123 16 2MB
German Pages [243] Year 2013
Osnabrücker Beiträge zur Parteienforschung
Band 7
herausgegeben von Jörn Ipsen
Benedikt Olberding
Rechtliche Möglichkeiten der Steuerung von Interessenpolitik Eine Untersuchung am Beispiel der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages
V& R unipress Universitätsverlag Osnabrück
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0150-5 ISBN 978-3-8470-0150-8 (E-Book) Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Bundestages. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konfliktfeld Interessenpolitik und parlamentarische Demokratie . II. Interessenpolitik – ein Definitionsversuch . . . . . . . . . . . . . III. Betroffene Verfassungsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das grundgesetzliche Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . 2. Das freie Mandat des Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das »erweiterte Gewaltenteilungsprinzip« . . . . . . . . . . . 4. Das Gebot demokratischer Gleichheit der Bürger . . . . . . . IV. Geschichtliche Entwicklung der Interessenpolitik in Deutschland . 1. Die Entstehung von Verbänden bis 1871 . . . . . . . . . . . . 2. Die Formierung der Verbände-Staat-Beziehungen im Kaiserreich (1871 – 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus (1918 – 1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Entwicklung der Verbände in der Bundesrepublik nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Akteure der Interessenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gruppe der Interessenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gruppe der »Neuen Akteure« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Methoden der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interessenvertretung anhand von informellen Kontakten . . . 2. Interessenvertretung durch »Pressure-Strategien« . . . . . . . 3. Abgeordnete als Interessenvertreter . . . . . . . . . . . . . .
15 15 19 24 24 26 27 29 31 32 33 34 35 38 39 40 42 42 44 45 48
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Inhalt
a) Der Abgeordnete als Interessenvertreter im Plenum . . . . b) Der Abgeordnete als Interessenvertreter in den Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Bisherige rechtliche Steuerungsversuche . . . . . . . . . . . . . . I. Nicht umgesetzte Steuerungsversuche . . . . . . . . . . . . . 1. Verbändegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Motivation und Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . i. Die ungeregelte Binnenstruktur der Verbände . . . ii. Transparenz als Postulat . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausformung eines Verbändegesetzes . . . . . . . . . . 2. Wirtschafts- und Sozialrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umgesetzte Steuerungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Registrierung von Verbänden und deren Vertretern (»Lobbyliste«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umgang mit Nebentätigkeiten und Spenden in der Geschäftsordnung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . a) Nebentätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . ii. Sanktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sanktionen unter Fortbestand des Mandats . . . . . (2) Der Verlust des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . b) Spenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kodizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafgesetzliche Schranke der Interessenpolitik: Der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung § 108 e StGB a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gang der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendungsbereich des § 108 e StGB . . . . . . . . . . d) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften I. Inkompatibilitätsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inkompatibilitätsvorschriften auf Länderebene und kommunaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der Inkompatibilität . . . . . . . . . . . . . b) Bestehende Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
c) Vergleich der Tätigkeit eines Landtagsabgeordneten und eines Gemeinderatsmitglieds mit der eines Bundestagsabgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweckmäßigkeit der Einführung erweiterter Inkompatibilitätsvorschriften auf Bundesebene . . . . . . . II. Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften . . . . . . . . . . . 1. Mitwirkungsverbote auf Landesebene . . . . . . . . . . . . a) Art. 84 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 135 Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags . . . . 2. Mitwirkungsverbote auf kommunaler Ebene . . . . . . . . . a) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren und Rechtsfolgen bei Mitwirkung eines befangenen Gemeinderatsmitglieds . . . . . . . . . . . . c) Strafrechtliches Verbot reiner Nebeneinkünfte: § 108 e StGB versus §§ 331 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtspolitische Zweckmäßigkeit der Einführung von Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ausländische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regulierung der Interessenpolitik innerhalb der EU . . . . . 1. Das EU-»Transparenzregister« . . . . . . . . . . . . . . 2. »Legislativer Fußabdruck« . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Estland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Slowenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regulierung der Interessenpolitik in Nordamerika: USA und Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Regelungsansätze internationaler Organisationen . . . . . . . . . 1. Regelwerke der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . a) Internationaler Verhaltenskodex für Amtsträger . . . . b) Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der »Anti-Corruption-Toolkit« der Vereinten Nationen 2. Regelwerke des Europarates . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8
Inhalt
a) Die Strafrechtskonvention zur Korruption des Europarates b) Empfehlungen der GRECO . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) OECD-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erweiterung von Rechtsvorschriften – Öffentliches Recht . . . . 1. Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters . . . . . . a) Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materiellrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . i. Definition des relevanten Personenkreises . . . . . . ii. Definition rechtlich relevanter Tätigkeiten . . . . . . iii. Verfassungsmäßigkeit einer Registrierungspflicht . . (1) Art. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sonstige möglicherweise betroffene Verfassungsgüter iv. Inhaltliche Ausgestaltung der Registerinformationen c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schaffung eines mit der Registrierungspflicht verbundenen Verhaltenskodex’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vorteile eines Verhaltenskodex’ . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Ausgestaltung eines Verhaltenskodex’ . . . . 3. Überwachung und Sanktionsmaßnahmen von Register und Verhaltenskodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wirtschaftliche Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit wirtschaftlicher Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i. Verletzung des passiven Wahlrechts, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii. Vereinbarkeit mit Art. 9 GG (Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . iii. Vereinbarkeit mit dem Repräsentationsprinzip . . . . iv. Vereinbarkeit mit dem »freien Mandat« aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . v. Inkompatibilität versus Bestimmtheitsgrundsatz . . . b) Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten von Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungspolitische Zweckmäßigkeit wirtschaftlicher Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
5. Ausschluss- und Befangenheitsregelungen . . . . . . . . . . . a) Mitwirkungsverbote in Judikative und Exekutive als Vorbild? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einführung eines »legislativen Fußabdrucks« . . . . . . . . . a) Rechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtspolitische Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . 7. Spenden an Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Direktspenden versus Parteispenden: Eine Lücke im Gesetz b) Verbot von Direktspenden als Lösung? . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Offenlegung von Einkünften – der gläserne Abgeordnete als Ideal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Private Einkünfte und Abgeordnetenentschädigung . . . . . . 10. Konsequente Transparenz bei Ausschussanhörungen von Interessenvertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erweiterung von Rechtsvorschriften – Strafrecht: Modifizierung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung § 108 e StGB? 1. Argumente für das Erfordernis einer umfassenderen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Argumente gegen das Erfordernis einer umfassenderen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Outsourcing von Gesetzentwürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Anwalt lobbyiert als sachverständiger Gesetzgeber? . . . 3. Vorteile des Gesetzgebungsoutsourcings . . . . . . . . . . . . 4. Künftige Anforderungen an das Gesetzgebungsoutsourcing . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung der Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . .
177 178 180 183 184 184 187 189 190 192 194 195 199 200 201 202 205 209 210 210 213 215 216 218 220
G. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drucksachen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages
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231 241
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Vorwort
Die vorliegende Abhandlung entstand in den Jahren 2010 bis 2012 neben meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag. Sie wurde im Sommersemester 2012 von der Universität Osnabrück als Dissertationsschrift angenommen. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Jörn Ipsen für die fachliche Begleitung der Arbeit und die Aufnahme der Dissertation in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe zur Parteienforschung. Frau Professor Dr. Katrin Stein gebührt mein Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens. Dem Präsidenten des Deutschen Bundestages danke ich für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Mein ganz persönlicher Dank gilt meinen Eltern, die mit ihrer liebevollen und großzügigen Unterstützung meine juristische Ausbildung stets begleitet und dieses Vorhaben überhaupt erst ermöglicht haben. Meinen Eltern widme ich diese Arbeit. Berlin, im Mai 2013
Benedikt Olberding
Abkürzungsverzeichnis
a. A. a.a.O. AbgG Abs. AöR APuZ Art. Aufl. BB BbgKVerf Bd. BDSG BGBl. BMJ BRAK-Mitt. BT BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerfGK CDU d. h. ders. DJT DÖV DVBl f. ff. FAZ FDP Fn. FR GG GGO GemO GO GO LSA
andere Auffassung am angegebenen Ort Abgeordnetengesetz Absatz Archiv des öffentlichen Rechts Aus Politik und Zeitgeschichte Artikel Auflage Betriebs Berater Kommunalverfassung des Landes Brandenburg Band Bundesdatenschutzgesetz Bundesgesetzblatt Bundesministerium der Justiz Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen Bundestag Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Christlich Demokratische Union Deutschlands das heißt derselbe Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt folgende fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Fußnote Frankfurter Rundschau Grundgesetz Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gemeindeordnung Geschäftsordnung Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt
14 GO NW GOBT h. M. HdStR HGO Hrsg. i. V. m. IFG JA JURA JuS JZ KOM KSVG KV LKV m. w. N. NdsVBl. NJW NKomVG Nr. NSB NStZ NV Rn. S. s. SächsGemO SPD StGB SZ ThürKO VDI VerhaltensregelnBT vgl. VVDStRL WD wistra WRV ZG z. B. ZaöRV ZParl ZPB ZRP
Abkürzungsverzeichnis
Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages herrschende Meinung Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Gemeindeordnung des Landes Hessen Herausgeber in Verbindung mit Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (»Informationsfreiheitsgesetz«) Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristen Zeitung Dokumente der Europäischen Kommission Kommunalselbstverwaltungsgesetz des Saarlandes Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern Zeitschrift Landes- und Kommunalverwaltung mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Juristische Wochenschrift Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz Nummer Neue Soziale Bewegungen Neue Zeitschrift für Strafrecht Niedersächsische Verfassung Randnummer Seite siehe Gemeindeordnung des Freistaates Sachsen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafgesetzbuch Süddeutsche Zeitung Thüringer Kommunalordnung Verein Deutscher Ingenieure Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Gesetzgebung zum Beispiel Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Politikberatung Zeitschrift für Rechtspolitik
A. Einführung
»Nach der Idee des Repräsentativsystems verleiht die Güte des Gesetzgebungsverfahrens, also die Kompetenz der Repräsentanten, ihr Sachverstand und ihre Sorgfalt, ihr auf Gemeinwohlverwirklichung ausgerichtetes Bemühen, der gesetzgeberischen Entscheidung Überzeugungskraft, Würde, Verbindlichkeit, juristisch ausgedrückt Legalität und Legitimität.«1
Die Verfassungswirklichkeit zeigt jedoch, dass kein Gesetzentwurf nur durch den schlichten Sachverstand der Ministerialbürokratie und der parlamentarischen Gremien zustande kommt, sondern weitere Akteure diesen Prozess durch die Vertretung ihrer Interessen begleiten. Ziel dieser Untersuchung ist, aus dem Blickwinkel von Legalität und Legitimität Möglichkeiten zu entwickeln, wie die den Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundestages begleitende Interessenpolitik sinnvoll gesteuert werden kann.
I.
Konfliktfeld Interessenpolitik und parlamentarische Demokratie
Bezugspunkt des politischen Handelns ist das Gemeinwohl. Seitdem es dokumentierte politische Entscheidungen gibt, existiert eine Auseinandersetzung über die Bedeutung dieses politisch-sozialen Leitbegriffs – das heißt für den abendländischen Kulturkreis: inzwischen rund zweieinhalbtausend Jahre.2 Eine ausführliche Darstellung der zu teils diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangenden Ansichten hierüber kann nicht Gegenstand dieser Schrift sein: Die zwei Grundströmungen lassen sich auf die aposteriorischen Gemeinwohlkon1 J. Rottmann, Wandlungen im Prozess der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 329 (334). 2 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 631 f.; vgl. auch H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, S. 249.
