5. Der genaue Bedeutungsgehalt dieser Wendung fand zwar keine nähere Erläu­ terung, dennoch lassen sich für die verbindliche Vorgabe zur Postdienst­ befreiung zwei wesentliche Motive ausmachen. 1. Entlastung der Leistungsempfänger Übereinstimmend mit der u.a. in Deutschland traditionell vertretenen Sichtweise stufte der Gemeinschaftsgesetzgeber die postalische Versor­ gung als gemeinnützig ein. Diese Folgerung ergibt sich zweifellos aus der systematischen Stellung des Befreiungstatbestandes in Art. 13 Teil A RL 77/388/EWG. Durch die Umsatzsteuerbefreiung sollte eine Ver­ teuerung der Entgelte im Interesse nicht vorsteuerabzugsberechtigter Verbraucher verhindert und der erschwingliche Zugang zu diesem Leis­ tungsbereich gewährleistet werden. Diese sozialpolitisch inspirierte Vorgabe stimmte im Wesent­lichen mit der umsatzsteuerlichen Belas­ tungswirklichkeit innerhalb der EWG überein, da die weit überwiegende Zahl der Mitgliedstaaten den Postsektor keiner Verbrauchbesteuerung aussetzte6. Postdienste wurden als Teil der staatlich finanzierten Leis­ 1 ABl EG Nr. C 80 v. 05.10.1973, S. 8. 2 ABl EG Nr. C 121 v. 11.10.1974, S. 37; ABl EG Nr. C 40 v. 08.04.1974, S. 43. 3 Vgl. dazu Jacobs, UR 2009, 825 (826); Terra/Kajus, 6th VAT Directive, Vol. A, 1991, S. 582 f. 4 ABl EG Nr. C 139 v. 12.11.1974, S. 19. 5 Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 360/73, S. 52 f, zit. nach Jacobs, UR 2009, 825 (826); Terra/Kajus, 6th VAT Directive, Vol. A, 1991, S. 582 f. 6 KOM (73) 950 v. 20.06.1973, S. 15; BReg, BR-Drucks. 493/73 v. 19.07.1973, S. 43; die OECD zählt die Befreiung für Postdienste nach wie vor zu den Standardregelungen ihrer Mitglieder, vgl. OECD, Consumption Tax Trends, 2014, S. 47.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

tungsversorgung im öffentlichen Interesse gewertet, überdies herrschten zum damaligen Zeitpunkt ohnehin monopolistische Zustände ohne schüt­ zenswerten Wettbewerb1. 2. Organisatorische Neutralität Nicht zuletzt verwirklicht die Postdienstleistungsbefreiung eine praxis­ relevante Abgrenzungsfunktion. Durch die verbindliche Vorgabe in Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG wurde sichergestellt, dass seither der elementare Postverkehr einer identischen Belastungswirkung unterwor­ fen ist ungeachtet dessen, welche beliebige Organisationsform für die Grundversorgung auf nationaler Ebene präferiert sein mag2. Als unerheb­ lich erweist sich, ob die Versorgung durch eine nichtunternehmerische Einrichtung des öffentlichen Rechts oder aber in steuerbarer Privat­ rechtsform erfolgt3, denn jeweils entsteht weder eine Steuerschuld noch die Befugnis zum Vorsteuerabzug. Die verbindliche Befreiung wahrt so­ mit nachgelagert zur Steuerbarkeit eine übergeordnete Entlastungsfunk­ tion, die formal von der postordnungsrechtlich fundierten Grundausrich­ tung als Ausdruck einer vor allem politischen Entscheidung getrennt wird4. Treffend erkannte bereits Popitz, dass die Post nach ihrer histori­ schen Entwicklung stets zwischen hoheitlicher Verwaltung und Erwerbs­ unternehmung gestanden habe5. Diese umsatzsteuersystematisch gepflegte Zurückhaltung reicht über die bloße Kategorie eines kompromisshaften Zugeständnisses hinaus. Sie ist vielmehr mit primärrechtlicher Verbindlichkeit ausgestattet, weil die systematische Trennung unterschiedlicher Regelungsfelder gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung stets auch eine kompeten­ zielle Dimension berührt. Eine Harmonisierung des Postsektors zur Fort­ entwicklung des Binnenmarktes erfolgte auf europäischer Ebene erstmals durch die Postrichtlinie6, die am 15.12.1997 und somit gut 20 Jahre spä­ ter als die RL 77/388/EWG verabschiedet wurde. Die Postrichtlinie stützte sich zudem auf die Ermächtigungsgrundlage aus Art. 57 Abs. 2, Art. 66 und Art. 100a EGV, während die Umsatzsteuerharmonisierung auf den speziellen Kompetenztiteln gemäß Art. 99, 100 EWGV (Art. 93 1 So rückblickend KOM IP/03/633 v. 06.05.2002. 2 Vgl. Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 297; Tait, Value Added Tax, 1988, S. 69. 3 Typischerweise wurde der Postverkehr in den EG-Mitgliedstaaten staatlich betrie­ ben, vgl. Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/K/K/L, PostR, 2014, Kap. C Rn 1 f. 4 Siehe auch Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (255); Korf, in: Hartmann/Met­ zenmacher, UStG, Lfg. 8/07, § 4 Nr. 11b Rn 14. 5 Popitz/Kloß/Grabower, UStG, 3. Aufl., § 3 Nr. 1 III. 6 RL 97/67/EG über die gemeinsamen Vorschriften für die Entwicklung des Binnen­ marktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequali­ tät, ABl EG Nr. L 15 v. 21.01.1998, S. 14.

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B.  Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen

EGV) beruhte. Hätte der damalige Gemeinschaftsgesetzgeber mit Ein­ führung der Postdienstbefreiung eine wesentliche Einflussnahme auf die versorgungstechnische Gestaltung erstrebt, hätte es einer zusätzlichen sachlich einschlägigen Kompetenzgrundlage bedurft. Überdies korreliert die verbindlich respektierte Organisa­tions­gestaltung zur vertraglichen Neutralitätsgarantie, welche die nationale Eigentums­ordnung gemäß Art. 346 AEUV (Art. 256 EGV) genießt. Diese bewirkt einen effekti­ ven Bestandschutz zugunsten öffentlicher Unternehmen, wodurch die ordnungsrechtlichen Einflüsse des Europarechts auf den Postsektor wie­ derum limitiert sind.

III. Objektiv-subjektive Tatbestandsstruktur Nach Maßgabe von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL (Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG) müssen die Mitgliedstaaten durch öffent­ liche Posteinrichtungen erbrachte Leistungen und die dazugehörenden Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme der Personenbeförderung und des Fernmeldewesens von der Umsatzsteuer freistellen. Ausgehend von diesem Wortlaut, setzt sich der Tatbestand aus einem objektiven und einem subjektiven Element zusammen. 1. Kernbereich der Postdienste Objektiv verweist Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zunächst indiffe­ rent auf Lei­­­s­tung­en und Lieferungen als die nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 1 lit. a) und c) MwStSystRL allgemein der Umsatzbesteuerung un­ terworfenen Sachverhalte. Die gegenständliche Zuordnung der freizu­ stellenden Umsätze zum Postwesen ermöglicht allein die Bezugnahme auf das unternehmerische Merkmal der Posteinrichtung. Eine weitere inhalt­liche Konturierung erfährt die Befreiungsvorschrift in sachlicher Hinsicht hingegen nur durch zwei weitere Kriterien. Der Steuerpflicht unterworfen bleibt zunächst die Personenbeförderung wie auch das Fernmeldewesen. Auf diese Weise wird die tatbestandliche Reichweite in qualitativer Hinsicht abgesteckt, indem nur Umsätze als Bestandteile eines enger verstandenen Postverkehrs befreit sind1. Eine in diesem Zusammenhang für die Richtlinie unverbindliche, aber dennoch zur Umschreibung des postalischen Kernbetriebs praktikable Definition lieferte die Bundesregierung zum grundgesetzlich verwandten Begriff „Postwesen“ anlässlich ihrer amtlichen Entwurfsbegründung zur Ände­ rung des Grundgesetzes2. Danach zeichnet sich das Postwesen durch die adressierte Beförder­ung von Nachrichten und Kleingütern in einem stan­ 1 Vgl. Klenk, in: Sölch/Ringleb, UStG, 77. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 12. 2 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 30.08.1994, BGBl. I 1994, 2245.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

dardisierten und auf massenhaften Verkehr angelegten Transportnetz zu festgelegten Gewichtsgrenzen und Tarifen aus1. In Anlehnung an diese Definition ist auch Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auf die Exemtion der gegenständlichen Beförderung von Poststücken wie u.a. adressierte Briefe, Pakete oder Zeitschriften gerichtet2. Zum Zweiten bewirkt das Merkmal der Dazugehörigkeit für Lieferungen eine finale Verknüpfung mit den sonstigen Leistungen. Klargestellt wird somit, dass sich die Freistellung insoweit nur auf die Verschaffung der Verfügungsgewalt an solchen Gegenständen erstreckt, die unmittelbar für die übergeordnete Beförderung benötigt werden3. 2. Subjektive Konturierung Richtet sich die Betrachtung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL iso­ liert auf dessen objektiv normierte Elemente, so tritt deutlich hervor, dass diese eine positive Präzisierung des zu befreienden Leistungsum­ fangs nicht ermöglichen. Für weitergehende Kontur sorgt daher allein das Merkmal der öffentlichen Posteinrichtung, bei dem es sich um eine subjektive Anforderung an den ausführenden Unternehmer handelt. We­ gen des besonderen Zusatzes „öffentlich“ genügt es für die Befreiungs­ wirkung nicht, dass ein Unternehmer überhaupt postalische Beförde­ rungsleistungen erbringt und damit als Posteinrichtung im abstrakten Wortsinne qualifiziert werden könnte. Welche besonderen Anforderungen sich aus diesem Merkmal im Rah­ men einer Gesamtbetrachtung ergeben, ist dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL jedoch nicht unmittelbar zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund provozierte die für das richtige Verständnis und eine korrekte Umsetzung elementare Interpretation erheb­liche Unsicherheit, insbesondere nachdem einzelne Mitgliedstaaten sich für eine Öffnung ihrer Postmärkte entschlossen hatten. Eine Befassung des EuGH mit die­ ser Thematik war daher auf lange Sicht unumgänglich.

1 Vgl. BT-Drucks. 12/7269 v. 14.04.1994, S. 4; ähnlich Lembke, in: Weimann/Lang, USt, 3. Aufl., § 4 Nr. 11b 2.3. 2 Nach § 4 Nr. 1 Postgesetz v. 22.12.1997, BGBl. I 1997, S. 3294 unterfielen dem Be­ griff der Postdienstleistungen etwa die Beförderung von Briefsendungen und adres­ sierten Paketen bis 20 kg, ferner die Beförderung von Büchern, Katalogen, Zeitungen und Zeitschriften. 3 Z.B. Verpackungsmaterial und Briefmarken, nicht aber Schreibwaren oder Büroarti­ kel, die bisweilen in Postfilialen zum Kauf angeboten werden.

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B.  Die Richtlinienvorgabe zur Befreiung von ­Post­dienstleistungen

IV. Derogation des subjektiven Befreiungsmerkmals – ein ge­scheiterter Versuch Erstmals Gelegenheit, sich mit dem Bedeutungsinhalt des subjektiven Tatbestandsmerkmals der öffentlichen Posteinrichtung zu befassen, er­ hielt der EuGH im Verfahren „Kommission/Deutschland“1. Die Kom­ mission hatte gegen Deutschland mit der Begründung geklagt, die in § 4 Nr. 7 lit. a) UStG 1980 geregelte Befreiung der auf Gesetz beruhenden Beförderungsleistungen selbstständiger Unternehmer für die DBP sei mit der Richtlinie unvereinbar: Befreit werden dürfen nach dem klaren Wort­ laut von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG eben nur solche Umsätze, die von, aber nicht für eine öffentliche Posteinrichtung er­ bracht werden2. Die Bundesregierung wandte sich gegen diese rein am Wortlaut orientier­ te Auslegung und führte hierzu drei Argumente an. Sinn und Zweck der Befreiung bestehe darin, die Kosten für Postdienstleistungen im Interesse der Allgemeinheit niedrig zu halten. Dieser Zielvorgabe zufolge seien auch die für eine Posteinrichtung ausgeführten und in die Kalkulation einfließenden Vorleistungen freizustellen. Ein systematischer Vergleich zu anderen Befreiungstatbeständen ergebe ferner, dass diese primär an der mit der jeweiligen Tätigkeit verbundenen Zielrichtung ausgerichtet seien; ein entsprechendes Verständnis habe auch für die Postdienstexem­ tion zu gelten. Schließlich verfehle diese einen eigenständigen Anwen­ dungsbereich, da nur Einrichtungen des öffentlichen Rechts als nicht steuerpflichtig angesehen werden könnten. In diesem Zusammenhang biete die RL 77/388 EWG keine legitime Grundlage, um die nationale Organisationsfreiheit im Postwesen zu beschränken. Aus der Argumen­ tationsweise kristallisierte sich die klare Bestrebung heraus, das subjek­ tive Einrichtungsmerkmal im Wege einer materiellen Betrachtungsweise zu überlagern. Für die erweiterte Befreiungswirkung wäre demnach be­ reits ein mittelbarer Bezug von Transportdienstleistungen zum Postwe­ sen ausreichend gewesen. Der EuGH erteilte dieser verobjektivierenden Interpretation eine deutli­ che Absage und hielt an dessen einrichtungsbezogener Struktur fest. Im Einklang mit der Kommission stellte er im Ausgangspunkt auf den kla­ ren Wortlaut von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG ab3. Für eine über diesen Wortlaut hinausgehende Auslegung erkannte der EuGH 1 EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655. 2 Betroffen war die verbindliche Beförderung durch Deutsche Bahn und Lufthansa AG für die DBP. 3 EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655 Rn 11 f; zust. unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Sprachfassungen Lohse/Peltner, 6. MwSt‑­ Richtlinie, 2. Aufl., Einf. VI S. 4; vgl. ferner Borgsmidt, UR 1999, 1 (4).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

zudem keine zwingenden Gesichtspunkte. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 RL 77/388/EWG seien zwar abschließend ausgewählte Tätigkeiten auf­ grund der mit ihnen verfolgten Zweckrichtung gegenständlich befreit, indes werde dabei in zahlreichen Tatbeständen auf spezifische Eigen­ schaften der Wirtschaftsteilnehmer rekurriert1. Insoweit betonte der EuGH zu Recht, dass subjektive Anforderungen keinen Fremdkörper in­ nerhalb der Befreiungssystematik bilden. Von ungemein größerer Relevanz sind jedoch die in der Entscheidung gemachten Ausführungen zur inhaltlichen Tragweite des Merkmals der öffentlichen Posteinrichtung. Nach Ansicht des EuGH unterfallen nicht nur Einrichtungen des öffentlichen Rechts diesem Begriff, sondern eben­ so private (konzessionierte) Unternehmer2. Folglich ist die jeweilige Or­ ganisationsform des Postanbieters für die Anwendbarkeit und Umset­ zungspflicht der Richtlinienvorgabe ohne Belang. Gestützt auf diese Feststellung, konnte der Gerichtshof die deutsche Argumentation inso­ weit leicht entkräften, als Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG richtigerweise keinerlei Auswirkungen auf die postalische Organisa­ tionshoheit der Mitgliedstaaten entfaltet. Der EuGH erkannte daher ­bereits frühzeitig die befreiungsrechtlich angelegte Neutralität der Um­ satzsteuer gegenüber der bereichsfremden Grundversorgungsstruktur ausdrücklich an3, weshalb sich sein Urteil nahtlos in die entstehungsge­ schichtliche Entwicklung der Freistellung für Postdienstleistungen auf europäischer Ebene einfügt. Anders als die Bundesregierung betonte der EuGH trotz des nach Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 RL 77/388/EWG zulässigen Steuerbarkeitsausschlusses auch einen eigenständigen Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift, da nicht sämtliche auf eine öffentlich-rechtliche Einrichtung übertrage­ nen Posttätigkeiten als Ausübung hoheitlicher Gewalt qualifiziert wer­ den könnten4. Von welchem Verständnis der EuGH bezüglich dieses Merkmals ausging, präzisierte er nicht. In der Rs. 235/85 nahm er jedoch zwei Jahre später im Zusammenhang mit der Steuerpflicht von Notaren und Gerichtsvollziehern ausdrücklich Bezug auf das Urteil „Kommissi­ on/Deutschland“ und führte aus, dass nur solche Tätigkeiten von der Umsatzsteuer ausgenommen sein dürfen, welche die Wahrnehmung ei­ 1 EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655 Rn 13; siehe auch Borgsmidt, UR 1999, 1 (7 ff). 2 EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655 Rn 16; ausf. zu dem unterschiedlichen Begriffsverständnis Korf, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 8/07, § 4 Nr. 11b Rn 11 ff. 3 So auch Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (255); Jacobs, UR 2009, 825 (826). Zu dieser Schlussfolgerung gelangt auch GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I‑3025 Rn 37 ff. 4 EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655 Rn 15; von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 95.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

ner spezifischen Aufgabe im Rahmen öffentlicher Gewalt beinhalten1. In Kenntnis der dem Jahr 1989 entstammenden Entscheidung „Piacenca“2, durch welche das Merkmal der äußeren Handlungsmodalität als aus­ schlaggebendes Kriterium für die Ausübung öffentlicher Gewalt einge­ führt wurde, stiftet dieser Begründungsansatz jedoch eine gewisse Ver­ wirrung3. Über die Handlungsform können die Mitgliedstaaten praktisch jede Tätigkeit materiell als Ausübung öffentlicher Gewalt gestalten. Dank der Möglichkeit öffentlich-rechtlicher Vertragsabschlüsse besteht dabei nicht einmal die zwingende Festlegung auf ein obrigkeitliches Ver­ hältnis zu den Kunden4. Richtigerweise wird man dem EuGH daher ­einen Hinweis auf den Wettbewerbsvorbehalt in Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 RL 77/388/EWG attestieren müssen. Sollte dieser die Steuerbarkeit aus­ lösen, greift hilfsweise jedenfalls die zwingende Befreiung mit entspre­ chender Reservewirkung ein.

C. Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung Die Notwendigkeit zu einer Neuauflage des Befreiungstatbestands ergab sich für das deutsche Umsatzsteuerrecht erstmals seit dem 01.01.1977 aus einer tiefgreifenden Veränderung der postorganisationsrechtlichen Rahmenbedingungen. Kennzeichnend für diese im Folgenden darzustel­ lende Entwicklung ist eine bis heute fortwirkende Verknüpfung zwi­ schen der befreiungsrechtlichen Umsatzsteuermaterie und der sonst fachfremden Postregulierung. Die in der EuGH-Rechtsprechung mittler­ weile ausdrücklich bestätigten Berührungspunkte bilden eine zwingend beachtliche Leitlinie für die Interpretation von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL.

I. Neustrukturierung und richtlinienwidrige Nichtumsetzung (Postreform I) Eine grundlegende Neuorganisation erfuhr das deutsche Postwesen zum 01.07.1989 durch die Poststrukturreform5. Durch sie wurde die DBP nach Maßgabe von § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Satz 2 Postverfassungsgesetz (PostVG) in die drei selbstständigen Teilsondervermö­gen Deutsche Bun­ despost POSTBANK, Deutsche Bundespost TELEKOM und Deutsche 1 EuGH, Rs. 235/85, Kommission/Königreich Niederlande, Slg. 1987, 1471 Rn 21. 2 EuGH, Rs. 231/87, 129/88, Piacenca, Slg. 1989, 3233. 3 So auch Korf, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 8/07, § 4 Nr. 11b Rn 15. 4 RGZ 158, 83 (93). 5 Poststrukturgesetz v. 08.06.1989, BGBl. I 1989, S. 1026; ausf. dazu Etling, Privatisie­ rung und Liberalisierung, 2015, S. 60 ff.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Bundespost POSTDIENST aufgegliedert. Zudem sollte eine grundsätzli­ che Trennung zwischen betrieblichen und hoheitlichen Aufgabenberei­ chen erreicht werden. In umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht von besonde­ rer Bedeutung war die Überführung der postalischen Handlungsmodalitäten von einer zuvor öffentlich-rechtlich ausgestalteten Leistungsbeziehung in zivilrechtliche Vertragsverhältnisse durch den neu gefassten § 7 Satz 1 PostG (Art. 2 § 7 PostStruktG)1. Mit Ausnahme des gemäß § 7 Satz 2 PostG weiterhin dem Hoheitsrecht unterworfenen Postauftragsdienstes waren fortan die übrigen Leistungen der DBP POSTDIENST im Briefund Paketbereich als gewerbliche Tätigkeiten anzusehen. Aus der zum 01.01.1993 in § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG 1980 abschließend geregelten Fiktion eines Unternehmerstatus der DBP TELEKOM konnte allenfalls mittelbar auf die Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, die sons­ tigen Tätigkeitsfelder der DBP einschließlich des Postverkehrs nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Jedoch genügten weder diese gesetzliche Systematik noch die verwaltungsmäßig weiterhin geübte Praxis der Nichtbesteuerung der DBP POSTDIENST dem Erfordernis einer aus­ drücklichen Regelung für die richtlinienkonforme Ausübung des Fik­ tionsrechts gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 4 RL 77/388/EWG2. Da die auf privatrechtliche Leistungsbeziehungen umgestellten Hand­ lungsmodalitäten der DBP POSTDIENST deren umsatzsteuerliche Un­ ternehmereigenschaft begründeten, hätte es nunmehr folgerichtig einer Umsetzung von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG bedurft3. Priorität maß der Gesetzgeber einer Anpassung dieses richtlinienwidri­ gen Zustands allerdings nicht bei. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass in der Folge die bereits zum 01.01.1995 vollzogene Privatisierung der DBP mit anschließender Neuregelung der Befreiung den zur Unter­ nehmereigenschaft der DBP POSTDIENST iSv § 2 Abs. 3 UStG 1980 richtungweisenden BFH-Beschluss vom 31.05.1994 überholt hat. Von größerer Bedeutung war indes sicherlich die Tatsache, dass die fortgesetz­ te Nichtbesteuerung grundlegender Postumsätze de facto eine Freistel­ lung bewirkte4. Entsprechend war eine Wiederaufrollung der Altfälle für die zurückliegenden Jahre vor dem 01.01.1995 aus Sicht der Verwaltung allein wegen des formaljuristisch fehlerhaften Begründungsansatzes nicht opportun.

1 Müssig, NJW 1991, 472. 2 Vgl. Sorgenfrei, DStR 1993, 1893 (1897); krit. Huschens, in: Schwarz/Wid­ mann/ Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 24. 3 BFH UR 1995, 393 (394 f); FG Düsseldorf, EFG 1996, 1127; 1993, 749; Andres, NWB Fach 7 (1998), 4979 f; Sorgenfrei, DStR 1993, 1893 (1896 f); auf die Trennung hoheit­ licher und betrieblicher Postaufgaben abstellend Wagner, in: DStJG 13 (1990), 59 (69). 4 Widmann, DB 1994, 2104 (2106).

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

II. Postprivatisierung (Postreform II) Die Vorarbeiten zur Postreform II setzten bereits im Jahre 1992 ein. Die vorausgegang­ene Poststrukturreform hatte sich schon sehr bald als un­ zureichend erwiesen, um die DBP im internationalen Wettbewerb zu stärken und deren Finanzierungsprobleme zu beheben1. Das Postneuord­ nungsgesetz (PTNeuOG)2 unterzog das deutsche Postwesen einer privat­ wirtschaftlichen Ausrichtung3. Nach Maßgabe von § 1 Postumwand­ lungsgesetz (Art. 3 PTNeuOG) wurde u.a. die DBP POSTDIENST in die Deutsche Post AG (DPAG) überführt. Dieser Privatisierungsschritt mar­ kierte eine umsatzsteuerrecht­liche Zäsur, da die seit Beginn des 20. Jahr­ hunderts wiederholt aufkeimende Unsicherheit bezüglich der Unter­ nehmereigenschaft der Deutschen Post nunmehr einer definitiven Entscheidung im Sinne der Steuerbarkeit zugeführt wurde. Konsequen­ terweise bekannte sich der Gesetzgeber zur verbindlichen Umsetzung von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG und führte mit § 4 Nr. 11b UStG erstmals seit 1977 wieder eine eigenständige Befreiungs­ vorschrift für unmittelbar durch die Post ausgeführte Leistungen ein (Art. 12 Abs. 44 Nr. 2 lit. b) PTNeuOG)4. 1. Übergang zum Gewährleistungsstaat und Postregulierung, Art. 87f GG Die für die Postreform II aus verfassungsrechtlicher Sicht erforderliche Weichenstellung bewirkte die 1994 realisierte Änderung des Grundge­ setzes, welche zur Aufnahme der das Post- und Telekommunikationswe­ sen neu konzipierenden Vorschriften der Art. 87f und Art. 143b GG führ­ te5. Der Organisationsgehalt der abgelösten Regelung des Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG a.F., wonach die Bundespost in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau zu führen war, hätte entsprechend der da­ mals herrschenden Lesart der angestrebten Privatisierung im Wege ge­ standen6. Vom Primat einer hoheitlichen Organisationsform abkehrend, wird für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG zwingend festgelegt, dass sie als privatwirtschaftliche Tätigkeit durch die aus dem Sondervermögen der DBP hervorgegangenen Unternehmen und andere Anbieter am Markt erbracht werden müssen. Mit dieser Vorgabe verbunden ist zugleich eine verbindliche Grundent­ 1 Vgl. dazu Etling, Privatisierung und Liberalisierung, 2015, S. 74 ff; Jarass, MMR 2009, 223 mwN; Gramlich, NJW 1994, 2785 f. 2 Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation v. 14.09.1994, BGBl. I 1994, 2325. 3 BRH, Die Postreform in Deutschland, 2009, S. 51. 4 Siehe auch Schlienkamp, UR 1994, 460 f. 5 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 30.08.1994, BGBl. I 1994, 2245. 6 Siehe Uerpmann-Wittzack, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl., Art. 87f Rn 1.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

scheidung für chancengleichen Wettbewerb innerhalb eines geöffneten Post- und Telekommunikationsmarktes1. Die Rückkehr zur verwal­ tungsmäßigen Erbringung, wie sie bis einschließlich 1994 noch für die hoheitlich eingegliederte DBP bestand, ist somit verfassungsrechtlich ungeachtet der nach außen praktizierten Handlungsform unzu­lässig2. Ein gewisses Spannungsverhältnis zum Prinzip der Privatwirtschaftlich­ keit erzeugt die nach Art. 87f Abs. 1 GG dem Staat auferlegte Verpflich­ tung, gesetzlich eine flächendeckende, ausreichende sowie angemessene Grundversorgung im Postwesen zu regulieren. Dieser staatliche Gewähr­ leistungsauftrag soll insbesondere durch das Kri­ terium der Flächen­ deckung verhindern, dass im Rahmen einer privatunterneh­mer­ischen Verrichtung daseinsvorsorgerelevanter Leistungen vornehmlich wirt­ schaftlich effiziente Ballungsräume zulasten strukturschwacher Regio­ nen bedient werden3. Gleichzeitig geben die Merkmale ausreichend und angemessen vor, dass eine sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht abgesicherte Grundversorgung bereitgestellt sein muss4. Die neu justierten Rahmenvorgaben für das Post- und Telekommunikations­ wesen gemäß Art. 87f GG statuieren den Übergang zum Gewährleis­ tungsstaat. Kennzeichnend hierfür ist der obrigkeitliche Rückzug aus der unmittelbaren Erfüllungsverantwortung, an deren Stelle ein Transfer auf private Anbieter unter regulativer Aufsicht tritt5. 2. Europarechtliche Implikationen und überschießende Privatisierung Die im Zuge des Postneuordnungsgesetzes verwirklichte Privatisierung beruhte zunächst auf der auch international zu verzeichnenden Bestre­ bung, wesentliche Leistungsbereiche zu entstaatlichen und auf eine ­effiziente Betriebsform im Wettbewerb zu überstellen6. Darüber hinaus war die Neuorganisation des Postwesens in den europarechtlichen Kon­ text der Marktöffnung für Post- und Telekommunikationsdienste einge­ bunden, aus dem sich seither richtungweisende Impulse für die Balance zwischen Liberalisierung und Regulierung ergeben. Mit einiger Ver­ zögerung gegenüber dem Telekommunikationssektor nahm ab 1992 auch die europarechtlich determinierte Marktöffnung im Postsektor ­ihren An­

1 Vgl. dazu ausf. Gersdorf, in: Mangoldt/Klein, GG, 6. Aufl., Art. 87f Rn 60 ff. 2 Scholz, Postmonopol und GG, 2001, S. 20; Jarass, MMR 2009, 223 f; Gramlich, NJW 1994, 2785 (2787 f). 3 Vgl. zur Unterbindung von „Rosinenpickerei“ Freund, NVwZ 2003, 408 (411). 4 Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 13. Aufl., Art. 87f Rn 14; Uerpmann-­ Wittzack, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl., Art. 87f Rn 9. 5 Dazu Möstl, in: FS Badura, 2004, S. 951 (952); Franzius, VerwArch 2008, 351 ff; Stern, DVBl. 1997, 309 (312 f). 6 Möschel, in: FS Gernhuber, 1993, S. 905.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

fang1. Der deutsche Gesetzgeber nahm parallel zu diesem Anstoß die Vorarbeiten zur Postreform II auf, so dass im Rahmen der nachfolgenden Grundgesetzänderung eine gewisse Antizipation der europarechtlich bereits grob konturierten Ordnungsvorstellung unverkennbar ist2. Dennoch bleibt zu berücksichtigen, dass die national beschlossene Privatisierung des gesamten Postwesens gemäß Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG erheblich über die europarechtlichen Anforderungen hinausreicht. Die angestrebte Weiterentwicklung des Binnenmarktes für den Bereich der Postdienste mündete am 15.12.1997 in den Erlass der Post­ richtlinie (PostRL)3, die eine strukturelle Identität mit dem grundgesetzlich in Art. 87f GG entworfenen Modell aufweist. Verbindlich setzte auf dieser sekundärrechtlichen Grundlage eine schrittweise und kontrollierte Liberalisierung der Postmärkte ein, indem zunächst gemäß Art. 7 PostRL exklusiv reservierte Dienstleistungen nur noch übergangsweise sowie in sachlich begrenztem Umfang gestattet wurden. Neben der sukzessiven Eindämmung der Monopole bestand die zweite wesentliche Zielsetzung darin, eine hochwertige Grundversorgung in konkreter Gestalt der Universaldienste abzusichern, Art. 3 ff PostRL. Zu diesem Zweck gibt die Postrichtlinie ein Rahmenkonzept vor, das aufgrund seiner Vorrangwirkung die Gestaltungsspielräume bei der Auswahl und Implementierung regulativer Instrumentarien eingrenzt und zugleich die praktische Bedeutung von Art. 87f GG empfindlich zurückdrängt4. Begrenzt wird diese postsektorale Einflusssphäre unterdessen durch die primärrechtlich gemäß Art. 346 AEUV gesicherte Neutralität gegenüber der nationalen Eigentumsordnung. Den Mitgliedstaaten wird angesichts dieser Garantie nicht verwehrt, öffentliche Unternehmen einzurichten oder zu unterhalten, sofern diese in Einklang mit Art. 106 AEUV keine prinzipielle Sonderstellung im Wettbewerb genießen5. Entsprechend zielt die Postrichtlinie nicht auf die privatisierte Organisation des Postwesens, sondern bezweckt primär die Aktivierung eines frei zugänglichen Marktes mit Wettbewerbsbedingungen6.

1 Vgl. Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste, KOM(91) 476; BRH, Die Postreform, 2009, S. 34. 2 Siehe zu den maßgeblichen Einflussfaktoren auch Drews, Ökonomie der Europäisierung, 2014, S. 25 ff, 129 ff; vgl. allg. zum Einfluss des Europarechts auch Werthmann, Staatliche Regulierung, 2004, S. 28. 3 RL 97/67/EG, ABl EG Nr. L 15 v. 21.01.1998, S. 14; zuletzt geändert durch RL 2008/6/EG v. 20.02.2008, ABl EG Nr. L 52 v. 28.02.2008. 4 Möstl, in: Maunz/Dürig, GG, 79. Lfg., Art. 87f Rn 20. 5 Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 7. Aufl., § 21 Rn 43. 6 Siehe auch Möstl, in: Maunz/Dürig, GG, 79. Lfg. Art. 87f Rn 20; Uerpmann-­ Wittzack, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl., Art. 87f Rn 2; Weiß, EuR 2003, 165 (172, 189 f).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Der öffentliche Unternehmensbegriff umspannt sowohl privatrechtlich verfasste Gesellschaftsformen, an denen die Mitgliedstaaten mit beherr­ schendem Einfluss beteiligt sind, als auch öffentlich-rechtlich organi­ sierte Regie- oder Eigenbetriebe einschließlich sonstiger Körperschaften1. Abweichend zur rein handlungsmodal definierten Steuerbarkeit der öf­ fentlichen Hand iSv Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL konstituiert sich das öffentliche Unternehmen im primärrechtlichen Kontext nach einer ma­ teriellen Betrachtungsweise. Ausschlaggebend ist nicht die äußere Hand­ lungsform, sondern die auf Angebot und Nachfrage gerichtete Betätigung am Markt2. Ausgenommen ist die Ausübung öffentlicher Gewalt nur, sofern die Nutzung hoheitlicher Befugnisse mit der Wahrnehmung origi­ närer Staatsbelange gekoppelt wird3. Führen beide Definitionsansätze insoweit zu übereinstimmenden Ergebnissen, als sich die materielle Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt regelmäßig in öffentlich-rechtli­ chen Bahnen vollzieht, zeigt gerade das Beispiel der am Markt gegen Entgelt erbrachten Postdienste die mögliche Diskrepanz auf. Eine ho­ heitlich verwaltete Posteinrichtung, wie sie die DBP noch bis zum 01.07.1989 darstellte, verrichtet unter Gebrauch öffentlich-rechtlicher Handlungsformen keine steuerbaren Umsätze, genießt aber sehr wohl den primärrechtlichen Bestandschutz gemäß Art. 346 AEUV. Im Hin­ blick auf die Umsatzsteuer bleibt somit festzustellen, dass eine hoheitli­ che Postorganisation auf nationaler Ebene durch den sekundärrechtlich gezogenen Ordnungsrahmen nicht untersagt wird4. Die im Befreiungsre­ gime gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a), Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL angelegte Neutralität gegenüber der mitgliedstaatlichen Organisationsmacht im Postsektor besitzt folglich auch unter dem modernen Einfluss der Marktöffnung noch eine primärrechtlich induzierte Daseinsberechti­ gung5. Ihre praktische Relevanz darf unterdessen in Anbetracht der ver­ stärkten – und in Deutschland sogar verfassungsrechtlich verbindlich verankerten – Privatisierungstendenzen auf nationaler Ebene nicht über­ schätzt werden.

III. Unmittelbar dem Postwesen dienende Umsätze, § 4 Nr. 11b UStG a.F. Der zum 01.01.1995 in Kraft getretene § 4 Nr. 11b UStG a.F. befreite von der Umsatzsteuer die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der DPAG. Der Gesetzgeber ging im Einklang mit der Entscheidung 1 Böhmann, Privatisierungsdruck des Europarechts, 2001, S. 46. 2 Siehe Weiß, EuR 2003, 165 (167 f). 3 Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002, S. 354 f; ders., EuR 2003, 165 (167 f). 4 So auch Möstl, in: Maunz/Dürig, GG, 79. Lfg., Art. 87f Rn 20; Gramlich, NJW 1994, 2785 (2786). 5 Siehe hierzu vorstehend B.II.2.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

„Kommission/Deutschland“ davon aus, die DPAG könne trotz privat­ rechtlicher Organisationsform weiterhin eine öffentliche Posteinrich­ tung sein. Er begründete diese Qualifizierung mit der Einbindung der DPAG in die Erfüllung öffentlicher Zielsetzungen, da sie weiterhin in wesentlichen Marktsegmenten ausschließliche Leistungen ausführte, infolge der flächendeckenden Grundversorgung besondere Infrastruktur­ lasten zu tragen habe und aufgrund des Allein- oder Mehrheitsbesitzes des Bundes besonderen staatlichen Vorgaben unterliege1. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Umsetzung bildete unterdessen die logische Kon­ sequenz aus der nunmehr eindeutig zu bejahenden Unternehmereigen­ schaft der DPAG als einer gewerblich tätigen Aktiengesellschaft2. Bei § 4 Nr. 11b UStG a.F. handelte es sich um eine subjektive Befreiung, erfasste sie doch ausschließlich die Umsätze der DPAG3. Eine gewisse Ähnlich­ keit bestand insoweit mit der Befreiung Blinder gemäß § 4 Nr. 19 lit. a) UStG, allerdings waren zwei wesentliche Unterschiede offensichtlich. Die subjektive Ausrichtung der Postdienstbefreiung wies eine erheblich engere Charakteristik auf, indem § 4 Nr. 11b UStG a.F. auf die Identität eines Unternehmers rekurrierte. Des Weiteren beinhaltete § 4 Nr. 11b UStG a.F. eine objektiv spezifizierte Einschränkung, indem nur die un­ mittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der DPAG befreit waren. Strukturell entsprach § 4 Nr. 11b UStG a.F. der Regelung in § 3 Nr. 1 UStG 1918; an die Stelle des vormals adressierten Reichs und der Länder trat nunmehr die DPAG als privater Träger. 1. Die Postregulierung als Leitlinie der Umsatzsteuerbefreiung Das objektive Tatbestandsmerkmal der unmittelbar dem Postwesen die­ nenden Umsätze gemäß § 4 Nr. 11b UStG a.F. warf zunächst Schwierig­ keiten in seiner Interpretation auf. Als eindeutig gesichert konnte nur gelten, dass sich die Befreiung entsprech­end Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG auf solche Dienste beschränkte, die als Kerngeschäft durch den Begriff des Postwesens im traditionellen Sinne umgrenzt wer­ den konnten4. Befreit war daher jedenfalls die massenhaft ausgerichtete Beförderung von adressierten Briefen und Paketen zu standardisierten Bedingungen, während etwa vor- und nachgelagerte Hilfsgeschäfte oder der Verkauf von Süß- und Schreibwaren in Postfilialen weiterhin der Umsatzsteuer unterlagen. Die ursprünglich bis 1989 der DBP einheitlich zugeordneten Tätigkeitsbereiche des Postbank- und Telekommunikati­ 1 BReg, BT-Drucks. 12/6718 v. 01.02.1994, S. 124. 2 Schlienkamp, UR 1994, 460. 3 Stadie, UStG, 1. Aufl., § 4 Nr. 11b Rn 3; Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 47; Lippross, USt, 21. Aufl., S. 453; Meyer, in: Offerhaus/ Söhn/Lange, USt, 296. Lfg., § 4 Nr. 11b a.F. Rn 3. 4 Siehe Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 48.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

onswesens wurden hingegen bereits im Rahmen der subjektiven Begren­ zung auf die Umsätze der DPAG aus dem Tatbestand ausgeschieden, da diese getrennt durch die Deu­tsche Postbank AG sowie die Deutsche Te­ lekom AG wahrgenommen werden. Eine präzise Konkretisierung wurde darüber hinaus erst möglich, nachdem zum 01.01.1998 das neu gefasste Postgesetz1 in Kraft getreten war. Es dient seither ausweislich § 1 PostG dem Zweck, mittels Regulierung den Wettbewerb zu fördern sowie flächen­deckend eine angemessene und ausreichende Dienstleistungsver­ sorgung im Allgemeininteresse zu gewährleisten. Im Rahmen dieser an Art. 87f GG orientierten Neuausrichtung erfolgte zeitgleich die Umset­ zung der Postrichtlinie vom 15.12.1997. Entsprech­end konnte auf Grund­ lage dieser miteinander verzahnten Regelwerke eine sachliche Eintei­ lung der in § 4 Nr. 1 PostG erläuterten Postdienstleistungen in drei Segmente vorgenommen werden2. a) Monopolleistungen und Lizenzbereich Das erste Leistungssegment markierte die Exklusivlizenz. Im Einklang mit der Rahmenvorgabe des Art. 7 PostRL a.F. sowie der Übergangsbestim­ mung in Art. 143b Abs. 2 GG räumte der Gesetzgeber der DPAG das aus­ schließliche Recht ein, Briefsendungen und adressierte Kataloge, deren Einzelgewicht weniger als 200 g und deren Einzelpreis bis zum Fünffachen des am 31.12.1997 geltenden Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse betrug, gewerbsmäßig zu befördern. Ursprüng­ lich sollte diese Exklusivberechtigung bis zum 31.12.2002 befristet sein. Sie wurde jedoch durch das Erste Gesetz zur Änderung des PostG vom 02.09.20013 endgültig bis zum 31.12.2007 verlängert, damit sich die DPAG dem freien Wettbewerb anpassen konnte. Vor dem Auslaufen der Exklusiv­ lizenz wurde ab dem 01.01.2003 der sachliche Umfang der Monopolleis­ tungen nach § 51 PostG im Wege des Dritten Gesetzes zur Änderung des PostG vom 16.08.20024 auf 100 g und das Dreifache des Einheitspreises bis zum 31.12.2005 sowie anschließend auf nur noch 50 g und das Zwei­ einhalbfache des Einheitspreises bis zum 31.12.2007 sukzessive redu­ ziert. Diese schrittweise Marktöffnung erfolgte parallel zu dem in der RL 2002/39/EG5 entworfenen Programm einer zeitlich gestaffelten Her­ absenkung der Gewichtsobergrenzen für den Exklusiv­lizenzbereich. 1 Postgesetz v. 22.12.1997, BGBl. I 1997, 3294, zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 106 des Gesetzes vom 07.08.2013, BGBl. I 2013, 3154. 2 Vgl. dazu Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 36 ff. 3 BGBl. I 2001, 2271. 4 BGBl. I 2002, 3218. 5 RL 2002/39/EG zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die weitere Liber­alisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft, ABl EG Nr. L 176 v. 05.07.2002, S. 21.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

Die in Art. 7 PostRL a.F. eingeräumte Option, einen sachlichen Ausschnitt bestimmter Postdienstleistungen vom Primat des Wettbewerbs auszu­ klammern, stand nach dem Wortlaut dieser Bestimmung in unmittelba­ rem Zusammenhang mit der Sicherstellung der Universaldienste und diente folglich einer ausgewogenen Finanzierungsstruktur im Interesse derjenigen Anbieter, die infolge einer flächendeckend erbrachten Grund­ versorgung besondere Infrastrukturlasten zu tragen hatten1. Auf nationa­ ler Ebene wurde indes die nach der Übergangsbestimmung des Art. 143b Abs. 2 GG verfassungsrechtlich legitimierte Exklusivlizenz ­ damit ge­ rechtfertigt, dass die DPAG infolge des ordnungsrechtlichen Strukturwan­ dels sowie sozialer Verbindlichkeiten etwa in Gestalt der ausstehenden Pensionszahlungen besonderen Belastungen unterworfen war2. Nachdem im Zuge der Dritten Postrichtlinie3 die Zulässigkeit r­ eservierbarer Dienst­ leistungen iSv Art. 7 Abs. 1 PostRL mit allgemeiner Wirkung ab dem 01.01.2009 sowie spätestens ab 01.01.2013 für die erst 2010 beigetretenen Mitgliedstaaten aufgehoben wurde, sind sämtliche Postmärkte innerhalb der EU aus heutiger Sicht für konkurrierende ­ Anbieter geöffnet4. Die zweite abgrenzbare Kategorie bilden auf der Grundlage von Art. 9 PostRL die allgemein zugänglichen lizenzpflich­tigen Leistungen gemäß § 5 PostG. Einer Erlaubnis bedarf nach § 5 Abs. 1 PostG vorbehaltlich Abs. 2 jeder Unternehmer, der Briefsendungen mit einem Einzelgewicht bis zu 1.000 g gewerbsmäßig für andere befördert. b) Universaldienstleistungen Zentrale Bedeutung im Gefüge der Postregulierung kommt schließlich dem Segment der Universaldienstleistungen zu (§§ 11 ff PostG, Art. 3 ff PostRL)5. Als klassisches Regulierungsinstrument bildet das Universal­ dienstleistungskonzept ein wesentliches Identitätsmerkmal der staatli­ chen Gewährleistungsverantwortung6, indem ein gesetzlich umschriebe­ ner Leistungsumfang einschließlich spezifisch festgelegter Qualitäts­ standards dem abstrakten Begriff der Grundversorgung eine feste Kontur verleiht7. Erwägungsgrund Nr. 11 der Postrichtlinie beschreibt den Uni­ versaldienst als ein Mindestangebot an Diensten einer bestimmten Qua­ lität, das allen Nutzern zu tragbaren Preisen und unabhängig von ihrem 1 Von Danwitz, in: FS Badura, 2004, S. 857 (863). 2 BT-Drucks. 13/7774 v. 30.05.1997, S. 33; vgl. dazu auch Scholz, Postmonopol und GG, 2001, S. 32 ff; Bosch/Hanebeck, N&R 2006, 24 (26); Herdegen, ZRP 1999, 63 (66). 3 RL 2008/6/EG v. 20.02.2008, ABl EG Nr. L 52 v. 27.02.2008, S. 3. 4 Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/K/K/L, PostR, 2014, Kap. C Rn 38, 97; Andreae, N&R 2011, Editorial. 5 Siehe zur Historie ausf. Drews, Ökonomie der Europäisierung, 2014, S. 79 ff. 6 Vgl. dazu etwa Möstl, in: Maunz/Dürig, GG, 79. Lfg., Art. 87f Rn 4, 21. 7 Siehe zur Sicherstellung der Grundversorgung BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 104.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

jeweiligen Standort in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU zur Verfügung steht. Einen gegenüber dem nationalen Recht verbindlichen Ordnungs­ rahmen statuiert im Ausgangspunkt Art. 3 PostRL. Die Mitgliedstaaten werden gemäß Art. 3 Abs. 1 PostRL allgemein dazu verpflichtet, eine flä­ chendeckende Versorgung mit postalischen Leistungen in einer be­ stimmten Qualität zu tragbaren Preisen sicherzustellen. Den maßgebli­ chen Leistungsumfang umschreibt Art. 3 Abs. 4 PostRL, wonach der Universaldienst das Abholen, Sortieren, den Transport und die Zustel­ lung von Postsendungen bis zu 2 kg, von Postpaketen bis zu 10 kg sowie die Dienste für Einschreiben und Wertsendungen umfassen muss. Post­ sendungen sind gemäß Art. 2 Nr. 6 PostRL adressierte Sendungen in end­ gültiger Form, wozu außer Briefen insbesondere Bücher, Kataloge, Zei­ tungen und Zeitschriften zählen. Über diesen Mindeststandard hinaus erlaubt Art. 3 Abs. 5 PostRL, auch Postpakete bis zu 20 kg als universell anzuerkennen. Der Universaldienst bezieht sich gemäß Art. 3 Abs. 7 PostRL auf inländisch und grenzüberschreitend ausgeführte Dienste. Zu­ sätzlich legt die Postrichtlinie in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3, Art. 5 Abs. 1 allgemeine Qualitätsstandards fest, wozu u.a. eine Zustellung an wenigs­ tens fünf Tagen pro Woche gehört. Dieser verbindliche Gewährleistungsauftrag wurde auf nationaler Ebene durch §§ 11 ff PostG ausgefüllt1. Eine Allgemeindefinition gibt § 11 Abs. 1 Satz 1 PostG vor, während § 11 Abs. 2 PostG die Bundesregierung dazu ermächtigt, einen detaillierten Leistungsumfang einschließlich der Qualitäts- und Preismaßstäbe mittels Rechtsverordnung zu konkretisie­ ren. Auf Grundlage dieser Ermächtigungskompetenz werden Umfang und Inhalt des Universaldienstes durch die rückwirkend zum 01.01.1998 in Kraft getretene PUDLV2 festgelegt. Dem Umfange nach bestimmt § 1 Abs. 1 PUDLV als Universaldienstleistungen die Beförderung von Brief­ sendungen iSd § 4 Nr. 2 PostG bis 2000 g (Nr. 1), die Beförderung adres­ sierter Einzelpakete mit einem Einzelgewicht bis zu 20 kg (Nr. 2) sowie die Beförderung von Zeitungen und Zeitschriften iSv § 4 Nr. 1 lit. c) PostG als periodisch erscheinende Druckwerke (Nr. 3). Darüber hinaus erfassen § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 PUDLV die besonderen Formen der Ein­ schreibe-, Wert- und Nachnahmesendung sowie die Eilzustellung. Die bei der Verrichtung einzuhaltenden Qualitätsmerkmale sind detailliert in §§ 2 bis 4 PUDLV normiert, überdies besteht in § 6 PUDLV eine ergän­ zende Regelung für die Entgelte. Diese Konkretisierung des Universal­ dienstkonzepts orientiert sich unverkennbar an dem zur Zeit des Inkraft­ tretens des Postgesetzes praktizierten Leistungsprogramm der DPAG. Problematisch ist, dass vor allem die in § 1 Abs. 2 PUDLV geregelte Ein­ beziehung der Nachnahme- und Eilsendungen sowie die in § 2 PUDLV 1 Ausf. Ritgen, NJW 2000, 1315 ff. 2 Postuniversaldienstleistungsverordnung v. 21.12.1999, BGBl. I 1999, 2418.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

statuierten Qualitätsanforderungen einen Leistungsstandard hervor­ bringen, der eine nach Art. 87f Abs. 1 GG geforderte Grundversorgung erheblich überschreitet1. Dabei wird die einfachgesetzlich konkretisierte Grenze eines unabdingbaren Mindeststandards von Dienstleistungen ge­ mäß § 11 Abs. 1 Satz 3 PostG missachtet, die in europarechtskonformer Weise das analog in Erwägungsgrund Nr. 11 PostRL zugrunde gelegte Verständnis des Universaldienstkonzepts als ein Mindestangebot be­ stimmter Leistungen übernimmt. Der Universaldienst hebt sich daher von einer unverzichtbaren Grundversorgung ab. Eine zeitlich begrenzte Verknüpfung zwischen Exklusivlizenz und Uni­ versaldienstkonzept bewirkte das Zweite Änderungsgesetz zum Postge­ setz vom 30.01.20022. Nachdem die Exklusivlizenz in § 51 Abs. 1 PostG durch das Erste Änderungsgesetz bis zum 31.12.2007 verlängert worden war, begründete der neu gefasste § 52 Satz 1 PostG die ausdrückliche Ver­ pflichtung der DPAG, während des Fortbestehens der Exklusivlizenz die Universaldienste gemäß der PUDLV bundesweit zu erbringen. Die kon­ krete Anbieterverpflichtung stellt das stärkste Eingriffsmittel zur unmit­ telbaren Erfüllung der staatlichen Gewährleistungsverantwortung dar und kann gemäß § 13 Abs. 2 PostG einem Lizenzunternehmer auferlegt werden, der auf dem räumlich relevanten oder einem angrenzenden Markt beherrschend ist und dessen Umsatz nach § 12 Abs. 1 PostG in­ nerhalb des lizenzierten Dienstleistungsbereichs im letzten Kalenderjahr über 500.000 EUR lag. Die frühere Konzeption des § 52 PostG a.F. sah jedoch vor, dass im Falle einer Versorgungslücke während der Exklusiv­ lizenz ausschließlich die DPAG gemäß § 13 Abs. 2, Abs. 3 PostG zur ­gegenständlichen Verrichtung verpflichtet werden konnte. Anderen Li­ zenznehmern durfte nach Maßgabe von § 16 PostG lediglich eine finan­ zielle Verantwortung in Form einer Ausgleichsabgabe übertragen wer­ den. Die DPAG bildete daher als Komplement der ihr vorbehaltenen Monopolleistungen den einzigen potenziellen Verpflichtungsadressaten3, zumal rein faktisch kein anderer Anbieter zum damaligen Zeitpunkt die notwendigen Infrastruktureinrichtungen für eine flächendeckende Ver­ sorgung aufbieten konnte. Dessen unbeschadet, hatte die DPAG auch finanziell keinen Anreiz zur Unterschreitung der fixierten Standards, da sie infolge ihres eigenen Marktanteils in Höhe von 98 % im lizenzierten Bereich selbst das mögliche Umlageverfahren hätte finanzieren müssen. Im Lichte dieser Sach- und Rechtslage aktivierte das Zweite Änderungs­

1 Krit. Herdegen, ZRP 1999, 63 (65); vgl. zum Merkmal der Unabdingbarkeit auch Ritter, N&R 2011, 170 ff. 2 BGBl. I 2002, 572. 3 Vgl. BT-Drucks. 13/7774 v. 30.05.1997, S. 33.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

gesetz in § 52 PostG lediglich deklaratorisch den ohnehin gegebenen Zu­ stand einer rechtstatsächlichen Verpflichtung1. c) Unmittelbar dem Postwesen dienende Umsätze Das vorstehend unter a) und b) erläuterte Regulierungsregime erlangte ab 1998 maßgebliche Relevanz zur Bestimmung des sachlichen Anwen­ dungsbereichs von § 4 Nr. 11b UStG a.F. Während das subjektive Einrich­ tungsmerkmal seine eindeutige Umsetzung in der exklusiven Bezugnah­ me auf die DPAG fand, war aus dem Wortlaut nicht zu erkennen, welche Umsätze im Einzelnen unmittelbar dem Postwesen dienten. Ausweis­ lich dieser sachlichen Spezifizierung sollten nicht sämtliche Leistungen der DPAG befreit sein2. Für eine zielgenaue Auslegung griff die h.L. auf die postdienstliche Segmentierung zurück und subsumierte § 4 Nr. 11b UStG a.F. die der DPAG vorbehaltenen Monopolleistungen (§§ 51 ff PostG), ferner die Universaldienste iSd PUDLV3. Diese Sichtweise, die eine direkte Verzahnung der Exemtion mit dem Regulierungsrecht her­ stellte, entsprach gleichfalls der Auffassung der Finanzverwaltung4. Als notwendiges Bindeglied zwischen den sonst fachfremden Materien fun­ gierte das Prinzip der Gemeinwohlförderung iSv Art. 13 Teil A RL 77/388/EWG (Art. 132 MwStSystRL)5, als dessen sektorale Übersetzung das Universaldienstkonzept mit dem Ziel einer adäquaten Grundversor­ gung durch öffentliche Posteinrichtungen bis heute wirkt6. Das Attribut der Öffentlichkeit suggeriert insoweit, wie bereits ausführlich dargelegt, gerade nicht eine öffentlich-rechtliche Organisationsform des betrauten Anbieters7, sondern apostrophiert dessen gesellschaftliche Verantwor­ tungsstellung gegenüber einer rau­mübergreifenden Versorgung.

1 BReg, BT-Drucks. 14/8344 v. 25.02.2002, S. 4. 2 Vgl. Korf, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 8/07, § 4 Nr. 11b Rn 21, 42; Huschens, UVR 2003, 88 (95). 3 So etwa Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 52; Stadie, UStG, 1. Aufl., § 4 Nr. 11b Rn 1; Lippross, USt, 21. Aufl., S. 452; Hundt-Eßwein, in: Peter/Burhoff/Stöcker, USt, 72. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 4 ff; Husmann, in: Rau/Dürr­ wächter, UStG, 141. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 42 ff; aus Praktikabilitätsgründen zust. Korf, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 8/07, § 4 Nr. 11b Rn 84; Kraeusel, UR 2008, 647 (648). 4 Antwort des BMF auf die schriftliche Anfrage der Abg. Hasselfeldt v. 05.02.2002, BT‑Drucks. 14/8464 v. 08.03.2002, S. 9; FinMin Nds., Erlass v. 25.04.2000 – S 7167b – 1 – 32, UR 2000, 487; OFD Koblenz, Vfg. v. 07.10.1999 – S 7161b A – St 514, UR 2000, 174. 5 Eine entspr. Rechtslage bestand in Österreich, indem Rz. 873 UStR 2000 ausführte, dass die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 lit. b) UStG nach dem Postrecht zu bestimmen sei, vgl. dazu Haunold/Tumpel/Widhalm, SWI 2009, 405 (408). 6 Kraeusel, UR 2008, 647 (650). 7 EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655 Rn 16.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

2. Liberalisierungskonforme Umsatzbesteuerung – „Dansk ­Post­ordreforening“ Einen weiteren Denkanstoß bezüglich der sachlichen Befreiungsreich­ weite lieferten die Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed in Sa­ chen „Dansk Postordreforening“ vom 10.04.20031. Obwohl der EuGH aufgrund der vorzeitigen Klagerücknahme kein verbindliches Urteil mehr fällen konnte, bildet der generalanwaltliche Entscheidungsvor­ schlag nach dem 1985 ergangenen Urteil „Kommission/Deutschland“ die zweite offizielle Stellungnahme zur Auslegung der Richtlinienvorga­ be und blieb auch in der hierzulande um § 4 Nr. 11b UStG a.F. anhalten­ den Diskussion nicht unbeachtet. Das Vorabentscheidungsersuchen des dänischen Östre Landsrett bein­ haltete die Frage, ob Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG die Um­ satzbesteuerung auf Nachnahmesendungen bezüglich Briefe und Pakete untersagt. Geklagt hatte der Dansk Postordreforening, ein dänischer Ver­ band von Versandhäusern, dessen Aufgabe u.a. in der Interessenvertre­ tung gegenüber Post Denmark bestand. Dieser Anbieter war als öffentli­ che Posteinrichtung anerkannt und unterlag nach dänischem Recht einer Beförderungspflicht für Briefe und Pakete ohne Nachnahme. Die durch Versandhändler eingelieferten Pakete mit Nachnahme wurden hingegen als Gesamtleistung klassifiziert mit der Folge, dass nicht nur der postali­ sche Nachnahmeservice, sondern die gesamte Beförderungsleistung mit Umsatzsteuer belegt wurde. Der Kläger begehrte vor diesem Hintergrund die Steuerbefreiung auch für Nachnahmesendungen und argumentierte, diese dienten ebenfalls dem Gemeinwohl. Das beklagte Finanzministeri­ um meinte demgegenüber, die Befreiung sei ausgeschlossen, soweit eine öffentliche Posteinrichtung ihre Dienste außerhalb einer Verpflichtung auf freiwilliger Basis und damit innerhalb des frei zugänglichen Wettbe­ werbs in Konkurrenz zu anderen Marktteilnehmern erbringe. In seinen Schlussanträgen folgte Geelhoed im Ergebnis dem dänischen Finanzminis­terium, stellte aber darauf ab, dass sich im Zuge der seit den 90er-Jahren forcierten Marktöffnung die Verhältnisse für das Postwesen wesentlich verändert haben und die Befreiung im Lichte dieser Entwick­ lung neu zu interpretieren sei2. Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt bot insoweit die 1997 erlassene Postrichtlinie sowie darüber hinaus der Systemgrundsatz der Umsatzsteuerneutralität, der eine gleichheitskon­ forme Belastung miteinander konkurrierender Ausgangsumsätze ver­ langt. In Zusammenschau dieser beiden Umstände gelangte der Gene­ ralanwalt übereinstimmend mit der Kommission zu dem Schluss, dass ein Anbieter nur dann als öffentliche Posteinrichtung auftrete, soweit 1 GA Geelhoed, Rs. C-169/02, Dansk Postordreforening, Slg. 2003, I-13330. 2 GA Geelhoed, Rs. C-169/02, Dansk Postordreforening, Slg. 2003, I-13330 Rn 66.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

dieser im Einklang mit der regulativen Option aus Art. 7 PostRL reser­ vierte Monopolleistungen verrichtet1. Außerhalb einer zulässigen Ex­ klusivlizenz werde der Anbieter unterdessen in einem liberalisierten Marktsegment tätig. Konkurrenten können ebenfalls nicht reservierbare Universaldienste erbringen, so dass eine unterschiedliche Umsatzsteuer­ behandlung eine dem Neutralitätsprinzip widerstreitende Wettbewerbs­ verzerrung hervorrufe. Eine Sonderstellung der „unter gleichen Bedin­ gungen“ am Markt ausgeführten Universaldienste werde auch nicht in der Weise begründet, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich dieses Seg­ ments nach der Postrichtlinie verpflichtende Lizenzbedingungen im­ plementieren dürfen2. Insgesamt lassen sich aus den Schlussanträgen „Dansk Postordreforening“ zwei Folgerungen ableiten. Zum einen er­ fuhr der im nationalen Recht entwickelte Ansatz, die sachliche Reich­ weite der Postdienstbefreiung nach dem einschlägigen Regulierungs­ recht zu bemessen, eine ausdrückliche Bestätigung. Zum Zweiten wurde die Befreiungsvorgabe erstmals vor dem Hintergrund der eingesetzten Postmarktliberalisierung näher beleuchtet und ihre wettbewerbsschädli­ che Wirkung offen thematisiert. 3. Wettbewerbsverzerrung im Lichte der Äquivalenzfunktion Anknüpfend an die Schlussanträge „Dansk Postordreforening“, erfuhr die verzerrende Wirkung der subjektiven Befreiung gemäß § 4 Nr. 11b UStG a.F. eine verstärkte Auseinandersetzung im Schrifttum. Die DPAG profitierte preiskalkulatorisch im nicht vorsteuerabzugsberechtigten Kundensegment, da sie anstelle der erlassenen Umsatzsteuerschuld nur die niedriger bemessenen Vorsteuerbeträge überwälzen musste. Abge­ rundet wurde die Vorteilsstellung, indem die DPAG umgekehrt die Be­ förderung von Geschäftskundenpaketen von 1999 bis einschließlich 2001 gegenüber ihrerseits vorsteuerabzugsberechtigten Versendern als steuerpflichtige Leistungen auswies. Das FG Köln bestätigte seinerzeit diese Vorgehensweise als rechtmäßig mit der Begründung, dass die ge­ werblichen Beförderungsbedingungen individuell ausgehandelt seien3. Ab dem 01.01.2002 wirkte sich dann der subjektive Zuschnitt gemäß § 4 Nr. 11b UStG a.F. in doppelter Weise begünstigend aus, als die Beförde­ rung von Geschäftskundenpaketen auf die Deutsche Post Euro Express Deutschland GmbH & Co. OHG ausgelagert wurde. Diese Gesellschaft bildete ein nicht zum Organkreis der DPAG gehörendes Tochterunter­ 1 GA Geelhoed, Rs. C-169/02, Dansk Postordreforening, Slg. 2003, I-13330 Rn 54, 73 ff. 2 GA Geelhoed, Rs. C-169/02, Dansk Postordreforening, Slg. 2003, I-13330 Rn 79, 82. 3 FG Köln, Urt. v. 16.12.2004 – 2 K 714/03 – n.v., zit. nach Kraeusel, UR 2008, 647 (648); zust. OFD Koblenz, Vfg. v. 14.04.2005 – S 7167b – St 44 2, UR 2005, 466; abw. noch OFD Koblenz, Vfg. v. 27.06.2002 – S 7167b A – St 44 2, UR 2003, 203.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

nehmen und unterfiel folglich nicht dem persönlichen Anwendungsbe­ reich der Freistellung1. a) Wettbewerbsneutrale Auslegung von § 4 Nr. 11b UStG a.F. Zur Auflösung dieser Wettbewerbsbeeinträchtigung wurden namentlich zwei unterschiedliche Ansätze vertreten. Beide reklamierten jeweils für sich die 1985 ergangene EuGH-Entscheidung „Kommission/Deutsch­ land“ als verbindliche Grundlage. aa) Befreiung im Monopolsegment: „Geelhoedsches“ Modell Die engere Auffassung folgte den Schlussanträgen „Dansk Postordrefo­ rening“ und begrenzte unmittelbar dem Postwesen dienende Umsätze auf die gemäß § 51 Abs. 1 PostG exklusiv der DPAG vorbehaltenen Leis­ tungen2. Dieser Ansatz entsprach auch der Ansicht der nordrhein-westfä­ lischen Landesfinanzverwaltung, wurde jedoch im Wege einer Einzelwei­ sung des Bundesministeriums der Finanzen vom 18.02.2000 untersagt3. Entsprechend dem damaligen wirtschaftlichen Hintergrund, der durch hoheit­liche Postverwaltungen in den Mitgliedstaaten unter weitgehen­ dem Ausschluss eines freien Wettbewerbs gekennzeichnet war4, wurde das Urteil „Kommission/Deutschland“ als bis dato einzige Maßgabe der Rechtsprechung dergestalt interpretiert, der EuGH habe die Postdienst­ exemtion stillschweigend unter den Vorbehalt einer monopolisierten Leistungsstruktur gestellt. Diese objektive Reduktion auf das Exklusivli­ zenzsegment bezweckte letztlich, die Verzerrungsproblematik auf die vorgelagerte Ebene einer ordnungsrechtlich induzierten Bereichsausnah­ me des Postmarktes vom Wettbewerb zu übertragen. Diesbezüglich hat­ te das BVerfG anlässlich einer durch konkurrierende Dienstleister erho­ benen Verfassungsbeschwerde bereits entschieden, dass die nach Art. 7 PostRL a.F. in das nationale Ermessen gestellte Bestellung von Aus­ schließlichkeitsrechten jedenfalls bis zum 31.12.2007 entsprechend Art. 143b Abs. 2 GG nicht zu beanstanden sei5.

1 Lippross, USt, 21. Aufl., S. 453; Winter, UR 2003, 441. 2 Huschens, in: Vogel/Schwarz, UStG, 135. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 23; ders., UVR 2003, 88 (96); so auch Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 117; Schwintowski, Stel­ lungnahme v. 13.03.2009, S. 2; Lembke, in: Weimann/Lang, USt, 3. Aufl., § 4 Nr. 11b 1.3.1. 3 BMF, BT-Drucks. 16/676 v. 15.02.2006, S. 1. 4 Vgl. dazu etwa Kraeusel, UR 2008, 647 (649). 5 BVerfGE 108, 370  (388 ff); a.A. Scholz, Postmonopol und GG, 2001, S. 79, wonach die Gewährung von Monopolleistungen nur auf den 31.12.2002 befristet zulässig sei; vgl. zur Rechtfertigung des Postmonopols unter Geltung von Art. 87 Abs. 1 GG a.F. Schmelz, Postmonopol und Ablieferungen, 1986, S. 174 ff.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Exemplarisch ist diese Konzeption im schweizerischen Mehrwertsteuer­ gesetz (MwStG)1 anzutreffen. Nach Art. 21 Abs. 2 Nr. 1 MwStG sind nur diejenigen Leistungen steuerfrei, die nach Maßgabe des Postgesetzes für die Schweizerische Post AG (SPAG) reserviert sind. Unter dem Eindruck der unionsweit voranschreitenden Postmarktliberalisierung schnitt in­ des auch die Schweiz den Umfang exklusiver Monopolleistungen suk­ zessive zurück. Nachdem bereits 2004 die vollständige Liberalisierung der Paketsparte erfolgt war2, wurde der reservierte Briefdienst mit In­ krafttreten des neuen Postgesetzes (PG)3 zum 01.10.2012 gemäß Art. 18 Abs. 1 auf Sendungen bis 50 g festgelegt4. Anstelle der durch den Bundes­ rat ursprünglich zeitnah intendierten Abschaffung dieses Restmonopols sieht Art. 35 PG zunächst eine Evaluation vor. Sollte das Restmonopol der SPAG im Briefdienst fallen, wäre mit diesem Schritt zugleich das verbindliche Ende der Befreiung besiegelt5. bb) Subjektive Erweiterung Entgegen der objektiven Verengung bestand ein alternativer Lösungsan­ satz darin, den persönlichen Anwendungsbereich von § 4 Nr. 11b UStG a.F. auf sämtliche Anbieter zu erstrecken, die als Inhaber einer Lizenz gemäß § 5 Abs. 1 PostG einen sachlichen Ausschnitt der nicht reservier­ ten Universaldienste verrichten6. Als öffentliche Posteinrichtung seien nach der Entscheidung „Kommission/Deutschland“ neben öffentlich-­ rechtlichen Einrichtungen auch konzessionierte Privatunternehmer zu verstehen, so dass maßgeblich auf die Erteilung einer Lizenz als „Konzes­ sion“ abzustellen sei. Die alleinige Befreiung der DPAG bringe eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung hervor, vielmehr repräsentiere jedes konzessionierte Unternehmen eine öffentliche Posteinrichtung mit einem Versorgungsbeitrag. b) Neugewichtung der Äquivalenzfunktion Die vorherrschende Meinung folgte den vorstehend unter a) skizzierten Überlegungen zu einer wettbewerbsgerechteren Anwendung von § 4 1 AS 2009 5203. 2 Vgl. dazu KEP & Mail, PosiTion 1/06; Müller-Duysing, Die Volkswirtschaft 05/2007, S. 28. 3 AS 2012 4993. 4 Heinemann, in: Bien/Ludwigs, Kartell- und Regulierungsrecht der Netzindustrien, 2015, S. 205 (219). 5 Nussbaumer/Wittwer, Die Volkswirtschaft 9/2009, S. 54 (56); ein solcher Zustand ist bereits rein praktisch realisiert, indem die SPAG seit 2009 gegen die Befreiung gemäß Art. 22 Abs. 1 MWSTG optiert hat. 6 So Korf, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 8/07, § 4 Nr. 11b Rn 91, wonach die subjektive Begrenzung des § 4 Nr. 11b UStG a.F. auf die Umsätze der DPAG ge­ gen EG‑Recht verstieß.

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C.  Postneuorganisation und strukturakzessorische ­Umsatzsteuerbefreiung

Nr. 11b UStG a.F. nicht. So wurde eine der freiheitlichen Marktordnung widersprechende Exklusivwirkung bewusst toleriert, weil die DPAG ge­ mäß § 52 PostG als einziger Anbieter zur flächendeckenden Universal­ dienstverrichtung verpflichtet war1. Demnach wurde die Steuerfreiheit trotz der hierdurch bedingten Anomalie angesichts eines fortschreiten­ den Liberalisierungsprozesses als angemessener Ausgleich für die beson­ dere Gemeinwohlverantwortung und Ausdruck der staatlich transferier­ ten Erfüllungsfunktion begriffen. Der Äquivalenzgedanke war keinesfalls neu, sondern wurde schon zu Beginn der 70er-Jahre für die in § 4 Nr. 7 UStG 1967 fortgesetzte Befreiung der DBP vorgebracht2. Eingebettet war diese Ausgleichsfunktion in die übergeordnete Zielvorgabe, das Gebüh­ renniveau wegen der kostenintensiven Versorgung möglichst niedrig zu halten und nicht noch zusätzlich im Wege der Umsatzbesteuerung zu verteuern3. Diese Argumentation beinhaltet nach ihrer inneren Logik zu­ gleich die bestechende Begründung für eine subjektive Exemtion. Denn die verbilligende Kompensation muss und darf nur demjenigen Anbieter gewährt werden, der die besonderen Infrastrukturlasten im Rahmen der flächendeckenden Versorgung auch tatsächlich tragen muss4. Wie die Schlussanträge „Dansk Postordreforening“ indes veranschauli­ chen, nahm der Legitimationsdruck auf eine derart wettbewerbsverzer­ rende Befreiung umso stärker zu, je weiter der Postsektor dem freien Wettbewerb geöffnet wurde5. Interessanterweise legitimierte die h.M. § 4 Nr. 11b UStG a.F. aber auch ausdrücklich unter Hinweis auf die formale Verpflichtung der DPAG6. Dies lag sicherlich darin begründet, dass eine gesetzlich fixierte Verbindlichkeit allgemein die Gewähr für eine da­ seinsvorsorgegerechte Erbringung erhöht. Ein weiterer wesentlicher As­ pekt ist, dass der Verpflichtungsstatus die unternehmerische Dispositi­ onsfreiheit des adressierten Unternehmers teilweise aufhebt. Diesem ist es verwehrt, sich von dem vorgegebenen Leistungsprogramm der Grund­ versorgung einseitig loszusagen und seinen Betrieb eigenmächtig auf ­lukrative Geschäftsfelder zu konzentrieren, worin auch ein relevanter Unterschied zu einer rein freiwillig übernommenen Universaldienstver­ sorgung trotz faktisch identischer Sonderlasten gesehen werden kann. 1 Vgl. Husmann, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 141. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 14; Stadie, UStG 1. Aufl., § 4 Nr. 11b Rn 4; Hundt-Eßwein, in: Peter/Burhoff/Stöcker, USt, 72. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 6. 2 So von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 163 ff. 3 Von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 166; so auch Stadie, UStG, 1. Aufl., § 4 Nr. 11b Rn 4; Kraeu­sel, UR 2008, 647 (649 f). 4 Vgl. Kraeusel, UR 2008, 647 (650). 5 Wettbwerb war im Postsektor noch nicht etabliert, vgl. ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 8. 6 Husmann, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 141. Lfg., § 4 Nr. Nr. 11b Rn 14; Hundt-Eßwein, in: Peter/Burhoff/Stöcker, USt, 72. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 6.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

D. Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang Zum 01.07.2010 trat die aktuell geltende Fassung des § 4 Nr. 11b UStG in Kraft. Diese Vorschrift ist das Ergebnis eines über mehr als zwei Jahre währenden Reformprozesses, welcher von der Postmarktliberalisierung einmal abgesehen insbesondere durch neue Vorgaben des EuGH geprägt wurde1. Den konkreten Anstoß für die Reformierung gaben zwei Fakto­ ren. Aus ordnungsrechtlicher Sicht markierte das Datum des 31.12.2007 eine Zäsur, indem die Exklusivlizenz der DPAG gemäß § 51 Abs. 1 PostG ersatzlos auslief und damit zugleich deren formelle Universaldienstver­ pflichtung (§ 52 Satz 1 PostG) endete2. Die vollständige Öffnung des deutschen Postmarktes entzog der exklusiven Ausrichtung des § 4 Nr. 11b UStG a.F. auf Umsätze der DPAG (scheinbar) die Grundlage3. Folgerichtig setzte sich die Auffassung durch, der Befreiungstatbestand sei an den modernen Entwicklungsstand anzupassen4. Einen weiteren Reformimpuls stiftete die Kommission, nachdem sie ­gegen Deutschland, Großbritannien und Schweden im April 2006 mit einem Auskunftsverlangen die erste Stufe eines Vertragsverletzungs­ verfahrens eingeleitet hatte5. Die Kommission monierte, dass in Deutsch­ land wie auch Großbritannien alle oder jedenfalls die meisten Leistun­ gen der ehemaligen Postmonopole befreit seien und diese zu weitgehende Richtlinienumsetzung erhebliche Wettbewerbsverzerrungen hervorru­ fe6. Schweden gab das umgekehrte Negativbeispiel: Die unterlassene Umsetzung der Postdienstexemtion gewähre zwar volle Neutralität, gleichwohl aber werde eine zwing­ende Vorgabe des Gemeinschaftsrechts missachtet. Auch wenn die Kommission selbst nicht zu den Befürwor­ tern der postalischen Befreiung zählt7, kam sie ihrer Stellung als Hüterin einer vertragskonformen Pflichterfüllung verantwortungsgemäß nach.

1 Ausf. Drews, Ökonomie der Europäisierung, 2014, S. 311 f. 2 Siehe auch Widmann, DStR 2009, 1061; Goodarzi/Kapischke, NVwZ 2009, 80. 3 Siehe hierzu vorstehend C.III.3.b); für die Gemeinschaftswidrigkeit der Altregelung Birkenfeld, in: Birkenfeld/Wäger, USt-HdB, 75. Lfg., § 95 Rn 501. 4 Vgl. dazu Widmann, DStZ 2009, 1061 f. 5 Siehe dazu Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 297. 6 KOM IP/06/484 v. 10.04.2006; IP/07/1164 v. 24.07.2007; vgl. dazu Klotz/Brandenberg, N&R 2009, 8 (15). 7 Die Kommission legte erstmals 2003 einen detaillierten Vorschlag zur Änderung der Richtlinie und Abschaffung der Befreiung vor, KOM (2003) 234 v. 05.05.2003; siehe dazu Vellen, EU-UStB 2006, 29 (32).

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

I. Umsatzsteuerbefreiung am Scheideweg – Änderung oder Abschaffung? Zur Reform von § 4 Nr. 11b UStG a.F. wurden erstmals 2008 zwei kon­ krete Vorschläge unterbreitet. Ihrem inhaltlichen Ansatz nach waren die Entwürfe diametral entgegengesetzt und verdeutlichen sehr anschaulich die zur Umsatzsteuerbefreiung von Postdienstleistungen generell geführ­ te Kontroverse. Überdies liefert ein kurzer Rückblick auf die ursprüngli­ chen Reformvorstellungen der Bundesregierung wertvolle Hinweise zum besseren Verständnis der heutigen Gesetzesfassung. 1. Vollständige Streichung des § 4 Nr. 11b UStG a.F. In ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung wettbewerblicher Struk­ turen im Markt für Postdienstleistungen (PostWettG)1 trat die FDP-Bun­ destagsfraktion für die ersatzlose Streichung von § 4 Nr. 11b UStG a.F. ein. Inhaltlich unverändert übernahm sie diesen Antrag in Art. 1 des zu Beginn 2009 letztmals eingebrachten Gesetzesentwurfs zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes2. Die intendierte Abschaffung entsprach libe­ raler Tradition, nachdem sich die FDP schon im Rahmen der Beratungen zum Erlass des UStG 1967 nachdrücklich gegen die Fortführung der Be­ freiungsregelung in § 4 Nr. 7 ausgesprochen hatte. Vertrauend auf die freien Marktkräfte, wurde trotz Umsatzsteuerpflicht eine effektive Sen­ kung der Verbraucherpreise erwartet, die zudem aus dem Wegfall der ver­ deckten Vorsteuerüberwälzung resultieren sollte. Ebenso sah die FDP die umfassende Umsatzsteuerpflicht von Postdiensten als mit der Richtlinie vereinbar an, weil infolge der abgeschlossenen Privatisierung keine öf­ fentliche Posteinrichtung mehr in Deutschland existiere3. 2. Erster Regierungsentwurf und die ursprüngliche Reformvorstellung Der Feder des BMF entstammte ein am 14.01.2008 der Bundesregierung zugeleiteter Referentenentwurf, der im Gegensatz zur marktliberalen Li­ nie die generelle Beibehaltung der Exemtion zum Gegenstand hatte4. Freigestellt werden sollten die Universaldienstleistungen gemäß § 11 PostG iVm. § 1 PUDLV, welche die Merkmale iSv §§ 2 bis 4 und § 6 PUDLV erfüllen. Voraussetzung für die Befreiungswirkung sollte sein, dass diese Leistungen durch einen nach § 6 PostG lizenzierten Unterneh­ mer ausgeführt werden, der die Gesamtheit der Postuniversaldienste ent­ sprechend einer Bescheinigung der Regulierungsbehörde bundesweit er­ bringt. Nach umfänglichen Beratungen wurde dieses Konzept mit einigen 1 2 3 4

BT-Drucks. 16/8906 v. 23.04.2008. BT-Drucks. 16/11674 v. 21.01.2009. BT-Drucks. 16/11674 v. 21.01.2009, S. 4. Der Referentenentwurf ist wiedergegeben bei Kraeusel, UR 2008, 647 (650).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Anpassungen zum Kernbestandteil des Ende 2008 durch die Bundesregie­ rung präsentierten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes1: „11b. Universaldienstleistungen nach Artikel 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemein­ same Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl EG 1998 Nr. L 15, S. 14), zuletzt geändert […]. Die Steuerbefreiung setzt voraus, dass der Unternehmer die Gesamtheit der Universaldienstleistungen entsprechend einer Bescheinigung des Bundeszentralamtes für Steuern im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland flächendeckend anbietet. Die Steuerbefrei­ ung gilt nicht für Leistungen, die der Unternehmer erbringt a) auf Grund einzelvertraglicher Vereinbarungen oder b) auf Grund von allgemeinen Geschäftsbedingungen zu abweichenden Qua­ litätsbedingungen oder günstigeren Preisen als nach den allgemein für je­ dermann zugänglichen Tarifen oder als den nach § 19 des Postgesetzes ge­ nehmigten Entgelten.“

Durch die explizite Konkretisierung des befreiten Leistungsspektrums schlug sich im Entwurfswortlaut die bereits seit 1998 zur Tatbestands­ auslegung praktizierte Verknüpfung mit dem postordnungsrechtlichen Universaldienstkonzept nieder. Der wesentliche Unterschied des Regie­ rungsentwurfs gegenüber dem vorausgegangenen Referentenvorschlag bestand in der sachlich beschränkten Reichweite. Bezug genommen wur­ de nunmehr nur noch auf die Mindestvorgaben aus Art. 3 Abs. 4 PostRL. Anders als im Referentenentwurf vorgesehen, favorisierte die Bundesre­ gierung ferner eine Prüfkompetenz beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) anstelle der Bundesnetzagentur (BNetzA) als der für das Postwe­ sen zuständigen Regulierungsbehörde. Der erste Regierungsentwurf leg­ te den Grundstein für die zum 01.07.2010 in Kraft getretene Befreiungs­ reform. Im Weiteren unterlag er jedoch noch einigen Anpassungen, deren Notwendigkeit sich aus der bereits Ende 2008 absehbaren sowie seitdem mit großer Spannung erwarteten EuGH-Entscheidung in Sachen „TNT Post UK“ ergab.

II. Befreiungsvorgaben aus Luxemburg: Das Urteil „TNT Post UK“ In seiner Entscheidung „TNT Post UK“ vom 23.04.2009 befasste sich der EuGH im Anschluss an das aus 1985 datierende Urteil „Kommission/ Deutschland“ zum zweiten Mal mit der Frage, auf welche Weise das 1 BT-Drucks. 16/11340 v. 10.12.2008.

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

Merkmal „öffentliche Posteinrichtung“ gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG (Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL) auszulegen ist. Unter Einbeziehung der 2003 durch Generalanwalt Geelhoed formu­ lierten Schlussanträge handelt sich um die dritte amtliche Stellungnah­ me zur sekundärrechtlich verankerten Postdienstleistungsbefreiung auf europäischer Ebene. War dem EuGH ein eigenes Urteil in der Sache „Dansk Postordreforening“ aufgrund der vorausgegangenen Klagerück­ nahme im Ausgangsrechtsstreit noch verwehrt geblieben, erhielt er nun­ mehr Gelegenheit, die Freistellung unter besonderer Berücksichtigung der zwischenzeitlich verbindlich initiierten Postmarktliberalisierung zu präzisieren. Letztmalig erging eine Entscheidung zur Thematik der Post­ dienstexemtion im Vertragsver­ letzungsverfahren gegen Schweden1. In diesem nunmehr dritten Urteil bestätigte der Gerichtshof nochmals sehr deutlich seine zuvor geprägte Linie, ohne indes wesentliche Neuerungen hervorzubringen. Von einer eigenständigen Darstellung wird daher abge­ sehen. Den Gegenstand des Verfahrens „TNT Post UK“ bildete ein Vorabent­ scheidungsersuchen des High Court of Justice of England and Wales Queen’s Bench Division, welches im Ausgangsrechtsstreit zwischen TNT Post UK Ltd. (TNT)2 sowie den britischen Steuerbehörden unter Beteiligung der Royal Mail Group Ltd. (Royal Mail) als Streithelferin er­ ging. Der britische Postmarkt ist seit dem 01.01.2006 vollständig geöff­ net mit der Folge, dass unter Geltung des Postal Services Act 2000 jedem geeigneten Bewerber eine Lizenz zur Ausführung sämtlicher Postsen­ dungen ohne gewichtsmäßige Begrenzung erteilt wurde. Bereits seit 2001 handelte es sich bei Royal Mail nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 3 lit. a) und b) Postal Services Act 2000 iVm. Art. 4 PostRL um den einzigen An­ bieter, der durch das Secretary of State gegenüber der Kommission als Universaldienstleister notifiziert worden war3. In dieser Eigenschaft war Royal Mail alleiniger Adressat umfassender Lizenzauflagen, die eine ­flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen zu tragbaren Ta­ rifkonditionen und hohen Qualitätsbedingungen zum Gegenstand hatten. Zugleich profitierte im Gegenzug ausschließlich Royal Mail ­ ­gemäß Art. 31 Abs. 1 iVm Schedule 9, Group 3, Items No. 1 und 2 des Value Added Tax Act 1994 (VAT Act) in der durch Gesetz von 2000 ge­ änderten Fassung von der Umsatzsteuerbefreiung, während die Umsätze 1 EuGH, Rs. C-114/14, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2015:249. 2 Seit März 2014 firmieren die Gesellschaften der TNT Post Unternehmensgruppe un­ ter der Bezeichnung Postcon, vgl. https://www.postcon.de/unternehmen/historie/ (zuletzt abgerufen am 21.07.2017). 3 Auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 1 Postal Services Act 2011 ist Royal Mail auch weiterhin der einzige designierte Universaldienstleister im Vereinigten Königreich; vgl. www.royalmailgroup.com/regulation/regulatory-reform (zuletzt abgerufen am 23.07.2017).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

anderer Anbieter ausnahmslos dem Regelsteuersatz von 17,5 % unter­ worfen waren1. Im Unterschied zu Royal Mail unterlag TNT seinerzeit keinen vergleich­ baren Lizenzbindungen, sondern beschränkte ihren Geschäftsbetrieb auf die Erbringung „vorgelagerter Dienstleistungen“ bestehend aus der Ab­ holung, Vorsortierung und Einlieferung von Postsendungen in bestimm­ te Regionalsammelstellen von Royal Mail. Auf der Grundlage eines li­ zenzgemäßen Rahmenvertrags war Royal Mail zu Weitertransport und Zustellung der eingelieferten Sendungen als „nachgelagerte Dienstleis­ tungen“ verpflichtet. TNT erblickte in der exklusiven Steuerfreiheit sämtlicher Leistungen von Royal Mail einen ungerechtfertigten Wettbe­ werbsvorteil. Nach eigenen Schätzungen nahm die Geschäftspost einen Anteil von 85 % des gesamten Postaufkommens im Vereinigten König­ reich ein, von dem wiederum 40 % auf nicht zum Vorsteuerabzug be­ rechtigte Versender wie Finanzdienstleister oder Versicherungen entfie­ len. Gerade in diesem Marktsegment hegte TNT das veritable Interesse an einer möglichst gleichen Umsatzsteuerbehandlung und erhob Klage gegen die Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs mit dem Ziel, die exklusive Befreiung für Royal Mail zu beenden, hilfs­ weise aber deren sachlichen Umfang zu begrenzen. Ihr Begehren stütz­ te TNT auf die Schlussanträge „Dansk Postordreforening“: Bereits seit dem 01.01.2006 existierte im Vereinigten Königreich kein Monopol mehr2. Der zuständige High Court of Justice of England and Wales Queen’s Bench Division legte dem EuGH drei Fragen zu Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG vor. Erstens wollte das Gericht erfahren, wie der Begriff „öffentliche Posteinrichtung“ insbesondere angesichts der 2006 erreichten Postmarktöffnung auszulegen ist. Die zweite Frage betraf das Problem, ob sämtliche Dienstleistungen öffentlicher Posteinrichtungen von der Umsatzsteuer zu befreien sind, verneinendenfalls, anhand wel­ cher Kriterien drittens die Abgrenzung zwischen befreiten und steuer­ pflichtigen Umsätzen zu erfolgen habe. Bei der Beantwortung orientierte sich der EuGH ganz wesentlich an den vorausgegangenen Schlussanträ­ gen von Generalanwältin Kokott3. Zudem zeigt die Entscheidung deutli­ che Analogien zu den bereits auf nationaler Ebene entwickelten Interpre­ tationsansätzen auf.

1 Seit 04.01.2011 beträgt die „standard rate“ nunmehr 20 %. 2 Gleichsam argumentierte die schwedische Regierung, vgl. EuGH, Rs. C-114/14, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2015:249 Rn 11. 3 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025.

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

1. Subjektiv basierte Interpretationsmaxime Wie die formale Reihenfolge der Vorlagefragen bereits nahelegt, markiert das personenbezogene Posteinrichtungsmerkmal innerhalb des objek­ tiv-subjektiv strukturierten Tatbestands gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG den maßgeblichen Ausgangspunkt für die Ausle­ gung1. Seiner Entscheidung „Kom­mission/Deutschland“ getreu hält der EuGH zuallererst daran fest, dass auf der Grundlage des klaren Wortlauts der Richtlinie nur diejenigen Umsätze zu befreien seien, die durch eine öffentliche Posteinrichtung im organisatorischen Sinne ausgeführt wer­ den2. Diesen Befund vermochte nach Ansicht der Richter auch die zwi­ schenzeitlich erfolgte Postmarktliberalisierung nicht zu erschüttern. Ein maßgebliches Indiz hierfür bestehe darin, dass der Gesetzgeber die Be­ freiungsvorschrift bewusst unverändert in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL übernommen hat. Auf diese Weise erhielt die durch TNT sowie die finnische und schwedische Regierung einvernehmlich adaptier­ te ­Ansicht von Generalanwalt Geelhoed, die Befreiung gelte ausschließ­ lich für Monopolleistungen, eine eindeutige Absage3. Den Schlussanträ­ gen „Dansk Postordreforening“ gemäß wäre die Exemtion spätestens ab dem 01.01.2013 aufgrund der zwischenzeitlich in Art. 7 Abs. 1 PostRL verbindlich fixierten Postmarktöffnung unionsweit gegenstandslos ge­ worden. Eine Gefolgschaft durch die Jurisdiktion hätte eine gleichsam kassatorische Wirkung gegenüber der Richtlinienbestimmung program­ miert, deren sich die Richter berechtigterweise nicht bemächtigen woll­ ten. Dennoch bleibt zu beachten, dass der EuGH die seit 1998 im nationalen Recht sowie durch Generalanwalt Geelhoed 2003 erstmals verfolgte ­Linie, die Vorgaben der Post­richtlinie auf die Interpretation der Post­ dienstbefreiung ausstrahlen zu lassen, ebenfalls aufgreift und somit höchstrichterlich bestätigt. Mit einiger Zurückhaltung bezeichnet er die­ ses Regelwerk zwar lediglich als „zweckdienlichen Anhaltspunkt“ und nicht als „Grundlage für die Auslegung“4. Diese feinsinnige Differenzie­ rung wird in Wahrheit jedoch durch die konsequente Anknüpfung an das Universaldienstleistungskonzept zum Zwecke der inhaltlichen Kontu­ rierung des Merkmals „öffentliche Posteinrichtung “ überspielt. Als sol­ che qualifiziert der EuGH entsprechend der nationalen Organisations­ freiheit im Postwesen sowohl private als auch öffentliche Unternehmer, die sich verpflichten, den gesamten in Art. 3 PostRL ausgewiesenen Uni­ 1 Siehe hierzu vorstehend B.III.2. 2 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 27; siehe auch Amand, H&I 2009, 76 (77). 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 30; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑114/14, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2015:249 Rn 31. 4 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 35.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

versalpostdienst oder einen Teil davon in einem Mitgliedstaat zu ge­ währleisten1. Übereinstimmend mit der bislang zu § 4 Nr. 11b UStG a.F. vertretenen Sichtweise konkretisieren Universaldienste somit als Aus­ fluss der Grundversorgung die am Gemeinwohl orientierte Postbeförde­ rung, die im Interesse der Bevölkerung zu ermäßigten Kosten angeboten werden soll2. Bezugnehmend auf die gemäß Art. 3 PostRL zu gewährleistenden Uni­ versaldienste, überführt der Gerichtshof den unternehmerspezifischen Befreiungsstatus einer gewissen Objektivierung, wird ein Unternehmer doch zuvörderst über seine nach außen gerichtete Tätigkeit am Markt als öffentliche Posteinrichtung definiert. Ein originär subjektiver Cha­ rakter des Tatbestands bleibt jedoch insoweit erhalten, als nicht schon die rein objektive Universaldienstverrichtung als solche genügt, son­ dern der Unternehmer sich hierzu verpflichtet haben muss. Die Ver­ pflichtung beschreibt eine verbind­ liche Verantwortung zu aktivem ­Handeln, die nur in Bezug auf eine bestimmte Person begründet sein kann. 2. Der rechtliche Leistungskontext als Begrenzung des Neutralitäts­ prinzips Der EuGH betont entsprechend seiner allgemeinen Rechtsprechungsli­ nie, dass die Begriffe des mehrwertsteuerlichen Befreiungskatalogs ange­ sichts ihres Ausnahmecharakters grundsätzlich eng auszulegen sind3, gleichzeitig aber ihre nicht auszuhöhlende Zwecksetzung angemessene Berücksichtigung finden müsse. Die verworfene Ver­en­gung auf Mono­ polleistungen lässt sich angesichts dieser Grundsätze auch dahingehend rechtfertigen, dass der sekundärrechtliche Befreiungstatbestand in zahl­ reichen Mitgliedstaaten wie etwa Schweden, Finnland, Großbritannien und Deutschland, in denen bereits vor dem verbindlichen Stichdatum des Art. 7 Abs. 1 PostRL eine vollständige Marktöffnung stattgefunden hat, nicht mehr anzuwenden gewesen wäre. Als zweiten wesentlichen Auslegungsgrundsatz hebt der EuGH das Prin­ zip der Neutra­ lität hervor4. Eine sachliche Verengung auf Monopol­ leistungen im Sinne Geelhoeds hätte zwar erkennbar den Vorteil, eine Beeinträchtigung der umsatzsteuerlichen Neutralität von vornherein 1 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 36. 2 Vgl. zu dieser „Akzessorietät zwischen Postrecht und Umsatzsteuerrecht“ Nieskens, UR 2010, 713 (717). 3 Vgl. zur st. Rspr. insoweit etwa EuGH, Rs. C-412/15, TMD, ECLI:EU:C:2016:738 Rn 34; Rs. C‑264/14, Hedqvist, ECLI:EU:C:2015:718 Rn 34; Rs. C-350/10, Nordea Pankki Suomi, ECLI:EU:C:2011:532 Rn 23. 4 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 31.

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

auszuscheiden1. Dennoch musste der EuGH auf diese Interpretationsva­ riante nicht zurückgreifen, weil sich nach seinem verpflichtungsge­ bundenen Einrichtungsverständnis bereits keinerlei Widerspruch zum Neutralitätsprinzip einstellen kann. Verneint wird im Anschluss an Ge­ neralanwältin Kokott schlichtweg die Gleichartigkeit der Ausgangs­ umsätze, soweit ein Anbieter auf der Grundlage einer Verpflichtung grundversorgungsrelevante Postdienste erbringt, ein konkurrierender Marktanbieter hingegen nicht Adressat einer entsprechenden Verbind­ lichkeit ist. Für die Vergleichbarkeit der Ausgangsumsätze sei im Rah­ men des Neutralitätsprinzips gerade nicht die Gegenüberstellung der isoliert betrachteten Einzelleistungen ausreichend, sondern es komme vielmehr auch auf den umliegenden sachlichen Kontext für deren Erbrin­ gung an2. Eine Verpflichtung zur Ausführung bestimmter Leistungen zu festgelegten Qualitätsstandards, wie sie Royal Mail obliege, begründe da­ her konkret eine andere rechtliche Grundlage und damit einen besonde­ ren sachlichen Kontext, der sich von demjenigen eines nicht verpflichte­ ten Anbieters wie TNT wesentlich unterscheide. Mangels Gleichartigkeit sei in diesem Falle also eine steuerliche Gleichbehandlung der betreffen­ den Ausgangsumsätze schon nicht geboten3. Diese Sichtweise zeigt deutliche Parallelen zu der im deutschen Schrift­ tum vor­herrschenden Auffassung, wonach die exklusive Befreiung ge­ mäß § 4 Nr. 11b UStG a.F. mit der ausschließlichen Verpflichtung der DPAG zur postalischen Grundversorgung (§ 52 Satz 1 PostG) gerechtfer­ tigt wurde4. Die rechtliche Ausgangssituation war insoweit identisch, als Royal Mail ebenso wie die DPAG als einziger Anbieter von einer in­ dividualisierten Befreiungsvorschrift profitierte, deren Legitimität an­ gesichts einer vollständigen Marktöffnung zunehmend infrage gestellt wurde. Entsprechend lässt sich auch die Entscheidung des EuGH dahin­ gehend interpretieren, dass erst die persönliche Verpflichtung eines An­ bieters den sachlichen Kontext der Leistungsverrichtung hervorbringt, der sich wiederum als Ausfluss einer intensivierten Einbindung in die daseinsvorsorgerelevante Gemeinwohlverantwortung erweist. Die bloße tatsächliche Ausführung flächendeckender Universaldienste genügt nicht bereits für die Legitimität einer differenzierenden Befreiungswirkung, obwohl mit einer freiwilligen Ausführung gleichartige Sonderlasten ver­ bunden sein mögen. Im Ergebnis kommt es nach den Vorgaben des EuGH entscheidend darauf an, ob ein Unternehmer sich im Rahmen einer Ver­ 1 Vgl. GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 60. 2 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 38; Rs. C‑114/14, Kommis­ sion/Schweden, ECLI:EU:2015:249 Rn 33. 3 Siehe auch Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 34. 4 Siehe hierzu vorstehend C.III.3.b).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

sorgungsverpflichtung zumindest eines Teils seiner betrieblichen Dispo­ sitionsfreiheit begeben hat. Dieses Konzept klingt auch in den Schlussanträgen deutlich an. Gene­ ralanwältin Kokott verneint eine Verletzung der Neutralität im Hinblick auf den sachlichen Unterschied für die Erbringung von Universaldiens­ ten, der sich aus Lizenzauflagen oder sonstigen gesetzlichen Vorgaben zugunsten einer dauerhaften Gewährleistung ableiten lasse. Entspre­ chend seien verpflichtende Postdienste einer staatlichen Kontrolle un­ terworfen und könnten daher nicht in einem freien und nach rein wirt­ schaftlichen Gesichtspunkten geordneten Markt erbracht werden1. Mit einer entsprechenden Argumentation verteidigte im Übrigen bereits das dä­nische Finanzministerium den Ausschluss von Nachnahmesendungen aus dem Anwendungsbereich der nationalen Befreiungsvorschrift in der Rechtssache „Dansk Postordreforening“. Die Nachnahme war von der Verpflichtung der Post Danmark als nationaler Posteinrichtung ­nämlich nicht umfasst und wurde daher auf freiwilliger Grundlage er­ bracht2. 3. Subjektspezifischer Befreiungsumfang Die zweite und dritte Vorlagefrage behandelte der EuGH abschließend gemeinsam. Im Ausgangs­punkt trat er dem insbesondere seitens Royal Mail sowie der britischen Regierung favorisierten Verständnis entgegen, sämtliche Umsätze einer öffentlichen Posteinrichtung seien mit Aus­ nahme von Telekommunikation und Personenbeförderung freizustellen. Könnte diese Interpretation auch durch den Wortlaut der Richt­linien­ bestimmung gedeckt sein, widerspreche sie dem Grundsatz einer engen sowie an der Zielvorgabe der Befreiung orientierten Auslegung3. Die zweite Vorlagefrage verneinend, war der EuGH gezwungen, als Drittes die maßgeblichen Abgrenzungskriterien zu erläutern. a) Abgrenzung zwischen befreiten und nicht befreiten Umsätzen Der EuGH gelangt zu dem Schluss, dass nur diejenigen Umsätze steuer­ frei sind, welche eine öffentliche Posteinrichtung gerade in dieser Eigen­ schaft verrichtet. Für die Bestimmung der sachlichen Reichweite ist so­ mit ein Rückgriff auf den subjektiven Anbieterstatus notwendig, dem auf diese Weise eine doppelte Funktion im tatbestandlichen Gefüge zu­ kommt. Befreit werden dürfen folglich nur diejenigen Universaldienste, welche der verpflichtete Anbieter gerade auf der besonderen Grundla­ ge seiner übernommenen Verbindlichkeit ausführt. Die Annahme einer 1 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 55, 65. 2 Siehe dazu Huschens, UVR 2003, 88 (95). 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 43 f.

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

derartigen Ausstrahlungswirkung stimmt mit der in § 4 Nr. 11b UStG a.F. zugrunde gelegten Ansicht des deutschen Gesetzgebers überein. Dieser suchte die gebotene Einhegung der Befreiungswirkung in objektiver Hin­ sicht zu erreichen, indem er das leistungsspezifische Merkmal der dem Postwesen unmittelbar dienenden Umsätze tatbestandlich fixierte1. Der EuGH vertritt nunmehr im Kern die gleiche Auffassung, so dass dem Befreiungszweck gemäß ausschließlich die als universaldiensttypisch iSv Art. 3 PostRL konkretisierten Umsätze als solche von Gemeinwohl­ interesse erfasst sind. b) Das Neutralitätsprinzip in tatbestandsbegrenzender Funktion Zusätzlich begründet der Gerichtshof diese auf das Ziel der Gemein­ wohlförderung verengte Auslegung mit der umsatzsteuerlichen Neutra­ lität und weicht dogmatisch von Entscheidungen ab, in denen dieses Prinzip eine tatbestandserweiternde Bedeutung mit vornehmlicher Kon­ zentration auf die objektive Beschaffenheit zu befreiender Umsätze er­ füllt hat2. Die Neutralität ist angesichts der für den Status einer öffentli­ chen Posteinrichtung geforderten Verpflichtung nur so lange nicht beeinträchtigt, als die Begünstigung des betrauten Anbieters auf die in diesem Kontext erbrachten Umsätze reduziert bleibt3. Ginge die Befrei­ ung über diesen Rahmen hinaus, entfiele zugleich das maßgebliche ­Differenzierungskriterium für die sachliche Abgrenzung der Ausgangs­ umsätze mit der Folge, dass nach der gerichtlichen Konzeption eine Un­ gleichbehandlung gleichartiger Postdienstleistungen zu thematisieren wäre4. Nach dieser Betrachtung bildet die Eingrenzung der sachlich be­ freiten Umsätze, die aus dem Status einer öffentlichen Posteinrichtung reflektiert wird, die logische Konsequenz einer nach subjektiven Merk­ malen differenzierenden Befreiungsvorschrift. c) Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Einer abschließenden Präzisierung führt der EuGH den sachlichen An­ wendungsbereich zu, indem er solche Postdienstleistungen von der Steu­ erfreiheit ausklammert, die spezifischen und vom Allgemeinwohlin­ teresse unterscheidbaren Bedürfnissen einzelner Wirtschaftsteilnehmer

1 Siehe hierzu vorstehend C.III.1. 2 Vgl. etwa zum Begriff der Einrichtung EuGH, Rs. C-45/01, Christoph-Dornier-Stif­ tung, Slg. 2003, I-12911 Rn 20; Rs. C-144/00, Hoffmann, Slg. 2003, I-2921 Rn 24 ff; Rs. C‑141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833 Rn 30; Rs. C‑216/97, Gregg, Slg. 1999, I-4947 Rn 19; siehe zur erweiternden Funktion der Neutralität für die Auslegung de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 12. 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 45. 4 Haunold/Tumpel/Widhalm, SWI 2009, 405 (408).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

dienen1. Hierzu zählen jedenfalls einzelvertraglich ausgehandelte Bedin­ gungen. Diese Passage des Urteils weist große Ähnlichkeit zu § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. a) UStG‑E des ersten Regierungsentwurfs auf. Entsprechend hatte die Bundesregierung während des Vorabentscheidungsverfahrens diese auch von der Kommission geteilte Auffassung eingebracht und da­ mit begründet, dass Postdienste nicht der Befriedigung des Gemeinwohls dienen könnten, sollten sie nur Empfängern mit einer besonderen Nach­ fragemacht zugänglich sein2. Der EuGH stimmt dieser Ansicht im Grundsatz zu und verweist diesbezüglich auf seine am 19.05.1993 er­ gangene Entscheidung „Corbeau“3. Dieses Urteil betraf eine verwandte Problematik, als sie die sachliche Trennung der im allgemeinen wirt­ schaftlichen Interesse monopolisierten Postdienste gegenüber Beförde­ rungsleistungen höherer Qualität zum Gegenstand hatte. Aus der Identi­ tät der maßgeblichen Abgrenzungskriterien folgt, dass sich die Befreiung nur auf Universaldienste erstreckt, die der Grundversorgung im materi­ ellen Sinne dienen und damit als Leistungen von allgemeinem wirt­ schaftlichem Interesse zu qualifizieren sind4.

III. Reform des Value Added Tax Act 1994 Das Urteil „TNT Post UK“ veranlasste den britischen Gesetzgeber im Hinblick auf die Befreiung von Postdienstleistungen zu einer grund­ legenden Reform des VAT Act. Der Finance Act 2010 setzte in Part 2 zwei wesentliche Änderungen des Befreiungskatalogs nach Group 3 (Postal Services) Items No. 1 und 2 um, welche für sämtliche ab dem 31.01.2011 erbrachten Umsätze Geltung beanspruchen. Zusätzlich ent­ halten die im Zuge der Reformierung neu aufgenommenen Notes (1) bis (6) zu Group 3 Items No. 1 und 2 eine erläuternde Ergänzung für die Ge­ setzesinterpretation. Weiteren entscheidenden Einfluss auf die Exemtion erlangte schließlich das auf der Grundlage des Postal Services Act 2011 (PSA) umfassend neu konzipierte Regulierungsrecht für Postdienstleis­ tungen im Vereinigten Königreich5. Diese Entwicklung veranschaulicht in eindringlicher Weise das systematische Zusammenspiel zwischen umsatzsteuerlicher Befreiung und Postregulierung auf der Grundlage der Universaldienstverpflichtung einer öffentlichen Posteinrichtung, zu­ gleich gibt eine vergleichende Betrachtung wertvolle Aufschlüsse für die Umsetzungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene.

1 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 46 ff. 2 Zust. GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 77. 3 EuGH, Rs. C-320/91, Corbeau, Slg. 1993, I-2533. 4 Vgl. Kaminski, StB 2010, 193 (197); Huschens, EU-UStB 2009, 21 (23). 5 Seely, VAT on postal services, 2013, S. 14 f.

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

1. Kein abstrakter Unternehmerbezug Die erste Wortlautänderung von Item No. 1 betrifft dem Anschein nach den subjektiven Anwendungsbereich der Postdienstbefreiung. Die Neu­ regelung adressiert nicht mehr länger exklusiv die Post Office company (Royal Mail), sondern erfasst abstrakt-generell jeden Universaldienstleis­ ter („universal service provider“). Als universal service provider (usp) galt gemäß der im Wege des Finance Act 2010 eingefügten Note (1) zunächst jeder Unternehmer, der sämtliche oder einen Teil der Universaldienste im Vereinigten Königreich tatsächlich verrichtet. Die unbefangene Be­ trachtung dieser Neufassung vermittelt daher den Eindruck, als sei die Befreiung im Lichte eines geöffneten Postmarktes von ihrer ursprüngli­ chen Ausrichtung auf einen individualisierten Dienstleister gelöst und die Begünstigungsmöglichkeit für sämtliche Marktteilnehmer eröffnet worden. Dass es sich bei diesem Verständnis jedoch um eine Fehlinter­ pretation handelt, verdeutlicht spätestens die ersatzlose Streichung von Note (1) gemäß Schedule 1 Section 28 (3) (a) PSA. An die Stelle der ur­ sprünglich rein leistungsbezogenen Definition des Universaldienstanbie­ ters trat nach Maßgabe der neu eingefügten Note (7)1 der Begriff des usp, wie er gemäß Part 3 PSA auch im regulativen Kontext Verwendung fin­ det. Als nunmehr zuständige Regulierungsbehörde verfügt das Office of Communications (OFCOM) gemäß Art. 35 Abs. 1 PSA über die Befugnis, einen für geeignet befundenen Postdienstanbieter zum usp für das Ver­ einigte Königreich zu benennen. Generell ist dieses behördliche Aus­ wahlermessen gemäß Art. 35 Abs. 2 PSA auf einen einzigen Anbieter reduziert, so dass eine Mehrheit von befreiten Universaldienstleistern grundsätzlich ausgeschlossen bleibt2. Die Notwendigkeit einer einsei­ tigen Auswahlentscheidung belegt zudem die Systematik von Art. 42 Abs. 1 lit. a) PSA. Nach dieser Vorschrift können einem nicht designier­ ten Erbringer von Universaldiensten lediglich „general universal service conditions“ auferlegt werden. Ein solcher Dienstleister ist in Abgren­ zung zu Art. 36 Abs. 1 PSA, der gegenüber dem designierten Anbieter die Aufbürdung weitergehender „designated USP conditions“ erlaubt, gera­ de nicht als usp im Rechtssinne qualifiziert3. Royal Mail besitzt folglich auch im Anschluss an die aktuelle Poststrukturreform den alleinigen Status einer öffentlichen Posteinrichtung im Vereinigten Königreich4. Die Neufassung von Item No. 1 führt die traditionelle Exklusivbefreiung

1 Eingeführt durch Schedule 1 section 28 (3) (f) PSA. 2 Die in Art. 35 Abs. 3 und 4 PSA geregelten Ausnahmen haben bislang keine Rolle gespielt. 3 Eccles, in: Crew/Brennan, Postal and Delivery Sector, 2014, S. 93 (96). 4 Auf der Grundlage des Postal Services Act 2000 war Royal Mail der einzige durch Verwaltungsakt der Postal Services Commission (Postcomm) als Universaldienst­ leister verpflichtete Anbieter, vgl. Gramlich, N&R 2009, 247 (248).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

fort, da dieser Anbieter bereits seit Einführung der Umsatzsteuer 1973 durchgehend als „public postal service“ operiert1. 2. Leistungsspezifische Subjektivierung Die zweite gesetzliche Anpassung hatte das sachliche Befreiungsspek­ trum zum Gegenstand. Erfasst sind gemäß Item No. 1 nur noch qualifi­ zierte Dienste („public postal services“) sowie gemäß Item No. 2 die da­ zugehörenden Lieferungen. Diese sachliche Verengung nahm die im TNT‑Urteil höchstrichterlich bestätigte Kritik der Kommission an einer zu weit gehenden Umsetzung auf und entzog dem Vertragsverletzungs­ verfahren die Grundlage. Richtlinienwidrig war die ursprünglich geregel­ te Befreiung sämtlicher Beförderungsleistungen („conveyance of postal packets“) durch Royal Mail2. Die geforderte Begrenzung auf solche Universaldienste, die eine öffentli­ che Posteinrichtung gerade in dieser Eigenschaft verrichtet, setzt die in Note (2) eingefügte Ergänzung zu Item No. 1 um. Unter den sachlich befreiten public postal services sind nunmehr ausschließlich Universal­ dienste zu verstehen, welche der betreffende Anbieter auf der Grundlage einer ihm hoheitlich auferlegten Verpflichtung erbringt3. Inhaltlich kon­ kretisiert wurde dieses Verpflichtungserfordernis unter Geltung des al­ ten Regulierungsrahmens gemäß Note (2) noch durch das Merkmal der „licence duty“ iSv Part 2 Postal Services Act 2000. Die Lizenzverpflich­ tung wurde gemäß Schedule 1 Section 28 (3) PSA unterdessen durch den neuen Terminus der „specified condition“ abgelöst. Hintergrund dieser Anpassung ist das 2011 neu eingeführte Regulierungskonzept, wonach Postdienste gemäß Art. 28 Abs. 1 PSA keinem Lizenzvorbehalt mehr un­ terstehen. Anstelle der bisherigen Lizenzauflagen kann OFCOM nun­ mehr eigenständige Verpflichtungen in Gestalt der „regulatory condi­ tions“ gemäß Art. 28 Abs. 2 PSA zulasten einzelner Anbieter hoheitlich festlegen. Den befreiungsrechtlich relevanten Ausschnitt der specified conditions reduziert Note (6) wiederum auf solche Verpflichtungen, die OFCOM ausschließlich gegenüber dem designierten Universaldienst­ leister auferlegen darf. Hierzu zählt vornehmlich der Bereich der designa­

1 HM Revenue & Customs, VAT – Postal Services, Technical Note v. 24.03.2010, Rn 1.2. 2 Siehe auch Eilers, DStR 2009, 1132 (1135); HM Revenue & Customs, VAT – Postal Services, Technical Note v. 24.03.2010 Rn 1.3. 3 Zulässiger Gegenstand einer Lizenzverpflichtung konnte gemäß Art. 3 Abs. 2 Postal Services Act 2000 dabei nur der Universaldienst („universal postal service“) sein. Entspr. gilt dies gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a) PSA auch für das neue Regulierungsrecht im Rahmen der „designated USP conditions“.

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

ted USP conditions (Art. 36 PSA)1. Einem benannten usp kann insoweit gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a) PSA, sollte dies die Sicherstellung der Grund­ versorgung erfordern, die Verpflichtung aufgebürdet werden, sämtliche oder einen Teil der Universaldienste im gesamten Vereinigten König­ reich oder regional zu verrichten. Alternative Anbieter von Universal­ diensten sind hingegen gemäß Art. 42 Abs. 4 lit. b) PSA während der Existenz eines anderweitig benannten usp ausdrücklich von der Mög­ lichkeit zur hoheitlich auferlegten Grundversorgung ausgeschlossen, so dass ihre Umsätze nicht die vorausgesetzte Gemeinwohlqualität erfüllen können2. 3. Ausnahmetatbestände Ausgenommen von der Befreiung iSv Group 3 Items No. 1 und 2 sind gemäß Note (4) Universaldienste, deren Preis keiner hoheitlichen Kon­ trolle unterliegt (lit. a) oder deren Bedingungen individuell verhandelt sind (lit. b). Im Vereinigten Königreich wird die seitens des EuGH postu­ lierte Ausgrenzung von nicht am Gemeinwohl ausgerichteten Leistun­ gen dahingehend interpretiert, dass die befreiungsschädliche Befrie­ digung individueller Interessen einzelner Wirtschaftsteilnehmer einen exklusiven Zugang dieser Versender zu entsprechenden Sonderkonditio­ nen voraussetzt. In konsequenter Fortsetzung dieses Verständnisses sta­ tuiert Note (5) lit. a) und lit. b) eine Gegenausnahme, nach welcher die Befreiung auch im Falle abweichender Preis- oder Leistungsbedingungen zur Anwendung gelangt, sofern der Universaldienstleister diese aufgrund seiner Verpflichtung (specified condition) für jedermann zugänglich ma­ chen muss. Für die Befreiung genügt daher bereits die rein rechtlich un­ gehinderte Möglichkeit zugunsten sämtlicher Kunden, ebenfalls zu Son­ derkonditionen flächendeckend erbrachte Universaldienste in Anspruch zu nehmen3. Relativiert wurde dies jedoch mit Inkrafttreten der Univer­ sal Postal Service Order zum 01.04.2012, wonach massenhaft versendete Geschäftspost (bulk mail) nicht mehr dem befreiten Universaldienst als zulässigem Verpflichtungsgegenstand iSv Art. 36 Abs. 2 lit. a) PSA unter­ fällt4.

1 Ebenfalls erfasst sind „USP access conditions“ gemäß Art. 38 Postal Services Act 2011, so dass nachgelagerte Dienstleistungen durch Royal Mail im Rahmen eines zu gewährenden Netzzugangs befreit sein können. 2 Der EuGH erblickt nur in einer flächendeckenden Erbringung der Universaldienste im gesamten Territorium eines Mitgliedstaates eine dem Gemeinwohl dienende Tä­ tigkeit; vgl. statt vieler Eilers, DStR 2009, 1132 (1135). 3 HM Revenue & Customs, VAT – Postal Services, Technical Note v. 24.03.2010 Rn 2.8. 4 SI 2012 No. 936, The Postal Services (Universal Postal Services Order) 2012. Rele­ vanz entfaltet die Ausnahme daher nur noch für nachgelagerte Dienste aufgrund der möglichen USP access conditions (Art. 38 PSA).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

IV. Neufassung des § 4 Nr. 11b UStG im Kontext der Postmarkt­ öffnung Nachdem der EuGH in seiner Entscheidung „TNT Post UK“ die maß­ geblichen Weichenstellungen für die Umsetzung der Postdienstbefreiung in das nationale Recht präzisiert hatte, konnte auch in Deutschland der zwischenzeitlich unterbrochene Reformprozess zu § 4 Nr. 11b UStG a.F. zum Abschluss geführt werden. Die bis zum Urteilserlass vorliegenden Entwürfe bedurften hierzu der eingehenden Überprüfung am Maßstab der aktuellen Rechtsprechung. 1. Abschaffung als richtlinienwidriger Ansatz Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechungsvorgaben zur Post­ dienst­ ex­ emtion erwiesen sich die früheren Bestrebungen der FDP-­ Fraktion gerichtet auf eine ersatzlose Streichung von § 4 Nr. 11b UStG als nicht mit der Richtlinie vereinbar1. Diesbezüglich hat der EuGH klar betont, dass die Postmarktliberalisierung jedenfalls bei isolierter Be­ trachtung keine unmittelbare Auswirkung auf die Freistellung zeitigt. Folglich bildet Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auch über die zum 01.01.2013 unionsweit realisierte Postmarktöffnung hinaus eine ver­ bindlich zu beachtende Vorgabe des Europarechts2. Abermals bestätig­ te dieses Ergebnis unlängst die Entscheidung des EuGH in dem bereits 2006 eingeläuteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Schweden3, das – gleichsam im Windschatten der Kommissionsbemühungen um eine ­endgültige Abschaffung der Befreiungsregelung – die Anwendung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) und Art. 135 Abs. 1 lit. h) MwStSystRL beharrlich verweigert hatte4. Die Verurteilung in nahtloser Fortsetzung der TNT-­ Rechtsprechung zeigt, dass die Postdienstbefreiung ohne Abänderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie künftig eine gesicherte Umsetzungsdi­ rektive formulieren wird5.

1 BReg, BT-Drucks. 16/13570 v. 26.06.2009, S. 12; Jacobs, UR 2009, 825 (830); Eilers, DStR 2009, 1132 (1134); Schaumburg, Stellungnahme v. 26.05.2009, S. 6; so auch die DPAG, Stellungnahme v. 09.02.2010, S. 5. 2 A.A. nur Schwintowski, Stellungnahme v. 13.03.2009, S. 2 f, auf die Postmarktlibe­ ralisierung abstellt und die Befreiung für unvereinbar mit dem Primärrecht hält. 3 EuGH, Rs. C-114/14, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2015:249. 4 Vgl. zum Verlauf KOM IP/06/484 v. 10.04.2006; IP/07/1164 v. 24.07.2007; KOM IP/13/1111 v. 20.11.2013; siehe auch Vellen, UStB 2006, 133 (134). 5 Auch die FDP forderte damals die Bundesregierung vorsorglich auf, sich für die Ver­ abschiedung des Komissionsvorschlags zur Abschaffung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL im Rat einzusetzen, vgl. BT-Drucks. 16/8906 v. 23.04.2008, S. 8; BT‑Drucks. 16/11674 v. 21.01.2009, S. 4.

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

2. Unmittelbare Wirksamkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL Die richtlinienkonforme Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSyst­ RL in nationales Recht wird auch in der Weise sanktioniert, dass sich diese Vorschrift ebenso wie zahlreiche weitere der katalogmäßigen Be­ freiungstatbestände für eine unmittelbare Wirkung eignet. Die Vorgabe zur postalischen Exemtion ist inhaltlich unbedingt formuliert, da sie ohne Vorbehalte gilt und die zugrunde liegende Zielsetzung nicht von weiteren gestalterischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten abhängig ist. Darüber hinaus weist sie auch die notwendige inhaltliche Bestimmtheit auf. Dieses für die Durchgriffseignung einer Richtlinienbestimmung er­ forderliche Kriterium wurde in der Vergangenheit mit der Begründung in Abrede gestellt, das öffentliche Posteinrichtungsmerkmal sei zu undif­ ferenziert und eine konkrete Spezifizierung des maßgeblichen Bedeu­ tungsgehalts daher nicht möglich1. Eine hinreichende Genauigkeit des Richtlinieninhalts setzt allerdings keine absolute Eindeutigkeit voraus, vielmehr steht die Verwendung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe der unmittelbaren Wirkung nicht entgegen2. Spätestens aber seitdem sich der EuGH mit seiner Entscheidung „TNT Post UK“ zum zweiten Male umfassend der Auslegung dieses Merkmals gewidmet und die inhaltli­ chen Vorgaben anhand Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der Entste­ hungsgeschichte präzisiert hat, ist die Behauptung unzureichender Be­ stimmtheit nicht mehr haltbar. Folglich können sich Steuerpflichtige im Falle einer fehlerhaften oder gänzlich unterlassenen Umsetzung gegen­ über nationalen Behörden und Gerichten auf Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL unmittelbar berufen3. Bestätigt findet sich dieses Ergebnis durch die Schlussanträge, sofern mit der staatlichen Umsetzungspflicht ein Recht des Einzelnen korrespondiert4. 3. Reformkonzept für § 4 Nr. 11b UStG Um § 4 Nr. 11b UStG a.F. an das wegweisende Urteil „TNT Post UK“ anzupassen, leitete die Bundesregierung am 25.01.2010 dem Bundestag ihren überarbeiteten Reformvorschlag zu5. In Art. 5 Nr. 2 zum Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Ände­ rung steuerlicher Vorschriften war die heute geltende Fassung enthalten. Der Gesetzesvorschlag passierte den Bundestag in seiner Sitzung vom 05.03.2010 unverändert, der Bundesrat erteilte schließlich seine Zustim­ 1 So noch Korf, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 8/07, § 4 Nr. 11b Rn 92. 2 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, 60. Lfg., Art. 288 AEUV Rn 147. 3 Vgl. FG Baden-Württemberg EFG 2011, 1368 (1370); Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/ Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 13; Klenk, HFR 2009, 729 (730); BMK, Son­ dergutachten 2009, S. 108; Schaumburg, Stellungnahme v. 13.01.2009, S. 3 f. 4 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 75. 5 BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 30.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

mung am 26.03.20101. Seit Inkrafttreten der Neuregelung zum 01.07.2010 sind gemäß § 4 Nr. 11b UStG nunmehr von der Umsatzsteuerpflicht be­ freit: „Universaldienstleistungen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemein­ same Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl L 15 vom 21.1.1998, S. 14, L 23 vom 30.1.1998, S. 39), die zuletzt durch die Richtlinie 2008/6/EG (ABl L 52 vom 27.2.2008, S. 3) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Die Steuerbefreiung setzt voraus, dass der Unternehmer sich entsprechend einer Bescheinigung des Bundeszentralamtes für Steuern gegenüber dieser Behörde verpflichtet hat, flächendeckend im gesamten Ge­ biet der Bundesrepublik Deutschland die Gesamtheit der Universaldienste oder einen Teilbereich dieser Leistungen nach Satz 1 anzubieten. Die Steuer­ befreiung gilt nicht für Leistungen, die der Unternehmer erbringt a) auf Grund individuell ausgehandelter Vereinbarungen oder b) auf Grund allgemeiner Geschäftsbedingungen zu abweichenden Qualitäts­ bedingungen oder zu günstigeren Preisen als den nach den allgemein für jedermann zugänglichen Tarifen oder als den nach § 19 des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 (BGBl I S. 3294), das zuletzt durch Artikel 272 der Verordnung vom 31.Oktober 2006 (BGBl I S. 2407) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, genehmigten Entgelten.“

Gegenüber dem Ende 2008 eingebrachten Regierungsentwurf eines Drit­ ten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (BT‑Drucks. 16/11340) weist die aktuell umgesetzte Befreiungskonzeption zwei we­ sentliche Änderungen auf. a) Flächendeckende Teilversorgung In objektiver Hinsicht legt § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG fest, dass bereits die Ausführung eines sachlich begrenzten Teils der Universaldienste im ge­ samten Gebiet der BRD für die Umsatzsteuerfreistellung genügt2. Auf diese Weise wurde die Erfüllung der objektiven Befreiungsauflage er­ leichtert und eine flexible Lösung geschaffen. Der ursprüngliche Reform­ entwurf, welcher noch auf die flächendeckende Verrichtung der Ge­ samtheit des Universaldienstspektrums abstellte, wurde diesbezüglich sowohl im Schrifttum als auch in den beratungsbegleitend durchgeführ­ ten Anhörungen negativ bewertet. Kritisiert wurde insbesondere, dass allein die DPAG der Anforderung nach einer gebietsübergreifenden Ver­ richtung sämtlicher Universaldienste nachkommen könne, während konkurrierende Anbieter mangels notwendiger Infrastruktureinrichtun­ 1 BGBl. I 2010, S. 386; vgl. dazu Painter/Melchior, DStR 2010, 625; Nacke, StBW 2010, 315 (317). 2 Zu diesem Erfordernis Huschens, EU-UStB 2009, 21 (22).

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D.  Personenneutrale Befreiung – § 4 Nr. 11b UStG unter Reformzwang

gen allenfalls in sachlichen Teilbereichen eine flächendeckende Zu­ stellung anbieten1. Die ursprünglich durch die Bundesregierung gehegte Reformvorstellung hätte daher zur Folge gehabt, dass die exklusive Be­ freiungsstellung der DPAG stärker perpetuiert worden wäre2. b) Subjektive Öffnung Die zweite Änderung bestand darin, dass der Gesetzgeber gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG das personenspezifische Merkmal der Selbstver­ pflichtung entsprechend der deutschsprachigen Übersetzung des Urteils „TNT Post UK“ in den Tatbestand aufgenommen hat. Befreit wird jeder Unternehmer, der sich als öffentliche Posteinrichtung zur flächendecken­ den Erbringung der in Satz 1 umschriebenen Universaldienste verpflich­ tet hat und sich im Besitz einer Bescheinigung durch das BZSt befindet3. Nicht mehr ausreichend ist die alleinige Verrichtung dieser Leistungen entsprechend dem vorangegangenen Entwurf, nach dessen Konzept sich die Bescheinigung nur auf das tatsächliche Angebot der Gesamtheit flä­ chendeckender Universaldienste beziehen sollte. Ein vordringliches An­ liegen lag nach dem Wegfall der Exklusivlizenz zum 01.01.2008 darin be­ gründet, die bisher selektive Befreiung an die neue Marktsituation anzupassen4. Entsprechend verwirklichte der Gesetzgeber die tatbestand­ liche Erweiterung, indem außer der DPAG nunmehr auch andere Unter­ nehmer steuerfreie Umsätze erbringen können5. Diese Entwicklung illus­ triert, dass der deutsche Gesetzgeber im Gegensatz zum Vereinigten Königreich einen sehr viel stärker an der Postmarkt­liber­­­­­ali­sierung orien­ tierten Ansatz gewählt hat. Anders als die 2011 a­ bgeschlossene Neufas­ sung von Group 3 Items No. 1 und 2 VAT Act, welche die Befreiung iso­ liert zugunsten des hoheitlich designierten usp ausschlagen lässt6, bewirkt § 4 Nr. 11b UStG infolge des Selbstverpflichtungsmechanismus keine subjektive Ausgrenzung befreiungswürdiger Anbieter mehr7. 1 Goodarzi/Kapischke, NVwZ 2009, 80 (82); BIEK, Stellungnahme BT‑Drucks. 16/13152 v. 26.05.2009, S. 5; BStBK, Stellungnahme v. 16.03.2009, S. 3; Schwin­ towski, Stellungnahme v. 13.03.2009, S. 1. 2 Nach wie vor krit. für den Briefbereich Koenig/Hasenkamp/Kolbe, N&R 2011, 20 (23). 3 Vgl. nur Lembke, in: Weimann/Lang, USt, 3. Aufl., § 4 Nr. 11b 1.1. Die Zuständig­ keit des BZSt ist geregelt in § 5 Abs. 1 Nr. 37 FVG. 4 BReg, BT-Drucks. 16/11340 v. 10.12.2008, S. 6; krit. Haucap, Wettbewerb im Post­ markt, 2016, S.20. 5 Laut dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP v. 26.10.2009, S. 14 f sollte die „steuerliche Ungleichbehandlung“ am Postmarkt beseitigt werden; vgl. Widmann, DStR 2009, 1061; Kraeusel, UR 2008, 647 (649). 6 Siehe hierzu vorstehend III. 7 BMK, Sondergutachten 2013, S. 204; Thiele/Zauner, N&R 2011, 137 (142); Beer, StB 2010, 337; Klotz/Brandenberg, N&R 2010, 8 (17); Nieskens, UR 2010, 713 (714); Painter/Melchior, DStR 2010, 625.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

E. Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG Anlässlich des vorstehend beschriebenen Reformprozesses ist von zen­ traler Bedeutung, inwieweit sich die seit dem 01.07.2010 geltende ­Fassung des § 4 Nr. 11b UStG mit den unionsrechtlichen Vorgaben im Lichte der maßgeblichen EuGH-Interpretation konform verhält. Im Schrifttum wird diese Frage bereits seit Vorliegen der ersten Entwürfe kontrovers diskutiert, insgesamt haben sich drei zentrale Problempunk­ te bezüglich der objektiven wie subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen herauskristallisiert. Nachfolgend ist daher die bereits allgemein darge­ legte Auslegungsdirektive des EuGH anhand eines konkreten Umset­ zungsbeispiels tiefergehend zu analysieren. Weitreichende Konsequen­ zen hat das Ergebnis dieser Untersuchung nicht allein in juristischer Hinsicht für die vertragskonforme Erfüllung der verpflichtenden Richtli­ nienumsetzung, sondern auch für die Frage, welche Auswirkungen die postalische Umsatzsteuerbefreiung generell auf den Wettbewerb entfal­ tet.

I. Der objektiv befreite Leistungsumfang Befreit sind gemäß § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG ausschließlich Universal­ dienste iSv Art. 3 Abs. 4 PostRL. Eine zusätzliche Konkretisierung er­ folgt durch § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG, wonach sich die unternehmerische Selbstverpflichtung auf die flächendeckende Erbringung sämtlicher Uni­ versaldienste oder eines Teils derselben beziehen muss. Unter einem sachlichen Teil iSv Satz 2 ist ein in sich geschlossener Bereich von Uni­ versaldiensten entsprechend der Aufzählung in Art. 3 Abs. 4 PostRL zu verstehen. Ein teilweise begünstigter Anbieter muss daher gemäß § 4 Nr. 11b UStG alternativ das gesamte Spektrum von Postsendungen bis zu 2 kg oder der Paketsendungen bis zu 10 kg abdecken1. Befreit ist ein einzelner Umsatz also nur unter der Voraussetzung, dass er eine Univer­ saldienstleistung gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL zum Gegenstand hat und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des unternehmerischen Leistungs­ angebots den Bestandteil einer bundesweiten Versorgung bildet2. Die verkürzende Bezugnahme in § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG auf den zwin­ genden Mindestumfang von Universaldiensten kompensiert zu einem gewissen Grad die tatbestand­liche Erweiterung, die auf der Einbeziehung flächendeckend verrichteter Teilleistung­en beruht. Hintergrund hierzu ist, dass die nationale Universaldienstumsetzung im Einklang mit Art. 3 Abs. 5 PostRL über den zwingenden Mindeststandard gemäß Art. 3 1 Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 24; Langer, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 4/17, § 4 Nr. 11b 2.2. 2 Weber, UVR 2010, 139 (141).

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

Abs. 4 PostRL hinausgeht. Zu den ehemals nach § 4 Nr. 11b UStG a.F. befreiten Diensten zählen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 PUDLV auch Paketbe­ förderungen bis zu 20 kg, ferner nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 und 4 PUDLV die Sendungsformen der Nachnahme und Eilzustellung. Entsprechend Art. 3 Abs. 4 PostRL unterfallen der Umsatzsteuerbefreiung seit dem 01.07.2010 indes nur noch Postsendungen bis zu 2 kg und Pakete bis zu 10 kg ein­ schließlich der Dienste für Einschreib- und Wertsendungen, während die Paketbeförderung in der Gewichtsklasse von 10 bis 20 kg sowie Nach­ nahme und Eilzustellung bewusst ausgenommen worden sind1. Diese Reduktion war maßgeblich durch fiska­lische Interessen motiviert. Der Gesetzgeber erwartete angesichts der subjektiv eröffneten Befreiungs­ möglichkeit für konkurrierende Anbieter neben der DPAG tendenziell Mindereinnahmen und setzte diese ausdrücklich in Relation zu den ob­ jektiv bedingten Mehreinnahmen2. Erhebliche Zweifel sind unterdessen an der unionsrechtlichen Konformität dieser Regelung angebracht. 1. Befreiungsrechtliche Bindung an das Universaldienstkonzept Der EuGH hat bezüglich Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG klargestellt, dass nur durch eine öffentliche Posteinrichtung in dieser Ei­ genschaft erbrachte Umsätze zu befreien sind, was wiederum deren Ein­ bindung in die Verpflichtung des Unternehmers voraussetzt, Universal­ dienste iSd Postrichtlinie ganz oder teilweise in einem Mitgliedstaat zu gewährleisten3. Abhängig zeigt sich die objektive Tragweite der Post­ dienstexemtion auf dieser Grundlage von zwei Faktoren. Maßgeblich ist zunächst, nach welchen Kriterien die zugelassene Abgrenzung eines Teils der Universaldienste zu erfolgen hat (a). Des Weiteren ist fraglich, anhand welcher rechtlicher Bestimmungen der genaue Inhalt der zu be­ freienden Universaldienste konkretisiert werden muss (b). a) Flächendeckende Grundversorgung Für die Abgrenzung eines befreiungswirksam ausgeführten Teils von Universaldienstleistungen bestehen gemeinhin zwei denkbare Lösungs­ ansätze. Neben einer Differenzierung nach territorialen Gesichtspunk­ ten bietet sich die Begrenzung auf einen sachlich relevanten Ausschnitt an4. Eine genauere Betrachtung der Urteilsbegründung zu „TNT Post UK“ zeigt jedoch, dass der EuGH die Befreiung eindeutig an eine flächen­ deckende Bereitstellung gebunden hat5. Der übergeordnete Gemeinwohl­ 1 Vgl. dazu Huschens, NWB 25/2010, 1976 (1977); Kaminski, StB 2010, 193 (197). 2 BReg, BT-Drucks. 16/11340 v. 10.12.2008, S. 6; geschätzt wurden Mehreinnahmen von 300 Mio. EUR, vgl. Widmann, UR 2010, 8 (12). 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 44. 4 Offen lassend Haunold/Tumpel/Widhalm, SWI 2009, 405 (409). 5 Siehe auch Nieskens, UR 2010, 713 (715); Livonius, IStR 2009, 325.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

bezug mündet in das postsektorale Universaldienstkonzept, dessen Zweck ausweislich Art. 3 Abs. 1 PostRL auf ein flächendeckendes Angebot an­ gelegt ist1. Zwar beziehen sich diese Ausführungen unmittelbar nur auf das Merkmal der Selbstverpflichtung eines Anbieters. Da jedoch ledig­ lich solche Universaldienste steuerfrei sind, die der betraute Anbieter gerade in dieser Eigenschaft erbringt, besteht insoweit Kongruenz zwi­ schen subjektivem und objektivem Anwendungsbereich. Gemeinwohl­ orientierte und damit befreiungswürdige Postdienstleistungen setzen zwingend voraus, dass sie im gesamten Gebiet eines Mitgliedstaates ver­ richtet werden2. Angesichts der auf einen Teil von verbindlichen Univer­ saldienstleistungen erstreckten Freistellung orientiert sich die TNT-­ Entscheidung überdies unverkennbar an den früheren Rahmenvorgaben des Postal Services Act 2000. Als hoheitliche Lizenzauflage konnte die ehemals zuständige Postcomm dem ausgewählten Anbieter gemäß Art. 3 Abs. 2 Postal Services Act 2000 die Verpflichtung auferlegen, sämtliche oder einen Teil der Universaldienste zu erbrin­­gen3. Dass es sich insoweit ebenfalls nicht um eine territoriale Begrenzung handeln konnte, verdeut­ lichte indes der nachfolgende Art. 4 Abs. 1 lit. a) (i) Postal Services Act 2000, wonach der Universaldienst grundsätzlich eine Zustellung an jeden Empfänger im gesamten Vereinigten Königreich implizierte. Weitergehende Detailvorgaben, nach denen sich die somit allein in sach­ licher Hinsicht zulässige Differenzierung befreiter Leistungen zu richten hat, benennt der EuGH nicht explizit. Um dem Gemeinwohlgedanken Rechnung zu tragen, muss insoweit allerdings das Angebot eines in sich abgeschlossenen Segments aus dem geltenden Universaldienstkatalog gefordert werden4. Anderenfalls drohte eine nicht hinnehmbare Zersplit­ terung der Grundversorgung in Einzelleistungen, durch deren Verrich­ tung der betreffende Anbieter nicht mehr in ausreichendem Maße das Interesse der Allgemeinheit befriedigte. Die seitens des EuGH gestattete Segmentierung bildet im Übrigen die einzige Abweichung zu den Schlussanträgen, da Generalanwältin Kokott noch auf die Erfüllung des Gesamtkatalogs bestanden hatte5.

1 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 34. 2 So auch Langer, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 4/17, § 4 Nr. 11b 2.2.; ­Huschens, EU­‑UStB 2009, 21 (22); Eilers, DStR 2009, 1132 (1135); Koenig/Busch, EWS 2009, 510 (511). 3 Vgl. dazu auch die Vorgabe gemäß Art. 4 Abs. 2 PostRL. 4 Livonius, IStR 2009, 325; Eilers, DStR 2009, 1132 (1135). 5 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 63; so auch noch Schaumburg, Stellungnahme v. 16.03.2009, S. 3.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

b) Mitgliedstaatliche Umsetzung als zwingende Leitlinie Inhaltlich verweist der EuGH zugunsten der gemeinwohlspezifischen Umsatzqualität auf Art. 3 PostRL und bestätigt auf diese Weise die be­ sondere Relevanz der postordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Konturierung des befreiungsrecht­lichen Anwendungsbereichs1. Un­ ter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Postrichtlinie allein durch ihre Mindestvorgaben keine vollständige Harmonisierung des Universal­ dienstes bewirkt, entfaltet die Umsatzsteuerbefreiung je nach Umset­ zung dieses Konzepts eine divergierende Reichweite auf nationaler Ebe­ ne. Diesen ordnungsrechtlich induzierten Regelungsfreiraum erkennt der Gerichtshof ausdrücklich an, indem er zwecks Konkretisierung der verpflichtungsrelevanten und gleichsam objektiv zu befreienden Univer­ saldienste auf Art. 3 PostRL uneingeschränkt Bezug nimmt. Erfasst ist daher nicht allein der Mindestumfang gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL, son­ dern auch die optionale Erweiterung nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 5 PostRL. Wäre dem EuGH hingegen an einer uniformen Wirkungsweise der Exemtion gelegen, hätte es eines abschließenden Verweises lediglich auf Abs. 4 bedurft. Dass er diese Konsequenz jedoch nicht verwirklicht hat, entspricht der generell hervorstechenden Linie zur Respektierung des mitgliedstaatlichen Organisationsermessens im Postsektor. In aller Deutlichkeit hebt auch Generalanwältin Kokott diese Zusammenhänge hervor und betont, dass die umsatzsteuerrechtliche Öffnung gegenüber den im Postsektor regulativ verankerten Wertungen einen Ausfluss des Subsidiaritätsprinzips markiere2. Die objektive Befreiungsreichweite darf nach alledem nicht isoliert auf­ grund der sekundären Rahmenvorgaben in Art. 3 PostRL festgelegt wer­ den. Es bedarf vielmehr zusätzlich der Berücksichtigung, welche gestal­ terische Konzeption dem hierzu erlassen­ en Umsetzungsakt zugrunde liegt3. Aus dieser interpretatorischen Systematik folgt im Umkehr­ schluss, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Postdienstbefreiung an ihre eigens gewählte Konkretisierung des Universaldienstkonzepts ge­ bunden sind4.

1 Siehe auch Birkenfeld, in: Birkenfeld/Wäger, USt-HdB, 75. Lfg., § 95 Rn 533; Hundt-Eßwein, in: Küffner/Stöcker/Zugmaier, USt, 129. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 9. 2 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 73 f. 3 Von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 135; BMK, Sonder­ gutachten 2009, S. 109. 4 Siehe auch GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 75. Konse­ quenterweise hat Österreich den Universaldienstumfang bezüglich Paketsendungen zum 01.01.2011 von ehemals 20 auf nunmehr 10 kg herabgesetzt, vgl. § 6 Abs. 2 Postmarktgesetz (PMG), BGBl. I Nr. 123/2009.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

2. Unionsrechtswidrige Missachtung der ordnungsrechtlichen ­Akzessorietät Mit Blick auf den erfassten Leistungsumfang gemäß § 4 Nr. 11b Satz 1 und 2 UStG ergibt sich aus der unter 1. erfolgten Präzisierung der Recht­ sprechungsvorgaben eine zwiespältige Bilanz. Als unionsrechtskonform erweist sich diese Regelung insoweit, als der individuelle Umsatz nur im Gesamtkontext eines flächendeckenden Universaldienstes befreit wird. Nicht zu beanstanden ist überdies, dass der begünstigte Unternehmer, wenn nicht schon die Gesamtheit der Universaldienste, so doch zumin­ dest eine in sich geschlossene Teilkategorie dieses Spektrums anbieten muss. Die Anforderung an eine komplettierte Bedienung von Briefsen­ dungen bis zu 2 kg einschließlich Einschreib- oder Wertsendungen oder Paketsendungen innerhalb der geltenden Gewichtsklasse harmoniert an­ gesichts der insoweit vollständigen Befriedigung spezifischer Grundbe­ dürfnisse mit dem Gemeinwohlprinzip1. Nicht mit Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL vereinbar ist jedoch eine sachliche Differenzierung, wie sie der Gesetzgeber in § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG durch Verweis auf Art. 3 Abs. 4 PostRL eingeführt hat2. Die be­ zweckte Tatbestandsbegrenzung verstößt gegen die Pflicht der Mitglied­ staaten, den regulativen Ordnungsrahmen im Einklang mit den eigens getroffenen Wertungen folgerichtig zu beachten3. Zulässig wäre die Re­ duzierung der Befreiungswirkung daher nur unter Angleichung von § 1 PUDLV an den Katalog des Art. 3 Abs. 4 PostRL. Solange jedoch weiter­ gehend auch Paketsendungen von 10 bis zu 20 kg gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 PUDLV sowie die Sendungsformen der Nachnahme und Eilzustellung gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 und 4 PUDLV zum nationalrechtlich fixierten Universaldienststandard gehören, müssen diese Leistungen zwingend von der Umsatzsteuerpflicht freigestellt werden4. Als Konsequenz der sekundärrechtswi­drigen Umsetzung in § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG kann sich ein Unternehmer bezüglich des zu befreienden Leistungsumfangs

1 Vgl. Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 4, der lediglich Kritik am unkla­ ren Gesetzeswortlaut übt. 2 Siehe auch Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 27; Nieskens, UR 2010, 713 (717); Jacobs, UR 2009, 825 (830); Livonius, DStR 2009, 325; Eilers, DStR 2009, 1132 (1134); ebenso entsprach dies der h.A. im Rahmen der Ex­ pertenanhörung zu BT-Drucks 17/506, vgl. Scholz, Stellungnahme v. 09.02.2010, S. 12; Haucap, Stellungnahme v. 08.02.2010, Tz 4; Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 2 ff; a.A. Huschens, in: Schwarz/Wid­ mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 50; Nacke, StBW 2010, 315 (317). 3 Vgl. Schmölz, in: Weymüller, UStG, 2015, § 4 Nr. 11b Rn 3. 4 Einen Verweis auf die PUDLV sah der Referentenentwurf noch vor, vgl. Kraeusel, UR 2008, 647 (650). A.A. Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 54.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL berufen und somit in den Genuss einer weitergehenden Begünstigung gelangen1.

II. Ausgenommene Leistungen, § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG Um die Befreiung auf gemeinwohlspezifische Postdienstleistungen zu begrenzen, wurden in § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG zwei tatbestandliche Aus­ nahmen eingefügt. Durch sie soll die Besteuerung solcher Leistungen begründet werden, die besonderen Interessen einzelner Wirtschaftsteil­ nehmer dienen. Typischerweise geht es in diesem Zusammenhang um die flächendeckende Beförderung von massiertem Brief- oder Paketauf­ kommen, die ein Dienstleister gegenüber Großkunden zu besonderen Leistungsbedingungen und ermäßigten Tarifen anbietet. Gleichfalls durch die Ausnahmeregelung in Satz 3 betroffen sind Konsolidierer, die – wie ehemals TNT Post im Vereinigten Königreich – massenhaft Postsen­ dungen abholen, vorsortieren und bei einem flächendeckend tätigen An­ bieter für die weitere Zustellung als Teilleistung gegen Rabattgewährung einliefern2. 1. Individuell ausgehandelte Vereinbarungen, § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. a) UStG Ausgenommen sind von der Befreiung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. a) UStG Postdienste, die aufgrund individueller Vereinbarungen erbracht werden. Der Wortlaut dieser Regelung ist missglückt, denn selbstver­ ständlich beruht jede Dienstleistung auf einem zwischen Absender und Anbieter geschlossenen Vertrag. Gemeint sind vielmehr individuelle Vereinbarungen, welche einzelfallabhängig die Bedingungen für die Aus­ führung bestimmter Postdienstleistungen abweichend von den für Uni­ versaldienste üb­lich­en Standards festlegen3. Erfolgt eine solche Modifi­ kation mittels Individualvereinbarung, muss die Exemtion im Einklang mit der EuGH-Auffassung zwingend versagt werden. Notwendige Vor­ aussetzung für das Vorliegen eines gemeinwohlspezifischen Univer­ saldienstes ist, dass der postordnungsrechtlich umgrenzte Leistungsum­ fang durch jeden Nutzer in Anspruch genommen werden kann und somit die Befriedigung von Allgemeininteressen als Ausdruck einer begünsti­ 1 So auch Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 13; Klenk, HFR 2009, 729 (730); Schaumburg, Stellungnahme v. 13.01.2009, S. 3 f. 2 Ausf. zu diesem Geschäftsmodell Thiele/Zauner, N&R 2011, 137 ff. 3 Jacobs, UR 2009, 825 (831 f); Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 6. Die maßgeblichen Leistungsmerkmale des Universaldienstes ergeben sich aus §§ 2 bis 4 PUDLV; vgl. auch GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 89, wonach kumulativ individuell ausgehandelte Bedingungen und ein Abweichen von den Vorgaben des Universaldienstes den Ausschluss bedingen.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

gungswürdigen Grundversorgung gesichert bleibt. Bilden abweichende Konditionen den Bestandteil eines nur relativ wirksamen Schuldverhält­ nisses, läuft bereits die begrenzte Zugangsmöglichkeit einer Gemein­ wohladäquanz iSv Art. 3 PostRL zuwider. Darüber hinaus weist eine postalische Beförderung zu materiell abweichenden Bedingungen schon nicht die erforderlichen Universaldienstmerkmale auf1. Im Einklang mit den Ausführungen des Gerichtshofs dienen derartige Postdienste der exklusiven Bedürfnislage einzelner Wirtschaftsteilneh­ mer und müssen von einer die Allgemeinheit adressierenden Grundver­ sorgung abgeschieden werden2. Zweifel an der Richtlinienkonformität von § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. a) UStG sind insofern auch deshalb nicht an­ gezeigt, weil sich der EuGH dem seitens der Bundesregierung einge­ brachten Votum für die Steuerpflicht einzelvertraglich ausgehandelter Leistungsbedingungen explizit angeschlossen hat3. Keine befreiungs­ schädlichen Sonderkonditionen dürften indes in einer geringfügigen Mo­ difikation des Zustellprozesses liegen, wie diese etwa durch verstärkt aufkommende Packstationen bedingt wird4. 2. AGB-Leistungen, § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) UStG Im Gegensatz zu individuell ausgehandelten Bedingungen ist die Konfor­ mität der Ausnahme gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) UStG Gegenstand anhaltender Kontroverse5. Nicht befreit sind Postdienstleistungen, die aufgrund Allgemeiner Geschäftsbeding­ ungen (AGB) zu abweichenden Qualitätsbedingungen (Alt. 1) oder günstigeren Entgelten (Alt. 2 Fall 1 und 2) erbracht werden. Elementarer Auslöser für die unterschied­liche Bewertung der Unionsrechtskonformität dieser Regelung ist die Streit­ frage, ob Leistungen, deren sachliche Ausgestaltung auf AGB zurück­ geht, stets der Befreiung unterliegen müssen. a) Zulässiger Ausschluss von AGB-Leistungen Eine nicht unbeachtliche Strömung in der Literatur vertritt die Ansicht, auf der Grundlage von AGB verrichtete Postdienste dürften generell

1 Die Ausnahme besitzt daher nur deklaratorischen Charakter, vgl. Kulmsee, in: Reiß/ Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 34; von Streit, in: Rau/Dürrwäch­ ter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 537. 2 Siehe auch Nieskens, UR 2010, 713 (714); Scholz, Stellungnahme v. 29.01.2010, S. 11 f. 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK Ltd, Slg. 2009, I-3025 Rn 47. 4 Zu Recht ein flächendeckendes Angebot von Packstationen fordernd Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 56. 5 Siehe Klenk, in: Sölch/Ringleb, UStG, 77. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 20.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

nicht vom Anwendungsbereich der Befreiung ausgenommen sein1. Diese Folgerung entsprach auch der mehrheitlich geteilten Einschätzung im Rahmen der Expertenanhörung2. Für eine solche Sichtweise werden zwei zentrale Argumente angeführt. Zum einen hat der EuGH unbestreitbar nur Postdienste zu individuell ausgehandelten Bedingungen als nicht be­ freite Umsätze explizit benannt3. Diese Vorgabe wird als abschließende Fallgruppe interpretiert mit der Folge, dass AGB, die gemäß § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB einseitig durch den Anbieter gestellt und damit gerade nicht individuell zwischen den Vertragsparteien verhandelt sind, nicht auszu­ nehmen seien4. Zweitens seien AGB für eine Vielzahl von Anwendungs­ fällen vorformuliert und wegen ihrer abstrakten Fassung jedermann zu­ gänglich; im Gegensatz zu individuell verhandelten Konditionen finde deshalb sehr wohl eine allgemeine Grundversorgung statt5. Diese Sicht­ weise liegt auch der reformierten Befreiung im Vereinigten Königreich zugrunde, denn gemäß Note 5 lit. a) und b) VAT Act führen gesonderte Qualitäts- und Preismerkmale nicht zur Steuerpflichtigkeit, soweit der usp diese Bedingungen verpflichtungsgemäß sämtlichen Nutzern gegen­ über einräumt. Richtigerweise vermag indes allein die formal-vertragliche Gestaltungs­ form abweichender Leistungsbedingungen keinen sicheren Aufschluss über die umsatzsteuer­liche Handhabung zu geben. In seiner Entschei­ dung „TNT Post UK“ stellt der EuGH heraus, dass nicht dem Allgemein­ interesse dienende Leistungen aus dem Anwendungsbereich der Befrei­ ung auszugrenzen sind. Der in diesem Zusammenhang bemühte Rekurs auf das Urteil „Corbeau“ macht deutlich, dass es um die Abgrenzung wegen der Natur und Zweckrichtung betreffender Postdienste geht6. Um das Verhältnis zwischen befreiten und steuerpflichtigen Leistungen an­ gemessen differenzieren zu können, bedarf es vor diesem Hintergrund einer materiell geprägten Betrachtungsweise7. In den Blick zu nehmen ist folglich, durch welche Merkmale die jeweilige Leistung geprägt wird und 1 So etwa Eilers, DStR 2009, 1132 (1134); Livonius, IStR 2009, 325; krit. auch Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 37; für vergünstigte Entgelte zust. Nieskens, UR 2010, 713 (717). 2 Vgl. Scholz, Stellungnahme v. 09.02.2010, S. 14; Haucap, Stellungnahme v. 08.02.2010, Tz 8; Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 6 ff; Eilers, Stel­ lungnahme v. 03.02.2010, S. 4 ff; DPAG, Stellungnahme v. 09.02.2009, S. 3; BMK, Sondergutachten 2009, S. 109 f. 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK Ltd, Slg. 2009, I-3025 Rn 47. 4 Vgl. dazu Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 37. 5 Scholz, Stellungnahme v. 09.02.2010, S. 14; ähnlich argumentiert auch die Poczta Polska, die einen Sonderservice für Geschäftskunden erst ab einem Volumen von 5.000 Briefen pro Monat als steuerpflichtig ausweist, vgl. Zielinska, YARS 2012, 255 (256). 6 Haunold/Tumpel/Widhalm, SWI 2009, 405 (408). 7 Jacobs, UR 2009, 825 (832); zust. Nieskens, UR 2010, 713 (717).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

wie ihre funktionale Ausrichtung beschaffen ist. Abweichend zu indivi­ duell getroffen­en Vereinbarungen, gewährleisten AGB die rechtliche Zu­ gangsmöglichkeit im Interesse aller Nutzer und unterfallen somit poten­ ziell dem Universaldienst. Dennoch bildet insoweit das Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit, welches durch die Charakteristik einer Grundversorgung bedingt ist, nur eine notwendige und gerade keine hin­ reichende Bedingung. Die Schlussfolgerung, auf AGB ruhende Postdiens­ te seien per se einer Ausnahmeregelung verwehrt, erweist sich somit als nicht haltbar. Entscheidendes Gewicht kommt im Rahmen der Befreiung zusätzlich der inhaltlichen Ausgestaltung in Rede stehender Dienste zu, da diese neben der allgemeinen Ausrichtung weitere Anforderungen ­gemäß Art. 3 Abs. 1 bis 3 PostRL erfüllen müssen. Werden diese regula­ tiven Leistungsmerkmale wirksam abbedungen, liegt kein befreiungs­ tauglicher Universaldienst mehr vor1. Unbeachtlich ist dabei, im Wege welcher rechtsdogmatischen Konstruk­ tion die objektive Dienstleistungsqualität bestimmt wird. Dieser aus­ schließlich formaljuristischen Kategorie darf kein bestimmender Ein­ fluss auf die wirtschaftliche Belastungswirkung der Umsatzsteuer zuge­ schrieben werden2. Anderenfalls verfügte der Postanbieter über die Möglichkeit, mittels kautelarischer Gestaltung trotz eines identischen Leistungsinhalts faktisch über die Steuerpflicht zu disponieren3. Über­ dies läge nach der Konzeption des EuGH auch ein Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip vor, sofern ein Postanbieter sich ausschließlich zur Erbringung von Universaldiensten verpflichtet hat und außerhalb dieser obligatorischen Verbindlichkeit anderweitig beschaffene Dienstleistun­ gen anbietet4. Der besondere Hinweis auf den befreiungsrechtlichen Aus­ schluss gesondert vereinbarter Leistungsbedingungen besitzt folglich keine abschließende Natur, sondern muss als exemplarisch benannte Fallkonstellation für die Befriedigung individueller Nutzerinteressen aufgefasst werden5. b) Abweichende Qualitätsbedingungen Die Bestimmung des § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) Alt. 1 UStG regelt den Aus­ schluss der Postbeförderung aufgrund von AGB zu abweichenden Quali­ tätsbedingungen, ohne die für eine Befreiung umgekehrt notwendigen Voraussetzungen unmittelbar zu benennen. Aus der Gesetzesbegrün­ 1 Nieskens, UR 2010, 713 (717). 2 So auch Huschens, EU-UStB 2009, 22 (23). 3 Vgl. BReg, BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 31; zust. Jacobs, UR 2009, 825 (832). 4 Siehe GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 78. 5 So auch TAXUD.d.1(2009)326553 – Arbeitsunterlage Nr. 643, wonach individuell ausgehandelte Bedingungen nur „auf jeden Fall“ von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSyst­ RL auszuschließen sind.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

dung ist jedoch zu erschließen, dass die Ausschlusswirkung von einer Modifikation der in den §§ 2 bis 4 PUDLV definierten Leistungsmerkma­ le abhängig ist1. Diese Vorschriften setzen die Rahmenvorgaben gemäß Art. 3 Abs. 1 bis 3 PostRL um und konkretisieren die für das Vorliegen eines Universaldienstes maßgebliche Versorgungsqualität in allgemein­ gültiger Weise, ohne dass es auf einen individuellen Leistungsbezug an­ käme2. Offenbar wird an dieser Stelle ein systematischer Bruch innerhalb von § 4 Nr. 11b UStG. Der Gesetzgeber unterlässt zwar hinsichtlich des Umfangs befreiter Leistungen in Satz 1 den notwendigen Verweis auf die PUDLV, erhebt aber umgekehrt deren detaillierte Qualitätsmerkmale zum verbindlichen Maßstab des befreiten Universaldienstes. Da zivilrechtliche AGB gemäß der im Einklang mit der Rechtsprechung vorzunehmenden materiellen Abgrenzung zwischen befreiten und steu­ erpflichtigen Umsätzen nicht generell einer Ausnahmeregelung entzo­ gen sind, erweist sich die Bestimmung des § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) Alt. 1 UStG als mit der Richtlinie vereinbar3. Analog zum Ausschluss individu­ ell ausgehandelter Modifikationen dürfen auch AGB-Leistungen nicht der Befreiung unterliegen, soweit sie inhaltlich von den allgemeingülti­ gen Standards abweichen und folglich keine entsprechende Universal­ dienstqualität mehr besitzen. In diesem Zusammenhang ist die Verbind­ lichkeit der §§ 2 bis 4 PUDLV wiederum aus dem Umstand abzuleiten, dass der EuGH umfassend auf Art. 3 PostRL verweist. Folgerichtig bean­ sprucht das mitgliedstaatliche Postordnungsrecht nicht nur hinsichtlich der sachlichen Umgrenzung des Universaldienstumfangs (Art. 3 Abs. 4 PostRL) befreiungsverbindliche Geltung, sondern darüber hinaus auch für die einzuhaltenden Qualitätsbedingungen (Art. 3 Abs. 1 bis 3 PostRL). c) Günstigere Tarife Von der Umsatzsteuerfreiheit ferner ausgeschlossen sind gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) Alt. 2 UStG Postdienstleistungen zu geringeren als den für jedermann zugäng­lichen Tarifen (Fall 1) sowie solche, die zu günstigeren als den gemäß § 19 PostG genehmigten Entgelten (Fall 2) angeboten werden. Während der 16. Legislaturperiode hatte sich die Fra­ ge nach einem zulässigen Ausschluss von AGB-Rabatten zum neuralgi­ schen Punkt des Reformvorhabens innerhalb der Großen Koalition ent­ wickelt. Die SPD befürchtete bei Steuerpflichtigkeit preisvergünstigter 1 BT-Drucks. 17/506 v. 25.02.2010, S. 31; vgl. auch Abschnitt 4.11b.1 Abs. 2 UStAE. 2 Mit ausf. Kritik zur Ausnahmeregelung von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 556 ff. 3 So auch Jacobs, UR 2009, 825 (832); zust. Nieskens, UR 2010, 713 (717); Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 38; im Erg. auch Huschens, NWB 25/2010, 1976 (1977) mit der Begründung, AGB-Sonderkonditionen seien nicht auf die typische Nachfrage von Privathaushalten gerichtet.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Massensendungen eine erhöhte Kostenbelastung von Gewerkschaften und sozialen Verbänden1, die mangels Unternehmereigenschaft oder in­ folge selbst befreit ausgeführter Umsätze kein Vorsteuerabzugsrecht ge­ nießen2. Obwohl der Bundesrat unter Berufung auf die Expertenanhörung gleichfalls Bedenken gegen die geplante Ausnahmebestimmung äußer­ te3, hielt die schwarz-gelbe Koalition bekanntlich an § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) UStG fest4. Dessen ungeachtet, richtet sich die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Ausnahmevorschriften im Lichte der materiellen Umgrenzung des zu be­ freienden Leistungsspek­trums nach zwei Kriterien. Als zulässig anzu­ sehen wäre § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) UStG einerseits, falls die postord­ nungsrechtlichen Vorschriften spezifische Anforderungen in Bezug auf die für Universaldienste ausschlaggebende Höhe eines zulässigen Ent­ gelts statuierten und damit ein den §§ 2 bis 4 PUDLV vergleichbares Pro­ fil existierte. Des Weiteren bestünde Richtlinienkonformität, sollte die Leistungserbringung sachlich definierter Universaldienste zu lediglich vergünstigten Entgelten die gemeinwohlspe­zifische Funktion einer flä­ chendeckenden Grundversorgung in sonstiger Weise beeinträchtigen. aa) Keine Beeinträchtigung der Grundversorgung Die Funktion der postalischen Grundversorgung ist beeinträchtigt, so­ fern dem Wortlaut von lit. b) Alt. 2 Fall 1 entsprechend reduzierte Entgel­ te nur gegenüber abschließend aufgezählten Kunden eingeräumt werden. In diesem Falle sind die Leistungen bereits rechtlich nicht jedermann zugänglich, so dass die Ausnahme lediglich die mangelnde Universal­ dienstqualität klarstellt5. Sie ist in dieser Hinsicht ebenso wie die Rege­ lung in lit. a) mit den EuGH-Vorgaben kompatibel. In aller Regel beruhen verringerte Entgelte in AGB der Postanbieter aller­ dings nicht auf einer Selektion des Kundensegments, sondern sind allge­ mein formuliert und daher prinzipiell für jedermann zugänglich. Die Ge­ währung eines Rabatts wird dabei vornehmlich an die Einlieferung hoher

1 Krit. auch ver.di, Stellungnahme v. 04.02.2010, Ziff. 2; DGB, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 3. 2 Vgl. Bätzing, Plenarprotokoll 17/29 v. 05.03.2010, S. 2549 ff. Ferner legte die SPD ei­ nen gescheiterten Änderungsantrag zur Streichung von lit. b) vor, BT‑Drucks. 17/926 v. 03.03.2010. 3 BT-Drucks. 17/813 v. 24.02.2010, S. 4. 4 Potenzielle Preiserhöhungen zulasten nicht vorsteuerberechtigter Massenpostver­ sender wurden bewusst in Kauf genommen, vgl. Beschlussempfehlung des FinA, BT‑Drucks. 17/923 v. 03.03.2010, S. 4. 5 Siehe auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 631; Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 41.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

Mengen von Versandstücken geknüpft1. Der Gesetzgeber bezweckte vor diesem Hintergrund, Postdienstleistungen von der Befreiung auszuneh­ men, die private Endverbraucher angesichts ihrer durchschnittlich gerin­ gen Nachfragemacht rein faktisch nicht beanspruchen können2. Im Er­ gebnis soll ein umsatzsteuerbefreiter Universaldienst daher nur gegeben sein, falls die in AGB zugrunde gelegten Leistungsbedingungen an der typischen Nachfrage eines Privathaushalts orientiert sind3. Diese Sicht­ weise deckt sich jedoch nicht mit der einschlägigen Rechtsprechung, nach der die Exemtion nur für Leistungen entfällt, die spezifische Interes­ sen einzelner Wirtschaftsteilnehmer bedienen. Soweit die in AGB enthal­ tenen Entgeltbedingungen indes an die Allgemeinheit ohne persönliche Differenzierung adressiert sind, erweisen sie sich für eine Grundversor­ gung ungeachtet der praktischen Inanspruchnahme als geeignet4. Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass Entgeltvergünstigungen bei Mas­ sensendungen die allgemeine Grundversorgung zulasten der Privat­ kunden gefährden könnten. Möglich sind Rabatte aufgrund betrieblicher Synergieeffekte. Eine Verteuerung der Leistungen im Privatkundenseg­ ment steht daher nicht zu befürchten. Auch laufen reduzierte Entgelte dem Sinn und Zweck eines vergünstigten Preisniveaus im Allgemein­ interesse gerade nicht zuwider. Die betriebskostenorientierte Vergüns­ tigung von Massenpost schlägt sich dabei mittelbar im Gemeinwohl ­nieder, indem gerade auf hohe Sendungsvolumina angewiesene und steu­ erbefreit leistende Einrichtungen wie etwa Banken oder Versicherungen die geringere Portobelastung an ihre Kunden weiterreichen können. Herab­gesetzte Entgelte realisieren folgerichtig das gemeinwohlorientier­ te Gebot kostenorientierter Tarife iSv Erwägungsgrund Nr. 39 RL 2008/6/ EG5, welches zugleich dem in Art. 3 Abs. 1 PostRL formulierten Defi­ nitionsmerkmal tragbarer Preise für alle Nutzer entspricht6. Diese Zu­ sammenhänge finden sich zumindest indirekt durch die Schlussanträge bestätigt. Generalanwältin Kokott erkennt diesbezüglich an, dass ein allgemein geltender Portotarif für Massensendungen zwar nicht den typi­ schen Lebensbedarf eines Privathaushalts deckt. Dennoch spricht sie sich eindeutig für eine Befreiung derartiger Leistungen aus, da ein funk­ tionierendes und preisgünstiges Postnetz gegenüber Geschäftskunden ebenfalls dem Allgemeinwohl diene7. Als Zweites spricht nach Ansicht von Kokott für die generelle Erfassung von Massenpost auch die Unmög­ 1 Vgl. etwa § 5 AGB Brief National der DPAG iVm S. 35 ff der Liste für Leistungen und Preise (Stand: 01.07.2014). 2 BReg, BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 31. 3 So auch BIEK, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 1. 4 Vgl. GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 76. 5 ABl EG Nr. L 52 v. 27.02.2008, S. 3. 6 Siehe auch Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (268 f). 7 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 85 f.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

lichkeit einer sicheren Abgrenzung, ab welcher genauen Einlieferungs­ menge nicht mehr befreite Umsätze vorliegen sollen1. Die Gewährleis­ tung eines öffentlichen Postnetzes kann somit nicht ausschließlich auf die bloße Versorgung von Privatkunden gerichtet sein, vielmehr müssen Universaldienste gemäß Art. 3 Abs. 1 PostRL für alle Nutzer ohne Diffe­ renzierung nach privatem oder gewerblichem Status bereitgestellt wer­ den2. Folglich kann allein aus allgemein definierten AGB-Sondertarifen kein Widerspruch zur materiellen Gemeinwohlfunktion im Postsektor dedu­ ziert werden. Entsprechendes gilt für günstigere Tarife als den nach § 19 PostG genehmigten Entgelten, da ein verringerter und allgemein zu­ gänglicher Sondertarif die flächendeckende Versorgungsfunktion zu er­ schwinglichen Preisen nicht in Zweifel zieht. Die praktische Bedeutung der in lit. b) Alt. 2 Fall 2 geregelten Ausnahme dürfte aber ohnehin äu­ ßerst gering ausfallen. Grund hierfür ist, dass bei Abweichungen gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 PostG das genehmigte Entgelt an die Stelle des verein­ barten Entgelts tritt; bei fehlender Genehmigung ist der Vertrag gemäß § 23 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 PostG sogar unwirksam, und seine Durchfüh­ rung kann durch die BNetzA untersagt werden3. Überdies wird einem marktbeherrschenden und behördlich überwachten Postanbieter der fi­ nanzielle Anreiz zu Preisrabatten genommen, indem die Erhebung nicht genehmigter Entgelte nach Maßgabe von § 49 Abs. 1 Nr. 5 PostG buß­ geldbewehrt ist. bb) Konkrete Entgeltvorschriften Da der Massenverkehr bei abstrakter Betrachtung als Bestandteil einer funktionierenden Postversorgung anzusehen ist, könnte sich ein konfor­ mer Ausschluss preisbegünstigter AGB-Leistungen lediglich aus beson­ deren Einzelvorschriften ergeben, welche das Vorliegen eines Universal­ dienstes an eine bestimmte und damit nicht zu unterschreitende Entgelthöhe knüpfen. Zur Rechtfertigung der in lit. b) Alt. 2 Fall 1 ent­ haltenen Ausnahmeregelung führt die Gesetzesbegründung § 6 Abs. 1 PUDLV an4, der das Gebot eines erschwinglichen Entgelts iSv Art. 3 Abs. 1 PostRL in nationales Recht umsetzt. Demnach richtet sich das 1 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 87; zust. von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 637; a.A. TNT Post, Stellungnah­ me v. 05.02.2010, S. 2, wonach die Befreiung auf Leistungsmengen bis zu 50 Stück in Anlehnung an § 19 PostG zu begrenzen sei. 2 Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (263). 3 Krit. auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 662; zust. Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 44. 4 BReg, BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 31; so auch Huschens, NWB 25/2010, 1976 (1977).

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

erschwingliche Preisniveau für Universaldienste gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 PUDLV nach der durchschnittlichen Nachfrage eines Privathaushalts für eine entsprechende Einzelleistung. Dieser Verweis vermag jedoch die Richtlinienkonformität der Ausnahmebestimmung aus mehreren Grün­ den nicht zu belegen. Zunächst fällt ins Gewicht, dass die Preisbe­ stimmung des § 6 Abs. 1 PUDLV nur Briefsendungen erfasst und folglich keine verbindliche Aussage zu den übrigen Universaldienstbestandteilen trifft, obgleich vergünstigte AGB-Entgelte gemäß lit. b) Alt. 2 Fall 2 ge­ nerell die Steuerpflicht begründen. Überdies ist die durchschnittliche Nachfrage eines Privathaushalts nur bis zu einer Mindesteinlieferungs­ menge von bis zu 50 Post­stück­en gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 PUDLV beacht­ lich, da in diesem Falle die Kosten einer effizienten Leistungsbereitstel­ lung den maßgeblichen Parameter vorgeben. In AGB sind Preisrabatte aber regelmäßig an sehr viel höhere Einlieferungsmengen geknüpft, so dass kein praxisrelevanter Bezug ersichtlich wird1. Schließlich ist § 6 Abs. 1 PUDLV dem Sinn und Zweck nach bereits nicht einschlägig, da es sich hierbei um eine Höchstpreisvorschrift handelt, sie einer Verbilli­ gung also gerade nicht entgegensteht2. Nähere Bestimmungen zu allgemeingültig festgelegten Rabatten trifft indes die Postrichtlinie in Art. 12 Spiegelstrich 5. Universaldienstleis­ tern ist es ausdrücklich gestattet, Sondertarife für Massensendungen an­ zuwenden. Einzige ordnungsrechtliche Bedingung ist insoweit, dass die Tarife nach den Grundsätzen der Neutralität und Nichtdiskriminierung angewandt werden. Rabatte sind also neben Geschäftskunden und Kon­ solidierern auch privaten Endkunden sowie kleineren und mittleren Un­ ternehmen einzuräumen, sofern diese Postsendungen unter vergleichba­ ren Bedingungen einliefern. Diese Regelung verdeutlicht, dass allein die Abrechnung massenhaft beförderter Postdienste zu Sonderkonditionen für allgemein definierte Nutzergruppen mit dem Universaldienstkon­ zept harmoniert. Indem der EuGH aber gerade die befreiungsrechtliche Akzessorietät des Postordnungsrechts bestätigt hat, besteht kein über­ zeugender Grund, Geschäftspost zu standardisierten Entgeltvergünsti­ gungen generell die Steuerfreiheit zu verwehren3. Das Kriterium privater Nachfragetypizität wird auch nicht über das Merkmal der „vergleichba­ ren Bedingungen“ gemäß Art. 12 Spiegelstrich 5 PostRL zum verbindli­ chen Maßstab befreiungswürdiger Universaldienste erhoben4. Sofern sich die Beförderung erst unter Einlieferungsmengen ab einer bestimm­ ten Größenordnung effizienter und zugleich kostengünstiger gestalten 1 Die Begründung selbst benennt als Beispiel eine Einlieferungsmenge von 1.000 Stü­ cken, vgl. BT‑Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 31. 2 So auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 640. 3 Ebenso Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (270); Strunz, ELR 2009, 228 (231). 4 Von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 646.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

lässt, ist der Anbieter nicht gezwungen, entsprechende Rabatte auf weit­ aus geringere Sendungsvolumina zu erstrecken. Die Vergleichbarkeit verlangt auch keine nach der begrenzten Nachfragemacht anderer Nut­ zer als Großkunden gestaffelte Tarifvergünstigungen, sondern bezieht sich vielmehr auf die kostenstrukturelle Eignung der jeweils zugrunde gelegten Sendungsmenge mit der Folge, dass die in AGB für Geschäfts­ post deklarierten Vergünstigungen auch nicht durch jedermann faktisch nutzbar sein müssen. Schließlich besteht auch keine hinreichende Legitimation dafür, dass ge­ mäß lit. b) Alt. 2 Fall 2 Leistungen allein wegen abweichender Entgelte als den nach § 19 PostG genehmigten steuerpflichtig sind. Teilweise wird diesbezüglich vorgebracht, die Befreiung dürfe sich im Interesse eines erschwinglichen Preisniveaus nur auf Leistungen beziehen, die der prä­ ventiven Entgeltgenehmigung gemäß § 19 PostG unterliegen1. Diese Sichtweise verstößt allerdings gegen die zwingend geforderte Befreiung sämt­licher Universaldienste gemäß Art. 3 PostRL. Das Erfordernis der Entgeltgenehmigung gilt nach deutschem Postordnungsrecht nämlich nur für lizenzpflichtige Briefsendungen bis zu 1.000 g, § 5 Abs. 1 PostG. Eine auf diesen Teilausschnitt reduzierte Exemtion hätte zur Konse­ quenz, dass alle übrigen Universaldienste aus dem Katalog des § 1 Abs. 1 PUDLV nicht mehr befreit wären, obwohl diese Umsetzung von Art. 3 PostRL den verbindlichen Umfang vorgibt. 3. Zwischenergebnis Die Regelung des § 4 Nr. 11b UStG geht hinsichtlich ihres sachlichen Anwendungsbereichs insoweit nicht mit der Richtlinie konform, als nur der universaldiensttypische Mindestumfang gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL anstelle des großzügigeren PUDLV-Standards von der Umsatzsteuer­ pflicht freigestellt wird. Ferner erweist sich die Regelung in Satz 3 lit. b) unionrechtswidrig, sofern Universaldienste zu allgemein verfügbaren AGB-Rabatten von der Befreiung ausgenommen werden2. In diesem ­Umfange kann die nationale Umsetzung zu Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL keine verbindliche Geltung beanspruchen, so dass sich ein quali­ fizierter Anbieter für die weitergehende Begünstigung unmittelbar auf die Richtlinie berufen kann3.

1 So Koenig/Busch, EWS 2009, 510 (511); Koenig, Gutachten v. 11.11.2009, S. 7 f; ebenso BIEK, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 1; TNT Post, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 2. 2 So auch Eilers, DStR 2009, 1132 (1134); a.A. Huschens, NWB 25/2010, 1976 (1977); Koenig, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 2 ff; Jacobs, UR 2009, 825 (832). 3 Das „Schlupfloch“ nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 PUDLV könnte jedoch im Verordnungswege schnell geschlossen werden und hat wohl auch deshalb bislang nicht die Aufmerk­

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

III. Steuerpflichtigkeit der öffentlichen Postzustellung Einen weiteren Streitpunkt markiert im Rahmen der Neuregelung die umsatz­ steuerliche Behandlung von förmlichen Zustellungen. Bei der förmlichen Postzustellung handelt es sich ausweislich § 33 Abs. 1 Satz 1 PostG um die entgeltliche Über­mittlung von Schriftstücken zu den ein­ schlägigen Bestimmungen der Prozessordnung oder der Verwaltungszu­ stellung. Der insoweit gerichtlich oder behördlich beauftragte Anbieter nimmt gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 PostG kraft Beleihung öffentlich-recht­ liche Handlungsbefugnisse nach außen wahr. Gleichwohl sind die er­ brachten Leistungen nach steuerbar, weil der Unternehmer in privat­ rechtlicher Eigenschaft handelt1. Unter Geltung von § 4 Nr. 11b UStG a.F. wies die DPAG förmliche Postzustellungen ohne Umsatzsteuer aus und genoss so innerhalb des hart umkämpften Preiswettbewerbs einen Vor­ teil2. Aus dem unverzichtbaren Beitrag, den die förmliche Zustellung per Post allgemein für die Verfahrenspflege erfüllt, wird zum Teil auf eine befreiungsadäquate Gemeinwohlfunktion geschlossen3. Allerdings nimmt die öffentliche Zustellung einen Sonderstatus im Rahmen der postalischen Beförderung ein4. Ihr Gegenstand ist nicht allein die Über­ mittlung eines Dokuments, sondern zugleich die öffentliche Beurkun­ dung des Zustellungsvorgangs5. Überdies ist die Auftragserteilung aus­ schließlich Behörden und Gerichten im Rahmen der Verfahrenspflege vorbehalten. Die Postzustellung dient daher gesonderten öffentlichen Belangen und verkörpert keine für die Allgemeinheit der Postnutzer standardisiert zugängliche Grundversorgung6. Mag die Förderung der Rechtspflege unabweisbar einen bedeutsamen Gemeinwohlbelang dar­ stellen, reflektiert der EuGH die Befreiung gleichwohl nur auf das Kon­ zept der Universaldienste als einem spezifischen Gemeinwohlausschnitt. Nach deu­tschem Postrecht ist der Zustellungsauftrag weder ausdrück­ lich in § 1 PUDLV aufgeführt, noch kann diese besondere Sendungsform samkeit der Kommission erregt; denkbar wäre insoweit eine Gewichtsdifferenzie­ rung für inländische und grenzüberschreitende Pakete, vgl. Art. 3 Abs. 5 PostRL. 1 Vgl. dazu Jacobs, UR 2012, 621 (627). 2 Krit. zu dieser Praxis BMK, Sondergutachten 2009, S. 103. 3 So FG Baden-Württemberg EFG 2011, 1368 (1369); LG Hamburg GRURPrax 2010, 494; von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 516, 521; siehe zum Ganzen auch Hundt-Eßwein, in: Küffner/Stöcker/Zugmaier, USt, 129. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 13. 4 OLG Düsseldorf, VergabeR 2013, 469; ebenso nunmehr FG Köln Urt. v. 11.03.2015 – 2 K 1707/11, 2 K 1708/11 und 2 K 1711/11 (Revision anhängig BFH V R 8/16); FG Ba­ den Württemberg EFG 2016, 330 (anhängig BFH V R 30/15). 5 Die Beurkundung bildet insoweit ein gleichwertiges Element der Postzustellung, vgl. BGHZ 12, 96 (99). 6 Siehe auch BMK, Sondergutachten 2013, S. 186; Jacobs, UR 2012, 621 (624 ff); im Erg. auch Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 51.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

angesichts ihrer öffentlichen Beurkundungsfunktion der Briefbeförde­ rung oder dem allgemeinen Einschreiben gleichgesetzt werden1. Die Zu­ ordnung unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 PUDLV verbietet sich insbesondere auch deshalb, weil in § 33 Abs. 1 Satz 1 PostG keine explizite Gewichtsbe­ grenzung definiert ist. Ein abweichendes Ergebnis folgt schließlich auch nicht daraus, dass die förmliche Zustellung in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PTSG2 erwähnt wird. Dessen Bestimmungen halten die notwendigen Versorgungsfunktionen in besonderen Unglücksfällen aufrecht, geben aber keinerlei Aufschluss über die Grundversorgung unter gewöhnlichen Umständen3. Dass der deutsche Gesetzgeber den förmlichen Postzustellungsauftrag im Übrigen nicht als Universaldienst ausgestaltet hat, steht auch im Ein­ klang mit der vorrangigen Postrichtlinie. Den Mitgliedstaaten wird ge­ mäß Art. 8 PostRL lediglich die Option zugestanden, aus Gründen der öffentlichen Ordnung eigenständige Regelungen für Einschreibsendun­ gen in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zu erlassen. Diese von der Definition des gewöhnlichen Einschreibens iSv Art. 2 Nr. 9 PostRL ab­ weichende Sendungsform unterfällt nicht dem verbindlichen Mindest­ umfang aus Art. 3 Abs. 4 PostRL4. Sofern Art. 8 PostRL darüber hinaus ein Optionsrecht zur Ausgestaltung rechtspflegespezifischer Einschreib­ sendungen als Universaldienst entnommen wird, hat der deutsche Ge­ setzgeber auf eine entsprechende Umsetzung in § 1 PUDLV jedenfalls richtlinienkonform verzichtet5.

IV. Subjektive Befreiungsvoraussetzungen Im Unterschied zu den vorstehend behandelten Fragestellungen, die sämtlich die objektive Befreiungsreichweite zum Gegenstand haben, be­ trifft das in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG normierte Merkmal der Selbstver­ pflichtung diejenigen Tatbestandsvoraus­setzungen, welche in der Person des Unternehmers erfüllt sein müssen. Nach diesen Anforderungen rich­ tet sich, welcher Anbieter potenziell der Befreiungsregelung unterfällt, mithin also überhaupt in die Lage versetzt wird, steuerfreie Postumsätze zu erbringen. Der subjektive Anwendungsbereich ist daher die zentrale 1 Vgl. Langer, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 4/17, § 4 Nr. 11b 2.3; ­Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 55. Dies entspricht auch der Verwaltungsauffassung, vgl. Abschn. 4.11b.1 Abs. 8 UStAE. 2 Gesetz zur Sicherstellung von Postdienstleistungen und Telekommunikationsdiens­ ten, BGBl. I 2011, 941. 3 A.A. von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 517. 4 So auch Langer, in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Lfg. 4/17, § 4 Nr. 11b 2.3. 5 Vgl. etwa Jacobs, UR 2012, 621 (625 ff); abw. zur deutschen Rechtslage ist die Zu­ stellung behördlicher Schriftstücke in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 PMG dem Uni­ versaldienstbereich zugeordnet.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

Referenz zur Beurteilung, inwiefern die gesetzgeberisch intendierte ­Adaption der vollumfänglichen Marktöffnung als gelungen bezeichnet werden kann. Darüber hinaus offenbart die genauere Betrachtung des Selbstverpflichtungsmerkmals, wie eng die Verzahnung zwischen Um­ satzsteuerbefreiung und Regulierungsrecht außerhalb des objektiv kon­ kretisierten Universaldienstkatalogs beschaffen ist und welchen zusätz­ lichen Gestaltungsspielraum Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL den Mitgliedstaaten vermittelt. 1. Unternehmerspezifische Anforderungen gemäß der Jurisdiktion Der EuGH qualifiziert wortwörtlich solche Anbieter als öffentliche Post­ einrichtung, die sich zur flächendeckenden Erbringung des Universal­ dienstes in einem Mitgliedstaat verpflichtet haben1. Diese Formulierung erweckt bei unbefangener Betrachtung zunächst den Eindruck, als sei allein eine vonseiten des Unternehmers initiierte Gewährübernahme ausschlaggebend. Die nachfolgende Analyse zeigt jedoch die Notwendig­ keit eines ausdifferenzierten Verständnisses auf. a) Zulässige Verpflichtungsformen Im deutschen Schrifttum wird die Entscheidung „TNT Post UK“ verein­ zelt dahingehend interpretiert, der Gerichtshof lasse ausschließlich die hoheitliche Anbieterverpflichtung für den öffentlichen Posteinrich­ tungsstatus genügen. Die Formulierung „sich verpflichtet“ sei missver­ ständlich und beruhe auf einer fehlerhaften Übersetzung der englischen Originalfassung des Urteils; vielmehr deute die authentische Wendung „who undertakes to provide“ auf die Erfüllung einer bereits hoheitlich statuierten Verbindlichkeit2. Ferner sei eine der unternehmerischen Disposition anheimgestellte Selbstverpflichtung ungeeignet, um den ­ umsatzsteuerspezifischen Lastenausgleich gegenüber Universaldiensten gemäß Art. 3 PostRL als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftli­ chem Interesse (DAWI) zu rechtfertigen. Die Befreiung markiere eine be­ sondere Ausprägung der beihilfenspezifischen Altmark-Trans-Rechtspre­ chung3, so dass eine hoheitliche Betrauung zwingend sei4. In ein direktes Spannungsverhältnis gerät das Postulat eines uniform via Gesetz oder Verwaltungsakt umzusetzenden Verpflichtungsmechanismus jedoch zu der Formulierung, der befreite Anbieter müsse „sich verpflichten“. Es erscheint eher fernliegend, dass diese Wendung lediglich auf einen redak­ tionellen Übersetzungsfehler zurückzuführen ist. Eine vergleichende Be­ 1 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 36. 2 So König/Busch, EWS 2009, 510 (512); Koenig, Gutachten v. 11.11.2009, S. 9. 3 EuGH, Rs. C-280/00, Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747. 4 Dafür König/Busch, EWS 2009, 510 (512 f); Haratsch/Koenig/Pechstein, Europa­ recht, 10. Aufl., Rn 1266.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

trachtung anderer Sprachfassungen belegt vielmehr, dass eine entspre­ chende Übertragung aus dem Englischen übergreifend und damit sehr wohl bewusst zugrunde gelegt wurde1. Zielführend für das richtige Ver­ ständnis dieser wörtlichen Vorgabe kann somit nur eine Orientierung an ihrer materiellen Zwecksetzung sein, wobei die einschlägigen Wertun­ gen der Postrichtlinie als Auslegungshilfe besonderer Berücksichtigung bedürfen. aa) Hoheitlich begründete Verpflichtung Im Ausgangspunkt gilt es zu berücksichtigen, dass die TNT-Entschei­ dung unter dem Eindruck der damaligen Rechtslage im Vereinigten Kö­ nigreich ergangen ist. Royal Mail wurde der Status einer öffentlichen Posteinrichtung zuerkannt, weil dieser Anbieter alleiniger Adressat ho­ heitlich begründeter Lizenzauflagen zur flächendeckenden Grundversor­ gung war. Folglich hat der EuGH letztlich auf eine staatlich begründete Verpflichtung Bezug genommen und hierin eine ausreichende Grundlage für den befreiungsadäquaten Leistungskontext erblickt2. Aus dieser An­ lehnung an das britische Regulierungsrecht muss der Schluss gezogen werden, dass abweichend von einer rein freiwillig übernommenen Selbst­ verpflichtung im engeren Wortsinne auch eine durch Gesetz oder Ho­ heitsakt einseitig oktroyierte Verbindlichkeit den personellen Anwen­ dungsbereich iSv Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL eröffnet3. Nach Maßgabe des zum damaligen Zeitpunkt noch geltenden Postal Services Act 2000 erschöpfte sich die unternehmerische Initiative im Sinne einer „Selbstverpflichtung“ konkret darin, dass Royal Mail die vorgeschriebe­ ne Beförderungslizenz beantragt hatte4. Deren Erteilung war wiederum an die hoheitliche Auflage zur flächendeckenden Universaldienstversor­ gung geknüpft5. bb) Gleichwertige Selbstverpflichtung Eine abschließende Begrenzung des Posteinrichtungsmerkmals auf eine hoheitlich statuierte Verbindlichkeit darf der aktuellen Rechtsprechung

1 Siehe etwa die niederländische („dienstverleners die de verplichtung op zich neh­ men“) und französische Fassung („des operatuers, publics ou privés, qui s’engagent à assurer“). 2 Vgl. Gramlich, N&R 2009, 247 (248). 3 Ebenso Hundt-Eßwein, in: Küffner/Stöcker/Zugmaier, USt, 129. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 4 f. 4 So wohl Klotz/Brandenberg, N&R 2010, 8 (17), wonach jeder Anbieter die Befreiung beantragen könne. 5 Bestätigt wird dies durch EuGH, Rs. C‑114/14, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2015:249 Rn 16, da die Posten AB ebenfalls wegen hoheitlicher Lizenz­ auflagen zu befreien ist.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

jedoch aus mehreren Gründen nicht attestiert werden1. Der EuGH unter­ lässt präzise Angaben zur rechtlichen Qualität der maßgeblichen Ver­ pflichtungsstellung und lehnt sich lediglich mit Blick auf den Ausgangs­ rechtsstreit an die rechtliche Situation von Royal Mail an. Neben der Formulierung der Selbstverpflichtung findet in der Urteilsbegründung jedoch unter derselben Randziffer 36 der Begriff der Gewährleistung Ver­ wendung, womit die finale Aufgabe einer öffentlichen Posteinrichtung in Gestalt der physisch bereitgestellten Grundversorgung fixiert ist. In allgemeingültiger Weise führt auch Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen aus, als öffentliche Posteinrichtungen seien diejenigen Anbieter anzusehen, die den Universaldienst in einem Mitgliedstaat ge­ währleisten2. Der Begriff der Gewährleistung umschreibt in diesem ­Kontext, dass die Posteinrichtung Trägerin einer besonderen Gemein­ wohlverantwortung sein muss, indem sie für die Erfüllung der mit dem Universaldienstkonzept einhergehenden Qualitätsstandards rechtsver­ bindlich einsteht. Da somit die reale Befriedigung von Allgemeininteres­ sen infolge einer unternehmerischen Gewährleistungsfunktion entschei­ dend für die subjektive Befreiungseignung ist, kann es sich bei dem gerichtlich aufgegriffenen Merkmal einer lizenzgebundenen Selbstver­ pflichtung nur um die beispielhafte Benennung eines hierzu opportunen Mechanismus handeln. Außerhalb dieser begrifflich-formalen Ebene wäre die explizite Vorgabe eines bestimmten Verpflichtungsmechanismus inkompatibel mit der postsektoralen Organisationsfreiheit. Nach Maßgabe von Art. 4 PostRL verfügen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres weitreichenden Er­ messens über ein vielseitiges Bündel unterschiedlicher Möglichkeiten, damit die eingeforderte Grundversorgung sichergestellt werden kann. Das im Vereinigten Königreich noch unter Geltung des Value Added Tax Act 2000 praktizierte System der direkten Lizenzverpflichtung eines für geeignet befundenen Anbieters stellt dabei nur ein zulässiges Instrument dar. Es wurde gemäß Art. 36 Abs. 3 PSA selbst dahingehend abgelöst, dass der benannte universal service provider, soweit erforderlich, nur noch mit hoheitlichen Auflagen in Form der designated USP conditions betraut werden darf3. Ein uniform determinierter Verpflichtungsmechanismus stünde denn auch im Widerspruch zu der tradierten Rechtsprechungslinie des Ge­ richtshofs. Im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/EWG wurde bereits erläutert, dass 1 Siehe auch BReg, BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 30; von Streit, in: Rau/Dürr­ wächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 256; PriceWaterhouseCoopers, Steuerände­ rungen 2010, S. 56. 2 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 66. 3 Siehe hierzu vorstehend D.III.2.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

die Mehrwertsteuerbefreiung auf Neutralität gegenüber der nationalen Grundversorgungsorganisation angelegt ist. Diese Zielsetzung hat der EuGH erstmals 1985 in seiner Entscheidung „Kommission/Deutsch­ land“ explizit anerkannt, auch aktuell hält er an diesem Grundsatz fest1. Unter dem Eindruck der unionsweiten Postmarktliberalisierung sowie einer mit dieser Entwicklung zunehmend einhergehenden Privatisierung ehemaliger Hoheitsbetriebe hat sich die Schnittstelle zwischen Freistel­ lung und postordnungsrechtlicher Gestaltung schwerpunktmäßig von der äußeren Organisationsform designierter Anbieter auf deren regula­ tive Einbindung in die Grundversorgung verlagert. Vor diesem Hinter­ grund ist davon auszugehen, dass der EuGH seine generell auf Kompe­ tenzschonung gesinnte Jurisdiktion ebenfalls auf die nunmehr relevanten Verpflichtungsbedingungen einer primär marktwirtschaftlich orientier­ ten Versorgung erstrecken will. Diese Sichtweise findet sich auch in den zugrunde liegenden Schlussan­ trägen wieder. Generalanwältin Kokott hebt hervor, dass sich kumulativ der sachlich befreite Leistungsumfang wie auch die Person des befreiten Anbieters nicht allein anhand der Postrichtlinie, sondern nur unter zu­ sätzlicher Berücksichtigung des nationalen Regelungskontexts erschlie­ ßen lassen2. Eine befreiungsrechtliche Gleichwertigkeit zwischen ein­ seitig auferlegter sowie rein freiwillig übernommener Verpflichtung korreliert auch mit der inneren Logik des richterlichen Neutralitätsver­ ständnisses. Soweit die Existenz verbindlicher Vorgaben den befreiungs­ relevanten Leistungskontext abbildet und somit die Unterscheidbarkeit zu steuerpflichtigen Umsätzen kennzeichnet, kann die formale Begrün­ dungsart keine entscheidende Rolle spielen. Es ist ebenso wenig ersicht­ lich, weshalb gerade dieser Umstand maßgebende Bedeutung für die um­ satzsteuerliche Belastungswirkung einnehmen sollte. b) Gemeinwohlbindung als Konstante im Verpflichtungskontext Für die Befreiungswirkung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ge­ nügt nicht bereits die rein tatsächliche Erbringung von Universaldiens­ ten iSv Art. 3 PostRL3. Durch die personengebundene Ausrichtung über den zusätzlich geforderten Posteinrichtungsstatus weist diese Exemtion eine zu anderen Tatbeständen des Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL vergleich­ bare Normstruktur auf. So setzt die Freistellung ärztlicher Heilbehand­ lungen in Art. 132 Abs. 1 lit. c) MwStSystRL etwa voraus, dass diese 1 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn  36; Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (255). 2 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 44. 3 So aber wohl Günther, N&R 2016, 251 (253 f) mit dem nicht überzeugenden Argu­ ment, das Erfordernis der Selbstverpflichtung in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG errichte eine unzulässige Hürde gegenüber der unmittelbaren Richtlinienwirkung.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

durch medizinisch qualifiziertes Personal erbracht werden. Weitere ­Beispiele finden sich in Art. 132 Abs. 1 lit. b), g), h), i), n) oder p) MwSt­ SystRL, sofern die Befreiung an eine öffentlich-rechtliche respektive staatlich anerkannte Einrichtung gekoppelt wird. Diese subjektiven Be­ grenzungsformen stehen regelmäßig in Konnexität zum sach­ lichen ­Begünstigungsgehalt, dienen sie doch dazu, die Einhaltung qualifizierter Gemeinwohlanforderungen an die zu befreienden Umsätze sicherzustel­ len1. Die interdisziplinäre Verknüpfung, welche der EuGH für Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zwischen der Gewährleistungsverantwortung und ei­ ner neutralitätskonformen Bewertung kreiert hat, lässt sich allein unter der Voraussetzung konsequent durchhalten, dass die jeweiligen Ver­ pflichtungsbedingungen in relevanter Weise auf die äußere Qualität der ausgeführten Umsätze ausstrahlen. Erforderlich ist somit, dass die Ver­ pflichtung Rechtsverbindlichkeit genießt, ferner muss sie auf eine ver­ waltungspraktisch effektive Durchführung angelegt sein. Unzureichend sind hingegen rein deklaratorische Bekundungen eines Postanbieters, denen nicht die Eigenschaft einer ernsthaft zugesicherten sowie behörd­ licherseits kontrollierten Einstandspflicht zukommt. Treffend führt Ge­ neralanwältin Kokott diesbezüglich aus, dass auch die bloße förmliche Notifizierung eines Anbieters gegenüber der Kommission gemäß Art. 4 PostRL noch nicht dessen Eigenschaft als öffentliche Posteinrichtung be­ gründet, sondern diese weitergehend von der materiellen Gewährleis­ tung des Universaldienstes abhängig ist2. Damit verdichtet sich die innere Rechtfertigung für eine verpflichtungs­ akzessorische Exemtion auf eine verstetigte Einbeziehung des belasteten Anbieters in die Gemeinwohlverantwortung, die sich als taugliches Un­ terscheidungskriterium in einer empfindlichen Einschränkung der un­ ternehmerischen Dispositionsfreiheit niederschlägt3. Ein befreiter An­ bieter darf insofern sein Leistungsangebot nicht flexibel am Maßstab ökonomischer Effizienz orientieren, indem er sein Angebot auf rentable Regionen eingrenzt. Stattdessen schuldet er eine umfassende Versorgung der Bevölkerung zu festgelegten Qualitätsmerkmalen4. Auch muss die Grundversorgung für eine gewisse Dauer gewährleistet sein5. Gerade ­dieses Erfordernis der zeitlichen Kontinuität zeigt deutlich auf, dass die 1 So auch GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 34; Wüst, UR 2013, 383; Strunz, ELR 2009, 228 (231). 2 Vgl. GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 65. 3 Siehe zur entsprechenden Rechtfertigung von § 4 Nr. 11b UStG a.F. vorstehend C. III.3.b). 4 Kraeusel, UR 2008, 647 (649). 5 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 65; Jacobs, UR 2009, 825 (833).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

befreiungsrechtlich alimentierte Gemeinwohlbindung einer bloß fakti­ schen Verrichtungslage nicht immanent sein kann1. Konkrete Angaben dazu, wie die ausdrücklich in Bezug genommene (Selbst-)Verpflichtung eines Postanbieters im Einzelnen ausgestaltet sein muss, lassen sich den Ausführungen des EuGH nicht entnehmen. Ent­ sprechend der qualitätssichernden Funktion des subjektiven Einrich­ tungsmerkmals muss der besondere Universaldienstkontext jedoch in­ haltlich eine effektive staatliche Überwachung hinsichtlich der national geltenden Leistungsstandards beinhalten2. Essenziell ist folglich, dass die tatsächliche Ausführung der Universaldienste im gesamten Gebiet eines Mitgliedstaates staatlich kontrolliert und so effektiv sichergestellt wird. Der subjektive Freistellungsrückzug auf öffentliche Posteinrichtungen reflektiert auf diese Weise die dauerhafte Gewährleistung einer funktio­ nierenden Grundversorgung als besonderen Ausfluss des Gemeinwohls iSv Art. 132 MwStSystRL. c) Rechtstatsächliche Verpflichtung Die höchstrichterlichen Ausführungen zum Begriff „öffentliche Postein­ richtung“ rekurrieren auf die zum Entscheidungszeitpunkt noch gelten­ den Postordnungsvorschriften im Vereinigten Königreich und basieren daher auf einer normativ aktualisierten Anbieterverpflichtung. Als unab­ dingbar erweist sich insofern die Notwendigkeit, die äußeren Grenzen der subjektiven Befreiungsvoraussetzungen gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auszuloten. Allein ihre Eruierung eröffnet, ob der einge­ schlagene Weg einer Verpflichtungskonzeption die nötige Flexibilität er­ reicht, um das weitgehende Gestaltungsermessen der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung der Gewährleistungsverantwortung befreiungsrechtlich abzubilden. Als durch die aktuelle Rechtsprechung gesicherter Bestand können dabei nur solche Folgerungen anerkannt werden, die sich auch ohne weitere Klarstellung inhaltlich in den benannten Statusmerkmalen einer öffentlichen Posteinrichtung wiederfinden. Ausgehend von der in­ haltlichen Funktionsrichtung wurde bereits erläutert, dass die subjektive Eingrenzung der Postdienstbefreiung ein hochwertiges Versorgungsni­ veau absichern soll. Um eine rechtssichere Umsetzung dieser Vorgabe zu erreichen, genügt nach der Rechtsprechung naturgemäß eine konkreti­ sierte Verpflichtung. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, ob die­ se rechtliche Grundlage hoheitlich oktroyiert oder freiwillig aufgrund unternehmerischer Initiative geschaffen wird, solange der jeweils ausge­

1 Vgl. auch Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 5; Gramlich, N&R 2009, 247 (248). 2 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 55.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

wählte Mechanismus in die geforderte staatliche Kontrolle bezüglich der Universalstandards eingerahmt ist. Die so umschriebenen Elemente des befreiungsrelevanten Leistungskon­ texts können indes nicht allein im Wege einer förmlich ausgestalteten Verbindlichkeit abgebildet werden. Für die postordnungsrechtlich ver­ wurzelte Konstitution des subjektiven Einrichtungsstatus genügt viel­ mehr auch, dass der Anbieter einer rechtstatsächlichen Verbindlichkeit zur postalischen Grundversorgung in einem Mitgliedstaat dergestalt un­ terliegt, dass der Universaldienst zwar vornehmlich auf freiwilliger Basis bewerkstelligt, im Falle der Unterversorgung jedoch durch die zuständi­ ge Regulierungsbehörde jederzeit in eine förmlich aktivierte Verpflich­ tung umschlagen kann1. Unter dem Eindruck eines solchermaßen „schwebend“ installierten Mechanismus befindet sich der erfasste An­ bieter verglichen mit einer formal mittels Gesetz oder Auflagen festge­ schriebenen Verpflichtung in keiner abweichenden Situation. Dieser er­ bringt die Universaldienste in der Wahrnehmung eines faktischen Gebots mit beschränkter Dispositionsfreiheit, ferner impliziert ein solches Sys­ tem effektive staatliche Kontrolle durch die zuständige Regulierungsbe­ hörde. Bei funktionaler Betrachtungsweise bietet somit das regulative Instrument einer vorbehaltenen Verpflichtung ein gleichwertig abgesi­ chertes Grundversorgungsniveau, wie es der Gerichtshof unter Geltung einer förmlichen Verpflichtung für die Exemtion vorausgesetzt hat. Der subjektiv ausgedehnte Anwendungsbereich auf eine nur latent exis­ tierende Verpflichtung darf im Ergebnis jedoch nicht zu einer weitgehen­ den Entleerung des für die Befreiungswirkung maßgeblichen Leistungs­ kontexts führen, anderenfalls wäre nämlich das Neutralitätsprinzip im Lichte der richterlich gewählten Konzeption gefährdet. Um einer Dero­ gation der qualifizierten Rechtsgrundlage vorzubeugen, vermag eine hy­ pothetische Universaldienstpflicht nur dann die Eigenschaft einer öffent­ lichen Posteinrichtung zu vermitteln, sollten ein oder mehrere bereits im Voraus identifizierbare Dienstleister bei Eintritt der Unterversorgung letztverbindlich förmlich verpflichtet werden müssen. Praktisch be­ währt sich dieser Ansatz im neu konzipierten Regulierungsrecht des Ver­ einigten Königreichs. Einzig möglicher Adressat einer behörd­lich­en Uni­ versaldienstverpflichtung (designated USP condition) ist gemäß Art. 36 Abs. 1, Abs. 3 iVm Art. 35 Abs. 1 PSA Royal Mail als designierter Univer­ saldienstleister (usp). Unter dem Eindruck dieser rechtstatsächlichen Versorgungsverpflichtung unterliegt Royal Mail auch ohne förmliche Li­ zenzauflage einer gegenüber dem Entscheidungsjahr 2009 unveränderten 1 So Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/G/K/L, Postrecht, 2014, Kap. C Rn 83; Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (258); Schaumburg, Protokoll Nr. 16/123 v. 18.03.2009, S. 15. Mit Blick auf § 13 Abs. 2 PostG auch FG Baden-Württemberg EFG 2011, 1368 (1369).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Situation. Dieser Beispielfall führt in eindringlicher Weise das berechtig­ te Bedürfnis der Mitgliedstaaten vor Augen, im Interesse eines stärker marktwirtschaftlich orientierten Ansatzes auf fest gefügte Verpflich­ tungssysteme zu verzichten. Eine aktuell nicht zwingend ange­ zeigte Marktregulierung kann so ohne negative Implikationen für die Exemtion durch das Konzept einer freiwilligen Universaldienstversorgung ersetzt werden, in welchem die hoheitliche Verpflichtung als Ultima Ratio vor­ behalten bleibt1. 2. Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG Befreit sind Universaldienste nach Maßgabe von § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG unter der Vor­aussetzung, dass sich der ausführende Unternehmer zum flächendeckenden Angebot sämtlicher oder eines Teils dieser Leistungen innerhalb der BRD verpflichtet hat. Der deutsche Gesetzgeber wählte im Rahmen der Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL den Me­ chanismus der Selbstverpflichtung und hielt sich so wortwörtlich an die Vorgaben aus der deutschen Urteilsfassung. Wie bereits ausführlich oben unter a) dargelegt, erweist sich dieser auf unternehmerischer Initiative beruhende Ansatz als eine generell richtlinienkonforme Umsetzungsva­ riante2. Soweit hierzu abweichend aufgrund einer als zwingend erachteten Ho­ heitsverpflichtung plädiert wird, das System der Beförderungslizenz ge­ mäß § 5 PostG müsse auf sämtliche Erbringer von Universaldienstleis­ tungen iSv § 1 Abs. 1 PUDLV ausgeweitet und deren Umsätze als solche einer öffentlichen Posteinrichtung steuerfrei gestellt werden3, vermag die­ se Konzeption aus zwei Gründen nicht zu überzeugen. Zum einen soll in Anlehnung an die Rahmenvorgabe des Art. 4 Abs. 2 Satz 2 PostRL für die Befreiung bereits genügen, dass ein entsprechend lizenzierter Anbieter nicht nur sachlich, sondern auch territorial begrenzte Universaldienste erbringt. Ein derart lizenzge­bundenes Befreiungssystem verstößt jedoch gegen das zwingende Erfordernis einer flächendeckenden Grundversor­ gung. Zum Zweiten soll nach dieser Auffassung bereits ein rein finanzi­ eller Beitrag zur Stützung des Universaldienstes iSv § 16 PostG die Steu­ erfreiheit tragen, sofern gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 PostG nur ein räumlich marktbe­herrschender Anbieter zur Ausführung verpflichtet werden darf. Eine entsprechende Gleichsetzung zwischen monetärer Ausgleichsabga­ 1 Siehe auch Schaumburg, Protokoll Nr. 16/123 v. 18.03.2009, S. 15. 2 So auch Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (258); zust. von Streit, in: Rau/ Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 256; a.A. König/Busch, EWS 2009, 510 (512). 3 So Koenig/Hasenkamp/Kolbe, N&R 2011, 20 (24 f). Ähnl. Günther, N&R 2016, 251 (252), wonach in Deutschland alle Lizenznehmer das „Postnetz“ iSv Art. 2 Abs. 2 PostRL bilden sollen.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

be und gegenständlicher Verrichtungspflicht widerspricht dem EuGH, der das Merkmal der Verpflichtung auf die physische Gewährleistung be­ zogen hat. Erweist sich das Modell in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG gemeinhin als sekundärrechtskonformer Mechanismus, bestehen hinsichtlich der Kompatibilität seiner konkreten Ausgestaltung gleichwohl erläuterungs­ bedürftige und noch nicht abschließend geklärte Problemstellungen. a) Die Selbstverpflichtung als zwingender Ansatz? Von gestaltungspolitischer Relevanz wie auch bedeutsam für die Hand­ habung der aktuell geltenden Umsetzung ist, ob die Einführung des Selbstverpflichtungsmechanismus in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG eine recht­ lich zwingende Reaktion auf das Urteil „TNT Post UK“ darstellt. Der Gesetzgeber bejahte dies mit der Begründung, die DPAG sei mit Wegfall ihres Restmonopols zum 01.01.2008 keiner ausdrücklichen Universal­ dienstpflicht mehr unterworfen1. Favorisiert wurde die Einführung einer umsatzsteuerautonomen Selbstverpflichtung, die keinerlei Berührungs­ punkte zur regulativen Systematik in §§ 12 ff PostG aufzeigt2; formell wird diese Grundentscheidung durch die eigenständige Prüfzuständig­ keit des BZSt anstelle der für Postregulierungsfragen an sich zuständigen BNetzA unterstrichen. Ebenso wie neuerdings im Vereinigten König­ reich beruht die deutsche Versorgungskonzeption schon seit Längerem auf freiwilliger Basis, indem die formale Verpflichtung eines oder mehre­ rer Anbieter gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 PostG nur zwecks Korrektur eines als unzureichend festgestellten Leistungsniveaus vorgesehen ist. aa) Selbstverpflichtung der DPAG Die seitens der Bundesregierung suggerierte Notwendigkeit einer befrei­ ungswirksamen Selbstverpflichtung lässt außer Betracht, dass die DPAG als DBP-Nachfolgerin seit ihrer Gründung der einzige Anbieter in Deutschland ist, welcher die flächendeckende Universaldienstversor­ gung in sämtlichen relevanten Leistungssparten erfüllt. Etwaige Zweifel an der zuverlässigen Bereitstellung eines angemessenen Niveaus iSv § 13 Abs. 1 Satz 1 PostG sind nicht angezeigt, da retrospektiv die Situation einer Unterversorgung im deutschen Postsektor bislang nie eingetreten ist.

1 BReg, BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 30; zust. Hundt-Eßwein, in: Küffner/­ Stöcker/Zugmaier, USt, 129. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 2 2 Vgl. nunmehr auch BFH BStBl. II 2016, 548 ff, wonach eine unmittelbare Anwend­ barkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ausscheidet, soweit es allein um die Erteilung der Bescheinigung durch das BZSt geht; siehe auch Huschens, in: Schwarz/ Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 58a.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Anknüpfend an diesen praktischen Versorgungsvollzug, setzt § 56 PostG eine besondere Verantwortungsstellung der DPAG fort1. Nach dieser Be­ stimmung muss die DPAG gegenüber der BNetzA sechs Monate im Vor­ aus eine Mitteilung erstatten, sollte sie künftig den überkommenen Uni­ versaldienstumfang in sachlicher oder territorialer Hinsicht einschränken wollen2. Da eine solche Erklärung bislang weder abgegeben worden ist noch in absehbarer Zukunft bevorstehen dürfte, ist davon auszugehen, dass die DPAG aktuell die bundesweite Versorgung freiwillig übernom­ men hat3. Dass die tatsächlich ausgeübte Grundversorgung allerdings nicht auf einer gänzlich dispositiven Entscheidung beruht, wird daran deutlich, dass die DPAG selbst ihrer aufgekündigten Gemeinwohlfunkti­ on für weitere sechs Monate nachkommen muss. Im Gegensatz zu ande­ ren Marktteilnehmern unterliegt die DPAG in ihrer betriebswirtschaft­ lichen Disposition auch aktuell einer spürbaren Einschränkung. Überdies dokumentieren sowohl der Gesetzgeber als auch die BNetzA durch den Verzicht auf weitergehende Regulierungsmaßnahmen, dass die in Art. 3 Abs. 1 PostRL sowie Art. 87f Abs. 1 GG verankerte Gewährleistung zu­ friedenstellend bedient wird. Folglich genießt die Übernahme der DPAG ein hinreichendes staatliches Vertrauen, deren Ernsthaftigkeit und Ver­ bindlichkeit nicht in Abrede gestellt werden kann. Nicht zuletzt unterliegt die Tätigkeit der DPAG einer kohärenten Über­ wachung durch die BNetzA, die mit umfassenden Auskunfts- und Prü­ fungsbefugnissen gemäß § 45 PostG ausgestattet ist. Ein mögliches Ab­ weichen vom übernommenen Universaldienstprogramm bliebe daher keinesfalls unbemerkt und hätte zur Folge, dass die DPAG als stärkster Marktteilnehmer mit der Einleitung ordnungsrechtlicher Konsequenzen bis hin zur hoheitlichen Verpflichtung gemäß § 13 Abs. 2 PostG rechnen müsste. Aus der Gesamtschau der vorstehend beschriebenen Regularien ist zu schließen, dass die DPAG bereits vor Inkrafttreten der Neufassung von § 4 Nr. 11b UStG dem Universaldienst zugehörige Leistungen auf ei­ ner im Vergleich zu konkurrierenden Anbietern abweichenden Grundlage erbracht hat. Die ausweislich § 56 PostG als verbindlich anzuerkennende Gewährübernahme einschließlich ihrer Einbettung in ein behördliches Kontrollverfahren konstituieren den besonderen Leistungskontext, des­ sen der richtlinienkonforme Status als öffentliche Posteinrichtung bedarf. 1 Einen ausreichenden Sonderstatus erkennend auch Reinbothe/Hentschel/Poch­ marski, in: G/G/K/L, Postrecht, 2014, Kap. C Rn 83; a.A. Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 22; BMK, Sondergutachten 2015, S. 75, wonach von einer rein freiwilligen Erbringung auszugehen sei. 2 Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 lit. a) PostG ist die Verletzung dieser Pflicht bußgeldbewehrt. 3 Vgl. BMK, Sondergutachten 2009, S. 108. Ein Rückzug aus der Versorgung steht auch nicht zu erwarten, da die DPAG aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung Kon­ kurrenzanbieter ggfs. über die Ausgleichsabgabe gemäß § 15 PostG subventionieren müsste, vgl. Greiving, Sicherung der Daseinsvorsorge, 2008, S. 17.

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bb) Latente Verpflichtung durch Marktbeherrschung, § 13 Abs. 2 PostG Ergänzend qualifiziert sich die DPAG als originäre Posteinrichtung über ihre exklusive Stellung als letztverbindliche Verpflichtungsadressatin gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 PostG1. Die eingehende Analyse der unterneh­ merbezogenen Rechtsprechungsvorgaben hat aufgezeigt, dass diese zen­ trale Eigenschaft sehr wohl unter dem Eindruck einer vorbehaltenen Grundversorgungsverpflichtung begründet sein kann, sollte der betref­ fende Mechanismus eine spezifische Adressierung vorsehen2. Eine ent­ sprechende Situation bestand für die DPAG zweifellos, bevor in § 52 Satz 1 PostG durch das zweite Änderungsgesetz deren Universaldienst­ pflicht deklaratorisch fixiert wurde3. Nach der insoweit abgelösten Fas­ sung des § 52 PostG a.F. durfte ohnehin nur die DPAG verpflichtend zur Grundversorgung herangezogen werden, so dass sie sich während der fortbestehenden Exklusivlizenz auch ohne formaljuristische Bestätigung einem besonderen Leistungskontext iSv Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSyst­ RL ausgesetzt sah. Mit dem endgültigen Entfall des gesetzlichen Monopols ab dem 01.01.2008 war gemäß § 52 Satz 2 PostG zugleich das Inkrafttreten des bis dahin suspendierten Interventionsregimes (§§ 12 bis 17 PostG) ver­ bunden. Zwar ist nach diesen Bestimmungen eine dem § 52 PostG a.F. vergleichbare Beschränkung der Verpflichtungsmöglichkeit zulasten der DPAG nicht mehr explizit vorgesehen; die einleitende Bestimmung des § 12 Abs. 1 PostG sieht stattdessen vor, dass prinzipiell jeder Lizenzneh­ mer mit einem 500.000 EUR übersteigenden Jahresumsatz nach Maß­ gabe der §§ 13 bis 17 PostG erforderlichenfalls einen Finanzierungsbei­ trag abführen muss. Die im Lichte der EuGH-Rechtsprechung indes allein maßgebliche Verbindlichkeit zur physischen Universaldienstver­ richtung bleibt allerdings gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 PostG in letzter In­ stanz auf den jeweils marktbeherrschenden Anbieter begrenzt. Möglicher ­Adressat einer formalen Verpflichtung ist folglich weiterhin für Briefe wie Pakete exklusiv die DPAG. Sie verfügt derzeit im lizenzpflichtigen Briefsegment auch über 1.000 g über einen Marktanteil von etwa 85,6 %4, im Paketsegment liegt der Anteil von DPAG/DHL als einem der fünf

1 Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (258). A.A. FG Baden-Württemberg EFG 2011, 1368 (1369), wonach bereits jeder Anbieter mit einem 500.000 EUR über­ steigenden Jahresumsatz gemäß § 12 Abs. 1 PostG eine öffentliche Posteinrichtung sei; eine solche Umsetzung für Österreich fordernd Management Club, Postmarktli­ beralisierung 2011, S. 4. 2 Siehe hierzu vorstehend 1.c). 3 BReg, BT-Drucks. 14/8344 v. 25.02.2002, S. 4. 4 BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 95. Die Marktbeherrschung wird gemäß § 48 PostG im Einvernehmen von BNetzA und BKartA bestimmt.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

großen Dienstleister 2012 noch bei 42,5 %1. Solange sich diese Parameter nicht maßgeblich zugunsten konkurrierender Dienstleister verschieben, setzt das derzeit geltende Marktbeherrschungskriterium de facto den ausdrücklichen Adressierungszuschnitt entsprechend § 52 PostG a.F nahtlos fort, denn im Endeffekt fiele eine hoheitlich verhängte Grund­ versorgungsverpflichtung auf die DPAG wieder zurück2. Diese Situation gleicht der, wie sie für Royal Mail als formal designiertem usp im Verei­ nigten Königreich neuerdings besteht. Gegen eine rechtstatsächliche Pflichtstellung könnte angeführt werden, dass bei Unterversorgung zunächst das Auswahlverfahren gemäß § 13 Abs. 1 PostG zum Zuge gelangt, mithin also auch die freiwillige Univer­ saldienstübernahme durch einen anderen Unternehmer möglich scheint. Erheblich wäre dieser Einwand jedoch nur, falls die freiwillige Gewähr durch einen konkurrierenden Marktteilnehmer hinreichende Erfolgsaus­ sicht böte und ein automatisierter Verbindlichkeitsdruck aus Sicht der DPAG somit entfiele. Eine materielle Bedeutung des Auswahlverfahrens könnte sich vor dem Hinter­grund erschließen, dass Postanbieter eine ­flächendeckende Präsenz innerhalb des staatlichen Zustellgebietes ohne­ hin als notwendige Voraussetzung für ein dauerhaftes Bestehen am Markt begreifen3. Es erscheint allerdings äußerst zweifelhaft, dass ein gegenüber der markt­ beherrschenden DPAG schwächer positionierter Anbieter, der über ge­ ringere Sendungsmengen mit Skaleneffekten sowie eine geringer aus­ gebaute Infrastruktur verfügt, die flächendeckende Grundversorgung effektiver bewerkstelligen könnte. Es dürfte mithin bereits der wirt­ schaftliche Anreiz für den Eintritt in eine freiwillige Grundversorgung fehlen, zumal Ausgleichszahlungen zur Kompensation einer Unterde­ ckung iSv § 15 PostG bei freiwilliger Übernahme ausgeschlossen sind, § 13 Abs. 1 Satz 2 PostG. Überdies besagt allein der Umstand einer flä­ chendeckenden Präsenz noch nichts darüber, in welcher Dichte stationä­ re Einrichtungen und Briefkästen innerhalb des gesamten Bundesgebiets verteilt sind4. Einem ungebundenen Anbieter ist es möglich, seine Infra­ struktur kosteneffizient auf lukrative Regionen zu konzentrieren und sich im Übrigen auf eine Minderversorgung unterhalb der strengen Qua­ litätsvorgaben gemäß §§ 2 ff PUDLV zu beschränken. Im Übrigen bleibt zu berücksichtigen, dass viele kleinere Postdienste ihre marktstruktur­ 1 BMK, Sondergutachten 2015, S. 28; vgl. zur Marktbeherrschung auch BNetzA v. 23.03.2015 – BK5-11/069. 2 Greiving, Sicherung der Daseinsvorsorge, 2008, S. 14. 3 Vgl. BMK, Sondergutachten 2009, S. 83; BNetzA, Tätigkeitsbericht Post 2008/2009, S. 27; Klotz/Brandenberg, N&R 2009, 8 (15); KEP & Mail, PosiTion 1/06. 4 Siehe zu den Anforderungen an die Grundversorgung BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 104.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

bedingte Flächendeckung durch einen Teilleistungszugang bei der DPAG oder einem anderen großen Anbieter erreichen und daher kein eigenstän­ diges Zustellnetz unterhalten1. Gerade die Zustellung an den Sendungs­ empfänger „auf dem letzten Kilometer“ macht aber den wesentlichen Kostenposten innerhalb der gesamten Beförderungskette aus2. Die offen­ sichtlich fehlende Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft konkurrierender Anbieter für eine freiwillige Selbstverpflichtung belegt jedenfalls die Tat­ sache, dass auch nach Inkrafttreten des neugefassten § 4 Nr. 11b UStG selbst im stärker wettbewerbsgeprägten Bereich der Paketzustellung au­ ßer der DPAG bislang keinem anderen Anbieter die erforderliche Be­ scheinigung durch das BZSt erteilt worden ist3. Eine freiwillig mögliche Gewährübernahme nach § 13 Abs. 1 PostG erweist sich folglich als eher theoretisch denn praktisch wahrscheinlich. b) Effektives Kontrollverfahren Angesichts der qualitätssichernden Funktion, welche das subjektive Ein­ richtungsmerkmal gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL in Bezug auf die zu befreienden Postumsätze erfüllt, muss die unternehmerische Selbstverpflichtung iSv § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG in ein staatlich organi­ siertes Kontrollverfahren eingerahmt sein. Die Befreiungswirkung darf nicht an eine lediglich formal abgegebene Erklärung eines Anbieters ohne konkrete inhaltliche Bindungswirkung geknüpft sein4. aa) Überprüfung im Verbund zwischen BZSt und BNetzA Um diese Vorgabe zu erfüllen, wurde der Selbstverpflichtungsmechanis­ mus in ein behördliches Verfahren eingebettet. Der Unternehmer gelangt nur in den Genuss der Befreiung seiner Umsätze, wenn er sich im Besitz einer entsprechenden Bescheinigung des BZSt befindet5. Der Gesetzes­ wortlaut selbst enthält keine weiteren Hinweise auf die konkrete Ausge­ staltung des Bescheinigungsverfahrens. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei dem Vorliegen der Bescheinigung um eine zwingende materielle Voraussetzung für den Eintritt der Umsatzsteuerbefreiung handelt6. Allgemein anerkannt ist ferner, dass die erforderliche Beschei­ nigung über die Selbstverpflichtung des Unternehmers einen gebunde­ 1 Vgl. BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 96; BMK, Sondergutachten Post, 2015, S. 12; FG Köln N&R 2015, 254 ff. 2 Siehe dazu Kruse/Liebe, Netzzugang und Wettbewerb, 2005, S. 21 ff. 3 Die BNetzA war 2010/2011 an insgesamt 30 Antragsverfahren beteiligt, vgl. Tätig­ keitsbericht Post 2010/2011, S. 18. 4 Siehe GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 65. 5 Weber, UVR 2010, 139 (140). 6 Kaminski, StB 2010, 193 (197); Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 60.

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nen Grundlagenbescheid gemäß § 171 Abs. 10 Abgabenordnung (AO) darstellt1. Einen zwingenden Bestandteil der dem BZSt obliegenden Prü­ fung bildet bereits nach dem Wortlaut gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG die tatsächliche Abgabe der Selbstverpflichtungserklärung, mit deren Einrei­ chung zugleich die Erteilung des entsprechenden Bescheides beantragt wird. Die Funktion der Bescheinigung erschöpft sich jedoch nicht in einer blo­ ßen Empfangsbestätigung. Anderenfalls wäre die rein formale Zusage zur Universaldiensterbringung ohne gegenständliche Überprüfung aus­ schlaggebend für die Befreiungswirkung, obwohl diese an eine materielle Grundversorgung im Postsektor gebunden sein soll. Zudem zeigt ein Vergleich zum ersten Regierungsentwurf (BT‑Drucks. 16/11340), dass mit der Bescheinigung ursprünglich das tatsächliche Angebot flächende­ ckender Universaldienste durch das BZSt bestätigt und überprüft werden sollte. Da der Gesetzgeber das Merkmal der Selbstverpflichtung lediglich als verbindliche Reaktion auf das TNT-Urteil in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG verfestigt hat, scheint die Annahme einer verringerten Prüfintensität ge­ genüber der früher für notwendig befundenen Verfahrensprogrammatik nicht überzeugend. Dass eine kontrolllose Selbstverpflichtungserklärung allgemein nicht zielführend sein kann, verdeutlichte die im April 2004 seitens der DPAG abgegebene Garantie über die Erbringung bestimmter Postleistungen, die über den rechtsverbindlichen Universaldienstum­ fang hinausgingen2. Unter Punkt 10 dieser Selbstverpflichtungserklärung vom 02.04.2004 wurde explizit festgehalten, dass eine Überprüfung über die objektive Einhaltung der zugesagten Leistungselemente im Interesse einer effektiven Wirkung unerlässlich ist3. Überdies forderte das Bundes­ ministerium für Wirtschaft und Arbeit gegenüber der damaligen Regulie­ rungsbehörde, für die faktische Einhaltung der zugesagten Dienste unter dem Vorbehalt verordnungsrechtlicher Maßnahmen Sorge zu tragen4. Entsprechend muss das BZSt weitergehend feststellen, ob der Antragstel­ ler nach seinem unternehmerischen Konzept einschließlich sachlicher und personeller Infrastrukturvoraussetzungen generell dazu befähigt ist, die Universaldienste im sachlich versprochenen Umfange flächende­ ckend anzubieten5. Der behördliche Prüfauftrag bezieht sich nach dem verbindlichen Anwendungserlass des BMF indes nicht lediglich auf das 1 Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 60a; Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 19; zust. auch Lippross, USt, 24. Aufl., S. 657. 2 Vgl. BMWi, BT-Drucks. 15/3186 v. 25.05.2004, S. 1. 3 BT-Drucks. 15/3186 v. 25.05.2004, S. 3. 4 BReg, BT-Drucks. 15/4584 v. 16.12.2004, S. 4; vgl. ferner Heßlinger, Regulierungs­ verantwortung, 2007, S. 75. 5 FG Köln Urt. v. 11.03.2015 – 2 K 1707/11; Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 17 f.

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abstrakte unternehmerische Potenzial zur Universaldienstversorgung, sondern weitergehend darauf, ob der Anbieter die einschlägigen Leis­ tungsstandards gemäß §§ 2 ff PUDLV auch einhält1. Soweit das BZSt dem Antragsteller die Bescheinigung erteilt hat, bildet diese eine verbindliche Grundlage für die umsatzsteuerliche Veranlagung hinsichtlich der Ein­ zelleistungen. Das zuständige Finanzamt ist daher nicht mehr befugt, die Erfüllung der allgemein formulierten und nur im Rahmen einer Gesamt­ betrachtung des vollständigen Leistungsspektrums eines Postanbieters im Bundesgebiet überprüfbaren Qualitätsmerkmale gemäß §§ 2 bis 4 PUDLV eigenständig zu würdigen. Vor diesem Hintergrund wird die ge­ setzgeberische Intention erkennbar, die komplexe Kontrolle von Univer­ saldienststandards einer gebietsübergreifend zuständigen Oberbehörde anzuvertrauen, die kraft eines verbindlichen Grundlagenbescheides die rechtssichere Ausgangslage für eine effiziente Besteuerung schafft. Die richtlinienkonforme Effektivität dieser Verfahrensweise kann auch nicht mit der Begründung in Zweifel gezogen werden, das BZSt verfüge als Steuerbehörde nicht über die hinreichende Kompetenz und Sachnähe zur abschließenden Würdigung regulierungsrechtlicher Fragestellungen2. Mag die Abkehr vom Referentenentwurf, welcher noch die Zuständig­ keit bei der BNetzA verortete, als zweckwidrig kritisiert werden, stellt sich diese Entscheidung aus rechtlicher Sicht gleichwohl unbedenklich dar3. Sollte das BZSt nicht über die nötigen Informationen zum Zwecke der Antragsprüfung verfügen, kann sie diese im Wege der Amtshilfe ge­ genüber der BNetzA anfordern4. Insoweit ist auch erwähnenswert, dass gemäß Art. 22a RL 2008/6/EG die Verpflichtung zur Übermittlung der für die Universaldienstversorgung maßgeblichen Daten an die nationa­ len Regulierungsbehörden erweitert wurde, eine solche Kompetenz also nicht unmittelbar zugunsten des BZSt besteht5.

1 Abschn. 4.11b.1 Abs. 10 UStAE; so auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 316. Dass hiervon das BZSt selbst ausgeht, verdeutlicht dessen Argumentation zur Ablehnung einer beantragten Bescheinigung im Verfah­ ren BFH – V R 20/15 –, BStBl II 2016, 548. 2 Krit. zur Zuständigkeit etwa BMK, Sondergutachten 2009, S. 110; Haucap, Stellung­ nahme v. 08.02.2010, Tz 9. Für die Überprüfung der Selbstverpflichtungserklärung der DAPG vom 02.04.2004 wurde gleichsam unter Punkt 10 die frühere Regulie­ rungsbehörde für Post und Telekommunikation favorisiert, vgl. BT‑Drucks. 15/3186 v. 25.05.2004, S. 3. 3 So auch Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 10 f. 4 Vgl. Lembke, in: Weimann/Lang, USt, 3. Aufl., § 4 Nr. 11b 2.5.1; Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 61 f. 5 BNetzA, Tätigkeitsbericht 2008/2009, S. 11.

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bb) Zeitlich kongruente Kontrolle Als problematisch erweist sich mangels entsprechender Vorgaben in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG, ob eine effektive Kontrolle der Universaldienstleis­ tungsstandards auch im Zeitraum nach der Bescheinigung durch das BZSt noch gewährleistet ist. Damit eine gemeinwohlorientierte Befrei­ ung wirksam wird, muss die flächendeckende Erfüllung der geltenden Qualitätsmerkmale kontinuierlich über den gesamten Leistungszeit­ raum gesichert sein mit der Folge, dass ein rein punktuell wirkender Kontrollmechanismus dem leistungsspezifischen Einrichtungsmerkmal nicht gerecht werden kann1. Angesichts dieses im Wortlaut nur unzu­ reichend umgesetzten Aspekts entzündete sich schon im laufenden Ge­ setzgebungsverfahren berechtigte Kritik 2. Die Bundesregierung äußerte ­gegenüber den Vorhaltungen des Bundesrates, die erforderliche Beschei­ nigung durch das BZSt werde jederzeit und gegebenenfalls auch mit Rückwirkung aufgehoben, sollten einmal die zugesagten Kriterien nicht mehr erfüllt sein3. Entsprechend wird eine kontinuierliche Überprüfung durch das BZSt im­ pliziert, so dass § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG im Einklang mit dieser auf eine richtlinienkonforme Umsetzung gerichteten Intention auszulegen ist. Eingang hat diese Sichtweise daher auch in die einschlägigen Verwal­ tungsanweisungen gefunden4. Ermächtigungsgrundlage für Aufhebung sind §§ 48, 49 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG), da die maßgebliche Prüfung für die Erteilung des Verwaltungsakts sich auf au­ ßerhalb des Steuerrechts angesiedelte Regulierungsfragen bezieht5. In­ dem die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG unmittelbar an das Vorliegen einer konstitutiven Bescheinigung geknüpft bleibt, wird ein effektiver Vollzug sichergestellt. Nicht zu unter­schätzen ist ferner der Sanktionseffekt, der sich aus der hohen Kostenbelastung infolge einer nachträglichen Aufhebung ergibt und Postanbietern den Anreiz zur Inan­ spruchnahme einer unberechtigten Befreiung nehmen sollte6. In diesem Falle müsste der Unternehmer neben einer eventuellen Vorsteuerkorrek­ 1 Vgl. zum Erfordernis der zeitlichen Koinzidenz Jacobs, UR 2009, 825 (833); BMK, Sondergutachten 2009, S. 110; im Erg. ebenso mit Blick auf die Gewährleistung regu­ lierter Entgelte Koenig/Busch, EWS 2009, 511 (512). 2 Siehe nur BR, BT-Drucks. 16/11340 v. 10.12.2008, S. 11; DSTG, Stellungnahme zu BT‑Drucks. 17/506, S. 8; Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 6. 3 BReg, BT-Drucks. 16/11340 v. 10.12.2008, S. 12. 4 Vgl. Abschn. 4.11b.1 Abs. 12 UStAE. 5 Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 21; von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 379. 6 Da es sich bei der Bescheinigung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, kann die Rücknahme jedenfalls mit Wirkung ab dem Zeitpunkt erfolgen, ab dem die notwen­ digen Universaldienstvoraussetzungen nicht mehr vorlagen, vgl. von Streit, in: Rau/ Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 405 mwN.

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tur gemäß § 15a UStG sämtliche bis dato befreit ausgeführte Leistungen korrigieren. Möglich wird die Rechnungskorrektur in aller Regel nur durch eine Umdeutung unter Anwendung der Kleinbetragsregelung in § 33 UStDV, denn die Kunden werden weder ermittelbar noch zur post­ wendenden Aufbringung der Umsatzsteuerschuld bereit sein. Folge ist, dass der Unternehmer die vereinnahmten Entgelte aus eigenem Vermö­ gen nachversteuern muss, wodurch sich eine existenzbedrohende Zahl­ last auftürmen kann1. c) Befreiungsrechtliche Dispositionsbefugnis Die in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG verankerte Konzeption beruht im Gegen­ satz zu einer hoheitlich auferlegten Verbindlichkeit auf dem Prinzip der unternehmerischen Eigeninitiative. Aus den Materialien geht die gesetz­ geberische Vorstellung hervor, der Unternehmer könne eine entspre­ chende Verpflichtung freiwillig übernehmen und sich davon auch jeder­ zeit wieder einseitig lossagen2. Im Ergebnis wird also der öffentliche Posteinrichtungsstatus durch eine dispositive Pflichtübernahme mit der Folge eines unternehmerischen Wahlrechts begründet. Die für die Befrei­ ung konstitutive Bescheinigung wird entsprechend nur auf Antrag durch das BZSt erteilt3. aa) Richtlinienwidrige Option zugunsten der DPAG Ausweislich der Materialien zu § 4 Nr. 11b UStG soll die umsatzsteuer­ liche Dispo­sitions­befugnis ohne persönliche Differenzierung bestehen. Diese Einschätzung scheint angesichts des gesetzgeberisch für notwen­ dig befundenen Selbstverpflichtungsmechanismus folgerichtig, denn die DPAG wurde mangels formell fixierter Universaldienstpflicht seit dem 01.01.2008 nicht mehr als öffentliche Posteinrichtung anerkannt. Auch gibt der Wortlaut in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG keinen Anlass, zwischen möglichen Adressaten für die Wahlrechtsausübung zu selektieren. Die Grundannahme, allein die umsatzsteuerrechtlich verankerte Selbst­ verpflichtung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG konstituiere die subjekti­ ven Befreiungsvoraus­ setzungen, erweist sich jedoch in Bezug auf die DPAG sowohl vor dem Hintergrund der in § 56 PostG als verbindlich bestätigten Selbstverpflichtung als auch der rechtstatsächlich oktroyier­ ten Pflichtenstellung gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 PostG als Trugschluss. Da die DPAG bereits auf der ordnungsrechtlichen Ebene den originä­ ren Status einer öffentlichen Posteinrichtung iSv Art. 132 Abs. 1 lit. a)

1 Vgl. ausf. König/Hanke, BB 2010, 1578 (1581). 2 BReg, BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 30. 3 Vgl. Abschnitt 4.11b.1 Abs. 10 UStAE.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

MwStSystRL erlangt1, darf die Befreiungswirkung nicht erst von einer autonom im Umsatzsteuerrecht nachgelagerten Verpflichtungserklärung abhängig sein. Die gesetzessystematisch angelegte Aufspaltung der (Selbst-)Verpflichtung in einen rein postordnungs- sowie befreiungsrecht­ lich wirksamen Kontext hat zur Konsequenz, dass die DPAG nach freiem Ermessen auch ohne Abänderung ihrer regulierungsrechtlich konstitu­ ierten Situation steuerpflichtige Universaldienste mit Vorsteuerabzug ausführen könnte. Dieser Fall tritt hypothetisch ein, sollte die DPAG ihre gegenüber dem BZSt abgegebene Selbstverpflichtung iSv § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG aufkündigen und die Bescheinigung anschließend ex nunc aufgehoben werden müssen. Ein solches Ergebnis stünde jedoch in ekla­ tantem Widerspruch zur Richtlinie, die in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSyst­ RL durch eine öffentliche Posteinrichtung erbrachte Umsätze unbedingt von der Steuerpflicht freistellt. Sollte eine Aufkündigung durch DPAG tatsächlich einmal virulent wer­ den2, bestünde der praktikabelste Lösungsansatz in einer richtlinien­ konformen Interpretation von § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG dahingehend, dass die bescheinigungsfähige Selbstverpflichtung ebenso einen originär ord­ nungsrechtlich verfassten Gemeinwohlstatus ohne freiwillige Bestä­ tigung umfasst. Lehnt man eine Auslegung wegen des klaren Wort­ lauts und der Gesetzgebungsmaterialien ab, sähe sich die subsidiär mögliche Direktwirkung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zwei alternativen Hindernissen ausgesetzt3. Fraglich ist nämlich erstens, ob die unmittelbare Wirkung eine – freilich seitens der DPAG dann nicht vorliegende – bewusste Berufung auf die Richtlinie voraussetzt4, zwei­ tens, ob in Anbetracht des Ausschlusses vom Vorsteuerabzug auch eine negative Folgewirkung im Rahmen dieses richterrechtlich entwickelten Instituts an sich zulässig wäre5. So reizvoll die dogmatische Untersu­ chung gerade mit Blick auf sekundärrechtlich fundierte Umsatzsteuerbe­ 1 Siehe hierzu vorstehend a). 2 Bedingt sein könnte dies allenfalls durch die Bestrebung zum Vorsteuerabzug, vgl. für die DBP Wohlfahrt, APF 1969, 31 (43); von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 1. 3 Vgl. zur Verdrängung entgegenstehenden nationalen Rechts Heidner, UR 2006, 74 (75). 4 Sehr str., dafür FG München EuZW 1990, 582 (583); Tehler, UVR 2009, 378; von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 712; Martin, UR 2008, 34 (40); a.A. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, 60. Lfg., Art. 288 AEUV, Rn 148; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., Rn 491; Fischer, EuZW 1991, 557 (560) unter Hinweis auf EuGH, Rs. C-87/90, Verholen u.a., Slg. 1991, I-3757 Rn 15. 5 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, 60. Lfg., Art. 288 AEUV Rn 160; spez. zur Bedeutung des Vorsteuerausschlusses für die Berufungsoption Klenk, in: Sölch/Ringleb, UStG, 77. Lfg., vor § 1 Rn 22; Martin, UR 2008, 34 (40). GA Tiz­ zano nahm etwa die Berufungsmöglichkeit auf vorsteuergünstiges nationales Recht trotz dessen möglicher Richtlinienwidrigkeit an, vgl. Rs. C‑172/03, Heiser, ECLI:EU:C:2004:678 Rn 33.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

freiungen auch sein mag, soll ihre Vertiefung an dieser Stelle wegen der allzu theoretischen Bedeutung für die postalische Grundversorgung un­ terbleiben. Hinzuweisen gilt es abschließend nur darauf, dass außerhalb von Auslegung und Direktwirkung der Gesetzgeber spätestens unter dem Druck eines Vertragsverletzungsverfahrens berufen wäre, der richt­ linienwidrigen Besteuerung einer öffentlichen Posteinrichtung im Wege der Gesetzesänderung Einhalt zu gebieten. bb) Konstitutive Wirkung der Selbstverpflichtung Im Hinblick auf die DPAG erfüllt die Selbstverpflichtung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG eine bloß deklaratorische Funktion. Konstitutiv wirkt der Selbstverpflichtungsmechanismus hingegen für alle übrigen Marktteilnehmer, deren befreiungsrelevanter Status nicht bereits ord­ nungsrechtlich verfasst ist und folglich einer gesonderten Grundlage be­ darf1. Die Regelung des § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG vermittelt insoweit als äquivalentes Substitut einer postordnungsrechtlich implementierten (Selbst-)Verpflichtung den besonderen Leistungskontext, auf den es für die Steuerfreiheit maßgeblich ankommt. Im Klartext kann also allein die gesetzestechnische Verortung der materiell wirksamen Anbieterver­ pflichtung im Postordnungs- oder Umsatzsteuerrecht keine maßgebliche Rolle für die steuerliche Belastungswirkung spielen. Zugleich ergibt sich hieraus aber auch ein relevanter Anwendungsbereich für die gesetzlich intendierte Optionsmöglichkeit. 1) Gegenkonzept: Zwingende Bescheinigungserteilung Die in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG angelegte Freiwilligkeit ist im Schrifttum nicht ohne Kritik geblieben. Unter Berufung auf Art. 137 MwStSystRL, der befreiungsspezifische Optionsrechte abschließend gestattet, wird ­bisweilen auf einen Richtlinienverstoß rekurriert2. Des Weiteren wird vorgebracht, ein unternehmerisches Wahlrecht rufe nicht hinnehm­ bare Wettbewerbsverzerrungen auf den Postmärkten hervor und gefährde somit das Harmonisierungsziel gemäß Art. 113 AEUV3. Zwecks Auflö­ sung der Option wird daür plädiert, die Befreiung gemäß § 4 Nr. 11b UStG müsse vom Antragserfordernis gelöst werden: Analog zu § 4 Nr. 20 und 21 UStG sei die Bescheinigung ebenfalls von Amts wegen zu ertei­ len, sobald ein Anbieter Universaldienste iSv Art. 3 PostRL ganz oder teilweise flächendeckend anbietet4. Demnach genügte die Bescheinigung 1 A.A. Günther, N&R 2016, 251 (253). 2 Siehe Jacobs, UR 2009, 825 (833); krit. auch Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010, S. 5. 3 So Koenig/Busch, EWS 2009, 510 (512). 4 Vgl. dazu Jacobs, UR 2009, 825 (833); abl. Birkenfeld, in: Birkenfeld/Wäger, USt‑HdB, 75. Lfg., § 95 Rn 552. Siehe auch Günther, N&R 2016, 251 (253 f), wonach wohl

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

isoliert für die Befreiung, sofern mit ihr lediglich die tatsächliche Erbrin­ gung von Universaldiensten gleichsam quittiert wird. Ein solches rein leistungsbezogenes Verfahren war noch im ersten Regie­ rungsentwurf vorgesehen, wurde jedoch im Anschluss an die Entschei­ dung „TNT Post UK“ ganz bewusst umgestellt, weil eine rein faktische Verrichtung gerade keine gesteigerte Gemeinwohlverantwortung bezeugt. Aus diesem Grunde fehlte denn auch ohne das subjektive Verpflichtungs­ merkmal der befreiungsrelevante Leistungskontext. Dessen ungeachtet, scheint das amtliche Bescheinigungskonzept in der Praxis kaum realisier­ bar. Erforderlich wäre eine ständige Beobachtung sämtlicher Postanbieter einschließlich flächendeckender Zusammenschlüsse im gesamten Bun­ desgebiet, damit bei Vorliegen befreiungsadäquater Dienste gemäß §§ 2 bis 4 PUDLV ein entsprechender Bescheid von Amts wegen unmittelbar ergehen könnte. Angesichts der durchaus komplexen Prüfmaterie dürfte die mangelnde Konzentration des behördlichen Kontrollmechanismus auf eine begrenzte Zahl von Antragstellern die Kapazitäten des BZSt schnell überstrapazieren. Insbesondere drohte erhebliche Rechtsunsicherheit hin­ sichtlich des Eintritts der unechten Befreiungswirkung sowie des hiermit einhergehenden Vorsteuerausschlusses, denn der exakte Zeitpunkt für die bundesweite Erfüllung der Universaldienststandards wird aufgrund flie­ ßender Veränderungen des Leistungsangebots bisweilen nicht oder jeden­ falls nur sehr schwer bestimmbar sein1. Derartige Unwägbarkeiten leisten einer verzerrten Steuerbelastung Vorschub. 2) Richtlinienkonforme Optionsmöglichkeit Von den spezifischen Einwänden gegen eine automatisierte Bescheini­ gung ist die prinzipielle Verwerfung eines umsatzsteuerlichen Wahl­ rechts gemäß § 4 Nr. 11b UStG keinesfalls zwingend2. Die Möglichkeit zur Option für nicht anderweitig verpflichtete Anbieter geht auf eine ­zulässige Umsetzung der Rechtsprechungsvorgaben zurück. In Fortset­ zung des postordnungsrechtlichen Organisationsermessens übersetzt der EuGH den befreiungsadäquaten Leistungskontext sowohl mit einer ho­ heitlich begründeten als auch einer durch den Unternehmer selbst er­ wählten Verpflichtung, sofern diese mit einer effektiven Absicherung einhergeht. Soweit indes eine konstitutive Selbstverpflichtung nicht ver­ bindlich übernommen werden muss, spiegelt der mögliche Verzicht eine durch die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL bedingte die Feststellung der zuständigen Steuerbehörde im Veranlagungsverfahren letztlich maßgeblich sein soll. 1 Von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 409. 2 Siehe auch Schmölz, in: Weymüller, UStG, 2015, § 4 Nr. 11b Rn 17.1; Birkenfeld, in: Birkenfeld/Wäger, USt-HdB, 75. Lfg., § 95 Rn 552; Klotz/Brandenburg, N&R 2010, 8 (17); König/Hanke, BB 2010, 1578 (1579 f).

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

Optionsmöglichkeit auf der tatbestandlichen Ebene wider1. In diesem Zusammenhang bezieht sich der abschließende Charakter von Art. 137 MwStSystRL nicht auf die konkrete Ausgestaltung der tatbestandlichen Vorgaben aus Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL, sondern untersagt den Mit­ gliedstaaten lediglich, ein eigenständiges Wahlrecht außerhalb der sonst variablen Normstruktur von Befreiungen einzuräumen. Nicht als unzu­ lässig eingestuft sind folglich befreiungsrelevante Optionsmöglich­keiten, die sich bereits aus dem inhaltlichen Kontext der zugrunde liegenden Umsetz­ ung in nationales Recht ergeben können. Eine entsprechende Ausrichtungsvariante erfährt Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL konkret infolge der postordnungsrechtlichen Akzessorietät mit Blick auf den ob­ jektiven wie subjektiven Befreiungsumfang, so dass die unternehmeri­ sche Wahlmöglichkeit auf einer gegenüber Art. 137 MwStSystRL vorge­ lagerten Ebene angesiedelt bleibt. Schließlich gilt es zu beachten, dass ein systematisch deduziertes Opti­ onsverbot praktisch betrachtet kaum zielführend wäre. Um nicht in den Genuss einer vorsteuerschädlichen Freistellung gelangen zu müssen, könnte der betreffende Anbieter sein Leistungsspektrum in sachlicher oder territorialer Hinsicht dergestalt reduzieren mit der Folge, dass keine gemeinwohlorientierte Grundversorgung iSv Art. 3 PostRL mehr vor­ liegt2. Vorteilhaft aus Sicht eines befreiungsunwilligen Unternehmers wirkt sich diesbezüglich der Umstand aus, dass die postalische Exemtion nicht anhand eines Einzelumsatzes bestimmbar ist, sondern der Gesamt­ kontext einer flächendeckenden Grundversorgung zu hohen Qualitäts­ merkmalen entscheidend ist, die sich wiederum aus einer Vielzahl in den Blick zu nehmender Einzelleistungen speist. Die Steuerfreiheit wäre so­ mit jedenfalls gestalterisch umgänglich, ohne dass ein etwaig einschlä­ giger Missbrauchsvorbehalt gemäß § 42 AO effektive Abhilfe schaffen könnte. d) Befreiungswirkung im Lichte unternehmerischer Organisations­ freiheit Das Gebot zur flächendeckenden Bedienung zumindest eines Univer­ saldienstsegments begründet eine veritable Hürde für den Eintritt der Umsatzsteuerfreiheit. Relevant ist daher, über welche organisatorischen ­Gestaltungsmöglichkeiten alternative Postanbieter verfügen, um die sach­ lichen Befreiungsvoraussetzungen im Rahmen einer Kooperation mit ge­ teilter Belastung erfüllen zu können.

1 Es besteht lediglich eine faktische Möglichkeit zur Umsatzsteueroption, vgl. Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 136. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 8. 2 So auch König/Hanke, BB 2010, 1578 (1580).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

aa) Befreiung des Organträgers Die Organschaft bezeichnet gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG einen Zusammenschluss von juristischen Personen, die finanziell, wirtschaft­ lich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers einge­ gliedert sind. Die wesentliche Konsequenz bildet aus umsatzsteuer­ rechtlicher Perspektive, dass die zivilrechtliche Eigenständigkeit der Organgesellschaften überwunden wird. Deren Tätigkeit wird nicht län­ ger als selbstständig iSv § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ausgeübt, sondern dem steuerpflichtigen Organträger zugerechnet. Ursprünglich entwickelt, um den nachteiligen Kaskadeneffekt unter Geltung der Bruttoallphasenbe­ steuerung zu vermeiden, gewinnt die Organschaft gerade auch im Hin­ blick auf die Postdienstexemtion einen zusätzlichen Telos. Der Zusam­ menschluss mehrerer Unternehmer ermöglicht eine effiziente Verteilung der flächen­deckend vorzuhaltenden Infrastrukturlasten und verbessert im Wege einer übergreifenden Kooperation die Möglichkeit, befreite Um­ sätze zu erbringen. Nach ihrer inner­en Logik vermittelt eine Organschaft eine Zurechnung der durch die Einzelgesellschaften ausgeführten Um­ sätze gegenüber ihrem Träger, welcher nach außen in der Eigenschaft des befreiten Unternehmers iSv § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG in Erscheinung tritt. Werden die einschlägigen Universaldienststandards auf Grundlage der in ihrer Gesamtheit zu betrachtenden Einzelleistungen der partizipieren­ den Gesellschaften eingehalten, kann folglich der Organträger selbst die notwendige Verpflichtung übernehmen und eine entsprechende Beschei­ nigung gegenüber dem BZSt verlangen1. Seiner besonderen Verantwortungsstellung gegenüber dem Gemeinwohl vermag der Organträger angesichts der konstituierenden Merkmale einer personellen und sachlichen Verflechtung nachzukommen. Es besteht in­ soweit eine gesicherte Einflussmöglichkeit auf die zugehörigen Gesell­ schaften, die hinreichender Kontrolle unterliegen und nötigenfalls intern zur Einhaltung der maßgeblichen Leistungsqualität angehalten werden können. Sofern ein Mitgliedstaat folglich das Institut der Organschaft gemäß Art. 11 MwStSystRL eingeführt hat, bedürfen dessen Wertungen im Geltungsbereich der Befreiungstatbestände gemäß Art. 132 MwStSyst­ RL einer folgerichtigen Anwendung2.

1 Siehe auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 421 ff. 2 Für die Befreiung organschaftlicher Universaldienste auch BReg, BT‑Drucks. 16/11340 v. 10.12.2008, S. 8; wohl auch Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 58; Schmölz, in: Weymüller, UStG, 2015, § 4 Nr. 11b Rn 2.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

bb) Befreiungskonforme Kooperationsverhältnisse Um die sachlichen Freistellungsanforderungen effizienter zu erfüllen, kann ein Unternehmer neben dem Anschluss an eine Organschaft auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich mit anderen Anbietern zu einer flächendeckenden Kooperative etwa in Form einer Arbeitsgemein­ schaft zusammenzuschließen1. Als gleichsam mit der Befreiung kompa­ tibel ist es anzusehen, wenn sich ein Anbieter des Einsatzes von Subun­ ternehmern für die flächendeckende Versorgung bedient und auf diese Weise ein eigenverantwortliches Zustellnetz errichtet2. Der Umsetzung in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG gemäß erfordert der persönli­ che Anwendungsbereich lediglich die Verpflichtung, Universaldienste im gesamten Bundesgebiet anzubieten. Ausreichend ist daher, dass Post­ kunden diejenigen Beförderungsleistungen, die sachlich dem zugesagten Universaldienstsegment unterfallen, beim verpflichteten Unternehmer flächendeckend in Auftrag geben können und dieser eine Zustellung zu hoher Qualität besorgt. Unerheblich ist für ein solches Angebot indes, auf welche Weise die konkrete Ausführung der übernommenen Beförde­ rungsschuld organisiert wird3. Entsprechend stellte auch die Bundesre­ gierung in ihrem ersten Reformentwurf klar, dass der Einsatz anderer Unternehmer für die Verrichtung befreiter Lei­stungen unschädlich ist4. Es bestehen keine Bedenken, weshalb diese Sichtweise nicht in gleicher Weise § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG zugrunde gelegt werden sollte. Eine solche Annahme wäre sogar fernliegend, weil die gegenwärtige Selbstverpflich­ tung ein weitergehendes Organisationsermessen vermittelt5. Eine zwi­ schenunternehmerische Kooperationsformen einschließende Umsetzung ist auch mit der höchstrichterlichen Diktion vereinbar6, nach der ein An­ bieter lediglich die Gewährleistung von Universaldiensten übernehmen muss. Diese Formulierung umschreibt eine abstrakte Einstandspflicht, welche – ebenso wie das Angebot iSv § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG – keine Berührungspunkte zu den weiteren Beförderungsmodalitäten aufweist. 1 Vgl. Abschnitt 4.11b.1 Abs. 4 UStAE. Siehe für die Zulässigkeit einer Kooperative auch GA Kokott, Rs. C‑357/07, Slg. 2009, I-3025 Rn 63 Fn 31. 2 Abw. BMK, Sondergutachten 2015, S. 75 f, wonach die DPAG selbst die Befreiungs­ auflagen nicht erfülle, soweit sie Filialen ebenso wie die Briefkastenleerung durch Subunternehmer betreibt. 3 So auch Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 58; wohl auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 261. Unpräzise ist Abschnitt 4.11b.1 Abs. 4 UStAE, wo von einem tatsächlichen Angebot und zugleich der Selbsterbringung durch den Unternehmer die Rede ist. 4 BReg, BT-Drucks. 16/11340 v. 10.12.2008, S. 8. 5 Vgl. Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 58, der gerade unter Hinweis auf das Merkmal der Selbstverpflichtung die Einschaltung von Subunternehmern als zulässig erachtet. 6 BMK, Sondergutachten 2009, S. 75 Rn 8.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Die Grenze des unternehmerischen Gestaltungspotenzials markiert un­ terdessen die befreiungsrechtliche Zielsetzung. Bezweckt ist eine Aus­ gleichsfunktion, um in erster Linie die Verbilligung einer gemeinwohlad­ äquaten Grundversorgung angesichts der hohen Kostenlast zu bewirken. Verdienen eigenständig unterhaltene Zustellnetze samt Subunternehmer­ einsatz den steuerlichen Anreiz ebenso wie ein reziprok kooperierendes System, lehnt die neueste finanzgerichtliche Rechtsprechung ein flä­ chendeckendes Angebot gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG hingegen ab, ­soweit ein Anbieter für die Zustellung in bestimmte Regionen einen Grundversorger wie die DPAG einseitig auf der Grundlage bloßer Teil­ leistungsverträge in Anspruch nimmt1. Der tragende Grund für die recht­ mäßige Ablehnung der beim BZSt beantragten Bescheinigung liegt darin, dass die Vergabe nachgelagerter Dienstleistungen unwirtschaftliche Kos­ tenstrukturen für entlegene Gebiete vermeidet, eine steuerliche Kom­ pensation also im Interesse der Allgemeinheit generell nicht geboten ist. Konkurrierende Anbieter können folglich nicht unter Zugriff auf ein be­ reits errichtetes Fremdnetz die Befreiung gleichsam „im Wind­schatten“ des verpflichteten Versorgers beanspruchen2, sondern müssen im All­ gemeininteresse eigene Aufwendungen zugunsten einer territorial um­ fassenden Infrastruktur tätigen. Die vor dem FG Köln unterlegene Gold­ mann Consulting e.K., welche die Klage mit Unterstützung durch BdKEP e.V. als Musterprozess angestrengt hatte, unterlag mit ihrem Be­ gehren auch im Rahmen der Revision3. 3. Subjektspezifische Gestaltungsspielräume auf nationaler Ebene Die subjektive Befreiungsreichweite bemisst der EuGH explizit aufgrund einer postordnungsrechtlich implementierten Inpflichtnahme für die territoriale Universalversorgung. Wie bereits ausführlich dargelegt, de­ terminiert diese Vorgabe unterdessen nicht die technische Begründungs­ weise einer entsprechenden Verbindlichkeit, überdies umfasst sie auch eine hypothetisch aktualisierbare Verpflichtungssituation bestimmter Anbieter4. Klärungsbedürftig verbleibt vor diesem Hintergrund, inwie­ fern die Mitgliedstaaten über das postordnungsrechtliche Regulativ be­ stimmenden Einfluss auf die Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL schöpfen können. Im Vordergrund steht zunächst, ob die subjektive Begrenzung der Freistellung auf einen Kreis abschließend fest­ 1 FG Köln N&R 2015, 254 (255); konkret reichte die Klägerin ca. 15 % ihrer Brief­ sendungen an die DPAG weiter; siehe auch Goebel, WirtschaftsWoche Nr. 40 v. 25.09.2015, S. 46. 2 Vgl. zur Bedeutung des Netzzugangs BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 96. 3 BFH BStBl. II 2016, 548 ff, allerdings mit der Begründung, dass eine Zustellung nicht an sechs Wektagen erfolge; siehe auch Lippross, USt, 24. Aufl., S. 657; krit. Günther, N&R 2016, 251 (254 f). 4 Siehe hierzu vorstehend 1.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

gelegter Anbieter mit der Rechtsprechung konform geht (a). Fraglich ist ferner, ob ein relevanter Anwendungsbereich der Befreiung durch eine geneigte Rahmengestaltung auf nationaler Ebene unterminiert werden könnte (b). a) Unternehmerische Ausrichtung der Postdienstbefreiung Gemäß der deutschen Umsetzung sichert das an die Unternehmerperson knüpfende Erfordernis einer Selbstverpflichtung, eingerahmt in ein be­ hördliches Kontrollverfahren, das in § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG objektiv markierte Leistungsniveau ab. Da die Selbstverpflichtungserklärung dis­ positiv ist, vermag in den Genuss der steuerlichen Begünstigung jeder Anbieter zu gelangen, sofern er Universaldienste ganz oder teilweise zu den einschlägigen Standards gemäß §§ 2 ff PUDLV im gesamten Bundes­ gebiet ausführt. Folglich ist die Steuerfreiheit subjektiv gesehen für jeden Marktteilnehmer frei zugänglich, primär einschränkend hängt ihre Ge­ währ hingegen davon ab, ob die ordnungsrechtlich verfasste Leistungs­ qualität durchgehend erfüllt wird1. aa) Selektiv wirksame Umsetzungen in rechtsvergleichender ­Betrachtung Die Öffnung eines subjektiv unbegrenzten Befreiungszugangs wertete der deutsche Gesetzgeber als fällige Anpassung an die veränderten Wett­ bewerbsverhältnisse seit der Entmonopolisierung2. Eine gleichsame Ab­ kehr von der ursprünglich auf einen individualisierten Unternehmer zu­ geschnittenen Konzeption, wie sie in § 4 Nr. 11b UStG a.F. angelegt war, wurde im Anschluss an die Entscheidung „TNT Post UK“ unterdessen durch die weit überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten nicht voll­ führt3. Einer durch die European Regulators Group for Postal Services (ERGP)4 unter den mitgliedstaatlichen Regulierungsbehörden durchge­ führten Umfrage zufolge vermag sich derzeit in 23 Mitgliedstaaten aus­ schließlich ein bestimmter Universaldienstleister für die Befreiung zu qualifizieren5. Dies betrifft beispielsweise Polen. Dort erbringt seit An­ passung des geltenden Mehrwertsteuergesetzes (Ustawa o zmianie ustawy o podaktu od tomarów i uslug) zum 01.01.2011 nach wie vor ausschließ­ 1 Vgl. zur untergeordneten Funktion des Verpflichtungsmerkmals Stadie, UStG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11b Rn 1. 2 BReg, BT-Drucks. 17/506 v. 25.01.2002, S. 30. 3 Einen Überblick über diesen bereits vor der TNT-Entscheidung geltenden Rechtszu­ stand bietet Postcomm, Review of Royal Mail’s Special Privileges, 2004, Appen­ dix C. 4 Siehe zu Aufgaben und Stellung der ERGP BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 110. 5 ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 11. Siehe zur allg. geübten Praxis einer hoheitlichen Designierung der Universaldienstanbieter auch WIK-Consult, Review of the postal market, 2015, S. 42.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

lich die Poczta Polska als exklusiv verpflichteter Anbieter befreite Umsätze, obwohl der Postmarkt seit 2013 vollständig geöffnet ist1. ­ ­Exemplarisch soll im Weiteren noch auf die Rechtslage im Vereinigten Königreich sowie in Österreich eingegangen werden. 1) Vereinigtes Königreich Eingehend dargelegt wurde bereits die Rechtslage im Vereinigten König­ reich2. Dort gilt auch im Anschluss an die rechtsprechungsbedingte ­Anpassung von Group 3 Items No. 1 und 2 VAT Act eine anbieterspezifi­ sche Umsatzsteuerbefreiung von Postdienstleis­tungen. Infolge der post­ ordnungsrechtlich deduzierten Einflussnahme unterliegt ausschließlich Royal Mail als designierter usp einer ausreichenden (hypothetischen) Grundversorgungsverpflichtung gemäß Art. 36 Abs. 1, Abs. 3 PSA. Aus dieser Situation leitet sich wiederum das exklusive Prädikat als öffentli­ che Posteinrichtung ab. 2) Österreich Eine entsprechende Wirkung entfaltet § 6 Abs. 1 Nr. 10 lit. b) des öster­ reichischen Umsatzsteuergesetzes (UStG‑Ö)3. In enger Anlehnung an den Wortlaut des Urteils „TNT Post UK“ sind Postdienstleistungen be­ freit, die ein Universaldienstbetreiber iSd § 12 Postmarktgesetz (PMG)4 als solcher erbringt5. Die unmittelbare Bezugnahme auf die ordnungs­ rechtlichen Rahmenbedingungen bedingt insofern eine subjektiv-exklu­ sive Befreiungswirkung, da gemäß § 12 Abs. 1 PMG ausschließlich ein durch die Regulierungsbehörde hoheitlich betrauter Anbieter als Univer­ saldienstbetreiber und damit öffentliche Posteinrichtung qualifiziert ist6. Mit Inkrafttreten des neu gefassten Postmarktgesetzes zum 01.01.2011 (§ 64 Abs. 1 PMG) wurde zunächst die Österreichische Post AG (ÖPAG) gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 PMG ex lege als Universaldienstbetreiber be­ nannt und bildet folglich in Analogie zu Royal Mail derzeit den einzigen mit einer umfassenden Grundversorgungspflicht belegten Anbieter in Österreich7.

1 Zielinska, YARS 2012, S. 255 f. 2 Siehe hierzu vorstehend D.III. 3 In der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes (AbgÄG) 2010, BGBl. I Nr. 34/2010. 4 BGBl. I Nr. 123/2009. 5 Vgl. Doralt/Ruppe/Ehrke-Rabel, Steuerrecht, Bd II, 7. Aufl., Rn 369. 6 Siehe zu dieser persönlichen Wirkung Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., § 6 Nr. 10 lit. b) Rn 299/4. 7 Ehemals wurde die ÖPAG – entspr. § 4 Nr. 11b UStG a.F. – exklusiv als befreiter Anbieter benannt, infolge der Postmarktliberalisierung und im Anschluss an die Entscheidung „TNT Post UK“ wurde indes eine neutrale Formulierung gewählt, vgl. Materialien 662 der Beilagen XXIV, S. 13.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

Verglichen mit der rechtlichen Situation im Vereinigten Königreich, zeichnet sich das österreichische Regulierungsrecht indes – zumindest theoretisch – durch eine stärker am Wettbewerb orientierte Gewichtung aus. Die zuständige Behörde muss nach Maßgabe von § 12 Abs. 1 Satz 2 ff PMG innerhalb eines 5-jährigen Turnus den bundesweiten Universal­ dienst ausschreiben, sofern als Ergebnis einer vorausgehenden Überprü­ fung auch andere Anbieter außer der ÖPAG zur flächendeckenden Ver­ sorgung imstande sind1. Im Rahmen eines transparenten Verfahrens ist unter mehreren Bewerbern der bestgeeignete auszuwählen und mittels Bescheid einer entsprechenden Verpflichtung zu unterwerfen, während parallel der bislang verpflichtete Anbieter zu entbinden ist. Aus diesem wechselseitigen Mechanismus wird deutlich, dass generell im gesamten österreichischen Bundesgebiet nur ein verpflichteter Universaldienstan­ bieter existieren darf. Auf diese Weise soll der Anfall unabhängiger Fix­ kosten und eine daraus resultierende Verteuerung der Grundversorgung verhindert werden2. Rechtlich zulässig ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 4 PMG die Verteilung der Universaldienstversorgung auf mehrere Anbieter nur in Ausnahmefällen. bb) Subjektive Selektion im Fokus der Rechtsprechung Eine auf Einzelanbieter begrenzte Befreiungswirkung nach britischem oder österreichischem Vorbild steht in augenscheinlichem Widerspruch zum deutschen Verständnis einer an die Marktöffnung adaptierten Um­ setzung. Diese Diskrepanz gibt Anlass zu der Überlegung, ob sich eine solche von der Grundausrichtung nach § 4 Nr. 11b UStG wesentlich ab­ weichende Konzeption ebenfalls mit der Richtlinie vereinbaren lässt. Verneinendenfalls wäre zu attestieren, dass wegen fehlender Anerken­ nung einer selbstinitiierten Verpflichtung im nationalen Recht der sonst befreiungswillige Dienstleister sich direkt auf Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL berufen könnte. Der Richtungsstreit um die nicht nur poli­ tisch, sondern vor allem juristisch vorzugswürdige Lösung führt vor dem Hintergrund der TNT-Rechtsprechung auf die abstrahierte Formel zu­ rück, ob das Modell der freiwilligen Gewährübernahme zu dem gleich­ falls gestatteten Mechanismus einer hoheitlichen Oktroyierung alter­ niert oder einseitig kumuliert. Rein praktisch spricht für die Richtlinienkonformität eines subjektiv-ex­ klusiven Zuschnitts bereits, dass diese ganz überwiegend in den Mit­ gliedstaaten praktizierte Rechtslage bislang keinerlei Beanstandung durch 1 Potenzielle Wettbewerber mit geringeren Gewinnmargen werden von einer Über­ nahme tendenziell abgehalten, da gemäß § 13 Abs. 1 PMG Nettomehrkosten nur ausgleichsfähig sind, falls sie 2 % der Gesamtkosten überschreiten, vgl. Barbist/Halder, in: Birnstiel/Bungen­berg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 1 Rn 2020. 2 Materialien 319 der Beilagen XXIV, S. 8.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

die Kommission erfahren hat. Darüber hinaus zeigen aber auch die Ur­ teilsgründe in Sachen „TNT Post UK“ und die einschlägigen Wertungen der Postrichtlinie gleich mehrere rechtliche Argumente auf, um diese Einschätzung auch normativ zu untermauern. Zunächst bleibt als Ausgangspunkt festzuhalten, dass der EuGH den ex­ klusiven Befreiungsstatus der ausschließlich verpflichteten Royal Mail als Ergebnis seiner Entscheidung ohne jedwede Einschränkung gebilligt hat1. Hätte er ausgerechnet in der begrenzten Zugangsmöglichkeit ein virulentes Problem erblickt, wären diesbezüglich klare Ausführungen zu erwarten gewesen in Anbetracht der Tatsache, dass TNT gerade auch die alleinige Freistellung der Postdienstleistungen von Royal Mail als unzu­ lässig kritisiert hatte. Eine Notwendigkeit zur anbieterneutralen Öff­ nung ergibt sich überdies nicht aus dem Aspekt der Postmarktliberalisie­ rung. Dieser Prozess wurde in der Urteilsbegründung ausschließlich unter dem Hinweis aufgegriffen, er zeitige keine Auswirkungen auf die Verbindlichkeit der seit 2007 in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL un­ verändert verstetigten Exemtion. Diese Sichtweise liegt zudem in den Ausführungen zum Neutralitäts­ prinzip verwurzelt, das als Gebot einer gleichheitskonformen Umsatzbe­ steuerung den rechtlichen Impuls für eine subjektiv frei zugängliche Be­ freiung stiften könnte2. Diesbezüglich verneint der Gerichtshof eine Gleichartigkeit zwischen verbindlichen zu sonstigen Postdiensten ex­ plizit. Soweit daher ein verpflichteter Anbieter von der neutralitäts­ spezifischen Warte aus betrachtet eine eigenständige und vom weiteren Marktumfeld losgelöste Umsatzkategorie bedient, beschwört nach der inneren Logik dieses An­satzes auch die an einen entsprechenden Status exklusiv geknüpfte Freistellung keinerlei Konflikt herauf. Die mit dieser Feststellung einhergehende Anerkennung eines befreiungsspezifischen Gestaltungsspielraums wird auch nicht dergestalt widerlegt, der öffentli­ che Posteinrichtungsbegriff sei wegen seiner gemeinschaftsautonomen Natur einer nationalrechtlich geprägten Verengung generell entzogen3. Diese Argumentation lässt außen vor, dass die unternehmerbezogene Einwirkung des regulierungsrecht­lichen Normkonvoluts auf einer ver­ bindlich vorgegebenen Interpretation des EuGH zu Art. 132 Abs. 1 lit. a)

1 Vgl. auch HM Revenue & Customs, VAT – Postal Services, Technical Note v. 24.03.2010 Rn 1.3; ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 8. 2 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-464/12, ATP PensionService, ECLI:EU:C:2014:139 Rn 42; Rs. C‑424/11, Wheels Common Investment Fund Trustees u.a., ECLI:EU:C:2013:144 Rn 18; Rs. C‑363/05, JP Morgan Flemming, Slg. 2007, I‑5517 Rn 22, 43. 3 So aber wohl Huschens, in: Schwarz/Wid­ mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 17.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

MwStSystRL beruht, mithin also einen festen Bestandteil der Richtlinie selbst bildet. Nicht zuletzt gebietet das weite Gestaltungsermessen, welches den Mit­ gliedstaaten nach Maßgabe der Postrichtlinie für die Wahrnehmung der ihnen aufgetragenen Gewährleistungsverantwortung zusteht, die umfassende Respektierung unterschiedlich implementierter Befreiungs­ konzepte. Das zwingende Gebot zur Einführung einer Selbstverpflich­ tungsmöglichkeit für sämtliche Marktteilnehmer wäre in diesem Zu­ sammenhang geeignet, eine doppelte Gefährdungslage zu erzeugen. Einerseits widerspräche eine zwingend vorgegebene Selbstverpflichtung den Bestimmungen in Art. 4 und 9 PostRL, wonach ausdrücklich ein oder mehrere Universaldienstleister auf nationaler Ebene designiert wer­ den dürfen1. Sowohl in sachlicher als auch territorialer Hinsicht kann die Grundversorgung auf einen Anbieter oder eine Kooperative übertragen werden, dessen unbeschadet bildete die bislang noch gültige Benennung und Verpflichtung eines Einzelanbieters auch nach der Marktöffnung den absoluten Regelfall im EU-Raum. Rein ordnungsrechtlich betrachtet darf somit die (vorbehaltene) Verpflichtung zur physischen Grundversor­ gung einem begrenzten Unternehmerkreis vorbehalten bleiben, der regu­ lative Verpflichtungsmechanismus muss aber gerade nicht auf eine belie­ bige Vielzahl selbst erkorener Versorger adaptiert sein. Die Einnahme umsatzsteuerspezifischer Wertungsmaßstäbe für eine möglichst befrei­ ungsneutrale Ausformung der postordnungsrechtlichen Rahmenbedin­ gungen kann dabei weder mit der gänzlich unterschiedlichen Zielset­ zung der zugrunde liegenden Richtlinienwerke in Einklang gebracht werden noch ließe sich diese Prämisse normhierachisch schlüssig be­ gründen. Dogmatisch zieht der EuGH die Wertungen der Postrichtlinie bewusst als bloße Auslegungshilfe heran. Der Tatbestand des Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL muss demnach in seiner subjektiven Wirkung einsei­ tig an den ordnungsrechtlich vorprogrammierten Verpflichtungsbedin­ gungen ausgerichtet sein, während sich eine reziproke Einflussnahme der Befreiungsvorgabe auf die Modellierung des gemeinwohlspezifischen Regulierungsansatzes verbietet. Dieser Wertungswiderspruch kann auch nicht im Wege eines an die Umsatzsteuerbefreiung genuin gekoppelten Mechanismus entsprechend dem Beispiel in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG auf­ gelöst werden. Hierbei bliebe außer Betracht, dass die notwendige Kon­ trolle zur effektiven Pflichterfüllung ungeachtet ihrer formalen Gestal­ tung materiell stets in den Aufgabenbereich der Regulierungsbehörden fällt, entsprechende Kompetenzen und Ressourcen auf nationaler Ebene 1 Vgl. Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/K/K/L, Postrecht, 2014, Kap. C Rn 22, 140.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

mithin für die fremde Zwecksetzung der Umsatzsteuer gebunden wer­ den1. Hierdurch wäre zumindest mittelbar ein befreiungsbedingter Über­ griff in die ordnungsrechtliche Gestaltungskompetenz begründet. Des Weiteren erlaubt Art. 4 PostRL eine begrenzte Anzahl von Pflichtadres­ saten gerade deshalb, um dem ineffizienten Ausbau einer doppelten Infra­struktur mit Überkapazitäten bei der Grundversorgung vorzubeu­ gen2. Diese legitime Grundentscheidung drohte konterkariert zu werden, wären die Mitgliedstaaten zur Einführung einer Selbstverpflichtung mit dem einhergehenden Anreiz gegenüber befreiungswilligen Anbietern ge­ zwungen, ihrerseits ein flächendeckendes Zustellnetz aufzubauen3. So gesehen reflektiert eine singuläre Befreiungsumsetzung lediglich das er­ laubterweise auf einen einzigen Versorger zugeschnittene Konzept der Daseinsfürsorge im Postsektor. In gleicher Weise scheint der EuGH im Übrigen bereit, dem mitglied­ staatlichen Ermessen bezüglich eines austarierten Versorgungsniveaus auch in anderen Sachbereichen Rechnung zu tragen. Dies belegte in jün­ gerer Zeit die Entscheidung „Pro Med Logistik“, indem der speziell für Taxiunternehmer geschaffene Rechtsrahmen nach Maßgabe des Perso­ nenbeförderungsgesetzes (PBefG)4 als Unterscheidungsmerkmal dieser öffent­lich­en Dienstleistungen im Verhältnis zu sonstigen Personenbeför­ derungen durch Mietwagenunternehmer dem Grunde nach akzeptiert wurde5. Als nicht weiter störend wurde offensichtlich der Umstand emp­ funden, dass der zugleich für die ermäßigte Besteuerung notwendige Sta­ tus eines konzessionierten Taxiunternehmers gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 PBefG unter dem Vorbehalt öffentlicher Verkehrsinteressen kontingen­ tiert ist. Allgemein bleibt anzumerken, dass die europäische Jurisdiktion bei Befürwortern einer streng neutralen Belastungswirkung indirekter Steuern ohnehin nicht selten für alsbaldige Ernüchterung sorgt. So hat das EuG am Beispiel der exklusiv für Fluggesellschaften vorbehaltenen Verbrauchsteuerbefreiung von Mineralöl eine wettbewerbsverzerrende Effektuierung bereits unter weit weniger schutzwürdigen Aspekten ak­ zeptiert. Die Mitgliedstaaten sind über den zwingenden Gehalt gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. c) RL 92/81/EWG hinaus nicht verpflichtet, die Be­ freiung auf konkurrierende Angebote wie Fernzüge oder -busse zu er­ strecken, wenngleich dies auch ohne den empfindlichen Eingriff in ein 1 Vgl. BMK, Sondergutachten 2009, S. 110; Haucap, Stellungnahme v. 08.02.2010, Tz 9. 2 Siehe zum österreichischen PMG Materialien 319 der Beilagen XXIV, § 12 Abs. 1; diese Wertung liegt ebenso Art. 35 Abs. 2 PSA zugrunde. 3 Vgl. zu den relativ strengen Auflagen eines Versorgungsnetzes zuletzt FG Köln N&R 2015, 254 (255). 4 BGBl. I 1990, S. 1690. 5 EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik u.a., ECLI:EU:C:2014:111 Rn 48 ff.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

national ausgeformtes Ordnungssystem wie dasjenige der Universal­ dienstgewährung möglich gewesen wäre1. cc) Fazit: Wettbewerbskonforme Befreiung als optionale ­Grundausrichtung Sofern den Mitgliedstaaten ein gegenüber umsatzsteuerlicher Infiltration geschützter Gestaltungsspielraum bezüglich der Gewährleistungserfül­ lung sowie der Auswahl potenzieller Verpflichtungsadressaten verbleibt, bedingt die richterrechtliche Verknüpfung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL mit den postordnungsrechtlich vordefinierten Bedin­gungen auf nationaler Ebene die Zulässigkeit einer subjektiv wirksamen Um­ satzsteuerbefreiung2. Die richtungweisende Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die selektive Konzeption gemäß § 4 Nr. 11b UStG a.F. durch eine anbieterneutral funktionierende Selbstverpflichtung zu erset­ zen, verfolgt im Lichte der Jurisdiktion betrachtet folglich einen zulässi­ gen und angesichts geöffneter Postmärkte politisch zugleich vorzugs­ würdigen Ansatz3. Zwingend vorgegeben ist diese Variante aber nicht4, überdies schneidet jede konforme Umsetzung eine unmittelbare Richtli­ nienwirkung ab. In Anbetracht des originär begründeten Einrichtungs­ status der DPAG iSd §§ 13, 56 PostG wäre es gleichsam erlaubt gewesen, die monopolisierte Befreiungskultur, wie sie nach altem Recht bereits textlich fixiert war, ihrem Kern nach beizubehalten5. b) Ordnungsrechtlich induzierte Ausschlusswirkung Die postordnungsrechtlich bedingte Möglichkeit zur Subjektivierung gibt zu der weitergehenden Fragestellung Anlass, ob die Mitgliedstaaten einen subjektiven Anwendungsbereich der Freistellung durch eine ge­ neigte Ausnutzung ihres regulativen Gestaltungsermessens auch voll­ ständig verdrängen können. Nicht zuletzt das klageweise beendete ­Vertragsverletzungsverfahren gegen Schweden offenbart das mög­ liche Interesse an einer effektiven Umgehung der postsektoralen Befreiung. 1 EuG Rs. T-351/02, Deutsche Bahn AG/Kommission, Slg. 2006, II‑1047 Rn 106. 2 Abw. FG Baden-Württemberg EFG 2011, 1368 (1370); krit. auch Hoffsümmer, Steu­ erbefreiungen, 2008, S. 116 f; Birkenfeld, in: Birkenfeld/Wäger, USt-HdB, 75. Lfg., § 95 Rn 501. 3 Positiv auch BMK, Sondergutachten 2013, S. 204. 4 Neben Deutschland befreien derzeit nur Bulgarien und die Slowakei sämtliche ver­ pflichtete Anbieter von Universaldiensten, vgl. ERGP (12) 29 Report on VAT exemp­ tion, S. 11. 5 Dies gilt auch unter völligem Verzicht auf eine förmliche Verpflichtung, sofern die DPAG bereits infolge ihrer marktbeherrschenden Stellung de facto als öffentliche Posteinrichtung angesehen werden muss, vgl. Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (258); Schaumburg, Protokoll Nr. 16/123 v. 18.03.2009, S. 15; a.A. Huschens, in: Schwarz/Wid­mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 17.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Die zur Erreichung dieses Ziels im Folgenden dargestellten Denkansätze beruhen durchgehend auf der Überlegung, ob sich durch eine zielgerich­ tete Ausformung der regulativen Verpflichtungsbedingungen ein anzuer­ kennender Posteinrichtungsstatus effektiv unterbinden ließe. aa) Territorial begrenzte Verpflichtung Denkbar wäre, dass ein befreiungsfeindlich gesinnter Mitgliedstaat keine territorial umfassende Verpflichtung zur Universaldienstverrichtung er­ teilt, sondern mehrere Anbieter jeweils regional mit grundversorgungsre­ levanten Leistungen betraut. Diese regulative Gestaltungsmöglichkeit gesteht Art. 4 Abs. 2 Satz 2 PostRL ausdrücklich zu, denn die mehrheit­ liche Verpflichtung darf eine Aufteilung des Universaldienstes sowohl in sachlicher als auch territorialer Hinsicht beinhalten. Gegenüber dem Ge­ bot der Verhältnismäßigkeit und Diskriminierungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 4 PostRL wäre ein solcher Ansatz dank der breiteren Lasten­ verteilung sogar leichter zu legitimieren. Um einen flächendeckenden Universaldienst gemäß Art. 3 Abs. 1 PostRL gleichwohl sicherstellen zu können, wäre im Falle einer versorgungsspe­ zifischen Einteilung des Staatsgebiets eine sachlich wie räumlich über­ greifende Kooperation zwischen den betrauten Anbietern verbindlich. Allein innerhalb eines solchen Rasters könnte die staatliche Gewährleis­ tungsverantwortung erfüllt werden, so dass die Endkunden auf ein terri­ torial umfassendes Zustellnetz zurückgreifen und Sendungen zuverlässig in Region­en beauftragen können, in denen der ausgewählte Anbieter we­ der zuständig ist noch eine freiwillige Präsenz übernimmt. Eine Ermäch­ tigungsgrundlage zu einer hoheitlich instruierten Zusammenarbeit sieht beispielsweise § 13 Abs. 5 Satz 1 PostG ausdrücklich vor. Soweit eine regionale Verpflichtung mehrerer Anbieter um das notwen­ dige Element einer zwischenunternehmerischen Kooperationspflicht er­ gänzt wird, besorgen diese im Rahmen eines zusammengefassten Ver­ bunds die Grundversorgung innerhalb des gesamten Staatsgebiets und qualifizieren sich folglich im Rahmen einer den Einzelanbieter überra­ genden Gesamtschau als öffentliche Posteinrichtungen1. Ausgeschlossen werden kann insoweit lediglich die Verpflichtung zur eigenhändigen Zu­ stellung im gesamten Territorialgebiet mit der Folge, dass der betreffende Unternehmer für nicht freiwillig bediente Regionen den dort zuständi­ gen Anbieter mit der anschließenden Beförderung beauftragen müsste. Im Ergebnis gleicht diese regulativ eingerahmte Situation derjenigen des Subunternehmereinsatzes; dieser wurde bereits ausführlich vor dem Hintergrund des Urteils „TNT Post UK“ als unschädlich für die Steuer­ 1 So auch Hüttemann, in: FS Meilicke, 2010, S. 251 (259), der von einem „integrierten flächendeckenden Postdienst“ spricht.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

freiheit analysiert1. Eine territoriale Eingrenzung der Universaldienstver­ pflichtung erweist sich im Ergebnis als ein probates Konzept, bleibt je­ doch ohne negativen Einfluss auf die Freistellung. bb) Marktbasierte Versorgung Einen zweiten Ansatz zum Zwecke einer neutralen Umsatzbesteuerung könnte der mitgliedstaatliche Verzicht auf eine postordnungsrechtlich verankerte Anbieterverpflichtung vermitteln, soweit die Grundversor­ gung durch den Markt auf freiwilliger Basis erfolgt. Diese Ausgangslage besteht formal in Deutschland, nachdem die in § 52 Satz 1 PostG fixierte Versorgungspflicht der DPAG zum 01.01.2008 ausgelaufen ist. Anknüp­ fend an diesen Rechtszustand wurde während des Reformverfahrens be­ züglich § 4 Nr. 11b UStG a.F. im direkten Anschluss an die veröffent­ lichten Anträge von Generalanwältin Kokott frühzeitig lanciert, der EuGH werde lediglich mit Blick auf die ordnungsrechtlichen Rahmen­ bedingungen eines ausdrücklich verpflichteten Anbieters wie Royal Mail dessen Eigenschaft als befreite öffentliche Posteinrichtung heraus­ stellen; noch nicht beantwortet sei damit aber die vorgelagerte Frage, ob ein Mitgliedstaat selbst anlässlich der postsektoralen Regulierung über­ haupt einrichtungsbegründende Rahmenbedingungen schaffen müsse2. Im Ergebnis liefe diese Sichtweise auf das gestalterische Potenzial hin­ aus, mittels einer marktbasierten Versorgungskonzeption die subjekti­ ven Anforderungen gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auszuhe­ beln. Zuzugeben ist dieser Ansicht zweierlei. Einerseits besteht die systemati­ sche Verschränkung der Befreiung mit den postordnungsrechtlich avi­ sierten Verpflichtungsbedingungen nur auf Ebene der Auslegung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Dessen Umsetzungspflicht kann richtigerweise nicht die Ausformung der Postregulierung determinieren, vielmehr kommt diese Aufgabe exklusiv der Postrichtlinie zu. Aus ­dieser Feststellung, welche insbesondere die prägende Linie für das erweiterte Posteinrichtungsverständnis seit dem Urteil „Kommission/Deutsch­ land“ bildet, resultiert ein methodisch zwingendes Rangverhältnis. Die ordnungsrechtlich inspirierte Befreiungsinterpretation muss folgerichtig die regulativen Divergenzen auf nationaler Ebene angemessen reflektie­ ren können. In diesem Zusammenhang bleibt als Zweites festzuhalten, dass die freistellungsspezifische Kompatibilität augenscheinlich in sol­ chen Mitgliedstaaten gewisse Schwierigkeiten aufwirft, deren Grundver­

1 Siehe hierzu vorstehend 2.d)bb). 2 Wojtek für BIEK e.V., Wortprotokoll 16/123 v. 18.03.2009, S. 13, wonach eine förm­ liche Verpflichtung per Gesetz für die Anwendbarkeit der Befreiung zwingend sei.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

sorgung nicht (mehr) auf einer expliziten Verbindlichkeit beruht1. Dies gilt umso mehr, als die ausdrücklich benannte (Selbst-)Verpflichtung eine gefestigte Befreiungsvorgabe markiert, die bei der Auslegung und Anwendung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL in ihrem wesent­ lichen Kerngehalt nicht derogiert werden darf2. 1) Uniforme Kernelemente staatlicher Gewährleistungsverantwortung Dessen unbeschadet muss die vonseiten BIEK e.V. suggerierte Einwir­ kungsmacht des Postordnungsrechts bis hin zum völligen Ausschluss eines durchsetzbaren Anwendungsbereichs für die Exemtion entschie­ den bezweifelt werden. Dass der EuGH eine derart weitreichende Dispo­ sitionsbefugnis begründen wollte, scheint fernliegend in Anbetracht der Tatsache, dass er Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL unmissverständlich als verbindliche Leitlinie bestätigt hat. Die integrative Flexibilität, um den zwischen nationaler Gestaltungsfrei­ heit und verbindlicher Richtlinientransformation bestehenden Zielkon­ flikt aufzulösen, bietet der interpretatorische Rechtsprechungsansatz aber ohnedies, da er den befreiungstaug­lichen Unternehmerstatus von einer rein formal gezeichneten Verpflichtungssituation entkoppelt3. Einbezo­ gen in den subjektiven Anwendungsbereich gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL sind auf diese Weise auch Anbieter, die nach einem primär marktbasierten Ansatz lediglich aufgrund einer rechtstatsäch­lichen Ver­ pflichtung operieren. Einen entsprechenden Mechanismus ­erhebt unter­ dessen Art. 3 Abs. 1 PostRL zu einer rechtsverbindlichen Konstante der Regulierung, weil sich eine zumindest jederzeit aktualisierbare Verbind­ lichkeit als für die effektive Erfüllung der staatlichen Gewährleistungs­ verantwortung unabdingbar darstellt. In Anbetracht dieser sekundär­ rechtsverbindlichen Absicherung markiert die Existenz einer öffentlichen Posteinrichtung je Mitgliedstaat einen gesicherten Bestand innerhalb richtlinienkonform implementierter Regulierungsmodelle4. Garantiert bleibt auf diese Weise eine unionsweit harmonisierte Befreiungslage. Hinsichtlich der Postdienstexemtion gilt somit rechtsfaktisch eine ähn­ liche Situation wie für andere Tatbestände aus Art. 132 Abs. 1 MwSt­ Syst­RL, deren Wirksamkeit von der ermessenabhängigen Anerkennung gleichartiger privater Einrichtungen gegenüber öffentlichen Leistungs­ trägern abhängig ist5. Auch in derartigen Fällen können sich die Mit­ 1 Dies beweist vor allem der Umstand, dass der deutsche Gesetzgeber selbst den ­originären Befreiungsstatus der DPAG verkannt hat, vgl. BReg, BT‑Drucks. 17/506 v. 25.01.2010, S. 30. 2 Im Erg. zutreffend Koenig/Hasenkamp/Kolbe, N&R 2011, 20 (24). 3 Siehe hierzu vorstehend IV.1.c). 4 Im Erg. auch Jacobs, UR 2009, 825 (829). 5 Vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. b), g), h) und i) MwStSystRL.

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E.  Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 11b UStG

gliedstaaten ihrer Umsetzungspflicht nicht treuwidrig durch den Ver­ zicht auf ein hierzu geeignetes Verfahren entziehen, da anderenfalls geeignete Kriterien aus den sonstigen nationalen Rechtsvorschriften ex­ trahiert werden müssen1. 2) Reflexartiger Schutz des Endverbraucherinteresses Ihre konzeptionelle Grenze findet eine marktbasierte Grundversorgung im Gebot der staatlichen Gewährleistungsverantwortung, das zugleich in Form eines wenigstens vorbehaltenen Verpflichtungseingriffs die re­ gulative Brücke hin zu einer dem Grunde nach uniformen Freistellungs­ inzidenz schlägt. Festzuhalten bleibt somit, dass aufgrund von Art. 3 Abs. 1 PostRL die korrespondierende Umsatzsteuerbefreiung zur beliebi­ gen Disposition weder des nationalen Gesetzgebers noch des regulativ eingefassten Unternehmerkreises mit einem originär veranlagten Post­ einrichtungsstatus steht. Die Verbilligung der Entgelte für grundlegende Postdienste, die aus Sicht der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Konsumenten deren wesentliches Interesse als Steuerträger vorgibt, er­ fährt auf diese Weise EU-weit eine objektiv-rechtlich dimensionierte Durchsetzung.

V. Ergebnis Aus der vorstehenden Untersuchung steht zu resümieren, dass sich die deutsche Umsetzung gemäß § 4 Nr. 11b UStG nicht in Gänze als richtli­ nienkonform erweist. In objektiver Hinsicht verstößt der abschließende Verweis auf die Mindestvorgaben in Art. 3 Abs. 4 PostRL gegen das Prin­ zip der ordnungsrechtlichen Akzessorietät, befreit sind insbesondere auch Paketsendungen bis zu 20 kg. Des Weiteren ist die in § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) UStG geregelte Ausnahme nicht mit der Richtlinie verein­ bar, soweit Universaldienste zu vergünstigten und allgemein zugängli­ chen Entgelten in AGB nicht befreit sind. In subjektiver Hinsicht bilden der neu konzipierte Selbstverpflichtungsmechanismus sowie die damit bezweckte Öffnung für sämtliche Marktteilnehmer eine zulässige Ge­ staltungsmöglichkeit. Entgegen der Bundesregierung kann die DPAG, da sie bereits über einen ordnungsrechtlich verfassten Status als öffentliche Posteinrichtung verfügt, nicht bezüglich der Steuerfreiheit ihrer Umsät­ ze disponieren.

1 EuGH, Rs. C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833 Rn 58; Martin, UR 2008, 34 (37).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

F. Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext Unter dem Einfluss einer global stetig zunehmenden Verflechtung natio­ naler Volkswirtschaften verbietet sich auch, Postdienstleistungen in ei­ nem rein innerstaatlichen Kontext zu betrachten. Obwohl das Aufkom­ men der physischen Briefpost infolge elek­tronischer Übertragungswege sukzessive zurückgedrängt wird, verzeichnet seit einigen Jahren der Pa­ ketdienst nicht zuletzt aufgrund des florierenden E-Commerce wachsen­ de Absatzzahlen und nimmt gerade auch im Rahmen internationaler Warenströme eine immer bedeutsamere Rolle ein1. Wechselseitig sind zugleich weiterführende Impulse für das Wachstum des Onlinehandels von einer transnational gleichsam effektiv wie preisgünstig vollzogenen Güterbeförderung abhängig2. Die technologische Entwicklung fördert in­ soweit die übergreifende Automatisierung der Postverarbeitung. Zu­ gleich begünstigt werden Produktinnovationen mit dem Ergebnis, dass eine fortschreitende Überschneidung der Post- und Logistikbranche das herkömmliche Leistungsangebot vor neue Herausforderungen stellt3. Lu­ krative Wachstumschancen erschließen sich außerhalb neuartig konzep­ tionierter Produktsparten vornehmlich durch die Güterbeförderung auf den internationalen Postmärkten4. In umsatzsteuer­licher Hinsicht gibt die Betrachtung des zwischenstaatlichen Postverkehrs Anlass, zwei zen­ trale Fragestellungen bezüglich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL einge­ hender zu beleuchten. Näherer Aufklärung bedarf zunächst, ob für aus­ ländische Postanbieter ein praktisches Bedürfnis wie auch die rechtliche Voraussetzung besteht, um bei der Beteiligung an grenzüberschreitenden Postzustellungen ebenfalls befreit zu leisten. Die Mehrwertsteuer er­ weist sich insoweit als ein nicht zu unterschätzender Preisfaktor im oh­ nehin hart umkämpften Gütertransport und vermag angesichts der di­ vergierenden Steuersätze die Warenströme innerhalb des europäischen Binnenmarktes nachhaltig zu beeinflussen5. Der zweite Problemkom­ plex betrifft das exakte Anwendungsverhältnis unterschiedlicher Befrei­ ungsregelungen, die für einen Beförderungsumsatz mit Auslandsbezug potenziell einschlägig sind. Insofern ist fraglich, ob und unter welchen Voraussetzungen neben der Postdienstexemtion auch anderweitige Tat­ bestände anlässlich einer Warenausfuhr einschlägig sein können.

1 Vgl. BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 97; dies., Tätigkeitsbericht Post 2008/2009, S. 29 ff; BMK, Sondergutachten 2015, S. 27. 2 Die Kommission fordert daher die Schaffung eines grenzüberschreitend integrierten Paketzustellungsmarktes, vgl. KOM (2012) 698 v. 29.11.2012. 3 Siehe auch Nussbaumer/Wittwer, Die Volkswirtschaft 9/2009, S. 54. 4 BNetzA, Tätigkeitsbericht Post 2012/2013, S. 21. 5 Vgl. KOM (2012) 698 v. 29.11.2012, S. 23 f.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

I. Grenzüberschreitende Exemtion Eine empirische Erfassung der Fallgestaltungen, in denen die grenzüber­ schreitende Wirksamkeit der nationalrechtlich umzusetzenden Post­ dienstbefreiung überhaupt von praktischer Relevanz sein kann, ist von der Beantwortung zweier Vorfragen abhängig. Maßgeblich ist zunächst, auf welche Weise grenzüberschreitende Postdienstleistungen durch die am Markt tätigen Anbieter praktisch bewerkstelligt werden (1). Sodann ist auf dieser Grundlage zu eruieren, wo sich der für die Steuerbarkeit in Betracht zu ziehender Umsätze maßgebliche Leistungsort befindet und nach welcher nationalen Umsetzung sich eine mögliche Befreiungswir­ kung folglich richtet (2). Sodann sollen die thematisch einschlägigen Fallgruppen differenziert (3) sowie anhand dieser abschließend die sekun­ därrechtliche Steuerverschonung zugunsten ausländischer Versorger be­ wertet werden (4). 1. Grenzüberschreitende Postzustellung im praktischen Vollzug Die operativen Gestaltungsmöglichkeiten zur zwischenstaatlichen Be­ förderung von Poststücken erweisen sich als äußerst vielfältig und kön­ nen an dieser Stelle keiner abschließenden Darstellung zugeführt wer­ den. Herausgestellt werden sollen aber zwei wesentliche Grundformen, deren Unterscheidung im befreiungsrechtlichen Kontext erforderlich ist. Gemeinhin bleibt die Tätigkeit von flächendeckend präsenten Versor­ gern nicht auf die Abholung und Zustellung innerhalb der nationalen Grenzen beschränkt, sondern erfasst darüber hinaus neben der inner­ staatlichen Zustellung von aus einem anderen Mitglied- oder Drittstaat eingehenden Sendungen ebenso die Zustellungsgewähr der ins Ausland abgehenden Sendungen1. Multilateral geregelt wird die Funktionsweise des grenzüberschreitenden Postverkehrs durch den Weltpostvertrag („Universal Postal Convention“)2. Dieses völkerrechtliche Abkommen bildet das wichtigste Regelwerk des 1874 gegründeten Weltpostvereins („Union Postale Universelle“, UPU) und ist für die derzeit 192 Mitglie­ der dieser UN-Sonderorganisation verbindlich3. U.a. für Briefe und Päck­ chen bis zu 2 kg sowie Pakete bis zu 20 kg (sog. Basisdienste)4 müssen die 1 Anschaulich z.B. für das Briefgeschäft der DPAG BNetzA, Tätigkeitsbericht Post 2012/2013, S. 32. 2 Abrufbar unter https://static.lettersblogatory.com/wp-content/uploads/2011/08/uni versal-postal-convention.pdf (zuletzt abgerufen am 23.07.2017); eine deutsche Über­ setzung ist abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage= Bundesnormen&Gesetzesnummer=20006773 (zuletzt abgerufen am 23.07.2019). Vgl. zum Weltpostvertrag v. 15.09.1999 BGBl. II 2002, 1470. 3 Gramlich, in: G/K/K/L, Postrecht, 2014, Kap. B Rn 15, 20; UPU, Constitution Gene­ ral Re­gulations, 2014, S. 7 ff. Siehe zu Stellung und Bedeutung des Welpostvereins auch BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 113. 4 Nach Art. 10 WPV 1999 „Grunddienste“.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

UPU-Mitgliedsländer nach Maßgabe von Art. 12 Weltpostvertrag (WPV) die Annahme, Bearbeitung, Beförderung und Zustellung absichern. Fer­ ner schreibt Art. 2 Abs. 1 WPV vor, dass der für die Vertragspflichterfül­ lung im Inland zuständige Dienstleister gegenüber dem Internationalen Büro bekannt zu geben ist1. Die Einspeisung grenzüberschreitender Sen­ dungen in das Zustellnetz des national designierten Anbieters erfolgt ­dabei durch gesondert vorgehaltene Austauschstationen (Offices of Ex­ change, OEs)2. Flankiert wird die grenzüberschreitende Zustellung zu­ dem noch auf unionsrechtlicher Ebene, indem Art. 3 Abs. 7 PostRL so­ wohl Dienste mit reinem Inlandsbezug als auch die grenzüberschreitende Beförderung zum Universaldienst deklariert. Aufgrund der gemäß Art. 3 Abs. 1 PostRL statuierten Gewährleistungsverantwortung haben die Mitgliedstaaten somit innerhalb der geltenden Gewichtsgrenzen auch die unionsweite Zustellung von Brief- und Paketsendungen regulativ zu garantieren3. Möglich ist vor diesem regulatorischen Hintergrund zunächst, dass ein im Inland aktiver Anbieter nicht zugleich über die nötige Präsenz im Ausland verfügt, um die postalische Zustellung an die dort befindliche Empfängeradresse mittels eigener Infrastruktur selbstständig bewirken zu können4. Üblicherweise wird dann ein ausländischer Post­anbieter mit der ergänzenden Zustellungsleistung innerhalb des Bestimmungsgebiets beauftragt und als Subunternehmer in die Beförderungskette eingeschal­ tet5. Die im Anschluss an die verrichtete Inlandszustellung fällige Zah­ lung wird in Art. 2 Nr. 15 PostRL als Endvergütung definiert6. Sie bildet folglich die Gegenleistung, welche der Abholer gegenüber einem auslän­ dischen Universaldienstleister für die Zustellung grenzüberschreitend eingehender Sendungen zu entrichten hat. Für zwischenstaatlich inner­ halb der EU verrichtete Zustelldienste (innergemeinschaftliche Beförde­ rung) schreibt Art. 13 Abs. 1 PostRL vor, dass die Endvergütungshöhe im

1 In Deutschland ist diese Aufgabe der DPAG überantwortet, vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zu den Verträgen vom 15. September 1999 des Weltpostvereins v. 18.06.2002, BGBl. II 2002, S. 1446. Im Vereinigten Königreich obliegt diese Aufga­ be Royal Mail, in Österreich der ÖPAG, in Frankreich La Poste. Abrufbar ist der je­ weilige Status nach nationalem Recht unter www.upu.int/en/the-upu/status-ofpostal-­entities/about-status-of-postal-entities.html (zu­letzt abgerufen am 28.07.2017). 2 KOM COMP/M.1915 v. 13.03.2003 – The Post Office/TPG/SSPL – Rz 25 ff. 3 Nach Erwägungsgrund Nr. 11 PostRL umfasst „grenzüberschreitende Post“ dabei Sen­dungen aus oder nach einem Mitglied- oder Drittstaat; vgl. auch die entspr. Um­ setzung in § 1 Abs. 4 PUDLV. 4 Vgl. insoweit zum Zustellwettbewerb BMK, Sondergutachten 2013, S. 165. 5 Siehe auch Sedemund, in: Beck’scher PostG-Komm, 2. Aufl., § 19 Rn 31. 6 KOM (2003) 234 v. 05.05.2003, S. 9; vgl. zu diesen „terminal dues“ entspr. Art. 28 Abs. 1 WPV.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

Interesse eines kohärenten Postnetzes an den tatsächlichen Zustellkos­ ten zu bemessen ist1. Für eine gesonderte Beauftragung eines ausländischen Postanbieters be­ steht indes keine Notwendigkeit, sollte der die Sendung im Inland abho­ lende Anbieter eigenes Personal einschließlich Verteilzentren und Fahr­ zeuge im Ausland unterhalten und somit die grenzüberschreitende Zustellung linear aus einer Hand erbringen können2. Dergestalt in­ tegrierte Zustellnetze sind verstärkt im Bereich der KEP‑Märkte für grenzüberschreitende Paketbeförderungen vorzufinden. Mit dem Ziel, ­ wirtschaftlich lukrative Geschäftsfelder im Rahmen des international wachsenden Warenverkehrs zu erschließen, erweitern zahlreiche EU-an­ sässige Postanbieter ihr Geschäftsmodell auf qualitativ hochwertige Transport- und Logistikdienstleistungen im Ausland und halten u.a. im europäischen Raum länderübergreifende Zustellstrukturen in unter­ schiedlicher Konzentration vor3. Begünstigt wird dieser staatenübergrei­ fende Netzausbau durch technologische Innovationen, so dass viele ehe­ mals rein national ausgerichtete Anbieter unmittelbar oder über die strategische Beteiligung an geeigneten Tochterunternehmen ausländi­ sche Märkte autark bedienen können4. Ausgehend von den vorstehend beschriebenen Grundvarianten kann eine gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL transnational induzierte Verschonung nur bedeutsam sein, falls ein inländischer Postdienstleister die Auslandszustellung gegen Entrichtung einer Endvergütung unterbe­ auftragt. Grundvoraussetzung ist für die Befreiungswirkung insoweit, dass der ausländische Anbieter als Postdienstleister im engeren Sinne agiert, mithin also die massenhafte Beförderung von Gütern zu standar­ disierten Bedingungen verrichtet5. Anderenfalls kann der subjektive Sta­ tus einer (öffentlichen) Posteinrichtung von vornherein nicht erfüllt sein. Als befreiungsrechtlich irrelevant einzuordnen sind daher Auftrags­ verhältnisse zu Logistikunternehmern, die in ört­licher, zeitlicher oder sachlicher Hinsicht individualisierte Transportlösungen außerhalb eines linearen Zustellnetzes anbieten. In diesem Zusammenhang gilt es zu be­ 1 Die Endvergütung wird innerhalb der EU durch das Abkommen „REIMS II“ geregelt, vgl. KOM COMP/C/38.170 v. 23.10.2003 – REIMS II erneute Anmeldung – Rz 21 ff. 2 Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 132. 3 BMK, Sondergutachten 2015, S. 31; BNetzA, Tätigkeitsbericht Post 2008/2009, S. 16 f. Demnach nehmen die großen Systemdienstleister DHL, TNT Express, UPS, FedEx, GLS (Royal Mail) und DPD (La Poste/GeoPost) die wichtigste Rolle im trans­ nationalen Paketgeschäft ein. 4 So operiert z.B. DHL als für die Paketsparte zuständiges Tochterunternehmen der DPAG weltweit in über 60 Ländern, vgl. dazu http://www.dhl.de/de/logistik/lager haltung-distribution/unsere-globale-praesenz.html (zuletzt abgerufen am 23.07.2017). 5 Vgl. zu diesen postdienstspezifischen Begriffsmerkmalen Gramlich, in: G/K/K/L, PostR, 2014, Kap. B Rn 2.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

rücksichtigen, dass insbesondere der europäische Paketmarkt durch ein komplexes Konglomerat speziell angepasster Unternehmerstrukturen geprägt wird. Von der Gesamtmenge der im EU-Paketmarkt anfallenden Sendungen decken die Postnetze nur einen Teil ab, während im Übrigen Kurierdienste und sonstige Logistiker wie beispielsweise Konsolidierer, Makler oder Erfüllungsdienstleister optimierte Leistungsangebote erstel­ len, die eine mangelnde Flexibilität in Bezug auf Lagerhaltung, Beförde­ rung und Rücksendung kompensieren können1. 2. Leistungsort grenzüberschreitend ausgeführter Postdienste Die Identifikation des Leistungsorts legt in rechtssystematischer Hin­ sicht fest, welchem Staat die Besteuerungshoheit hinsichtlich eines be­ stimmten Umsatzes zugewiesen ist; zugleich richtet sich danach, wel­ ches nationale Recht im Einzelfall zur Anwendung gelangt2. Da die Steuerpflichtentbindung erst anschließend an die vorrangig zu bestim­ mende Steuerbarkeit virulent werden kann, erweist sich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL nur dann als einschlägige Maßgabe, wenn der Leis­ tungsort für eine grenzüberschreitende Postbeförderung innerhalb eines EU-Mitgliedstaats belegen ist. Postalische Beförderungen qualifizieren sich als sonstige Leistungen in Bezug auf das aufgegebene Versandstück. Sie unterfallen dem Spezifikum einer Güterbeförderung iSv § 3 Abs. 6 Satz 2 UStG, da der selbstständige Inhalt dieser Hauptleistung auf die zielorientierte, räumliche Fortbewe­ gung eines körperlichen Gegenstandes in Gestalt von Briefen, Paketen sowie Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern als gemäß Art. 2 Nr. 6 PostRL definierte Postgüter gerichtet ist3. Die insoweit für die Leistungs­ verortung einschlägigen Vorschriften sind zum 01.01.2010 im Zuge des Mehrwertsteuerpakets umfassend reformiert worden4, so dass im Zen­ trum einer korrekten Zuweisung der Besteuerungshoheit nunmehr zwei Aspekte stehen. In erster Linie maßgebend ist die Eigenschaft des Leis­ tungsempfängers, in dessen Auftrag die Beförderung stattfindet. Als wei­ teres Kriterium tritt hinzu, ob der grenzüberschreitende Bezug gegenüber einem EU‑Mitglied- oder Drittstaat besteht. a) B2C-Leistungen Erfolgt die Beförderung im Auftrag eines Absenders, der weder Unterneh­ mer noch eine gleichgestellte juristische Person ist (B2C), so bestimmt sich der Leistungsort nach Maßgabe von § 3b UStG (Art. 48 bis 52 MwSt­ 1 2 3 4

Siehe KOM(2012), 698 v. 29.11.2012, S. 8. Bülow, in: Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 3b Rn 13. Zum Begriff der Güterbeförderung allg. Korn, in: Bunjes, 15. Aufl., § 3b Rn 5. Vgl. etwa die Umsetzung gemäß §§ 3a, 3b UStG.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

SystRL). Die Beförderungsleistung gilt gegenüber einem Verbraucher ge­ mäß § 3b Abs. 1 Satz 1 und 3 UStG grundsätzlich als dort ausgeführt, wo sie konkret bewirkt wird. Erstreckt sich die gegenständliche Beförderung nicht allein auf das Inland, ist die Bestimmung des Leistungsorts weiter­ hin davon abhängig, ob das Gebiet eines Dritt- oder EU-Mitgliedstaates berührt wird. Für Beförderungen in einen Drittstaat gilt gemäß § 3b Abs. 1 Satz 2 und 3 UStG (Art. 46 MwStSystRL) das Streckenprinzip. Die Leistung ist demnach dort steuerbar, wo sich der jeweils zurückgelegte Teil der Beförderungsstrecke befindet. Rechnung getragen wird auf diese Weise dem besonderen Umstand, dass die Erbringung von Güterbeförde­ rungen nicht auf einen festen Ort fixiert ist, sondern das Gebiet mehrerer Staaten betreffen kann. Handelt es sich dagegen um eine postalische Be­ förderung, die im Gebiet eines EU-Mitgliedstaates beginnt und in einem anderen Mitgliedstaat endet, liegt eine innergemeinschaftliche Güterbe­ förderung gemäß § 3b Abs. 3 UStG (Art. 47 UAbs. 1, Art. 48 MwStSyst­ RL) vor. Der Leistungsort wird in diesem Falle ausschließlich demjeni­ gen Mitgliedstaat zugeordnet, in dem die Beförderung ihren Ursprung nimmt1. Die Besteuerung findet folglich zu den im Herkunftsland des beförderten Gutes geltenden Rechtsbestimmungen statt. Die Festlegung eines einheitlichen Leistungsorts für innergemeinschaft­ liche Beför­derungen bewirkt eine partielle Durchbrechung des Bestim­ mungslandprinzips. Nach der Grundwertung des § 3b Abs. 1 Satz 1 UStG liegt der Ort einer streckenweise erbrachten Güter- oder Personenbeför­ derung und damit deren gesetzlich typisierter Verbrauch regelmäßig dort, wo die Leistung konkret bewirkt wird. Zur konsequenten Umsetzung des Bestimmungslandprinzips wäre daher im B2C-Bereich stets die umsatz­ steuerrechtliche Aufspaltung einer grenzüberschreitenden Güterbeförde­ rung nach dem jeweils territorial zurückgelegten Streckenabschnitt ange­ zeigt. Das Streckenprinzip ist jedoch durch den entscheidenden Nachteil gekennzeichnet, dass die korrekte Anwendung eine Rückverfolgung des gesamten Sendungsverlaufs erfordert und somit die Umsatzbesteuerung verkompliziert. Die einheitliche Ortsbestimmung für innergemein­ schaftliche Umsätze opfert somit das Bestimmungslandprinzip in Rein­ form zugunsten der Verfahrensökonomie2. Verwirklicht wird das Bestim­ mungslandprinzip folglich nur für einen Ausschnitt des einheitlich besteuerten Umsatzes insoweit, als die zurückgelegte Beförderungsstre­ cke sich tatsächlich mit dem Territorium des Abgangsstaates deckt.

1 Siehe auch Stadie, UStG, 3. Aufl., § 3b Rn 5. 2 Vgl. Korn, in: Bunjes, 15. Aufl., § 3b Rn 1. Siehe zur abw. Regel in § 3a Abs. 2 UStG nachfolgend b).

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

b) B2B-Leistungen Hinsichtlich der Güterbeförderungsleistungen für einen anderen Unter­ nehmer (B2B) ist die zum 01.01.2010 neu gefasste Regelung in § 3a UStG einschlägig. Da bezüglich einer zwischenunternehmerischen Beförde­ rung keine vorrangige Spezialregelung in §§ 3b, 3e und 3f sowie in § 3a Abs. 3 bis 7 UStG existiert, ist der Leistungsort entsprech­end der Grund­ regel gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 UStG (Art. 44 MwStSystRL) allgemein auf den Ort fixiert, von dem aus der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt1. Nach § 3a Abs. 2 Satz 2 UStG tritt bei einer an die Betriebsstät­ te verrichteten Güterbe­förderung deren Ort an die Stelle des Unterneh­ menssitzes, § 3a Abs. 2 Satz 3 UStG erstreckt die Regelung der Sätze 1 und 2 auf nicht unternehmerische juristische Personen mit USt-Identifi­ kationsnummer. Abweichend von der bis zum 31.12.2009 geltenden Rechtslage verlangt die Verortung von B2B-Güterbeförderungen somit nicht länger die Differenzierung zwischen drittstaatenspezifischem Stre­ ckenprinzip sowie innergemeinschaftlicher Beförderung, wie sie gemäß § 3b UStG im B2C-Bereich nach wie vor Geltung beansprucht2. Um eine effektive Steuererhebung innerhalb der EU zu gewährleisten, geht das einheitlich anzuwendende Empfängerortprinzip mit der verfahrenstech­ nischen Besonderheit einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfän­ gers (sog. „reverse charge“) einher3. Als wesentliche Zielsetzung der RL 2008/8/EG verwirklichen die neuen Orts­regelungen seit dem 01.01.2010 weitgehend das Bestimmungsland­ prinzip für zwischenunternehmerische Leistungen4, indem die Steuer­ barkeit an den Empfängersitz als typisiertem Ort des Verbrauchs ge­ knüpft wird. Abweichend zu B2C-Leistungen bedarf es insoweit keiner Aufteilung des grenzüberschreitenden Beförderungsverlaufs gemäß dem Streckenprinzip. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal besteht für B2B-Beförderungen darin, dass die empfangene Dienstleistung vom Sitz oder der Betriebsstätte aus regelmäßig für die Verrichtung weiterer Um­ sätze Verwendung findet oder aber die unternehmerische Tätigkeit zu­ mindest im weitesten Sinne unterstützt5. Infolge dieser funktionalen Verknüpfung scheint eine abweichende Typisierung des Verbrauchsorts durchaus angezeigt. Praktisch dürften sich bezüglich innergemeinschaft­ licher Postdienste im B2B- und B2C-Segment unterdessen kaum nen­ nenswerte Unterschiede einstellen, da der Sitz des unternehmerischen

1 Sog. „Empfängerortprinzip“, vgl. Huschens, NWB Fach 7 (2009), 7301 (7304 ff); Meurer, UStB 2011, 23 (24); Ruppe, in: FS Riedler, 2010, S. 801 (805). 2 Siehe zur früheren Rechtslage Strehle/Jahnke, BB-Special 2010 (Heft Nr. 5), 21. 3 Vgl. § 13b Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 HS 1 UStG, Art. 196 MwStSystRL. 4 Korn, in: Bunjes, 15. Aufl., § 3a Rn 18; Stadie, UStG, 3. Aufl., § 3a Rn 5. 5 Vgl. Monfort, UR 2012, 341 (348).