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Einführung
zeptionen einerseits sowie die normativ-apriorischen Gemeinwohlkonzeptionen andererseits reduzieren.3 Den Auffassungen gemein ist jedoch die Idealvorstellung einer ausgewogenen Umsetzung unterschiedlicher Interessen und Strömungen einer Gesellschaft4, die der politische Entscheidungsträger repräsentiert, wenngleich dies nicht als Gebot zur Neutralität zu verstehen ist. Wie aber kann verhindert werden, dass die Repräsentanten des Volkes die ihnen anvertraute Macht (ausschließlich) für eigene Interessen oder die Interessen Dritter nutzen statt für die Belange des ganzen Volkes? Die verfassungsrechtliche Verpflichtung dazu ist in Rechtsprechung5 und Staatsrechtslehre6 eindeutig: Amtsträger haben dem Gemeinwohl zu dienen. Ebenso soll dies, ob nun in Form eines Verfassungsgebotes oder einer Verfassungserwartung7, für Abgeordnete des Deutschen Bundestages gelten, die nach Art. 48 GG ein »Wahlamt« innehaben und nach Art. 38 GG das »ganze Volk« repräsentieren.8 Ein scharfer Gegensatz zwischen Gemeinwohlbelangen und Einzel- bzw. Gruppeninteressen besteht dabei jedoch nicht zwangsläufig.9 »Interessenvertretung«10 wird in der deutschen Staatswissenschaft traditionell verstanden als Einflussnahme von Verbänden auf politische bzw. parlamentarische Entscheidungsprozesse. »Intermediäre Gewalten«11, zu denen 3 Vgl. hierzu ausführlich M. Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 5 f., S. 49 f. sowie K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 631 f. und 515 f. 4 Ipsen spricht in diesem Zusammenhang von »konzentrischen Kreisen« der Begriffe Staat und Gemeinwohl, wonach Staatsaufgaben notwendigerweise einen Gemeinwohlbezug aufwiesen, aber nicht alle Gemeinwohlaufgaben durch den Staat erfüllt würden und verbindet dies mit einem Hinweis auf den »Dritten Sektor«, namentlich Verbände und Vereine, die die Förderung des Allgemeinwohls beanspruchen würden, jedoch nicht staatlich seien, vgl. J. Ipsen, Grenzen des Staates, in E. Jesse (Hrsg.), Renaissance des Staates?, S. 41 (46). 5 Vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. 01. 2011 (1 BvR 699/06) Rn. 47: »Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist danach jedes Handeln staatlicher Organe und Organisationen, weil es in Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags erfolgt.«. 6 Vgl. H. H. von Arnim, Wer kümmert sich um das Gemeinwohl? Auflösung der politischen Verantwortung im Parteienstaat, ZRP 2002, 223 f.; grundlegend dazu schon die Habilitationsschrift von H. H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen (1977). 7 J. Isensee, in: W. Patzelt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinrich Oberreuter, S. 262. 8 Vgl. H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, S. 249 f.; kritisch dazu P. Austermann, Verfassungsrechtliche Abgeordnetenpflichten nach dem Grundgesetz, DÖV 2011, S. 352 f., m. w. N., der »keinen festen Inhalt« einer Pflicht zur Verfolgung von Gemeinwohlbelangen durch Abgeordnete sieht, wohl aber eine »Pflicht, am parlamentarischen Verfahren mitzuwirken und sich dabei von seinen Überzeugungen auf dem Weg zu einem Gemeinwohl leiten zu lassen«. Es handle sich, unter Verweis auf J. Isensee, a.a.O., nicht um ein »Verfassungsgebot« sondern vielmehr um eine »Verfassungserwartung«. 9 H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (197). 10 Im Folgenden werden die Begriffe der »Interessenvertretung« bzw. »Interessenpolitik« und des »Lobbyismus« synonym verwandt. 11 Vgl. J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 167 f., mit Verweis auf: C. de Montesquieu, Vom Geist der
Konfliktfeld Interessenpolitik und parlamentarische Demokratie
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Verbände neben den politischen Parteien gehören, versuchen seit jeher, den politischen Willensbildungsprozess und staatliche Entscheidungen zugunsten ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Dieses »klassische« Bild der Interessenpolitik hat sich insbesondere seit den 1970er Jahren – hier sind schwerpunktmäßig Forschungen auf dem Gebiet der Interessenvertretung durch die Verbände zu verorten12 – gewandelt. Heute beschäftigen viele Unternehmen, Gewerkschaften und andere Vereinigungen ihre eigenen Interessenvertreter, externe Agenturen, freiberufliche »Lobbyisten« oder mandatieren spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien, die versuchen, Einfluss auf die Entscheidungen von Mandatsträgern zu nehmen.13 Ferner ist die Art und Weise der Interessenvertretung, d. h. der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse, das sogenannte Lobbying, vielschichtiger und komplexer geworden. Lobbyismus und parlamentarische Demokratie stehen in einem steten Konfliktfeld. Einerseits ist das Lobbying auf die legitime Verfolgung eines Eigeninteresses ausgerichtet. Zum anderen agieren Lobbyisten nicht in einem luftleeren Raum; ihr Tun zielt vielmehr darauf, politische Entscheidungen und gesellschaftliche Verhältnisse im Sinne ihrer Mitglieder bzw. Auftraggeber zu beeinflussen, womit man sie als Teil des demokratischen Prozesses ansehen kann. Staatliche Entscheidungen wiederum sind dadurch charakterisiert, dass sie durch demokratisch legitimierte Funktionsträger getroffen werden, die sie in bestimmten Kontrollverfahren vor dem Volk zu verantworten haben. Verbänden und anderen Interessenvertretern fehlt es in dieser Hinsicht sowohl an einer demokratischen Legitimation als auch an der Rechtfertigungspflicht vor dem Volk.14 Lobbyisten bewegen sich im Spannungsfeld ihrer Eigeninteressen bzw. derer ihrer Auftraggeber einerseits und den Ansprüchen einer parlamentarischen Demokratie andererseits. Insbesondere vor dem Hintergrund des Postulats der Unabhängigkeit und des freien Mandats des Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) verbietet sich eine materielle Entwertung der ununterbrochenen Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und
Gesetze (De l’ esprit des lois, 1748), Buch II, Kap. 4, S. 114 ff. Dazu aus staatstheoretischer Perspektive ausführlich J. Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 35 ff. 12 Grundlegend aus dem Jahr 1977: J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. 13 H. H. von Arnim, Abgeordnetenkorruption, JZ 1990, 1014 f.; R. Speth, Das Bezugssystem Politik – Lobby – Öffentlichkeit, APuZ, 19/2010, S. 9 ff. 14 J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 173, mit Verweis auf die diese Fragestellung vertiefende Arbeit von K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure.
18
Einführung
Amtswaltern, in der der Wille der Interessenvertreter als »trojanisches Pferd« gar bestimmender Faktor wird.15 Die Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes, insbesondere Art. 9 GG, stellen die Bildung von (Interessen-) Vereinigungen unter einen besonderen Schutz und räumen jedermann z. B. ein allgemeines Petitionsrecht ein, vgl. Art. 17 GG. Politikern wie Lobbyisten werden wenig konkrete rechtliche Schranken gesetzt und im Gesetzgebungsverfahren wenige formale Vorgaben gemacht. Eine gewisse Einschränkung findet das Lobbying im Strafgesetzbuch (§ 108e StGB), im Parteiengesetz sowie in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, was jedoch bislang nur in begrenztem Maße dazu beigetragen hat, »den Lobbyismus« zu kanalisieren und Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozesse – nicht nur für die Bürger sondern auch für unmittelbar Beteiligte – transparenter bzw. nachvollziehbarer zu machen.16 Folgende Ausgangsthesen17 liegen dieser Untersuchung zugrunde: 1. Die Vertretung von Einzelinteressen ist in einem demokratischen Repräsentativsystem, das Pluralismus als konstitutives Element begreift, nicht nur legitim, sondern auch notwendig. 2. Die Art und Weise bzw. Form der Interessenvertretung ist einem stetigen Veränderungsprozess unterworfen. 3. Ein differenzierter rechtlicher Rahmen für die Vielgestaltigkeit der Interessenvertretung im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundestages besteht bisher nicht. Eine Ergänzung bzw. Erweiterung dessen erscheint geboten und bedarf mithin einer konkreteren Normierung. In dieser Arbeit soll, nach einem Rückblick über bisherige Versuche und Diskussionen zum rechtlichen Umgang mit Interessenvertretern, der Status Quo des Rechtsrahmens beleuchtet werden. Es folgt eine Analyse und Bewertung künftiger Regelungsmöglichkeiten sowie eine Darstellung bereits bekannter Reformvorschläge, die möglicherweise nicht zu empfehlen sind. Ziel dieser Arbeit ist, mit Blick auf die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, einen Rahmen anzubieten, in dem die Interessenvermittlung als legitime »intermediäre Gewalt« im demokratischen Rechtsstaat an 15 Vgl. dazu BVerfGE 77, 1 (40); 83, 60 (73); H.-D. Horn, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR III, § 41 Rn. 34, m. w. N.; J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 173; R. Ritter und D. Feldmann , Lobbying zwischen Eigeninteresse und Verantwortung, S. 11 (12). 16 Vgl. hierzu nur T. von Winter, Vom Korporatismus zum Lobbyismus. Paradigmenwechsel in Theorie und Analyse der Interessenvermittlung, ZParl 4/2004 sowie dessen Rezension zu T. Leif und R. Speth (Hrsg.): Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland, Wiesbaden 2003, ZParl 4/2004. 17 Unter Bezugnahme auf F. Busch-Janser, Staat und Lobbyismus, S. 22 u. 128 f., der Defizite gesetzlicher Regelungen jedoch lediglich durch selbstverpflichtende Verhaltensregeln auf Seiten der Interessenvertreter kompensieren möchte.
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parlamentarischen Entscheidungsprozessen teilhaben kann. Der Blickwinkel der Untersuchung soll dabei in erster Linie auf die Prozesse der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages gerichtet sein. Erscheint dies in Teilen der Arbeit aufgrund des Sachzusammenhanges sinnvoll, wird ergänzend auch auf Regelungen Bezug genommen, die die exekutive Ebene (Ebene der Bundesregierung) betreffen bzw. mit einbeziehen könnten. Die Untersuchung soll ausdrücklich keinen politikwissenschaftlichen Ansatz verfolgen im Sinne einer Analyse und Differenzierung verschiedener Theorien zum Lobbyismus (so die Pluralistische Forschung zum Verbandslobbyismus bis in die 1970er Jahre, später dann der Übergang zum Korporatismus und schließlich zum Lobbyismus18), die in der bestehenden politikwissenschaftlichen Fachliteratur19 bereits umfangreich dargelegt worden sind und auch nicht Gegenstand einer juristischen Dissertation sein sollten. Vielmehr verfolgt die vorliegende Arbeit den abstrakt-generellen rechtswissenschaftlichen Ansatz, um jenseits einer Unterscheidung und Wandelung interessenpolitischer Akteure und Vorgehensweisen Lösungsansätze im Sinne eines ausgestalteten Rechtsrahmens zu ermitteln, der alle »Beteiligten« gleichermaßen erfasst.
II.
Interessenpolitik – ein Definitionsversuch
Die Demokratie des Grundgesetzes ist eine parlamentarische Demokratie. Kern dieses repräsentativen Systems ist, dass die entscheidenden öffentlichen Amtsträger bzw. Verfassungsorgane gewählt werden. Sie sollen ihre Stellung aus einem gewählten Gremium ableiten können und dadurch als legitimiert gelten, anstelle des Volkes für das Volk die zur Erhaltung und Fortentwicklung des Gemeinwesens notwendigen Entscheidungen mit Verbindlichkeit für jedermann zu treffen. Der Deutsche Bundestag ist dabei auf der Ebene des Bundes das einzige Verfasssungsorgan, das über eine unmittelbare Legitimation durch das Staatsvolk verfügt. Auch in den Ländern sind es ausschließlich die Landesparlamente, die unmittelbar vom Volk gewählt werden. Alle anderen Verfassungsorgane in Bund und Ländern leiten ihre Legitimation von den Parlamenten ab. Formen der unmittelbaren oder plebiszitären Demokratie – also Volksbegehren oder Volksentscheide – kennt das Grundgesetz nur in ganz wenigen Ausnahmefällen, etwa der Neugliederung des Bundesgebietes (vgl. Art. 29, 118, 118a 18 Hierzu ausführlich u. a. T. von Winter, Vom Korporatismus zum Lobbyismus. Paradigmenwechsel in Theorie und Analyse der Interessenvermittlung, ZParl 4/2004 S. 144 f. 19 Beispielhaft sei nur genannt: H. Voelzkow, Die Institutionalisierung der Politikbeteiligung von Verbänden in Deutschland, in: T. von Winter und U. Willems (Hrsg.), Interessenverbände in Deutschland, S. 139 ff., m. w. N.
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GG). Zudem verlangt der rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes, dass die Parlamente selbst alle wesentlichen Entscheidungen für das Gemeinwesen treffen.20 Trotz dieser großen Machtposition der Parlamente ist zunehmends von einer »Entparlamentarisierung« der Politik die Rede, die »dem Lobbyismus« zuzuschreiben sei, der geradezu eine »fünfte Gewalt« im Staate darstelle.21 Daneben ziehen Regierungen viele Entscheidungen, beispielsweise mit der Begründung der Eilbedürftigkeit, an sich und umgehen so kurzerhand die Volksvertretung. Ausgehend von der etymologischen Herkunft des Begriffes, geht dieser mit großer Wahrscheinlichkeit zurück auf die Ableitung des englischen Wortes »lobbyism«, was die »ständige, gezielte Bestrebung der Vertreter von Interessengruppen, Einfluss auf Gesetzgebung und Regierungspolitik zu nehmen«22, meint. Der historische Ursprung liegt in dem Wort »lobia« (Halle), welches sich ursprünglich auf die Vorräume des römischen Senats bezog, in denen ein politischer Austausch von Informationen erfolgte.23 Heute wird damit traditionell die »Wandelhalle im englischen und amerikanischen Parlament«24 beschrieben, in der Interessengruppen versuchen, Einfluss auf die Parlamentarier auszuüben.25 In der Literatur finden sich zahlreiche Definitionen, etwa: »Lobbying [meint] den Versuch, im räumlichen Umfeld der Sitzungssäle von Parlamenten durch Informationen, Argumente, in Aussicht gestellte Vorteile bzw. angedrohte Nachteile auf die Abgeordneten Einfluss zu nehmen«.26 Andere Verfasser formulieren: »Lobbying [wird] in erster Linie als der Versuch des Einwirkens auf politische Entscheidungsträger, in seinem legalen Umfang basierend auf fundierter Argumentation und Verhandlung, Flexibilität und Kompromissbereitschaft verstanden«27 oder als »Einwirken auf Entscheidungsträger durch präzise Informationen«.28 Der Duden beschreibt Lobbyismus als »Versuch, Gepflogenheit, Zustand der Beeinflussung von Abgeordneten durch Interessengruppen«.29 Eine abschließende und allgemeingültige Definition »des Lobbyismus« wird kaum gelingen.30 Eine Auswertung der verschiedenen Definitionsansätze lässt 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Vgl. BVerfGE 33, 125; 47, 46; 49, 89. Vgl. beispielhaft T. Leif und R. Speth (Hrsg.): Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland. U. Busse/ B. Carstensen/ R. Schmude, Anglizismen-Wörterbuch, Bd. 2 S. 842. H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (196). Duden, Die deutsche Rechtschreibung, S. 649. Vgl. E. Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 579. W. J. Patzelt, in Sommer/ von Westphalen (Hrsg.), Staatsbürgerlexikon, S. 543. I. Michalowitz, Lobbying in der EU, Facultas 2007, S. 227. M. Strauch, Lobbying – die Kunst des Einwirkens, S. 19. Duden, Die deutsche Rechtschreibung, S. 649. Für eine weitergehende Analyse des Begriffes und der Bedeutung von »Lobbyismus« sowie
Interessenpolitik – ein Definitionsversuch
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jedenfalls folgende Gemeinsamkeiten erkennen: Ausgangspunkt des Lobbyismus sind Interessengruppen, die durch gezielte Informationsvermittlung den Versuch unternehmen, die politischen Entscheidungsträger und deren Mitarbeiter zu beeinflussen. Umgekehrt besteht auf Seiten der Entscheidungsträger eine ausgeprägte Bereitschaft an der Kontaktaufnahme mit Interessengruppen, um Expertenwissen zu erlangen. Lobbyismus kann daher auch treffend als »Tauschgeschäft« angesehen werden, »bei dem politisch wertvolle Güter gehandelt werden«.31 Eine scharfe Trennung von gesellschaftlicher und staatlicher Sphäre entspricht, darin ist Lösche beizupflichten, einem überholten Denkmodell und ist mithin eine idealtypische Vorstellung. Diese Trennung entspricht nicht der Realität sondern ist von dieser abstrahiert und dient lediglich dazu, bestimmte Sachverhalte besser begreifen zu können.32 In der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit greift der Staat in Wirtschaft und Gesellschaft ein, betreibt Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik, die gesellschaftliche Akteure, wie etwa die Verbände, direkt betreffen. Demgegenüber bringen Verbände ihre Einschätzungen, beispielsweise durch Sachverständigenanhörungen, in die politische Willensbildung ein und beeinflussen die Gesetzgebung. Nach idealtypischer Vorstellung nehmen Interessenvertreter Interessen und Bedürfnisse aus der Gesellschaft auf und vermitteln diese in die staatlichen Institutionen. Umgekehrt werden politisch bzw. staatlich getroffene Entscheidungen in die Gesellschaft zurückvermittelt und auf diese Weise eine bestimmte Politik sowie der Staat insgesamt legitimiert.33 Fraglich erscheint, ob und inwieweit diese Einflussversuche intermediärer Kräfte tatsächlich die Rede von der »fünften Gewalt« begründen und ob diese Kräfte dabei rechtlich relevant agieren. Dazu ist zunächst klarzustellen, dass das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 nur drei Gewalten nennt und diese dem Gemeinwohl, d. h. nicht spezifischen Gruppeninteressen verpflichtet sind.34 Hierin ist ein wesentlicher Unterschied zu sehen. Gewinnen Interessenvertreter eine zu starke Machtposition gegenüber den demokratisch legitimierten Mandatsträgern im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess – oder der in der Regel vorgelagerten Ministerialbürokratie – so wächst die Gefahr, dass »Sachentschei-
31 32 33 34
den dazu vertretenen politikwissenschaftlichen, betriebs- und volkswirtschaftlichen Theorien sei beispielhaft verwiesen auf S. Kentrup, Lobbyismus von technologieorientierten Unternehmen in der Gesundheitswirtschaft, S. 37 f. m. w. N. Vgl. T. von Winter, Vom Korporatismus zum Lobbyismus. Paradigmenwechsel in Theorie und Analyse der Interessenvermittlung, ZParl 4/2004, m. w. N. bei M. Sebaldt, Organisierter Pluralismus, S. 374. P. Lösche, Verbände und Lobbyismus in Deutschland, S. 12, 13. P. Lösche, ebenda. Vgl. H.-J. Papier, Lobbyismus und parlamentarische Demokratie, liberal, 2007, 16 ff.