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

Empfängers, von dem aus die postalische Versendung beauftragt wird, regelmäßig dem Abgangsort der Sendung entsprechen wird. c) B2B-Leistungsort bei Drittstaatsbezug, § 3a Abs. 8 UStG Eine bedeutsame Ausnahme von der Grundregel des § 3a Abs. 2 UStG statuiert der mit Wirkung zum 01.01.2011 eingefügte § 3a Abs. 8 Satz 1 UStG (Art. 59a lit. a) MwStSystRL). Nach dieser Bestimmung, die Dop­ pelbesteuerungen vermeiden soll1, ist die B2B-Güterbeförderung in ei­ nem Drittstaat steuerbar, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird. Das Merkmal der Ausnutzung oder Auswertung einer Leistung setzt mit Blick auf die normative Zielsetzung sowie in Abgrenzung zu § 3a Abs. 8 Satz 3 UStG voraus, dass die Güterbeförderung im Territorium des Dritt­ staates tatsächlich verrichtet wird2. Dieses Verständnis entsprach bereits der Verwaltungspraxis vor Einführung von § 3a Abs. 8 UStG, die eine Nichtversteuerung von Beförderungsleistungen unbeanstandet ließ, so­ lange diese als ausschließlich im Drittlandsgebiet erbracht anzusehen waren3. Eine bezüglich Güterbeförderungen gesondert auftretende Problematik ergibt sich für die drittstaatlich versierte Steuerbarkeit aufgrund der Tat­ sache, dass derartige Dienstleistungen typischerweise nicht an einen ­fixen Ort gebunden sind, sondern sehr wohl mehrere Staatsgebiete tan­ gieren können. In der Literatur wird unterschiedlich bewertet, ob die grenzüberschreitende Beförderung zwingend als Einheit aufzufassen ist oder aber umsatzsteuerrechtlich einer geteilten Belastung durch mehrere Staaten zugeführt werden darf. Im Rahmen einer einheitlichen Betrach­ tungsweise wird vertreten, § 3a Abs. 8 Satz 1 UStG verlange einen exklu­ siven Bezug zum Drittstaatsgebiet4. Um nicht dem Empfängerortprinzip zu unterfallen, müsse die Leistung deshalb in Anlehnung an innerge­ meinschaftliche Vorgänge iSv § 3b Abs. 3 UStG im Drittstaat beginnen und zugleich dort enden. Die Gegenmeinung erblickt in § 3a Abs. 8 Satz 1 UStG ein Komplement zum Streckenprinzip (§ 3b Abs. 1 UStG), so dass auch eine auf Teilabschnitte der Gesamtbeförderung individuali­ sierbare Steuerzuweisung als möglich erachtet wird5. Demzufolge wäre bereits der auf das Drittlandsgebiet entfallende Anteil einer staatenüber­ 1 Eingeführt durch Art. 32 Abs. 5 JStG 2010, BGBl. I 2010, 1768. 2 So Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 3a n.F. Rn 688 f; Kemper, in: Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 3a Rn 537; Meurer, UStB 2011, 23 (26); ebenso TAXUD.d.1(2010)176579 – Arbeitsunterlage Nr. 645. 3 Vgl. zuletzt BMF v. 08.12.2009 – IV B 9 – S 7117/08/10001 – BStBl. I 2009, 1612. 4 So etwa Duyfjes/von Streit, UStB 2011, 318 (322); zust. Korn, in: Bunjes, 15. Aufl., § 3a Rn 18. 5 Stadie, UStG, 3. Aufl., § 3a Rn 145; Kemper, in: Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, 192. Lfg. § 3a Rn 537.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

greifenden Beförderungsstrecke von der Geltung des § 3a Abs. 2 UStG ausgenommen. Speziell für grenzüberschreitend verrichtete Postdienste besitzt die vor­ geschilderte Streitfrage jedoch aus praktischen Gründen keine Relevanz. Betraut der nationale Post­­anbieter einen ortsansässigen Anbieter mit der finalen Auslandszustellung, wird diese zwischenunternehmerische Leis­ tung ausschließlich im Zielstaatsgebiet verrichtet. Folglich fällt diese Kooperationsform als Güterbeförderung mit exklusivem Drittstaatsbe­ zug selbst nach der engeren Normauslegung unter § 3a Abs. 8 Satz 1 UStG. Den tieferen Begründungsansatz liefert für dieses Ergebnis die all­ gemeine Dogmatik zur Besteuerung von Subunternehmerleistungen. Die Betätigung eines in die Auftragserfüllung eingeschalteten Gehilfen reprä­ sentiert einen eigenständig steuerbaren B2B-Umsatz1. Unabhängig von der dem Hauptauftrag zugrunde liegenden Leistungsbeziehung zwischen Absender und primärem Postanbieter bleibt daher die endvergütungs­ pflichtige Subunternehmerleistung im Ausland als eigenständig steuer­ barer Umsatz zu verorten. Zugleich wird die Subunternehmerleistung dem Hauptunternehmer im Verhältnis zu dessen Kunden zugerechnet, woraus sich ein getrennt zu bestimmender Leistungsort auf Ebene des Hauptauftrags erschließt2. Sobald der Leistungsort einer grenzüberschrei­ tenden Postbeförderung in einen Drittstatt verlagert wird, stößt das Be­ stimmungslandprinzip entgegen der im B2B-Bereich sonst durchgehen­ den Besteuerung am Empfängerort (§ 3a Abs. 2 UStG) auf eine abermalige Durchbrechung3. 3. Fallinzidenz transnationaler Befreiungswirkung Aus der vorstehend unter 2. dargelegten Leistungsortidentifikation lassen sich die synergetischen Fallkonstellationen einer grenzüberschreitenden Wirksamkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL entwickeln. Die pra­ xisrelevante Differenzierung wird dabei durch zwei Kriterien angeleitet. Zum einen muss der Leistungsort innerhalb eines EU-Mitgliedstaates lie­ gen, denn nur unter dieser Voraussetzung findet die Befreiungsvorgabe in ihrer jeweils national geltenden Umsetzung überhaupt Anwendung. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass die wechselseitige Beauftragung durch Postanbieter im internationalen Zustellverkehr dem Bereich der B2B-Leistungen unterfällt4. Die jeweils im Ausland ergänzend bewirkte Leistung verkörpert dabei einen vom Hauptauftrag losgelöst zu würdi­

1 FG Hessen EFG 2011, 182 (183); Korn, in: Bunjes, 15. Aufl., § 3a Rn 1; Stadie, UStG, 3. Aufl., § 3a Rn 12. 2 Vgl. Bülow, in: Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, 192. Lfg. § 3b Rn 29. 3 Siehe hierzu vorstehend a) und b). 4 Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 118.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

genden Umsatz1, weshalb die Regeln zur Ortsbestimmung für zwischen­ unternehmerische Güterbeförderungen gemäß § 3a Abs. 2 und 8 UStG (Art. 44 und Art. 59 lit. a) MwStSystRL) maßgebend sind. a) Innergemeinschaftliche Postdienstleistungen Die Frage nach einer grenzüberschreitenden Wirkung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL wird primär aktuell, soweit Postdienste zwischen mehreren EU-Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Subunternehmer­ aufträgen erbracht werden. In diesem Falle ist die Auslandszustellung nach Maßgabe von Art. 44 MwStSystRL einheitlich an dem Ort steuer­ bar, von wo aus der als Hauptunternehmer und zugleich Auftraggeber tätige Postanbieter sein Unternehmen betreibt. Da sich der Leistungsort aufgrund des vollständig harmonisierten Empfängerortprinzips zwin­ gend in einem EU-Mitgliedstaat befindet, fällt die subunternehmerische Auslandszustellung in den Geltungsbereich der sekundärrechtlich vorge­ gebenen Freistellung. b) Postdienstleistungen mit Drittstaatsbezug Bei einem Auslandsbezug gegenüber Drittstaaten gilt es zwei grundle­ gende Varianten zu unterscheiden. Die subunternehmerische Auslands­ zustellung kann einerseits im Drittland erfolgen, wobei ein EU-ansässi­ ger Postanbieter den Auftrag an den ausländischen Dienstleister erteilt. Beispielhaft könnte es sich um die Zustellung einer Postsendung von München nach Zürich handeln, die durch die DPAG bis zur Grenze be­ fördert und von dort aus durch die SPAG übernommen wird2. Anderer­ seits ist in umgekehrter Richtung ebenso möglich, dass eine Sendung aus einem Drittstaat stammend innerhalb eines EU-Mitgliedstaats zugestellt wird. Der entsprechende Auftrag stammt dann von einem Postanbieter, der in dem betreffenden Abgangsstaat als Hauptunternehmer ansässig ist. Dies wäre etwa der Fall, sollte die Sendung aus Zürich nach Mün­ chen durch die DPAG ab der Grenze weiterbefördert werden. aa) Postsendungen aus Drittstaaten Aus Drittstaaten stammende Sendungen unterfallen von vornherein nicht dem Geltungsbereich gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL und erweisen sich für die weitere Untersuchung als irrelevant. Ausschlag­ gebend ist für diese Feststellung, dass der Leistungsort gemäß Art. 44 1 Siehe hierzu vorstehend 2.c). 2 Mittlerweile haben sich Gewerbetreibende indes darauf spezialisiert, als Lieferadres­ se nahe der schweizerischen Grenze zu agieren, wo Schweizer Bürger dann ihre bei deutschen Anbietern bestellte Ware abholen können, vgl. zu diesem neuen Ge­ schäftsmodell BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 99.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

MwStSystRL unionsweit am Sitz des Empfängers liegt. Folglich sind zwischenunternehmerisch erbrachte Beförderungsleistungen bezüglich solcher Poststücke, die aus einem Drittland eingehen, auch nicht in ei­ nem EU-Mitgliedstaat steuerbar. Für die territorial gebundene Anwend­ barkeit der Postdienstbefreiung ergibt sich somit kein Anknüpfungs­ punkt nach den Regeln über den Leistungsort. bb) Postsendungen aus EU-Mitgliedstaaten Sofern umgekehrt die Beförderung im Auftrag eines EU‑ansässigen An­ bieters tatsächlich innerhalb eines drittstaatlichen Territoriums bewirkt wird, eröffnet die grundsätzliche Ortsbestimmung gemäß Art. 44 MwSt­ SystRL zunächst den territorialen Geltungsbereich für Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Die Subunternehmerleistung ist in einem EU-Mit­ gliedstaat steuerbar, sofern der Hauptunternehmer von dort aus sein Un­ ternehmen betreibt. In Deutschland stünde diesem Ergebnis allerdings die Ausnahmevorschrift in § 3a Abs. 8 UStG entgegen1. Durch die mit der tatsächlichen Beförderungsverrichtung einhergehende Verlagerung des Leistungsorts in den Drittstaat wäre die Zustellung nicht mehr im EU-Raum steuerbar2. Erteilt somit z.B. die DPAG einen Auftrag zur Aus­ landszustellung gegenüber der SPAG, so wäre dieser Subunternehmer­ umsatz abweichend zu § 3a Abs. 2 Satz 1 UStG in der Schweiz, nicht aber in Deutschland steuerbar. Dennoch vermag die Drittlandszustellung von EU-Sendungen insoweit befreiungsrechtlich relevant zu werden, als die Mitgliedstaaten nicht durchweg von der gemäß Art. 59 lit. a) MwStSystRL bestellten Gestal­ tungsoption Gebrauch gemacht haben. Ein zersplitterter Rechtszustand hat sich hinsichtlich der Ortsverlagerung bereits manifestiert, indem etwa Österreich und die Niederlande eine dem § 3a Abs. 8 UStG ver­ gleichbare Regelung nicht verabschiedet haben3. Der österreichische Ge­ setzgeber favorisierte in § 3a Abs. 16 UStG-Ö eine flexible Ermächtigung des Bundesministers für Finanzen, so dass sonstige Leistungen abwei­ chend vom Empfängerortprinzip in Drittstaaten verlegbar sind. Die dazu ergangene Verordnung regelt bisher aber nur die Inlandszuordnung für Vermietungsumsätze sowie Sportwetten und Ausspielungen4. Insgesamt lässt sich daher keinesfalls zwingend ausschließen, dass Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auch für drittstaatlich weiterbearbeitete EU-Postsen­ 1 Siehe hierzu vorstehend 2.c). 2 So wohl auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 694. 3 Siehe auch Stöbener/Gach, DStR 2012, 11 (12); Kemper, in: Schwarz/Widmann/ Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 3a Rn 533. 4 Vgl. §§ 1, 2 der Verordnung des Bundesministers der Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei bestimmten Umsätzen v. 16.06.2010, BGBl. Nr. 173/2010.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

dungen territoriale Geltung erlangt. Als Anschauungsfall hierzu mag eine Postbeförderung von Wien nach Zürich dienen, bei der die im Auf­ trag der ÖPAG durch die SPAG bewirkte Auslandszustellung gemäß § 3a Abs. 6 UStG‑Ö (Art. 44 MwStSystRL) weiterhin in Österreich steuerbar wäre. 4. Grenzüberschreitende Befreiung für Auslandszustellungen Die unter 3. erfolgte Analyse praxisbezogener Fallgruppen führt zu dem Ergebnis, dass die grenzüberschreitende Wirksamkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL in zweifacher Hinsicht der näheren Betrachtung be­ darf. Neben innergemeinschaftlichen Postsendungen ist die Endzustel­ lung in Drittstaaten von Bedeutung, sollten entsprechende Sendungen aus einem EU-Mitgliedstaat ohne freiwillig angeordnete Leistungsort­ verschiebung iSv Art. 59 lit. a) MwStSystRL herrühren. Zusammenge­ fasst handelt es sich folglich um die diejenigen Fälle, in denen sich der Leistungsort nach dem Sitz des unternehmerischen Empfängers gemäß Art. 44 MwStSystRL richtet. Um die Reichweite der Postdienstbefreiung insoweit bestimmen zu können, müssen die kooperativ vollzogenen Auslandszustellungen differenziert danach in den Blick genommen wer­ den, ob die Postsendung durch einen mitglied- oder drittstaatlichen An­ bieter endbearbeitet wird. a) Ausgangsproblem: Divergenz zwischen Leistungsort und ­tatsächlicher Ausführung Wird die unterbeauftragte Auslandszustellung an einen EU-ansässigen Postunternehmer geleistet, greift nach der Grundregel des Art. 44 MwSt­ SystRL das Empfängerortprinzip, der zwischenunternehmerische Um­ satz ist also in dem betreffenden EU-Mitgliedstaat steuerbar. An die ­territoriale Zuordnung schließt sich die weitere Prüfung an, ob dieser Umsatz zugleich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL unterfällt. Nach dem Wortlaut gilt die Befreiung nur, wenn es sich bei dem ausländischen Anbieter um eine öffentliche Posteinrichtung handelt. Außerdem ist ob­ jektiv ein Gemeinwohlbezug durch die sachliche Zuordnung der Aus­ landsbeförderung zum Universaldienst iSv Art. 3 PostRL erforderlich. Aus der Gesamtschau dieser kumulativen Befreiungs­ vor­ aussetzungen tritt im Ausgangspunkt die besondere Problematik einer grenzüber­ schreitenden Wirkungsweise offen zutage. Der subjektive Befreiungsstatus knüpft dem EuGH zufolge an die Einbin­ dung des Anbieters in eine rechtliche Sondersituation, deren Grundlage in einem rein nationalen Kontext durch das Vorliegen einer Verpflich­ tung markiert wird. Aufgrund der gemäß Art. 44 MwStSystRL vorgegebe­ nen Leistungsortbestimmung wäre für die Postdienstexemtion daher zu­ 173

3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

nächst auf die rechtsverbindlichen Rahmenbedingungen am Ort der Steuerbarkeit abzustellen. Diese rein national ausgerichtete Perspektive wird durch den Umstand unterlegt, dass die Vorgaben der Postrichtlinie ausschließlich an die Mitgliedstaaten adressiert sind, ihre verbindliche Umsetzung einschließlich des postalischen Gewährleistungsauftrags so­ mit allein innerhalb dieser territorialen Grenzen Geltung beanspruchen. Unbeschadet des aus umsatzsteuerlicher Sicht verbindlich­en Leistungs­ orts wird die subunternehmerische Zustellung faktisch hingegen im Auslandsgebiet durch einen dort ansässigen Postanbieter verrichtet. Die­ ser vermag die subjektiv befreiungsrelevanten Kriterien regelmäßig nicht zu erfüllen, da er im Sitzstaat des Empfängers entweder bereits nicht über die notwendige Präsenz verfügt oder aber zumindest keine hinrei­ chende Universaldienstverpflichtung übernommen hat1. Als ebenfalls problematisch erweist sich die sachliche Universaldienst­ qualität einer Auslandszustellung. Die Vorgabe des Art. 3 PostRL statu­ iert lediglich Mindeststandards, die nach mitgliedstaatlichem Ermessen innerhalb der vorbestimmten Grenzen abweichend ausgestaltet sein können. Neben dem subjektiven Merkmal der öffentlichen Posteinrich­ tung wahrt somit auch das umzusetzende Universaldienstprogramm ei­ nen strikten Bezug zur nationalen Rechtssphäre auf. Im innergemeinschaft­ lichen Postverkehr kann deshalb die objektive Befreiungsreichweite am Ort der Steuerbarkeit gegenüber demjenigen der faktischen Leistungser­ bringung divergieren. Für die Zustellung in Drittländern erweist sich die einheitliche Anknüpfung an das sekundärrechtliche Universaldienst­ konzept sogar als undurchführbar, soweit dessen Rahmenvorgaben keine Verbindlichkeit genießen. Insgesamt führt das im Zuge des Mehrwertsteuerpakets 2010 etablierte Empfängerortprinzip dazu, dass für transnational bewirkte Postdienst­ leistungen der Ort der Steuerbarkeit von demjenigen abweicht, an dem die Leistung tatsächlich verrichtet wird. Diese Diskrepanz zeigt sich als befreiungsrechtlich erheblich, weil die Tatbestandsmerkmale gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die rechtliche Situation am Ausfüh­ rungsort avisieren2. Bislang hat sich der EuGH nicht explizit zu den mög­ lichen Vor­ aussetzungen an eine grenzüberschreitende Anwendbarkeit geäußert, vielmehr referieren die aktuellen Vorgaben in Sachen „TNT Post UK“ einen rein national vordefinierten Kontext. Spiegelbildlich sind die zur Richtlinienumsetzung erlassenen Vorschriften textlich und systematisch auf Inlandsfälle zugeschnitten, so dass eine wortlautge­ 1 Außer der DPAG hat bislang kein anderer Anbieter die Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG erlangt; vgl. etwa zuletzt BFH BStBl II 2016, 548 ff. In Öster­ reich und dem Vereinigten Königreich bleibt die Befreiung von vornherein auf desig­ nierte Anbieter wie die ÖPAG und Royal Mail begrenzt. 2 Vgl. dazu auch TAXUD.d.1(2010)137650 – Arbeitsunterlage Nr. 658.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

treue Anwendung die Steuerpflichtigkeit eines postsektoral bedeutenden Leistungssegments zur Konsequenz hätte. Fraglich ist, ob ein solches Er­ gebnis mit dem Sinn und Zweck von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL vereinbar wäre und nach welchen Maßstäben sich die Freistellung aus­ ländischer Postanbieter zu richten hat. b) Zwingende Befreiung innergemeinschaftlicher Postdienste Die Befreiungswirkung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL bezieht sich auf Postdienstleistungen, die eine dem Gemeinwohl dienende Zwecksetzung erfüllen. Seine konkrete Übersetzung findet dieser As­ pekt in der objektiven Zuordnung zum Universaldienst iSv Art. 3 PostRL. Hiervon erfasste Leistungen einer öffentlichen Posteinrichtung sind folg­ lich unionsrechtlich zwingend freizustellen. Für den Anwendungsbe­ reich der zwischen mehreren Mitgliedstaaten beförderten Post wird die objektive Einbindung in das Gemeinwohl normativ durch Art. 3 Abs. 7 PostRL fundiert, indem sowohl inländische als auch grenzüberschreiten­ de Leistungen dem Universaldienst unterstellt sind1. Zwecks Eingren­ zung des objektiven Befreiungsumfangs rekurriert der EuGH in Sachen „TNT Post UK“ zudem ausdrücklich auf den normativen Gesamtgehalt von Art. 3 PostRL. Hat sich der Gerichtshof auch nicht spezifisch zur grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbefreiung geäußert, wird beiläufig dennoch eine klare Positionierung zugunsten der Befreiungsadäquanz entsprechender Dienste erkennbar2. Unterlegt wird diese Wertung durch Art. 3 Abs. 5 UAbs. 2 PostRL. Nach dieser Vorgabe wird der gemeinver­ bindliche Universaldienststandard für Paketsendungen aus EU-Mitglied­ staaten durch eine verbindliche Gewichtsobergrenze von bis zu 20 kg egalisiert. Sichergestellt ist auf diese Weise, dass unter Überwindung umsetzungstechnisch bedingter Divergenzen eine reziprok verbindliche Zustellung im innergemeinschaft­lichen Postverkehr existiert. Die ko­ operative Ausführung transnationaler Postdienste dient dabei ausweis­ lich Erwägungsgrund Nr. 2 PostRL einem gemeinwohlspezifischen Inte­ resse, da ein kohärentes Postnetz für Kommunikation und Handel sowie den sozialen Zusammenhalt innerhalb der Union förderlich ist3. Grenz­ überschreitende Auslandszustellungen bilden folglich ein integratives Element des sekundärrechtlichen Universaldienstkonzepts und weisen einen gegenüber rein innerstaatlich verrichteten Postdienstleistungen gleichwertigen Bezug zum Allgemeininteresse auf. 1 Siehe auch Birkenfeld, in: Birkenfeld/Wäger, USt-HdB, 75. Lfg., § 95 Rn 562; von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 686; Basedow, EuZW 1996, 143 (144). 2 Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 30 f. 3 Vgl. KOM (2008) 884, S. 3, wonach Postdienste „eine Schlüsselbranche für die EU-Wirtschaft“ bilden und „der soziale Nutzen wirtschaftlich gar nicht messbar“ sei.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Über den rein objektiv-rechtlichen Leistungsbezug hinaus wird gleich­ falls die unternehmerspezifische Einbindung innergemeinschaftlicher Postdienste in einen be­ sonderen Rechtskontext durch Art. 3 Abs. 7 PostRL konstituiert. Da grenzüberschreitende Sendungen ebenfalls als Universaldienste deklariert sind, bilden sie einen unmittelbar verbind­ lichen Gegenstand der in Art. 3 Abs. 1 PostRL ausgelobten Gewähr­ leistungsverantwortung. Die mitgliedstaatlich implementierten Regu­ lierungsmechanismen, deren Ausgestaltung ausweislich Art. 4 PostRL ermessensabhängig und inhaltlich am Maßstab einer effektiven Absiche­ rung der Grundversorgung zu bewerten sind, müssen sich somit unions­ rechtlich zwingend auf das Segment der innergemeinschaftlichen Sen­ dungen beziehen1. So stellt auch Art. 13 Abs. 1 PostRL im Hinblick auf Endvergütungen klar, dass eine besondere Gewährleistungsverantwor­ tung für grenzüberschreitende Universaldienstleistungen gegeben ist2. Besorgt demnach ein mit der flächendeckenden Universaldienstverrich­ tung betrauter Versorger im Auftrag eines ausländischen Anbieters die endvergütungspflichtige Zustellung entsprechender Sen­dungen, erfüllt er eine originär bestehende Verbindlichkeit aus Anlass der gemeinwohl­ spezifischen Grundversorgung und operiert folglich im befreiungsrecht­ lich anzuerkennenden Status der öffentlichen Posteinrichtung. Die interdisziplinäre Verknüpfung zwischen der gemeinwohlspezifischen Umsatzsteuerbefreiung einerseits sowie dem postordnungsrechtlich har­ monisierten Universaldienstkonzept andererseits bedingt im ­Ergebnis, dass transnationale Postdienste im EU-Raum in die umsatzsteuerliche Begünstigungswirkung zu inkorporieren sind. Eine befreiungsrechtliche Sonderstellung innerstaatlicher Universaldienste wäre insofern willkür­ lich, als auch die grenzüberschreitende Post diese besondere Klassifizie­ rung teilt und aus dem Blickwinkel eines binnenmarktkompatiblen Postnetzes gleichermaßen Gemeinwohlinteressen befriedigt. Für die Er­ weiterung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL spricht schließlich dessen grundlegende Zwecksetzung, die vornehmlich eine Verbilli­ ­ gung grundversorgungsrelevanter Postdienste zum Gegenstand hat3. ­Diese Sinnstiftung ist im Rahmen der Grundversorgung leistungsspezi­ fisch unteilbar und beansprucht daher universale Geltung auch für grenz­ überschreitende Universaldienste, da diese nach den Wertungen der Postrichtlinie Grundbedürfnisse der Bevölkerung widerspiegeln. Aus pri­ märrechtlicher Sicht kollidierte die generelle Steuerpflicht von EU-Aus­ landszustellungen zudem mit der Dienstleistungsfreiheit, die gemäß Art. 56 AEUV einen diskriminierungsfreien Zugang zu Universaldiens­ 1 Entspr. zählen gemäß § 1 Abs. 4 PUDLV auch grenzüberschreitende Leistungen zum Universaldienst. 2 Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 13. 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 33.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

ten verbürgt. Die höhere Steuerbelastung einer im Inland zugestellten Auslandssendung begründete eine Schlechterstellung verglichen zur rein inländischen Beförderung, für die keine hinreichende Rechtfertigung er­ sichtlich wäre1. Sollten vor diesem Hintergrund die nationalen Befreiungsvorschriften subunternehmerische Beförderungsleistungen durch ausländische EU-­ Anbieter generell ausklammern, bedarf diese unzulängliche Umsetzung der richtlinienkonformen Auslegung. Ausweislich der Verwaltungsan­ weisung der HM Revenue & Customs wird ein richtli­nien­­kon­former Zu­ stand unterdessen praktisch realisiert, indem die Endvergütung für uni­ versaldienstspezifische Auslandszustellungen innerhalb der EU aufgrund informeller Absprachen seit jeher ohne Umsatzsteuer ausgewiesen wird2. Entsprechend haben anerkannte Universaldienstleister bislang auch kei­ ne Umsatzsteuer auf Endver­gü­tung­­­­­en gezahlt3. Schließlich hat im An­ schluss an das verabschiedete Mehrwertsteuerpaket auch die Kommissi­ on diese Einsicht im Ergebnis noch einmal ausdrücklich bekräftigt4. aa) Verrichtungsgebundene Befreiungsdogmatik Rechtstechnisch kann die Befreiung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL im grenzüberschreitenden Postverkehr nur Wirkung entfalten, wenn ihre objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen an den ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen gemessen werden, wie sie am Ort der tatsächlichen Verrichtung implementiert sind. Wäre hin­ gegen auf den Ort der Steuerbarkeit iSv Art. 44 MwStSystRL abzustellen, könnten Auslandsanbieter regelmäßig nicht mit ihren Umsätzen an der Freistellung partizipieren. Dieser Zustand widerspräche, wie schon oben unter b) dargelegt, der Gemeinwohlqualität von Auslandszustellungen als Element der Grundversorgung. Angesichts dieser Wertung darf der steuersystematischen Festlegung des Leistungsorts gemäß dem Bestim­ mungslandprinzip kein maßgeblicher Einfluss auf das befreiungsrechtli­ che Prüfprogramm zukommen. Allein diese Sichtweise korreliert mit der funktionalen Tatbestandslogik im Lichte der richterlichen Inter­ pretation. Indem sich der sachliche Umfang zu befreiender Postdienste samt Einrichtungsstatus nach dem Universaldienstkonzept richtet, kann nur die nationalstaatliche Umsetzung dieser Parameter maßgeblich sein. 1 Ähnlich von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 692, aller­ dings unter Hinweis auf einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV. 2 HM Revenue & Customs, VAT – Postal Services, Technical Note v. 24.03.2010, Rn 2.26. 3 Vgl. ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 9; Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 15, wonach diese Praxis sogar durch Schweden geübt wird. 4 TAXUD.d.1(2010)137650 – Arbeitsunterlage Nr. 658.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

Ohne Rücksicht auf den Sitz des Leistungsempfängers muss der Allge­ meinwohlbezug einer Auslandszustellung daher aus der Perspektive des Mitgliedstaates bewertet werden, in dessen regulativem Umfeld die Aus­ führung räumlich gesehen erfolgt. Zudem erschließt sich die fehlende Relevanz des steuerlichen Leistungs­ orts aus der gänzlich anderen Zwecksetzung, die Art. 44 MwStSystRL im Verhältnis zu Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL erfüllt. Die an den Emp­ fängerort anknüpfende Steuerbarkeit soll in der Dialektik des Bestim­ mungslandprinzips eine fiskalisch angemessene Aufkommensverteilung realisieren1. Es ist vor diesem Hintergrund nicht einsichtig, weshalb eine solche Zwecksetzung die Prüfrichtung für die einschlägigen Befreiungskri­ terien zwingend determinieren sollte. Nach der Verortung eines Umsat­ zes richten sich lediglich dessen Steuerbarkeit sowie das auf nationaler Ebene anzuwendende Recht. Keinen materiellen Aussagewert trifft die Leistungsverortung unterdessen darüber, wie eine übergeordnet festge­ legte Befreiungsvorgabe in nationales Recht umzusetzen sowie inhalt­ lich auszugestalten ist. Der dogmatische Zusammenhang zwischen der Steuerbarkeit eines Umsatzes und dessen möglicher Befreiung bleibt stattdessen auf ein rein systematisches Rangverhältnis begrenzt, wonach die Befreiung erst im Nachgang an die primär festzustellende Steuerbar­ keit Relevanz erlangt. Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass die Umsatzsteuerbefreiung für in­ nergemeinschaftliche Auslandszustellungen bereits dann eingreift, wenn die betreffende Leistung durch eine am Ort der tatsächlichen Ausfüh­ rung subjektiv anerkannte öffentliche Posteinrichtung bewirkt wird so­ wie nach den dort geltenden Standards als Universaldienst qualifiziert ist2. Allein diese Sichtweise trägt der gemäß Art. 3 Abs. 7 PostRL indu­ zierten Befreiungswirkung Rechnung. Auch lässt sich die notwendige Emanzipation der materiellen Befreiungskriterien zwanglos in die höchst­ richterlich vorgegebene Auslegung zum Merkmal der öffentlichen Post­ einrichtung integrieren, da der EuGH hierzu lediglich die Verpflichtung des Anbieters in einem EU-Mitgliedstaat verlangt3. Gleichzeitig fin­ det sich eine zielstaatliche Perspektive durch den umfassenden Rekurs auf Art. 3 PostRL in die objektive Befreiungssemantik eingebunden. Aus Art. 3 Abs. 5 UAbs. 2 PostRL ist folgerichtig abzuleiten, dass die jeweils mitgliedstaatlich erlassenen Rechtsbedingungen für das Vorliegen eines gemeinwohlspezifischen Universaldienstes verbindlich sein müssen, an­ derenfalls wäre nämlich eine übergreifende Gewichtsobergrenze obsolet. Diese Konzeption überträgt der Gerichtshof somit indirekt auch auf die 1 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 RL 2008/8/EG. 2 Im Erg. auch Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 17 f. 3 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 36.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

Postdienstexemtion im Lichte deren ordnungsrechtlicher Akzessorie­ tät. Sofern die nationalen Befreiungsvorschriften allein die innerstaat­ lich ­ bestehenden Ordnungsvorschriften zum Anknüpfungspunkt für eine Steuerfreiheit generieren, muss das Konzept einer ausführungsbe­ dingten Betrachtung im Wege richtlinienkonformer Auslegung durchge­ setzt ­werden. Aus Sicht des Leistungsempfängers besteht überdies im re­verse charge die Möglichkeit, sich unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zu berufen mit der Folge, selbst keine Umsatzsteuer auf die in Rechnung gestellte Endvergütung im Inland abführen zu müs­ sen. bb) Befreiungsrechtliches Streckenprinzip versus Gesamtbetrachtung Aus der Dogmatik zur Umsatzbesteuerung von Subunternehmerleistun­ gen folgt, dass die zwischenunternehmerische Zustellung im Ausland einen selbstständigen Umsatz verkörpert1. Das prinzipielle Gebot einer gegenüber dem Hauptauftrag isolierten Würdigung ist nicht nur für die Leistungsverortung maßgeblich, sondern gilt gleichsam für die Feststel­ lung einer möglichen Steuerfreiheit. Im Verbund mit einer an den fakti­ schen Verrichtungsort gebundenen Betrachtungsweise, wie sie für Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zu vollziehen ist, kann die Befreiungswirkung für verschiedene Abschnitte der grenzüberschreitend zurückgelegten Ge­ samtbeförderungsstrecke variieren. Ausschlaggebend hierfür ist, dass die Befreiungsvoraussetzungen autonom für jeden Streckenabschnitt inner­ halb des jeweils durchlaufenen Mitgliedstaates am Maßstab der dort gel­ tenden Rahmenbedingungen zu prüfen sind. Wird etwa ein Universal­ dienst im Inland beauftragt und diese Sendung an der Grenze durch einen nicht als öffentliche Posteinrichtung agierenden Anbieter übernommen, so wäre die im Ausland bewirkte Zustellung abweichend zur hauptun­ ternehmerischen Leistung im Inland steuerpflichtig. Dieser Zustand weist strukturell gewisse Ähnlichkeit mit dem für drittstaatliche Güter­ beförderungen geltenden Streckenprinzip iSv § 3b Abs. 1 UStG auf, so­ weit aus befreiungsrechtlicher Sicht ebenfalls eine Segmentierung der Gesamtbeför­derung in eigenständig zu würdigende Abschnitte erforder­ lich ist. 1) Gesamtbetrachtung nach Ansicht der Kommission Die einzig denkmögliche Alternative zu dieser selektierten Wertung be­ stünde darin, anknüpfend an die Perspektive des Endnutzers im Mit­ gliedstaat des Sendungsabgangs die Beförderungskette als Einheit zu ­begreifen. Hierfür mag sprechen, dass der ausländische Anbieter zivil­ 1 FG Hessen EFG 2011, 182 (183); Korn, in: Bunjes, 15. Aufl., § 3a Rn 1; Stadie, UStG, 3. Aufl., § 3a Rn 12.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

rechtlich wie auch wirtschaftlich betrachtet als Subunternehmer und damit gleichsam verlängerter Arm des Hauptunternehmers aktiviert wird. Dem Hauptunternehmer wird die Auslandszustellung äußerlich als Eigenleistung im Verhältnis zum Endverbraucher als dem final avisierten Nutzer der vergünstigten Grundversorgung zugerechnet. Für die Anwend­ barkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL präferiert die Kommission ein entsprechend geprägtes Verständnis. Nach ihrer in der Arbeitsunterla­ ge Nr. 658 geäußerten Stellungnahme ist die Befreiungswirkung für inner­ gemeinschaftliche Endvergütungen von drei kumulativen Voraussetzun­ gen ab­häng­ig. Subjektiv müssen sämtliche an der grenzüberschreitenden Beförderung beteiligte Anbieter als öffentliche Posteinrichtung anerkannt sein (lit. a und c). Die sachliche Universaldienstqualität soll sich unter­ dessen ausschließlich nach den postordnungsrechtlichen Regularien des Abgangsstaates der Sendung richten (lit. b), in dem sich gemäß Art. 44 MwStSystRL auch der steuerbarkeitsauslösende Leistungsort befindet1. Die erforderliche Gemeinwohlspezifizität der Beförderung muss dem­ nach nur einmal am Ort des Sendungsabgangs einer Prüfung unterzogen werden, deren Ergebnis die Befreiungswirkung für die nachfolgenden Ab­ schnitte in der Gesamtbeförderungskette determiniert. Bleibt hingegen eines der vorgenannten Kriterien unerfüllt, ist folglich im Abgangsstaat die umsatzsteuerliche Befreiungswirkung zulasten der nachfolgenden Weiterbeförderung zu versagen. 2) Universaldienstspezifische Parzellierung von Streckenabschnitten Angesichts der grundlegenden Wertung aus Art. 3 Abs. 7 PostRL begeg­ net der Gesamtbetrachtungsansatz durchgreifenden Bedenken. Über­ nimmt die öffentliche Posteinrichtung im Zielstaat zu den dort gelten­ den Universaldienstkonditionen eine grenzüberschreitende Sendung, bedient die Weiterbeförderung eine auferlegte Verbindlichkeit zur effek­ tiven Grundversorgung2. Die Qualität eines im Gemeinwohlinteresse liegenden Umsatzes genießt die reziprok verpflichtende Auslandszustel­ lung autark und damit ohne Rücksicht auf die regulativen Verhältnisse im Herkunftsstaat der Sendung, da sie einen eigenständigen Beitrag zur Verwirklichung des Postbinnenmarktes leistet. In Anbetracht dieser ori­ ginär in das faktische Leistungsumfeld eingerahmten Gemeinwohlquali­ tät wird systematisch zwingend eine befreiungsrechtlich isolierte Würdi­ gung des Subunternehmerumsatzes vorgegeben, deren Ergebnis nicht durch das Universaldienstprogramm des Abgangsstaates vorweggenom­ men sein darf.

1 TAXUD.d.1(2010)137650 – Arbeitsunterlage Nr. 658. 2 So wohl auch Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 30.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

Das favorisierte Befreiungskonzept der Kommission leidet somit an ei­ nem unauflösbaren inneren Widerspruch. Abweichend zu der durch eine Gesamtbetrachtung geprägten Festlegung der objektiven Universal­ dienstqualität soll der subjektive Anbieterstatus mit Blick auf den ­Ansässigkeitsstaat und damit den Ort der tatsächlichen Leistungserbrin­ gung zu verifizieren sein. Objektive und subjektive Befreiungs­voraus­ setzungen erleiden so hinsichtlich ihres Prüfungsmaßstabs eine künstli­ che Aufspaltung, obwohl sie im tatbestandlichen Aufbau des Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL gleichwertig nebeneinandergestellt sind und dasselbe logische Gewicht besitzen. Ebenso ist die normative Grundlage für die Ausgestaltung des befreiungsrelevanten Ordnungsregimes jeweils identisch im Universaldienstkonzept gemäß Art. 3 PostRL veranlagt. Ein einseitiger Ausschlag des herkunftsbezogenen Umsetzungsregimes har­ moniert insofern nicht mit der tatbestandlichen Funktionsweise, wie sie der EuGH in Sachen „TNT Post UK“ erkannt hat. Überdies sieht sich ein uniformes Leistungsverständnis dem Einwand ausgesetzt, aus welchem Grunde die als gegenständliche Einheit gesehene Beförderungskette nicht auch in umgekehrter Weise durch den Ausschluss der Auslandszu­ stellung vom nationalen Universaldienstumfang des Verrichtungsorts beeinflusst werden sollte. Eine besondere Hierarchie unter den mitglied­ staatlichen Umsetzungen kann Art. 3 PostRL gerade mit Blick auf Abs. 5 UAbs. 2 nicht entnommen werden, so dass die suggerierte Vorrangwir­ kung der herkunftsstaatlichen Bedingungen einer belastbaren Grundlage entbehrt. Entfiele die Befreiung im EU-Ausland, so müsste dieser Um­ stand infolge der Gleichrangigkeit unter den mitgliedstaat­lichen Umset­ zungsvorschriften zu Art. 3 PostRL vielmehr analog die Steuerfreiheit im Abgangsstaat durchbrechen können. Hierfür bietet Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL keine Anhaltspunkte, zumal dieses Ergebnis im eklatanten Widerstreit zu der nach Art. 3 Abs. 7 PostRL begründeten Gemeinwohl­ qualität von universalen Auslandszustel­lungen stünde. Eine notwendige Abstimmung zur Systematik des Vorsteuerabzugs lässt der Kommissionsvorschlag des Weiteren vermissen. Wenn auch ganz überwiegend kritisiert, zählt der verwehrte Vorsteuerabzug bei gemein­ wohlbezogenen Befreiungen gemäß Art. 169 lit. b) MwStSystRL rechts­ faktisch zu den fest etablierten Mechanismen im gemeinsamen Mehr­ wertsteueraufbau. Dieser gesetzgeberisch ersichtlich gewollte Konnex droht bisweilen aufgelöst zu werden, sobald der Ort der Steuerbarkeit von dem befreiungsrechtlich maßgeblichen Verrichtungsort abweicht. Aus Art. 169 lit. a) MwStSystRL folgt diesbezüglich, dass im Inland ent­ richtete Steuer nach den dort geltenden Bedingungen zum Abzug zuge­ lassen wird, sollte der Ausgangsumsatz in einem anderen Mitgliedstaat steuerbar sein. Speziell mit Blick auf Befreiungen enthält § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG die negativ formulierte Umsetzung, wonach der Vor­ 181

3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

steuerabzug für im Ausland steuerbare Umsätze entfällt, falls diese im Inland unecht befreit wären. Findet nunmehr die herkunftsstaatliche Universaldienstqualität nicht gleichermaßen am Verrichtungsort ihre Bestätigung, darf der ausländische Grundversorger den Vorsteuerabzug zusätzlich zur Steuerfreiheit seiner Endvergütung ausüben, da dort die subunternehmerische Beförderung hypothetisch steuerpflichtig wäre. Die Einheit zwischen Befreiung und Vorsteuerausschluss kann folglich nur gewahrt sein, wenn durchgehend auf die Rahmenbedingungen am faktischen Verrichtungsort der jeweiligen Postdienstleistung abgestellt wird. Schließlich besteht in praktischer Umsetzung der Einheitsthese aber vor allem die Gefahr einer zielwidrigen Verteuerung zulasten des transna­ tionalen Postverkehrs1. Der gesamte Beförderungsvorgang kann im Ab­ gangsstaat nur freigestellt sein, wenn durchgehend Universaldienstleis­ ter betraut und die Universaldienstmerkmale am Abgangsort erfüllt sind. Verteuerungen drohen, sollte die Postdienstleistung im Mitglied­ staat des Sendungsursprungs keinen Universaldienst darstellen oder der im Ausland beauftragte Anbieter nicht als öffentliche Posteinrichtung anerkannt sein. Mögliche Divergenzen im objektiven Befreiungsumfang werden insbesondere auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 5 UAbs. 2 PostRL nicht hinreichend egalisiert, da sich die Anhebung der Gewichtsober­ grenze allein auf eingehende Pakete am Verrichtungsort bezieht. Eine parzellierte Befreiungswirkung vermag in derartigen Konstellationen den steuerlichen Entlastungseffekt immerhin noch für den betreffenden Streckenabschnitt aufrechtzuerhalten. Die intendierte Verbilligung der postalischen Grundversorgung wird dabei ungeachtet der Tatsache er­ reicht, dass die zwischenunternehmerische Auslandsbeförderung (B2B) nicht unmittelbar an den Endverbraucher erbracht wird. Auszugehen ist innerhalb der Vorgaben zu strikt kostenorientierten Endvergütungen nämlich davon, dass die für den Auslandsumsatz anfallende Entlastung auf den Nutzer des unionsweit kohärenten Postnetzes preislich umge­ legt wird. c) Befreiung drittstaatlicher Postanbieter Im Einklang mit der Diktion des EuGH bietet das Universaldienstkon­ zept gemäß Art. 3 PostRL den verbindlichen Anknüpfungspunkt für die inhaltliche Konkretisierung der Befreiungsvoraussetzungen. Da der nor­ mative Geltungsbereich der Postrichtlinie auf die EU-Mitgliedstaaten begrenzt ist, muss hinsichtlich einer möglichen Exemtion von Post­ diensten in Drittstaaten ein alternativer Bewertungsmaßstab herange­ zogen werden. Eine dem Universaldienstregime analoge Funktion kön­ 1 Vgl. Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 26 f.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

nen dabei ausschließlich die Bestimmungen des Weltpostvertrags über die reziproke Zustellverpflichtung ausländischer Sendungen iSv Art. 12 übernehmen. aa) Strukturverwandte Anknüpfung an die bilaterale ­Zustellverpflichtung In objektiver Hinsicht erstreckt sich die wechselseitige Gewährleistung der staatenübergreifenden Zustellung allgemein auf Briefsendungen bis zu 2 kg sowie Paketsendungen bis zu 20 kg. Weitere Ergänzungen sind zudem in den Ausführungsbestim­mungen Briefpost („Letter Post Regu­ lations“) und Postpakete („Parcel Post Regulations“) enthalten1. Das transnationale Postnetz konstituiert sich aus Basisdiensten, bei denen es sich ausweislich der Begriffsbestimmung in Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1.1 WPV um einen integrativen Bestandteil des Universaldienstes als hochwertige Leistungen zu erschwinglichen Preisen für die Nutzer handelt. Ferner sind die Mitgliedsländer gemäß Art. 2 WPV verpflichtet, gegenüber dem Internationalen Büro den mit der Zustellung eingehender Sendungen be­ trauten Anbieter mitzuteilen. Um eine effektive Erfüllung ihrer völker­ vertraglich übernommenen Gewährleistung abzusichern, müssen die Mitgliedsländer den betrauten Anbieter effektiv kontrollieren und nöti­ genfalls im Wege einer unmittelbar durchsetzbaren Verpflichtung zur Leistungserbringung anhalten. Eine entsprechende Vereinbarung der ­Signarstaaten ergibt sich seit 2008 aus dem Achten Zusatzprotokoll zur Satzung der UPU2. Zusätzlich schreibt Art. 3 Abs. 3 WPV verbindlich vor, dass die Mitgliedsländer die Einhaltung der universaldiensttypi­ schen Qualitätsmerkmale sicherstellen. Die rechtliche Situation eines „designated operator“ entspricht somit derjenigen einer öffentlichen ­Posteinrichtung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL, weil der be­ treffende Anbieter auf der Grundlage einer zumindest hypothetischen Verpflichtung in die Erfüllung einer staatlichen Gewährleistungsfunkti­ on eingebunden wird. Verglichen zum unionsrechtlich fundierten Universaldienstkonzept er­ weisen sich die weltpostvertraglichen Vorgaben sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht als strukturverwandt3, soweit ausgewählte An­ bieter in einem sachlich festgelegten Umfang grundlegende Dienstleis­ tungen im Postsektor ausführen und auf diese Weise das allgemeine Inte­ resse der Bevölkerung an einem kohärenten Postnetz befriedigen. Die zusätzlich befreiungsadäquate Gemeinwohlspezifikation wird in diesem Zusammenhang durch die Grundwertung in Art. 3 Abs. 7 PostRL reflek­ 1 Vgl. dazu Gramlich, in: G/K/K/L, PostR, 2014, Kap. B Rn 15. 2 Eigth Additional Protocol to the Constitution of the Universal Postal Union v. 12.08.2008. 3 Vgl. auch Drews, Ökonomie der Europäisierung, 2014, S. 80.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

tiert. Trotz der territorial begrenzten Anwendbarkeit des Sekundärrechts bindet der unionsweit verbindliche Universaldienst grenzüberschreiten­ de Postdienste in einem weitergehenden Kontext ein. Der transnationale Postverkehr ist ausweislich Art. 2 Nr. 11 PostRL nicht allein auf innerge­ meinschaftliche Sendungen bezogen, sondern erstreckt sich ebenfalls auf Poststücke aus oder nach einem Drittstaat1. Folgerichtig definiert Art. 2 Nr. 15 PostRL die Endvergütung ambivalent mit Blick sowohl auf grenz­ überschreitende Leistungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten wie auch solche aus Drittstaaten. Festzustellen ist folglich, dass der Gemein­ schaftsgesetzgeber ausweislich dieser weit gefassten Definition das ­Konzept der bilateralen Zustellung auch mit Blick auf den drittstaatli­ chen Kontext in das Universaldienstprogramm iSv Art. 3 PostRL inte­ griert hat. Diese Grundentscheidung erscheint konsequent, verfügen doch sämtliche EU-Mitgliedstaaten zugleich über eine Mitgliedschaft im Weltpostverein mit der Folge, dass die völkerrechtlich vorstatuierte Ge­ währleistungsfunktion anlässlich der Harmonisierung nicht unberück­ sichtigt bleiben konnte. So gesehen spiegelt Art. 3 Abs. 7 PostRL den Allgemeinwohlbelang eines weltumspannenden Postnetzes wider und bestätigt formal dessen grundversorgungsrelevante Bedeutung aus uni­ onsrechtlicher Sicht. Aus der sekundärrechtlichen Integration des bilateral vorinstallierten Zustellsystems muss im Lichte der EuGH-Rechtsprechung der Schluss gezogen werden, dass auf dieser Grundlage in Drittstaaten ausgeführte Leistungen die besondere Anforderung einer gemeinwohlspezifischen Zwecksetzung ebenso wie innergemeinschaftliche Postsendungen erfül­ len. Sofern derartige Postdienste in einem EU-Mitgliedstaat gemäß Art. 44 MwStSystRL steuerbar sind, müssen sie zum Zwecke der ange­ strebten Kostenreduktion zwingend von der Umsatzsteuer befreit sein2. In der Entscheidung „TNT Post UK“ findet sich diese Folgerung wieder­ um durch den Gesamtbezug auf Art. 3 PostRL an­gelegt. bb) Drittstaatenspezifische Gemeinwohlbedingungen Indem Art. 3 Abs. 7 PostRL den drittstaatsbezogenen Postverkehr in das Universaldienstkonzept inkorporiert, wird eine regimeübergreifende An­ knüpfung der Postdienstbefreiung an solche Leistungsbedingungen er­ möglicht, die außerhalb des Unionsrechts autonom festgelegt sind. Ein drittstaatlicher Anbieter erbringt demnach einen steuerfreien Umsatz, sofern er in Ausfüllung der gemäß Art. 12 WPV staatlich übernommenen 1 KOM COMP/M.1915 v. 13.03.2003 – The Post Office/TPG/SSPL – Rz 22; ABl EG Nr. C 39 v. 06.02.1998, S. 6. 2 Im Erg. ebenso von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 694; Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 1, 18; Birkenfeld, in: Birkenfeld/Wäger, UStHdB, 75. Lfg., § 95 Rn 562.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

Gewährleistungsverantwortung die Sendung aus einem EU-Mitglied­ staat übernimmt und zu den bilateral geltenden Bedingungen als Basis­ dienst weiterbefördert. Gegen die Annahme einer Gemeinwohlqualität könnte eingewandt wer­ den, dass die Leistungsmerkmale innerhalb der einzelnen 192 Mitglieds­ länder des Weltpostvereins erheblich divergieren können, indem für ­Basisdienste gemäß Art. 12 Abs. 1 und 5 WPV lediglich bestimmte Ge­ wichtsgrenzen vorgesehen sind. Im Übrigen überantwortet Art. 3 Abs. 2 WPV die nähere Ausgestaltung dem Ermessen der Mitgliedsländer, wel­ che die maßgeblichen Bedingungen nach innerstaatlichem Recht und unter besonderer Berücksichtigung der landeseigenen Spezifika festzule­ gen haben. Eine einheitliche und detaillierte Harmonisierung, wie sie nach Maßgabe der Postrichtlinie und der darin fixierten Mindeststan­ dards vorgeschrieben ist, wurde auf Ebene des Weltpostvereins folglich nicht erzielt1. Sofern im Verhältnis zu den verbindlichen Rahmenvor­ gaben aus Art. 3 PostRL eine drittstaatliche Auslandszustellung nega­ tiv abweichen sollte, ließe sich argumentieren, dass derart qualitativ schlechter aufgestellte Dienste nicht in gleicher Weise einen adäquaten Beitrag für das Allgemeinwohlinteresse verkörpern. Insoweit bliebe jedoch außer Betracht, dass die Einbindung von dritt­ staatlichen Postdiensten in das sekundärrechtliche Universaldienstkon­ zept eine bewusste gesetzgeberische Wertung abbildet. Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 7 PostRL nimmt systematisch auch drittstaatliche Dienst­ leistungen zu schlechteren Leistungskonditionen in Kauf, da diese nicht den Mindestvorgaben der vorausgehenden Abs. 2 bis 5 unterworfen sein können. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der Ge­ meinschaftsgesetzgeber etwaige Differenzen in den Qualitätsmerkmalen eines weltweit operierenden Postnetzes sehr wohl erkannt und bewusst akzeptiert hat, zumal selbst die unionsweit begrenzte Postrechtshar­ monisierung nicht ohne ausformungsbedürftige Mindestvorgaben aus­ kam. Auslandszustellungen in Drittstaaten genießen somit gemäß Art. 3 Abs. 7 PostRL den originären Status als gemeinwohlspezifische Dienste, dessen Begründung ausschließlich von der Erfüllung der jeweils bilateral geltenden Leistungsbedingungen abhängig ist. 5. Ergebnis Die vorstehende Untersuchung verdeutlicht, dass die Umsatzsteuer­ befreiung von Postdienstleistungen nach ihrem Sinn und Zweck grenz­ überschreitende Anwendung finden muss. In einen systematischen Kon­ flikt gerät dabei die tatbestandliche Funktionslogik des Art. 132 Abs. 1 1 Vgl. auch Art. IV des Schlussprotokolls zum Weltpostvertrag.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

lit. a) MwStSystRL gegenüber dem Sitzortprinzip (Art. 44 MwStSystRL), da die Freistellungsvoraussetzungen nur im national aus­differenzierten Kontext des Verrichtungsorts bewertet werden können. Der dargelegte Ansatz, die grenzüberschreitende Befreiungswirkung an den Bedingun­ gen der fak­tischen Leistungserbringung streckenweise auszurichten, er­ laubt eine harmonische Eingliederung in das mit Umsetzung des Mehr­ wertsteuerpakets zum 01.01.2010 geltende Bestimmungslandprinzip. Bedauerlicherweise hat sich die Kommission dieser Problematik bislang mit einer gegenteiligen sowie zudem rechtlich unverbindlichen Stellung­ nahme gewidmet, wonach für den innergemeinschaftlichen Postverkehr eine herkunftsspezifische Universaldienstqualifizierung favorisiert wird1. Die Thematik der grenzüberschreitenden Postdienstexemtion bleibt so­ mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit ausgesetzt und kann derzeit nicht als befriedigend gelöst angesehen werden.

II. Postdienstleistungsbefreiung in Konkurrenz zur Ausfuhr­ befreiung Im Bereich der internationalen Paketbeförderung in Drittstaaten kann parallel zur Umsatzsteuerbefreiung von Postdiensten gemäß § 4 Nr. 11b UStG (Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL) zugleich der Befreiungstatbe­ stand des § 4 Nr. 3 Satz 1 lit. a) Doppelbuchstabe aa) UStG (Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL) einschlägig sein, sollte sich die grenzüber­ schreitende Beförderung unmittelbar auf einen Gegenstand der Ausfuhr beziehen2. Der erforderliche unmittelbare Zusammenhang mit einer Ausfuhr gemäß Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL dürfte für Postdienste in aller Regel erfüllt sein, sofern entsprechende Leistungen für den Ausoder Einführer einer Ware auf vertraglicher Grundlage erbracht wer­ den3. Die Freistellung ausfuhrbezogener Güterbeförderungsleistungen verwirklicht in erster Linie das Bestimmungslandprinzip4. Zu diesem Zweck wird der betreffende Gegenstand infolge des Grenzübertritts von jeglicher Umsatzsteuerbelastung des Herkunftslandes neutralisiert, wel­ che sich zusätzlich zur Steuerbarkeit der zugrunde liegenden Lieferung aus sonstigen unmittelbar auf den Gegenstand bezogenen Dienstleistun­ gen als selbstständige Umsätze speisen kann. Da die für eine umsatzsteu­ 1 Bislang ist die Arbeitsunterlage Nr. 658 nicht in die offiziellen Leitlinien des Mehr­ wertsteuerausschusses aufgenommen worden. 2 Für innergemeinschaftliche Beförderungen ist eine entspr. Regelung nicht vorgese­ hen, vgl. § 4 Nr. 3 Satz 1 lit. a) Doppelbuchstabe bb) UStG, der nur die Einfuhr in EU-Mitgliedstaaten aus Drittstaaten betrifft. 3 Siehe zu dieser Auslegung nunmehr EuGH, Rs. C-288/16, L.C., ECLI:EU:C:2017:502 Rn 23. 4 Vgl. EuGH, Rs. C-288/16, L.C., ECLI:EU:C:2017:502 Rn 19; Stadie, UStG, 3. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn 3.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

erbare Beförderungsleistung anfallenden Kosten regelmäßig im Waren­ preis auf den Empfänger überwälzt werden, teilen diese Umsätze im grenzüberschreitenden Verkehr das rechtliche Schicksal der zur Ausfuhr bestimmten Gegenstände1. Im Gegensatz zu der unechten Freistellung von Postdiensten zeichnet sich die Ausfuhrbefreiung dadurch aus, dass sie das Recht zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 lit. a) UStG (Art. 169 lit. b) MwStSystRL) unberührt lässt. Sofern mit der grenzüber­ schreitenden Warenausfuhr in einen Drittstaat eine öffentliche Postein­ richtung beauftragt wird und die bewirkte Güterbeförderung zum Uni­ versaldienst zählt, ist angesichts der unterschiedlich ausgestalteten Belastungswirkung eine zielgenaue Bestimmung des konkurrierenden Anwendungsverhältnisses beider Tatbestände unumgänglich2. 1. Grenzüberschreitende Paketsendungen als ausfuhrbezogene ­Güterbeförderung Praktische Bedeutung erlangt die tatbestandliche Abgrenzung im Hin­ blick auf den internationalen Handel, wenn Waren aus einem Mitglied­ staat an Kunden außerhalb der EU verkauft und anschließend postalisch in das Drittlandsgebiet verschickt werden3. Da die Beförderung in dieser Konstellation unternehmerisch beauftragt wird, befindet sich der maß­ gebliche Leistungsort gemäß Art. 44 MwStSystRL an dessen Sitzort in­ nerhalb der EU. Die Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 3 Satz 1 lit. a) Doppelbuchstabe aa) UStG setzt insoweit voraus, dass es sich bei der Güterbeförderung um eine selbstständige Hauptleistung handelt4, was in Bezug auf Paketdienste als speziellem Unterfall der allgemeinen Güter­ beförderung stets zu bejahen ist. Außerdem setzt eine echte Ausfuhrbefreiung voraus, dass die Güterbe­ förderung grenzüberschreitend erfolgt. Ein solcher Bezug liegt gemäß § 3b Abs. 1 Satz 4 UStG allgemein vor, falls sich der Transport über die Inlandsgrenzen hinaus auch auf ein Drittlandsgebiet erstreckt5. Diese Voraussetzung ist unproblematisch erfüllt, sollte ein Post­anbieter mit der Paketbeförderung vom Inland in einen Drittstaat betraut sein und diese Leistung aus einer Hand erfüllen. Ferner erweist sich indes auch der im grenzüberschreitenden Postverkehr anzutreffende Subunter­ nehmereinsatz als freistellungskompatibel, da dem Hauptunternehmer 1 Siehe Schmölz, in: Weymüller, UStG, 2015, § 4 Nr. 3 Rn 6; Huschens, in: Plücke­ baum/Malitzky/Widmann, UStG, 199. Lfg., § 4 Nr. 3 Rn 1. 2 Siehe entspr. die gestrichene Vorlagefrage des FG Münster zu EuGH, Rs. C‑238/16, X, ECLI:EU:C:2017:83. 3 Freilich gilt dies nur in den Grenzen befreiungsschädlicher Sonderkonditionen, wie sie z.B. § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG näher bestimmt. 4 Heidner, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn 1. 5 Stadie, UStG, 3. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn 9.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

der drittstaatliche Weitertransport durch den ausländischen Postanbieter unmittelbar zugerechnet wird1. Während die gesamte Hauptunterneh­ merleistung aus Sicht des EU-ansässigen Absenders folglich eine grenz­ überschreitende Charakteristik besitzt, beschränkt sich die im Drittland bewirkte Zustellung als eigenständiger Umsatz ausschließlich auf dieses Territorium und wird isoliert nicht als grenzüberschreitende Beförde­ rung iSv § 4 Nr. 3 Satz 1 lit. a) Doppelbuchstabe aa) UStG erfasst2. In die­ ser Betrachtung erfüllt die subunternehmerische Auslandszustellung eine Zurechnungsfunktion, welche auf Ebene der Hauptleistung die be­ freiungsrechtlich relevante Eigenschaft einer grenzüberschreitenden Gü­ terbeförderung vermittelt. 2. Anwendungsvorrang der unechten Umsatzsteuerbefreiung Angesichts der vorstehend erläuterten Überschneidung im internationa­ len Paketverkehr mit Drittstaaten ist zu bestimmen, wie sich die Post­ dienst- und Ausfuhrbefreiung konkurrenzmäßig zueinander verhalten. Nach Ansicht des EuGH beanspruchen unechte Befreiungen aus dem Katalog des Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL infolge ihrer spezifisch gemein­ wohlbezogenen Zwecksetzung Vorrang gegenüber Art. 138 und Art. 146 MwStSystRL3. Während die Verwaltung diese Sichtwiese akzeptiert hat4, stößt sie in der Literatur auf vehemente Ablehnung5. Für die Postdienst­ exemtion besitzt die anhaltende Diskussion um eine richterrechtlich le­ gitimierte Abgrenzung jedoch kein Gewicht. Vielmehr räumt Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL der Postdienstbefreiung spezialgesetzlich den Vorrang ein, indem in Art. 132 und Art. 135 MwStSystRL aufgeführte Leistungen vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. Die echte Be­ freiung ausfuhrbezogener Güterbeförderungen wird somit nur verdrängt, falls der betreffende Umsatz zugleich die besonderen Merkmale gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL erfüllt. In § 4 Nr. 3 Satz 2 UStG hat dieser sekundärrechtlich fixierte Anwen­ dungsvorrang unterdessen keine korrekte Umsetzung erlangt6. Entgegen dem eindeutigen Richtlinienwortlaut erfasst die Ausschlussklausel ne­ ben den Umsätzen nach Nr. 8, 10 und 11 nicht auch solche gemäß 1 Siehe auch Huschens, in: Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 3 Rn 45. 2 Vgl. Heidner, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn 7. 3 Grundlegend EuGH, Rs. C-240/05, Eurodental, Slg. 2006, I-11479 Rn 43 f. 4 Vgl. Abschnitt 4.11b.1 Abs. 14 UStAE. 5 Dazu Stadie, UStG, 3. Aufl., vor §§ 4–9 Rn 24; Reiß, UR 2007, 565; weitergehend gegen die Ableitung einer generellen Vorrangregelung aus der EuGH-Rechtspre­ chung von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 708. 6 So auch von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 711; keine Umsetzungsmängel erkennend aber Huschens, in: Schwarz/Wid­ mann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 4 Nr. 3 Rn 22.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

Nr. 11b, obwohl auch in dieser Hinsicht eine tatbestandliche Schnitt­ menge besteht. Die Verwaltung erweitert vor diesem Hintergrund § 4 Nr. 3 Satz 2 UStG über seinen Wortlaut hinaus richtlinienkonform auf postalische Universaldienste1. Praxiswirksam wird auf diese Weise eine Befreiung mit Vorsteuerabzug anlässlich einer universaldiensttypisch be­ werkstelligten Warenausfuhr unterbunden2. a) Grenzüberschreitende Benachteiligung gemeinwohlspezifischer Postdienst­leistungen Die in Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL angeordnete Vorrangwirkung zugunsten unechter Befreiungstatbestände bedingt in zweifacher Hin­ sicht eine wirtschaftliche Benachteiligung postalischer Universaldienst­ leister. Diese erfahren bei der Güterbeförderung in Drittstaaten im ­Verhältnis zu nicht als öffentliche Posteinrichtung fungierenden Postan­ bietern eine Schlechterstellung, soweit der Umsatz objektiv dem natio­ nal ausgeformten Universaldienstprogramm unterfällt und nur unter Ausschluss des Vorsteuerabzugs gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSyst­ RL entlastet wird. Gleichermaßen wird die wirtschaftliche Ausgangslage im Wettbewerb zu nicht postalischen Spe­ditions­unternehmern verzerrt, sofern diese ebenfalls die grenzüberschreitende Kleingutbeförderung übernehmen und damit am Markt eine alternative Dienstleistungskate­ gorie anbieten3. Unterfällt demnach objektiv eine in Drittstaaten gerich­ tete Be­förderung iSv Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL zugleich dem Universaldienstkonzept gemäß Art. 3 PostRL, gelangen sonstige Dienst­ leister in den Genuss einer perfektionierten Freistellung, während die öffentliche Posteinrichtung Vorsteuerbeträge in Rechnung stellen muss. Diese wettbewerbsrelevante Ungleichbehandlung zulasten unecht be­ freiter Anbieter entbehrt einer Rechtfertigung. Obwohl öffentliche Post­ einrichtungen einer besonderen Gemeinwohlverpflichtung ausgesetzt sind und den kostenintensiven Infrastrukturaufwand für flächendecken­ de Dienstleistungen kompensieren müssen, können sie sich im Rahmen einer Ausfuhrbeförderung nicht auf die echte Befreiung berufen. Auch aus Sicht der Endnutzer des kohärent gewährleisteten Postnetzes ist nicht einzusehen, weshalb ihr universaldienstakzessorisch aktualisier­ tes Gemeinwohlinteresse gegenüber sonstigen mit Vorsteuerabzug be­ freiten Beförderungsleistungen steuerlich diskriminiert wird. 1 Abschnitt 4.3.5 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abschnitt 4.11b.1 Abs. 14 UStAE. 2 A.A. von Streit, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 11b Rn 712 f, wonach der Steuerpflichtige sich freiwillig auf die unmittelbare Wirkung von Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL berufen müsse und somit ein tatbestandliches Wahlrecht genie­ ße. 3 Vgl. zum Wettbewerbsverhältnis zwischen Paketdiensten und Frachtleistungen be­ reits von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 132 ff.

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3. Teil:  Die Umsatzsteuerbefreiung von ­Postdienst­leistungen

b) Systemkonforme Einbindung in das Bestimmungslandprinzip Die Konkurrenzregelung gemäß Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL über­ setzt in Bezug auf postalische Universaldienstumsätze eine partielle Durchbrechung des Bestimmungslandprinzips im grenzüberscheitenden Güterverkehr. Trifft die Beförderungsleistung das Universaldienstkon­ zept, wird sie zwingend ohne Vorsteuerabzug befreit und so ein neutrali­ sierter Gebietswechsel verhindert. Alternativ zur aktuell bestehenden Rechtslage bestehen zwei mögliche Denkansätze. Zunächst könnte Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL eine qualitativ abschließende Natur im Bereich der Postdienste als einem speziellen Unterfall der allgemei­ nen Güterbeförderung zuerkannt werden. Eine sachliche Differenzierung ergäbe sich dann anhand der umsatzspezifischen Merkmale, welche eine auf die Befriedigung des Massenverkehrs zu standardisierten Be­dingungen gerichtete Postdienstleistung in Abgrenzung zu sonstigen Transportum­ sätzen kennzeichnet. Eine derart thematisch implementierte Konkur­ renz wäre geeignet, die Benachteiligung verpflichteter Grundversorger innerhalb der Unternehmergruppe der Postanbieter aufzulösen, da derar­ tige Dienstleister nicht mehr in den Genuss einer anderweitigen Um­ satzsteuerbefreiung gelangen könnten. Weiterhin fort bestünde aller­ dings eine Benachteiligung öffentlicher Posteinrichtungen im Verhältnis zum Kleintransportgewerbe. Zudem sähe sich dieser Lösungsansatz dem Einwand ausgesetzt, dass nach wie vor das Bestimmungslandprinzip im Postsektor mangels Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht systemkon­ form verwirklicht wäre. Vorzugswürdig erscheint daher eine drittstaatenübergreifende Integra­ tion univer­ saler Postdienstleistungen in die echte Befreiungsregelung gemäß Art. 146 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL. Unter dieser Voraussetzung bestünde eine gleichartige Behandlung grenzüberschreitender Güterbe­ förderungen in Drittstaaten ungeachtet der Tatsache, ob diese durch ei­ nen Postdienstleister oder einen sonstigen Unternehmer erfolgen. Ferner wäre die vollumfängliche Durchsetzung des Bestimmungslandprinzips gewährleistet, da die zur Güterausfuhr erbrachten Beförderungsleistun­ gen ohne verbleibende Belastung aufgrund inländischer Umsatzsteuer die Grenze passieren könnten1. Das Bestimmungslandprinzip bildet inso­ fern das vorzugswürdige Konzept zur internationalen Steuerzuweisung, dessen übergeordnete Umsetzung nicht maßgeblich von der objektiven Klassifizierung einer akzessorischen Beförderungsleistung abhängig sein sollte. Eine echte Befreiungswirkung liefe auch der Zielsetzung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL nicht zuwider, wäre der intendier­ 1 Entspr. wird ein genereller Anwendungsvorrang unechter Befreiungen als Wider­ spruch zum Bestimmungslandprinzip kritisiert, vgl. Stadie, UStG, 3. Aufl., vor §§ 4–9 Rn 24.

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F.  Die Postdienstbefreiung im grenzüberschreitenden Kontext

te Verbilligungseffekt mittels Vorsteuerabzug sogar noch komplettiert. Schließlich begründete die weitergehende Freistellung ausfuhrbezogener Paketbeförderungen keine willkürliche Ungleichbehandlung gegenüber innergemeinschaftlichen Sendungen. Das Bestimmungslandprinzip im Verhältnis zu Drittstaaten verlangt systematisch zwingend eine abwei­ chende Behandlung, so dass die weitere Anwendung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auf EU-interne Postumsätze innerhalb des harmoni­ sierten Mehrwertsteuerrechts nicht zu beanstanden wäre. Gleichwohl wird an dieser Stelle erkennbar, dass vorsteuerbedingte Verzerrungen auch bei den begleitenden Versendungskosten zu einem innergemein­ schaftlichen Erwerb eintreten können. Die strikte Herstellung eines umsatzsteuer­lichen Grenzausgleichs erschiene mithin auch in diesem Zusammenhang als binnenmarktpolitisch gemäß Art. 113 AEUV wün­ schenswerter Ansatz.

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4. Teil: Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt Auf der Grundlage der normativen Rahmenbedingungen, welche durch die Vorgabe gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL in ihrer verbindli­ chen Auslegung durch die Rechtsprechung festgelegt sind, müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Befreiung von Postdienstleistungen auf die am Markt tätigen Anbieter näher beleuchtet werden. In diesem Zusammenhang kann das Anliegen der vorliegenden Arbeit angesichts ihrer juristischen Fachausrichtung nicht darin bestehen, eine eigenstän­ dige Untersuchung und Analyse der ökonomisch komplexen Wirkungs­ zusammenhänge im Postsektor zu entwickeln. Aus diesem Grunde wird im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen auf bereits vorhandene Studien Bezug genommen mit dem Ziel, den aktuellen Meinungsstand sowie die generelle Problematik einer exakten Berechnung der tatsächli­ chen Befreiungswirkungen im Wettbewerbsumfeld aufzuzeigen. Aus der recht­lichen Einordnung der als gesichert anzusehenden Realeffekte er­ gibt sich im Weiteren der maßgebliche Gegenstand, auf den es für die Legitimitätsprüfung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL am Maßstab höherrangigen Rechts abzustellen gilt.

A. Gespaltene Wirkung der Postdienstbefreiung Im Gleichlauf zu jeder anderen unechten Umsatzsteuerbefreiung zeich­ net sich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL systematisch durch den Aus­ schluss der Vorsteuerabzugsberechtigung aus1. Im Ausgangspunkt hän­ gen die wirtschaftlichen Auswirkungen der steuerlichen Exemtion auf den tatbestandlich erfassten Unternehmer davon ab, über welche recht­ liche Stellung der jeweilige Leistungsempfänger seinerseits im Hinblick auf den Vorsteuerabzug verfügt2. Ferner ist maßgeblich, wie hoch der Anteil vorsteuerunschädlicher Betriebskosten zur Erbringung der Aus­ gangsumsätze ausfällt3. Spe­ziell die Postdienstbefreiung erweist sich ins­ gesamt als ein zweischneidiges Schwert entsprechend der Aufteilung des Kundenportfolios in vorsteuer- und nicht vorsteuerberechtigte Empfän­ ger.

1 Vgl. Art. 168 iVm Art. 169 lit. b) und c) MwStSystRL; § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG. 2 Seely, VAT on postal services, 2013, S. 6; BReg, BT-Drucks. 15/4584 v. 16.12.2004, S. 6. 3 Dietl/Jaag/Lang/Trinkner, Competition and Welfare Effects of VAT Exemptions, 2010, S. 3.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

I. Preisvorteil im Verhältnis zu nicht vorsteuerberechtigten ­Kunden Zu dem Segment der nicht vorsteuerabzugsberechtigten Empfänger zäh­ len neben privaten Endverbrauchern insbesondere Institutionen wie staatliche Behörden, die mit einer nicht unternehmerischen Tätigkeit bereits von der allgemeinen Steuerbarkeit ausgenommen sind. Darüber hinaus ist auch unternehmerisch tätigen Empfängern der Vorsteuerabzug verwehrt, soweit sie zur Ausführung eigener unecht befreiter Umsätze Postdienste in Anspruch nehmen. Zu dieser Gruppe gehören quantitativ bedeutsame Wirtschaftszweige wie etwa Banken, Versicherungen, Ärzte, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen sowie karitativ oder kulturell tä­ tige Einrichtungen. Da derartige Leistungsempfänger die preislich über­ wälzte Umsatzsteuer nicht gegenüber dem Finanzamt erstattet verlan­ gen können, wirkt die unechte Befreiung potenziell begünstigend auf den Endpreis, sofern die eigenständige Wertschöpfung des ausführenden Un­ ternehmers höher liegt als die bezogenen Fremdleistungen. Für den Postsektor ist die vorgenannte Voraussetzung generell als erfüllt anzunehmen1. Die Ausführung von Postdiensten setzt betriebsorganisa­ torisch den vorsteuerrelevanten Aufbau sowie Unterhalt von Infrastruk­ tureinrichtungen voraus (z.B. Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge). Außer durch Sachkapital wird die Produktionsweise allerdings primär durch einen besonders intensiven Einsatz eigener Arbeitskräfte ohne negative Vorsteuern geprägt2. Entsprechend beziffert die Bundesmonopolkommis­ sion das Verhältnis zwischen dem durch die Beförderung generierten Mehrwert und den ausführungsbedingten Fremdleistungen auf mindes­ tens 2:13. In ihrer aktuellen Studie zu den wirtschaftlichen Auswirkun­ gen der Postdienstexemtion nimmt die ERGP sogar ein Verhältnis der Wertschöpfung zu Fremdleistungen von 80:20 an4. Auf der Grundlage dieser Parameter ist es als gesichert anzusehen, dass die Postdienstexem­ tion im nicht vorsteuerberechtigten Kundensegment einen positiven ­Effekt auf die unternehmerische Preiskalkulation besitzt5. Anders als bei der Regelsteuerpflicht muss der befreite Anbieter lediglich die gerin­ 1 Mit Blick auf die Poczta Polska im Erg. ebenso Zielinska, YARS 2012, 255 (256). 2 Groebel, in: Bien/Ludwigs, Kartell- und Regulierungsrecht der Netzindustrien, 2015, S. 171 (179); siehe auch Schoorl, VAT Modernization, 2010, S. 30 f, demzufolge schätzungsweise 80 % der unternehmerischen Wertschöpfung allein auf die Arbeits­ kosten entfallen; siehe auch PWC, The impact on Universal Service of the Full Mar­ ket Accomplish­ment of the Postal Internal Market in 2009, S. 92. 3 BMK, Sondergutachten 2009, S. 103; ebenso Koenig/Hasenkamp/Kolbe, N&R 2011, 20 (24). 4 ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 13; ähnlich Jungblut, UR 2012, 143 (145), der ein Verhältnis von 73 % Eigenleistung zu 27 % Fremdleistung ermittelt. 5 Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 19; Swiss Economics, Impact of VAT Ex­emptions in the Postal Sector on Competition and Welfare, 2010, S. 6; mit Blick

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A.  Gespaltene Wirkung der Postdienstbefreiung

ger bemessenen Vorsteuerbeträge überwälzen, während steuerpflichtige Konkurrenzanbieter der höheren Umsatzsteuerpflicht auf die eigens ­generierte Wertschöpfung ausgesetzt bleiben. Die öffentliche Postein­ richtung profitiert von einem absoluten Preisvorteil, dessen Betrag sich aus der Differenz zwischen nomineller Steuersatzbelastung des Entgelts einerseits sowie den nicht abzugsfähigen Vorsteuern andererseits errech­ net1. Geht man weiter davon aus, dass die übrigen Anbieter ihre Umsatz­ steuerschuld an die Endkunden weiterreichen, gelingt dem Universal­ dienstleister im bestehenden Wettbewerb die vollständige Entlastung seiner nicht abzugsfähigen Vorsteuerbeträge trotz eines niedriger zu ver­ anschlagenden Nettopreisniveaus2. Konkret belegen lässt sich der begünstigende Freistellungseffekt anhand der preispolitischen Reaktion, welche die DPAG unmittelbar anschlie­ ßend an die zum 01.07.2010 in Kraft getretene Novellierung zeigte. Nachdem gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG erstmals Postdienste zu Son­ derkonditionen und -tarifen umfassend der Steuerpflicht unterworfen worden waren, sah sich die DPAG gegenüber ihren nicht vorsteuerbe­ rechtigten Geschäftskunden dazu gezwungen, die Teilleistungsrabatte um 12 Prozentpunkte anzuheben3. Dieser Schritt, dessen Finanzierung dem Vernehmen der DPAG nach durch die Vorsteuerersparnis gegen­ finanziert werden konnte4, sicherte ein weitgehend konstantes Tarif­ niveau und demonstriert folglich die zuvor preisentlastende Wirksam­ keit der unechten Exemtion.

II. Negative Kostenbelastung im vorsteuerberechtigten ­Kunden­segment Einen zum Preisvorteil gegenläufigen Effekt bewirkt die unechte Um­ satzsteuerbefreiung, wenn Postdienste im Verhältnis zu vorsteuerab­ zugsberechtigten Empfängern ausgeführt werden. Der Wegfall der Um­ satzsteuerpflicht gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL vermag im zwischenunternehmerischen Verkehr die Kalkulation insoweit nicht auf nicht vorsteuerberechtigte Geschäftskunden ebenso WIK-Consult, Umsatzsteu­ erbefreiung für Postdienste, 2005, Rz 6. 1 Vgl. mit anschaulichen Rechenbeispielen ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 14; BMK, Sondergutachten 2009, S. 103; Jungblut, UR 2012, 143 (145). Arthur D. Little (ADL) beziffern den Preisvorteil für Royal Mail mit 13 %, vgl. Postcomm, Competitive Market Review, 2004, Rz 4.46. Unzutreffend dagegen Günther, N&R 2016, 251 (252), der von einem Preisvorteil der DPAG in Höhe der Mehrwertsteuer ausgeht. 2 Royal Mail gibt die Vorsteuerbelastung mit 2,5 % des Umsatzes an, vgl. Response to „A Review of Royal Mail’s Special Privileges“, 2004, Ziffer 3. 3 Thiele/Zauner, N&R 2011, 137 (141 f); Haucap, Wettbewerbsneutralität, 2011, S. 12. 4 Bremenfeld, DPAG führt USt für Postdienstleistungen ein, 2010.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

positiv zu beeinflussen, als der selbst steuerpflichtige Versender die im Preis der Dienstleistung ausgewiesene Umsatzsteuerbelastung im Wege des Vorsteuerabzugs vollständig neutralisieren könnte. Folglich handelt es sich bei der Steuerpflichtigkeit eines postalischen Umsatzes innerhalb des vorsteuerberechtigten Kundensegments um einen für die endgültige Belastungswirkung der Leistungskette gänzlich unerheblichen Faktor. Zu einem effektiven Nachteil für die öffentliche Posteinrichtung gerinnt demgegenüber die nicht abzugsfähige Belastung aus den hilfsweise in Anspruch genommenen Vorleistungen. Die durch Drittunternehmer in Rechnung gestellte Umsatzsteuer kann der unecht befreit leistende An­ bieter nicht ausgleichen. In dieser Situation stehen allgemein zwei ge­ stalterische Möglichkeiten offen. Zum einen kann der Anbieter von ei­ ner eingepreisten Weitergabe der Vorsteuerbelastung absehen. Auf diese Weise avanciert der befreite Dienstleister entgegen dem Funktionsprin­ zip der Nettoallphasenbesteuerung selbst zum originären Träger der Um­ satzsteuer, obwohl er nicht als Endverbraucher zu qualifizieren ist1. Um die eigene Trägerlast zu umgehen, kommt als weitere Handlungsalterna­ tive nur die Überwälzung der Vorsteuerbelastung im Preis der unecht befreiten Postdienstleistung in Betracht. In diesem Falle muss eine öf­ fentliche Posteinrichtung im Vergleich zu steuerpflichtigen Konkurren­ ten einen höheren Nettopreis festsetzen2. Aufgrund des Vorsteueraus­ schlusses bedingt die unechte Postdienstbefreiung somit im Verhältnis zu vorsteuerberechtigten Kunden eine zusätzliche Kostenbelastung, welche sich zu den besonderen Aufwendungen der Grundversorgungsverpflich­ tung addiert. Im Ergebnis erweist sich so aus Sicht eines steuerpflichti­ gen Unternehmers die Inanspruchnahme nicht befreiter Postdienste ohne verdeckt überwälzte Umsatzsteuer rein steuerlich als sinnvollere Variante.

B. Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz Die unechte Postdienstleistungsbefreiung realisiert je nach bedienter Kundengruppe einen gegenläufigen Effekt. Während im Segment der nicht vorsteuerberechtigten Leistungsempfänger die Preiskalkulation begünstigt wird, entsteht im Verhältnis zu Unternehmern eine zusätzli­ che Belastung aufgrund nicht abzugsfähiger Vorsteuern. Angesichts die­ ser Ambivalenz ist von entscheidender Bedeutung, wie sich die Befreiung in einer Gesamtbilanz wirtschaftlich niederschlägt. Die Beantwortung dieser Frage gibt zugleich vor, ob und in welchem Ausmaße die steuerli­ 1 Dziadkowski, DStZ 1985, 419. 2 Vgl. dazu ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 14; Haucap, Wettbewerbsneutra­ lität, 2011, S. 8 f; BMK, Sondergutachten 2009, S. 103.

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B.  Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz

che Situation eines mit verbindlichen Gemeinwohllasten konfrontierten Anbieters wie beispielsweise der DPAG im Wettbewerb zu konkurrie­ renden Dienstleistern insgesamt verbessert oder verschlechtert wird1. Der hierzu aktuell bestehende Meinungsstand weist eine große Unsi­ cherheit auf2.

I. Postdienstbefreiung als gesamtbilanzierter Wettbewerbsvorteil Ebenso wie die Kommission unterzieht die Bundesmonopolkommission (BMK) die Regelung in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL bereits seit Jahren vehementer Kritik. Ihrer Ansicht zufolge bewirkt die nationale Umsetzung gemäß § 4 Nr. 11b UStG trotz der nunmehr anbieterneutra­ len Fassung seit dem 01.07.2010 weiterhin einen erheblichen Wettbe­ werbsvorteil zugunsten der am Markt exklusiv befreiten DPAG3. Ge­ stützt wird diese Feststellung auf drei zentrale Aspekte. Im Ausgangspunkt bewirkt die unechte Freistellung gegenüber nicht vorsteuerberechtigten Kunden infolge der arbeitskostenbedingt hohen Wertschöpfungsquote bei Postdienstleistungen einen echten Preisvor­ teil4. Dieser Effekt erlange ein überproportionales Gewicht, indem gera­ de nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Versender wie beispielsweise Behörden, Banken, Versicherungen und sonstige nach § 4 Nr. 8 ff UStG unecht befreit leistende Institutionen traditionell über hohe Sendungs­ volumina verfügten5. Hinzu komme, dass Größenvorteile bei der Ein­ sammlung und Zustellung im Briefmarkt von erheblicher Bedeutung seien. Aus diesem Grunde greife der Begünstigungseffekt innerhalb des nicht vorsteuerberechtigten Kundensegments indirekt auch auf den Be­ reich der umsatzsteuerpflichtigen Geschäftskunden in Gestalt positiver Synergien über, zumal die Bevorteilung angesichts der hohen Wertschöp­ fung stärker ausfalle als der Nachteil gegenüber steuerpflichtigen Kun­ den6. 1 Maßgeblich für die Feststellung von Umsatzsteuerprivilegien am Markt ist daher der Saldo aus positiven und negativen Effekten des Befreiungstatbestandes, vgl. Jungblut, UR 2012, 143. 2 Vgl. BReg BT-Drucks. 15/1414 v. 15.07.2003, S. 2. 3 So zuletzt BMK, Sondergutachten 2015, S. 75 ff; ähnl. Postcomm, Review of Royal Mail’s Special Privileges, 2004, Rz 3.10. 4 Siehe hierzu vorstehend A.I. 5 BMK, Sondergutachten 2013, S. 187, indes mit der unzutreffenden Behauptung, der Preisvorteil betrage 19 %; dies., Sondergutachten 2009, S. 103; so auch Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 20; Koenig/Hasenkamp/Kolbe, N&R 2011, 20 (24); WIK-Consult, Umsatzsteuerbefreiung für Postdienste, 2005, Rz 15; auf diesen Faktor hinweisend auch PWC, The impact on Universal Service of the Full Market ­Accomplishment of the Postal Internal Market in 2009, S. 92. 6 BMK, Sondergutachten 2015, S. 75; dies., Sondergutachten 2013, S. 187; ebenso Haucap, Wettbewerbsneutralität, 2011, S. 9.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

Ergänzend falle ins Gewicht, dass die Umsatzsteuerbefreiung ungleich­ mäßig angewandt werde. Unter Geltung der Vorgängerregelung gemäß § 4 Nr. 11b UStG a.F. kritisierte die Monopolkommission bereits, dass die DPAG jeweils zu ihrem unmittelbaren Vorteil Geschäftskundenpa­ kete im Unterschied zu Schalterpakten als steuerpflichtig auswies, die öffentliche Postzustellung hingegen als befreit behandelt wurde1. Weil öffentliche Postzustellungsaufträge nach Verwaltungsansicht nicht zu den Universaldiensten gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL zählen und Massen­ postsendungen gegen Gewähr von Sonderkonditionen derzeit gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG eindeutig von der Befreiung ausgenommen worden sind, stellt die Bundesmonopolkommission nunmehr auf unterschiedli­ che Auffassungen bezüglich der Steuerpflichtigkeit einzelner Produktan­ gebote zwischen DPAG und Finanzverwaltung sowie die intransparente Handhabung der Befreiungsregelung ab2. Im Gesamtbild ergebe sich so­ mit aus der Befreiung ein eindeutiger Vorteil für die DPAG, da diese per Saldo günstigere Preise kalkulieren könne3. Diese allgemeine Einschät­ zung findet darüber hinaus eine Stütze in mehreren Studien. Die im Auf­ trag des BIEK e.V. durch WIK-Consult 2005 erstellte Analyse zu den Aus­ wirkungen einer favorisierten Aufhebung der Postdienstbefreiung im Briefdienst beziffert die möglichen Steuermehreinnahmen mit einer Größenordnung von 150–330 Mio. EUR4. Entsprechend nimmt WIKConsult als Gegengewicht zu den nicht abziehbaren Vorsteuern einen Wettbewerbsvorteil zugunsten der DPAG an, ohne diesen jedoch zu quantifizieren5. Weitere Studien, welche die ERGP in ihrem aktuellen Bericht über die Nettokosten der Universaldienstversorgung im Kontext der Umsatzsteuerbefreiung eingehend berücksichtigt hat, legen ebenfalls eine positive Gesamtwirkung zugrunde. So ging etwa London Economics in einer aus 2002 datierenden Analyse davon aus, der Vorteil für Royal Mail betrage 736 Mio. Pfund, sofern sich bei einem hypothetischen Ent­ fall der Befreiungsregelung die Universaldienstpreise konstant verhalten sollten6. In die gleiche Richtung argumentierte die ehemalige Regulie­ rungsbehörde Postcomm auf Grundlage einer durch Arthur D. Little (ADL) durchgeführten Studie. Zugrunde gelegt wurde ein Gesamtvorteil für Wettbewerber von 2 % bei einer einheitlichen Besteuerung mit Blick 1 So noch BMK, Sondergutachten 2009, S. 103 f. 2 Vgl. BMK, Sondergutachten 2013, S. 202 f; ebenso Haucap, Wettbewerb im Post­ markt, 2016, S. 21. 3 Haucap, Wettbewerbsneutralität, 2011, S. 1 spricht insofern von einem „Mehrwert­ steuerprivileg“. 4 WIK-Consult, Umsatzsteuerbefreiung für Postdienste, 2005, Rz 5. 5 WIK-Consult, Umsatzsteuerbefreiung für Postdienste, 2005, Rz 16; so auch zuletzt WIK‑Consult, Review of the postal market, 2015, S. 27 mit Blick auf bpost als desig­ niertem Universaldienstleister in Belgien. 6 London Economics, Benefits of Universal Services to Consignia, 2002, zit. nach ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 20.

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B.  Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz

auf die 100 größten Kunden von Royal Mail, der sich aus dem hohen Preisnachteil von 13 % bei nicht abzugsberechtigten Kunden (31) abzüg­ lich des geringeren Vorteils von 3 % bei abzugsberechtigten Kunden (69) errechnen soll1. Weiterhin geht auch die Studie von Swiss Economics aus 2010 von einer begünstigten Wettbewerbsposition des befreiten Anbie­ ters aus, indem sich namentlich der Profit des Universaldienstleisters zulasten der Anteile neu in den Markt eintretender Konkurrenten positiv entwickeln werde2.

II. Vorsteuerausschlussbedingte Benachteiligung der DPAG Eine diametral entgegengesetzte Auffassung erachtet die allgemein kol­ portierte These von einer Vorteilsstellung der unecht befreiten DPAG als unzutreffend. Für die Verifikation der Gesamtwirkung eines unechten Befreiungstatbestands sei allgemein eine Berechnung in zwei Schritten zielführend3. Zunächst müsse der Anteil zwischen vorsteuerabzugsbe­ rechtigten und nicht abzugsberechtigten Kunden ermittelt werden; so­ dann seien die Kosten aus den Vorleistungen je ausgeführtem Umsatz zu bemessen. Aus der Zusammenschau dieser Daten könne schließlich die positive oder negative Saldowirkung der Befreiung mit Blick auf den be­ treffenden Anbieter erfasst werden. Ausgehend von einem Anteil steuerpflichtiger Leistungsempfänger in Höhe von 79 % gegenüber 21 % nicht vorsteuerberechtigter Kunden so­ wie einem Verhältnis von 73 % eigener Wertschöpfung zu 27 % bezoge­ ner Fremdleistung je Umsatz sollen der Wettbewerbsvorteil der DPAG 13,9 % sowie ihr spiegelbildlicher Nachteil 5,1 % betragen4. In absoluten Zahlen bewirke die Befreiung im Verhältnis der anteilsmäßig bei 11 % liegenden Geschäftskunden ohne Vorsteuerabzugsrecht eine wirtschaft­ liche Begünstigung der DPAG in Höhe von 0,4 Mrd. Euro. Dieser gegen­ über stehe jedoch ein nachteiliger Effekt in Bezug auf 79 % des Gesamt­ kundensegments, welcher mit etwa 1 Mrd. EUR zu Buche schlage. Im Gesamtergebnis bedeute die unechte Umsatzsteuerbefreiung effektiv eine wirtschaftliche Bürde der DPAG, da letztlich der Nachteil des Vor­ steuerausschlusses gegenüber steuerpflichtigen Geschäftskunden den Preisvorteil im nicht steuerpflichtigen Segment übertreffe.

1 Zu Recht krit. zu dieser Nettorechnung Royal Mail, Competitive Market Review: Response, 2004, Rz 4.16. 2 Dietl/Jaag/Lang/Trinkner, Competition and Welfare Effects of VAT Exemptions, 2010, S. 16; Swiss Economics, Impact of VAT Exemptions in the Postal Sector on Competition and Welfare, 2010, S. 8. 3 Vgl. ausf. Jungblut, UR 2012, 143 f. 4 Jungblut, UR 2012, 143 (145).

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

Vergleichbare Annahmen zu einem möglichen Überwiegen des negati­ ven Vorsteuerausschlusseffekts lassen sich auch aus dem älteren Schrift­ tum belegen. So wurde im Rahmen der Diskussion um eine umsatzsteu­ erliche Freistellung der DBP in § 4 Nr. 7 UStG a.F. die angestrebte Begünstigung mit der Begründung in Zweifel gezogen, das erhebliche Volumen nicht abziehbarer Vorsteuern sei massiv unterschätzt worden1. Ferner wurde anlässlich einer möglichen Besteuerung des damaligen Ho­ heitsbetriebs der DBP erwogen, diese sei auf Dauer selbst an der Steuer­ pflicht unter dem Eindruck steigender Vorsteuerbelastungen interes­ siert2. Diese Überlegungen verdeutlichen, dass entgegen der Ansicht der Bundesmonopolkommission, die sich vor allem auch konkurrierende Anbieter bevorzugt zu eigen machen3, die saldierte Befreiungswirkung nicht unbedingt positiv ausfallen muss.

III. Die Befreiungssaldierung als notorisch schwierige ­Aufgaben­stellung Die besondere Problematik, mit welcher die exakte Ermittlung der befreiungsrecht­lichen Auswirkungen für das Marktgeschehen ver­bunden ist, zeigt der aktuelle Bericht der ERGP über die Bedeutung der umsatz­ steuerlichen Exemtion aus regulierungsrechtlicher Sicht nachdrücklich auf. Das erklärte Ziel dieser in ein öffentliches Konsultationsverfahren eingebetteten Studie bestand darin, den Einfluss der Postdienstbefreiung auf die Nettokosten der Universaldienstversorgung zu eruieren. Die durch eine flächendeckende Versorgungspflicht ausgelöste Zusatzbelastung bil­ det die Differenzsumme aus der vergleichsweisen Betrachtung zweier ­Szenarien. In Verhältnis zu setzen ist die hypothetische Situation des be­ trauten Anbieters ohne Universaldienstverpflichtung zu der aktuell beste­ henden Lage, die gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zwingend mit der unechten Befreiung einhergeht4. Die Steuerfreiheit für grundlegende Postleistungen besitzt vor diesem Hintergrund wesentliche Bedeutung für die Wahrnehmung regulierungsrechtlich installierter Aufgabenstel­ lungen, die neben dem kosteneffizient abzusichernden Universaldienst insbesondere eine möglichst wettbewerbsschonende Ausformung etwai­ ger Finanzierungshilfen einschließlich der Preiskontrolle umfassen. Die ERGP betont folgerichtig, dass die Kalkulation der Befreiungswir­ kung und deren wirtschaftlicher Einfluss auf die Grundversorgung ein 1 Dziadkowski, DStZ 1985, 419 (410). 2 Von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 1, unter Verweis auf Wohlfahrt, APF 69, 31 (43); vgl. allg. zu diesem Effekt aus Sicht der öffentlichen Hand Dziadkowski, UR 2017, 416 (417). 3 Vgl. etwa Die Welt v. 16.12.2009, Post-Steuervorteil wird auf Rivalen ausgeweitet, abrufbar unter http://www.welt.de/5551240 (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 4 ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 5.

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B.  Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz

unausweichliches Bedürfnis markieren. Zugleich gelangt sie jedoch zu dem ernüchternden Ergebnis, dass derzeit auch unter eingehender Be­ rücksichtigung der bislang international verfügbaren Studien keine hin­ reichend verlässliche Aussage darüber getroffen werden kann, ob und inwieweit sich die Freistellung als Sonderlast oder aber besonderer Vor­ teil aus Sicht des Versorgers im Wettbewerb darstellt1. Ursächlich für diese erhebliche Unsicherheit sind die zahlreichen und in ein komplexes Konglomerat eingerahmten Faktoren, die konsequenterweise für eine ge­ naue Berechnung der bilanzierten Wirkungsweise von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL berücksichtigt werden müssen. In diesem Zusam­ menhang fehlen bislang noch notwendige Datenerhebungen und Analy­ sen, um eine abschließende Bewertung vornehmen können. 1. Ökonomisch relevante Bewertungsfaktoren Als wesentliche Einflussfaktoren hebt die ERGP nicht weniger als sechs Elemente hervor2. Im Ausgangspunkt ist maßgeblich, wie die nationalen Rahmenbedingungen bei der Ausgestaltung der Umsatzsteuerbefreiung beschaffen sind. Bedeutsam ist insofern, welche Leistungen objektiv der Befreiung unterliegen, ferner, welche Anbieter potenziell als öffentliche Posteinrichtung in Betracht kommen. Folglich verbietet sich bereits eine pauschale Bewertung für den gesamten EU-Raum, stattdessen bedarf es der individualisierten Betrachtung in jedem Mitgliedstaat. Darüber hinaus spielt die nationale Steuersatzhöhe eine wichtige Rolle, denn nach ihr be­ misst sich die Intensität befreiungsbedingter Verzerrungseffekte3. Zusätz­ lich können auch an die Befreiung mittelbar anknüpfende Besonderheiten beachtlich sein. In Frankreich etwa werden von der Umsatzsteuer freige­ stellte Unternehmer generell mit gesonderter Lohnsteuer belegt. Die fran­ zösische La Poste reklamiert vor diesem Hintergrund, sie erfahre durch die umsatzsteuerliche Exemtion gerade eine entschiedene Benachteiligung4. Ebenfalls in den Blick zu nehmen sind die Umfeldbedingungen des nati­ onalen Postmarktes, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, insbesonde­ re aufgrund der ge­o­gra­fischen und sozialen Gegebenheiten, bisweilen höchst unterschiedlich ausfallen. Von diesen Rahmenbedingungen ist wiederum abhängig, wie sich die Umsatzsteuerbefreiung auf die Einnah­ men der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer auswirken wird. Von erhebli­ cher Relevanz ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Preiselas­ tizität. Die Frage, wie Kunden eines befreiten Anbieters auf eine etwaige 1 ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 28 f. 2 Vgl. dazu die zusammenfassende Aufzählung bei ERGP (12) 29 Report on VAT ­exemption, S. 29. 3 Vgl. auch PWC, The impact on Universal Service of the Full Market A ­ ccomplishment of the Postal Internal Market in 2009, S. 92. 4 Siehe die Wiedergabe bei ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 22.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

Entgelterhöhung reagieren, bestimmt das weitere Verhalten des Univer­ saldienstleisters im Falle eines Wegfalls der Befreiung dahingehend, ob er seine Nettopreise an die zusätzliche Belastung anpasst oder aber kon­ stant hält. Kann die hypothetische Steuerschuld ohne erhebliche Nach­ frageeinbußen überwälzt werden, bedingt die Befreiung entsprechend ei­ nen geringeren Begünstigungseffekt als bei hoher Elastizität. Ferner spielt die Einnahmen-Kosten-Relation im Rahmen des Universal­ dienstes eine entscheidende Rolle. Ebenso wie die Gesamtsumme aus nicht abziehbaren Vorsteuerbeträgen handelt es sich hierbei um Fakto­ ren, die abhängig von einer effizienten Organisation der Betriebsstruktur sowie einer vorsteuergünstigen Leistungskonzentration des jeweiligen Universaldienstleisters sind. Entsprechende Daten für den Betrieb der DPAG unterfallen jedoch allgemein dem Geschäfts- und Steuergeheim­ nis (§ 30 AO) und sind nicht öffentlich zugänglich, wodurch eine genaue Bewertung erschwert wird1. Wesentliche Bedeutung entfaltet, wie bereits eingangs dargelegt, auch die konkrete Beschaffenheit des Kundenportfo­ lios. Dessen proportionale Aufteilung in vorsteuerberechtigte und nicht vorsteuerberechtigte Leistungsempfänger einschließlich des auf sie ent­ fallenden Sendungsvolumens spiegelt im Ansatz die gegenläufige Funk­ tionsweise einer unechten Befreiung wider. Ungemein verkompliziert wird eine exakte Erfassung der befreiungs­ rechtlichen Auswirkungen aufgrund des Vorsteuerausschlusses. In Re­ lation zur nominellen Steuerschuld genügt es dabei nicht, allein das ­absolute Vorsteuervolumen entgegenzuhalten. Vielmehr zeitigt dieser Mechanismus auch mittelbare Nachteile. Zunächst unterliegen befreite Unternehmer einer umsatzsteuerlich bedingten Beschränkung ihrer orga­ nisatorischen Betriebsplanung, die sich konkret im Verzicht auf ein wirt­ schaftlich sinnvolles Outsourcing niederschlagen kann2. Die Entschei­ dung für oder gegen eine Auslagerung kann nicht mehr allein an den Kriterien der Kosteneffizienz sowie einer qualitätssteigernden Arbeitstei­ lung ausgerichtet werden, sondern muss stets die wertschöpfungsindu­ zierte Verringerung der steuerlichen Entlastung in das Blickfeld nehmen. Im Vergleich genießen steuerpflichtige Postanbieter einen erheblichen strate­gisch­en Vorteil, indem sie ihr Angebot je nach Bedarf und durch die Vergabe von Fremdleistungen flexibel an veränderte Marktsituationen anpassen können3. Eine verstärkt auf eigenständige Wertschöpfung aus­ gerichtete Betriebsorganisation erweist sich demgegenüber als schwerfäl­ lig. Wie schwer die individuelle Benachteiligung durch konzentrationsbe­ 1 So auch BMK, Sondergutachten 2015, S. 76. 2 PWC, The impact on Universal Service of the Full Market A ­ ccomplishment of the Postal Internal Market in 2009, S. 92. 3 Vgl. zur Vorteilhaftigkeit einer schnellen Reaktionsmöglichkeit auf Marktverschie­ bungen auch BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 96.

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B.  Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz

dingte Effizienzverluste wiegt, ist kaum ermittelt. Verläss­liche Daten hierzu fehlen nicht nur mit Blick auf die Postdienstexemtion, sondern generell branchenübergreifend für unechte Befreiungen1. Ferner von Nachteil sind die erhöhten Befolgungslasten für einen befreiten Unter­ nehmer, sofern er, wie öffentliche Posteinrichtungen generell, gleichfalls steuerpflichtige Umsätze verrichtet2. In dieser nicht seltenen Konstellati­ on einer partiellen Steuerpflicht müssen die abziehbaren Vorsteuerbeträ­ ge in einem ebenso aufwendigen wie streitanfälligen Verfahren den nicht freigestellten Umsätzen zugeteilt werden3, was betriebliche Ressourcen bindet und wiederum zu Ineffizienzen führt4. Schließlich darf keinesfalls verkannt bleiben, dass die Befreiung nur ge­ gen Übernahme einer Sonderlast im Gemeinwohlinteresse bewilligt wird. Wie hoch diese den verpflichteten Anbieter wirtschaftlich ein­ schränkt, kann nur anhand wiederum gegenläufiger Effekte verifiziert werden. Negativ wirkt die gleichbleibende Versorgung strukturschwa­ cher Regionen, so dass der Universaldienstleister auch ineffiziente Ver­ sorgungslagen ausreichend bedienen und entsprechende Infrastruktur vorhalten muss. Gleichwohl befördert die Grundversorgung auch positi­ ve Synergieeffekte durch eine verbesserte Netzauslastung, zudem ge­ nießt der verpflichtete Anbieter in aller Regel eine hohe Reputation5. Derartige Effekte sind bisweilen aber nicht nur schwer quantifizierbar, sondern es fehlen eben auch die hierzu benötigten Informationen aus den betriebsinternen Datensätzen des Grundversorgers. 2. Begünstigungsstellung der DPAG Die vorausgehend dargelegte Zusammenstellung bewertungsrelevanter Faktoren offenbart, dass sowohl gegen die Einschätzung der Bundes­ monopolkommission, mehr aber noch hinsichtlich der abweichenden Ansicht über ein zweistufiges Berechnungsverfahren, relevante Angriffs­ punkte bestehen. a) Wettbewerbsprivileg nach Ansicht der Bundesmonopolkommission Im Hinblick auf die seitens der Monopolkommission proklamierte Vor­ teilsstellung trifft es zu, dass die Aufteilung des Kundenportfolios sowie die darauf anteilig entfallenden Sendungsvolumina wesentliche Gesichts­ 1 Vgl. Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 86. 2 Dies betonend auch PWC, The impact on Universal Service of the Full Market ­Accomplishment of the Postal Internal Market in 2009, S. 92. 3 Vgl. zum Pro-rata-Satz Art. 173 ff MwStSystRL. 4 Siehe James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 52; mit Hinweis auf die zweifel­ hafte Quantität dieser Effekte Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (304). 5 Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 22.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

punkte bilden. Gleichermaßen gilt dies für kostendämmende Synergieund Skaleneffekte bei der Einsammlung und Zustellung großer Postmen­ gen1. Dennoch kann eine exakte Bewertung nicht abschließend auf diese Faktoren gestützt werden2. Noch schwerer wiegt, dass die entsprechen­ den Grundannahmen nicht durch empirische belastbare Datenanalysen verifiziert sind und insofern lediglich eine Einschätzung der Sachlage wiedergeben können3. Allein verwiesen wird auf die 2005 vorausgegan­ gene Studie von WIK-Consult. Ungeachtet der Tatsache, dass diese mehr als zehn Jahre zurückliegt und die seit 2010 geltende Fassung des § 4 Nr. 11b UStG noch nicht berücksichtigen konnte, findet sich darin ledig­ lich eine sehr vage Größenordnung zu möglichen Steuermehreinnahmen (150 bis 330 Mio. EUR). Diese Angabe quantifiziert aber gerade nicht den befreiungsbedingten Wettbewerbsvorteil der DPAG4. Überdies bezieht sich die Analyse von WIK‑Consult nur auf das Briefgeschäft. Völlig aus­ geblendet bleibt somit der Markt für Paketsendungen, obwohl vor allem dieser hohe Wachstumsraten verzeichnet und durch einen stärker eta­ blierten Wettbewerb geprägt wird. Schließlich vermag die Bundesmonopolkommission in ihrem vorletzten Sondergutachten 2013 auch nicht konkret zu belegen, inwiefern eine an­ geblich inkonsistente Befreiungspraxis die DPAG begünstigen sollte. An­ ders als unter der Geltung von § 4 Nr. 11b UStG a.F. ist die öffentliche Postzustellung entsprechend der eindeutigen Verwaltungsanweisung nunmehr steuerpflichtig5. Ein Wettbewerbsvorteil der DPAG kann sich in diesem preislich hart umkämpften Leistungssegment zukünftig nicht mehr einstellen6. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass derzeit zu Sonderkonditionen beförderte Massenpost gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG einheitlich nicht mehr freigestellt wird. Entsprechend der damali­ gen Behandlung von Geschäftskundenpaketen als steuerpflichtige Leis­ tungen mag die DPAG von dieser Entwicklung im Verhältnis zu vorsteu­ erberechtigten Kunden profitieren. Umgekehrt ergibt sich jedoch ein negativer Effekt, da Umsätze an nicht vorsteuerberechtigte Geschäfts­ kunden ebenso häufig zu Sonderkonditionen und damit steuerpflichtig ausgeführt werden. Ein positiver Gesamtsaldo durch die 2010 in Kraft 1 Siehe auch Kruse/Liebe, Netzzugang und Wettbewerb, 2005, S. 25 ff. 2 Siehe hierzu vorstehend 1. 3 Zurückhaltender auch BMK, Sondergutachten 2015, S. 75 f, wonach die BNetzA auf die betriebsinternen Daten der DPAG zurückgreifen müsste. 4 So ausdr. WIK-Consult, Umsatzsteuerbefreiung für Postdienste, 2005, Rz 18; abw. BMK, Sondergutachten 2013, S. 203 Fn 494. 5 Vgl. Abschnitt 4.11b Abs. 8 UStAE. 6 Die Steuerpflicht setzt die DPAG ab dem 01.09.2016 um, vgl. https://www.deutsche post.de/de/p/pza_postzustellungsauftrag.html (zuletzt abgerufen am 21.07.2017). Zum früheren Preisvorteil der DPAG gegenüber nicht steuerpflichtigen Behörden Goodarzi, NVwZ 2009, 80 (82).

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B.  Wirtschaftliche Auswirkungen in der Gesamtbilanz

getretene Rechtsänderung ist daher nicht offenkundig. Als zu stark ver­ kürzt verdient gleichsam der Hinweis Kritik, die Finanzverwaltung zeige sich bei der Bescheinigungsvergabe gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG allzu rigide gegenüber unternehmerischen Kooperationsformen, weshalb eine große Zahl von Anträgen bislang abgelehnt worden ist1. Richtig ist, dass die DPAG bislang der einzig bescheinigte Anbieter ist. In Wahrheit geht aber das anbieterneutrale Konzept der Bundesregierung deshalb nicht auf, weil die leistungsstarken und zu einer befreiungsadäquaten Grund­ versorgung prinzipiell fähigen Konkurrenzdienstleister keine Befreiung für eigene Umsätze anstreben, sondern vielmehr auf eine einheitliche Steuerpflicht pochen2. b) Zweistufiges Berechnungsverfahren Nicht zu überzeugen vermag das durch Jungblut vorgeschlagene zwei­ stufige Verfahren zur Berechnung der wirtschaftlichen Gesamtwirkung einer unechten Umsatzsteuerbefreiung. Dieser Ansatz bezieht zwar mit der Strukturierung des Kundenportfolios sowie unter Berücksichtigung der in Anspruch genommenen Vorleistungen im Verhältnis zur eigenen Wertschöpfung wichtige Einflussfaktoren in die ökonomische Betrach­ tung ein. Außer Acht gelassen wird jedoch eine große Anzahl weiterer erheblicher Gesichtspunkte wie etwa die Umfeldbedingungen des natio­ nalen Postmarktes, die Preis­elastizität oder die genaue Kosten-Einnah­ men-Struktur der Universaldienstversorgung. Im Ergebnis erweist sich dieses Konzept somit als ein zu stark vereinfachtes Modell, das den kom­ plexen Wirkungsverhältnissen der Umsatzsteuerbefreiung in dem durch die ERGP dargelegten Umfange nicht gerecht wird.

IV. Ergebnis Die exakte Bewertung darüber, welche wirtschaftlichen Gesamtauswir­ kungen einer unechten Umsatzsteuerbefreiung zukommt, kann sich als äußerst schwieriges Unterfangen darstellen3. Dies wird in besonderem Maße am Beispiel der Exemtion für Postdienstleistungen deutlich, da diese Vorgabe innerhalb eines komplex strukturierten Marktumfelds Geltung beansprucht4. Aus diesem Grunde müssen zahlreiche und zum 1 Siehe zuletzt auch FG Köln N&R 2015, 254 ff. 2 Siehe dazu etwa WirtschaftsWoche v. 05.08.2009, Boykott gegen Umsatzsteuer auf Briefe, abrufbar unter www.wiwo.de/unternehmen/postwettbewerber-boykott-ge­ gen-umsatzsteuer-auf-briefe/5564822.html (zuletzt abgerufen am 12.07.2017). 3 So allg. zur ökonomischen Bewertung von Steuervergünstigungen Micheau, State Aid, 2014, S. 30. 4 Dies gesteht auch die Bundesmonopolkommission ausdrücklich zu, vgl. BMK, Son­ dergutachten 2013, S. 203 Fn 494; vgl. ferner BReg BT-Drucks. 15/1414 v. 15.07.2003, S. 2.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

Teil wechselbezügliche Faktoren zunächst quantifiziert sowie anschlie­ ßend in eine umfassende Analyse eingestellt werden. Ob sich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL insgesamt als entscheidender Wettbewerbsvor­ teil, weniger bedeutsam oder wohlmöglich als besondere Last entpuppt, lässt sich ohne weiterführende Untersuchungen derzeit weder für die DPAG noch für andere Grundversorger im EU-Raum mit Gewissheit sa­ gen. Gleichwohl sprechen aber die unstreitigen Indizien, zu denen insbe­ sondere die hohe Wertschöpfung sowie die effektive Netzauslastung in­ folge hoher Sendungsmengen zählen, eher dafür, dass von der Befreiung eine positive Wirkung ausgeht.

C. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung Unbeschadet der Tatsache, dass derzeit keine belastbare Aussage über ihre wirtschaftliche Gesamtbilanz möglich sein mag, ruft die Umsatz­ steuerbefreiung für Postdienste unbestreitbare Verzerrungseffekte her­ vor. Diese müssen entsprechend der vorsteuerrechtlich bedingten Zwie­ spältigkeit des Gesamtkundensegments getrennt in den Blick genommen werden und zeichnen sich finanziell durch eine ambivalente Wirkungs­ struktur aus. Die von der vorsteuerlichen Versenderstellung abhängige Wirkung einerseits als Preisvorteil sowie andererseits als zusätzliche Kostenbelastung aus Sicht der öffentlichen Posteinrichtung ist letztlich das Ergebnis einer umsatzsteuerrechtlichen Ungleichbehandlung unter den verschiedenen (potenziellen) Marktteilnehmern. Dieses Phänomen tritt besonders gravierend in Erscheinung, sollte der zur Richtlinienum­ setzung erlassene Tatbestand exklusiv nur einen designierten Anbieter erfassen1. In den wenigen Mitgliedstaaten, die ebenso wie Deutschland eine subjektiv neu­ trale Verpflichtungsmöglichkeit gewählt haben, ist die Befreiung gemäß der Entscheidung „TNT Post UK“ jedoch ebenfalls ausschließlich auf solche Anbieter anwendbar, die eine flächendeckende Universaldienstversorgung in wenigstens einem abgeschlossenen Leis­ tungsbereich gewährleisten. Folglich bleibt die Steuerfreiheit aus recht­ lichen oder zumindest tatsächlichen Gründen regelmäßig auf einen ein­ zigen Anbieter beschränkt, bei dem es sich typischerweise um den privatisierten Nachfolger des ehemals hoheitlich verfassten Postverwal­ tungsbetriebs handelt2.

1 Siehe hierzu Teil 3 IV.E.3.a). 2 Entspr. ist in Deutschland aktuell allein die DPAG im Besitz einer Bescheinigung des BZSt, während konkurrierende Antragsteller bislang die hohen Qualitätsanfor­ derungen nicht erfüllen konnten, vgl. Bunte, in: Langen/Bunte, KartR, 12. Aufl., Syst. II Post Rn 24; Koenig/Hasenkamp/Kolbe, N&R 2011, 20 (23); krit. dazu Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 20 f.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

I. Systematische Einordnung der Ungleichbehandlung Innerhalb der funktionalen Reichweite einer Allphasennettosteuer er­ langt die befreiungsrechtliche Ungleichbehandlung mehrere formale Ausprägungen. Zu differenzieren gilt es zuvörderst zwischen Unterneh­ mer- und Verbraucherebene, die aber in aller Regel über den indirekten Mechanismus einer preislichen Überwälzung spiegelbildlich miteinan­ der verschränkt sind. Die nachfolgend skizzierte Zuteilung der relevan­ ten Ungleichbehandlung, anhand derer sich sowohl die wirtschaftlich erheblichen Verzerrungseffekte als auch die daran anknüpfende Konfor­ mitätsprüfung am Maßstab höherrangigen Rechts weitergehend konkre­ tisieren lassen, fördert eine vierpolige Wirkungsstruktur zutage. 1. Ungleichbehandlung auf Unternehmerebene Jede unechte Befreiungen wirkt sich ambivalent auf die unternehmeri­ sche Eingangs- und Ausgangsseite aus und erfasst innerhalb dieser Sphä­ re regelungstechnisch betrachtet zwei verschiedene Arten von Umsät­ zen1. Indem Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL allein die Freistellung von Leistungen durch eine öffentliche Posteinrichtung auslobt, betrifft die erste und zugleich offensichtlichste Form der Ungleichbehandlung die am Markt angebotenen Postdienste im Außenverhältnis. Nicht befreite Anbieter müssen die anfallende Steuerschuld als Kostenfaktor einkalku­ lieren, wohingegen sich diese Notwendigkeit für die öffentliche Postein­ richtung nicht stellt. Umgekehrt bedingt die unechte Befreiung einen Ausschluss des Vorsteuerabzugs zulasten des ordnungsrechtlich in die Grundversorgung eingebundenen Dienstleisters, während die Vorsteuer aus Sicht steuerpflichtiger Anbieter nur einen durchlaufenden Posten bildet. Die zweite systematisch verortete Ausprägung der Ungleich­ behandlung besteht folglich in einer steuerlichen Ungleichbehandlung hilfsweise benötigter Eingangsumsätze. 2. Ungleiche Steuerbelastung von Konsumaufwendungen Spiegelbildlich zur Unternehmersphäre sind auf Ebene der Verbraucher die ent­sprechend aufgewendeten Konsumausgaben als Indikator steuer­ lich relevanter Leistungsfähigkeit einer divergierenden Belastung ausge­ setzt. Die Auswirkung ist vornehmlich davon abhängig, auf welcher Stu­ fe innerhalb der gesamten Umsatzkette die unechte Freistellung eingreift. a) Postdienstbefreiung auf der Endstufe Bezieht ein Verbraucher oder ein diesem gleichgestellter Versender eine verpflichtend verrichtete Universaldienstleistung unmittelbar von 1 Zu dieser Unterscheidung allg. Reiß, in: DStJG 32 (2009), S. 9 (14 f).

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

einer öffentlichen Posteinrichtung, wird diese Konsumaufwendung ab­ weichend zum Regelfall nicht mit einer originär auf der letzten Stufe generierten Steuerschuld belegt. Realisieren kann sich in dieser Situati­ on als Abbild der ungleich behandelten Eingangsumsätze lediglich eine mittelbare Belastung in Form verdeckt überwälzter Umsatzsteuer aus den Vorstufen des befreiten Ausgangsumsatzes. Praktisch betrifft dies etwa Aufwendungen für Benzin, Fahrzeuge oder Gebäude samt Maschi­ nen als dem für die Versorgung benötigten Sachkapital. Sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach hängt die Konsumbelastung davon ab, in welchem Umfange der Universaldienstleister Vorleistungen in Anspruch genommen hat und inwiefern ihm die preisliche Überwälzung tatsäch­ lich gelingt. Da die postalische Wertschöpfung indes relativ hoch liegt, dürfte dem Grundversorger die Weitergabe seiner vorsteuerbedingt er­ höhten Betriebskosten regelmäßig gelingen1. b) Postdienstbefreiung auf der Zwischenstufe Wirkt Befreiung auf einer unternehmerischen Zwischenstufe, setzt sich die ungleiche Ausformung der Konsumbelastung in einer veränderten Bemessungsgrundlage fort2. Sofern Endverbraucher Umsätze von einem steuerpflichtigen Unternehmer beziehen, der seinerseits eine vorsteuer­ belastete Postbeförderung in Anspruch genommen hat, droht der Kumu­ lationseffekt3. Regelmäßig erhöht sich der Preis für die nunmehr steuer­ pflichtig ausgeführte Leistung um die nicht abziehbaren Vorsteuerbeträge, denn der Unternehmer wird stets gewillt sein, seine Kosten vollständig abzuwälzen. Gelingt diese Weitergabe, bildet die verdeckte Umsatzsteu­ er einen Bestandteil des Entgelts als maßgeblicher Bemessungsgrundla­ ge. In diesem Falle tritt indirekt eine Mehrbelastung der Verbraucher­ preise ein.

II. Wettbewerbsverzerrungen im Postsektor Die systematisch umschriebenen Ausprägungen der Ungleichbehandlung, welche die unechte Befreiung von Postdiensten auf Unternehmer- wie Verbraucherebene realisiert, schlagen wirtschaftlich betrachtet in Form relevanter Verzerrungseffekte unter den Marktteilnehmern aus. Diese bil­ den unbeschadet der aktuell unsicheren Befreiungsbilanz den maßgebli­ chen Untersuchungsgegenstand bezüglich der Frage, inwiefern Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL Eingriffscharakter gegenüber den primärrecht­ lich verbürgten Schranken der Umsatzsteuerharmonisierung entfaltet. 1 Siehe hierzu vorstehend A.I. 2 Vgl. Teichmann, StuW 1975, 189 (193). 3 Siehe hierzu Teil 2 A.II.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

1. Postalische Ausgangsumsätze im Wettbewerbsverhältnis Der Diktion des EuGH gemäß ist die äußere Beschaffenheit der erbrach­ ten Postdienste aus Kundensicht nicht maßgeblich für die Exemtion. Über die objektive Zuordnung einer Beförderung zum Universaldienst hinaus soll es allein entscheidend auf deren rechtliche Einbindung in den Verpflichtungskontext ankommen, so dass selbst die divergierende Be­ handlung äußerlich vollkommen gleich beschaffener Dienste neutrali­ tätskonform ausfallen muss1. Diese juristische Argumentation löst sich ersichtlich von einer wirt­ schaftsorientierten Bewertung darüber, ob durch alternative Anbieter verrichtete Dienste nicht gleichwohl faktisch in einem Wettbewerbsver­ hältnis zueinanderstehen können. Anlehnend an die kartellrechtlich ent­ wickelte Dogmatik, muss die Identifikation von Wettbewerb stets auf der Grundlage einer Marktabgrenzung vollzogen werden2. Ein (potenzieller) Wettbewerb liegt danach vor, soweit Güter auf einem gemeinsamen sach­ lichen, räumlichen und zeitlichen Markt angeboten werden (können)3. Die zeitliche Dimension besitzt für Postdienstleistungen allerdings inso­ fern keine Bedeutung, als deren Angebot nicht an ein befristetes Ereignis geknüpft ist4. Entscheidend muss folglich sein, inwiefern Postdienstleis­ tungen verschiedener Anbieter auf Teilmärkten in sach­licher und räum­ licher Hinsicht miteinander konkurrieren. Im Detail können die Abgren­ zungsmaßstäbe unterschiedlich weit gehandhabt werden, abhängig davon, in welchem rechtlichen Kontext die erforderliche Marktbestimmung steht. In befreiungsrechtlicher Hinsicht können unterdessen die in Miss­ brauchsentscheidungen anzutreffenden Wer­ tungen fruchtbar gemacht werden, wie sie in Anbindung an zeitlich abgeschlossene und damit aktu­ ell bestehende Ausschnitte des Wirtschaftsgeschehens auch der Ent­gelt­­ regulierung gemäß §§ 19 ff PostG zugrunde gelegt sind5. a) Sachlich relevanter Markt Die Bestimmung des sachlich relevanten Marktes, zu dem angebotene Güter oder gewerbliche Leistungen als dessen Bestandteile zählen, rich­ tet sich nach dem Bedarfsmarktkonzept6. Maßgeblich ist aus Sicht der adressierten Konsumenten, ob zwischen Produkten verschiedener An­ 1 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 36. 2 BMK, Sondergutachten 2013, S. 119 ff. 3 Bulst, in: Langen/Bunte, KartR, 12. Aufl., Art. 102 AEUV Rn 37 f; Schröter/Bartl, in: Eur WettbR, 2. Aufl., Art. 102 AEUV Rn 127. 4 Vgl. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl., § 18 Rn 63. 5 Vgl. Sedemund, in: Beck’scher PostG-Komm, 2. Aufl., § 19 Rn 40. 6 Füller, in: MüKo WettbR, 2. Aufl., Einl. Rn 1040; Mäger, in: Mäger, Eur KartR, 2. Aufl., 1. Kap Rn 132; Schröter/Bartl, in: Eur WettbR, 2. Aufl., Art. 102 AEUV Rn 133 ff.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

bieter eine funktionelle Austauschbarkeit besteht. Ein einheitlicher sach­ licher Markt ist folglich gegeben, wenn sich die betreffenden Erzeugnisse nach ihren Eigenschaften, dem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahestehen, dass der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet ansieht und deshalb ab­ wägend miteinander vergleicht1. Als Korrektiv gegenüber eventuell zu eng gefassten Grenzziehungen ist ergänzend die unternehmerische Flexi­ bilität zugunsten einer dynamischen Angebotsumstellung einzubezie­ hen2. Entscheidend für die Annahme von Wettbewerb zwischen dem befreiten Universaldienstleister und alternativen Anbietern ist somit im Aus­ gangspunkt, inwieweit sich aus Versendersicht die angebotenen Leistun­ gen als funktionell austauschbar präsentieren. Kriterien, die allgemein zum Zwecke der sachlichen Marktabgrenzung heranzuziehen sind, ge­ ben insbesondere der taugliche Verwendungszweck eines Erzeugnisses und dessen äußere Eigenschaften, das Preisniveau, die Verbraucherpräfe­ renzen und Gewohnheiten sowie rechtlich oder tatsächlich begründete Schranken für einen Bezugswechsel vor3. Die Kommission stellt speziell für den Postsektor in erster Linie darauf ab, auf welchen Gegenstand die Beförderung bezogen ist, mit welcher Geschwindigkeit sie erbracht wird und ob ein grenzüberschreitender Bezug existiert4. Ergänzend nimmt sie zudem eine Unterscheidung nach der Kundenstellung vor und dif­ ferenziert danach, ob bestimmte Postdienste durch Endverbraucher oder Unternehmer in Anspruch genommen werden. Auf dieser Grundlage er­ folgt grundsätzlich eine dreigliedrige Einteilung des Postsektors, wonach neben standardisierten Brief- und Paketsendungen der Expressdienst als ein weiteres Marktsegment hinzutritt5. Standardbriefe und -pakete sind aus Sicht der Verbraucher in aller Regel nicht austauschbar, da sie sich in äußerer Form und Preisniveau wesentlich unterscheiden. In Anlehnung an Art. 3 Abs. 4 PostRL sowie Art. 10 Abs. 3 und 4 WPV kann die Ge­ wichtsobergrenze für Briefe auf 2 kg beziffert werden. Sofern Sendungen bis zu dieser Größenordnung auch als teureres Päckchen aufgegeben wer­ den können, fällt der mögliche Überschneidungsbereich so gering aus, dass eine sachliche Marktabgrenzung gerechtfertigt ist6. 1 KOM ABl EG Nr. C 372 v. 09.12.1997, S. 5 (6); BGH v. 25.06.1986 WuW/E DE-R 2150 (2153). 2 Kerber/Schwalbe, in: MüKo WettbR, 2. Aufl., Einl. Rn 238 ff; Schröter/Bartl, in: Eur WettbR, 2. Aufl., Art. 102 AEUV Rn 146. 3 Vgl. die Auflistung bei Deister, in: Schulte/Just, KartR, § 19 GWB Rn 22. 4 Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 102, wonach insbesondere vergleichbare Umfeldbedingungen für einen einheitlichen (Teil-)Markt entscheidend sind. 5 Dazu Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 105. 6 So auch Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 106.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

Innerhalb der Oberkategorien des Brief- und Paketdienstes erfolgt eine detaillierte Aufgliederung in einzelne Teilmärkte. Diese orientiert sich insbesondere anhand der äußeren Leistungsbeschaffenheit, des Preis­ niveaus, eines grenzüberschreitenden Bezugs sowie der Angebotsum­ stellungsflexibilität. Gegenläufig zu diesem komplexen Segmentierungs­ prozess bleibt festzustellen, dass technologische Produktinnovationen bisweilen eine dynamische Verschmelzung unterschiedlicher Segmente zu neuen Teilmärkten bewirken und die sachliche Abgrenzung deshalb stetigen Veränderungen unterliegt. Im Folgenden wird lediglich versucht, die wesentlichen Teilmärkte im Postsektor auf ihre groben Züge redu­ ziert darzustellen. Diese Kategorisierung ist primär von heuristischem Wert und soll eine strukturierte Erfassung der Befreiungseffekte gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL am konkreten Umsetzungsbeispiel des § 4 Nr. 11b UStG ermöglichen. Diese übergreifende Zusammenstel­ lung lässt abschließend ersehen, innerhalb welcher Sachbereiche der postalische Wettbewerb verzerrt wird. aa) Expressdienst Der Expressdienst bildet ein eigenständiges Marktsegment, innerhalb dessen die Kommission nicht weiter zwischen Brief- und Paketdiensten differenziert1. Expressdienste stellen besondere Anforderungen an die Leistungserbringung und stehen daher in keinem funktionellen Aus­ tauschverhältnis zum Standardpostdienst. Maßgebliche Unterscheidungs­ merkmale gegenüber der Regelzustellung bilden die beschleunigte Beför­ derung, eine gesonderte Zustellung außerhalb der regulären Transportkette sowie ein erhöhtes Preisniveau2. Aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht un­ terfallen Expressdienste gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL nicht dem zwingend befreiten Universaldienst, denn ausschließlich erwähnt sind insoweit die Sonderformen des Einschreibens und der Wertsendung. Soweit die derzeit praktizierte Umsetzung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG nur auf diesen Mindestumfang rekurriert3, stellen sich aktuell keine Verzerrun­ gen ein. Diese Situation könnte sich indes grundlegend wandeln, sollte sich die DPAG gegenüber der Finanzverwaltung berechtigterweise auf das Prinzip der ordnungsrechtlichen Akzessorietät berufen. Eine sachli­ che Differenzierung ist mit der TNT-Rechtsprechung unvereinbar, solan­

1 KOM COMP/M.3155 v. 19.06.2003 – Deutsche Post/Securicor – Rz 9; COMP/M.2908 v. 21.10.2002 – Deutsche Post/DHL – Rz 12; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 13.08.2003 WuW/E DE-R 1149 (1154); BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 98. 2 BNetzA v. 26.03.2012, BK-511/24, S. 22. 3 Vgl. zum Ausschluss der Eildienste gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 PUDLV Abschnitt 4.11b.1 Abs. 5 Nr. 3 UStAE.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

ge Expresssendungen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 PUDLV explizit als Univer­ saldienst konstituiert sind1. bb) Förmliche Postzustellung Die förmliche Postzustellung iSd §§ 33 bis 35 PostG kann ebenfalls als eigenständiges Marktsegment qualifiziert werden. Hierfür spricht, dass diese Sendungsform der zuverlässigen Funktionsweise gerichtlicher wie auch behördlicher Verfahren dient; ihre äußere Beschaffenheit wird ent­ sprechend durch öffentlich-rechtliche Vorschriften in besonderer Weise festgelegt. So agiert der beauftragte Lizenznehmer gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 PostG als staatlich Beliehener, überdies bleibt die Nachfrage auf staatliche Einrichtungen limitiert. Außer der DPAG bieten zahlreiche Wettbewerber förmliche Zustellungen an, wobei der Marktaustritt eini­ ger größerer Anbieter eine Konzentration befördert hat2. Diese Entwick­ lung kann nicht mehr länger der Umsatzsteuerbefreiung angelastet wer­ den, da förmliche Postzustellungen gemäß § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG iVm Art. 3 Abs. 4 PostRL ausgenommen sind3. cc) Standardbriefdienste Der Gesamtmarkt für Briefdienste umfasst allgemein Sendungen mit ei­ nem Gewicht bis zu 2 kg. Dazu können außer den Briefsendungen im engeren Sinne, welche gemäß Art. 2 Nr. 7 PostRL als schriftliche Mittei­ lung auf einem physischen Träger jeglicher Art definiert sind, auch die dem weiter gefassten Postsendungsbegriff iSv Art. 2 Nr. 6 PostRL unter­ fallenden Zeitungen, Zeitschriften und adressierte Werbesendungen ­gezählt werden4. Abhängig davon, innerhalb welcher Zustellnetze die Beförderung erfolgt und wie hoch entsprechend die Angebotsumstel­ lungsflexibilität ausfällt, wird das Segment der Standardbriefsendungen in ein komplexes Geflecht einzelner Teilmärkte gegliedert. Wesentliche Abgrenzungskriterien ergeben sich zusätzlich aus der äußeren Leistungs­ beschaffenheit einschließlich der Kundenstellung sowie daraus, ob Brief­ sendungen in einem grenzüberschreitenden Kontext ausgeführt wer­ den. Teilweise wird darüber hinaus ein eigenständiger Teilmarkt für li­ zenzpflichtige Briefdienste angenommen5. Die BNetzA differenziert 1 Es handelt sich hierbei um eine richtlinienkonforme Umsetzung, da Art. 3 Abs. 4 PostRL nur den Mindestumfang setzt und eine weitergehende nationalrechtliche Definition des Universaldienstes somit zulässt. 2 BNetzA, Marktuntersuchung 2014, S. 14. 3 Vgl. Abschnitt 4.11b Abs. 8 UStAE. 4 Siehe zur Ausgrenzung unadressierter Werbesendungen nachfolgend unter 2). 5 So für Briefe bis zu 100 g Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl., § 18 Rn 73 StW Postdienstleistungen; a.A. Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 108.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

zum Zwecke ihrer Postmarktbeobachtung zwischen lizenzpflichtigen Briefdiensten von nicht mehr als 1.000 g (§ 5 Abs. 1 PostG) sowie dem nicht lizenzierten Bereich sonstiger Postdienstleistungen1. 1) Postvorbereitende Dienstleistungen Der postalischen Beförderungskette vorgeschaltet sein können vorbe­ reitende Dienstleistungen. Diese umfassen etwa den Ausdruck, die Ku­ vertierung, Etikettierung, Adressierung und Frankierung vornehmlich elektronisch übermittelter Dokumente in sog. „letter shops“2. Sie wei­ sen folglich nur einen mittelbaren Bezug zu originären Postdienstleistun­ gen auf und liegen außerhalb des Befreiungsfokus. 2) Nicht adressierte Werbesendungen Ebenfalls gegenständlich vom Standardbriefmarkt abzugrenzen ist nicht adressierte Haushaltswerbung mittels Postwurfsendungen; diese können ebenso gut durch regional tätige Dienstleister außerhalb eines flächende­ ckenden Zustellnetzes verteilt werden3. Zudem entfällt anders als bei der Standardpost eine vorherige Sortierung. Un­adressierte Werbung ge­ hört nicht zum befreiten Universaldienst gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL, da sich dieser unter Verweis auf Postsendungen iSv Art. 2 Nr. 6 und 7 PostRL abschließend aus Beförderungen an individualisierte Empfänger zusammensetzt. 3) Getrennte Teilmärkte für Geschäfts- und Privatkunden Für den nationalen Briefdienst wird eine weitergehende Segmentierung nach Geschäfts- und Privatkunden befürwortet4. Für eine solche Abgren­ zung spricht, dass Geschäftskunden regelmäßig über höhere Sendungs­ volumina und damit potenzierte Nachfragemacht verfügen5. Aus diesem Grunde findet häufig eine Abholung der Poststücke beim Absender oder deren direkte Einlieferung außerhalb der üblichen Annahmestellen statt. Für die Beförderung von massenhafter Geschäftspost gelten deshalb typi­ scherweise Mengenrabatte6. Demgegenüber sind private Verbraucher ge­ 1 BNetzA, Marktdaten 2008–2012, S. 5. 2 Vgl. zu hybriden Briefdienstleistungen mit elektronischer Abwicklung BNetzA, Marktdaten 2008–2012, S. 23. 3 Vgl. OLG Frankfurt v. 22.02.2005 WuW/E DE-R 1589; OLG Celle v. 07.04.2005 ­WuW/E DE‑R 1592; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl., § 18 Rn 73 StW Postdienstleistungen; Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 109. 4 KOM COMP/M.6503 v. 04.07.2012 – La Poste/Swiss Post – Rz 22; Grave, in: Jae­ ger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 116. 5 BMK, Sondergutachten Post 2013, S. 122. 6 KOM ABl EG Nr. C 39 v. 06.02.1998, S. 8.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

zwungen, ihre Sendungen traditionell an Postschaltern oder stationären Briefkästen aufzugeben, auch können sie ihre Poststücke in aller Regel nicht bündeln oder sonstige preiserhebliche Vorleistungen und Sen­ dungsmengen erzielen1. Im Hinblick auf lizenzierte Briefdienste gemäß § 5 Abs. 1 PostG, zu de­ nen insbesondere der Standardbrief zu 20 g zählt, konnten alternative Anbieter gegenüber der DPAG seit 2011 leicht zunehmende Marktantei­ le behaupten2. In 2013 lag der auf Konkurrenten entfallende Anteil an Gesamtumsatz und Sendungsmengen im Briefbereich bei jeweils 12,3 %3, für 2016 betrug der Anteil an den Umsätzen inklusive Sendungen über 1.000 g 14,4 % sowie der Anteil an den Sendungsmengen 16,2 %4. Ins­ gesamt verzeichnet die DAPG trotz des 2008 entfallenen Restmono­ pols nach wie vor eine überaus starke Stellung für adressierte Briefe bis zu 1.000 g. Zu dieser verhaltenen Wettbewerbsentwicklung trägt bei, dass die weit überwiegende Mehrzahl konkurrierender Dienstleister aus­ schließlich für Geschäftskunden operiert5. Durch hohe Stückmengen werden eine bessere Netzauslastung sowie positive Skaleneffekte bei der Einsammlung und Zustellung erstrebt6. Im Verhältnis zu nicht vor­ steuerberechtigten Privatverbrauchern unterfallen Standardbriefe ein­ schließlich weiterer Sendungen iSv Art. 3 Abs. 4 PostRL zwingend der Befreiung. Sofern die DPAG die gesamte Beför­derungskette für Univer­ saldienste flächendeckend anbietet, profitiert sie derzeit als einziger ge­ mäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG bescheinigter Anbieter von einem Preisvor­ teil in Höhe von 19 % abzüglich der anteiligen Vorsteuerbelastung. Die Postdienstbefreiung errichtet in diesem Marktsegment eine wettbe­ werbsverzerrende Markteintritts­bar­riere7. 4) Teilleistungen innerhalb der Beförderungskette Nicht zuletzt im Hinblick auf Geschäftskunden ist weiterhin von Rele­ vanz, dass die einzelnen Leistungselemente der Briefbeförderung für sich 1 In Deutschland wird das Privatkundensegment nahezu ausschließlich durch die DP-Gruppe bedient, vgl. BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 96. 2 Dieser Trend scheint sich im Zuge der letzten Portoerhöhung durch die DPAG im Hinblick auf Massenversender zu verstärken, vgl. dazu F.A.Z. v. 08.12.2016, Der Deutschen Post laufen die Großkunden davon, abrufbar unter http://www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/der-deu­tschen-post-laufen-die-grosskunden-davon-14565157. html (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 3 Siehe BNetzA, Marktuntersuchung 2014, S. 8. 4 BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 95. 5 Vgl. BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 96. 6 So bietet z.B. Postcon die Zustellung von Geschäftspost ab einem Volumen von 50 Briefen täglich täglich an, vgl. http://www.postcon.de/postversand-produkte/ briefpost/ (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 7 Siehe hierzu nachstehend 2.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

einen jeweils gesonderten Teilmarkt repräsentieren1. Die gesamte Wert­ schöpfungskette im Briefmarkt setzt sich aus mehreren Stufen zusam­ men. Zwischen die anfängliche Aufgabe einer Sendung und ihre endgül­ tige Zustellung sind wesentliche Leistungsschritte geschaltet. Diese umfassen die Abgangssortierung in einem Abgangsbriefzentrum (BZA), den anschließenden Hauptlauf zur Eingangssortierung in einem Ein­ gangsbriefzentrum (BZE) sowie den der Zustellung vorausgehenden Nachlauf zu einem Zustellstützpunkt (ZSP)2. Infolge der Zuteilung die­ ser Leistungsstufen zu einem jeweils abgegrenzten Marktsegment haben sich zwei wesentliche Ausformungen des Wettbewerbs im Briefdienst entwickelt3. Alternative Anbieter treten einerseits in Konkurrenz zur DPAG, indem sie die gesamte Wertschöpfungskette der Beförderung ab­ decken und zwecks Erbringung dieser „Ende-zu-Ende-Leistungen“ eine autonome Infrastruktur unterhalten. In Deutschland sind derartige Brief­ dienstleister zumeist nicht flächendeckend aktiv und decken durch ihr Angebot etwa 9 % des gesamten Briefumsatzes ab4. Daneben existiert ein Wettbewerb um Vorleistungen5. Konsolidierer konzentrieren insoweit ihr Geschäftsmodell darauf, große Sendungsmengen direkt bei ihren Kunden abzuholen, zu bündeln und vorsortiert in das vorgegebene BZA oder BZE der DPAG gegen Gewährung eines erheblichen Entgeltra­batts einzuliefern. Genutzt wird insofern der gemäß § 28 PostG ordnungs­ rechtlich abgesicherte Zugang zum flächendeckenden Zustellnetz der DPAG als sog. Incumbent, dessen Tätigkeit sich in der ergänzenden Aus­ führung der jeweils übrigen Teilausschnitte aus der gesamten Briefbeför­ derungskette erschöpft6. Zwischen Konsolidierern und der DPAG existiert kein direktes Wettbe­ werbsverhältnis, da Letztere gegenüber Geschäftskunden nicht in ver­ gleichbarer Weise isolierte Vorleistungen am Markt anbietet7. Das Ange­ bot der DPAG beschränkt sich insofern auf vergünstigte Teilleistungen, wobei ein entsprechender Netzzugang sowohl im Verhältnis zu Konsoli­ dierern als auch unmittelbar zugunsten eigener Geschäftskunden ge­ währt werden muss. Ein relevantes Wettbewerbsverhältnis zur DPAG ist daher nur möglich, soweit alternative Anbieter im Rahmen eines Infra­ 1 KOM ABl EG Nr. C 39 v. 06.02.1998, S. 7; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mest­ mäcker, GWB, 5. Aufl., § 18 Rn 73 StW Postdienstleistungen. 2 Anschaulich Kruse/Liebe, Netzzugang und Wettbewerb, 2005, S. 17. 3 Thiele/Zauner, N&R 2011, 137; BMK, Sondergutachten 2013, S. 122 f. 4 BNetzA, Marktdaten 2008–2011, S. 8 ff. 5 Dieser macht in Deutschland etwa 12 % der von Wettbewerbern erbrachten Brief­ dienste aus, BNetzA, Marktdaten 2008–2011, S. 13; vgl. auch WIK Consult, Netzzu­ gang im Briefmarkt, Diskussionsbeitrag Nr. 382, 2013. 6 Ein Großteil der Briefe wird über den Netzzugang versandt, vgl. BNetzA, Jahresbe­ richt 2016, S. 96. 7 So auch BMK, Sondergutachten 2013, S. 123, obwohl die DPAG durch eigene Toch­ terunternehmen konzernintern Vorleistungen erbringen lässt.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

strukturwettbewerbs ebenfalls einen vergünstigten Netzzugang anbieten und damit auf identischen Marktsegmenten aktiv sind1. In diesem Falle statuiert die Umsatzsteuerbefreiung nach den aktuell seitens der Finanz­ verwaltung praktizierten Grundwertungen gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. a) und b) UStG keinen entscheidenden Wettbewerbsfaktor, da zu Son­ derbedingungen verrichtete Teilleistungen nicht das Allgemeininteresse be­frie­di­gen2. Außerhalb des Vorleistungssegments ist die DPAG weiterhin einer Kon­ kurrenzsituation um Geschäftskunden ausgesetzt, soweit andere Brief­ dienstleister identische Wertschöpfungsstufen aus der Beförderungskette bedienen. Für diese sachlichen Teilmärkte divergiert die befreiungsrecht­ liche Wirkung nach der jeweiligen Kundenstellung. Im Hinblick auf ver­ sendungsstarke Leistungsempfänger, die regelmäßig über ausreichend hohe Briefmengen verfügen, rentiert sich in aller Regel der dauerhaft er­ forderliche Aufwand zur Erzielung eines Entgeltrabatts. Zu berücksichti­ gen ist in diesem Zusammenhang, dass die DPAG Vergünstigungen auf große Sendungsvolumina nur in Kombination mit weiteren bestimmten Vorleistungen gewährt3. Notwendig sind insbesondere die Bündelung, Vorsortierung und Einlieferung der Briefe in ein BZA oder BZE. Diese Vorleistungen kann der jeweilige Geschäftskunde im Rahmen eines ­eigenen Teilleistungszuganges entweder in Eigenregie oder durch die Auslagerung an einen Konsolidierer bewerkstelligen. Innerhalb dieses Kundenumfelds findet die Umsatzsteuerbefreiung bei gewährten Sonder­ konditionen gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG indes keine Anwendung4. Diese umsatzsteuerliche Wettbewerbsgleichheit könnte sich jedoch in ihr Gegenteil verkehren, sollte die DPAG gegenüber der Finanzverwal­ tung die Anerkennung einer generellen Steuerfreiheit für AGB-Leistun­ gen gerichtlich durchsetzen5. Analog zum Privatkundenmarkt könnte dann auch im sendungsstarken Geschäftskundensegment die preiswirk­ same Entlastung der DPAG in Bezug auf nicht vorsteuerbefugte Em­ pfänger ausgedehnt werden, während mit dem Vorsteuerausschluss eine nachteilige Kostenbelastung bei Leistungen an steuerpflichtige Unter­ nehmer einherginge6. 1 Vgl. entspr. für Auslandsbriefe KOM COMP/M.1915 v. 13.03.2001 – The Post Of­ fice/TPG/SPPL – Rz 30. 2 Abschnitt 4.11b.1 Abs. 6 UStAE. 3 Vgl. zum „Mengenversand Brief“ DPAG, Leistungen und Preise, Stand: 01.07.2017, S. 34, abrufbar unter www.deutschepost.de/preise (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 4 Abschnitt 4.11b.1 Abs. 6 und Abs. 7 UStAE; vgl. ferner Bundesverband Briefdienste, Wettbewerbshürden im deutschen Briefmarkt, 2013, S. 3. 5 Vgl. DPAG, Stellungnahme BT-Drucks. 17/506, S. 3; dafür auch BMK, Sondergutach­ ten 2009, S. 109 f. 6 Verzerrungseffekte am Markt fallen daher umso stärker aus, je weiter der Umfang der befreiten Universaldienste gezogen wird, vgl. WIK-Consult, Review of the postal market, 2015, S. 44, 52.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

Neben Großversendern existiert eine Reihe kleiner und mittelständi­ scher Unternehmen sowie Einrichtungen, die zwar ständig auf Brief­ dienste angewiesen sind, gegenüber einem Universaldienstleister aber dennoch Entgeltrabatte nicht regelmäßig in Anspruch nehmen1. Aus­ schlaggebend kann hierfür sein, dass die anbieterspezifisch vorgegebenen Sendungsmengen unterschritten sind. Außerdem scheuen nicht wenige Versender den erheblichen Aufwand an notwendigen Vorleistungen und geben ihre Post daher im Wesentlichen zu gleichen Bedingungen auf wie private Verbraucher2. In diesem Falle statuiert die wirksame Befreiung von Universaldiensten gemäß § 4 Nr. 11b UStG eine wettbewerbsrele­ vante Ungleichbehandlung von Anbietern, die ihre Briefdienste auf sach­ lich identischen Teilmärkten entsprechender Gewichtsklassen und ver­ gleichbarer Leistungsmerkmale überschneidend erbringen. Speziell für die DPAG wirkt die Steuerfreiheit ihrer Ausgangsumsätze positiv im Verhältnis zu nicht vorsteuerberechtigten Kunden, nachteilig aber ge­ genüber steuerpflichtigen Unternehmern. 5) Grenzüberschreitender Standardbriefdienst Der grenzüberschreitende Briefdienst setzt sich aus ab- und eingehenden Sendungen zusammen. Zentrale Bedeutung für die sachliche Marktab­ grenzung besitzt das physisch genutzte Zustellnetz. Während mithilfe von Austauschstellen in das inländische Netz eingespeiste Briefe dem nationalen Standardbriefdienst zugeordnet werden, bilden abgehende Sendungen, die regelmäßig ein im Ausland ansässiger Postanbieter über­ nimmt, ein gesondertes Segment3. Innerhalb des weltpostvertraglich in­ stallierten Systems einer reziproken Zustellgarantie findet die Abwick­ lung des grenzüberschreitenden Postverkehrs ausschließlich in einem Kooperationsverhältnis durch die gemäß Art. 2 Abs. 1 WPV hoheitlich designierten Universaldienstleister statt. Konkurrierend zu diesem mul­ tilateralen Mechanismus existieren indes auch private Anbieter, die ins­ besondere auf dem Markt für abgehende Auslandspost grenzüberschrei­ tende Sen­dung­en von Geschäftskunden im Inland bündeln4. Ebenfalls möglich, wenn auch praktisch von weitaus geringerer Bedeutung ist eine Konkurrenzsituation um eingehende Auslandspost5. Für die zwischen­ 1 Nicht vorsteuerabzugsberechtigte Kleingewerbetreibende und Freiberufler können insofern der Privatpost zugeordnet werden, vgl. BMK, Sondergutachten 2013, S. 122 Fn 21. 2 Eine häufige Ausnahme stellt lediglich der Einsatz von Frankiermaschinen dar; inso­ fern bildet die 1 %-ige Entgeltreduzierung der DPAG indes eine nicht befreiungs­ schädliche Vergünstigung, vgl. Abschnitt 4.11b.1 Abs. 3 Satz 5 UStAE. 3 Vgl. KOM COMP/M.6503 v. 04.07.2012 – La Poste/Swiss Post – Rz 24. 4 Vgl. dazu KOM COMP/C/38.170 v. 23.10.2003 – REIMS II – Rz 71. 5 Siehe auch KOM COMP/M.1915 v. 13.03.2001 – The Post Office/TPG/SPPL – Rz 30; KOM COMP/C/38.170 v. 23.10.2003 – REIMS II – Rz 71.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

unternehmerisch abgewickelte Beförderung internationaler Post wurde bereits erläutert, dass Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL den Universal­ dienstverkehr sowohl mit Drittstaaten als auch für innergemeinschaftli­ che Sendungen zwingend freistellt1. Hinsichtlich der in Drittstaaten ver­ richteten Zustelldienste gilt dies jedoch nur mit der Maßgabe, dass der Leistungsort entgegen Art. 59a lit. a) MwStSystRL nicht in das Gebiet der faktischen Ausführung verlagert worden ist2. Im Rahmen dieses konkretisierten Anwendungsbereichs determiniert die Befreiung auf dem Markt für eingehende EU-Auslandspost die unter­ nehmerische Auswahlentscheidung bezüglich möglicher Kooperations­ partner, falls der ursprünglich beauftragte Anbieter im Abgangsstaat selbst als öffentliche Posteinrichtung operiert. Aufgrund der originären Befreiungsstellung definiert die Auftragsvergabe an einen gleichfalls be­ freiten Universaldienstleister im Zielstaat eine wirtschaftlich günstigere Präferenz, da anstelle der Steuerpflicht auf die eigens generierte Wert­ schöpfung allenfalls die niedrigere Vorsteuerbelastung in die Endver­ gütung eingepreist wird3. Dies gilt ungeachtet dessen, ob nach der Kom­ missionsansicht der Universaldienstumfang am Abgangsort der Sendung entscheidend ist oder aber vorzugswürdigerweise eine abschnittsweise Betrachtung eingehalten wird. Im Bereich der abgehenden Briefpost fällt die Wirkung nach dem jeweils angewandten Befreiungskonzept ungemein komplexer aus. Als Grundpa­ rameter ist dabei zu beachten, dass im grenzüberschreitenden Briefver­ kehr nahezu ausschließlich staatlich verpflichtete Universaldienstleister die eingehende Auslandspost übernehmen4. Nach dem Kommissionsan­ satz profitiert ein steuerpflichtiger Anbieter insofern, als die einheitliche Beförderungskette ungeachtet des ausländischen Anbieterstatus in jedem Falle nicht befreit wäre5. Die im reverse charge auf die Endvergütung ge­ schuldete Umsatzsteuer kann somit im Wege des Vorsteuerabzugs neu­ tralisiert werden, was wiederum einen Kostenvorteil gegenüber ihrerseits vorsteuerbefugten Geschäftskunden im Inland zur Folge hat. Aus Sicht einer öffentlichen Posteinrichtung ist eine mögliche Preisbegünstigung gegenüber deren nicht vorsteuerbefugten Kunden unterdessen von der Wertschöpfung abhängig. Zu den eigenen Vorsteuerbeträgen addiert sich nämlich die auf der unecht befreiten Endvergütung ruhende Vorsteuerbe­ lastung des auslän­dischen Grundversorgers, so dass der Entlastungseffekt 1 Siehe hierzu Teil 3 F.I.4. 2 Gemäß § 3a Abs. 8 Satz 1 UStG sind Verzerrungen auf die innergemeinschaftlich beförderten Sendungen begrenzt. 3 Siehe Art. 169 lit. a) MwStSystRL. 4 Vgl. BMK, Sondergutachten 2015, S. 13; Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Post­ sektor, Rn 112. 5 Es fehlte insoweit an der doppelseitigen Stellung als öffentliche Posteinrichtung.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

wegen gleichsam doppelt überwälzter Vorsteuern aufgezehrt sein könnte. Abstellend auf die an den faktischen Verrichtungsort gebundene Perspek­ tive, ergibt sich für öffentliche Posteinrichtungen ­keine Änderung, sofern die Auslandszustellung befreit ausgeführt wird. In diesem Falle erleidet ein steuerpflichtiger Alternativanbieter allerdings im Verhältnis zu nicht vorsteuerbefugten Kunden eine definitive Schlechterstellung, da sich die Steuerschuld auf seinen Ausgangsumsätzen um die in der Endvergütung verdeckt weitergereichte Vorsteuer erhöht. Im Segment vorsteuerberech­ tigter Geschäftskunden ist hingegen immer noch von Vorteil, dass allein die in der Endvergütung kalkulierte Vorsteuer überwälzt werden muss, während die im Inland befreite öffentliche Posteinrichtung weitergehend auch die eigene Vorsteuerbelastung einzupreisen hat. dd) Standardpaketdienste Für den Paketdienst ist eine mitunter schwierige Abgrenzung zum Frachttransport erforderlich. Diese richtet sich in erster Linie nach Grö­ ßen- und Gewichtsgrenzen1. Maßgebliches Ziel der Paketdienstleister ist insoweit, die Transportkosten durch standardisierte Verfahrensabläufe und maschinelle Verarbeitung zu reduzieren, während im Frachtgeschäft eine individuelle Behandlung des Stückguts sowie längere Beförderungs­ zeiten vorherrschen2. Parallel zur Briefbeförderung erfolgt auch inner­ halb des Paketdienstes eine sachliche Marktabgrenzung nach den be­ dienten Kunden sowie einem grenzüberschreitenden Bezug der Sendung. 1) Teilmärkte für Privat- und Geschäftskunden Die Aufteilung des Paketdienstes in zwei eigenständige Segmente für Privat- und Geschäftskunden erfolgt aus gegenüber dem Briefdienst iden­ tischen Gründen3. Die Kommission verwendet zur weiteren Umschrei­ bung dieser Differenzierung den Begriff des (standardmäßigen) Schalter­ pakets in Abgrenzung zu Versandhandelspaketen4. Eine entsprechende Praxis besteht auch in Deutschland, soweit das Schaltergeschäft gegen­ über Privatkunden vom Vertragsgeschäft für Geschäftskunden separiert ist5. Anders als im Briefmarkt verfügen konkurrierende Paketdienstleis­ 1 Ein Zusteller muss das Paket ohne Hilfsmittel tragen können, vgl. KOM COMP/35.141 v. 20.03.2001 – Deutsche Post AG – Rn 28; OLG Düsseldorf v. 13.08.2003 WuW/E DE‑R 1149 (1152); BKartA v. 15.06.2005 – B9-49/05 – Deutsche Post/Karstadt Quelle/GPL, S. 7. 2 Dazu allg. KOM COMP/M.6503 v. 04.07.2012 – La Poste/Swiss Post – Rz 22. 3 KOM COMP/M.5152 v. 21.04.2009 – Posten AB/Post Danmark A/S – Rz 15; Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 127. 4 KOM COMP/35.141 v. 20.03.2001 – Deutsche Post AG – Rz 26 ff. 5 OLG Düsseldorf v. 13.08.2003 WuW/E DE-R 1149 (1154); BKartA v. 15.06.2005 – B9‑49/05 – Deutsche Post/Karstadt Quelle/GPL, S. 13 f; Grave, in: Jaeger u.a., Frankf­ Komm, SB Postsektor, Rn 127.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

ter über nicht unerhebliche Marktanteile im Verhältnis zur DPAG, so dass dieser Bereich durch ein stärkeres Wettbewerbsumfeld geprägt wird. Führend in Deutschland sind derzeit neben DPAG/DHL die vier großen Anbieter Hermes, DPD, UPS und GLS, die ihre Leistungen gegenüber Pri­ vat- und Geschäftskunden erbringen1. Im Vergleich zur Briefbeförderung verfügt die Befreiung im nationalen Paketdienst über eine identische Wir­ kungsstruktur. Danach genießt die DPAG in Bezug auf Privatkunden und nicht vorsteuerberechtigte Kleinversender einen kalkulatorischen Preis­ vorteil, während der Vorsteuerausschluss bei gelegentlich durch steuer­ pflichtige Unternehmer aufgegebenen Schalterpaketen belastend ausfällt. Bei Großversendern gewährleistet hingegen die Ausnahmebestimmung des § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG eine umsatzsteuerrechtliche Gleichbehand­ lung durch Steuerpflichtigkeit, da diese regelmäßig universaldienstatypi­ sche Sonderkonditionen wie Abholservice, Beratung und insbesondere Entgeltrabatte beziehen2. 2) Internationaler Paketdienst Ebenso wie beim Standardbrief differenziert die Kommission für Pakete zwischen national und international durchgeführten Beförderungen3. Der praktische Ablauf des internationalen Paketversands kann dabei auf zweierlei Weise organisiert sein4. Nach dem traditionellen Modell des WPV-Systems erfolgt die weitere Beförderung und Zustellung durch ei­ nen Anbieter im Ausland gegen Endvergütung. Sofern die Paketsendung dem Universaldienst unterfällt und ein staatlich verpflichteter Anbieter in die Beförderungskette eingeschaltet wird, begünstigt Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die durchgehende Beauftragung gleichsam befreiter Universaldienstleister. Verglichen mit dem Briefdienst dürfte dieser Ver­ zerrungseffekt jedoch ein geringes Ausmaß erreichen, da für den Trans­ port von Auslandspaketen zumindest im EU-Raum eine größere Anzahl alternativer Anbieter zu Verfügung steht, die weder im Abgangs- noch im Zielstaat als öffentliche Posteinrichtungen anerkannt sind und in deren Distributionsnetzwerke kleinere Dienstleister ihre eingesammelten Sen­ dungen einspeisen können5. 1 BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 98; BMK, Sondergutachten 2013, S. 132 f, wonach DPAG/DHL für 2012 einen Anteil am Gesamtumsatz aller Paketdienstleister von 42,5 %, DPD von 18,8 %, Hermes von 12,5 %, UPS von 17,5 % und GLS von 8,7 % verzeichneten. 2 So gewährt DPAG/DHL ihren Geschäftskunden für den nationalen und internatio­ nalen Paketversand „Sparsets“ bereits ab 50 Sendungen sowie eine persönliche Betreu­ ung mit individuellen Transportlösungen und Tarifen ab 200 Sendungen, vgl. unter www.dhl.de/de/paket/geschaeftskunden.html (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 3 KOM COMP/M.6503 v. 04.07.2012 – La Poste/Swiss Post – Rz 21; COMP/35.141 v. 20.03.2001 – Deutsche Post AG – Rz 27. 4 Siehe Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 126. 5 Vgl. WIK Consult, Postmarkterhebung 2014, S. 19 f.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

Abweichend zum Briefmarkt unterhalten indes mittlerweile die bedeu­ tenden Marktteilnehmer eine autarke Infrastruktur im Ausland. Ermög­ licht wird dies, da der Pa­ketdienst eine höhere Rentabilität aufweist und ein weniger dichtes Netz von Zustellern für eine effektive Versorgung bereitgehalten werden muss1. So verfügt etwa die DPAG mit ihrem zu 100 % gehaltenen Tochterunternehmen DHL International GmbH (Deut­ sche Post DHL Group) über eine weltweite Präsenz und bietet eigenstän­ dig sowohl gegenüber Privat- als auch Geschäftskunden die grenzüber­ schreitende Paketbeförderung in 220 Länder an2. Die DPD Group bildet das grenzüberschreitende Transportnetzwerk von GeoPost, einer hun­ dertprozentigen Tochter der französischen La Poste. Sie unterhält europaweit ein einheitliches Netzwerk für die internationale Paket­ ­ zustellung in 35 Ländern3. Als größter postunabhängiger Belieferer priva­ ter Endkunden im Bundesgebiet verfügt die Hermes Logistik Gruppe Deutschland GmbH für ihren grenzüberschreitenden Paketversand in­ nerhalb Europas über eigene Zustellnetzwerke in Österreich (Hermes Lo­ gistik GmbH & Co. KG), Großbritannien (Hermes UK), Italien (Hermes Italia S.p.A.) und Russland (Hermes-DPD)4. In vergleichbarer Weise bietet die durch Royal Mail gehaltene GLS Gruppe innerhalb Europas einen Pa­ ketversand in 37 Staaten, dessen Netzwerk größtenteils über 18 Tochter­ gesellschaften sowie ergänzend durch Subunternehmer abgedeckt wird5. Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich aus Sicht des Absenders im grenz­ überschreitenden Paketversand zunehmend eine Konkurrenzsituation zwischen integrativen Zustellnetzen herausgebildet hat. Umsatzsteuer­ rechtlich betrachtet führt die Befreiung zu einer wettbewerbsverzerren­ den Ungleichbehandlung, sofern nur der jeweils (staatlich) verpflichtete Anbieter als öffentliche Posteinrichtung anerkannt wird. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass für Beförderungen innerhalb des Unionsgebiets, die ein Unternehmer einheitlich durch sein autarkes Zustellnetz aus­ führt, der steuerliche Leistungsort sowohl bei Privatverbrauchern (Art. 47 UAbs. 1, Art. 48 MwStSystRL) als auch bei Geschäftskunden (Art. 44 MwStSystRL) jeweils am Abgangsort der Sendung liegt6. Ungeachtet der physischen Grenzüberschreitung ergibt sich daher im Hinblick auf Steu­ 1 Grave, in: Jaeger u.a., FrankfKomm, SB Postsektor, Rn 126. 2 Vgl. www.dhl.de/de/ueber-uns/unternehmensportrait.html (zuletzt abgerufen am 22.07.2016). 3 Vgl. https://www.dpd.com/de/unternehmen/unternehmen/dpd_deutschland?u­tm_ sou­rce=Pri­vat­kunden%20Website&utm_medium=Header&utm_campaign=Header% 20Navigation (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 4 Vgl. https://www.hermesworld.com/int/about-us/hermes-group/ (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 5 Vgl. www.gls-group.eu/DE/de/gls-gruppe (zuletzt abgerufen am 14.07.2017). 6 Erfolgt hingegen die Beförderung für einen Privatverbraucher aus der EU in einen Drittstaat, ist dieser Teil der Leistung nicht am Abgangsort steuerbar, vgl. für § 3b Abs. 1 Satz 2 UStG Abschnitt 3b.1 Abs. 4 UStAE; für Geschäftskunden als Unter­

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

erbarkeit und Steuerpflicht des Umsatzes kein entscheidender Unter­ schied zu einer rein national ausgeführten Paketbeförderung. Entspre­ chend sind in Deutschland derzeit nur Leistungen der DPAG/DHL gemäß § 4 Nr. 11b UStG freigestellt, während sämtliche Konkurrenzan­ bieter ungeachtet ihrer konzernstrukturellen Verflechtung mit einem ausländischen Universaldienstleister steuerpflichtige Ausgangsumsätze erbringen. Inhaltlich entsprechen die befreiungsrechtlich verursachten Verzerrungseffekte denjenigen, wie sie bereits vorstehend für den natio­ nalen Brief- und Paketdienst in Abhängigkeit des Kundenportfolios um­ schrieben worden sind. b) Territorial relevanter Markt Geografisch betrachtet wird bislang sowohl für private als auch geschäft­ liche Brief- und Paketpost einschließlich der ein- und abgehenden Aus­ landssendungen ein nationaler Markt angenommen1. Innerhalb des Staatsgebiets besteht ein relevantes Wettbewerbsverhältnis zwischen verschiedenen Postanbietern insoweit, als sich ihr Leistungsangebot auf den sachlichen Teilmärkten zugleich territorial überschneidet. Kleine oder neu konstituierte Anbieter, die Postdienste lediglich auf spezifische Regionen erstrecken, konkurrieren daher nur lokal begrenzt zu einem Universaldienstleister oder gleichfalls flächendeckend präsenten Alter­ nativanbietern. So sind im deu­ tschen Postsektor Wettbewerber der DPAG gerade im Briefdienst nahezu ausschließlich kleine oder mittel­ ständische Unternehmer, die eine flächendeckende Zustellung nur über einen Teilleistungszugang oder mittels kooperativer Zusammenschlüsse erreichen. Als erfolgreich erwiesen sich auf dem Markt für lizenzpflich­ tige Briefdienste bis 1.000 g Verbundorganisationen wie mail alliance oder P 2 Die Zweite Post GmbH & Co. KG2. Im Paketbereich ist die DPAG hingegen einem weitergehenden Wettbewerb durch autonom flä­ chendeckende Anbieter ausgesetzt. Am KEP-Markt vereinigen weit über 90 % der Gesamtumsätze solche Dienstleister, die entweder bundesweit oder bundesweit und zugleich grenzüberschreitend zustellen3.

nehmer gilt eine entspr. Aufteilung nur bei optionaler Umsetzung von Art. 59a lit. a) MwStSystRL, vgl. für § 3a Abs. 8 Satz 1 UStG Abschnitt 3a.14 Abs. 5 UStAE. 1 KOM COMP/M.6503 v. 04.07.2012 – La Poste/Swiss Post – Rz 27; COMP/M.5152 v. 21.04.2009 – Posten AB/Post Danmark A/S – Rz 20 ff; Grave, in: Jaeger u.a., Frankf­Komm, SB Postsektor, Rn 136 f mwN. 2 Vgl. dazu BMK, Sondergutachten 2013, S. 110, 123. 3 Weniger als 1 % des Gesamtumsatzes entfällt auf regionale Anbieter, vgl. WIK Consult, Postmarkterhebung 2014, S. 15.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

c) Zwischenergebnis Die Gliederung des Postsektors in relevante Teilmärkte verdeutlicht, dass ein in die Grundversorgung eingebundener Universaldienstleister innerhalb der ausdifferenzierten Leistungssegmente einer Konkurrenzsi­ tuation durch alternative Anbieter ausgesetzt ist. Das Vorliegen eines marktabhängigen Substitutionsverhältnisses orientiert sich dabei maß­ geblich an der äußeren Leistungsbeschaffenheit und bedienten Kunden­ gruppe, der Destination sowie dem physisch genutzten Zustellnetz1. So­ weit ein bestimmtes Segment aktuell nicht oder in nicht erheblichem Maße durch Konkurrenzanbieter bedient wird, bleibt zumindest seit der EU-weiten Postmarktöffnung Raum für potenziellen Wettbewerb. Kein etabliertes Kriterium für die Substituierbarkeit aus Verbrauchersicht markiert unterdessen das personengebundene Merkmal der Univer­ saldienstverpflichtung2. Vonseiten der BNetzA diesbezüglich erwogen wurde bislang lediglich, für Universaldienste im Hinblick auf deren äu­ ßere Merkmale, den Verwendungszweck sowie die Preislage einen eigen­ ständigen Teilmarkt gegenüber qualitativ höherwertigen Postdienstleis­ tungen objektiv abzugrenzen3. Gleichermaßen geht auch die Postrichtlinie davon aus, dass universaldienstähnliche Angebote durch alternative An­ bieter mit denen des Grundversorgers austauschbar sein können4. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht bleibt somit zu konstatieren, dass eine öf­ fentliche Posteinrichtung auch verbindliche Dienstleistungen keines­ falls in einem isolierten Marktumfeld verrichtet, sondern in ihrer Eigen­ schaft als Marktteilnehmerin stets in den (potenziellen) Wettbewerb zu alternativen Anbietern eingebunden bleibt. 2. Unechte Befreiung als Markteintrittsbarriere In Bezug auf private Endverbraucher sowie andere nicht vorsteuerberech­ tigte Kleinversender bewirkt die Postdienstexemtion einen Preisvorteil für die öffentliche Posteinrichtung. Innerhalb dieses Kundensegments besteht gegenüber Newcomern eine effektive Markteintrittsbarriere, die im Wesentlichen durch zwei Umstände geprägt wird. Zum einen kann ein neu in den Markt eintretender Anbieter erhebliche Kunden- und Um­ satzanteile im Verhältnis zum etablierten Universaldienstleister nur dann gewinnen, wenn er für gleichartige Leistungen günstigere Preise 1 Zusammenfassend KOM COMP/M.6503 v. 04.07.2012 – La Poste/Swiss Post – Rz 18 ff. 2 Im Erg. auch Sedemund, in: Beck’scher PostG-Komm, 2. Aufl., § 19 Rn 64 ff; eben­ falls auf einen einheitlichen Produktmarkt abstellend Haucap, Wettbewerbsneutra­ lität 2011, S. 7. 3 Offen lassend BNetzA v. 14.06.2011, BK-5 11/18, S. 14. 4 Dabei müssen nicht sämtliche Universaldienstmerkmale erfüllt sein, vgl. Erwä­ gungsgrund Nr. 27 PostRL.

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4. Teil:  Auswirkungen der Umsatzsteuerbefreiung am Postmarkt

berechnet1. Postdienste stellen in erster Linie Erfahrungsgüter dar2, so dass ein preiswirksam vermittelter Anbieterwechsel durch die Befreiung erschwert wird. Zudem ist die subjektiv neutrale Umsetzung entspre­ chend § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG zwar normativ geeignet, eine umsatzsteu­ erliche Gleichstellung im Wettbewerb zu schaffen. Faktisch wird der befreiungsrechtliche Zugang jedoch dadurch behindert, dass ein flächen­ deckendes Angebot von Universaldiensten zu hohen Qualitätsstandards (§§ 2 ff PUDLV) vorausgesetzt ist3. Die dazu benötigte Infrastruktur kann ein Neuanbieter regelmäßig nicht aufbieten, da hohe Investitionen im Anfangsstadium wegen der zu geringen Netzauslastung nicht rentabel sind4. Hinzu gesellt sich ein enormer Erfolgsdruck aufgrund der Tatsa­ che, dass die aufgewandten Kosten für den postalischen Netzaufbau und -betrieb größtenteils irreversibel und im Falle eines späteren Marktaus­ tritts endgültig verloren sind5. Bestätigung gefunden hat dieser Befund unlängst durch die analog inspirierte Kritik der Kommission am belgi­ schen Lizenzsystem. Für Neuanbieter erwächst insoweit eine erhebliche Markteintrittsbarriere, als die Ausführung von universalen Postdiensten dem Vorbehalt einer Genehmigung unterstellt ist, deren Erteilung wie­ derum an die Versorgung eines abgegrenzten Territoriums zu Einheits­ tarifen gebunden wird6. Seit dem 01.01.2011 ist TBC Post der bislang einzige Anbieter, dem eine entsprechende Lizenz durch die Regulie­ rungsbehörde BIPT (Belgisches Institut für Postdienste und Telekommu­ nikation) ausgestellt worden ist. Anhand dieses Falles lässt sich ablesen, dass die noch weitergehenden Auflagen iSv § 4 Nr. 11b UStG eine spür­ bare Hürde begründen und – sollte eine ausreichende Leistungsstärke vorhanden sein – die Inanspruchnahme der Befreiung als zumindest wirt­ schaftlich unattraktiv erscheinen kann. Zum Zweiten wird die Marktpenetration speziell in Deutschland infolge des seit dem 01.01.2015 bundesweit geltenden Mindestlohns von 8,50 EUR 1 Eine Analyse durch ADL ergab, dass ein erheblicher Wechselanreiz gegenüber Royal Mail eine durchschnittliche Preissenkung um 20 % voraussetze, vgl. Postcomm, Competitive Market Review, 2004, Rz 4.46. Selbst nach der vorletzten Briefportoer­ höhung der DAPG auf 62 Cent konnte beobachtet werden, dass viele Kunden diesem etablierten Anbieter aus Gewohnheit treu geblieben sind, vgl. Die Welt v. 20.01.2015, Das Monopol der Deutschen Post ist kaum zu knacken, abrufbar unter http://www. welt.de/136573226 (zuletzt abgerufen am 22.07.2017). 2 Siehe auch Blersch, Deregulierung, 2007, S. 95. 3 Diese erfüllt derzeit allein die DPAG, krit. dazu Bunte, in: Langen/Bunte, KartR, 12. Aufl., Syst. II Post Rn 24. 4 Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 21; Thiele/Zauner, N&R 2011, 137. 5 Zum Effekt dieser sog. „sunk costs“ Jones/Sufrin, EC Competition Law, 3rd Edition, S. 89; Estrin/de Meza, in: Crew/Kleindorfer, Competition and Innovation in Postal Services, 1991, S. 93 (95). 6 COM SWD(2013) 351 v. 29.05.2013, S. 26; daran anschließend COM C(2014) 8669 v. 26.11.2014.

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C.  Rechtlich relevante Ungleichbehandlung

je Zeitstunde gehemmt1. Eine vergleichbare Situation, welche u.a. den damaligen Marktaustritt der PIN AG provozierte, ergab sich in 2007 durch die Einführung des Branchenmindestlohns in Höhe von 9,00 EUR bis 9,80 EUR für Angestellte im Bereich der Briefzustellung2. Während auch der aktuelle Mindestlohn das bereits in 2007 ohnehin praktizierte Niveau der DPAG nicht wesentlich überschreitet, schränkt er zum Nachteil potenzieller Wettbewerber das bislang in puncto Personalkos­ ten bestehende Einsparpotenzial innerhalb einer äußerst arbeitsintensiv geprägten Branche empfindlich ein3.

1 Eingeführt durch das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) v. 11.08.2014, BGBl. I 2014, 1348. 2 Dazu ausf. BMK, Sondergutachten 2009, S. 95 ff. Die Aufhebung erfolgte 2010 wegen formeller Rechtswidrigkeit der Erstreckung, vgl. BVerwG NZA 2010, 718; Kraft, in: Gercke/Kraft/Richter, ArbStrR, 2. Aufl., Rn 649. 3 Vgl. Gough, in: Crew/Brennan, Postal and Delivery Sector, 2014, S. 161 (167).

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5. Teil: Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte Angesichts ihrer wettbewerbsverzerrenden Wirkungsweise ist klärungs­ bedürftig, ob die unechte Befreiung für Postdienstleistungen mit höher­ rangigem Recht in Einklang steht. Allein die Beantwortung dieser Frage vermag den entscheidenden Ausschlag dafür zu geben, ob die Vorgabe in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ungeachtet ihrer seit 1977 faktisch unveränderten Existenz einen normativ unbedenklichen Bestandteil im harmonisierten System der Nettoallphasensteuer bildet. In gestaltungs­ politischer Hinsicht erlangt die Überprüfung der Primärrechtskonformi­ tät insbesondere dahingehend Relevanz, ob anstelle der unechten Exem­ tion zur Zielerreichung gleichsam geeignete, aber weniger verzerrend wirkende Ansätze existieren. Um die primärrechtliche Absicherung des (tatsächlichen) Systembekenntnisses zugunsten unechter Befrei­­ ungen verifizieren zu können, gilt es denkbare Prüfungsmaßstäbe aus den nati­ onalen Verfassungsordnungen, vor allem aber aus dem europäischen Ver­ tragsrecht in den Blick zu nehmen. Die notwendige Abgrenzung dieser beiden Rechtskreise ist daher programmatisch vorgegeben. Die nachfol­ genden Ausführungen orientieren sich in erster Linie an der deutschen Umsetzung gemäß § 4 Nr. 11b UStG, vergleichend wird aber auch auf die stellvertretend für eine subjektivierende Konzeption bereits dargelegte Rechtslage in Österreich sowie dem Vereinigten Königreich Bezug ge­ nommen.

A. Nationales Verfassungsrecht als untauglicher ­Prüfungsmaßstab Von der Warte des deutschen Verfassungsrechts aus gesehen könnte die Umsatzsteuerbefreiung eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehand­ lung iSv Art. 3 Abs. 1 GG sowie einen Eingriff in die Unternehmer­freiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG begründen1. Für die Bestimmung des maßgeb­ lichen Anwendungsverhältnisses zwischen nationalem Verfassungs- und Europarecht hat der EuGH schon frühzeitig statuiert, das Gemeinschafts­ recht genieße zum Zwecke seiner einheitlichen Geltung absoluten Vor­ rang im Verhältnis zur gesamten Rechtsordnung der Mitgliedstaaten2.