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dungen nicht mehr überwiegend gemeinwohlbezogen, sondern [maßgeblich] interessenbeeinflusst sind«.35 Ob diese (angebliche) »Lobbykratie«36 oder »symbiotische Verklammerung von staatlichen Institutionen, Parteien und Verbänden«37 nach dem status quo allerdings zu »verheerenden Auswirkungen sachwidriger Regelungen« oder gar zu ganzen Staatskrisen führt, wie dies von Hippel38 vermutet, ob der Staat einer »Herrschaft der Verbände« ausgeliefert ist, wie Eschenburg39 schon 1955 – freilich mit einem Fragezeichen versehen – warnte, erscheint zweifelhaft. Die Dimension des Lobbyismus dagegen völlig zu verkennen oder zumindest herunterzuspielen, wie dies van Schendelen behauptet, wird der Situation ebenfalls nicht gerecht: »Case studies of lobbying reveal a lot of success stories, but also disappointments and failures, for the one or the other group […] There is no evidence, in short, that the distribution of wins and losses is cumulative among the lobbying interest groups.«40
Eine stete »Spannung zwischen Sachbezug und Machtbezug«41 politischen Handelns (Mayntz) – ob sie nun gänzlich oder nur zum Teil lösbar ist – liegt alledem jedoch unbestritten zu Grunde. Schon das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sogenannten KPD-Urteil42 von 1956 die Legitimität der Einflussnahme von Interessengruppen auf die parlamentarische Arbeit anerkannt und dazu ausgeführt: »Es lässt sich nicht bezweifeln, dass außerparlamentarische Aktionen vielfältiger Art denkbar sind, die einer legitimen Einwirkung auf das Parlament dienen können, vor allem soweit sie dazu bestimmt sind, die Abgeordneten über die bei den Wählern zu bestimmten politischen Fragen vorhandenen Meinungen zu unterrichten. An sich ist es daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass »Interessentengruppen« auf die Mitglieder des Parlaments einzuwirken suchen (…).«
Zur Ermittlung der »richtigen« Entscheidungen gilt im repräsentativen parlamentarischen Gesetzgebungsprozess das Mehrheitsprinzip. Staatstheoretisch steht danach die Mehrheit »dem Richtigen«, im Sinne des dem Gemeinwesen am 35 J. Rottmann, Wandlungen im Prozess der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 329 (341). 36 E. von Hippel, Machtmissbrauch der Lobby als Herausforderung, S. 79 (81). 37 U. von Alemann/ Rolf G. Heinze, Neokorporatismus. Zur neuen Diskussion eines alten Begriffs, ZParl, 1979, S. 473. 38 E. von Hippel, Machtmissbrauch der Lobby als Herausforderung, S. 79 (81). 39 T. Eschenburg, Herrschaft der Verbände?. 40 R. van Schendelen, in T. Leif und R. Speth (Hrsg.): Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland, S. 313 f. 41 so R. Mayntz, Speaking Truth to Power : Leitlinien für die Regelung wissenschaftlicher Politikberatung, Der moderne Staat, S. 5. 42 BVerfGE 5, 85 (232).
Interessenpolitik – ein Definitionsversuch
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geeignetsten Dienende, näher als die Minderheit. Nach Rottmann lehren »die Staatskunst und praktische Erfahrungen«, dass in einem freien demokratischen Gemeinwesen die Minderheit die Mehrheitsentscheidungen zwar nicht verhindern, aber abwandeln kann.43 Denn Ziel der Entscheidung der Repräsentanten im demokratischen Staat dürfe nicht die lupenreine Durchsetzung des Mehrheitswillens sein, sondern vielmehr die Gemeinwohlverwirklichung. Dies gelinge nur, wenn Regierungs- und Gesetzgebungsentscheidungen die abweichenden Meinungen der Minderheit »ausreichend« mitverarbeiteten: »Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden«,44 was letztlich Kunst der Staatsführung sei. Rottmann kommt dabei zu dem Schluss, dass die Gefahr wachse, dass Sachentscheidungen nicht mehr überwiegend gemeinwohlbezogen, sondern interessenbeeinflusst seien. Nach Battis45 ist die Feststellung unter Berufung auf Hesse46 zutreffend, dass das Grundgesetz keinen über den partikulären Interessen schwebenden Staat kennt und auch keine sonstige Instanz, die »im sicheren und endgültigen Besitz der »Wahrheit« berechtigt wäre, diese verbindlich vorzuschreiben«, dass also Interessenvertreter grundrechtsrelevante Erscheinungen der Vorbereitung des politischen Willens sind. Gerade weil aber Sachverstand und Eigeninteresse zwei Seiten einer Medaille seien, bedürfe es transparenzsichernder Verfahrensprozeduren, so Battis. Obwohl Forderungen von verschiedener Seite nach einer stärkeren Verrechtlichung des Einflusses von Interessengruppen existieren47, besteht auch eine ebenso deutlich artikulierte Skepsis, ob eine umfassende rechtliche Regulierung praktisch realisierbar wäre und der Gesetzgeber nicht geeigneterer Weise stärker auf die Selbstdisziplinierungskräfte von Staat und Gesellschaft vertrauen sollte.48 So seien in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer wieder politische Entscheidungen auch gegen den erheblichen Widerstand starker gesellschaftlicher Gruppen durchgesetzt worden, was als Beweis
43 J. Rottmann, Wandlungen im Prozeß der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 329 (330). 44 J. Rottmann, ebenda. 45 Vgl. U. Battis »Outsourcing von Gesetzentwürfen?« in ZRP 2009, 201 (202) über die Feststellung des ehemaligen Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern, Johann Hahlen, in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Bundestages, vgl. AusschussDrucks. 16/99, S. 48. 46 K. Hesse, Grundlagen des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 159. 47 So schon, und noch immer grundlegend, H. H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 384 f. 48 J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 176.
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für eine noch existente Eigenständigkeit politischer Organe und der politischen Parteien angesehen werden könne.49 Zusammengefasst gehört die Einflussnahme von Interessengruppen auf den Staat zum Wesen der pluralistischen, in der staatswissenschaftlichen Intention auf das Gemeinwohl bedachten Demokratie, dem jedoch ein Spannungsfeld immanent ist. Dieses Spannungsfeld am Beispiel der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages darzustellen und zu analysieren und schließlich einen modifizierten Rechtsrahmen zu skizzieren, in dessen Grenzen sich das Spannungsfeld bewegen sollte, ist Gegenstand der Untersuchungen.
III.
Betroffene Verfassungsgüter
Um eine Analyse dessen zu erarbeiten, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, Interessenpolitik zu steuern, ist es grundlegend, mögliche betroffene Verfassungsgüter von Regelungen aufzuzeigen, die die Grenzen der rechtlich zulässigen Interessenpolitik im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundestages markieren. In der folgenden Darstellung sollen daher die maßgeblich betroffenen Verfassungsgüter des grundgesetzlichen Demokratieprinzips i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG, des freien Mandats nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, der Gewaltenteilungsgedanke sowie das Prinzip der demokratischen Gleichheit der Bürger dahingehend untersucht werden, inwieweit sie durch lobbyistische Aktivitäten betroffen sind.50
1.
Das grundgesetzliche Demokratieprinzip
Das aus Art. 20 Abs. 2 GG hervorgehende Demokratieprinzip findet seine Ausgestaltung im Grundgesetz durch eine parlamentarische Demokratie. Danach geht alle Staatsgewalt vom Souverän, dem Staatsvolk, aus, wird jedoch maßgeblich durch die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt sowie der
49 R. Steinberg, Herrschaft der Verbände? Interessenverbände in der Verfassungsordnung, in: de Rudder/ Sahner (Hrsg.), Herrschaft der Verbände?, S. 11 (23). 50 Vgl. zu dieser Differenzierung möglicher betroffener Verfassungsgüter und diesbezüglicher Forschungsergebnisse, die hier zusammengefasst wiedergegeben werden: A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 120 ff., die in ihrer Arbeit ausführlich die verfassungsrechtliche Problematik von Nebentätigkeiten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und möglicher Steuerungsinstrumente untersucht, und auf deren Diskussionen und Ergebnisse in dieser Arbeit im jeweiligen Sachzusammenhang wiederholt rekurriert wird.
Betroffene Verfassungsgüter
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Rechtsprechung ausgeübt.51 Hierbei hat das Parlament eine herausragende Bedeutung: Die unmittelbare demokratische Legitimation erfolgt durch den Wähler, der damit gleichsam die politische Willensbildung auf den Abgeordneten überträgt. Die so legitimierten Abgeordneten treffen für das Volk verbindlich die wesentlichen Entscheidungen des Staates.52 Kennzeichnendes Merkmal dieses Systems ist, dass sich die Mandatierten in periodisch wiederkehrenden Wahlen demokratisch für ihr Handeln verantworten müssen und somit die Entscheidungsgewalt auch nachträglich demokratisch legitimiert wird.53 Sind nun die tatsächlichen »Entscheidungsträger« nicht die demokratisch legitimierten und das Volk repräsentierenden Abgeordneten, sondern möglicherweise dahinter- bzw. außenstehende Akteure, gerät dieses System aus dem Gleichgewicht. Die Verlagerung des Entscheidungsprozesses aus dem Parlamentarischen heraus in Bereiche, die vom Grundgesetz nicht dafür vorgesehen sind, widerspricht dem Prinzip parlamentarischer Demokratie.54 Werden die eigentlichen Entscheidungen außerhalb des Parlaments durch finanziellen oder anderen interessengebundenen Einfluss auf die Abgeordneten getroffen, so kann nicht mehr von einer demokratischen Legitimation der auf solche Art zustande gekommenen Entscheidungen die Rede sein.55 Käßner konstatiert zu Recht, dass außerparlamentarische Entscheidungsträger zum einen nicht dem Gemeinwohl verpflichtet und zum anderen nicht gegenüber dem Wahlvolk rechenschaftspflichtig sind und damit nicht demokratisch zur Verantwortung gezogen werden können.56 Eine Vermittlung des Volkwillens im Sinne demokratischer Repräsentation (Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) ist in diesem Falle nicht mehr gewährleistet. Schon der Anschein unzulässiger externer Einflussnahme reicht aus, um das Vertrauen des Wahlvolkes nachhaltig zu erschüttern.57 Das Demokratieprinzip kann daher nach Voßkuhle auch zutreffend als »Gebot einer effizienten, kontrollstarken und transparenten Staatsorganisation« bezeichnet werden.58 Ein weiteres wesentliches Kennzeichen repräsentativer Demokratie benennt Käßner in diesem Zusammenhang mit dem Gebot der Öffentlichkeit des parlamentarischen Entscheidungsprozesses und der Offenlegung seiner Ergebnisse.59 51 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 121. 52 A. Käßner, ebenda. 53 E.-W. Böckenförde, § 34, in: HdStR, Band III, Rn. 16, 26, 27. 54 P. Krause, Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit, DÖV 1974, 325 (331). 55 A. Käßner, a.a.O., S. 122. 56 A. Käßner, ebenda. 57 Vgl. BVerfGE 40, 296 (327). 58 A. Voßkuhle in: Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HdStR, Bd. 3, § 43 Rn. 73. 59 H. H. Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 48 Rn. 148.
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Eine Einflussnahme auf die Entscheidungen der politischen Verantwortungsträger, die unter Nichtbeteiligung der Öffentlichkeit beispielsweise durch finanzielle Zuwendungen stattfindet, steht in klarem Widerspruch zum weit gefassten Öffentlichkeitsprinzip.60 Das Demokratieprinzip verlangt daher Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Dem Bürger soll es möglich sein, das Zustandekommen von Gesetzen sowohl im Hinblick auf das »Wie« als auch das »Warum« nachzuvollziehen.61 Aus dem Öffentlichkeitsprinzip erwächst der Anspruch des Wählers, Interessenverflechtungen und Abhängigkeiten der Abgeordneten und Wahlbewerber sichtbar zu machen.62 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet dieses Erfordernis als »Grundsatz der Öffentlichkeit politischer Herrschaft«.63 Transparenz deshalb jedoch losgelöst als Verfassungsprinzip64 anzusehen, geht zu weit.65
2.
Das freie Mandat des Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG
Die Abgeordneten sind gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Vertreter des ganzen Volkes und als solche in ihren Entscheidungen nur ihrem Gewissen verpflichtet. Diese Grundsatzentscheidung für das freie parlamentarische Mandat ist Ausgestaltung des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG und legt dem Abgeordneten eine Rechts- und Pflichtenstellung auf, durch die die Funktionsfähigkeit und die repräsentative Legitimation des Parlaments garantiert werden.66 Jede externe Einflussnahme auf das parlamentarische Handeln des Mandatsträgers, die ihn in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen könnte, ist durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG versagt, denn zentraler Bestandteil des freien Mandats ist die Unabhängigkeit des Abgeordneten.67 Der Abgeordnete soll ein »am Gemeinwohl orientiertes Gewissen«68 für das ganze Volk haben, dabei seine Meinung gegenüber anderen sachlichen Argumenten zugänglich halten und so verhindern, dass sich seine Entscheidungen im Parlament an sachfremden Einflüssen orientieren.69
A. Käßner, ebenda, m. w. N. A. Käßner, a.a.O., S. 123, m. w. N. BVerfGE 118, 277 (354). BVerfGE 118, 277 (353). So nämlich J. Bröhmer in seiner gleichnamigen Schrift. So zu Recht: H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (201). A. Käßner, a.a.O., S. 124, mit Verweis auf P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten, in: Schneider/ Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 60, S. 508. 67 A. Käßner, a.a.O., S. 125. 68 P. Krause, Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit, DÖV 1974, 325 (327). 69 Vgl. ausführlich zum »Sinn der Vorschrift« des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Anspruch
60 61 62 63 64 65 66
Betroffene Verfassungsgüter
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Gleichwohl kann in einer pluralistischen Demokratie eine besondere Verbundenheit mit bestimmten Interessen sogar erwünscht70 und dem Gemeinwohl dienlich sein, so dass bestehende Sonderinteressen in die parlamentarische Willensbildung und die Gemeinwohlfindung einbezogen werden können.71 Schließlich sind die Belange, welche »das Gemeinwohl« ausmachen, vielfältig.72 Problematisch wird die Situation dann, wenn der Abgeordnete neben seinem Mandat beispielsweise noch anderen Tätigkeiten nachgeht oder er Gelder erhält, die nicht (nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG) verfassungsrechtlich als Entschädigung für die Abgeordnetentätigkeit vorgesehen sind.73 Nach Tsatsos und Käßner verwirklicht sich die grundgesetzliche Ordnung schließlich nicht nur über die abstrakte Akzeptanz der staatlichen Gewalt durch die Bevölkerung. Von hoher Bedeutung sei vor allem die »glaubwürdige Wahrnehmung« des Abgeordnetenmandats, wozu zwangsläufig eine Mandatsausübung frei von sachfremdem Einfluss gehöre.74
3.
Das »erweiterte Gewaltenteilungsprinzip«
Ein ebenfalls durch Interessenvertretung im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundestages berührter Verfassungsgrundsatz ist das Prinzip der Gewaltenteilung. Aus den Artikeln 20 Abs. 2 Satz 2 GG und 1 Abs. 3 GG geht dieses »tragende Organisationsprinzip des Grundgesetzes«75 hervor und verlangt, dass die Staatsgewalt grundsätzlich durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Eine Ergänzung erfährt diese »klassische« sogenannte horizontale Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative durch weitere Aufteilungen der staatlichen Entscheidungsmacht. Insbesondere der Föderalismus und die kommunale Selbstverwaltung (sogenannte vertikale Gewaltenteilung) sollen die Teilhabe Vieler an der Staatsgewalt ermöglichen und gleichzeitig Missbrauch und Ballung von Macht verhindern.76 Die Gewaltenteilung ermöglicht so eine
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des »Gemeinwohls« H. H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 5 f., 388 f.; F. J. Peine, Der befangene Abgeordnete, JZ 1985, 914 (919 f.). A. van Aaken, Genügt das deutsche Recht den Anforderungen der VN-Konvention gegen Korruption?, ZaöRV 2005, 407 (431). Vgl. F. J. Peine, Der befangene Abgeordnete, JZ 1985, 914 (920). H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (196), m. w. N. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 126. D. Tsatsos, Von der Würde des Staates zur Glaubwürdigkeit der Politik – Zu einem verfassungsrelevanten Legitimationsverständnis, S. 38 f. und S. 48; A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 127. BVerfGE 3, 225 (247); 34, 52 (59); 67, 100 (130). A. Käßner, a.a.O., S. 128, m. w. N.
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zweckmäßige Arbeitsteilung und in der Folge eine effektive Erfüllung staatlicher Aufgaben jeweils durch sachlich kompetente und ausgestattete Organe (»Rationalität staatlicher Aufgabenerfüllung«).77 Um eine effektive gegenseitige Kontrolle und Mäßigung der Staatsmacht zu ermöglichen, ist kennzeichnend für das Verfassungsprinzip keine starre Trennung der Gewalten, sondern das bewusste Zulassen bestimmter Gewaltenverschränkungen im Sinne des Ineinandergreifens der Staatsfunktionen.78 Für die Gewährleistung der »Verteilung von Macht«, sind, Käßner zufolge, bestimmte Funktionen personell zu trennen und damit beispielsweise Inkompatibilitäten bestimmter Staatsämter eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Im Rahmen dieser Untersuchung ist jedoch nicht die Häufung einzelner staatlicher Ämter zu berücksichtigen als vielmehr staatlich-gesellschaftliche Machthäufung, die durch das parallele Ausüben anderer (wirtschaftlicher) Tätigkeiten neben der Abgeordnetentätigkeit entstehen kann.79 Zu diesem Spannungsfeld gehören auch »bloße finanzielle Zuwendungen« an staatliche bzw. politische Akteure, die auf Einflüsse von außen schließen lassen und damit die Frage herausfordern, wer tatsächlicher Entscheidungsträger war und ist. Ohne dem Souverän (dem Wahlvolk) gegenüber verantwortlich zu sein, also demokratische Verantwortung übernehmen zu müssen, kann wirtschaftliche Herrschaft in teils erheblichem Maße auf politische und staatliche Herrschaft einwirken.80 Eine Identität der wesentlichen politischen und wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungsträger ist daher zu vermeiden.81 Eine Vertiefung erfährt diese Feststellung durch den Grundsatz der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft.82 Tragender Grundgedanke dieses Dualismus ist, dass dem Einzelnen und der Gesellschaft als solcher ein vom Staat nicht beeinflusster Bereich zur Verfügung stehen sollte. Der Staat als kontrollierende und regulierende Instanz stehe damit als Garant der individuellen Freiheit der Gesellschaft gegenüber.83
77 Vgl. J. Ipsen, Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht), Rn. 767 f. 78 A. Käßner, a.a.O., S. 128, mit Verweis auf BVerfGE 1, 351 (369); 3, 225 (247). 79 So nämlich A. Käßner, a.a.O., S. 1 ff., S. 128, die sich in ihrer Arbeit allerdings auf die Untersuchung möglicher Regelungsinstrumente im Hinblick auf Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages beschränkt. 80 A. Käßner, a.a.O., S. 129. 81 Vgl. dazu den von Krause eingeführten Begriff des »erweiterten Gewaltenteilungsprinzips« in: P. Krause, Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit, DÖV 1974, S. 325 (334). 82 Grundlegend dazu: E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 29, vgl. A. Käßner, a.a.O., S. 129, m. w. N. 83 A. Käßner, ebenda.
Betroffene Verfassungsgüter
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Paradigmatisch für eine notwendige Wechselbeziehung von Staat und Gesellschaft sind die Parteien, die als Zwischenglied84 genau diese beiden Pole verknüpfen: durch Herausbildung des politischen Willens im Volk und dessen Einbringung in den staatlichen Bereich, vgl. Art. 21 GG i. V. m. § 1 Abs. 2 PartG. Die Parteien sind, schon aus der systematischen Stellung des Art. 21 GG heraus, notwendige Bestandteile des in Art. 20 Abs. 1 GG verfassten »demokratischen und sozialen Bundesstaats«.85 Auch das Bundesverfassungsgericht hat den Stellenwert der Parteien im Verfassungsgefüge betont, indem es diese als »Faktoren des Verfassungslebens«86 bzw. »integrierende Bestandteile des Verfassungsaufbaus«87 qualifiziert und ihren Rang als den »einer verfassungsrechtlichen Institution«88 bezeichnet hat.89 Soweit es jedoch, anders als im Falle der Parteien, für die eine Interaktion von Staat und Gesellschaft verfassungsrechtlich vorgesehen ist, zu einer Kumulation von staatlicher und wirtschaftlicher Macht kommt, ist die notwendige Unterscheidung von Staats- und Gesellschaftsmacht gefährdet.90
4.
Das Gebot demokratischer Gleichheit der Bürger
Schließlich zu nennen als durch Interessenvertretung potenziell gefährdetes Verfassungsgut ist das Gebot der formalen demokratischen Gleichheit der Bürger.91 Nach diesem aus Art. 20 Abs. 2 GG hergeleiteten92 Gleichheitsgrundsatz sind alle Staatsbürger bei der Ausübung ihrer politischen Rechte gleich93 und müssen formal die gleichen Möglichkeiten haben, auf die politische Willensbildung im Staat Einfluss nehmen zu können.94 Diese egalitäre Ausrichtung des Grundgesetzes95 gehe, Käßner zufolge, über die verfassungsrechtlich verankerte Wahlrechtsgleichheit hinaus und solle auch für andere Möglichkeiten der Ein-
84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95
BVerfGE 20, 56 (100 f.); 44, 125 (145). J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 143. BVerfGE 1, 208 (227). BVerfGE 1, 208 (227); 5, 85 (133); 9, 162 (165); 11, 239 (241); 13, 54 (81 f.). BVerfGE 2, 1 (73 f.); 5, 85 (133); 11, 239 (241); 44, 125 (145); 73, 40 (85). J. Ipsen, a.a.O. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 130. Dazu allg. H. H. von Arnim, Der strenge und der formale Gleichheitssatz, DÖV 1984, S. 85. Vgl. J.-D. Kühne, Die Abgeordnetenbestechung – Möglichkeiten einer gesetzlichen Gegenmaßnahme unter dem Grundgesetz, S. 47. BVerfGE 8, 51 (69). A. Käßner, a.a.O., S. 133. A. Käßner, ebenda.
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flussnahme auf die parlamentarische Willensbildung gelten.96 Krause fasst dies treffend in einer Sentenz zusammen, indem er konstatiert, dass politischer Einfluss eines Bürgers grundsätzlich nicht von seiner Zahlungsfähigkeit abhängen dürfe; Geld dürfe nicht in politische Macht »konvertierbar« sein97: »Die Beeinflussung der politischen Willensbildung durch Gewährung von wirtschaftlichen Vorteilen an Abgeordnete widerspricht dem Gebot demokratischer Gleichheit, insofern als der demokratische und soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 1 GG) politischer Vormacht aufgrund wirtschaftlicher Machtstellung ablehnend gegenüber steht.«98
Kühne und Schlosser verneinen eine Verletzung der demokratischen Gleichheit bei Zuwendungen finanziell potenter Bürger an Abgeordnete. Dieser Grundsatz könne lediglich das Handeln staatlicher Organe binden, aber nicht durch Zuwendungen Privater an Abgeordnete beeinträchtigt werden.99 Zutreffend ist zwar, dass die grundgesetzlichen Gleichheitsrechte unmittelbar nur den Staat binden und damit direkte Verbote gegenüber Privaten nicht enthalten können. Käßner aber stellt mit Recht heraus, dass Abgeordnete als Teile des Bundestages bei der Ausübung ihrer parlamentarischen Rechte auf Seiten des Staates tätig und damit selbst an das demokratische Gleichheitsrecht gebunden werden.100 Es geht also weniger um das Gebot, finanzielle Einflussnahmen auf die Legislative zu unterlassen. Vielmehr handelt es sich um ein grundgesetzliches Gebot an die Abgeordneten, die Annahme von Zuwendungen, die auf eine Einflussnahme zielen oder faktisch bewirken, zu unterlassen. Damit soll der demokratischen Gleichheit der Bürger zur bestmöglichen Entfaltung verholfen werden.101 Ein stetes Spannungsverhältnis wohnt der repräsentativen Demokratie mithin inne, befindet sich der Abgeordnete durch seine Wahl doch in einer besonderen Herrschaftsstellung mit herausragenden Machtbefugnissen im Vergleich zum Bürger. Diese Ungleichheit ist legitim, solange der gewählte Mandatsträger die ihm anvertrauten Machtbefugnisse nicht zu privaten Zwecken missbraucht, sondern sie vielmehr am Gemeinwohl orientiert. Dann ist eine
96 U. Epp, Die Abgeordnetenbestechung – § 108e StGB, S. 135; U. Schlosser, Die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages. 97 P. Krause, Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit, DÖV 1974, S. 325 (328). 98 P. Krause, a.a.O., S. 325 (329); vgl. auch BVerfGE 8, 51 (69). 99 J.-D. Kühne, Die Abgeordnetenbestechung – Möglichkeiten einer gesetzlichen Gegenmaßnahme unter dem Grundgesetz, S. 47; U. Schlosser, Die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 136. 100 So A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 134. 101 A. Käßner, ebenda.
Geschichtliche Entwicklung der Interessenpolitik in Deutschland
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Beeinträchtigung des Grundsatzes der demokratischen Gleichheit nicht zu befürchten.102
IV.
Geschichtliche Entwicklung der Interessenpolitik in Deutschland
Das Einwirken von Interessen auf den Staat gehört heute geradezu wesensimmanent zu einer pluralistischen Demokratie, wie sie sich in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat. Verschiedene gesellschaftliche Kräfte versuchen, den Prozess der politischen Willensbildung und der staatlichen Entscheidung zu eigenen Gunsten bzw. zugunsten der Interessen ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Der Ursprung der »klassischen« Interessenvertretung im politischen System der Bundesrepublik Deutschland liegt im Bereich der Interessenverbände, die auf eine lange Tradition zurückblicken können. Um das Verbandswesen und dessen Funktion im politischen Willensbildungsprozess der heutigen Bundesrepublik zu verstehen, ist ein Verständnis der historischen Entwicklung des Verbandswesens bis hin zur heutigen diversifizierten »Akteurslandschaft« in der Interessenpolitik grundlegend. In europäischen Dimensionen betrachtet, wurde der Einfluss von Interessen auf öffentliche Angelegenheiten seit dem auslaufenden 18. Jahrhundert von verschiedener Seite zunächst höchst kritisch betrachtet. Jean Jacques Rousseau, einer der Väter der Demokratie, wandte sich strikt gegen die Bildung aller Arten von Interessengruppen. Dies geschah im Gesamtkontext der gerade überwundenen feudalistischen Strukturen Frankreichs, in denen die Stände selbst dringende Reformen blockiert und so der Revolution von 1789 den Weg bereitet hatten.103 Auch der deutsche Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel, als Vertreter einer gänzlich anderen Staatsauffassung, lehnte die Existenz partikularer Interessen völlig ab. Nach von Arnim sah Hegel im Staat eine »Verkörperung sittlicher Ideen, der vor der Überwucherung durch die Gesellschaft, die er als ›Reich der Interessen‹ verstand, geschützt werden müsse«.104 Die damit einhergegangene Entstehung und Entwicklung der Verbändelandschaft in Deutschland kann Kleinfeld zufolge anschaulich entlang der politischen Regimewechsel der letzten 125 Jahre nachgezeichnet werden. Das erklärt zudem, warum sich diese Verbändelandschaft als Wechselspiel von Kon102 A. Käßner, ebenda. 103 H. H. von Arnim, Herrschaft der Lobby? Zur Notwendigkeit und zum Missbrauch des Einflusses der Wirtschaft und Politik, in Ritter/ Feldmann (Hrsg.), Lobbying zwischen Eigeninteresse und Verantwortung, S. 17 (22), m. w. N. 104 H. H. von Arnim, ebenda, m. w. N.