1 Allg. zur ökonomischen Relevanz der Grundrechte Stober, in: FS Stern, 2012, S. 613 ff. 2 Grundlegend EuGH, Rs. 6/64, Costa/E.N.E.L, Slg. 1964, 1253 (1269); ausf. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 288 AEUV Rn 40; Öhlinger, in: Schroeder, EuR als Mehrebenensystem, 2008, S. 11 ff.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Wie der EuGH neuerdings bekräftigt hat, bleibt auch die Vorschrift des Art. 53 GRCh hierauf ohne Einfluss1. Diese Doktrin kann heute dem Grunde nach als allgemein rezipiert be­ zeichnet werden. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Mitgliedstaa­ ten stößt der proklamierte Vorrang jedoch auf verfassungsspezifisch aus­ differenzierte Relativierungen2. Speziell für das deutsche Grundgesetz haben sich aus der Rechtsprechung des BVerfG drei typologische Prüfvor­ behalte kristallisiert, auf deren Grundlage einem Unionsakt die rechts­ verbindliche Anerkennung im innerstaatlichen Recht versagt werden kann3. Anknüpfend an die jeweilige Schutzwirkung ist die auf Einhal­ tung des supranational übertragenen Kompetenzbestands gerichtete ult­ ra-vires-Kontrolle von der Identitäts- und Grundrechtskontrolle abzu­ grenzen, welche das verfassungsrechtlich übertragbare Maß an staatlicher Souveränität definiert4.

I. Befreiungsharmonisierung ultra vires? Überschreitet ein unionaler Rechtsakt die Grenzen der supranational übertragenen Souveränität, wird sein innerstaatlicher Geltungsanspruch nicht mehr vom deutschen Zustimmungsgesetz zu den Verträgen ge­ deckt. Eine solche durch die Unionsorgane ultra vires erlassene Hand­ lung erzeugt keine bindende Wirkung innerhalb der nationalen Rechts­ ordnung5. Diesem Kontrollvorbehalt über die Einhaltung der vertraglich implementierten Kompetenzordnung verlieh das BVerfG in seinem Ho­ neywell-Beschluss eine europarechtsfreundliche Kontur, indem es die Annahme eines ausbrechenden Rechtsaktes an einen hinreichend quali­ fizierten Kompetenzverstoß geknüpft hat. Ein solcher ist nur anzuneh­ men, falls das vertragswidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und eine nachhaltige Verzerrung im Kompetenzgefüge bewirkt6. Zu­ sätzlich gesteht das BVerfG dem EuGH anlässlich der Auslegung und

1 EuGH, Rs. C-399/11, Melloni, ECLI:EU:C:2013:107 Rn 58 ff; dazu Breuer, EuR 2015, 330 (333). 2 Dazu ausf. Grabenwarter, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 121 (123 ff); Pernice, in: Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 23 Rn 15. 3 Dogmatisch geht es dabei stets um die Frage der Nichtanwendung des Unionsrechts in Deutschland, vgl. Ehlers, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 11 Rn 28. 4 Siehe Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl., Art. 23 Rn 99; Schwerdtfeger, EuR 2015, 290 (292 ff); Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 208. 5 BVerfGE 89, 155 (188, 210); Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 4.23; Isensee, in: FS Stern, 1997, S. 1239 (1255). 6 BVerfGE 126, 286 (304 f); vgl. dazu instruktiv Hobe, in: FS Stern, 2012, S. 745 (752 ff).

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A.  Nationales Verfassungsrecht als untauglicher ­Prüfungsmaßstab

Fortbildung von EU-Recht ein weitreichendes Ermessen zu (sog. „An­ spruch auf Fehlertoleranz“)1. Angesichts dieser strengen Anforderungen erlangt die ultra-vires-Kon­ trolle in Bezug auf die katalogmäßigen Befreiungstatbestände für inner­ staatliche Umsätze gemäß Art. 132 MwStSystRL keine durchschlagende Bedeutung. Ein Verstoß gegen Art. 113 AEUV wird zwar bisweilen aus dem Umstand abgeleitet, dass unter Bevorzugung des international aner­ kannten Bestimmungslandprinzips keine derart umfassende Anpassung der Befreiungstatbestände angezeigt sei2. Dies betrifft unecht befreite Umsätze, die zumindest typischerweise an Endverbraucher ausgeführt werden. Sollte Art. 132 MwStSystRL daher als Verstoß gegen die binnen­ marktakzessorische Zielbestimmung aus Art. 113 AEUV sowie das Sub­ sidiaritätsprinzip gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EUV aufgefasst werden, fehlte es für die Aberkennung einer rechtsverbindlichen Wirkung im deutschen Umsatzsteuerrecht gleichwohl an der notwendigen Offen­ sichtlichkeit. Insofern ist bereits die Frage nach dem allein binnenmarkt­ adäquaten Besteuerungsprinzip im Grundsatz sehr umstritten3. Die Fest­ legung der erforderlichen Harmonisierungsreichweite gewinnt daher unter dem bundesverfassungsgerichtlichen Postulat der Fehlertoleranz einen nahezu uferlos ausgearteten Bewertungshorizont. Die verbind­liche Wirkung speziell von Art. 132 MwStSystRL sowie der übrigen Richtlini­ enbestimmungen allgemein wird – soweit ersichtlich – im nationalen Rechtsraum denn auch nicht ernsthaft in Abrede gestellt.

II. Beschränkte Grundrechtskontrolle Neben dem formellen Schutzgehalt des Zustimmungsgesetzes gegen kompetenzfreie Akte dient die Identitätskontrolle dem materiellen Schutz des verfassungsrechtlichen Kernbestands4. Die Strukturklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG verpflichtet den deu­tschen Gesetzgeber bei der möglichen Übertragung staatlicher Souveränität zur Wahrung der integrationsfesten Strukturentscheidungen, welcher auch durch das spä­ ter erlassene Unionsrecht nicht beeinträchtigt werden darf5. Zur deut­ schen Verfassungs­identität zählen dabei auch die Grundrechte, denen das BVerfG zunächst eine über den unantastbaren Menschenwürdegehalt 1 BVerfGE 126, 286 (307); von einem „Vertretbarkeitskorridor“ spricht Herdegen, EuR, 18. Aufl., § 10 Rn 28. 2 So Reiß, in: UStKongrBer 2007, S. 13 (30, 32); krit. auch Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 6. Die EU-Eigenmittelfinanzierung gemäß Art. 311 AEUV bildet danach jedenfalls keine hinreichend legitime Grundlage für die Harmo­ nisierung der mehrwertsteuerlichen Bemessungsgrundlage. 3 Vgl. Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 499 ff. 4 BVerfGE 123, 267 (344). 5 Vgl. Geismann, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 288 AEUV Rn 7.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

iSv Art. 79 Abs. 3 GG hinausgehende Bedeutung als allgemeine Kontroll­ maßstäbe gegenüber Sekundärrecht verliehen hat1. In Abkehr von dieser Doktrin zog das BVerfG seine Jurisdiktion in der wegweisenden Entscheidung „Solange-II“ auf die Gewährleistung des na­ tional unabdingbaren Grundrechtsstandards zurück2. Seither existiert nur noch eine latente Grundrechtsüberprüfung von Unionsrecht unter dem Vorbehalt, dass der supranational verbürgte Grundrechtsschutz in seinem Wesensgehalt generell unter das unverzichtbare Niveau des Grundgesetzes herabsinkt. Ausdrücklich bestätigt wurde durch zwei nachfolgende Entscheidungen, dass diese Einschränkung in gleicher Wei­ se für die innerstaatliche Umsetzung von zwingendem Unionsrecht gilt3. Vor dem Hintergrund der fortgeschrittenen Entwicklung des unionalen Grundrechtsschutzes, welche seit der Vertragsreform von Lissabon durch die primärrechtliche Verankerung der Grundrechtecharta (Art. 6 Abs. 1 EUV) sowie nicht zuletzt durch den verbindlichen Programmsatz eines EU-Beitritts zum Europarat (Art. 6 Abs. 2 EUV) geprägt wird, fällt eine Reaktivierung der bundesverfassungsgerichtlich reklamierten Reser­ vekompetenz in den Bereich des Hypothetischen4. Die Grundrechte in Art. 1 ff GG bilden demnach nur noch eine veritable Referenz, soweit das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen ausreichen­ den Umsetzungsspielraum für die Betätigung originärer Rechtsetzungs­ macht belässt5. Dieser reservierte Wirkbereich erfuhr unlängst eine ein­ geschränkte Billigung, indem der EuGH nunmehr vorbehaltlich des Gebots zur einheitlichen Wirkung des Unionsrechts die Anwendbarkeit nationaler Grundrechte parallel zu den Garantien der Grundrechtecharta ausdrücklich bejaht hat6. Eine vorbehaltlose Geltung erlangen die Maß­ stäbe des nationalen Verfassungsrechts etwa in Bezug auf Befreiungen, deren Bestand das harmonisierte Mehrwertsteuerrecht übergangsweise respektiert7. Innerhalb der Art. 131 ff MwStSystRL darf hingegen die den zwingenden Tatbeständen jeweils vorrangig attestierte Zielsetzung nicht unterminiert werden, so dass nationale Grundrechte lediglich die autonome Ausformung ermessensabhängiger Detailregelungen zu beein­ 1 BVerfGE 37, 271 (280 ff); Isensee, in: FS Stern, 1997, S. 1239 (1258). 2 BVerfGE 89, 155 (175); vgl. zum „Kooperationsverhältnis“ zwischen BVerfG und EuGH Schwarze, in: Schwarze, Europarecht, 2012, S. 291 ff. 3 BVerfGE 118, 79 (95 f); 125, 260 (306). 4 Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, 13. Aufl., Art. 23 Rn 56; Hobe, EuR, 8. Aufl., Rn 462. 5 BVerfGK 11, 268; BVerfGE 118, 79 (98); Mayer/Wendel, in: Hatje/Müller-Graff, ­EnzEur, Bd 1, 2014, § 4 Rn 255; Zorn, in: FS Ruppe, 2007, S. 744 (747). 6 EuGH, Rs. C-399/11, Melloni, ECLI:EU:C:2013:107 Rn 60; siehe dazu Weiß, EuZW 2013, 287 (290); für diese Lösung auch Engler, Steuerverfassungsrecht, 2014, S. 88 ff. 7 Grundlegend EuGH, Rs. C-36/99, Idéal Tourisme, Slg. 2000, I-6049 Rn 38.

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A.  Nationales Verfassungsrecht als untauglicher ­Prüfungsmaßstab

flussen vermögen1. Allgemein korrespondiert somit die Bedeutung einer nationalverfassungsrechtlich induzierten Grundrechtsprüfung für die ­ gemäß § 4 UStG umgesetzten Befreiungsvorgaben zu der konkreten Re­ gelungsdichte des vorrangig zugrunde liegenden Sekundärrechts. 1. Regelungsdichte des Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL Die im Einzelfall mitunter schwierige Bestimmung der sekundärrechtli­ chen Determination eines Umsetzungsaktes ist nach den vorausgehen­ den Ausführungen nicht allein maßgeblich für die Tauglichkeit der Grundrechte als Prüfungsmaßstab2, sondern bietet zugleich das relevan­ te Kriterium für die Demarkation dieser nationalverfassungsrechtlichen Sphäre im Verhältnis zum Primärrecht3. Ein relevanter Umsetzungs­ spielraum mit der Folge einer ausschließlichen Bindung der Mitglied­ staaten an die vertraglichen Funktionsgarantien besteht nicht, soweit sich eine Richtlinienbestimmung im Falle ihrer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung für eine unmittelbare Anwendbarkeit eignet4. Gerade im An­ wendungsbereich der harmonisierten Umsatzsteuerbefreiungen erweist sich dieses Kriterium jedoch nur als bedingt praktikabel, sofern die un­ mittelbare Wirkung auch hinsichtlich ermessensabhängig formulierter Tatbestände in der Rechtsprechung bislang relativ großzügig anerkannt wurde5. Im besonderen Hinblick auf Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL gilt es stattdessen, drei unterschiedliche Wirkungsebenen zu unterschei­ den. a) Kernbereich der Postdienstbefreiung In seinem Kern besagt Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL, dass ein zur Erfüllung des staatlichen Gewährleistungsauftrags (hypothetisch) ver­ pflichteter Anbieter mit seinen Universaldiensten zwingend von der Umsatzsteuer freigestellt sein muss. Diese an den gewährleistungsspezi­ 1 Vgl. Mellinghoff, UR 2013, 5 (11 ff). 2 Die Schwierigkeit der Kompetenzabgrenzung zwischen EuGH und BVerfG veran­ schaulicht z.B. die Umsatzbesteuerung von Krankenhäusern, siehe BVerfGK 11, 268. 3 Thym, JZ 2011, 148 (149 ff); Skouris, in: Merten/Papier, HdB GR, Bd VI/2 2009, § 171 Rn 44. 4 Siehe Scholz, in: Merten/Papier, HdB GR, 2009, Bd VI/2 § 170 Rn 39; ders., in: Maunz/Dürig, GG, 79. Lfg., Art. 23 Rn 90. 5 So z.B. für Art. 132 Abs. 1 lit. b) MwStSystRL zuletzt Weber, UVR 2017, 186, und allg. EuGH, Rs. C-45/01, Christoph Dornier Stiftung, Slg. 2003, I‑12911 Rn 77 ff; siehe zu bestehenden Ermessensspielräumen der Mitgliedstaaten auch EuGH, ­ Rs. C‑363/05, JP Morgan, ECLI:EU:C:2007:391, Rn 59 ff; Rs. C‑453/02 und C‑462/02, Linneweber und Akritidis, ECLI:EU:C:2005:92, Rn 34 ff; vgl. ferner Klenk, in: Sölch/ Ringleb, UStG, 77. Lfg., vor § 1 Rn 23 mwN. Abw. nunmehr aber für die Befreiung „bestimmter“ Kulturleistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. n) RL 77/388/EWG EuGH, Rs. C­­­-592/15, British Film Institute, ECLI:EU:C:2017/117 Rn 14 ff.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

fischen Status einer öffentlichen Posteinrichtung geknüpfte Rechtsfolge ist für die Mitgliedstaaten unausweichlich, selbst bei unterlassener Um­ setz­ung qualifiziert sich die Befreiung für eine direkte Wirkung. Weder gewährt der Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL einen aus­ füllungsbedürftigen Ermessensspielraum noch unterfällt diese zwingen­ de Maßgabe der optionalen Ausgestaltung gemäß Art. 133 MwStSystRL oder dem Übergangsregime nach Art. 371 iVm Anhang X MwStSystRL. Innerhalb dieser unionsrechtlich abschließend geregelten Sphäre vermö­ gen die nationalen Grundrechte nach der Solange‑II-Doktrin kein ein­ schlägiges Prüfprogramm zu entfalten. b) Postordnungsrechtlich induziertes Gestaltungsermessen Fraglich ist, inwiefern eine abweichende Beurteilung in Anbetracht des Prinzips der befreiungsrechtlichen Akzessorietät gegenüber dem postord­ nungsrechtlich fundierten Universaldienstkonzept angezeigt ist. Die Mitgliedstaaten gewinnen über die ermessensabhängige Ausformung der Versorgungsverpflichtung iSv Art. 4 PostRL einen steuernden Einfluss auf die subjektive Befreiungsbedingung und verfügen auf diese Weise über ein weitreichendes Auswahlermessen. Strukturell ähnlich gelagert sind die in anderweitigen Tatbeständen gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL ausdrücklich gewährten Gestaltungsspielräume, sollte die Befreiung ei­ ner staatlich anerkannten respektive gesetzlich betrauten Einrichtung oder einem national definierten Berufsbild vorbehalten sein1. Gleichfalls können die Mitgliedstaaten den objektiven Befreiungsumfang durch die gesetzliche Universaldienstdefinition variierend festlegen. Ein objektives Ermessen bezüglich der Befreiungsreichweite, welches zugleich das Ge­ bot der Wettbewerbsneutralität gemäß Art. 3 Abs. 1 GG zu transportieren geeignet ist, gewährt etwa Art. 135 Abs. 1 lit. i) MwStSystRL im Hinblick auf Glücksspielumsätze2. Mag demnach der prägende Einfluss der postordnungsrechtlich eröffne­ ten Gestaltungsmöglichkeiten auf die objektive und subjektive Exemti­ onsreichweite als deren zugleich bestimmende Funktionsparameter im Wettbewerb veritabel sein, besteht dennoch kein Anlass, den nationalen Grundrechten ergänzend zum Primärrecht ein autonomes Gebot zu ei­ ner die freiheitliche Marktordnung möglichst schonenden Ausschöpfung zu entnehmen. Im Gegensatz zu den vorstehend angeführten Beispielen zeichnet sich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL durch den zentralen Un­ terschied aus, dass dieser die ordnungsrechtlich implizierten Einbruch­ 1 Vgl. die Befreiung für definierte ärztliche oder arztähnliche Berufe gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. c) MwStSystRL, ferner knüpfen an das Merkmal einer staatlich anerkann­ ten Einrichtung die Tatbestände in Art. 132 Abs. 1 lit. b), g), h), i), n) und p) MwSt­ SystRL. 2 Vgl. Birk/Jahndorf, UR 2002, 289 (293 ff).

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A.  Nationales Verfassungsrecht als untauglicher ­Prüfungsmaßstab

stellen für die Befreiungsreichweite nicht originär eröffnet. Die mehr oder minder zufällige Überschneidung mit der Postrichtlinie reduziert sich auf eine rein interpretatorische Ebene, nachdem der EuGH das Uni­ versaldienstkonzept als auslegungsstützende Konkretisierung der post­ sektoralen Gemeinwohlspezifizität aufgegriffen hat1. Dieses lediglich im Wege der Jurisdiktion geknüpfte Band darf für die Annahme eines grund­ rechtsrelevanten Ermessensspielraums letztlich nicht konstitutiv sein, denn anderenfalls drohte die autonom regulative Zielsetzung des Post­ ordnungsrechts durch sachfremde Erwägungen des Umsatzsteuerrechts infiltriert zu werden2. Anders formuliert folgt die Befreiung den postord­ nungsrechtlichen Wertungen, keinesfalls aber verhält es sich gerade um­ gekehrt zugunsten einer nationalverfassungsrechtlichen Profilierung. c) Optionale Selbstverpflichtung Ergänzend zu der hoheitlich implementierten Anbieterverpflichtung, de­ rer sich die Mitgliedstaaten zwecks Erfüllung ihrer Gewährleistungsver­ antwortung iSv Art. 3 Abs. 1 PostRL zumindest vorbehaltsweise für den Bedarfsfall einer Unterversorgung bedienen müssen, gestattet der EuGH ebenfalls die Einführung eines mit der Befreiungsregelung genuin ver­ wobenen Selbstverpflichtungsmechanismus. Legt man diesbezüglich die bereits eingehend begründete Interpretation der Entscheidung „TNT Post UK“ zugrunde, wonach die Selbstverpflichtung in einem Verhältnis der echten Alternativität gegenüber einer exklusiven Designierung steht, verfügen die Mitgliedstaaten über eine eigenmächtige Option zur Erwei­ terung der subjektiven Befreiungsreichweite im Rahmen der Umset­ zung3. Aus der anheimgestellten Verpflichtungskonstruktion folgt ein ermessensabhängiger und nicht durch die Richtlinie determinierter Ge­ staltungsspielraum von erheblichem Gewicht, da je nach bevorzugter Variante die grundkonzeptionelle Ausrichtung der Befreiung divergiert. Die zulässige Selbstverpflichtung kann sich im Lichte eines höheren Schutzniveaus aufgrund nationaler Grundrechtswertungen zu einer ver­ bindlichen Direktive verdichten, soweit diese dem Gesetzgeber gebieten, das unionsrechtlich belassene Gestaltungspotenzial zum Zwecke einer möglichst gleichheitskonformen und mit dem Wettbewerbsprinzip bes­ ser kompatiblen Umsetzung vollumfänglich auszuschöpfen4.

1 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK Ltd, Slg. 2009, I-3025 Rn 35. 2 Siehe zum Aspekt der organisatorischen Neutralität Teil 3 B.II.2. 3 Siehe hierzu Teil 3 E.IV.3a). 4 Vgl. zur Meistbegünstigung Borowsky, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 53 Rn 14a; zur umgekehrten Konstellation eingeschränkter Wahlmöglichkeiten Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 14 Rn 93. Ebenso wendet der VfGH nationale Grundrechte bei Gestaltungsspielräumen an, vgl. Zorn/Twardosz, ÖStZ 2006, 58 (62).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Dabei gilt speziell aus deutscher Perspektive zunächst, dass die rein be­ freiungsbedingte Gewährübernahme iSv § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG keinen relevanten Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG begrün­ det. Für den Empfänger einer Subvention vermag sich allein die Einge­ hung einer echten Verhaltenspflicht freiheitsbeschränkend auszuwir­ ken1. Die umsatzsteuerliche Selbstverpflichtung besitzt hingegen nur den optionalen Charakter einer Obliegenheit, sofern, sollte der sich frei­ willig verpflichtetende Anbieter gegen übernommene Auflagen versto­ ßen, lediglich die Steuerfreiheit und damit der gewährte Vorteil als sol­ cher entfällt. Ob vor diesem Hintergrund aus Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 12 Abs. 1 GG eine verfassungsverbindliche Favorisierung der Selbstver­ pflichtung deduziert werden kann, bedarf aber insoweit keiner Erörte­ rung, als § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG bereits innerhalb der Rechtsprechungs­ grenzen die weitestgehend neutrale Zugangsmöglichkeit für alternative Anbieter realisiert. 2. Ergebnis Im Wesentlichen erweisen sich die nationalen Grundrechte ebenso wie das übrige Verfassungsrecht als untaugliche Maßstäbe für die Konfor­ mitätsprüfung der in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL verbindlich fi­ xierten Exemtion. Innerhalb des subjektiven Einwirkungsbereichs der optional eröffneten Selbstverpflichtung wird ein potenzieller Konflikt aufgelöst, indem der deutsche Gesetzgeber diese mit dem Wettbewerb in besserer Weise kompatible Lösung in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG derweil rezipiert hat. Eine subjektivierende Umsetzung, wie sie in den übrigen Mitgliedstaaten weit überwiegend anzutreffen ist, bleibt demgegenüber einem selbstständigen Prüfvorbehalt nach den nationalen Grundrechts­ standards und der hierzu verfassungsgerichtlich entwickelten Dogmatik unterworfen.

B. Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe Außerhalb des nur sehr begrenzt einschlägigen Verfassungsrechts der Mitgliedstaaten bleiben weiterführende Leitlinien für verbindliche Be­ freiungsnormen aus dem vertraglich konstituierten Primärrecht abzulei­ ten. Erweist sich die in Rede stehende Befreiung insofern als primär­ rechtskompatibel, repräsentiert jeder richtlinienkonforme Vollzug auf nationaler Ebene eine nicht weiter anfechtbare Grundentscheidung des

1 Vgl. zu subventionsbedingten Eingriffswirkungen zulasten des Empfängers Manssen, in: Mangoldt/Klein, GG, 5. Aufl., Art. 12 Rn 95; Papier, DVBl. 1984, 801 (809 f); Jarass, NVwZ 1984, 473 (477).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Unionsgesetzgebers im Bereich der Umsatzsteuer1. Maßgebliche Grund­ lage für die Umsatzsteuerharmonisierung ist der Kompetenztitel gemäß Art. 113 AEUV, so dass sich für die Überprüfung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL – sowie jeder anderen Befreiungsvorgabe auch – die im Rahmen der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Einbettung des Bin­ nenmarktes bereits eingangs dieser Arbeit aufgezeigten Voraussetzungen und Schranken ergeben. In Betracht zu ziehende Prüfungsmaßstäbe bil­ den folglich das primärrechtliche Beihilfeverbot aus Art. 107 AEUV (I), die subjektiven Funktionsgarantien der Grundfreiheiten (II) und Unions­ grundrechte (III) sowie das umsatzsteuerliche Neutralitätsprinzip (IV) respektive der allgemeine Gleichheitssatz (V).

I. Europäisches Beihilfenrecht Der unionsrechtlich verfasste Beihilfenbegriff beschreibt einen staatlich gewährten finanziellen Vorteil gegenüber bestimmten Unternehmen, der zur Verfälschung der freien Wettbewerbsfunktion geeignet ist und den Handel zwischen den Mitglied­staaten beeinträchtigt2. Ausgehend von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise umfassen beihilferelevante Be­ günstigungen nicht allein die direkte Zuführung finanzieller Mittel, son­ dern können ebenso in einer indirekt wirksamen Minderung gewöhnlich zu tragender Abgabenlasten sozialer wie steuerlicher Art bestehen3. In den Fokus der primärrechtlichen Beihilfenkontrolle geraten daher neben Direktsubventionen auch gesetzlich oder verwaltungspraktisch gegen­ über Unternehmen eingeräumte Steuervergünstigungen der EU-Mit­ gliedstaaten4. Die Implementierung derartiger Verschonungssubventio­ nen kann rechtstechnisch vor allem durch Steuersatzermäßigungen oder gesondert vorgesehene Befreiungsvorschriften als offensichtlichste Ab­ weichung von der allgemein geltenden Steuerbelastung erfolgen5. Eine Präzisierung über die Anwendung der Beihilfevorschriften auf den Regelungsbereich der direkten Unternehmensbesteuerung formulierte 1 Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 4.24; BReg, BT‑Drucks. 14/8344 v. 25.02.2002, S. 14. 2 Sollgruber, Eur BeihR, 2007, S. 12. 3 St. Rspr., EuGH, Rs. C-224/04, Casa di Risparmio di Firenze SA, Slg. 2006, I-289 Rn 131; Rs. C‑66/02, Italien/Kommission, Slg. 2005, I-10901 Rn 77; C-387/92, Banco Exterior de Espana, Slg. 1994, I‑877 Rn 13; Rs. 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, 00709 Rn 33; EuG, Rs. T-106/95, FFSA, Slg. 1997, II‑229 Rn 10; siehe auch Tumpel, in: DStJG 23 (2000), S. 321 (329); Surrey/McDaniel, Tax Expenditures, 1985, S. 99. 4 Micheau, State Aid, 2014, S. 7; Pistone, Intertax 2012, 84; Ritter, IStR 2001, 430 (437); spez. zum Bereich der Daseinsvorsorge einschließlich des Postsektors Bloch, N&R 2008, 120. 5 Ausf. Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 19 Rn 15 ff; Wen-Ching, Grenzen der Steuervergünstigung, 2009, S. 50 ff.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

die Kommission erstmals im Anschluss an die 1997 verabschiedete ECO­ FIN-Entschließung zum schädlichen Steuerwettbewerb in ihrer amtli­ chen Mitteilung vom 11.11.19981. Sehr bald erkannte die Kommission jedoch eine entsprechende Relevanz auch für indirekte Verkehr- und Ver­ brauchsteuern. In ihrem ergänzenden Umsetzungsbericht stellte sie klar, Vergünstigungen im Rahmen indirekter Steuern nach denselben Kriteri­ en beurteilen zu wollen, wie sie in der Mitteilung 1998 bereits für direk­ te Unternehmenssteuern entwickelt worden sind2. Als Bestandteil der umfassenden Initiative zur Modernisierung des Beihilfenrechts sind die vorgenannten Be­stim­­­mungen überarbeitet worden, ohne dass jedoch we­ sentliche inhaltliche Abweichungen von der bisher geübten Praxis ab­ sehbar wären3. Vor diesem Hintergrund muss es als allgemein anerkannt gewertet werden, dass unabhängig von der technischen Erhebungsform auch Vergünstigungen innerhalb des mehrwertsteuerlichen Regelungs­ bereichs prinzipiell eine Beihilfe darstellen können4. Mit Blick auf Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ist daher zunächst zu untersuchen, ob Art. 107 AEUV auf sekundärrechtliche Vorgaben Anwendung findet. Bejahenden­ falls ist weiterhin fraglich, ob die umsatzsteuerliche Befreiung von Post­ diensten eine selektive Unternehmerbegünstigung bewirkt. 1. Anwendbarkeit von Art. 107 AEUV auf Unionsbeihilfen Der Beihilfetatbestand verlangt gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV eine Be­ günstigung, die staatlich oder aus staatlichen Mitteln gewährt wird. Letztere Voraussetzung ist in aller Regel unproblematisch erfüllt, da die Finanzierung von umsatzsteuerlichen Verschonungssubventionen stets die nationalen Haushalte belastet und insofern die EU nicht über eine ori­ ginäre Erhebungskompetenz verfügt5. Ferner wird aus der vorstehenden Umschreibung in regulatorischer Hinsicht das Merkmal der Zurechen­ barkeit einer Unternehmerförderung gegenüber dem eigenverantwortli­ chen Handeln der Mitgliedstaaten als zentrale Anwendungsvorausset­ zung abgeleitet6. Zu unterscheiden von staatlicherseits gewährten Bevorzugungen sind Unionsbeihilfen, die auf eine zwingend sowie kon­ 1 KOM ABl EG Nr. C 384 v. 10.12.1998, S. 3. 2 KOM C(2004) 434 v. 09.02.2004, Kasten Nr. 15. 3 Siehe Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl EU Nr. C 262 v. 19.07.2016. 4 Rode, Steuervergünstigungen, 2006, S. 171; Helios, EWS 2005, 208 (211); Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 12. 5 Vgl. Reich/König, Eur StR, 2006, S. 7. 6 EuGH, Rs. C-482/99, Frankreich/Kommission, Slg. 2002, I-4397 Rn 24; Petzold, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 4 Rn 1; krit. Koenig/Kühling, EuZW 1999, 517 (519). Abw. Terra, Intertax 2012, 101 (108 f), der richtlinienkonfor­ men Um­setzungen die selektive Förderwirkung abspricht.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

form in das nationale Recht inkorporierte Vorgabe des europäischen Rechts zurückgehen1. Keine Anwendung findet die primärrechtliche Bei­ hilfenkontrolle nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH somit auf Richtlinienbestimmungen, für deren Vollzug ein mitgliedstaatliches Entscheidungsermessen ebenso ausgeschlossen ist wie ein bestimmen­ der Einfluss auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der determinier­ ten Begünstigung2. Von herausragender Bedeutung ist das Institut der Unionsbeihilfe im Geltungsbereich des nach Art. 113 AEUV übergreifend harmonisierten Systems der Umsatzsteuer. Belastungsrelevante Differenzierungen, wie sie den national erlassenen Vorschriften zur Umsetzung der Art. 131 ff MwStSystRL zugrunde liegen, sind nach Auffassung des EuGH sowie der ihr folgenden Kommissionspraxis allgemein nicht von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst3. Ungleich schwieriger zu beantworten und noch nicht ab­ schließend geklärt ist hingegen die Frage, ob die Zurechenbarkeit auch in Anbetracht mitgliedstaatlicher Gestaltungsspielräume ausgeschlossen bleibt4. Mit guten Gründen verneinen lässt sich die staatliche Zurech­ nung, sollte der beihilferelevante Aspekt einer nationalen Umsetzung dem gestalterisch eingeräumten Ermessen inhärent sein5. In diesem Falle stößt die wettbewerbsverzerrende Wirkung auf sekundärrechtliche Ak­ zeptanz, so dass es sich vorrangig um eine dem Unionsgesetzgeber anzu­ lastende Folge, wenn gleich nur mittelbarer Art, handelt. Weit weniger eindeutig scheint indes, wie in einem weiteren Schritt übergangsweise zugelassene Befreiungen oder auch rein optionale Steu­ ersatzreduktionen unter dem Beihilfenregime zu handhaben sind. Eine Analogie könnte zu der Entscheidung „Schmelz“ angezeigt sein, in wel­ cher der Gerichtshof die nationale Begrenzung einer optional zulässigen Kleinunternehmerbefreiung auf Inländer als eine nicht staatlicherseits

1 EuGH, Rs. C-460/07, Puffer, Slg. 2009, I-3251 Rn 67 ff; Rs. C-346/97, Braathens, Slg. 1999, I‑3419 Rn 30 ff; EuG, Rs. T-351/02, Deutsche Bahn AG/Kommission, Slg. 2006, II‑1047 Rn 102. 2 Siehe auch Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR Bd 3, 5. Aufl., Einl Rn 44; Micheau, State Aid, 2014, S. 161 f; Englisch, in: Rust/Micheau, State Aid and Tax Law, 2012, S. 78 ff; Soltész, in: MüKo WettbR, 2011, Art. 107 AEUV Rn 266; Petzold, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 4 Rn 16; Lehnert, Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen, 2009, S. 45. 3 KOM C(2004) 434 v. 09.02.2004, Rn 72; ebenso nunmehr KOM C(2016) 262 v. 19.07.2016 Rn 44; vgl. zu unionsrechtswidrigen Tarifdifferenzierungen BRH, Be­ richt über den ermäßigten USt-Satz, 2010, S. 34. 4 Vgl. zu einer ermessensabhängigen Umsetzung der Mitgliedstaaten bezüglich Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. n) RL 77/388/EWG etwa zuletzt EuGH, Rs. C­-592/15, Bri­ tish Film Institute, ECLI:EU:C:2017/117. 5 So auch Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 4 Rn 122; abw. wohl KOM C(2016) 262 v. 19.07.2016 Rn 44 („keinerlei Ermessen“).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

zurechenbare Diskriminierung eingestuft hat1. Im Lichte dieser Wertung ließe sich argumentieren, dass auch freiwillig beibehaltenes Übergangs­ recht, obgleich dessen isoliert wettbewerbsbeeinträchtigende Wirkung nicht durch ein zwingendes Element der Richtlinie veranlasst ist, eine unionsrechtlich akzeptierte Beihilfe darstellen kann. Nicht vernachläs­ sigbar ist allerdings im Gegenzug die grundlegende Klarstellung in Sa­ chen „Idéal Tourisme“, wonach übergangsweise implementierte Befrei­ ungen außerhalb der Harmonisierung nicht dem Geltungsbereich der Unionsgrundrechte unterfallen2, was wiederum eher in Richtung einer originär mitgliedstaatlich verorteten Zuständigkeit unter voller Geltung des Art. 107 Abs. 1 AEUV weist. Auch erscheint es im gesetzgeberischen Prozess aus Sicht der Mitgliedstaaten nicht gerade unangemessen, diesen die letztverbindliche Verantwortung für die Beihilfenkonformität landes­ spezifischer Regelungen aufzuerlegen. Es besteht mithin kein überzeu­ gender Grund, diese abweichend zu sonstigem national erlassenen Recht als unbedenklich zu alimentieren. Letztlich dürfte daher in dieser Kon­ stellation, da der Boden des harmonisierten Rechts außerhalb einer richt­ liniengeleiteten Umsetzung verlassen wird, nicht mehr vom Vorliegen einer von vornherein unschädlichen Unionsbeihilfe auszugehen sein3. Ebenfalls erscheint zweifelhaft, ob die sekundärrechtlich vordefinierten Rahmenvorgaben bezüglich ermäßigter Steuersätze ausreichen, um die­ sen die Qualität einer nicht zurechenbaren Unionsbeihilfe zu verleihen. Dem Grunde nach können die Mitgliedstaaten sich gemäß Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL für oder gegen deren Implementierung gänzlich frei ent­ scheiden. Zudem genießen sie ein weitreichendes Gestaltungsermessen, das für vor allem die gegenständliche Programmierung nicht allein durch die wahlweise Zusammenstellung der in Anhang III MwStSystRL aufge­ führten Umsatzgruppen geprägt wird, sondern zusätzlich die selektive Verschonung abgrenzbarer Leistungen aus wiederum jeder Einzelkatego­ rie erlaubt4. Die Katalogisierung ermäßigt steuerbarer Gegenstände indi­ ziert aber gleichwohl, dass entsprechende Tarifdifferenzierungen, wenn sie nicht schon keine erhebliche Verzerrung des grenzüberschreitenden Wettbewerbs begründen5, so doch zumindest durch höhere Gemeinwohl­ 1 EuGH, Rs. C-97/09, Schmelz, Slg. 2010, I-10465 Rn 54. 2 EuGH, Rs. C-36/99, Idéal Tourisme, Slg. 2000, I-6049 Rn 38. 3 So wohl auch KOM C(2016) 262 v. 19.07.2016 Rn 45; a.A. wohl Englisch, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 4 Rn 122 unter Verweis auf EuG, Rs. T‑351/02, Deut­ sche Bahn AG/Kommission, Slg. 2006, II-1047 Rn 100 ff. 4 EuGH, Rs. C-454/12, Pro Med Logistik, ECLI:EU:C:2014:111 Rn 43; Rs. C‑94/09, Kommission/Frankreich, Slg. 2010, I-4261 Rn 25. Siehe ferner zu komplexen einheitli­ chen Dienstleistungen EuGH, Rs. C-432/15, Pavlina Bastová, ECLI:EU:C:2016:855 Rn 56 ff. 5 Entsprechend steht auch die weiterreichende selektive Ermäßigung unter einem Wett­ bewerbsvorbehalt, vgl. EuGH, Rs. C-454/12, Pro Med Logistik, ECLI:EU:C:2014:111 Rn 43.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

belange als gerechtfertigt akzeptiert sind. Im Ergebnis laufen die vor­ stehend dargelegten Kriterien auf eine differenzierte Zurechenbarkeit hinaus. Übt ein Mitgliedstaat sekundärrechtlich bestellte Gestaltungs­ spielräume anlässlich einer verbindlichen Umsetzung von sonst zwin­ genden Richtlinienvorschriften aus, so agiert er noch innerhalb der Fol­ geverantwortung des Unionsgesetzgebers. Anders stellt sich aber die Lage dar, sollte das umsatzsteuerliche Potenzial zu wettbewerbsschädli­ chen Effekten auf nationaler Ebene aus eigener Initiative gänzlich außer­ halb einer determinierten Vorgabe gesetzt werden. a) Zwingender Kerngehalt gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL Speziell hinsichtlich der Umsatzsteuerbefreiung von Postdienstleistun­ gen hat die Kommission die Qualität einer Unionsbeihilfe aufgrund mangelnder Zurechenbarkeit gegenüber den Mitgliedstaaten explizit in ihrer Antwort vom 01.03.2012 bestätigt, nachdem die italienische Regie­ rung eine entsprechende Anfrage zur beihilfenrecht­lichen Relevanz einer marktabschottenden Wirkung angesichts der exklusiv auf die Poste Ita­ liane S.p.A. anwendbaren Exemtion gestellt hatte1. Ausweislich dieser Stellungnahme kann eine inhaltlich detailliert vorgegebene Umsetzungs­ maßnahme, wie sie Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL in ihrem Kern für verpflichtete Grundversorger einfordert, nur dann als staatlich gewährte Begünstigung gewertet werden, sofern sie richtlinienwidrig ergeht und auf diese Weise ein autonomes Potenzial für zusätzliche Wettbewerbs­ verzerrungen geschaffen wird2. Diesem Maßstab zufolge muss die Postdienstbefreiung in ihrer gemäß § 4 Nr. 11b UStG im Wesentlichen richtlinienkonform erfolgten Ausfor­ mung als nicht der Beihilfeprüfung unterfallende Vergünstigung angese­ hen werden. Als unvereinbar mit Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL er­ weist sich allein der objektive Befreiungsumfang, weil § 4 Nr. 11b Satz 1 UStG unter Missachtung der ordnungsrechtlichen Akzessorietät nur auf den Mindestumfang der Universaldienste gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL verweist und ferner § 4 Nr. 11b Satz 3 lit. b) UStG bereits Leistungen zu günstigeren Entgelten ausnimmt3. Aus diesen richtlinienwidrigen Be­ grenzungen resultieren allerdings keine originären Wettbewerbsbeein­ trächtigungen, da die Quantität postmarktverzerrender Effekte allenfalls in einer beihilferechtlich unschädlichen Art und Weise reduziert wird. Überdies ist auch die über Art. 3 PostRL in die Befreiung transferierte Möglichkeit, den sachlichen Umfang über die Festlegung der Gewichts­ grenzen für Paketsendungen auf 20 kg auszuweiten und so gegebenen­ 1 KOM ABl EU Nr. C 75 E v. 14.03.2013, S. 137. 2 KOM ABl EU Nr. C 75 E v. 14.03.2013, S. 137 Nr. 1; so auch allg. Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 9.39. 3 Siehe hierzu Teil 3 E.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

falls den heimischen Grundversorger weitergehend vor Konkurrenz ab­ zuschotten, beihilferechtlich gesehen nicht von Belang. Diese Folge liegt in der verbindlichen Richtlinienauslegung durch den EuGH begründet und verkörpert aus diesem Grunde eine unionsrechtlich akzeptierte Wir­ kung anlässlich der dem Grunde nach verbindlichen Umsetzung. b) Ermessensabhängige Selbstverpflichtung Sofern die Mitgliedstaaten über das bevorzugte Verpflichtungskonzept im Rahmen des Posteinrichtungsmerkmals ermessensabhängig ent­ scheiden dürfen, vermag die bestehende Gestaltungssouveränität eine Bindung an nationale Verfassungsstandards unter dem Primat des Uni­ onsrechts zu vermitteln1. Einer anbieterneutralen Umsetzung wie derje­ nigen in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG geht jedoch schon ein originär wettbe­ werbsschädlicher Einfluss ab, weil diese Ausformung ausschließlich eine erhöhte Kompatibilität gegenüber den marktwirtschaftlichen Gesetz­ lichkeiten realisiert. Umgekehrt sind exklusive Verpflichtungsparameter wiederum dem ordnungsrechtlich überbrachten Gestaltungsermessen gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL inhärent, weshalb sich die staatliche Zurechnung verbietet. An dieser Stelle wird erkennbar, dass sich die beihilferelevante Zurechenbarkeit nicht zwingend kongruent zu der ebenfalls gestaltungsabhängigen Bindungswirkung nationaler Grund­ rechte verhält. 2. Primärrechtliche Beihilfenkontrolle von Sekundärrecht Unter Hinweis auf die vorrangige Wirkung des Primärrechts wird die rechtliche Figur der nicht zurechenbaren Unionsbeihilfe zum Teil ver­ worfen und stattdessen eine generelle Beihilfenkontrolle für sekundär­ rechtlich fixierte Steuervergünstigungen befürwortet2. Ein abgewandel­ ter Ansatz verneint den pauschalen Ausschluss eines beihilfenrechtlichen Prüfverfahrens und bejaht ein solches für Richtlinienbestimmungen, deren nationale Umsetzung mangels hinreichend stringent gefasster Vor­ gaben in eine Selektivbegünstigung umzuschlagen droht3. Ein entspre­ chender Gefahrzusam­menhang sei insbesondere Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL inhärent, dessen Bestimmung keine unionsrechtlich deter­ minierte Abgrenzung des freizustellenden Leistungsumfangs formuliere. Erachtet man auf dieser Grundlage Art. 107 AEUV auch auf richtlinien­ 1 Sieher hierzu vorstehend A.II.1.c). 2 So mit Blick auf Art. 131 ff MwStSystRL Helios, Gemeinnützigkeit, 2005, S. 138 ff; ders., EWS 2005, 208 (211 f); siehe auch Eiling, Einführung neuer Verbrauchsteuern, 2014, S. 175; Friedrichs, Bindung der Gemeinschaft, 1998, S. 98 f; ähnlich Caspari, in: FS von der Groeben, 1987, S. 69 (79 f); offenlassend Hüttemann, DB 2006, 914 (917); BMK, Sondergutachten 2015, S. 75. 3 Koenig/Busch, EWS 2009, 510 (514); Koenig, Stellungnahme v. 11.11.2009, S. 14 ff.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

rechtlich fixierte Befreiungen für anwendbar1, ist fraglich, ob die Post­ dienstexemtion in ihrer jeweiligen nationalen Ausformung die Beihilfe­ definition er­füllt. a) Ausprägungen der Unternehmerbegünstigung Voraussetzung einer Beihilfe ist gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass die Begünstigung für einzelne Unternehmer oder Produktionszweige wirkt. Im Hinblick auf dieses Merkmal tritt die Belastungstechnik der Umsatz­ steuer in besonderer Weise hervor, deren indirekte Erhebung unmittelbar beim ausführenden Unternehmer ansetzt, durch eine preisliche Über­ wälzung aber schlussendlich den Verbraucher treffen soll2. Abstellend darauf, inwiefern eine Weitergabe der modifizierten Umsatzsteuerpara­ meter durch den unecht befreiten Anbieter eins zu eins erfolgt, gilt es bei der Postdienstexemtion zwei mögliche Szenarien der wirtschaftlichen Begünstigungswirkung zu unterscheiden3. Die nachfolgenden Ausfüh­ rungen lassen sich unbeschadet der besonderen Kundenstruktur im Post­ sektor auf andere unechte Befreiungen übertragen. aa) Vollständige Einpreisung Die Befreiung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL soll in erster Linie eine spürbare Verbilligung der postalischen Grundversorgung reali­ sieren. Dieser Zweck bedingt die zumindest partielle Weitergabe der po­ sitiven Differenz aus Umsatzsteuerschuld und nicht abzugsfähigen Vor­ steuerbeträgen im Entgelt. Soweit die intendierte Preisreduktion faktisch eintritt, gliedern sich die damit verbundenen Begünstigungseffekte nach ihrer unmittelbaren und mittelbaren Wirkung. Besser gestellt werden ausschließlich die nicht zum Vorsteuerabzug be­ fugten Leistungsempfänger, während aus Sicht vorsteuerberechtigter Kunden die verdeckt überwälzte Umsatzsteuer in aller Regel von Nach­ teil ist. Innerhalb der Gruppe nicht vorsteuerbefugter Versender redu­ ziert sich die Beihilferelevanz indes auf Personen, die eine wirtschaftli­ che Tätigkeit am Markt ausüben und daher selbst als Unternehmer iSv Art. 107 Abs. 1 AEUV auftreten4. Hierzu zählen in erster Linie nach Maßgabe der Art. 131 ff MwStSystRL ihrerseits unecht befreit leistende Unternehmer. Ebenso wie private Endverbraucher fällt hingegen eine Vielzahl staatlicher, kulturell, karitativ oder sozial tätiger Einrichtungen 1 Ebenso Schwintowski, Stellungnahme v. 13.03.2009, S. 2; vgl. auch ders., RabelsZ 58 (1994), 232 (245); wohl auch Günther, N&R 2016, 251 (252). 2 Siehe auch Schön, in: Beiheft HuW Nr. 69 (2001), S. 106 (125). 3 Vgl. dazu Englisch, EC Tax Review 2013, 9 (12 ff). 4 Vgl. zum Unternehmerbegriff EuGH, Rs. C-159 und C-160/91, Poucet, Slg. 1993, I‑637 Rn 17; Rs. C‑41/90, Höfner, Slg. 1991, I-1979 Rn 21.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

aus dem Kreis beihilfetauglicher Begünstigungsadressaten heraus, sofern ihnen das Vorsteuerabzugsrecht mangels Unternehmereigenschaft ver­ wehrt bleibt1. Eine mittelbar von der Empfängerseite aus reflektierte Begünstigung er­ fährt überdies der verpflichtete Universaldienstanbieter selbst. Die be­ freiungstechnisch ermöglichte Preisvergünstigung bleibt in ihren positi­ ven Effekten nicht auf die Leistungsabnehmer begrenzt, sondern mündet allgemein zugleich in eine verbesserte Absatzposition des Unterneh­ mers. Je nach Ausprägung der Nachfrageelastizität bestehen zwei Ent­ wicklungstendenzen. Bei starker Elastizität kann der befreite Unterneh­ mer seine Umsatzzahlen steigern und so erhöhte Profite erwirtschaften. Fällt die Reaktion auf Preissenkungen nur geringfügig aus, trägt die Be­ freiung immerhin dazu bei, die fortlaufende Absatzmenge zu stabilisie­ ren und eventuelle Gewinnrückgänge durch eine steuerbedingte Verteu­ erung zu vermeiden. Speziell im Postsektor dürfte von einer erhöhten Flexibilität auszugehen sein, da für die Auswahlentscheidung unter ver­ schiedenen Anbietern neben der etablierten Qualität und Zuverlässig­ keit insbesondere der Preis eine maßgebliche Größe wiedergibt. Die Nei­ gung, etwa einen privaten Brief zumindest bei ausgewählten Anlässen gegenüber alternativen Kommunikationswegen vorzuziehen, dürfte mit fallenden Preisen ebenso zunehmen wie die Attraktivität versandter Wa­ ren infolge vergünstigter Pakettransporte. Hinzu kommt, dass ein ver­ breiteter Kundenstamm eine optimierte Netzauslastung und damit ein­ hergehende Synergieeffekte bei der Abholung und Zustellung vergrößerter Sendungsmengen bedeutet, weshalb der begünstigte Anbieter mit einem effizienteren Kosten-Nutzen-Verhältnis operieren kann. Im nicht vorsteuerberechtigten Kundensegment verbessert die exklusive Postdienstbefreiung schließlich die Marktstellung des Universaldienst­ leisters, sofern steuerpflichtige Konkurrenten einer preiswirksamen Zu­ satzbelastung ausgesetzt sind und höhere Entgelte veranschlagen müs­ sen. Aus dem Rechtfertigungstatbestand des Art. 107 Abs. 2a AEUV lässt sich systematisch erschließen, dass über Verbraucher oder anderweitige Unternehmer vermittelte Begünstigungseffekte eine Beihilfe begründen können2. Logisch gleichwertig erkennt der EuGH auch im Falle von zu Unrecht erhobenen indirekten Steuern an, dass hieraus ein negativer und 1 Regelmäßig dürfte sich keine Diskrepanz zum Unternehmerbegriff des Art. 107 Abs. 1 AEUV einstellen, da der EuGH anlässlich der Berufsgruppenaufzählung in Art. 9 MwStSystRL gleichsam auf eine aktive Teilnahme am Wirtschaftsverkehr ab­ stellt, siehe auch Terra, Intertax 2012, 101 (106). 2 EuGH Rs. C-403/10 P, Mediaset, Slg. 2011, I-533 Rn 81; Rs. C-156/98, Deutschland/ Kommission, Slg. 2000, I-6857 Rn 26 f; Beljin, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 28 Rn 56; Bungenberg, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 1, Rn 26 f; a.A. Heidenhain, EuZW 2007, 623 ff.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

finanziell zu kompensierender Effekt auf die wirtschaftliche Unterneh­ merstellung im Wettbewerb resultieren kann1. Nicht als mittelbare Bei­ hilfen erfasst sind allenfalls sekundäre Auswirkungen, die zwangsläufig mit jedweder Form von Fördermaßnahmen einhergehen2. Die Exemtion postalischer Universaldienste geht angesichts ihrer subjektiven Ausrich­ tung allerdings über einen solchermaßen vernachlässigbaren Leistungs­ anreiz hinaus, da sie innerhalb bestimmter Kundenfelder die Marktstel­ lung des betrauten Grundversorgers bestärkt und nach der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Wettbewerbsparität empfindlich stört. Entsprechend erblickt auch die Rechtsprechung in einer verbesser­ ten Marktposition, die auf erhöhte Anteile und Umsätze zurückgeht, be­ lastbare Kriterien für das Vorliegen einer mittelbaren Beihilfe3. In beson­ derer Weise muss dies für Maßnahmen gelten, die wie Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ausgewählten Unternehmern die Möglichkeit ver­ schaffen, relevante Märkte mittels einer verbesserten Preis-Kosten-Struk­ tur leichter als nicht gleichermaßen verschonte Konkurrenten zu durch­ dringen4. bb) Eigennütziger Einbehalt Kalkuliert der befreite Unternehmer seine Preise gleichsam unter Fik­ tion der Umsatzsteuerpflicht zum sonst üblichen Nettopreisniveau, ver­ einnahmt er den eingeräumten Steuervorteil eigennützig. Die bezweckte Verbilligung schlägt in diesem Falle fehl, und die Entlastung wirkt in glei­ cher Weise wie eine einseitig gewährte Subvention. Als ausschlaggeben­ der Grund für eine solche Wirkungsvermutung kann angeführt werden, dass Befreiungen von indirekten Steuern typischerweise nicht auf eine Weiterleitung an den Leistungsempfänger angelegt sind, sollten sie an bestimmte Produktionsprozesse oder spezifische Eigenschaften in der Person des Unternehmers anknüpfen5. Begünstigt wird ein Einbehalt der Entlastungsdifferenz zudem, falls sich die Nachfrage unelastisch ver­ hält6. In ähnlicher Weise hat der EuGH für den personenbezogenen Aus­ schluss der Vorsteuerkorrektur zugunsten unecht befreiter Ärzte gemäß der österreichischen Regelung in Art. 3 Ziffer 3 BGBl 21/1995 erkannt, dass dieser unmittelbare Vorteil nicht an die Krankenversicherungsträ­ 1 EuGH, Rs. C-309/06, Marks & Spencer, Slg. 2008, I-2283 Rn 42; Rs. C-147/01, We­ ber’s Wine World, Slg. 2003, I-11365 Rn 98 f; Rs. C-441/98 und C-442/98, Michaili­ dis, Slg. 2000, I‑7145 Rn 34 f; Rs. C‑192/95 bis C‑218/95, Comateb u.a., Slg. 1997, I-165 Rn 29; vgl. Englisch, EC Tax Review 2013, 9 (13). 2 So KOM C(2016) 262 v. 19.07.2016 Rn 116 (bloßer Produktionsanstieg). 3 EuGH, Rs. C-275/10, Residex Capital IV, Slg. 2011, I-3043 Rn 43; EuG, Rs. T‑44/05, Associazione italiana del risparmio gestito, Slg. 2009, II-289, Rn 127. 4 Vgl. EuGH, Rs. C-403/10 P, Mediaset, Slg. 2011, I-533 Rn 74. 5 So Englisch, in: Englisch/Schaumburg, Eur StR, 2015, Rn 9.34. 6 Vgl. Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (467).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

ger weitergereicht und damit neutralisiert werde1. Auf die Befreiung von Postdienstleistungen scheinen diese Überlegungen insoweit übertragbar, als das Posteinrichtungsmerkmal in Gestalt der Anbieterverpflichtung gleichsam auf eine persönlich vorbehaltene Eigenschaft rekurriert. Nicht außer Acht zu lassen ist aber, dass dieser Status mit flächendeckenden Sonderlasten verbunden ist und ferner Art. 12 PostRL das Gebot kosten­ orientierter sowie erschwinglicher Entgelte zur verbindlichen Umset­ zung ausschreibt2. cc) Bilanzierungserfordernis gemäß der beihilferechtlichen ­Wirkungsdoktrin Im Ergebnis bewirkt die Postdienstbefreiung eine relevante Begünsti­ gung des verpflichteten Grundversorgers innerhalb des nicht vorsteuer­ berechtigten Kundensegments. Das tatsächliche Gelingen der preisli­ chen Weiterreichung ist insofern ohne Relevanz, als hierdurch lediglich die äußere Funktionsgestalt der Begünstigung als reflexartig vermittelter oder aber unmittelbar vereinnahmter Effekt spezifiziert wird. Ein viru­ lentes Problem begründet unterdessen die beihilfenrechtliche Prämisse einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise3. In die Prüfung einzubeziehen bliebe folglich auch der zuungunsten des unecht befreiten Postanbieters ausfallende Vorsteuerausschluss, denn stets muss eine Beihilfe zum Vor­ teil des Unternehmers gereichen4. Da derzeit noch Bedarf für eine belast­ bare Analyse zur bilanzierten Gesamtwirkung der Postdienstexemtion besteht, begegnet die abschließende Bewertung insoweit er­heblicher Un­ sicherheit. b) Selektivität im Kontext subjektiver Umsatzsteuerbefreiungen Wird der postalischen Umsatzsteuerbefreiung eine positive Gesamtwir­ kung attestiert, so wäre weiterhin erforderlich, dass diese selektiv wirkt, denn Art. 107 Abs. 1 AEUV verlangt eine Begünstigung bestimmter Un­ ternehmen oder Produktionszweige. Im besonderen Falle steuerlicher Belastungsminderungen unterliegt die Selektivität einer zweistufigen Prüfung5. Im Ausgangspunkt muss bestimmt werden, ob die steuerliche Maßnahme von dem maßgeblichen Referenzsystem der zugrunde liegen­ den Steuerart abweicht und eine unterschiedliche Behandlung von Un­ ternehmern begründet, deren rechtliche und tatsächliche Lage gemessen

1 2 3 4 5

EuGH, Rs. C-172/03, Heiser, Slg. 2005, I-1627 Rn 47. Siehe hierzu im Rahmen der Geeignetheit Teil 6 II.3.a). Vgl. dazu Arhold, in: MüKo, WettbR, 2011, Art. 107 AEUV Rn 105. Vgl. EuGH, Rs. C-172/03, Heiser, Slg. 2005, I-1627 Rn 27. Drabbe, in: Rust/Micheau, State Aid and Tax Law, 2012, S. 87 (90); eine Gliederung in drei Stufen annehmend Micheau, ELR 2015, 323 (328 ff).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

an den konkreten steuerlichen Ziel­setzungen vergleichbar ist1. Eine da­ nach prima facie indizierte Selektivität kann ausnahmsweise widerlegt sein, sollte die Maßnahme aus der inneren Natur und Logik des Steuer­ systems gerechtfertigt sein2. In Konkretisierung dieser allgemeinen Grundsätze wird gefordert, das maßgebliche Systemsubstrat bezüglich umsatzsteuerlicher Gemein­ wohlbefreiungen unmittelbar aus dem Katalog gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL zu extrahieren. Aus dieser tatbestandlichen Exegese lasse sich das systematische Gebot zu einer rein objektiven Ausgestaltung ­ableiten, indem die Freistellung ausschließlich an die Art und Beschaf­ fenheit der ausgeführten Leistung gebunden sein dürfe. Eine beihilfen­ rechtliche Relevanz komme im Referenzrahmen des harmonisierten Mehrwertsteuersystems hingegen allein subjektiven Befreiungsvorschrif­ ten zu3. Vor diesem Hintergrund wird die Richtlinienumsetzung gemäß § 4 Nr. 11b UStG – ebenso wie ihre Vorgängerfassung – als selektive Be­ günstigung eingestuft, indem sie über das Merkmal der Selbstverpflich­ tung in Satz 2 auf eine rein persönliche Eigenschaft rekurriere4. Die in­ haltliche Auseinandersetzung mit dieser Ansicht gibt zu der Untersuchung Anlass, unter welchen Be­dingungen eine Umsatzsteuerbefreiung als sub­ jektiv zu charakterisieren ist und inwiefern diese auf § 4 Nr. 11b UStG überhaupt zutreffen5. Einleitend wurde in diesem Zusammenhang bereits dargelegt, dass der Gehalt personengebundener Merkmale in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL eine häufig anzutreffende und daher de facto system­ immanente Regelungstechnik impliziert6. Von entscheidender Bedeu­ tung für die dogmatische Klassifizierung solcher Mischtatbestände ist folglich, unter welchen Voraus­setzungen unternehmergebundene Merk­ male die objektive Charakteristik überlagern.

1 EuGH, Rs. C-78/08 bis C-80/08, Paint Graphos, Slg. 2011, I-7611 Rn 49; Rs. C‑487/06 P, Britisch Aggregates, Slg. 2008, I‑10515 Rn 82; Rs. C-143/99, Ad­ ria-Wien Pipeline, Slg. 2001, I‑8365 Rn 41; KOM ABl EG Nr. C 384 v. 10.12.1998, S. 5 Rn 16. 2 EuGH, Rs. C-173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, 709 Rn 33 ff; KOM ABl EG Nr. C 384 v. 10.12.1998, S. 4 Rn 12. 3 So Koenig/Paul, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 107 AEUV Rn 82; Koenig/ Busch, EWS 2009, 510 (514); Koenig, Stellungnahme v. 11.11.2009, S. 18; zust. Zirkl, Neutralität, 2015, S. 223. 4 Busch/Koenig, in: in: G/K/K/L, PostR, 2014, Kap. D Rn 551. 5 Die hierzu nachfolgend angestellten Überlegungen lassen sich auf Steuersatzer­mäßi­ gungen übertragen. 6 Herman/Kersteren/Gabriel, in: Ecker/Lang/Lejeune, Indirect Taxation, 2012, S. 607 (609).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

aa) Persönliche Selektivität Eine umsatzsteuerliche Freistellung erlangt subjektive Natur, sobald die tatbestandlich vorausgesetzten Eigenschaften in der Person des Unter­ nehmers einer individuellen Disposition entzogen sind. In diesem Falle entfaltet die Befreiung einen abschottenden Effekt, indem keine neutrale Zugangsmöglichkeit für alternative Anbieter entsprechender Leistungen besteht. Ein anschauliches Beispiel hierzu bietet das Steuerprivileg ge­ mäß § 4 Nr. 19 lit. a) UStG, welches ausschließlich blinde Unternehmer betrifft. Gleichermaßen gilt dies, sofern eine Befreiung wie im Falle des bisherigen § 4 Nr. 18 UStG iVm § 23 UStDV auf abschließend katalogi­ sierte Einrichtungen begrenzt bleibt1. Als gleichsam problematisch er­ weist sich in diesem Zusammenhang das Merkmal einer Anerkennung iSv § 108 SGB V für die Befreiung von Privatkliniken nach § 4 Nr. 20 lit. b) Satz 2 Doppelbuchst. aa) UStG. Erfasst sind nur Einrichtungen, die von einem Vergütungsanspruch gegenüber gesetzlichen Krankenkassen profitieren (sog. Plan- und Vertragskrankenhäuser) oder als Universitäts­ kliniken eine enge Kooperation mit medizinischen Fakultäten unterhal­ ten. Die notwendige Zulassung richtet sich also nicht zuletzt nach ei­ nem konkret vorhandenen Bedarf sowie dem Willen der Krankenkassen mit der Konsequenz, dass allein aus diesen Gründen eine Privatklinik die Anerkennung als sozial vergleichbare Einrichtung verfehlen kann2. Eben­ falls persönlich wirkt die Steuersatzvergünstigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 lit. b) UStG zugunsten konzessionierter Taxibetreiber3. Das ge­ meinsame Charakteristikum der vorbenannten Tatbestände äußert sich darin, dass ein Unternehmer die Steuerfreiheit seiner Umsätze nicht aus freier Eigenleistung unter Einhaltung von allgemein und jederzeit erfüll­ baren Bedingungen erlangen kann. Eine entsprechende Wirkung ging auch von § 4 Nr. 11b UStG a.F. aus, wonach lediglich die Umsätze der DPAG befreit waren. Diese Regelung stellte zwar nur vordergründig auf deren Identität ab, weil in Wahrheit die hinter dieser deklaratorischen Klarstellung stehende Exklusivver­ pflichtung gemäß § 52 PostG avisiert wurde. Dennoch ist eine gleich­ gelagerte Pflichtenstellung als besonderes persönliches Merkmal für 1 Die Unionsrechtskonformität der Anknüpfung an den nicht frei zugänglichen Mit­ gliedsstatus bezweifelnd Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 3. Aufl., Kap. 7 Rn 171; siehe auch Rosenthal, DStR 2013, 443 (444) unter Verweis auf EuGH, Rs. C‑174/11, Zimmermann, ECLI:EU:C:2012:719. 2 Vgl. Schmitz/Erdbrügger, DStR 2010, 846 (848); Staschewski/Drüen, UR 2009, 361 (371); Sterzinger, in: Birkenfeld/Wäger, USt HdB, 75. Lfg., § 98 Rn 322; krit. auch Stadie, UStG, 3. Aufl., § 4 Nr. 14 Rn 32; Musil, Gesundheitsreform, 2010, S. 57; nach FG Schleswig-Holstein, EFG 2013, 1884 (1887 f) und FG Münster, EFG 2014, 1047 (1049) liegt ein Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip vor. 3 Siehe zuletzt EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik u.a., ECLI:EU:C:2014.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

konkurrierende Postdienstleister mangels einer marktbeherrschenden Stellung nach wie vor ausgeschlossen. Mit der seit dem 01.07.2010 gel­ tenden Neufassung gehört dieser persönliche Ausgrenzungseffekt aller­ dings der Vergangenheit an. Durch die Einführung des umsatzsteuer­ rechtlich autark wirkenden Selbstverpflichtungsmechanismus ist die Befreiung in subjektiver Hinsicht für sämtliche Marktteilnehmer in glei­ cher Weise zugänglich geworden, ohne dass es hierzu länger eines post­ ordnungsrechtlich konstituierten Sonderstatus bedarf. Ein effektives Hindernis für die Exemtion kann sich nach dieser Umsetzung aus­ schließlich aus den objektiv einzuhaltenden Leistungsan­ forderungen ­bezüglich einer flächendeckenden sowie qualitativ hochwertigen Ver­ sorgung in wenigstens einem Universaldienstsegment ergeben. Die Post­ dienstbefreiung ist insofern durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass sich ihr Fokus nicht isoliert an Einzelumsätzen orientiert, sondern auf einer Gesamtschau der die Grundversorgung bildenden Einzelleistungen beruht1. Sind konkurrierende Anbieter zur Einhaltung dieser Standards nicht bereit oder fähig, ist eine entsprechende Zutrittsbarriere aber allein objektiver Natur. bb) Objektiver Leistungsbezug durch subjektive Befreiungsmerkmale Weiterhin schlagen Befreiungen in eine subjektive Wirkung um, soweit ihre persön­ lichen Tatbestandsmerkmale keinen hinreichenden Bezug zur Beschaffenheit der ausgeführten Umsätze aufweisen. In diesem Falle zielt die Exemtion primär auf eine Begünstigung bestimmter Unterneh­ mergruppen ab, während die vorrangige Anknüpfung an einen sachlich ausdifferenzierten Bestand von Lieferungen oder sonstigen Leistungen derogiert. Als eindeutig subjektiv zu klassifizieren sind Regelungen, die ausschließlich Anforderungen an die Person des Unternehmers formu­ lieren und sich gegenüber der konkreten Art freizustellender Umsätze gänzlich indifferent verhalten2. Exemplarisch kann für eine solche Wir­ kung wiederum das Blindenprivileg (§ 4 Nr. 19 lit. a) UStG) angeführt werden. Nach dieser Bestimmung sind Umsätze jeglicher Art freigestellt, soweit diese lediglich durch einen blinden Unternehmer erbracht wer­ den3. Das Merkmal der Blindheit repräsentiert dabei eine abstrakte Zwecksetzung sozialpolitischer Art, ohne aus Sicht des Steuerträgers ei­ nen besonderen Mehrwert der empfangenen Leistungen als Befriedigung von für förderungswürdig befundenen Eigenbedürfnissen zu vermitteln4. 1 Dies illustriert z.B. die jahresdurchschnittlich bemessene Zustellgeschwindigkeit gemäß § 2 Nr. 3 PUDLV. 2 So auch Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 40; Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 147; Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 60 f. 3 Statt vieler Teichmann, StuW 1975, 189 (191). 4 Zur verbrauchsteuerlichen Perspektive etwa Söhn, StuW 1976, 1 (18).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

In gleicher Weise strukturiert ist die Besteuerungsausnahme zugunsten der Kleinunternehmer gemäß § 19 UStG1, deren Wirkung sich allein nach der Umsatzhöhe bestimmt2. An anderer Stelle im Systemaufbau begegnet in § 12 Abs. 2 Nr. 8 lit. a) Satz 1 UStG eine weitere Unterneh­ merbegünstigung in Reinform, die Anbietern mit Gemeinnützigkeitssta­ tus eine pauschale Ermäßigung zuteilwerden lässt3. Die sachlich indifferente Exemtion des Steuergegenstandes wird im Rah­ men einer allgemeinen Verbrauchbesteuerung generell als Fremdkörper wahrgenommen und besitzt Ausnahmecharakter. Allerdings bildet die gänzlich fehlende Anknüpfung an sachliche Umsatzmerkmale keine notwendige Bedingung für eine subjektive Begünstigungsnatur4. Nicht leistungsbezogene Anforderungen entwickeln innerhalb des tatbestand­ lichen Aufbaus eine überbordende Eigendynamik, sofern die Befreiung im Ergebnis nur einer bestimmten Unternehmerkategorie zugutekommt. Aus der Perspektive des Leistungsempfängers findet zwar eine stärkere Annäherung an das Verbrauch­steuerprinzip statt, indem mit vordefinier­ ten Umsatzkategorien ein besonderer Nutzwert aus Sicht des Trägers verknüpft sein mag. Dennoch bewahrt die Befreiung einen subjektiven Zuschnitt, während die simultane Anknüpfung an objektive Kriterien des Umsatzes in den Hintergrund rückt und sich somit als im Wirkungs­ gefüge lediglich nachrangige Einschränkung einer letztlich persönlichen Exemtion darstellt. Diesen Effekt zeigte § 4 Nr. 11b UStG a.F. insoweit auf, als auch die grundversorgungsrelevante Eingrenzung auf unmittel­ bar dem Postwesen dienende Umsätze die Exklusivstellung der DPAG nicht zu überwinden vermochte. 1) Leistungsspezifische Ausprägungen in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL Im Gegensatz zu einer rein subjektiven Wirkung sind die in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL normierten Mischtatbestände regelmäßig durch ei­ nen besonderen Leistungsbezug gekennzeichnet5. Ausgehend von einer 1 Keen/Smith, in: Adam u.a., Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (309); Ebrill/ Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 81. 2 Zum Subventionseffekt de la Feria/Krever, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 3 (15). 3 Für eine Abschaffung de lege ferenda Seer, in: DStJG 26 (2003), S. 11 (38). 4 Zu eng dagegen Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 39; Pötters, USt im Gesundheits­ wesen, 2016, S. 5; Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 147; Tonner, Umsatzsteu­ erbefreiung heilberuflicher Leistungen, 2005, S. 30; Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (467); zu weitgehend Borgsmidt, UR 1999, 1 (7), nach deren Ansicht der bloße Bezug auf bestimmte Einrichtungen oder Wirtschaftsteilnehmer eine subjektive Befreiung begründe. 5 Durchweg von objektiven Befreiungen in § 4 UStG außer Nr. 19 ausgehend auch Reiß, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 14 Rn 88; Teichmann, StuW 1975, 189 (191).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

regelungstechnischen Betrachtung, lassen sich diese Befreiungen in zwei Kategorien einteilen. Eine erste Untergruppe bilden Tatbestände, in de­ nen die freizustellenden Leistungen ihrer Art nach entweder konkret be­ zeichnet oder zumindest einem übergeordneten Sachbereich unterstellt sind1. Eine genauere Bestimmung der sachlich befreiten Umsätze ergibt sich gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL etwa aus dem Begriff der Kran­ kenhaus- und Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin (lit. b und c), ferner auch für Erziehung, Schul- und Hochschulunterricht (lit. i und j), Personalgestellung (lit. k) oder Krankentransporte (lit. p). Eine we­ niger direkte Zuordnung erfolgt über allgemeine Tätigkeitsbilder wie beispielsweise Sozialfürsorge und soziale Sicherheit (lit. g), Kinder- und Jugendbetreuung (lit. h) oder Sport und Körperertüchtigung (lit. m). So­ weit die Steuerfreiheit in diesen Fällen ganz überwiegend an bestimmte Eigenschaften des Unternehmers gebunden ist, erfüllen diese subjekti­ ven Merkmale typischerweise eine besondere Funktion im Hinblick auf die sachlich zu befreienden Umsätze. Dies verdeutlicht besonders nachdrücklich das Erfordernis einer defi­ nierten beruflichen Ausbildung als Arzt, welche eine hohe Leistungsqua­ lität der am Patienten verrichteten Dienstleistung garantiert und somit zugleich die entsprechende Eignung zur Erfüllung grundlegender Bedürf­ nisse im Bereich der Humanmedizin widerspiegelt2. Ebenso wahrt bei der Befreiung anerkannter Privatschulen sowie bildender Einrichtungen das Kriterium der Genehmigung oder Bescheinigung gemäß der Umset­ zung in § 4 Nr. 21 lit. a) Doppelbuchst. aa) und bb) UStG die Erbringung eines seriösen sowie angemessenen Unterrichtsniveaus. Weitergehend ist das ermessensabhängig durch die Mitgliedstaaten auszugestaltende Merkmal der Anerkennung privater Einrichtungen als solche mit sozia­ lem Charakter dazu geeignet, prägende Umfeldbedingungen für eine dem Gemeinwohlinteresse konforme Leistungsausführung zu statuieren3. Abgesehen von einer qualitätssichernden Funktion kann auch die feh­ lende Absicht zur Gewinnerzielung leistungsspezifisch interpretiert werden, da die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe des Steuervorteils er­ höht und insgesamt die Preisgestaltung als ein maßgeblicher Faktor für Inanspruchnahme eines Umsatzes positiv beeinflusst wird4. 1 Vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. b), c), g), h), i), j), k), m), n) und p) MwStSystRL. 2 EuGH, Rs. C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833 Rn 27; für arztähnlichen Berufe ist ein geeigneter Befähigungsnachweis notwendig, vgl. EuGH, Rs. C-443/04, Solleveld u.a., Slg. 2006, I-3617 Rn 41; Heidner, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl., § 4 Nr. 14 Rn 45; siehe auch Nieskens, UR 2002, 577 (581). 3 Im Erg. sind daher auch die Tatbestände in § 4 Nr. 14 ff UStG als objektive Befreiun­ gen anerkannt, vgl. statt vieler Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 3. Aufl., Kap. 7 Rn 149. 4 Das Pendant bildet die optionale Preisgenehmigung gemäß Art. 133 Abs. 1 lit. c) MwStSystRL.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Die zweite Kategorie bilden Befreiungen, die zunächst abstrakt auf Liefe­ rungen und Leistungen abstellen, eine weitere Präzisierung aber sodann durch die Qualifikation des ausführenden Unternehmers vollziehen1. So erhalten etwa Dienstleistungen der Zahntechniker iSv Art. 132 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL ihre maßgebliche Kontur erst durch die berufsmäßige Ankoppelung, aus der sich gleichzeitig eine qualitative Vorgabe aufgrund vorhandener Fachkenntnisse ableiten lässt. Ferner vermitteln die in Art. 132 Abs. 1 lit. l) MwStSystRL aufgezählten Einrichtungen ohne Ge­ winnstreben und mit einer bestimmten Zielsetzung den objektiv freizu­ stellenden Umsätzen ihren konkreten Funktionsgehalt. Die Regelungstechnik der gemischt ausgestalteten Tatbestände verdeut­ licht, dass der Unionsgesetzgeber bei einer umsatzsteuerlichen Befreiung von Dienstleistungen auf die Verwendung subjektiver Merkmale ange­ wiesen ist. Im Rahmen von Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL erfüllen unter­ nehmerbezogene Eigenschaften den unabdingbaren Zweck, die Zielvor­ gabe des Gemeinwohls zu konkretisieren. Dieser Funktionszusammenhang ergibt sich für sonstige Leistungen, die abweichend zu Liefer­ungen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne per Definition nicht an einen konkret greifbaren Gegenstand gebunden sind2, aus dem bestimmenden Einfluss, den subjektive Eigenschaften in der Person des jeweiligen Erbringers auf die sachliche Leistungsqualität ausüben3. Empirisch lässt sich inso­ weit belegen, dass nahezu sämtliche Tatbestände in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL unternehmerspezifische Merkmale enthalten und dabei auf die Befreiung von Dienstleistungen gerichtet sind. Steuerbare Liefe­ rungen finden insoweit entweder gleichrangig Erwähnung oder werden als Annex im Rahmen einer engen Verbindung zu den sonstigen Leistun­ gen erfasst4. Für die einzige ausschließlich auf Lieferungen bezogene ­Exemtion gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL ergibt sich demge­ genüber die gemeinwohlspezifische Zielerfüllung bereits inhärent und damit rein objektiv aus dem medizinischen Verwendungszweck der dort benannten Gegenstände (menschliche Organe, Blut5 und Muttermilch)6.

1 Vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. a), e), l) und q) MwStSystRL. 2 Eingehend Messner, Der Gegenstand der Leistung im UStR, 1992, S. 96 f. 3 Ein eng beschaffener Bezug zur Person des Ausführenden besteht etwa aus zivilrecht­ licher Sicht für nicht vertretbare Dienstleistungen, vgl. Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 76. Aufl., § 613 Rn 1. 4 Vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. a), g), h), i), l), n) und o) MwStSystRL. 5 Siehe zur Begriffsauslegung zuletzt EuGH, Rs. C‑412/15, TMD, ECLI:EU:C:2016:738. 6 Dass auch die Befreiung von Lieferungen an eine persönliche Qualifikation gebun­ den sein kann, zeigt Art. 132 Abs. 1 lit. e) MwStSystRL bezüglich der Lieferung von Zahnersatz durch Zahntechniker und Zahnärzte auf, vgl. EuGH, Rs. C‑401/05, VDP Dental Laboratory, Slg. 2006, I-12121 Rn 35.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

2) Objektive Gewährleistungsfunktion der Universaldienst­verpflichtung Die Freistellung für Postdienste unterfällt der Kategorie gegenständlich abstrakt verfasster Tatbestände. Formal steht das Einrichtungsmerkmal bereits in Bezug zum objektiven Befreiungsumfang, da ausschließlich in dieser Eigenschaft ausgeführte Leistungen erfasst sind. Die entscheiden­ de inhaltliche Auswirkung dieser subjektiven Auflage ergibt sich unter­ dessen aus einer leistungsbezogenen Gewährleistungsfunktion. Die Ver­ pflichtungssituation beeinflusst zwar nicht unmittelbar die äußere Beschaffenheit, sofern auch ein nicht gebundener Anbieter gleichartige Postdienste freiwillig verrichten könnte. Indirekt verbürgt sie allerdings, dass der staatlich kontrollierte Dienstleister die postalische Grundver­ sorgung auch tatsächlich übernimmt und das Universaldienstkonzept iSv Art. 3 PostRL samt national geltender Standards flächendeckend er­ füllt. Soweit daher § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG die Abhängigkeit zu einer zentral durch BZSt bescheinigten Selbstverpflichtung schafft, weist diese Voraussetzung einen hinreichenden Bezug zur objektiven Versorgungs­ qualität auf. Zudem erlauben speziell die Bescheinigung sowie allgemein der anerkannte Status als öffentliche Posteinrichtung einen effizienten Verwaltungsvollzug1, da die Gesamtwirkung einer territorial umfassen­ den Versorgungslage nur anhand des komplexen Geflechts einer Vielzahl von Einzelumsätzen bestimmbar ist2. Die zentral überprüfte sowie be­ scheinigte Selbstverpflichtung fungiert daher als eine Art Gütesiegel und bietet einen verlässlichen Indikator für die Erfüllung des postsektoral konkretisierten Gemeinwohlinteresses. cc) Fazit: Fehlender Wettbewerbsbezug dogmatischer Klassifizierung Die Umsatzsteuerbefreiung von Postdienstleistungen stellt sich in ihrer konkreten Umsetzung gemäß § 4 Nr. 11b UStG als objektiver Tatbestand dar. Im Verhältnis zum rein subjektiven Blindenprivileg entfaltet § 4 Nr. 11b UStG dennoch ähnlich gelagerte Auswirkungen auf den Wettbe­ werb, da derzeit ausschließlich die DPAG als (selbst)verpflichteter An­ bieter nicht steuerpflichtige Umsätze erbringt. Dieser Vergleich illus­ triert, dass die dogmatische Verortung umsatzsteuerlicher Befreiungen letztlich keinen definitiven Aussagewert bezüglich einer eventuellen Wettbewerbsdisparität besitzt3. Ursächlich hierfür ist, dass Umsatzsteu­ erbefreiungen für sonstige im Gemeinwohlinteresse erbrachte Leistun­ 1 Siehe hierzu Teil 3 E.IV.2.b). 2 Zur Funktion subjektiver Merkmale für eine effektive Steuererhebung Jacobs, Gemein­nützigkeit, 2009, S. 41; ebenso Pötters, USt im Gesundheitswesen, 2016, S. 6. 3 So auch für eine objektive Verbrauchsteuerentlastung von Heizdiesel für Treibhäu­ ser EuG, Rs. T-379/09, Italien/Kommission, ECLI:EU:T:2012:422 Rn 47; vgl. ferner Kommissionsentwurf v. 17.01.2014 – Bekanntmachung der Kommission zum Begriff

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

gen in aller Regel auf subjektive Unternehmermerkmale Bezug nehmen müssen. Intern vorprogrammiert sind mit dieser Typisierung zugleich Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Bestimmung des einbezogenen Un­ ternehmerkreises. Sofern also gemischt verfasste Befreiungen nur auf Umsätze besonders qualifizierter Unternehmer anwendbar sind, vermag ihr Tatbestand regelmäßig nicht sämtliche Substitutionsverhältnisse am Markt abzubilden. Derartigen Vorschriften wohnt folglich strukturell das Potenzial zu wettbewerbsrelevanten Verwerfungen inne. 3. Stellungnahme: Beihilfenkontrolle für mitgliedstaatliche ­Maßnahmen Entgegen der von Koenig entwickelten Konzeption kann § 4 Nr. 11b UStG nicht als subjektive Befreiung und allein deshalb selektive Begüns­ tigung eingestuft werden. Eine andere Bewertung könnte allenfalls für Exemtionsgestaltungen mit rechtlicher Exklusivität angezeigt sein, wie sie stellvertretend mit Blick auf Österreich und das Vereinigte König­ reich schon exemplifiziert worden sind. Wenig überzeugend fällt unter­ dessen der in Stellung gebrachte Vorwand aus, Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL statuiere in wettbewerbsgefährdender Weise eine nicht hinreichend präzise gefasste Um­­ set­ zungs­­ vorgabe. Dieses Votum lässt ­außer Acht, dass in Sachen „Kommission/Deutschland“, „TNT Post UK“ sowie „Kommission/Schweden“ nunmehr drei höchstrichterliche Ent­ scheidungen zur Postdienstbefreiung vorliegen, in denen der Gerichtshof das ausschlaggebende Posteinrichtungsmerkmal in seinem Verhältnis zur objektiven Befreiungsreichweite eingehend behandelt hat1. Auch steht diese These in eklatantem Widerspruch zu der allgemein gewonne­ nen Erkenntnis, dass sich die Richtlinienvorgabe auch dank ihrer inhalt­ lichen Bestimmtheit für eine Direktwirkung qualifiziert2. In dogmatischer Hinsicht scheint weiterhin dem Grunde nach zweifel­ haft, ob die selektive Referenz anstatt dem Binnenbereich von Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL nicht überzeugender aus der umsatzsteuerlichen Ty­ pologie als allgemeiner Verbrauchsteuer extrahiert werden muss. Den maßgeblichen Ausgangspunkt für Art. 107 Abs. 1 AEUV bildet eher das charakteristische Leitbild einer breit staffierten Erfassung möglichst sämtlicher Entgeltvorgänge von Unternehmern3, so dass gemeinwohl­ spezifische Befreiungen selbst nicht das verbindliche Referenzsystem,

der staatlichen Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn 119; Jestaedt, in: Heiden­ hain, HdB BeihR, 2003, § 8 Rn 10. 1 Ebenso Eilers, DStR 2009, 1132 (1133). 2 Ein direkter Gegensatz besteht ferner zu KOM ABl EU Nr. C 75 E v. 14.03.2013, S. 137 Nr. 1. 3 Vgl. zum Ansatz der gewöhnlichen Steuerlast auch KOM ABl EG Nr. C 98 v. 10.12.1998, S. 3 Rn 15; Götz, in: FS Vogel, 2000, S. 579 (587).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

sondern eine relevante Abweichung beschreiben1. Dergestalt wären die Tatbestände in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL generalisierend als selektive Förderung bestimmter Wirtschaftssektoren iSv Art. 107 Abs. 1 AEUV einzustufen. Dies beruht auf der Einsicht, dass eine differenzierte Bevor­ zugung bestimmter Gemeinwohlfelder zugleich eine auf sämtliche Leis­ tungs- oder Produktionszweige ausgedehnte Förderung präkludiert, ob­ gleich Letztere allgemein der Umsatzsteuerschuld unterliegen2. Schließlich gewinnt eine beihilfenrechtliche Kontrolle von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL schon rein praktisch keine Bedeutung, sofern sich nach der einvernehmlichen Linie von EuGH und Kommission allein mitgliedstaatlich veranlasste Wettbewerbsverzerrungen als erheblich er­ weisen. Vor allem aber erscheint diese Sichtweise auch normativ über­ zeugend3. Der eindeutige Wortlaut von Art. 107 Abs. 1 AEUV gibt eine staatliche Begünstigung bestimmter Unternehmer oder Produktions­ zweige vor4. Die darin abschließend zum Ausdruck gebrachte Adressie­ rung der Mitgliedstaaten erschließt sich aus dem Sinn und Zweck des Beihilfenverbots, denn die supranationale Kontrolle ist in erster Linie dem Schutz des Binnenmarktes gewidmet, dessen Konzeption in vorzüg­ licher Weise durch staatlich verfolgte Partikularinteressen bedroht wird5. Eine gleich gelagerte Risikotypizität ist Handlungen der Unionsorgane nicht immanent, werden diese doch verfahrensrechtlich in einen staa­ tenübergreifenden Abstimmungsprozess eingebunden und Blick auf den gesamten EU-Wirtschaftsraum erlassen6. Für den Bereich der binnen­ marktfinal verfassten Umsatzsteuerharmonisierung findet sich eine ent­ sprechende Rücksichtnahmepflicht in der Ermächtigungskompetenz ge­ mäß Art. 113 AEUV nachdrücklich bestätigt. Zuzugeben ist der gegenläufigen Sichtweise, dass Art. 101 ff AEUV die primärrechtliche Festlegung einer freiheitlich geprägten Marktordnung effektuieren und diese höherrangige Grundentscheidung richtigerweise auch im Rahmen des Sekundärrechts nicht zu einer beliebigen Verfü­ gungsmasse degradiert werden darf. Der in Art. 107 Abs. 1 AEUV selbst­ 1 So auch Helios, EWS 2005, 208 (212). 2 Der Ausnahmecharakter einer Maßnahme liegt bereits vor, wenn nicht alle der Steu­ erart unterliegende Unternehmen und Industriezweige von ihr profitieren können, vgl. GA Darmon, Schlussanträge Rs. C‑72/91, Sloman Neptun, Slg. 1993, I-887 Rn 58; Jestaedt, in: Heidenhain, HdB BeihR, 2003, § 8 Rn 8. 3 Siehe statt vieler Soltész, in: MüKo WettbR, 2011, Art. 107 AEUV Rn 266; Lehnert, Korrektur von Beihilfen, 2009, S. 45; Cichy, Wettbewerbsverfälschungen, 2002, S. 157; für Art. 131 ff MwStSystRL Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 15 ff. 4 Schwab, in: MüKo, Eur WettbR, 2011, Art. 107 AEUV Rn 15 f. 5 Siehe dazu Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, WettbR Bd 3, 5. Aufl., Einl Rn 51; Bleckmann, RabelsZ 48 (1984), 419 (449). 6 EuGH, Rs. C-298/96, Oelmühle Hamburg, Slg. 1998, I-4767 Rn 37; Cremer, in: Cal­ liess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 107 AEUV Rn 5.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

bestimmte Rückzug auf mitgliedstaatlich zu verantwortende Verzerrun­ gen hinterlässt jedoch keine inakzeptable Schutzlücke1, vielmehr wird das Grundprinzip eines chancengleichen Wettbewerbs gleichsam über die Bindung unionsrechtlicher Akte an Grundfreiheiten und Grundrech­ te transportiert2. Eine zusätzliche Flankierung bewirkt der primärrechtli­ che Gleichbehandlungsgrundsatz3, dessen Gehalt aus Unternehmer- wie Verbraucherperspektive in einer grundsätzlich neutral konzeptionierten Umsatzbesteuerung mündet.

II. Beeinträchtigung der Grundfreiheiten Im Anwendungsfeld der Grundfreiheiten näher zu erwägen ist eine recht­ fertigungsbedürftige Kollisionslage der Postdienstbefreiung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff AEUV) sowie die Dienstleis­ tungsfreiheit (Art. 56 ff AEUV). Die obigen Ausführungen unter I. haben aufgezeigt, dass sich im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem aus Ge­ meinwohlgründen verbindlich angelegte Freistellungen allenfalls als Unionsbeihilfe qualifizieren und somit nicht der Geltung von Art. 107 Abs. 1 AEUV unterfallen. Für die Primärrechtskonformität einer supra­ national determinierten Vergünstigung entfalten die Grundfreiheiten folglich einen uneingeschränkt anzulegenden Maßstab, dessen Reich­ weite keinerlei Beschränkungen durch das Beihilfenregime als eventuell vorrangiges Sonderrecht für die staatliche Subventionsvergabe erfährt4. 1. Anwendungsbereich und Prüfgegenstand Im Rahmen eines zweistufigen Rechtssetzungsprozesses, wie er bei der gebotenen Transformation von Richtlinien in nationales Recht angetrof­ fen wird, verdienen im Ausgangspunkt die sachliche Reichweite sowie die daraus abzuleitende Bindungskraft der Grundfreiheiten eine einge­ hendere Betrachtung. Diese gibt für umsatzsteuerliche Befreiungen allge­ mein vor, welcher konkrete Prüfgegenstand im verschränkten Mehr­ ebenenverhältnis der beteiligten Rechtsakte zu identifizieren ist.

1 In diesem Sinne auch Terra, Intertax 2012, 101 (110). 2 So auch Petzold, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 4 Rn 20 ff; enger Cichy, Wettbewerbsverfälschungen, 2002, S. 158 ff. 3 Eingehend Englisch, EuR 2009, 488 (491 ff); Klement, Wettbewerbsfreiheit, 2015, S. 346 ff, 496; einschr. zum Gleichheitssatz dagegen Mestmäcker/Schweitzer, in: Im­ menga/Mestmäcker, WettbR Bd 3, 5. Aufl., Einl Rn 52. 4 Einen Vorrang des Art. 107 zu Art. 49 ff AEUV annehmend Lackhoff, Niederlas­ sungsfreiheit, 2000, S. 440; ebenso für Art. 28 ff AEUV Ehlers, JZ 1992, 199 (200).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

a) Determinierende Richtlinienvorgaben Unterliegt ein bestimmter Sachbereich einer abschließenden Harmoni­ sierung, genießen die einschlägigen Bestimmungen des sachnäheren Se­ kundärrechts Anwendungsvorrang im Verhältnis zum Primärrecht1. In­ folge dieser Spezialität sind die Mitgliedstaaten daran gehindert, der Harmonisierung entgegenstehende Maßnahmen unter Berufung auf die grundfreiheitlich anerkannten Rechtfertigungsgründe zu erlassen. Wäh­ rend das nationale Recht praktisch nur am Maßstab der bindenden Se­ kundärrechtsbestimmungen zu überprüfen ist, aktiviert der primärrecht­ liche Geltungsvorrang eine direkte Rückbindung der Richtlinie an die Grundfreiheiten2. Am Beispiel der postalischen Freistellung bedeutet dies, dass im Kernbereich der unmittelbar anwendbaren Vorgabe gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL allein diese Bestimmung einschließ­ lich sämtlicher Implikationen, die ihrer richtlinienkonformen Umset­ zung inhärent sind, den maßgeblichen Gegenstand einer grundfreiheitli­ chen Prüfung bildet. b) Sekundärrechtliches Gestaltungsermessen Räumt eine Richtlinienbestimmung, wie dies für Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL in Gestalt der optional ergänzenden Selbstverpflichtung er­ kannt wurde, ein relevantes Gestaltungsermessen ein, ist die Umsetzung innerhalb dieser Reichweite Ausfluss der auf nationaler Ebene belas­ senen Autonomie. In Bezug zu dem vorerwähnten Szenario stellt sich jedoch kein abweichendes Ergebnis ein, weil der Sekundärrechtsakt ebenso wie das nationale Umsetzungsgesetz vollumfänglich mit den grundfreiheitlichen Gewährleistungen in Einklang stehen müssen3. Ne­ ben den Unionsorganen adressieren die Grundfreiheiten vornehmlich die Mitgliedstaaten und binden diese universell nicht nur hinsichtlich voll­ kommen souveräner Rechtsetzung, sondern erst recht bei der Ausgestal­ tung richtlinienspezifischer Spielräume. Diese doppelte Adressierung überwindet innerhalb eines gestuften Rechtsetzungsprozesses die forma­ le Trennung der eingefassten Rechtsakte und verschmelzt beide Ebenen zu einer grundfreiheitlichen Wertungseinheit.

1 EuGH, Rs. C-37/92, Vanacker und Lesage, Slg. 1993, I-4947 Rn 6 ff; Frenz, HdB EuR, Bd 1, 2. Aufl., Rn 3. 2 EuGH, Rs. C-169/99, Schwarzkopf, Slg. 2001, I-5901 Rn 37; Rs. C-51/93, Meyhui/ Schott Zwiesel Glaswerke, Slg. 1994, I-3879 Rn 11; Rs. 15/83, Denkavit Nederland, Slg. 1984, 2171 Rn 15. 3 Zum Anwendungsvorrang Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 10 Rn 10.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

2. Niederlassungsfreiheit, Art. 49 ff AEUV Auf der Grundlage mit der dogmatisch allgemein anerkannten Konver­ genz der Grundfreiheiten orientieren sich die nachfolgenden Ausführun­ gen an einem dreistufigen Aufbau. Ausgehend von der Eröffnung des Schutzbereichs (a) sowie dem Vorliegen einer befreiungsbedingten Beein­ trächtigung (b) wird abschließend dargelegt, welche Rechtfertigungsmög­ lichkeiten dem Grunde nach gegeben sind (c). a) Sachlicher und persönlicher Schutzbereich Die Niederlassungsfreiheit schützt die Möglichkeit für EU-Angehörige, mittels einer selbstständigen Betätigung in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates als dem der Herkunft teilzunehmen1. Außer natürlichen Personen können sich nach Maßgabe von Art. 54 AEUV auch Gesellschaften auf Art. 49 AEUV beru­ fen. Für privatisierte Postanbieter besitzt dieser Passus herausragende Bedeutung, da sie ihr Geschäft nicht als Einzelunternehmer, sondern ty­ pischerweise in kapitalgesellschaftlicher Organisationsform ausüben. Personenmehrheiten sind in den subjektiven Schutzgehalt der Niederlas­ sungsfreiheit einbezogen, wenn ihre Gründung nach den Rechtvorschrif­ ten eines Mitgliedstaates erfolgt ist, Art. 54 UAbs. 1 AEUV. Zusätzlich erfordert die Äquivalenz zur Staatsangehörigkeit natürlicher Personen nach dieser Bestimmung, dass die Gesellschaft optional den Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung innerhalb eines EU-Mit­ gliedstaates unterhält. Im Ergebnis ist die Niederlassungsfreiheit somit auf Postunternehmen unproblematisch anwendbar, soweit diese einen wirtschaftlichen Nähebezug zum EU-Raum aufweisen. Kennzeichnend für die Niederlassungsfreiheit ist die Ausübung einer selbstständigen, auf Dauer angelegten Erwerbstätigkeit im Rahmen einer festen Einrichtung sowie innerhalb eines grenzüberschreitenden Kontex­ tes2. Der sachliche Schutzbereich umfasst gemäß Art. 49 UAbs. 1 Satz 1 AEUV sowohl die Neuaufnahme als auch die Verlegung des unternehme­ rischen Hauptsitzes in einen anderen Mitgliedstaat. Gleichermaßen ge­ schützt ist gemäß Art. 49 UAbs. 2 Satz 2 AEUV die grenzüberschreitende Expansion der wirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, die sich namentlich im Wege der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochter­ gesellschaften vollziehen kann. Diese sog. „sekundäre Niederlassungs­ freiheit“ dürfte sich als die für den Postsektor überwiegend einschlägige Variante erweisen, da national etablierte Anbieter ihr Betätigungsfeld in aller Regel auf ausländische Märkte ausdehnen, ohne dabei ihren heimi­ schen Hauptsitz aufzugeben. Hinreichendes Anschauungsmaterial lie­ 1 Vgl. sinngemäß EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165 Rn 25. 2 Siekemeier/Wendland, in: Müller-Graff, EnzEur, Bd 4, 2015, § 3 Rn 7.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

ferten in diesem Zusammenhang die lange Zeit gehegten Vorbehalte ge­ gen eine schrittweise Reduktion der Briefmonopole gemäß Art. 7 PostRL. Aus Angst vor einer asymmetrischen Liberalisierung zögerten einige Mitgliedstaaten die vorzeitige Öffnung des heimischen Marktes hinaus, um auf diese Weise einer grenzüberschreitenden Marktpenetration durch ausländische Dienstleister zum Nachteil des nationalen Incumbent im Briefgeschäft entgegenzutreten1. Die Formulierung in Art. 49 UAbs. 1 Satz 1 AEUV besitzt die nötige Of­ fenheit, um flexibel auf die unterschiedlichen Modelle einer transnatio­ nalen Wirtschaftsintegration reagieren zu können2. Eine solche ist auf Grundlage der Niederlassungsfreiheit insbesondere auch durch einen strategischen Beteiligungserwerb an ausländischen Gesellschaften mög­ lich, um über deren Sachkapital das operative Postgeschäft auszuführen. Diesbezüglich tritt die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff AEUV) hinter der Niederlassungsfreiheit zurück, sollte die Beteiligung dem Gesell­ schafter einen beherrschenden Einfluss zu Lenkungszwecken vermitteln und nicht lediglich als Anlageportfolio dienen3. b) Beeinträchtigung des Schutzbereichs Ihrem ursprünglichen Kern nach sind die Grundfreiheiten als Diskrimi­ nierungsverbote konzipiert mit der Folge, dass jedenfalls eine spürbare Schlechterstellung ausländischer Sachverhalte gegenüber inländischen grundsätzlich untersagt wird. Diesen Gehalt bringt Art. 49 Abs. 2 AEUV für die Niederlassungsfreiheit zum Ausdruck. Abhängig von den einer Maßnahme zugrunde liegenden Kriterien gilt es dabei zwischen unmit­ telbar und mittelbar wirksamen Diskriminierungen zu unterscheiden4. Keine maßgebende Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang indes die Frage nach der tech­ nischen Ausgestaltung einer Differenzierung. Die Wettbewerbsgleichheit als elementare Voraussetzung für eine trans­ nationale Wirtschaftsbetätigung kann durch eine gesonderte Belastung grenzüberschreitender Vorgänge ebenso gestört sein wie infolge ihres Ausschlusses von einer für Inländer vorbehaltenen Begünstigung im 1 Siehe Lau, N&R 2006 Editorial; spez. aus Sicht der Niederlande Gough, in: Crew/ Brannan, Postal and Delivery Sector, 2014, S. 161 (165). 2 Vgl. zur Wahlfreiheit bezüglich der konkreten Niederlassungsform EuGH, Rs. C‑307/97, Saint-Gobain, Slg. 1999, I-6161 Rn 42; Rs. 270/83, Kommission/Frank­ reich, Slg. 1986, 273 Rn 22; siehe ferner Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, 2000, S. 173 f; Tietje, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 10 Rn 36. 3 EuGH, Rs. C-231/05, Oy AA, Slg. 2007, I-6373 Rn 20; Rs. C-96/04, Cadbury Schwep­ pes, Slg. 2006, I‑7995 Rn 31; Rs. C-251/98, Baars, Slg. 2000, I-2787 Rn 22; Lang, in: FS Spindler, 2011, S. 297 (309 ff). 4 EuGH, Rs. C-440/08, Gielen, Slg. 2010, I-2323 Rn 37; Rs. C-385/05, Talotta, Slg. 2007, I‑2555 Rn 17; Rs. C‑279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225 Rn 26; Jarass, EuR 2000, 705 (709 f).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

steuerrechtlichen Kontext1. Als dritte Kategorie einer möglichen Beein­ trächtigung des grundfreiheitlichen Schutzbereichs kommt schließlich die allgemein effektuierte Behinderung grenzüberschreitender Aktivitä­ ten in Betracht. aa) Unmittelbare Diskriminierung Die Umsatzsteuerbefreiung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ruft die Ungleichbehandlung verschiedener Marktteilnehmer hervor, so­ fern regelmäßig nur ein verpflichteter Anbieter je Mitgliedstaat den öf­ fentlichen Posteinrichtungsstatus für sich reklamiert. Eine unmittelbare Diskriminierung läge jedoch nur vor, falls diese Differenzierung aus­ drücklich auf den gesellschaftlichen Sitz als Pendant zur Staatsangehö­ rigkeit einer natürlichen Person abzielte2. Eine derartige Exklusivität geht von der Postdienstexemtion aber gerade nicht aus. Der unternehme­ rische Status setzt nur die Erfüllung einer (selbst)verpflichtend auferleg­ ten Universaldienstversorgung voraus, ohne dass diese Sonderfunktion und damit der Zugang zur Freistellung insgesamt formal an den Gesell­ schaftssitz appellierte. bb) Mittelbare Diskriminierung Eine mittelbare Diskriminierung ist dadurch gekennzeichnet, dass die in Rede stehende Maßnahme anstelle von Staatsangehörigkeit oder Gesell­ schaftssitz zwar an formell neutrale und damit unterschiedslos anwend­ bare Kriterien anknüpft, in Wirklichkeit aber eine der unmittelbaren Diskriminierung entsprechende Wirkung hervorruft. Für die Verifizie­ rung einer mittelbaren Diskriminierung existieren zwei unterschied­ liche Ansätze mit allerdings oftmals identischen Ergebnissen. 1) Typisierte Regelungswirkung Eine der unmittelbaren Diskriminierung gleichwertige Disparität stellt sich vornehmlich ein, sollten die konkreten Voraussetzungen einer be­ günstigenden Rechtsfolge für Ausländer typischerweise schwieriger zu erfüllen sein, als dies für Inländer der Fall ist3. Ausgehend vom geforder­ ten Status einer öffentlichen Posteinrichtung könnte Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL bezüglich inländisch ausgeführter Umsätze insofern 1 Siehe EuGH, Rs. C-277/83, Kommission/Italien, Slg. 2006, I-1049; Jarass, in: FS Everling, 1995, S. 593 (602); Straßburger, Dogmatik der EU-Grundfreiheiten, 2012, S. 49. 2 Vgl. Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 7 Rn 27; Plötscher, Diskriminierung, 2003, S. 301. 3 Siehe dazu Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 49 AEUV Rn 48; ­Siekemeier/Wendland, in: Müller-Graff, EnzEur, Bd 4, 2015, § 3 Rn 56 f; Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 7 Rn 28.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

diskriminierend wirken, als die Befreiung eine physische Präsenz im Mitgliedstaat der Steuerbarkeit voraussetzt und diese Grundanforderung regelmäßig mit dem Sitz eines Anbieters einhergeht. Anders als durch den Unterhalt eigener Infrastruktureinrichtungen samt Personal ist die dauerhafte Erfüllung einer territorial umfassenden Versorgungspflicht nicht denkbar. Diese Wertung scheint sich überdies in der Tatsache wi­ derzuspiegeln, dass auf nationaler Ebene typischerweise die ehemals ho­ heitlich verwalteten Monopolbetriebe in ihrer nunmehr privatisierten Organisationsform mit der postalischen Grundversorgung betraut und zugleich exklusiv befreit sind. Im Unterschied zur Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit, die tat­ bestandlich nur den flüchtigen Absatz über nationale Grenzen hinweg erfassen, zeichnet sich der Anwendungsbereich der Niederlassungsfrei­ heit durch eine dauerhafte Integration des geschützten Personenkreises in das Wirtschaftssystem eines anderen Mitgliedstaates aus. Diese ­Charakteristik wirkt dergestalt einschränkend auf die Reichweite des Schutzgehalts, dass für Eingriffsmaßnahmen allgemein eine erhöhte To­ leranzschwelle gilt und vor allem ein größeres Maß an Akzeptanz für berufsbezogene Regulierungsakte herausgefordert ist1. Gleichermaßen bleibt die integrative Ausrichtung gemäß Art. 49 UAbs. 1 AEUV nicht ohne Einfluss auf die Kriterien, anhand derer eine Maßnahme als mittel­ bar diskriminierend zu qualifizieren ist. Allein die einer Grundversor­ gungsfunktion inhärente Präsenz im Zielstaat vermag noch keine spezi­ fische Belastung ausländischer Unternehmer zu erzeugen, da diese bei Ausübung der Niederlassungsfreiheit ohnehin eine feste sowie auf Dauer angelegte Einrichtung als Grundlage für ihre Erwerbstätigkeit anstre­ ben2. Die Untauglichkeit des Präsenzkriteriums für die gesicherte An­ nahme einer mittelbaren Diskriminierungswirkung zeigt sich zudem daran, dass es keine hinreichend funktionelle Äquivalenz zum Gesell­ schaftssitz aufweist. Wie Art. 49 UAbs. 1 Satz 2 AEUV klarstellt, richtet sich die geschützte Niederlassung nicht abschließend nach dem unter­ nehmerischen Hauptsitz, sondern kann ebenso gut sekundär begründet werden. Daher gilt, dass der Unternehmenssitz zwar häufig mit dem Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenfallen mag, umgekehrt aber ge­ rade keine unabdingbare Voraussetzung für die örtliche Präsenz bildet3. Ihrer Wirkungsstruktur gemäß liegt die Postdienstbefreiung überdies auf einer gemeinsamen Linie mit Reglementierungen, wie sie von einem staatlichen Monopolvorbehalt oder einer Bedürfnisregelung ausgehen 1 Classen, EuR 2004, 416 (423 f); Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, 2000, S. 417 ff mwN. 2 Die Niederlassung impliziert die Übernahme einer physischen Präsenz, vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, 7. Aufl., § 28 Rn 16. 3 Vgl. EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165 Rn 24.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

und im Rahmen der Niederlassungsfreiheit gerade nicht als mittelbar diskriminierend einzuordnen sind1. Ausschlaggebend ist letztlich, dass derartige Maßnahmen nur ausgewählte Unternehmer in Form eines Berufszugangs begünstigen, während im Übrigen heimische wie aus­ ­ ländisch niedergelassene Anbieter gleichermaßen ausgenommen sein können. Eine systematische Schlechterstellung zulasten grenzüber­ schreitender Vorgänge ist bei einer solchen Sachlage nicht gegeben. ­Reflektiert man diese Argumentation auf Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL, so ergibt sich, dass dessen Vorgabe unter Berücksichtigung der auf natio­ naler Ebene unterschiedlich gestalteten Verpflichtungsbedin­ gungen keine mittelbare Diskriminierung impliziert. Dies gilt zunächst für die ganz überwiegend anzutreffende Konzeption einer monopolarti­ gen Befreiung, die, wie am Beispiel Österreichs oder des Vereinigten Kö­ nigreichs aufgezeigt, jeweils nur einen einzigen Grundversorger als öf­ fentliche Posteinrichtung akzeptiert. Erst recht ist dieser Schluss für die neutrale Umsetzung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG angezeigt, die allein eine grundversorgungsadäquate Mindestversorgung zur Auflage für die Steuerfreiheit erhebt. 2) Statistische Korrelation Ein ergänzender Prüfansatz für das Vorliegen einer mittelbaren Diskrimi­ nierung besteht darin, die konkret ausgelösten Rechtsfolgen empirisch zu erfassen. Eine faktische Disparität ist demnach anzunehmen, falls das zugrunde gelegte Differenzierungskriterium die Staatsangehörigkeit sta­ tistisch nachweisbar repräsentiert, indem Ausländer im Verhältnis zu Inländern überproportional häufig durch eine nachteilige Anordnung be­ troffen werden2. Im Hinblick auf die Postdienstleistungsbefreiung lässt sich eine spiegelbildlich angelegte Korrelation nicht belegen. Je Mitglied­ staat unterliegt nur ein Postanbieter der Befreiung, so dass ausländische Unternehmer nicht stärker durch den Ausschluss von der Freistellung belastet sein können als die übrigen inländischen Dienstleister. Nicht entscheidend kommt es in der Sache darauf an, ob der Befreiungszugang je nach nationaler Umsetzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Grün­ den begrenzt bleibt.

1 Zu staatlichen Monopolen EuGH, Rs. C-186/11, Stanleybet, ECLI:EU:C:2013:33 Rn 21; Rs. C‑389/05, Kommission/Frankreich, Slg. 2008, I-5337 Rn 51; zu Bedarfs­ prüfungen EuGH, Rs. C-169/07, Hartlauer, Slg. 2009, I‑1721 Rn 36 ff; Rs. C-255/04, Kommission/Frankreich, Slg. 2006, I-5251 Rn 29; vgl. ferner Siekemeier/Wendland, in: Müller-Graff, EnzEur, Bd 4, 2015, § 3 Rn 77; Forsthoff, in: Hilf/Grabitz/Nettes­ heim, AEUV, Art. 49 AEUV Rn 99 ff. 2 GA Kokott, Rs. C-385/12, Hervis Sport, ECLI:EU:C:2013:531 Rn 37 ff; ebenso Straßburger, Dogmatik der EU‑Grundfreiheiten, 2012, S. 52 ff, 109.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

cc) Diskriminierungsfreie Beschränkung Geht von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL keine diskriminierende Wir­ kung aus, bedarf der weiteren Klärung, ob die Befreiung eine unter­ schiedslose Beschränkung der Niederlassungsfreiheit herbeiführt. Einige Stimmen in der Literatur stellen eine freiheitswahrende Akzentuierung der Grundfreiheiten gänzlich in Abrede. Die äußere Grenze einer mögli­ chen Beeinträchtigung markiert nach diesem Verständnis die Kategorie der mittelbaren Diskriminierung, innerhalb der grenzüberschreitende Sachverhalte einer spezifischen Benachteiligung durch die undifferen­ zierte Gleichstellung im Verhältnis zu inländischen Sachverhalten aus­ gesetzt sein können1. Keinem Rechtfertigungszwang unterliegen dem­ nach solche Maßnahmen, die – wie die postalische Umsatzsteuerbefreiung auch – in rechtlicher sowie tatsächlicher Hinsicht die Ausübung einer wirtschaftlichen Betätigung von In- und Ausländern auf dem Zielmarkt gleichförmig betreffen. Wie einleitend zu dieser Arbeit bereits angedeutet, haben sich die Grund­ freiheiten in der EuGH-Rechtsprechung unterdessen von ihrer gleich­ heitsrechtlichen Dimension emanzipiert und zu allgemeinen Beschrän­ kungsverboten fortentwickelt2. Normativ betrachtet bietet Art. 49 UAbs. 1 AEUV für diesen Prozess einen belastbaren Anknüpfungspunkt, soweit über das Gebot zur Inländergleichbehandlung in UAbs. 2 hinaus auch das Verbot allgemeiner Beschränkungen der freien Niederlassung ausdrück­ lich Erwähnung findet3. Bislang hat der EuGH diese Entwicklung noch nicht in gleichsam scharfer Ausprägung speziell für steuerrechtliche Konstellationen nachempfunden4. Häufig verharrt die Prüfung direkter Steuervorschriften der Mitgliedstaaten noch auf der Stufe der Schlechter­ stellung ausländischer Sachverhalte5, obgleich bereits vereinzelte Ten­ denzen zu einem freiheitsrechtlichen Einschlag sichtbar geworden sind6. Die generell zurückhaltende Ausdeutung speziell der Arbeitnehmer­ freizügigkeit wird durch den Gedanken getragen, dass ein vollkommen neutraler Grenzübertritt unter der Wirkung jeweils unterschiedlich ak­ 1 So Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 224 ff; ders., StuW 2003, 88 (90); zust. Straßburger, Dogmatik der EU-Grundfreiheiten, 2012, S. 56 ff; Kingreen, in: Bog­ dandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 705 (729); ders., EuGRZ 2004, 570 (575); siehe dazu auch Weber-Grellet, Eur StR, 2. Aufl., § 9 Rn 7. 2 Vgl. Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 10 Rn 23; siehe hier­ zu Teil 1 C.II.1.a). 3 Eingehend Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 (2574). 4 Dazu Engler, Steuerverfassungsrecht, 2014, S. 62; Englisch, in: Tipke/Lang, Steuer­ recht, 22. Aufl., § 4 Rn 85. 5 Vgl. zur Arbeitnehmerfreizügigkeit EuGH, Rs. C-392/05, Alevizos, Slg. 2007, I-3535 Rn 76; Rs. C‑365/02, Marie Lindfors, Slg. 2004, I-7183 Rn 34; C-387/01, Weigel, Slg. 2004, I‑4981 Rn 55. 6 Siehe auch Kofler, ÖStZ 2006, 106 (110 f).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

zentuierter Besteuerungsansätze auf nationaler Ebene in der ganz über­ wiegenden Zahl zu entscheidender Fälle kaum möglich sein wird. So gesehen ist der Gerichtshof zu Recht bestrebt, die Steuersouveränität re­ spektvoll in das grundfreiheitliche Konzept der Verträge zu integrieren. Die einzunehmende Perspektive verschiebt sich demgegenüber grundle­ gend im Bereich des Umsatzsteuerrechts, wo der Unionsgesetzgeber ein supranationales Regelwerk zur Verwirk­lichung des Binnenmarktes er­ lassen hat. Werden insoweit Hemmnisse für den grenzüberschreiten­ den Wirtschaftsverkehr in Gestalt subventionsgleicher Verschonungen alimentiert, verbleibt zugunsten einer grundfreiheitlich erhöhten Tole­ ranzschwelle kein stichhaltiges Argument. Aus Sicht des verlagerungs­ willigen Unternehmers wäre es nicht schlüssig begründbar, diesem im Geltungsrahmen eines umfassend harmonisierten Steuerregimes die Ak­ zeptanz marktzutrittshindernder Ungleichbehandlungen abzuverlangen. Eine maßvolle Anpassung der grundfreiheitlichen Dogmatik setzt daher voraus, steuerinduzierte Marktzutrittshindernisse im Sekundärrecht, hinsichtlich derer sich mitgliedstaatsspezifische Eigenheiten nicht ein­ stellen, ebenso effektiv zu erfassen, als wenn diese von fachfremden Regelungen ausgehen. Derweil gelangt ein indifferenter Verweis der ­ ­Beschränkungsfunktion selbst aus dem nationalen Steuerrechtszusam­ menhang in der Jurisdiktion unbeschadet der fallspezifisch eingebetteten Besonderheiten auch nicht zum Ausdruck, vielmehr lässt sich ein ver­ einzelter Übertrag der freiheitsrechtlichen Dimension auch insoweit be­ legen1. Gerade für das unionale Steuerrecht kann die vermeintliche Dis­ krepanz im Vergleich zu anderweitigen Sachbereichen nicht zuletzt damit erklärt werden, dass sich der EuGH bislang einer primärrechtlich angezeigten Geltungskontrolle weitgehend entzogen hat2. Sowohl im Hinblick auf die Dienstleistungs- als auch die Niederlas­ sungsfreiheit hat der EuGH den Beschränkungsbegriff dahingehend ge­ prägt, dass hierunter jede Maßnahme fällt, welche die Ausübung der ­geschützten Betätigung behindert oder weniger attraktiv macht3. Insbe­ sondere die Attraktivitätsprüfung leitet zu einer Annäherung an die Das­ sonnville-Formel über, da angesichts der insoweit notwendigen Bewer­ tung eines unprognostizierbaren Marktverhaltens im Einzelfall auch mittelbar und lediglich potenziell wirkende Beeinträchtigungen in die Eingriffsdogmatik eingeschlossen werden4. Nach dieser Konzeption eig­ nen sich die Grundfreiheiten nicht nur zur Abwehr von spezifischen 1 Vgl. EuGH, Rs. C-433/04, Kommission/Belgien, Slg. 2006, I‑10653 Rn 31; dies ein­ räumend auch Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 4 Rn 85. 2 Siehe auch de la Feria, WP 09/29, 9 ff. 3 St. Rspr., EuGH, Rs. C-208/05, ITC, Slg. 2007, I-181 Rn 55; Rs. C‑244/04, Kommis­ sion/Deutschland, Slg. 2006, I-885 Rn 30; Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I‑4165 Rn 37. 4 So auch Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 10 Rn 25.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Mehrbelastungen gegenüber ausländischen Sachverhalten, sondern erfas­ sen im Einklang mit der sehr viel grundlegenderen Zielrichtung des ­Binnenmarktes ebenfalls unterschiedslos geltende Hindernisse für den transnationalen Handel ungeachtet des relativierenden Umstands, ob eine gleichwertige Behinderung auch inländischen Marktteilnehmern obliegt1. Als das zentrale Problem einer derart weit gefassten Interpretati­ on wird zutreffend ausgemacht, dass unweigerlich jedwede wirtschafts­ bezogene Regulierung in den grundfreiheitlichen Fokus gerät2. Die Recht­ sprechung des EuGH bietet jedoch zwei taugliche Anknüpfungspunkte, um die erforder­liche Einzäunung des Schutzbereichs zu erreichen. Zunächst kann der Grundgedanke der ursprünglich zur Warenver­ kehrsfreiheit ent­ wickelten Keck-Rechtsprechung auch für die übrigen Grundfreiheiten fruchtbar gemacht werden.3 Bedingt wird hierdurch eine Rückbesinnung auf den wesensmäßigen Kerngehalt, im Sinne des Bin­ nenmarktes die freie Zirkulation von Wirtschaftsgütern über nationale Grenzen hinweg zu verbürgen. Absoluter Schutz im Sinne eines Freiheits­ rechts wird folglich nur gegenüber effektiven Einschränkungen des grenz­ überschreitenden Marktzutritts gewährt4. Einer solchermaßen definier­ ten Eingriffsqualität wohnt bereits eine gewisse Erheblichkeitsschwelle inne, da nicht jedwede negative Tangierung der wirtschaftlichen Betäti­ gungsfreiheit eine effektive Zugangsbehin­derung vermittelt5. Ergänzend sieht der EuGH zudem nur solche Maßnahmen einem Rechtfertigungs­ zwang unterlegen, deren Auswirkungen nicht allzu hypothetischer oder mittelbarer Natur sind6. Diese Formulierung kann richtigerweise als zu­ sätzliche Bestätigung des Marktzugangskriteriums dahingehend verstan­ den werden, dass eine entsprechende Qualität allein Regelungen von hin­ reichender Eingriffsintensität zuzuerkennen bleibt7. 1) Marktzugangsbeschränkung zum Nachteil nicht befreiter Anbieter Die marktzugangsbeschränkende Maßnahmewirkung muss nach ökono­ mischen Kri­ter­ien unter Bezugnahme auf den Gesamtkontext der zu­ 1 Siehe etwa Kokott/Dobratz, in: Schön/Heber, Grundfragen, 2015, S. 25 (32); Frenz, HdB EuR, Bd 1, 2. Aufl., Rn 508; Plötscher, Diskriminierung, 2003, S. 303; Jarass, EuR 2000, 706 (712). 2 Instruktiv Kingreen, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 705 (715). 3 Vgl. Mühl, Diskriminierung, 2004, S. 336 ff. 4 Roth, in: GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 729 (737); Everling, ebenda, S. 607 (621); Cordewener, in: Vanistendael, EU Freedoms and Taxation, 2004, S. 1 (31 ff); noch weiterge­ hend Tietje, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 10 Rn 55 f; Lackhoff, Niederlas­ sungsfreiheit, 2000,S. 443. 5 Vgl. Thomas, NVwZ 2009, 1202 (1203 f); Cordewener, Grundfreiheiten, 2002, S. 297 f. 6 EuGH, Rs. C-418/93 bis C-421/93, Semeraro Casa Uno, Slg. 1996, I-2975 Rn 32. 7 So Cordewener, Grundfreiheiten, 2002, S. 298; zust. Siekemeier/Wendland, in: Mül­ ler-Graff, EnzEur, Bd 4, 2015, § 3 Rn 72.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

grunde liegenden Regelung bestimmt werden1. In wirtschaftlicher Hin­ sicht wurde bereits eingehend dargelegt, dass die unechte Exemtion wegen der hohen Wertschöpfungsquote im Postsektor einen kalkulatori­ schen Vorteil bei Umsätzen an nicht vorsteuerberechtigte Versender übersetzt2. Befreiungsrechtlich betrachtet bleibt der Posteinrichtungssta­ tus je nach national präferierter Umsetzung entweder aus rechtlichen Gründen oder aber zumindest faktisch infolge der objektiven Leistungs­ auflagen auf einzelne Versorger begrenzt. In der Gesamtschau dieser beiden Umstände bleibt wiederholend zu konstatieren, dass die Befreiung eine spürbare Wettbewerbsverzerrung hervorruft, indem sie steuerpflichtigen Konkurrenzanbietern die dauer­ hafte Marktetablierung innerhalb der Segmente für Endverbraucher und vor allem nicht vorsteuerberechtigte Geschäftskunden erschwert3. Ange­ sichts dieser Markteintrittsbarriere scheint es nicht nur naheliegend, dass rein innerstaatliche Unternehmensgründungen respektive stra­ tegische Erwei­terungen behindert werden. Ebenso können ausländische Postdienstleister sich dazu veranlasst sehen, auf eine gemäß Art. 49 UAbs. 1 Satz 2 AEUV geschützte Expansion in ausländische Märkte ganz oder wenigstens teilweise zu verzichten4. Dieser marktzutrittshindernde Effekt ist nicht rein hypothetischer oder allzu mittelbarer Natur. Zwar knüpft Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL keine direkten Auflagen an den Marktzutritt und stellt die Aufnahme der Postdienstleistungstätig­ keit auch nicht unter einen unmittelbar geltenden Vorbehalt, wie er etwa von einem regulativen Genehmigungserfordernis ausgehen mag. Dennoch modifiziert die Freistellung eine zentrale Umfeldbedingung in­ nerhalb der durch eine allgemeine Verbrauchbesteuerung im Übrigen ge­ kennzeichneten Märkte für Postdienstleistungen. Solcher Art beeinflusst sie die Grundlage für eine freie sowie ausschließlich an der operativen Leistungseffizienz orientierte Preisbildung, wodurch wiederum eines der unabdingbaren Elemente für eine ungestörte Wettbewerbsparität ver­ fälscht wird5. Aus steuerlicher Sicht zwingt Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL die Mitgliedstaaten im Ergebnis zur Aufgabe eines „level playing field“ im Postsektor. Mangels voller Chancengleichheit im Verhält­ nis zum na­tio­nal befreiten Universaldienstanbieter verringert sich die Attraktivität der Standortbedingungen mit der Folge, dass die unter­ nehmerische Entscheidungsdisposition zugunsten eines Grenzübertritts 1 So auch Cordewener, Grundfreiheiten, 2002, S. 294. 2 Siehe hierzu Teil 4 A.I. 3 Haucap, WD 2014, 4 (5); krit. auch Trinker, WD 2012, 4 (5). 4 Vgl. auch Weber-Grellet, Eur StR, 2. Aufl., § 9 Rn 14, wonach jede Behinderung des zwischenstaatlichen Ortswechsels im Hinblick auf die wirtschaftliche Betätigung als Beschränkung erfasst wird. 5 Vgl. zur Bedeutung der Preisbildung für den Marktzutritt Chalmers, ELR 1994, 385 (401).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

negativ beeinflusst und die Niederlassungsfreiheit insgesamt beschränkt wird. 2) Vorsteuerausschluss zum Nachteil öffentlicher Posteinrichtungen Die vorausgehenden Ausführungen konzentrierten sich auf den Aus­ schluss nicht ver­pflichteter Postanbieter vom befreiungsrechtlichen Wir­ kungsbereich. Als Nachteil einer jeden unechten Exemtion muss neben der ungleichen Ausgangsbelastung gleichwohl der Ausschluss des Vor­ steuerabzugs berücksichtigt werden, der im Falle von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL allein die öffentliche Posteinrichtung trifft. Diesbe­ züglich wurde bereits dargelegt, dass die Begünstigung nur über eine un­ vollständige Ausprägung insoweit verfügt, als die verdeckt überwälzte Vorsteuer bei Umsätzen an ihrerseits abzugsberechtigte Unternehmer eine Zusatzbelastung verglichen zur regelkonform geltenden Steuer­ pflichtigkeit bedingt1. Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob sich aus der Perspektive des nationalen Grundversorgers eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit einstellt. Als problematisch für die Anwendbar­ keit der Grundfreiheiten erweist sich, dass der in einem Mitgliedstaat ansässige Versorger bei der Ausführung dort befreiter Umsätze weder selbst noch durch seine Leistungen die zwisch­en­staatlichen Grenzen überschreitet. Der einschlägige Sachverhalt weist folglich kein grenz­ überschreitendes Element auf, stattdessen ist der exklusiv befreite Ver­ sorger einem verschärften Wettbewerbsdruck im vorsteuerberechtigten Kundensegment gleichermaßen vonseiten inländischer wie ausländisch niedergelassener Anbieter ausgesetzt. Innerhalb dieses Betätigungsfelds führt der Vorsteuerausschluss zu einer grundfreiheitlich nicht erfassten Inländerdiskriminierung2, die aufgrund der determinierten Vorgabe in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zudem nicht an nationalen Grund­ rechten überprüfbar ist3. Mit besonderem Blick auf die wettbewerbliche Gleichstellung und deren institutionelle Bedeutung für die Ausübung wirtschaftsbezogener Frei­ heitsrechte verstärkt sich indes zunehmend die Tendenz, den grundfrei­ heitlichen Anwendungsbereich erweiternd zu interpretieren und auch auf Beschränkungen zum Nachteil reiner Inlandssachverhalte auszu­

1 Siehe hierzu Teil 2 A.II. 2 Vgl. zur h.M. EuGH, Rs. C-112/91, Werner, Slg. 1993, I-429 Rn 16 f; Herdegen, EuR, 18. Aufl., § 16 Rn 37; Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 18 AEUV Rn 28 ff; Cordewener, in: Vanistendael, EU Freedoms and Taxation, 2004, S. 1 (7). 3 Vgl.zur bestehenden Kontroverse um die Anwendbarkeit von Art. 3 GG Hammerl, Inländerdiskriminierung, 1997, S. 163 ff.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

dehnen1. Diese zunächst auf mitgliedstaatliche Maßnahmen reflektierte Forderung könnte erst recht auf solche des supranational agierenden Unionsgesetzgebers übertragen werden2. Eine derart weitreichende Ab­ kehr vom grenzüberschreitenden Element tritt jedoch in eklatanten Wi­ derstreit zu dem klaren Wortlaut der Grundfreiheiten3. Gegen eine über den Wortlaut ausgreifende Rechtsfortbildung spricht in funktionaler Hinsicht entscheidend die den Grundfreiheiten eigene Wesensstruktur. Als Bestandteil des vorrangigen Primärrechts zielen sie ausschließlich auf die transnationale Marktöffnung4, erfüllen aber nicht zugleich die negative Integrationsfunktion im Sinne allgemeiner Deregulierung und ausnahmsloser Gleichstellung im Binnenmarkt. Der grundfreiheitlichen Extension ist schließlich eine systematische Notwendigkeit abzuspre­ chen. Im vertraglichen Primärrechtsgefüge kann die freie Marktordnung, welche als Basisprinzip im Binnenmarkt angelegt ist, gegenüber unver­ hältnismäßigen Eingriffen auch ohne zwischenstaatliche Relevanz durch die Unionsgrundrechte verteidigt werden. Diese erfüllen in sinnvoller Abgrenzung zu den Grundfreiheiten eine uneingeschränkt freiheitswah­ rende Dimension dank ihres verabsolutierten Schutzbereichs. 3) Zwischenergebnis Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL beschränkt die Niederlassungsfreiheit in Gestalt eines Marktzutrittshindernisses insoweit diskriminierungs­ frei, als nicht befreite Post­anbieter einen preiskalkulatorischen Nachteil in Bezug auf die nicht vorsteuerberechtigten Kundengruppen im Briefund Paketverkehr erleiden. Umgekehrt fällt die vorsteuerbedingte Be­ nachteiligung des innerstaatlich agierenden Universaldienstversorgers nicht in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten. c) Rechtfertigungsmöglichkeit Unionales Sekundärrecht darf nicht in Widerspruch zu den Grundfrei­ heiten erlassen werden. Für die mögliche Legitimation von Beeinträchti­ gungen durch Unionsorgane gelten dabei prinzipiell dieselben Rechtfer­ tigungsgründe, wie sie auch den Mitgliedstaaten zustehen5. 1 Vgl. Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, 2000, S. 73 ff; Tietje, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 10 Rn 40; Heydt, EuZW 1993, 105; Eberhartinger, EWS 1997, 43 (50 f); siehe zur Diskussion auch Kingreen, Struktur der Grund­freiheiten, 1999, S. 84 ff. 2 So wohl Ehlers, in: Ehlers, Grundfreiheiten, 4. Aufl., § 7 Rn 25 Fn 97, der beim Han­ deln durch EU-Organe stets einen grenzüberschreitenden Sachverhalt annimmt. 3 Vgl. Art. 49 UAbs. 1 AEUV; dies einräumend auch Tietje, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 10 Rn 40. 4 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, 7. Aufl., § 22 Rn 2; Pache, in: Schulze/Zu­ leeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 10 Rn 12. 5 EuGH, Rs. C-154/04 und C-155/04, Alliance for Natural Health, Slg. 2005, I-6451 Rn 48 ff.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

aa) Geschriebene Rechtfertigungsgründe, Art. 52 AEUV Nach Maßgabe von Art. 52 Abs. 1 AEUV sind Eingriffe in die Niederlas­ sungsfreiheit gerechtfertigt, wenn sie aus Gründen der öffentlichen Ord­ nung, Sicherheit oder Gesundheit unter Wahrung der Verhältnismäßig­ keit ergehen. Da es sich bei dieser Bestimmung um eine Ausnahme handelt, ist eine restriktive Auslegung geboten1. Die Befreiung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL dient in erster Linie dem Zweck, die Preise für postalische Universaldienste zu senken und auf diese Weise die Grundversorgung der Bevölkerung zu fördern. Eine Gefahr für die al­ lein in Betracht zu ziehende öffentliche Sicherheit oder Ordnung iSv Art. 52 Abs. 1 AEUV hat der EuGH im Hinblick auf die zu wahrende Versorgungsfunktion allerdings nur für solche Güter anerkannt, von de­ ren Bereitstellung das Funktionieren der Wirtschaft und das Überleben der Bevölkerung abhängig sind2. Ein derart elementarer Stellenwert kann dem Postsektor auch in Anbetracht seiner bedeutenden Funktion, die er für die Kommunikation in Handel und Privatleben erfüllen mag, nicht zuerkannt werden. Folglich scheidet eine Rechtfertigung am Maßstab der geschriebenen Schranken zur Niederlassungsfreiheit aus. bb) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Parallel zu den geschriebenen Rechtfertigungstatbeständen hat der EuGH in seiner Entscheidung „Gebhard“ einen universell auf sämtliche Grund­ freiheiten anwendbaren Rechtfertigungsstandard entwickelt. Eingriffe sind demzufolge auch zulässig, soweit sie ein unionsrechtlich anerkann­ tes Allgemeininteresse verfolgen, in nicht diskri­minierender Wei­se an­ gewandt werden und überdies zur Erreichung der ihnen unterlegten ­Zielsetzung geeignet und erforderlich sind3. Während offene Diskrimi­ nierungen allein aufgrund der geschriebenen Schranken gerechtfertigt werden können, ist die Geltung der immanenten Schranken für lediglich mittelbar nach der Staatsangehörigkeit oder dem Sitz differenzierende Maßnahmen noch nicht abschließend geklärt4. Weil es sich bei der Um­ satzsteuerbefreiung für Postdienste um eine diskriminierungsfreie Markt­ zutrittsbehinderung handelt, bedarf diese Problematik aber keiner vertie­ fenden Erörterung. Die Vorgabe des Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSyst­RL 1 EuGH, Rs. C-348/96, Calfa, Slg. 1999, I-11 Rn 23; Rs. 30/77, Boucherau, Slg. 1977, 1999 Rn 35. 2 Bejahend für Erdöl EuGH, Rs. 72/83, Campus Oil, Slg. 1984, 2727 Rn 34. 3 EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165 Rn 37; Streinz, Europarecht, 10. Aufl., Rn 836. 4 Eingehend Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 10 Rn 55; die Un­sicherheit besteht auf Grundlage der Gebhard-Formel angesichts ihrer Forderung nach einer nicht diskriminierenden Anwendung, wobei unklar ist, ob es insoweit auf die ab­strakte Normgestaltung oder ihre faktischen Auswirkungen ankommen soll.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

kann vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit folglich gerecht­ fertigt sein, sollte die steuer­liche Förderung der postalischen Grundver­ sorgung einen anzuerkennenden Allgemeinwohlbelang repräsentieren und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt sein. 3. Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 ff AEUV Die für den Schutzgehalt maßgebliche Definition der Dienstleistung stellt gemäß Art. 57 UAbs. 1 AEUV auf zwei Merkmale ab: Es muss eine Leistung vorliegen, die gegen Entgelt erbracht wird. Des Weiteren lässt sich aus dem allgemein formulierten Vorbehalt zugunsten der Personen­ freizügigkeit implizit entnehmen, dass die Leistung im Unterschied zur abhängigen Beschäftigung als Kennzeichen der Arbeitnehmerfreizügig­ keit (Art. 45 ff AEUV) selbstständig erbracht werden muss. Den subjekti­ ven Schutzbereich eröffnet Art. 56 UAbs. 1 AEUV für Unionsbürger, falls diese zugleich in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind. Zudem findet für Gesellschaften Art. 54 AEUV aufgrund der Verweisungsnorm in Art. 62 AEUV entsprechende Anwendung, so dass auf die obigen Ausführungen zur Niederlassungsfreiheit verwiesen werden kann1. Aus den abstrakten Erläuterungen zum Anwendungsbereich der Art. 56 ff AEUV ergibt sich für Postdienste, dass sie die Definitionsmerkmale einer Dienstleistung iSv Art. 57 UAbs. 1 AEUV ohne Weiteres erfüllen, indem sie unterneh­ merisch am Markt gegen Entgelt ausgeführt werden und eine stofflich nicht manifestierte Beförderung zum Gegenstand haben2. Ferner sind ge­ sellschaftlich organisierte Postanbieter analog zur Niederlassungsfrei­ heit gemäß Art. 56 AEUV erfasst, wenn sie über einen hinreichenden Bezug zum EU-Wirtschaftsraum verfügen. Ist damit der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit potenziell eröffnet, gilt es zu untersuchen, inwiefern Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL den freien Dienstleistungs­ verkehr zu beeinträchtigen geeignet ist3. a) Grenzüberschreitendes Element Wie die übrigen Grundfreiheiten setzt auch Art. 56 UAbs. 1 AEUV ein grenzüberschreitendes Moment der geschützten Betätigung voraus. Nach allgemeinem Konsens erfährt der transnationale Bezug im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit eine dreigliedrige Konkretisierung. Den aus­ drücklich geregelten Grundfall bildet die aktive Dienstleistungsfreiheit. Sie besteht darin, dass der Erbringer vorübergehend die Grenze passiert

1 Siehe hierzu vorstehend 2.a). 2 Vgl. entspr. für Transportleistungen Waldheim, Dienstleistungsfreiheit, 2008, S. 35. 3 Siehe zur doppelten Dimension der Dienstleistungsfreiheit als Diskriminierungsund Beschränkungsverbot entspr. Pache, in: Ehlers, Grundfreiheiten, 4. Aufl., § 11 Rn 83 ff.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

und seine Leistung in einem anderen Mitgliedstaat anbietet1. Demgegen­ über zeichnet sich die ergänzend zum Wortlaut des Art. 56 UAbs. 1 AEUV anerkannte passive Dienstleistungsfreiheit durch einen Grenz­ übertritt des Empfängers mit dem Ziel aus, die Leistung innerhalb eines ausländischen Mitgliedstaates zu beziehen2. Ein Zusammenfallen von aktiver und passiver Dienstleistungsfreiheit ist dergestalt möglich, dass Erbringer und Empfänger gemeinsam einen anderen Mitgliedstaat aufsu­ chen und dort den Leistungsaustausch vollziehen3. Eine dritte Kategorie stellt die Korrespondenzdienstleistungsfreiheit dar, bei der sowohl Er­ bringer als auch Empfänger ihren Aufenthaltsort beibehalten und aus­ schließlich die Leistung als solche die Grenze überschreitet4. b) Kein sporadischer Grenzübertritt – Praktischer Vorrang der Niederlassungs­freiheit Eine für den Postsektor einschlägige Variante des geschützten Grenz­ übertritts könnte zunächst in der aktiven Dienstleistungsfreiheit zu er­ blicken sein. In dieser Konstellation darf die Tätigkeit im Zielmitglied­ staat gemäß Art. 57 UAbs. 3 AEUV nur vorübergehender Natur sein, da anderenfalls eine vorrangige Niederlassung entsteht. Dieser gegenüber erfüllt die Dienstleistungsfreiheit lediglich eine Auffangfunktion, deren Programmatik bereits einleitend in Art. 57 UAbs. 1 AEUV klar for­ muliert ist. Maßgebliche Kriterien zum Zwecke der erforderlichen Ab­ grenzung zwischen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit bieten insbesondere die Dauer, Häufigkeit, Wiederkehr und Kontinuität der Leistungserbringung5. Eine wichtige Indizfunktion gewinnt in diesem Zusammenhang, ob und in welchem Umfange der Unternehmer eine funktionierende Infrastruktur als unerlässliche Ausgangsvoraussetzung für eine kontinuierliche Erwerbsbetätigung im Ausland etabliert6. Wird die Dienstleistungsfreiheit somit durch einen flüchtigen Grenz­ übertritt geprägt, entfaltet das indirekt an den Funktionsstatus der öf­ fentlichen Posteinrichtung gebundene Kriterium der physischen Präsenz eine stärker mittelbar diskriminierende Tendenz, als dies im Verhältnis zu der auf dauerhafte Integration gerichteten Niederlassung gemäß

1 Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, 60. Lfg., Art. 56/57 AEUV Rn 52; Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 4.44. 2 EuGH, Rs. 286/82 und 26/83, Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377 Rn 10; allg. auch Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit, 1990. 3 Vgl. etwa EuGH, Rs. 180/89, Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-727 Rn 9 f. 4 Dies betrifft z.B. Rundfunk, Bank- oder Versicherungsleistungen, Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, 7. Aufl., § 25 Rn 10. 5 EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165 Rn 27. 6 EuGH, Rs. C-215/01, Schnitzer, Slg. 2003, I-14847 Rn 32; Herdegen, EuR, 18. Aufl., § 17 Rn 1; diff. dagegen Obwexer/Ianc, in: Müller-Graff, EnzEur, 2015, § 7 Rn 26.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Art. 49 UAbs. 1 AEUV der Fall ist1. Rein praktisch betrachtet dürfte je­ doch ein nur kurzzeitig angelegtes Engagement über die mitgliedstaatli­ chen Grenzen hinweg ohne Relevanz für Postdienstleistungen bleiben. Diese heben sich von sonstigen Transport- oder Beförderungsdienstleis­ tungen durch ihre Zugehörigkeit zum Massengeschäft ab und sind auf die Befriedigung hoher Nachfragemengen zu standardisierten Konditio­ nen gerichtet. Um dieses Anforderungsprofil bedienen zu können, ist ein Anbieter zwingend auf eine feste Betriebsstätte angewiesen. Dies ist ohne Weiteres einsichtig für die komplexe Betätigung im Ende-zu-En­ de-Wettbewerb auf der Grundlage eines operativen Zustellnetzes. In glei­ cher Weise unterliegen aber auch Konsolidierer weitreichenden Infra­ strukturbedingungen, da das notwendige Einsammeln, die Vorsortierung und anschließende Einlieferung der Poststücke zur Weiterbeförderung ohne maschinelle Unterstützung, Fahrzeuge und Personal nicht zu be­ werkstelligen sein werden. Die erforderlichen Investitionen erscheinen insgesamt so hoch, dass die Anreizschwelle zum Grenzübertritt eines Anbieters nur durch die Rentabilitätserwartung einer dauerhaft avisier­ ten Marktpenetration überwunden werden kann2. Im Ergebnis verdichtet sich somit die benötigte Betriebsstätte regelmäßig zu einer gegenüber der Dienstleistungsfreiheit vorrangig gemäß Art. 49 ff AEUV geschützten Niederlassung. c) Beeinträchtigung im grenzüberschreitenden Kontext Bleibt der Grenzübertritt des postalischen Leistungserbringers der vor­ rangig anzuwendenden Niederlassungsfreiheit überlassen, könnte sich eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit dennoch infolge der grenzüberschreitenden Wirksamkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSyst­ RL einstellen. Es wurde bereits eingehend dargelegt, dass die Befreiung ihrem Sinn und Zweck nach auch transnational ausgeführte Universal­ dienstleistungen erfasst, indem der auf den konkreten Ausführungsort bezogene Befreiungsstatus eines ausländischen Anbieters gleichfalls am hiervon abweichenden Ort der Steuerbarkeit des Umsatzes anzuerken­ nen ist3. Im Hinblick auf eine transnatio­nale Kooperation, welche die Annahme eingehender Sendungen und deren weitere Zustellung im In­ land beinhaltet, sind verpflichtete Universaldienstleister innerhalb eines Mitgliedstaates in doppelter Hinsicht begünstigt.

1 Siehe hierzu vorstehend 2.b)bb). 2 Dies gilt umsomehr, da eine flächendeckende Präsenz als notwendige Bedingung für ein dauerhaftes Bestehen am Markt angenommen wird, vgl. Klotz/Brandenberg, N&R 2009, 8 (15); KEP & Mail, PosiTion 1/06. 3 Siehe hierzu Teil 3 F.I.4. Dies gilt prinzipiell auch für drittstaatlich gemäß Art. 2 Abs. 1 WPV designierte Anbieter, die sich jedoch mangels Umsetzung von Art. 56 UAbs. 2 AEUV nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen können.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Zum einen schafft das weltpostvertraglich implementierte System einer reziproken Zustellverpflichtung verlässliche Funktionsstrukturen, so dass in aller Regel die nationalen Universaldienstanbieter als gleichzeitig gemäß Art. 2 Abs. 1 WPV designierte Dienstleister für die Zustellung ausgewählt werden1. Ein weiterer Faktor, der zu einer Verstetigung der grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen beiträgt, ergibt sich aus dem preislichen Vorteil zugunsten des Auftrag gebenden Hauptanbieters. Die fällige Endvergütung ist zum einen ihrer Höhe nach reglementiert (Art. 28 ff WPV, Art. 13 Abs. 1 PostRL), überdies entfällt für innerhalb der EU verortete Umsätze gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die be­ lastende Steuerpflicht. Unecht befreite Posteinrichtungen profitieren in­ folge des Steuerpflichtentfalls von einer unmittelbaren Verbilligung der bezogenen Leistung, die sie wiederum an die Endkunden im Abgangs­ staat der Sendung weitergeben können. Für konkurrierende Anbieter im Inland wird somit nicht zuletzt aufgrund der unionsweit geltenden Be­ freiung die Ausdehnung ihres Geschäftsmodells auf die Übernahme und Zustellung abgehender Postsendungen, wenn nicht unmöglich gemacht, so doch wenigstens spürbar erschwert. Dessen ungeachtet verlassen weder der ausführende noch der empfan­ gende Postanbieter ihren Sitzstaat in persona, so dass für das notwendige grenzüberschreitende Element allein auf einen Übertritt der Leistung als solcher abgestellt werden kann. Gegen dessen Annahme ließe sich ein­ wenden, die Beförderung der kooperativ beteiligten Anbieter reiche stets nur bis zur Austauschstelle (OE) an der nationalen Grenze, von wo an die Zuständigkeit für die Zustellung wechselt. Rein physisch betrachtet er­ folgt die zwischenunternehmerische Leistungserbringung daher jeweils ausschließlich im innerstaatlichen Raum. Der EuGH hat jedoch insbe­ sondere im Hinblick auf die produktbezogenen Grundfreiheiten das Kri­ terium des Grenzübertritts großzügiger interpretiert2. Eine grenzüber­ schreitende Leistung wurde auch noch bejaht, sollte der Erbringer seine Leistungen lediglich innerhalb seines Sitzstaates ohne Ortswechsel er­ bringen, während sich der Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat be­ findet3. Mit Blick auf grenzüberschreitende Postdienste ist daraus zu schließen, dass nicht allein ihr faktisch-territorialer Bezug ausschlagge­ bend für einen Anwendungsbereich der Art. 56 ff AEUV sein kann, son­ dern entscheidendes Gewicht darauf liegt, dass ausländische Aufträge übernommen und im Inland erfüllt werden. Liegt damit ein grenzüber­ 1 Vgl. auch BMK, Sondergutachten, 2015, S. 13. 2 Gegen ein zu enges Verständnis auch Jarass, EuR 2000, 705 (707). 3 EuGH, Rs. C-60/00, Carpenter Slg. 2002, I-6279 Rn 29; Rs. C-384/93, Alpine Invest­ ments, Slg. 1995, I‑1141 Rn 20, 30; Rs. C‑18/93, Corsica Ferries, Slg. 1994, I-1783 Rn 30; Obwexer/Ianc, in: Müller-Graff, EnzEur, 2015, § 7 Rn 14; Eberhartinger, EWS 1997, 43 (51).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

schreitender Sachverhalt vor, folgt aus Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit insoweit, als der freie Preiswettbewerb um ausländische Nachfragekontingente verfälscht und deshalb aus Sicht steuerpflichtiger Anbieter der Teilmarktzugang für ko­ operative Auslandsbeförderungen behindert wird. Eine Rechtfertigungs­ last bezieht sich allgemein auch auf mittelbare Beeinträchtigungen steu­ erlicher Art, welche die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung zwar nicht direkt reglementieren, gleichwohl aber deren sonst markt­ wirtschaftlich geprägten Umfeldbedingungen negativ beeinflussen1. d) Rechtfertigungsmöglichkeit Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit können gemäß Art. 52 UAbs. 1 iVm Art. 62 AEUV zum Schutze der öffentlichen Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gerechtfertigt werden. Da diese Schutzgüter – wie bereits im Rahmen der Niederlassungsfreiheit dargelegt – nicht durch die Förderung der postalischen Grundversorgung iSv Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL berührt sind, kommt nur eine Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeinwohls unter hinreichender Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Betracht2. 4. Ergebnis Die marktzugangsbehindernde Wirkung der Postdienstbefreiung vermit­ telt einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit. Ferner ergibt sich aus der grenzüberschreitenden Wirksamkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit im Wettbewerb um ausländische Zustellaufträge. Eine Rechtfertigung ist in beiden Fällen gleichermaßen aus Gründen des Gemeinwohls unter Beachtung der Ver­ hältnismäßigkeit möglich.

III. Wirtschaftsbezogene Unionsgrundrechte, Art. 15 und 16 GRCh Bereits im Frühstadium der europäischen Integration vereinnahmte der Gemeinschaftsgesetzgeber unter Rekurs auf Art. 93 EGV (Art. 113 AEUV) die Kompetenz für sich, die im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem geltenden Befreiungstatbestände programmatisch wie inhaltlich nahe­ zu abschließend festzulegen. Ergänzend zu den Grundfreiheiten treten ­angesichts dieser Entwicklung die Unionsgrundrechte in ihrer absolut 1 Siehe entspr. für die Steuerbegünstigung inländischer Anbieter EuGH, Rs. C‑118/96, Safir, Slg. 1998, Rn 24 ff; Rs. C-294/97, Eurowings, Slg. 1999, I-7447 Rn 25 ff; Ob­ wexer/Ianc, in: Müller-Graff, EnzEur, 2015, § 7 Rn 76. 2 Siehe hierzu vorstehend 2.c).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

freiheitswahrenden Dimension in den Vordergrund. Für die Implemen­ tierung unechter Exemtionen verbürgen die wirtschaftliche Betätigungs­ freiheit sowie der allgemeine Gleichheitssatz, wie sie nunmehr Eingang in Art. 15, 16 und 20 GRCh gefunden haben, primärrechtlich relevante Schutzgarantien als bindende Richtschnur für legislatives Handeln. Die Unionsgrundrechte adressieren in erster Linie das Handeln der EU-Organe. Darüber hinaus binden sie die Mitgliedstaaten nach dem en­ geren Wortlaut von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh jedenfalls insoweit, als diese in Durchführung des Unionsrechts agieren1. Ein solcher Kontext ist namentlich zu bejahen, wenn nationale Gesetze mit dem Ziel der Richt­ linienumsetzung erlassen werden2. Infolge dieser doppelten Bindung be­ stimmt sich der unionsgrundrechtliche Prüfungsgegenstand in Analogie zu den Grundfreiheiten3. Fällt die Richtlinienvorgabe mithin abschlie­ ßend aus, ist allein fraglich, ob die nationale Umsetzung mit dem seiner­ seits primärrechtskonformen Sekundärrecht vereinbar ist4. Besteht dem­ gegenüber ein Umsetzungsermessen, müssen sich die Richtlinie wie auch die sie ausschöpfende Regelung an den Unionsgrundrechten mes­ sen lassen5. Nationale Grundrechte sind in dieser Konstellation parallel anwendbar6, allerdings wird ein höher veranlagtes Schutzniveau durch das Prinzip der unionsrechtlichen Vorrangigkeit dergestalt modifiziert, dass es ausschließlich die Rezeption optional bestellter Regelungsmög­ lichkeiten in mitgliedstaatliches Recht ge- oder verbieten kann7. 1 In Konvergenz zu den prätorisch entwickelten Grundrechten setzt der EuGH seine tradierte Rechtsprechung fort und bejaht eine weitergehende Bindung auch im bloßen An­ ­ wen­ dungs­ bereich des Unionsrechts, EuGH, Rs. C‑617/10, Fransson, ECLI:EU:C:2013:280 Rn 18 f; Rs. C-390/12, Pfleger u.a., ECLI:EU:C:2014:281 Rn 33 ff.; siehe dazu Widmann, UR 2014, 5 ff; Weiß, EuZW 2013, 287 (288); K ­ ingreen, JZ 2013, 801 ff. 2 Vgl. EuGH, Rs. C-275/06, Promusicae, Slg. 2008, I-271 Rn 68; Rs. C-74/95, X, Slg. 1996, I‑6609 Rn 25; Rs. 5/88, Wachauf, Slg. 1989, 2609 Rn 19; siehe auch Ohler, NVwZ 2013, 1433 (1434). 3 Siehe hierzu vorstehend II.1. 4 Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 4 Rn 36; Schultz, Das Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten, 2005, S. 53 (sog. „agency-­ situation“). 5 Vgl. Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, HdB StR, Bd X, 3. Aufl., § 211 Rn 35 f; danach endet die mitgliedstaatliche Bindung erst mit einem die Richtlinie „überschießen­ den“ Rechtsakt. 6 St. Rspr., EuGH, Rs. C-540/03, Parlament/Rat, Slg. 2006, I-5769 Rn 105; Rs. C‑381/97, Belgocodex, Slg. 1998, I-8153 Rn 26; Rs. C-2/92, Bostock, Slg. 1994, I-955 Rn 16; siehe ferner Kühling, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 657 (682); Zorn, in: FS Ruppe, 2007, S. 744 (747); Zorn/Twardosz, ÖStZ 2006, 58 (60); a.A. BVerfGE 133, 277 (313); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 51 GRCh Rn 10 ff; Mayer, AnwBl 1996, 153 (156 f); siehe zum Ganzen auch Bleckmann, Nationale Grundrechte, 2011, S. 29 ff. 7 Ausf. zum Ganzen Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 14 Rn 74, 93; siehe auch vorstehend A.II.1.c).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Umsatzsteuerliche Befreiungsvorgaben sind somit einer uniformen Wür­ digung im Lichte der Unionsgrundrechte unabhängig davon zu unter­ ziehen, wie ihre um­ setzungs­ relevante Tatbestandsstruktur konkret ­beschaffen sein mag. Für die Überprüfung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL soll im Folgenden zunächst auf einige für die Anwendung der Unionsgrundrechte relevante Abgrenzungsfragen eingegangen wer­ den (1). Sodann wird untersucht, welchen Schutzgehalt die Unterneh­ merfreiheit allgemein verbürgt (2) und unter welchen Voraussetzungen eine unechte Befreiung am Beispiel für Postdienstleistungen eine rele­ vante Beeinträchtigung profiliert (3)1. Abschließend bleibt aufzuzeigen, welche Möglichkeiten für eine Rechtfertigung dem Grunde nach beste­ hen (4). 1. Unionsgrundrechtliche Anwendungsprinzipien Die Unionsgrundrechte können sich, wie vorstehend bereits erörtert, nicht allein mit den subjektiven Schutzgehalten der nationalen Verfas­ sungsordnungen überlappen. Für ihre Anwendbarkeit relevante Schnitt­ mengen existieren vielmehr auch zu anderweitigen Gewährleistungen der Unionsverträge, zu denen in erster Linie die Grundfreiheiten zählen. Ferner bedarf vorrangig der Klärung, in welcher internen Beziehung die gemäß Art. 6 EUV benannten Quellen zueinander stehen. a) Grundsätzlicher Anwendungsvorrang der Chartarechte Die gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV mit Wirkung zum 01.12.2009 in den förm­ lichen Rang des Primärrechts erhobene Grundrechtecharta bildet im ­Wesentlichen den bereits vor der Lissabonner Reform geltenden acquis communautaire zum Grundrechtsschutz innerhalb des europäischen Verfassungsverbundes ab. Als Primat des geschriebenen Rechts genießt diese Kodifizierung allgemein Anwendungsvorrang und bildet somit den Ausgangspunkt jeder grundrechtlichen Prüfung2. Dieser hervorgehobe­ nen Stellung verleiht nicht zuletzt der formelle Aufbau von Art. 6 EUV besonderen Nachdruck. aa) Grundrechtecharta und ungeschriebene Grundrechte Weiterhin als verbindliche Quelle des Primärrechts gelten gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze als Produkt richterli­ cher Schöpfung. Ihnen kommt eine zweifache Zweckrichtung zu. Einer­ seits bilden sie nach Maßgabe von Art. 52 Abs. 3 und 4 GRCh einen ­generell beachtlichen Auslegungsmaßstab für die Chartarechte. Anderer­ 1 Art. 20 GRCh wird im Zusammenhang mit dem Neutralitätsprinzip nachstehend unter IV. behandelt. 2 Vgl. Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343 (354 ff).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

seits erlangen die ungeschriebenen Grundrechte im Einzelfall auch ei­ genständige Bedeutung, sollten diese ein über die Charta hinausgehendes Schutzniveau statuieren. Soweit sich die Gewährleistungen beider Quel­ len jedoch überschneiden, treten die ungeschriebenen Grundrechte ­hinter dem kodifizierten Katalog zurück1. Gerade im Hinblick auf die wirtschaftsgeprägten Grundrechte zum Schutz der unternehmerischen Betätigungsfreiheit übernehmen die ungeschriebenen Grundsätze iSv Art. 6 Abs. 3 EUV unbeschadet ihrer Auslegungsdirektive keine selbst­ ständige Funktion, da der bis dato anerkannte Schutzstandard vollum­ fänglich innerhalb der Bestimmungen gemäß Art. 15 bis 17 GRCh aufge­ gangen ist2. bb) Verhältnis der Chartarechte zur EMRK Eine den Anwendungsvorrang der Charta verdrängende Wirkung geht auch nicht von der EMRK aus. Diese verkörpert so lange keine verbind­ liche Rechtsquelle, bis der in Art. 6 Abs. 2 EUV festgelegte Beitritt durch die EU vollzogen worden ist. Nachdem der EuGH in seinem Gutachten 2/13 in wesentlichen Punkten eine Inkompatibilität der EMRK mit ­Unionsrecht festgestellt hat3, sieht sich die Ausarbeitung eines endgülti­ gen Beitrittsabkommens vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt4. Der praktische Abschluss dürfte auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sein5. Derzeit bleibt die funktionale Bedeutung der EMRK im Gefüge des unio­ nalen Grundrechtsschutzes auf eine bloße Rechtserkenntnisquelle redu­ ziert, sofern ihr Gehalt über Art. 6 Abs. 3 EUV in Gestalt der ungeschrie­ benen Grundsätze transportiert wird6. Zudem markiert sie gemäß der Inkorporationsklausel in Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh eine untere Grenze des zu gewähr­ enden Schutzniveaus, indem die den EMRK-Rechten entsprechenden Verbürgungen der Charta die gleiche Bedeutung und ­ Tragweite wie diese erhalten7. Gerade im Hinblick auf die wirtschafts­ geprägten Grundrechte spielt der zuletzt benannte Aspekt jedoch keine entscheidende Rolle. Ausweislich der Auflistung einander entsprechen­ der Rechte, die in den präsidialen Erläuterungen des Europäischen Kon­ vents enthalten ist8, besteht eine inhaltliche Überschneidung lediglich 1 So auch von Danwitz, in: Grabenwarter, EnzEur, Bd 2, 2014, § 6 Rn 19; zust. Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 14 Rn 11. 2 Siehe auch Durner, in: Merten/Papier, HdB Grundrechte, Band VI/1, 2010, § 162 Rn 57. 3 EuGH, Gutachten 2/13, EMRK-Beitritt II, ECLI:EU:C2014:2452. 4 Allg. dazu Gragl, ZEuS 2011, 409 ff. 5 Vgl. Terhechte, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Vorbem. GRC Rn 13; Breuer, EuR 2015, 330 (349). 6 Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 14 Rn 29. 7 Siehe von Danwitz, in: Grabenwater, EnzEur, Bd 2, 2014, § 6 Rn 45. 8 ABl EU Nr. C 303/02 v. 14.12.2007, S. 17 (33 f); dessen Verbindlichkeit folgt aus Art. 52 Abs. 7 GRCh.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

zwischen Art. 17 GRCh und Art. 1 ZP EMRK, nicht aber bezüglich Art. 15 und 16 GRCh. Da weder die Berufs- noch die unternehmerische Freiheit explizit in den Konventionsrechten aufgeführt sind sowie in An­ betracht der Tatsache, dass der EGMR berufliche Betätigungen lediglich behelfsmäßig als Annex zur Entfaltungsfreiheit im Privatleben gemäß Art. 8 EMRK als geschützt ansieht1, können die für Umsatzsteuerbefrei­ ungen unmittelbar einschlägigen Primärrechtsgarantien letztlich nur der Grundrechtecharta sowie – subsidiär – den prätorischen Unionsgrund­ rechten entnommen werden. b) Verhältnis zu Grundfreiheiten In ihrer Dimension als Beschränkungsverbote können die Grundfreihei­ ten tatbestandliche Überschneidungen mit dem Schutzgehalt der wirt­ schaftsbezogenen Unionsgrundrechte aufweisen2. Das in einer solchen Situation zu bestimmende Anwendungsverhältnis wird teilweise mit Idealkonkurrenz übersetzt3. Überzeugender ist jedoch mit Blick auf Art. 52 Abs. 2 GRCh sowie unter Berücksichtigung des stärker ausdif­ ferenzierten Gewährleistungsumfangs, welcher den Grundfreiheiten zu­ kommt, diese im Verhältnis zu den Unionsgrundrechten als leges speci­ ales zu deuten4. Soweit daher die beeinträchtigende Wirkung einer Maßnahme im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr bereits grund­ freiheitlich erfasst wird, ist eine zusätzliche Überprüfung am Maßstab der Unionsgrundrechte nicht mehr angezeigt. Bezüglich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ergibt sich somit, dass Art. 15 ff GRCh in Abgrenzung zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ausschließlich die be­ einträchtigenden Auswir­kungen auf rein inländische Sachverhalte refe­ rieren. 2. Schutzbereich der Berufs- und Unternehmerfreiheit Die Grundrechtecharta stellt der in Art. 15 geregelten Berufsfreiheit das Recht der unternehmerischen Freiheit gemäß Art. 16 gegenüber. Ur­ sprünglich als program­matisches Gegengewicht zu den sozial geprägten Gewährleistungen in Kapitel IV GRCh intendiert5, erweist sich die geson­ 1 Vgl. EGMR, Nr. 55480/00 und 59330/00, Sidabras und Dziautas/Litauen, Rn 47 f; eingehend dazu Wollenschläger, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 15 GRC Rn 5; enger Hilf/Hörmann, NJW 2003, 1 (7). 2 Dies gilt namentlich für die Berufsfreiheit, vgl. Art. 15 Abs. 2 GRCh; siehe auch Skouris, DÖV 2006, 89 (93); Pernice, Grundrechtsgehalte, 1979, S. 174 f. 3 So wohl Schubert, RdA 2008, 289 (299); diff. Frenz, HdB EuR, Bd 1, 2. Aufl., Rn 74. 4 EuGH, Rs. C-390/12, Pfleger u.a., ECLI:EU:C:2014:281 Rn 60; Pache, in: Schulze/ Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 10 Rn 51; Wunderlich, Berufsfreiheit, 2000, S. 104; Schultz, Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten, 2005, S. 111; Hilf/Hörmann, NJW 2003, 1 (5). 5 Vgl. Blanke, in: Tettinger/Stern, EGRCh, 2006, Art. 16 Rn 1.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

derte Aufnahme der Unternehmerfreiheit als nicht gerade glücklich. Sie provoziert eine Reihe von bislang nicht abschließend gelösten Abgren­ zungsfragen und beschwört infolgedessen Rechtsunsicherheit herauf. a) Sachlicher Schutzbereich Als Beruf gemäß Art. 15 Abs. 1 GRCh allgemein geschützt ist jede gegen Entgelt ausgeübte sowie auf gewisse Dauer angelegte Erwerbstätigkeit1. Die durch Art. 16 GRCh nachfolgend statuierte unternehmerische Frei­ heit bildet eine besondere Ausprägung der Berufsfreiheit, das genaue Ab­ grenzungsverhältnis zu Art. 15 GRCh ist jedoch sehr umstritten. Eine eindeutige und gleichsam praktikable Trennung wird zunächst ermög­ licht, indem Art. 16 GRCh speziell die selbstständige Berufsbetätigung zugeordnet wird2. Abweichender Bewertung unterliegt derweil, ob die in Aufbau und Wortlaut der Charta angelegte Divergenz zwischen Berufsund Unternehmerfreiheit materieller oder nur formaljuristischer Art ist. Teilweise wird Art. 16 GRCh als abschließende Regelung für selbst­ ständig tätige Unternehmer qualifiziert3. Gegen eine materiell-rechtlich abschließende Spezialität spricht jedoch, dass der Wortlaut in Art. 15 Abs. 1 GRCh nicht explizit auf abhängig Beschäftigte ausgerichtet ist. Eine entsprechende Begrenzung kann insbesondere nicht dem Begriffs­ paar Arbeit und Beruf zugrunde gelegt werden, denn ein selbstständiger Unternehmer arbeitet ebenso, wie ein Arbeitnehmer einem Beruf nach­ geht4. Systematisch bezieht Art. 15 Abs. 2 GRCh ohnedies durch Verweis auf Art. 49 ff AEUV selbstständige Erwerbstätigkeiten in den Schutzbe­ reich der allgemeinen Berufsfreiheit ausdrücklich ein5. Können daher auch selbstständige Betätigungen der allgemeinen Berufs­ freiheit unterstehen, wird verstärkt dafür plädiert, Art. 15 Abs. 1 GRCh überlagere Art. 16 GRCh, sollte die betreffende Tätigkeit durch einen besonderen Bezug zu einer persönlichen Handlungsweise des Grund­ rechtsträgers geprägt sein6. Beruf und Arbeit werden demzufolge als we­ 1 Siehe Ruffert, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 19 Rn 11; Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 15 Rn 7. 2 Vgl. etwa Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 15 GRCh Rn 4; Blanke, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 1 Rn 6; Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 15 Rn 4; Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 15 GRC Rn 8. 3 So Blanke, in: Sachs/Stern, GRCh, 2016, Art. 16 Rn 20; Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 16 Rn 4a; Schmidt, Die unternehmerische Freiheit, 2010, S. 185. 4 Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 15 Rn 6; Grabenwarter, in: Grabenwarter, EnzEur, Bd 2, 2014, § 13 Rn 5; 5 Wollenschläger, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, vor Art. 15–16 GRC Rn 4; siehe auch Grabenwarter, in: Grabenwarter, EnzEur, Bd 2, 2014, § 13 Rn 25. 6 Nowak, in: Heselhaus/Nowak, HdB GR, 2. Aufl., § 30 Rn 32; Bernsdorff, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 16 Rn 10; Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 15 GRC Rn 7; Blanke, in: Tet­tinger/Stern, EGRCh, 2006, Art. 15 Rn 25.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

sentliche Aspekte für die freie Persönlichkeitsentfaltung aufgefasst, ohne dass dieses Kriterium angesichts seines hohen Abstraktionsgrades einen weiterführenden Beitrag zur Konturierung der Berufsfreiheit zu leisten vermochte. Inhaltliche Relevanz könnte die vorstehend umschriebene Unterscheidung im materiellen Sinne allein in Anbetracht der Frage­ stellung gewinnen, ob Art. 15 und 16 GRCh mit Blick auf ihren abwei­ chenden Wortlaut auch ein unterschiedlich weitreichender Gewährleis­ tungsumfang inhärent ist1. Eine erleichterte Rechtfertigungsmöglichkeit verbietet sich jedoch bereits systematisch aufgrund der einheitlich gel­ tenden Schrankenbestimmung in Art. 52 Abs. 1 GRCh2. Zudem stellen sich entstehungsgeschichtlich sowohl die Einführung von Art. 16 GRCh als auch dessen später hinzugefügter Vorbehalt, wonach die unternehme­ rische Freiheit gemäß dem Unionsrecht sowie den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt wird, als ein kom­ promittierendes Zugeständnis dar3. Vor dem Hintergrund der nicht zu­ letzt ideologisch aufgeladenen Debatte im Verfassungskonvent sowie der Tatsache, dass die Berufsfreiheit ursprünglich angedacht sogar als Trans­ formation der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung ihren alleinigen Niederschlag in Art. 15 GRCh finden sollte, muss Zurückhaltung gegen eine übermäßige Betonung der Wortlautabweichung in Art. 16 GRCh ge­ wahrt werden4. An die prätorische Grundrechtstradition anknüpfend, auf welche das Präsidium im Übrigen selbst rekurriert5, und in Reaktion auf die vor­ nehmlich gesetzespolitisch beeinflusste Entstehungsgeschichte zu Art. 16 GRCh scheint überzeugender, die notwendige Abgrenzung zwischen Be­ rufs- und Unternehmerfreiheit formell zu verorten. Die Gewährleistun­ gen gemäß Art. 15 und 16 GRCh sind folglich als ein materiell einheitli­ ches Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit zu begreifen, dessen besondere Ausformung in Art. 16 GRCh einen rein rechtstech­ nischen Vorrang bezüglich selbstständig ausgeübter Erwerbstätigkeiten genießt6. Durch steuerpflichtige Unternehmer in selbstständiger Stel­ 1 Vgl. dazu Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 16 Rn 18; Durner, in: Merten/Papier, HdB Grundrechte, Bd VI/1, 2010, § 162 Rn 38. 2 Siehe Blanke, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 16 Rn 16; ders., in: Tettinger/Stern, EGRCh, 2006, Art. 16 Rn 2; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, 2004, Rn 796. 3 Vgl. zur historichen Entwicklung von Art. 16 GRCh Bernsdorff, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 16 Rn 7 f. 4 Ein geringeres Schutzniveau abl. auch Wunderlich, in: FS Schwarze, 2014, S. 304 (326 f); Grabenwarter, in: Grabenwarter, EnzEur, Bd 2, 2014, § 13 Rn 42 ff; Frenz, EuR, Bd 4, 2. Aufl., Rn 2660; Rengeling, DVBl. 2004, 453 (459); Schwarze, EuZW 2001, 517 (521). 5 ABl EU Nr. C 303/02 v. 14.12.2007, S. 17 (23). 6 So auch Wollenschläger, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, Art. 15 Rn 10, der zu Recht darauf hinweist, dass die Jurisdiktion von entspr. Überschneidungen ausgeht: EuGH, Rs. C‑184/02 und C‑223/02, Spanien und Finnland/Parlament und Rat, Slg.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

lung ausgeführte Umsätze unterfallen als entgeltliche Erwerbstätigkeit somit Art. 16 GRCh. Übereinstimmend zu Art. 15 GRCh beinhaltet der sachliche Schutzgehalt sowohl die Aufnahme einer entsprechenden Tä­ tigkeit als auch die kon­kret gestaltete Art und Weise ihrer Ausübung1. b) Persönlicher Schutzbereich Obwohl eine dem Art. 19 Abs. 3 GG vergleichbare Klarstellung nicht Bestandteil der Charta geworden ist, wird gemeinhin die Anwendbarkeit einzelner Unionsgrundrechte auf juristische Personen unter der Voraus­ setzung bejaht, dass diese die jeweils geschützte Handlung in vergleich­ barer Weise wie natürliche Personen vollziehen können2. In besonderer Weise gilt dies für die wirtschaftlichen Gewährleistungen der Charta, zumal die bedeutenden Akteure im Binnenmarkt typischerweise in Form von Kapitalgesellschaften organisiert sind3. Diese ökonomische Realität abbildend, hat der EuGH stets auch juristische Personen in den subjekti­ ven Schutzbereich der ungeschriebenen Berufsfreiheit einbezogen4. Die­ se Wertung beansprucht gemäß Art. 52 Abs. 3 und 4 GRCh auch Geltung gegenüber Art. 16 GRCh5. In gesellschaftlicher Organisationsform am Markt agierende Postdienst­ leister sind daher prinzipiell Träger der unternehmerischen Freiheit. Nach dem offenen Wortlaut in Art. 16 GRCh könnten sich ebenso Perso­ nen aus Drittstaaten auf dieses Grundrecht berufen. Für die grenzüber­ schreitende Privatautonomie verkörpern jedoch die über Art. 15 Abs. 2 GRCh integrierten Grundfreiheiten ein abschließendes Schutzsystem, so dass die Unionsgrundrechte keine die Art. 49 ff AEUV überlagernde Funktion vermitteln dürfen6. Stattdessen ergibt sich aus Art. 52 Abs. 2 GRCh, dass die in Art. 54 AEUV vertraglich fixierten Anforderungen an den subjektiven Schutzbereich durchgehend auch bei der Anwendung von Chartarechten Beachtung finden müssen. Folglich bleibt der Schutz­ gehalt gemäß Art. 16 GRCh Unternehmern vorbehalten, die über einen 2004, I‑7789 Rn 51; Rs. C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen, Slg. 1991, I‑415, Rn 71 ff; vgl. ferner GA Stix-Hackl, Rs. C-37/02 und C‑38/02, Di Leonardo Adriano Srl und Dilexport Srl/Ministerio des Commercio con l’Estero, Slg. 2004, I‑6911 Rn 110. 1 Bernsdorff, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 16 Rn 10a; Ruffert, in: Ehlers, Grundrech­ te, 4. Aufl., § 19 Rn 13. 2 Vgl. zur wesensmäßigen Anwendbarkeit Kingreen, JuS 2000, 857 (861); Hilf/Hörmann, NJW 2003, 1 (5). 3 Siehe auch Durner, in: Merten/Papier, HdB Grundrechte, Bd VI/1, 2010, § 162 Rn 15. 4 EuGH, Rs. C-4/73, Nold, Slg. 1974, I-491 Rn 12 ff; Crones, Grundrechtlicher Schutz, 2002, S. 110. 5 Im Erg. statt vieler Bernsdorff, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 16 Rn 16. 6 Es besteht daher kein erweitertes Zutrittsrecht zum Binnenmarkt, vgl. Bernsdorff, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 16 Rn 17; Wollenschläger, in: Groeben/Schwarze/Hat­ je, EU, 7. Aufl., Art. 16 Rn 6 mwN.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

ausreichenden Bezug zu einem der EU-Mitgliedstaaten verfügen. Bedingt durch die institutionellen Infrastrukturlasten dürfte diese Anforderung speziell bei postalischen Anbietern regelmäßig erfüllt sein1. 3. Beeinträchtigung Unter Verweis auf den Wortlaut von Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh kann eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung als jedwede Verkürzung der grundrechtlich geschützten Freiheit definiert werden2. Traditionell wird unterdessen für die Anforderungen, welche an die Zurechnung ei­ nes freiheitsbeschränkenden Erfolgs gegenüber staatlichem Handeln zu stellen sind, zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen diffe­ renziert3. Im Unterschied zur zielgerichteten Wirkungsweise unmittel­ barer Eingriffe zeichnet sich die negative Effektuierung mittelbarer Be­ einträchtigungen im Kern dahingehend aus, dass es zu ihrer Entfaltung des Hinzutretens weiterer Kausalfaktoren bedarf. Der indirekten Wirkungskategorie unterfallen auch Freistellungen von der Umsatzsteuerpflicht, sofern nämlich nachteilige Verzerrungen auf der erhebungstechnisch eingezogenen Unternehmerebene erst durch das Konsumverhalten der Verbraucher am Markt vermittelt werden müssen. Ohne Einfluss auf die mehrstufige Kausalstruktur bleibt die zunächst freie Entschließungsmöglichkeit des befreit leistenden Unternehmers darüber, ob er die zur Regelpflicht positive Entlastungsdifferenz ein­ preist. Die – gesetzgeberisch intendierte – Verbilligung begründet einen besonderen Anreiz für die Konsumentscheidung aus Verbrauchersicht und verbessert so die Absatzchancen. Gleichermaßen kann die eigennüt­ zige Vereinnahmung der Steuerentlastung nur gelingen, soweit die um fiktive Umsatzsteuer künstlich verteuerte Leistung weiterhin nachge­ fragt wird. Innerhalb der verbindlichen Systemvorgabe einer allgemein erhobenen und damit prinzipiell sämtliche Umsätze erfassenden Ver­ brauchbesteuerung modifizieren Befreiungen die Preisbildung als einen wesentlichen Wettbewerbsparameter. Auf eine relevante Grundrechts­ beeinträchtigung wird im Falle multikausaler Eingriffswirkungen über­ wiegend nur erkannt, falls zwischen der betreffenden Maßnahme und ihrem Erfolg eine hinreichende Nähebeziehung besteht4. Ein berufsspezi­ fischer Zusammenhang manifestiert sich namentlich anhand von Krite­ 1 Siehe entspr. zum Vorrang der Niederlassungsfreiheit bereits vorstehend II.3.b). 2 So Ruffert, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 19 Rn 30; zust. Blanke, in: Tettinger/ Stern, EGRCh, 2006, Art. 15 Rn 29; siehe auch Kober, Grundrechtsschutz, 2009, S. 188. 3 Vgl. EuG, Rs. T-113/96, Dubois, Slg. 1998, II-125 Rn 75; Gärditz, in: Grabenwater, EnzEur, 2014, § 4 Rn 56 ff. 4 EuGH, Rs. C-200/96, Metronome Musik, Slg. 1998, I-1953 Rn 28; Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 16 Rn 13; Ehlers, JZ 2012, 623 (624 f).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

rien wie der subjektiv unterlegten Zwecksetzung, einer zwangsläufigen Kausalität sowie des besonderen Gewichts einer bewirkten Einschrän­ kung1. Diese Akzentuierung darf jedoch nicht den Blick darauf ver­stellen, dass die Rechtfertigungslast in erster Linie an den grundrechtsspezi­ fischen Verbürgungen austariert werden muss2. Als Konsequenz dieses primär am Schutzbereich orientierten Verständnisses wahren die unter­ schiedlich skizzierten Ansätze zur Dogmatik grundrechtsrelevanter Be­ einträchtigungen im Ergebnis weitgehende Kongruenz, soweit es um die Verteidigung wirtschaftsverfassungsrechtlich fundierter Schutzgehalte geht. Den für Umsatzsteuerbefreiungen bedeutsamen Aspekt umfasst der Gewährleistungsgehalt gemäß Art. 16 GRCh in Form der ungestör­ ten Wettbewerbsstellung am Markt tätiger Unternehmer3. Sie hat der EuGH bereits vor Einführung der Charta als Bestandteil der wirtschaftli­ chen Betätigungsfreiheit verstanden4. Hin zu einer subjektiv-rechtlichen Dimensionierung tendiert gleichfalls das Präsidium, indem es in seinen Erläuterung zu Art. 16 GRCh explizit auf das Leitbild einer freien Markt­ ordnung iSv Art. 119 Abs. 1 und 3 AEUV rekurriert5. Mag die rechtlich zutreffende Qualität der Wettbewerbsfreiheit auch di­ vergierend beurteilt werden6, trägt sie jedenfalls in der Funktion eines sachlichen Ordnungsprinzips dazu bei, die unternehmerische Freiheit inhaltlich zu konturieren7. Unter prinzipiellen Rechtfertigungszwang ge­ raten somit all jene Maßnahmen, die von spürbar negativem Einfluss auf die unternehmerische Marktposition sind8. Eine grundrechtliche Absi­ 1 Vgl. Wollenschläger, in: Groeben/Schwarze/Hatje, 7. Aufl., Art. 15 Rn 29. 2 Dafür auch Eckhoff, Grundrechtseingriff, 1992, S. 171; Gärditz, in: Grabenwater, ­EnzEur, 2014, § 4 Rn 61. 3 Vgl. Ruffert, in: Ehlers, Grundrechte, § 19 Rn 12; Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 16 Rn 9; Penski/Elsner, DÖV 2001, 265 (271); Blanke, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 16 Rn 8; ders., in: Tettinger/Stern, EGRCh, 2006, Art. 16 Rn 11; die subjektive Grundrechtsqualität anzweifelnd Bernsdorff, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 16 Rn 14; siehe zum Ganzen auch Schmidt, Die unternehmerische Freiheit, 2010, S. 194 ff. 4 Die Wettbewerbsfreiheit als eigenes Grundrecht begreifend EuGH, Rs. C‑133/85 bis C‑136/85, Rau, Slg. 1987, 2289 Rn 15; ein Teilelement der Berufsfreiheit annehmend hingegen EuGH, Rs. C-295/03, Alessandrini u.a., Slg. 2005, I-5673 Rn 90; Rs. C‑280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973 Rn 58 ff; dafür auch Cichy, Wettbewerbsver­fälschungen, 2000, S. 187; Penski/Elsner, DÖV 2001, 265 (271). 5 ABl EU Nr. C 303/02 v. 14.12.2007, S. 17 (23); für einen objektiven Grundsatz dage­ gen Rodi, Die Subventionsrechtsordnung, 2000, S. 285; siehe auch Hatje, in: Schwar­ ze, EU, 3. Aufl., Art. 6 EUV Rn 27. 6 Ausf. zum Meinungsstreit Schwier, Schutz der „Unternehmerischen Freiheit“, 2007, S. 117 ff. 7 EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973 Rn 63; siehe auch Sodan, DÖV 2000, 361 (367). 8 Vgl. EuGH, Rs. C-435/02 und C-103/03, Springer, Slg. 2004, I-8663 Rn 47 ff; Rs. C‑280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Rn 81; Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 16 Rn 13; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 15 GRC Rn 10; Wollenschläger, in: Groeben/Schwarze/Hatje, 7. Aufl., Art. 15 GRC Rn 28.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

cherung erfahren dabei außerhalb faktisch bestehender Konkurrenzsitua­ tionen auch potenzielle Wettbewerbsverhältnisse, denn der sachliche Schutzbereich von Art. 16 GRCh umfasst die konkrete Ausübung ebenso wie die Freiheit zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Unter dieser Prä­ misse gilt es nachfolgend die disparaten Effekte infolge von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auf Sachverhalte ohne transnationalen Bezug zu ergründen. a) Marktzutrittshemmende Wirkung Komplementär zu den nur grenzüberschreitend anwendbaren Gewähr­ leistungen gemäß Art. 49 ff AEUV schließt Art. 16 GRCh vorhandene Lücken und perfektioniert innerhalb eines Verbundsystems den Schutz erwerbstätiger Unternehmer im Binnenmarkt. Die unionsgrundrechtli­ che Unternehmerfreiheit erfasst die marktzutrittshemmende Wirkung durch die Postdienstbefreiung bei Umsätzen an nicht vorsteuerabzugsbe­ rechtigte Versender, sofern rein innerstaatlich gegründete und niederge­ lassene Anbieter mittels vergleichbarer Dienstleistungen in ein (poten­ zielles) Konkurrenzverhältnis zum nationalen Grundversorger treten. Die wertschöpfungsbedingte Entlastung der Bruttopreiskalkulation für verbindliche Universaldienste verfälscht einen zentralen Funktionspara­ meter für freien Wettbewerb und verschlechtert somit die Marktstellung steuerpflichtiger Anbieter. Entsprechend der am Schutzgehalt angelegten Eingriffsdogmatik erlangt diese umsatzsteuerlich induzierte Verzerrung ausreichendes Gewicht, um die Schwelle zu einem rechtfertigungsbe­ dürftigen Eingriff in Art 16 GRCh zu übertreten. b) Ausschluss vom Vorsteuerabzug Gegenläufig zur freiheitsverkürzenden Wirkung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auf die Position steuerpflichtiger Konkurrenzanbieter muss gleichfalls die imperfekte Charakteristik unechter Befreiungstatbe­ stände auf eine beeinträchtigende Qualität hin überprüft werden. Kon­ kret sehen sich ausschließlich öffentliche Posteinrichtungen mit dem Abzugsverbot entrichteter Vorsteuerbeträge konfrontiert. Konnte diese wirtschaftlich nachteilige Implikation der bereichsspezifisch fortgeführ­ ten Bruttoallphasenbesteuerung nicht am Maßstab der Niederlassungs­ freiheit geprüft werden1, bietet der universal definierte Schutzbereich gemäß Art. 16 GRCh die treffliche Grundlage für eine unionsgrundrecht­ liche Durchdringung.