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tinuität und Diskontinuität, von Neugründungen, Reorganisationen und Traditionen – und damit aus Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen – entwickelte.105 Eine detaillierte historische Darstellung jener Entwicklungen erfolgt an dieser Stelle nicht, vielmehr sollen die wesentlichen Entwicklungsstufen bis hin zu der heutigen breiten Diversifizierung von Verbänden und anderen Gruppen skizziert werden, die versuchen, auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen.
1.
Die Entstehung von Verbänden bis 1871
Bereits die vorindustrielle Gesellschaft war eine Gesellschaft mit organisierten Strukturen, deren Formen und Träger politischer Interessenvertretung sich bis Anfang des 18. Jahrhunderts auf persönliche Einflussnahme bei Regenten, Höfen und Verwaltungen, auf ständisch-soziale Repräsentation in Form von Zünften und Gilden sowie auf Formen lokaler politischer Repräsentation (Privilegien freier Städte) beschränkten.106 Nach den revolutionären Umwälzungen in Frankreich und der industriellen Revolution in England lief schließlich nach Auflösung der mittelalterlichen Korporationen eine Welle von Vereinsgründungen durch Westeuropa, die vorwiegend privaten Charakter (etwa in Form von gelehrten Gesellschaften, Schützen- und Feuerwehrvereinen, Erbauungsvereinen) hatten.107 Nationalpolitische Zielsetzungen wurden in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere durch die neu entstehenden Burschenschaften, Gesangs- und Turnvereine, verfolgt.108 Der erweiterte politische Herrschaftsbereich, beispielsweise in Form der Institutionalisierung der kommunalen Selbstverwaltung durch die »Stein-Hardenbergschen Reformen«, schuf Anlässe, auf öffentliche Entscheidungen einzuwirken. Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und das daraus entstandene Erfordernis der Reorganisation der katholischen Kirche markierte den Beginn der Entstehung eines breiten Netzes katholischer Vereine und eines eigenständigen Milieus, das mit der im Jahr 1870 gegründeten deutschen Zentrumspartei schließlich sogar eine parteipolitische und parlamentarische Ver105 Vgl. R. Kleinfeld, Die historische Entwicklung der Interessenverbände in Deutschland, in: T. von Winter und U. Willems (Hrsg.), Interessenverbände in Deutschland, S. 51. 106 R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (52). 107 R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (52) mit Verweis auf G. Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung. 108 W. Hartwig, in: Brunner/ Conze/ Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, S. 789 – 829.
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tretung besaß.109 Bis dahin übten Regierungen und Verwaltungen der deutschen Einzelstaaten einen stark regulierenden, meist vom politischen Kalkül bestimmten Einfluss auf die Förderung von Verbänden aus, die ihrer Ansicht nach dem öffentlichen Interesse dienten, oder gingen gegen Organisationen vor, die sich unabhängig vom Staat oder gegen ihn zusammenschlossen.110 Prägend für diese Zeit war eine Dichotomisierung von Staat und Gesellschaft. Diese sah nur in der gesellschaftlichen Sphäre Platz für (apolitische) Partikularinteressen, wohingegen sich jede staatliche Entscheidung zwingend an einem präexistenten Gemeinwohl zu orientieren hatte.111 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ging die Initiative zur Gründung von Assoziationen im Wirtschaftsbereich meist von staatlicher Seite aus, so dass auf diese Frühphase staatlicher Förderung und Inkorporierung von Assoziationen letztlich die für Deutschland typische Zweiteilung wirtschaftlicher Interessenvertretung in Form freier Verbände und öffentlicher Kammerorganisationen zurückgeht.112
2.
Die Formierung der Verbände-Staat-Beziehungen im Kaiserreich (1871 – 1918)
Die föderalistisch verfasste, konstitutionelle Monarchie, die 1871 als Nationalstaat an die Stelle des Deutschen bzw. Norddeutschen Bundes getreten war, beförderte das sich noch in Entwicklung befindliche System der Interessenvertretung mit einer neuen Gründungswelle von Verbänden und Parteien. Rechtsform dieser neu entstehenden Verbände war in der Regel die des bürgerlichen Vereins.113 Die von Reichskanzler Bismarck verfolgte Wirtschafts- und Sozialpolitik bewirkte, dass der Einfluss der Interessenverbände auf die staatliche Politik zunahm, was insbesondere für die vielen Spezialgesetze und für den umfangreichen Bereich der Verordnungs- und Verwaltungstätigkeit der Regierung galt.114 Vor allem die Industriellen in den Branchen Textil, Eisen und Stahl hatten schon früh Fachgruppen und Verbände gegründet, die sich etwa auf das gemeinsame Interesse an Schutzzollpolitik bezogen.115 Die (Neu)-Gründungen
109 110 111 112 113 114 115
R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (53). Vgl. H.-P. Ullmann, Interessenverbände in Deutschland S. 124. J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 172. R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (55). R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (56). G. Ritter, Über Deutschland. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte, S. 440. R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (58).
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von Einzelgewerkschaften, obwohl insbesondere durch die Politik Bismarcks stets bekämpft, fielen ebenso in diesen Zeitraum.116 Die Verbände erlebten im Kaiserreich den erfolgreichen Abschluss ihrer Entstehungsphase, so dass durch eine zunehmende Professionalisierung, etwa durch bezahlte Verbandspolitiker als berufsmäßige Vertreter von Interessen, die Dauerhaftigkeit und Stabilität der Verbände wuchs. Die politische Repräsentation verbandlicher Interessen erfolgte dabei vor allem gegenüber Regierung und Verwaltung, dem Reichstag und den Parteien sowie gegenüber der öffentlichen Meinung.117 Eine Zäsur erlitt diese Entwicklung schließlich mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im Zuge dessen durch die Kriegsproduktion staatliche Institutionen umfangreich in die organisierten Interessen eingriffen.118
3.
Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus (1918 – 1945)
Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden die Verbände in der Zeit der Weimarer Republik zu einem als verfassungsrechtlich verankerten Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens (Art. 124 und 159 WRV), was Straßner zufolge insbesondere auch den freien sozialistischen Gewerkschaften – die zuvor noch intensiv bekämpft worden waren – zunächst einen Aufschwung ermöglichte.119 Die sich zunehmends verschärfenden Wirtschaftskrisen, Inflation und Massenarbeitslosigkeit sowie die ideologischen Richtungskämpfe zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten trugen allerdings schon bald zum Bedeutungsverlust der Gewerkschaften bei, der schließlich in einen Auflösungsprozess mündete.120 Auf Seiten der Unternehmerverbände setzte sich eine Konzentrationstendenz in Form des Zusammenschlusses mehrerer Dachverbände fort. Die weltweite Wirtschaftskrise, der der sogenannte »Schwarze Freitag« an der New Yorker Börse im Jahr 1929 vorangegangen war, verstärkte den Ruf insbesondere seitens der Unternehmer nach einem starken Staat wilhelminischer Prägung, der bis hin zur ausdrücklichen Forderung der Einbeziehung der NSDAP in die Regie116 A. Straßner, Das Spektrum der Verbände in Deutschland, in: M. Sebaldt/A. Straßner (Hrsg.), Verbände in der Bundesrepublik Deutschland, S. 73 f. 117 Vgl. H.-P. Ullmann, Interessenverbände in Deutschland, S. 124 sowie R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (60). 118 Vgl. A. Straßner, a.a.O., S. 73 (79) und H.-P. Ullmann, Interessenverbände in Deutschland, 1988, Frankfurt am Main, S. 124. 119 A. Straßner, a.a.O., S. 73 (79), m. w. N. 120 A. Straßner, a.a.O., S. 73 (79 f.).
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rungspolitik reichte.121 Kennzeichnend für die Interessengruppen der Weimarer Republik war allgemein die bewusst gesuchte Annäherung an jeweils eine politische Partei – so waren beispielsweise die freihändlerischen Wirtschaftsverbände den Liberalen zuzuordnen, der Bund der Landwirte und die lutherischen Kirchen waren Basis der konservativen Parteien, während das Zentrum traditionell die katholischen Christen vertrat.122 Schließlich war es jedoch die fehlende Verankerung demokratischer Normen in Justiz, Verwaltung und Militär, die am Ende entscheidend zum Zusammenbruch der ersten deutschen Demokratie beitrug. Es folgte das nationalsozialistische Zwangssystem, das mit allen freiheitlich-demokratischen Grundsätzen brach. Das nationalsozialistische Regime schrieb für die Organisation der Verbände früh drei Grundsätze fest: Ausschließlichkeit, Zwangsmitgliedschaft und Führerprinzip. Unter diesen Bedingungen wurde die vielfältige Verbändelandschaft der Weimarer Zeit praktisch innerhalb weniger Monate zerschlagen und dadurch »gleichschaltet«.123 So wurden beispielsweise auf Seiten der Unternehmerverbände der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) und die Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (RDA) zum »Reichsstand der deutschen Industrie« zwangsvereinigt.124 Ziel der Nationalsozialisten war in Anlehnung an den »korporativen Staat« des Diktators Mussolini in Italien, der Aufbau einer korporativen Wirtschaftsordnung als Reaktion auf die wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik, was sich aber letztlich mit dem starren »Führerprinzip« nicht realisieren ließ. Die entstandenen Einheitsverbände hatten damit aufgehört, Interessenverbände im eigentlichen Sinne zu sein.125
4.
Die Entwicklung der Verbände in der Bundesrepublik nach 1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Wiedererrichtung und Reorganisation der Verbände vor allem geprägt durch die Restauration der Verbandsstrukturen aus der Weimarer Zeit sowie die Abkehr vom totalitären Verbandssystem der nationalsozialistischen Zeit.126 Die »Verarbeitung« des Nationalsozialismus gestaltete sich in den Verbänden und Vereinigungen von Industrie und Mittelstand, von Kirchen und Beamtentum und den anderen Verbänden und Vereinigungen aus der Weimarer Zeit sehr unterschiedlich, was von 121 122 123 124 125 126
P. Lösche, Verbände und Lobbyismus in Deutschland, S. 30 f.; A. Straßner, a.a.O., S. 73 (80). A. Straßner, a.a.O., S. 73 (81). Vgl. H.-P. Ullmann, Interessenverbände in Deutschland, S. 223. A. Straßner, a.a.O., S. 73 (82). P. Lösche, a.a.O., S. 32 f. J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 167.
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schlichter Verdrängung über bruchlose Anknüpfung an die Traditionen der Weimarer Zeit bis hin zu kritischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit reichte.127 Dabei vollzog sich die (Wieder-) Zulassung der Verbände durch die alliierten Besatzungsmächte, von denen bis 1949 die maßgeblichen Entscheidungen getroffen wurden, insbesondere auf Grundlage konsequenter Dezentralisierung und Demokratisierung der Verbände, zunächst lokal, dann zonal und erst später überzonal.128 Der einsetzende »Kalte Krieg« verhinderte dabei schon bald das Entstehen eines gesamtdeutschen Verbandssystems. In der »Sowjetisch Besetzten Zone« (SBZ) wurde ein System von gesellschaftlichen Massenorganisationen nach sowjetischem Muster eingeführt, während sich in der Bundesrepublik rasch ein ausdifferenziertes Verbändesystem auf der Grundlage einer pluralistischen Demokratie herausbildete. Dabei entkoppelte sich vor allem die bis dahin traditionelle Bindung von Verbänden an eine bestimmte politische Partei oder Konfession, wie sie noch in der Weimarer Zeit vorgeherrscht hatte, und auch die Grenzen der Sozialmilieus wurden durchlässiger und immer weiter abgebaut. Viele Verbandssatzungen stellten dazu verstärkt auf das Neutralitäts- bzw. Überparteilichkeitsprinzip ab.129 Dennoch bestanden auch weiterhin Affinitäten bestimmter Verbände zu einzelnen Parteien, wie etwa die Kontakte der Gewerkschaften zur SPD oder die der Unternehmerverbände zum Lager der bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP. Der Erfolg der interkonfessionellen CDU- und CSU-Neugründung sowie die programmatische Revision der SPD im Godesberger Programm zeigte dabei, dass insgesamt im Parteiensystem die Ausrichtung an homogenen Sozialmilieus überwunden und so fast alle gesellschaftlichen Strömungen in das neue politische System integriert werden konnten.130 Anders als noch zur Weimarer Zeit wurde bewusst auf eine verfassungsrechtliche Kodifikation der Verbände, entsprechend der der politischen Parteien in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, verzichtet. Begründung für den nicht geschaffenen verfassungsrechtlichen Status der Verbände ist, dass in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Vertreter der Parteien nur auf demokratisch legitimiertem Wege in Staatsorgane gewählt werden, während Interessenverbände sich nicht vor dem Volk zu verantworten haben.131 Einen zumindest individualrechtlichen Schutz genießen die Verbände aber über das Grundrecht der
127 Vgl. R. Kleinfeld a.a.O., S. 51 (75), unter Verweis auf: U. von Alemann, Organisierte Interessen in der Bundesrepublik. 128 Vgl. R. Kleinfeld, a.a.O., S. 51 (76). 129 Vgl. R. Kleinfeld, ebenda. 130 Vgl. R. Kleinfeld, ebenda. 131 J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 171.
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allgemeinen Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) sowie die Koalitionsfreiheit als deren spezielle Ausprägung (Art. 9 Abs. 3 GG).132 Die Leitbilder für Rolle und Tätigkeit der Verbände wandelten sich vom anfänglich dominierenden Pluralismus und Neopluralismus133 der 1950er und 1960er Jahre über die Korporatismusforschung134 der 1970er Jahre – als eine Zäsur gilt hier die studentische Protestbewegung des Jahres 1968135 – bis hin zu einer verstärkten Individualisierung der Interessen in der heutigen Zeit, die geprägt ist durch die Prozesse der Globalisierung und die europäische Integration. Heute besteht über die prinzipielle Existenzberechtigung der Interessenverbände in der durch das Grundgesetz konstituierten Staatsorganisation in Politikwissenschaft und Staatslehre Einigkeit, wobei ihr Wirken stets wesensnotwendig partikular und parteilich ist.136 Grundgesetzliche Vorkehrungen gegen einen überbordenden Verbandseinfluss bis zu einer Erscheinung als »trojanisches Pferd« (Horn)137 wurden in Form der Normierung des freien Abgeordnetenmandats (Art. 38 GG), des öffentlichen Amtes und des Berufsbeamtentums getroffen. Es bleibt dennoch stets ein Spannungsverhältnis zwischen den in ununterbrochener Legitimationskette138 vom Volk gewählten und mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern einerseits und den partikularinteressengeleiteten Verbänden andererseits.139 Der Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik hat die Verbandslandschaft nur wenig verändert. Zwischen dem Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung haben sich viele der DDR-Massenorganisationen aufgelöst, die alten bundesrepublikanischen Verbandsstrukturen wurden nach Osten ausgedehnt.140 Schließlich sieht sich die deutsche Verbandsszene heute durch die Herausforderungen der zunehmenden Pluralisierung und Heterogenisierung gesellschaftlicher Interessen, die gestiegene Komplexität und Interdependenz von politischen Handlungsfeldern und politischen Entscheidungsprozessen einer gewachsenen Konkurrenz neuer Akteure der Interessenvermittlung gegenüber,
132 133 134 135 136 137 138 139 140
J. Ipsen, ebenda. Maßgeblich eingeführt und entwickelt durch Ernst Fraenkel. Prototyp: Konzertierte Aktion unter Wirtschaftsminister Karl Schiller. J. Ipsen, a.a.O., S. 168. H.-D. Horn, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR III, § 41 Rn. 34, m. w. N. sowie J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 171. H.-D. Horn, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR III, § 41 Rn. 50. BVerfGE 77, 1 (40); 83 60 (73). J. Ipsen, a.a.O., S. 173. P. Lösche, Verbände und Lobbyismus in Deutschland, S. 35 f.
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wie auch dem Wachstum organisierter Interessen insgesamt.141 So befinden sich die in den USA unter der Bezeichnung »Public Interest Groups« entstandenen Organisationen aus verschiedenem Anlass – beispielsweise für die Umweltbewegung oder die Frauenbewegung – wie Greenpeace, der BUND, Friedensgruppen und Menschenrechtsgruppen wie »Amnesty International« oder Organisationen gegen Korruption und Lobbyismus wie »Transparency International« auf dem Vormarsch und sorgen so für eine Pluralisierung in der Landschaft der Interessengruppen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass trotz gewisser Erosionserscheinungen es häufig noch die traditionellen Großverbände sind, die gesellschaftlich, ökonomisch und politisch besonderes Gewicht haben. Dies ist Lösche zufolge in erster Linie schon darauf zurückzuführen, dass in ihrem Organisationsbereich über Lebenschancen und den Alltag eines Großteils der Bevölkerung entschieden wird.142 Schließlich aber haben jüngste politische Entwicklungen, so insbesondere die »Neuausrichtung« der Energiepolitik, gezeigt, dass es gerade nicht maßgeblich die Großverbände waren, die ihre Interessen hierbei umzusetzen wussten. Das zeigt, wie vielschichtig und heterogen Interessenvertretung in Deutschland inzwischen ausgeprägt ist.
V.
Akteure der Interessenpolitik
Um im Anschluss an den historischen Abriss die heutigen verschiedenen Akteure im Bereich der Interessenpolitik darzustellen und zu differenzieren, ist eine Definition des Begriffes »organisierter Interessen« grundlegend. Dies fällt schwer, da selbstgewählte Eigenbezeichnungen der Interessenorganisationen – etwa »Verband«, »Gewerkschaft«, oder »Verein« – nur wenig Hinweise über ihre Ziele und Vorgehensweise geben.143 Die politische Wissenschaft verwendet in der Regel »neutrale« deutsche oder englische Begriffe: Interessengruppen, Interessenverbände, Interessenorganisationen oder interest group, pressure group, lobby. Nach der Verbändeforschung der 1950er Jahre – prägend war hier das Werk Theodor Eschenburgs, »Herrschaft der Verbände?«144 – wurde »pressure« als die charakteristische Einflussnahme und die Ausübung von Druck überall dort, wo politische Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden, definiert. »Pressure group« zielte dabei primär auf die Vorgehensweise der Organisation, »Verband« – vornehmlich als Begriff der deutschen Literatur – hingegen betonte 141 Vgl. U. Willems und T. von Winter, Interessenverbände als intermediäre Organisationen, in: Winter/ Willems (Hrsg.), Interessenverbände in Deutschland, S. 13 (18). 142 P. Lösche, ebenda. 143 A. Straßner in: Sebaldt/Straßner, Verbände in der Bundesrepublik Deutschland, S. 19 ff. 144 T. Eschenburg, Herrschaft der Verbände?.
Akteure der Interessenpolitik
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die organisatorische Komponente.145 Nach der klassischen soziologischen Definition Max Webers: »Verband soll eine nach außen regulierend beschränkte oder geschlossene soziale Beziehung dann heißen, wenn die Innehaltung ihrer Ordnung garantiert wird durch das eigene auf deren Durchführung eingestellte Verhalten bestimmter Menschen«.146
Deren Ziel sei es, die eigenen Interessen im Wettstreit mit anderen Handlungseinheiten oder durch Einflussnahme auf staatliche Einrichtungen, Parteien oder die öffentliche Meinung durchzusetzen.147 Definitionsversuche des zentralen Begriffes »Interessengruppe« variieren in der Literatur zwischen Minimaldefinitionen (weiterer Verbandsbegriff) und dem Versuch, mehrere Variablen (bürokratischer Organisationsapparat, feste Struktur, Dauer, konkreter Zweck etc.) in die Bezeichnung einfließen zu lassen (enger Verbandsbegriff).148 Allen Versuchen wohnt die Problematik inne, dass sie gleichwohl ausgrenzend wirken und nicht ohne Widersprüche sind.149 Eine feste organisatorische Struktur über einen gewissen Zeitraum hinweg etwa erfasst nicht spontane Zusammenschlüsse oder Bewegungen, die sich »nur« aufgrund eines gesellschaftspolitischen Themas und für kurze Dauer zusammenschließen, gleichwohl aber wirksam politischen Einfluss geltend machen können. Obwohl zum einen eine endgültige Klassifizierung nach objektiven Kriterien nicht möglich ist und es zum anderen keine widerspruchsfreie Zuordnung einzelner Akteure gibt, wird im Folgenden eine grobe Einordnung vorgenommen, um die breite »Akteurslandschaft« der Interessenvertreter zu verdeutlichen.
1.
Gruppe der Interessenverbände
Bei den Interessenverbänden lassen sich zwei verschiedene Typen benennen, die sich von Struktur und Organisation her unterscheiden. Zum einen sind dies die traditionellen Verbände, die organisatorisch verfestigt sind und einen empirisch nachweisbaren Kreis von Mitgliedern haben.150 Verbände sind auf Dauer angelegt und versuchen, Einfluss auf staatliche Entscheidungen zu nehmen, ohne A. Straßner in: Sebaldt/Straßner, ebenda. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 26. M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, S. 76. A. Straßner, a.a.O., S. 20 f. U. von Alemann, Der Wandel organisierter Interessen in der Bundesrepublik Deutschland, APuZ 1985, S. 6. 150 C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 14 f. unter Verweis auf F. MüllerRommel, Interessengruppenvertretung im deutschen Bundestag, S. 302. 145 146 147 148 149
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Parteien zu sein.151 Dazu werden Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Industrie- und mittelständische Verbände sowie die Verbände freier Berufe und Verbraucherverbände gezählt. Im sozialen Bereich sind dies die Sozialanspruchsverbände, wie die Verbände der Kriegsgeschädigten, der Behinderten sowie die Wohlfahrtsverbände. Im Bereich von Kultur und Religion zählen wissenschaftliche Vereinigungen, Kunstvereine und Kirchenverbände zu den traditionellen Interessengruppen.152 Zum anderen gibt es in jüngerer Zeit vermehrt Gruppen, die – strukturell betrachtet – keinen so hohen Organisationsgrad aufweisen, deren Mitgliederzahl stark schwankt und häufig nicht genau ermittelt werden kann. Diese Interessengruppen agieren vornehmlich im außerparlamentarischen Raum mittels unkonventioneller Formen der politischen Partizipation.153 Zu diesen Gruppen gehören Richter zufolge einerseits die Vereinigungen der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung, die dabei auch längerfristige Ziele verfolgen und damit auf eine gewisse Dauer angelegt sind. Andererseits sind dazu die Gruppen, die sich zur Erreichung eines bestimmten Zieles zusammengeschlossen haben und nicht so stark organisiert sind, zu zählen. Sie existieren in der Regel nur über einen begrenzten Zeitraum hinweg, nämlich bis zur Erreichung ihres Zieles.154 Dazu gehören beispielsweise Bürgerinitiativen und Bürgerbewegungen (Stichwort »Stuttgart 21/Die Parkschützer«). Diese letztgenannten Gruppen sind zwar keine professionellen Akteure gegenüber dem Parlament, gleichwohl ist ihre faktische (nachträgliche) Beeinflussung, auch von bereits abgeschlossenen politischen Beratungen und bisweilen gerichtlich bestätigten Entscheidungen, nicht zu unterschätzen.
2.
Gruppe der »Neuen Akteure«
Neben der Gruppe der Interessenverbände und der »Spontanzusammenschlüsse« sind es insbesondere einzelne Unternehmen oder Konzerne, die auf die Entscheidungen der Mandatsträger und der Ministerialbürokratie Einfluss zu nehmen suchen.155 Zur Durchsetzung dieser Ziele bedienen sie sich – soweit nicht verbandsmäßig organisiert oder einem solchen zugehörig – entweder 151 R. Steinberg, Parlament und organisierte Interessen, in: Schneider/ Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 217. 152 C. Richter, a.a.O., S. 15. 153 C. Richter, ebenda, unter Verweis auf F. Müller-Rommel, Interessengruppenvertretung im deutschen Bundestag, S. 302. 154 C. Richter, a.a.O., S. 15 f. 155 C. Richter, a.a.O., S. 16, unter Verweis auf H. H. von Arnim, Abgeordnetenkorruption, JZ 1990, S. 1014 f.
Akteure der Interessenpolitik
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hauseigener oder freiberuflich tätiger Lobbyisten, Public-Affairs-Agenturen oder Rechtsanwaltskanzleien. Anwaltskanzleien, die auf die Begleitung von Gesetzgebungsprozessen für bestimmte Fachfragen (beispielsweise im Bereich des Energierechts) spezialisiert sind, beschäftigen neben Rechtsanwälten auch Public-Affairs-Experten. Auch ehemalige Politiker können mit ihrer juristischen und/oder politischen Sachkenntnis Gesetzgebungs- und Verordnungsprozesse professionell »begleiten« und durch ihre persönlichen Netzwerke den Zugang zu den politischen Entscheidern erleichtern.156 Zudem vertreten neben Agenturen für »Public Affairs«, die teils über ein breites Netzwerk von Dependancen verfügen157, zunehmend auch Unternehmensberatungen die Interessen ihrer Mandanten gegenüber der Politik. Zahlreiche Großunternehmen gehen angesichts divergierender eigener, im Vergleich zu den durch ihre Branchenverbände vertretenen Interessen, dazu über, selbst Unternehmensrepräsentanzen am Sitz von Regierung und Parlament zu eröffnen. Durch eigene Repräsentanten, teils sogar zusätzlich unterstützt durch beauftragte Public-Affairs-Agenturen (»multi-voice lobbying«), können sie sich zumeist gezielter und »schlagkräftiger« gegenüber den politischen Entscheidungsträgern positionieren und profilieren, als es der Verband als Vereinigung unterschiedlichster Einzelinteressen könnte.158 Ein weiteres Phänomen der sich verändernden »Lobbylandschaft« sind schließlich sogenannte Nicht-Regierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations, kurz: NGOs), die sich – nach eigenem Bekunden159 – weniger für konkrete unternehmerische Einzelinteressen sondern für gesamtgesellschaftliche Fragestellungen wie den Umweltschutz oder die »Integrität, Verantwortlichkeit, Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft« (Transparency International Deutschland e.V.)160 einsetzen. Auch diese Interessenvertreter agieren hochprofessionell und sind beispielsweise als Sachverständige in Ausschussanhörungen oder Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages an politischen Beratungen unmittelbar beteiligt. Ihre zunehmende Bedeutung wird klar vor dem Hintergrund der Entscheidung für die sogenannte Energiewende durch die CDU/CSU-FDP-Koalition während der 17. Wahlperiode. Mit der Absage an die Energiegewinnung durch Kernkraft und die damit verbundene 156 P. Lösche, Verbände und Lobbyismus in Deutschland, S. 63, 64. 157 Vgl. Ch. Lahusen/ C. Jauß, Lobbying als Beruf. Interessengruppen in der Europäischen Union, S. 141. 158 P. Lösche, a.a.O., S. 65. 159 Vgl. etwa die Ausführungen zum Selbstverständnis der Organisation Greenpeace e.V. unter http://www.greenpeace.de/ueber_uns/. Hinweis: Alle in dieser Niederschrift verwendeten Internetadressen waren am 1. Mai 2013 abrufbar). 160 Vgl. den Internetauftritt der Organisation unter http://www.transparency.de/UEber-uns. 44.0.html.
42
Einführung
ambitionierte Hinwendung zu den erneuerbaren Energien sind die traditionell als einflussreich geltenden Interessen der Industrieverbände durch Umweltverbände bzw. NGOs praktisch »ausmanövriert« worden.161
3.
Zusammenfassung
Allein die »Öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern« (»Lobbyliste«) beim Präsidenten des Deutschen Bundestages weist heute rund 2100162 registrierte Verbände aus. Hinzu kommen die beschriebenen zahlreichen »Neuen Akteure« der Interessenvertretung, so dass sich die LobbyLandschaft in Deutschland nicht nur durch bloße Anzahl, sondern vor allem auch durch eine ausgeprägte organisatorische Vielfalt auszeichnet. Ein Rechtsrahmen muss vor dieser Vielfältigkeit der Erscheinungsformen und Vorgehensweisen der Akteure bestehen können, so er denn beansprucht, generell-abstrakte Regelungen für diese festlegen zu können.
VI.