1 Siehe hierzu vorstehend II.2.b)cc)2).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

aa) Eingriffscharakter und Saldierungsverbot Der Ausschluss vom Vorsteuerabzug besitzt spiegelbildlich zur Freistel­ lung der Ausgangsumsätze die Qualität einer Beeinträchtigung von Art. 16 GRCh. Er verschlechtert die Marktposition des innerstaatlich verpflich­ teten Versorgers im vorsteuerberechtigten Geschäftskundensegment, in­ dem dessen Preiskalkulation einen zusätzlichen Belastungsfaktor be­ rücksichtigen muss. Des Weiteren werden ausgelagerte Hilfsleis­tungen verteuert und so Druck zur betrieblichen Konzentration erzeugt1. Diese erwerbswirtschaftlich durch den Vorsteuerausschluss bedingten Nach­ teile dürfen abweichend zur Beihilfenprüfung, die gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV die summarische Feststellung einer Unternehmerbegünstigung verlangt, nicht mit den positiven Begünstigungseffekten innerhalb ande­ rer Kundengruppen verrechnet werden. Freiheitswahrende Gewährleis­ tungen implementieren auf Ebene der Beeinträchtigung kein umfassen­ des Gebot zur Saldierung der gegenläufigen Effekte einer einheitlichen Maßnahme2, sondern setzen voraus, den situativen Kontext der konkret geschützten Handlung differenziert in den Blick zu nehmen3. Sofern also eine öffentliche Posteinrichtung befreite Brief- und Paketdienste an vor­ steuerberechtigte Geschäftskunden auf unterschiedlichen Teilmärkten erbringt, entspricht sie nicht nur ihrer Universaldienstverpflichtung, sondern übt eben auch eine jeweils individuell geschützte Erwerbsbetä­ tigung iSv Art. 16 GRCh aus. bb) Ausschlussgründe für die Rechtfertigungsbedürftigkeit Die generell anzuerkennende Rechtfertigungsbedürftigkeit des Vorsteu­ erausschlusses stößt einzelfallabhängig auf eventuelle Restriktionen. Solche können sich einerseits im Hinblick auf den subjektiven Schutzbe­ reich gemäß Art. 16 GRCh ergeben (1). Ferner verdienen umsetzungsbe­ dingte Besonderheiten hinsichtlich des in § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG gere­ gelten Selbstverpflichtungsmechanismus hinreichende Beachtung (2). 1) Staatlich kontrollierte Universaldienstleister Als ein protektionistisches Relikt der ehemals hoheitlichen Postverwal­ tung ist es zu bewerten, dass sich zahlreiche Mitgliedstaaten nach Ab­ schluss des eingeleiteten Privatisierungsprozesses erhebliche Anteile an 1 Vgl. TAXUD/2011/DE/334 S. 174, wobei der Nachweis auf einer vergleichenden Be­ trachtung von Posten AB und Post Danmark beruht. 2 Begünstigende Gegeneffekte können allein die Schwere einer Beeinträchtigung be­ einflussen und sind daher für die Verhältnismäßigkeit relevant. 3 Ein rechnerisches Element ist nur für die Kumulation parallel wirkender Beschrän­ kungseffekte anerkannt, vgl. zum sog. „additiven Grundrechtseingriff“ Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof, HdB StR, Bd IX, 3. Aufl., § 200 Rn 97.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

den neu strukturierten Universaldienstversorgern vorbehalten haben. So stellt beispielsweise die seit 2010 als Aktiengesellschaft geführte La Pos­ te ein reines Staatsunternehmen dar1, während Italien erst kürzlich unter dem Druck der hohen Schuldenbelastung 38,2 % seiner Anteile an der bis dato ebenfalls staatlichen Poste Italiane S.p.A. an die Börse gebracht hat2. Weiterhin befindet sich etwa die ÖPAG zu 52,8 % im Eigentum der Österreichischen Bundes- und Industriebeteiligungen GmbH (ÖBIB)3, Belgien hält mit 50 % der Anteile zuzüglich 488 Aktien nach wie vor die Mehrheit an der bpost AG4. Die Verträge beziehen ausweislich Art. 345 AEUV eine neutrale Position gegenüber der nationalen Eigentumsord­ nung. Gestattet ist eine Verstaatlichung von Unternehmen ebenso wie deren Privatisierung, solange die allgemeingültigen Grundsätze des Pri­ märrechts gewahrt sind5. In ein konträres Verhältnis zum Schutzregime der Art. 15 ff GRCh droht ein staatlich beherrschender Einfluss auf privatrechtlich verfasste Post­ dienstleister dessen unbeschadet zu geraten, sofern der grundrechtsver­ pflichtete Anteilseigner nicht zugleich als tauglicher Träger dieser Ver­ bürgungen anerkannt wird6. Eine klärende Stellungnahme des EuGH steht zu dieser Problematik noch aus. Überdies fehlen genaue Angaben dazu, unter welchen Voraussetzungen ein für Art. 16 GRCh schädliches Be­ herrschungsverhältnis vorliegen soll. In Anlehnung an die unions­ rechtlich einschlägige Wertung aus Art. 2 Abs. 1 lit. f) RL 2004/109/EG scheint es aber im Regelfall berechtigt, danach abzugrenzen, ob sich mehr als die Hälfte der Anteile im staatlichen Eigentum befindet7. Im Hinblick auf die DPAG ist eine Grundrechtsfähigkeit daher zu bejahen, 1 Der französiches Staat und seine Investmentbank CDC halten gemeinsam 100 % der Anteile, vgl. manager magazin v. 26.03.2012, Frankreich gegen Deutschland, http://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/a-822847.html (zuletzt ab­ ge-rufen am 16.07.2016). 2 Siehe dazu Börse Frankfurt v. 27.10.2015, IPO: Positives Börsendebüt für die ita­ lienische Post, abrufbar unter http://www.boerse-frankfurt.de/Nachrichten/aktien/ IPO-Positives-Boersendebut-fuer-die-italienische-Post-143437 (zuletzt abgerufen am 06.07.2017). 3 Siehe https://www.post.at./footer_ueber_uns_impressum.php (zuletzt abgerufen am 18.07.2017). 4 Siehe dazu bpost, Annual Report 2014, S. 25, abrufbar unter http://www.bpost.be/­ sites/default/files/free_form/150511_BPOST_RA14_EN_WEB.PDF (zuletzt abgeru­ fen am 22.07.2017). 5 Vgl. zuletzt EuGH, Rs. C-105/12 bis C-107/12, Essent u.a., ECLI:EU:C:2013:677 Rn 29 ff. 6 Siehe zum sog. „Konfusionsargument“ Ruffert, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 19 Rn 26; Blanke, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 16 Rn 12; a.A. Sasse, EuR 2012, 628 (650 f); Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 16 Rn 11 (keine Hoheitsgewalt); Wunderlich, Berufsfreiheit, 2000, S. 122 f. 7 So für Art. 1 Abs. 3 GG BVerfGE 128, 226 (244); siehe ferner Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 14 Rn 57.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

nachdem der treuhänderisch durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwaltete Bundesanteil sukzessive auf nunmehr 21 % seit 2013 durch den Umtausch einer in 2009 aufgenommenen Anleihe reduziert worden ist. Mit dem Absinken der gehaltenen Anteile auf unter 25 % steht dem Bund in der Hauptversammlung kein mittelbares Vetorecht mehr zu1. 2) Selbstverpflichtung als Schutzverzicht Die Umsetzung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG eröffnet einer beliebigen Vielzahl von Anbietern den neutralen Zugang zur Freistellung. Erfüllt ein Anbieter die Qualitätsmerkmale des Universaldienstes und entschei­ det er sich für den Antrag auf eine entsprechende Bescheinigung beim BZSt, beruht das befreiungssystematisch unausweichliche Vorsteuerab­ zugsverbot auf einer freiwillig sowie in voller Kenntnis der Sachlage be­ wusst übernommenen Selbstverpflichtung. Die erklärte Zusage zur Er­ bring­ung des Universaldienstes muss in diesem Falle als konkludente Einwilligung in sämtliche Negativwirkungen der unechten Befreiung gedeutet werden mit der Folge, dass es insoweit an einer rechtfertigungs­ bedürftigen Beeinträchtigung fehlt2. Anders stellt sich die Sachlage aller­ dings mit Blick auf die DPAG dar. Sie verfügt aufgrund ihrer staatlicher­ seits vorbehaltenen Verpflichtungsstellung über den originären Status als öffentliche Posteinrichtung iSv Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL und ist daher zwin­gend mit der Rechtsfolge der unechten Umsatzsteuer­ befreiung belegt3. c) Zwischenergebnis Bezüglich rein innerstaatlicher Sachverhalte stellt die Umsatzsteuerbe­ freiung für postalische Universaldienste in zweifacher Hinsicht eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung von Art. 16 GRCh dar. Einer­ seits besteht ein Marktzutrittshemmnis für steuerpflichtige Anbieter im Segment der Privat- sowie nicht vorsteuerberechtigten Geschäftskun­ den. Im Übrigen ruft der Vorsteuerausschluss eine relevante Verzerrung der Wettbewerbsposition zulasten zwingend befreiter öffentlicher Post­ einrichtungen hervor, sofern diesen generell oder einzelfallabhängig die Grundrechtsfähigkeit zuerkannt wird.

1 Vgl. manager magazin v. 11.04.2013, Bund gibt Vetorecht bei Deutscher Post ab, http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-893715.html (zuletzt abge­ rufen am 23.07.2017). 2 Vgl. zum Schutzverzicht EuGH, Rs. 41/79, Testa, Slg. 1980, 1979 Rn 19; Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 16 Rn 15. 3 Siehe hierzu Teil 3 E.IV.2.a).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

4. Rechtfertigungsmöglichkeit Einschränkungen des grundrechtlichen Schutzbereichs können nach Maßgabe der in Art. 52 Abs. 1 GRCh aufgeführten Kriterien gerechtfer­ tigt sein. Erforderlich ist gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh, dass eine gesetzliche Grundlage existiert (a) und der grundrechtliche Wesensgehalt geachtet wird (b). Inhaltlich muss die Einschränkung gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRCh ferner unter Wahrung des Verhältnismäßigkeits­ grundsatzes einem anerkannten Gemeinwohlbelang oder dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dienen (c). a) Gesetzliche Grundlage Dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt genügen der Form nach insbe­ sondere Gesetzgebungsakte gemäß Art. 288 AEUV. Im Falle von Richt­ linien erschwert die besondere Problematik eines zweistufigen Recht­ setzungsprozesses die Identifizierung des maßgeblichen Aktes, da als solcher parallel die konforme Umsetzung durch nationale Rechtsvor­ schriften in Betracht kommt. Eine alleinige sowie ausreichende Grundla­ ge bildet die einschlägige Richtlinienbestimmung jedoch, soweit sie sich für eine unmittelbare Wirkung eignet1. Gerade im Bereich der detailliert ausgeformten unechten Befreiungstatbestände ist die Rechtsfolge auf Unionsebene typischerweise so stark determiniert, dass die gesetzliche Eingriffsgrundlage – wie auch im Postsektor – abschließend Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL entnommen werden muss2. b) Wesensgehalt des Art. 16 GRCh Der gesondert in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh erwähnte Wesensgehalt be­ schreibt den unantastbaren Kernbereich des betroffenen Grundrechts, seine genaue Konkretisierung blieb bislang aber mit Unsicherheit behaf­ tet. Im Rahmen der unternehmerischen Freiheit gemäß Art. 16 GRCh dürfte entscheidend sein, ob trotz des Eingriffs noch ein nennenswerter Schutzgehalt verbleibt. Dies lässt sich nur im Einzelfall danach beur­ teilen, ob die geschützte Erwerbsbetätigung so weitreichenden Ein­ schränkungen unterliegt, dass ihre Ausübung vollständig erdrosselt oder zumindest nahezu unmöglich gemacht wird3. Eine derart hohe Intensi­ tätsschwelle erreicht Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL jedenfalls iso­ 1 Vgl. Kober, Grundrechtsschutz, 2009, S. 194; zust. Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 14 Rn 104; wohl auch Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 52 Rn 24; a.A. Rieckhoff, Vorbehalt des Gesetzes, 2007, S. 154 f. 2 Abw. aber zuletzt für die Befreiung bestimmter kultureller Leistungen gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. n) RL 77/388/EWG EuGH, Rs. C­-592/15, British Film Institute, ECLI:EU:C:2017/117 Rn 14 ff. 3 Auf die Verhinderung abstellend EuGH, Rs. C-283/11, Sky Österreich, ECLI:EU:C:2013:28 Rn 49.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

liert betrachtet nicht. Die gestörte Wettbewerbsparität erschwert zwar die Ausführung tatbestandlich erfasster Postdienstleistungen partiell, macht diese aber nicht vollkommen oder wenigstens nahezu unmöglich. c) Gemeinwohlbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung Bietet Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL eine ausreichende Gesetzes­ grundlage ohne Übergriff in den Wesensgehalt von Art. 16 GRCh, ver­ engt sich die notwendige Rechtfertigung symbiotisch auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Entsprechend zur Dogmatik der Grundfreiheiten muss die Befreiung folglich einem unionsrechtlich anerkannten Gemein­ wohlbelang in geeigneter, erforderlicher sowie angemessener Weise ­dienen1. Der weiteren Klärung harrt in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein Gemeinwohlbelang ausdrücklich im Primärrecht erwähnt sein muss2.

IV. Das mehrwertsteuerliche Neutralitätsprinzip Das Gebot zur Wahrung der Neutralität beschreibt das fundamentale Prinzip einer modernen Umsatzbesteuerung, wie sie heute weltweit in über 150 Staaten einschließlich sämtlicher OECD-Mitgliedsländer mit Ausnahme der USA. praktiziert wird3. Ent­sprechend findet es auch in den verbindlichen Erwägungsgründen zum europäischen Sekundärrecht mehrfach und in jeweils unterschiedlichem Kontext Erwähnung4. In all­ gemeingültiger Weise stellt Erwägungsgrund Nr. 5 MwStSystRL gleich zu Beginn heraus, dass eine möglichst einfach sowie neutral funktionie­ rende Erhebung die Besteu­erung auf sämtlichen Produktions- und Ver­ triebsstufen einschließlich der Dienstleistungen voraussetzt5. Die Wett­ bewerbsneutralität wird sodann in Erwägungsgrund Nr. 7 MwStSystRL aufgegriffen und inhaltlich dahingehend präzisiert, gleichartige Gegen­ stände und Dienstleistungen seien ungeachtet der Länge des Vertriebsoder Produktionswegs steuerlich gleich zu belasten6. Laut der Rechtspre­ chung des EuGH impliziert das Neutralitätsprinzip zugleich die Beseitigung von Wettbewerbsverfälsch­ungen, weshalb der ergänzend ver­ wandte Wortzusatz rein begrifflich als synonymer Hinweis auf eine spe­ 1 Siehe auch Grabenwater, in: Grabenwarter, EnzEur, 2014, § 13 Rn 47. 2 Vgl. dazu Frenz, HdB EuR, Bd 4, 2009, Rn 639 ff; Bühler, Einschränkung von Grund­ rechten, 2005, S. 96 ff. Für die Förderung der postalischen Grundversorgung besitzt diese Frage wegen Art. 14 AEUV kein Gewicht. 3 Ausf. zu den „International VAT/GST Guidlines“ (2006) sowie den „International VAT Neutrality Guidelines“ (2011) der OECD Kogels, EC Tax Review 2012, 230; Scandroglio, in: Pfeiffer/Ursprung-Steindl, Global Trends in VAT/GST, 2015, S. 1 ff. 4 Siehe Erwägungsgründe Nr. 5, 7, 13, 30 und 34 MwStSystRL. 5 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 RL 67/227/EWG. 6 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 RL 67/277/EWG.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

zielle Ausprägung verstanden werden kann1. Ökonomisch betrachtet wird an dieser Stelle der marktwirtschaftliche Beitrag unverkennbar, welchen die Neutralität durch weitgehende Wahrung einer optimalen Allokationseffizienz zum Zwecke der allgemeinen Wohlfahrtssteigerung leisten soll. Aus den einleitenden Richtlinienerwägungen geht hervor, dass sich der Gesetzgeber zumindest selbst das Bekenntnis auferlegt hat, die gemein­ same Mehr­wertsteuersystematik möglichst wettbewerbsneutral und all­ gemein wirksam für sämtliche gegen Entgelt erbrachte Umsätze aus­ zugestalten. Das Leitbild der umsatzsteuerlichen Neutralität geht in seiner Bedeutung indes über eine nur freiwillig proklamierte Zielvorgabe hinaus, sofern eine indisponible Rückkoppelung an verbindliche Prinzi­ pien des Primärrechts nachgewiesen werden kann. Im Folgenden wird daher zunächst der Frage nachgegangen, welchen normativen Stellen­ wert die umsatzsteuerliche Wettbewerbsneutralität innerhalb des unio­ nalen Rechtsgefüges einnimmt (1). Soweit dieses Prinzip als primär­ rechtsverbindliche Direktive anerkannt wird, bleibt anschließend zu klären, welche Anforderungen es an die Zulässigkeit und Gestaltung unechter ­Umsatzsteuerbefreiungen im Allgemeinen (2) und hinsichtlich der Postdienstexemtion im Besonder­en stellt (3). Beeinträchtigen Frei­ stellungs­tatbestände oder tarifliche Ermäßigungen die neutrale Funkti­ onsweise der Umsatzsteuer auf Ebene der Steuerschuldner, so ist schließ­ lich fraglich, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand dem Grunde nach legitimiert sein kann (4). 1. Primärrechtliche Verortung der umsatzsteuerlichen Wettbewerbs­ neutralität Die normative Herleitung und die damit zugleich determinierte Rangstu­ fe des Neutralitätsprin­zips werden im fachspezifischen Schrifttum kon­ trovers beurteilt. Befürworter einer primärrechtlichen Fundierung erbli­ cken hierin eine bereichsspezifische Ausprägung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes und folglich eine den Prozess der Um­ satzsteuerharmonisierung unmittelbar lenkende Direktive2. Die kon­ träre Position geht vom Ansatz aus, das Neutralitätsprinzip verkörpe­ re ­ lediglich eine dispositive Gestaltungsentscheidung und sei somit 1 EuGH, Rs. C-481/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-3369 Rn 22; Rs. C‑283/95, Fischer, Slg. 1998, I‑3369 Rn 21 ff; Henze, in: UStKongrBer 2010, 7 (10 ff). 2 Siehe insbesondere Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 21; Zirkl, Neutralität, 2015, S. 223 f; Englisch, in: Tipke/Lang, 22. Aufl., § 17 Rn 24, § 4 Rn 36; Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 371; Ohler, Die fiskalische Integration, 1997, S. 220 ff; Amand, World Journal of VAT/GST Tax 2013, 163 ff; Hidien, StuW 2005, 265 (269); ders., EWS 2003, 342 (343); wohl auch Tonner, Umsatzsteuerbefreiung heilberuflicher Leis­tungen, 2005, S. 5 f.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

ausschließlich in den einschlägigen Sekundärrechtsakten verwurzelt1. Die Bedeutung der Neutralität erschöpfte sich unter dieser Prämisse in einer selbst auferlegten sowie für die Ausformung und Auslegung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems relevanten Leitlinie, welche der Unionsgesetzgeber indes nach jeweils eigenmächtig zu bemessender Notwendigkeit beliebig einschränken dürfte. Die innere Legitimität dem Gemeinwohl dienender Befreiungen wäre demnach bereits durch Art. 132 MwStSystRL vorgezeichnet, indem ihre bloße normative Existenz den logischen Rückschluss auf die systematische Integrität vermittelte. Be­ dauerlicherweise erweist sich in diesem Zusammenhang die Recht­ sprechung des EuGH nicht zuletzt auch im Rückblick auf ihre zeitliche Entwicklung als wenig konsistent. Im Rahmen der nachfolgenden Aus­ führungen wird daher versucht, unter eingehender Berücksichtigung des aktuellen Meinungsstands sowie der thematisch einschlägigen Jurisdik­ tion den vorzugswürdigen Lösungsansatz argumentativ zu entwickeln. a) Richtlinienrechtliche Implikationen Außerhalb der unerlässlichen Fokussierung auf primärrechtliche Grund­ sätze kann zunächst erwogen werden, ob sich nicht aus der einschlägigen Mehrwertsteuersystemrichtlinie selbst bereits weiterführende Hinweise auf den rechtlichen Status der Wettbewerbsneutralität entnehmen las­ sen. In Gestalt der bereits vorstehend dargelegten Erwägungsgründe bie­ ten sich gemeinsam mit den Bestimmungen in Art. 133 UAbs. 1 lit. d) sowie Art. 132 Abs. 1 lit. f), l) und o) MwStSystRL drei mögliche Anknüp­ fungspunkte, um die Annahme einer rein sekundärrechtlichen Veranke­ rung zu untermauern. aa) Sekundärrechtliche Präambeln Das Prinzip der umsatzsteuerlichen Neutralität ist nicht nur der aktuell geltenden Mehrwertsteuersystemrichtlinie zugrunde gelegt, sondern fin­ det sich in gleicher Weise bereits in den Erwägungsgründen Nr. 5 und 8 RL 67/227/EWG. Die tradierte Anknüpfung an die Neutralität könnte als mögliches Indiz eines gesetzgeberischen Verständnisses gedeutet wer­ den, wonach dieses Prinzip erst originär auf der Ebene des Sekundär­ rechts konstituiert werden sollte2. Besonders in Erinnerung zu rufen gilt es insoweit, dass der damalige Gemeinschaftsgesetzgeber den allgemei­ nen Gleichheitssatz als möglichen Quell einer primärrechtlichen Ver­ 1 So etwa Herbain, VAT Neutrality, 2015, S. 3; Engler, Steuerverfassungsrecht, 2014, S. 267; Mellinghoff, UR 2013, 5 (9); Klenk, UVR 2006, 107 (109); Osterloh, in: FS Sel­ mer, 2004, S. 875 (878) Schaumburg, Stellungnahme v. 13.01.2009, S. 7 ff. 2 Dafür Novacek, ÖStZ 2002, 238 (239); ebenso Lohse, Die Zuordnung im MwStR, 1999, S. 135; ders., UR 2004, 582, wonach erst die Erwägungsgründe dem Neutrali­ tätsprinzip die Qualität formellen Rechts verleihen.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

bindlichkeit zu Beginn der Mehrwertsteuerharmonisierung wohl kaum vor Augen haben konnte. Diesen hat der EuGH nämlich erstmals 1977 – und damit nahezu zeitgleich zum Erlass der RL 77/388/EWG – in der Rechtssache „Ruckdeschel“ als festen Bestandteil des Gemeinschafts­ rechts etabliert1. Zu Beginn der 70er-Jahre zeichnete sich allenfalls be­ reits eine vorsichtige Tendenz in diese Richtung ab2. Trotz dieser Chronologie ist jedoch keinesfalls auszuschließen, dass die legislative Sichtweise auf das Neutralitätsprinzip im Zuge der unions­ grundrechtlichen Entwicklung ebenfalls einem Wandel unterlegen ist. Ein entsprechendes Bewusstsein ist gerade hinsichtlich der Umsatzsteu­ erbefreiungen angezeigt, für deren Umsetzung und Anwendung Art. 131 MwStSystRL klarstellend auf die jeweils geltenden Vorgaben des Ver­ tragsrechts Bezug nimmt3. Spätestens im Zeitpunkt der Konsolidierung des Mehrwertsteuerrechts musste sich daher auch der Gemeinschafts­ gesetzgeber entsprechend veranlasst sehen, im Lichte des prätorisch ­erschaffenen Grundrechtsregimes die Konformität des in Art. 132 MwSt­ SystRL unveränderten Status quo innerstaatlicher Exemtionen zu über­ prüfen4. Überdies erscheint der Befund einer sekundärrechtlich inten­ dierten Implementierung des Neutralitätsprinzips ohnehin keineswegs eindeutig, vielmehr können die Erwägungsgründe ebenso gut als konkre­ tisierter Hinweis auf eine anderweitig vorbestimmte Bindungswirkung des Primärrechts interpretiert werden. Dass der Gemeinschaftsgesetzge­ ber selbst die Wettbewerbsneutralität einer rechtsverbindlichen Katego­ rie zuordnet, deutet vor allem Erwägungsgrund Nr. 4 MwStSyst­RL an, indem die Gewährleistung unverfälschter Wettbewerbsbedingungen in Relation zu der vertraglich festgelegten Zielvorgabe des Binnenmarktes gesetzt wird5. Derselbe Aussagegehalt lässt sich der RL 67/227/EWG ent­ nehmen, deren Erlass vornehmlich den einheitlichen Systemwechsel zur Nettoumsatzsteuer im Interesse des gemeinsamen Marktes herbeiführ­ te6. In die gleiche Richtung weisen ebenfalls die Erwägungsgründe Nr. 3 und 4 RL 77/388/EWG, wo die umsatzsteuerliche Neutralität ganz im Sinne der Grundfreiheiten auf den Ursprung von Gegenständen und Dienstleistungen bezogen wurde. 1 EuGH, Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753 Rn 7. 2 Vgl. etwa EuGH, Rs. 1/72, Frilli, Slg. 1972, 457 Rn 19; Rs. 48/70, Bernardi, Slg. 1971, 175 Rn 25/27. 3 Dazu EuGH, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, ECLI:EU:C:2012:547 Rn 36; Rs. C-84/09, X, Slg. 2010, I‑11645 Rn 35; Amand, World Journal of VAT/GST Tax 2013, 163 (169). 4 Eine umfassende Bindung an Art. 20 GRCh ebenfalls betonend Kokott/Dobratz, in: Schön/Heber, Grundfragen, 2015, S. 25 (26 f). 5 Siehe auch Schumann, Das Dispensverfahren, 2008, S. 95; Grett, UR 2000, 181 (185). 6 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 1 bis 3 RL 67/227/EWG; siehe auch Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., Einf. Rn 47.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

bb) Fakultativer Wettbewerbsbezug, Art. 133 UAbs. 1 lit. d) ­MwStSystRL Den Mitgliedstaaten steht es nach Art. 133 UAbs. 1 MwStSystRL frei, die Gewähr bestimmter Befreiungen u.a. davon abhängig zu machen, dass keine Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil steuerpflichtiger Unternehmer entstehen (lit. d). Für die im vorliegenden Zusammenhang relevante Fragestellung bezüglich der normhierarchischen Verortung des Neutralitätsprinzips enthält diese Bestimmung zwei wesentliche Ge­ sichtspunkte von Interesse. 1) Gegenständliche Begrenzung der Wettbewerbsneutralität Zunächst erstreckt sich der zulässige Wettbewerbsvorbehalt ausschließ­ lich auf sieben spezifisch aufgeführte Tatbestände1. Entschieden zu weit ginge es jedoch, wollte man allein in Anbetracht dieser begrenzten Reich­ weite dem Prinzip der Wettbewerbsneutralität eine das Mehrwertsteuer­ system universal beherrschende Geltung absprechen. Ein rechtsverbind­ liches Neutralitätsverständnis bezeugt in systematischer Hinsicht schon Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL, wonach die Besteuerung der öffent­ lichen Hand unter einen allgemeingültigen Wettbewerbsvorbehalt ge­ stellt wird2. Zwar greift die unmittelbar zwingende Fiktion dem Wort­ laut nach nur im Falle größerer Wettbewerbsverzerrungen ein, was wiederum für eine gesetzgeberische Disponibilität ins Feld geführt wer­ den könnte. Jedoch verleiht der EuGH dem Neutralitätsprinzip eine wei­ tergehende Durchschlagskraft, indem er diesen Passus äußerst restriktiv interpretiert und lediglich Verzerrungen von gänzlich unbedeutendem Ausmaß ausgrenzt3. Eine dem Art. 13 MwStSystRL gleichwertige Schutzklausel ist im Be­ reich der Befrei­ungen nicht angezeigt, da deren Gegenstand anders als die wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeit des Staates nicht abstrakt ange­ legt, sondern nach Maßgabe der Art. 132 ff MwStSystRL abschließend katalogisiert ist. Vor diesem Hintergrund bleibt einem primärrechtstreu­ en Unionsgesetzgeber nur zu unterstellen, dass er insbesondere die Tat­ bestände in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL einer umfassenden Abwägung gegenüber dem Leitbild einer freiheitlich orientierten Marktordnung mit dem Ergebnis zugeführt hat4, entweder keine relevanten Wettbewerbs­ verfälschungen erkannt oder aber zumindest den zugrunde gelegten Ge­ 1 Es handelt sich um Art. 132 Abs. 1 lit. b), g), h), i), l), m) und n) MwStSystRL. 2 Zur Schutzfunktion Henkow, The VAT/GST Treatment of Public Bodies, 2013, § 2.03 (E) (1). 3 EuGH, Rs. C-288/07, Isle of Wight Council u.a., Slg. 2008, I-7203 Rn 76 ff. 4 Eine entspr. Rechtfertigungsprüfung auf Unionsebene fordernd auch Kube, UR 2013, 489 (491).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

meinwohlbelang als vorrangig bewertet zu haben. Folglich ist es inso­ weit regulatorisch nur konsequent, wenn Vorbehalte auf bestimmte als offenbar problematisch eingestufte Konstellationen begrenzt bleiben, während sich im Übrigen die jeweilige Gemeinwohlwertung ausnahms­ los etabliert. Gerade im Hinblick auf die Postdienstexemtion deckt sich diese Annahme mit dem Befund, dass sich der Wettbewerb im Postsektor zum Zeitpunkt der Einführung von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/ EWG im Gegensatz zum heutigen Stand noch völlig unterentwickelt präsentierte. 2) Optionale Umsetzung Bemerkenswert ist weiterhin, dass Art. 133 UAbs. 1 lit. d) MwStSystRL die Verhinderung schädlicher Wettbewerbseinflüsse zur Disposition stellt. Der EuGH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung stets den Even­ tualcharakter von Art. 133 MwStSystRL entsprechend dessen klar for­ muliertem Wortlaut hervorgehoben1. Eine verbindliche Marschroute hin zu einer eingeschränkten Befreiungswirkung könnte den Mitgliedstaaten daher allenfalls obliegen, sollte ein im nationalen Grundrechtekanon hö­ her veranlagtes Schutzniveau die strengere Beachtung der Marktgleich­ heit gebieten und somit das optionale Regelungsermessen zu einer Um­ setzungspflicht verdichten2. Naheliegend erscheint somit die Logik, eine fakultative Eingrenzung ausgewählter Befreiungen auf nationaler Ebene setze spiegelbildlich die Dispositionsmöglichkeit des Un­ions­gesetzgebers voraus. Gesichert scheint jedenfalls, dass dem Vorbehalt in Art. 133 UAbs. 1 lit. d) MwStSystRL, anders als dies für Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 MwStSystRL anzuerkennen ist, nicht die Funktion einer wenigstens ob­ jektiv-rechtlich dimensionierten Schutzklausel im Sinne definitiver Wettbewerbsneutralität zugedacht sein kann3. Einerseits bleibt der be­ freiungsrechtliche Vorbehalt auf die Betätigung von Einrichtungen redu­ ziert, die keine solche des öffentlichen Rechts sind. Sofern sich also der Staat selbst einer unter die besagten Befreiungstatbestände fallenden Ak­ tivität in steuerbarer Form widmet, bleiben eventuelle Störungen des Marktgeschehens ohne Belang. Zum Zweiten muss das Merkmal fehlen­ 1 Martin, UR 2008, 34 (37), unter Hinweis auf EuGH, Rs. C-498/03, Kingscrest Asso­ ciates, Slg. 2005, I‑4427 Rn 42; Rs. C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833 Rn 60; siehe auch EuGH, Rs. C‑319/12, MDDP, ECLI:EU:C:2013:778 Rn 30; Terra/Wattel, Euro­ pean Tax Law, 6th Edt., S. 211. 2 Siehe hierzu vorstehend A.II. 3 Die drittschützende Qualität von Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 RL 77/388/EWG abl. Lange, UR 1999, 385 (391); abw. mittlerweile EuGH, Rs. C-430/04, Feuerbestattungsverein Halle, Slg. 2006, I‑4999 Rn 24 ff. Siehe zur Konkurrentenklage auch BFH BStBl. II 2012, 541.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

der Wettbewerbsverfälschungen gemäß lit. d) in Konnex zu den übrigen Kriterien des Art. 133 UAbs. 1 MwStSystRL gelesen werden. Aus dieser Zusammenschau ergibt sich, dass ausbleibende Verzerrungseffekte zum Nachteil gewerb­licher Unternehmer neben der fehlenden Gewinnerzie­ lungsabsicht (lit. a), einer ehrenamtlichen und damit kostengünstigen Verwaltung (lit. b) sowie einer nicht auf Gewinnmaximierung gerichte­ ten Preisbildung (lit. c) ein weiteres Merkmal wiedergeben, anhand des­ sen die karitative Charakteristik der betreffenden Tätigkeit als übergrei­ fendem Element gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. b), g), h), i), l), m) und n) MwStSystRL verifizierbar wird. International weist die gängige Praxis für die Zuerkennung eines gemeinnützigen Status – verbunden mit Steu­ erprivilegien – zum Teil erhebliche Divergenzen auf, zu denen nicht zu­ letzt auch die Frage zählt, ob der Steuer unterliegende Anbieter einen erheblichen Nachteil erleiden1. Folglich dürfen sich die Mitgliedstaaten nach einer Art Baukastenprinzip der in Art. 133 MwStSystRL benannten Kriterien bedienen, um die Mildtätigkeit der zu befreienden Privatein­ richtungen als tragenden Aspekt der Gemeinwohlbindung unter indivi­ dueller Schwerpunktsetzung und Fortbildung überkommener Rechtstra­ dition zu konkretisieren2. Offensichtlich liegt dabei die Wertung zugrunde, dass sich öffentlich-­ rechtlich verfasste Einrichtungen typischerweise bei bestimmten Tätig­ keiten in sozialverträglicher Weise verhalten und vor allem eine Steuer­ ersparnis an die Empfänger durchleiten, jedenfalls aber eine hinreichende Steuerungsmöglichkeit besteht. Demgegenüber wird die Gefahr einer Kommerzialisierung durch private Unternehmungen als ungleich größer empfunden, wobei den Mitgliedstaaten insoweit das weitere Zugeständ­ nis gemacht wird, die Anerkennung des Befreiungsstatus von der Wettbe­ werbsverträglichkeit abhängig zu machen. Weiterführende Aussagen in Richtung einer sekundärrechtlichen Qualität des Neutralitätsprinzips auf Unionsebene lassen sich mit diesem gemeinwohlspezifisch orientier­ ten Regelungszweck aber nicht in Einklang bringen. Vielmehr indizieren sowohl die subjektive Projektion der Wettbewerbsschranke auf Privat­ einrichtungen wie auch deren freiwillige Errichtung, dass der Unionsge­ setzgeber selbst mögliche Verzerrungseffekte als Problem der konkret aufgegriffenen Befreiungen durchaus erkannt3, zum Zwecke der ange­ strebten Gemeinwohlförderung allerdings als generell nachrangig und damit akzeptabel gewürdigt hat. 1 Gjems-Onstad, VAT Monitor 1994, 69 (73); Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 283; Tait, Value Added Tax, 1988, S. 78 f. 2 Vgl. Hemels, VAT treatment of charities, 2010. S. 9. Siehe entspr. zur Berücksichti­ gung der Vielfalt nationaler Traditionen im Bereich der Kultur EuGH, Rs. C‑592/15, British Film Institute, ECLI:EU:C:2017:117 Rn 22. 3 Siehe auch Kaminski, Gutachten v. 01.08.2012, S. 26.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

cc) Ausdifferenzierter Wettbewerbsvorbehalt, Art. 132 Abs. 1 lit. f), l) und o) MwStSystRL Die Befreiungswirkung ist gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. f), l) und o) MwSt­ SystRL u.a. davon abhängig, dass keine Wettbewerbsverzerrungen her­ vorgerufen werden. Diese differenziert auf drei ausgewählte Tatbestände begrenzte Implementierung eines ent­sprech­enden Vorbehalts wird bis­ weilen als Ausdruck dafür gewertet, die umsatzsteuerliche Neutralität erfasse nicht sämtliche Exemtionen innerstaatlicher Umsätze und stehe e contrario als ein unmittelbar aus der Richtlinie selbst abgeleitetes Prin­ zip zur freien Disposition der gesetzgebenden Unionsorgane1. Bezüglich Art. 132 Abs. 1 lit. l) MwStSystRL ist zu folgern, dass der nach Art. 133 UAbs. 1 MwStSystRL gewährte Umsetzungsspielraum auf die in lit. b) und c) benannten Kriterien reduziert wird. Nach dem klaren Wortlaut dieses Tatbestandes dürfen sämtliche Einrichtungen, zu denen nach der Rechtsprechung des EuGH auch natürliche Personen zählen2, bei zu befreienden Leistungen an ihre Mitglieder weder Gewinne anstre­ ben noch in Wettbewerb zu anderen gewerblich tätigen Unternehmern treten. Da anders als im Falle der sonstigen in Art. 133 UAbs. 1 MwSt­ SystRL aufgezählten Tatbestände auch öffentlich-rechtlich verfasste Ein­ richtungen der überdies zwingenden Wettbewerbsneutralität unterwor­ fen sind, wirkt dieser allgemeine Vorbehalt nicht allein als Indiz einer mildtätigen Handlungsweise. Vielmehr dient das Neutralitätserfordernis jedenfalls auch dem Zweck, die freiheitlich verfasste Marktordnung vor ungewollten Verfälschungen zu bewahren. Eine der Schutzklausel ge­ mäß Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 MwStSystRL gleich gesinnte Ziel­ richtung liegt ebenfalls dem gesondert aufgenommenen Wettbewerbs­ vorbehalt in Art. 132 Abs. 1 lit. f) und o) MwStSystRL zugrunde. Diese Tatbestände erstrecken die Steuerfreiheit auf sonstige Umsätze, die in einem lediglich mittelbar unterstützenden Zusammenhang zu anderwei­ tig befreiten Leistungen im Gemeinwohlinteresse stehen. Diese Art „Ne­ benzweckprivileg“ gegenüber originären Befreiungstatbeständen hat zur Konsequenz, dass Art 132 Abs. 1 lit. f) und o) MwStSystRL eine gegen­ ständliche Konturenschärfe vermissen lassen, wie sie den detailliert aus­ geformten Freistellungsvoraussetzungen im Übrigen inhärent ist. Die besondere Betonung der Wettbewerbsneutralität bildet somit wiederum eine nachvollziehbare Reaktion3. Der vorstehend beschriebene Deutungshorizont bezüglich der wettbe­ werbsspezifischen Binnensystematik des Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL 1 Vgl. Schaumburg, Stellungnahme v. 13.01.2009, S. 8 f. 2 Grundlegend EuGH, Rs. C-216/97, Gregg, Slg. 1999, I-4947 Rn 15 ff. 3 Flankierend für lit. o) sieht Art. 132 Abs. 2 MwStSystRL vor, dass zusätzlich die An­ zahl der Veranstaltungen sowie die befreite Einnahmehöhe reglementiert werden dürfen.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

gibt nicht zwangsläufig zu erkennen, dass die umsatzsteuerliche Neu­ tralität lediglich dispositiv auf beliebig ausgewählte Tatbestände anzu­ wenden wäre. Gestützt wird stattdessen die bereits oben unter bb) darge­ legte Annahme, der Richtliniengeber habe die verbindlich enumerierten Exemtionstatbestände einer ausdifferenzierten Abwägung in Relation zum Primat der Wettbewerbsfreiheit unterzogen. So gesehen deutet die gesonderte Anknüpfung an einen solchen Vorbehalt darauf hin, dass der Gesetzgeber gerade in der Steuerfreiheit nach Maßgabe von Art. 132 Abs. 1 lit. f), l) und o) MwStSystRL eine qualifizierte Risikolage für unge­ rechtfertigte Verfälschungen der freiheitlichen Marktordnung erblickt hat. Anderenfalls erschiene die Auswahl ausgerechnet dieser Tatbestände für eine verbindliche Durchsetzung der Neutralität gänzlich willkürlich. dd) Zwischenergebnis Weder den Erwägungsgründen zur Umsatzsteuerharmonisierung noch dem wettbewerbsspezifisch differenzierenden Regelungsregime iSv Art. 132 Abs. 1 lit. f), l) und o), Art. 133 UAbs. 1 lit. d) MwStSystRL las­ sen sich Rückschlüsse gegen eine primärrechtliche Fundierung des mehrwertsteuerlichen Neutralitätsprinzips entnehmen. Konnte der da­ malige Gemeinschaftsgesetzgeber den allgemeinen Gleichbehandlungs­ grundsatz als ungeschriebenes Element des Primärrechts noch nicht ­hinreichend berücksichtigen, handelt es sich bei der dynamischen Öff­ nungsklausel in Art. 131 MwStSystRL um ein belastbares Anzeichen da­ für, dass eine gesetzessystematisch ohnehin unausweichliche Anpassung der legislativen Perspektive auch tatsächlich vollzogen wurde. b) Der allgemeine Gleichheitssatz als Fundament umsatzsteuerlicher Neutralität Richtet man den Blick von der Richtliniengebung unmittelbar auf die Ebene des vertraglichen Primärrechts und die darin allgemeingültig fest­ geschriebenen Vorgaben für die Harmonisierung iSv Art. 113 AEUV, so führt diese Betrachtung unter strikter Einbeziehung der umsatzsteuer­ lichen Systematik zu der vorzugswürdigen Schlussfolgerung, das Neu­ tralitätsprinzip als Direktive mit Primärrechtsqualität zu begreifen. Dogmatischer Anknüpfungspunkt für diese These ist der allgemeine ­ Grundsatz der Gleichbehandlung. Diesen hat der EuGH erstmals in sei­ ner wegweisenden Entscheidung „Ruckdeschel“ als Kondensat der ge­ schriebenen Diskriminierungsverbote und damit festen Bestandteil des Primärrechts etabliert1. Seit der Reform von Lissabon genießt er gemäß Art. 20 GRCh verbindliche Geltung. 1 EuGH, Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753 Rn 7; nachfolgend EuGH, Rs. 124/76 und 20/77, Moulins Pont-à-Mousson, Slg. 1977, 1795 Rn 14/17; Rs. 138/79,

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Der allgemeine Gleichheitssatz untersagt, wesentlich gleiche Sachver­ halte ungleich sowie umgekehrt wesentlich ungleiche Sachverhalte gleich zu behandeln, es sei denn, die vorgenommene Differenzierung ist objektiv gerechtfertigt1. Diesem abstrakten Gebot kann ein konkreter Aussagewert im Hinblick auf die Neutralität nur unter der Be­dingung entnommen werden, dass es in Relation zu dem Kompetenztitel aus Art. 113 AEUV sowie der anerkannten Funktion der Umsatzsteuer als allgemeine Besteuerung des privaten Konsums gesetzt wird. Auf diese Weise treten unterschiedliche Aspekte der allgemeinen Gleichheit in Er­ scheinung, welche sich bereichsweise thematisch überschneiden sowie in einem steuertypologischen Kontext gegenseitig ergänzen. Zugleich wird deutlich, dass die Annahme einer primärrechtlichen Rückbindung des Neutralitätsprinzips auch mit der in den Erwägungsbegründungen zum Ausdruck gelangenden Sichtweise des Unionsgesetzgebers harmo­ niert. aa) Binnenmarktadäquate Wettbewerbsneutralität, Art. 113 AEUV Ziel und zugleich Schranke der Harmonisierung markiert gemäß Art. 113 AEUV die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes. Als Raum ohne Grenzen für den zwischenstaatlichen Verkehr von Wirtschafts­ gütern ist dieses Konstrukt in das Leitbild einer liberal geprägten Markt­ ordnung eingebunden2. Im Interesse optimaler Allokationseffizienz for­ muliert die Wettbewerbsfreiheit ein wirtschaftsverfassungsrechtliches Grundbekenntnis. Als verbindliches Subprinzip des Binnenmarktes steht es nicht zur legislativen Disposition und leitet neben weiteren Anwen­ dungsfeldern europäischer Harmonisierung insbesondere auch die Ge­ staltung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems inhaltlich an3. Die vereinheitlichenden Sekundärrechtsvorgaben müssen daher, wie dies auch in den einführenden Erwägungsgründen seit Erlass der 1. und 2. MwStRL als zentrale Zielsetzung stets durchgehend proklamiert wor­ den ist, auf eine binnenmarktadäquate und daher möglichst wettbe­ werbsneutrale Funktionsweise der Umsatzbesteuerung bedacht sein4. Roquette Frères, Slg. 1980, 3333 Rn 22 ff; vgl. zur Entwicklung auch Glock, Der Gleichheitssaz im Europäischen Recht, 2007, S. 163 ff. 1 EuGH, Rs. C-50/12, P-Kendrion, ECLI:EU:C:2013:771 Rn 62; Rs. C-344/04, IATA und ELFAA, Slg. 2006, I‑403 Rn 95; Kischel, EuGRZ 1997, 1 (3) mwN. 2 Ähnlich Amand, World Journal of VAT/GST Tax 2013, 163 (174). 3 Vgl. auch Merkx, Establishments in European VAT, 2013, S. 29; Rahn, Dezentrale Umsatzbesteuerung, 2009, S. 39 f; Reiß, in: DStJG 32 (2009), S. 9 (30); Penke, Der Ort der sonstigen Leistungen, 2007, S. 40 ff; Schön, in: UStKongrBer 2001/2002, S. 17 (23); Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 28; Haufler/Menner, RIW 1991, 128 (130); Sedemund, EuZW 1991, 658 ff. 4 Siehe auch Mick, in: Birk, HdB des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, 1995, § 24 Rn 3 ff; Ohler, Die fiskalische Integration, 1997, S. 191; Waldhoff, in: Calliess/

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Dieser thematisch untrennbare Zusammenhang erlangte im Zuge der Lissabonner Vertragsreform eine Klarstellung, indem Art. 113 AEUV um den Passus „Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen“ formell ergänzt wurde. Mit dem allgemeinen Gleichheitssatz deckt sich dieses Postulat inso­ weit, als die Wettbewerbsfreiheit eine gerechte Chancenverteilung zwi­ schen unterschiedlichen Marktakteuren impliziert. So gesehen wird die Wettbewerbsneutralität in ihrem Kern als eine bereichsspezifische Kon­ kretisierung wirtschaftsgeprägter Gleichheit durch Art. 20 GRCh unter­ legt1. Zugleich stellt der Aspekt der Chancengleichheit die entschei­ dende Konstante für die Aufnahme und ungehinderte Ausübung einer wirtschaftlichen Betätigung dar, wodurch unweigerlich die Grund­ freiheiten und Unionsgrundrechte in den Fokus geraten. Sie sichern das primärrechtliche Marktkonzept zusätzlich ab. Die umsatzsteuerliche Neutralität erfährt deshalb nicht allein eine gleichheitsrechtliche, son­ dern ebenso eine freiheitliche Verfestigung2. Anders als es die auf den Grundfreiheiten beruhende Definition des Binnenmarktkonzepts gemäß Art. 14 Abs. 2 AEUV zunächst suggeriert, beansprucht die primärrechtli­ che Wettbewerbsfreiheit gerade in Anbetracht ihrer grundrechtlichen Rückbindung universale Geltung. Das Prinzip der Neutralität bestimmt das System der Umsatzsteuer folglich nicht nur hinsichtlich grenzüber­ schreitender Sachverhalte, sondern auch solcher mit innerstaatlichem Bezug3. Diese Feststellung ist gleichsam der Einsicht geschuldet, dass der Abbau zwisch­en­staatlicher Verfälschungen zunächst eine wettbewerbs­ neutrale Gestaltung der Umsatzsteuer innerhalb der einzelnen Mitglied­ staaten zur Voraussetzung hat4. bb) Folgerichtige Verbrauchsteuertypologie Ihrer anerkannten Typologie zufolge ist die harmonisierte Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer klassifiziert. Als solche zielt sie abschlie­ ßend auf die Belastung der Konsumaufwendungen, diese wiederum in­ dizieren die besteuerungswürdige Leistungsfähigkeit in der Person der Endverbraucher. Zugleich gibt diese Charakteristik vor, dass die ledig­ lich als Steuereinsammler formal in den Erhebungsprozess eingebunde­ Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 1; Stumpf, in: Schwarze, EU-Kom­ mentar, 3. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 2. 1 Dafür auch Menner, Umsatzsteuerharmonisierung in der EG, 1992, S. 44. 2 Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 374 f; siehe zu Art. 16 GRCh vorstehend III.3. 3 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 RL 67/227/EWG und Erwägungsgrund Nr. 4 MwStSyst­ RL; siehe auch EuGH, Rs. 252/86, Bergandi, Slg. 1988, 1343 Rn 9; Rs. 138/86 und 139/86, Direct Cosmetics II, Slg. 1988, 3937 Rn 23; Dobratz, Leistung und Ent­ gelt, 2005, S. 29; Birkenfeld, in: FS Offerhaus, 1999, S. 133 (155). 4 Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 41.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

nen Unternehmer weder zu Steuerträgern avancieren1 noch in ihrer Wettbewerbsstellung nachhaltig beeinträchtigt werden dürfen2. Die ein­ fachgesetzliche Ausformung dieses Prinzips schlägt sich einerseits in der die Belastungsneutralität wahrenden Berechtigung zum Vorsteuerabzug nieder3. Zudem wird auf das Entgelt ein proportionaler Steuersatz ange­ wandt, wodurch die preislich zu überwälzende Steuerschuld im Grund­ satz relativ gleich hoch ausfällt. Eine zwingend beachtliche Vorgabe, das gemeinsame Umsatzsteuersys­ tem gerade an dieser konkret beschriebenen Funktionsweise einer allge­ meinen Verbrauchsteuer auszurichten, wird auf primärer Unionsebene nicht ausdrücklich formuliert4. Dennoch bildet die sekundärrechtlich gefällte Systementscheidung keine beliebig handhabbare Verfügungs­ masse, sondern gewinnt über Art. 20 GRCh eine primärrechtliche Absi­ cherung im Gebot der Folgerichtigkeit. 1) Das Gebot der Folgerichtigkeit Das Prinzip der Folgerichtigkeit hat sich in der Rechtsprechung des ­BVerfG als steuerbereichsspezifische Ausprägung auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG entwickelt5. Um ein fiskalisches Aufkommen zu gene­ rieren, genießt der Gesetzgeber bei der Auswahl des zu besteuernden Gu­ tes als einem beliebigen Vorgang der Lebenswirklichkeit weiträumiges Ermessen. Etwaige Limitierungen des Zugriffs können von der insti­ tutio­nellen Kompetenzordnung einmal abgesehen allenfalls sporadisch durch die Verbürgungen der Freiheitsrechte auferlegt sein6. Ebenso wenig wie das europäische Vertragsrecht favorisiert das Grundgesetz ein be­ stimmtes Besteuerungssystem apriorisch, sondern setzt dessen einfach­ gesetzliche Implementierung als Akt der legisla­ tiven Ermessensaus­ übung voraus7. Gleichheitsrechtlich wahrt das Folgerichtigkeitsgebot indes eine konsti­ tutionelle Balance. In dieser besonderen Ausprägung realisiert Art. 3 Abs. 1 GG den grundrechtlich verfassten Anspruch auf Belastungsgleich­ 1 Vgl. EuGH, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. 2008, I-771 Rn 21; Rs. C-10/92, Balocchi, Slg. 1993, I‑5105 Rn 25. 2 EuGH, Rs. 89/81, Hong Kong Trade Development Council, Slg. 1982, 1277 Rn 6; Rs. 126/78, Nederlands Spoorwegen, Slg. 1979, 2041 Rn 7. 3 Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., Einf. Rn 48. 4 Die konkrete Verbrauchsteuercharakterrisitk liegt exklusiv im Sekundärrecht be­ gründet, so zutreffend Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 31 f. 5 St. Rspr., BVerfGE 126, 268 (278); 123, 111 (120 f); 122, 210 (230 ff); 93, 121 (136); 84, 239 (271); allg. zur Entwicklung Birk, DStR 2009, 877 (881); Michael, JZ 2008, 875 (880). 6 Vgl. dazu Thiemann, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rspr. des BVerfG, Bd 2, 2001, S. 179 (181); Wernsmann, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen, 2009, S. 161 (168). 7 Vgl. Drüen, in: FS Spindler 2011, S. 29 (41); Schön, ebenda, 2011, S. 189 (190).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

heit, indem der Gesetzgeber an seine frei getroffene Systementscheidung gebunden bleibt und diese somit kohärent fortbilden muss1. Ausnahmen von der systemadäquaten Bemessungsgrundlage, wie sie insbesondere steuerlichen Vergünstigungen immanent sind, erweisen sich nur dann als zulässig, wenn sie zur Verfolgung eines legitimen Sachziels verhält­ nismäßig gerechtfertigt werden können2. Alternativ ist es dem Gesetz­ geber ebenso gestattet, das gewählte Gesamtsystem mit der daran an­ knüpfenden Folge einer inhaltlich neu entstehenden Bindungswirkung gänzlich abzuändern3. Das durch die einfachgesetzliche Belastungsentscheidung reaktivierte Prinzip der Folgerichtigkeit, das letztlich nichts anderes als eine ihrem Inhalt nach legislativ selbst auferlegte Bindung apostrophiert, stellt nicht nur eine genuin im deutschen Rechtskreis angewandte Konstruktion dar. In entsprechender Weise ist dieser Leitgedanke auch innerhalb der Ord­ nung anderer EU-Mitgliedstaaten prinzipiell geeignet, die steuerspezifi­ sche Effektuierung des allgemein anzutreffenden Gleichheitssatzes wie­ derzugeben4. Ungeachtet einer divergierenden Verfassungsdogmatik darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Folgerichtigkeit ohnehin bereits auf nationaler Ebene die Ausübung ertragsteuerlicher Kompetenzen im Lichte der vertraglichen Grundfreiheiten durchdringt5. 2) Analoge Bindung der steuerlichen Unionsgesetzgebung Soweit ersichtlich, hat der EuGH im Gebot der Folgerichtigkeit bislang noch keine die Steuerharmonisierung explizit bindende Leitlinie bestä­ tigt. Gewissen Anklang findet ein Bekenntnis zu allgemeiner Systemad­ äquanz in der neueren Judikatur bezüglich mitgliedstaatlich initiierter Eingriffe in Grundfreiheiten oder Unionsgrundrechte. Derartige Maß­ nahmen können nur gerechtfertigt sein, sofern die betreffende Regelung über eine ausreichende systematische Konsistenz verfügt6. Dieses Erfor­ dernis betrifft die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme 1 Siehe auch Musil, in: Schön/Röder, Zukunftsfragen II, 2014, S. 129 (138); Di Fabio, JZ 2007, 749 (754); Tipke, StuW 2007, 201 (205 ff); Schoch, DVBl. 1988, 863 (878); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdB StR, Bd VIII, 3. Aufl., § 181 Rn 211; ders., StuW 1984, 297 (301). 2 Vgl. Kischel, in: Mellinghoff/Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, 2009, S. 175 (185); spez. zu steuerlichen Verschonungssubventionen Schön, in: FS Spindler, 2011, S. 189 ff. 3 Siehe dazu Huster, Rechte und Ziele, 1993, S. 391; Drüen, Ubg 2009, 23 (26 ff). 4 Vgl. zur österreichischen Systemjudikatur etwa Heinrich, in: FS Ruppe, 2007, S. 205 (216 f). 5 So Straßburger, Dogmatik der EU-Grundfreiheiten, 2012, S. 128. 6 EuGH, Rs. C-212/08, Zeturf, Slg. 2011, I-05633 Rn 62; Rs. C-258/08, Ladbrokes Bet­ ting & Gaming, Slg. 2010, I‑4757 Rn 38; Rs. C‑316/07 u.a., Stoß u.a., Slg. 2010, I-8069 Rn 83.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

zwecks Verwirklichung eines legitimen Sachgrundes, den es regulativ ebenso konsequent wie widerspruchsfrei zu verfolgen gilt. Da die vorbe­ nannten Funktionsgarantien Unionsorgane in gleicher Weise binden, müssen auch Eingriffe durch harmonisierende Sekundärrechtsakte über eine kohärente Wirkungsweise verfügen. Gewendet auf den Bereich der Umsatzsteuer, bleibt diesbezüglich zu ­konstatieren, dass die Unternehmer als Schuldner im Interesse einer praktikablen sowie zweckmäßigen Erfassung der Konsumausgaben mit Vollzugslasten konfrontiert werden, die ihrerseits einen rechtfertigungs­ bedürftigen Eingriff in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit auslösen1. Kann diese freiheitliche Beschränkung allein im übergeordneten Interes­ se einer effektiven Verbraucherbesteuerung gerechtfertigt sein2, bedarf die unternehmerische Funktion eines formalen Steuereinsammlers grund­ sätzlich der systemadäquaten und damit folgerichtigen Umsetzung. An­ derenfalls ist nicht allein die genuine Steuerbelastung rein unterneh­ mensinterner Umsatzgeschäfte zu legitimieren, sondern es derogiert in entsprechendem Maße die verhältnismäßige Zielsetzung einer allgemei­ nen Verbrauchsteuer. Dieses freiheitsrechtlichen Bezuges ungeachtet rückt Art. 20 GRCh als dogmatische Grundlage für die mögliche Übersetzung der steuerspezifi­ schen Folgerichtigkeit in den Blickpunkt3. Die Folgerichtigkeit als Aus­ fluss auch des unionsrechtlichen Gleichheitssatzes zu begreifen, er­ scheint zunächst konsequent in Vergegenwärtigung der Tat­sache, dass bereits frühzeitig die legislative Verantwortung im Bereich der indirek­ ten Besteuerung supranational absorbiert wurde. Gerade in Bezug auf die harmonisierte Umsatzsteuer zeigt diese Entwicklung ein unbestreitbares Bedürfnis auf, das grundrechtliche Schutzniveau, welches sich auf natio­ naler Ebene bereichsspezifisch in Gestalt der Folgerichtigkeit manifes­ tiert hat, ebenso im primärrechtlichen Gefüge subjektiver Gewährleis­ tungen angemessen zu berücksichtigen. Allein auf diese Weise vermag jedenfalls im Verhältnis zum Grundgesetz relevanten Defiziten im Lich­ te der Solange‑II‑Rechtsprechung vorgebeugt zu werden4.

1 Vgl. zur indirekt erhobenen Getreideabgabe EuGH, Rs. 265/87, Schräder, Slg. 1989, I‑2263 Rn 18. Siehe zu Art. 12 Abs. 1 GG ferner Stadie, UStG, 3. Aufl., Vorbem. Rn 41 ff. 2 So unter Verweis auf die solidarische Finanzierung der öffentlichen Hand Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen, 2009, S. 39 (71); siehe auch Engler, Steuerverfas­ sungsrecht, 2014, S. 254 ff. 3 Dafür auch Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (56). 4 Zu diesem Aspekt auch Söhn, StuW 1976, 1 (4); die „Machtlosigkeit“ von Art. 3 Abs. 1 GG gegenüber der Mehrwertsteuersystemrichtlinie betonend Kokott/Dobratz, in: Schön/Heber, Grundfragen, 2015, S. 25 (26).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Richtigerweise kann der Folgerichtigkeit überdies der universelle Rang eines denklogischen Prinzips im Rahmen grundrechtlich verbürgter Gleichheit beigemessen werden1. Rein strukturell versteht der EuGH die gleichheitsrechtlich unterlegte Neu­tra­lität bereits im Sinne einer folge­ richtigen Umsetzung, soweit er beispielsweise das mitgliedstaatliche Ermessen bei der Definition ärztlicher oder arztähnlicher Berufe iSv ­ Art. 132 Abs. 1 lit. c) MwStSystRL an die bereichsspezifisch aufgestellte Zweckvorgabe einer Qualitätssicherung bindet2. Die elementare Kon­ fliktsituation, die es über die besondere Zielsetzung von Ausnahmetat­ beständen hinaus zwischen der Systemwahlfreiheit einerseits sowie dem Anspruch auf eine gleichheitsgerecht ausgeformte Besteu­erung anderer­ seits in Einklang zu bringen gilt, verlagert sich identitätswahrend aus der rein nationalen Perspektive auf die supranationale Ebene der Umsatz­ steuerharmonisierung. In Widerspruch zu diesem Befund geriete daher die Bestrebung, das gleich gelagerte Ausgangsproblem mithilfe ab­ weichender Instrumentarien als demjenigen des sämtliche Verfassungs­ ordnungen übergreifenden Gleichheitssatzes lösen zu wollen3. Verlangt demnach bereits die konkrete Zielsetzung einer einzelnen Ausnahmere­ gelung ihre folgerichtige Umsetzung als eine Art Subprinzip, müssen die überge­ordneten Leitprinzipien der steuerlich einschlägigen Regelungs­ materie erst recht einen tauglichen und vor allem vorrangigen Gegen­ stand dieser gleichheitsrechtlichen Umsetzungstreue abbilden können4. Sofern daher weder die freiheitswahrenden Unionsgrundrechte noch die speziellen Vertragsbestimmungen der Art. 110 ff AEUV den richtlinien­ gebundenen Gestaltungsansatz disziplinieren, gebietet ergänzend der all­ gemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 20 GRCh eine höherrangige Bin­ dung an die stereotype Abschöpfung privater Konsumaufwendungen. Allgemein verschiebt sich in diesem Falle der Schwerpunkt grundrecht­ licher Implikationen von der primären Ebene des originären Steuerzu­ griffs auf die nachgelagerte Wertungsstufe seiner prinzipientreuen sowie gleichmäßigen Ausgestaltung. Das primäre Unionsrecht gewährt folg­ lich ebenso wenig wie das Grundgesetz die prinzipielle Möglichkeit zur Abwehr der Umsatzbesteuerung in ihrer Konkretisierung einer allgemei­

1 Tipke, in: FS Reiß, 2008, S. 9 (14 f); ders., StuW 2007, 201 (205); Lang, StuW 1990, 107 (110 f); Teichmann, StuW 1975, 189 (193); zusätzlich die vertragliche Rechts­ staatstradition abstellend Straßburger, Dogmatik der EU-Grundfreiheiten, 2012, S. 128, 260. 2 Vgl. EuGH, Rs. C-443/04 und C-44/03, Solleveld, Slg. 2006, I-3617 Rn 36 ff; zuletzt auch EuGH, Rs. C‑250/11, Lietuvos, ECLI:EU:C:2012:496 Rn 47 f; siehe dazu Englisch, in: Englisch/Schaumburg, Eur StR, 2015, Rn 12.19 unter weiterem Hinweis auf EGMR Nr. 11581/85, Darby/Schweden, Rn 33 f. 3 Rechtsvergleichend Gribnau, in: Meussen, The Principle of Equality, 1999, S. 27 ff. 4 In diesem Sinne auch Englisch, in: Englisch/Schaumburg, Eur StR, 2015, Rn 12.19.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

nen Verbrauchsteuer1, sehr wohl aber gebietet es deren systemadäquate Fortbildung im Sekundärrecht2. 3) Verbrauchsteuertypologie im funktionalen Kontext der ­Wettbewerbsparität Als bereichsspezifische Ausprägung von Art. 20 GRCh bindet die Folge­ richtigkeit den gesetzgeberisch zu vollziehenden Harmonisierungspro­ zess an das Gebot zu grundsätzlicher Prinzipientreue. Reduziert auf das Postulat einer reinen Systembindung, muss die inhaltliche Aussagekraft der Folgerichtigkeit anhand des maßstabbildenden Referenzrahmens aus dem einschlägigen Regelwerk der jeweiligen Einzelsteuer extrahiert wer­ den. Speziell im Hinblick auf die unionsweit vereinheitlichte Umsatz­ steuer ist das leitende Referenzsystem durch die bereits einleitend ­unter bb) skizzierte Typologie einer allgemeinen Verbrauchsteuer identi­ fiziert3, deren vorsteuerbedingte Funktionsweise nach dem Ideal der All­ phasennettosteuer im ersten Harmonisierungsakt der RL 67/227/EWG zur verbindlichen Inkorporation in das nationale Recht vorgegeben wur­ de. Diese in einem Frühstadium der Integration getroffene Systemfestle­ gung musste gemäß dem primärrechtlich angelegten Gleichheitssatz im Rahmen der nachfolgenden Angleichung der Bemessungsgrundlage durch die RL 77/388/EWG, spätestens aber anlässlich der formalen Kon­ solidierung durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie zum 01.01.2007 berücksichtigt und somit folgerichtig verwirklicht werden. Unabdingbares Korrelat einer exklusiven Steuerträgerschaft von Endver­ brauchern bildet im geltenden Mehrwertsteuersystem das Prinzip der Neutralität im Verhältnis zu dem steuerpflichtigen Unternehmer4. Folge ist, dass der Vorsteuerabzug ebenso wie die proportionale Entgeltbelas­ tung willkürlichen Beschränkungen entzogen sind, oder anders formu­ liert entspricht die umsatzsteuerliche Neutralität der systemprägenden Belastungsentscheidung im harmonisierten Mehrwertsteuerrecht und erlangt daher über das Folgerichtigkeitsgebot die Qualität eines primär­ rechtsfesten Prinzips5. Schließlich fügt sich die Verbrauchsteuertypolo­ gie perfekt in das primärrechtliche Grundgebot der Wettbewerbsfreiheit ein, da die intendierte Überwälzung der Steuerschuld im Marktpreis al­ lein unter der Kehrseite einer möglichst neutralen Gestaltung gelingen 1 Siehe zur grundgesetzlichen Legitimität der Umsatzsteuer Kirchhof, UR 2002, 541 (544). 2 Im Erg. ebenfalls für eine folgerichtige Bindendung auf Unionsebene Eiling, Einfüh­ rung neuer Verbrauchsteuern, 2014, S. 175; Widmann, UR 2013, 15 (21); Kirchhof, UR 2002, 541 (545 ff); Söhn, StuW 1976, 1 (4); wohl auch Kube, UR 2013, 489 (491). 3 Tipke, StuW 2007, 201 (206). 4 Siehe Reiß, in: DStJG 33 (2009), S. 9 (14); Grett, DStR 2001, 511 (517); vgl. auch Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL. 5 So auch Englisch, UR 2011, 488 (491).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

kann1. Gleichsam Pate für die Wettbewerbsneutralität stehen somit der Vorsteuerabzug wie auch die relative Belastungsgleichheit als geeignete Funktionsparameter, damit die Umsatzsteuer trotz ihrer technischen Anknüpfung an Verkehrsakte eine definitive Belastung des privaten Kon­ sums realisieren kann2. Von dieser Warte aus gesehen kristallisiert sich zwischen der gleichheitsrechtlich verfestigten Belastungsentscheidung sowie dem binnenmarktadäquaten Postulat nach Wettbewerbsfreiheit eine inhaltliche Schnittmenge heraus, die beide Faktoren unter mittel­ barem Rekurs auf Art. 20 GRCh gleichsam zur einheitlichen Referenz für die primärrechtliche Fundierung der umsatzsteuerlichen Neutralität miteinander verschmelzen lässt. c) Die neutralitätsspezifische Rechtsprechung des EuGH Vergegenwärtigt man sich die höchstrichterlich getroffenen Aussagen in Bezug auf das umsatzsteuerliche Neutralitätsprinzip, so wird deutlich, dass die einschlägige Jurisdiktion drei trennbare Entwicklungsstadien durchlaufen hat. Vom Standpunkt einer primärrechtlich angenäherten Fundierung aus betrachtet, stellt sich dieser Verlauf bildlich wie eine Fie­ berkurve dar. Sein vorläufiges Ende markiert die generell begrüßenswer­ te Bemühung des EuGH, dem praktisch bedeutsamen Verhältnis zwi­ schen Gleichheitssatz und Neutralität in seiner neueren Rechtsprechung schärfere Konturen als bislang zu verleihen. Nachdem der Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen noch deutungsoffene Formulierungen gewählt hatte, mündete dieses Bestreben in die aktuell zu beobachtende Konzeption, die Neutralität als Ausprägung des Gleichheitssatzes im bloßen Rang des Sekundärrechts zu begreifen. aa) Neutralität als richtlinienbedingter Ansatz Bereits frühzeitig gab der EuGH zu erkennen, dass auf der Grundlage des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems das Gebot der Gleichbehandlung im Verhältnis konkurrierender Waren und Dienstleistungen und damit notwendigerweise auch der diese am Markt anbietenden Unternehmer Beachtung finden müsse3. Einen grundrechtlichen Anstoß weist die Ent­ scheidung „Nederlandse Spoorwegen“ freilich noch nicht auf4. Stattdes­ 1 Vgl. Zirkl, Neutralität, 2015, S. 133; Oellerich, Defizitärer Vollzug, 2008, S. 78; Reiß, in: FS Tipke, 1995, S. 433 (440); ders., in: DStJG 33 (2009), S. 9 (17); im Erg. auch Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., Einf. Rn 47. 2 Vgl. auch de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 6. 3 EuGH, Rs. 126/78, Nederlandse Spoorwegen, Slg. 1979, 2041 Rn 12; fortgesetzt durch EuGH, Rs. C‑283/95, Fischer, Slg. 1998, I‑3369 Rn 21 ff; Rs. C-155/94, Well­ come Trust, Slg. 1996, I-3031 Rn 38. 4 Vgl. auch Englisch, in: Beck/Schön, Zukunftsfragen, 2009, S. 39 (58); anders Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, 2014, S. 314 Fn 902.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

sen reflektierte der EuGH in seiner Begründung die richtlinienrechtlich vorformulierte Zielvorgabe der Wettbewerbsneutralität des neu einge­ führten Nettosystems und orientierte sich folglich am Integrationsge­ genstand des Gemeinsamen Marktes schlechthin. In der Rechtssache „Belgocodex“ referierte der EuGH sodann, der steuer­ liche Neutralitätsgrundsatz liege dem gemeinsamen Mehrwertsteuersys­ tem zugrunde1. Den bereits voll etablierten Gleichbehandlungsgrundsatz bemühten die Richter dabei als naheliegenden Ansatz einer normativen Herleitung noch nicht, beschränkten sie sich doch auf den vielsagenden Hinweis, die Neutralität komme in Art. 2 RL 67/227/EWG zum Aus­ druck und lasse sich darüber hinaus den Erwägungsgründen Nr. 4 und 5 der RL 77/388/EWG entnehmen. Auch in der Entscheidung „Kügler“ fand das ungeschriebene Gleichheitsgrundrecht nur untergeordnet im Kontext eines die mitgliedstaatliche Umsetzung anleitenden Primär­ rechtsgebotes Erwähnung, wohingegen die Neutralität im Rahmen der vorausgehenden Ausführungen als bloße Auslegungsdirektive heran­ gezogen wurde2. Es verwundert daher kaum, dass erklärte Gegner einer primärrechtlichen Neutralitätszuordnung gerade unter Rekurs auf diese ältere Entscheidung den gesicherten Beleg für eine entsprechende Sicht­ weise des EuGH behaupten3. Diese tendenzielle Linie erreichte ihren tat­ sächlichen Höhepunkt jedoch erst in der Rechts­sache „HE“, in der später sogar ausdrücklich davon die Rede war, das Gebot der Gleichbehandlung verkörpere im Umsatzsteuerrecht eine spezifische Rechtsfolge der Neu­ tralität4. bb) Neutralität als Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Dass die endgültige Suggestion einer – jedenfalls vollumfänglichen – Un­ terlegung des Neutralitätsprinzips allein durch das Sekundärrecht als verfrüht zu bewerten sein musste, zeigt die kurzfristig im Nachgang der Entscheidung „HE“ gesprochene Jurisdiktion auf. In zahlreichen Ent­ scheidungen deklarierte der EuGH die umsatzsteuerliche Neutralität nunmehr explizit als besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichbe­ handlungsgrundsatzes5. Ob diese Rechtsprechung eine inhaltliche Ab­ 1 EuGH, Rs. C-381/97, Belgocodex, Slg. 1998, I-8153 Rn 18; ebenso EuGH, Rs. C‑481/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-3369 Rn 21 f. 2 EuGH, Rs. C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833 Rn 29 f, 56. 3 So Schaumburg, Stellungnahme v. 13.01.2009, S. 8 unter ausschließlichem Verweis auf EuGH, Rs. C‑381/97, Belgocodex, Slg. 1998, I-8153 Rn 18; im Erg. auch Novacek, ÖStZ 2002, 238 (239). 4 EuGH, Rs. C-25/03, HE, Slg. 2005, I-3123 Rn 72. 5 EuGH, Rs. C-498/03, Kingscrest Associates Ltd., Slg. 2005, I-4427 Rn 54 f.; be­ stätigt durch EuGH, Rs. C‑460/07, Puffer, Slg. 2009, I‑3251 Rn 53; Rs. C-484/06, ­Koninklijke Ahold, Slg. 2008, I-5097 Rn 36; Rs. C‑240/05, Eurodental, Slg. 2006, I-11479, Rn 55; Rs. C‑106/05, L.u.P., Slg. 2006, I-5123 Rn 48; Rs. 443/04 und 444/04,

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

kehr gegenüber der Entscheidung „HE“ bezweckte oder die darin anzu­ treffende Formulierung allenfalls unglücklich gewählt worden war, mag dahinstehen. Sicher ist jedenfalls, dass der EuGH dem Neutralitätsprin­ zip erstmals eine grundrechtliche Dimension zugesprochen und damit einen ersten wichtigen Beitrag für dessen normhierarchische Zuordnung geleistet hat1. Weitere Bestätigung erhielt diese Tendenz in der Rechtssache „Marks & Spencer“. Zum genauen Gehalt der Wettbewerbsneutralität stellte der EuGH nachdrücklich heraus, diese bilde lediglich einen Unterfall des all­ gemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Entscheidend sei insofern, dass eine Ungleichbehandlung zueinander in Konkurrenz befindlicher Unternehmer und ihrer Umsätze erfolge2. Liege hingegen eine Differen­ zierung zwischen Wirtschaftsteilnehmern vor, die sich anhand anderer Kriterien als demjenigen eines zwangsläufigen Wettbewerbsverhältnis­ ses in einer vergleichbaren Situation befinden, so sei der allgemeine Gleichheitssatz unmittelbar einschlägig3. Durch diese Ausführungen hat sich der EuGH im Grundsatz zum verfassungsmäßigen Rang der Wettbe­ werbsneutralität gemäß Art. 20 GRCh bekannt4, zu deren sachlicher Ab­ grenzung ein durch die Marktverhältnisse spezifizierter Vergleichsmaß­ stab dient. Wie aber noch darzulegen sein wird, darf diese zweite Entwicklungsstufe jedoch nicht zu der voreiligen Annahme verleiten, der EuGH führe die Neutralität in Gänze auf Art. 20 GRCh zurück. cc) Abkehr von der gleichheitsrechtlichen Fundierung In seiner aktuellen Rechtsprechung zeigt sich der EuGH fortan bestrebt, das normative Verhältnis des umsatzsteuerlichen Neutralitätsprinzips gegenüber Art 20 GRCh näher zu präzisieren. Unglücklicherweise ver­ hält sich die neuere Judikatur wechselhaft und wenig kohärent. Dies hat zur Folge, dass bereits die inhaltliche Interpretation der zugrunde liegen­ den Aussagen mit Blick auf das Mehrwertsteuersystem nicht einver­ nehmlich ausfällt.

Solleveld u.a., Slg. 2006, I‑3617 Rn 35; vgl. auch Karabulut, Der Vorsteuerabzug, 2014, S. 6. 1 Siehe auch Zorn, in: FS Ruppe, 2007, S. 744 (749). 2 EuGH, Rs. C-309/06, Marks & Spencer, Slg. 2008, I-2283 Rn 49 ff; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑480/10, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2013:263 Rn 17; ähnlich bereits EuGH, Rs. C‑363/05, JP Morgan Flemming, Slg. 2007, I‑5517 Rn 47. 3 Siehe auch EuGH, Rs. C‑38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 24. 4 Siehe auch Stadie, UStG, 3. Aufl., Vobem. Rn 78; Henze, in: UStKongrBer 2010, S. 7 (20).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

1) Differenzierte Sichtweise, Rs. C-174/08 – NCC Construction Danmark Im Anschluss an die oben unter bb) skizzierte Rechtsprechung brachte zunächst das Urteil „NCC Construction Danmark“ eine Wendung zum Vorschein. Darin grenzte der EuGH die umsatzsteuerliche Neutralität gegenüber dem Grundsatz der Gleichbehandlung ab. Während letzt­ genannter ebenso wie andere allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Primärrechtsrang besitzt, sei die Neutralität auf die gesetzgeberische Ausarbeitung durch einen Rechtsakt des abgeleiteten Unionsrechts an­ gewiesen1. Thematisch bezog sich diese Entscheidung auf den nur parti­ ell zu gewährenden Vorsteuerabzug gemäß Art. 19 Abs. 1 iVm Art. 28 Abs. 3 lit. b) RL 77/388/EWG, soweit ein Unternehmer parallel zu steu­ erpflichtigen Umsätzen auch unecht befreite Leistungen erbringt. Der EuGH befürwortete ausdrücklich die Erstreckung des Vorsteuerausschlus­ ses in Durchbrechung der Belastungsneutralität, damit dem Gebot der Gleichbehandlung im Verhältnis konkurrierender Anbieter entsprochen werden kann2. Um den Aussagewert dieser Entscheidung zutreffend einschätzen zu können, kommt es entscheidend darauf an, in welchem Sinne der EuGH den Begriff der umsatzsteuerlichen Neutralität in Unterscheidung zu demjenigen des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes gebraucht hat. Anknüpfend an die einschlägig behandelte Thematik des Vorsteuer­ abzugs werden die höchstrichterlichen Aussagen teilweise dahingehend verstanden, der Gerichtshof habe erstmals eine strikte Trennung zwi­ schen Belastungs- und Wettbewerbsneutralität initiiert. In Einklang mit der Begründung zur Rechtssache „Marks & Spencer“ gleichheitsrecht­ lich fundiert sei nach wie vor das Gebot der Wettbewerbsneutralität, bei dem es sich um eine spezifische Ausprägung gemäß Art. 20 GRCh hand­ le; demgegenüber repräsentiere die Belastungsneutralität eine rein se­ kundärrechtliche Systementscheidung und dürfe als solche gesetzlichen Einschränkungen unterworfen sein3. Nach dieser Ansicht bliebe zu kon­ statieren, dass der EuGH den primärrechtsverbindlichen Neutralitätsas­ pekt auf die Kategorie einer formalen Gleichbehandlung konkurrieren­ der Unternehmer reduziert, dem Gesetzgeber bei der nötigen Ausformung der Belastungsneutralität indessen relativ freie Hand belässt. Selbst eine der Verbrauchsteuerteologie widersprechende und damit systembrüchige Behandlung infolge unechter Befreiungen wäre primärrechtlich unprob­ lematisch, solange sie nur alle Wettbewerber gleichermaßen betrifft. 1 EuGH, Rs. C-174/08, NCC Construction Danmark, Slg. 2009, I-10567 Rn 42, mit Hinweis auf ein entspr. Argumentationsmuster zum Aktionärsschutz in EuGH, Rs. C‑101/08, Audio­lux, Slg. 2009, I‑9823 Rn 63. 2 Vgl. EuGH, Rs. C-174/08, NCC Construction Danmark, Slg. 2009, I-10567 Rn 46. 3 So Henze, in: UStKongrBer 2010, S. 7 (18 ff).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

2) Sekundärrechtliche Fundierung der Neutralität Gegen eine solcherart differenziert zugrunde gelegte Verwendung des Neutralitätsbegriffs sprechen einige kurzfristig nachfolgende Entschei­ dungen, in denen der EuGH auf seine vormaligen Ausführungen in ­Sachen „NCC Construction Danmark“ sogar Bezug nimmt. Im Urteil „Zimmermann“ wurde nochmals klargestellt, dass die Neutralität ins­ besondere in Gestalt des Vorsteuerabzugs (Belastungsneutralität) sowie der prinzipiellen Gleichbehandlung konkurrierender Unternehmer (Wett­ bewerbsneutralität) über verschiedene Bedeutungen verfügt1. Für die Entscheidungsbegründung im Weiteren allein bedeutsam war die Aus­ prägung der Wettbewerbsneutralität, welcher das Gericht sodann die Qualität einer primärrechtlichen und die Gültigkeit des streitgegen­ ständlichen Befreiungsbestandes bestimmenden Regel explizit abgespro­ chen hat: Es handele sich insoweit lediglich um eine Ausprägung des Gleichheitssatzes, die „auf der Ebene des abgeleiteten Unionsrechts“ anzusiedeln sei2. In gleicher Weise ist dem kurz zuvor ergangenen Urteil „Deutsche Bank“ das klare Bekenntnis zu entnehmen, die Neutralität beschränke sich im Verhältnis zur Richtlinie auf einen bloßen Ausle­ gungsgrundsatz3. Eindeutig verhält sich auch die aktuelle Entscheidung in Sachen „Oxycure Belgium“ vom 9. März 2017, wonach der Grundsatz der umsatzsteuerlichen Neutralität unter Bezugnahme auf das Urteil „Deutsche Bank“ gerade „keine Regel des Primärrechts“ sei, sondern nur ein Auslegungsgrundsatz4. Ebenfalls sei in diesem Zusammenhang das Urteil „Maya Marinova“ vom 05.10.2016 angemerkt, in dem der EuGH ausführte, dass der Unionsgesetzgeber den Grundsatz der Gleichbehand­ lung im Mehrwertsteuerbereich durch das – mithin disponible – Neu­ tralitätsprinzip zum Ausdruck gebracht habe5. Unter dem Eindruck dieser aktuellen Präzisierungen verbleibt im Er­ gebnis kein Raum mehr für das Attest einer differenzierten Sichtweise auf das Neutralitätsprinzip, vielmehr verweist der Gerichtshof dieses in Gänze auf den Rang des Sekundärrechts6. Bemerkenswert ist in die­ sem Zusammenhang eben auch, dass bereits in der Entscheidung „NCC 1 EuGH, Rs. C-174/11, Zimmermann, ECLI:EU:C:2012:716 Rn 46 ff. 2 EuGH, Rs. C-174/11, Zimmermann, ECLI:EU:C:2012:716 Rn 50. 3 EuGH, Rs. C-44/11, Deutsche Bank, ECLI:EU:C:2012:484 Rn 45; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑204/13, Malburg, ECLI:EU:C:2014:147 Rn 43; Rs. C-502/13, Kommis­ sion/Luxemburg, ECLI:EU:C:2015:143 Rn 51; Rs. C‑573/15, Oxycure Belgium, ECLI:EU:C:2017:189 Rn 32. 4 EuGH, Rs. C‑573/15, Oxycure Belgium, ECLI:EU:C:2017:189 Rn 32. Dies entspricht auch EuGH, Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 38. 5 EuGH, Rs. C‑576/15, Maya Marinova, ECLI:EU:C:2016:740 Rn 49. 6 Vgl. Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 21; Herbain, VAT Neutra­ lity, 2015, S. 3; Zirkl, Neutralität, 2015, S. 225; Englisch, in: Englisch/Schaumburg, Eur StR, 2015, Rn 12.23; Engler, Steuerverfassungsrecht, 2014, S. 267; Amand, ­World

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

­ onstruction Danmark“ das rechtsverbindliche Gleichbehandlungsge­ C bot explizit als solches benannt, nicht aber in einen semantischen Zu­ sammenhang mit dem Neu­tralitätsprinzip gebracht wird1. Die Neutra­ lität stellt nach dieser Konzeption eine dem Gleichheitssatz thematisch entlehnte und in das Mehrwertsteuersystem inkorporierte Ausprägung dar, ohne jedoch in ihrer lediglich auslegungsrelevanten Funktion an der unmittelbaren Primärrechtsqualität gemäß Art. 20 GRCh teilzuha­ ben2. dd) Kritische Würdigung Die neu entwickelte Linie einer rein sekundärrechtlichen Fundierung des umsatzsteuerlichen Neutralitätsprinzips sieht sich berechtigter Kri­ tik ausgesetzt, weil sie die nötige dogmatische Stringenz vermissen lässt. Als logisch nicht begründbar erweist sich, weshalb eine einfachrechtli­ che Umsetzung des Gleichheitssatzes in Gänze nicht mehr durch Art. 20 GRCh gebunden sein soll3. Sofern die Neutralität primärrechtsverbindli­ che Wertungen im Rahmen der umsatzsteuerlichen Harmonisierung wi­ derspiegelt, kann dieser Übertrag keiner uneingeschränkten Dispositi­ onsbefugnis unterliegen4. Gleichheitsrechtlich angeleitete Prinzipien bedürfen im Kern der folgerichtigen Umsetzung, relevante Abweichun­ gen sind im Einzelnen nur unter besonderer Rechtfertigung vertragskon­ form5. Des Weiteren ist problematisch, dass der EuGH dem Neutralitätsprinzip jedwede disziplinierende Wirkung auf die sekundärrechtliche Implemen­ tierung unechter Befreiungen vorenthält. Verstanden als bloße Ausle­ gungsmaxime, vermag es die Neutralität nicht, die Gültigkeit entspre­ chender Tatbestände zu erschüttern oder deren Geltungsbereich ohne eindeutige Bestimmung im Richtlinientext auf gleichgelagerte Situatio­

Journal of VAT/GST Tax 2013, 163 (164); Mellinghoff, UR 2013, 1 (9); Rosenthal, DStR 2013, 443 (446). 1 EuGH, Rs. C-174/08, NCC Construction Danmark, Slg. 2009, I-10567 Rn 44 ff; vgl. Henze, in: UStKongrBer 2010, S. 7 (19 f), der gerade in der „komparativen Neutrali­ tät“ den treffenderen Anknüpfungspunkt erblickt. 2 Heber, UR 2014, 957 (964). 3 So auch Zirkl, Neutralität, 2015, S. 230; Amand, World Journal of VAT/GST Tax 2013, 163 (167); a.A. Heber, UR 2014, 957 (964). 4 Vgl. auch Hidien, EWS 2003, 342 (343): Zweierlei Maß. Abw. Klenk, UVR 2006, 107 (109), der lediglich eine enge Verwandschaft des Neutralitätsprinzips zum Gleichheitssatz annimmt. 5 Zutreffend Englisch, in: Weber, Routes to European Tax Integration, 2010, S. 231 (239 ff); ders., in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 24; ders., in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37; ebenso Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 21 f.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

nen zu erweitern1. Bemerkbar macht sich vor diesem Hintergrund ein eklatanter Widerspruch des aktuell favorisierten Konzepts zu den vorma­ ligen Ausführungen in der Entscheidung „Marks & Spencer“. Lässt man sich auf die These ein, die Neutralität rangiere lediglich auf der Ebene des abgeleiteten Unionsrechts, so kann dieses Prinzip nicht länger als Unterfall des allgemeinen Gleichheitssatzes qualifiziert werden2. Denn anderen­falls müsste dem Richtliniengeber die Kompetenz zugestanden werden, Art. 20 GRCh bereichsweise um die spezielle Referenz unter­ nehmerischer Konkurrenzverhältnisse zu entkleiden und die Gleichheit unter diesem Vorzeichen als einfachrechtlichen Auslegungsgrundsatz fortzuführen. Dieses Ergebnis missachtete jedoch den vetraglich fundier­ ten Geltungsvorrang des Primärrechts gegenüber Richtlinien und wäre in Anbetracht der festen Hierarchiefolge im europäischen Mehrebenen­ system unhaltbar3. Eine solche Sichtweise dürfte dem EuGH mithin un­ ter Berücksichtigung seiner bisherigen Rechtsprechung aus anderen Rechtsbereichen auch kaum zu attestieren sein4. Näher liegt daher der Schluss, die neuere Jurisdiktion als stillschweigende Abkehr von der ehe­ mals noch grundrechtlich fundierten Koppelung des Neutralitätsprinzips zu begreifen. Hierfür spricht, dass der EuGH in aktuellen Entscheidun­ gen nunmehr die deutlich abgeschwächte Formulierung gebraucht, wo­ nach das Neu­­tralitätsprinzip lediglich einen „Ausdruck“ des allgemei­ nen Gleichheitssatzes im System der Mehrwertsteuer bilde5. 1) Umsatzsteuerliche Gleichheit im mehrgliedrigen Verbund So berechtigt die inhaltliche Kritik an der neutralitätsspezifischen Sicht­ weise des EuGH sein mag, bietet die Rechtsprechung dennoch Anknüp­ fungspunkte für eine gewisse Entschärfung des vorgezeichneten Verfas­ sungskonflikts. Dessen wesentlichen Kern verdeutlicht die bereits in Bezug auf das Urteil „Marks & Spencer“ umrissene Problematik, eine sekundärrechtlich ausgeformte Neutralität gegenüber dem Gleichheits­ satz zutreffend abzugrenzen. Bekleidet die Neutralität nach Ansicht des EuGH nur den Rang eines einfachrechtlichen Prinzips, blieb bislang völl­ lig unklar, welche Wirkung Art. 20 GRCh in unmittelbarer Anwendung 1 EuGH, Rs. C-174/11, Zimmermann, ECLI:EU:C:2012:716 Rn 50; Rs. C‑44/11, Deut­ sche Bank, ECLI:EU:C:2012:484 Rn 45; in diesem Sinne auch EuGH, Rs. C-401/05, VDP Dental Laboratory, Slg. 2006, I‑12121 Rn 35 ff. 2 So aber Engler, Steuerverfassungsrecht, 2014, S. 266. 3 Vgl. Art. 13 Abs. 2 Satz 1 AEUV; ausf. dazu Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 4.6. Siehe allg. zum Vorrang des Primärrechts gegenüber Sekun­ därrecht mwN Nettesheim, EuR 2006, 737 (746). 4 Auf den Wettbewerb als Gleichheitssmaßstab abstellend z.B. EuGH, Rs. C‑344/04, ATA u.a., Slg. 2006, I‑403 Rn 96; Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753 Rn 8. 5 EuGH, Rs. C‑38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 24; Rs. C‑576/15, Maya Marinova, ECLI:EU:C:2016:740 Rn 49.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

auf die Mehrwertsteuersystemrichtlinie entfalten sollte1. Über längere Zeit hinweg hat der EuGH kontinuierlich jedwede Stellungnahme dazu vermieden, ob und inwieweit insbesondere der überkommene Befrei­ ungsbestand gemäß Art. 132 MwStSystRL mit diesem Unionsgrundrecht in Einklang steht. Allein in prozessualer Hinsicht fand sich bisweilen die klare Aussage, dass umsatzsteuerliche Neutralität und allgemeiner Gleichheitssatz nicht deckungsgleich seien. So hat der EuGH etwa im Vertragsverletzungsverfahren gegen Schweden eine unzulässige Klageän­ derung angenommen, nachdem die Kommission ihre ursprüngliche Ar­ gumentation von einem Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip umge­ stellt hatte auf den Vorwurf einer Ungleichbehandlung2. Anlass dieser Entscheidung war, dass Schweden die Möglichkeit zur Bildung einer Mehrwertsteuergruppe iSv Art. 11 MwStSystRL praktisch auf Finanzund Versicherungsdienstleister beschränkt hatte. Weil diese Dienst­ leister aber nicht mit Unternehmern anderer Gewerbezweige in Wettbe­ werb treten, konnte letztlich ein Verstoß gegen die – auf diesen Maßstab begrenzte – Umsatzsteuerneutralität nicht durchgreifen. In weiteren ­Vertragsverletzungsverfahren hat der Gerichtshof den Einwand, die Mehr­ wertsteuersystemrichtlinie leide an einem Verstoß gegen den Gleichbe­ handlungsgrundsatz, dem jeweils angeklagten Mitgliedstaat generell mit dem Argument genommen, dieser könne sich nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit auf die Inexistenz ei­ nes vermeintlich bindenden Sekundärrechtsaktes berufen3. Insgeheim behielt sich der EuGH also stets eine gesonderte Überprüfung am Maß­ stab des Art. 20 GRCh vor, die es im Interesse einer gleichsam stringen­ ten wie verfassungstreuen Grundrechtsdogmatik nach wie vor thema­ tisch aufzugreifen und inhaltlich zu judizieren gilt4. Sein gleichsam beredtes Schweigen hat der EuGH in seiner erst kürzlich zum Bereich mehrwertsteuerlicher Vergünstigungen gefällten Entschei­ dung „RPO“ vom 07.03.2017 gebrochen5. Gegenstand dieses Verfahrens bildete eine Vorlagefrage des polnischen Trybunal Konstytucyjny (Verfas­ sungsgericht, Polen) über die Gültigkeit von Art. 98 Abs. 2 iVm An­ hang III Nr. 6 MwStSystRL, wonach den Mitgliedstaaten ein ermäßigter Steuersatz für die Lieferung von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften 1 Siehe dazu Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 12.22; Kokott/ Dobratz, in: Schön/Beck, Grundsatzfragen 2015, S. 25 (37); allg. krit. zur mangeln­ den Grundrechtsstringenz Schenke, Rechtsfindung, 2007, S. 457. 2 EuGH, Rs. C-480/10, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2013:263 Rn 18. 3 EuGH, Rs. C-502/13, Kommission/Luxemburg, ECLI:EU:C:2015:141 Rn 55 f; Rs. C‑189/09, Kommission/Österreich, ECLI:EU:C:2010:455 Rn 15 ff. 4 Dafür auch Kokott/Dobratz, in: Schön/Beck, Grundsatzfragen 2015, S. 25 (38); Kube, UR 2013, 489 (491); Englisch/Hüttemann, wiedergegeben bei Seer, in: DStJG 32 (2009), S. 497 (503). 5 EuGH, Rs. C-390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

auf jeglichen physischen Trägern, nicht aber für rein elektronisch über­ mittelte Buchinhalte gestattet wird. Obgleich das vorlegende Verfas­ sungsgericht – neben verfahrensrechtlichen Fehlern bei der damaligen Richtlinienänderung – dem Wortlaut seiner Vorlagefrage nach nur auf einen Verstoß von Art. 98 Abs. 2 iVm Anhang III Nr. 6 MwStSystRL ge­ gen das Neu­trali­tätsprinzip rekurrierte, nahm sich der Gerichtshof (dies­ mal) der ersichtlich infrage stehenden Gültigkeit jener Bestimmungen unter dem Aspekt der zwingenden Regelbesteuerung digitaler Leseinhal­ te an und prüfte diese ausschließlich am Maßstab des Art. 20 GRCh1. Die hervorragende Bedeutung dieser Entscheidung lässt sich auch daran be­ messen, dass sie in der Besetzung der Großen Kammer gefällt wurde. Den entscheidenden Vergleichsmaßstab erkennt der EuGH anlässlich seiner Überprüfung an Art. 20 GRCh im jeweiligen Ziel und Zweck der in Rede stehenden Regelung, wobei die Grundsätze und Ziele des betref­ fenden Bereichs zu berücksichtigen seien2. Ausgehend hiervon wurde eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung im Ausgangspunkt zwar bejaht, da die gesetzliche Zielsetzung, das Lesen in der Bevölkerung mit­ tels vergünstigter Preise zu fördern, für sämtliche Buchinhalte gleicher­ maßen gelte; indes sei die Sonderstellung digitaler Bücher gerechtfertigt, weil auf diese Weise eine möglichst einfache Steuerbehandlung im elek­ tronischen Wirtschaftsverkehr gewährleistet werde3. Erst kürzlich bestätigte der EuGH den aus dem Ziel und Zweck der je­ weiligen Regelung abzuleitenden Vergleichsmaßstab für das Mehrwert­ steuerrecht auch außerhalb des Bereichs von Vergünstigungen in der Ent­ scheidung „Compass Contract Services“ vom 14.06.20174. Konkret ging es um unterschiedliche Verjährungsvorschriften für Mehrwertsteuerer­ stattungsansprüche und solche auf Vorsteuerabzug im nationalen Recht. Der EuGH lehnte eine rechtlich relevante Vergleichbarkeit dieser unter­ schiedlich geregelten Sachverhalte ab5. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen lässt sich die neue höchst­ richterliche Konzeption dahingehend beschreiben, dass die Gleichheit im Umsatzsteuerrecht aus zwei kor­relierenden Quellen gespeist wird. Zunächst genießt das sekundärrechtlich ausgeformte Neutralitätsprin­ zip Anwendungsvorrang gegenüber Art. 20 GRCh und verlangt die Gleichbehandlung miteinander in Wettbewerb stehender Unternehmer. Angesichts seines bloßen Auslegungscharakters kann das Neutralitäts­ prinzip jedoch nur in den eng gezogenen Grenzen der in Rede stehenden 1 EuGH, Rs. C-390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 38; vgl. auch Dobratz, UR 2017, 399. 2 EuGH, Rs. C-390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 42. 3 EuGH, Rs. C-390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 49 ff. 4 EuGH, Rs. C-38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 25. 5 EuGH, Rs. C-38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 41.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Richtlinienbestimmung verwirklicht werden, so dass ergänzend der all­ gemeine Gleichheitssatz als Primärrechtsprinzip das legislative Handeln auf Unionsebene determiniert. Konkret auf umsatzsteuerliche Exemtio­ nen gewendet, bedeutet dies, dass ein Befreiungstatbestand zunächst auf der Ebene des Sekundärrechts im Einklang mit der Wettbewerbsneutrali­ tät ausgelegt werden muss. Verbleiben trotz Einsatz dieses Instruments nicht zu beseitigende Diskriminierungen1, so muss der Geltungsgrund der Befreiung selbst gemäß Art. 20 GRCh hinterfragt und diese nötigen­ falls für nichtig oder unwirksam erklärt werden2. Folglich gibt der EuGH die klare Tendenz zu erkennen, dass er die Wettbewerbsneutralität – ent­ sprechend seinen vormaligen Ausführungen in der Rechtssache „Marks & Spencer“ – als ein der Neutralität abschließend innewohnendes Ele­ ment begreift, das nicht subsidiär durch Art. 20 GRCh in unmittelbarer Anwendung primärrechtlich abgesichert wird. Abzuwarten bleibt, ob und inwieweit der EuGH den nunmehr konturierten Vergleichsmaßstab nutzen wird, um die Gültigkeit von Vorschriften der Mehrwertsteuer­ richtlinie auf einen echten Prüfstand zu bringen oder aber deren Bestand als eine seit Langem überkommene Materie des europäischen Sekundär­ rechts – wie bislang – im Wesentlichen unbehelligt lässt3. 2) Belastungsneutralität Ebenso wie mit Blick auf die Wettbewerbsneutralität fehlen in der Recht­ sprechung des EuGH konkrete Anzeichen dafür, dass die im Wege des sekundärrechtlich gestalteten Vorsteuerabzugs realisierte Belastungs­ neutralität durch den allgemeinen Gleichheitssatz flankiert wäre. Sie hat der EuGH stets als sekundärrechtliche Ausformung verstanden und mit der vertraglichen Vorgabe eines unverfälschten Wettbewerbs iSv Art. 113 AEUV nicht in eine relevante Verbindung gesetzt. Vielmehr wurde die Belastungsneutralität der Maxime einer unternehmerischen Gleichbe­ handlung sogar mehrfach explizit untergeordnet4. Somit bleibt zu kon­ statieren, dass auch der Belastungsneutralität nach Ansicht des EuGH keine primärrechtliche Rangstufe zuteilwird.

1 Vgl. zu den Auslegungsgrenzen in der EuGH-Rechtsprechung Schenke, Rechtsfin­ dung, 2007, S. 458 f. 2 Siehe zum differenzierten Rechtsfolgensystem bei ungerechtfertigten Ungleichbe­ handlungen EuGH, Rs. 300/86, Van Landschoot, Slg. 1988, 3443 Rn 22 ff; Rs. 124/76 und 20/77, Moulins Pont-à-Mousson, Slg. 1977, 1795 Rn 27/29; Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1754 Rn 11 ff. 3 Siehe zur Kritik am regelungsakzessorischen Vergleichsmaßstab nachfolgend V. 4 EuGH, Rs. C-174/08, NCC Construction Danmark, Slg. 2009, I-10567 Rn 46; aus­ drücklich bereits GA Lenz, Rs. C-4/94, BLP Group, Slg. 1995, I-983 Rn 51; in diesem Sinne wohl auch EuGH Rs. C‑72/05, Wollny, Slg. 2006, I-8297 Rn 25; Rs. C-184/04, Uudenkaupungin kaupunki, Slg. 2006, I-3039 Rn 24; vgl. ferner Henze, in: USt­ KongrBer 2010, S. 7 (19); Ster­zinger, UR 2010, 125 (126).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

d) Ergebnis Nach Auffassung des EuGH statuiert die umsatzsteuerliche Neutralität eine sekundärrechtlich verbindliche Auslegungsmaxime. Ebenso steht nach Auffassung des EuGH das Prinzip der Belastungsneutralität ein­ schließlich des sie ausformenden Vorsteuerabzugs zur Disposition des Unionsgesetzgebers. Unbeschadet dessen folgt aus Art. 20 GRCh in di­ rekter Anwendung das primärrechtliche Gebot, gemessen an Ziel und Zweck der jeweiligen Regelung gleichartige Umsätze nicht unterschied­ lich zu behandeln. Überzeugender ist demgegenüber, die umsatzsteu­ erliche Neutralität umfassend als bereichsspezifische Ausprägung des Gleichheitssatzes zu verstehen. In dieser Deutung dient das Neutralitäts­ prinzip dem in Art. 113 AEUV vorangestellten Binnenmarktziel mit frei­ em Wettbewerb, zudem beansprucht es als einfachrechtlicher Ausdruck der Verbrauchsteuertypologie eine folgerichtige Umsetzung im Sekun­ därrecht. 2. Neutralitätsspezifische Implikationen für Umsatzsteuer­ vergünstigungen Die Neutralität schützt in ihren Subroutinen der Wettbewerbs- und Be­ lastungsneutralität Unternehmer vor einer Verfälschung der Konkur­ renzstellung und bewahrt diese davor, selbst Träger der Umsatzsteuer zu sein. Neben Freistellungen (Art. 131 ff MwStSystRL) treten Vergünsti­ gungen innerhalb des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zuvörderst durch tarifliche Reduzierungen (Art. 98 iVm Anhang III MwStSystRL)1 in Erscheinung. Nähert man sich dieser Thematik aus dem Blickwinkel der Steuerschuldner, so gilt es, die erhebungstechnisch relevanten Phasen der unternehmerischen Betätigung samt ihrer neutralitätsinduktiven Verstrickung differenziert zu betrachten. Der Ausgangsseite, welche die gegenüber potenziellen Endkunden konkret angebotenen Umsätze um­ fasst, ist die Eingangsseite vorgeschaltet, auf der ein Unternehmer die für seine wirtschaftliche Betätigung benötigten Vorleistungen bezieht2. An­ knüpfend an diese beiden Ebenen sind die einschlägigen Grundausprä­ gungen des Neutralitätsgebots sowie dessen normative Aussagekraft in Bezug auf die Zulässigkeit und inhaltliche Gestaltung von Begünsti­ gungstatbeständen zu entwickeln. Zugleich offenbart diese Analyse die 1 Erlaubt sind gemäß Art. 98f MwStSystRL optional maximal zwei ermäßigte Steuer­ sätze in Höhe von jeweils mindestens 5 % für die aus Anhang III auswählbaren Um­ sätze; die Ausübung dieser Wahlrechte ergeht anders als übergangsweise gedultete Rechtssetztung in Durchführung der Richtlinie und unterliegt der Bindung an ­Unionsgrundrechte, vgl. Kokott/Dobratz, in: Schön/Heber, Grundfragen, 2015, S. 25 (27) mwN. 2 Vgl. Reiß, in: DStJG 33 (2009), 9 (14 f); Lohse, Die Zuordnung im MwStR, 1999, S. 138.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Unzulänglichkeit, die ein auf rechtlich-formale Gleichstellung iSv Art. 20 GRCh begrenztes Anforderungsprofil in Relation zu einer wettbewerbs­ neutralen Umsatzsteuer kennzeichnet. a) Unternehmerische Ausgangsumsätze Die Ebene der Ausgangsumsätze betrifft sämtliche Waren und sonstige Leistungen, die Unternehmer am Markt gegen Entgelt anbieten. Das zielgerichtete Bestreben, potenzielle Kunden zu einer positiven Konsum­ entscheidung zu motivieren, begründet das veritable Interesse an einer gerechten Chancenverteilung für entsprechende Absatzmöglichkeiten. Um die Gesetzmäßigkeiten einer freien Marktordnung in möglichst weitgehendem Umfange zu erhalten, tritt speziell aus umsatzsteuer­ rechtlicher Sicht das Prinzip der Wettbewerbsneutralität mit der Ziel­ richtung in den Vordergrund, auf der Angebotsseite aktive Wirtschafts­ teilnehmer vor Verzerrungseffekten abzuschirmen. aa) Die Substituierbarkeit als gleichheitsrechtliche Referenz Die Umsatzsteuerneutralität verkörpert als bereichsspezifische Ausprä­ gung von Art. 20 GRCh ein gleichheitsrechtlich fundiertes Prinzip. Im Unterschied zu Freiheitsrechten, die über einen absolut definierten Schutzgehalt verfügen, zeichnen sich Gleichheitssätze stets durch eine relative Wirkungsstruktur aus. Um außerhalb speziell diskreditierter Differenzierungskriterien die Gleichartigkeit abweichend geregelter Ge­ genstände sowie eine damit einhergehende Rechtfertigungsbedürftigkeit zu bestimmen, gilt es grundrechtsdogmatisch zunächst, den relevanten Vergleichsmaßstab innerhalb der zugrunde liegenden Regelungsmaterie zu identifizieren1. Am Beginn einer jeden Gleichheitsprüfung steht somit die Bildung thematisch einschlägiger Vergleichsgruppen2. In ständiger Rechtsprechung prägt der EuGH für die umsatzsteuerliche Wettbewerbsneutralität den allgemeingültigen Grundsatz, dass gleichar­ tige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Leistungen nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen3. Akzeptanz genießt diese präg­ 1 Siehe Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 20 GRCh Rn 12; Hölscheidt, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 20 Rn 14 f; Frenz, HdB EuR, Bd 4, 2009, Rn 3197. 2 Lemke, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 20 GRC Rn 15; Kingreen, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 21 Rn 14; Glock, Der Gleichheitssatz im Europäi­ schen Recht, 2007, S. 182; zu Art. 3 GG Moes, Steuerfreiheit, 2011, S. 192 mwN; abw. Kempny/Reimer, Die Gleichheitssätze, 2012, S. 47 ff. 3 EuGH, Rs. C‑573/15, Oxycure Belgium, ECLI:EU:C:2017:189 Rn 31; Rs. C‑699/15, Brockenhurst College, ECLI:EU:C:2017:344 Rn  35; Rs. C‑363/05, JP Morgan Flem­ ming, Slg. 2007, I-5517 Rn 47; Rs. C‑109/02, Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I-12691 Rn 20; Rs. C‑45/01, Christoph Dornier, Slg. 2003, I-12911 Rn 48; Rs. C‑141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833 Rn 30.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

nante Formel auch im Schrifttum1. Seine inhaltliche Konturierung er­ fährt der wertungsoffene Gleichheitssatz im Bereich des Umsatzsteuer­ rechts folglich durch ein wettbewerbsspezifisches tertium comparationis, das in konkreter Gestalt einer wirtschaftlichen Konkurrenzsituation zwi­ schen einzelnen Unternehmern durch die am Markt angebotenen Aus­ gangsumsätze vermittelt wird2. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit marktgängiger Produkte hat der EuGH bereits frühzeitig für den unge­ schriebenen Gleichheitssatz das Kriterium der Austauschbarkeit als ent­ scheidenden Faktor geprägt3. Spätere Entscheidungen thematisierten ge­ legentlich auch den Aspekt eines zwischen zwei Produkten bestehenden Wettbewerbsverhältnisses ausdrücklich4. In Fortführung dieser Erkennt­ nis enthält das Urteil „The Rank Group“ eine grundlegende Präzisierung der speziell für die umsatzsteuerliche Neutralität verbindlichen Referenz. Darin hat der Gerichtshof klar geurteilt, zwei unternehmerische Leistun­ gen seien dann als gleichartig zu erkennen, sollten sie aus Verbraucher­ sicht dieselben Bedürfnisse zu befriedigen geeignet sein5. Ausschlagge­ bend für diese Wertung sind in erster Linie die äußeren Eigenschaften des in Rede stehenden Ausgangsumsatzes. Zugunsten einer die Umsatzsteu­ ergleichheit einfordernden Konkurrenzsituation streitet aber nicht allein die identische Beschaffenheit. Etwaige Unterschiede dürfen jedoch nicht so stark ins Gewicht fallen, dass die Entscheidung eines Durchschnitts­ verbrauchers, die eine oder andere Leistung unter mehreren auszuwählen, erheblich beeinflusst wird6. Im Ergebnis stellt der EuGH durch diese Dia­ lektik auf das Vorliegen eines tatsächlichen S ­ ubstitutionsverhältnisses im Lichte der Verbraucherpräferenzen ab, wie es auch dem kartellrecht­ lich praktizierten Bedarfsmarktkonzept entspricht7. Diese Sichtweise korrespondiert im Übrigen mit der gemäß Art. 110 AEUV vorausgesetzten Gleichartigkeit von Waren8, deren grenzüber­ 1 Siehe etwa Stadie, UStG, 3. Aufl., Einf. Rn 78; Hemels, in: Lang/Melz/Kristoffers­ son, Value Added Tax, 2009, S. 35 (43); Martin, UR 2008, 34 (36); Heidner, UR 2006, 74 (77); Reiß, RIW 2004, 641 (646). 2 Ebenso für Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 104 ff. Siehe zuletzt überzeugend mit Blick auf Art. 132 Abs. 1 lit. i) MwStSystRL EuGH, Rs. C‑699/15, Brockenhurst College, ECLI:EU:C:2017:344 Rn 41. 3 EuGH, Rs. 124/76 und 20/77, Moulins Pont-à-Mousson, Slg. 1977, 1795 Rn 14/17; Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1754 Rn 7. 4 Siehe etwa EuGH, Rs. 103/77 und 145/77, Royal Scholten-Honig, Slg. 1978, 2037 Rn 28/32; vgl. Kingreen, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 21 Rn 14. 5 EuGH, Rs. C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, ECLI:EU:C:2011:719 Rn 32; ebenso EuGH, Rs. C‑219/13, K, ECLI:EU:C:2013:716 Rn 24 ff; Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik, ECLI:EU:C:2014:111 Rn 54. 6 EuGH, Rs. C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, ECLI:EU:C:2011:719 Rn 44. 7 Siehe hierzu Teil 4 C.II. 8 Vgl. zum Substitutionsverhältnis EuGH, Rs. 356/85, Kommission/Belgien, Slg. 1987, 3299 Rn 15; Rs. 243/84, John Walker & Sons, Slg. 1986, 875 Rn 11; Rs. 45/75, Rewe, Slg. 1976, 181 Rn 12.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

schreitender Austausch nicht infolge mitgliedstaatlicher Abgaben behin­ dert werden darf. Trotz seines enger gefassten Anwendungsbereichs bie­ tet dieses spezielle Diskriminierungsverbot unter Einbeziehung der dazu ergangenen Rechtsprechung einen relevanten Anhaltspunkt, um die in Art. 113 AEUV nunmehr explizit ausgelobte Programmatik der Wettbe­ werbsneutralität zielführend zu interpretieren1. Die steuerliche Gleich­ stellung des Warenaus­ tausches innerhalb nationaler Märkte betrifft einen Ausschnitt eines binnenmarktkonformen Zustands, auf dessen ­ umfassende Herstellung die sekundärrechtliche Harmonisierung ange­ legt ist. Im Sinne dieser für die indirekte Besteuerung universellen Ziel­ vorgabe müssen EU-Maßnahmen einer konzeptionell identischen Pro­ grammatik unterworfen sein, wie sie für solche der Mitgliedstaaten auch gilt2. Schließlich ist es nach Ansicht des EuGH ohne Belang für die Neutrali­ tät, ob die umsatzsteuerlich ausgelöste Verfälschung einer Wettbewerbs­ situation erheblich ausfällt oder nicht3. Dieser Befund deckt sich mit der bereits beschriebenen Tendenz, den wortlautgetreu auf „größere“ Verzer­ rungen begrenzten Vorbehalt iSv Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL eng auszulegen. In Übereinkunft mit diesem Gebot zur Besteu­erung der öf­ fentlichen Hand schützt die Umsatzsteuerneutralität überdies sowohl tatsächlichen als auch rein potenziellen Wettbewerb4. Maßgeblich ist daher, ob gleichartige Umsätze ebenfalls durch alternative Anbieter er­ bracht werden können, so dass diese in Erwartung steuerlicher Chancen­ gerechtigkeit nicht von einem wirtschaft­lichen Engagement abgehalten werden. bb) Folge: Gleichstellung konkurrierender Unternehmer Aus dem Prinzip der Wettbewerbsneutralität folgt, dass in einem Substi­ tutionsverhältnis befindliche Umsätze und die deshalb entsprechend konkurrierenden Unternehmer umsatzsteuerlich gleich behandelt wer­ den müssen. Lediglich eine Frage der formalen Etikettierung ist dabei, ob diese Vorgabe – insoweit entgegen der Rechtsprechung des EuGH – der Neutralität als einer primärrechtlichen Ausprägung zugeschrieben oder

1 Sedemund, EuZW 1991, 658 (659); ebenso zuletzt die Argumentation der luxemburgi­ schen Regierung in EuGH, Rs. C‑502/13, Kommission/Luxemburg, ECLI:EU:C:2015:141 Rn 58. 2 In diesem Sinne Merkx, Establishments in European VAT, 2013, S. 29. 3 EuGH, Rs. C-363/05, JP Morgan Flemming, Slg. 2007, I-5517 Rn 46 f; siehe auch ­Jarass, EGRCh, 3. Aufl., Art. 20 Rn 11; Lemke, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 20 GRC Rn 16. 4 EuGH, Rs. 231/87 und 129/88, Piacenca, Slg. 1989, 3233 Rn 22; ebenso Lange, UR 1999, 385 (389).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

aber auf Art. 20 GRCh in unmittelbarer Anwendung gestützt wird1. In dem durch ökonomische Effizienz geprägten Kontext einer gerechten Be­ steuerung geben die tatsächlich am Markt bestehenden Wettbewerbsver­ hältnisse eine universelle Referenz vor2, deren Abspaltung aus dem Gel­ tungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes sich somit logisch verbietet. Hinsichtlich der steuerlichen Grundbelastung von Ausgangs­ umsätzen wird dem so scheinbar eindeutig formulierten Gleichheitsge­ bot unterdessen eine konträre Wirkungsweise in Abhängigkeit davon attestiert, mit welcher Reichweite die maßstabbildende Wettbewerbssi­ tuation individuelle Marktteilnehmer zu einer einheitlichen Vergleichs­ gruppe verbindet. 1) Formale Gleichstellung – Substitutionsverhältnis im engeren Sinne Von den Eingangsumsätzen abgesehen wird eine neutrale Besteuerung auf der Grundlage der wettbewerbsspezifisch übersetzten Referenz reali­ siert, indem das berechnete Bruttoentgelt für austauschbare Wirtschafts­ güter einem proportional identischen Satz unterworfen bleibt. Unter ­dieser Voraussetzung verhält sich aus Sicht der Unternehmer die im Preis zu überwälzende Steuerlast relativ gleich hoch mit der Folge, dass der Auswahlentscheidung eines Durchschnittsverbrauchers zwischen mehreren zur Bedürfnisbefriedigung adäquaten Umsätzen keine steuer­ liche Beeinflussung widerfährt3. Findet sich der anzuwendende Ver­ gleichsmaßstab dergestalt auf das Vorliegen eines durch die äußere ­Beschaffenheit indizierten Substitutionsverhältnisses verengt, trägt die umsatzsteuerliche Wettbewerbsneutralität allein das Prädikat, nicht zum Vor- oder Nachteil einzelner Unternehmergruppen in den Auswahl­ prozess potenzieller Abnehmer einzugreifen4. Außer Betracht bleibt ­hingegen der negative Effekt, den ein erhöhtes Preisniveau auf das Kon­ sumverhalten ebenso wie jeder andere das vorhandene Vermögen schmä­ lernde Steuerzugriff generell zeitigt5. Auf eine zusammenfassende For­ mel gebracht, sichert die Neutralität somit die freie Auswahlentscheidung 1 Siehe zur Kritik an der neutralitätsspezifischen EuGH-Rechtsprechung nachfol­ gend V.2. 2 EuGH, Rs. C-344/04, IATA u.a., Slg. 2006, I-403 Rn 96; Rs. 117/76 und 16/77, Ruck­ deschel, Slg. 1977, 1753 Rn 8; zu Art. 3 Abs. 1 GG als Grundlage der Wettbewerbs­ neutralität BVerfGE 43, 58 (70); 30, 292 (332); 21, 12 (27 f); ebenso VfGH VfS­ lg. 10.943; 10.405; siehe ferner Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., Einf. Rn 47; Schön, in FS Spindler, 2011, S. 189; Lange, UR 1999, 385 (386). 3 Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen, 8. Aufl., S. 324; Oellerich, Defizitärer Vollzug, 2008, S. 39; Penke, Der Ort der sonstigen Leistungen, 2007, S. 38 f; Maiterth, StuW 2005, 47 (51); Haufler/Menner, RIW 1991, 128 (131). 4 Menner, in: Vosgerau, European Integration in the World Economy, Vol 1, 1992, S. 176 (191). 5 Siehe auch Tipke, StuW 1992, 103 (105); krit. Theile, StuW 1996, 154 (161); Krüger, UR 1988, 65 ff.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

der Verbraucher zwischen gleichartigen Umsätzen, nicht aber deren Ent­ scheidungsfindung zugunsten des Konsums an sich. Auf Ebene der Ausgangsumsätze impliziert diese Konzeption eine unein­ geschränkte Kompatibilität umsatzsteuerlicher Vergünstigungen mit dem Neutralitätsprinzip, solange tatbestandlich sämtliche miteinander in Wettbewerb stehende Waren und Dienstleistungen gleichermaßen ab­ gebildet werden1. Ausgehend von einer relativen Belastungsäquivalenz bleibt so eine umsatzsteuerlich induzierte Verzerrung der Absatzchan­ cen bezüglich konkret austauschbarer Produkte aus. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Steuerschuld zum Normalsatz, ermäßigt oder überhaupt nicht entsteht, so dass eine einheitlich treffende Aussage für Befreiungen und Steuersatzermäßigungen möglich ist2. 2) Allgemeine Umsatzbesteuerung im Wettbewerb um Marktanteile Freistellungen von der Steuerpflicht und ebenso tarifliche Ermäßigungen geraten in Konflikt mit dem proklamierten Ansatz einer möglichst allge­ mein erhobenen Mehrwertsteuer3. Sie statuieren Ausnahmen von der grundsätzlichen Belastungswirkung und verkomplizieren auf diese Wei­ se die Rechtsanwendung. Gleichzeitig vermögen Vergünstigungen das Neutralitätsprinzip zu gefährden, sofern die gezielte Absenkung der Steuerlast in bewusst ausgewählten Sektoren das Nachfrageverhalten kanalisiert und somit Absatzverlagerungen zur Folge hat4. Gelingt die gesetzgeberisch intendierte Verbilligung, so tritt neben die erforderliche Auswahl zwischen gleichartigen Wirtschaftsgütern die weitere Möglich­ keit, dass Verbraucher ihre vorgelagerten Präferenzen dem veränderten Nettopreisniveau anpassen und die Konsumentscheidung vornehmlich auf speziell begünstigte Umsätze konzentrieren. In dieser Konstellation drohen Unternehmer, die steuerlich weder befreit noch ermäßigt leisten, eine Verschlechterung ihrer Absatzchancen zu verzeichnen, ohne dass sich dieser Effekt auf bestehende Substitutionsverhältnisse im engeren Sinne eingrenzen ließe. Im Kern geht es also um die entscheidende Frage, ob das Wettbewerbs­ verhältnis als neutralitätsspezifisches tertium comparationis auf die un­ 1 Tipke, StRO, Bd II, 2. Aufl., S. 1007; Dobratz, Leistung und Entgelt, 2005, S. 114 f. 2 Beispielhaft für Arzneimittel EuGH, Rs. C-481/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I‑3369 Rn 22 (einheitlicher Steuersatz); ebenso EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik, ECLI:EU:C:2014:111 Rn 59; zu einem erhöhten Satz auf Luxusgüter EuGH, Rs. 319/81, Slg. 1983, 601 Rn 21. 3 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 und Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL. 4 Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 206; Nerudová/Siroký, in: Lang/Melz/Kris­ toffersson, Value Added Tax, 2009, S. 213 (216); siehe dazu auch Bickley, Value Ad­ ded Tax, 2003, S. 23; Dobratz, Leistung und Entgelt, 2005, S. 115 f; einen „mittelba­ ren Substitutionswettbewerb“ berücksichtigend BVerfGE 36, 321 (333 ff).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

mittelbare Substituierbarkeit von Umsätzen begrenzt bleibt oder aber erweiternd dergestalt verstanden werden muss, dass sämtliche Unter­ nehmer ungeachtet ihrer konkreten Leistungsparameter um die nur be­ grenzt verfügbare Konsumkraft der Verbraucher insgesamt konkurrieren. In letzterer Ausdeutung bedingen Vergünstigungen auf der Ausgangssei­ te per se einen der Neutralität abträglichen Zustand1, der innerhalb eines möglichst allgemein zu haltenden Mehrwertsteuersystems generell ei­ ner gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung bedarf2. 3) Stellungnahme Die Konzeption eines auf die verfügbare Konsumkraft bezogenen Wett­ bewerbsverhältnisses kann zwei wesentliche Vorzüge für sich reklamie­ ren. Zum einen vermag sie eine möglichst einfach sowie allgemein erho­ bene Umsatzsteuer effektiver zu gewährleisten, indem Begünstigungen nicht allein die formale Gleichbehandlung konkurrierender Angebote wahren, sondern allgemein dem Grunde nach gerechtfertigt sein müssen. Zum Zweiten wird auf diese Weise zugleich die gebotene Tendenz einer gleichheitskonformen Belastung von Konsumaufwendungen reflektiert3. Gleichwohl erzeugt auch die marktanteilige Bezugsgröße keinen unein­ geschränkten Legitimationsdruck, denn das potenzielle Ausmaß neutra­ litätsschädlicher Absatzverlagerungen ist letztlich an die Elastizität des Nachfrageverhaltens gebunden. Dieser Faktor wiederum wird durch die Bereitschaft der Verbraucher bestimmt, alternierende Bedürfnisse und die zu ihrer Befriedigung tauglichen Umsätze auszuwechseln. Von vorn­ herein ausgeschlossen werden kann eine Verzerrung der Absatzchancen bezüglich existenznotwendiger Aufwendungen. Diese zielen auf die De­ ckung unausweichlicher Grundbedürfnisse und sind folglich der Substi­ tution gänzlich entzogen. Für Vergünstigungen besitzt dieser Umstand insofern praktische Bedeutung, als zahlreiche Tatbestände gerade die ele­ mentare Leistungsversorgung etwa im Bereich Medizin, Nahrung, Klei­ dung oder Miete verbindlich von der Steuerpflicht freistellen oder zumin­ dest eine optionale Tarifsenkung erlauben4. Eine die Rechtfertigung auslösende Gefährdungslage besteht zum Nachteil der Wettbewerbsneu­ tralität somit nur im Bereich des disponiblen Konsums, da hierzu zählen­ de Verbraucherpräferenzen generell verzichtbar und damit ohne Weiteres austauschbar sind. Näheren Aufschluss über die Erheblichkeit etwaiger 1 Siehe Herman/Kersteren/Gabriel, in: Ecker/Lang/Lejeune, Indirect Taxation, 2012, S. 607; Theile, Wettbewerbsneutralität, 1995, S. 206; wohl auch Klenk, StuW 1994, 277 (278); ders., UVR 2006, 107 (109): Alle wirtschaftlichen Tätigkeiten sind gleich zu behandeln. 2 In diesem Sinne auch BVerfGE 101, 151 (156 f). 3 Siehe zur Verbraucherebene nachfolgend V. 4 Vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. b), c), d), e), e) und p), Art. 98 iVm Anhang III Nr. 1, 2, 3, 4 und 17 MwStSystRL.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Absatzverlagerungen vermag in diesem Zusammenhang ausschließlich eine empirisch gestützte Untersuchung zu geben, welche sich speziell mit dem Abwägungsprozess zwischen Konsumpräferenz und Preisbelas­ tung als Teilaspekt der durchschnittlichen Verbrauchergewohnheiten be­ fasst1. Verzerrungseffekte dürften mithin desto stärker in Erscheinung treten, je näher die unterschiedlichen Vergleichsgruppen, jeweils defi­ niert durch ein vorangestelltes Einzelbedürfnis samt der zu seiner Befrie­ digung adäquaten Ausgangsumsätze, an die sachlich relevanten Markt­ grenzen als Substitutionsverhältnis im engeren Sinne heranreichen. Im Vergleich zu einer an konkreten Substitu­tionsverhältnissen orientierten Wettbewerbsneutralität profiliert der a­ lternativ auf die Gesamtnachfrage abstellende Ansatz eine breiter ausgreifende Rechtfertigungskultur, in­ dem verschiedene Produkte auch über die Bedarfsmarktgrenzen hinaus unter einen gemeinsamen Oberbegriff gefasst werden können. Dessen unbeschadet ist es aber gerade dieser Aspekt der Marktabgrenzung, der beide Konzeptionen in ihrem praktischen Ergebnis einander annä­ hert. Gestaltet sich die Bestimmung des relevanten Marktes in sachli­ cher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht als mitunter äußerst schwierig2, gilt dies in umso stärkerem Maße für den Versuch, normativ eine exakte Abbildung komplexer Wettbewerbsbeziehungen in Vergünstigungstat­ beständen zu leisten. Dies kann bereits rein objektiv verfasste Vergüns­ tigungen betreffen, wie dies etwa die ermessensabhängige Steuersatzer­ mäßigung u.a. für Bücher und deren eventuell notwendige Adaption an technische Neuerungen sowie geänderte Konsumgewohnheiten ver­ anschaulichen3. Sobald indes neben einem bestimmten Leistungsge­ genstand zusätzlich noch subjektive Unternehmermerkmale Eingang finden, bedeutet die kontinuierliche Nachzeichnung der relevanten Marktgrenzen eine kaum mehr erfüllbare Anforderung4. Gerade Misch­ tatbestände, wie sie in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL mehrheitlich vor­ kommen, markieren hinsichtlich der Exemtion von Dienst­leistungen eine regulatorische Notwendigkeit, damit die Gemeinwohlqualität in Abhängigkeit unternehmerischer Kenntnisse, Fähigkeiten und sonstiger Eigenschaften konkretisiert werden kann5. Besonders in Anbetracht der 1 Eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung durch Tarifermäßigung verneinend etwa BVerfGE 36, 321. 2 Siehe auch Dobratz, Leistung und Entgelt, 2005, S. 115. 3 Zu alternativen Speichermedien EuGH, Rs. C-219/13, K, ECLI:EU:C:2013:716 Rn 30. Nunmehr eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung bejahend EuGH, Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174. 4 Vgl. Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (50); allg. eine Durchbre­ chung der Neutralität durch Befreiungen annehmend de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 11, unter Verweis auf GA Jacobs, Rs. C-378/02, Waterschap, ECLI:EU:C:2004:726 Rn 38; siehe auch Henkow, The VAT/GST Treatment of Public Bodies, 2013, § 1.02 (c) (1). 5 Siehe hierzu vorstehend B.I.2.b)bb).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Tatsache, dass der EuGH auch geringfügigen Wettbewerbsverzerrungen Bedeutung zumisst, muss eine Vielzahl bestehender Freistellungen der gleichheitsrechtlichen Überprüfung auf ihre Gültigkeit hin unterzogen werden. Diese Notwendigkeit gilt es unterdessen allgemein zu beachten, soweit eine Vergünstigung nicht sämtliche substituierbare Umsätze er­ fasst und sich einer neutralitätskonformen Auslegung unzugänglich er­ weist. Besonders diese Erkenntnis bewog GA Sharpston zu der Annah­ me, ein derart weitreichendes aus dem Neutralitätsprinzip entwickeltes Folgekonzept stünde Befreiungsvorschriften per se entgegen und könne deshalb im Ergebnis nicht überzeugen1. Fügt sich diese Schlussfolgerung in die allzu bequeme Richtlinienhörigkeit des Gerichtshofs nahtlos ein, missachtet sie neben den unabdingbaren Implikationen des Primärrechts einen weiteren wesentlichen Aspekt2: Relevante Ungleichbehandlungen können nämlich durchaus gerechtfertigt sein3. Eine Abwägung am Maß­ stab der Verhältnismäßigkeit muss dem Unionsgesetzgeber im Interesse eines kohärenten Umsatzsteuerrechts sehr wohl abverlangt werden, ohne dass auf diese Weise unüberwindbare Hürden zulasten der gestal­ terischen Freiheit errichtet sein müssen. cc) Wettbewerbsneutralität und subjektive Begünstigungen Die unter bb) erörterte Problematik, welche der Verwirklichung einer auf die formale Gleichstellung von Ausgangsumsätzen gesinnten Wettbe­ werbsneutralität vor allem in rechtstechnischer Hinsicht anhaftet, steht in engem Zusammenhang mit der Frage, welche Folgerungen sich aus diesem Prinzip für subjektive Vergünstigungstatbestände generell erge­ ben. Überwiegend hat sich im Schrifttum die Meinung durchgesetzt, Freistellungen von der Umsatzsteuerpflicht seien ganz im Sinne der Neutralität objektiv an einen bestimmten Leistungsgegenstand anzu­ knüpfen und ausschließlich in dieser strikten Gestaltung legitimierbar4. Entsprechend muss sich diese Forderung auch auf tarifäre Ermäßigungen als eine alternative Form einer umsatzsteuerlichen Privilegierung über­ tragen lassen. Aus rein wettbewerblicher Sicht bleibt zu konstatieren, dass die dogma­ tische Umschrei­ bung der befreiungsrechtlichen Wirkungsweise keine abschließende Aussage über etwaig schädliche Effekte auf das Marktge­ 1 GA Sharpston, Rs. C-44/11, Deutsche Bank, ECLI:EU:C:2012:276 Rn 60; in diese Richtung auch van Hilten, Over Neutraliteit, 2010, S. 47. 2 Im Erg. ebenfalls krit. Amand, World Journal of VAT/GST Tax 2013, 163 (176). 3 Vgl. aktuell EuGH, Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 52 ff, wo allerdings ein anderer Vergleichsmaßstab als die Substituierbarkeit zugrunde gelegt wurde. 4 Vgl. Herman/Kersteren/Gabriel, in: Ecker/Lang/Lejeune, Indirect Taxation, 2012, S. 607 (609); Reiß, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 14 Rn 88; Tipke, StRO, Bd II, 2. Aufl., S. 1007.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

schehen zulässt. Diesen ernüchternden Befund belegt die bereits näher aufgezeigte Betrachtung der gegensätzlichen Um­ setzungs­ varianten zu Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL, da sowohl nach der anbieterneutralen Regelung in § 4 Nr. 11b UStG als auch der subjektiven Lösung, wie sie stellvertretend im Vereinigten Königreich und Österreich vorzufinden ist, derzeit nur ein einzelner Anbieter den erforderlichen Einrichtungs­ status genießt. Dieser zugespitzten Konstellation ungeachtet vermögen auch andere objektiv wirksame Mischtatbestände aus dem Katalog des Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL ungleiche Gewichtungen zu entfalten, soll­ te sich die an Unternehmermerkmale angelehnte Spezifizierung des ­Gemeinwohls nicht gänzlich kongruent zur Substituierbarkeit der be­ treffenden Ausgangsumsätze verhalten1. Strukturell in gleicher Weise angelegte Verzerrungen stechen anders als bei der Postdienstexemtion allerdings weniger deutlich hervor, sofern regelmäßig eine größere An­ zahl von Unternehmern an der Steuerfreiheit partizipiert. Die bloße Qualifikation einer Befreiung als objektiv verleiht dieser folg­ lich noch nicht das Prädikat der Neutralitätskonformität2. Erforderlich ist vielmehr die einzelfallbezogene Überprüfung dahingehend, ob sämtli­ che in Konkurrenz stehende Ausgangsumsätze tatbestandlich einbezo­ gen werden können. Dank ihres schlichter gehaltenen Normprofils bie­ ten exklusiv an einem Leistungsgegenstand orientierte Vergünstigungen bestenfalls die erhöhte Gewähr dafür, einen wettbewerbsverträglichen Zustand zu installieren. Dass dieser Aspekt jedoch keinesfalls überbe­ wertet werden darf, demonstrieren beispielhaft zwei zu Art. 98 Abs. 2 iVm Anhang III Nr. 6 MwStSystRL ergangene Entscheidungen, in denen sich der EuGH mit einer naheliegenden Wettbewerbssituation zwischen physisch und elektronisch übermittelten Buchinhalten überhaupt nicht auseinandergesetzt hat3. Einen weiteren Nährboden für Verzerrungsef­ fekte bereitet im Rahmen reduzierter Steuersätze zudem die neuere Ju­ dikatur, welche den Mitgliedstaaten die gestalterische Befugnis zuge­ steht, lediglich kon­kret ausgewählte Umsätze aus einer gemäß Anhang III abstrakt benannten Leistungskategorie gezielt zu begünstigen4. Insge­ samt wird das Problem wettbewerbsverfälschender Wirkungen auch den 1 Siehe zur Problematik subjektiv konturierter Tatbestände ebenso Hemels, in: Lang/ Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (47). 2 Anschaulich für den objektivierten Katalog ermäßigt besteuerbarer Kunstgegenstän­ de gemäß Anhang IX MwStSystRL Hemels, in: Lang/Melz/Kristoffersson, Value Ad­ ded Tax, 2009, S. 35 (49 ff). 3 Vgl. EuGH, Rs. C-502/13, Kommission/Luxemburg, ECLI:EU:C:2015:143; Rs. C-479/13, Kommission/Frankreich, ECLI:EU:C:2015:14; krit. dazu de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 24. Die Abgrenzung bereits als Problem erkennend TAXUD/ C1(2013), S. 11; siehe nunmehr auch KOM (2016) 148 v. 07.04.2016, S. 11. 4 Vgl. zum Vorbehalt der Neutralität EuGH, Rs. C-94/09, Kommission/Frankreich, Slg. 2010, I‑4261 Rn 25 ff.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

ganz überwiegend an eine objektiv definierte Umsatzgattung geknüpften Tarifermäßigungen zu recht bescheinigt1. Umgekehrt können sich gerade auch subjektiv wirksame Vergünstigun­ gen wettbewerbskonform darstellen, sollten die in der Unternehmerper­ son statuierten Merkmale eine auswahlrelevante Unterscheidungskraft hinsichtlich der am Markt angebotenen Ausgangsumsätze entfalten. Diese allgemeine Einschätzung trifft selbst auf Regelungen zu, die nur ein zahlenmäßig begrenztes Kontingent von Anbietern adressieren. Eine solche Gestaltung betrifft vornehmlich bedarfsgerecht erteilte Konzessi­ onen, sofern die mit ihrer Erteilung verbundenen Rechte und Pflichten eine eigenständige und nicht in Konkurrenz zu anderweitigen Umsätzen befindliche Leistungskategorie prägen2. In Konflikt mit der Neutralität stehend, müssen jedoch von vornherein solche Tatbestände gewertet werden, deren subjektive Merkmale ohne Einfluss auf den privilegierten Leistungsgegenstand bleiben. Eine wettbewerbsneutrale Funktion erlei­ det insoweit eine qualifizierte Beeinträchtigung, sollte sich das tatbe­ standliche Anforderungsprofil zusätzlich aus nicht nach dem unterneh­ merischen Leistungsvermögen erfüllbaren Auflagen speisen mit der Folge, dass die steuerliche Begünstigung einem oder einigen wenigen Schuldnern höchstpersönlich vorbehalten bleibt3. Eine solcherart subjek­ tive Gestaltung indiziert unwiderlegbar eine Beeinträchtigung wenigs­ tens des potenziellen Wettbewerbs4. Faktisch läuft sie auf die befreiungs­ rechtliche Erfassung der unternehmerischen Identität hinaus. Für die Rechtsform hat der EuGH indes mehrfach geurteilt, diese Eigenschaft erlaube keine neutrale Anknüpfung5; erst recht hat diese Einschätzung in Bezug auf sonstige subjektive Merkmale zu gelten, welche den begüns­ tigten Personenstand abschließend kennzeichnen und auf diese Weise gleichsam individualisieren6. Zusammenfassend wird deutlich, dass eine neutralitätskonforme Gestal­ tung umsatzsteuerlicher Begünstigungen nicht abschließend an deren dogmatischer Wirkungsweise festzumachen ist. Maßgeblich ist stattdes­ sen, ob die Substitutionsverhältnisse aus Verbrauchersicht treffend im jeweiligen Tatbestand reflektiert werden. Diese Prämisse kann durch 1 Siehe auch BRH, Bericht über den ermäßigten USt-Satz, 2010, S. 13; KOM (2007) 380 v. 5.7.2007, S. 9. 2 In diesem Sinne etwa zum deutschen Taxigewerbe EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik u.a., ECLI:EU:C:2013:263 Rn 52 ff. 3 So z.B. § 4 Nr. 19 lit. a) UStG. 4 Siehe auch Heinrich, in: FS Ruppe, 2007, S. 205 (224). 5 EuGH, Rs. C-137/02, Faxworld, Slg. 2004, I-5547 Rn 28; Rs. C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I‑6833 Rn 30; Rs. C‑216/97, Gregg, Slg. 1999, I-4947 Rn 20; vgl. auch Nieskens, UR 2002, 577 (581). 6 In diesem Sinne auch Karabulut, Vorsteuerabzug, 2014, S. 7; Heinrich, in: FS Ruppe, 2007, S. 205 (224).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

subjektive wie objektive Merkmale erreicht oder verfehlt werden. Sogar die auf einen Einzelanbieter begrenzte Begünstigung mag neutral wirken, sollte dieser Umsätze aus einer anderweitig rechtlich abgesicherten ­Monopolstellung heraus generieren1. Unbenommen bleibt indes die Er­ kenntnis, dass sich eine exakte Nachzeichnung relevanter Wettbewerbs­ verhältnisse mittels dominanter Unternehmermerkmale in aller Regel wesentlich schwieriger gestaltet. b) Umsatzsteuerneutraler Vorleistungsbezug Im Verhältnis zur Vorgabe der Wettbewerbsneutralität stößt die Doktrin einer rein formalrechtlichen Gleichbehandlung konkurrierender Unter­ nehmer spätestens mit Blick auf die Eingangsumsätze an ihre Grenzen. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug weist einen neutralen Bezug von unterstützenden Umsätzen aus und repräsentiert als systemimmanente Konstante die folgerichtig umzusetzende Grundentscheidung für eine Verbrauchbesteuerung. In eklatanten Widerspruch zu dieser Typologie gerät jedweder finale Steuerzugriff auf zwischenunternehmerische Vor­ leistungen, sofern betriebliches Vermögen gerade nicht dem privaten Konsum zugeführt, sondern erwerbswirtschaftlich eingesetzt wird2. Der belastungsfreie Vorleistungsbezug konkretisiert im gemeinsamen Mehr­ wertsteuersystem ein gleichheitsrechtlich abgesichertes Prinzip, dessen inhaltliche Vorgabe sich der ungehinderten Disposition des Gesetzgebers entzieht. Denn im Interesse einer kohärenten Belastung ausschließlich des privaten Konsums müssen entweder der Vorsteuerabzug in seiner jet­ zigen Form oder aber ein anderweitig zur effektiven Neutralisierung ge­ eigneter Mechanismus dem Grunde nach gewährleistet sein3. Der Vorsteuerabzug verkörpert überdies ein unabdingbares Äquivalent einer aus Unternehmersicht wettbewerbsneutral überwälzbaren Um­ satzsteuer4. Dies missachtet der EuGH, soweit er die Belastungsneutra­ lität als einschränkbar bewertet und Durchbrechungen im Rahmen ­unechter Befreiungen lediglich der Prämisse einer rechtsetzenden Gleich­

1 Bezüglich exklusiv reservierter Dienste war die alleinige Befreiungsstellung der DPAG gemäß § 4 Nr. 11b UStG a.F. schon mangels potenziellen Wettbewerbs unpro­ blematisch. 2 Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 591: Unternehmerische Investitionen sind kein Indikator steuerlicher Konsumleistungsfähigkeit; zust. Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes, 2014, S. 291; Tipke, StuW 2007, 201 (206); im Erg. auch Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (292); McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 63; Nieskens, UR 2002, 577 (580). 3 Alternativ könnte die Steuerbarkeit für Vorstufenumsätze entfallen, vgl. Kirchhof, DStR 2008, 1 ff. 4 Reiß, Stbg 2004, 113 (118); Grett, DStR 2001, 511 (517).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

stellung von Konkurrenzanbietern unterordnet1. Wird der Abzug in Rechnung gestellter Vorsteuer verwehrt, so vermögen Unternehmer je nach Größe, organisatorischer Struktur und Betätigungsfeld auf diesen Umstand in betriebswirtschaftlich unterschiedlich effektiver Weise zu reagieren. Insbesondere zum Nachteil kleiner und mittelständischer so­ wie kapitalintensiv operierender Unternehmer, die im Vorfeld eigener Ausgangsumsätze typischerweise eine größere Anzahl von Handels- und Produktionsstufen durchlaufen müssen, besteht ein tendenziell höheres Belastungspotenzial. Der Kumulationseffekt sowie das probate Gegen­ mittel einer betrieb­lichen Konzentration sind hinlänglich bekannte und bereits ausführlich dargelegte Verfehlungen der früheren Bruttoallpha­ sensteuer2, deren Grundfunktion im Umfeld unechter Exemtionen ihre bereichsweise Fortsetzung findet. Umso erstaunlicher ist, dass es der EuGH bislang strikt vermieden hat, diesen systematischen Widerspruch aufzugreifen und die Legitimität eines Vorsteuerausschlusses kritisch zu hinterfragen3. Das provokativ plakatierte Postulat, im Wettbewerb miteinander stehen­ de Unternehmer dürften in gleicher Weise einer systematisch fehlerhaf­ ten Behandlung unterworfen sein, verfängt in diesem Zusammenhang aus zweierlei Gründen nicht. Der Ausschluss vom Vorsteuerabzug be­ dingt abhängig vom jeweiligen Umfang bezogener Vorleistungen einen absolut divergierenden Belastungsfaktor; eine verzerrte Kostenkalkulati­ on ist die Folge4. Dieser Fall unterscheidet sich wesentlich von der relativ gleich hoch bemessenen Steuerschuld, wie sie auf der letzten Stufe durch einen proportional zum Entgelt der Ausgangsumsätze angewandten Satz entsteht. Ferner gesellt sich zur Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse eine neutralitätswidrige Durchbrechung der Verbrauchsteuertypologie5. Ein marktkonform abzubildendes Preisniveau vermittelt insoweit keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die unterschiedlich hoch ausfallende Belastung der Eingangsumsätze stets und zudem vollumfäng­ lich weitergereicht werden kann6. Sollte eine Überwälzung an den Ver­ braucher dennoch gelingen und der leistende Unternehmer faktisch nicht unmittelbar Träger der Umsatzsteuer sein, so wäre dieses Ergebnis jedenfalls von einem konsequent durchgehaltenen Systemgedanken los­

1 Vgl. EuGH, Rs. C-174/08, NCC Construction Danmark, Slg. 2009, I‑10567 Rn 46; Henze, in: UStKongrBer 2010, S. 7 (19); Sterzinger, UR 2010, 125 (126) mwN. 2 Siehe hierzu Teil 1 B.I.1. 3 Anders dagegen die Rechtsprechung des VfGH VfSlg. 8941; 10.043; 10.405; siehe dazu Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., § 6 Rn 21 ff. 4 Ruppe/Achatz, UStG, 4. Aufl., § 6 Rn 16; dies gilt unabhängig davon, auf welche Umsatzstufe eine unechte Befreiung einwirkt. 5 Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 327. 6 Vgl. Tipke, StuW 1992, 103 (108).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

gelöst und ausschließlich der zufälligen Marktlage geschuldet1. Anders als auf Ebene der Ausgangsumsätze erschöpft sich die Neutralität somit nicht darin, das gesetzgeberische Handeln im Sinne formeller Rechtset­ zungsgleichheit zu dirigieren, sondern verlangt darüber hinausgehend materielle Gleichheit im Belastungserfolg2. c) Zwischenergebnis Auf Ebene der Ausgangsumsätze sind nach der EuGH-Rechtsprechung Freistellungen von der Steuerpflicht wie auch tarifliche Ermäßigungen mit der Wettbewerbsneutralität kompatibel, solange die einschlägigen Tatbestände sämtliche in einem Substi­ tutions­ verhältnis befindliche Umsätze erfassen. Um möglichen Absatzverlagerungen als Folge eines kanalisierten Nachfrageverhaltens effektiv begegnen zu können, quali­ fiziert eine hierzu abweichende Meinung jedwede Vergünstigung als grundsätzlich rechtfertigungsbedürftige Abkehr vom Leitprinzip einer möglichst allgemein zu erhebenden Umsatzsteuer. Im Einklang mit der Ansicht des EuGH genügt jedoch ausnahmsweise eine rechtlich-formelle Gleichstellung konkurrierender Unternehmer, soweit deren Umsätze auf die Befriedigung unausweichlicher Grundbedürfnisse gerichtet sind. Auf Ebene der Eingangsumsätze kennzeichnet dessen unbeschadet der Ausschluss unecht befreiter Unternehmer vom Vorsteuerabzug nicht al­ lein einen neutralitäts-, sondern zugleich einen primärrechtswidrigen Zustand. 3. Folgerungen für die unechte Postdienstbefreiung Aus unternehmerischer Sicht ruft die Freistellung postalischer Univer­ saldienste gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL Wettbewerbsverzer­ rungen hervor und führt somit zu einer grundrechtlich relevanten Un­ gleichbehandlung. Dieser Befund gilt, wie im Folgenden darzulegen sein wird, mit jeweils unterschiedlicher Begründung einheitlich für die alter­ nativ möglichen Umsetzungsmodelle auf nationaler Ebene. a) Anbieterneutrale Konzeption, § 4 Nr. 11b UStG Obwohl § 4 Nr. 11b UStG auch anderen Anbietern in unbegrenzter Zahl die Möglichkeit zur Befreiung einräumt, ist derzeit allein die DPAG im Besitz der hierzu notwendigen Bescheinigung des BZSt. Die im Lichte der vorausgegangenen Ausführungen zu würdigende Besonderheit der 1 Ebenso für die Irrelevanz der gelungenen Überwälzung Teichmann, StuW 1975, 189 (195). 2 Siehe zu dieser die Gleichheitsdogmatik beherrschenden Unterscheidung Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 377 ff; Klement, Wettbewerbsfreiheit, 2015, S. 446 f.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

postalischen Exemtion besteht verglichen zu anderen Tatbeständen da­ rin, dass sich regelmäßig nur ein Anbieter je Mitgliedstaat für den Status der öffentlichen Posteinrichtung qualifiziert. aa) Vereinzelter Vorsteuerausschluss für Eingangsumsätze Aufseiten der Eingangsumsätze bleibt ausschließlich der DPAG ein Vor­ steuerabzug in Konnexität zur Ausführung befreiter Universaldienste verwehrt. Es besteht demnach nicht die typischerweise anzutreffende Konstellation, in der mehrere unecht befreite Unternehmer mit der avi­ sierten Überwälzung angesammelter Vorsteuerbeträge in unterschiedli­ cher Höhe konkurrieren. Diesem Umstand könnte in systematischer Hinsicht Bedeutung zugemessen werden, als die Überwälzung verdeck­ ter Umsatzsteuer aus Sicht eines einzelnen Anbieters stets gelingen wird, falls dieser eine ausreichend hohe Wertschöpfungsquote kreiert und das übliche Bruttopreisniveau gegenüber nicht vorsteuerbefugten Kunden unterbieten kann. Obwohl die Zufälligkeit der Marktlage eine verringerte Rolle spielt, begegnet die allein hierauf gestützte Annahme eines systemkonformen Vorsteuerausschlusses durchgreifenden Beden­ ken. Einerseits ist die deutsche Umsetzung auf eine Koinzidenz befreiter An­ bieter angelegt. Sie bietet allein deshalb schon keine adäquate Gewähr dafür, dass eine vereinfachte Weitergabe der auf den Vorleistungen ru­ henden Belastung dauerhaft ohne Konkurrenzdruck möglich sein wird. Sehr viel gravierender wirkt aber dessen ungeachtet die Tatsache, dass die DPAG bei vorsteuerberechtigten Geschäftskunden nicht nur keiner­ lei Vorteil aus der Befreiung zieht, sondern im Verhältnis zu steuerpflich­ tigen Anbietern angesichts eines zusätzlichen Kostenfaktors eindeutig schlechter gestellt wird. Diese Verzerrung kann nicht mit dem Argument aufgewogen werden, Geschäftskunden werde häufig die Exemtion aus­ schließende Sonderkonditionen iSv § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG eingeräumt; denn nach der zutreffenden Rechtsprechung des EuGH sind selbst ge­ ringfügige Eingriffe in die freie Marktordnung nicht vernachlässigbar1. Folglich bleibt zu konstatieren, dass der Vorsteuerausschluss auch aus Anlass einer singulären Befreiungswirkung der Rechtfertigung bedarf. bb) Ausgangsumsätze: Wettbewerb trotz Verpflichtungsstellung Die steuerlich abweichende Behandlung der DPAG im Verhältnis zu (po­ tenziellen) Konkurrenzanbietern ist nach Ansicht des EuGH unter Zuhil­ fenahme ihrer besonderen Verpflichtungsstellung zu legitimieren2. Die­ ser situative Kontext verleihe verbindlich ausgeführten Universaldiensten 1 EuGH, Rs. C-363/05, JP Morgan Flemming, Slg. 2007, I-5517 Rn 46 f. 2 EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 38 f.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

eine andere Qualität gegenüber rein freiwilligen Leistungen, selbst wenn diese eine vergleichbare oder sogar identische Beschaffenheit aufweisen sollten. Der somit postulierte Ausschluss des Neutralitätsprinzips fügt sich jedoch nicht in die ökonomische Betrachtung des Wettbewerbs, wie sie bereits in Sachen „The Rank Group“ als anleitender Vergleichsmaß­ stab geprägt wurde. Mindestanfor­derung an eine neutralitätskonforme Begünstigung ist die formell-rechtliche Gleichbehandlung substituierba­ rer Ausgangsumsätze, so dass sich die subjektive Verpflichtung nur als Referenz einer Vergleichsgruppenbildung eignet, wenn diese mit einem bevorzugten Konsum aus Sicht der Verbraucher korreliert1. Diese nöti­ genfalls empirisch zu eruierende Kongruenz lässt der EuGH in seinem TNT-Urteil völlig außer Betracht, zumal ihre Annahme denn auch in Zweifel gezogen werden müsste2. Nach der für den Postsektor kartell­ rechtlich gängigen Marktabgrenzung hat die Verpflichtungsstellung ei­ nes Grundversorgers bislang keine Rolle gespielt3. Spiegelte überdies der ordnungsrechtlich untermauerte Kontext die tatsächlichen Verbraucher­ präferenzen wider, so wäre gerade das über die vergangenen Jahre hinweg zu beobachtende Phänomen kaum erklärbar, dass einige größere Konkur­ renzanbieter gegenüber der DPAG nicht unerhebliche Marktanteile im Segment der Standardpaketsendungen dauerhaft festigen konnten4. 1) Der rechtliche Kontext im Bedarfsmarktkonzept In der zu umsatzsteuerlichen Vergünstigungen ergangenen Judikatur fin­ den sich neben der Entscheidung „TNT Post UK“ bislang zwei weitere Urteile, in denen der EuGH den rechtlichen Umfeldbedingungen für die Leistungserstellung besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ5. So akzeptierte er in seiner vorausgegangenen Entscheidung „Kommission/ Frankreich“ zunächst eine differenzierte Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Medikamentenlieferungen danach, ob diese kassen­ rechtlich erstattungsfähig sind oder nicht6. Die Erstattungsfähigkeit wirkt sich als unmittelbarer Kostenfaktor aus und bildet aus Empfänger­ sicht somit ein nachvollziehbares Kri­terium für die Substituierbarkeit. Zu einer ebenso intensiven Auseinandersetzung bezüglich des Verhält­ nisses zwischen rechtlichem Leistungskontext und faktischen Verbrau­ 1 Zutreffend EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik, ECLI:EU:C:2014:111 Rn 56. 2 So auch GA Geelhoed, Rs. C-169/02, Dansk Postordreforening, Slg. 2003, I-13330 Rn 79 f, wonach allein die Monopolstellung und nicht etwaige Konzessions­ verpflichtungen den Status der öffentlichen Posteinrichtung statuieren; ebenso die Kommis­sion, ebenda, Rn 52. 3 Siehe hierzu Teil 4 C.II.1. 4 Vgl. BMK, Sondergutachten 2015, S. 28. 5 Siehe auch Englisch, in: Englisch/Schaumburg, Eur StR, 2015, Rn 12.21. 6 EuGH, Rs. C-481/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-3369 Rn 27.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

chergewohnheiten sah sich der EuGH in der Sache „Pro Med Logistik“ herausgefordert. Thematisch ging es in dieser jüngeren Entscheidung um die Steuersatzermäßigung für Beförderungsleistungen per Taxi und die anschließende Frage, ob eine solche nicht aus Gründen der Neutralität auch zugunsten von Mietwagen samt Fahrergestellung gewährt werden müsse. Der EuGH erkannte für eine Erstreckung der Steuervergünsti­ gung keinen zwingenden Anlass, sollten sich die seitens des Vorlagege­ richts aufgezeigten Rechtsunterschiede nach den geltenden Vorschriften des deutschen Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) bewahrheiten1. Aus Verbrauchersicht konkurriere die Leistungserbringung durch Taxi­ unternehmen nicht mit derjenigen von Mietwagenbetreibern, sofern in einer Gesamtschau erhebliche Unterschiede im Hinblick auf den Ort des Vertragsschlusses, das Bereitstellen von Fahrzeugen an ausgewiesenen Stellen, zulässige Werbung sowie die Verwendung vorbehaltener Erken­ nungszeichen bestehen. Die vorgenannten Entscheidungen exemplifizieren den integrativen Wir­ kungsgrad, den das Bedarfsmarktkonzept gegenüber einem rechtlich sta­ tuierten Leistungskontext zu entfalten vermag. Die besondere Eignung eines Umsatzes zur adäquaten Bedürfnisbefriedigung manifestiert sich nicht ausschließlich anhand dessen äußerer Beschaffenheit, sondern kann zusätzlich in vielfältiger Weise durch normative Bestimmungen geprägt sein. In besonderer Weise gilt dies für sonstige Leistungen, die im Gegen­ satz zu Warenlieferungen nicht an einen konkret fassbaren Gegenstand gebunden sind und infolge ihrer abstrakten Natur aus sich heraus über keine unmittelbar erkennbare Beschaffenheit verfügen. So gesehen mar­ kiert die Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen eine Selbst­ verständlichkeit innerhalb der substitutiven Logik, da letztendlich sämt­ liche aus faktischer Verbrauchersicht relevante Faktoren in die Betrachtung der gleichheitsrechtlich relevanten Marktverhältnisse einzubeziehen sind2. Durch eine abweichende Qualität zeichnet sich allerdings die postbefrei­ ungsrechtliche Judikatur aus3. In Bezug auf die Vergleichbarkeit ver­ pflichtender mit freiwilligen Postdienstleistungen unterlässt es der EuGH, eine explizite Relation zu den Verbrauchergewohnheiten herzustellen4. In den zugrunde liegenden Schlussanträgen ist weitergehend zwar da­ von die Rede, die Neutralität schließe die Vermeidung von Wettbewerbs­ verzerrungen ein. Auf eine allgemeingültige Analyse des Nachfrage­ 1 EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik u.a., ECLI:EU:C:2013:263 Rn 58 f. 2 Für eine wettbewerbsbezogene Interpretation der Entscheidung „Kommision/Frank­ reich“ auch de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 20. 3 Anders Englisch, UR 2013, 570 (574). 4 Siehe EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 38, 39 und 45.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

verhaltens im Lichte der Verpflichtung verzichtete indessen auch die Generalanwältin1. Offenbar wollten die Richter den grundversorgungsre­ levanten Rechtskontext auch nicht als Kriterium der Substituierbarkeit in einem engeren Sinne verstanden wissen, sondern übersetzten den ­Befreiungsgegenstand bekanntlich als rechtsverbindliches Gesamtange­ bot flächendeckender Standarddienste. Diese Argumentationsweise hebt sich von einer Betrachtung einzelner Leistungen sowie deren gleichwer­ tiger Eignung zur adäquaten Befriedigung individueller Bedürfnisse be­ wusst ab. Insgesamt stellt die TNT-Entscheidung somit eine klare Ab­ kehr gegenüber dem sonst in der Sache angewandten Bedarfsmarktkon­ zept dar. 2) Kritische Würdigung Der EuGH hat in seinem Urteil „Pro Med Logistik“ unterdessen dekla­ riert, an der in Sachen „TNT Post UK“ geprägten Linie festzuhalten2. Keinesfalls sollte dieser Hinweis aber kaschieren, dass der rechtliche Kontext in dieser Entscheidung gewissermaßen korrigierend wieder in den Dienst der Unterscheidbarkeit „aus den Augen der Verbraucher“ zu­ rückgestellt wurde3. Der isolierte Verpflichtungsansatz sieht sich ent­ sprechend dem Einwand ausgesetzt, für einen absolut wirkenden Aus­ schluss des Neutralitätsprinzips nicht über die nötige Konturenschärfe zu verfügen. So bleibt völlig unbestimmt, welcher Art und Reichweite der rechtliche Kontext im Einzelnen sein muss, um eine abweichende Qualität der erfassten Ausgangsumsätze zu erzeugen. Mithin drohen willkürliche Abgrenzungen, die sich ohne Weiteres vermeiden lassen, ­verifiziert man dieses Merkmal anhand der einschlägigen Verbraucher­ gewohnheiten. Demnach bietet die ordnungsrechtlich statuierte Grund­ versorgungspflicht sehr wohl die erhöhte Gewähr für ein flächendecken­ des Leistungsniveau zu hoher Qualität und unterstreicht entsprechend die objektive Natur von § 4 Nr. 11b UStG. Von dieser Frage abzugrenzen gilt es jedoch die Gleichartigkeit im Sinne umsatzsteuerlicher Neutrali­ tät. Dieses Prinzip verbindet eine mit dem Wettbewerbsrecht gemäß Art. 101 ff AEUV identische Logik, die angesichts der erforderlichen Identifikation maßstabbildender Konkurrenzverhältnisse jeweils gleich­ heitsrechtlich inspiriert ist. Die wirtschaftliche Realität in Anbetracht der unionsweit geöffneten Postmärkte verliert der EuGH dabei vollkom­ men aus dem Blick4. 1 GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 59 ff. 2 EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik u.a., ECLI:EU:C:2013:263 Rn 55. 3 EuGH, Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik u.a., ECLI:EU:C:2013:263 Rn 56; Rs. C‑259/10 und C‑260/10, The Rank Group, ECLI:EU:C:2011:719 Rn 50. 4 Krit. auch Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (66).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Eine rechtssichere und damit überzeugende Festlegung des neutralitäts­ spezifischen Anwendungsbereichs kann daher nur auf Grundlage der Substituierbarkeit von Ausgangsumsätzen verschiedener Unternehmer gelingen, ohne dass für einen divergierenden Maßstab gerade im Umsatz­ steuerrecht ein besonderes Bedürfnis erkennbar wäre1. Den argumenta­ tiven Sonderweg über die Verpflichtung wird der EuGH wohl auch nicht beschritten haben, um die abschließende Entscheidung über mög­ liche Substitutionsverhältnisse zwischen befreiten und steuerpflichtigen Postumsätzen nicht in eigener Regie treffen zu müssen. Eine solche Wer­ tung überlassen die Richter näm­lich regelmäßig den mitgliedstaatlichen Gerichten, während für den Fall einer bejahten Konkurrenzsituation rechtliche Hinweise vorsorglich erteilt werden2. Für den Postsektor ist eine solche Vorgehensweise anhand der Entscheidung „Corbeau“ nach­ vollziehbar, weil der Gerichtshof die nötige Differenzierung zwischen Standardpost und auf die Kundenbedürfnisse exklusiv zugeschnittenen Kurierdiensten nicht selbst festlegen wollte3. Motivierend dürfte hinge­ gen das Bestreben gewirkt haben, sich einer unliebsamen Rechtferti­ gungsprüfung hinsichtlich der legitimen Geltung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL zu entziehen4. Diesbezüglich beschwört der Neutra­ litätsausschluss zwar nach Ansicht des Gerichtshofs ohnehin keinen pri­ märrechtlichen Konflikt herauf. Es streiten aber ebenso wenig Anhalts­ punkte für die Annahme, der gänzlich unerwähnt gebliebene Art. 20 GRCh wäre wohlmöglich profunder instrumentalisiert worden. Ande­ renfalls erschiene es vollkommen fernliegend, der Postdienstexemtion – wie geschehen – nach wie vor uneingeschränkte Verbindlichkeit zu at­ testieren5. Zu resümieren bleibt, dass entgegen der Ansicht des EuGH die ordnungs­ rechtlich verfasste Verpflichtungssituation nicht das Werturteil der Un­ gleichheit im Sinne des Neu­tralitätsprinzips trägt, sondern allein auf Ebene der Rechtfertigung im relativen Widerstreit zur Wettbewerbsfrei­ heit Bedeutung erlangt. Leistungen einer öffentlichen Posteinrichtung 1 Vgl. auch VwGH 2005/15/0070, ÖJZ 2007, 27 zur Steuerbefreiung von Notrufzentra­ len. 2 Beispielhaft EuGH, Rs. C-219/13, K, ECLI:EU:C:2013:716 Rn 31 ff; Rs. 283/81, Rs. C‑495/03, Intermodal Transports, Slg. 2005, I-8151 Rn 33; C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 Rn 36; siehe auch Martin, UR 2008, 34 (36). 3 EuGH, Rs. C-320/91, Corbeau, Slg. 1993, I-2533 Rn 19 f, erstaunlich mutet dabei an, dass der EuGH dem Sonderdienst von Herrn Corbeau bestehend aus Abholung beim Absender und Zustellung vor dem Mittag des Folgetages nicht von vornherein eine andere Qualität zuspricht, die näherliegende Gleichartigkeit aus Sicht der Befreiung dagegen generell verneint; krit. auch Giesen, ECLR 1993, 279 (282). 4 Krit. zu dieser allg. geübten Zurückhaltung Kokott/Dobratz, in: Schön/Heber, Grundfragen, 2015, S. 25 (35); Zirkl, Neutralität, 2015, S. 227 ff; de la Feria, WP 09/29, S. 9. 5 Birkenfeld, in: Birkenfeld, USt-HdB, 71. Lfg. § 95 Rn 522.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

können nur Universaldienste sein, welche sich gemäß Art. 3 Abs. 4 PostRL aus den abfolgenden Einzelstufen Abholung, Sortierung, Trans­ port und Zustellung zusammensetzen. Vor diesem Hintergrund mag die Annahme zutreffen, einen Anbieter wie TNT, der als Kläger im Aus­ gangsverfahren die postalische Leistungskette lediglich ausschnittsweise in Form vorgelagerter Dienste bediente, nicht als Wettbewerber zu Royal Mail um befreite Sendungen anzusehen. Mit dieser Faktizität hat die Verpflichtungssituation allerdings nur so viel gemein, als TNT entspre­ chende Dienste weder anbieten muss noch freiwillig erbringt. Entspre­ chend bleibt der EuGH eine belastbare Begründung schuldig, weshalb dieselbe an die Verpflichtung anknüpfende Wertung auf alternative An­ bieter von „Ende-zu-Ende-Leistungen“ ebenso pauschal zutreffen sollte. Ferner liegt spätestens seit Wegfall des Postmonopols zumindest eine potenzielle Wettbewerbssituation vor, indem Unternehmer sämtliche universaldiensttypische Leistungsklassen bedienen dürfen und im Zuge dieser Entwicklung eine berechtigte Erwartung auf umsatzsteuerliche Chancengleichheit hegen1. b) Subjektive Umsetzung und rechtfertigungsrelevante ­Gestaltungsspielräume Bleibt die Befreiung anders als nach § 4 Nr. 11b UStG schon im Ansatz rechtlich zwingend auf einen konzessionierten Versorger als öffentliche Posteinrichtung begrenzt, stellen sich auf Ebene der Eingangsumsätze systembedingt keine abweichenden Folgerungen ein2. Betreffend die Ausgangsumsätze herrscht ein neutralitätswidriger Zustand erst recht vor, weil alternative Anbieter ungeachtet ihres konkret abgerufenen Leistungsvermögens nicht zeitgleich befreit sein können. Entgegen dem Judiz des EuGH deduziert die Verpflichtung indes keinen den Geltungs­ prinzipien des Wettbewerbs enthobenen Leistungsstandard, in dessen alleiniger Denklogik eine exklusive Befreiung ohne Konfliktstellung ge­ genüber der Neu­tralität möglich wäre. Die auf der Ausgangsseite – wie vorstehend beschrieben – verschärfte Rechtfertigungslast könnte jedoch vom Standpunkt des Unionsgesetzge­ bers aus gesehen in Anbetracht der Tatsache entfallen, dass Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die Mitgliedstaaten nicht auf eine subjektive Um­setzungsvariante festlegt. Etwaige im Sekundärrecht gewährte Ge­ staltungsspielräume spielen nicht nur eine entscheidende Rolle für die 1 Ebenfalls eine Wettbewerbsverzerrung bejahend Herbain, VAT Neutrality, 2015, S. 222 ff; Cnossen, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 370 (382); Dietl/Jaag/ Lang/Trinkner, Competition and Welfare Effects of VAT Exemptions, 2010, S. 3 ff; TAXUD/2011/DE/334, S. 173; Postcomm, Competitive Market Review, 2004, Rz 4.34. 2 Siehe hierzu vorstehend a)aa).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Anwendbarkeit nationaler Grundrechte, sondern vermögen nach teil­ weise vertretener Ansicht darüber hinaus die Primärrechtswidrigkeit auszuschließen, sofern im Ergebnis eine unionsgrundrechtskonforme Ausübung auf nationaler Ebene möglich ist1. Für diese Sichtweise mag angeführt werden, die Mitgliedstaaten seien bei der Umsetzung von Richtlinien gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh generell an die Unions­ grundrechte gebunden und müssen deren Wertung folglich in einer Art Kooperative mit den EU-Organen zur Durchsetzung verhelfen. Gleich­ wohl darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass fragmentarischer Harmonisierungsakte eine qualifizierte Gefahrenlage für bestimmte Vertragsziele schafft, wie sie auf der Grund­ lage von Art. 113 AEUV gerade für eine binnenmarktadäquate Um­ satzbesteuerung entstehen kann. Der zentrale Verantwortungskonflikt bezüglich primärrechtswidriger Zustände muss folglich zulasten der supra­nationalen Gesetzgebung aufgelöst werden2. Die durch sie gesteu­ erten Maßnahmen müssen daher einschließlich einer gegebenenfalls nur begrenzt programmierten Bindungsreichweite vollumfänglich mit den höherrangigen Vertragsbestimmungen in Einklang stehen. Allein unter Hinweis auf die optional zulässige Subjektivierung die Legitimität der Richtlinienregelung zu erklären, vermag somit nicht zu überzeugen. Ohnedies ist die vorstehend dargelegte Problematik für Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL kaum von Bedeutung, da selbst eine anbieterneutral optimierte Umsetzung iSv § 4 Nr. 11b UStG eine relevante Ungleichbe­ handlung unter (potenziell) konkurrierenden Dienstleistern hervorruft. 4. Rechtfertigung grundrechtsrelevanter Unionsbeihilfen Die Rechtfertigungsprüfung bezüglich relevanter Ungleichbehandlungen zeichnet sich in der Rechtsprechung des EuGH durch Uneinheitlichkeit und mangelnde dogmatische Stringenz aus. Ihre Bandbreite reicht je nach Einzelfall von einer bloßen Willkürkontrolle bis zur eingehenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit, weshalb allgemeingültige Aussagen kaum getroffen werden können3. Aus der für die Tragweite und Ausle­ gung der Chartarechte verbindlichen Bestimmung des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRCh ist allerdings zu schließen, dass Einschränkungen generell dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit unterstehen. Diese Anforderung beansprucht ausweislich Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh gleichermaßen Gel­ 1 So etwa Zorn, in FS Ruppe, 2007, S. 744 (754); siehe zu dieser bislang nur wenig beach­teten Gemengelage auch Kühling, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 657 (690). 2 Im Erg. auch Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 14 Rn 98, der auf die Folge­ wirkungen für alle Mitgliedstaaten hinweist. 3 Vgl. Kingreen, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 21 Rn 16 f; Graser, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 20 GRC Rn 6.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

tung für Freiheiten und sonstige anerkannte Rechte, zu denen insbeson­ dere Art. 20 GRCh sowie folgerichtig die gleichheitsrechtlich unterlegte Neutralität zählen1. Gilt demnach das Postulat einer Verhältnismäßig­ keitsprüfung auch für Gleichheitsverstöße2, so kann innerhalb der zwei­ stufigen Programmatik allein die angewandte Kontrolldichte auf Ebene der Rechtfertigung infrage stehen. Speziell im Geltungsbereich von Verschonungssubventionen, die sich anlässlich der umfassenden Harmonisierung indirekter Steuern als nicht über Art. 107 Abs. 1 AEUV zu disziplinierende Unionsbeihilfen qualifi­ zieren3, erfüllt der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz ersatzweise die Funktion eines repressiven Beihilfenverbots. Potenziell wettbewerbs­ verzerrende Vergünstigungen begründen insoweit aus Sicht der Unter­ nehmer eine Durchbrechung des die Steuerüberwälzung effektuierenden Neutralitätsgedankens und erweisen sich allein unter strikter Wahrung der Verhältnis­mäßigkeit als gerechtfertigt, sofern sie zur Verwirklichung eines legitimen Sachziels geeignet, erforderlich und angemessen sind4. Rein wirtschaftlich betrachtet verhält sich der Einnahmeverzicht durch Aufhebung oder Ermäßigung der Umsatzsteuerschuld verglichen zur ­direkten Subventionsvergabe identisch. Institutionell verkörpern indi­ rekte Subventionen hingegen ein integratives Element des Steuergeset­ zes mit dauerhaft angelegter Wirkung, deren Volumen sich nicht verläss­ lich antizipieren lässt5. Zudem werden sie weniger bewusst und deutlich zurückhaltender überbracht, als dies für die direkte Zuwendung von ­Finanzmitteln auf der Grundlage einer der Vereinnahmung nachfolgen­ den Vergabeentscheidung der Fall ist6. Sofern angesichts dieser Sachlage schon auf nationaler Ebene eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung als Gegengewicht zu der schwächer ausgeprägten Legitimation gleichsam schleichender Subventionsprozesse etabliert werden muss7, scheint die­ ser Gedanke erst recht für die demokratisch eher defizitäre Harmonisie­

1 Siehe zu Art. 20 GRCh auch EuGH, Rs. C-390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 52; Rs. C‑127/07, Arcelor Atlantique, ECLI:EU:C:2008:728 Rn 46. 2 Kugelmann, in: Merten/Papier, HdB GR, Bd VI/1, 2010, § 160 Rn 36; Schmahl, in: Grabenwarter, EnzEur, Bd 2, 2014, § 15 Rn 170. 3 Siehe hierzu vorstehend B. 4 Englisch, EuR 2009, 488 (507 f); ebenso Klement, Wettbewerbsfreiheit, 2015, S. 496; Zirkl, Neutralität, 2015, S. 243; Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, 2014, S. 312 ff; Petzold, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 4 Rn 20 ff. 5 Siehe zu Steuervergünstigungen als „operating aids“ Micheau, State Aid, 2014, S. 101 f. 6 Kirchhof, FR 2012, 701 (703); FiFo Köln/Copenhagen Economics/ZEW, Steuerver­ günstigungen, Bd 1, 2009, S. 45. 7 Überzeugend dazu Schön, in: FS Spindler, 2011, S. 189 (195 ff); zust. Hey, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 19 Rn 76.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

rung indirekter Steuern zutreffend1. Wettbewerbsverzerrende Exemtio­ nen unterliegen folglich im Rahmen des Geichbehandlungsgebots einer ebenso intensiven Verhältnismäßigkeitskontrolle, wie sie für die frei­ heitswahrenden Garantien des Primärrechts anzuerkennen ist2.

V. Neuausrichtung des Gleichheitssatzes auf Verbraucherebene Unter dem Topos umsatzsteuerlicher Neutralität hat der allgemeine Gleichheitssatz über lange Zeit hinweg bislang nur aus unternehme­ rischer Perspektive eine vertiefte Berücksichtigung erfahren. Die maß­ gebliche Quintessenz dieser Untersuchung lautet nach Maßgabe der EuGH-­ Rechtsprechung, dass die Wettbewerbsneutralität den Einsatz von richtliniengebundenen Vergünstigungen dem Grunde nach keinen wirksamen Restriktionen unterwirft, sondern nur eine formalrechtli­ ­ che Gleichbehandlung konkurrierender Unternehmer verlangt, die auf Unions­ ebene allenfalls im Wege der Auslegung durchgesetzt werden kann. Besonders kritisch stößt dabei auf, dass der Gerichtshof selbst für unechte Befreiungen nicht auf einer folgerichtigen Umsetzung des system­prägenden Vorsteuerabzugs beharrt. Freilich ist aber der relativie­ rende Umstand zu berücksichtigen, dass die Neutralität selbst als nur sekundärrechtlich fundierte Konstante jedenfalls noch uneingeschränk­ ten Vorrang im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen genießt, so dass folgerichtig mitgliedstaatliche Umsetzungsakte und Vollzugs­ maßnahmen vollumfänglich an dieses Prinzip gebunden sind3. 1. Regelungsakzessorischer Vergleichsmaßstab (Rs. C‑390/15, „RPO“) Die unternehmerbezogene Perspektive des EuGH auf umsatzsteuerliche Rechtsfragen ist ersichtlich der Tatsache geschuldet, dass die in Art. 113 AEUV begründete Harmonisierungskompetenz über eine binnenmarktfi­ nale Ausrichtung verfügt. Ferner wird auf diese Weise die relativ profane Interessenlage der Unternehmer in ihrer Eigenschaft als formale Steuer­ einsammler fokussiert. Neben dem freiheitsrechtlich gesicherten An­

1 Vgl. Englisch, EuR 2009, 488 (500); krit. zum Demokratiedefizit auch Everling, in: Everling, Unterwegs zur EU, 2001, S. 426 (444); Mick, in: Birk, HdB des Euro­päischen Steuer- und Abgabenrechts, 1995, § 24 Rn 37. 2 In diese Richtung auch EuGH, Rs. C-390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 53 ff. 3 Vgl. EuGH, Rs. C‑573/15, Oxycure Belgium, ECLI:EU:C:2017:189 Rn 28; Rs. C‑111/14, Sarviz AG Germania, ECLI:EU:C:2015:267 Rn 34; Rs. C‑138/12, Ruse­ despred, ECLI:EU:C:2013:233 Rn 29; Rs. C-262/08, CopyGene, Slg. 2010, I‑5053 Rn 64. Siehe zuletzt zum Vorsteuerabzug als Ausdruck der Belastungsneutralität EuGH, Rs. C-564/15, Farkas, ECLI:EU:C:2017:302 Rn 43; Rs. C‑38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 33; Rs. C‑267/15, Gemeente Woerden, ECLI:EU:C:2016:466 Rn 30 f; Rs. C‑285/11, Bonik, ECLI:EU:C:202012:774 Rn 24 f.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

spruch, nicht über Gebühr mit Vollzugslasten konfrontiert zu werden1, manifestiert sich diese in einer möglichst von negativen Einflüssen ver­ schonten Wettbewerbsposition. Zeichnete sich in diesem Zusammen­ hang zunächst nur die klare Tendenz ab, dass der EuGH eine eindeutige Trennung zwischen dem Neu­trali­tätsprinzip einerseits sowie dem allge­ meinen Gleichheitssatz andererseits favorisiert, sorgte nunmehr die Ent­ scheidung „RPO“ vom 07.03.2017 gerade mit Bezug auf mehrwertsteuer­ liche Vergünstigungen für die lang ersehnte Klarstellung, welcher Inhalt Art. 20 GRCh in unmittelbarer Anwendung auf die Mehrwertsteuersys­ temrichtlinie zukommen und unter welcher Prämisse demnach die Gül­ tigkeit jener Bestimmungen gerichtlich überprüfbar sein soll2. In seinem Urteil „RPO“, welches die Gültigkeit der optionalen Steuer­ satzermäßigung u.a. für Bücher (ausschließlich) auf physischen Trägern gemäß Art. 98 Abs. 2 iVm Anhang III Nr. 6 MwStSystRL zum Gegen­ stand hatte, stellte der EuGH grundlegend heraus, dass die Vergleichbar­ keit von Sachverhalten anhand des Ziels und des Zwecks der jeweils in Rede stehenden Vorschriften unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze des betroffenen Regelungsbereichs zu beurteilen sei3. Einen entsprechenden Verzicht auf die Anwendung übergeordneter Bezugs­ größen hat der EuGH auch schon in anderen Entscheidungen zum Gleichheitsrecht judiziert4. Dass dieser im Urteil „RPO“ an den sekun­ därrechtlichen Norminhalt gekoppelte und mithin regelungsakzesso­ risch übersetzte Vergleichsmaßstab allgemeine Gültigkeit im Rahmen des harmonisierten Umsatzsteuerrechts beanspruchen soll, bestätigte der EuGH mit Blick auf national geregelte Verjährungsfristen jüngst in seiner Entscheidung „Compass Contract Services“ vom 14.06.2017, wo es um die (letztlich verneinte) Vergleichbarkeit von Ansprüchen der Un­ ternehmer auf Erstattung von Vorsteuer einerseits und zu viel gezahlter Mehrwertsteuer andererseits ging5. a) Relativierung der Unternehmerperspektive in Reinform Gewendet auf umsatzsteuerliche Vergünstigungen bedingt der regelungs­ akzessorische Ansatz eine gewisse Relativierung der rein unternehmer­ spezifischen Betrachtungsweise, wie sie der Gerichtshof bislang stets 1 Vgl. GA Szpunar, Rs. C-262/16, Shields & Sons, ECLI:EU:C:2017:500 Rn 15; Stadie, UStG, 3. Aufl., Vorbem. Rn 41 ff; Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen, 2009, S. 39 (71). 2 Siehe hierzu vorstehend IV.1.c)dd)1). 3 EuGH, Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 42. 4 Vgl. EuGH, Rs. C-236/09, Test-Achats, Slg. 2011, I-773 Rn 29; Rs. C-127/07, Arcelor, Slg. 2008, I‑9895 Rn 26. 5 EuGH, Rs. C‑38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 25. Zu Recht bezeichnet Dobratz, UR 2017, 399 (400) das Urteil „RPO“ als „gleichheits­ rechtliche Grundentscheidung“ für das harmonisierte Mehrwertsteuerrecht.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

einzunehmen pflegte. Denn gerade im Geltungsbereich von Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL besteht das Ziel der katalogisierten Befreiungstatbe­ stände zuvörderst darin, eine als unangemessen identifizierte Erhöhung des Preisniveaus zu verhindern und so speziell ausgewählte Umsätze zu­ gunsten der Verbraucher leichter zugänglich zu machen. Unweigerlich wird hiervon ausgehend die Verbraucherposition im Rahmen der tatbe­ standlichen Gleichheitsprüfung insofern reflektiert, als der für die Ver­ gleichsgruppenbildung nach Art. 20 GRCh anzulegende Maßstab unter Rückgriff auf bestimmte, für förderungswürdig erachtete Konsumbedürf­ nisse und -ausgaben als dem jeweiligen Ziel und Zweck der in Rede ste­ henden Befreiungsvorschrift entwickelt werden muss. Diesen Zusammenhang verdeutlicht in besonders anschaulicher Weise die Entscheidung „RPO“, ausweislich derer die maßgebliche Zielsetzung der Steuersatzreduktion gerade darin besteht, das Lesen als eine im allge­ meinen Interesse der Gesellschaft liegende Verhaltensweise der Verbrau­ cher ungeachtet dessen zu fördern, über welches Medium der meritori­ sche Inhalt von Belletristik, Sachbüchern, Zeitungen oder Zeitschriften technisch übermittelt wird1. Eine gewisse Annäherung vermag sich da­ bei im Ergebnis sogar zu einem bedarfsmarktgerechten Vergleichskon­ zept einzustellen, ohne dass jedoch insoweit die formalen Kriterien einer Abgrenzung relevanter Märkte zum konkreten Prüfgegenstand gemacht werden. Speziell im Hinblick auf die gesetzgeberische Förderintention bezüglich einer erwünschten Lesetätigkeit impliziert nämlich die im Ausgangspunkt vom EuGH angenommene Vergleichbarkeit zwischen elektronisch und in sonstiger Weise auf physischen Trägern übermittel­ ten Inhalten, dass diese sich in gleicher Weise zur Befriedigung eines Le­ sebedarfs eignen und durch die Verbraucher entsprechend nachgefragt werden können2. b) Kritik an der regelungsakzessorischen Vergleichsgruppenbildung Die aktuelle Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendung des allge­ meinen Gleichheitssatzes ist zunächst insoweit begrüßenswert, als der EuGH nunmehr ausdrücklich eine Überprüfung der Gültigkeit mehr­ wertsteuerlicher Richtlinienvorschriften am Maßstab des höherrangigen Primärrechts aufgegriffen hat, anstatt, wie etwa in der früheren Entschei­ dung „Kommission/Schweden“ noch der Fall3, diese doch letztlich im unionalen Vertragsgefüge auf Dauer unausweichliche Fragestellung mit einer eher formaljuristisch anmutenden Argumentation abzuwiegeln. Das ausgedrückte Bekenntnis zum Bedarf einer Gültigkeitsprüfung bie­ 1 Vgl. EuGH, Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 45 ff. 2 Siehe zum Zugang zum Inhalt von Büchern für die Verbraucher EuGH, Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 48. 3 EuGH, Rs. C-480/10, Kommission/Schweden, ECLI:EU:C:2013:263.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

tet die Chance, dass auch in Bezug auf andere, vor allem durch Vergüns­ tigungsnormen ausgelöste Problemstellungen entsprechend verfahren wird und der Gerichtshof in Kooperation mit den nach Art. 267 AEUV vorlageberechtigten oder sogar -verpflichteten nationalen Gerichten ei­ nen lange Zeit verwehrten Beitrag leistet, um eine profundere Durchdrin­ gung und Legitimation des harmonisierten Mehrwertsteuersystems zu erreichen. Positiv zu bewerten ist dabei ferner, dass der EuGH Art. 20 GRCh eine gegenüber der Wettbewerbsneutralität breiter angelegte Wirk­ kraft verleiht, indem er den Vergleichsgruppenmaßstab mit Blick auf die individuell zu beurteilende Regelung und deren Zielsetzung justiert. Auf diese Weise können Richtlinienbestimmungen allgemein auch in solchen Fallgestaltungen einem gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsbedürfnis unterworfen werden, in denen gerade kein Wettbewerbsverhältnis zwi­ schen den betroffenen Umsätzen der Unternehmer besteht1. Als in hohem Maße problematisch erweist sich indes die in der Rechtssa­ che „Marks & Spencer“ bereits erkennbare und mittlerweile bestärkte Neigung des EuGH, den an bestehenden Konkurrenzverhältnissen auf Unternehmerseite ausgerichteten Vergleichsmaßstab ausschließlich dem Neutralitätsprinzip vorzubehalten mit der Folge2, dass diese Referenz auf die Ebene des Sekundärrechts verwiesen und zu einer bloßen Auslegungs­ direktive denn einem unmittelbar die Gültigkeit von Richtlinienbestim­ mungen bestimmenden Grundsatz des Primärrechts degradiert wird3. Wie in diesem Zusammenhang schon dargelegt wurde, besteht eine normhierarchisch zwingend angelegte Überschneidung zwischen Neu­ tralitätsprinzip und Gleichheitssatz jedenfalls insoweit, als die Substi­ tuierbarkeit von Waren und sonstigen Leistungen die relative Vergleichs­ gruppenbildung in allgemeingültiger Weise anleitet. Unter entsprechender Prämisse hat der EuGH das Grundrecht auf Gleichbehandlung bereits im außersteuerlichen Kontext von Beginn an eta­bliert4. Außerhalb spezieller Ausprägungen, wie sie das Gleichheitsprinzip etwa in Gestalt des primär verfassten Beihilfenrechts sowie des grundfreiheitlichen Schutzregimes erlangt hat5, sichert Art. 20 GRCh über die primärrechtlich verbindliche Bezugsgruppe bestehender Konkurrenzverhältnisse eine rationale Aus­ richtung hoheitlichen Handelns in wirtschaftsgeprägten Regelungsberei­ chen ab6. Zwar entfaltet dieser verbindlich zu achtende Mindeststandard, den der EuGH über 20 GRCh in unmittelbarer Anwendung als zusätzli­ 1 Vgl. EuGH, Rs. C‑38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 24; Rs. C‑309/06, Marks & Spencer, Slg. 2008, I-2283 Rn 49. 2 Vgl. EuGH, Rs. C-38/16, Compass Contract Services, ECLI:EU:C:2017:454 Rn 24. 3 Siehe hierzu vorstehend IV.1.c)dd). 4 EuGH, Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753 Rn 8; Rs. C-344/04, IATA u.a., Slg. 2006, I‑403 Rn 96. 5 Hölscheidt, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Vor Titel III Rn 19. 6 Vgl. Graser, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 20 GRC Rn 1.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

che Referenz zur primärrechtlichen Geltung bringen müsste, gegenüber einem nur sekundärrechtlich verorteten Neutralitätsprinzip nur Eigendy­ namik, sollte das Gebot zu wettbewerbskonformer Auslegung speziell von Vergünstigungstatbeständen einmal nicht erfüllbar sein. Eine solche Konfliktsituation wusste der EuGH jedoch bislang in der ganz überwie­ genden Zahl der zur Entscheidung vorgebrachten Sachverhalte gezielt zu vermeiden. Dieser Weg liegt auch dem TNT-Urteil zugrunde, indem der Gerichtshof die umsatzsteuerliche Förderung der postalischen Grundver­ sorgung in Gestalt einer besonderen Verpflichtungsstellung auf die Gleichartigkeit der Umsätze hat durchschlagen lassen1. Sofern jedoch der Ausschluss einer (potenziellen) Konkurrenzsituation mit Blick auf die Substituierbarkeit von Ausgangsumsätzen nicht über­ zeugend begründbar ist oder aber das Institut der Auslegung an seine Grenzen stößt2, wird es entscheidend auf Gültigkeit der jeweiligen Vor­ schrift ankommen. Insofern offenbart der rein regelungsakzessorisch ­favorisierte Ansatz der Rechtsprechung markante Defizite, da die An­ nahme einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung von Sach­ verhalten einer gewissen Willkürlichkeit Preis gegeben wird. Der eigent­ lichen Vergleichsgruppenbildung vorgelagert sind zwei nicht unerhebliche Wertungsstufen, die zum einen in der Festlegung des Regelungsziels durch den Unionsgesetzgeber und zum zweiten in der dann noch erfor­ derlichen Norminterpretation durch den Rechtsanwender – vor allem die Gerichte – bestehen. Folglich eröffnet der regelungsakzessorische Ver­ gleichsmaßstab nicht zu unterschätzende Spielräume, um eine An­ wendbarkeit des Gleichheitssatzes mit einer sich daran anschließenden Fragmentierung des Umsatzsteuersystems gezielt auszuschließen. Eine folgerichtige Systembildung kann hingegen nur erreicht werden, wenn allgemeingültige Vergleichskriterien ohne eine dogmatisch unstimmige Vermischung zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsebene entwi­ ckelt werden3. Diese Kritik an einer im Gesetzeszweck verwurzelten Vergleichsgruppendogmatik offenbart das begehrenswerte Potenzial, mittels einer bedarfsge­rechten Anwendung von Art. 20 GRCh im Einzel­ fall unbequemen Fragestellungen bezüglich der Legitimität überkomme­ ner Mehrwertsteuervorschriften am Ende doch noch zu entgehen. 1 Vgl. EuGH, Rs. C‑357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 37. 2 Die Möglichkeit zur Ausweitung einer Befreiung ohne entsprechend klaren Wort­ laut abl. GA Sharpston, Rs. C-44/11, Deutsche Bank, ECLI:EU:C:2012:276 Rn 60; EuGH, Rs. C-44/11, Deutsche Bank, ECLI:EU:C:2012:484 Rn 45. Siehe zur Bindung selbst einer vertragskonformen Auslegung an den Wortlaut des Sekundärrechts Nettesheim, EuR 2006, 737 (751); für ein geringeres Gewicht des Wortlautarguments Martens, Methodenlehre, 2013, S. 373 ff. 3 Siehe auch Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 20 GRC Rn 21; Tridimas, EU Law, 2nd Edition, S. 79; Englisch, EuR 2009, 488 (494); Graser, in: EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 20 GRC Rn 4; Kirchhof, StuW 1984, 297 (300).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Ob und inwiefern sich der EuGH im Lichte einer solchermaßen aus­ geprägten Handhabung des Gleichheitssatzes von seiner bislang allzu unkritisch bezeugten Richtlinientreue lösen und harmonisierte Mehr­ wertsteuervorgaben einer gebotenen und bisweilen überfälligen Recht­ mäßigkeitsüberprüfung unterziehen wird, bleibt für die Zukunft abzu­ warten. Freilich dürfte dabei der weitere Fortbestand der aktuellen Richtlinienbestimmungen im Ergebnis wohl kaum einer ernsthaften Ge­ fährdung ausgesetzt sein, denn jedenfalls gesteht der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative zu und stutzt so seine eigene Kontrollfunktion in gut vertretbarer Weise zurück1. Abseits dieser auf der Rechtfertigungsebene angesiedelten Kontrollintensität kommt es aber entscheidend darauf an, dass sich der EuGH über den Ausgangsschritt der Vergleichsgruppenbildung den vorgelegten Frage­ stellungen in einer gleichheitsrelevanten Dimension zunächst einmal annimmt und dann auch gezwungen ist, überzeugende Gründe für eine (mögliche) Rechtfertigung fortbestehenden Sekundärrechts aufzuzeigen. Große Skepsis scheint diesbezüglich aber gerade hinsichtlich der Um­ satzsteuerbefreiung von Postdienstleistungen angebracht. Denn mit der gleichen Argumentation, mit welcher der EuGH seinerzeit einen sich aufdrängenden Konflikt mit dem Neutralitätsprinzip von vornherein zu entschärfen suchte, lässt sich ebenso einfach begründen, dass die Umsät­ ze nicht verpflichteter Anbieter unbeschadet am Markt bestehender Konkurrenzsituationen nicht gemäß Art. 20 GRCh zu einer Vergleichs­ gruppe mit Universaldiensten einer öffentlichen Posteinrichtung ver­ bunden werden dürfen, weil Letztere allein dem sekundärrechtlich veran­ lagten Ziel und Zweck einer Förderung der postalischen Grundversorgung im Gemeinwohlinteresse dienen. 2. Umsatzsteuerlicher Belastungsgrund aus Verbraucherperspektive Eine vollständige Beschreibung darüber, welche Begrenzungen Art. 20 GRCh im Verhältnis zu umsatzsteuerlichen Vergünstigungen impliziert, darf nicht abschließend auf die Ebene der Steuerschuldner ausgerichtet sein. Geboten ist vielmehr, auch der Charakteristik der harmonisier­ ten Mehrwertsteuer als allgemeiner Verbrauchsteuer besondere Auf­ merksamkeit zukommen zu lassen. Im Folgenden wird darzulegen sein, dass die isoliert integrationstheoretisch geprägte Betrachtungsweise der Rechtsprechung wesentliche Aspekte einer gleichheitsrechtlich ange­ zeigten Disziplinierung verschleiert. Eine gewisse Berücksichtigung der Verbraucherstellung bringt weiterhin zwar der regelungsakzessorisch ge­ wählte Vergleichsmaßstab der aktuellen Rechtsprechung mit sich, eine 1 EuGH, Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 54; zurückhaltend daher auch Dobratz, UR 2017, 399 (400).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

überzeugend gelingende Fortentwicklung des Gleichheitssatzes setzt da­ rüber hinausgehend jedoch voraus, dass der Belastungsgrund der Umsatz­ steuer in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird. a) Das Leistungsfähigkeitsprinzip als (umsatz)steuerlicher ­Gerechtigkeitsmaßstab Erklärte Destinatare sind im gemeinsamen Umsatzsteuersystem nicht die Unternehmer in ihrer Stellung als formale Steuerschuldner, sondern allein die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Endverbraucher auf der letzten Umsatzstufe1. Endgültiger Belastungsgrund des abschöpfenden Zugriffs bildet die Leistungsfähigkeit, wie sie anlässlich der für den Be­ zug bestimmter Umsätze am Markt getätigten Konsumauf­wendungen zum Ausdruck gelangt. Bei der allgemeinen Verbrauchsteuer handelt es sich nicht um eine verhaltenssteuernde Lenkungsabgabe, dient sie doch in erster Linie dem Ziel, ein fiskalisches Aufkommen zu generieren. Die von rechtlicher Warte aus gebotene Legitimität einer jeden Steuer darf unterdessen nicht allein dem konturenlosen Zweckideal des staatlichen Finanzbedarfs preisgegeben werden, sondern verlangt einen adäquaten Maßstab zugunsten gerechter Lastenverteilung. Als weltweit eta­blierte Gerechtigkeitsidee dominiert in der Steuerrechtswissenschaft für Fis­ kalzwecksteuern Disziplinen übergreifend das Leistungsfähigkeitsprin­ zip2. So wurde speziell in Deutschland erstmals gemäß Art. 134 Weimarer Reichsverfassung (WRV) verlautbart, alle Bürger tragen zur Finanzierung der öffentlichen Lasten im Verhältnis ihrer Mittel nach Maßgabe der Ge­ setze bei. Ein entsprechender Passus hat zwar nicht Eingang in das Grundgesetz gefunden, dennoch wird das Leistungsfähigkeitsprinzip heute als besondere Ausprägung von Art. 3 Abs. 1 GG3, bisweilen auch in Zusammenschau mit dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaats­ prinzip4, gemeinhin anerkannt. Als abgabenspezifische Übersetzung des allgemeinen Gleichheitssatzes verlangt eine leistungsgerechte Form der Besteuerung, dass die Verteilung der aufgebürdeten Finanzierungslasten 1 Dziadkowski, UR 2017, 416. 2 Tipke, StRO, Bd I, 2. Aufl., S. 479 ff; ders., StuW 1988, 262 (271); Hey, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 3 Rn 41; vergleichend zur Schweiz Waldhoff, Vorga­ ben für die Steuergesetzgebung, 1997, S. 313 ff; krit. zuletzt aber Gassner/Lang, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, 2000. 3 Siehe BVerfGE 26, 302 (310); 13, 331 (340); Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 3 Rn 40; Rau, Verfassungsdirigierte Prinzipien, 2007, S. 86 ff; Friauf, in: DStJG 12 (1989), S. 3 (27 ff); Walz, Steuergerechtigkeit, 1980, S. 155; zusätzlich unter Rekurs auf das Demokratieprinzip Reiß, in: DStJG 13 (1990), S. 3 (12); abl. dagegen Leisner, Der Gleichheitsstaat, 1980, S. 189 ff. 4 Jachmann, Grenzen der Besteuerung, 1996, S. 9 ff; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 163.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

am Maßstab der wirtschaftlichen Kapazität des einzelnen Steuerträgers ausgerichtet wird. In vergleichbarer Weise wird das Leistungsfähig­ keitsprinzip als verbindliches Leitprinzip auch in anderen EU-Mitglied­ staaten praktiziert oder sogar explizit durch das nationale Verfassungs­ recht abgesichert1. aa) Leistungsfähigkeitsgerechte Konsumbesteuerung Eine gesicherte Direktive liefert das Leistungsfähigkeitsprinzip für die gleichheitsgerechte Ausformung direkter Fiskalzwecksteuern. Seit jeher unterschiedlich bewertet wird im wissenschaftlichen Diskurs demge­ genüber seine Anwendbarkeit auf indirekt erhobene Steuern. Richtiger­ weise kann es dabei nicht um die Frage gehen, ob das Leistungsfähig­ keitsprinzip indirekte Steuern und damit namentlich die Umsatzsteuer überhaupt erfasst. Die Gesetzgebung ist vor allem in Steuerangelegen­ heiten an den verfassungsmäßigen Konsens des allgemeinen Gleich­ heitssatzes gebunden2, zugleich wird dieses konkretisierungsbedürftige Blankett durch den Verteilungsmaßstab der wirtschaftlichen Potenz als einem übergeordneten Bezugspunkt für die Vergleichsgruppenbildung mit universell geltendem Inhalt gefüllt3. Sinnvoller erscheinende und da­ mit zwingend vorzugswürdige Alternativen zum Leistungsfähigkeits­ prinzip sind bislang auch nicht erkennbar geworden4. Insbesondere das vornehmlich finanzwissenschaftlich postulierte Äquivalenzprinzip ver­ mag zwar einen Beitrag zur Rechtfertigung von Steuern dem Grunde nach zu leisten, mangels eines näher spezifizierbaren Bezugs zwischen Steuerbelastung und staatlicherseits bereitgestellten Leistungen statu­ iert es aber eben keine praktikable Verteilungsrelation5. Fällt demnach die indirekte Konsumbesteuerung in den gleichheitsrechtlich inspirier­ ten Geltungsbereich des Leistungsfähigkeitsprinzips6, bleibt allein offen,

1 Dazu Menner, Umsatzsteuerharmonisierung in der EG, 1992, S. 39 f; siehe auch Kube, UR 2013, 489; Hemels, in: Lang/Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (39). 2 Vgl. Vogel/Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, 1999, Rn 500; Isensee, StuW 1994, 3 (7). 3 Tipke, in: FS Zorn, 2007, S. 630 (637). 4 Matteotti, Steuergerechtigkeit und Rechtsfortbildung, 2007, S. 25. 5 Siehe Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 3 Rn 44; Tipke, StuW 1992, 103; für eine stärker am Äquivalenzprinzip orientierte Rechtfertigung der Umsatzsteuer Lang, in: FS Schaumburg, 2009, S. 45 (52); allein darauf abstellend Hemels, in: Lang/ Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (40 ff). 6 Tipke, StRO, Bd II, 2. Aufl., S. 979 ff; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 3 Rn 43; Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 14; Schwarz, USt in der Insolvenz, 2012, S. 11; Weber-Grellet, Steuern im Verfassungsstaat, 2001, S. 178; ähnlich Eiling, Einführung neuer Verbrauchsteuern, 2014, S. 142; ein­ schränkend Ohlendorf, Grundrechte, 2015, S. 232 ff.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

inwiefern diese besondere Besteuerungsform eine derart definierte Ver­ teilungsgerechtigkeit generell zu erfüllen geeignet ist. Gegen die Umsatzsteuer werden in puncto Lastengerechtigkeit zwei we­ sentliche Kritikpunkte vorgebracht. Einerseits können indirekte Ver­ brauchsteuern mit steigendem Einkommen eine regressive Wirkung ver­ zeichnen, sollte jeweils ein geringerer Anteil des Gesamteinkommens für den Konsum aufgewendet werden1. Zum anderen verhält sich die Umsatzsteuer inferior zu direkten Steuern, als die individuellen Verhält­ nisse gar nicht oder bestenfalls nur sehr eingeschränkt beachtet werden. Die indirekte Erhebungsform ist naturgemäß auf vergröbernde Pauscha­ lierungen und Typisierungen angewiesen2. Diese Gestaltung bleibt hin­ ter einem differenziert ausgewogenen System von Abzugstatbeständen und Freibeträgen weit zurück, wie sie im Rahmen der Einkommensteuer anzutreffen sind. Diese im Kern berechtigten Einwände erzwingen allerdings nicht, die Umsatzsteuer we­ gen Missachtung der Leistungsfähigkeit generell zu verwerfen3. Zuallererst bleibt festzuhal­ten, dass die Umsatzsteuer, eben­ so wie direkt erhobene Steuern auch, das Einkommen ihres Trägers zum Gegenstand hat4. Der wiederholte steuerliche Zugriff verlagert sich le­ diglich auf ein zeitlich späteres Stadium, denn das Einkommen wird nicht allein direkt im Moment des Erwerbs, sondern erneut infolge einer bestimmten Konsumentscheidung im Zeitpunkt der Verwendung indi­ rekt belastet. Steuerjuristisch betrachtet ist es im Ausgangspunkt nicht weiter zu beanstanden, aus der im entgelt­lich­en Bezug einer Ware oder sonstigen Leistung dokumentierten Zahlungsbereitschaft des Verbrau­ chers eine – wenn auch nur stilisiert – verfügbare Leistungsfähigkeit zu folgern5.

1 Zuletzt bestätigt durch RWI und Böhringer/Wiegard, Analyse der fiskalischen Auswir­kungen des ermäßigten Umsatzsteuersatzes, 2013, S. 5; vgl. ferner Hickel, in: FS Eißel, 2006, S. 151 (162); Bös/Genser, in: Albers u.a., HdWW, Bd 7, 1977, S. 421; a.A. Homburg, Allgemeine Steuerlehre, 7. Aufl., S. 139. 2 Siehe bereits Popitz, in: Gerloff/Meisel, HdB der Finanzwissenschaft, Bd 2, 1927, S. 180; weitergehend Neddermeyer, in: Erhard u.a., Betriebswirtschaftslehre, 1975, S. 564: Keine Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit. 3 A.A. im Hinblick auf eine mögliche Regression Sackofsky, NJW 2000, 2619 (2621). 4 Ausf. Jakob, USt, 4. Aufl., Rn 1; Kirchhof, DStR 2008, 1 ff; Tipke, UStR 1972, 2 ff. 5 Siehe auch Breinersdorfer, in: Kube u.a., Leitgedanken des Rechts, Bd I, 2013, § 184 Rn 1; Doralt/Ruppe/Ehrke-Rabel, Steuerrecht, Bd II, 7. Aufl., Rn 201; Seiler, Grund­ züge eines öffentlichen Familienrechts, 2008, S. 104; Tipke, in: FS Zorn, 2007, S. 630 (642); Streng, Zuschüsse und Subventionen, 1999, S. 165; Reiß, in: DStJG 13 (1990), S. 3 (13); Hahn, Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, 1984, S. 177; Walz, Steuergerech­ tigkeit, 1980, S. 165; krit. mit Blick auf die Umsatzsteuer aber Birk, in: Rose, Konsum­ orientierte Neuordnung, 1991, S. 351 (362).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Vor dem Hintergrund des einkommensakzessorischen Steuergegenstan­ des ist auch der zentrale Einwand einer Regression zu bewerten. Sowohl ihr Grad als auch der umsatzsteuerlich implizierte Umverteilungseffekt divergieren je nachdem, ob das peri­odisch bezogene oder aber das kon­ kret konsumierte Einkommen als gleichheitsrelevante Maßgröße einge­ setzt wird1. So fällt der Anteil der Gutverdiener am gesamten Umsatz­ steueraufkommen größer aus, sofern diese regelmäßig auch höherpreisige Güter mit linear steigender Umsatzsteuerlast beziehen. Auf den Anteil der Umsatzsteuerbelastung eines Haushalts an den Gesamtausgaben ab­ stellend, gelangte eine aktuell im Auftrag der Kommission erstellte Stu­ die zu dem Ergebnis, dass derzeit allein in Ungarn eine Regression zu verzeichnen sei2. Insofern scheint es auch nicht inkonsequent, dass die Umsatzsteuer allein auf tatsächlich verwendetes Einkommen, nicht aber auf die Sollkaufkraft des Verbrauchers abstellt3. Ferner bleibt die Um­ satzsteuererhebung selbst in Relation auf das bezogene Einkommen nicht zwingend auf eine Regression festgelegt. Das traditionell entworfe­ ne und in zahlreichen Umsatzsteuersystemen weltweit anzutreffende Gegenmittel bildet die Entlastung des lebensnotwendigen Bedarfs zu­ gunsten unterer Einkommensschichten, ferner kann durch eine gezielt höhere Besteuerung von Luxusgütern theoretisch sogar eine progressive Belastung eingeleitet werden4. Ein alternatives Modell bestünde in der Einführung spezieller Verbrauch­steuervergütungen für untere Einkom­ mensschichten5. Im Ergebnis kann die allgemeine Konsumbesteuerung durchaus am Maßstab der Leistungsfähigkeit gerechtfertigt werden. Eine hiervon strikt zu trennende Frage ist jedoch, ob auch die konkrete Ge­ stalt des europäischen Systems diese Vorgabe kohärent verwirklicht. bb) Bindung der sekundärrechtlichen Umsatzsteuerharmonisierung In Anbetracht der immensen Detailtiefe, welche die umsatzsteuerliche Harmonisierung seit Erlass der RL 77/388/EWG hinsichtlich der Be­ messungsgrundlage kennzeichnet, ist die kohärente Umsetzung einer leistungsgerechten Konsumbesteuerung freilich nur dann von program­ 1 Vgl. Pfarr, Einkommen, Mobilität und individuelle Präferenzen, 2013, S. 35 Fn 32; Carrera, Economic and Labour Market Review 4/3 (2010), S. 18 ff; Fullerton/Rogers, in: Bradford, Distributional Analysis, 1995, S. 262 (263); Poterba, American Econo­ mic Review 1989, 325. 2 TAXUD/2012/DE/323, S. 134 mwN; diff. auch Caspersen/Metcalf, National Tax Journal 1994, 731 ff. 3 Gegen eine abl. Haltung zum begünstigten Sparen Leipold, UR 2009, 584 (592). 4 Bach, DIW Wochenbericht 16/2011, 3 (5); Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (301 ff); Tipke, StuW 1992, 103 (117 f); restriktiv auch Brümmerhoff/Büttner, Finanzwissenschaft, 11. Aufl., S. 499. Eine Progression muss aber allenfalls im Gesamtsteuersystem realisiert werden, vgl. Tait, Value Added Tax, 1988, S. 214 f. 5 Vgl. etwa Frink, Der Ausschluss des Vorsteuerabzugs, 2002, S. 148 ff.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

matischer Relevanz, sofern dieses Prinzip außer der mitglied­staatlichen Steuerlegislative ebenso die Unionsgesetzgebung bindet. Analog zur deutschen Verfassungsinterpretation bietet das allgemeine Gleichbehand­ lungsgebot gemäß Art. 20 GRCh eine geeignete Projektionsfläche, um die realitätsgerechte Abbildung der wirtschaftlichen Einkommensver­ hältnisse als eine Erweiterung der steuerspezifischen Vergleichsgruppen­ bildung übertragen zu können1. Dass sich dieser Schritt nicht nur im Bereich des dogmatisch Zulässigen bewegt, sondern eine darüber hinaus­ weisende Notwendigkeit umreißt2, belegt der mitgliedstaatlich über­ kommene Verfassungsstatus zum Leistungsfähigkeitsprinzip3. Bereits vor Einleitung der ersten Schritte in Richtung ihrer systemati­ schen Angleichung zählte die Umsatzsteuer in den Gründungsstaaten der EWG zum festen Bestand etablierter Einnahmequellen. Dieser Be­ fund gebietet zunächst die Einsicht, dass diese Form der Konsumbesteu­ erung offensichtlich als leistungsfähigkeitsgerecht eingestuft wurde und die akzessorische Harmonisierung indirekter Steuern keinen systema­ tischen Verfassungsbruch auf nationaler Ebene abnötigte. Reflexiv muss dieser Standard unterdessen auch für den Erlass sekundärrechtlicher Umsatzsteuernormen konsequent zur Geltung gebracht werden, weil eine Diskrepanz in elementaren Fragen der steuerlichen Lastengleichheit eine nicht hinzunehmende Unterschreitung des mitgliedstaatlich ver­ bürgten Verfassungsniveaus bedeutete. Speziell aus der Perspektive des Grundgesetzes drohte der unabdingbare Standard aus Art. 3 Abs. 1 GG abzusinken, was wiederum einen eklatanten Konflikt iSd Solange-II-­ Rechtsprechung provozierte4. Die primärrechtliche Bindung an das Leis­ tungsfähigkeitsprinzip wird schließlich durch die Konkordanzklausel des Art. 52 Abs. 4 GRCh konditioniert5. Als Ausfluss der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen wurde der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 20 GRCh festgeschrieben. Zu dessen auslegungsleitenden Bestand­ teilen ist der steuerspezifische Gerechtigkeitsappel einer die wirtschaft­ liche Kapazität berücksichtigenden Lastenverteilung unabhängig davon 1 Siehe Ohlendorf, Grundrechte, 2015, S. 239 ff; Seiler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, 60. Lfg., Art. 113 AEUV, Rn 24; Eiling, Einführung neuer Verbrauchsteuern, 2014, S. 170; Heidemann, Finanzdienstleistungen, 2008, S. 137; Lang/Englisch, in: Amatucci, Inter­national Tax Law, 2006, S. 251 (269); Frick, Steuervergünstigungen, 1994, S. 39 f; Elicker, DStZ 2011, 162 (168); offen auch Hey, StuW 2005, 317 (325); zusätzlich auf die Grundfreiheiten abstellend Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 64; Schaumburg, in: FS Reiß, 2008, S. 25 (28); a.A. Bauer, Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, 2011, S. 159. 2 Abw. Engler, Steuerverfassungsrecht, 2014, S. 273 f. 3 So auch Menner, Umsatzsteuerharmonisierung in der EG, 1992, S. 44; Höppner, EuR 1977, 122 (125 f); a.A. wohl Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 371. 4 Menner, Umsatzsteuerharmonisierung in der EG, 1992, S. 42 f. 5 Diese Bestimmung soll ein hohes Schutzniveau gewährleisten, dazu Lenaerts, EuR 2012, 3 (15).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

zu zählen, ob sich diese Konkretisierung unmittelbar aus dem Gleich­ heitssatz extrahiert oder gesondert im nationalen Verfassungstext veran­ kert findet. Auch wenn präzisierende Ausführungen des EuGH zu Gel­ tung und inhaltlicher Reichweite des Leistungsfähigkeitsprinzips im supranationalen Kontext bislang fehlen mögen, bleibt zu resümieren, dass der Transfer zentraler Entscheidungsmacht in Umsatzsteuerangele­ genheiten auf die Unionsorgane keinesfalls isoliert vonstattengehen darf. Als Kehrseite überbringt dieser Prozess vielmehr in gleichem Maße die besondere Verantwortung für eine prinzipiengerechte Ausgestaltung der vorrangigen Regularien im Sekundärrecht1. b) Gebot zu gleichheitskonformer Kaufkraftbelastung Das Leistungsfähigkeitsprinzip verkörpert den verbindlichen Maßstab einer gleichheitsgerechten Steuerbelastung und ist wegen seiner relati­ ven Natur auf eine einfachgesetzliche Konkretisierung angewiesen. Die­ se ergibt sich im Geltungsbereich der Umsatzsteuer aus der systematisch angelegten Stellung der Endverbraucher als avisierte Destinatare. In kon­ sequenter und damit folgerichtiger Umsetzung der Verbrauchsteuertypo­ logie muss gewährleistet sein, dass grundsätzlich sämtliche aus dem Ein­ kommen für konsumtive Zwecke gespeiste Verwendungen in relativ gleicher Höhe der intendierten Belastungswirkung unterworfen werden2. Vor dem Hintergrund der indirekten Erhebungsform gilt es dabei freilich zwei wesentliche Einschränkungen zu beachten. Einerseits kann die preisliche Überwälzung der in persona des leistenden Unternehmers anknüpfenden Steuerschuld keiner definitiven Konsum­ belastung gleichgesetzt werden. Ausreichend ist daher, dass eine der Ver­ brauchsteuercharakteristik immanente Wahrscheinlichkeit für die ge­ lungene Überwälzung infolge einer systemadäquaten Ausformung der wettbewerbsneutralen Funktionsparameter besteht. Andererseits ver­ mag die Umsatzsteuer angesichts ihres technischen Zugriffs auf Verkehrs­ akte die individuelle Leistungsfähigkeit nicht differenziert abzubilden, sondern erfasst die Steuerträger in der Anonymität des Marktes3. Der pauschale Rückschluss von äußerer Zahlungsbereitschaft auf einen steu­ erwürdigen Sachverhalt hat zur Konsequenz, dass die Korrektivfunktion des Leistungsfähigkeitsprinzips im Rahmen der Umsatzsteuer anders als bei direkten Steuern verhältnismäßig schwach ausgeprägt ist. Struk­ turell erschöpft sich die Forderung nach lastengerechter Konsumbesteu­ erung daher weitgehend in einer folgerichtigen Verwirklichung des aus­ gewählten Belastungsgrundes auf Verbraucherebene, sofern innerhalb 1 Vgl. auch mit Blick auf die Lastengerechtigkeit Kube, UR 2013, 489 (490). 2 Im Erg. auch McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 63. 3 Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch, 2011, § 3 Rn 28; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdB StR, Bd V, 3. Aufl., § 118 Rn 241; Wernsmann, Verhaltenslenkung, 2005, S. 284.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

modellhaft indizierter Leistungsfähigkeit keine tiefergehende Differen­ zierung mit Blick auf die konkreten Einkommensverhältnisse mehr ge­ boten ist. In der umsatzsteuerlichen Dialektik gebietet das Leistungsfähigkeits­ prinzip also zuvörderst die gleichmäßige Belastung des privaten Kon­ sums1. Der verkehrsteuerlichen Erhebungstechnik ist es geschuldet, dass diese durch Art. 20 GRCh überbrachte Zielsetzung allein über eine mög­ lichst lückenlos sowie regelkonform disziplinierte Besteuerung unter­ nehmerischer Ausgangsumsätze erreicht werden kann. Hieran anknüp­ fende Steuervergünstigungen sowohl in Form von Befreiungstatbeständen als auch tarifären Ermäßigungen provozieren demgegenüber eine Un­ gleichheit im Belastungserfolg hinsichtlich solcher Aufwendungen, die der Vergleichsgruppe eines die Leistungsfähigkeit indizierenden Kon­ sums unterfallen und deshalb identischen Überwälzungsparametern aus­ gesetzt sein müssten. Auf Verbraucherebene implizieren Umsatzsteuervergünstigungen aus Sicht der Steuerträger folglich eine prinzipielle Durchbrechung der hori­ zontalen Steuergleichheit, die durch eine legitime Zielsetzung unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein muss2. Allein aus der mit einer bestimmten Umsatzart erfüllten Zweck­setzung, die zum Gegenstand gesetzlich ausdifferenzierter Belastungsminderungen aufge­ griffen wird, leitet sich demnach gerade kein allgemeingültiges Differen­ zierungsmerkmal hinsichtlich der als steuerwürdig indizierten Kaufkraft ab3. Stattdessen vermittelt die Befriedigung spezifischer Bedürfnisse ge­ meinhin nur die zulässige Anknüpfung, um ein politisch thematisiertes Gestaltungsziel zu verfolgen. Wird daher ex­emplarisch der Theater- oder Museumsbesuch als kulturell förderungswürdige Leistung eingestuft und steuerlich begünstigt, bringt der Ticketerwerb trotz fehlenden Wettbe­ werbs in gleicher Weise Leistungsfähigkeit zum Vorschein wie der profa­ ne Eintritt in eine Diskothek gegen Entgelt. Konsummäßig indizierte Leistungsfähigkeit bleibt somit grundsätzlich einer induktiven Differen­ zierung anhand subjektiver Verbraucherpräferenzen entzogen4. Ohne das Erfordernis einer gesonderten Rechtfertigung können hingegen nur solche Aufwendungen aus dem umsatzsteuerlichen Belastungsgrund ausgeschie­ den werden, deren Tätigung nicht in typisierender Weise (relevante) Leis­ 1 Siehe auch Hemels, in: Lang/Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (40); Löhr, Optionsrecht, 2003, S. 269; Tipke, StuW 1992, 103 (105); ebenso Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (57). 2 Vgl. Ismer/Kaul/Reiß/Rath, Analyse und Bewertung, 2010, S. 29; Hey, StuW 2005, 317 (320). 3 Unzutreffend Zirkl, Neutralität, 2015, S. 168, 175 ff, wonach gleichartige Konsumleis­tungen gleichsam als Spiegel der Wettbewerbssituation auf Unterneh­ merseite die Referenz für Art. 20 GRCh abbilden sollen. 4 Im Erg. ebenso Frink, Der Ausschluss des Vorsteuerabzugs, 2002, S. 65 ff.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

tungsfähigkeit vermuten lässt und aus diesem Grunde aus der verbrau­ cherspezifisch deduzierten Vergleichsgruppe herausfallen. Diese mögliche Ausnahme gilt es nachfolgend im Hinblick auf existenznotwendige Wirt­ schaftsgüter sowie illegale Geschäftspraktiken zu diskutieren1. aa) Steuerliche Verschonung existenzieller Bedürfnisbefriedigung In Umsetzung einer gleichheitskonform mittels Überwälzung reali­sierten Konsumbelastung bedingt das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verbund mit der Folgerichtigkeit zunächst eine allgemein ausgreifende Umsatzsteu­ ercharakteristik, die sich in der prinzipiell gebotenen Erfassung sämtli­ cher gegen Entgelt erbrachter Unternehmerleis­tungen niederschlägt. Re­ lative Unterschiede in den Einkommensverhältnissen der Verbraucher werden infolge des verkehrsteuerlich inspirierten Systemansatzes unwei­ gerlich eingeebnet mit der Folge, dass gewisse Vergröberungen tolerabel sind. Gleichwohl kann das Leistungsfähigkeitsprinzip dem umsatzsteuer­ lichen Zugriff Grenzen aufzeigen, sofern Aufwendungen für unverzicht­ bare Zwecke des Grundbedarfs getätigt werden. Ob und auf welche Weise eine Verschonung des Existenzminimums im unmittelbaren Kontext der Umsatzsteuer geboten ist, soll nachfolgend in zwei Schritten vergleichs­ weise untersucht werden. Als Erstes wird die Rechtslage aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts beleuchtet (1), um anschließend anhand be­ stehender Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Unionsrecht mögli­ che Folgerungen für die Harmonisierung ableiten zu können (2). 1) Grundgesetzlicher Schutz des soziokulturellen Existenzminimums Aus der Zusammenschau von Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip leitet sich gemäß Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 GG die staatliche Verpflich­ tung gegenüber dem bedürftigen Individuum ab, das soziokulturelle Existenzminimum zu garantieren2. Über die bloße Sicherstellung der physischen Existenz hinaus (z.B. Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Ge­ sundheit) müssen ebenso die Voraussetzungen für eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben subsidiär mittels monetärer Trans­ ferleistungen geschaffen werden3. Vorrangig steuerlich zu verschonen sind unterdessen eigenverantwortlich erwirtschaftete Mittel, soweit die­ se zur Bestreitung eines menschenwürdigen Daseins einschließlich etwai­ ger Unterhaltspflichten aufgewendet werden müssen. Die abwehrrecht­ liche Steuerverschonung erfährt zusätzlich eine gleichheitsrechtliche 1 Nicht weiter berücksichtigt werden hingegen Befreiungen von deklaratorischem Wert, die Umsätze ohne Zusammenhang mit einem steuerwürdigen Verbraucher­ konsum erfassen, siehe hierzu Teil 2 B.II.1. 2 Grundlegend zur Anerkennung als Leistungsanspruch BVerfGE 125, 175 ff; dazu ­Muckel, JA 2010, 476 (477). 3 Mätzig, RUB RR 1/2010, 47 (50).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Dimension, indem das Leistungsfähigkeitsprinzip die Sozialpflicht des Einzelnen zur Finanzierung des Gemeinwesens auf das disponible Ein­ kommen reduziert1. Einzelne Grundbestandteile des soziokulturellen Leistungsniveaus samt deren geldwerter Anrechnung ergeben sich der­ zeit aus der gesetzlichen Konkretisierung der Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe der §§ 27 bis 29 SGB XII iVm dem Regelbedarfs-Ermitt­ lungsgesetz (RBEG)2. Dieses sozialrechtlich definierte Existenzminimum korrespondiert zugleich mit dem Mindestmaß der steuerlich zu gewäh­ renden Verschonung3, mit anderen Worten darf also der Staat nicht durch Abgabenlasten entziehen, was er postwendend positivrechtlich zur Ver­ fügung stellen müsste4. Aktuell findet sich das verfassungsfeste Gebot zur existenziellen Steuer­ verschonung vornehmlich im Einkommensteuerrecht verwirklicht. Durch den Grundfreibetrag5, welcher den statistisch gemittelten Durch­ schnittsverbrauch für einen angemessenen Lebensbedarf umfasst, sowie ergänzende Abzüge von der Bemessungsgrundlage als Ausdruck des sub­ jektiven Nettoprinzips wird das steuerliche Existenzminimum individu­ ell konkretisiert. Stark umstritten ist allerdings nach wie vor, welchen An­forderungen das Umsatzsteuerrecht im Hinblick auf die grundversor­ gungsadäquate Einkommensverwendung idealiter genügen muss. Ausge­ hend vom universell bindenden Gerechtigkeitsauftrag des Leistungsfä­ higkeitsprinzips wird mitunter eine zwischen einzelnen Steuerarten differenzierende Umsetzung der sozialrechtsakzes­sorischen Freistellung abgelehnt; die Berücksichtigung existenzieller Konsumaufwendungen sei unmittelbar im Binnensystem der Umsatzsteuer zu bewerkstelligen6. Zur konkreten Umsetzung dieser internen Lösung bieten sich steuer­ technisch zwei Wege an. Denkbar ist zunächst die Einführung eines Rückvergütungssystems, um die auf existenziellen Ausgaben durch­ schnittlich ruhende Umsatzsteuer pauschalierend zu kompensieren7. 1 Vgl. Löhr, Optionsrecht, 2003, S. 224; Walz, Steuergerechtigkeit, 1980, S. 161; Reiß, DStJG 13 (1990), S. 3 (12). 2 Existenziell sind gemäß § 5 RBEG z.B. Nahrung, Bekleidung und Schuhe, Wohnen, Energie, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Nachrichtenübermittlung sowie Freizeit, Unterhaltung und Kultur. 3 BVerfGE 87, 153 (169 f). 4 Siehe zur Berechnung der Steuerverschonung zuletzt 10. Existenzminimumsbericht des BMF v. 28.01.2015. 5 Ab dem Veranlagungszeitraum 2016 beträgt dieser gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 8.652 EUR. 6 So Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes, 2014, S. 254 ff; Schemmel, Entlastung lebensnotwendiger Ausgaben, 2009; Birk, in: Rose, Konsum­ orientierte Neuordnung, 1991, S. 351 (362); Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 111; Ossenbühl, Die gerechte Steuerlast, 1972, S. 134; Englisch, UR 2010, 400 (404); Bach, StuW 1991, 116 (128 f). 7 Dafür Lang, in: FS Kruse, 2001, S. 313 (324); ders., StuW 1990, 107 (126); offen für ein sog. „Bürgergeld“ auch Bach, DIW Wochenbericht 16/2011, 3 (8).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Ein solches System wurde bereits im Kern nach Maßgabe von § 14 UStG 1919 kurzzeitig praktiziert, sehr kurzfristig aber wieder verworfen. Lehnt man diesen Ansatz einer „negative tax“ als zu aufwendig und un­ flexibel ab1, bleibt alternativ die Möglichkeit, direkt an grundbedarfsrele­ vante Güter mittels umsatzsteuerlicher Vergünstigungen anzuknüpfen. Eine völlige Extraktion des Existenzminimums aus der Bemessungs­ grundlage lässt sich dann freilich nur erreichen, wenn echte Befreiungs­ tatbestände respektive Nullsätze unter Zulassung des Vorsteuerabzugs implementiert werden2. Der Verschonungsweg über umsatzsteuerliche Vergün­sti­gungen begegnet jedoch in zweifacher Hinsicht Bedenken. Um­ satzsteuersystematisch bereitet die indirekte Erhebungsform nicht gänz­ lich ausräumbare Schwierigkeiten. Diese liegen nicht primär in der feh­ lenden Individualisierung der Steuerträger begründet, obwohl Befreiungen sämtlichen Verbrauchern und damit auch den Beziehern höherer Ein­ kommen zugutekommen. Ein solcher Einwand steht auch nicht dem einkommensteuerlichen Grundfreibetrag sowie den subjektiven Ab­ zugstatbeständen im Übrigen entgegen, so dass auch die existenzielle Verschonung im Umsatzsteuerrecht ungeachtet der absoluten Einkom­ mensverhältnisse gewährt werden könnte3. Problematisch ist aber in der Tat, dass sich die indirekte Verbrauchsteuer nur begrenzt für umvertei­ lungspolitische Zwecke eignet4. So steigt der begünstigende Effekt einer Befreiung oder Tarifermäßigung mit wachsendem Konsum linear an mit der Folge, dass Ungerechtigkeiten innerhalb eines proportionalen Entlas­ tungserfolgs drohen5. Zu vermeiden gilt es insbesondere, dass eine die Grundbedürfnisse bei Weitem übersteigende Lebensweise auf Kosten der Allgemeinheit durch Mitnahmeeffekte alimentiert wird. Lassen sich dem Grunde nach die sozialrechtlich als Existenzminimum vordefinier­ ten Güter noch relativ exakt bestimmen, drohen innerhalb entsprechen­ der Kategorien detailbefrachtete Abgrenzungsfragen nicht nur bezüglich der Angemessenheit einzelner Umsätze6, sondern gleichfalls der Höhe darauf entfallender Aufwendungen7.

1 Vgl. zu den Gründen der Abschaffung Popitz, Umsatz- und Luxussteuerrecht, 1920, S. 11; abl. auch Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes, 2014, S. 288 f; Reiß, in: DStJG 32 (2009), S. 9 (13); Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., Einf. Rn 440. 2 Offen für entspr. Reformüberlegungen KOM (2007) 380 v. 05.07.2007, S. 13. 3 Insoweit offen auch Tipke, StRO, Bd II, 2. Aufl., S. 1003 f. 4 Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 365; TAXUD/2012/ DE/323, S. 22; BMF, BT-Drucks. 2/1924 v. 06.12.1955, S. 19. 5 Statt vieler Eggert/Krieger/Stöwhase, Wirtschaftsdienst 2010, 742 (745); Leipold, UR 2009, 584 (589 f); 6 Vgl. z.B. die Ausnahme für Luxuslebensmittel gemäß § 12 Abs. 2 iVm Anlage 2 Nr. 3 und 28 UStG. 7 Zipfel, Mehrwertsteuer, ermäßigter Satz und Befreiungen, 2009, S. 7.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

Vor dem Hintergrund dieser unpräzisen Wirkungsweise wird zu Recht gefordert, den gebotenen Ausgleich systemübergreifend im Rahmen der direkten Einkommensbesteuerung sowie subsidiär im System der sozia­ len Sicherung zu installieren1. Dieser sehr praktikable Ansatz steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, das dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit bei der technischen Ausformung der Existenzbe­ rücksichtigung zugesteht und die Berechnung von Grundfreibetrag wie Transferleistungen anhand der Bruttomarktpreise genügen lässt2. Dessen ungeachtet trägt der sozial- und einkommensteuerrechtlich fundierte Kompensationsmechanismus nicht zuletzt den unabdingbaren Vorgaben des Unionsrechts Rechnung, die sich als die entscheidende Restriktion gegenüber einem rein umsatzsteuerintern realisierten Existenzschutz er­ weisen. Abgesehen von einzelnen Übergangsrechten, die zur Fortführung der Nullsatzbesteuerung bestehen3, sind die Mitgliedstaaten für inner­ staatliche Umsätze an einen abschließenden Katalog unechter Befreiun­ gen gebunden. Dieser umfasst mit Art. 132 Abs. 1 lit. b), c) und e), Art. 135 Abs. 1 lit. l) MwStSystRL nur begrenzte Ausschnitte von grundversor­ gungsrelevanten Leistungsbereichen und ist mit den hohen Sozialstan­ dards grundgesetzlicher Prägung inkompatibel. Wesentliche Spielräume verbleiben den Mitgliedstaaten allein noch im Bereich der optional um­ setzbaren Steuersatzreduzierungen (Art. 98 ff iVm Anhang III MwSt­ SystRL), so dass innerhalb dieser bewusst fragmentarisch gehaltenen Harmonisierung die nationalen Grundrechte als Prüfungsmaßstab für die nationale Gesetzgebung wiederaufleben. Befürworter einer originär umsatzsteuerlichen Existenzverschonung for­ dern daher gerade im Bereich zulässiger Steuersatzdifferenzierungen dazu auf, die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten in Konformität mit den grundgesetzlichen Wertungen voll auszuschöpfen, was für Deutsch­ land sowohl die Nutzung eines zweiten ermäßigten Mindestsatzes von minimal 5 % sowie dessen Erstreckung auf zusätzliche Güterkategorien zur Folge haben soll4. Sollte sich der deutsche Gesetzgeber zu einem sol­ chen Schritt trotz der seit Längerem schwelenden Überlegungen zu einer 1 Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 353; Streng, Zuschüsse und Subventionen, 1999, S. 106 f; Kirchhof, FR 2012, 701 (703); Tipke, in FS Reiß, 2008, S. 9 (16); Reiß, in: DStJG 32 (2009), S. 9 (13); BRH, Bericht über den ermäßigten USt-Satz, 2010, S. 6; diff. für neue indirekte Steuern Eiling, Verbrauchsteuern, 2014, S. 140 f. 2 Siehe BVerfGE 87, 153 (173 ff); Weber, UR 2011, 886 (893); a.A. Englisch, UR 2011, 402 (405 f). Fraglich ist aber, ob entgegen diesem „verbrauchsbezogenen“ Ansatz der Grundfreibetrag nicht so weit angehoben werden muss, dass die effektive Einkom­ mensteuerentlastung der Umsatzsteuerbelastung entspricht, vgl. Stadie, in: Rau/ Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., Einf. Rn 441; Leipold, UR 2009, 584 (588). 3 Vgl. Titel VIII Kapitel 4 MwStSystRL. 4 Mit jeweils abw. Folgerungen Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähigkeits­ grundsatzes, 2014, S. 256; Englisch, UR 2010, 400 ff; ders., UR 2011, 401 (404 ff); Schemmel, Entlastung lebensnotwendiger Ausgaben, 2009; a.A. Leipold, UR 2009,

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

Flurbereinigung der reduzierten Sätze gemäß § 12 Abs. 2 UStG tatsäch­ lich durchringen1, ermöglichte dieses Vorgehen lediglich eine verringerte Belastung für eine begrenzte Auswahl an existenziellen Konsumbedürf­ nissen. Zu konstatieren bleibt, dass die relativ strikten Vorgaben des vor­ rangigen Sekundärrechts derzeit eine perfektionierte Freistellung des Existenzminimums innerhalb des gemeinsamen Mehrwertsteuersys­ tems nicht zulassen. Sowohl das nationale Einkommensteuerrecht als auch soziale Transferlei­­­s­tungen übernehmen in diesem Kontext eine un­ verzichtbare Komplementärfunktion zum Schutze des Grundrechtsstan­ dards2. 2) Gleichheitsrechtlich induzierte Existenzverschonung auf ­Unionsebene Umsatzsteuerintern kann eine Verschonung sozioexistenzieller Aufwen­ dungen nach dem derzeitigen Sekundärrechtsstand nur annäherungswei­ se auf nationaler Ebene realisiert werden. Gerade in Anbetracht der aufge­ zeigten Diskrepanz zu den hochent­wickelten deutschen Sozialstandards bedarf der Klärung, ob die inferiore Schonung des Existenz­minimums, wie sie durch vereinzelte unechte Befreiungen und Steuersatzreduzierun­ gen auf maximal 5 % geprägt wird, den primärrechtlich instruierten An­ forderungen an die Harmonisierung iSv Art. 113 AEUV genügt. (aa) Disponible Bedürfnisbefriedigung als verbrauchsteuerteleologische Bezugsgröße Im Ausgangspunkt ist zunächst fraglich, ob der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Harmonisierung indirekter Steuern überhaupt einem primä­ ren Gebot zur Berücksichtigung des wirtschaftlichen Existenzminimums unterliegt. Bisweilen wird eine solche Bindung kategorisch mit dem Ar­ gument abgelehnt, das Unionsrecht verfüge nicht über dem grundgesetz­ lichen Sozialstaatsprinzip vergleichbare Wertmaßstäbe3. Diese Einschät­ zung mag insofern zutreffen, als die Entwicklung sozialer Standards noch nicht weit vorangeschritten ist und insbesondere ein gemeineuropäischer Katalog von ex­­istenzrelevanten Leistungen im Bereich des Steuerrechts bislang noch aussteht. Dieses Faktum lässt sich durch die ambivalente Kompetenzordnung innerhalb des Abgabenrechts erklären, denn eine 584 ff; Weber, UR 2011, 886 ff; ders., DB 2007, 1997 ff; diff. Bach, DIW Wochenbe­ richt 16/2011, 3 ff. 1 Vgl. zuletzt Ismer/Kaul/Reiß/Rath, Analyse und Bewertung, 2010. 2 Dies gilt umsomehr, als bestimmte sozioexistenzielle Aufwendungen wegen erhe­ bungstechnischer Abgrenzungsprobleme von einer Ermäßigung ausgenommen sein dürfen, vgl. Englisch, UR 2000, 400 (406 ff). 3 So Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 64 f; abl. wohl auch Jochum, Steuerver­ günstigung, 2006, S. 371.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

umfassende Rechtssetzungsbefugnis existiert bekanntlich allein für den Bereich indirekter Steuern und damit ohne Blick auf das belastungsaus­ lösende Gesamtgefüge. Entsprechend hat der EuGH das zureichende Po­ tenzial, welches das Vertragsrecht jedenfalls augenscheinlich seit der ­Lissabonner Reform für eine Weiterentwicklung gerade auch im steuer­ rechtlichen Kontext bietet, noch nicht genutzt. In klarer Analogie zur grundgesetzlichen Tradition stellt Art. 1 GRCh die unantastbare Würde des Menschen als elementares Prinzip voran1. Darüber hinaus statuiert Titel IV unter dem Topos „Solidarität“ konkretisierungsbedürftige Pro­ grammsätze anlehnend an die Europäische Sozialcharta, nach denen sich die EU u.a. verpflichtet, die Familie rechtlich, wirtschaftlich wie sozial zu schützen (Art. 33 GRCh), eine soziale Unter­stützung für ein menschen­ würdiges Dasein einschließlich Wohnung zu achten und anzuerkennen (Art. 34 Abs. 3 GRCh)2 sowie ein hohes Gesundheitsschutzniveau im Rahmen aller Maßnahmen sicherzustellen (Art. 35 Satz 2 GRCh). Ange­ sichts ­dieses breit gefächerten Kanons erscheint es vergleichend zur nati­ onalen Perspektive keineswegs ausgeschlossen, das über den allgemeinen Gleichheitssatz vermittelte Leistungsfähigkeitsprinzip um sozialpoliti­ sche O ­ ptimierungsgebote inhaltlich zu bereichern und so die mitunter facettenreiche Begründungsvielfalt zum Gebot einer Existenzverscho­ nung adäquat widerzuspiegeln3. Eine Exegese der nationalen Verfassungs­ ordnungen bringt ebenso zum Vorschein, dass ein genereller Anspruch auf ein menschenwürdiges Dasein zum überlieferten Allgemeingut gehört4. Bleibt die präzise Ausarbeitung sozialrechtlicher Einschläge für die Zu­ kunft abzuwarten, findet sich die Steuerfreiheit des Existenzminimums in einem Kernbereich gleichwohl bereits in Art. 20 GRCh angelegt. Als steuerspezifischer Gerechtigkeitsmaßstab begrenzt das Leistungsfähig­ keitsprinzip die Auferlegung allgemeinverantwortlicher Finanzierungs­ lasten auf die frei verfügbaren Einkommensbestandteile. Die entschei­ dende Grenze, ab der ein steuerwürdiger Sachverhalt vorliegt, markiert folglich erst der Genuss des Entbehrlichen. Im Rahmen der direkten Ein­ 1 Jacqué, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 2 EUV Rn 3. Für einen An­ spruch auf Absicherung des menschenwürdigen Daseins Ruffert, in: Calliess/Ruf­ fert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 36 GRCh Rn 15; Nettesheim, EuZW 1995, 106 (108). 2 Ob das enge Verständnis einer rein objektiv-rechtlichen Garantie Bestand haben wird, bezweifelt unter Hinweis auf Art. 1 GRCh bereits Rudolf, in: Meyer, GRC. 4. Aufl. Art. 36 Rn 20. 3 Eine Konsensfähigkeit der Steuerfreiheit des Existenzminimums attestierend Hey, StuW 2005, 317 (325); für ein subjektives Nettoprinzip im Unionsrecht Ohlendorf, Grundrechte, 2015, S. 244; skeptisch dagegen Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2009, S. 69 f. 4 Rudolf, in: Meyer, GRC, 4. Aufl., Art. 34 Rn 5 f; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. Art. 34 GRC Rn 4. Einen durch Art. 1 GRCh verbürgten Schutz- und Leis­ tungsanspruch zur Sicherung elementarer Lebensgrundlagen annehmend Höfling/ Kempny, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 1 Rn 22 mwN.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

kommensteuer kann der für unabweisbare Lebensbedürfnisse reservierte Freibetrag von der Belastung ausgenommen sein, während im Übrigen der staatliche Zugriff auf einer durch erworbene Einkünfte vermittelten Konsumleistungsfähigkeit des Schuldners basiert1. Von diesem Ansatz unterscheidet sich die Umsatzsteuer allein durch ihre indirekte Er­ hebungstechnik, die konsumtive Leistungsfähigkeit anlässlich entgelt­ licher Austauschgeschäfte vergröbernd erschließt. Indem erst kon­ kret ­getätigte Erwerbsvorgänge anstelle des hierzu latent vorhandenen Po­ tenzials belastungsauslösend wirken, manifestiert sich eine dispo­ nible Einkommensverwendung aus Verbrauchersicht aufgrund freiwilli­ ger Konsumentscheidungen. Allgemein gerinnt wirtschaftliche und mithin steuerbare Leistungsfähigkeit in der Disponibilität des erworbe­ nen oder zu einem späteren Zeitpunkt verausgabten Einkommens, so dass konkret im Geltungsbereich der Umsatzsteuer unausweichlich ge­ tätigte Aufwendungen keine Steuerwürdigkeit indizieren2. Zwingende Aufwendungen darf der Gesetzgeber mithin ohne gesonder­ ten Rechtfertigungszwang umsatzsteuerlich günstiger stellen, da sie aus der doktrinären Vergleichsgruppe einer Leistungsfähigkeit dokumen­ tierenden Einkommensverwendung herausfallen und ihre rechtlich ab­ weichende Behandlung keinen gleichheitswidrigen Zustand begründet3. Weiterführend schafft das Axiom des Gleichheitssatzes aber nicht nur die Bedingungen für eine zulässige Steuerverschonung, sondern erzeugt verfassungsmäßigen Druck hin zu einer verhältnismäßigen Differenzie­ rung unter der Prämisse, dass wesentlich Ungleiches nicht ohne Sach­ grund rechtlich gleich behandelt werden darf. Ergänzend lässt sich diese grundlegende Feststellung auch äquivalenz­ theoretisch fundieren, erblickt man in der Umsatzsteuer eine angemes­ sene Bedingung staatlicherseits dafür, dass geldwerte Konsumleistungs­ fähigkeit erst durch eine rechtlich flankierte Marktordnung mit der Möglichkeit zu bindenden Vertragsabschlüssen etabliert wird4. Demnach zieht der Verbraucher einen adäquaten Nutzen, sofern er die allgemein verfügbare Infrastruktur in Gestalt freiwilliger Marktteilhabe gebraucht5. Komplementär beschränkt dieser Rechtfertigungsansatz den umsatz­ steuerlichen Zugriff auf willen­tliche Konsumentscheidungen, während zwingende Aufwendungen zur Deckung des existenziellen Bedarfs hier­ 1 Lang, in: FS Kruse, 2001, S. 313 (332). 2 In diesem Sinne auch Schemmel, Entlastung lebensnotwendiger Ausgaben, 2009, S. 48; ders., StuW 1993, 70 (84); Reiß, in: DStJG 32 (2009), S. 9 (47); Lehner, Einkom­ mensteuerrecht, 1993, S. 361 f; Kirchhof, StuW 1984, 297 (312). 3 Siehe auch Jachmann, StuW 1998, 293 (294). 4 In diesem Sinne Hemels, in: Lang/Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (40). 5 Vgl. Lang, in: FS Schaumburg, 2009, S. 45 (52); Kirchhof, UR 2002, 541 (543).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

von ausgenommen bleiben müssen1. Unter dem Aspekt steuerlicher Ver­ schonung begegnet das Theorem der Marktteilhabe auch nicht dem Ein­ wand, es fehle für eine gerechte Lastenverteilung an einer zwangsläufigen Relation zwischen den Kosten der Marktnutzung sowie der Höhe des konkreten Umsatzes2. (bb) Qualitative und quantitative Zuordnung Der entscheidende Gradmesser für die Identifikation verschonungsbe­ dürftiger Wirtschaftsgüter wird zunächst durch die Zwangsläufigkeit der betreffenden Aufwen­dungen bestimmt. Fraglich ist daher, was genau un­ ter der Indisponibilität in einem rein gleichheitsrechtlichen Sinne zu verstehen ist. Gänzlich unentbehrlich und damit für das Existenz­ minimum in seinem Kerngehalt maßgebend sind Güter, deren Bezug nicht ohne Beeinträchtigung der menschlichen Existenz verzichtbar ist3. Solchermaßen lebensnotwendig erwachsende Aufwendungen bringen ­ bereits naturgemäß keine wirtschaftlich relevante Leistungsfähigkeit zum Ausdruck, so dass ihre umsatzsteuerliche Verschonung isoliert aus der inneren Logik des Gleichheitssatzes ableitbar ist. Dergestalt nicht rechtfertigungsbedürftige Vergünstigungen erfüllen materiell eine dem Grundtatbestand immanente Ausgrenzungsfunktion, indem am Maß­ stab der einfachgesetzlich fixierten Belastungsentscheidung nicht als steuerwürdig zu befindende Sachverhalte gegenüber der Regelbesteue­ rung abgeschichtet werden4. Jenseits der physischen Existenzsicherung können auch verzichtbare Umsätze einem weiter verstandenen Grundbedarf zugeordnet werden, soweit diese eine wirtschaftlich angemessene Lebensführung in An­ lehnung an das gesellschaftliche Wohlstandsniveau kennzeichnen. Da disponible Aufwendungen unterdessen den zumindest vergröbernden Schluss auf ein wirtschaftliches Leistungsvermögen zulassen, ist ihre prinzipielle Ausnahme von der Regelbelastung neben dem Gleichheits­ satz auf zusätzliche Verfassungsgrundsätze sozialer Prägung angewiesen. Allein dieser ergänzende Wertungsschritt vermag die Gleichstellung zwischen von Natur aus unausweichlichen sowie darüber hinaus „nur“ wirtschaftlich angemessenen Aufwendungen als Verbund eines sozio­ kulturell verstandenen Existenzminimums widerspruchsfrei zu vermit­ teln. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich aus dem Gleichheitssatz 1 Kirchhof, UR 2002, 541 (543). 2 Krit. insoweit etwa Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 567 f. 3 Namentlich geht es dabei um Grundnahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Hy­ giene, medizinische Versorgung. 4 Vgl. Bayer, StuW 1972, 149 (151); siehe auch zur gebotenen Unterscheidung zwi­ schen Sozial- und Fiskalzwecknormen mit Blick auf das Existenzminimum Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 3 Rn 134.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

zumindest dann, wenn dieser in Kombination mit der Menschenwürde gelesen wird, eine steuerliche Verschonung des existenziellen Grundmi­ nimums begründen lässt. Ergänzende Verfassungsverbürgungen, wie sie etwa ein allgemeines Sozialstaatsprinzip iSv Art. 20 GG vorgibt, wirken insofern nicht konstitutiv, sondern modifizieren abhängig von ihrem Inhalt die Reichweite dessen, was unter einer normativ erweiterten ­ Zwangsläufigkeit iSd Leistungsfähigkeitsprinzips zu verstehen ist. Neben der qualitativen Indisponibilität muss sichergestellt sein, dass sich wenigstens im Regelfall der Umsatzbesteuerung keine erhebliche Überkompensation einstellt. Erforderlich ist daher, dass die auf un­ ausweichliche Güter entfallenden Aufwendungen typischerweise auch quantitativ einen existenziellen Bedarf abbilden, da sonst das Leistungs­ fähigkeitsprinzip in seiner gleichheitskonformen Belastungsintention konterkariert wird1. Periphere Verwerfungen liegen allerdings trotz sorg­ samer Eingrenzung in der indirekten Systematik begründet und werden bei der Implementierung von Vergünstigungstatbeständen nie gänzlich zu verhindern sein. (cc) Mitgliedstaatliche Folgeverantwortung Gegenüber dem grundsätzlichen Gebot, die indisponible Bedürfnisbefrie­ digung dif­ferent zu behandeln, gilt es die Frage abzugrenzen, auf welche Weise eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung technisch umzuset­ zen ist2. Im Hinblick auf die Harmonisierung gemäß Art. 113 AEUV stellt sich die Ausgangslage nicht anders als aus nationaler Perspektive dar. Für die Befürworter eines rein systemintern zu verwirklichenden Verschonungsansatzes liegt es auf der Hand, dass die derzeitigen Richtli­ nienvorgaben nur unzureichend Rücksicht auf den existenziellen Ver­ braucherbedarf nehmen. Mangels eines weiträumigen Gestaltungspoten­ zials nötigt die vorrangige Mehrwertsteuersystemrichtlinie so gesehen zur Ausweichlösung über den einkommensteuer­lichen Grundfreibetrag einschließlich der Sozialhilfe, wodurch in zu Ende gedachter Konsequenz sogar ein offener Verfassungskonflikt provoziert wird. Ob eine derart negative Bewertung des Harmonisierungsstandes gerecht­ fertigt ist, darf jedoch mit guten Gründen bezweifelt werden. Bereits auf nationaler Ebene ist der vorzugswürdige Weg der umsatzsteuerlichen Existenzverschonung äußerst umstritten, was darauf zurückführen ist, dass jeder der vorgeschlagenen Lösungsansätze mit Nachteilen behaftet 1 Ausf. dazu Englisch, UR 2010, 400 (406 f); ders., in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 200; probl. sind z.B. die Posten Kleidung und Wohnung, da der hierauf ent­ fallende Aufwand der Höhe nach sehr unterschiedlich ausfallen und eine bescheide­ ne Lebensführung bei Weitem übersteigen kann. 2 Zu Recht hierauf hinweisend Tipke, in: FS Reiß, 2008, S. 9 (16).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

bleibt und eine optimale Gestaltung wohl kaum erreichbar sein dürfte. Vor diesem Hintergrund erscheint es aber zumindest vertretbar, wenn auch der Unionsgesetzgeber – von einzelnen sozialpolitisch motivier­ ten Ermäßigungen einmal abgesehen – keine umfassende Verschonung innerhalb des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems anstrebt1. Dies ­ ­bedeutet konkret, dass die Mitgliedstaaten für eine nach originären Ver­ fassungsstandards angemessene Kompensation im Rahmen der ressortei­ genen Direktbesteuerung Sorge tragen müssen. Eine profunde Einfluss­ sphäre bleibt dem Unionsrecht insofern zwar verwehrt. Inakzeptable Schutzlücken ruft diese Kooperative aber nicht hervor, weil sämtliche Mitgliedstaaten das Leistungsfähigkeitsprinzip ohnehin als auszubilden­ des Gerechtigkeitsideal für das Gesamtsteuersystem akzeptieren. Über­ dies trägt eine zurückhaltend geübte Harmonisierung der nationalen Souveränität insofern besser Rechnung, als gerade die Sozialpolitik zu den sensiblen Verantwortungsbereichen zählt2. Nicht aus dem Blick zu verlieren ist dabei auch, dass die Wohlstandsverhältnisse unter den 28 Mitgliedstaaten bisweilen sehr heterogen ausfallen. Eine flexible so­ wie eigenverantwortliche Feinjustierung über das direkte Steuerrecht erscheint daher als der rechtspolitisch allein gangbare Weg, zumal ein unionsweiter Konsens zur umsatzsteuerlichen Existenzverschonung schon aufgrund des einstimmigen Beschlussverfahrens allenfalls in Form von Minimalstandards realistisch sein dürfte. 3) Zwischenergebnis Dem gleichheitsrechtlich fundierten Leistungsfähigkeitsprinzip zufolge darf der Uni­onsgesetzgeber durch die physische Existenz bedingte Güter von der Umsatzsteuer ohne weitere Rechtfertigung freistellen, wenn der auf sie entfallende Aufwand zumindest im Regelfall einen existenziellen Bedarf anzeigt. Für die diesen Kernbereich überschreitenden Aufwen­ dungen im Zusammenhang mit einer wirtschaftlich angemessenen Le­ bensweise gilt dies unter der Einschränkung, dass die Zwangsläufigkeit mittels ergänzender Verfassungswertungen normativ erweitert werden muss. Dem Unionsgesetzgeber steht es frei, ob er die gebotene Verscho­ nung existenzieller Konsumtätigkeit durch Vergünstigungstatbestände systemintern anstrebt oder stattdessen auf die mitgliedstaatliche Folge­ verantwortung für ein lastengerechtes Gesamtsteuersystem setzt.

1 So auch Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 93 (94); krit. auch COM(82) 885 v. 17.01.1983, S. 3. 2 Die Sozialpolitik fällt denn auch weitgehend in die mitgliedstaatliche Zuständig­ keit, vgl. EuGH, Rs. 238/82, Duphar, Slg. 1984, 523 Rn 16.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

bb) Verbotene Umsätze und Wertneutralität Außerhalb des primären Fokus umsatzsteuerlicher Vergünstigungstatbe­ stände stehen illegale Geschäftspraktiken. Sie haben mit unechten Be­ freiungen allerdings eine identische Wirkung gemein, soweit der EuGH die Steuerbarkeit iSv Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL versagt. Nach mittler­ weile ständiger Rechtsprechung herrscht diesbezüglich eine zweiteilige Sichtweise vor. Während es sich bei der Lieferung von Waren, die auf­ grund bestimmter Merkmale als solche einem generellen Verkehrsver­ bot unterliegen, nicht um steuerbare Umsätze handelt1, greift für allge­ mein zulässige, aber in concreto gesetzeswidrig ausgeführte Geschäfte der Grundsatz der Wertneutralität durch2. Beschränkt sich die Illegalität demnach auf die formale Vertriebsgestal­ tung, unterliegen entsprechende Umsätze den allgemeinen Regelungen zur Umsatzbesteuerung einschließlich etwaiger Befreiungsregelungen3. Seiner integrationstheoretisch auf den Binnenmarkt konzentrierten Li­ nie getreu begründet der EuGH dieses Ergebnis aus Sicht der Unterneh­ mer damit, dass legale Geschäfte im Wettbewerb zu illegalen Praktiken nicht steuerlich abweichend behandelt werden dürfen4. Vom Standpunkt der Steuerträger aus betrachtet drängt sich jedoch unvermeidlich ein Wi­ derspruch zum Leistungsfähigkeitsprinzip auf, sofern der Geschäftsvoll­ zug trotz eines absoluten Verbots in gleicher Weise Zahlkraft indiziert wie legaler Konsum5. Insbesondere illegale Güter sind sogar gemeinhin schwieriger zu beschaffen und entsprechend kostspielig. Lässt sich auf Verbraucherebene die steuerliche Differenzierung bezüglich gesetzes­ widriger Umsätze folglich nicht nach rein wirtschaftlichen Gesichts­ punkten ergründen, muss die geltende Rechtsprechung als eine norma­ tive Einschränkung des Leistungsfähigkeitsprinzips aufgefasst werden. Einen ergänzenden Begründungsansatz liefert die nutzentheoretisch in­ spirierte Konzeption der Marktteilhabe6. Wirtschaftsgüter, die infolge eines strikten Verkehrsverbots erst gar nicht in den Handelskreislauf ein­ 1 EuGH, Rs. C-343/89, Witzemann, Slg. 1990, I-4477 Rn 20 (Falschgeld); Rs. 269/86, Mol, Slg. 1988, 3627 Rn 15 f; Rs. 289/86, Happy Family, Slg. 1988, 3655 Rn 17 f (Be­ täubungsmittel). 2 EuGH, Rs. C-3/97, Goodwin und Unstead, Slg. 1998, I-3257 Rn 14 (nachgeahmte Parfümware); Rs. C‑283/95, Fischer, Slg. 1998, I-3369 Rn 20 ff (unerlaubtes Glücks­ spiel); Rs. C‑111/92, Lange, Slg. 1993, I‑4677 Rn 12 (ungenehmigte Ausfuhr von Computersys­temen). 3 Vgl. Wäger, Besteuerung innergemeinschaftlicher Reihengeschäfte, 2001, S. 30; Lohse, Die Zuordnung im MwStR, 1999, S. 117 ff. 4 EuGH, Rs. C-283/95, Fischer, Slg. 1998, I-3369 Rn 22. Im Geltungsbereich unechter Befreiungen hat der Vorsteuerausschluss jedoch kein entscheidendes Gewicht; abw. Dziadkowski, DStZ 1999, 625 (628). 5 Krit. Schön, in: UStKongrBer 2001/2002, S. 17 (40); vgl. auch die entspr. Wertung in § 40 AO. 6 Siehe hierzu vorstehend aa).

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

gebracht werden dürfen, vermag ein Verbraucher allein außerhalb der rechtlich geschützten Marktordnung zu beziehen. Als Folge scheint es wenigstens vertretbar, wenn auf eine fiskalische Partizipation an staatli­ cherseits nicht tolerierten Austauschvorgängen verzichtet wird. c) Gleichheitswidrige Konsumbelastung mittels verdeckter ­Umsatzsteuer Abgesehen von den unter aa) und bb) behandelten Konstellationen, in denen es entweder an einer Indizwirkung zugunsten eines zwingend steuerwürdigen Sachverhalts mangelt oder von vornherein eine werten­ de Einschränkung des Leistungsfähigkeitsprinzips begründbar ist, bedeu­ tet jedwede Abweichung von der Regelbesteuerung eine Durchbrechung des gleichheitskonformen Belastungserfolgs. Dies gilt für einen gänzli­ chen Steuerverzicht im Wege echter Freistellungen ebenso wie für eine bloße Ermäßigung der Steuerlast mittels Tarifreduktion. Eine vermeint­ liche Sonderstellung im Kreis der Freistellungen nehmen unechte Befrei­ ungen ein, deren imperfekte Ausgestaltung mitunter als eine generell verbrauchsteuerkonforme Belastungsfolge interpretiert wird1. Selbst eine wirtschaftlich gelungene Überwälzung nicht abziehbarer Vor­ steuer darf aber keinesfalls über die Tatsache hinwegtäuschen, dass in dieser Konstellation anders als im Regelfall kein originäres Lastenpoten­ zial auf der letzten Umsatzstufe kreiert wird. Diese formale System­ abweichung resultiert materiell in einer ungewissen Steuerbürde des ­privaten Konsums sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach2. Im Aus­ gangspunkt divergiert bereits die anfallende Vorsteuerbelastung betrags­ mäßig danach, ob der bezogene Ausgangsumsatz eher arbeits- oder ka­ pitalintensiv produziert wird. Ferner ist entscheidend, über welchen Konzentrationsgrad die Betriebsorganisation verfügt. Anschließend bleibt unsicher, inwiefern es dem Unternehmer gelingen mag, die ihm selbst in Rechnung gestellte Umsatzsteuer einzupreisen3. Auf Verbraucherebene schlägt sich die unzureichende Gewähr einer gleichmäßigen Vorsteuer­ weitergabe als direkter Reflex der auf Unternehmerseite gestörten Wett­ bewerbsparität nieder4. Zwar mag in diesem Zusammenhang das zutref­ fende Argument eingebracht werden, auch die Regelbesteuerung des Konsums setze eine letztlich nicht garantierte Überwälzung der Steuer­ schuld voraus5. Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass der Vorsteu­ 1 So Teufel, Beteiligungsverwaltung, 2010, S. 90; Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 52 f; abw. Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 327. 2 Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 93 (94); Gottfried/Weigard, Journal of Public Economics, S. 307 (308); Söhn, StuW 1976, 1 (26). 3 Vgl. de la Feria/Krever, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 3 (11). 4 Siehe hierzu vorstehend III.2.b). 5 Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 54.

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

erausschluss die Wahrscheinlichkeit für ein zur Gänze erfolgreiches Überwälzungsszenario verglichen zum Systembekenntnis einer relativ gleichbleibenden Nettopreisbelastung erheblich modifiziert. Auf diese Weise droht der Verbrauchsteuercharakter komplementär zur Unterneh­ merebene zu derogieren1. Einer folge­richtigen Umsetzung unter Achtung des sekundärrechtlich definierten Belastungsprinzips wird eine nicht un­ erheblich dem Zufall überlassene Erfassung der Destinatare qua Vorsteu­ erausschluss schlechterdings nicht gerecht2. Abseits dieser Systemdiskontinuität besteht ein Rechtfertigungsbedürf­ nis jedenfalls in Anbetracht der Tatsache, dass unechte Befreiungen, so sie denn die ihnen zugedachte Verbilligung bestimmter Güter erreichen, eine Ungleichbehandlung gleichartiger, weil Leistungsfähigkeit doku­ mentierender Einkommensverwendungen auslösen. Dieser intendierte Effekt gleicht faktisch einer tarifären Steuerermäßigung. Im Ergebnis er­ wächst dem Gesetzgeber also für unechte ebenso wie für vorsteuerneu­ trale Befrei­ ungen und ermäßigte Steuersätze wegen der verringerten ­Belastung ausgewählter Konsumaufwendungen ein besonderer Begrün­ dungsaufwand. d) Konsequenzen für die Postdienstbefreiung Den vorausgehenden Erwägungen zufolge könnte mit Blick auf die gleichheitskonforme Verbraucherbelastung allenfalls dann eine geson­ derte Rechtfertigung für Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL entbehrlich sein, sollte die Inanspruchnahme von Beförderungsleistungen einer öf­ fentlichen Posteinrichtung qualitativ wie quantitativ einen existenziel­ len Bedarf repräsentieren3. Isoliert gleichheitsrechtlich betrachtet ist zu konstatieren, dass Brief- oder Paketsendungen sicherlich nicht der physi­ schen Existenz als der naturgemäß definierten Bezugsgröße für verscho­ nungsbedürftige Aufwendungen unterfallen, ein rechtsethischer Son­ derstatus im Rahmen der Leistungsfä­higkeit also durch Hinzuziehung weiterer Primärrechtsgrundsätze begründet werden müsste. Eine für die­ se qualitative Zuordnung denkbare Grundlage könnte Art. 1 iVm Art. 36 GRCh bieten. Der in seiner Berechtigung sehr umstrittene Art. 36 GRCh sichert nach überwiegendem Verständnis ein derivatives Teilhaberecht 1 Das systembedingte Gelingen der Überwälzung bildet ein unverzichtbares Funkti­ onsmerkmal der indirekten Verbrauchsteuer, vgl. Tipke, StuW 1992, 103 (108); Krüger, UR 1988, 65. 2 Im Erg. ebenfalls für eine Prüfung des Vorsteuerausschlusses an Art. 20 GRCh Englisch, in: Tipke/Lang, 22. Aufl., § 17 Rn 208; wohl auch Dziadkowski, ifo 2/2007, 20 (22); a.A. Stadie, in: DStJG 32 (2009), S. 143 (151); de la Feria, EU VAT System, 2009, S. 142 ff. 3 Offen hierfür Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 200; ders., UR 2010, 400 (408); tendeziell auch James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 59.

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

an der diskriminierungsfreien Allgemeinversorgung1. Diese Bestimmung übernimmt als objektiver Programmsatz die Funktion eines Auslegungsund Abwägungsgesichtspunkts, wobei sich in dem Begriffspaar der Aner­ kennung und Achtung die soziale Dimension einer menschlichen Be­ dürfnisbefriedigung widerspiegelt2. Im Lichte dieser Lesart erscheint es nicht unvertretbar, Art. 36 Abs. 3 GRCh auf die Konkretisierung eines menschenwürdigen Daseins iSv Art. 1 GRCh ausstrahlen zu lassen mit der Folge, dass jedenfalls ein eng gezogener Bereich elementarer Post­ dienste zwangsläufig Bedürfnisse skizzierte. Ließe man diesem Gedankenspiel freien Lauf, wäre die postalische Be­ freiung in der Folgebetrachtung allerdings mit unauflösbaren Restriktio­ nen konfrontiert. Zunächst ist festzustellen, dass die an das Universal­ dienstkonzept iSv Art. 3 PostRL gekoppelte Befreiung ihrem Umfange nach weit über das hinausgeht, was zur Befriedigung existenzieller Kom­ munikationsbedürfnisse erforderlich ist3. Die flächendeckende Zustel­ lung von Briefen bis zu 2 kg sowie Paketen bis zu 10/20 kg innerhalb zeitlicher Vorgaben kennzeichnet die optimierte Versorgungslage eines effizient funktionierenden Postnetzes, das nicht zuletzt auch einen be­ deutenden Standortfaktor im Binnenmarkt darstellt. Demnach könnte allenfalls ein geringfügiger Ausschnitt der derzeit zu befreienden Leis­ tungen als existenziell eingestuft werden, gleichwohl mangelt es an rechtssicheren Kriterien für eine exakte Reduktion. Die genaue Grenz­ ziehung, innerhalb welcher Gewichtskategorien Postsendungen noch einen menschenwürdigen Grundbedarf abdecken, ist – wie die Festle­ gung des Grundbedarfs allgemein – nie frei von gewisser Willkür und daher zuvörderst Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Fehlt es wie im Falle des Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL von vornhe­ rein an dergestalt klar gezogenen Trennlinien, dürfen diese nicht nach­ träglich durch Recht­sprechung oder Verwaltung nachjustiert werden. Dass der Unionsgesetzgeber ungeachtet seiner sozialpolitischen Motiv­ lage mit dem Ziel der Verbilligung keinerlei Gedanken auf eine exklusive Freistellung des mensch­lichen Existenzminimums verwendet hat, offen­ bart überdies der Umstand, dass die Befreiung außer natürlichen Perso­ nen in gleicher Weise nicht vorsteuerberechtigte Unternehmer sowie nicht unternehmerische Verbände ohne eine daseinsrelevante Sphäre zu entlasten geeignet ist. Nicht nur auf der Ebene des sachlichen Leistungs­ 1 Siehe Jarass, EGRC, 2. Aufl., Art. 36 Rn 2; Koenig/Paul, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 14 AEUV Rn 22; Calliess, in: Ehlers, Grundrechte, 4. Aufl., § 23 Rn 11. 2 Vgl. KOM (2004) 374 v. 12.05.2004, Rn 2.1; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, 2004, Rn 1029. 3 Zu weit geht es, sämtliche Universaldienste den grundlegenden Bedürfnissen zuzu­ ordnen, so aber EuGH, Rs. C‑357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 36; krit. zur Reichweite von Art. 3 PostRL Herdegen, ZRP 1999, 63 (65).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

gehalts, sondern ebenso hinsichtlich der subjektiv begünstigten Empfän­ ger mangelt es an einer stringenten Ausrichtung auf einen menschen­ würdigen Grundbedarf. Kann die Postdienstbefreiung somit in ihrem gesamten Regelungsgehalt nicht auf unausweichliche Aufwendungen beschränkt werden, läuft sie unweigerlich auf eine rechtfertigungsbe­ dürftige Belastungsverzerrung innerhalb der als steuerwürdig implizier­ ten Vergleichsgruppe von Leistungsfähigkeit dokumentierender Einkom­ mensverwendung hinaus. e) Relation zwischen Neutralität und Leistungsfähigkeit Das umsatzsteuerliche Neutralitätsprinzip wie auch das Gebot zu ge­ rechter Belastung konsumtiver Aufwendungen wurzeln in Art. 20 GRCh. Trotz dieser gemeinsamen Grundlage im Primärrecht handelt es sich der indirekten Umsatzsteuernatur gemäß um jeweils spezifische Ausprägun­ gen des allgemeinen Gleichheitssatzes, die auf Unternehmer- und Ver­ braucherebene getrennt anzusiedeln sind. Der zentrale Unterschied besteht inhaltlich betrachtet in der für die Vergleichsgruppenbildung ­ maßgeblichen Bezugsgröße, die auf Unternehmerebene wettbewerbsspe­ zifisch durch die Substituierbarkeit der Ausgangsumsätze, aus Verbrau­ chersicht hingegen in der regelhaften Belastung der für steuerwürdige Leistungsfähigkeit indikativen Konsumaufwendungen konturiert wird. In Bezug auf umsatzsteuerliche Vergünstigungstatbestände wirkt sich diese Divergenz dahingehend aus, dass die entscheidenden Restriktionen gegenüber Abweichungen von der Regelbesteuerung der Ebene der Steu­ erdestinatare zuzuschreiben sind1. Bleiben Vergünstigungstatbestände nicht auf den engen Bereich der indisponiblen Einkommensverwendung eingehegt, manifestiert sich eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichheit insofern, als leistungsfähigkeitsrelevante und damit allgemein zu belas­ tende Ausgaben im Verhältnis zueinander eine differente Behandlung erfahren. Hiervon abweichend statuiert die Wettbewerbsneutralität zu­ mindest nach vorherrschendem Verständnis lediglich Bedingungen an die Art und Weise der Gestaltung2, legt dem Gesetzgeber aber gerade ­keine prinzipielle Zurückhaltung dem Grunde nach auf. Innerhalb der verkehrsteuertechnischen Erhebungsform verhalten sich Unternehmerund Verbraucherebene demnach gleichheitsrechtlich inkongruent, wo­ bei das Leistungsfähigkeitsprinzip den umfassenderen Vergleichsmaß­ stab formuliert und so die materiell intendierte Verbrauchsbelastung effektuiert3. Wird die Neutralität bisweilen als vollkommen ungeeigne­ 1 Im Erg. auch Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (460). 2 Siehe hierzu vorstehend III.2.a)bb)1). 3 Weitergehend für eine ausschließliche Verfassungslegitimation des Neutralitätsprin­ zips durch den Gleichheitsanspruch der Verbraucher Zirkl, Neutralität, 2015, S. 224. Augenscheinlich wird die sachliche Begrenzung der Wettbewerbsneutralität bei

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B.  Primärrechtliche Prüfungsmaßstäbe

ter Maßstab zu gleichmäßiger Lastenausteilung disqualifiziert1, darf in­ des nicht übersehen werden, dass es sehr wohl eine das umsatzsteuerli­ che Gerechtigkeitsideal ergänzende Funktion erfüllt2. Dies gilt einerseits in Ansehung des Vorsteuerabzugs, dessen Mechanismus eine dem Grun­ de sowie der Höhe nach ungewisse Überwälzung von Vorbelastungen bezogener Ausgangsumsätze unterbindet. Des Weiteren besteht eine ge­ wisse Schnittmenge im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit, als in Umset­ zung des grundtatbestandlichen Regelfalls die erforderliche Gleichstel­ lung konkurrierender Unternehmer dem Steuerzugriff eine allgemeine Schlagkraft hin zu einer möglichst umfassenden Konsumbelastung ver­ leiht. Sofern nämlich die Steuerpflicht möglichst auf sämtliche gegen Entgelt ausgeführte Umsätze erstreckt werden muss, korrespondieren die entsprechend gewährleisteten Überwälzungsparameter notwendiger­ weise mit dem Ziel einer gerechten Steuerträgerschaft der Verbraucher. Im Ergebnis können die gleichheitsrechtlichen Anforderungen, die an umsatz­steuer­liche Vergünstigungen zu stellen sind, nur aus einer Ge­ samtschau der am einheitlichen Steuersachverhalt beteiligten Akteure gewonnen werden. Das materielle Gerechtigkeitsanliegen wird in Form einer leistungsfähigkeitsorientierten Lastenverteilung realisiert, ohne dass dem Bedarfsmarktkonzept insoweit eine eigenständige Unterschei­ dungskraft zukommt. Entschließt sich der Gesetzgeber dennoch bewusst für eine Durchbrechung des grundsätzlich favorisierten Belastungsan­ satzes, muss die betreffende Vergünstigung aus Unternehmersicht wett­ bewerbsneutral beschaffen sein. Als von vornherein legitim können ­zusammenfassend nur solche Vergünstigungen angesehen werden, die kumulativ eine indisponible Einkommensverwendung zum Gegenstand haben sowie sämtliche miteinander konkurrierenden Umsätze ohne ­Vorsteuerausschluss erfassen3. Kritisch anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang, dass der EuGH umsatzsteuerliche Rechtsfragen ein­ ­ schließlich der Thematik von Befreiungen oder Tarifermäßigungen vor­ wiegend von der wirtschaftlichen Warte des Binnenmarktes aus bewer­ tet4. Als Quell der Inspiration mag Art. 113 AEUV dienen; gleichwohl staatlich vorbehaltenen Monopolen, vgl. Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 312. 1 So Löhr, Vermietungsumsätze, 2003, S. 242; zust. Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes, 2014, S. 221; dagegen die Wettbewerbsneutralität als umsatzsteuerlichen Gerechtigkeitsmaßstab ansehend Ohlendorf, Grundrechte, 2015, S. 234. 2 Siehe Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. § 17 Rn 25; Wiesch, Behand­ lung der öffentlichen Hand, 2016, S. 20 f; Frink, Der Ausschluss des Vorsteuerab­ zugs, 2002, S. 66; abw. Ohlendorf, Grundrechte, 2015, S. 247. 3 Dies steht auch im Einklang mit einem strenger auf die Nachfragemacht abstellen­ den Neutralitätsverständnis, siehe hierzu vorstehehend III.2.a)bb)2). 4 Vgl. Schön, in: UStKongrBer 2001/2002, S. 17 (20); krit. Englisch, EuR 2009, 488 (508 f).

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5. Teil:  Befreiungsbedingte Verfassungskonflikte

überhöht diese Sichtweise die Stellung des Unternehmers, der als gleich­ sam formelles Medium der Steuereintreibung dem eigentlichen Belas­ tungsgrund der Umsatzsteuer als allgemeiner Verbrauchsteuer stets un­ tergeordnet sein muss. Es bleibt folglich nur zu wünschen, dass sich der EuGH von seinem bisher strikt integrationstheoretisch geprägten Denk­ ansatz emanzipiert und insbesondere im Bereich mehrwertsteuerlicher Vergün­stigungen die materielle Verteilungswirkung als gleichheitsrecht­ lich verbürgtes Kernanliegen aufgreift1.

VI. Ergebnis Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwSt­ SystRL in mehrfacher Weise Restriktionen gegenüber dem individual­ schützenden Primärrecht hervorruft. Aus Sicht der nicht im Status einer öffentlichen Posteinrichtung agierenden Unternehmer liegt ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 ff AEUV sowie die Unter­ nehmerfreiheit iSd Art. 15, 16 GRCh vor, soweit der Marktzutritt grenz­ überschreitend oder rein innerstaatlich erschwert wird. Ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV ist zudem gegeben, so­ fern der Wettbewerb um ausländische Zustellaufträge verzerrt wird. Um­ gekehrt bedingt der Vorsteuerausschluss eine Beeinträchtigung der Un­ ternehmerfreiheit des national operierenden Universaldienstleisters, falls dieser als grundrechtsberechtigt anzuerkennen ist. Gleichheits­ rechtlich steht die postalische Umsatzsteuerbefreiung schließlich in Konflikt mit dem Prinzip der Wettbewerbsneutralität sowie dem Gebot zu gleichheitskonformer Verbraucherbelastung als umsatzsteuerspezifi­ sche Ausprägungen von Art. 20 GRCh.

1 Für eine Zentrierung des Verbrauchsteuergedankens allg. auch Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 20 ff; Streng, Zuschüsse und Subventionen, 1999, S. 165; Heber, UR 2014, 957 (965); Nieskens, UR 2004, 34 (37); ders., UR 2002, 577 (580).

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6. Teil: Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen Die Postdienstbefreiung gibt nach Maßgabe des die grundfreiheitliche sowie unionsgrundrechtliche Dogmatik gleichermaßen beherrschenden Verhältnismäßigkeitsprinzips nur insoweit keinen Anlass zu rechtlicher Beanstandung, als Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL ein legitimes Sach­ ziel in geeigneter, erforderlicher sowie angemessener Weise verfolgt. Dank der übergreifenden Charakteristika, welche die Postdienstexem­ tion vergleichsweise zu anderen unechten Katalogbefreiungen aufweist, erlaubt es die nachfolgende Untersuchung trotz ihrer tatbestandsspezifi­ schen Ausrichtung gleichwohl, abstrahierte Aussagen von allgemeiner Gültigkeit für die Rechtfertigung dieser Vergünstigungsform zu treffen. Differenzierter Würdigung bedarf dabei, inwiefern die Steuerpflichtent­ lastung der Ausgangsumsätze sowie der auf den Eingangsumsätzen ru­ hende Vorsteuerausschluss legitimationsfähig sind. Besonderes Gewicht kommt im Rahmen der Erforderlichkeit der Überlegung zu, welche Al­ ternativen zu unechten Befreiungen generell sowie der Postdienstexem­ tion im Speziellen bestehen. Gesondert wird auf Ebene der Angemessen­ heit zudem auf das postordnungsrechtlich deduzierte Spezifikum einer subjektiven Exklusivbefreiung einzugehen sein. Bezüglich der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die Rechtsprechung des Gerichthofs durch eine von Fall zu Fall stark divergierende Kontrolldich­ te gekennzeichnet. Gemeinhin unterliegen mitgliedstaatliche Eingriffe in die Grundfreiheiten relativ strengen Anforderungen, wohingegen der Unionsgesetzgeber in aller Regel von weiträumigen Ermessenszuge­ ständnissen profitiert1. Empirisch mag durchaus eine gewisse Skepsis aufgrund der Tatsache angezeigt sein, dass der EuGH bislang nur in sehr seltenen Ausnahmefällen einen Primärrechtsverstoß durch sekundäre Rechtsakte bejaht hat2. Speziell im Bereich der Steuerharmonisierung bedarf die mitunter heftige Kritik an der Jurisdiktion allerdings mit ­ Blick auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit von wirtschaftlich kom­ 1 Siehe auch Ohlendorf, Grundrechte, 2015, S. 91; Heidemann, Finanzdienstleistun­ gen, 2008, S. 138; krit. statt vieler von Danwitz, EWS 2003, 393 ff; Nettesheim, EuZW 1995, 106 ff. Zuletzt ließ der EuGH die klare Tendenz erkennen, mehr­ wertsteuerliche Vergünstigungsregelungen einer schonenden Überprüfung auf ihre Gültigkeit unterziehen zu wollen, vgl. EuGH, Rs. C‑573/15, Oxycure Belgium, ECLI:EU:C:2017:189 Rn 23; Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 54. 2 Zuletzt EuGH, Rs. C-293/12 und C-594/12, Digital Rights Ireland und Seitlinger, ECLI:EU:2014:238 Rn 45 ff; siehe ferner EuGH, Rs. C-310/04, Spanien/Rat, Slg. 2006, I‑7285 Rn 135; Rs. C-453/03, C-11/04, C‑12/04 und C‑194/04, ABNA u.a., Slg. 2005, I‑10423 Rn 80 ff; Rs. C-181/84, Man (Sugar)/IBAP, Slg. 1985, 2889 Rn 20 ff; Rs. 122/78, Buitoni, Slg. 1979, 677 Rn 19/20; Rs. 114/76, Bela Mühle, Slg. 1977, 1211 Rn 7.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

plexen Verschonungssubventionen der Relativierung, zumal eine ge­ mäßigte Kontrollintensität insoweit auch in der Rechtsprechung von BVerfG und EGMR begegnet. Wünschenswert wäre aber in der Tat eine stärker konturierte Überprüfung der Angemessenheit im Verhältnis kon­ fligierender Rechtsgüter, deren Abwägung hinsichtlich außerfiskalisch motivierter Abweichungen von der Regelbesteuerung neben der Erfor­ derlichkeit zumeist den wesentlichen Ausschlag für oder gegen die Rechtfertigung geben wird. Besonders in Bezug auf steuerliche Verscho­ nungen fällt das übergreifende Legitimationsprofil auf den Gleichheits­ satz zurück, der in seiner individualschützenden Funktion nicht zu einer bloßen Willkürkontrolle degradiert werden darf. Begrüßenswert ist daher insgesamt die allmähliche Tendenz des EuGH, der Angemessenheitsprü­ fung erhöhten argumentativen Aufwand zuteilwerden zu lassen1. Diese Entwicklung trägt der gesteigerten Bedeutung der kodifizierten Grund­ rechte wie auch dem verbindlich avisierten EU-Beitritt zur EMRK Rech­ nung.

A. Entfall der Regelsteuerpflicht Umsatzsteuerliche Befreiungen zielen zunächst auf die unternehmeri­ schen Ausgangsumsätze ab und bezwecken mittels Aufhebung der Re­ gelsteuerpflicht eine tatbestandlich vordefinierte Vergünstigung. Eine auf diesen Mechanismus isoliert ausgerichtete Betrachtung ist bei un­ echten Exemtionen iSv Art. 132 MwStSystRL allerdings nicht zielfüh­ rend. Erschwerend tritt für die juristische Bewertung von Geeignetheit und Erforderlichkeit gemäß der in Art. 169 lit. b) und c) MwStSystRL veranlagten Sonder­regelung hinzu, dass die fehlende Berechtigung zum Vorsteuerabzug einen imper­fekten Entlastungserfolg bedingt. Um diese aus zwei konträren Mechanismen gespeiste Realität angemessen abbil­ den zu können, wird in die nachfolgende Betrachtung der steuerlichen Ausgangsebene parallel das Regelungselement des Vorsteuerausschlus­ ses einbezogen.

I. Legitime Zielsetzung Im Ausgangspunkt unterliegen sämtliche Umsatzsteuerbefreiungen als Regelaus­nahmen dem Postulat, ein legitimes Sachziel zu verfolgen. Ob dieses Erfordernis eingehalten ist, steht in zwei Schritten zu überprüfen. Zunächst ist klärungsbedürftig, welchen konkreten Zweck die in Rede stehende Befreiungsvorschrift zu verwirklichen bestimmt ist (1). Typi­ 1 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-101/12, Schaible, ECLI:EU:C:2013:661 Rn 29; Rs. C‑176/09, Luxemburg/Parlament und Rat, Slg. 2011, I-3727 Rn 63.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

scherweise sollen an objektive Umsatzkategorien anknüpfende Befreiun­ gen eine Verteuerung entsprechender Leistungen im Verbraucherinteres­ se dämpfen und verhalten sich diesbezüglich indifferent. Hiervon zu unterscheiden gilt es auf einer weiteren Ebene, in den Dienst welcher höherrangigen Zielsetzung ein unmittelbar abgesenktes Preisniveau ge­ stellt ist. Als Zweites ist entscheidend, anhand welcher Maßstäbe die rechtliche Legitimität der zugrunde liegenden Zielsetzung bewertet wer­ den muss (2). 1. Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL – Befreiungskontinuität im ­Strukturwandel Anerkanntermaßen kommt Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die Pri­ märfunktion zu, eine Verteuerung grundlegender Postdienste gemäß Art. 3 PostRL im Verbraucherinteresse zu verhindern und diese so leich­ ter zugänglich zu gestalten1. In dieser Hinsicht korreliert die Befreiung mit der in Art. 12 Spiegelstrich 1 PostRL niedergelegten Universaldienst­ charakteristik erschwinglicher Entgelte und übernimmt eine soziale Kernfunktion, indem der Zugang zu diesem altbewährten Kommuni­ kationsmedium gerade auch für Bezieher niedriger Einkommen gewahrt bleiben soll. Erhebungstypisch können aber sämtliche Einkommens­ gruppen pauschal von niedrigeren Entgelten profitieren, so dass die ­soziale Charakteristik nicht in einer umfassend distributiven Motivlage aufgeht. Wenig überzeugend fällt auch das Attest einer existenzverscho­ nenden Dimension aus, weil der Unionsgesetzgeber das gemeinwohlbe­ legende Universaldienstkonzept bewusst weit im Sinne einer optimalen Versorgungslage und Kontribution zum Binnenmarkt definiert hat. Diese Wertung hat der EuGH in seiner Auslegung reflektiert, so dass der Hin­ weis auf die Grundbedürfnisse einer effektiven Versorgung nicht unbese­ hen mit einem unabweisbaren Existenzminimum in eins gesetzt werden darf. So gesehen deckt sich der erleichterte Zugang aus Verbraucherpers­ pektive im Wesentlichen mit der erstrebten Preisvergünstigung. Nur sehr eingeschränkte Beachtung wird unterdessen dem Umstand zu­ teil, dass die Steuerfreiheit grundversorgungsrelevanter Universaldienste zugleich eine den ausführenden Unternehmer subventionierende Be­ deutung besitzt und somit Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auch als wirtschaftspolitische Lenkungsnorm in Erscheinung tritt2. Ausgiebig diskutiert und weit überwiegend scharf kritisiert wird eine gezielte Un­ ternehmerförderung über das Instrument der Umsatzsteuerbefreiung 1 Vgl. nur EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 33; König/Hanke, BB 2010, 1578; Nieskens, UR 2010, 713 (715). 2 Dietl/Jaag/Lang/Trinkner, Competition and Welfare Effects of VAT Exemptions, 2010, S. 21. Siehe entspr. zur Anknüpfung an einen bestimmten Personenkreis ge­ mäß § 4 Nr. 18 UStG Hölzer, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 171. Lfg., § 4 Nr. 18 Rn 5.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

hinsichtlich des Blindenprivilegs1. Ebenso lag eine subjektive Charakte­ ristik dem auf Umsätze der DPAG begrenzten § 4 Nr. 11b UStG a.F. anerkanntermaßen zugrunde, ohne dass allerdings mit Blick auf die ­ subventive Komponente im Zuge der neuerlich umgesetzten Recht­ ­ sprechungsvorgaben ein grundlegender Wandel eingetreten wäre. Rege­ lungssystematisch betrachtet knüpft die Befreiungswirkung nach wie vor an den Sonderstatus einer öffentlichen Posteinrichtung2, seinerseits konstituiert durch die universaldienstakzessorische Verpflichtungslage. Entscheidend ist somit die Erfüllung einer besonderen Unternehmer­ funktion, die in Anbetracht ineffizienter Versorgungslagen mit einer ge­ steigerten Kostenlast einhergeht und zu deren finanzieller Pauschalkom­ pensation die Umsatzsteuerbefreiung beiträgt3. Ursprünglich war die Zwecksetzung, den umsatzsteuerbedingten Kostenfaktor für die an sich schon teure Allgemeinversorgung zu reduzieren, ausschließlich dem Verhältnis zwischen Anbieter und Leistungsem­pfänger vorbehalten. Die Exemtion erlangte 1977 gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. a) RL 77/388/ EWG erstmals gemeinschaftsrechtliche Verbindlichkeit zu einer Zeit, als noch kein nennenswerter Wettbewerb im Postsektor existierte4. Im ­weiteren Verlauf haben sich die sachlichen Verhältnisse, auf welche die Exemtion nunmehr einwirkt, durch den unionsweiten Prozess der Post­ marktöffnung sukzessive gewandelt5. Konkurrierend zum nationalen Universaldienstversorger treten heute verstärkt alternative Brief- und Paketversender in Erscheinung6, gleichsam immun gegenüber dieser Ent­ wicklung zeigt sich der textliche Befund über die Freistellung aber seit jeher unverändert7. Aus dieser Diskrepanz ist zu erschließen, dass der Unionsgesetzgeber den Effekt umsatzsteuerlich implizierter Verzerrungen im regulatorisch beförderten Postwettbewerb nicht bloß bewusst in Kauf nimmt, sondern vielmehr indirekt auch eine konsolidierte Wettbewerbsfähigkeit des Grundversorgers über die preiskalkulatorische Entlastung als einem not­ wendigen Zwischenziel der Verbilligung anstrebt. Der erforder­liche Zu­ 1 Klarstellend aber Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 19 Rn 29, wonach Umsatzsteuervergünstigungen generell zur Unternehmerförderung eingesetzt wer­ den können; ebenso Ismer/Kaul/Reiß, UR 2010, 837 (839 f). 2 Vgl. zur Anknüpfung an den leistenden Unternehmer Kirchhof, ZSE 4/2010, 449 (477). 3 Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 18; Frenz, EWS 2011, 211; Greiving, Si­ cherung der Daseinsvorsorge, 2008, S. 14; krit. zur Finanzierungsfunktion Broemel, Regulierung, 2010, S. 102 f; BBD, Stellungnahme zum Impulspapier der BNetzA, 2015. 4 Vgl. auch BReg, BT-Drucks. VI/1590 v. 30.10.1963, S. 36. 5 Siehe allg. zur Erbringung befreiter Leistungen durch Private zu Marktbedingungen anstelle öffentlicher Träger de la Feria, VAT Principles, 2016, S. 10. 6 Dazu schon ausf. von Danwitz, Alternative Zustelldienste, 1999. 7 Krit. Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (66).

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

rechnungszusammenhang rechtfertigt sich für diese Motivlage nicht bloß aus passiver Zurückhaltung, entschied man sich auf europäischer Ebene doch bewusst für eine kontinuierliche Fortführung der Befreiung in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL gleichwohl wissend, dass zu diesem Zeitpunkt schon einzelne Mitgliedstaaten die Postmarktliberalisierung freiwillig vollzogen hatten und ein zumindest langfristig ver­ordneter Re­ formzwang bereits absehbar war1. Keinesfalls verborgen geblieben sein dürfte den gesetzgebenden Organen überdies, dass der EuGH in seiner letzten wegweisenden Entscheidung „TNT Post UK“ der zwischenzeit­ lich verbindlich eingeleiteten Marktöffnung ausschlaggebendes Gewicht weder für die Geltung noch die inhaltliche Interpretation der Befreiung beigemessen hat2. Zu resümieren bleibt folglich, dass Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die postalische Grundversorgung aus zwei ineinandergreifenden Blickwin­ keln fördert. Als Vorstufe zur Verbilligung der Endverbraucherpreise wirkt die Stärkung der öffentlichen Posteinrichtung im (potenziellen) Wettbewerb eines geöffneten Marktumfelds, so dass die Freistellung auch einen absichernden Kostenbeitrag für die Bereitstellung der Daseinsvor­ sorge nicht zuletzt im Unternehmerinteresse leisten soll3. Entsprechend ist die Befreiung nicht auf einzelne Umsätze und die spiegelbildliche Be­ friedigung spezi­fischer Bedürfnisse gerichtet, sondern abhängig von der flächendeckenden Gesamtversorgung als übergeordnetem Gemeinwohl­ belang. Die steuerliche Bevorzugung des verpflichteten Anbieters unter­ liegt, so denn die avisierte Begünstigung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL auch tatsächlich eintritt, im Vergleich zur ehemaligen Aus­ gangslage einem intensivierten Rechtfertigungsdruck. 2. Maßstäbe der Ziellegitimität Was die befreiungsrechtliche Ziellegitimität im Rahmen der Verhältnis­ mäßigkeit anbelangt, sind gemeinhin zwei Gesichtspunkte richtungs­ weisend. In ihrer jeweiligen Zwecksetzung müssen sekundärrechtlich vereinnahmte Befreiungstatbestände zuallererst mit der primärrechtli­ chen Handlungsermächtigung in Einklang stehen. Die Vorschrift des Art. 113 AEUV zeigt Voraussetzungen wie Grenzen der Harmonisierung auf, wodurch ungeschriebene Allgemeinwohlbelange in Verhältnis zu ei­ ner die mitgliedstaatliche Steuersouveränität schützenden Dimension positioniert werden. Abseits dieser normativen Vorgaben steht zu ergrün­ den, inwiefern sich weitere Restriktionen aus dem vordefinierten Ver­ brauchsteuertelos des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ergeben. 1 Vgl. KOM (2006) 594 v. 18.10.2006; CEP, Liberalisierung der Postmärkte, 2007. 2 Siehe auch Dietl/Jaag/Lang/Trinkner, Competition and Welfare Effects of VAT ­Exemptions, 2010, S. 3. 3 Vgl. Steuerberaterverband, Stellungnahme v. 25.04.2014, S. 9.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

a) Binnenmarktadäquate Motivlagen, Art. 113 AEUV Die Harmonisierung der nationalen Umsatzsteuervorschriften steht ge­ mäß Art. 113 AEUV unter dem Vorbehalt, dass hierauf gestützte Maß­ nahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes samt Wettbewerbsneu­ tralität erforderlich sein müssen. Ausgehend von dieser Grundlage fügen sich umsatzsteuerliche Richtlinienbestimmungen nur in eine legitime Zielsetzung ein, soweit sie unter Wahrung dieser zwingend einzuhalten­ den Kompetenzschranken erlassen worden sind. Einem von vornherein berechtigten Anliegen dienen Befreiungen, die aufgrund innersteuerli­ cher Belange mit systemtragender Relevanz veranlasst sind. Dies gilt un­ zweifelhaft für die einmalige Zuweisung der Aufkommenshoheit durch echte Freistellungen im grenzüberschreitenden Verkehr. Ebenfalls in die­ sem Zusammenhang stehen Befreiungen technischer Art, die besonderen Schwierigkeiten bei der formellen Erhebung Rechnung tragen sollen1. Hiervon gilt es solche Freistellungen abzuschichten, deren Zielsetzung in außer­steuerlichen Gemeinwohlaspekten veranlagt ist. Um diesbezüg­ lich die Verein­heit­lichung der Bemessungsgrundlage einschließlich in­ nerstaatlicher Befreiungen gemäß Art. 113 AEUV rechtfertigen zu kön­ nen, sind gemeinhin drei unterschiedliche Ansätze erkennbar. aa) Die EU-Eigenmittelfinanzierung, Art. 311 AEUV Von vornherein nicht zu überzeugen vermag die detaillierte Bestimmung eines abschließenden Befreiungskatalogs unter der Prämisse, die Schaf­ fung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage sei aus Gründen der EU-­ Eigenmittelfinanzierung notwendig2. Zwischen der Finanzierung des EU-Haushalts sowie der Verwirklichung des Binnenmarktes besteht kein zweckgebundener Automatismus3. Ein rein profaner Zusammenhang er­ wächst aus dem Umstand, dass im weitgehenden Harmonisierungsauf­ trag zur indi­rekten Besteuerung eine willkommene Gelegenheit erkannt wurde, um zwei zueinander indifferente Regelungsanliegen verschränken zu können. Gerade die Heranziehung der Mehrwertsteuerbemessungs­ grundlage als Berechnungsmaßstab der mitgliedstaatlichen Zahllast ist gemäß Art. 311 AEUV weder zwingend vorgesehen noch autorisiert4, son­ dern beruht auf einem Beschluss im Range des Sekundärrechts. Beanstan­ dungslos kann die harmonisierte Bemessungsgrundlage denn auch als praktikabler Berechnungsfaktor herhalten, keinesfalls aber darf diese Mo­ 1 Ausf. zur Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit Heidemann, Finanzdienstleistungen, 2008, S. 104 ff. 2 So aber Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 388; Menner, Umsatzsteuerharmoni­ sierung in der EG, 1992, S. 37. 3 Krit. auch Reiß, in: UStKongrBer 2007, S. 14 (26); Englisch, in: Tipke/Lang, Steuer­ recht, 22. Aufl. § 17 Rn 6; Sarrazin, UR 1974, 281; Wachweger, DStZ 1974, 115. 4 Seiler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, 60. Lfg., Art. 113 AEUV Rn 39.

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tivation Reichweite und Inhalt der sekundären Steuergesetzgebung deter­ minieren, zumal ihre kohärente Umsetzung wegen stark ausdifferenzier­ ter Sonderzugeständnisse bis heute nicht erreicht ist. Eine s­ olchermaßen finanzierungstechnisch begründete Rechtsangleichung bewegt sich au­ ßerhalb der Binnenmarkterfordernisse und überlagert Art. 113 AEUV mit einem konturenlosen Selbstzweck. bb) Die Systematik der grenzüberschreitenden Umsatzbesteuerung Einer generell primärrechtsadäquaten Kategorie unterfällt demgegenüber die wegweisende Systemfrage, ob die binnenmarktadäquate Umsatzbe­ steuerung dem Bestimmungs- oder Ursprungslandprinzip folgen soll. Für Befürworter des Letzteren ist offensichtlich, dass eine Vereinheitlichung nationaler Befreiungen und Steuersätze zu erfolgen hat, damit unhalt­ bare Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis der Mitgliedstaaten aus­ bleiben. Die supranationale Kompetenz wäre im Falle eines formalen Prinzipienvollzugs unterdessen darauf begrenzt, national vordefinierte Tatbestände in die Richtlinie als uniforme Vorgabe zu integrieren oder aber als Folge einer abschließenden Katalogisierung zu verbieten1. In die mehrwertsteuerliche Entstehungsgeschichte passt sich dieser Mangel an originärer Erfindungsmacht insofern ein, als die harmonisierten Befrei­ ungstatbestände weitgehend dem nationalen Recht entstammen, so ge­ sehen auf europäischer Ebene also lediglich adaptiert wurden. Mag es sich beim Eigenmittelbeschluss auch um die wesentliche Triebfeder zum Erfolg einer detaillierten Bemessungsgrundlage gehandelt haben, darf keinesfalls unberücksichtigt bleiben, dass der Richtliniengeber das Ur­ sprungslandprinzip bereits als Fernziel der Harmonisierung ausgeschrie­ ben hatte2. Der Erlass der RL 77/388/EWG kann somit als eine Art Etappensieg auf dem rechtspolitisch schwierigen Weg einer weitergehend für erforderlich erachteten Angleichung gedeutet werden. Wie eingangs dieser Arbeit aber bereits ausführlich dargelegt3, gebührt nach derzeitigem Vertrags­ stand richtigerweise dem Bestimmungslandprinzip der Vorzug, denn es paart eine wettbewerbsneutrale Umsatzbesteuerung einschließlich ange­ messener Aufkommensverteilung mit der größtmöglichen Souveräni­ tätsschonung. Als hochgradig problematisch erweist sich ein rein prinzi­ pientreu legitimierter Harmonisierungsgrad nicht zuletzt auch deshalb, 1 Vgl. Rüth, Die Umsetzung der 6. MwStRL, 2005, S. 40; nach überwiegender Mei­ nung muss die nach Art. 113 AEUV zu harmonisierende Steuer bereits bestehen, Bahns/Brinkmann/Gläser/Sedlaczek, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 21; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 5. 2 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 RL 77/388/EWG. 3 Siehe hierzu Teil 2 B.IV.2.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

weil sich die Kommission selbst auf absehbare Zeit vom Ursprungsland­ konzept distanziert hat1. cc) Außersteuerliche Ziele im Kontext binnenmarktakzessorischer Harmonisierung Definiert man die Grenzen der Umsatzsteuerharmonisierung als Substrat wirtschaft­ licher Wettbewerbsneutralität samt dem Abbau zwischen­ staatlicher Handels­hemmnisse, besteht derzeit vertragsrechtlich betrach­ tet keine belastbare Grundlage, um die nationale Autonomie im Bereich steuerlicher Vergünstigungen – wie geschehen – dezidiert beschneiden zu dürfen. Gleichwohl gründet der Binnenmarkt nicht auf der reinen Lehre eines neoliberalen Denkmodells. Verankert findet sich eine weite Öffnung gegenüber zulässigen Einschränkungen im Interesse politi­ scher Gestaltungsmotive bereits dogmatisch, indem die definitorischen Grundfreiheiten aus Gründen des Gemeinwohls begrenzt werden dürfen. Tritt an die Stelle mitgliedstaatlicher Vorschriften ein sekundärrechtlich verbindliches Regelungsregime, muss die EU zugleich die Verant­wortung für außerwirtschaftliche Zielsetzungen etwa in Form des Gesundheits-, Umwelt- oder Verbraucherschutzes in angemessener Weise übernehmen. Nichts Abweichendes gilt im Hinblick auf die wirtschaftsbezogenen Unionsgrundrechte und den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein freier grenzüberschreitender Austausch von Wirtschaftsgütern inner­ halb eines unverfälschten Wettbewerbs verkörpert insofern eine grundle­ gende Leitlinie, dennoch findet sich dieses Prinzip keinesfalls herme­ tisch innerhalb der primärrechtlichen Wirtschaftsverfassung verstetigt. Vor diesem Hintergrund kann es dem Unionsgesetzgeber auch nicht ge­ nerell verwehrt sein, anlässlich einer binnenmarktfinal ausgerichteten Harmonisierung iSv Art. 113 AEUV ergänzend primärrechtlich aner­ kannte Gemeinwohlbelange in mitunter sogar maßgebender Akzen­ tuierung zu verfolgen2. Dem Umsatzsteuerregime darf in konkreter Ge­ stalt von Befreiungen oder anderweitigen Vergünstigungen somit durchaus ein instrumenteller Charakter im Dienste sozial- oder wirt­ schaftspolitischer Zielsetzungen verliehen werden, bezüglich deren Aus­

1 KOM (2011) 851 v. 06.12.2011, S. 5. 2 So auch Kamann, in: Streinz, AEUV/EUV, 2. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 9 unter Ver­ weis auf EuGH, Rs. C‑376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419 Rn 88 (Gesundheitsschutz); Rs. C‑233/94, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I-2405 Rn 10 ff (Verbraucherschutz); Rs. C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, I-2867 Rn 22 (Umweltschutz); Rs. C-377/98, Niederlande/Parlament und Rat, Slg. 2000, I‑7079 Rn 28 (Stärkung von Industrie und Forschung); zust. Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 11.22; offen Reiß, in: DStJG 32 (2009), S. 9 (47).

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wahl und Gewichtung die Legislative letztlich ein weiträumiges Ermes­ sen genießt1. Die legitimatorische Bindung an einen gesonderten Gemeinwohlbelang offenbart, dass systemdurchbrechende Sozialzwecknormen ihren typi­ schen Ursprung in steuerfremden Gesetzesmaterien finden. Um ange­ sichts dieser gegenständlichen Überschneidung möglichen Friktionen innerhalb der unionsvertraglichen Kompetenzordnung effektiv vorbeu­ gen zu können, erscheint es intuitiv, wenn neben der steuerspezifischen Gesetzgebungszuständigkeit ergänzend eine solche für die gleichsam be­ troffene Sachmaterie gefordert wird2. Anlässlich der ganz ähnlich gela­ gerten Kompetenzabgrenzung im grundgesetzlichen Gefüge hat das BVerfG den steuerlichen Handlungsspielraum durch die grundlegende Feststellung potenziert, die Befugnis zu wirtschaftslenkenden Vergünsti­ gungen werde einseitig durch die Steuergesetzgebungszuständigkeit ver­ mittelt3. Auf diese Weise erhält der Bund – freilich unter Zustimmung des Bundesrates (Art. 105 Abs. 3 GG) – die Möglichkeit, steuergesetzlich auch auf solche Materien überzugreifen, hinsichtlich derer ihm eine un­ mittelbare Sachkompetenz nicht zusteht. Speziell mit Blick auf die europäische Steuerharmonisierung tritt ein möglicher Konflikt unterdessen insoweit verschärft hervor, als nicht al­ lein die föderale Zuteilung von verfassungsintern geregelten Kompeten­ zen in Rede steht, sondern die supranationale Unionsgesetzgebung nach dem vertraglichen Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung auf eine spezifische Übertragung mitgliedstaatlicher Souveränität dem Grunde nach angewiesen bleibt. Dennoch hat es der Rat stets nicht für nötig be­ funden, die materielle Direktion von Befreiungen oder Steuersatzermäßi­ gungen unter kombi­natorischen Rückgriff auf Art. 113 AEUV mit an anderer Stelle im Primärrecht vorgehaltenen Kompetenztiteln zu stüt­ zen. Bislang blieb die Rolle einer zweifach hergeleiteten Handlungs­ grundlage beschränkt auf den verfahrensrechtlichen Kontext einer trans­ nationalen Unterstützung zur Beitreibung von Steueransprüchen. Die hierzu einschlä­gige RL 76/308/EWG4 wurde alsbald nach ihrem Erlass zunächst auf For­derungen im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer (RL 79/1071/EWG), später auch auf solche im Zusammenhang mit Ver­ brauchsteuern auf Tabak, Alkohol und Mineralöl (RL 92/12/EWG) sowie bestimmte Steuern auf Einkommen, Kapital und Versicherungsprämien (RL 2001/44/EG) erstreckt. Sämtliche der vorbenannten Änderungsricht­ 1 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 19 Rn 70; Kamann, in: Streinz, AEUV/ EUV, 2. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 9. 2 Offen hierfür Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 7d. 3 BVerfGE 98, 83 (98); 106 (118); ausf. dazu Starck, in: FS Wacke, 1972, S. 193 (206 ff). 4 ABl EG Nr. L 73 v. 18.03.1976, S. 18.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

linien stützte der Rat wegen ihres steuerlichen Einschlags kumulativ auf die Vorgängerregelungen zu Art. 113 und Art. 115 AEUV, ohne dass diese Vorgehensweise Anlass zu rechtlicher Beanstandung gegeben hätte1. Ge­ meinhin ist der zum Komplex primärrechtlicher Kompetenzabgrenzung ergangenen Judikatur die Aussage zu entnehmen, dass Sekundärrechtsak­ te übergreifend auf mehrere gleichsam einzuhaltende Titel gestützt wer­ den können2. Sowohl hinsichtlich seiner Notwendigkeit als auch der primärrechtlichen Zulässigkeit unterliegt ein solcher „Kompetenzmix“ jedoch weitreichenden Einschränkungen. Die Auswahl der zutreffenden Handlungsermächtigung hat sich nach ob­ jektiven sowie einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglichen Kriterien zu richten, unter denen in erster Linie Inhalt und Zweck einer Maßnah­ me entscheidende Bedeutung besitzen3. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Konstrukt einer mehrpoligen Kompetenzgrundlage allenfalls als erforderlich, sollte der betreffende Rechtsakt mehrere gleichwertige Ziel­ setzungen untrennbar verbinden und ein wesentlicher Regelungsschwer­ punkt nicht identifizierbar sein4. Werden andere Politikfelder anlässlich des Hauptzwecks hingegen nur beiläufig tangiert, absorbiert die schwer­ punktmäßig einschlägige Kompetenznorm bestehende Überschneidun­ gen durch eine einheitliche Legitimation des Gesamtrechtsakts5. Lassen sich alternativ zugrunde gelegte Regelungspräferenzen keiner festgefüg­ ten Hierarchie von Über- und Unterordnung zuweisen, so genießen grundsätzlich sämtliche zugehörige Titel rechtliche Verbindlichkeit6. Die kumulative Anwendung steht allerdings wiederum unter dem Vor­ behalt, dass sich die ermächtigungsspezifischen Verfahrensmodalitäten zueinander kompatibel zeigen7. Anderenfalls setzt sich die Kompetenz­

1 Siehe zu RL 2001/44/EG EuGH, Rs. C-338/01, Kommission/Rat, Slg. 2004, I-4829 Rn 77. 2 Grundlegend EuGH, Rs. 165/87, Kommission/Rat, Slg. 1988, 5545 Rn 11. 3 EuGH, Rs. C-211/01, Kommission/Rat, Slg. 2003, I-8913 Rn 38; Rs. C-269/97, Kom­ mission/Rat, Slg. 2000, I‑2255 Rn 43; ausf. dazu Meurs, Normenhierarchien, 2012, S. 122. 4 EuGH, Rs. C-211/01, Kommission/Rat, Slg. 2003, I-8913 Rn 39; Rs. C‑36/98, Spani­ en/Rat, Slg. 2001, I‑779 Rn 51; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939 Rn 19 ff. 5 Sog. „Schwerpunkttheorie“, vgl. Herrmann, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebe­ nensystem, 2008, S. 141 (144). 6 Zur Mehrfachabstützung EuGH, Rs. C-211/01, Kommission/Rat, Slg. 2003, I‑8913 Rn 40; Rs. C‑281/01, Kommission/Rat, Slg. 2002, I-2049 Rn 35; Rs. C-336/00, Huber, Slg. 2002, I‑7699 Rn 31. 7 St. Rspr., EuGH, Rs. C-338/01, Kommission/Rat, Slg. 2004, I-4852 Rn 57; Rs. C‑164/97, Kommission/Rat, Slg. 1999, I-1139 Rn 14; Rs. C-300/89, Kommission/Rat („Titandioxid“), Slg. 1991, I‑2867 Rn 18; einschr. Görisch, Demokratische Verwal­ tung, 2009, S. 350; siehe zum Ganzen Trüe, Rechtsetzungskompetenzen, 2002, S. 512 ff, 587 f.

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norm mit den jeweils strengeren Anforderungen als exklusive Grundlage durch. Gerade was die exakte Grenzziehung in puncto verfahrensmäßiger Kom­ patibilität anbelangt, wirft eine mehrfache Abstützung von Maßnahmen im europäischen Verfassungsverbund zahlreiche noch ungeklärte Proble­ me auf. Diesem rechtsunsicheren und damit nur wenig praktikablen Zu­ stand trägt der EuGH Rechnung, indem er die Schwerpunktfindung in­ nerhalb eines zu bewertenden Sekundärrechtsakts stets beflissentlich verfolgt1. Auf kombinierte Handlungsermächtigungen zu rekurrieren, erweist sich folglich nur in sehr seltenen Ausnahmekonstellationen als notwendig2. Speziell mit Blick auf die umsatzsteuerliche Harmonisie­ rung stellt sich die rechtliche Ausgangssituation mithin nicht wesent­ lich anders dar, als sie das BVerfG für das steuer­liche Kompetenzgefüge des Grundgesetzes geprägt hat. Die Verfolgung steuerfremder Sachziele kann isoliert auf die Ermächtigung in Art. 113 AEUV gestützt werden, da über Vergünstigungen vermittelte Lenkungsanreize in Gestalt des Ver­ braucherverhaltens anderweitig geregelte Kompetenzfelder lediglich ­indirekt berühren. Befreiungsgegenständliche Lebensbereiche werden in­ soweit allein infolge eines umsatzsteuerlich veranlagten Regelungs­ schwerpunkts erfasst, so dass sich die notwendige Legitimität der ver­ folgten Zielsetzung auf eine primärrechtliche Ableitung im materiellen Sinne verdichtet. In Anbetracht der vertragsrechtlich relativ großzügig abgesteckten Bekenntnisse zugunsten vielfältiger Gemeinwohlinteres­ sen statuiert Art. 113 AEUV mithin keine veritable Eingrenzung des ge­ setzgeberischen Gestaltungsermessens. Zu einer weiterreichenden Kompensation trägt schließlich auch nicht ein auf Steuern gewandtes Prinzip der Unionstreue bei, aus dem biswei­ len ein allgemeines Verbot sekundärrechtlich verpflichtender Vergünsti­ gungen zum Nachteil sowohl der nationalen Haushalte als auch der par­ lamentarischen Mitbestimmung entwickelt wird3. Eine Suspendierung dieses Grundsatzes kann allerdings im umsatzsteuerlichen Kontext nicht überzeugend auf die EU-Eigenmittelfinanzierung gestützt werden4. Dieser Mechanismus lässt den Status der Umsatzsteuer als einer den Mitgliedstaaten zufließenden Finanzquelle unangetastet. Zu entrichten ist lediglich ein begrenzter Beitrag aus den fiskalischen Gesamtmitteln, weshalb die Problematik der vergünstigungsbedingten Haushaltsinfiltra­ tion im Übrigen völlig ungelöst bleibt. Zudem könnte die per Beschluss 1 Nettesheim, in: Bogdandy/Bast, Eur VerfR, 2. Aufl., S. 389 (437). 2 Siehe auch Görisch, Demokratische Verwaltung, 2009, S. 350 mwN; Epiney, NVwZ 2006, 407 f. 3 Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 384 ff; vgl. auch Mick, in: Birk, HdB des Europä­ischen Steuer- und Abgabenrechts, 1995, § 24 Rn 43. 4 So aber Jochum, Steuervergünstigung, 2006, S. 388.