Methoden der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse
Definitionsgemäß gehört es zum Wesen der Verbände, im Sinne der Anliegen ihrer Mitglieder auf staatliche Entscheidungen Einfluss zu nehmen, so dass als »klassischer Adressat« neben dem Parlament mit seinen Abgeordneten auch die Ministerialbürokratie angesehen wird.163 In den Referaten der Ministerien werden Entwürfe für Gesetze und Verordnungen maßgeblich vorbereitet und formuliert. Nach den Beratungen des Bundeskabinettes gelangen die meisten Gesetzentwürfe erst danach in die parlamentarischen Gremien und erfahren dort mehr oder weniger umfangreiche Modifizierungen. Diese Praxis, nach der kaum ein Gesetz aus den parlamentarischen Beratungen wieder so »herauskommt«, wie es im (Ministeriums-)Entwurf ursprünglich in die Gremien eingebracht worden ist, wird nach dem früheren Vorsitzenden der SPD-Bundes-
161 Vgl. dazu auch den Kommentar »Klimapanik im Schatten der Energiewende« von U. Kulke in DIE WELT online, abrufbar unter : http://www.welt.de/debatte/kommentare/article112352158/Klimapanik-im-Schatten-der-Energiewende.html. 162 Stand: 1. Mai 2013, vgl. http://www.bundestag.de/dokumente/lobbyliste/lobbylisteaktuell. pdf. 163 R. Steinberg, Herrschaft der Verbände? Interessenverbände in der Verfassungsordnung, in: de Rudder/ Sahner (Hrsg.), Herrschaft der Verbände?, S. 11 (13); P. Lösche, Verbände und Lobbyismus in Deutschland, S. 66 f.
Methoden der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse
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tagsfraktion, Peter Struck, im informellen Sprachgebrauch inzwischen als »Struck’sches Gesetz« bezeichnet. Betrachtet man nun die Art und Weise der Einflussnahme auf die politischen Entscheidungsprozesse, so lassen sich nach Weber vier zentrale Methoden unterscheiden: Artikulation, Aggregation, Selektion und politische Integration unterschiedlichster Interessen.164 Die verschiedenen Interessengruppen nehmen diese ihnen zugeschriebenen Funktionen äußerst unterschiedlich wahr und haben dabei teilweise schon intern die größten Schwierigkeiten, ihrer Aufgabe auch professionell gerecht zu werden.165 Mit Aggregations- und Selektionsleistungen tragen Interessengruppen danach ganz wesentlich zur Entlastung des zentralen politischen Entscheidungssystems bei: den (politisch) Verantwortlichen wird praktisch schon die (vorab und intern) gebündelte und mehrheitsfähige Position eines Interessenspektrums fertig vorgelegt. Wird dies professionell geleistet, so ist auch eine adäquate politische Integration der Vielzahl von Interessen gewährleistet. Verbände schaffen vielfältige Podien für Partizipation und vermitteln dem einzelnen (Verbandsmitglied) letztlich das Gefühl, im politischen Verfahren beteiligt zu sein, was letztlich politischer »Ausgrenzung« effektiv entgegenwirkt.166 Politische Einflussnahme ist dann besonders effektiv, wenn sie bereits im Frühstadium der politischen Planung ansetzt, d. h. zum Teil auf Ministerial- bzw. Referatsebene. Die parlamentarischen Gremien folgen aufgrund der verbreiteten Praxis in Gesetzgebungsverfahren (Einbringung des Gesetzentwurfes durch die Bundesregierung in den Bundestag) erst im Anschluss. Hierin spiegle sich nach Steinberg der Kompetenzzuwachs des Bundes, vor allem auf den Gebieten der Gesetzgebung sowie der Verwaltung, aber eben auch der oft beklagte Bedeutungsverlust des Parlaments wider.167 Verbandlicher Einfluss müsse daher in konzertierter Aktion geltend gemacht werden. Die Ministerialbürokratie habe zudem ein eigenes Interesse an einem intensiven Kontakt mit den Verbänden. Letztere lieferten wesentliche Informationen, ohne die Regelungen des Staates leicht fehlschlagen oder zu unerwünschten Konsequenzen führen könnten. Steinberg spricht von weitverästelten und tief in die Gesellschaft reichenden »Sensoren«, die umso unentbehrlicher seien, als die Ministerialverwaltung in Ermangelung eines umfassenden eigenen Verwaltungsunterbaus nicht über
164 J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 386. 165 M. Sebaldt, Verbände und Demokratie: Funktionen bundesdeutscher Interessengruppen in Theorie und Praxis, APuZ Bd. 36 – 37/1997, S. 27 f. (37). 166 R. Steinberg, a.a.O. S. 11 (13). 167 R. Steinberg, a.a.O., S. 11 (15).
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Einführung
ausreichende Kontaktstellen zur Vermittlung des erforderlichen Sachverstands verfüge.168 Die Interessenvertreter verfolgen unterschiedliche Strategien, um ihre Forderungen durchzusetzen. Sie nehmen auf mannigfache Art und Weise Einfluss auf die Entscheidungen von Abgeordneten. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass Kern der Arbeit von Lobbyisten die Informationsvermittlung ist, die auf sachlicher Kompetenz beruht und in den letzten Jahrzehnten zunehmend professionalisiert worden ist. Lösche spricht hier von einem »Tauschgeschäft«: Der Lobbyist mache dem Parlamentarier oder Ministerialbeamten seine Interessen plausibel, während sein Gegenüber Einblicke in die gesellschaftliche oder ökonomische Realität erhalte, die durch ein Gesetz oder eine Verordnung geregelt werden soll, und so das Begehen von Fehlern vermieden werde.169 Sebaldt zufolge ist ein professionelles Vorgehen bei der Lobby-Arbeit unerlässlich: »Zum Erfolg führt nicht in erster Linie politische Gerissenheit, sondern ehrliche, unspektakuläre, berechenbare und auch transparente politische Alltagsarbeit.«170 Das Vorgehen externer Interessenvertretung bei der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages lässt sich mithin grob unterteilen in die Interessendurchsetzung mittels informeller Kontakte, Interessendurchsetzung durch »Pressure-Strategien« sowie die Interessendurchsetzung durch die Abgeordneten selbst (»interne Lobby«).171 Selbstverständlich ist diese Aufteilung nicht abschließend und kann nicht beanspruchen, jegliche Art von Interessenpolitik gegenüber dem Deutschen Bundestag zu erfassen. Sie deckt aber die wesentlichen Vorgehensweisen der Lobbyisten ab und ist als Grundlage für den zu skizzierenden Rechtsrahmen von Vorteil.
1.
Interessenvertretung anhand von informellen Kontakten
Am Anfang und während des gesamten Verfahrens eines Gesetzgebungsvorhabens gehören informelle Kontakte zu den in der Praxis bedeutsamen parlamentarischen Einflussmöglichkeiten zwischen Interessenvertretern und Abge168 169 170 171
R. Steinberg, ebenda. P. Lösche, Verbände und Lobbyismus in Deutschland, S. 61 f. M. Sebaldt, ebenda. Vgl. zu dieser Differenzierung der Vorgehensweisen und diesbezüglicher Forschungsergebnisse, die hier zusammengefasst wiedergegeben werden: C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 17 ff., die in ihrer Arbeit neben dem Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung die Einführung von Inkompatibilitäts-, Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften untersucht, und auf deren Ergebnisse in dieser Arbeit im jeweiligen Sachzusammenhang wiederholt rekurriert wird.
Methoden der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse
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ordneten.172 Solche informellen Kontakte können von den Interessenvertretern auf unkomplizierte Art und Weise etwa durch die Veranstaltung von »parlamentarischen Abenden« in den Unternehmens-Repräsentanzen173, in »Bündnissen« oder an »Runden Tischen« hergestellt werden.174 In diesem Rahmen können die Interessenvertreter den Abgeordneten die Interessenlage ihres Verbandes bzw. Auftraggebers schildern und somit auf unverfängliche Art und Weise Informationen zu einem Thema liefern, bei dem sie Handlungsbedarf sehen.175 Das informelle Kommunikationsnetz zwischen den Abgeordneten und den Interessenvertretern kann dabei als engmaschig angesehen werden.176 Daraus wird deutlich, dass es eine ausgeprägte Kontaktsuche von Seiten der Interessenvertreter, aber ebenfalls eine starke Außenorientierung der Abgeordneten gibt. Als Beispiele solch enger informeller Kontakte nennt Richter die Vertreter von Wirtschaftsverbänden etwa gegenüber dem Wirtschafts- und Finanzausschuss oder die Vertreter der Landwirtschaftsverbände in Bezug auf die Mitglieder des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das informelle Kommunikationsnetz begründet sich zum Teil schon durch die berufliche »Herkunft« eines Abgeordneten vor Ausübung des Mandates.177
2.
Interessenvertretung durch »Pressure-Strategien«
Innerhalb des Parlamentes findet der Interessenaustausch weniger in der »Lobby« des Bundestages selbst, wie es die ursprüngliche Herkunft des Begriffes der »Lobbyisten« noch impliziert178, statt, sondern vielmehr in institutionalisierten Einflussformen. Interessenvertreter agieren dabei als sogenannte pressure groups.179 Hier sind die Kontakte zwischen Verbänden und diesen nahe172 C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 17. 173 R. Steinberg, Parlament und organisierte Interessen, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Schneider/ Zeh (Hrsg.), S. 226. 174 J. Ipsen, Der Staat der Mitte, S. 174. 175 C. Richter, ebenda. 176 C. Richter, ebenda, mit Verweis auf die Untersuchung von M. Hirner, Der Deutsche Bundestag im Netzwerk organisierter Interessen, in: Parlament und Gesellschaft, Herzog/ Rebenstorf/ Weßels (Hrsg.), S. 150 f. sowie L. Kißler, Parlament und gesellschaftliche Interessen, in: Bellers/ Engels u. a. (Hrsg.), Parlamentslehre – Das parlamentarische Regierungssystem im technischen Zeitalter S. 332 f. 177 Vgl. C. Richter, a.a.O., mit Verweis auf B. Weßels, Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft: öffentliche Anhörungen, informelle Kontakte und innere Lobby in wirtschafts- und sozialpolitischen Ausschüssen, ZParl 1987, S. 285 ff. (298), mit empirischen Nachweisen. 178 Vgl. oben S. 20 f. 179 L. Kißler, Parlament und gesellschaftliche Interessen, in: Parlamentslehre – Das parla-
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Einführung
stehenden Abgeordneten in Arbeitskreisen bzw. Arbeitsgruppen in den Fraktionen zu nennen.180 Weiterhin sind es Abgeordnetensprechstunden, EnqueteKommissionen oder Anhörungen von Interessenvertretern durch die Bundestagsausschüsse, mit denen auf Abgeordnete Einfluss genommen werden kann.181 Kodifiziert worden ist die Möglichkeit für Verbände, bei öffentlichen Ausschussanhörungen des Deutschen Bundestages nach § 70 Abs. 1 GO BT ihre Einschätzungen und Interessen vorzutragen. So kann ein Ausschuss öffentliche Anhörungen »von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen« vornehmen. Darüber hinaus legen Verbände dem Bundestag und der Bundesregierung Sachverständigengutachten vor, wobei die Gutachter von den Interessenverbänden bezahlt werden. Zum Teil werden diese Gutachten auch jedem einzelnen Bundestagsabgeordneten zugeleitet. Ebenso werden »neutrale« Gutachten in Auftrag gegeben, wobei die eigentlichen Auftraggeber – nämlich die Interessenverbände – unerkannt und ungenannt bleiben. Auf diese Art und Weise wird versucht, über einen Zeitraum hinweg im fachbezogenen Schrifttum und im allgemeinen Schrifttum eine sogenannte vorherrschende Meinung zu einem Themenkreis zu erzeugen, die für die Interessenvertreter günstig erscheint. Schließlich initiieren die genannten Akteure Presseerörterungen mit bestimmter Tendenz, die ihnen wohlgesonnen sind. Damit soll die Popularisierung eines Interessenstandpunktes in der Tages- und Tendenzpresse generiert werden, ohne dass deutlich erkennbar wird, dass es sich um Standpunkte handelt, die nach einem vorgefertigten Plan verbreitet werden.182 Auch Presseorgane sehen sich deshalb ausgeprägten professionellen Einflussnahmeversuchen ausgesetzt. Verbände agieren damit als professionelle Teilnehmer am politischen Willensbildungsprozess. Dabei sind sie in der Lage, zielgerichtet und effektiv in diesen Prozess einzugreifen, da sie sich für einen größeren Zeitraum langfristig auf einen Bereich konzentrieren können. Unter Umständen können sie ganze Gruppen von Abgeordneten für ihre politischen Zielsetzungen »verpflichten«.183 Eine weitere direkte Möglichkeit der Einflussnahme auf Parlamentarier ist der Abschluss von Beraterverträgen184 mit den Abgeordneten.185 Diese Berater-
180 181 182 183 184
mentarische Regierungssystem im technischen Zeitalter, Bellers/ Engels u. a. (Hrsg.), S. 333, sowie grundlegend schon das Werk T. Eschenburgs, Herrschaft der Verbände?. C. Richter, a.a.O., S. 18, mit Verweis auf L. Kißler, a.a.O. C. Richter, ebenda, m. w. N. J. Rottmann, Wandlungen im Prozeß der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, S. 329 (338). C. Richter, S. 19, unter Verweis auf M. Stolleis, Parteienstaatlichkeit – Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats?, VVDStRL H. 44 (1986), S. 7 (20). Im »Diäten-Urteil« (BVerfGE 46, 296, (318)) hat das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum darauf hingewiesen, dass gegen Beraterverträge, die ausschließlich auf die
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verträge weisen unterschiedliche Vertragsinhalte auf, anhand derer die Einflussmöglichkeiten der Interessenvertreter deutlicher werden. So gibt es zum einen Beraterverträge, in denen sich der Abgeordnete gegen eine Vergütung verpflichtet seinem Auftraggeber die Kenntnisse und Erfahrungen aus seinem zuvor ausgeübten Beruf zur Verfügung zu stellen, die mit seiner Tätigkeit als Mandatsträger nicht in direktem Zusammenhang stehen. Diese Art und Weise der Einflussnahme kann, der Argumentation Richters folgend, als unproblematisch angesehen werden, da die Interessenvertreter keinen Einfluss auf die direkte Mandatsausübung des Abgeordneten erlangen.186 Es besteht aber ebenso die Möglichkeit, die Einflussnahme mit Hilfe eines Beratervertrages zu erlangen, indem sich der Mandatsträger gegen Zahlung einer Vergütung dazu verpflichtet, dem Auftraggeber das aus dem Mandat folgende Wissen zu vermitteln.187 Schließlich gibt es Beraterverträge, die die juristische Form für die Gewährung von Vorteilen begründen. Die Gegenleistung des Abgeordneten besteht dabei darin, die Interessen seines Auftraggebers zu vertreten und nach Möglichkeit politisch durchzusetzen. Ebenso gab es Fälle, in denen der Abgeordnete sogar den Wechsel von einer Partei zur anderen schuldete.188 Solche Vereinbarungen dienen dem Ziel, den Mandatsträger zum Lobbyisten der Interessen seines Auftraggebers zu degradieren.189 In das weitere Umfeld kann auch die Diskussion eingeordnet werden, in der es um die zahlreichen Vortragshonorare des Abgeordneten und Kanzlerkandidaten der SPD für die 18. Wahlperiode, Peer Steinbrück, ging. Die Honorare hatte Steinbrück von Seiten der Privatwirtschaft erhalten und war dafür in die Kritik geraten, Vorträge etwa für Rechtsanwaltskanzleien gehalten zu haben, die in der
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Vertretung und Durchsetzung der Interessen des Zahlenden ausgerichtet sind, gesetzliche Vorkehrungen zu treffen sind, vgl. C. Richter, a.a.O. H. H. von Arnim, Das Verbot von Interessentenzahlungen an Abgeordnete – Zur Notwendigkeit und Möglichkeit seiner Durchsetzung aus Sicht des Steuerzahlers, S. 20 f. ; F. K. Fromme, Publizität für »Beraterverträge« von Abgeordneten, ZRP 1972, S. 225; P. Conradi, Parlamentarier in privilegienfeindlicher Demokratie – Anmerkungen eines Bundestagsabgeordneten zum »Diäten-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts, ZParl 1976, S. 113 (121). C. Richter, a.a.O., S. 19 ff. Vgl. den Beratervertrag zwischen dem Abgeordneten des schleswig-holsteinischen Landtags Engholm und einem Energiekonzern, wonach dieser eine jährliche Vergütung von 100.000,– DM erhalten hatte (FAZ v. 02. 11. 1994, S.3) oder die sog. Sparkassen-Affäre in der Kölner CDU, wonach zwei Politiker zurücktreten mussten, weil sie umstrittene Beraterverträge iHv 900.000,–E mit Sparkassen abgeschlossen hatten (DER SPIEGEL v. 02. 02. 2009). Vgl. den Beratervertrag zwischen dem Abgeordneten Geldner und einer Papierfabrik, Artikel v. Theodor Eschenburg in DIE ZEIT v. 04. 12. 1970 sowie R. Olderog, Die Wahl- und Abgeordnetenbestechung, S. 37, Anm. 264. C. Richter, a.a.O., S. 20 f., mit Verweis auf J. Henkel, Anmerkungen zu BVerfGE 40, 296 in: DÖV 1975, S. 819 ff.