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auferlegte Funktion eines Berechnungsmaßstabs ebenso wie die forma­ le Umsetzung des Ursprungslandprinzips allenfalls eine akzessorische Angleichung national vordefinierter Vergünstigungen begründen – nicht aber die Befugnis zu unionsauto­nomer Einführung von Befreiungstatbe­ ständen. Eine derart rigide Haltung presste die Umsatzsteuergesetzge­ bung jedoch in ein allzu enges Korsett und wird auch im Hinblick auf die binnenmarktfundierte Grundausrichtung nicht veranlasst. Vor uner­ wünschten Haushaltslücken bewahrt die Mitgliedstaaten richtigerweise das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat gemäß Art. 113 AEUV1, worin gerade auch die erforderliche Akzeptanz von Mindereinnahmen zuguns­ ten außersteuerlicher Motivlagen zum Ausdruck gelangt. Die zentrale Aufgabe, einer drohenden Aushöhlung demokratischer Legitimität unter dem Eindruck der übertragenen Steuersouveränität entgegenzutreten, fällt außerdem der primären Verantwortungssphäre des nationalen Ver­ fassungsrechts zu. Sollte tatsächlich eine schleichende Parlamentsent­ machtung zu befürchten sein, könnte etwa eine Vorabbeteiligung mit bindendem Votum für die Ratsabstimmung effektive Abhilfe schaffen. b) Umsatzsteuersystematische Zieladäquanz Aus umsatzsteuersystematischer Sicht ist fraglich, ob ein vergünsti­ gungsspezifisch zugrunde gelegtes Förderziel funktional stets über die Verbilligung betreffender Wirtschaftsgüter als Kehrseite der Belastungs­ konzeption angestrebt werden muss. Apodiktisch hat das BVerfG anläss­ lich zweier Entscheidungen zu § 4 Nr. 14 UStG ausgeführt, umsatzsteu­ erliche Begünstigungen für ausgewählte Unternehmergruppen, wie sie exemplarisch für freiberufliche Umsätze in Form eines ermäßigten Sat­ zes existierte, widersprechen dem indirekten Überwälzungscharakter und erfolgen systemwidrig2. Mehrheitlich fordert diesem obiter dictum entsprechend auch das Schrifttum eine rein objektiv an den Merkmalen der Ausgangsumsätze orientierte Ausgestaltung von Befreiungsvorschrif­ ten3. Ob der EuGH künftig ebenfalls eine derart restriktive Linie auf der ­vorrangigen Grundlage des primärrechtlichen Gleichheitssatzes gemäß Art. 20 GRCh prägen wird, bleibt abzuwarten. Retrospektiv ist eine 1 Vgl. auch Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. Art. 113 AEUV Rn 13. 2 BVerfGE 101, 132 (139); 151 (156), jeweils unter Verweis auf BReg, BT‑Drucks. 9/842 v. 28.09.1981, S. 74; siehe auch Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähig­ keitsgrundsatzes, 2014, S. 228. Abw. für die Entlastung spez. des produzierenden Ge­ werbes von der Strom- und Mineralölsteuer BVerfGE 110, 274 (297). 3 Vgl. Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 41; Reiß, in: DStJG 32 (2009), S. 9 (14, 47); Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 73; Achatz, in: DStJG 26 (2003), S. 279 (306); Kruhl, UVR 2011, 138 (143); Dziadkowski, UR 2006, 87 (88); Tehler, UVR 2005, 289 (291); Kirchhof, UR 2002, 541 (545); siehe auch Herman/Kersteren/Gabriel, in: Ecker/Lang/Lejeune, Indirect Taxation, 2012, S. 607 (609).

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g­ ewisse Skepsis angebracht, nachdem die höchstrichterliche Rechtspre­ chung an bestimmten Unternehmerkategorien vorbehaltenen Begüns­ tigungen bislang keinen systematischen Anstoß genommen hat1. Ent­ sprechend knüpft Art. 110 Abs. 2 MwStSystRL die zum Stichtag des 01.01.1991 weiterhin zugelassenen Freistellungen unter Vorsteuerabzug an die besondere Voraussetzung, dass diese aus genau definierten Sozial­ gründen nur zugunsten der Endverbraucher beibehalten werden dürfen. Diese spezielle Anordnung mag schwerlich als bloße Deklaration eines allgemeinverbindlichen Telos gedeutet werden. Systematisch richtig wie auch im Lichte der vorbezeichneten Jurisdiktion näherliegend ist es, in Art. 110 Abs. 2 MwStSystRL eine konstitutive Begrenzung erlaubter Be­ günstigungsziele zu sehen mit der Folge, dass die Unternehmerförderung im Übrigen ohne eine eigens normierte Eingrenzung nicht zu beanstan­ den steht. Für eine solche Wertung spricht auch der besondere Zusam­ menhang zu einer fragmentarisch ausgeprägten Harmonisierung, in de­ ren einschränkungsbedürftigem Kontext diese Regelung steht. So hat die Kommission bereits frühzeitig die Nullsatzbesteuerung von auf Vor­ stufen bezogenen Gütern, wie sie etwa in Portugal und Irland für Tier­ nahrung, Saatgut oder Dünger fortlaufend angewandt wird, als zielinad­ äquate Maßnahme gesondert kritisiert2. Spätestens sichtbar wird die begrenzte Reichweite schließlich anhand von Art. 371 iVm Anhang X Nr. 5 MwStSystRL, wonach eine gezielte Unternehmerförderung mittels unechter Befreiung vorbehaltlich nicht hinnehmbarer Wettbewerbsver­ zerrungen explizit gestattet wird. Ihrem Kern nach betrifft die anhaltende Diskussion um die Zulässigkeit einer spezi­ fischen Unternehmerförderung richtigerweise ein Vertei­ lungsproblem denn einen zwingend hinderlichen Aspekt im verbrauch­ steuertypologischen Aufbau. Selbst das sicher verbrauchsteuerkonforme Ideal einer Verbilligung ausgewählter Umsätze ist nämlich zuallererst nur über die Zwischenstufe einer Unternehmerförderung erreichbar. Aufgrund der indirekten Erhebungsform muss jedwede Umsatzsteuer­ vergünstigung anknüpfend an den leistenden Unternehmer ein preis­ kalkulatorisches Einsparpotenzial schaffen, das dieser sodann an den Empfänger durchschleusen soll. Wie bereits eingehend zu den Förderbe­ dingungen einer Beihilfe dargelegt, profitiert der befreite Unternehmer selbst bei vollkommener Überwälzung des Vergünstigungseffekts zu­ mindest indirekt, indem herabgesetzte Preise in Korrelation zur Elastizi­ tät des Nachfrageverhaltens stabilisierend oder sogar verbessernd auf das 1 EuGH Rs. C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik, ECLI:EU:C:2014:111 Rn 46; Rs. C‑357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 36; vgl. ferner zum Ausschluss von Zwischenhändlern von der Befreiung für Zahnersatz EuGH, Rs. C-401/05, VDP Den­ tal Laboratory, Slg. 2006, I-12121 Rn 25 ff. 2 Siehe dazu Tait, Value Added Tax, 1988, S. 54.

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Umsatzniveau einschließlich der daraus erzielten Profitabilität einwir­ ken1. Der maßgebliche Gedanke, dass Befreiungen wie auch andere For­ men der Steuervergünstigung einsetzbar sind, damit zu hohe Preise aus Sicht der Konsumenten und gleichzeitig potenzielle Gewinnschmälerun­ gen zulasten der Anbieter vermieden werden können, spielte aus Sicht des Gesetzgebers bei der Umstellung auf die Allphasennettosteuer nach­ weislich eine Rolle2. Technisch betrachtet ist die Mitbegünstigung des formalen Steuerschuldners folglich eine unumgängliche Bedingung für die Verbilligung ausgewählter Umsätze im Steuerträgerinteresse. Begeg­ nen subjektive Befreiungen vehementer Ablehnung, so kann diese Hal­ tung daher weniger durch die Unternehmerbegünstigung dem Grunde nach als vielmehr durch die Frage veranlasst sein, ob eine Steuerverscho­ nung einzelnen Marktteilnehmern trotz alternativer Angebotsmöglich­ keiten vorbehalten sein darf. Unmittelbar mit dieser grundlegenden ­Adressierung verbunden ist die typisierte Förderform auf Unternehmer­ ebene, da im Falle einer wettbewerbsverzerrenden Tatbestandsgestaltung die Wahrscheinlichkeit für eine vollständige Einpreisung des Steuervor­ teils abnimmt und die Gewinnmarge durch einen Aufschlag um die Brut­ topreisdifferenz unmittelbar erhöht werden kann. Mag es vor diesem Hintergrund durchaus zutreffen, dass unternehmer­ orientierte Freistellungen die verbrauchsteuertypischen Überwälzungspa­ rameter einseitig verschieben, bedingt diese Einsicht jedoch keineswegs zwingend eine interdisziplinär abgestimmte Verengung außersteuerli­ cher Motivlagen auf reine Verbraucherinteressen3. Der sekundärrecht­ lich ausformulierte Regelzustand erfährt bereits durch jede beliebige ­Verschonung eine aus Verbraucherperspektive generell rechtfertigungs­ bedürftige Durchbrechung, deren legitime Zwecksetzung primärrechts­ kompatibel sein muss. Gerade das seinerseits durchbrochene Umsatz­ steuersystem als leitendes Grundprinzip für die Zielrichtung von Ausnahmetatbeständen auszuloben, ist deshalb Ausdruck eines zirkulä­ ren Argumentationsmusters, vor allem findet sich eine entsprechende Prämisse nicht im gleichheitsrechtlichen Gebot zu folgerichtiger Belas­ tungsumsetzung verabsolutiert. In welche Zwecksetzung der Unionsge­ setzgeber Systemabweichungen mittels umsatzsteuerlicher Vergünsti­ gungen sachlich wie persönlich einstellen darf, entscheidet sich allein am Maßstab des höherrangigen Vertragsrechts, während die ihrerseits nur gleichheitsrechtlich verfestigte Verbrauchsteuersystematik zuläs­ 1 Siehe hierzu Teil 5 B.I.2.a); vgl. zur Doppelrolle von Befreiungen auch Schmidt, Kon­ sumbesteuerung, 1999, S. 190. 2 Zu ermäßigten Steuersätzen FinA, BT-Drucks. V/48 v. 30.03.1967, S. 3 f. 3 In diesem Sinne Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 198; offen auch Weidenbaum/Christian, in: Weidenbaum/Raboy/Christian, The Value-Added Tax, 1989, S. 1 (10); Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (467 f); Parker, International and Comparative Law Review 1988, 155 (158).

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

sigen Relativierungen unterworfen ist1. Die eigentliche Problemlage provozieren auf einzelne Marktteilnehmer zugeschnittene Vergünsti­ ­ gungstatbestände somit nicht auf Ebene der Ziellegitimität, sondern hin­ sichtlich der Verhältnismäßigkeit im Übrigen. Betroffen ist vornehmlich das Erfordernis der Geeignetheit, sollte eine Besserstellung tatbestand­ lich bestimmter Unternehmer zeitgleich mit dem Ziel der Leistungsver­ billigung angestrebt sein. Weiterhin steht regelmäßig eine angemessene Relation zwischen Ziel und Wirkung infrage, sofern subjektiv zuge­ schnittene Befreiungen Verzerrungen im Wettbewerb um sachlich aus­ tauschbare Umsätze verursachen. 3. Universale Postdienstversorgung als primärrechtskonformer ­Allgemeinwohlbelang Die Befreiung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL leistet einen zweiteiligen Beitrag zur postalischen Grundversorgung. Aus Sicht der Verbraucher sollen die Universaldienstpreise unter bewusster Inkauf­ nahme von Wettbewerbsverzerrungen gesenkt, zeitgleich dem gemein­ wohlverpflichteten Anbieter ein steuerbedingter Kostenfaktor erlassen werden. Grundversorgende Postdienste verkörpern Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, zu deren hervorragender Bedeu­ tung sich das europäische Vertragsrecht gleich mehrfach bekennt2. Allge­ meingültig hebt Art. 14 Satz 1 AEUV den Stellenwert einer hinreichen­ den Versorgungslage für den sozialen und territorialen Zusammenhalt hervor, so dass neben den Mitgliedstaaten auch die Union selbst für eine angemessene Funktionsfähigkeit in wirtschaftlicher und finanz­ ieller Hinsicht Sorge tragen muss. Beihilfenrechtlich statuiert Art. 106 Abs. 2 AEUV zudem eine mögliche Suspendierung, aus Sicht der Unionsgrund­ rechte eröffnet die Zielbestimmung des Art. 36 GRCh im Interesse des effektiven Versorgungszugangs eine Beschränkungsmöglichkeit mit dem Potenzial zu effektiven Beschneidungen des freien Wettbewerbs3. Die allgemeine Postdienstversorgung, deren Grundversorgungsstandard einfachrechtlich durch das Universaldienstkonzept festgelegt wird, ver­ körpert angesichts dieser rechtlichen Ausgangslage unzweifelhaft einen primärrechtlich anerkannten Gemeinwohlbelang. Diese Qualität hat der EuGH in seiner Entscheidung „Kommission/Niederlande“ bezüglich an nationalen Grundversorgungsunternehmen gehaltenen Vorzugsaktien (sog. „golden shares“) im Rahmen möglicher Be­schrän­k­ungen der Kapi­

1 Im Erg. mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG ebenso BFH BStBl. II 1971, 430 (432). 2 Blanke/Böttner, in: Niedobitek, Politiken der Union, 2014, § 2 Rn 452. 3 Vgl. Rudolf, in: Meyer, GRC, 4. Aufl. Art. 36 Rn 12; Knauff, EuR 2010, 725 (729); krit. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 36 GRCh Rn 6.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

talverkehrsfreiheit bestätigt1. Die umsatzsteuerliche Vorzugsbehandlung des Universaldienstes ist somit auf der Grundlage von Art. 113 AEUV dem legislativen Ermessen überstellt, ohne dass im Besonderen die status­ abhängige Unternehmersubvention anlässlich der vollzogenen System­ durchbrechung zu beanstanden wäre2.

II. Geeignetheit zur Zielförderung Eine Maßnahme erweist sich dann als geeignet, wenn durch sie die je­ weils ausgelobte Zielsetzung faktisch erreicht werden kann3. In diesem Prüfungsschritt geht es weniger um rein juristisch fassbare Kategorien denn um eine prognostische Bewertung von Tatsachengrundlagen4. Es entspricht hierzu gefestigter Rechtsprechung des EuGH, dass der Uni­ onsgesetzgeber materienbezogen über eine nur auf offensichtliche Fehl­ schlüsse prüfbare Einschätzungsprärogative verfügt5. Ursprünglich eta­ blierte sich die verringerte Kontrollintensität hinsichtlich regulatorischer Maßnahmen im Agrarsektor, dessen Gestaltung sich wesentlich als er­ messensgeleitete Aufgabe darstellt6. Gleichsam wurde diese Linie für eine schrittweise Harmonisierung in anderen Wirtschaftsangelegenhei­ ten bestätigt7. In seiner neueren Rechtsprechung hat der Gerichtshof eine generalisierende Formel stilisiert, wonach der Unionsgesetzgeber stets ein weites Ermessen genießt, sofern er Entscheidungen von politischer als auch wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung treffen sowie dabei komplexe Prüfungen und Bewertungen vornehmen muss8. Eine derartige 1 EuGH, Rs. C-282/04 und C-283/04, Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I‑9141 Rn 38; siehe dazu Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienst­ leistungen, 2011, S. 360. In gleichem Sinne zum Fernmeldenetz als Beschränkungs­ motiv für den Warenverkehr EuGH, Rs. C-388/00 und C-429/00, Radiosistemi, Slg. 2002, I-5845 Rn 44. 2 A.A. Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 115 f, wonach die Kompensation der Gemeinwohllast im Interesse der öffentlichen Posteinrichtung eine unzulässige Un­ ternehmerförderung darstelle; so wohl auch Hey, StuW 2005, 317 (320). 3 Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 52 GRC Rn 6. 4 Siehe auch Cornils, in: Grabenwarter, Enz EuR, Bd 2, 2015, § 5 Rn 111. 5 Vgl. zur grundsätzlichen Annahme des EuGH zu einer gesetzgeberischen Beurtei­ lungskompetenz Krämer, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 52 Rn 55 mwN. 6 Grundlegend EuGH, Rs. 40/72, Schröder, Slg. 1973, 125 Rn 14; Rs. 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237 Rn 22; Rs. 113/88, Karl Leukhardt, Slg. 1989, 2009 Rn 20; vgl. ferner EuGH, Rs. C‑280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973 Rn 89; Rs. C-306/93, SMW Winzersekt, Slg. 1994, 5555 Rn 21; Rs. C‑33/08, Agrana Zucker, Slg. 2009, I‑5035 Rn 32. 7 Vgl. EuGH, Rs. 37/83, REWE Zentrale, Slg. 1984, 1230 Rn 20; Rs. C-37/83, Les ­Assurances du cédit, Slg. 1991, 1799 Rn 11; Rs. C-233/94, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I‑2405 Rn 43. 8 EuGH, Rs. C-491/01, British American Tobacco, Slg. 2002, I-11453 Rn 123; Rs. C-210/03, Swedish Match, Slg. 2004, I-11893 Rn 48; Rs. C-127/07, Société Arcelor Atlantique et Lorraine, Slg. 2008, I‑9895 Rn 57; Rs. C‑58/08, Vodafone, Slg. 2010,

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

Materie verkörpern zweifelsohne auch steuerrechtliche Belange1, die an­ lässlich einer punktuell oder übergreifend konzeptionierten Harmonisie­ rung wirtschaftliche und soziale Aspekte gleichermaßen in sich vereini­ gen2. Insbesondere beruht ein gemäß Art. 113 AEUV erlaubter Einsatz von außerfiskalisch begründeten Steuervergünstigungen, wie dies die Befreiung von Postdiensten nachdrücklich belegt, typischerweise auf ei­ ner politisch brisanten Wertung von zugleich hoher wirtschaftlicher Komplexität. Innerhalb der Dialektik des EuGH ist es folglich zwingend, steuerrechtlich eingekleidete Strategien des Rats einer schonenden Über­ prüfung auf ihre Zwecktauglichkeit hin zu unterziehen. Die konkreten Auswirkungen der höchstrichterlichen Kontrolldisziplin beziehen sich auf drei prüfungsrelevante Aspekte. Von entscheidender Tragweite ist zunächst, dass sich eine prärogativ erlassene Maßnahme nur im Falle ihrer offensichtlichen Untauglichkeit als ungeeignet er­ weist3. Dabei kommt es für die perspektivische Beurteilung unsicherer Entwicklungsverläufe auf den zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses ver­ fügbaren Kenntnisstand ex ante an4. Schließlich postuliert der EuGH eine Art Beweislastumkehr. Demnach obliegt es demjenigen, der sich auf die Rechtswidrigkeit eines Unionsaktes beruft, fundierte Tatsachen für die Untauglichkeit darzulegen und diese eingehend zu begründen5. Im Ergebnis entfaltet die Geeignetheit diesen Grundsätzen gemäß eine stark abgeschwächte Begrenzungsfunktion gegenüber umsatzsteuerlichen Ver­ günstigungsnormen6, so dass bestehende Zweifel an der Zweckdienlich­ keit regelmäßig nur bei der Angemessenheit in Relation zu den jeweils beeinträchtigten Gleichstellungsinteressen in Ansatz gebracht werden können. I-4999 Rn 52; ebenso EuG, Rs. T-526/10, Inuit Tapiriit Kanatami u.a., ECLI:EU:T:2013:215 Rn 88; siehe auch Emiliou, Proportionality, 1996, S. 177 ff. 1 Im Erg. auch Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 12.17. 2 Dies nunmehr ausdrücklich für Steuervergünstigungen anerkennend EuGH, Rs. C‑573/15, Oxycure Belgium, ECLI:EU:C:2017:189 Rn 23; Rs. C‑390/15, RPO, ECLI:EU:C:2017:174 Rn 54; vgl. dazu ferner Komar, Probleme der Steuerharmonisie­ rung, 1983, S. 5. 3 Vgl. nur EuGH, Rs. C-58/08, Vodafone, Slg. 2010, I-4999 Rn 52; Rs. C-331/88, F ­ edesa, Slg. 1990, I‑4023 Rn 14. 4 EuGH, Rs. C-127/07, Société Arcelor Atlantique et Lorraine, Slg. 2008, I-9895 Rn 58; Rs. C‑280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973 Rn 90. Siehe gleichfalls BVerf­ GE 50, 290 (335). 5 EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973 Rn 94; Rs. 26/79 und 86/79, Forges de Thy-Marcinelle et Monceau/Kommission, Slg. 1980, 1083 Rn 6; in diesem Sinne auch EuGH, Rs. C‑491/01, British American Tobacco und Imperial Tobacco, Slg. 2002, I‑11453 Rn 123; siehe auch Krämer, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 52 Rn 57. Krit. dazu Emiliou, Proportionality, 1996, S. 182 ff; von Danwitz, EWS 2003, 393 (396). 6 So auch Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (59); Jacobs, Gemein­ nützigkeit, 2009, S. 61 ff.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

Lässt sich damit die vom EuGH zu erwartende Handhabung einer befrei­ ungsspezifischen Geeignetheitsprüfung antizipieren, steht freilich auf einem anderen Blatt, ob diese auch dogmatisch überzeugend ausfällt. Bei der reduzierten Prüfdichte handelt es sich nicht um ein genuin unions­ rechtliches Phänomen. Vergleichsweise wahrt insbesondere das BVerfG strikte Zurückhaltung bei wirtschaftlich schwierig gelagerten Themati­ ken wie derjenigen der Besteuerung1, so dass zumindest auf Ebene der Geeignetheit ein vielfach beschworener Abfall der EuGH-Rechtspre­ chung gegenüber der relativ strengen Verhältnismäßigkeitskontrolle deutscher Prägung nicht ersichtlich ist2. Gleichsam untermauert der EGMR Steuernormen mit einer Einschätzungsprärogative3, um einer of­ fensichtlich als unangemessen empfundenen Beschränkung der gesetzge­ berischen Gestaltungsmacht vorzubeugen. Auf offensichtliche Fehlein­ schätzungen zurückgezogene Kontrollmaßstäbe kristallisieren sich somit als ein klar verfestigtes Allgemeingut anlässlich verfassungsmäßiger Überprüfungen heraus. Diese Respekthaltung entspringt der Notwen­ digkeit, auch in Bezug auf mit erheblichen Un­sicherheiten behaftete ­Materien eine Regelungsinitiative nicht entgegen dem Grundsatz der Gewaltenteilung zu ersticken. Infolge einer lückenlosen Nachweisoblie­ genheit wäre der Gesetzgeber nämlich vielfach zu Passivität verdammt, müsste er bereits im Ansatz von nicht erwiesenermaßen geeigneten Maßnahmen Abstand nehmen. Nicht selten qualifizieren sich einschlä­ gige Regelungskomplexe insoweit auch nur als bedingt justitiabel, sollte die richterliche Expertise, wie häufig der Fall, nicht über den Kenntnisund Informationsstand der gesetzgebenden Organe hinausreichen oder die Folgeanalyse ausermittelter Faktoren letztlich von subjektiven Wert­ vorstellungen abhängig sein4. In derartigen Konstellationen erscheint es folgerichtig, wenn bloße Zweifel an der Zweckdienlichkeit nicht einem Automatismus gleich zulasten der Primärrechtskonformität ausschla­ gen5. Als jedenfalls vertretbar zu bewerten ist schließlich die vom EuGH profilierte Beweislastverteilung in prozessualer Hinsicht. Diese korre­ liert mit der weitergehenden Vermutungswirkung, die grundsätzlich für eine Wirksamkeit unionaler Rechtsakte streitet6. Überdies fördert sie 1 Siehe etwa BVerfGE 30, 250 (263); 110, 274 (293). 2 Relativierend auch Kischel, EuR 2000, 380 ff; Zuleeg, NJW 1997, 1201 (1203). 3 EGMR Nr. 3991/03, Bulves/Bulgarien, Rn 63; Nr. 21319/93 u.a., National & Provin­ cial Building Society, Rn 80; vgl. Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Eur StR, 2015, Rn 12.17. 4 Vgl. Schwarze, in: Schwarze/Schmidt-Aßmann, Ausmaß der gerichtlichen Kontrol­ le, 1992, S. 201 (235). 5 Übergreifend ist dem nationalen Recht der Grundsatz „in dubio pro lege“ ebenfalls nicht fremd, siehe Aroz, in: Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts, 2001, S. 299 (302); Horn, Die Grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 231. 6 EuGH, Rs. C-475/01, Kommission/Griechenland, Slg. 2004, I-8923 Rn 17 ff; Rs. C‑245/92 P, Chemie Linz/Kommission, Slg. 1999, I-4643 Rn 93 f; Rs. C-137/92 P,

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einen angemessenen Ausgleich zwischen widerstreitenden Belangen des Rechtsstaatsprinzips, dem außerhalb des Postulats nach Rechtmäßigkeit gleichfalls ein Zustand der Verlässlichkeit hoheitlichen Handelns imma­ nent ist1. 1. Inhaltliche Bezugspunkte der Geeignetheitsprüfung Die maßgeblichen Elemente der Eignungsprüfung von unechten Befrei­ ungen orientieren sich an der gesetzlich veranschlagten Zielsetzung. Sie gliedern sich unter objektiven wie subjektiven Fördergesichtspunkten in drei zentrale Kategorien auf. Als im Ausgangspunkt unverzichtbar er­ weist sich die Feststellung, ob der konträre Ausschluss des Vorsteuerab­ zugs den äußeren Steuerpflichtvorteil nivelliert oder gar überkompen­ siert. Grundvoraussetzung für die Geeignetheit jedweder Befreiung im Gemeinwohlinteresse ist, dass eine konsistente Entlastung eintritt. Dies gilt völlig ungeachtet der Frage, ob die Begünstigung nur den Unter­ nehmer unmittelbar fördern oder aber primär den Verbrauchern zu­ gutekommen soll. Auszugrenzen sind hiervon rein technisch bedingte Freistellungen ohne Vorsteuerabzug, deren Bestand letztlich besondere Erhebungsdefizite rekapituliert und mangels zielgerichteter Entlastungs­ funktion nicht in eine gesonderte Tauglichkeitskontrolle einzubeziehen ist2. Mitgliedstaatlich initiierten Eingriffen in die Grundfreiheiten oder Unionsgrundrechte verlangt der EuGH in gefestigter Rechtsprechung eine systematische Kontinuität ab3. Innerhalb der gemeinwohlspezifisch abgesteckten Grenzen beansprucht diese Anforderung gleichermaßen Geltung gegenüber sekundärrechtlich statuierten Steuerverschonungen, soweit diese primärrechtliche Individualrechte diskreditieren. Weiterhin ist von entscheidender Bedeutung, ob die Begünstigung den Schuldner oder den Steuerträger innerhalb des indirekten Erhebungsauf­ baus avisiert. Die durch allgemeinpolitische Gestaltungsziele getragene Verbilligung im Verbraucherinteresse markiert den Regelfall unechter Freistellungen und ist zusätzlich davon abhängig, dass der intermediäre Unternehmer den Steuervorteil wenigstens partiell einpreist und so an Kommission/BASF u.a., Slg. 1994, I‑2555 Rn 48 f; siehe auch Kaman, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 113 AEUV Rn 2; Krämer, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 52 Rn 57, der fordert, dass die Unverhältnismäßigkeit zur Überzeugung des Ge­ richts feststehen muss. 1 Vgl. Schmahl, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, HdB EuR, 3. Aufl., § 6 Rn 39. 2 Bezweifelt werden muss aber bisweilen die Erforderlichkeit, soweit mittlerweile moderne Methoden für eine praktikable Regelbesteuerung entwickelt worden sind, vgl. de la Feria/Krever, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 3 (33); Cnossen, In­ ternational Tax and Public Finance 1998, 399 (405 ff). 3 Siehe etwa EuGH, Rs. C-212/08, Zeturf, Slg. 2011, I-05633 Rn 62; Rs. C-258/08, Lad­ brokes Betting & Gaming, Slg. 2010, I-4757 Rn 38; Rs. C-316/07 u.a., Stoß u.a., Slg. 2010, I‑8069 Rn 83.

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seine Kunden überbringt1. Erst auf eine subjektiv differenzierte Begünsti­ gungstendenz aufbauend, kann ferner bewertet werden, ob der erstrebte Primäreffekt ebenfalls dazu beiträgt, die jeweils allgemeinpolitisch über­ lagernde Zielsetzung einer Befreiung zu erreichen. Eine beachtliche Fil­ terfunktion erfüllt dieser dritte Aspekt indes nur, sollte das auf einer Metaebene angesiedelte Fernziel einen eigenständigen Anforderungs­ wert gegenüber der sonst indifferenten Entlastung als solcher verkör­ pern. Anzuerkennen ist dies für eine auf vollständige Freistellung ange­ wiesene Existenzverschonung, weil eine vorsteuerbedingte Restbelastung des unausweichlichen Privatkonsums inkonsequent ist. Ebenso mag zweifelhaft erscheinen, ob eine sozialpolitisch inferiore Umverteilung tatsächlich in ausreichendem Maße gelingt2, was klassischerweise am Beispiel kultureller Leistungen in Abrede gestellt wird3. Dennoch gilt es zu beachten, dass die meisten Tatbestände über eine multiple Zweckset­ zung mit Überschneidungsbereichen verfügen können4, was die juristi­ sche Disziplin zu einer differenzierten Bewertung herausfordert. So soll etwa die Begünstigung kultureller Leistungen auch oder gar in erster Li­ nie die Nachfrage meritorischer Güter stimulieren, wobei dieser Förder­ effekt freilich unter die Bedingung einer ausreichend hohen Nachfrage­ elastizität gestellt bleibt. Aus den vorausgehenden Überlegungen leiten sich die wesentlichen Prüfparameter in Bezug auf die Postdienstbefreiung ab. Es wurde bereits festgestellt, dass gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die Verbilli­ gung von Universaldienstentgelten mit einer indirekten Konsolidierung des Grundversorgers im Wettbewerb gepaart wird5. Diese ambivalente Zwecksetzung beschränkt sich darauf, dass die unechte Befreiung erstens positiv ausfällt und zweitens eine preisliche Weitergabe an die Verbrau­ cher berechtigterweise unterstellt werden darf. Mit einem erleichterten Zugang zur postalischen Versorgung ist unweigerlich eine soziale Kom­ ponente im Interesse niedriger Einkommensgruppen verbunden. Diese definiert sich allerdings nicht über eine kohärente Freistellung des menschlichen Existenzminimums, wodurch eine inkonsistente Zielver­ folgung angezeigt wäre6. Gleichfalls ist angesichts der pauschalen Entlas­ tung eines einkommen- wie auch personenübergreifend nachgefragten

1 Skeptisch dazu Schmidt, Konsumbesteuerung, 1999, S. 191. 2 Vgl. Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (277); de la Feria, Intertax 2009, 148 (157). 3 Diese werden durch Reiche überproportional nachgefragt, vgl. FiFo Köln/Copenha­ gen Economics/ZEW, Evaluierung von Steuervergünstigungen, 2009, S. 344 f; Hemels, in: Lang/Melz/Kristoffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (43 ff). 4 Tait, Value Added Tax, 1988, S. 56. 5 Siehe hierzu vorstehend I.1. 6 A.A. wohl Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (66).

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Gutes nicht erkennbar, dass eine – ökonomisch sicherlich fragwürdige – Umverteilungsfunktion vertieft werden soll. 2. Freistellung und Vorsteuerausschluss Einen vorteilhaften Effekt entfalten unechte Befreiungstatbestände mit Ausschluss des Vorsteuerabzugs nur unter Berücksichtigung zweier we­ sentlicher Faktoren. a) Unternehmereigene Wertschöpfung Eine grundlegende Weichenstellung bestimmt, ob Unternehmer inner­ halb der befreiten Branche typischerweise eine ausreichend hohe Wert­ schöpfung am Markt kre­ieren1. Nur in diesem Falle ist gewährleistet, dass die aufgehobene Steuerpflicht zum Nominalsatz betragsmäßig hö­ her liegt als die nicht abzugsfähige Vorsteuer und damit die Exemtion überhaupt ein positives Entlastungsmoment begründen kann. Alternativ bewirken unechte Befreiungen eine kontraproduktive Verschlechterung der Unternehmerstellung und disqualifizieren sich gleichsam aus Steuer­ trägersicht als ungeeignete Maßnahme. Ergänzend sind auch die mit­ telbaren Nachwirkungen des Vorsteuerausschlusses in die Bewertung einzubeziehen, die sich in Effizienzverlusten wegen betrieblicher Kon­ zentrationsanreize und erhöhter Befolgungslasten äußern. Überwiegend spricht für eine hinreichende Wertschöpfungsquote bei innerstaatlichen Um­sätzen iSv Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL, dass im Ausgangspunkt na­ hezu ausschließlich arbeitsintensive Dienstleistungen den jeweils be­ günstigten Gegenstand markieren. Speziell für Postdienste wurde bereits erläutert, dass diese Branche neben einem gewissen Grad an Sachkapital vornehmlich durch hohen Personaleinsatz und vorsteuerneutrale Lohn­ kosten operiert2. Unter derartigen Bedingungen dämpft die nachteilige Behandlung von Eingangsumsätzen die Begünstigungswirkung in aller Regel ab, rechtfertigt aber nicht per se das Prädikat der Zweckinkonti­ nuität. Bekanntlich haben den EuGH indes auch Ausgangsverfahren beschäftigt, in denen sich Unternehmer gegen die Befreiung ihrer Umsätze und den damit verbundenen Ausschluss vom Vorsteuerabzug zur Wehr gesetzt haben3. Derartige Konstellationen mahnen eine differenzierte Betrach­ tung an. Von einer allgemeingültigen Geeignetheitsbewertung sind si­ cherlich solche Einzelfälle auszuscheiden, in denen sich der Vorsteuer­ 1 Siehe hierzu Teil 2 A.II. 2 Siehe hierzu Teil 4 A.I. 3 Vgl. z.B. EuGH, Rs. C-223/03, University of Huddersfield, Slg. 2006, I‑1751 Rn 2; Rs. C‑498/03, Kingscrest Associates, Slg. 2005, I-4427 Rn 2; Rs. C-216/97, Gregg, Slg. 1999, I‑4947 Rn 6.

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ausschluss wegen übergangsweise anstehender Investitionsvolumina in Sachkapital oder Ausnahmeprojekte vorübergehend negativ auswirken mag. Die generelle Eignung einer abstrakt gefassten Befreiungsregelung kann nur in Ansehung der typisiert betroffenen Unternehmersituation festgestellt werden, ohne dass einzelfallspezifischen Besonderheiten überproportionale Bedeutung zugemessen werden darf. Als strukturell problematisch stellen sich unechte Befreiungen allerdings dar, sobald Unternehmer kontinuierlich hohe Ausgaben für die Anschaffung oder den Unterhalt von Grundstücken, Gebäuden oder sonstigen Gerätschaf­ ten tragen müssen. Besondere Aufmerksamkeit ist der Vorsteuerbelas­ tung etwa für Krankenhäuser zu zollen, deren Betrieb auf Gebäude von erheblicher Größe sowie die Ausstattung mit moderner Technik ange­ wiesen ist. Ebenfalls nicht zweifelsfrei kann die Entlastung für kleinere Hochschulen sein, die mitunter in hohem Maße unterstützende Leistun­ gen auslagern. Ein weiteres Beispiel findet sich für die Niederlande be­ legt, die infolge der vorsteuerbelasteten Grundstückskosten eine Befrei­ ung von Eintrittsgeldern in Museen abgeschafft und an deren Stelle eine Steuersatzermäßigung eingeführt hat1. b) Ambivalente Kundenstellung Einen zweiten Wirkungsfaktor determiniert die umsatzsteuerrechtliche Kundenstellung. Keinen vorteilhaften Nutzen verzeichnen unechte Be­ freiungen auf der Zwischenstufe gegenüber steuerpflichtigen Leistungs­ empfängern, die ihrerseits zum Abzug in Rechnung ausgewiesener Um­ satzsteuer berechtigt wären. Die Mehrzahl gemeinwohlorientierter Befreiungstatbestände setzt jedoch eine regelhafte Typizität dahingehend fest, dass die betreffenden Umsatzkategorien zuvörderst die Nachfrage von Endverbrauchern widerspiegeln2. Eine entsprechend gelagerte Kon­ stellation verbürgen Umsätze, die regelmäßig durch Unternehmer für steuerbefreite Zwecke oder vonseiten wohltätiger Einrichtungen ohne unternehmerischen Status bezogen werden3. Zielführend kann bei einer derart uniformen Empfängerstellung allein die oben unter a) behandelte Frage sein, ob der Vorsteuerausschluss einschließlich der mit ihm verbun­denen Folgelasten einen bevorzugten Entlastungseffekt vereitelt. Die Freistellung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL weicht von dieser Grundkonstellation ab, indem sowohl Endverbraucher und diesen gleichgestellte Einrichtungen als auch Unternehmer mit oder ohne Vor­

1 Geändert durch Art. 2 C.2. Wet van 18 december 1995, Staatsblad 660; siehe dazu auch Hemels, VAT treatment on charities, 2010, S. 17. 2 Brümmerhoff/Büttner, Finanzwissenschaft, 11. Aufl., S. 496; OECD/KOM, Value-­ Added Taxes, 1998, S. 29. 3 Vgl. etwa Art. 132 Abs. 1 lit. d), e), f), k), o) und p) MwStSystRL.

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steuerabzugsrecht gleichermaßen Postdienste beanspruchen1. Beschränkt sich die Nachfrage nicht auf ein homogenes Kundenumfeld, vermag die Geeignetheit positiv nur anhand einer aufgeschlüsselten Gesamtbilanz über sämtliche Empfängergruppen hinweg verifiziert zu werden. Gerade mit Blick auf den Postsektor wurde bereits eingehend beleuchtet, welche besonderen Schwierigkeiten es für eine verlässliche Ermittlung der Be­ freiungswirkung zu überwinden gilt2. Die entscheidende Frage lautet daher, ob der Unionsgesetzgeber auch Steuervergünstigungen in die Richtlinie aufnehmen darf, deren Wirk­ samkeit sich nicht erwiesenermaßen einstellt. Bedeutung kann diese Überlegung nicht allein für ausdrücklich befreite Unternehmer erlangen, sondern bisweilen auch bezüglich Leistungen der öffentlichen Hand, die diese in nicht steuerbarer oder sonst zwingend zu befreiender Form er­ bringt3. Eine verbindliche Antwort lässt sich allein aus dem rechtlichen Maßstab entwickeln, wie er einleitend schon für das Verhältnismäßig­ keitsprinzip in puncto Geeignetheit justiert wurde. Im Lichte der ge­ richtlich zu respektierenden Einschätzungsprärogative stumpft diese Prüfungsebene auf ein grobes Kontrollraster ab, das lediglich offensicht­ liche Fehlwertungen der gesetzgebenden Organe verfängt. Dass die Post­ dienstexemtion einem derart eklatanten Prognoseirrtum unterläge und von vornherein aus dem Rahmen zulässiger Maßnahmen eliminiert wer­ den müsste, ist nicht überzeugend begründbar. Ebenso wie die Vorteil­ haftigkeit dem Grunde und der Höhe nach einer verlässlichen Eruierung für sämtliche Mitgliedstaaten harrt, kann gleichzeitig auch eine offen­ sichtliche Untauglichkeit nicht vollumfänglich belegt werden. Trotz der sehr unbefriedigenden Situation bleibt auch in Erinnerung zu rufen, dass die gesetzgeberische Einschätzung von einer Vorteilhaftigkeit der Exem­ tion durch die Mehrzahl bislang erarbeiteter Studien in der Tendenz klar bestätigt denn verworfen wurde. Ausgehend von diesem Befund ist die legislative Einschätzungsprärogative noch als gewahrt anzusehen. 3. Begünstigung der Steuerträger Unterliegt die gesetzgeberische Einschätzung bezüglich eines positiven Bilanzeffekts keiner Beanstandung, ist notwendigerweise zugleich die einseitige Maßgabe einer kostentechnischen Entlastungsfunktion zu­ gunsten der öffentlichen Posteinrichtung als erfüllt anzusehen. Noch nicht beantwortet ist damit jedoch, ob der Steuervorteil in Form verbil­ ligter Entgelte an die Verbraucher herangetragen wird, sich also in der 1 Neue Wege beschreitet unterdessen der Versandhändler Amazon mit dem Aufbau eigener Zustellzentren, siehe dazu BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 93. 2 Siehe hierzu Teil 4 B.III.1. 3 Vgl. Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

Person des Versorgers lediglich als mittelbare Begünstigung manifestiert. Im Zuge der fortschreitenden Postprivatisierung haben sich die Parame­ ter für die Preisgestaltung grundlegend verschoben. Der Übergang von hoheitlichen Monopolbetrieben zu nunmehr privatrechtlich verfassten Kapitalgesellschaften mit zudem häufig vollzogener Börsennotierung markiert den Einschlag wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten des Marktes anstelle einer rein öffentlich-rechtlich beförderten Gemeinwohlfunk­ tion. Ohnehin schwindet die staatliche Präsenz in diesem Sektor zu­ nehmend, indem frühere Anteilsmehrheiten gänzlich veräußert oder zu­ mindest erheblich reduziert werden. Aus heutiger Sicht gehorchen privatisierte Grundversorger daher nicht zuletzt im Interesse ihrer Anle­ ger primär den Geboten zu ökonomischer Effizienz, von deren Einfluss insbesondere auch die Entgeltfestsetzung vorbehaltlich gesetzlich veran­ kerter Regulierungsmaßnahmen nicht ausgeklammert bleibt. Nach den marktwirtschaftlichen Bedingungen von Angebot und Nach­ frage bieten unechte Befreiungen dann eine möglichst hohe Gewähr für den Verbilligungseffekt, wenn der zugrunde liegende Tatbestand wettbe­ werbsneutral konzipiert ist. Sind idealerweise sämtliche miteinander in Konkurrenz stehende Umsätze gleichmäßig erfasst, besteht in einem funktionierenden Wettbewerbsumfeld aus unternehmerischer Sicht der modellhafte Anreiz, bestehendes Potenzial für eine preisliche Reduktion einschließlich steuerlicher Entlastungsfaktoren voll auszuschöpfen1. Selbst bei solchen Regelungen, die lediglich eine in Wettbewerb stehende Gruppe bestimmter Unternehmer erfassen, kann noch ein ausreichender Anreiz für die Weitergabe des Steuervorteils gesetzt sein. Je schwächer unterdessen die Ausrichtung an den Grundsätzen des Bedarfsmarktkon­ zepts ausfällt, desto schwerer wiegt gegenläufig die Gefahr für gewinnop­ timierte Gestaltungen, die sich zumindest faktisch den steuerinduzier­ ten Bruttopreisen annähern. Bei dieser Betrachtung wird deutlich, dass die wettbewerbsneutrale Befreiungsgestaltung nicht allein eine gleich­ heitsrechtlich fundierte Forderung auf Unternehmerebene formuliert, sondern zugleich die Geeignetheit hinsichtlich einer verbleibenden ­Beschränkung des Leistungsfähigkeitsgedankens auf Verbraucherebene beeinflusst. Diese Linie setzt gleichsam in umgekehrtem Kontext das Prinzip der allgemeinen Erhebung fort, das mit anderen Vorzeichen die gesetzliche Intention einer verbrauchsteuercharakteristischen Belas­ tungsüberwälzung verbürgt. Als untauglich für eine Steuerträgerentlastung und daher auch als schwerlich durch diese Zielsetzung legitimierbar können sich demgegen­ 1 FiFo Köln/Copenhagen Economics/ZEW, Steuervergünstigungen, Bd 2, 2009, S. 341; Frink, Das Recht des Vorsteuerabzugs, 2002, S. 141; vgl. auch de la Feria/Krever, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 3 (24).

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über subjektive Befreiungstatbestände darstellen, falls sie in Anbetracht einer auf Einzelanbieter ausgerichteten Exklusivwirkung und ohne be­ sonderen Bezug zur objektiven Umsatzqualität keinen ausreichenden Wettbewerbsdruck für eine Einpreisung erzeugen. Dieser Kategorie wird gemeinhin das schon vielfach bemühte Blindenprivileg zugeschrieben, da es von vornherein nicht auf eine Überwälzung angelegt sei und des­ halb als Unternehmersubvention in Reinform gedeutet werden müsse1. Absolut zwingend ist diese Schlussfolgerung nicht, denn auch der blinde Unternehmer könnte sich ebenso gut für eine Verbilligung seiner Preise im Verhältnis zu Konkurrenzgütern entschließen und so die Endverbrau­ cher gleichfalls von der Exemtion seiner Ausgangsumsätze profitieren lassen2. In der Sache zutreffend erscheint aber die Differenzierung ge­ genüber wettbewerbskonform orientierten Vergünstigungstatbeständen insofern, als ein singulär befreiter Marktteilnehmer die volle Entschei­ dungsmacht darüber behält, wie er den Steuervorteil in seiner gegen­ wärtigen Situation für sich nutzbar machen möchte. Dies ist dem Um­ stand geschuldet, dass einzeln befreite Unternehmer die am Markt sonst veranschlagten Bruttopreise der steuerpflichtigen Mehrheit werden durchsetzen können3. Es besteht mithin zwar die Möglichkeit, aber eben doch keine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit für den Verbilligungs­ effekt, sollte eine Umsatzsteuervergünstigung nicht wettbewerbsgerecht an ausschließlich unternehmerspezifische Merkmale anknüpfen. Ausgehend von der mitgliedstaatlich favorisierten Umsetzungsvariante verfügt Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL über eine personenbezogene Programmatik insoweit, als aus rechtlichen oder jedenfalls tatsächlichen Gründen nur ein bestimmter Versorger mit seinen verpflichtenden Uni­ versaldiensten freigestellt wird. Oberflächlich betrachtet erscheint es daher angezeigt, das der Unternehmerförderung nachgeschaltete Ziel ei­ ner Verbraucherentlastung kritisch zu hinterfragen. Jedoch dürfen zwei spezielle Aspekte nicht außer Acht gelassen werden, die sich für die Postdienstbefreiung in Gestalt einer möglichen Entgeltregulierung sowie der gesonderten Versorgungslast einstellen. a) Erschwinglichkeit und Kostenorientierung, Art. 12 PostRL Zu den konstitutiven Merkmalen des Universaldienstes zählt gemäß Art. 3 Abs. 1 PostRL, dass die betreffenden Beförderungsleistungen zu tragbaren Preisen für alle Nutzer angeboten werden. Klarstellend ver­ 1 Statt vieler krit. Kirchhof, UStG, 2008, § 11 Rn 104. 2 Siehe BFH BStBl. II 1973, 647. 3 Vgl. Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 199; ders., in: de la ­Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (61); Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 128; eine Wettbewerbsverzerrung annehmend auch Widmann, in: Schwarz/ Widmann/Radeisen, UStG, 192. Lfg., § 15 Rn 359

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

pflichtet Art. 12 Spiegelstrich 1 PostRL die Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass die Tarife für die einzelnen Sendungsformen erschwing­ lich sein müssen. Überdies schreibt Art. 12 PostRL in Spiegelstrich 2 kostenorientierte Preise vor, wodurch ein Anreiz zu effizienter Versor­ gungsgestaltung auch im Verbraucherinteresse gesetzt werden soll1. Mit­ tels welcher Methodik diese zwingenden Vorgaben auf nationaler Ebene umgesetzt werden, bleibt dem mitgliedstaatlichen Ermessen überant­ wortet. Ein probates Mittel bietet jedenfalls eine präventive Entgeltregu­ lierung, wie sie dem Grunde nach in §§ 19 ff PostG etabliert ist. Während das Merkmal der Erschwinglichkeit eine sozial gewichtete Auslotung der für die Nutzer tragbaren Belastungsobergrenze wiedergibt, verhindert die Kostenorientierung zusätzlich eine missbräuchliche Preisgestaltung und sichert in rein wirtschaft­licher Hinsicht die Existenzfähigkeit der Grundversorgung vorbehaltlich externer Ausgleichsmechanismen ab2. Verglichen zur früheren Fassung des Art. 12 Spiegelstrich 2 PostRL, wo­ nach lediglich kostenorientierte Preise in Anlehnung an die tatsächliche Belastung vorgeschrieben waren3, verschärfte sich die Akzentuierung im Zuge der Änderungsrichtlinie 2008/6/EG hin zu einer effizienten Leis­ tungserstellung, wie sie schon zuvor in § 20 Abs. 1 PostG vorausgesetzt worden war. Damit wird den nationalen Regulierungsbehörden nunmehr auch die Befugnis eingeräumt, das unternehmerische Konzept eines Uni­ versaldiensterbringers über die Abbildung tatsächlicher Kostenstruktu­ ren hinaus eigenständig zu bewerten und die Preisgestaltung um ver­ meidbare Belastungspositionen zu bereinigen4, soweit ein entsprechender Anreiz nicht ohnehin schon innerhalb des geöffneten Marktumfelds durch Wettbewerbsdruck erzeugt wird. Keine vertiefte Berücksichtigung hat im Rahmen der kostenmäßigen Universaldienstgrundsätze bislang die Befreiung für öffentliche Postein­ richtungen erlangt, obwohl gerade diese Regelung aus Sicht potenzieller Konkurrenten allzeit als virulentes Hemmnis auf dem Weg zu mehr Wettbewerbsfreiheit identifiziert wurde. Da die Umsatzsteuer nach der gesetzlich ausgeformten Intention auf einen Überwälzungserfolg ange­ legt ist, begründet sie ungeachtet ihrer normativen Autonomie letztlich einen gewöhnlichen Kostenfaktor mit tendenziell belastender Auswir­ kung auf die unternehmensinterne Rechnungslegung. Bereits nach Maß­ gabe der früher verbindlichen Referenz einer tatsächlichen Kostenorien­ tierung war es für die Mitgliedstaaten insoweit verpflichtend, die für 1 Entspr. zu universalen Mobilfunkdiensten EuGH, Rs. C-438/04, Mobistar, Slg. 2006, I‑6675 Rn 33. 2 Vgl. Basedow, EuZW 1996, 143 (144). 3 Ausf. dazu Sedemund/von Danwitz, in: Beck’scher PostG-Komm, 2. Aufl., Vor § 19 Rn 18 ff. 4 Anders noch zur Altfassung Sedemund/von Danwitz, in: Beck’scher PostG-Komm, 2. Aufl., Vor § 19 Rn 24.

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freigestellte Universaldienste mögliche Überwälzung fiktiver Umsatz­ steuer anstelle der rechnerisch niedriger ausfallenden Vorsteuerbeträge zu unterbinden. Erst recht muss diese Schlussfolgerung auf Grundlage des strengeren Effizienzmaßstabs gelten, der eine verstärkte Schutzrich­ tung zugunsten der Nutzer entfaltet. Bruttopreise, die der Höhe nach entgegen der intendierten Entlastungswirkung unangepasst für befreite Leistungen erhoben werden, beruhen letztlich auf einer umsatzsteuer­ rechtlich vermeidbaren Kostenposition und treten somit in Widerstreit zum Grundsatz einer versorgungseffizienten Kalkulation. Im Ergebnis hat der Unionsgesetzgeber folglich bewusst oder unbewusst als Gegengewicht zur Postmarktliberalisierung die regulatorischen Vor­ aussetzungen geschaffen, damit die Weitergabe der positiven Befreiungs­ differenz im Verbraucherinteresse auch nach Rückzug der staatlichen Einflusssphäre auf eine bloße Gewährleistungsverantwortung weiterhin verbrieft bleibt. Zugleich wird an dieser Schnittstelle zwischen Regulie­ rung und Umsatzsteuer die mitgliedstaatliche Verantwortlichkeit offen­ bar, die ökonomischen Auswirkungen der Postdienstexemtion ­wenigstens näherungsweise mit Blick auf ihr Territorium sowie den auserkorenen Grundversorger zu ermitteln1. Dass der Unionsgesetzgeber nach alledem gezwungen wäre, Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL im Kontext der suk­ zessive vollendeten Postmarktöffnung als offensichtlich ungeeignete Verbraucherentlastung abzuschaffen, ist nicht ersichtlich. In diesem Zu­ sammenhang zu relativieren gilt es freilich defizitäre U ­ msetzungen, wel­ che das berechtigte Vertrauen auf einen effektiven Vollzug der Entgelt­ maßstäbe nicht vollumfänglich erfüllen. Hinter den sekundärrechtlichen Anforderungen aus Art. 12 PostRL bleiben insbesondere die §§ 19 ff PostG insofern zurück, als mit lizenzpflichtigen Sendungen von weniger als 1.000 g der Universaldienstumfang iSv Art. 3 PostRL unterrepräsen­ tiert und außerdem nur der marktbeherrschende Anbieter kontrolliert wird. Gerade die letztgenannte Beschränkung in persönlicher Hinsicht deckt sich einerseits zwar mit der Sonderstellung der DPAG als schwe­ bend verpflichtete Posteinrichtung, konfligiert aber andererseits mit der anbieterneutralen Konzeption gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG, die auch nicht marktbeherrschenden Anbietern die Möglichkeit zur Steuerpflicht­ entbindung gibt. b) Ineffiziente Grundversorgung Die Postdienstbefreiung geht mit der weiteren Charakteristik einher, dass die Bereitstellung flächendeckender Universaldienste zu streng be­ 1 Vgl. zu den Nettokosten des Universaldienstes Erwägungsgrund Nr. 29 RL 2008/6/ EG; siehe zur notwendigen Einbeziehung der Umsatzsteuerbefreiung ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 5.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

messenen Qualitätsstandards nur unter besonderer Kostenintensität möglich ist. Wirtschaftlich ineffiziente Versorgungslagen entwickeln sich insbesondere im Hinblick auf periphere Regionen mit dünner Be­ siedlungsstruktur. Eine nur begrenzte Entlastung vermittelt in diesem Zusammenhang Art. 12 Spiegelstrich 2 PostRL, wonach die Garantie flä­ chendeckender Einheitstarife aus mitgliedstaatlicher Sicht lediglich eine regulatorische Option, indes keine Verpflichtung begründet. Dennoch dürfen auch nach den tatsächlichen Zustellkosten regional differen­ zierte Entgelte nicht die zugangsrelevante Erschwinglichkeitsschwelle überschreiten, so dass dem Universaldienstleister aus sozialen Gründen mitunter eine vollständige Kostenprofilierung verwehrt bleibt. Sollte ­ demnach ein nur gegen Kostenunterdeckung zu bewerkstelligender Grundversorgungsauftrag eine staatliche Bezuschussung erfordern, müss­ te bei der Bemessung der ausgleichsfähigen Nettokosten wiederum der befreiungsrechtliche Entlastungsfaktor bewertet und eingerechnet wer­ den1. aa) Marktwirtschaftlich induzierte Überwälzungsprognose Aus den vorstehend umschriebenen Zusammenhängen nährt sich die nicht gänzlich unberechtigte Erwartung des Unionsgesetzgebers, der ver­ pflichtete Universaldienst­anbieter werde angesichts seiner hervorgeho­ benen Gemeinwohllasten bestehende Quellen für eine preiswirksame Kompensation im avisierten Wettbewerb nutzen, zumal gemäß Art. 7 Abs. 3 PostRL allenfalls eine unverhältnismäßige Kostenbelastung von Gesetzes wegen egalisiert werden darf. Konkret mit Blick auf die Um­ satzsteuer präsentiert sich damit eine aus rein wirtschaftlichen Gründen suggerierte Weitergabe des Steuervorteils als nicht offensichtlich unhalt­ bare Position, vielmehr wird diese Einschätzung durch die beanstan­ dungsfreie Prärogative anlässlich einer komplexen Tatsachenbewertung gedeckt. Gewisse Indizien für die Einpreisung eines Steuervorteils lassen sich speziell für Deutschland aus den medialen Stellungnahmen der DPAG zum Thema Umsatzsteuerbefreiung sowie deren unmittelbarer Reaktion auf die Reformierung von § 4 Nr. 11b UStG ablesen. So hat der Vorstand mehrfach verlautbart, das Briefporto im Falle der Steuerpflich­ tigkeit anheben zu müssen2. Ferner hingewiesen wurde bereits darauf, dass die DPAG wegen der neu eingeführten Ausschlussklausel in § 4 1 ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 5. 2 So z.B. der ehemalige Vorstandsvorsitzende Zumwinkel, Die Welt v. 09.04.2007, Gutachten geißelt Steuerprivilegien der Post, abrufbar unter http://www.welt. de/800746 (zuletzt abgerufen am 23.07.2017). Ebenso Royal Mail, wonach die Regel­ satzbesteuerung (17,5 %) Preiserhöhungen um 15 % nach sich zöge, vgl. Competi­ tive Market Review Proposals: Response, 2004, Rz 4.12; entsprechend befürchtete Postcom auf der Grundlage modellhafter Analysen Preiserhöhungen zwischen 12 und 15 %, vgl. Review of Royal Mail’s Special Privileges, 2004, Appendix B; siehe

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

Nr. 11b Satz 3 UStG ihre Teilleistungsrabatte gegenüber nicht vorsteuer­ befugten Geschäftskunden beträchtlich erhöht hat1. Gewichtiger Kritik begegnet die wohl stillschweigend prädestinierte Pro­ gnose einer marktwirtschaftlich ausgelösten Überwälzung allerdings in zweifacher Hinsicht. Erstens kann ein ausreichend hoher Preisanpas­ sungsdruck naturgemäß nur bestehen, falls die öffentliche Posteinrich­ tung mit ihren verpflichtenden Leistungen in einem funktionierenden Wettbewerbsumfeld konkurrieren muss. Ob eine solche Situation an­ schließend an die erst kürzlich vollendete Postmarktöffnung unionsweit anzutreffen ist, darf zu Recht bezweifelt werden. Zweitens ist zu be­ mängeln, dass der starr implementierte Befreiungsmechanismus keine flexible Orientierung an den tatsächlichen Universaldienstzusatzkosten ermöglicht. Unreflektierte Parameter betreffen insbesondere die indivi­ duelle Anbieterstruktur, den mitgliedstaatlich präferierten Regulie­ rungsansatz als Einzel- oder Verbundverpflichtung sowie nicht zuletzt die territorialen Gegebenheiten. Insgesamt ist somit unklar, in welcher genauen Relation die umsatzsteuerlich überbrachte Verschonungssub­ vention gegenüber den unrentablen Gemeinwohllasten steht. Diese Un­ wägbarkeiten konterkarieren zwar nicht generell das Ziel der Unterneh­ merförderung, beeinflussen aber sehr wohl den primär intendierten Motivationsanreiz zu einer möglichst preisgünstigen Kostenkultur. Noch auf lange Sicht dürfte daher eine regulatorisch wirksame Durch­ setzung der universaldienstakzessorischen Entgeltanforderungen im Vordergrund stehen. bb) Folgerichtigkeit der Befreiungswirkung Die im Gemeinwohlinteresse überkommende Sonderlast bietet unbe­ schadet der nur relativ vage prognostizierbaren Überwälzungsinduktion ein belastbares Kriterium, aufgrund dessen sich der postbefreiungsrecht­ liche Anbieterzuschnitt bezüglich der gleichheitsrechtlich fundierten Gestaltungspräferenzen grundlegend vom Blindenprivileg abgrenzt. Der blinde Unternehmer trägt ebenfalls einen erhöhten Aufwand für die Le­ benshaltung, der zumindest partiell auf seine betrieblichen Aktivitäten durchschlagen dürfte. Diese Fixkosten stehen allerdings nicht in einem individualisierbaren Kausalzusammenhang mit den am Markt befreiten Ausgangsumsätzen, weshalb eine Überwälzung des Steuervorteils auch nicht hinreichend sicher veranlagt sein kann. Umgekehrt realisiert Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL keine dem Folgerichtigkeitsgebot

dazu auch PWC, The impact on Universal Service of the Full Market Accomplish­ ment of the Postal Internal Market in 2009, S. 92. 1 Siehe hierzu Teil 4 A.I.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

prinzipiell widerstreitende Wirkung1, sofern der Entlastungseffekt mit zahlenmäßig steigenden Universaldienstsendungen zunimmt und dabei den zugleich gemehrten Leistungsaufwendungen pauschal Rechnung trägt. Keineswegs vernachlässigt werden darf in diesem Kontext freilich, dass die Postdienstexemtion nicht proportional mit den konkreten Nettolas­ ten korreliert. So verzeichnen die Grundversorgungskosten zunächst keine lineare Entwicklung in Ab­hängig­keit zu den beförderten Sendungs­ volumina. Stattdessen fällt die Kostenelastizität, welche den Anstieg er­ forderlicher Aufwendungen im Falle verdoppelter Sendungsmengen be­ ziffert, schon bei vergleichender Betrachtung zwischen urbanen und länd­lichen Zustellräumen sehr divergierend aus2. Ferner gilt es die Kos­ ten verflachenden Faktoren, die namentlich durch Verbundvorteile und Skaleneffekte infolge einer besseren Netzauslastung entstehen, positiv in die Rechnungsbilanz einzustellen3. Zusätzlich vermag eine optimierte Auslastung bereits vorhandener Infrastruktur den Begünstigungseffekt noch zu verstärken, indem stagnierenden Vorsteuerbeträgen eine an­ schwellende Entlastung der höheren Wertschöpfungsquote entgegen­ wirkt. Besonders im Lichte einer verbesserten Rendite von vorsteuerrele­ vanten Sachkapitalinvestitionen dürfte auch bei anderen Befreiungstat­ beständen die Tendenz einer zu den Kosten überproportional ansteigenden Begünstigung feststellbar sein. Dieser Effekt trägt allerdings nicht den Vorwurf einer sachwidrigen Befreiungsgestaltung, denn gewisse Un­ schärfen werden im indirekt konstruierten Erhebungssystem der Um­ satzsteuer unvermeidlich hervorgebracht. 4. Ergebnis Auf Ebene der Geeignetheitsprüfung bietet eine weiträumige Einschät­ zungsprärogative die angemessene Reaktion auf die komplexen Wirkungs­ strukturen, welche die Postdienstbefreiung in ihrer universaldienstak­ zessorischen Einbettung stellvertretend für anderweitige Befreiungen aufzeigt. Gemessen an der zweifachen Zielsetzung bestehend aus Ver­ braucherentlastung und mittelbarer Unternehmerförderung lässt sich derzeit nicht abschließend verifizieren, ob die unechte Freistellung un­ eingeschränkt tauglich ist. Eine offensichtlich irrtümliche Einschätzung des Unionsgesetzgebers ist aber weder im Hinblick auf einen positiven Bilanzeffekt noch bezüglich dessen Weitergabe in Form verringerter Ent­ gelte am Markt gegeben. 1 So aber für § 4 Nr. 19 lit. a) UStG Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 198. 2 Vgl. Greiving, Sicherung der Daseinsvorsorge, 2008, S. 6. 3 Kruse/Liebe, Netzzugang und Wettbewerb, 2005, S. 25 ff.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

III. Erforderlichkeit Die Erforderlichkeit verweist das gesetzgeberische Handeln auf ein reali­ sierbares Interventionsminimum1. Sie beinhaltet die Prüfung, ob zur gleichsam effektiven Zielverfolgung ein alternatives Mittel verfügbar ist, das die berührten Grundrechte oder Grundfreiheiten weniger intensiv beeinträchtigt2. Ebenso wie die Geeignetheit beruhen auch die erforder­ lichkeitsspezifischen Bezugsparameter auf einer prospektiven Tatsa­ chenbewertung3. Dieser Gleichlauf wird durch das identisch gelagerte Merkmal der Zweckdienlichkeit begründet, deren mindestens gleich ausgeprägte Beschaffenheit die Grundreferenz für eine komparative Ana­ lyse unterschiedlicher Maßnahmen in Relation zu den durch sie ausge­ lösten Eingriffswirkungen bestimmt. Der Unterscheidung für die weitere Prüfung bedürfen vor diesem Hintergrund zwei wesentliche Aspekte. Hinsichtlich der unumgänglichen Tatsachenwertung verlangt auch die Erforderlichkeit innerhalb ökonomisch komplexer Wirkungszusammen­ hänge eine Ein­schät­zungs­­prärogative aus denselben Gründen, wie sie im Rahmen der Geeignetheit bereits entsprechend dargelegt wurden4. Kein überzeugendes Argument ist hingegen für eine Reduktion der rechtli­ chen Kontrollmaßstäbe ersichtlich. Folglich kann der Unionsgesetzgeber auch anlässlich der Steuerharmonisierung auf den Gebrauch alternativer Regelungsinstrumente verpflichtet sein, sollten diese sowohl gleichsam effektiv als auch weniger einschneidend bei der Verfolgung frei wählba­ rer Gemeinwohlbelange wirken5. Im Interesse der Kontrolleffizienz dür­ fen dabei an die faktengebundene Prognose der Zwecktauglichkeit keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Ausreichend ist, dass mit Sicherheit weniger intensive Eingriffsmaßnahmen eine zumindest glei­ chermaßen verlässlich vorhersehbare Zielförderung erlauben. Im Zwei­ fel darf somit die gesetzgeberische Präferenz jedenfalls nicht ohne weite­ re Begründung auf das schärfere unter mehreren Mitteln verfallen. Die Erforderlichkeitsprüfung bietet den verbindlichen Anlass, das Ver­ hältnis alternativer Regelungsmodelle gegenüber unechten Umsatzsteu­ erbefreiungen zu untersuchen. Gefordert wird im weit gefassten Zusam­ menhang der Förderung gemeinwohlpolitischer Ziele traditionell, anstelle unechter Freistellungen echte Befreiungen respektive Nullsätze, ermä­ ßigte Steuersätze oder eine außerhalb des Steuerrechts veranlagte Verga­ be direkter Subventionen zu implementieren. Im Folgenden sollen diese Reformoptionen hinsichtlich ihrer Zieltauglichkeit und Eingriffswir­ 1 Vgl. zur Alternativbetrachtung Krämer, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 52 Rn 49. 2 EuGH, Rs. C-265/87, Schräder, 1989, 2237 Rn 21; Jarass, GRCh, 3. Aufl., Art. 52 Rn 39 mwN; Frenz, HdB EuR, Bd 4, 2009, Rn 659. 3 Vgl. Cornils, in: Grabenwarter, Enz EuR, 2014, § 5 Rn 111. 4 Siehe hierzu vorstehend II.1. 5 Vermittelnd auch Heidemann, Finanzdienstleistungen, 2008, S. 140.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

kung jeweils allgemein sowie im besonderen Kontext der Postdienst­ exemtion erläutert werden. 1. Echte Befreiungen / Nullsatzbesteuerung Echte Befreiungen und Nullsätze unterscheiden sich nach ihrem dogma­ tisch veror­teten Anknüpfungspunkt im mehrwertsteuerlichen System­ aufbau, nicht hingegen in der durch sie tatsächlich ausgelösten Entlas­ tungsfolge1. Nullsätze lassen die Steuerpflicht rechtlich unberührt, legen diese aber gleichbedeutend mit einer formalen Aufhebung zu einem ef­ fektiven Satz von 0 % fest. Entscheidend im Ergebnis ist nach beiden Regelungsansätzen, dass der Vorsteuerabzug auf Ebene der Eingangsum­ sätze erhalten bleibt, während zeitgleich die Steuerschuld nivelliert wird2. Freistellungen von der Steuerpflicht unter Vorsteuerabzug sind nach den abschließenden Katalogvorgaben iSd Art. 131 ff MwStSystRL allgemein auf grenzüberschreitend ausgeführte Umsätze zwecks Umset­ zung des Bestimmungslandprinzips beschränkt. Nullsätze dürfen die Mitgliedstaaten ebenfalls nicht anwenden, es sei denn, entsprechende Altrege­lung­en werden durch das ausdifferenzierte Übergangsregime in Art. 109 ff MwStSystRL speziell toleriert. Anzutreffen sind Nullsätze aus vorwiegend sozial definierten Beweggründen derzeit in acht Mitglied­ staaten, darunter Belgien, Dänemark, Irland, Italien, Malta, Finnland, Schweden und das Vereinigte Königreich3. Ausweislich ihres aktuell prä­ sentierten Aktionsplans zu künftigen Reformpunkten der Mehrwert­ steuer sieht die Kommission nicht vor, diese gestalterischen Befugnisse zu begrenzen oder gar abzuschaffen4. Auch wenn der Richtliniengeber sich ihrer nicht bedient, muss damit gerechnet werden, dass Nullsätze innerhalb des Mehrwertsteuerrechts einzelner Mitgliedstaaten noch auf lange Sicht zum etablierten Instrumentarium möglicher Verschonungen zählen werden. Überdies zeigte sich die Kommission anlässlich einer ge­ planten Änderung der geltenden Mehrwertsteuersätze nicht abgeneigt, auf Güter des existenziellen Bedarfs wie etwa Lebensmittel einen sehr niedrigen Satz in der Bandbreite von 0 bis 5 % verbindlich anzusetzen5.

1 Terra/Wattel, European Tax Law, 6th Edt., S. 207; Vallender/Keller/Richner/Stockar, Schweizerisches Steuerlexikon, Bd 1, 2. Aufl., S. 138; Birkenfeld, Umsatzbesteue­ rung, 2. Aufl., S. 62. 2 Fehr/Rosenberg/Wiegard, Welfare Effects of Value Added Tax, 1995, S. 36. Im eng­ lischen Sprachraum hat sich insoweit der Begriff „zero rating“ in Abgrenzung zu „exemption“ durchgesetzt, noch treffender ist die in Australien und Neuseeland ver­ wandte Terminologie „VAT-free“ oder „GST-free supply“. 3 Siehe dazu TAXUD.c.1(2016) unter V. 4 KOM (2016) 148 v. 07.04.2016, S. 12. Siehe auch schon Panning, Vereinfachungsstra­ tegien, 2000, S. 19. 5 KOM (2007) 380 v. 05.07.2007, S. 13.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

a) Systemkompatible Entlastungseffizienz Echte Freistellungen von der Steuerpflicht respektive Nullsätze heben sich gemeinhin durch zwei grundlegende Vorzüge gegenüber unechten Befreiungen ab. Dank des unangetastet bleibenden Vorsteuermechanis­ mus, der für die Funktionsweise der Allphasennettobesteuerung einen konstitutiven Stellenwert einnimmt, zeigen echte Befreiungen wie Null­ sätze eine signifikant erhöhte Kompatibilität mit dem sekundärrechtli­ chen Systemkonzept auf1. Beide Ansätze wahren das umsatzsteuerliche Neu­tralitätsprinzip aufseiten der Eingangsumsätze und tragen so zu des­ sen gesteigerter Umsetzung bei2. Wirtschaftspolitisch gesehen sorgt eine ungehinderte Auslagerung von Hilfsleistungen für mögliche Wachstums­ impulse, da unterstützende Dienste durch Drittunternehmer aufgrund von Skaleneffekten sowie einem erhöhten Wettbewerbsdruck in aller Regel effizienter bereitgestellt werden und so belastungsneutrale Investi­ tionsentscheidungen stimuliert werden können3. Als wechselseitig bedingtes Charaktermerkmal bleibt infolge des Vor­ steuerabzugs positiv hervorzuheben, dass der eintretende Entlastungsef­ fekt mit weitaus höherer Genauigkeit verifizierbar ist4. Dieser errechnet sich aus dem nominell auf das bekannte Entgelt entfallenden Steuersatz, ohne dass die summenmäßig ungewisse Steuerbelastung auf den jeweili­ gen Vorstufen des Ausgangsumsatzes noch zu subtrahieren wäre. Echte Befreiungen und Nullsätze realisieren somit eine wesentlich transparen­ tere Wirkungsstruktur. Kontrafaktische Kumulationseffekte, die unech­ te Befreiungen im Falle zwischenunternehmerisch erbrachter Umsätze provozieren, bleiben gleichfalls ausgeschlossen. Dank des ergänzenden Vorsteuerabzugs wird die intendierte Begün­stigung ausgewählter Umsät­ ze perfektioniert und insgesamt einer konsequenteren Konzeptionierung unterstellt, als dies bei unechten Befreiungen der Fall ist. Infolge der be­ günstigenden Determinante vermag zugleich die Zwecktauglichkeit echter Freistellungen im Sinne der Geeignetheitsprüfung allenfalls aus Sicht der Steuerträger zu problematisieren sein, als deren Besserstellung regelmäßig bezweckt ist und die tatsächliche Weitergabe des preislichen Entlastungspotenzials durch den Unternehmer in Rede steht5.

1 Vgl. Fehr/Rosenberg/Wiegard, Welfare Effects of Value Added Tax, 1995, S. 36 2 Cnossen, in: Aaron, The Value-added Tax, 1981, S. 43 (58); Mc Lure, The Value-­ Added Tax, 1987, S. 74; siehe auch McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 89. 3 Siehe TAXUD/2011/DE/334, S. 9. 4 Vgl. Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 93 (94). 5 Siehe hierzu vorstehend II.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

b) Verzerrungspotenzial und Kostenintensität An den vorstehend beschriebenen Vorteilen, die echte Befreiungen wie auch Nullsätze kennzeichnen, entzünden sich paradoxerweise zugleich die neuralgischen Schwachpunkte dieser Modellansätze. Der um anfal­ lende Vorsteuerbeträge bereinigte Entlastungseffekt fällt verglichen zu demjenigen unechter Befreiungen erheblich höher ins Gewicht, was sich unweigerlich in einer entsprechend stärkeren Minderung des fiska­lischen Aufkommens niederschlägt1. Defizite drohen im Falle eines Umschwungs nicht allein wegen künftiger Erstattungsansprüche, sondern ebenso für vergangene Investitionen, was eine genaue Folgenabschätzung enorm er­ schwert. Politisch betrachtet stellt sich eine flächendeckende Umwand­ lung des aktuell vorgeschriebenen Befreiungsbestands als unrealistisches Szenario dar, gilt es doch nicht außer Betracht zu lassen, dass die na­ tionalen Haushalte bisweilen über eine äußerst heterogene Finanzie­ rungsstruktur verfügen und zudem für die Mehrzahl der ­Mitgliedstaaten aktuell eine überfällige Haushaltskonsolidierung die politische Agenda beherrscht. Eine weitgehend aufkommensneutrale Substitution ohne Steuersatzanhebung wäre nur unter der Voraussetzung denkbar2, dass die Anzahl verbindlicher Freistellungstatbestände eine nennenswerte Herab­ setzung erführe. Dass unter den derzeit (noch) 28 Mitgliedstaaten indes Einstimmigkeit zugunsten einer derart profunden Reform erzielt werden könnte, erscheint ebenfalls wenig aussichtsreich. Zu groß dürfte auch die Angst davor sein, infolge einer ausgedehnten Nullsatzpolitik weiterge­ hende Begehrlichkeiten sowohl vonseiten der Unternehmer als auch der Verbraucher zu wecken3. Nachzugseffekte drohen zwar auch im Falle un­ echter Befreiungen, etwa indem nicht steuerpflichtige Unternehmer die Freistellung auch für eingekaufte Hilfsleistungen externer Anbieter re­ klamieren4. Wegen der Vorsteuerbelastung und des intransparenten Ent­ lastungseffekts ist die Sogwirkung allerdings wesentlicher schwächer.

1 Laut Copenhagen Economics forderte ein unionsweites Erstattungssystem für ausge­ wählte Bereiche einschließlich Postdienste bereits eine Steuersatzanhebung um 18 %, vgl. TAXUD/2011/DE/334, S. 9. Vgl. auch McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 89. 2 Siehe nur Gottfried/Wiegard, Journal of Public Economics 1991, S. 307 (310). Erhöh­ te Steuersätze gehen auf Kosten der Neutralität, vgl. Bickley, Value Added Tax, 2003, S. 19; abl. auch COM(83) 885 v. 17.01.1983, S. 3. 3 Zum „slipery slope“ Bird/Gendron, The VAT in Developing and Transitional ­Countries, 2007, S. 114; siehe auch James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 56. 4 Sog. „exemption creep“, vgl. Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 89. Ein entsprechender Effekt ist in dem Fall EuGH, Rs. C-107/84, Kommission/ Deutschland, Slg. 1985, 2655 nachvollziehbar, sofern gesetzlich verbindliche Trans­ portdienste für die DBP richtlinienwidrig befreit wurden.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

aa) Ungleichbehandlung der Ausgangsumsätze Jenseits der praxisbezogenen Problemfelder ist von rechtlicher Relevanz für die Verhältnismäßigkeit unechter Befreiungsvorschriften, dass echte Freistellungen wie Nullsätze intensiver ausgeprägte Verwerfungen im äußeren Konkurrenzverhältnis von begünstigten zu regelkonform be­ steuerten Umsätzen auslösen1. Ursächlich hierfür ist nicht allein die ­Tatsache, dass sich der vorsteuerneutrale Entlastungsgrad für am Markt angebotene Ausgangsumsätze auf den größtmöglichen Abstand zur Re­ gelbesteuerung extremisiert. Mitentscheidend kann ferner je nach Bran­ che sein, dass der mit seinen Umsätzen erfasste Unternehmer von der Verschonung über das gesamte Kundenportfolio hinweg ungeachtet des­ sen profitiert, ob der jeweilige Leistungs­empfänger seinerseits vorsteuer­ befugt ist oder nicht. Verglichen zu steuerpflichtigen Konkurrenten wird im Segment vorsteuerabzugsberechtigter Geschäftskunden eine fakti­ sche Gleichstellung gewahrt, während der vorsteuerneutral befreit leis­ tende Anbieter im Übrigen eine ebenso definitive wie erhöhte Bevorzu­ gung genießt. Dieser zweitgenannte Aspekt spielt eine bedeutende Rolle, sollten die als verschonungswürdig bestimmten Umsätze typischerweise nicht ausschließlich der Nachfrage durch Endverbraucher oder gleich ge­ stellte Bezieher unterliegen. Das für die unternehmerische Ausgangsseite eindeutig konturierte Poten­ zial zu verschärften Verzerrungstendenzen zieht die gesteigerte Verant­ wortlichkeit des Gesetzgebers nach sich, bei der Einführung von vorsteu­ erunschädlichen Freistellungen für eine möglichst wettbewerbskonforme Tatbestandsgestaltung Sorge zu tragen. Wie im Zusammenhang mit dem Neutralitätsprinzip schon dargelegt wurde, ist diese Prämisse aber be­ sonders mit Blick auf sonstige Leistungen deshalb kaum durchgehend ein­ zuhalten, weil die Gemeinwohlqualität ganz wesentlich durch die perso­ nengebundenen Eigenschaften des konkret ausführenden Unternehmers bestimmt wird2. Um diese praktikabel abbilden zu können, bedarf es zwingend des tatbestandsinduktiven Rekurs auf subjektive Merkmale, de­ ren normative Einbindung wiederum eine verläss­liche Abgrenzung sämt­ licher aus Verbrauchersicht bestehender Substitutionsverhältnisse inner­ halb des relevanten Marktumfelds weitgehend unmöglich macht. bb) Neutralitätswidrige Vorsteuerbelastung Was die Beschränkung des gleichheitsspezifisch unterlegten Neutrali­ tätsprinzips sowie wirtschaftsgeprägter Freiheitsrechte aus Unterneh­ 1 Krit. auch Schmitz/Erdbrügger/Liegmann, DStR 2011, 1157 (1161); Krever, in: Kre­ ver, VAT in Africa, 2008, S. 9 (19); Terra/Kajus, 6th VAT Directive, Vol. B, S. 1154; ebenso Jacobs, Gemeinnützigkeit, 2009, S. 51. 2 Siehe hierzu Teil 5 B.I.2.b)bb)1).

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

mersicht anbelangt, verzeichnen echte Befreiungen respektive Nullsätze eine gespaltene Bilanz. Der klaren Präferenz, auf Ebene der Eingangs­ umsätze jedwede Verzerrung zu eliminieren, steht insbesondere bei ge­ meinwohlorientierten Dienstleistungen iSv Art. 132 MwStSystRL der beachtliche Nachteil gegenüber, dass betreffend die Ausgangsumsätze mit stärker effektuierten Wettbewerbsverfälschungen gerechnet werden muss. In Relation zur Verhältnismäßigkeit ist deshalb fraglich, an wel­ chem dieser konträr gelagerten Aspekte der Ausschlag für die mögliche Qualifikation als milderes Mittel letztverbindlich festzumachen bleibt. Isoliert in Ansehung der Ausgangsseite steuerverschonter Umsätze ist eine priore Stellung zu unechten Befreiungen nicht gegeben, ganz im Ge­ genteil erweist sich der vorstufenneutrale Steuerpflichtentfall infolge zunehmender Belastungsdifferenz mitunter als Mittel von empfindlich erhöhter Eingriffsintensität. Eine Verdichtung des legislativen Ermes­ sens, jedwede umsatzsteuerlich erstrebte Gemeinwohlförderung dem folgerichtigen Allphasennettoansatz gemäß auf echte Exemtionen oder Nullsätze zu beziehen, kann sich hingegen nur ergeben, sollten die nach­ teiligen Wirkungen unechter Befreiungen auf Ebene der Eingangsumsät­ ze offensichtlich überwiegen. Diesbezüglich verlangt der Faktor des Vor­ steuerausschlusses nach einer zweiteiligen Bewertung. Vernachlässigbar sind in aller Regel aus Sicht des unecht befreiten Unter­ nehmers die gegenüber steuerpflichtigen Konkurrenten eintretenden Verwerfungen, sofern sich der Einsatz dieses Mittels auf Branchen mit ausreichend hoher Wertschöpfungsquote beschränkt und damit die zu­ mindest unwiderlegte Exspektanz eines positiv bilanzierten Effekts auf die Kostenumlegung nährt. Als Grundvoraussetzung im Sinne der lo­ gisch vorrangigen Geeignetheit indiziert eine unter dem Strich erwartba­ re Entlastung zugleich eine gestärkte Wettbewerbsposition, so dass mit­ telbare Nachteile aufgrund des verwehrten Vorsteuerabzugs häufig zu verschmerzen sein dürften. Ohnehin wird eine direkte Schlechterstel­ lung zu Kunden mit Abzugsrecht bei den meisten gemeinwohlorientier­ ten Befreiungen nicht virulent, solange die erfassten Umsätze typisierte Bedürfnisse des Privatkonsums repräsentieren. Gravierender fallen dem­ gegenüber die Ungleichgewichte innerhalb der Gruppe unecht befreiter Unternehmer aus. Ihr Ausmaß zeigt sich vornehmlich von der Fähigkeit zu innerbetrieblicher Konzentration abhängig, besonders kleine und ­mittelständische Anbieter können deshalb aus dem relevanten Markt ­gedrängt werden. Allerdings ist nicht pauschal belegbar, dass diese Be­ einträchtigungen stets schwerer ins Gewicht fallen müssen als die ver­ schärften Be­dingungen, die zur Gänze steuerentstrickte Umsätze auf der Ausgangsebene heraufbeschwören. Steuerpflichtige Unternehmer sehen sich im Privatkundensegment einer eklatanten Zusatzlast ausgesetzt, wodurch eine auf Dauer bestandsfähige Preisgestaltung enorm erschwert 400

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und Verdrängungseffekte gleichermaßen wie Marktzutrittshindernisse erzeugt werden. Jedenfalls im Rahmen gemeinwohladäquater Dienstleistungen, hinsicht­ lich derer eine wettbewerbsneutrale Tatbestandsauflösung nur schwer­ lich gelingen kann, ist somit kein überzeugender Grund ersichtlich, das gesetzgeberische Auswahlermessen unter verschiedenen Gestaltungsop­ tionen ausgerechnet an das Instrument echter Befrei­ungen respektive Nullsätze zu binden. Diese erweisen sich allenfalls dann als milderes Fördermittel, sollte eine strikt wettbewerbskonforme Umsetzung tatbe­ standlich garantiert werden können. cc) Verwerfungen im Gemeinnützigkeitssektor Vertiefte Verwerfungen der oben unter aa) umschriebenen Art können vorsteuerunschädliche Freistellungen speziell mit Blick auf gemeinnüt­ zige Einrichtungen begründen, die übermäßig häufig als Adressat der Be­ freiungsvorschriften gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL in Betracht kommen. Eine Ungleichbehandlung konkurrierender Umsätze droht da­ bei nicht allein wegen wettbewerbsspezifischer Verfehlungen in der tat­ bestandlichen Vorgabe oder deren nationaler Umsetzung, sondern ins­ besondere auch in Anbetracht der Tatsache, dass zahlreiche wohltätig operierende Organisationen erst gar nicht der Umsatzsteuer unterfallen1. Die Steuerbarkeit unterbleibt, falls entgegen Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL auf mildtätige Leistungen kein Entgelt erhoben wird2. Zudem beschränkt sich die Finanzierung wohltätiger Aktivitäten nicht selten auf den Zu­ fluss freiwilliger Spenden, die mangels getroffener Vereinbarung zu Grund und Höhe keine rechtliche Beziehung zum Leistungsempfang in der Eigenschaft eines Entgelts vermitteln3. Unter der Geltung unechter Befreiungen werden derart formale Unterschiede in der umsatzsteuerli­ chen Rechtsstellung wirtschaftlich gesehen eingeebnet, was nicht zu­ letzt auch im Verhältnis zu öffentlich-rechtlich tätigen Einrichtungen eine bedeutsame Motivlage reflektiert4. Ein weiterer Problempunkt stellt sich vor diesem Hintergrund für die befreiungsrechtliche Zielsetzung einer Leistungsverbilligung. Während die nicht neutralisierbare Vorsteuerlast zu einem finanzierungsbedürfti­ gen Kostenfaktor für steuerbare Einrich­tungen geriert, wären echt befrei­ te respektive zu einem Nullsatz besteuerte Unternehmer hiervon gänz­ 1 Siehe auch AEF, Review of existing VAT legislation, 2014, Rn 20; Hemming, Com­ mission sets out proposals for VAT reform, 2012. 2 Grundlegend EuGH, Rs. C-89/81, Hong Kong Trade, Slg. 1982, 1277 Rn 10. 3 EuGH, Rs. C-16/93, Tolsma, Slg. 1994, I-743 Rn 17. Neusseland hingegen fingiert derartige Leistungen als steuerbare Umsätze („deemed supplies“). 4 Raboy, in: Weidenbaum/Raboy/Christian, The Value-Added Tax, 1989, S. 97.

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lich ausgenommen. Auf diese Weise wird ein Statuswechsel hin zur Steuerbarkeit stimuliert1, der vornehmlich bei einer bislang unentgelt­ lichen Leistungsbereitstellung, wie sie beispielsweise durch Museen, ­andere kulturelle Einrichtungen oder Rettungsorganisationen gepflegt wird, relativ leicht zu erreichen ist. Mehr als aufwiegen dürfte die vor­ teilhafte Aussicht auf eine uneingeschränkte Vorsteuerabzugsmöglich­ keit in aller Regel auch die mit einer Steuerregistrierung verbundenen Befolgungslasten. Die Erhebung eines – wenn auch von äußerer Umsatz­ steuerschuld losgelösten – Entgelts widerspricht diametral dem eigentli­ chen Sinn und Zweck von Art. 132 MwStSystRL mit dem Ergebnis, dass entsprechende Anreize als definitive Fehlentwicklung gewürdigt werden müssen. Das Vereinigte Königreich löste genau diese Schwierigkeit nach Wiedereinführung des freien Eintritts in bestimmte Museen, indem es eine Erstattung nicht abziehbarer Vorsteuern außerhalb des Umsatzsteu­ ersystems installierte2. Nicht gering ist in diesen Fällen auch die vor allem rechtspolitisch uner­ wünschte Gefahr, dass sich eine schleichende Erosion des Steueraufkom­ mens durch hohe Vorsteuererstattungen vollzieht3. Hinzuweisen gilt es schließlich darauf, dass zugunsten nichtunternehmerischer Leistungser­ bringer nach wie vor eine ergänzende Lösung ent­wickelt werden müsste, sofern die anfallende Vorsteuerbelastung als wesentliches Hindernis für eine sozial kultivierte Leistungspolitik verantwortlich gemacht wird4. Virulent wird dies in erster Linie für private Anbieter, während der Staat für den erhöhten Unterhaltungsaufwand eigener Einrichtungen über die einbehaltene Umsatzsteuer auf den Vorstufen entschädigt wird5. Mit ei­ ner Verschärfung muss in Zukunft allerdings gerechnet werden, weil die Verantwortlichkeit für gemeinnützige Leistungsfelder in Zeiten ange­ spannter Haushalte zunehmend auf Private übergeht6. Die hier skizzier­ ten Problemlagen erkennend, hat das European Charities’ Committee on 1 Morris, Tax Analysts 2011, 248 (249); Hemels, VAT treatment of charities, 2010, S. 18. 2 Vgl. Art. 33A VAT Act 1994 iVm Notice 998 VAT refund scheme for national muse­ ums and galleries; siehe auch Hemels, VAT treatment on charities, 2010, S. 20. 3 Im Vereinigten Königreich beträgt das nicht abziehbare Vorsteuervolumen von „cha­ rities“ Schätzungen der Charity Tax Group (CTG) zufolge 1,5 Mrd. Pfund pro Jahr und wird als Hauptproblem der steuerlichen Belastung identifiziert mit der Forde­ rung, Null- oder ermäßigte Sätze einzuführen, vgl. https://www.charitytaxgroup.org. uk/change/ (zuletzt abgerufen am 12.08.2017). Ähnliche Größenordnungen be­ gegnen in anderen EU-Mitgliedstaaten, vgl. ECCVAT, European Commission Green Paper – Response, 2011, Rn 19 ff. 4 Siehe auch Hemels, Int VAT Monitor 2011, 302 (307). 5 Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 92. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass in einer föderalen Staatsstruktur, in der die möglichen Trä­ ger öffent­licher Einrichtungen am Gesamtaufkommen partizipieren, in aller Regel Umverteilungseffekte eintreten werden. 6 ECCVAT, European Commission Green Paper – Response, 2011, Rn 5.

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Value-Added Tax (ECCVAT) bereits die Empfehlung ausgesprochen, die Gestattung ermäßigter Sätze auf Leistungen an gemeinnützige Einrich­ tungen auszuweiten1. c) Durchbrechung des allgemeinen Verbrauchsteuerprinzips Abweichend zur Interessenlage der Steuerschuldner projiziert der Gleich­ behandlungsanspruch aus Steuerträgersicht das prinzipielle Gebot, für die Finanzierung des Gemeinwesens zu einem gerecht ausgeteilten Las­ tenbeitrag nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit herangezogen zu wer­ den. Echte Befreiungen wie auch Nullsätze schaffen die Grundlage für einen gegenüber jeglicher Finanzierungsverantwortung gelösten Kon­ sum. Der Fiskus übt durch den Einsatz dieser Fördermittel einen endgül­ tigen Aufkommensverzicht unbeschadet der Frage, ob die Entlastung je nach Anschlussverhalten des Unternehmers ausschließlich dessen Ge­ winnmarge begünstigt oder aber die Endverbraucher durch einen gelun­ genen „pass-through“ ebenfalls profitieren können. Unechte Befreiungen brechen im Ausgangspunkt insoweit identisch mit dem Verbrauchsteuerprinzip, als sie die Steuerpflichtigkeit der Ausgangs­ umsätze vollständig entfallen lassen. Als gegenläufiges Element wirkt jedoch der Ausschluss befreiter Unternehmer vom Vorsteuerabzug. Auch wenn eine okkulte Umsatzsteuerbelastung rechtssystematisch betrach­ tet keine systematische Integrität innerhalb der Allphasennettokonzep­ tion zu bieten vermag2, reicht ihr wirtschaftlich begründetes Ergebnis gleichwohl näher an den regelkonformen Besteuerungszustand iSv Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL heran als ein gänzlich unbelasteter Konsum3. In aller Regel wird der Bezug unecht befreiter Umsätze nur mit im Preis durch­ gereichter Vorsteuer möglich sein, weshalb der Verbraucher indirekt nach wie vor einen solidarischen Beitrag zum Fiskalaufkommen durch die Refinanzierung der auf den Vorstufen bereits abgeführten Steuer­ schuld trägt4. Gesetzt dem eher unwahrscheinlichen Fall einer gänzlich erfolg­losen Überwälzung bliebe unterdessen immer noch zu konstatie­ ren, dass die hierdurch bedingte Entbindung von Konsumaufwendungen aus der verbrauchsteuerte­leologisch allgemein definierten Beitragsoblie­ genheit keineswegs schwerer wöge, als dies bei echten Befreiungen res­ 1 ECCVAT, Options to alleviate the burden of irrecoverable VAT on charities, S. 2, freilich einräumend, dass ein entsprechend durch die Kommission unterbreiteter Vorschlag keine Einstimmigkeit fand; siehe dazu Hemels, Int VAT Monitor 2011, 302 (307). 2 Siehe hierzu Teil 5 B.V.2.c). 3 Vgl. de la Feria/Krever, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 3 (11); Hemels, VAT treat­ment of charities, 2010, S. 18. 4 Trefflich ist im australischen Umsatzsteuerrecht von „input-taxed sales“ die Rede, vgl. Australien Taxation Office, https://www.ato.gov.au/Business/GST/When-tocharge-GST-(and-when-not-to)/Input-taxed-sales/ (zuletzt abgerufen am 22.07.2017).

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pektive Nullsätzen der Fall ist. Die eigentliche Problematik verlagert sich dann allerdings auf die Ebene der Unternehmer, die mit jeweils un­ terschiedlichen Vorsteuerbelastungen am Markt konkurrieren müssen1. d) Formelle Lasten Von großer Unsicherheit geprägt bleibt die Beantwortung der Frage, wie es exakt um die verwaltungsmäßige Praktikabilität der unterschiedli­ chen Befreiungsansätze aus Sicht der Steuerschuldner sowie der zur Durchsetzung berufenen Behörden bestellt ist2. Da die Umsatzsteuer indirekt bei den ausführenden Unternehmern ansetzt, legt diese Er­ ­ hebungsform verglichen zu anderen Steuerarten die absolut größte Be­ lastung für die Wirtschaft auf. Zugleich erschließt sich hieraus das Po­ tenzial, dem in jüngster Vergangenheit international ablesbaren Ehrgeiz zu einer spürbaren Verringerung gerade steuerbedingter Bürokratiebür­ den Taten folgen zu lassen3. Diesen Beobach­tungen ist es geschuldet, dass eine adäquate Folgeabwägung die administrativen Auswirkungen von Umsatzsteuerverschonungen keinesfalls außen vor lassen darf. Ins­ gesamt kristallisieren sich zu diesem Themenbereich zwei gegenläufige Grundtendenzen heraus, die jeweils mit einer Reihe von komplexen De­ tailfolgen verbunden sind. aa) Partielle Steuerbefreiung Dem Grunde nach ist anzuerkennen, dass Nullsätze die Befolgungskos­ ten für Unternehmer mit gemischtem Umsatzportfolio und daraus an­ teilsmäßig abziehbarer Vorsteuer herabsetzen4. Die betriebsinternen ­Abrechnungsprozesse ließen sich um mitunter sehr komplizierte Bewer­ tungsfragen bereinigen, die eine Zuordnung der vorsteuerbelasteten In­ vestitionen zu den jeweiligen Ausgangsleistungen im Falle unechter Freistellung unweigerlich mit sich bringt5. Partiell steuerpflichtige Un­ ternehmer laufen generell Gefahr, dass ihre angewandte Aufteilungs­ methode und damit der zum Abzug angemeldete Vorsteuerbetrag be­ 1 Als milder erweisen sich echte Befreiungen und Nullsätze daher bei wettbewerbs­ neutraler Umsetzung ohne Benachteiligung steuerpflichtiger Anbieter, siehe hierzu vorstehend b). 2 Einen Entlastungseffekt durch Freistellungen gemessen an der damit verbundenen Verkomplizierung des Steuersystems bezweifelnd Henkow, The VAT/GST Treat­ ment of Public Bodies, 2013, § 1.02 (c) (5) mwN. 3 Siehe OECD, Programs to Reduce the Administrative Burden, 2008, S. 14; die Schweiz konnte die Unternehmerlasten seit 2010 um etwa 25 % reduzieren, vgl. Bopp/Sommer, Die Volkswirtschaft 1/2 2014, S. 26 (27). 4 Vgl. zu den möglichen Berechungsverfahren Art. 173 ff MwStSystRL; siehe allg. Mc Lure, The Value-Added Tax, 1987, S. 74. 5 Siehe auch James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 52; Due, National Tax Jour­ nal 1990, 383 (385).

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hördlicherseits Beanstandungen erfährt und letztlich zum Gegenstand langwieriger Auseinandersetzungen geriert. Auf diese Weise werden nicht nur betriebliche Ressourcen vereinnahmt und die Produktivität be­ einträchtigt, sondern bisweilen auch erhebliche Rechtsunsicherheit so­ wie Steuerbetrug provoziert1. In den Vordergrund drängt sich dabei häu­ fig die Suche nach einem umsatzsteueroptimierten Investitionsverhalten unter Zuhilfenahme externer Beratungsdienste, was wegen der nicht ­unerheblichen Missbrauchsgefahr wiederum zu stärker­ er staatlicher Kontrolle herausfordert. Hohe Konformitätskosten können überdies den grenzüberschreitenden Handel behindern2, denn Art. 173 ff MwStSystRL überbringen keine Vollharmonisierung. So müssen sich internationale Akteure mit teils divergierenden Verwaltungspraktiken zum partiellen Vorsteuerabzug befassen. Fraglich ist dessen unbenommen, inwieweit der erforderliche Berechnungs- und Kontrollaufwand mithilfe moderner EDV-Verarbeitungsprogramme und einschlägig gesammelter Erfahrungs­ werte mittlerweile zumindest im Durchschnitt der Veranlagungsfälle auf ein erträgliches Maß reduziert wird. bb) Verwaltungskosten und Streitanfälligkeit Auf der anderen Seite bleiben die Unternehmer unter Geltung einer Nullsatzpolitik in vollem Umfang registrierte Schuldner mit Abzugs­ berechtigung, was im Gesamtniveau gesehen die Verwaltungs- und Be­ folgungskosten antreibt3. Die angemeldeten Vorsteuerbeträge bedürfen nach diesem Ansatz einer ausgiebigen Kontrolle, ferner muss die Erstat­ tung oder Verrechnung für jeden Unternehmer individuell überwacht werden, ohne dass infolge dieser sehr arbeitsintensiven Abläufe ein ef­ fektives Aufkommen generiert wird4. Zusätzlich stünde durch die At­ traktivität des Vorsteuerabzugs ohne äußere Steuerschuld ein erweiterter Kreis steuerwilliger Einrichtungen zu erwarten, die bis dato nicht über den Unternehmerstatus verfügten5. Wächst die Zahl steuerbarer Umsät­ 1 Sehr krit. Bird/Gendron, The VAT in Developing and Transitional Countries, 2007, S. 89. 2 TAXUD/2010/DE/328, S. 10. 3 Bickley, Value Added Tax, 2003, S. 6; Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 91; Gottfried/Wiegard, Journal of Public Economics 1991, 307 (327); Raboy, in: Weidenbaum/Raboy/Christian, Value-Added Tax, 1989, S. 87 (98); Mc Lure, The Value-Added Tax, 1987, S. 72; vgl. auch McDaniel/Surrey, Aspects of Tax Expenditures, 1985, S. 89. Relativierend indes für ein mehrwertsteuerliches Erstat­ tungssystem TAXUD/2011/DE/334, S. 33. 4 Vgl. Harrison/Krelove, VAT Refunds, 2005, S. 4; OECD/KOM, Value-Added Taxes, 1998, S. 29; Tait, Value Added Tax, 1988, S. 285; dies einräumend auch Due, Natio­ nal Tax Journal 1990, 383 (385). 5 Dies lässt sich an kulturellen, sozialen oder gemeinnützigen Einrichtungen veranschau­lichen, die bislang kein Entgelt für ihre Leistungen erheben und diese so­ mit nicht steuerbar erbringen, vgl. Hemels, VAT treatment of charities, 2010, S. 18.

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ze an, resultiert daraus zugleich neues Konfliktpotenzial angesichts der stets unvermeidlichen Grenzziehung zwischen begünstigten und steuer­ pflichtigen Umsätzen1. Demgegenüber wirken unechte Befreiungen für die Verwaltung tendenzi­ ell entlastend, denn soweit tatbestandlich erfasste Unternehmer weder Steuern schulden noch zum Abzug bringen dürfen, fallen sie aus dem gel­ tenden Erhebungssystem heraus2. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass streitige Auseinandersetzungen mit den Verwaltungsbehörden sowie an­ schließende Gerichtsverfahren aufgrund der extremisierten Ungleichbe­ handlung zahlenmäßig zunehmen und mit wesentlich größerer Vehe­ menz geführt werden dürften3. Schwierig zu bewertende Grenzfälle könnten überdies anschwellen und zugleich die Besteuerungsrundlage erodieren, weil ein verstärkter Anreiz bestünde, Umsätze als steuerfrei zu deklarieren und diesbezüglich die legale Peripherie teils komplex g­ efasster Regelungen auszuloten4. Behördliche wie auch gerichtliche Kapazitäten wären folglich in noch stärkerem Maße mit Vergünstigungs­fragen be­ frachtet, als dies ohnehin schon der Fall ist. Zudem sind ­existenzbedrohende Szenarien infolge rechtlicher Fehleinschätzung gravierender, da etwaige Steuernachzah­lungen leicht eine die Insolvenz bedingende Größenord­ nung erreichen5. Schließlich bergen auch Nullsätze ein nicht unerhebli­ ches Missbrauchsrisiko. Die Betrugsanfälligkeit des Systems erhöht sich, indem fingierte Vorsteuerbeträge zur Erstattung ohne gegenläufige Kon­ trolle anhand steuerpflichtiger Umsätze angemeldet werden können6. Üb­ rig bliebe daher nur, eine solche Entwicklung durch intensivierte Prüfme­ chanismen und entsprechend erhöhten Bürokratieaufwand auszusteuern. cc) Ungesicherte Abwägungsbilanz Ob sämtliche nullsatzbedingten Nachteile allein durch die Entbehrlich­ keit einer anteiligen Vorsteuerberechnung in Ansehung der zahlenmäßig erfassten Fälle, in denen eine gemischte Steuerpflichtigkeit besteht und überdies besondere Probleme in der Handhabung bereitet, aufgewogen werden, ist mithilfe einer verlässlichen Prognosebewertung bislang noch nicht eindeutig quantifiziert worden. Verfügbare Studien dokumentieren 1 Vgl. zu Abgrenzungsproblemen auch Henkow, The VAT/GST Treatment of Public Bodies, 2013, § 1.02 (c) (5). 2 Vgl. Raboy, in: Weidenbaum/Raboy/Christian, Value-Added Tax, 1989, S. 87 (88); Tait, Value Added Tax, 1988, S. 286. 3 Befreiungen bilden bereits jetzt den größten Einzelstreitpunkt im harmonisierten Mehrwertsteuerrecht, vgl. Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 93; Dziadkowski, UR 2006, 87. 4 Siehe auch Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 264; Tait, Value Added Tax, 1988, S. 50. 5 So bereits für Steuersatzreduktionen Weber, UR 2011, 886 (889). 6 Vgl. TAXUD/2010/DE/328, S. 7; OECD/KOM, Value-Added Taxes, 1998, S. 29.

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die umsatzsteuerbedingten Verwaltungskosten kaum, während umfang­ reiche Analysen der Konformitätslasten aus Unternehmersicht eine er­ hebliche Bandbreite an divergierenden Schätzungen aufbieten1. Dieses Datenmaterial verfügt nur über sehr begrenzte Aussagekraft und gibt für eine seriöse Vergleichsbetrachtung kein eindeutiges Ergebnis vor2. Letzt­ lich dürften der Verwaltungsaufbau und dessen effi­ziente Strukturierung die ausschlaggebenden Faktoren sein, ohne dass insoweit unter den der­ zeit noch 28 EU-Mitgliedstaaten ein einheitliches Bild bestünde. Selbst ein womöglich messbarer Positiveffekt wäre unterdessen immer noch in die folgenbezogene Gesamtabwägung einzustellen und verhältnis­ mäßig zu gewichten. Es scheint dabei eher unwahrscheinlich, dass die ver­ meidbaren Befolgungslasten ein solch hohes Ausmaß erreichten, als dass sie die materiellen Verzerrungseffekte auf der Ausgangsseite der Umsätze wesentlich in den Hintergrund drängen und sich als ausschlaggebender Maßstab für das gesetzgeberische Auswahlermessen etablieren könnten. Eine beispielhafte Studie mag diese These untermauern. Laut einer für das Vereinigte Königreich differenzierten Aufstellung zu den mehrwertsteuer­ lichen Bürokratielasten macht die partielle Befreiungsstellung zwar abso­ lut gesehen den drittgrößten Posten aus, relativ fällt sie mit nur 7 % an den Gesamtaufwendungen jedoch weit hinter all­gemeine Probleme bei der Rechnungslegung (47 %) sowie eine vierteljährliche Anmeldepflicht (29 %) zurück3. Demnach ist ein gewisses ­Einsparpotenzial durch Nullsät­ ze unbestreitbar, gleichwohl konzediert die OECD ihre Empfehlung für signifikante Systemverbesserungen auf Schwellenregelungen für Klein­ unternehmer, großzügiger bemessene Meldezeiträume sowie eine stärker geldflussbasierte Verifizierbarkeit von formellen Mitwirkungspflichten4. Eine zweifelsfrei belegte Überlegenheit der Nullsatzbesteuerung ist des­ halb unter angemessener Berücksichtigung der legislativen Prärogative in Bezug auf die praktische Durchführbarkeit nicht ersichtlich5. Dies gilt umso mehr, als von der ökonomischen Warte aus betrachtet gemeinhin ein möglichst einheitliches Steuersatzniveau als probates Mittel präferiert wird, um die bestmöglichen Wohlfahrtseffekte nach dem Modell einer zweitbesten Optimalbesteuerung zu verwirklichen6. 1 Siehe zum aktuelllen Stand ausf. TAXUD/2010/DE/328 Final Report, S. 95 ff. 2 Allg. zu der nur schwer erhebbaren Datenlage Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 52. 3 Wiedergegeben bei OECD, Programs to Reduce the Administrative Burden, 2008, S. 16. 4 OECD, Programs to Reduce the Administrative Burden, 2008, S. 45. 5 Offen auch Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (304); abw. Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (89); Due, National Tax Journal 1990, 383 (386). 6 Bird/Gendron, The VAT in Developing and Transitional Countries, 2007, S. 108; Boss, Steuerpolitik, 2011, S. 4; Wesselbaum-Neugebauer, Wirkungen reduzierter MwSt-Sätze, 2010, S. 42 ff; Hatta, Journal of Public Economics 1986, 99 ff.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

Die wachsende Lücke zwischen Nullsätzen und Regelbesteuerung be­ dient die exakt entgegengesetzte Konsequenz, so dass etwaig geminder­ ten Befolgungskosten zu erwartende Wohlfahrtseinbußen gegenüberzu­ stellen sind. Besonders gravierend fiele die Diskrepanz aus, sollte die Zahl der Begünstigungstatbestände nicht wesentlich verkleinert und stattdessen der Regelsteuersatz im Übrigen aufkommensneutral ange­ passt werden. Vor dem Hintergrund dieser insgesamt äußerst vielseitigen Zusammenhänge scheint es eher angezeigt, Vorsicht gegenüber einer vor­eiligen Festlegung des Unionsgesetzgebers auf eine vorrangige Politik der Nullsätze walten zu lassen. e) Entlastung der Steuerträger Ohne Einfluss auf eine primärrechtsverbindliche Prädestination zuguns­ ten vorsteuerunschädlicher Lösungsansätze bleibt deren vermeintlich ge­ steigerte Geeignetheit zur Zielverwirklichung. Zwar greift der Entlas­ tungserfolg bei echten Befreiungen und Nullsätzen sowohl transparenter als auch seinem Umfange nach weiter aus, was isoliert mit Blick auf eine kompensatorische Verbesserung der Unternehmerstellung eine inkre­ mentierte Zwecktauglichkeit verbürgen könnte. Allerdings wird die weit überwiegende Zahl an gemeinwohlspezifischen Befreiungstatbeständen in erster Linie durch die Intention getragen, das Preisniveau im Interesse der Steuerträger niedrig zu halten. Allein eine betragsmäßig stärker profi­ lierte Begünstigung des Steuerschuldners bildet aber noch keinen Garant für ihre faktische Weitergabe an die Leistungs­empfänger. Ausschlagge­ bend ist für diese grundsätzlich frei zu treffende Unternehmerentschei­ dung vielmehr, dass – ungeachtet regulatorisch implementierter Kontroll­ mechanismen – die am Markt veranschlagten Preise in Ansehung eines effektiven Wettbewerbsdrucks um vermeidbare Kostenpositionen geglät­ tet werden. Eine tatbestandlich optimierte Entlastungsdefinition korre­ liert daher keineswegs zwangsläufig mit der Faktizität gelungener Über­ wälzung. Idealerweise könnte die verbesserte Transparenz speziell im Postsektor aber den Beitrag leisten, die Überprüfung und Durchsetzung kostenorientierter Entgelte iSv Art. 12 PostRL zu erleichtern. f) Fazit: Unechte Postdienstbefreiung als schonender Subventionsansatz Handelt es sich an die materielle Folgebetrachtung anknüpfend bei ech­ ten Befreiungen respektive Nullsätzen nicht um Verschonungsmodelle per se minderer Eingriffsintensität1, trifft diese Einschätzung auch für Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL im Beson­deren zu. Die Postdienst­ exemtion wird durch das Spezifikum charakterisiert, dass sie eine den gemeinwohlverpflichteten Anbieter subventionierende Komponente be­ 1 Siehe hierzu vorstehend b).

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

inhaltet und typischerweise nur eine öffentliche Posteinrichtung je ­Mitgliedstaat existiert. Wollte man diesen exklusiven Zuschnitt in eine vorsteuerneutrale Pflichtentbindung einkleiden, verzeichneten die nega­ tiven Effekte auf Ebene der Ausgangsumsätze erheblich stärkere Aus­ schläge. Aus Sicht potenzieller Konkurrenten ohne Gemeinwohlbindung entfiele die bisherige Vorzugsstellung im vorsteuerbefugten Geschäfts­ kundensegment gänzlich. Im Verhältnis zu Privatkunden und diesen gleichgestellten Versendern brächte unterdessen die höchstmögliche Be­ lastungsdifferenz entsprechend intensivierte Markteintrittshemmnisse sowie Verdrängungstendenzen hervor. Die unvermeidliche Folge wäre, dass die umsatzsteuerrechtlich vermittelte Vorrangstellung zugunsten der öffentlichen Posteinrichtung noch weitergehender als bislang zemen­ tiert zu werden drohte. In Ansehung der Eingangsumsätze sondert sich die Postdienstexemtion durch zwei wesentliche Aspekte gegenüber der typischen Befreiungskon­ stellation ab. Erstens bedarf der Vorsteuerausschluss mangels alternativ freigestellter Anbieter nur insoweit der Berücksichtigung, als es um die Beziehung der öffentlichen Posteinrichtung zu steuerpflichtigen Konkur­ renten geht. Zweitens werden Postdienste auch vonseiten steuerpflichti­ ger Unternehmer nachgefragt, was der ungünstigen Vorsteuerbelastung in diesem Segment durchaus Gewicht verleihen kann. Solange allerdings die gesetzgeberische Einschätzung bezüglich eines positiven Wirkungs­ saldos unwiderlegt bleibt, geht damit gerade auch die legitime Annahme einher, die befreite Posteinrichtung werde trotz der imperfekten Ent­ lastungsfolge auf ein insgesamt vorteilhaftes Umsatzsteuerniveau ge­ schleust. Die begrenzte Schlechterstellung mit Blick auf vorsteuerbefug­ te Kunden wird so gesehen durch die positive Befreiungswirkung im Übrigen aufgewogen und verbleibt ohne Relevanz für die summarische Eingriffskomparität1. An dieser Stelle wird deutlich, dass das Vorsteuer­ abzugsverbot unter der Bedingung einer anbieterspezifisch begrenzten Befreiung auf die logisch vorrangige Geeignetheitsebene zurückfällt. Wird der intendierte Entlastungserfolg nämlich nicht infolge der anfal­ lenden Vorsteuerbeträge vereitelt, steht die bloße Minderung des Begüns­ tigungspotenzials außer Relation zu den schwerer wiegenden Verzerrun­ gen, die eine Nullsatzbesteuerung hinsichtlich der Ausgangsleistungen verursachte. Alternativ bliebe bei vorsteuerbedingter Zielinadäquanz nur das Untauglichkeitsurteil über die unechte Anbieterbefreiung zu fäl­ len, ohne dass dann noch die nachgeordnete Erforderlichkeitsprüfung eine Rolle spielte.

1 Zu beachten ist auch der Befreiungsausschluss von Sonderkonditionen, wie sie Großversendern gewährt werden, vgl. EuGH, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I‑3025 Rn 46.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

Diese Feststellungen bleiben unverändert, erstreckt man die Abwägung auf die gesonderten Konformitätskosten einer partiellen Befreiungsstel­ lung. Interessanterweise schrumpfen im Geltungsbereich der Postdienst­ exemtion die dargelegten Vorzüge unechter Befreiungen merklich1, da Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL keine massenhafte Veranlagung erfor­ dert. Eine Nullsatzpolitik dürfte unter diesem Gesichtspunkt eine über­ legene Bilanz aufzeigen, weil der Wegfall der Pro-rata-Rechnung aus ­Unternehmerperspektive zunächst eine klare Vereinfachung bedeutet, gleichzeitig aber die Verwaltung wegen der ohnehin schon bestehenden Registrierung des Grundversorgers keine erhebliche Zusatzbelastung ­tragen müsste. Sollte mit zunehmendem Vorsteuervolumen ein behörd­ licher Mehraufwand einhergehen, wäre dieser mit Blick auf einen Ein­ zelanbieter jedenfalls kaum höher zu veranschlagen als die sehr viel kompliziertere Kontrolle der Zuordnungsthematik. Insgesamt wäre die­ se administrative Ver­besserung allerdings nicht geeignet, um die vorste­ hend beschriebene Schwere des Eingriffs in den marktfreiheitlichen Kon­ text aufzuwiegen. Der über sämtliche Kundengruppen hinweg vertiefte Belastungsabstand gegenüber steuerpflichtigen Konkurrenten stünde au­ ßer Verhältnis zu der erleichterten Abrechnungsmöglichkeit eines ein­ zelnen Anbieters, dessen vorzugsweise Stellung durch erhöhte Konfor­ mitätskosten zudem allenfalls gedämpft, aber nicht konterkariert wer­ den dürfte. In diesem Zusammenhang bleibt schließlich die unter Ökonomen allge­ mein geteilte Erkenntnis zu berücksichtigen, wonach fixe Befolgungslas­ ten relativ betrachtet eine regressive Entwicklung im Verhältnis zur Un­ ternehmensgröße beschreiben2. Speziell für öffentliche Posteinrichtungen, die als Nachfolger hoheitlicher Monopolbetriebe eine flächendeckende Versorgungsfunktion wahrnehmen, wird dieser Faktor also weitaus er­ träglicher ausfallen, als dies für kleine oder mittelständische Steuer­ schuldner der Fall sein mag. 2. Ermäßigte Steuersätze Innerhalb des vorausgehend nachgezeichneten Spannungsfelds, das zwi­ schen unechten und echten Befreiungen respektive Nullsätzen besteht, vermittelt die Einführung reduzierter Steuersätze augenscheinlich eine ideale Kompromisslösung. Einerseits bleibt der Vorsteuerabzug un­ berührt, andererseits tritt eine gemäßigte Entlastung der Ausgangsum­ sätze ein, wodurch Haushaltslücken ebenso im Zaume gehalten werden 1 Siehe hierzu vorstehend d). 2 Vgl. dazu etwa TAXUD/2010/DE/328, S. 11; OECD, Programs to Reduce the Admi­ nistrative Burden, 2008, S. 14; Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 53.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

wie tatbestandlich induzierte Wettbewerbsverfälschungen. Das harmo­ nisierte Mehrwertsteuersystem lässt gewisse Überschneidungen zwi­ schen Art. 132 MwStSystRL sowie den optional ermäßigt besteuerten Gegenständen aus Anhang III erkennen. Dies betrifft vornehmlich durch anerkannte gemeinnützige Einrichtungen bewirkte Umsätze im Bereich der sozialen Sicherheit (Anhang III Nr. 15) und medizinische Versor­ gungsleistungen (Anhang III Nr. 17), bezüglich derer sich ein ausdrückli­ cher Abgrenzungsvorbehalt gegenüber unechten Befreiungstatbeständen verklausuliert findet. Weiterhin dürfen Leistungen im Hinblick auf Per­ sonenbeförderung (Anhang III Nr. 5), Kultur (Anhang III Nr. 6 und 7), Rundfunk und Fernsehen (Anhang III Nr. 8) sowie Sport (Anhang III Nr. 13 und 14) mit einem reduzierten Satz belegt werden, obgleich ent­ sprechende Bereiche bereits gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. m), n), p) und q) MwStSystRL speziell thematisiert sind. Dieser Regelungsbefund ver­ langt Mitgliedstaaten mit der Präferenz zu einem nominell differenzier­ ten Tarifsystem eine trennscharfe Unterscheidung ab, da die unmittelbar zwingenden Befreiungsvorgaben nicht unter Rekurs auf reduzierte Sätze erfüllt werden können. Nicht zu leugnen ist, dass unechte Befreiungen als Folge der divergierenden Vorsteuerüberwälzung bereits eine Vielzahl effektiver Steuersätze gegenüber den jeweiligen Konsumaufwendungen auf der Endstufe übersetzen, so gesehen also beide Verschonungsinstru­ mente einen annäherungsweisen Effekt herbeiführen1. Dennoch müsste ein durchgängiger Substitutionsansatz seinen Ausgang auf europäischer Ebene nehmen, obgleich den vielfach bemühten Re­form­anstrengungen durch die Kommissionen seit Erlass der RL 77/388/EWG bislang kein Erfolg beschieden war. Entgegen dem sonst rigiden Richtliniendiktat genießen die Mitgliedstaa­ ten im Bereich der Steuersätze noch die weitestgehende Autonomie. Sie dürfen gemäß Art. 98 und 99 MwStSystRL wahlweise einen oder zwei reduzierte Sätze zu mindestens 5 % auf die in Anhang III aufgeführten Umsätze anwenden, nach Art. 102 und 103 MwStSystRL sind Ermäßi­ gungen unter bestimmten Bedingungen überdies zulässig für die Liefe­ rung von Erdgas, Elektrizität und Fernwärme sowie die Einfuhr von Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten. Ferner profi­ tieren zahlreiche Mitgliedstaaten von übergangsweisen Zugeständnissen nach Maßgabe der Art. 109 bis 122 MwStSystRL, wonach die Beibe­ haltung niedrigerer Sätze als 5 %, die Anwendung reduzierter Sätze auf andere als die in Anhang III benannten Gegenstände und zusätzlich ein ermäßigter Satz nicht unter 12 % gestattet bleiben. Schlussendlich erlau­ ben Art. 123 bis 130 MwStSystRL noch einzelnen Mitgliedstaaten, redu­ zierte Sätze zeitweise für bestimmte Umsätze festzulegen; Art. 104 und 1 Vgl. Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 82.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

105 MwStSystRL sehen für Österreich und Portugal zudem die Möglich­ keit regional spezifizierter Sätze vor. Insgesamt zeichnet sich der aktuell gegebene Regelungszustand samt entsprechender Umsetzungen auf na­ tionaler Ebene durch einen äußerst hohen Grad an Heterogenität aus. Deutschland mit seinen derzeit zwei nominellen Sätzen gehört dabei noch zur Gruppe der Mitgliedstaaten mit einem relativ einfach gehalte­ nen System. Irland und Luxemburg verfügen etwa über die doppelte An­ zahl, Frankreich wendet allein auf Arzneimittel drei unterschiedliche Sätze an, ebenso verfahren Irland und Portugal mit Lebensmitteln1. Gleichwohl können die Mitgliedstaaten im Interesse der Rationalisie­ rung ebenso gut auf reduzierte Sätze verzichten. Gerade dieser Aspekt bildet den Anknüpfungspunkt für die anhaltend geführte Debatte um das ideale Besteuerungssystem, die sich in Reaktion auf den Brüsseler Re­ formstau sukzessive auf die nationale Ebene verlagert hat. Wohlfahrts­ ökonomisch gesehen wird in der Theorie zwar ein differenziertes Ta­ rifsystem befürwortet. Von grundlegender Bedeutung ist insofern die inverse Elastizitätsregel, die minimierte Zusatzlasten und eine optimier­ te Effizienz unter der Voraussetzung verspricht, dass die Steuersätze um­ gekehrt proportional zur Preiselastizität der am Markt gehandelten Gü­ ter bestimmt werden2. Ergänzend sollen zur gesamtwirtschaftlichen Stärkung des Faktors Arbeit solche Güter, die sich freizeitkomplementär verhalten, einer erhöhten Besteuerung zugeführt werden. Praktisch ist dieses Theorem jedoch kaum durchführbar, da es der staatlichen Autori­ tät an dem für eine zielführende Umsetzung notwendigen Informations­ stand mangelt. Dies gilt zuvorderst für das Konsumverhalten der Ver­ braucher, die einem ständigen Wandel unterworfene Preiselastizität sämtlicher Marktgüter wie auch hinsichtlich der bislang nur wenig er­ forschten Kreuzpreiselastizität3. Ein weiteres Hindernis bedingt der Um­ stand, dass selbst im Falle einer ideal gelingenden Tarifdifferenzierung diese wie jede andere Form der Verschonung einer intensivierten Kom­ plexität des Steuersystems Vorschub leistet4. Die Folge sind massiv er­ höhte Verwaltungs- und Befolgungskosten, wodurch etwaige Wohlfahrts­ gewinne durch eine Tarifdifferenzierung letztlich überlagert werden5. 1 Vgl. Widmann, UR 2011, 421 (424). 2 Grundlegend Ramsey, The Economic Journal 1927, 47 ff; vgl. ferner Fuest, in: ­DStJG 37 (2014), S. 65 (68); Copenhagen Economics, Study on reduced VAT, 2007, S. 7 ff. 3 Siehe OECD, Choosing a Broad Base, 2010, S. 16; de la Feria, Intertax 2015, 155 (164). 4 Massa, in: Weidenbaum/Raboy/Christian, The Value-Added Tax, 1989, S. 237 (245); mit zahlreichen Beispielen zu kuriosen Abgrenzungsentscheidungen Kruhl, UVR 2011, 138 (141 ff). 5 Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (290 f); Peffe­ koven, Zur Reform der Mehrwertsteuer, 2010, S. 38; Bird/Gendron, The VAT in ­Developing and Transitional Countries, 2007, S. 108 ff.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

In der Ökonomie hat sich vor diesem Hintergrund die allgemeine Empfehlung durchgesetzt, dass jedenfalls Staaten mit relativ hohem ­ Wohlstandsniveau einen einheit­lichen Steuersatz in gemäßigter Höhe veranschlagen sollten1. Ein entsprechender Trend ist international in Umsatzsteuersystemen jüngeren Datums zu beobachten2, wie sie etwa in Australien oder Neuseeland vorliegen. Gerade in Neuseeland wurde die möglichst einfach gehaltene Systematik als wesentlicher Faktor für die schnelle Akzeptanz der zum 01.10.1986 eingeführten Goods and Ser­ vices Tax (GST) ausgemacht3. Ebenso rigide Zurückhaltung gegenüber optionalen Vergünstigungen zeigen die in oder nach 2004 der EU beige­ tretenen Mitgliedstaaten. Einer neueren Untersuchung zufolge lässt sich dies daran ablesen, dass etwa in Bulgarien, der Slowakei und Rumänien mehr als 90 % der Konsumaufwendungen dem Standardsatz unterfallen, der EU-Durchschnitt hingegen nur 65 % beträgt4. Entsprechend unter­ schiedlich fällt auch der prozentuale Abstand zwischen nominellen und effektiven Steuersätzen in den einzelnen Mitgliedstaaten aus5. Wenig überraschend wird die Forderung nach einer Ver­ringerung der reduzier­ ten Sätze wiederholt auch in Deutschland laut6. Aus alledem wird sehr deutlich, dass auch ermäßigte Steuersätze kein unbedenklich einsatzba­ res Förderinstrument verkörpern7. Die entscheidende Frage kann daher nur lauten, ob die hervorgerufenen Nachteile hinter denen unechter Be­ freiungen zurückbleiben, sich nominelle Steuersatzdifferenzierungen also gleichsam als geringeres Übel und damit vorzugswürdiges Mittel erweisen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass unechte Be­ freiungstatbestände zwar der Anzahl nach die bedeutendste Verscho­ nungsvariante repräsentieren, in den Wirkungen auf das steuerliche Auf­ kommen jedoch durch Steuersatzreduktionen übertroffen werden8. 1 TAXUD/2012/DE/323, S. 28; Ismer/Kaul/Reiß/Rath, Analyse und Bewertung, 2010, S. 8 ff; FiFo Köln/Copenhagen Economics/ZEW, Evaluierung von Steuervergünsti­ gungen, Bd 2, 2009, S. 332; James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 68 f mwN. 2 Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (301); Schenk/ Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 69. 3 Douglas, Statement on Taxation, 1985, S. 210. Schätzungen zufolge belaufen sich die jährlichen Verwaltungskosten je Unternehmer in Neuseeland mit einem Einzelsteu­ ersatz auf $ 50, im Vereinigten Königreich hingegen auf $ 200, vgl. Ebrill/Keen/­ Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 53. 4 Siehe dazu Borselli/Chiri/Romagnano, Int VAT Monitor, 2012, 13 (17). 5 Die durchschnittliche Abweichung beträgt unionsweit etwa 25,6 %, Spitzenreiter ist Irland mit 40 %, in Bulgarien etwa liegt sie nur bei 5 %, vgl. Borselli/Chiri/Romagnano, Int VAT Monitor, 2012, 13 (18). 6 Zuletzt Breidenbach/Kasten, RWI Position Nr. 61, 2014; Sachverständigenrat, Jah­ resgutachten 2010/11; Kruhl, UVR 2011, 138; Weber, UR 2011, 886 (892); diff. Brügelmann, Wirtschaftsdienst 2014, S. 236 f; Ismer/Kaul/Reiß/Rath, Analyse und Be­ wertung, 2010, S. 14 ff; a.A. DGB, Klartext Nr. 17/2014. 7 Sehr krit. Weber, UR 2011, 886 ff. 8 Vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2010/11, S. 214, wonach 23 Mrd. EUR auf ermäßigte Sätze entfallen.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

a) Gegenstandsbezug in der Abwägungsrelation Die Notwendigkeit einer vergleichsweisen Folgenabwägung ist für un­ echte Befrei­ungen im Verhältnis zu Steuersatzreduktionen danach zu be­ urteilen, welche konkrete Zwecksetzung zugrunde liegt. Eine Sonder­ stellung nehmen Befreiungsvorschriften ein, deren Erlass allein oder zumindest vorwiegend aus technischen Überlegungen erfolgt. Dazu zählt insbesondere eine subjektive Besteuerungsausnahme für Kleinun­ ternehmer (z.B. § 19 UStG) mit dem Ziel, überbordende Befolgungslasten zu vermeiden. Weiterhin angeführt werden können die zahlreichen Exem­ tionen etwa im Bereich der Finanzdienste. Sie schließen eine an sich wünschenswerte Außenbesteuerung wegen besonderer Komplikationen aus, deren Überwindung der Gesetzgeber, wenn nicht schon als unmög­ lich, so doch zumindest als unzumutbaren Aufwand eingestuft hat. Im Rahmen derartiger Vereinfachungszwecknormen sind lediglich zwei Fra­ gestellungen von Relevanz, die jeweils außerhalb der Erforderlichkeit angesiedelt sind. Als Erstes muss sich die Durchbrechung des gleichheitsrechtlich unter­ legten Verbrauchsteuerprinzips als angemessen erweisen. Dies gilt zu­ nächst für die Festsetzung ausgewogener Schwellenwerte zugunsten von Kleinunternehmern, da die negative Befolgungslast stets gegenüber dem Prinzip einer möglichst allgemein ausgreifenden Bemessungsgrundlage in Ansatz gebracht werden muss. Überdies sieht sich der Unionsgesetz­ geber im Falle sonstiger Erhebungsschwierigkeiten mit der Überprüfung konfrontiert, ob nicht gegebenenfalls moderne Methoden eine zumutba­ re Besteuerung ermöglichen. Die Konsequenz ist, dass althergebrachte Vereinfachungstatbestände sukzessive unter einen dynamischen Recht­ fertigungsdruck geraten können, was derzeit in Europa anlehnend an al­ ternativ implementierte Lösungsansätze in Umsatzsteuersystemen jün­ geren Datums, wie beispielsweise demjenigen in Neuseeland, vermehrt diskutiert wird. In den Fokus der Kritik rücken dabei befreite Vermitt­ lungsleistungen in der Finanzbranche, Immobiliengeschäfte und nicht zuletzt Lotterien1. Neben der Angemessenheit betrifft der zweite wesent­ liche Aspekt den automatischen Ausschluss vom Vorsteuerabzug. Des­ sen Legitimität gilt es vor dem Hintergrund der folgerichtig auszufor­ menden Grundkonzeption einer Allphasennettoumsatzsteuer stets zu hinterfragen2. Dessen unbenommen sind ermäßigte Steuersätze zum Zwecke der ad­ ministrativen Entstrickung bestimmter Sachverhalte schlichtweg nicht tragfähig. Die Unternehmer bleiben unter diesem Ansatz im System 1 Vgl. de la Feria/Krever, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 3 (25 ff); siehe auch Cnossen, International Tax and Public Finance 1998, 399 (405 ff). 2 Siehe hierzu nachfolgend B.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

­ erbindlich registrierte Schuldner, weil die gegen Entgelt ausgeführten v Umsätze weiterhin einer – wenn auch herabgestuften – Steuerpflicht un­ terworfen sind1. Eine vollständige Ausnahme jedenfalls der Ausgangs­ umsätze vom Primat der Besteuerung stellt sich mithin für rein techni­ sche Belange als alternativlos dar. Allein soweit durch außersteuerliche Zielsetzungen getragene Befreiungen in Rede stehen, wie sie dem Rechts­ anwender vornehmlich gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL begegnen, erlangt die Erforderlichkeit mit Blick auf alternativ mögliche Steuersatz­ reduktionen einen eigenen Stellenwert. Eine relativierende Würdigung der negativen Eingriffswirkungen ist daher erst für Vergünstigungen im eigent­lichen Sinne unumgänglich. b) Allgemeinpräferenz ermäßigter Steuersätze Vorausgehend unter 1. wurden bereits mit Bezug zu Nullsätzen respek­ tive echten Befreiungen die entscheidenden Punkte im Rahmen der Er­ forderlichkeitsprüfung ausgearbeitet. Überträgt man dieses Raster auf ermäßigte Steuersätze, so fördert die allgemeine Vergleichsbetrachtung eine gleichwertige bis sogar überlegene Wirkungsweise dieses Instru­ ments gegenüber unechten Freistellungen ans Licht. aa) Zieltauglichkeit Im Hinblick auf die Geeignetheit zur Zielverwirklichung unterscheiden sich ermäßigte Steuersätze nicht von unechten Befreiungen. Ungeachtet des Umstands, ob die Verschonung auf vertikale Gerechtigkeit mittels Umverteilung, positive Externalitäten oder eine wirtschaftliche Impuls­ gebung zugunsten bestimmter Branchen abzielt, muss in aller Regel die Entlastung in Form verbilligter Preise zunächst an die Verbraucher durchgereicht werden. Einige ausgewählte Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit geben diesbezüglich jedoch scheinbar Anlass zu Skepsis2. Dies gilt etwa bezüglich der 1999 eingeführten und ursprünglich als übergangsweises Experiment gedachten Steuersatzermäßigung für ar­ beitsintensive Leistungen. Bisherige Untersuchungen der Kommission haben ergeben, dass positive Preiseffekte allenfalls geringfügig und über­ dies von temporärer Natur sind3; die intendierte Mehrung von Arbeits­ plätzen einschließlich der Bekämpfung von Schattenwirtschaft konnte nicht wie erhofft erreicht werden. Ein zweites Beispiel bietet Irland, wo 1 Vgl. James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 53; Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 90; Raboy, in: Weidenbaum/Raboy/Christian, The Value-­ Added Tax, 1989, S. 98; Mc Lure, The Value-Added Tax, 1987, S. 74. 2 Allg. krit. auch Tait, Value Added Tax, 1988, S. 42; Kruhl, UVR 2011, 138 (143). 3 Vgl. KOM (2003) 309 v. 02.06.2003; ebenso Copenhagen Economics, Study on re­ duced VAT, 2007, S. 10.

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der allgemeine Satz von 21 auf 20 % im Januar 2001 wegen hoher Infla­ tionsgefahr in Zeiten der wirtschaftlichen Boomphase gesenkt wurde. Bereits 2002 entschloss sich die Regierung für die Revision dieser Maß­ nahme, nachdem spürbare Preissenkungen ausgeblieben waren1. Eben­ falls kritisch unter dem Aspekt der Verbilligung bewertet wird die in Deutschland 2010 vollzogene Tarifreduktion für Beherbergungsleistun­ gen2. Dieser Reformschritt markiert jedoch einen Sonderfall, zielte er doch nicht primär auf eine Vergünstigung im Verbraucherinteresse, son­ dern auf eine steuerlich verbesserte Ausgangslage für deutsche Hoteliers im europäischen Wettbewerb3. Die übrigen hier angeführten Fälle schlie­ ßen zudem nicht zwangsläufig aus, dass Tarifdifferenzierungen sich in den Verbraucherpreisen widerspiegeln können4. Vielfach harrt die Eig­ nung aber gleichermaßen wie beim überwiegend abgelehnten Einsatz unechter Befreiungen noch eines positiven Nachweises5, ohne dass die­ ser Befund indes geeignet wäre, zwangsläufig die gesetzgeberische Präro­ gative auszu­höhlen6. Ungelöst bleibt schließlich die mangelnde Zielge­ nauigkeit in Anbetracht der einkommensabhängigen Bedürftigkeit7, die sämtlichen Verschonungsformen innerhalb einer anonymisierten Um­ satzsteuer immanent ist. bb) Ausgangsumsätze Nimmt man die am Markt gegenüber Endverbrauchern angebotenen Ausgangsumsätze in den Blick, haben Steuersatzermäßigungen einen im Wesentlichen gleichwertigen Effekt zur Folge. Wie im Falle unechter Be­ freiungen findet keine perfektionierte Entlastung von der Umsatzsteuer statt, sondern lediglich eine Herabsetzung der im Preis zu überwälzen­ den Steuerschuld8. Wettbewerbsverzerrende Effekte infolge nicht neutral konzipierter Normtatbestände fallen somit generell nicht stärker aus als bei unechten Befreiungen auch. Hat die Einführung ermäßigter Steuer­ sätze keine zusätzlichen Härten zur Folge, erweisen sich sogar zwei wei­ tere Aspekte von Vorteil. Ebenso wie im Falle von Nullsätzen oder ech­ 1 Siehe dazu mwN de la Feria, Intertax 2015, 155 (166). 2 Wagner/Weber/Gegenwarth, arqus Discussion Paper No. 179, 2014; siehe auch Widmann, UR 2011, 421. 3 Siehe den Bericht des FinA, BT-Drucks. 17/147 v. 03.12.2009, S. 6. 4 Vgl. nur Copenhagen Economics, Study on reduced VAT, 2007, S. 10 mit dem Hin­ weis, dass die zunächst nur zeitlich begrenzt erwartbare Dimension der Tarifreduk­ tion für arbeitsintensive Leistungen die Weitergabe vereitelt haben könnte. In Irland war die Senkung um nur 1 Prozentpunkt möglicherweise zu gering und der Bewer­ tungszeitrum zu kurz. 5 So auch de la Feria, Intertax 2015, 155 (166). 6 Siehe hierzu vorstehend II. 7 Krit. auch BRH, BT-Drucks. 17/2290 v. 28.06.2010. 8 Siehe zu einer höheren Entlastungswirkung durch unechte Befreiungen aber nachfol­ gend c)bb)2).

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ten Befreiungen ist der Entlastungserfolg wesentlich transparenter und vor allem unabhängig davon, wie es branchen- und insbesondere unter­ nehmerspezifisch um die Fähigkeit zur Internalisierung benötigter Hilfs­ leistungen bestellt ist1. Darüber hinaus wird die gewährte Entlastung ihrer Höhe nach vordefiniert und verhält sich auf der Endstufe relativ zum Bruttoentgelt stets gleich. Gravierende Verwerfungen im Begünsti­ gungserfolg je nach Größe und Konzentrationsgrad bleiben innerhalb der Vergleichsgruppe tatbestandlich erfasster Unternehmer folglich aus. cc) Eingangsneutralität Einen eindeutigen Gewinn verbuchen ermäßigte Steuersätze aufseiten der Eingangsumsätze. Der Vorsteuerausschluss bleibt unberührt mit der Folge, dass vollkommene Neutralität beim Einkauf unterstützender Vor­ leistungen herrscht. Die betriebliche Organisation bleibt frei von mitun­ ter effizienzschädlichen Konzentrationsanreizen, vor allem aber wird das Potenzial zu vorstufenbedingten Diskriminierungen im Pro­ duk­ tions­ prozess unterbunden2. dd) Verbrauchsteuerprinzip Aus Sicht der Steuerträger bedient die mithilfe von Tarifdifferenzierun­ gen avisierte Begünstigung ausgewählter Konsumaufwendungen außer­ halb der Existenzsicherung eine Durchbrechung des gleichheitsrechtlich verankerten Leistungsfähigkeitsprinzips. Dieser grundsätzliche Effekt geht allerdings keineswegs über das hinaus, was auf der Endstufe in Form eines durchgereichten Überschusssaldos der Steuerschuld gegenüber den Vorsteuern anlässlich unechter Befreiungen gesetzlich intendiert ist. Eine strukturell tiefergreifende Derogation des allgemeinen Verbrauch­ steuerprinzips geht somit von Steuersatzermäßigungen nicht aus. Auf eine betragsmäßig exakte Erfassung des preislichen Entlastungpotenzials kann es dabei nicht ankommen, vermag dieses bei unechten Befreiungen bereits innerhalb einer Branche von Unternehmer zu Unternehmer je nach generierter Wertschöpfung erheblich zu variieren. Mittels beider Instrumente bezweckt der Gesetzgeber eine begrenzte Suspension der steuerlichen Regellast, ohne dass auf diese Weise die se­ kundärrechtlich etablierte Finanzierungsverantwortung des Privatkon­ sums gegenüber dem Gemeinwesen ersatzlos unterbrochen wird3. Nied­ rigere Sätze zeichnen sich unterdessen durch den Vorzug aus, eine relativ gleich hohe Steuerschuld auf das Bruttoentgelt mit gerechten Überwäl­ zungschancen entstehen zu lassen. Als Kehrseite sehen sich die Verbrau­ 1 Vgl. Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 91. 2 Schmitz/Erdbrügger/Liegmann, DStR 2011, 1157 (1162). 3 Siehe zu echten Befreiungen respektive Nullsätzen vorstehend 1.c).

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cher in ihren Aufwendungen einer systemkonform sowie gleichförmig auf der Endstufe originär kreierten Steuerlast ausgesetzt, während sich die Eingangsbesteuerung infolge unechter Befreiungen von einer im Ein­ zelfall dem Grunde wie der Höhe nach ungewissen Vorsteuerüberwäl­ zung abhängig zeigt. ee) Verwaltungs- und Befolgungskosten In formeller Hinsicht verlaufen die Abgrenzungslinien genauso wie zwi­ schen unechten Befreiungen und einer Nullsatzpolitik1. Klar identifiziert ist dem Grunde nach, dass durch unechte Befreiungen Einsparungen im Verwaltungsvollzug erzielt werden können, hingegen der durchgängig gewährte Vorsteuerabzug eine wesentliche Verein­fachung für partiell re­ gelsteuerpflichtige Unternehmer bedeutet2. Da die Quantität dieser Ef­ fekte für den gesamten EU-Raum kaum einheitlich beschaffen sein wird und überdies empirisch belastbare Untersuchungen fehlen, ist insoweit eine primärrechtsverbindliche Präferenz zugunsten ermäßigter Steuer­ sätze derzeit nicht feststellbar. ff) Zwischenergebnis Bei allgemeiner Betrachtung zeichnen sich ermäßigte Steuersätze gegen­ über unechten Befreiungen durch wesentliche Vorteile aus, die eine ins­ gesamt verringerte Eingriffsintensität bezüglich des allgemeinen Gleich­ heitssatzes sowie der Unternehmerfreiheit im Übrigen bedeuten. Der systemkonforme Vorsteuerabzug wahrt das Neutralitätsprinzip hinsicht­ lich der Eingangsumsätze, weshalb sich wettbewerbliche Verzer­rungen darauf beschränken, dass substituierbare Güter je nach Tatbestandsge­ staltung im Außenverhältnis unterschiedlich behandelt werden. Ferner erfolgt ein definitiver Entlastungseffekt, dessen Höhe wie auch das rest­ lich verbleibende Belastungspotenzial für die privaten Konsumaufwen­ dungen erheblich klarer konturiert ist. Angesichts dieser Sachlage wenig überraschend werden Steuersatzreduktionen in der Literatur als Mittel für umsatzsteuerlich implementierte Verschonungen klar präferiert3. ­Soweit Umsätze in Rede stehen, die ausschließlich oder zumindest typi­ scherweise an Endverbraucher ausgeführt werden, lässt sich nur schwer­ lich die Annahme widerlegen, dass der Unionsgesetzgeber sein Aus­ 1 Siehe hierzu vorstehend 1.d). 2 Bird/Gendron, The VAT in Developing and Transitional Countries, 2007, S. 135. 3 So etwa Crawford/Keen/Smith, in: Dimensions of Tax Design, 2010, S. 275 (304); Bird/Gendron, The VAT in Developing and Transitional Countries, 2007, S. 110; Dziadkowski, UR 2006, 87 (91); Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (89); ders., UR 2011, 401 (403); Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 330; Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (462); Söhn, StuW 1976, 1 (27); siehe auch Amand, Int VAT Monitor 2010, 409 (413).

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

wahlermessen bei einer Vielzahl von unechten Befreiungstatbeständen mit sozial eingekleidetem Gemeinwohlbezug in der Tat überschritten hat1. c) Vorzüge unechter Befreiungen Vor dem Hintergrund der vorausgehend unter b) getroffenen Feststellun­ gen bedürfen zwei weitere Umstände näherer Untersuchung. Fraglich ist zunächst, weshalb der damalige Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 13 ff RL 77/388/EWG den bis heute unverändert gültigen Grundstein für eine weitgehend verbindliche Vollzugspraxis unechter Befreiungstatbestände gelegt hat, obwohl nominell ermäßigte Steuersätze als Systemdurchbre­ chung von weitaus geringerer Schwere erscheinen. Fraglich ist zweitens, ob sich unechte Befreiungen zumindest in bestimmten Konstellationen als vorzugswürdige Direktive aufdrängen und welche Implikation sich insoweit speziell für die Freistellung von Postdiensten ergibt. aa) Historischer Rückblick auf die Befreiungsmotivation Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob nicht ermäßigte Steu­ ersätze anstelle unechter Befreiungen eingeführt werden sollten, lassen die Materialien zum Erlass der RL 77/388/EWG nicht erkennen. Dies ist umso erstaunlicher, war man sich der heiklen Stellung im Systemaufbau der Mehrwertsteuer durchaus bewusst. Rückblickend bestach die Lö­ sung unechter Befreiungen zunächst dank ihres administrativen Entlas­ tungseffekts2. Dieser Vorzug spielte bereits eine kompromisshafte Rolle bei der allgemeinen Systemumstellung auf eine Allphasennettoumsatz­ steuer Ende der 60er-Jahre, da sich Italien und Belgien einem erhöhten Kontrollaufwand für eine wachsende Zahl an Steuerpflichtigen ausge­ setzt sahen, gleichwohl aber das Europäische Parlament auf einem sofor­ tigen Systemwechsel beharrte3. Die Mitgliedstaaten behielten in der Fol­ ge weitgehende Autonomie bei der Festlegung von Befreiungsregelungen, deren Bestand wiederum den später in Art. 13 Teil A RL 77/388/EWG fixierten Katalog maßgeblich beeinflusst hat. Das Argument geringerer Verwaltungskosten brachte die Kommission weiterhin in Stellung gegen Nullsätze4. Für nominelle Tarifreduktionen oberhalb von 0 % stellt sich unterdessen dieselbe Problematik, wenn auch eine gewisse Kompensati­ on zumindest noch durch das verringerte Aufkommen auf der Endstufe erzielt werden mag. Eine zusätzliche Schwierigkeit bieten ermäßigte 1 Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (89 ff); zust. Lyal, ebenda, S. 93 ff; im Erg. ebenso unter Bezugnahme auf § 4 UStG Peffekoven, Zur Reform der Mehrwertsteuer, 2010, S. 32. 2 Siehe hierzu vorstehend 1.d)bb). 3 Vgl. Amand, Int VAT Monitor 2010, 409 (412) mwN. 4 COM(83) 885 v. 17.01.1983, S. 3.

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Steuersätze hinsichtlich der festzulegenden Mindesthöhe, sofern ständi­ ge Vorsteuererstattungen mit negativen Rückwirkungen auf das Fiskal­ aufkommen effektiv verhindert werden sollen1. Diese gesetzgeberische Prämisse bildete den zentralen Grund für die ablehnende Haltung gegen­ über Nullsätzen. Heute noch findet sie ihren normativen Ausdruck für ermäßigte Sätze in Art. 99 Abs. 2 MwStSystRL. Eine uniforme Anpas­ sung gestaltet sich insofern als schwierig, da die national divergierende Satzhöhe notwen­digerweise das Vorsteuervolumen bestimmt. Beim Er­ lass der RL 77/388/EWG waren in diesem Bereich ohnehin noch keine verbindlichen Regularien vorgesehen. Im Übrigen dürften die Gründe für unechte Befreiungen vorwiegend im Politischen denn aus systematischen Überlegungen heraus zu suchen sein. Nachdem die Mitgliedstaaten zunächst über eine weitgehend in die Tat umgesetzte Befreiungsbefugnis verfügt hatten, fiel es offensichtlich schwer, sich auf die reverse Begrenzung zu einigen2. Bedeutsam war da­ bei sicherlich auch der partikularische Druck vieler großer Unterneh­ men und Verbände, die sich im Rahmen der Bruttobesteuerung durch Konzentration zwischenzeitlich eine vorteilhafte Position erarbeitet hat­ ten und nunmehr für die bereichsweise Fortsetzung dieser Systematik in Gestalt unechter Freistellungen votierten3. Ohnehin traten die Verwer­ fungen, die durch den Vorsteuerausschluss bedingt werden, zu Beginn der Umsatzsteuerharmonisierung weniger deutlich in Erscheinung, so­ lange der allgemeine Steuersatz relativ niedrig blieb4. Zu vermeiden galt aus Sicht des Gemeinschaftsgesetzgebers schließlich nicht zuletzt das fatale Signal, die Steuerlast federführend zu verschärfen und damit die allgemeine Akzeptanz der Harmonisierung in sozialer Hinsicht aufs Spiel zu setzen. Freimütig gestand etwa der Berichterstat­ ter Notenboom im parlamentarischen Bericht mit Blick auf Nullsätze ein, diese seien vor allem von „psychologischer“ Relevanz5. Ebenfalls betont werden sollte, dass sich die Kommission einer Reihe von Streit­ fragen ausgesetzt sah und Befreiungen daher keine oberste Priorität bei­ maß, zumal deren Schädlichkeit unter den Nachwehen einer zuvor in den meisten Mitgliedstaaten praktizierten Bruttobesteuerung noch nicht so eindrücklich wie heute wahrgenommen wurde6. Ein wei­teres Pro­ blem ermäßigter Steuersätze besteht schließlich darin, dass jedwede Erhöhung des Regelsatzes gleichsam einen automatisch erweiterten ­ 1 2 3 4

Tait, Value Added Tax, 1988, S. 286. Vgl. KOM(73) 950 v. 20.06.1973, S. 15. Amand, Int VAT Monitor 2010, 409 (413). Vgl. aus Sicht der öffentlichen Hand und deren Besteuerung Dziadkowski, UR 2017, 416 (417). 5 EP, Working Documents 1973–1974, Document 360/73 v. 14.02.1974, S. 41. 6 Siehe auch Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 93 (98).

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­ egünstigungseffekt zur Folge hat1. Diese Gefahr droht bei unechten Be­ B freiungen nicht, stattdessen ver­ringert sich die Begünstigung wegen der erhöhten Vorsteuerlasten analog zur steigenden Regelbesteuerung. bb) Ausnahmekonstellationen mit Vorrang unechter Befreiungen Mit Blick auf gemeinnützige Organisationen (1), die branchenspezifisch erzielte Wertschöpfungsquote (2) sowie das Ausmaß einer umsatzsteuer­ lich eingeräumten Vorzugsstellung für bestimmte Marktteilnehmer (3) sind drei Fallgruppen ausgemacht, in denen sich das Befreiungskonzept unbeschadet technisch bedingter Notwendigkeiten als eine vorteilhafte Variante gegenüber Steuersatzreduktionen erweisen kann. Die Folge ist, dass der Unionsgesetzgeber zumindest vertretbar vom Einsatz ermäßig­ ter Sätze absehen darf, seine Beurteilungsprärogative also auch beim Rückgriff auf unechte Freistellungen gewahrt bleibt. Diese Betrachtung unterstreicht nochmals die hohe Komplexität der befreiungsrechtlichen Materie, die eine möglichst differenzierte Auseinandersetzung erfordert und sich in einer bisweilen nur wenig durchsichtigen Lobbyarbeit durch vielseitige Interessenvertretungen niederschlägt. 1) Befreite Einrichtungen mit gemeinnütziger Orientierung Bereits zu echten Befreiungen respektive Nullsätzen wurde dargelegt, dass sich gemeinnützige Einrichtungen durch die Verlockung des vollen Vorsteuerabzugs ohne äußere Steuerpflicht dazu veranlasst sehen könn­ ten, von einer mildtätigen Leistungspraxis ohne Entgelt Abstand zu ­nehmen2. Auf diese Weise wird die eigentliche Zielsetzung gemeinwohl­ spezifischer Verschonungen, nämlich eine Verbilligung entsprechender Leistungen zu erreichen, unterminiert. Wenn auch in abgeschwächtem Maße geht diese Gefahr gleichfalls von ermäßigten Steuersätzen aus, da außerhalb des Unternehmerstatus operierende Einrichtungen wegen der zusätzlichen Vorsteuerlast in eine verschlechterte Position gedrängt wer­ den. Ferner drohen in diesem Szenario aufgrund hoher Vorsteuervergü­ tungen kaum zu unterschätzende Fiskaleinschnitte, wobei diese natur­ gemäß schwächer ausfallen werden als im Falle einer konsequenten Nullsatzpolitik. Liegt das wesentliche Problem aus Sicht vieler gemein­ nütziger Leistungserbringer im verwehrten Vorsteuerabzug, böte die Ta­ rifermäßigung ebenso wie echte Befreiungen oder Nullsätze ohnehin nur einen unvollständigen Lösungsansatz: Außerhalb des Steuersystems ope­ rierende Organisationen blieben von diesen Maßnahmen schlicht­ weg ausgenommen. 1 Vgl. FiFo Köln/Copenhagen Economics/ZEW, Evaluierung von Steuervergünstigun­ gen, Bd 2, 2009, S. 350. 2 Siehe hierzu vorstehend 1.b)cc).

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

Umgekehrt ist es ebenso gut möglich, dass unternehmerisch tätige Ein­ richtungen im Gemeinnützigkeitssektor bislang nur wenige umsatz­ steuerpflichtige Vorleistungen beziehen. In diesem Falle bliebe der Vor­ steuerabzug nur von geringem Effekt auf die im Preis abgebildete Kostenstruktur, während auf der Endstufe eine definitive Zusatzbelas­ tung infolge des (ermäßigten) Steuersatzes entstünde. Das Resultat wäre eine eindeutige Tendenz zur Verteuerung des Leistungsbezugs aus Ver­ brauchersicht1. Dieser Problematik hat sich auch das ECCVAT bereits vor einigen Jahren angenommen und den bislang nicht kompromissfähi­ gen Vorschlag eingebracht, einen superreduzierten Satz unterhalb der allgemeinverbindlichen Schwelle von 5 % zuzulassen2. Mag diese leicht abgewandelte Nullsatzpolitik aus Sicht gemeinnütziger Organisationen trotz eines abweichenden Selbstverständnisses von sozialer Fürsorge vielleicht noch akzeptabel erscheinen, besteht für ihre Umsetzung real­ politisch nach den bisher gesammelten Erfahrungswerten sicher kaum eine Chance. 2) Niedriges Vorsteuervolumen Reduzierte Steuersätze eignen sich gemeinhin nicht in gleicher Weise wie unechte Befreiungen zum Zwecke der Verbilligung bestimmter Leis­ tungskategorien, soweit nur in geringem Umfange überhaupt ein abzugs­ fähiges Vorsteuervolumen anfällt. Unter dieser Bedingung nähert sich die Wirkungsweise unechter Befreiungstatbestände de facto der eines Nullsatzes an, indem der Vorsteuerausschluss nur einen marginalen Kos­ tenfaktor repräsentiert, gleichzeitig aber eine Steuerpflicht auf der Aus­ gangsseite unterbleibt3. Mögen ermäßigte Steuersätze zu derzeit mindes­ tens 5 % auch eine verminderte Steuerschuld begründen, kann diese gleichwohl das niedrigere Vorsteuervolumen übersteigen und somit kos­ tentreibend wirken. Eine näherungsweise Angleichung an das befrei­ ungsrechtliche Belastungsniveau wäre zudem wegen der nur begrenzt zugelassenen Anzahl unterschiedlicher Sätze nicht zu bewerkstelligen. Als weniger taugliches Entlastungsmittel scheiden ermäßigte Steuersät­ ze insofern aus der Relation einer Erforderlichkeitsabwägung von vorn­ herein aus, so dass der Unionsgesetzgeber nicht auf den Gebrauch unech­ ter Befreiungen verzichten muss4.

1 Überzeugend dazu Hemels, Int VAT Monitor 2011, 302 (307); allg. für einen Erhalt von Befreiungen im Gemeinwohlinteresse ECCVAT, European Commission Green Paper – Response, 2011, Rn 36. 2 ECCVAT, Options to alleviate the burden of irrecoverable VAT on charities, S. 1; siehe dazu mit Skepsis AEF, Review of existing VAT legislation, 2014, Rn 18. 3 Siehe hierzu bereits mwN zum Gemeinnützigkeitssektor vorstehend 1). 4 Fraglich ist dann noch, unter welchen Voraussetzungen der Vorsteuerausschluss ge­ rechtfertigt sein kann.

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Eine solche Sachlage mag sich einstellen, sollten der Produktion markt­ gängiger Güter typischerweise keine oder nur ein äußerst geringfügiger Umfang von Hilfsleistungen vorausgehen. Auf der Endstufe des Ver­ triebswegs realisiert sich dann eine hohe Wertschöpfungsquote, was vor­ nehmlich bei sehr arbeitsintensiven Ausgangsleistungen der Fall sein wird1. Dem gleichzusetzen ist die Situation, dass der Unternehmer ihrer­ seits unecht befreite Vorleistungen oder solche vonseiten der gemäß Art. 13 MwStSystRL nicht steuerbaren öffentlichen Hand (z.B. Wasser, Elektrizität, Gas) bezieht. Insbesondere im letzteren Falle läuft die Vor­ steuerabzugsmöglichkeit hinsichtlich der verdeckt überwälzten Um­ satzsteuer auch für echt befreite oder mit einem ermäßigten Satz belegte Unternehmer leer, ohne dass dieser Umstand auf einem per se illegiti­ men Systembruch beruhte2. Stattdessen begegnet insoweit die Befrei­ ungskonzeption im Kontext der hier nicht weiter zu vertiefenden Grund­ frage, wie staatliche Aktivitäten im modernen System der Umsatzsteuer generell positioniert sein sollten3. 3) Umsatzsteuerliche Vorrangstellung im Wettbewerb Unechte Befreiungen können sich des Weiteren als milderes Mittel zu nominellen Tarifdifferenzierungen verhalten, sollte ihre Implementie­ rung unter zwei wesentlichen Bedingungen stattfinden. Besonders an­ schaulich lässt sich diese mit Blick auf Art. 132 MwStSystRL eher als Ausnahme gelagerte Fallvariante am Beispiel der Postdienst­ exemtion verdeutlichen. (aa) Forcierte Verzerrungsparameter Als Erstes darf der zugrunde liegende Normtatbestand nicht neutral ge­ fasst sein, so dass lediglich bestimmte Anbieter der als verschonungsbe­ dürftig eingestuften Umsätze durch die Begünstigung profitieren, ob­ gleich substituierbare Produkte auch anderweitig am einschlägigen Markt angeboten werden (können). Eine solche Lage entsteht vornehm­ lich bei der Freistellung sonstiger Leistungen, deren Gemeinwohlquali­ tät in aller Regel nicht allein mithilfe objektiv definierter Kriterien ziel­ gerichtet bestimmbar ist. Zweitens müssen die befreiten Leistungen nicht ausschließlich oder ganz überwiegend durch Verbraucher und die­ sen gleich gestellte Einrichtungen nachgefragt werden, sondern ebenso vonseiten vorsteuerberechtigter Unternehmer. Beide Parameter treffen 1 Borselli/Chiri/Romagnano, Int VAT Monitor, 2012, 13. 2 Vgl. Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 90. 3 Siehe etwa Wiesch, Behandlung der öffentlichen Hand, 2016, S. 354 ff; Schenk/Oldman, Value Added Tax, 2007, S. 285 ff; ausf. etwa aus der Perspektive des kanadi­ schen Rechts Gendron, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 103 ff.; allg. auch Cnossen, International Tax and Public Finance 1998, 399 (402 f).

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speziell auf die Postdienstexemtion zu. Im Lichte der Recht­sprechung erlaubt Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL die extreme Verengung auf einen Einzelanbieter als national designierte Posteinrichtung trotz voll­ ständig geöffneter Märkte, überdies zählen postalische Beförderungsleis­ tungen für die Geschäftstätigkeit zahlreicher Unternehmer zu den un­ verzichtbaren Vorleistungen. Wollte man nunmehr die unechte Befreiung im Postsektor durch einen ermäßigten Satz ersetzen, ließe sich eine wesentlich klarer konturierte Entlastung im Interesse der Grundversorgung verwirklichen. Der hierfür in Kauf zu nehmende Preis wäre jedoch, dass die umsatzsteuerliche Vor­ zugsstellung des im Allgemeinwohlinteresse verpflichteten Anbieters gegenüber (potenziellen) Konkurrenten noch stärker konsolidiert wäre als bislang. Ein ermäßigter Steuersatz mit Vorsteuerabzug vermittelte ei­ nen klaren Vorteil in Bezug auf Endverbraucher sowie gleichgestellte Ver­ sender, im Segment vorsteuerberechtigter Geschäftskunden träte hinge­ gen abweichend zum Status quo eine wirtschaftliche Gleichstellung mit steuerpflichtigen Anbietern ein. Nicht befreite Wettbewerber gingen so­ mit ihres Vorteils bei der Beförderung von Geschäftspost verlustig1, was eine dauerhafte Etablierung wiederum erheblich erschweren dürfte. Strukturell geht dieser Effekt gleichfalls von Nullsätzen respektive ech­ ten Befreiungen aus2, geringer ins Gewicht fiele in Anbetracht einer her­ abgesetzten Steuerpflicht auf der Ausgangsseite unterdessen die Quanti­ tät. Dennoch bewegt sich der Unionsgesetzgeber noch innerhalb der Grenzen des ihm zustehenden Regelungsermessens, sofern er unter dem Eindruck eines sukzessive entmonopolisierten Postsektors an der unech­ ten Befreiungskonzeption wegen des abgemilderten Verzerrungspoten­ zials nach wie vor festhält, vorausgesetzt, die intendierte Entlastungswir­ kung wird nicht durch den verwehrten Vorsteuerabzug widerlegt. (bb) Kommissionsvorschlag zur Postdienstprivilegierung Indirekt bestätigt finden sich die vorstehend angestellten Überlegungen im bislang erfolglosen Bestreben der Kommission gerichtet auf die Ab­ schaffung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Aus Furcht um mögli­ che Entgelterhöhungen unterbreitete die Kommission letztmalig den Vorschlag, anstelle der Befreiung den Mitgliedstaaten die Option zu einer Steuersatzermäßigung einzuräumen3. Anders als nach der bisherigen Rechtslage sollte der ermäßigte Satz aber rein objektiv für Briefe und Pakete ausgenommen Expressdienste bis zu 10 kg einschließlich adres­ 1 Dieser besteht in Höhe der nicht abziehbaren Vorsteuerbelastung des Grundversor­ gers. 2 Siehe hierzu vorstehend 1.b)aa). 3 KOM (2004) 468 v. 08.07.2004; befürwortend Postcomm, Review of Royal Mail’s Special Privileges, 2004, S. 8; Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 93 (98).

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

sierter Sendungen von Zeitungen, Zeitschriften, Katalogen und Büchern gelten. Auf diese Weise erhoffte sich die Kommission, einerseits preis­ treibende Effekte minimieren sowie gleichzeitig das ersehnte „level playing field“ für die Betätigung konkurrierender Marktteilnehmer schaffen zu können1. Eine Reform scheiterte jedoch am Widerstand zahl­ reicher Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, mit dem Ergebnis2, dass die Kommission ihren Änderungsentwurf nunmehr offiziell ad acta ge­ legt hat3. Politisch mag der Reformversuch als wünschenswerte Anpassung an die ordnungsrechtlich veränderten Rahmenbedingungen bewertet werden. Rechtlich betrachtet bleibt er aber den Nachweis schuldig, wonach ein ermäßigter Steuersatz stets die vorzugswürdige Verschonungsoption ver­ körpert. Vertiefte Verzerrungen im Wettbewerb wären nämlich nur ­aufgrund einer konzeptionellen Neuorientierung hin zu einer rein objek­ tiv definierten Vergünstigung verhindert worden, wohingegen Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL an den funktionellen Status einer öffentlichen Posteinrichtung anknüpft und diesen mit der äußeren Steuerfreiheit ali­ mentiert. Die Gemeinwohlorientierung hätte so eine rein aus den indivi­ duellen Verbraucherbedürfnissen abgeleitete Verfestigung erfahren, ohne dass die subjektive Verpflichtungsstellung zur flächen­deckenden Grund­ versorgung weiter wäre berücksichtigt worden4. Ein dergestalt indifferen­ tes Gemeinwohlverständnis eliminierte denn auch die unternehmerför­ dernde Komponente der aktuell geltenden Befreiungsregelung, so dass sich angesichts der divergierenden Charakteristik zwischen beiden An­ sätzen ein direkter Vergleich auf Ebene der Erforderlichkeit letztlich ver­ bietet. d) Ergebnis Ermäßigte Steuersätze markieren den Versuch, die Vorteile unechter Be­ freiungen mit denen echter Freistellungen zu kombinieren. Unweiger­ lich beherbergen sie dabei aber auch zu einem gewissen Grad die jeweils negativen Aspekte beider Instrumente. Im Allgemeinen werden nomi­ nelle Steuersatzreduktionen häufig als das geringere Übel im Falle für notwendig befundener Umsatzsteuerverschonungen zu erachten sein. 1 Vgl. KOM, VAT on postal services: frequently asked questions, Memo 03/98 v. 06.05.2003; ebenso Postcomm, VAT on stamps?, press notice v. 07.05.2003. Abw. Royal Mail, wonach ein Satz von 5 % Preiserhöhungen um 2,5 % zur Folge hätte, vgl. Response to „A review of Royal Mail’s Special Privileges“, 2004, Ziffer 3. 2 Siehe dazu de la Feria, Intertax 2009, 148 (163) mwN; insbesondere die damalige Regierung Blair opponierte vehement gegen eine Abschaffung der Befreiung. 3 KOM, Official Journal C109/8 v. 16.04.2013. 4 Krit. daher HM Customs & Excise v. 19.05.2004, Commission Proposal COM (2003) 234, Rn 9 f.

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Diese Prämisse kann allerdings je nach Ziel, Gegenstand und vor allem konkreter Gestaltung des zugrunde gelegten Tatbestands keine aus­ nahmslose Richtigkeit für sich beanspruchen. 3. Direkte Subventionen Subventionen stehen im interdisziplinären Fokus sowohl der Finanz- als auch der Rechtswissenschaft. Eine übergreifende Begriffsdefinition er­ weist sich als schwierig denn in erster Linie abhängig vom Untersu­ chungszweck1. Allgemein lässt sich eine Subvention aber hinsichtlich ihrer Kernelemente umschreiben als die staat­liche Gewährung eines ver­ mögenswerten Vorteils zur Erreichung eines öffentlichen Zwecks, ohne dass der Empfänger eine unmittelbare Gegenleistung zu erbringen hat2. Haushaltstechnisch sowie vom wirtschaftlichen Ergebnis aus gesehen spielt es zunächst keine Rolle, ob die finanzwirksame Unterstützung im Wege positiver Zuwendungen aus zuvor vereinnahmten Mitteln ge­ schieht oder abgabenrechtlich von vornherein auf eine entsprechende Einnahmeerzielung verzichtet wird3. Dem Subventionsbegriff im weitge­ fassten Sinne unterstehen daher auch Steuerverschonungen4, wie sie spe­ ziell im Umsatzsteuersystem durch Befreiungen oder Tarifreduktionen als eine zumindest mittelbare Begünstigung gerade auch des ausführen­ den Unternehmers begegnen. Betrachtet man die befreiungsrechtliche Thematik daher im subventiven Kontext, kann es im Rahmen der Erfor­ derlichkeit allein auf die vergleichende Bewertung unterschiedlicher Vergabeformen ankommen, mithin also darauf, ob der Gesetzgeber an­ stelle der indirekten Begünstigung von Umsätzen zur Förderung außer­ steuerlicher Zielsetzungen nicht besser auf Formen direkter Bezuschus­ sung zurückgreifen sollte. a) Stärken einer direkten Subventionsvergabe Nicht nur aus dem finanzwissenschaftlichen Blickwinkel einer ökono­ misch optimierten Zielverwirklichung, sondern gleichermaßen von Ver­ tretern der steuerjuristischen Disziplin wird die Forderung laut, unechte Befreiungen weitestgehend durch eine direkte Bezuschussung bestimm­ ter Branchen respektive Unternehmer zu ersetzen5. Besonders im Hin­ blick auf defizitär operierende Anbieter mit relativ schwach ausgeprägter 1 Vgl. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 16. 2 So Hey, StuW 1998, 298 (300). 3 Surrey/McDaniel, Tax Expenditures, 1985, S. 100. 4 Siehe zu Beihilfen entspr. 5. Teil B.I. Im anglo-amerikanischen Raum ist der Begriff „tax expenditures“ gebräuchlich, vgl. Surrey/McDaniel, Boston College Law Re­ view 1976, 679 ff; Burman, Tax Expenditure Concept, 2003, S. 1. 5 Statt vieler FiFo Köln/Copenhagen Economics/ZEW, Evaluierung von Steuerver­ günstigungen, Bd 2, 2009, S. 350; BRH, Bericht über den ermäßigten USt-Satz, 2010,

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

Wertschöpfung resultiert aus dem Vorsteuerausschluss ein erhöhter Fi­ nanzierungsbedarf, so dass unechte Befreiungen unter dieser Bedingung in aller Regel nur eine unzweckmäßige Lösung bieten können1. Im Um­ kehrschluss eignet sich dieses Instrument aber sehr wohl zu Entlastungs­ zwecken, sollte die Vorsteuerintensität gering sein und der begünstigte Unternehmer die im Verhältnis zur Regelschuld niedrigeren Vorsteuern entsprechend dem marktüblichen Nettopreisniveau problemlos über­ wälzen können. In diesem Falle verfügt der bevorzugte Anbieter über die Option, niedrigere Preise zugunsten einer verbesserten Umsatz-Kosten-­ Struktur zu veranschlagen, ebenso gut kann er alternativ den positiven Differenzbetrag wie nach Art einer direkten Förderung selbst vereinnah­ men. Von dieser speziell gelagerten Konstellation abgesehen lassen sich für direkte Subventionen gemeinhin drei wesentliche Vorzüge anführen. Sie bestehen in verbesserter Transparenz (aa), flexibilisierter Gestal­ tungsmöglichkeit (bb) sowie erhöhter Zielgenauigkeit (cc). aa) Transparenz Eine verbesserte Transparenz äußern direkt vergebene Subventionen in zweierlei Hinsicht. Zunächst einmal sind die verantwortlichen Ent­ scheidungsträger dazu berufen, über die Festlegung einer im Haushalt konkret auszuweisenden und damit klar vor Augen geführten Geld­ summe zwecks Verfolgung öffentlicher Ziele zu befinden. Der Preis für diesen offenen Beschlussprozess ist, dass Direktsubventionen in aller Regel politisch erhöhten Widerständen ausgesetzt sind2. Im Vergleich dazu sind Steuersubventionen in einen gesetzlich strukturierten Mecha­ nismus eingebunden, anhand dessen sich oftmals die finanziellen Aus­ wirkungen nicht hinreichend präzise werden vorhersagen lassen3. Lob­ byisten geben die allzu häufig nebulösen Zusammenhänge zwischen Nutzen und Kosten wertvolle Argumente an die Hand, um sich erfolg­ reich für eine privilegierte Behandlung ausgewählter Gruppen stark zu machen. Neben dem disziplinierenden Effekt, der von einer inhaltlich verschärften Auseinandersetzung um die tatsächliche Notwendigkeit ei­ ner klar definierten Bezuschussung ausgeht, reklamieren direkte Sub­ ventionen den Vorteil für sich, dass sie keine unerwünschten Haus­ haltseinschnitte nach sich ziehen werden. Diese Gefahr ist gerade bei unechten Befreiungen real, sofern zumeist keine abschließende Gewiss­ S. 6; Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (66); Hemels, Int VAT Monitor 2011, 302 (309); Tait, Value Added Tax, 1988, S. 48. 1 Vgl. Schmidt, Konsumbesteuerung, 1999, S. 190 unter Hinweis darauf, dass der deutsche Gesetzgeber damals einen ermäßigten Steuersatz für den bereits subventio­ nierten Personennahverkehr bevorzugt hat. 2 Howard, Public Administration Review 1995, 439 (441). 3 Siehe auch Andel, Subventionen, 1970, S. 149 f; Surrey/McDaniel, Tax Expendi­ tures, 1985, S. 104; Burman, Tax Expenditure Concept, 2003, S. 2 ff.

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heit über das exakte Ausmaß des Vorsteuervolumens besteht. Für ermä­ ßigte Steuersätze gilt der bereits dargelegte Automatismus eines verselbst­ ständigten Begünstigungseffekts, sollte ausschließlich der Regelsatz eine Anhebung erfahren1. bb) Flexibilität und rechtsverbindliche Maßstäbe Direkte Subventionen gestatten im Vergleich zu steuergesetzlich fixier­ ten Begünstigungstatbeständen einen erhöhten Grad an gestalterischer Flexibilität. Die Summe der zu vergebenden Finanzmittel kann dem ­jeweiligen Bedarf entsprechend dosiert sowie an sich verändernde Sachla­ gen fortlaufend angepasst werden. Dies gilt in aller Regel unproblema­ tisch im Falle eines ausgemachten Mehrbedarfs. Aber obgleich Subventi­ onen generell ein nicht unerhebliches Beharrungsvermögen entwickeln, sind auch die Kürzung oder gar Streichung direkter Bezuschussungen analog zur schwierigeren Einführung im politischen Willensbildungspro­ zess tendenziell leichter zu bewerk­stelligen. Wie schwierig sich eine Re­ form steuerlicher Vergünstigungen erweisen kann, ruft nachdrücklich der seit 1977 überkommene Befreiungskatalog sowie die zahlreichen Übergangsregelungen auf nationaler Ebene in Erinnerung. Eine maßgebli­ che Ursache dürfte darin zu sehen sein, dass die oftmals unbekannte Kos­ ten-Nutzen-Relation bei Steuerverschonungen bereits eine sehr streitan­ fällige Entscheidungsgrundlage impliziert. Des Weiteren unterliegen direkte Subventionen verfassungsmäßig weni­ ger strikten Anforderungen. Gleichheitsrechtlich genügt für die Legiti­ mität direkt vergebener Finanzbeihilfen, dass sie dem Grunde nach durch einen vernünftigen Allgemeinwohlbelang getragen werden, in dessen Lichte sie folgerichtig auszugestalten sind2. Sichergestellt sein muss le­ diglich, dass sämtliche Unternehmer, die sich in Anbetracht der ausge­ lobten Zielsetzung gleichermaßen als förderungswürdig erweisen, ent­ sprechend vom direkt gewährten Subventionssystem profitieren können. Die strengere Dichotomie des Neutralitätsprinzips, die sich am Merkmal der Substituierbarkeit auf Unternehmerebene sowie noch weitergehend in Form des Leistungsfähigkeitsprinzips aus Steuerträgersicht manifes­ tiert und nahezu sämtliche Durchbrechungen innerhalb des umsatzsteu­ erlichen Regelsystems einem verhältnismäßigen Rechtfertigungszwang unterwirft, beansprucht gegenüber einer direkten Subventionierung kei­ ne Geltung3. Die staatsinterventionistisch bedingte Gefahr forcierter Wettbewerbsverzerrungen kompensiert bis zu einem gewissen Grad das ­Beihilfenrecht gemäß Art. 107 ff AEUV, an dessen Maßstäbe die Mit­ 1 Siehe hierzu vorstehend 2.c)aa). 2 Ausf. dazu Englisch, EuR 2009, 488 ff; Hey, StuW 1998, 298 (304). 3 Vgl. Hemels, Int VAT Monitor 2011, 302 (308).

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gliedstaaten bei eigenverantwortlich implementierten Förderprogram­ men stets gebunden bleiben. Durch zahlreiche Ausnahmen wird das ­allgemeine Beihilfenverbot indes stark verwässert, so dass sich ausrei­ chende Freiräume zu eigenverantwortlicher Gestaltung auf nationaler Ebene bieten. Diese wären zusätzlich gestärkt, sollte die mitgliedstaatli­ che Gesetzgebung nicht länger an die derzeit verbindlichen Befreiungs­ vorschriften gebunden sein. Zusätzlich vereinnahmte Steuermittel könn­ ten stattdessen für gezielte Förderprojekte nach eigens definierten Wertungen aufgewandt werden, was insbesondere im gemeinnützigen Leistungssektor von weittragender Bedeutung wäre1. Ohne Belang ist überdies allgemein, ob sich im Lichte des ausgelobten Förderzwecks als würdig qualifizierende Einrichtungen überhaupt steuerlich erfasst sind2, mithin speziell von der umsatzsteuerlichen Warte aus betrachtet über den Unternehmerstatus verfügen oder aber jenseits der Steuerbarkeit operieren. cc) Zielgenauigkeit Direkte Subventionen wirken wesentlich zielgenauer3. Ihre Vergabe ist im Einzelfall gegenüber dem Unternehmer durch Verwaltungsakt oder Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zu bewilligen, wodurch eine erheblich verbesserte Kontrollsteuerung bezüglich der Auswahl ge­ förderter Empfänger, dem Gegenstand sowie der konkret zuerkannten Bedarfshöhe ermöglicht wird. Im Einzelnen lässt sich exakt nachvollzie­ hen, welcher Unternehmer Fördermittel in welcher Höhe kassiert hat. Diese klar eruierbare Sachlage erlaubt nicht zuletzt eine politisch sehr viel effizienter strukturierte Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer branchenspezifischen Finanzhilfe. Umgekehrt präsentiert sich die Um­ satzsteuer für die exakte Kompensation eines zuvor definierten Förder­ bedarfs gänzlich ungeeignet, da sie indirekt über die intermediäre Unter­ nehmerstufe erhoben wird und letztendlich die Verbraucher ohne Ansehung der individuellen Vermögensverhältnisse belasten soll. Als ein wesentliches Problem kann sich die Neutralität erweisen, nach der jede ungleiche Behandlung substituierbarer Güter gerechtfertigt sein muss mit der Folge, dass eine verengte Förderbestimmung mitunter enorm er­ schwert wird4. Der direkten Subventionen vorgeschaltete Vergabeakt bewirkt für ge­ wöhnlich einen erhöhten Verwaltungsaufwand aus Sicht staatlicher Be­ 1 Siehe auch Hemels, VAT treatment of charities, 2010, S. 20. 2 Surrey/McDaniel, Tax Expenditures, 1985, S. 103; dies., Boston College Law Review 1976, 679 (693). 3 Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes, 2014, S. 290. 4 Für direkte Subventionen im Bereich Kultur und Kunst Hemels, in: Lang/Melz/Kris­ toffersson, Value Added Tax, 2009, S. 35 (52).

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hörden. Befürworter steuer­licher Verschonungen machen demgegenüber geltend, dieses Instrument beruhe auf stärker ausgebildeten Automatis­ men durch die Einbeziehung der sich zunächst selbst veranlagenden Schuldner und könne zu geringeren Kosten praktiziert werden1. Dieser Aspekt bedarf jedoch der Relativierung, denn zum einen wurde bereits aufgezeigt, dass Befreiungen wie ermäßigte Steuersätze auch die Verwal­ tungs- und Befolgungskosten der ohnehin schon von administrativer In­ tensität geprägten Umsatzsteuer weiter in die Höhe treiben. Des Weite­ ren vermögen steuerliche Verschonungen in aller Regel nur einen Transfer der sonst anfallenden Verwaltungsarbeit auf die Steuerschuld­ ner und damit letztlich auf die Wirtschaft zu bewirken2. Aus der zusätz­ lichen Belastung, die eine Befolgung mitunter komplex ausgestalteter Begünstigungsvorschriften in Abgrenzung zur Regelbesteuerung bedeu­ tet, resultiert in aller Regel eine empfindliche Bindung betrieblicher Res­ sourcen mit gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtseinbußen. b) Technische Umsetzung Für die technische Implementierung direkter Subventionen ergeben sich keine besonderen Komplikationen, sollte ausschließlich eine Förderung zugunsten des ausführenden Unternehmers bezweckt sein. Unter dieser Prämisse kann eine unechte Freistellung leicht durch die unmittelbare Bezuschussung desselben substituiert werden, ohne dass im Weiteren noch virulent wird, welche Wirkungen eine solche Maßnahme mit Blick auf das Preisniveau im Außenverhältnis zeitigen mag. Da die vorausge­ hend unter a) umrissenen Vorzüge direkter Subventionen nur schwerlich widerlegbar sind, scheint die Gesetzgebung grundsätzlich gut beraten, allein im Anbieterinteresse zugelassene Befreiungen, wie exemplarisch das Blindenprivileg, aus der Richtlinie zu streichen3. Die Mitgliedstaaten müssten dann außerhalb des insoweit bereinigten Umsatzsteuersystems über mögliche Beihilfen autonom entscheiden4. Eine Unternehmerförderung in Reinform beschreibt ausweislich der Ka­ talogtatbestände gemäß Art. 132 ff MwStSystRL unterdessen die klare Ausnahme, selbst die in § 4 Nr. 19 lit. a) UStG dergestalt normierte Ex­ 1 Vgl. dazu krit. Surrey/McDaniel, Tax Expenditures, 1985, S. 100 ff; es darf dabei nicht übersehen werden, dass Steuerverschonungen die Komplexität des Systems empfindlich erhöhen, siehe ebenda, S. 105 f. 2 Howard, Public Administration Review 1995, 439 (446); krit. auch Surrey/McDa­ niel, Tax Expenditures, 1985, S. 101. 3 Die Unverhältnismäßigkeit von Befreiungen zum exklusiven Vorteil des Steuer­ schuldners proklamierend Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 74; zust. Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (61). 4 Definitiv wären insoweit Art. 107 ff AEUV einschlägig, während dies für mehrwert­ steuerliche Gestaltungsoptionen als mögliche Unionsbeihilfen zumindest zweifel­ haft ist, siehe hierzu Teil 5 B.I.1.

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emtion zählt nicht einmal zu den verbindlichen Richtlinienvorgaben. Der befreiungsrechtliche Regelfall wird durch die typische Charakte­ ristik geprägt, dass die Verbraucherentlastung durch verbilligte Preise absolut im Vordergrund steht, es sich hingegen bei der sogleich mittelbar realisierten Unternehmerbegünstigung um eine Art akzeptiertes Neben­ produkt innerhalb der indirekten Erhebungskette handelt. Vor diesem Hintergrund gestaltet sich der stete Ruf nach direkten Zuschüssen als wesentlich schwieriger in seiner tatsächlichen Um­setzung, zumal Befür­ worter diesen Aspekt in aller Regel geflissentlich ausblenden. Für direkte Subventionen bieten sich zwei denkbare Anknüpfungspunkte an, aller­ dings bleiben beide mit Schwierigkeiten behaftet, was sowohl den tech­ nischen Aufbau als auch die erwünschten Folgewirkungen anbelangt. aa) Anknüpfung an die Person des Unternehmers Der üblichen Subventionspraxis gemäß scheint es intuitiv, die Bezu­ schussung unmittelbar dem jeweiligen Unternehmer als Erbringer von für förderungswürdig befun­denen Umsätzen zukommen zu lassen. Abge­ stimmt werden könnte der gezielte Förderbedarf auf die sonst preislich zu überwälzende Steuerschuld. Eine vergleichbare Praxis begegnet be­ reits in einzelnen Mitgliedstaaten1, wo mit begrenztem Umfange sowie divergierender Ausformung vor allem öffentlichen Einrichtungen gegen­ über die nicht abziehbare Vorsteuer im Rahmen unecht zu gewährender Befreiungen erstattet wird. Auch wenn sich die Kompensation auf richt­ linienkonform entstehende Lasten bezieht, handelt es sich bei diesen „refund schemes“ um die grundsätzlich frei verfügbare Verwendung ver­ einnahmter Steuermittel außerhalb des Mehrwertsteuersystems2. Solche Mechanismen sind „lediglich“ am allgemeinen Beihilfenverbot (Art. 107 Abs. 1 AEUV) sowie ergänzend den Grundfreiheiten zu messen3. Aus mitgliedstaatlicher Perspektive ist daher nicht ersichtlich, weshalb die Kompatibilität eines finanziellen Ausgleichs für die regelkonform be­ dingte Umsatzsteuerlast abweichend zu bewerten sein sollte. Hinter diesem Ansatz verbergen sich jedoch drei zentrale Probleme. Zu­ nächst ist die notwendige Vergabe direkter Subventionen nur unter im­ mensen Bürokratieaufwendungen realisierbar, sobald rein zahlenmäßig 1 Darunter vornehmlich Dänemark, Schweden, Finnland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich, ebenfalls gewährt Kanada eine Vorsteuerkompensation zu­ gunsten öffentlich-rechtlicher Leistungserbringer, vgl. Bill/Gendron, The VAT in Developing and Transitional Countries, 2007, S. 91 ff. 2 KOM, Antwort auf die schriftliche Anfrage P-2861/99, ABl EG Nr. C 225 E v. 08.08.2000, S. 211. 3 Siehe de la Feria, Intertax 2009, 148 (162) unter Hinweis auf EuGH, Rs. C‑172/03, Heiser, Slg. 2005, I‑1627; siehe auch Henkow, The VAT/GST Treatment of Public Bodies, 2013, § 8.

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viele Unternehmer die aus Verbrauchersicht zu begünstigenden Güter innerhalb eines Mitgliedstaates anbieten. Diese Situation wird desto eher eintreten, je stärker sich der in Rede stehende Befreiungstatbestand dem Ideal einer möglichst objektiven Gestaltung annähert und auf diese Wei­ se personenspezifische Differenzierungen weitgehend ausblendet. Auch müsste eine Förderung Anbietern aus dem EU-Ausland unter gleichen Bedingungen gewährt werden, anderenfalls drohte eine Verletzung der Warenverkehrs-, Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit1. Als gän­ gige Methode erweisen sich direkte Zuschüsse bislang nur auf bestimmte Branchen begrenzt mit einer entsprechend überschaubaren Zahl von Ad­ ressaten. Hingegen fehlt es an einer Erprobung mit Bezug zum Massen­ fallrecht, wie es derzeit durch eine Vielzahl von gesetzlich vorstruktu­ rierten Befreiungsregelungen über sehr unterschiedliche Lebensbereiche hinweg bewältigt wird. Diesen Status quo in ein direktes Vergabesystem zu überführen, dürfte folglich eine erhebliche Herausforderung für die Verwaltung bedeuten2, so dass positive Effekte infolge eines vereinfach­ ten Steuersystems durch anderweitig statuierte Verwaltungs- und Befol­ gungskosten überlagert zu werden drohten. Illegitim wäre es, wollte man angesichts einer disponiblen Antragstellung darauf setzen, dass wohl­ möglich einige Unternehmer wegen der unliebsamen Adminis­ tration eine materiell berechtigte Subvention gar nicht erst beantragen würden. Dies hätte inakzeptable Belastungsdifferenzen sowohl auf Anbieter- als auch auf Empfängerebene zufolge, denn ein verzerrtes Nachfrageverhal­ ten drohte nicht nur branchenintern, sondern auch einzelne Wirtschafts­ zweige übergreifend. Eine empfindlich gestörte Allokationseffizienz wäre die automatische Folge. Tendenziell sind gerade kleine und mittelständi­ sche Betriebe von Bürokratiehürden stärker betroffen, weshalb ein Verga­ beverfahren so einfach als möglich gestaltet sein müsste. Aus legislativer Sicht gilt es zu beachten, dass der wohlfahrtsökonomi­ sche Balanceakt zwischen angemessener Gemeinwohldefinition und de­ ren schonender Integration in die freiheitliche Marktordnung in gleicher Weise vollführt werden muss, wie dies auch die Einführung respektive Umsetzung umsatzsteuerlicher Befreiungsregelungen erfordert. Auch ­direkte Subventionen sehen sich unweigerlich vor die Kernaufgabe ge­ stellt, dass verhältnismäßige Verteilungskriterien festgelegt werden müs­ sen. Für Unternehmer spielt es dabei keine entscheidende Rolle, ob eine Vorzugsbehandlung möglicher Konkurrenten durch direkte Finanzmittel 1 Entsprechend zu auf inländische Vorsteuer begrenzten Erstattungssystemen Bill/ Gendron, The VAT in Developing and Transitional Countries, 2007, S. 92. 2 Vgl. BReg, BT-Drucks. 17/1252 v. 26.03.2010, S. 2, wonach Direktsubventionen bü­ rokratischen Aufwand nach sich ziehen werden, aber auch einfacher zu überwachen sein sollen. In den Niederlanden etwa stößt schon die begrenzt angewandte Vorsteu­ erkompensation wegen der hohen Administrativlasten auf Kritik der Komunen, vgl. Wassenaar/Dijkgraaf/Gradus, Contracting out, 2007, S. 16.

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oder aber indirekt mithilfe von Steuererleichterungen geschieht1. So ge­ sehen könnten die unbestreitbaren Abgrenzungsschwierigkeiten aus dem Bereich steuerlicher Vergünstigungen allenfalls auf eine andere Ebe­ ne transferiert, nicht aber umgangen werden. Das dritte zentrale Problem betrifft die Frage, wie eine verlässliche Durchschleusung des Subventionsvorteils an die als eigentliche Nutz­ nießer avisierten Verbraucher sichergestellt werden soll. Theoretisch wäre es möglich, den bezuschussten Unternehmern eine entsprechende Zusicherung als notwendige Bedingung im Vergabeakt abzuverlangen, jedoch dürfte deren Einhaltung mit den dazu erforderlichen Preiskontrol­ len kaum massenhaft praktizierbar sein2. Vorbehaltlich solcher Überle­ gungen besteht im Rahmen eines allein marktgesetzlich gesteuerten Preisbildungsprozesses dieselbe Ungewissheit in puncto eines gelingen­ den „pass-through“, wie sie gemeinhin als Einwand nicht nur gegen Be­ freiungen, sondern ebenso ermäßigte Steuersätze erhoben wird. So ge­ sehen ist sehr zweifelhaft, ob unternehmerische Direktsubventionen gerichtet auf reine Verbraucherpräferenzen unbedingt effizienter als Um­ satzsteuerverschonungen funktionieren werden. bb) Direkte Verbraucherzuwendungen Alternativ zur Unternehmeranknüpfung besteht die Möglichkeit, direk­ te Zuschüsse an die Konsumenten bestimmter Umsätze zu vergeben3. Denkbar ist dieser Ansatz in zwei technisch voneinander abweichenden Varianten. Gemein ist beiden, dass parallel zur Situation einer unterneh­ mergerichteten Bezuschussung der grundlegende Verteilungskonflikt nicht beseitigt, sondern lediglich auf eine andere Ebene verlagert werden kann. So wie beim Einsatz von Befreiungen oder Steuersatzreduktionen auch muss darüber entschieden werden, welche Umsätze in Abgrenzung zur Regelbesteuerung nach welchen Kriterien finanziell befördert wer­ den sollen4. 1) Typisierter Bedarfsausgleich Die erste Option bestünde darin, einen Korb aus sämtlichen förderbe­ dürftigen Gütern zusammenzustellen und auf dieser Grundlage den durchschnittlichen Bedarf je Verbraucher absolut zu beziffern. Die auf 1 Siehe auch Boss/Rosenschon, Gutachten v. 06.01.2011, S. 38. 2 Siehe etwa zu den hohen Anforderungen an transparente und detaillierte Informatio­ nen im Hinblick auf Art. 12 PostRL Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/K/K/L, Postrecht, 2014, Kap. C Rn 159. 3 Vgl. TAXUD/2010/DE/328, S. 6, wonach ein direker Ausgleich sogar billiger als eine Politik der ermäßigten Sätze sei. 4 Ähnl. zur Existenzverschonung Schneider Fossati, Dimension des Leistungsfähig­ keitsgrundsatzes, 2014, S. 288.

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diesem Betrag ruhende Umsatzsteuer oder ein niedrigerer Satz müsste sodann unmittelbar ausbezahlt oder gegebenenfalls mit anderweitigen Schulden etwa im Rahmen der Einkommensteuer verrechnet werden. Diese Überlegung ist dem bisweilen geforderten Erstattungsmechanis­ mus im Kontext der umsatzsteuerlichen Existenzverschonung entlehnt1, könnte aber durchaus für darüber hinausgehende Förderziele fruchtbar gemacht werden. Die Idee einer typisierten Erstattung ist also keinesfalls neu, gleichwohl vermochte sie sich bislang schon für den enger definier­ ten Kern existenzieller Bedürfnisse als zu schwerfällig und damit im­ praktikabel nicht durchzusetzen. Erst recht hat diese Argumentation für einen weiter gefassten Anwendungsbereich anlässlich sonstiger Gemein­ wohlbelange zu gelten. Jenseits administrativer Bedenken eignet sich die pauschalierte Entlas­ tungszuwendung materiell nicht für eine differenzierte Gemeinwohlför­ derung. Zielgenaue Lenkungsanreize in Richtung eines erwünschten Konsumverhaltens sind etwa mit Blick auf meritorische Güter gänzlich verwehrt, allgemein bleibt die Subvention zudem von konkreten Er­ werbsvorgängen entkoppelt und ist folglich untauglich, die individuelle Bedarfslage zutreffend abzubilden. Auf diese Weise drohen nicht nur die untersetzte Unterstützung eines noch als förderungswürdig anzusehen­ den Mehrbedarfs2, sondern ebenso Mitnahmeeffekte, sollten im Einzel­ fall bestimmte Güter aus dem vordefinierten Leistungskorb überhaupt nicht nachgefragt sein. Anders als das verabsolutierbare Existenzmini­ mum eignen sich weitergefasste Zielsetzungen gemeinpoli­tischer Cou­ leur generell weniger für eine Pauschalierung, vielmehr avancieren di­ rekte Verbrauchersubventionen unter dieser Methodik zu einem noch stärker vergröbernden Instrument, als dies für die bereits wenig zielge­ nauen Befreiungen und ermäßigten Steuersätze der Fall ist. 2) Konsumgeleitete Bezuschussung ausgewählter Güter Alternativ könnte ein gesetzlicher Anspruch auf Rückzahlung eines be­ stimmten Betrags beim Erwerb katalogmäßig benannter Sachen oder Leis­ tungen begründet werden, den der Verbraucher unter Vorlage eines geeig­ neten Nachweises den zuständigen Behördenstellen gegenüber anmelden müsste. Zeitweise praktiziert wurde eine vergleichbare Konstruktion in Italien, wo private Käufer oder Mieter von Digital-Receivern (DVB-T, DVB-C) einen staatlichen Zuschuss in Höhe von 150 EUR in 2004 sowie

1 Siehe hierzu Teil 5 B.V.2.b)aa)1); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 4 Rn 111. 2 Z.B. bei überdurchschnittlicher Inanspruchnahme heilberuflicher Leistungen durch chronisch Kranke.

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von 70 EUR in 2005 erstattet verlangen konnten1. Mithilfe dieser für bei­ de Jahre auf ein Gesamtvolumen von jeweils 110 Mio. EUR begrenzten Förderung sollte der Übergang von analoger zu digitaler Verbreitung von Fernsehsignalen zeitnah angespornt werden2. Wie die anlässlich dieser Regelung ergangene Rechtsprechung verdeutlicht, ist die spezifische Be­ zugnahme auf ausgewählte Konsumgüterkategorien durchaus geeignet, um einer verbrauchergewandten Bezuschussung mittelbare Beihilfen­ qualität mit Blick auf die am Erwerbsvorgang beteiligten Unternehmer zu verleihen3. Sollte eine verbindliche Maßgabe nicht auf EU-Ebene ko­ ordiniert werden, wäre die mitgliedstaatliche Gestaltung daher durch die Restriktionen gemäß Art. 107 ff AEUV eingehegt4. Dies könnte unbe­ schadet einer möglichen Rechtfertigung gerade für die Umwandlung sol­ cher Befreiungstatbestände Probleme bereiten, die – wie häufig gemäß Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL der Fall – auf subjektive Unternehmereigen­ schaften rekurrieren und deshalb zu eher selektiv wirksamen Förder­ maßnahmen drängen. Besticht der güterspezifische Lösungsansatz durch eine augenscheinlich hohe Entlastungspräzision, sähe er sich gleichwohl mit weiteren Schwie­ rigkeiten konfrontiert, die ihn einer praktikablen Umsetzung entrücken dürften5. Ebenso wie die gezielte Unternehmeranknüpfung wird die indi­ viduelle Bezuschussung einzelner Konsumvorgänge nur unter extremen Bürokratielasten möglich sein. Wird nach alledem bereits die pauscha­ lierte Bezuschussung existenzieller Konsumaufwendungen als unzuträg­ lich bewertet, ist Skepsis erst recht für die sehr viel komplexere Subven­ tionierung individueller Umsatzvorgänge angebracht. Dies gilt einerseits aus Verwaltungssicht, denn die zuständigen Behörden müssten förde­ rungswürdige Erwerbe abgrenzen, die Richtigkeit der Angaben überprü­ fen sowie den zutreffenden Erstattungsbetrag schließlich festsetzen und auszahlen. Besonderes Augenmerk wäre nicht zuletzt den zweifellos er­ öffneten Missbrauchsanreizen durch intensive Überwachung zu wid­ men. Belastet wären aber auch die subventionierten Verbraucher selbst, die geeignete Belege zu sammeln und verbunden mit einem Antrag ein­ zureichen hätten. Für Angehörige unterer Einkommensschichten mit tendenziell niedrigerem Bildungsstand könnte der bürokratische Auf­ 1 Vgl. Art. 4 Abs. 1 legge n. 350 – Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (legge finanziaria 2004) v. 24.12.2003; Art. 1 Abs. 211 legge n. 311 – Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (legge finanziaria 2005) v. 30.12.2005. 2 Siehe EuGH Pressemitteilung Nr. 11/11 v. 28.07.2011. 3 EuGH, Rs. C-403/10, Mediaset, Slg. 2011, I-117; Mestmäcker/Schweitzer, in: Im­ menga/Mestmäcker, WettbR Bd 3, 5. Aufl., Art. 107 AEUV Rn 14. 4 Der pauschalierende Ansatz trüge diese Konsequenz freilich nicht, siehe hierzu vor­ stehend 1). 5 Skeptisch auch TAXUD/2010/DE/328, S. 6.

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wand zumal abschreckend wirken, so dass gerade die in erster Linie Be­ dürftigen Gefahr liefen, nicht von der staatlichen Förderung angemessen zu profitieren1. Im Gesamtergebnis mündete eine erwerbsspezifische Verbraucherbezuschussung de facto in einer Art Einzelveranlagung, so dass ein zentraler Wesenszug der indirekten Umsatzsteuererhebung auf­ gelöst würde. Nicht umsonst rekurriert die Besteuerung aus Vereinfa­ chungsgründen anstelle des Verbrauchers als dem intendierten Träger auf den ausführenden Unternehmer. Von der administrativen Inpraktikabilität einmal abgesehen, bleibt schließ­ lich zu konstatieren, dass durch eine unbegrenzte Bezuschussung ausge­ wählter Verbrauchsgüter verzerrende Mitnahmeeffekte, wie sie im Falle von Befreiungen oder Steuersatzermäßigungen seit jeher kritisiert wer­ den, unvermeidlich eintreten werden2. Gegensteuern ließe sich derart unerwünschten Implikationen wohl nur, bliebe die Fördersumme je Ver­ braucher und Güterkategorie summenmäßig begrenzt. Freilich fiele die technische Realisierung unter dieser Maßgabe noch einmal komplizier­ ter aus. c) Postsektorale Beihilfenvergabe Gegen die Freistellung gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL wird im Besonderen der Einwand vorgebracht, sie könne als gedachte Unterneh­ mersubvention nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in Einklang gebracht werden; an ihrer Stelle effi­zienter und zugleich transparenter wirke eine direkte Bezuschussung des verpflich­teten Grundversorgers3. In der Tat erfüllt die postalische Exemtion zwei entscheidende Faktoren, damit eine direkte Subventionsvergabe praktikabel sowie effizient funk­ tionieren könnte. Einerseits bleibt der Kreis förderungsbedürftiger Un­ ternehmer begrenzt. Je Mitgliedstaat ist in aller Regel nur ein desig­nierter Anbieter mit der flächendeckenden Universaldienstversorgung hoheit­ lich betraut. Auch im offen gestalteten Anwendungsbereich gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG steht auf absehbare Zeit eine erheblich wachsende Zahl an sich selbstverpflichteten Unternehmern neben der DPAG kaum zu erwarten. Zum Zweiten zielt die Befreiung, wie bereits dargelegt wurde, ent­ stehungsgeschichtlich bedingt primär auf eine Verbilligung im Verbrau­ cherinteresse, während sich die wettbewerbswirksame Stützung des verpflichteten Grundversorgers erst im Zuge der sukzessiven Post­ ­ marktöffnung herauskristallisiert hat. Die Widerspiegelung des positiven Subventionseffekts im Preisniveau wird durch Art. 12 PostRL unterdes­ 1 Vgl. Howard, Public Administration Review 1995, 439 (445). 2 Siehe allg. auch BReg, BT-Drucks. 17/1252 v. 26.03.2010, S. 2. 3 So Englisch, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (66).

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sen verbindlich profiliert, indem die Universaldienstentgelte den Grund­ sätzen der Erschwinglichkeit und effizienten Kostenorientierung zu ent­ sprechen haben1. Idealerweise könnte eine Direktsubvention somit sehr viel zielgenauer wirken als die unechte Befreiung. Zusätzlichen Charme erlangt der Subventionsansatz schließlich noch mit Blick auf grenzüber­ schreitend erbrachte Postbeförderungen, für deren wertungsmäßig in Art. 3 PostRL zwingend angelegte Freistellung derzeit noch keine befrie­ digende Lösung im Zuge des leistungsortbezogenen Bestimmungsland­ prinzips existiert2. Den umsatzsteuerlichen Komplikationen im Rahmen transnationaler Zusammenhänge sähe sich die direkte Bezuschussung des Grundversorgers, die schlichtweg durch den Mitgliedstaat seines Verpflichtungsbereichs zu leisten wäre, eben nicht ausgesetzt. Eine unionsrechtlich zwingend vorgeschriebene Beihilfenregelung be­ schreibt indes ein eher unwahrscheinliches Szenario. Die direkte Verga­ be finanzieller Mittel wäre so unmittelbar visualisiert, dass allein schon deshalb mit politischen Widerständen zu rechnen sein dürfte. Bislang waren die Mitgliedstaaten auch nicht bereit, einen ermäßigten Steuer­ satz der Befreiung vorzuziehen. Gründe, warum es sich gerade für eine Ersetzung mittels direkter Zuschüsse anders verhalten sollte, sind nicht ersichtlich. Überdies dürfen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 PostRL er­ messensabhängige Finanzierungsmodelle für die Universaldienstversor­ gung vorsehen und werden wohl kaum gewillt sein, diese gestalterische Freiheit ohne Weiteres preiszugeben. Außerhalb dieser rechtspolitischen Bewertung steht naturgemäß die Frage, wie es um eine mögliche Vorteil­ haftigkeit direkter Subventionen im primärrechtlichen Kontext bestellt ist. Alternativ zu einem unionsrechtlich aufgelegten Beihilfenprogramm für öffentliche Posteinrich­tungen (bb) wäre es theoretisch möglich, die Befreiung ersatzlos zu streichen und an deren Stelle den Mitgliedstaaten die Autonomie über externe Förderanreize zu belassen (aa). aa) Mitgliedstaatlich initiierte Beihilfen Als rein national veranlasste Maßnahme darf eine finanzielle Bezuschus­ sung der (vorbehaltsweise) verpflichtend auferlegten Grundversorgung nur unter Einhaltung der unionsrechtlich wirksamen Vorgaben imple­ mentiert werden. Diese ergeben sich aus Art. 107 ff AEUV, da die geziel­ te Bezuschussung eines bestimmten Anbieters die allgemeinen Beihilfe­ merkmale treffen wird. Darüber hinaus sind aber auch die speziellen Restriktionen der postsektoralen Harmonisierung einschlägig. Aus der Interaktion dieser beiden Regime erwächst die im Folgenden darzulegen­ de Einsicht, wonach die nationale Gesetzgebung derzeit an einer autono­ 1 Siehe hierzu vorstehend II.3.a). 2 Siehe hierzu Teil 3 F.

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men Direktsubventionierung öffentlicher Posteinrichtungen aus dem besonderen Motiv der Entgeltoptimierung heraus effektiv gehindert sind. Dieser Ansatz zeigt sich folglich anstelle der derzeitigen Umsatzsteuer­ befreiung als nicht in gleicher Weise tauglich zur Zielerreichung. 1) Primärrechtliche Beihilfenrestriktionen Sofern der verpflichtete Universaldienstanbieter staatliche Zuwendun­ gen empfängt, ist fraglich, ob die gesonderte Grundversorgungslast als relevante Gegenleistung im Rahmen der Beihilfenprüfung angesehen werden muss. Anknüpfungspunkte für eine kompensatorische Berück­ sichtigung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem In­ teresse (DAWI), zu denen anerkanntermaßen postalische Universaldiens­ te als harmonisierte Mindestversorgung der Bevölkerung zählen1, ergeben sich einerseits aus der Rechtsprechung des EuGH in Sachen „Altmark Trans“2, ferner aufgrund einer möglichen Bereichsausnahme zum Beihil­ fenverbot gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV. Alternativ hierzu steht eine mögliche Rechtfertigung nach Art. 107 Abs. 2 lit. c) AEUV. Der direkte Blickwinkel dieser Bestimmung ist auf die eigentlich avisierten Verbrau­ cherinteressen gerichtet. (aa) Ausgleichskriterien nach „Altmark Trans“ In seiner grundlegenden Entscheidung „Altmark Trans“ hat der EuGH vier zentrale Kriterien herausgestellt, bei deren Erfüllung eine finanzielle Zuwendung keinen echten Vorteil gegenüber gemeinwohlverpflichteten Unternehmern bewirkt und somit ausnahmsweise nicht Art. 107 Abs. 1 AEUV unterfällt. Als problematisch erweist sich für staatlich zurechen­ bare Beihilfen im Postsektor dabei das vierte sog. „Effizienzkri­terium“. Da der mitgliedstaatlich designierte Grundversorger in aller Regel aus dem zuvor hoheitlich geführten Monopolbetrieb hervorgegangen ist, fehlt es an einer Auswahl mittels vorheriger Ausschreibung. Die maxi­ mal zulässige Ausgleichshöhe bestimmt sich in dieser Situation also nach den Kosten, die ein durchschnittliches, gut geführtes sowie an­ gemessen ausgestattetes Unternehmen sonst zu tragen hätte3. Diese Vor­ gabe wirft allerdings in doppelter Hinsicht Schwierigkeiten auf und ver­ mag daher praktisch kaum erfüllt zu werden. Erstens fehlt es an einem tauglichen Referenzmaßstab, sofern Postdienste in der Vergangenheit ganz überwiegend durch hoheitlich verwaltete Monopolanbieter erbracht wurden; zweitens verwirklichen nicht wenige öffentliche Posteinrich­ 1 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, 7. Aufl., § 21 Rn 47; Frenz, EWS 2007, 211. 2 EuGH, Rs. C-280/00, Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747. 3 EuGH, Rs. C-280/00, Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747 Rn 93; siehe auch Wüstneck, EWeRK 3/2012, 116.

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tungen in privater Rechtsform auch heute noch eine strukturell inef­ fiziente Versorgungsqualität1. Die Folge ist, dass sich die Legitimität di­ rekter Subventionen auf die beihilfenrechtliche Rechtfertigungsebene fokussiert. (bb) Rechtfertigung gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV Wird das Effizienzkriterium üblicherweise verfehlt, bleibt nur, die uni­ ver­sal­dienst­akzessorische Sonderbelastung als Dispens gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV zu be­rück­sichtigen2. Zwingend hierzu ist nach dem Verhin­ derungserfordernis gemäß Art. 106 Abs. 1 Satz 1 AEUV, dass die auferleg­ te Gemeinwohlverpflichtung unter Geltung des freien Wettbewerbs nicht zu wirtschaftlich annehmbaren oder ausgewogenen Bedingungen möglich ist3. Demnach muss zwar ohne gedachte Vergünstigung nicht gerade eine Existenzbedrohung für den gemeinwohlverpflichteten Unter­ nehmer bestehen, andererseits genügt aber nicht schon eine bloße Er­ schwerung oder Behinderung der Aufgabenerfüllung innerhalb eines ­freien Marktumfelds4. Die Kommission hat diesbezüglich klargestellt, dass eine Rechtfertigung schon nach Maßgabe der ersten drei Altmark-­ Trans-Kriterien in Betracht kommt, es also nicht auf das vierte Effizienz­ kriterium ankommen soll5. Ausgleichsfähig waren demnach die gemein­ wohlbedingten Zusatzkosten unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen einschließlich ange­messener Rendite, so dass auch ineffizi­ ente Versorgungslagen großzügig gefördert werden durften. Durch die neuen Rahmenvorgaben hat sich allerdings eine wesentliche Verschärfung eingestellt. Die Kommission setzt nunmehr auf die sog. „net-avoided-cost-Methode“6. Diese zwingt die Mitgliedstaaten, Beihil­ fen im Interesse des Grundversorgers auf diejenigen Kostenbestandteile zu begrenzen, die kausal auf die Gemeinwohlverpflichtung zurückzufüh­ ren sind und sogleich unvermeidbar mit deren Erfüllung einhergehen. In Ansatz zu bringen sind dabei insbesondere die korrespondierenden Ein­ 1 Siehe Barbist/Halder, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 1 Rn 2009. 2 Frenz, HdB EuR, Bd 3, 2007, Rn 501. 3 EuGH, Rs. C-340/99, TNT Traco, Slg. 2001, I-4109 Rn 54; Rs. C-147 und C-148/97, Deutsche Post, Slg. 2000, I‑825, Rn 49; vgl. ferner Komorowski, EuR 2015, 310 (324 f). 4 Badura, ZGR 1997, 291 (302). 5 Vgl. KOM, Gemeinschaftsrahmen für Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, DG D(2004), S. 2 ff; entsprechend für den Rundfunk KOM, Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ABl EU Nr. C 320 v. 15.11.2001, S. 5 (9 ff). 6 KOM, Rahmen der Europäischen Union für staatliche Beihilfen in Form von Aus­ gleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (2011), ABl EU Nr. C 8/03 v. 11.01.2012, S. 15 Rz 25 ff.

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nahmen einschließlich immaterieller Vorteile des Versorgers, die sich beispielsweise aus einer präsenzbedingten Reputation am Markt ergeben werden. Unter Geltung dieses neuen Regimes nähert sich die Rechtferti­ gungsprüfung am Maßstab des Art. 106 AEUV insgesamt stärker an die Altmark-Kriterien an. Im Ergebnis resultiert daraus ein beschnittener Förderspielraum für die Mitgliedstaaten mit einem äquivalent erhöhten Optimierungsdruck, der künftig auf Unternehmen der Daseinsvorsorge speziell auch im Postbereich lasten wird1. Nicht mit diesen rigider ver­ fassten Einschränkungen in Einklang gebracht werden kann insbesonde­ re eine zugangsorientierte Preisoptimierung mit Blick auf effizient arbei­ tende Universaldienstversorger, die ausgleichsfähige Nettokosten von vornherein vermeiden2. Die befreiungsrechtlich unterlegte Zielsetzung eines durchgehend alimentierten Entgeltniveaus für grundlegende Post­ dienste im Binnenmarkt lässt sich folglich nicht über Art. 106 Abs. 2 AEUV erreichen. 2) Sozialadäquate Verbraucherentlastung, Art. 107 Abs. 2 lit. a) AEUV Vergegenwärtigt man sich, dass die zur Befreiung alternative Subventi­ onsvergabe an öffentliche Posteinrichtungen in erster Linie ein verbillig­ tes Entgeltniveau im Verbraucherinteresse bezweckt, scheint Art. 107 Abs. 2 lit. a) AEUV für eine Legitimierung prädestiniert. Dieser Tatbe­ stand favorisiert keine bestimmte Regelungstechnik und schließt auch indirekt wirksame Maßnahmen ein3, so dass eine zulässige Förderung anstelle des Verbrauchers ebenso gut beim ausführenden Unternehmer als dem formalen Schuldner der Umsatzsteuer ansetzen könnte. Eine Rechtfertigung wäre jedoch nur möglich, falls die eingepreiste Bezu­ schussung ausschließlich sozial bedürftigen Endverbrauchern zugute­ käme4. Diese Bedingung kann im Lichte der derzeit geltenden Befrei­ ungskonzeption als gedachter Beihilfe nicht eingehalten werden, müsste in diesem Falle doch für das massenhaft konzipierte Postgeschäft eine differenzierte Entgeltabrechnung in Ansehung individueller Einkom­ mensverhältnisse veranschlagt wer­den. Diese Vorgabe ist schlichtweg nicht praktizierbar. Hinzu kommt, dass die Universal­dienstdefinition in Art. 3 PostRL losgelöst von der Stellung des jeweiligen Leistungsempfän­ gers Geltung beansprucht. Sie umfasst somit nicht allein private Sendun­ gen, sondern auch solche zu geschäftsmäßigen Zwecken im Auftrag von 1 So auch Barbist/Halder, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 1 Rn 2010. 2 Siehe ergänzend zu Art. 7 Abs. 3 PostRL nachstehend 3). 3 Vgl. Martenczuk, in: S/J/K/M, Eur WettbR, 2. Aufl., Kap. 6 Rn 201; Penner, in: Birn­ stiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 1 Rn 1032; a.A. Heidenhain, in: Heidenhain, HdB BeihR, 2003, § 11 Rn 2, wonach die unmittelbare Verbraucherbe­ günstigung zwingend durch den Wortlaut vorgegeben sei. 4 Säcker, in: MüKo WettbR, 2011, Art. 107 AEUV Rn 485.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

Unternehmern oder sonstigen Einrichtungen, die sich keinesfalls als so­ zial bedürftige Endverbraucher qualifizieren. 3) Ausgleich der Nettomehrkosten, Art. 7 Abs. 3 lit. b) PostRL Seit Wegfall der Monopoldienste spätestens zum 31.12.2010 respektive 31.12.2012 nach Erlass der Liberalisierungsrichtlinie (RL 2008/6/EG) sind nur noch alternative Formen der Universaldienstfinanzierung vor­ gesehen. In Art. 7 Abs. 3 PostRL findet sich unter lit. b) ein Ausgleichs­ fonds erwähnt1, überdies gestattet lit. a) explizit einen Ausgleichsme­ chanismus zwecks Entschädigung mit öffentlichen Mitteln, worunter letztlich staatliche Direktzahlungen fallen. Das Ausgleichsregime weist eine untrennbare Beziehung zum Beihilfenrecht auf, weshalb sich die Kommission in ihrem aktuellen Rahmen um weitgehende Kongruenz der materiellen Förderkriterien sichtlich bemüht zeigte2. Ebenso wie im Anwendungsbereich von Art. 106 AEUV verpflichtet Art. 7 Abs. 3 PostRL die Mitgliedstaaten, die zugelassene Subventionshöhe strikt an den Net­ tokosten des verpflichteten Versorgers auszurichten. Einen zusätzlichen Effizienzanreiz bedingt die zweite Einschränkung, dass lediglich eine un­ verhältnismäßige Kostenbelastung für den oder die Universaldienstleis­ ter kompensiert werden darf. Die Modalitäten für eine Berechnung der ausgleichsfähigen Nettokosten sind ent­sprechend der net-avoided-cost-Methode in Anhang I Teil B zur Postrichtlinie niedergelegt. Demnach müssen zuerst die Bruttokosten des Universaldienstleisters als die verpflichtungsbedingten Zusatzkos­ ten ermittelt werden. Auszugehen ist dabei von einer kontrafaktischen Hypothese3, das heißt, maßgeblich ist die Differenz zwischen den Netto­ kosten eines verpflichteten Universaldienstleisters und denen desselben Anbieters ohne eine Verpflichtung4. In einem zwischengeschalteten Re­ chenschritt sind sodann alle sonstigen relevanten Elemente der Verpflich­ tungsstellung, darunter insbesondere immaterielle wie auch marktrele­ vante Vorteile, für die abschließende Bestimmung der ausgleichsfähigen Nettokosten zu berücksichtigen5. Eine angemessene Gewinnmarge ist anschließend noch zu addieren, in Abzug zu bringen sind dagegen die korrespondierenden Einnahmen, ein Effizienzanreiz, sonstige Vorteile sowie ein verhältnismäßiger Selbstbehalt des Grundversorgers6. 1 Vgl. etwa die Umsetzung in §§ 15 ff PostG. 2 KOM, Rahmen der Europäischen Union für staatliche Beihilfen in Form von Aus­ gleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (2011), ABl EU Nr. C 8/03 v. 11.01.2012, S. 15 Rz 26. 3 Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/K/K/L, Postrecht, 2014, Kap. 1 Rn 101. 4 Vgl. Anhang I Teil B Abs. 2 PostRL. 5 Vgl. Anhang I Teil B Abs. 3 und 4 PostRL. 6 Siehe dazu mit Schaubild Barbist/Halder, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Eur BeihR, 2013, Kap. 1 Rn 2016.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

In Relation zum vierten Altmark-Kriterium erzeugen die soeben be­ schriebenen Rechnungselemente einen abgeschwächten Effizienzdruck. Mit besonderem Bezug zur Umsatzsteuerbefreiung wird entsprechend deutlich, dass die postsektoralen Richtlinienvorgaben eine direkte Sub­ ventionierung ausschließlich mit dem Ziel gestatten, dass auf diese Wei­ se unverhältnismäßige Gemeinwohllasten aufgrund ineffizient zu bedie­ nender Versorgungslagen ausgeglichen werden. Umgekehrt bleibt dieses Instrument aber zugunsten betrieblich besser aufgestellter Universal­ dienstleister ausgeschlossen, sofern diese ihre Grundversorgungskosten möglichst gering halten und daher zu den marktüblichen Entgelten auf die Leistungsempfänger abwälzen können1. In diesem Falle zehren die korrespondierenden Einnahmen zuzüglich sonstiger in Abzug zu brin­ gender Vorteile regelmäßig die kontrafaktischen Bruttokosten auf mit der Folge, dass sich überhaupt keine ausgleichsfähigen Nettokosten er­ rechnen werden. Diese müssten überdies noch unverhältnismäßig sein, was nach Ansicht der Kommission von den individuellen Anbieterver­ hältnissen abhängig ist. Diese werden u.a. durch die kapitalmäßige Aus­ stattung, die wirtschaftliche und finanzielle Situation sowie die gehalte­ nen Marktanteile bestimmt2. Auch sekundärrechtlich betrachtet bleiben den Mitgliedstaaten folglich direkte Subventionen als Mittel zur autonomen Entgeltoptimierung ge­ rade im Rahmen wettbewerbsfähiger Versorgungsstrukturen verwehrt. Einen sozialen Einschlag in die allein ausgleichsfähigen Kostenbestand­ teile vermag in diesem Zusammenhang auch nicht das Merkmal der Er­ schwinglichkeit gemäß Art. 12 Spiegelstrich 1 PostRL zu eröffnen. Dies wäre allein unter der Voraussetzung gegeben, dass die Erschwinglichkeit auch eine generell kostenunterdeckende Preisfestsetzung erzwingen könnte. Gleichrangig wird unterdessen die Kostenorientierung in Spie­ gelstrich 2 benannt, deren Grundsatz eine wesentliche Existenzbedin­ gung für den betrauten Grundversorger markiert. Im Allgemeinen muss deshalb zumindest gewährleistet sein, dass effiziente sowie insbesondere unvermeidbare Kostenbelastungen stets im Preis abgebildet werden dür­ fen und der Grundversorger auf diese Weise korrespondierende Einnah­ men erzielen kann. Allein auf diese Weise wird der gesetzessystematisch veranlagten Perspektive genüge getan, die eine flächendeckende Univer­ saldienstversorgung im Zuge geöffneter Märkte anstrebt und deren Funk­ tionsfähigkeit folglich als prinzipiell vereinbar mit befreiten Wettbe­ werbsbedingungen wertet3. 1 Bislang hat z.B. die DPAG noch keine Unterdeckung gegenüber der BNetzA gemäß § 15 Abs. 1 PostG angemeldet. 2 KOM v. 23.03.2011, N 508/2010, Post Office Ltd., Rz 85. 3 Vgl. Geradin/Malamataris, in: Crew/Brennan, Postal and Delivery Sector, 2014, S. 116.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

bb) Unionsbeihilfen als Steuerlastkompensation Die unter aa) bezüglich nationaler Maßnahmen skizzierten Restriktio­ nen sind unter einem unionsrechtlich determinierten Subventionsansatz ohne Weiteres umgehbar1. Eine denkbare Reform wäre derart vorstellbar, dass die aktuell geltende Befreiungsregelung aufgehoben und an ihrer Stelle die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die auf das Entgelt für bislang freigestellte Universaldienste berechnete Umsatzsteuerschuld ­ ganz oder teilweise zu erstatten2. Gegenzüglich müsste sich die öffentli­ che Posteinrichtung neben der Grundversorgungsübernahme weiterhin verpflichten, keine fingierte Umsatzsteuer entsprechend dem sonst marktüblichen Nettoentgelt einzupreisen, was aber ohnehin mit dem Grundsatz der Kostenorientierung gemäß Art. 12 Spiegelstrich 2 PostRL korrelierte. Gesetzessystematisch könnte der Zuschussmechanismus ergänzend zu den Vorsteuerabzugsbestimmungen in die Mehrwertsteu­ ersystemrichtlinie aufgenommen werden. Im Detail wäre dann aber noch klärungsbedürftig, auf welche Weise die zugesagte Entgeltver­ günstigung zu überwachen sein soll3, ferner, wie die Kompensation des Überwälzungsverzichts zeitlich gestaltet werden könnte, ohne dass dem Grundversorger eine unzumutbare Vorschusspflicht mit entsprechenden Zinsbelastungen obläge. Ihre technische Machbarkeit unterstellt, bestechen Direktsubventionen sicherlich durch eine transparente sowie gleichsam zielgenaue Entlas­ tungswirkung. Zudem vermeiden sie die befreiungstypischen System­ brüche auf der Umsatz-Eingangsseite. Allerdings dürfen diese Vorzüge keinesfalls den Blick dafür verstellen, dass eine direkt zugewandte Steu­ erschuldkompensation abhängig von ihrer vorbestimmten Höhe die glei­ chen wirtschaftlichen Effekte auf das Marktumfeld überträgt, wie sie von Null­sätzen respektive ermäßigten Steuersätzen ausgehen4. Infrage steht somit erneut, ob die Empfängergruppen übergreifende Konsolidie­ rung der wettbewerblichen Grundversorgerposition wirklich eine gerin­ gere Belastung bedeutet, obwohl nicht befreite Konkurrenzanbieter ihres bisherigen Preisvorteils im vorsteuerberechtigten Geschäftskundenseg­ ment endgültig verlustig gingen. Eine definitive Vorzugswürdigkeit ge­ genüber der unechten Befreiungsvariante ist gerade mit Blick auf diese 1 Siehe ausf. zum Ausschluss von Unionsbeihilfen aus Art. 107 Abs. 1 AEUV Teil 5 B.I.1. 2 Bereits jetzt schon schreibt Art. 14 PostRL eine getrennte Kontenrechnung für Uni­ versaldienste vor; eine entsprechende Bemessung der Umsatzsteuer wäre daher ebenfalls möglich. 3 Krit. aber zu den schon jetzt häufig defizitären Kontrollmechanismen zur Wahrung der Grundsätze gemäß Art. 12 PostRL Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/K/ K/L, Postrecht, 2014, Kap. 1 Rn 162. 4 Siehe bereits vorstehend zu Nullsätzen 1.b)aa), zu ermäßgten Sätzen 2.c)bb)2).

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

nachfragestrukturell angelegten Divergenzen nicht auszumachen, so dass abermals die äußeren Grenzen des gesetzgeberischen Abwägungsund Auswahlermessens noch gewahrt werden. 4. Ergebnis Die obigen Ausführungen haben die hervorstechende Eigenschaft aller drei denkbarer Alternativansätze aufgezeigt: Sie vermeiden allesamt vor­ steuerbedingte Ver­ werf­ ungen. Gleichwohl darf das gesetzgeberische Auswahlermessen nicht isoliert auf diesen Aspekt reduziert werden, sondern muss vielmehr in die Lage versetzt sein, die neuralgischen Schwachpunkte unterschiedlicher Instrumente zu reflektieren. Echte Freistellungen respektive Nullsätze vertiefen den Grad der steuerlichen Ungleichbehandlung, was nicht nur forcierte Wettbewerbsverzerrungen besonders bei sonstigen Leistungen impliziert, sondern auch die ver­ brauchsteuerlich deduzierte Finanzierungsverantwortung gegenüber dem Gemeinwesen weitergehend derogiert. Als überlegene Kompromisslö­ sung werden sich vielfach ermäßigte Steuersätze empfehlen; allerdings gilt diese Maßgabe nicht uneingeschränkt, sollten die begünstigten Um­ sätze auch unternehmerischer Nachfrage unterliegen oder aber der be­ freite Anbieter nur in ge­ringfü­gigem Ausmaße sonst abzugsfähigen Vor­ steuern ausgesetzt sein. Direkte Subventionen wirken in der Theorie transparent und präzise adaptiert auf einen be­stimmten Förderbedarf, sind aber allenfalls gerichtet auf einen begrenzten Unternehmerkreis praktikabel. Im Übrigen wirft eine effektive Steuerschulderstattung die­ selben Pro­bleme auf, wie sie echte Befreiungen oder ermäßigte Sätze nach sich ziehen können. Speziell für den Postsektor bleibt ferner zu beachten, dass mitgliedstaatlich veranlasste Zuschüsse zugunsten öf­ fentlicher Posteinrichtungen strikt auf eine Kompensation vermeidbarer Nettokosten reglementiert sind.

IV. Angemessenheit der Postdienstbefreiung Das Angemessenheitskriterium hat der EuGH in seiner Entscheidung „Beste Boter“ erstmals als eigenständiges Element explizit benannt1, seit dem Urteil „Schräder“ zählt es in ständiger Rechtsprechung jedenfalls nominell zu den etablierten Bestandteilen der Verhältnismäßigkeitsprü­ fung sowohl von verwaltungsmäßigen als auch gesetzgebenden Akten2. Eine Maßnahme erweist sich als angemessen, soweit der durch sie ver­ 1 EuGH, Rs. 99/76 und 100/76, Beste Boter, Slg. 1977, 861 Rn 11; dazu Bühler, Ein­ schränkung von Grundrechten, 2005, S. 111; Pache, Tatbestandliche Abwägung, 2001, S. 402. 2 Vgl. Emiliou, Proportionality, 1996, S. 134; Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 2000, S. 197.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

folgte Zweck nicht außer Verhältnis zu den auferlegten Belastungen steht1. Die gerichtliche Kontrollpraxis variiert bisweilen allerdings ganz erheblich. Teilweise übergeht der Gerichtshof das Merkmal der Ange­ messenheit weitgehend oder lässt es in die vorgeschaltete Prüfungsstufe der Erforderlichkeit einfließen2. Wird die Angemessenheit gesondert ­behandelt, findet sich nicht selten die bloße Feststellung, zwischen der Eingriffsschwere und dem zugrunde liegenden Ziel bestehe objektiv ge­ sehen kein grobes Missverhältnis3. Unter dieser Lesart wird die Unions­ gesetzgebung lediglich nach Maßgabe einer abgeschwächten Willküroder Evidenzgrenze diszipliniert, die verglichen zu der gegenüber den Mitgliedstaaten angewandten Schrankensystematik eine defizitäre Dis­ krepanz offenbart4. Jüngere Entscheidungen lassen hingegen einen vorsichtigen Trend hin zu einer stärker profilierten Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne erkennen5. Ob diese neuere Rechtsprechung als Vorbote eines aus Sicht zahlreicher Kritiker lang ersehnten Konsolidierungsprozesses angesehen werden kann, bleibt nicht zuletzt unter Beachtung des vertraglich vorge­ sehenen EMRK-Beitritts abzuwarten. Im Interesse eines effektuierten Grundrechtsschutzes sind die folgenden Ausführungen aber bereits be­ strebt, sich der Angemessenheit aus einem differenzierteren Blickwinkel als demjenigen einer verobjektivierten Güterproportionalität nach Maß­ gabe der Willkürgrenze zu nähern. Dabei gilt insbesondere, dass die im Lichte der TNT-Rechtsprechung richtlinienkonformen Verpflichtungs­ varianten für die Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL eine getrennte Behandlung einfordern. Von der allgemein angezeigten Prüfungsstruktur abzugrenzen bleibt un­ terdessen die Frage, mit welcher Kontrollintensität der gesetzgeberisch präferierten Abwägungsentscheidung begegnet werden muss. Dass der EuGH an dieser Stelle nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung prägt, ist zumindest mit Blick auf die steuerrechtliche Harmonisierung als wirtschaftskomplexer Materie gut vertretbar und daher im Ergebnis auch

1 EuGH, Rs. 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237 Rn 21; Rs. 181/84, Man, Slg. 1985, 2889 Rn 20. 2 So z.B. EuGH, Rs. C-170/04, Rosengren u.a., Slg. 2007, I-4071 Rn 47 ff; mit ausf. Un­ tersuchung der Rspr. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 2000, S. 213 ff. 3 Vgl. von Danwitz, Eur VerwR, 2008, S. 216; Heinsohn, Verhältnismäßigkeit, 1997, S. 125. 4 Krit. zum Ganzen statt vieler Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 47 mwN; Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 357 f. 5 Siehe etwa EuGH, Rs. C-101/12, Schaible, ECLI:EU:C:2013:661 Rn 60; Rs. C‑176/09, Luxemburg/Parlament und Rat, Slg. 2011, I-3727 Rn 63; Rs. C-58/08, Vodafone u.a., Slg. 2010, I‑4999 Rn 53 ff.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

nicht weiter zu beanstanden1. Demnach muss genügen, dass der befrei­ ungsbedingte Eingriff durch eine nachvollziehbare sowie widerspruchs­ freie Bewertung der widerstreitenden Einzelbelange im normativen Ver­ tragsgefüge getragen wird. 1. Primärrechtliche Gewichtung des Universaldienstes Postalische Universaldienste qualifizieren sich als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Aus dem besonderen Bekennt­ nis in Art. 14 Satz 1 AEUV wurde bereits abgeleitet, dass diese bereichs­ spezifische Grundversorgung einen legitimen Gemeinwohlbelang dar­ stellt und als solcher nach Art. 113 AEUV prinzipiell einer Privilegierung unterworfen werden darf. Noch nicht geklärt ist damit allerdings, wel­ chen Stellenwert die Grundversorgung in Relation zum wirtschaftsver­ fassungsrechtlichen Primat des freien Wettbewerbs einnimmt. Allein anhand dieser Determinante vermag entschieden zu werden, wie weit der Beschränkungsspielraum in Gestalt der steuerlichen Ungleichbe­ handlung konkurrierender Anbieter am Markt ausgreift. Die Umsatzsteuerbefreiung von Postdiensten zeichnet das allgemeine Spannungsverhältnis nach, in das eine staatlich flankierte Grundversor­ gung gegenüber dem Leitbild einer privatwirtschaftlich geprägten Markt­ ordnung unweigerlich gerät2. Teilweise wird das Bekenntnis in Art. 14 Satz 1 AEUV als eine wesentliche Akzentverschiebung innerhalb der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Ausrichtung rezitiert: Besondere Wirt­ schaftsformen, die eine privilegierte Behandlung der Daseinsvorsorge bis hin zur völligen Abschirmung beinhalten mögen, bildeten demnach ein gleichwertiges Prinzip zur Wettbewerbsfreiheit und seien mit dieser im Wege praktischer Konkordanz in Einklang zu bringen3. Auch die im Zuge der Lissabonner Vertragsreform neu eingefügte Befugnis in Art. 14 Satz 2 AEUV wurde schon frühzeitig als allzu großzügige Akzeptanz gegenüber einer staatsinterventionistischen Räson antizipiert4. Ein disproportionales Verhältnis gegenüber der freien Marktordnung ge­ bietet allerdings zutreffenderweise der Wortlaut von Art. 14 Satz 1 AEUV („unbeschadet“). Ferner ist diese Vorschrift entstehungsgeschichtlich be­ trachtet ebenso wie Art. 36 GRCh als Ausdruck einer kompromisshaften Formelfindung unter den Mitgliedstaaten zu verstehen, da diese traditio­ 1 So auch Englisch, in: Englisch/Schaumburg, Eur StR, 2015, Rn 12.17, wonach sich der Prüfungsschwerpunkt richtigerweise auf die Erforderlichkeitsebene verlagert. 2 Vgl. KOM (2000) 580 v. 20.09.2000, Rn 14; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 14 AEUV Rn 3; Koenig/Paul, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 14 AEUV Rn 13. 3 So Franzius, Gewährleistung im Recht, 2009, S. 56 ff; Schwarze, EuZW 2001, 334 (339); Rodrigues, RMC 1998, 37 (42). 4 Vgl. dazu Luczak, Die Europäische Wirtschaftsverfassung, 2009, S. 411 mwN.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

nell über sehr unterschiedliche Ansätze bezüglich der marktwirtschaftli­ chen Bereitstellung grundversorgungsrelevanter Dienste verfügen. Die vertragliche Grundregel des freien Wettbewerbs wird folglich nicht durch das allgemeine Grundbekenntnis zum Konzept der DAWI verdrängt, vielmehr untersteht jeder Einschnitt weiterhin dem Postulat einer be­ sonderen Begründung im Einzelfall1. Gleichwohl bezieht die Daseinsvor­ sorge aus Art. 14 AEUV ihren Rang als eigenständiger Gemeinwohlwert, dessen vornehmliche Bedeutung im Erhalt der Funktionsfähigkeit sowie einer effektiven Zugangsmöglichkeit aus Nutzersicht aufgeht und so eine breite Legitimationsbasis für marktordnungsspezifische Eingriffs­ maßnahmen schafft. Ausweislich Art. 1 des verbindlichen Protokolls Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse beziehen sich die ge­ meinsamen Werte der Union iSv Art. 14 Satz 1 AEUV u.a. auf ein hohes Niveau bezüglich der Bezahlbarkeit entsprechender Dienstleistungen, zu deren Schutz eben die mehrwertsteuerliche Befreiung ihren Beitrag leisten soll. Dogmatisch gesehen fungiert Art. 14 Satz 1 AEUV als Aus­ legungs- und Anwendungsdirektive gegenüber den sonstigen Primär­ rechtsvorschriften2, die außerhalb der Wettbewerbsregeln gleichermaßen Grundfreiheiten wie auch Unionsgrundrechte über die eingriffsbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung als eine Art Scharnier durchdringt. 2. Abwägungsrelevante Positionen Die maßgeblichen Einzelinteressen, die es gegenüber dem Gemeinwohl­ ziel der Universaldienstförderung in Abwägung zu bringen gilt, beziehen sich der Funktionsweise unechter Befreiungen gemäß auf drei Positio­ nen. Betroffen sind zunächst die Endverbraucher je nach in Anspruch genommener Leistung (a), ferner auf Unternehmerebene die öffentliche Posteinrichtung im Verhältnis zu steuerpflichtigen Anbietern (b). Wei­ terhin ist in die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen, dass die Aus­ wirkung der Postdienstexemtion nicht eindeutig ausfällt (c). Die Zusam­ menschau der nachfolgend aufgeführten Aspekte führt zunächst mit Blick auf eine anbieterneutrale Umsetzung am Beispiel von § 4 Nr. 11b UStG zu dem Schluss, dass der Unionsgesetzgeber die Grenzen des ihm zukommenden Abwägungsermessens durch die Fortsetzung der Freistel­ lung in Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL gewahrt hat.

1 Siehe auch Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 14 AEUV Rn 11; Koenig/Paul, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 14 AEUV Rn 18; van Vormizeele, in: Groeben/Schwarze/Hatje, EU, 7. Aufl., Art. 14 AEUV Rn 12. 2 Lenz, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, 6. Aufl., Art. 14 AEUV Rn 3.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

a) Reflexive Verbraucherstellung Aus Verbrauchersicht speist sich die Betroffenheit aus einer nicht folge­ richtig umgesetzten Belastungswirkung, denn die Überwälzungsparame­ ter variieren je nachdem, ob der Sendungsauftrag gegenüber dem befrei­ ten Grundversorger oder aber einem steuerpflichtigen Anbieter erteilt wird. Gemindert wird die Engriffsschwere freilich, indem sämtlichen Endverbrauchern der freiwillige Zugang zum steuerbegünstigten Versor­ gungsnetz gesichert wird. Beeinträchtigt ist gleichwohl die freie Aus­ wahlentscheidung unter alternativen Angeboten, sei es, dass die Ver­ günstigung samt hoher Qualitätsstandards als Lenkungsanreiz wirkt oder konkurrierende Dienstleister sich von vornherein nicht dauerhaft am Markt etablieren. So gesehen reflektiert die passive Verbraucherstel­ lung am Markt vorhandene Wettbewerbsverzerrungen, weshalb die wei­ tere Untersuchung mit Blick auf die unternehmerische Konkurrenzebe­ ne konzediert wird. b) Ungleichbehandlung alternativer Dienstleister Im Verhältnis der befreiten Posteinrichtung zu steuerpflichtigen Anbie­ tern steht infrage, ob die vorzugsweise Universaldienstbehandlung, die sich im ambivalenten Gemeinwohlzweck einer Entgeltverbilligung samt mittelbarer Stärkung des Grundversorgers konkretisiert, nicht wesent­ lich hinter den zeitgleich ausgelösten Ver­fälsch­ungen des freien Wett­ bewerbs zurücksteht. Ausführlich wurde bereits dargelegt, dass die un­ echte Befreiung im nicht vorsteuerberechtigten Kundensegment eine Markteintrittsbarriere zulasten konkurrierender Anbieter errichtet1. Re­ lativiert wird die Schwere dieses Eingriffs allerdings aufgrund mehrerer Faktoren. aa) Gesetzgeberische Zielhoheit Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Unionsgesetzgeber die übergeord­ nete Defini­tionsmacht hinsichtlich des angestrebten Gemeinwohlziels einer Preissenkung genießt. Wiederholt wird vonseiten befreiungskri­ tisch gesinnter Institutionen vorgebracht, der unterbundene Verteue­ rungseffekt falle aus Sicht privater Endverbraucher allenfalls geringfügig aus. So stellte etwa WIK-Consult fest, dass in Deutschland maximal eine jährliche Entlastung in Höhe von 5 EUR pro Haushalt erzielbar sei2. In gleicher Manier merkte seinerzeit Postcomm im Vereinigten Königreich

1 Siehe hierzu Teil 4 C.II.2. 2 WIK-Consult, Umsatzsteuerbefreiung für Postdienste, 2005, Rz 7; diese Untersu­ chung bezog sich allerdings nur auf den Briefmarkt mit damaligem Teilmonopol der DPAG.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

an, die durchschnitt­lichen Ausgaben eines Privathaushalts für Postdiens­ te schlagen mit lediglich 56 Pence wöchentlich zu Buche1. Diese Argumentation geht aus mehreren Gründen fehl. Naturgemäß fällt der mögliche Einspareffekt aufgrund einer Befreiung in niederpreisigen Leistungssegmenten absolut gesehen gering aus. Nach wie vor kann etwa ein Standardbrief überall in Deutschland zu einem Porto von weit unter 1 EUR versandt werden2. Damit ist aber noch keinesfalls gesagt, dass die umsatzsteuerliche Entlastung keinen anerkennenswerten Belang von Allgemeininteresse verkörpert. Mit der gleichen Argumentation ließe sich denn auch fordern, eine Preiskontrolle könne im Postsektor wegen der bloßen Gefahr von um einige Cent überhöhter Entgelte unterbleiben, was wohl niemand ernsthaft in Erwägung zieht3. Ungleich höher fällt die Umsatzsteuerlast denn auch bei teureren Paketsendungen bis zu 10 oder 20 kg ins Gewicht, die im Zuge des Internethandels innerhalb der zu­ rückliegenden Jahre ein sehr starkes Wachstum verzeichneten. Darüber hinaus bevorteilt ein vergünstigter Postnetzzugang auch nicht vorsteuer­ berechtigte Geschäftskunden (z.B. Banken, Versicherungen), wovon mit­ telbar wiederum eine sehr hohe Zahl privater Endverbraucher durch niedrigere Kosten für die Leistungsbereitstellung profitieren kann4. Glei­ chermaßen trifft der Einspareffekt eine Reihe gemeinwohltätiger wie auch sonstiger nicht unternehmerisch tätiger Einrichtungen, die so bei der Wahrnehmung gesellschaftlich wertvoller Aufgaben finanziell unter­ stützt werden5. Die Befreiung beruht folglich auf einer wesentlich breite­ ren Basis, als sie rein vordergründig durch die unmittelbare Entlastung privater Endverbraucherpreise definiert wird. bb) Subjektive Neutralität Die Vorgabe gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL gestattet den Mit­ gliedstaaten im Wege des Selbstverpflichtungsmechanismus eine stärker an die Marktöffnung adaptierte Umsetzung. So kann etwa gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG jeder Anbieter außer der DPAG die Befreiung frei­ willig erlangen, sofern die geforderte Universaldienstqualität objektiv gewährleistet wird. Zuzugestehen ist zwar, dass bislang außer der DPAG kein anderer Anbieter in den Genuss einer Bescheinigung durch das BZSt gelangt ist, woran sich nicht zuletzt die objektive Hürde hoher Leis­ tungsstandards ablesen lässt. Diese kann indes durchaus mithilfe unter­ 1 Postcomm, A Review of Royal Mail’s Special Privileges, 2004, Rz 3.9. 2 Das Porto für einen Standardbrief wurde zum 01.01.2016 auf nunmehr 70 Cent ange­ hoben, vgl. BNetzA, Jahresbericht 2016, S. 96. 3 Zu recht krit. Royal Mail, Response to „A Review of Royal Mail’s Special Privi­ leges“, 2004, Ziff. 3. 4 Siehe auch GA Kokott, Rs. C-357/07, TNT Post UK, Slg. 2009, I-3025 Rn 82 ff. 5 Vgl. Seely, VAT on postal services, 2013, S. 8.

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schiedlicher Kooperationsformen zwischen einzelnen Unternehmern überwunden werden, solange diese nur ein eigenes Zustellnetz unterhal­ ten1. Umgekehrt stellt sich die Sachlage aus Sicht leistungsstarker Anbieter dar, wie sie vornehmlich in der Paketsparte als echte Alternative zum Versorgungsnetz der DPAG existieren. Sie streben die ihnen mögliche Befreiung wegen der damit verbundenen Gemeinwohllasten offensicht­ lich gar nicht erst an, sondern pochen rein destruktiv auf deren Abschaf­ fung zum klaren Nachteil des ehemaligen Monopolisten. Deutlich wird an dieser Stelle nochmals, dass die Freistellung nur gegen Übernahme einer beson­ deren Gemeinwohlfunktion gewährt wird, was auch die gleichmäßige Bedienung strukturschwacher Regionen ohne Abfall in der Qualität impliziert. Diese hohe Last begreifen alternative Dienstleister zumindest in Deutschland als unrentable Investition, sofern sie im Ge­ genzug lediglich an einer unechten Befreiungsregelung partizipieren kön­ nen. Ebenso zeichnet sich diese Einsicht anhand der Tatsache ab, dass die bislang gescheiterten Antragsteller das Versorgungsnetz der DPAG weit­ räumig für eine nicht eigens bereitgestellte Flächendeckung nutzen2. cc) Gemeinwohlbedingte Sonderlasten Soweit der Grundversorger seine Entgelte kostenorientiert unter voll­ ständiger Weitergabe der positiven Entlastungsdifferenz berechnen muss, spricht wenig dafür, dass die ihm mittelbar verbleibende Förderung sämt­ liche Sonderlasten aufwiegt oder gar überkompensiert3. Dessen un­ beschadet geht es der Umsatzsteuerbefreiung auch nicht primär darum, die Existenz der Grundversorgung abzusichern; diese elementare Aufga­ be übernimmt stattdessen das Finanzierungsregime nach Maßgabe von Art. 7 PostRL4. Vielmehr leistet die teilweise verhinderte Verteuerung einen eigenständigen Beitrag, um den erleichterten Zugang zur postali­ schen Grundversorgung selbst im Falle einer effizienten Versorgungslage zu optimieren. Die Auferlegung besonderer Gemeinwohllasten bietet so­ mit einen belastbaren Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung unter rein marktwirtschaftlich konkurrierenden Leistungsangeboten5.

1 Siehe hierzu Teil 3 E.IV.2.d). 2 Siehe zuletzt FG Köln N&R 2015, 254 (255). 3 Dies ist nicht aufgeklärt, vgl. BMK, Sondergutachten 2015, S. 76. 4 Bei der Ausgleichsbemessung bleibt die Umsatzsteuerbefreiung im Übrigen als Ent­ lastungsfaktor zu berücksichtigen, vgl. ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, S. 1 ff. 5 Siehe zu diesem Ansatz auch schon früher mit Blick auf die rein national geregelte Postdienstbefreiung von der Heyden, Einbeziehung der DBP in die MwStPfl, 1971, S. 166.

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

dd) Vorteile der Steuerpflichtigkeit Der volle Vorsteuerabzug verschafft nicht befreiten Anbietern derzeit Vorteile im vorsteuerberechtigten Geschäftskundensegment. Die befrei­ te Einrichtung muss demgegenüber die Vorsteuerlasten zusätzlich tragen und sieht sich mittelbaren Nachteilen ausgesetzt, die durch Effizienzver­ luste wegen einer erschwerten Auslagerung von Hilfsleistungen sowie das komplizierte System von Vorsteuerabrechnungen bedingt sind. Auf diese Weise wird die Vorteilhaftigkeit der vorzugsweisen Umsatzsteuer­ positionierung verpflichteter Grundversorger gemindert, während Kon­ kurrenten ein spezifisches Geschäftsfeld zu verbesserten Konditionen überlassen bleibt. Die unechte Befreiung wirkt eben zweischneidig gera­ de dann, wenn die erfassten Umsätze auch unternehmerischer Nachfrage unterliegen. Dieser Aspekt trägt somit zu einer stärker ausgewogenen Entlastung bei und ist ein weiterer Grund dafür, weshalb gerade auf mas­ senhafte Geschäftspost spezialisierte Anbieter gar kein Interesse an der eigenen Befreiung hegen. ee) Polyvalente Zutrittsbarrieren Unbestreitbar verschärft die Umsatzsteuerbefreiung in bestimmten Marktsegmenten die Bedingungen, zu denen sich neue Anbieter gegen­ über den ehemaligen Monopolbetrieben etablieren müssen. Fraglich ist allerdings, wie schwer dieser Faktor mit Blick auf den gesamten EURaum tatsächlich wiegt. Steuerpflichtige Anbieter wie öffentliche Insti­ tutionen machen Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL nach wie vor als Hauptgrund dafür verantwortlich, warum die postsektorale Wettbewerbs­ entwicklung bisweilen nur schleppend voranschreitet1. Erheblich relativiert wurde diese Annahme aber zuletzt am Beispiel Bel­ giens, wo einem rigiden Lizenzsystem mit hohen Auflagen für die erlaub­ te Ausführung von Universaldiensten zur Abschirmung des verpflichte­ ten Grundversorgers bpost weitaus größere Bedeutung zugemessen wird2. Eine wichtige Rolle spielen überdies in vielen Mitgliedstaaten stetig wie­ derkehrende Verfahren der Kommission, die sich mit einer mög­lichen Rückerstattung zu Unrecht gewährter Direktsubventionen von zum Teil ganz erheblicher Dimension befassen3. Auch setzte sich ehemals Postcomm in seiner großangelegten Studie aus dem Jahre 2004 mit einer ganzen Reihe rechtlicher Sonderprivilegien in verschiedenen Bereichen auseinander, die zugunsten von Royal Mail im Vereinigten Königreich vergeben werden. Dazu zählen beispielsweise vereinfachte Verzollungs1 Vgl. Postcomm, A Review of Royal Mail’s Special Privileges, 2004, Rz S.8; Seely, VAT on postal services, 2013, S. 6. 2 Siehe dazu WIK-Consult, Review of the potsal market, 2015, S. 22 ff mwN. 3 Siehe z.B. Handelsblatt v. 18.09.2015, „Post gewinnt gegen EU-Kommission“.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

und Sicherheitsmaßnahmen im internationalen Paketverkehr, die aus­ schließlich verpflichteten Universaldienstleistern eröffnet sind1. Vor ­diesem Hintergrund darf nicht ignoriert werden, welche nationalen Vor­ schriften, die sonstige Steuerverschonungen außerhalb der Umsatzsteuer einschließen können2, im Übrigen noch einen veritablen Beitrag zur Un­ terminierung gleicher Wettbewerbschancen trotz formaler Marktöffnung leisten. Vielerorts bestehen regulatorische Hindernisse vornehmlich zur Konsolidierung des nationalen Grundversorgers gegen eine grenzüber­ schreitende Infiltration fort, so dass der häufig anzutreffende Terminus einer vollständigen Liberalisierung im Postsektor auch eher irreführt denn erhellt. Mag die umsatzsteuerliche Befreiung von Postdiensten si­ cherlich keinen irrelevanten Faktor darstellen, entfaltet sie ihre belas­ tende Wirkung dennoch nicht gerade selten im Verbund mit an­der­en gleichsam spürbaren Maßnahmen zum Vorteil des betrauten Grundver­ sorgers. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Umstand, dass die Befreiung sich im Verhältnis zu Massenversendern mit entsprechend gewährten Son­ derkonditionen nicht auswirkt, weil derartige Umsätze außerhalb einer Allgemeinversorgung der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Insbesondere in Deutschland erfährt die DPAG derzeit einen harten Konkurrenzkampf zu alternativen Briefzustellern im Geschäft der Massenpostsendungen, nachdem sie anfänglich nach ihrer letzten Portoerhöhung noch gewährte Rabatte schrittweise zurückgeführt hat3. c) Unsicherer Entlastungseffekt Infrage gestellt wird die angemessene Ziel-Wirkungs-Relation schließ­ lich nicht in Anbetracht des Umstands, dass die befreiungsrechtliche Ungleichbehandlung eine gewisse Folge markiert, hingegen der tatsäch­ liche Entlastungseffekt nicht mit absoluter Sicherheit verifiziert ist. Be­ wegt sich eine schwerwiegende Eingriffsmaßnahme im äußeren Grenz­ bereich der legislativen Einschätzungsprärogative, können funktionell begründete Zweifel durchaus den entscheidenden Ausschlag für ein Ne­ gativattest innerhalb der Rechtfertigungsprüfung geben. Die postalische Befreiung sieht sich unterdessen durch die primärrechtliche Grundwer­ tung in Art. 14 Satz 1 AEUV umfassend gedeckt, zudem ist ihre Wirk­ samkeit nicht in solch hohem Maße mit Unsicherheit behaftet, als dass eine andere Einsicht zwingend geboten wäre. Erstens stützen nämlich die bislang verfügbaren Untersuchungen tendenziell das Erreichen einer 1 Haucap, Wettbewerb im Postmarkt, 2016, S. 24. 2 Exemplarisch COM v. 25.01.2012, SA.14588 (C 20/2009), S. 11. 3 Siehe dazu F.A.Z. v. 08.12.2016, Der Deutschen Post laufen die Großkunden davon, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/der-deu­tschen-post-laufen-diegrosskunden-davon-14565157.html (zuletzt abgerufen am 21.07.2017).

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A.  Entfall der Regelsteuerpflicht

steuerlichen Entlastung trotz Vorsteuerausschluss. Des Weiteren ver­ pflichtet Art. 12 PostRL die Mitglied­staaten für kostenorientierte Entgel­ te Sorge zu tragen, so dass aus gesetzgeberischer Sicht ein verlässlicher Überwälzungsparameter gegeben ist. 3. Exklusiver Befreiungszuschnitt Von erhöhter Eingriffsintensität zeugt die Befreiung, sollte sie, wie in der weit überwiegenden Mehrzahl der Mitgliedstaaten üblich, einen exklusi­ ven Zuschnitt zugunsten des hoheitlich designierten Dienstleisters er­ fahren. De facto hat unterdessen auch die deutsche Konzeption einer freiwilligen Selbstverpflichtung bislang keinerlei faktische Veränderung gegenüber der früheren Rechtslage gebracht; dies nicht allein deshalb, weil Alternativanbieter die geforderte Versorgungslast nicht erfüllen könnten, sondern eben auch mangels vorhandener Bereitschaft, ihre ­rentable Dispositionsfreiheit wie auch den uneingeschränkten Vorsteu­ erabzug aufzugeben. So gesehen tritt die subjektiv-exklusive Umset­ zungsmöglichkeit der Richtlinienvorgabe bereits mit einer durch­aus ab­ gemilderten Strenge in Erscheinung. Darüber hinaus gilt es für die Angemessenheit noch die befreiungsrecht­ liche Einbettung in den regulierungsspezifischen Kontext hinreichend zu berücksichtigen. Gemessen an der EuGH-Rechtsprechung inkorporiert Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL den ordnungsrechtlich vordefinier­ ten Verpflichtungsstatus, an welchen die Freistellungswirkung unmittel­ bar verbindlich anknüpft. Die normative Brücke schlägt insoweit das Merkmal der öffentlichen Posteinrichtung, in dessen Interpretation sich die unterschiedlichen Organisationsformen der staatlicherseits abzusi­ chernden Grundversorgung widerspiegeln. Den Mitgliedstaaten geste­ hen Art. 4 ff PostRL diesbezüglich sehr weitgehende Freiheiten zu1, in­ dem diese sowohl einen Einzelanbieter als auch mehrere Unternehmer nach Art einer sowohl sachlich als auch regional übergreifenden Koope­ rative betrauen dürfen. Obgleich die – eventuell sogar nur vorbehaltswei­ se – verhängte Verpflichtung eines einzigen Anbieters eine größere Belas­ tung bedeutet und daher strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen unterliegt2, hat sich dieses Modell dank zweier Vorzüge unionsweit ohne ersichtliche Beanstandung durchsetzen können. Einerseits ist nämlich die Überwachung und Kontrolle der effektiven Grundversorgung durch einen einzeln ausgewählten Anbieter sehr viel leichter zu bewerkstelli­ gen, als dies bei einer mehrpoligen Lastenzuteilung der Fall wäre. Zum Zweiten beugt die flächendeckende Versorgung mittels eines einheitlich 1 Siehe auch Reinbothe/Hentschel/Pochmarski, in: G/G/K/L, Postrecht, 2014, Kap. C Rn 22. 2 Vgl. Art. 4 Abs. 2 PostRL.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

bereitgestellten Netzes dem unerwünschten Effekt vor, dass sich eine Mehrzahl parallel verpflichteter Anbieter zur Errichtung überschüssiger und damit wirtschaftlich ineffizienter Infrastrukturkapazitäten veran­ lasst sieht1. Den geeigneten Hebel, um diese regulativ berechtigten Anliegen steuer­ spezifisch zu disziplinieren, bietet das Verdienstprinzip, bei dem es sich um einen allgemein anerkannten Maßstab zur Bestimmung des im Lich­ te des Förderzwecks jeweils begünstigungswürdigen Personenkreises handelt2. Entlastet werden soll durch die Befreiung zwar primär der Ver­ braucher, allerdings ist die flächendeckende Grundversorgung als sekun­ därrechtlich vorherbestimmter Gemeinwohlbelang allein intermediär durch Adressierung der öffentlichen Posteinrichtung förderfähig. Von der umsatzsteuer­lichen Warte aus gesehen ist es deshalb legitim, falls aus­ schließlich der verpflichtete Anbieter innerhalb eines Mitgliedstaates mit seinen Umsätzen befreit wird, umgekehrt aber nach Maßgabe des ebenfalls harmonisierten Postordnungsrechts gerade kein zwingender Anlass besteht, den förderwürdigen Status einer unbegrenzten Anbieter­ zahl zu eröffnen3. Aus dem interdisziplinären Zusammenspiel beider Normregime folgt daher im Ergebnis, dass auch die Möglichkeit einer singulären Befreiungsstellung weder widersprüchlich ausfällt noch außer Verhältnis gegenüber dem verfolgten Gemeinwohlbelang steht.

B. Ausschluss des Vorsteuerabzugs Zu einem de facto systematischen Bestandteil innerstaatlicher Befreiun­ gen verklärt das mehrwertsteuerspezifische Sekundärrecht den Aus­ schluss vom Vorsteuerabzug4, dessen Mechanismus die Bedingung einer vollständigen Freistellung des Ausgangsumsatzes hin zu einer imperfek­ ten Steuerverschonung modifiziert. Nähert man sich der Vorsteuerthe­ matik im historischen Kontext der sukzessive intensivierten Harmoni­ sierung, so werden unterschiedliche Begründungsansätze gewahr, die eine offenbar und zudem richtigerweise für notwendig befundene Recht­ fertigung dieses verkappten Fortsatzes einer Bruttoallphasenbesteuerung liefern sollten5. In ihrer einleitenden Erläuterung zum Vorschlag der 2. MwStRL (RL 228/67/EWG) verfiel die Kommission auf das Argument, 1 So z.B. zum österreichischen Postrecht Materialien 319 der Beilagen XXIV, S. 8. 2 Siehe dazu Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 3 Rn 135. 3 Dies folgt im Umkehrschluss aus Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 Spiegelstrich 1 PostRL, wo­ nach Genehmigungen nur im Falle von nach Art. 4 benannten Unternehmen nicht zahlenmäßig begrenzt werden dürfen. 4 Vgl. schon die klare Formulierung gemäß Art. 11 Abs. 2 RL 228/67/EWG. 5 Eine Systemabweichung aber abl. EuGH, Rs. C-174/08, NCC Construction, Slg. 2009, I‑10567 Rn 40 ff; de la Feria, The EU VAT System, 2009, S. 142 ff; Stadie, in: DStJG 32 (2009), S. 143 (151).

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B.  Ausschluss des Vorsteuerabzugs

wonach die Mitgliedstaaten bei Zulassung des Vorsteuerabzugs einen zu hohen Verwaltungsaufwand für ständige Rückerstattungen an befreite Unternehmer zu bewältigen hätten1. Der deutsche Gesetzgeber berief sich ergänzend auf einen verkehrsteuerteleologisch inspirierten Aspekt: Ein Unternehmer, der durch seine Umsätze nicht zum Steueraufkom­ men beiträgt, dürfe auch keine ständige Entlastung bezüglich der von anderen Unternehmern steuerpflichtig erbrachten Umsätze erhalten2. Nahezu wortidentisch übernahm der österreichische Gesetzgeber diese Passage später in seine Begründung zum UStG-Ö 19723. Zu überzeugen vermag diese Überlegung jedoch nicht. Sie blendet nicht nur die finanzi­ elle Belastungswirklichkeit angesichts einer erwartbaren Steuerschuld­ überwälzung völlig aus, sondern widerspricht geradewegs dem Umstand, dass die materielle Umsatzsteuercharakteristik mittlerweile völlig zu Recht mit derjenigen einer allgemeinen Verbrauchsteuer identifiziert wird4. Der wahre Beweggrund für den Vorsteuerausschluss dürfte auf europäi­ scher Ebene denn auch vielmehr darin zu erkennen sein, dass schlicht­ weg die Mitgliedstaaten zu grobe Fiskaleinbußen infolge echter Befreiun­ gen befürchteten. Entsprechend sorgte sich die Kommission um die erforderliche Einstimmigkeit im Rat. Als nicht minder gravierend wurde sicherlich eine drohende Inakzeptanz des Harmonisierungsprojekts von­ seiten der Wirtschaft und Verbraucher empfunden, wäre der Regelsatz kompensatorisch angehoben worden. Aus gesetzgeberischer Sicht bildet es zunächst ein absolut legitimes Anliegen, die außerhalb des Existenz­ minimums angesiedelte Verschonung bestimmter Konsumaufwendun­ gen der Höhe nach zu begrenzen. Die entscheidende Frage lautet aber, ob sich eine unechte Befreiung als für diese Zwecksetzung vertretbare Lö­ sung erweist in Anbetracht der gleichheitsrechtlichen Friktionen, die der Vorsteuerausschluss für Unternehmer und damit spiegelbildlich auf Ver­ braucherebene auslöst. Im Kern dringt diese Sichtweise zu dem Konflikt vor, inwieweit ermäßigte Steuersätze ein aus primärrechtlicher Sicht verbindlich vorzugswürdiges Instrument darstellen. Schon seit Länge­ rem bricht sich im Schrifttum richtigerweise die Erkenntnis Bahn, dass der Vorsteuerausschluss unter Berücksichtigung des spezi­fischen Befrei­ ungszwecks differenzierter Bewertung bedarf5. Dabei sind insbesondere 1 Siehe Document IV/COM(65) 144; abl. dazu Lyal, in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, 93 (98). 2 BReg, BT-Drucks. IV/1590 v. 30.10.1963, S. 26. 3 Siehe 145 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII GP, S. 23; billigend VfGH G 183/84, Slg. 10.405. 4 Krit. auch Kirchhof, Umsatzsteuergesetzbuch, 2008, § 11 Rn 56. 5 Siehe bereits Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (460 f); ebenso Englisch, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 209; ders., in: de la Feria, VAT Exemptions, 2013, S. 37 (87).

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

die tatbestandlich gestaltete Struktur und die durch sie bedingte Wir­ kungsweise zu würdigen. Im Rahmen der vorstehend unter A. gemach­ ten Ausführungen bezüglich der Freistellung von Ausgangsumsätzen wurde bereits mehrfach der Vorsteuerausschluss referiert, da dieser Me­ chanismus unweigerlich die Prüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer unechten Befreiung beeinflusst. Nachfolgend sollen die in dieser Untersuchung bereits anklingenden Erkenntnisse über eine mögliche Legitimierung des Vorsteuerausschlusses und damit der unechten Befreiungskonzeption insgesamt zusammenfassend erläu­ tert werden.

I. Technische Befreiungen als Vereinfachungszwecknormen Werden Befreiungen aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität imple­ mentiert, kommt als Alternative zur unechten Freistellung der betreffen­ den Kategorie von Ausgangsumsätzen allein eine echte Befreiung in Be­ tracht1. Dem Gesetzgeber geht es in diesem Falle nicht um eine wirkliche Entlastung der Verbraucher oder des ausführenden Unternehmers, statt­ dessen wird gewissermaßen eine Kapitulation angesichts solcher Erhe­ bungsschwierigkeiten erklärt, die als nicht oder allenfalls nur unter un­ zumutbarem Aufwand lösbar eingestuft worden sind. Eine durch die verdeckte Vorsteuerüberwälzung bedingte Eingangsbesteuerung der ent­ sprechenden Konsumaufwendungen eignet sich rein rechtlich betrachtet nicht für eine folgerichtige Verwirklichung des harmonisierten Ver­ brauchsteuersystems. Wie bereits dargelegt wurde, entsteht die Steuer abweichend zum Regelfall nicht auf der Endstufe, was zu der noch gra­ vierenderen Folge führt, dass die Belastungshöhe sowohl intransparent als auch willkürlich je nach betrieblicher Struktur des leistenden Unter­ nehmers und der Nachfrageelastizität ausfällt. Trotz dieser negativen Implikationen genießt der Vorsteuerausschluss bei befreiungsrechtlichen Vereinfachungszwecknormen überwiegend Akzeptanz, da bei wirtschaftlicher Betrachtung zumindest noch eine ge­ wisse Steuerbelastung eintritt und der Gesetzgeber nicht gezwungen sein soll, auf jedwedes Aufkommen gänzlich zu verzichten2. Auf diese Weise wird anders als bei echten Freistellungen respektive Nullsätzen die finanzielle Verantwortungsstellung des Verbrauchers gegenüber dem Gemeinwesen nicht völlig unterbrochen. Auch bleibt nicht eindeutig be­ 1 Siehe hierzu vorstehend A.III.2.a). 2 So James, Rise of the Value-Added Tax, 2015, S. 53; Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (464); Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 17 Rn 209 a.E.; Ebrill/Keen/ Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 90; wohl auch Cnossen, International Tax and Public Finance 1998, 399 (405); abw. Heidemann, Finanzdienstleistungen, 2008, S. 174 ff; Hoffsümmer, Steuerbefreiungen, 2008, S. 147.

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B.  Ausschluss des Vorsteuerabzugs

legt, dass die um weitere Abgrenzungsfragen erhöhte Systemkomplexität mit daran anknüpfenden Befolgungslasten den intendierten Vereinfa­ chungszweck pauschal konterkariert. Insgesamt bewegt sich der Gesetz­ geber insoweit trotz der neutralitätsspezifischen Bedenken noch im Rah­ men des primärrechtlich Vertretbaren. Umso mehr Beachtung muss unterdessen dem Umstand gewidmet werden, inwiefern die technischen Erhebungsschwierigkeiten tatsächlich von solchem Gewicht sind, dass sie die befreiungsbedingte Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprin­ zips rechtfertigen. Demnach fließen die neutralitätswidrigen Verwerfun­ gen einer Eingangsbesteuerung in die Verhältnismäßigkeitsabwägung ein mit der Folge, dass sich der Gesetzgeber, wenn er denn schon nicht bereit zum Verzicht auf ein restliches Aufkommen ist, so doch insbesondere mit modernen Weiterentwicklungen in der Besteuerungsmethodik und dem hierdurch sukzessive verschärften Druck in Richtung einer Regel­ besteuerung auseinanderzusetzen hat. Anders formuliert liefert die Ein­ gangsbesteuerung keinen Grund, um die strikten Anforderungen an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung von unechten Befreiungen als Vereinfa­ chungszwecknormen abzumildern.

II. Gesteigerte Wettbewerbsverträglichkeit Beim Unternehmer handelt es sich nicht um den umsatzsteuerlich avi­ sierten Belastungsträger, sehr wohl aber bildet er in seiner Eigenschaft als Schuldner das formale Anknüpfungssubjekt im Rahmen der indirekten Erhebungstechnik. Dieses einbindende Rollenverständnis reflektiert bis­ weilen auch der Mechanismus des Vorsteuerausschlusses, unter dessen Regie nicht allein das fiskalische Aufkommen geschont, sondern legiti­ merweise auch eine verbesserte Wettbewerbsparität innerhalb bestimm­ ter Konstellationen aufrechterhalten werden kann. 1. Gleichstellung der Angebotsbedingungen Unechte Befreiungen tragen wirtschaftlich gesehen dieselbe Wirkung, wie sie vom gänzlichen Steuerbarkeitsausschluss eines Anbieters belie­ biger Leistungen ausgeht. Diese Überschneidung kann genutzt werden, damit im Verhältnis zwischen Unternehmern und sonstigen Einrichtun­ gen ohne derartigen Status gleichförmige Rahmenbedingungen gewähr­ leistet sind. Eine solche Konstellation begegnet etwa mit Blick auf öf­ fentliche Einrichtungen, sofern substituierbare Waren oder Leistungen ebenfalls durch Private angeboten werden1. Entsprechend bezieht sich die Mehrzahl der Tatbestände in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL auf öffent­ 1 Auf Praktikabilitätserwägungen abstellend Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Mo­ dern VAT, 2001, S. 90.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

liche Einrichtungen, wobei dem Neu­tralitätsprinzip gemäß zugleich pri­ vate Einrichtungen, zu denen auch natürliche Personen zählen können, unter bestimmten Bedingungen erfasst sind. Es spielt insofern keine Rol­ le, welcher äußeren Handlungsform sich eine öffentlich-rechtlich ver­ fasste Körperschaft bedient und ob sie demnach in steuerbarer Weise ­operiert oder nicht1. Aus diesem Blickwinkel wird deutlich, dass die Ab­ schaffung unechter Befreiungen zugunsten der Neutralität nicht ohne gleichzeitige Abstimmung mit den Vorgaben über die Besteuerung der öffentlichen Hand in Art. 13 MwStSystRL vonstattengehen könnte. In ähnlicher Weise wird die wettbewerbliche Parität aus umsatzsteuerli­ cher Sicht virulent, sofern beispielsweise Vermögens- oder Kapitalanla­ gen wie auch Grundstücke nicht nur durch Unternehmer, sondern eben­ so in bedeutendem Umfange von Nichtunternehmern gehandelt werden2. Nicht zum Vorsteuerabzug befugte Bezieher derartiger Güter könn­ ten sich infolge preiswirksamer Belastungsgefälle veranlasst sehen, die gewünschte Lieferung oder sonstige Leistung von nicht unternehme­ rischen Anbietern zu günstigeren Konditionen nachzufragen. Hinsicht­ lich grundstücksbezogener Transaktionen eröffnet Art. 12 Abs. 1 MwSt­ SystRL unterdessen auch eine umgekehrte Abhilfemöglichkeit, indem die Mitgliedstaaten nur gelegentlich auftretende Veräußerer rechtlich wie Steuerpflichtige behandeln dürfen. 2. Subjektive Befreiungen im Unternehmerinteresse Eine differenzierte Wertung verlangt der Vorsteuerausschluss innerhalb der Kategorie rein subjektiv wirksamer Befreiungstatbestände, zu denen nach dem derzeitigen Harmonisierungsstand neben dem zugelassenen Blindenprivileg als prominentestes Beispiel auch die Kleinunternehmer­ regelung gezählt werden muss. Gemeinsam ist diesen Regelungen, dass die Freistellung ohne Ansehung des objektiv erbrachten Umsatzes einge­ räumt wird, in erster Linie also der ausführende Unternehmer das Motiv für die Begünstigung bietet. Der Vorsteuerausschluss begrenzt insofern die Subvention auf die eigens generierte Wertschöpfung, woran bereits vereinzelt dessen legitime Rechtfertigung festgemacht wird3. Die These einer wertschöpfungsgebundenen Subventionshöhe durch subjektive Befreiungen bleibt indes unter reinen Begrenzungsgesichts­ 1 Konterkariert wird dieser Effekt freilich durch gezielte Refundsysteme zugunsten ausgewählter Leistungsträger, die jedoch mit den primärrechtlichen Beihilfenvorga­ ben gemäß Art. 107 ff AEUV vereinbar sein müssen. 2 Vgl. dazu Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (465 f), der in der wirtschaftlichen Gleich­ stellung einen ausschlaggebenden Grund für die Befreiung von Grundstücksgeschäf­ ten sieht. 3 So Ruppe, in: FS Tipke, 1995, S. 457 (468).

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B.  Ausschluss des Vorsteuerabzugs

punkten durchaus angreifbar, denn eine reduzierte und vor allem nicht willkürlich ausfallende Förderung wäre mithilfe eines ermäßigten Steu­ ersatzes unter geringeren Friktionen erreichbar. Auch trägt der Vorsteu­ erausschluss insofern nicht dazu bei, den Grad der gegenüber steuer­ pflichtigen Anbietern gestörten Wettbewerbsparität im Vergleich zu echten Befrei­ungen oder ermäßigten Steuersätzen spürbar abzubauen. Zum einen ist die Vorsteuerbelastung ohne tatbestandlichen Bezug zu den objektiv ausgeführten Umsätzen gänzlich ungewiss, weshalb die ­unechte Befreiung je nach Unternehmer und dessen betrieblicher Struk­ tur durchaus zu einer Art Nullsatzbesteuerung mit forcierten Markt­ verzerrungen avancieren kann. Zum anderen genießen Blinde gerade mit Blick auf ihre vorsteuerberechtigten Geschäftskunden gemäß § 9 Abs. 1 UStG eine Optionsmöglichkeit gegen den eigenen Vorsteuerausschluss, so dass einer Schlechterstellung im Verhältnis zu steuerpflichtigen Kon­ kurrenten effektiv vorgebeugt werden kann1. Eine Sonderstellung nimmt unterdessen die Kleinunternehmerregelung ein, deren Gewähr in erster Linie Vereinfachungszwecken dient und durch einen ermäßigten Steuersatz nicht gleichsam effektiv ersetzt wer­ den könnte2. Diesbezüglich gelten die vorstehend unter I. dargelegten Überlegungen entsprechend. Zusätzlich kann für den Vorsteueraus­ schluss der Aspekt einer Gleichbehandlung von Klein- im Verhältnis zu Nichtunternehmern angeführt werden, allerdings nur unter dem Vorbe­ halt, dass keine gegenteilige Option etwa nach Maßgabe von § 19 Abs. 2 UStG ausgeübt wird. 3. Konsequenz für die Postdienstbefreiung Hinsichtlich Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL lässt sich die Legitimität des Vorsteuerausschlusses anhand der Erforderlichkeitsbetrachtung ab­ leiten, die bereits mit Bezug auf echte Befreiungen wie auch nominel­ le Steuersatzreduktionen als alternative Verschonungsansätze durchge­ führt wurde3. Die unechte Postdienstexemtion zeichnet sich demnach durch zwei besondere Wesenszüge aus, unter deren Bedingung der Vor­ steuerausschluss eine insgesamt abgeschwächte Wettbewerbsdisparität aus Sicht steuerpflichtiger Konkurrenzanbieter begünstigt. Ebenso wie eine rein subjektive Befreiung missachtet die Freistellung von Leistun­ gen und dazugehörigen Lieferungen allein durch eine öffentliche Post­ einrichtung die Neutralität unter substituierbaren Gütern am Markt. Zweitens bietet der befreite Dienstleister seine Umsätze auch vorsteuer­ 1 Freilich werden so auch Bedenken gegen die Geeignetheit des Förderungseffekts zugun­sten Blinder aufgewogen, sofern diese die jeweils optimale Behandlung ihrer Umsätze je nach Vorsteuervolumen und Kundenstellung variieren können. 2 Ebrill/Keen/Bodin/Summers, The Modern VAT, 2001, S. 90. 3 Siehe ausf. hierzu vorstehend A.III.1. und 2.

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6. Teil:  Verhältnismäßigkeit unechter ­Umsatzsteuer­befreiungen

berechtigten Geschäftskunden gegenüber an. Hinzu kommt noch, dass anders als bei den vorausgehend unter 2. behandelten Befreiungen der Grundversorger nicht optieren kann1; ferner findet eine objektive Ein­ grenzung auf bestimmte Postumsätze statt. In dieser speziellen Situation wird dem eindeutigen Befreiungsvorteil in­ nerhalb der nicht vorsteuerbefugten Kundensegmente die Benachteili­ gung gegenübergestellt, die sich im Verhältnis zu unternehmerischer Nachfrage aus den zusätzlichen Vorsteuerlasten ergibt. Diese Vorgehens­ weise erlaubt nicht allein, die Begünstigung rein quantitativ nach Art eines ermäßigten Steuersatzes herabzusetzen, sondern ermöglicht darü­ ber hinaus, dass die Verschonung strukturell in Anbetracht unterschied­ licher Marktlagen variiert. Die Gefahr dieses zugegebenermaßen intrans­ parent anmutenden An­satzes eines gegenläufigen Befreiungseffekts liegt freilich darin begründet, dass die intendierte Entlastung nicht durch die nachteilige Stellung des Grundversorgers gegenüber Unternehmerkun­ den konterkariert werden darf. Solange jedoch der Gesetzgeber seine Prärogative wahrt, bewegt sich die vorzugsweise Verwehrung des Vor­ steuerabzugs noch im Rahmen des primärrrechtlich Vertretbaren. In diesem Zusammenhang bedarf es noch des abschließenden Hinweises, dass die Negativeffekte aufgrund nicht abzugsfähiger Vorsteuern im Rah­ men der einem Einzelanbieter vorbehaltenen Befreiung sehr viel weniger schwerwiegend ausfallen, was die Willkürlichkeit sowohl des Entlas­ tungsfaktors als auch der preisinduktiven Konsumbelastung anbelangt. Diese Problematik stellt sich naturgemäß ein, sobald mehrere unecht befreite Unternehmer am Markt mit unterschiedlichen Vorsteuervolu­ mina konkurrieren müssen. Sollte sich allerdings je Mitgliedstaat nur ein – zumindest rechtsfaktisch – verpflichteter Versorger als öffentliche Posteinrichtung qualifizieren (können), realisiert sich eine unternehmer­ spezifisch variierende Entlastungshöhe von vornher­ein nicht2. Umge­ kehrt kommt für Verbraucher ausschließlich die Wahlmöglichkeit in Betracht, ihre universaldiensttypischen Sendungen zu einem vorsteuer­ belasteten Entgelt gegenüber dem Grundversorger oder aber einem alter­ nativen Anbieter mit in aller Regel überwälzter Steuerschuld in Auftrag zu geben.

1 Auch nach § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG kann die DPAG nicht über ihren öffentlichen Einrichtungsstatus disponieren, siehe hierzu Teil 3 E.IV.2.c)aa). 2 Die DPAG etwa befördert Universaldienstsendungen bundesweit zu Einheitstarifen, die Art. 12 PostRL auch ausdrücklich vorsieht.

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C. Ergebnis

C. Ergebnis Die verbindliche Vorgabe zur unechten Befreiung postalischer Univer­ saldienstumsätze wahrt die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit und bildet somit einen primärrechtlich legitimen Bestandteil des harmo­ nisierten Mehrwertsteuersystems. Es besteht folglich keine rechtlich zwingende Handhabe, wonach der Gesetzgeber gezwungen sein könnte, auf die unechte Freistellung gänzlich verzichten oder diese durch alter­ native Formen möglicher Verschonung ersetzen zu müssen. Dieses Er­ gebnis scheint sich gleichfalls mit der Rechtsprechung des EuGH zu de­ cken, der bislang nicht nur keinerlei Anstoß an der Wirksamkeit von Art. 132 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL genommen, sondern im Lichte der optional zugelassenen Verpflichtungsmechanismen auch auf eine stärker am Gedanken der Marktöffnung orientierte Auslegung des Merkmals „öffentliche Posteinrichtung“ verzichtet hat. Weitgehend leer läuft in Anbetracht hoheitlich designierter Versorger die objektiv vermeintlich gewährte Erleichterung, wonach bereits die flächendeckende Ausfüh­ rung eines sachlich geschlossenen Teils von Universaldiensten iSv Art. 3 PostRL für die Steuerfreiheit genügt.

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Schlussbetrachtung Die umsatzsteuerliche Befreiung von Postdienstleistungen bietet ein gu­ tes Beispiel dafür, mit welcher Komplexität eine exakte Bewertung der wirtschaftlichen Auswir­ kungen entsprechender Maßnahmen behaftet sein kann. Seit ihrer gemeinschaftsrechtlich verbindlichen Einführung vor bald 50 Jahren sind bereits zahlreiche Wirkungszusammenhänge der vorsteuerabzugsbasierten Allphasennettosteuer Gegenstand eingehender Forschung gewesen. Als gleichwohl schwierig gestaltet sich die Quanti­ fizierung dem Grunde nach geläufiger Effekte, was nicht zuletzt mit Blick auf den Vorsteuerausschluss im Rahmen unechter Befreiungen zu­ trifft. Rein politisch gesehen mögen sicherlich gute Gründe angeführt werden, weshalb eine postsektorale Freistellung verzichtbar erscheint, zumal diese neben Art. 7 PostRL nicht die primäre Ab­ sicherung ge­ genüber einer im Wettbewerb funktionierenden Grundversorgung über­ nehmen kann. In gleicher Weise gilt die Prämisse einer möglichst breit aufgestellten Umsatzbesteuerung angesichts sonstiger Verschonungstat­ bestände einschließlich dem Schutz des Existenzminimums, hat sich doch mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, dass die indirekt erhobene Umsatzsteuer nicht gerade für eine zielgenaue För­derung bestimmter Gemeinwohlbelange prädestiniert ist und das System gleichwohl emp­ findliche Verkomplizierungen erleidet. Von dieser Empfehlung zu opportuner Steuergestaltung abzuschichten gilt es freilich den primärrechtlich bestellten Handlungsraum zugunsten des Gesetzgebers. Wie die exemplarische Betrachtung der Postdienstbe­ freiung zeigt, genießt der Unionsgesetzgeber nach Maßgabe des Primär­ rechts sowohl bei der Definition gemeinwohlrelevanter Ziele als auch der Auswahl eingesetzter Fördermittel ein beachtliches Ermessen. Auch der gerade von deutscher Seite aus oftmals gescholtene EuGH sieht sich insoweit vor die besondere Herausforderung gestellt, zum Teil sehr un­ terschiedliche Verfassungstraditionen der (noch) 28 Mitgliedstaaten in seiner Jurisdiktion angemessen zu repräsentieren. Wie so häufig in wirt­ schaftlich komplexen Regelungszusammenhängen ist es nicht Aufgabe der verfassungsrechtlichen oder gar richterlichen Diktion, den Gesetzge­ ber außerhalb absoluter Grenzlinien vor vermeintlich unvernünftigen Entscheidungen zu bewahren. Kritisch hinterfragt werden muss aber sehr wohl, warum anstelle der unechten Befreiungen pauschal auf den Einsatz ermäßigter Steuersätze verzichtet wird. Solange aber der EuGH das Neutralitätsprinzip nicht primärrechtlich unterlegt, bleibt eine Ver­ änderung des Status quo dem Wege einer sekundärrechtlichen Reform überantwortet. Vor beinahe 40 Jahren sah sich die Kommission politisch gezwungen, entgegen anderslautender Bekundungen einen breit gefä­ cherten Katalog innerstaatlicher Befreiungen in die RL 77/388/EWG auf­ 463

Schlussbetrachtung 

zunehmen1. Sie beging diese bisweilen als „Erbsünde“ apostrophierte Entscheidung nicht als Überzeugungstäterin, seither zeigt sie sich um eine Revision bemüht. Genügend Anschauungs­material für alternative Gestaltungen liefern modern aufgelegte Versionen des europä­ischen Um­ satzsteuerrechts, nachdem Staaten wie beispielsweise Kanada, Australi­ en oder Neuseeland aus den Fehlentwicklungen der Vergangenheit ler­ nen konnten. Für die zukünftige Ausformung der Mehrwertsteuer in Europa kommt es allein auf einen gemeinsam gebildeten Reformwillen unter den Mitgliedstaaten an. Ein berühmtes Zitat kennzeichnet aller­ dings nur allzu eindringlich das Dilemma der Kommission: „Die ich rief, die Geister werd’ ich nun nicht los.“

1 Ein nachdrückliches Beispiel für das Beharrungsvermögen einmal etablierter Befrei­ ungen auf nationaler Ebene lieferte zuletzt EuGH, Rs. C‑543/14, Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a., ECLI:EU:C:2016:605, wo es um die (bejahte) Vereinbarkeit der Abschaffung der nach Art. 371 MwStSystRL für Belgien gestatte­ ten Befreiung von Rechtsanwaltsleistungen zum 01.01.2014 mit dem Recht auf rechtlichen Beistand ging.

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Materialien

Copenhagen Economics, Study on reduced VAT applied to goods and ser­ vices in the Member States of the European Union, Final Report vom 21.06.2007. Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Ein einheitlicher Mehrwertsteu­ ersatz ist ungerecht!, Klartext Nr. 17/2014 vom 28. Mai 2014. ders., Stellungnahme zum „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steu­ erlicher EU-Vorschriften sowie zur Änderung steuerlicher Vorschrif­ ten“ – BT‑Drucksache 17/506 und den ergänzenden Umdrucken/For­ mulierungshilfen Nummern 1 bis 3 der Fraktionen von CDU/CSU und FDP vom 05.02.2010. Deutsche Post AG, Öffentliche Anhörung durch den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Um­ setzung steuerlicher EU-Vorschriften sowie zur Änderung steuerli­ cher Vorschriften – Drucksache 17/506 – vom 09.02.2010 (zitiert: DPAG, Stellungnahme v. 09.02.2010). Deutsche Steuer-Gewerkschaft, Stellungnahme zu einem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Ände­ rung steuerlicher Vorschriften – Bundestagsdrucksache 17/506, 2010. Ditl, Helmut / Jaag, Christian / Lang, Markus / Trinkner, Urs, Competi­ tion and Welfare Effects of VAT Exemptions, Working Paper No. 133, Zürich 2010. ECCVAT, European Commission Green Paper (Sec(2010)1455 final), Res­ ponse Mai 2011. Eilers, Stephan, Öffentliche Anhörung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorschriften sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften – BT‑Drucksache 17/506 vom 03.02.2009. European Regulators Group for Postal Services, ERGP (12) 29 Report on VAT exemption, Report on net Cost of USO – VAT exemption as a benefit or a burden. FiFo Köln / Copenhagen Economics / ZEW, Evaluierung von Steuerver­ günstigungen, Band 1, Methoden und Ergebnisüberblick, 2009. dies., Evaluierung von Steuervergünstigungen, Band 2, Evaluierungsbe­ richte (erster Teilband), 2009. Greiving, Stefan, MORO – Forschungsvorhaben: Sicherung der Daseins­ vorsorge und Zentrale Orte Konzepte – gesellschaftspolitische Ziele und räumliche Organisation in der Diskussion, Sonderexpertise: Post­ wesen, Wiesbaden 2008. Harrison, Graham / Krelove, Russell, VAT Refunds: A Review of Country Experience, IMF WP/05/218, November 2005. Haucap, Justus, Unfairer Wettbewerb im Postmarkt, Deutsche Post AG/ DHL: Quersubventionierung in den Paketmarkt, Marktbeherrschung und unzureichende Regulierung, Ein Gutachten im Auftrag des Bun­ desverbandes Paket und Expresslogistik e.V. (BIEK), Januar 2016.

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ders., Stellungnahme zur Anhörung des Finanzausschusses zum Geset­ zesentwurf zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Ände­ rung steuerlicher Vorschriften am 09.02.2010 vom 08.02.2010. Her Majesty’s Revenue & Customs, VAT – Postal Services, Technical Note 24.03.2010, abrufbar unter: http://webarchive.nationalarchives. gov.uk/20100330153028/http://www.hmrc.gov.uk/budget2010/vat-posttech-note-5260.pdf (zuletzt abgerufen am 21.07.2017). Ismer, Roland / Kaul, Ashok / Reiß, Wolfram / Rath, Silke, Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer- und haushalts­ politischen Gesichtspunkten, Endbericht eines Forschungsgutachtens im Auftrag des BMF, Saarbrücken 2010. Kaminski, Bert, Gutachten zur Steuerfreiheit von Leistungen nach § 4 Nrn. 21 und 22 UStG (i.d.F. des Kabinettsbeschluss des Jahressteuer­ gesetzes 2013 vom 23. Mai 2012, 01.08.2012. KEP & Mail, Neues Postgesetz – Chance für Kunden und Marktteilneh­ mer, PosiTion, Newsletter der privaten Postdienstleister der Schweiz, 1/06 Dezember 2006. Koenig Christian, Rechtswissenschaftliches Kurzgutachten – Gemein­ schaftsrechtliche Anforderungen an eine Umsatzsteuerbefreiung für Postdienstleistungen (§ 4 Nr. 11b UStG) vom 11.11.2009 (zitiert: Koe­ nig, Gutachten v. 11.11.2009). ders., Rechtswissenschaftliche Gegendarstellung zu der schriftlichen Stellungnahme von Rechtsanwalt Prof. Dr. Rupert Scholz vom 29. Ja­ nuar 2010 anlässlich der öffentlichen Anhörung am 09. Februar 2010 zu dem Entwurf des Gesetzes zur geplanten Neuregelung des § 4 Nr. 11b UStG (Umsatzsteuerbefreiung für Postdienstleistungen) vom 05.02.2010 (zitiert: Koenig, Stellungnahme v. 05.02.2010). KOM (2016/C 262/01) vom 19.07.2016, Bekanntmachung der Kommissi­ on zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. KOM (2016) 148 vom 07.04.2016, Communication from the Commissi­ on to the European Parliament, the Council and the Europaen Eco­ nomic and Social Committee on an action plan on VAT – Towards a single EU VAT Area – Time to decide. KOM (2012) 698 vom 29.11.2012, Grünbuch „Ein integrierter Paketzu­ stellungsmarkt für das Wachstum des elektronischen Handels in der EU“. KOM (2011) 851 vom 06.12.2011, Mitteilung der Kommission an das Eu­ ropäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Zukunft der Mehrwertsteuer – Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt-System, das auf den Binnenmarkt zugeschnitten ist.

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KOM (2010) 695 vom 01.12.2010, Grünbuch über die Zukunft der Mehr­ wertsteuer – Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt-System. KOM (2008) 884 vom 22.12.2008, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Postrichtli­ nie (Richtlinie 97/67/EG, geändert durch die Richtlinie 2002/39/EG). KOM (2004) 374 vom 12.05.2004, Weißbuch zu Dienstleistungen von all­ gemeinem wirtschaftlichem Interesse. KOM C(2004) 434 vom 09.02.2004, Bericht über die Umsetzung der Mit­ teilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unter­ nehmenssteuerung. KOM (2000) 580 vom 20.09.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Eu­ ropa. KOM, Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Un­ ternehmenssteuerung, ABl. EG Nr. C 384 v. 10.12.1998, S. 3. KOM (85) 310 vom 14.06.1986, Vollendung des Binnenmarktes, Weiß­ buch der Kommission an den Europäischen Rat. Management Club, Postmarktliberalisierung 2011 – Forderungen für ei­ nen fairen, liberalisierten Postmarkt, 2011. OECD, Consumption Tax Trends, VAT/GST and Excise Rates, Trends and Policy Issues, 2014. dies., Choosing a Broad Base – Low Rate Approach to Taxation, OECD Tax Policy Studies No. 19, 2010. dies., Programs to Reduce the Administrative Burden of Tax Regulations in Selected Countries, 22. Januar 2008. dies. / KOM, Value-Added Taxes in Central and Eastern European Coun­ tries – A Comparative Survey and Evaluation, Paris 1998. Peffekoven, Rolf, Zur Reform der Mehrwertsteuer – Zurück zu einer ge­ nerellen Konsumbesteuerung, Gutachten im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, 2010. Postcomm, Competitive Market Review, Proposals for Consulation, Sep­ tember 2004. dies., A review of Royal Mail’s Special Privileges – A Consultation Paper, Januar 2004. PriceWaterhouseCoopers, Steueränderungen 2010, 8. Auflage, Freiburg 2010. dies., The Impact on Universal Service of the Full Market Accomplish­ ment of the Postal Internal Market in 2009, Report for the European Commission, Mai 2006. Royal Mail, Postcomm’s Competitive Market Review Proposals: Royal Mail’s Response, Dezember 2004. dies., Response to “A Review of Royal Mail’s Special Privileges“ consu­ lation document, 2004. 506

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RWI / Böhringer, Christoph / Wiegard, Wolfgang, Analyse der fiskali­ schen Auswirkungen des ermäßigten Umsatzsteuersatzes in Deutsch­ land unter Verwendung eines Simulationsmodells sowie der Wachs­ tumseffekte von Straffungskonzepten, Forschungsvorhaben des BMF fe 9/11, Oktober 2013. Sachverständigenrat, Chancen für einen stabilen Aufschwung, Jahres­ gutachten 2010/11, Wiesbaden 2010. Schaumburg, Harald, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerli­ cher Vorschriften – BT‑Drucksache 17/506 vom 05.02.2010 (zitiert: Schaumburg, Stellungnahme v. 05.02.2010). ders., Öffentliche Anhörung am 18. März 2009; hier: Entwurf eines Drit­ ten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drs. 16/11340) sowie Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergeset­ zes (Drs. 16/11674) vom 16.03.2009 (zitiert: Schaumburg, Stellung­ nahme v. 16.03.2009). ders., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung wettbe­ werblicher Strukturen für Postdienstleistungen BT-Drs. 16/8906 vom 13.01.2009 (zitiert: Schaumburg, Stellungnahme v. 13.01.2009). Scholz, Rupert, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorga­ ben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (BT‑Ds. 17/506) am 09.02.2010 vom 29.01.2010. Schwintowski, Hans-Peter, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Umsatz­ steuergesetzes – Drucksache 16/11340 – sowie dem Gesetzesentwurf der FDP-Fraktion – Drucksache 16/11674 vom 13.03.2009. Seely, Antony, VAT on postal services, House of Commons’ Library, Standard Note SN 3376 vom 15. Juli 2013. Steuerberaterverband e.V., Stellungnahme zum Konsultationspapier „Überprüfung bestehender MwSt‑Rechtsvorschriften zu öffentlichen Einrichtungen und Steuerbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ der Europäischen Kommission vom 25.04.2014. Swiss Economics, Impact of VAT Exemptions in the Postal Sector on Competition and Welfare, Working Paper No. 0022, Zürich 2010, in: Crew, Michael A. / Kleindorfer, Paul R. (Hrsg.), Reinventing the Postal Sector in an Electronic Age, Edward Elgar Publishing 2011. TAXUD/2013/DE/319 vom 30.06.2015, Implementing the destination principle to intra‑EU B2B supplies of goods – Feasibility and economic evaluation study. TAXUD/2012/DE/334 von Dezember 2014, Study on the economic ef­ fects oft he current VAT rules for passanger transport. TAXUD/2012/DE/323 vom 17.10.2013, A study on the economic effects of the current VAT rates structure.

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Materialien

TAXUD/2011/DE/334 vom 10.01.2013, Mehrwertsteuer im öffentlichen Sektor und Mehrwertsteuerbefreiungen im öffentlichen Interesse. TAXUD/C1(2012) vom 08.10.2012, Konsultationspapier Überprüfung bestehender Rechtsvorschriften zu ermäßigten Mehrwertsteuersät­ zen. TAXUD/2010/DE/328 vom 01.12.2011, Eine rückblickende Bewertung der Bestandteile des EU MwSt‑Systems – Kurzfassung. TAXUD/2010/DE/328 vom 01.12.2011, A retrospective evaluation of elements of the EU VAT system – Final report. TNT Post, Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung zu dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“ vom 05.02.2010. ver.di, Schriftliche Stellungnahme zu dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorschriften sowie zur Änderung steuer­ licher Vorschriften“. BT‑Drucksache 17/506 vom 04.02.2010. Wassenaar, Mattheus C. / Dijkgraaf, Elbert / Gradus, Raymond H. J. M., Contracting out: Dutch municipalities reject the solution for the VAT-distortion, Local Government Studies 2010, Volume 36, Issue 5. WIK-Consult, Review of the postal market three years after full market opening on 1 January 2011, Study for BIPT vom 27.02.2015. dies., Postmarkterhebung 2014 – Nicht lizenzpflichtige Postdienstleis­ tungen und postnahe Beförderungsleistungen, September 2014. dies., Auswirkungen einer Aufhebung der Umsatzsteuerbefreiung für Postdienste der Deutsche Post AG – Eine qualitative und quantitative Analyse, Studie für den Bundesverband Internationaler Express- und Kurierdienste e.V., November 2005.

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Stichwortverzeichnis A Abgabenordnung 140 Abgangsbriefzentrum 215 Abhol –– ~fälle 25 –– ~service 220 Absatz –– ~chancen 280, 318, 319 –– ~verlagerungen 318, 319, 320 Abweichungskompetenzen 45 Agrarsektor 380 Alkohol  Siehe Tabak Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) 116 –– abweichende Qualitätsbedin­ gungen 118 –– AGB-Leistungen 116, 216 –– günstigere Tarife 119 –– konkrete Entgeltvorschriften 122 Allphasenbruttoumsatzsteuer 5, 325 Allphasennettoumsatzsteuer 4, 5, 302, 419 Altmark Trans 127, 438 Amtshilfe 141 anbieterneutral 154, 157, 326 Anbieterwechsel 224 Angebotsumstellungsflexibilität 211 Angemessenheit 366, 444 Antiquitäten 411 Äquivalenz –– äquivalenztheoretisch 354 –– ~funktion 88, 90 –– ~prinzip 342 Arbeit –– Arbeitsgemeinschaft 149 –– Arbeitskraft 34 –– Arbeitsteilung 202 –– ~nehmerfreizügigkeit 261, 268

Arzt  Siehe Heilbehandlung Aufkommen 405 –– Aufkommensverteilung 178, 371 –– Aufkommenszuweisung 27 –– fiskalisches 298 Aufteilungsmethode 404 Ausfuhrbefreiung 186 Ausgangsumsätze 99, 193, 209, 314, 327, 399, 416 Ausgleichs –– ~abgabe 85, 135 –– ~mechanismus 441 Auskunftsverlangen 92 Auslandspost 217 Auslandszustellung 170, 173, 185 Auslegung 339 –– Auslegungsdirektive 20, 304, 338 –– Auslegungsgrundsatz 309 –– Auslegungshilfe 128, 155 –– Befreiungen 50 Ausprägung 304 Ausschreibung 438 Austauschbarkeit 210 Austauschstationen 164 Australien 413 B Banken 197, 449 Basisdienst 185 Bedarfsausgleich –– typisierter 433 Bedarfshöhe 429 Bedarfsmarktkonzept 209, 315 –– rechtlicher Kontext 328 bedürftig –– sozial 440 Befolgungs –– ~aufwand 25 –– ~kosten 404, 418, 430 –– ~lasten 50, 203, 385, 407, 410 509

Stichwortverzeichnis

Beförderung –– Beförderungskette 164, 214 –– Beförderungslizenz 128, 134 –– Beförderungspflicht 58 –– Beförderungsstrecke 167, 170 –– innergemeinschaftliche 164 Befreiungen –– Auslegungsgrundsätze 50 –– echte 32, 396 –– exklusive 99 –– grenzüberschreitende 35 –– innerstaatliche 36 –– Mischtatbestände 248, 320 –– objektive 40 –– subjektive 40, 247, 389, 458 –– technische 383, 414 –– unechte 32 –– unmittelbare Wirkung 107 Befreiungs –– ~autonomie 9, 41, 46 –– ~katalog 36, 61 Begünstigung –– mittelbare 388 Beherbergungsleistungen 416 Behörden 197 Beihilfe –– Beihilfenrecht 235, 428 –– Beihilfenverbot 429 –– Einpreisung 241 –– ermäßigte Steuersätze 238 –– mittelbare 243 –– postsektorale 436 –– Selbstverpflichtung 240, 245 –– Selektivität 244, 246 –– subjektive Umsatzsteuerbefrei­ ungen 244 –– Übergangsrecht 238 –– Unionsbeihilfen 236, 239, 333, 443 –– Unternehmerbegünstigung 241 –– Zurechenbarkeit 237 Belastungs –– ~entscheidung 299 –– ~gleichheit 299, 303 510

–– ~grund 340, 364 –– ~konzeption 7 –– ~obergrenze 390 –– ~verzerrung 362 Bemessungsgrundlage 6, 8, 37, 41, 299 Berufsfreiheit  Siehe Unternehmerfreiheit Bescheinigung 93, 139, 249, 251 –– zwingende 145 Beschränkungsverbote 17 Besiedlungsstruktur 392 Besitzstandsklauseln 44 Besteuerungssystem 298 Bestimmungslandprinzip 12, 23, 168, 190, 396 Betrauung 43, 44, 127 Betriebsstätte 270 Betrugsanfälligkeit 406 Beweislastumkehr 381 Bewertungsfaktoren 201 Bezahlbarkeit 447 Bezugsgruppe 338 Bezuschussung –– staatliche 392 Bildungssektor 44 Binnenmarkt 11, 14, 296, 370 –– Binnenmarktrichtlinie 24 BIPT 224 Blindenprivileg 40, 246, 247, 251, 368, 389, 430 Blut 250 Börsennotierung 388 bpost 284, 451 Brief 210 –– ~dienst (grenzüberschreitend) 217 –– ~kästen 138 –– ~porto 392 Brutto –– ~entgelt 20, 35 –– ~marktpreise 351 Bruttoallphasensteuer  Siehe Allphasenbruttoumsatzsteuer

Stichwortverzeichnis

Bruttoallphasenumsatzsteuer ­Siehe Allphasenbruttoumsatzsteuer Bücher 310, 320, 336 –– Buchinhalte 311, 322 Bündelung 216 Bundesmonopolkommission (BMK) 197 Bundesnetzagentur (BNetzA) 94 Bundesrat 373 Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) 94 Bürokratie –– ~aufwendungen 431 –– ~bürden 404 –– ~lasten 435 C case-law 46 Chancengleichheit 297, 332 D Dansk Postordreforening 87 Daseinsvorsorge 22, 58, 440, 447 designated operator 183 designiert 436 Deutsche Bundespost (DBP) 55 Deutsche Post AG (DPAG) 77, 284 Deutsche Reichspost (DRP) 55 Dienstleistungen von allgemei­ nem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) 22, 438, 446 Dienstleistungsfreiheit 268 –– aktive 268 –– Anwendungsbereich 268 –– Auffangfunktion 269 –– Auslandsbeförderungen 272 –– Betriebsstätte 270 –– Korrespondenzdienstleistungs­ freiheit 269 –– passive 269 –– Rechtfertigungsmöglichkeit 272

Digital-Receiver 434 Direkt –– ~besteuerung 357 –– ~subventionen 235, 427, 433 –– ~zahlungen 441 Diskriminierung –– Diskriminierungsverbote 257, 295 –– mittelbare 258 –– unmittelbare 258 Disponibilität –– Einkommen 354 Dispositionsfreiheit 91, 100, 131 Doppel –– ~belastung 37 –– ~besteuerung 22, 169 Durchschnittsverbrauch 349 E ECOFIN-Rat 24 Effizienz –– ~anreiz 441 –– ~kriterium 438, 439 –– ~verluste 203, 385, 451 Eigenmittelfinanzierung 8, 370 Eigentumsordnung 71, 79 Eilzustellung 84 Eingangs –– ~besteuerung 456 –– ~briefzentrum 215 –– ~umsätze 207, 327, 400, 417 Eingriffsintensität 400 Einheitstarife 392 Einkommen –– disponibel 349 Einkommensschichten –– untere 344 Einkommensteuer 343, 349 Einlieferung 96, 120, 216 –– Einlieferungsmenge 122 –– Mindesteinlieferungsmenge 123 Einnahmequellen 345 Einpreisung 241, 389, 392 –– Vorsteuer 33 511

Stichwortverzeichnis

Einrichtung –– Begriff 51 Einrichtungen –– gemeinnützige 411, 421 –– kulturelle 402 –– öffentliche 64, 65, 67, 457 Einschätzungsprärogative 340, 380, 387, 395 Einschreiben 84, 126 Einsparpotential 377 Einstandspflicht 131 Einstimmigkeit 376, 398 Eintrittsgelder 386 Einzelermächtigung 373 Einzelhandelssteuer 6 Einzelveranlagung 436 einzelvertraglich 102 Eisenbahnpostgesetz 54 Elastizitätsregel 412 Elektrizität 411 Empfängerortprinzip 168 EMRK 18, 275, 366 Endstufe 32, 33, 207 Endvergütung 164, 176, 177 Entgelt –– ~abrechnung 440 –– ~belastung (proportionale) 302 –– ~genehmigung 124 –– ~optimierung 438, 442 –– ~rabatt 215 –– ~regulierung 209, 390 –– verbilligt 387 Entlastungseffekt 32, 394, 397 Erfahrungsgüter 224 Erfindungsmacht 371 Erforderlichkeit 395 Erfüllungsverantwortung 78 Erhebung –– Erhebungsdefizite 383 –– Erhebungsprozess 297 –– Erhebungsschwierigkeiten 414, 456 –– indirekte 343, 377 Ermessen 229, 373, 380 512

–– Ermessensspielraum 12, 232 erschwinglich 390 Erstattung 336 –– Erstattungsansprüche 398 –– Erstattungsmechanismus 434 –– Mehrwertsteuererstattungsan­ sprüche 311 Europarat 230 European Regulators Group for Postal Services (ERGP) 151 Existenzminimum 39, 348, 367 Existenzverschonung 384 –– umsatzsteuerliche 351 –– Unionsebene 352 exklusiv 453 Exklusiv –– ~lizenz 82, 85, 92, 109 –– ~wirkung 389 Expressdienst 211 F Faktorallokation 11 Fehlertoleranz 229 Fehlwertungen 387 Fernsehen  Siehe Rundfunk Fiktion 60, 62, 65 Finanz –– ~amt 6 –– ~bedarf 341 –– ~branche 414 –– ~dienste 414 –– ~gerichtsbarkeit 46 Finanzierungs –– ~hilfen 200 –– ~struktur 83, 398 –– ~verantwortung 403 Fiskal –– ~einbußen 455 –– ~zwecksteuern 342 flächendeckend 110, 111 Flexibilität 428 Folgenabschätzung 398 Folgerichtigkeit 298, 393

Stichwortverzeichnis

Folgeverantwortung 356 Förderbedingungen 377 Frankiermaschinen 217 freiberuflich 376 Freibeträge 343 G Gebührenbindung 58 Geeignetheit 380 –– Bezugspunkte 383 Geltungsvorrang 309 Gemeinnützigkeit 39 Gemeinwesen 349 Gemeinwohl 38, 372 –– ~belang 292, 372, 446 –– ~bindung 130 –– ~interesse 38, 203, 340 –– ~lasten 197, 393, 442, 450 –– Postdienstversorgung 379 –– ~qualität 320, 399 –– ~verantwortung 91, 99 –– ~verpflichtung 58, 189, 439 Gerechtigkeitsmaßstab 341 Gerichtsverfahren 406 Gesamteinkommen 39, 343 Geschäfts –– ~kundenpakete 88, 198, 204 –– ~post 213, 424, 451 Gestaltungsfreiheiten –– befreiungsspezifische 42 Gestaltungsmotive 372 Gestaltungsspielräume 232 Gesundheit 348 –– Gesundheitsschutzniveau 353 Gewährleistungsstaat 77 Gewährleistungsverantwortung 83, 160 Gewaltenteilung 382 Gewichtsgrenzen 72 –– Gewichtsobergrenze 82, 175, 178, 182 Gewinn –– ~erzielung 249 –– ~marge 378, 441

–– ~maximierung 293 –– ~streben 40 Gleich –– ~artigkeit 99 –– ~behandlung 5, 335 –– ~behandlungsgrundsatz 254, 304 –– ~heitssatz 296, 335, 337, 341, 345 –– ~heitsverstöße 334 –– ~stellung 26, 316, 457 –– ~stellungsklauseln 40 Glücksspiel 43 golden shares  Siehe Vorzugs­ aktien Goods and Services Tax (GST) 413 Grenz –– ~abfertigung 24 –– ~ausgleich 5, 49 –– ~besteuerung 26 –– ~kontrollen 24 Größenvorteile 197 Großversender 217, 220 Grund –– ~bedarf 348 –– ~bedürfnisse 319, 367 –– ~dienste  Siehe Basisdienst –– ~freibetrag 349 –– ~lagenbescheid 140 –– ~stücke 458 Grundfreiheiten 16, 28, 254 –– Anwendungsbereich 254 –– Beschränkungsverbote 261, 276 –– Dassonnville-Formel 262 –– Diskriminierungsverbote 257 –– Keck-Rechtsprechung 263 –– Rechtfertigungsmöglichkeit 266 Grundrechtecharta 18, 230 Grundrechtskontrolle (nationale) 229 Grundversorgung 78, 111, 116, 132, 391 513

Stichwortverzeichnis

–– Allgemeinwohlbelang 379 –– Grundversorgungsauftrag 392 Gültigkeit 308, 312, 336 –– Gültigkeitsprüfung 337 Güterbeförderung 162, 166 –– innergemeinschaftliche 167 Güterproportionalität 445 H Handlungsform 64 Harmonisierung –– Bindungsreichweite 333 –– Harmonisierungsanforderungen 11 –– Harmonisierungsauftrag 3, 370 –– Harmonisierungsgebot 4 –– Harmonisierungskompetenz 10, 12, 335 –– Harmonisierungsreichweite 229 –– Harmonisierungsstand 356 Haupt –– ~auftrag 170 –– ~sitz 259 Haushalts –– ~konsolidierung 398 –– ~lücken 376, 410 Heilbehandlungen 130, 249 Herkunftsland 167 –– Herkunftslandprinzip 12, 17, 28 Hilfsleistungen 34 Hochschulen 386 –– Hochschulunterricht 249 Hoheitsakt 128 Hoheitsbetrieb 60 Hoteliers 416 I Identität –– unternehmerische 323 Immobiliengeschäfte 37, 414 Incumbent 215 Indisponibilität 355 Individualvereinbarung 115 514

Inflationsgefahr 416 Infrastruktur 69 –– ~kapazitäten 454 –– ~lasten 83, 91 Inländer 17 –– ~diskriminierung 47, 265 –– ~gleichbehandlung 261 Insourcing 49 Internethandel 449 Interventionsminimum 395 Investitionen 224 J Jugendbetreuung 249 justitiabel 382 K Kapital –– ~anlagen 458 –– ~verkehrsfreiheit 257, 380 Kataloge 84 Kleidung 319, 348 Kleinbetragsregelung 143 Kleinunternehmer 248, 407, 414 Kommerzialisierung 293 Kommunikationsmedium 367 Kompetenz –– ~mix 374 –– ~schranken 26, 370 Komplexität –– wirtschaftliche 381 Konformitäts –– ~kosten 405 –– ~lasten 407 Konkordanzklausel 345 Konkurrenz 305 –– ~druck 33 –– ~situation 59, 216, 221, 315 –– tatbestandliche 34 –– ~verhältnisse 330, 338 Konsolidierer 115, 123, 215 Konsolidierung 4, 302 Konsum –– ~aufwendungen 207, 297

Stichwortverzeichnis

–– ~bedürfnisse 337 –– ~belastung 346 –– ~entscheidung 318, 343 –– ~gewohnheiten 320 –– ~präferenz 320 –– ~verhalten 280, 412 Kontingent 323 Kontrolle 142 –– Kontrollaufwand 405, 419 –– Kontrolldichte 334, 365 –– Kontrollverfahren 136, 139 Konzentration 5, 49, 400 Konzession 90, 323 Kooperation 158 –– Kooperationsformen 450 –– Kooperationsverhältnisse 149 Körperertüchtigung  Siehe Sport Kosten –– ~beitrag 369 –– ~belastung 195, 196, 392 –– ~faktor 35, 207, 327, 390 –– ~intensität 392 –– ~orientierung 389, 437 –– ~unterdeckung 392 Krankentransporte 249 Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 285 Kultur 293, 411 Kumulation 5, 32, 325, 397 Kunden –– Geschäftskunden 213, 219 –– nicht vorsteuerberechtigte 194 –– ~portfolio 193, 202, 203 –– Privatkunden 213, 219 –– ~stellung 210, 216, 386 –– vorsteuerberechtigte 195 Kunstgegenstände 411 Kurierdienste 331 L La Poste 201, 221, 284 Lasten –– ~beitrag 403 –– ~verteilung 158, 341

Lebensunterhalt 349 Legitimationsdruck 91 Leistungen –– arbeitsintensive 415 –– kulturelle 231, 384 –– sonstige 25, 166, 172, 250, 329 Leistungs –– ~bezug 247, 248 –– ~fähigkeit 7, 297, 354 –– ~fähigkeitsprinzip 341, 357 –– ~gegenstand 320, 321 –– ~kontext 98, 133, 137 –– ~ort 166 Lenkungs –– ~abgabe 341 –– ~anreize 375 –– ~norm 367 Lesen 311, 337 Liberalisierung 78, 79 Lizenz 90, 95 –– ~auflagen 95, 128 –– ~unternehmer 85 Logistikunternehmer 165 Lohnsteuer 201 Lotterien 37, 414 Luxusgüter 344 M Markt –– ~abgrenzung 209, 320 –– ~anteile 220, 318, 328 –– ~beherrschung 137 –– ~eintrittsbarriere 223, 264, 448 –– ~öffnung 78, 82, 87, 96, 106, 153, 223, 368, 391 –– ~ordnung 14, 22, 266 –– ~position 281 –– ~stellung 282 –– ~teilhabe 354, 358 –– ~wirtschaft (soziale) 14 –– ~zugangsbeschränkung 263 –– ~zutritt 264, 364 –– ~zutrittshemmnis 285 –– ~zutrittshindernisse 262, 401 515

Stichwortverzeichnis

Massen –– ~geschäft 270 –– ~post 121, 204 –– ~versender 214, 452 Medikamentenlieferungen 328 Medizin 319 Mehrwertsteuer –– ~erstattungsansprüche 311 –– ~gruppe 310 –– Neutralitätsprinzip  Siehe dort –– ~paket 166, 174 –– ~systemrichtlinie 4 Meldezeiträume 407 Menschenwürde  Siehe Würde meritorisch 39 Miete 319 Mietwagen 329 Mildtätigkeit 293 Mindereinnahmen 376 Mindestlohn 224 Mischtatbestände  Siehe Befreiungen Missbrauchsgefahr 405 Mitbegünstigung 378 Mitnahmeeffekte 350, 434, 436 Mitwirkungspflichten 407 Monopol 79, 135, 137 –– Beförderungsmonopol 59 –– ~betrieb 259, 388, 438 –– ~leistungen 82, 85, 86, 88, 97, 98 –– Postmonopol 332 –– ~segment 89 –– ~stellung 324 –– ~vorbehalt 259 Museum 386, 402 –– Museumsbesuch 347 Muttermilch  Siehe Blut

nachgelagerte Dienstleistungen 96 Nachnahmesendungen 84, 87, 100 Nahrung 319, 348 Nebenzweckprivileg 294 negative tax  Siehe Rückvergütungssystem neoliberal 372 net-avoided-cost-Methode 439, 441 Netto –– ~kosten 200 –– ~kosten (ausgleichsfähige) 440 –– ~mehrkosten 441 –– ~preis 196, 202 –– ~prinzip (subjektives) 349 Netzauslastung 203, 224, 394 Neuseeland 413 Neutralität 19 –– Auslegungsdirektive 304, 338 –– Belastungsneutralität 20, 298, 307, 312, 324 –– Binnenmarkt 296 –– Gleichheitssatz 295 –– Neutralitätsprinzip 19, 99, 101, 287, 362 –– organisatorische 70 –– primärrechtliche Verortung 288 –– Rechtsprechung 303 –– subjektive Begünstigungen 321 –– Wettbewerbsneutralität 20, 287, 307 Niederlassungsfreiheit 256 –– Anwendungsbereich 259 –– Rechtfertigungsgründe 267 –– Vorsteuerausschluss 265 Nullsätze 396

N Nachfrage –– ~einbußen 202 –– ~stimulation 39

O Obliegenheit 234 öffentliche –– Gewalt 62, 63 –– Hand 67

516

Stichwortverzeichnis

–– Posteinrichtung 72, 87, 95, 127, 143, 160 Office of communication (­OFCOM) 103 Onlinehandel 162 Optimalbesteuerung 407 Option 143, 145, 146 –– Optionsrechte 42, 145 –– Optionsverbot 147 Orchesteraufführungen 39 Organ –– ~schaft 49 –– ~träger 148 Organe  Siehe Blut Organisations –– ~ermessen 113 –– ~form 70, 74, 130 –– ~freiheit (unternehmerische) 147 Ortsverlagerung 172 Österreichische Post AG (ÖPAG) 152, 284 Outsourcing 50, 202 P Packstationen 116 Paketdienst 162 –– internationaler 220 –– Standardpaketdienste 219 pass-through 403, 433 Pauschalierung 343 Pauschalkompensation 368 Personal –– ~einsatz 385 –– ~kosten 225 Personenbeförderung 411 –– Personenbeförderungsgesetz 156, 329 –– Personenbeförderungsunterneh­ men 59 Post –– ~gesetz 82 –– ~marktliberalisierung 92, 95, 97, 106, 109

–– ~marktöffnung  Siehe Markt­ öffnung –– ~monopol  Siehe Monopol –– ~neuordnungsgesetz 77 –– ~privatisierung 67, 77, 388 –– ~reform I 75 –– ~reform II 77 –– ~regulierung 75, 77, 81, 102, 159 –– ~reisedienst 59 –– ~reiseverkehr 61 –– ~richtlinie 70, 79 –– ~strukturgesetz 64 –– ~strukturreform 77 –– ~umwandlungsgesetz 77 –– ~universaldienstleistungsverord­ nung (PUDLV) 84 –– ~verfassungsgesetz 75 –– ~versorgung 66, 122 –– ~verwaltungsbetrieb 206 –– ~wertzeichen 53 –– ~wesen 71, 80, 86, 248 –– ~wurfsendungen 213 Postanbieter –– ausländische 162, 164 –– drittstaatliche 182 –– EU-ansässige 165 –– marktbeherrschender 122 Postcomm 198, 448, 451 Postdienstbefreiung –– grenzüberschreitende 162 Postdienstleistungen –– innergemeinschaftliche 171, 175 –– mit Drittstaatsbezug 171 Poste Italiane S.p.A. 239, 284 postvorbereitende Dienstleistun­ gen 213 Postzustellung –– förmliche 125, 212 –– grenzüberschreitende 163 –– öffentliche 198 Preis –– ~anpassungsdruck 393 517

Stichwortverzeichnis

–– ~elastizität 33, 201, 412 –– ~faktor 162 –– ~gestaltung 249, 388 –– ~kalkulation 35, 196, 283 –– ~kontrolle 200, 433, 449 –– ~vorteil 194, 443 Primäreffekt 384 Primärrechts –– ~verstoß 365 –– ~widrigkeit 333 Privat –– ~einrichtungen 293 –– ~haushalt 121, 123, 449 –– ~schulen 249 Privatisierung 78 Prognoseirrtum 387 Programmsatz 361 progressiv 344 Prüfzuständigkeit 135 Q Qualitätsstandards 84, 99 R Rabatt  Siehe Entgelt –– ~gewährung 115 Rabatte –– Mengenrabatte 213 Recht –– Rechtsangleichung 13, 24 –– Rechtsstaatsprinzip 383 –– Rechtsvereinheitlichung 13 Referenzsystem 302 Reformversuch –– Postdienstbefreiung 425 Reformzwang 369 refund schemes 431 Regelbesteuerung 355 Regelungsschwerpunkt 375 Regionalsammelstelle 96 Regression 344 Regulierungs –– ~behörde 93, 94, 103, 133 –– ~maßnahmen 136, 388 518

–– ~modelle 160 Reichsabgabe 54 Reichspostfinanzgesetz 55 Reichsstempelsteuer 55 Reputation 440 Reservekompetenz 230 Rettungsorganisationen 402 reverse charge 168 Richtlinientreue 340 Royal Mail Group Ltd. (Royal Mail) 95 Rückvergütungssystem 349 S Sach –– ~kapital 34, 194, 208, 385 –– ~kompetenz 373 –– ~ziele (steuerfremde) 375 Sammlungsstücke  Siehe Anti­ quitäten Schalterpaket 219 Schattenwirtschaft 415 Schutz –– ~klausel 67, 291 –– ~lücke 254, 357 –– ~verzicht 285 Schweizerische Post AG (SPAG) 90 Selbstbehalt 441 Sendungsvolumina 121, 197 Skaleneffekte 394 Sogwirkung 398 Solange-II 230, 300, 345 –– Solange-Rechtsprechung 18 Solidarität 353 Sonder –– ~konditionen 105, 123, 195, 204, 216, 327 –– ~last 91, 99, 203, 450 –– ~status 247, 368 –– ~tarife 122, 123 –– ~vermögen 55, 77 Sozial –– ~fürsorge 249

Stichwortverzeichnis

–– ~politik 357 –– ~zwecknormen 373 Sport 249 Standardbriefdienst 212 –– grenzüberschreitender 217 Standardpaketdienst 219 Standortfaktor 361 Steuer –– ~befreiungen 31 –– ~betrug 405 –– ~einsammler 297, 300, 335 –– ~pflichtvorbehalt 66 –– ~registrierung 402 –– ~schuld 31, 403, 422 –– ~schuldner 6 –– ~schuldüberwälzung 455 –– ~souveränität 9 –– ~träger 34 –– ~verzicht 359 –– ~vorteil 378, 383, 387, 389 –– ~wettbewerb 236 –– ~würdigkeit 354 Steuerpflicht –– partielle 203 Steuerprivilegien 246, 293 Steuersätze 24, 411 –– ermäßigte 410 –– Nullsätze 44 –– Steuersatzangleichung 47 –– Steuersatzautonomie 27 –– Steuersatzgefälle 25 –– Steuersatzreduzierungen 351 Streckenprinzip 167 Streitanfälligkeit 405 Subsidiaritätsprinzip 13, 113 Substituierbarkeit 314 Substitutionsverhältnis 316, 317 Subunternehmer 149, 164, 180 Subvention 234, 426 –– Subventionsvergabe 334 sunk costs 224 Synergieeffekte 121, 203 System –– ~abweichung 359, 378

–– ~adäquanz 299 –– ~bruch 48, 423 –– ~entscheidung 298, 299 –– ~festlegung 302 –– ~umstellung 419 T Tabak 373 Tarife –– erschwinglich 390 Taxe sur la Valeur Ajoutée (TVA) 5 Taxiunternehmer 156, 246, 329 tax occulte 33 Teilhaberecht 360 Teilleistungen 214 –– Teilleistungsrabatte 195, 393 –– Teilleistungsverträge 150 –– Teilleistungszugang 139, 216, 222 Teilsondervermögen 75 Telekommunikationsdienstlei­ stungen 69 Transferleistungen 348 Transparenz 397, 408, 427 Trybunal Konstytucyjny (Verfas­ sungsgericht Polen) 310 Typisierung 343 U Übergangs –– ~regelungen 9 –– ~regime 24, 44, 396 Überkapazitäten 156 Überkompensation 356 Überprüfung –– kontinuierliche 142 Überwachung 132, 136 Überwälzung 50, 346 ultra vires 228 Umlageverfahren 85 Umsatzbesteuerung –– grenzüberschreitende 371 Umsätze 519

Stichwortverzeichnis

–– Auslandsumsätze 35 –– unmittelbar dem Postwesen dienende  Siehe Postwesen –– zwischenunternehmerische 32 Umsatzqualität 389 Umsatzsteuerschuld 443 Umsetzungs –– ~akte 231, 335 –– ~ermessen 43, 44, 273 Umverteilung 384 –– Umverteilungseffekt 344 –– umverteilungspolitisch 350 Ungleichbehandlung 101, 207, 311 Ungleichheit 331 Unglücksfälle 126 Unionsbürger 268 Unionsgrundrechte 16, 17, 272 –– Anwendungsprinzipien 274 –– Anwendungsvorrang 274 –– Befreiungsvorgaben 274 Unionsrechtskonformität 110, 116, 134 Universaldienst –– ~finanzierung 441 –– ~konzept 86, 94, 111, 361, 367 –– ~leistungen 83 –– Postpakete 84 –– ~umsetzung 110 Universaldienste 79 –– tatsächliche Erbringung 130 Universal Postal Convention  Siehe Weltpostvertrag universal service provider (usp) 103 Untauglichkeit 387 –– offensichtliche 381 Unterhaltspflichten 348 Unterkunft 348 Unternehmenssteuern 236 Unternehmer –– ~eigenschaft 55, 57, 77, 242 –– ~förderung 367, 377, 430 –– ~funktion 368 520

–– ~merkmale 252, 324 –– ~perspektive 336 –– ~status 405, 421 Unternehmerfreiheit 276 –– Art. 12 GG 227 –– Beeinträchtigung 280 –– Rechtfertigungsmöglichkeit 278, 286 –– Schutzbereich 277, 279 –– Schutzverzicht 285 –– Universaldienstleister 283 –– Vorsteuerausschluss 282 –– Wesensgehalt 286 –– Wettbewerbsstellung 281 Unterversorgung 138 Ursprungslandprinzip 23, 25, 371  Siehe Bestimmungslandprinzip V Value Added Tax Act 102 Veranlagung 410 Verbilligung 34, 38, 241, 377 Verbraucher –– ~gewohnheiten 329, 330 –– ~perspektive 340 –– ~präferenzen 315, 347 –– ~zuwendungen 433 Verbrauchsteuer 7, 252, 340, 455 –– ~prinzip 403, 417 –– ~typologie 297, 302 –– ~vergütungen 344 Verbundvorteile 394 verdeckte Umsatzsteuer 359 Verdienstprinzip 454 Vereinfachungs –– ~gründe 436 –– ~zwecknormen 414, 456 Vereinheitlichung 41 Verfassungs –– ~bruch 345 –– ~identität 229 –– ~qualität 16 Vergabe

Stichwortverzeichnis

–– ~akt 429, 433 –– ~entscheidung 334 Vergleichbarkeit 336 Vergleichsgruppe 314 Vergleichsgruppenbildung 337, 338 –– regelungsakzessorische 337 Vergleichskriterien 339 Vergleichsmaßstab 311, 314 –– regelungsakzessorischer 335 Vergünstigungseffekt 377 Verhältnismäßigkeit 13, 267, 333 Verjährungs –– ~fristen 336 –– ~vorschriften 311 Verkehrs –– ~akte 303, 346 –– ~verbot 358 verkehrsteuerlich 7 Vermutungswirkung 382 Verpflichtung 98 –– Anbieterverpflichtung 233 –– förmliche 133 –– Grundversorgungsverpflichtung 138 –– hoheitliche 128 –– latente 137 –– Lizenzverpflichtung 104 –– optionale Selbstverpflichtung 233 –– rechtstatsächliche 86, 132, 160 –– Selbstverpflichtung 126, 128, 135, 145, 233 –– Selbstverpflichtungserklärung 140 –– Selbstverpflichtungsmechanis­ mus 109 –– Selbstverpflichtungsmöglichkeit 155 –– territorial begrenzte 158 –– Universaldienstverpflichtung 200, 251 –– Verpflichtungsformen 127 –– Verpflichtungsmöglichkeit 206

–– Verpflichtungssituation 331 –– Verpflichtungsstellung 328 –– Verpflichtungsvarianten 445 –– Verzicht 159 Verrechnung 405 Verrichtungs –– ~ort 177, 179, 181 –– ~pflicht 135 Verschonungssubventionen 235, 334, 366 Versicherungen 197, 449 Versicherungs –– ~beiträge 37 –– ~dienstleister 310 –– ~prämien 373 Versorgungslage –– ineffiziente 392, 439 –– optimierte 361 Versorgungsleistungen –– medizinische 411 Versorgungslücke 85 Verteilungs –– ~konflikt 433 –– ~kriterien 432 Verteuerung 54, 367 Vertragsreform –– Lissabon 14, 446 Vertragsverletzungsverfahren 92, 95, 106, 157, 310 Verwaltung –– Verwaltungsakt 127, 142, 429 –– Verwaltungsaufbau 407 –– Verwaltungsaufwand 429, 455 –– Verwaltungskosten 405, 418 –– Verwaltungspraktiken 405 –– Verwaltungspraxis 169 –– Verwaltungsverfahrensgesetz 142 –– Verwaltungsvollzug 251 völker –– ~rechtlich 163 –– ~vertraglich 183 Vollharmonisierung 405 Vollzugs 521

Stichwortverzeichnis

–– ~lasten 300, 336 –– ~maßnahmen 335 Vorabentscheidungsverfahren 45 Vorleistungen 196, 215, 216 –– Vorleistungsbezug 324 Vorsortierung 216 Vorsteuer –– ~abzug 5, 31, 302, 324, 453 –– ~ausschluss 196, 202, 386, 454 –– ~belastung 359, 399 –– ~beträge 405 –– ~einpreisung 33 –– ~erstattung 402, 420 –– ~korrektur 143 –– ~volumen 202, 422 Vorzugsaktien 379 Vorzugsbehandlung 432 W Waren –– ~austausch 316 –– ~umsatzstempel 53 –– ~verkehrsfreiheit 263 Weimarer Republik 53 Weltpost –– ~verein 163, 185 –– ~vertrag 163 Werbesendungen 213 Wert –– ~neutralität 358 –– ~schöpfung 33, 34, 194, 385 –– ~schöpfungsquote 197 –– ~sendungen 84, 114 –– ~vorstellungen 382 Wettbewerb –– Marktanteile 318 –– potentieller 316 –– Steuerwettbewerb 236 –– Substitutionsverhältnisse 252 –– Wettbewerbsbeziehungen 320 –– Wettbewerbsdruck 389

522

–– Wettbewerbsfreiheit 15 –– Wettbewerbsparameter 280 –– Wettbewerbsprinzip 19, 233 –– Wettbewerbsprivileg 203 –– Wettbewerbsverfälschungen 291, 400, 411 –– Wettbewerbsverzerrung 59, 88, 208, 264 –– Wettbewerbsvorbehalt 66, 68, 291, 294 –– Wettbewerbsvorschriften 19 –– Wettbewerbsvorteil 197 Willkürkontrolle 333, 366 Wirtschaftsstufe 5, 32 Wirtschaftsverfassung 22, 372 Wirtschaftsverkehr –– elektronischer 311 Wohlfahrtseffekte 407 Wohlstands –– ~niveau 355, 413 –– ~verhältnisse 357 Würde –– des Menschen 353 –– Menschenwürdegehalt 229 Z Zahlungsbereitschaft 343, 346 Zahn –– ~ärzte 41 –– ~techniker 41, 250 Zielsetzung –– legitime 366 Zusatzbelastung 200 Zustell –– ~netz 156, 215, 450 –– ~stützpunkt 215 –– ~verpflichtung (bilaterale) 183 Zweckdienlichkeit 381 Zwischen –– ~stufe 208 –– ~ziel 368