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Einführung
Wahlperiode zuvor durch das von ihm geführte Bundesministerium der Finanzen mandatiert worden waren.190 Rechtlich gleichwohl zulässig, entbrannte darüber (erneut) eine politisch-gesellschaftliche Debatte, inwieweit bezahlte Tätigkeiten neben dem Abgeordnetenmandat zulässig seien.191 Die schärfste Form der unmittelbaren Einflussnahme von Interessenvertretern auf Abgeordnete ist deren Bestechung. Schon im Jahr 1950, als der Bundestag beschloss, Bonn als (provisorischen) Sitz von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat zu wählen, kam ein erster Verdacht auf, dass ein Abstimmungsergebnis im Bundestag wegen erheblicher Zuwendungen an einzelne Abgeordnete manipuliert sein könnte.192 Derselbe Verdacht wurde im Jahr 1991 erhoben, als die »Bundeshauptstadtfrage« am 20. 06. 1991 zugunsten Berlins entschieden wurde.193
3.
Abgeordnete als Interessenvertreter
Neben der Möglichkeit »externer« Einflussnahme auf die Parlamentarier ist eine weitere wirksame Strategie die »Repräsentanz« des Interessenverbandes, Unternehmens o. Ä. im Plenum des Deutschen Bundestages selbst. Eine große Gruppe von Parlamentariern ist selbst etwa Träger von Funktionen in einem Verband und steht damit schon faktisch in Verbindung mit einem Interessenverband, so dass sie als sogenannte interne Lobby194 am Gesetzgebungsverfahren teilnehmen.195 Unternehmen und Konzerne können so auf diejenigen Abge-
190 Vgl. den Artikel »Beraterhonorar : Bundesfinanzministerium zahlte Anwaltskanzlei 1,8 Millionen« auf SPIEGEL ONLINE vom 28. 12. 2012, im Internet abrufbar unter : http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundesfinanzministerium-zahlte-anwaltskanzlei-1 – 8-millionen-honorar-a-874889.html. 191 Vgl. zu dieser Debatte beispielhaft die Artikel »Wie frei darf der Abgeordnete sein?« (FAZ vom 09. 10. 2012, S. 8) und der Kommentar »Widersprüche« (FAZ vom 06. 10. 2012, S. 1) von J. von Altenbockum. 192 Vgl. H. H. von Arnim, Abgeordnetenkorruption, JZ 1990, S. 1014 ff. 193 C. Richter, a.a.O., S. 21, unter Verweis auf S. Grüll, Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung – Eine neue Chance für ein altes Anliegen, ZRP 1992, S. 371 ff. 194 C. Richter, ebenda, unter Verweis auf L. Kißler, Parlament und gesellschaftliche Interessen, in: Parlamentslehre – Das parlamentarische Regierungssystem im technischen Zeitalter, Bellers, Jürgen/ et al. (Hrsg.), S. 326. 195 Vgl. Etwa den Fall des Bundestagsabgeordneten Dr. Norbert Röttgen, der nach seiner Berufung zum Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Industrie (BDI) zum 1. Januar 2007 nicht auf sein Bundestagsmandat hatte verzichten wollen. Aufgrund öffentlichen Drucks hatte er sich schließlich gegen den die parallele Ausübung zugunsten des Bundestagsmandats entschieden, vgl. DIE WELT v. 21. 07. 2006 »Röttgen verzichtet auf BDIPosten«, oder den Fall des Bundestagsabgeordneten Reinhard Göhner, der seit 1996 parallel zu seinem Mandat Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände
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49
ordneten Einfluss nehmen, die ihnen als Mitglieder des Aufsichtsrates oder Vorstandes verbunden sind. Aus solchen Konstellationen können für den Mandatsträger Interessenkonflikte resultieren, sofern die Interessen der jeweiligen Lobbygruppe eine freie, seinem Gewissen verpflichtete Entscheidung nicht billigen.196
a)
Der Abgeordnete als Interessenvertreter im Plenum
Ein großer Teil der Mitglieder des Deutschen Bundestages repräsentiert bestimmte gesellschaftlicher Interessen, die sich meist in einer Mitgliedschaft eines Vereins oder Verbands manifestiert. Hierzu kann beispielhaft die Anzahl der Abgeordneten aufgeführt werden, die gewerkschaftlich organisiert sind. Die Berechnung des realen Anteils von gewerkschaftlich organisierten Abgeordneten gestaltet sich allerdings schwierig, da diese Angaben freiwillig sind. Nach Untersuchungen von Hönigsberger197 waren im 16. Deutschen Bundestag (2005 – 2009) 36 % aller Abgeordneten auch Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft, wobei die SPD-Fraktion mit 73 % den höchsten Anteil hatte, es folgten die Fraktion Die Linke mit 65 %, die Fraktion BÜNDNIS90/ Die Grünen mit 27 %, die CDU/CSUFraktion mit 4 % und die FDP-Fraktion mit 2 %. Zu Beginn der 17. Wahlperiode (2009 – 2013) waren von 622 Abgeordneten 184 und damit knapp 30 % gewerkschaftlich organisiert. Von den 184 Mitgliedern gehörten allein 112 der SPD an.198 Im Vergleich zu den 1970er und 1980er Jahren ist allerdings ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen, wonach in dieser Zeit der Anteil an den Mitgliedern einer DGB-Gewerkschaft in der SPD konstant bei über 90 % lag199 sowie im 11. Deutschen Bundestag (1987 – 1990) sogar noch 59,7 % aller Abgeordneten gewerkschaftlich organisiert waren.200 Die bloße Mitgliedschaft in einem Verband hat jedoch nicht automatisch die verstärkte Durchsetzung der Verbandsinteressen zur Folge.201 Die Gewerkschaftsmitgliedschaft ist nach von Beyme lediglich ein ubiquitäres Abzeichen
196 197 198 199 200 201
(BDA) gewesen ist, vgl. DER SPIEGEL v. 08. 05. 2007 »Lobbyist Göhner verlässt Bundestag«, im Internet abrufbar unter : http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,481834,00.html. C. Richter, a.a.O., S. 22. H. Hönigsberger, Der parlamentarische Arm. Gewerkschafter im Bundestag zwischen politischer Logik und Interessenvertretung, Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 95 (2008), S. 61. H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (196) unter Verweis auf das Datenhandbuch des Deutschen Bundestages, im Internet abrufbar unter : http://www.bundestag.de/dokumente/datenhandbuch/index.html. Vgl. A. Seibring, Die Gewerkschaften im Fünf-Parteien-System der Bundesrepublik, APuZ 13 – 14/2010 E. P. Müller, Interessen der Sozialpartner im Deutschen Bundestag, ZParl 1988, S. 194. C. Richter, a.a.O., S. 22.
50
Einführung
sich progressiv gerierender Politiker aller Fraktionen.202 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass jedenfalls eine Funktion bzw. ein Amt in Interessenverbänden auf eine politische Loyalität der einzelnen Mandatsträger gegenüber den jeweiligen Verbänden schließen lassen kann.203
b)
Der Abgeordnete als Interessenvertreter in den Ausschüssen
Als Organe des Parlaments werden die Ausschüsse nach Maßgabe der §§ 54 ff. GOBT gebildet und bereiten die Plenarsitzungen vor, insbesondere durch die Beratung von Gesetzentwürfen zwischen der ersten und der zweiten Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages. Dabei kommt den Ausschüssen eine große praktische Bedeutung zu, da sich in ihnen ein wesentlicher Teil der parlamentarischen Beratungen und Verhandlungen im Gesetzgebungsverfahren vollzieht.204 Die einzelnen Fachausschüsse sind in weiten Teilen spiegelbildlich den entsprechenden Ministerien zugeordnet. Letztere erarbeiten in der Regel vorher die Gesetzentwürfe in den Ministerien, so dass viele Interessenvertreter bereits dort den Versuch unternehmen, ihren Einfluss geltend zu machen.205 Im Anschluss an diese erste »Entwicklungsphase« eines Gesetzentwurfes wird dessen weitere inhaltliche Ausgestaltung in die Ausschüsse bzw. dem vorgelagert in die fraktionsinternen Arbeitsgruppen und Arbeitskreise delegiert. Hier liegt die eigentliche Bedeutung von Abgeordneten als Vertretern der Interessenverbände. Ist eine Interessengruppe durch Abgeordnete in einer Arbeitsgruppe oder einem Ausschuss besonders stark »repräsentiert«, so sind die Chancen für die Durchsetzung ihrer Forderungen entsprechend groß. Die »Verbandsdichte« in einzelnen Ausschüssen variiert deutlich. Als Beispiele für Ausschüsse, in denen viele Mitglieder gleichzeitig Verbandsvertreter sind, verweist Richter paradigmatisch auf den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Haushaltsausschuss, den Wirtschaftsausschuss, den Ausschuss für Forschung und Technologie sowie den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.206 Innerhalb dieser Ausschüsse agieren die einschlägi202 K. von Beyme, Der Gewerkschaftsstaat – eine neue Form der gemischten Verfassung?, in: Haungs (Hrsg.), Res Publica, S. 26. 203 So schon C. Richter, a.a.O., S. 23; F. Müller-Rommel, Interessengruppenvertretung im deutschen Bundestag, in: US-Kongress und Deutscher Bundestag – Bestandsaufnahmen im Vergleich, S. 304. 204 C. Richter, a.a.O., S. 23, unter Verweis auf W. Steffani, Parteien (Fraktionen) und Ausschüsse im Deutschen Bundestag, in: Thaysen u. a. (Hrsg.), US-Kongress und Deutscher Bundestag. Bestandsaufnahmen im Vergleich, S. 265 ff. 205 Vgl. schon oben, Fn. 163 sowie C. Richter, a.a.O., S. 23 f. 206 C. Richter, a.a.O., S. 24 unter Verweis auf Schaubild 1 in F. Müller-Rommel, Interessengruppenvertretung im Deutschen Bundestag, in: US-Kongress und Deutscher Bundestag – Bestandsaufnahmen im Vergleich, S. 306.
Methoden der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse
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gen »Verbands-Abgeordneten«, die als besonders sachkundig gelten, da sie auf den Informationspool ihres Verbandes zurückgreifen können.207 Auch hier zeigt sich wieder, dass Abgeordnete, die zugleich Vertreter der Arbeitnehmerverbände sind, bevorzugt im Ausschuss für Arbeit und Soziales arbeiten, während Abgeordnete, die in Industrie- und Arbeitgeberverbänden Funktionen innehalten, zumeist im Wirtschaftsausschuss vertreten sind. Die Sozialverbände sind dagegen schwerpunktmäßig im Ausschuss für Jugend, Familie und Senioren sowie im Gesundheitsausschuss vertreten.208 Nach Steinberg drohen Ausschüsse, in denen Abgeordnete als Verbandsvertreter überproportional vertreten sind, möglicherweise zu »Verbandsinseln« zu werden.209 Richter zufolge bestehe die Gefahr, dass der Einfluss einzelner finanzund mitgliederstarker Verbände auf das Gesetzgebungsverfahren unverhältnismäßig groß werde, während kleinere Verbände, die personell wie finanziell weniger gut aufgestellt seien, nur geringe Chancen hätten, auf den Gesetzgebungsprozess Einfluss zu nehmen.210 Aus Sicht des Verfassers liegt es jedoch nicht auf der Hand, dass eine bloße Verbandsmitgliedschaft tatsächlich die Gefahr unsachlicher Entscheidungsfindung hervorruft. Anders gelagert ist der Fall, wenn neben der Verbandsmitgliedschaft auch eine bezahlte Funktionärstätigkeit ausgeübt wird. Dann liegt der Verdacht nahe, dass sich der Mandatsträger bei bestimmten Sachfragen in einem Loyalitätskonflikt befindet. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass es in der parlamentarischen Praxis zumeist die Fraktionsspitzen sind, die die Willensbildung innerhalb des Bundestages maßgeblich bestimmen oder jedenfalls die »Marschrichtung« in Grundsatzfragen vorgeben. Das Gewicht des einzelnen Abgeordneten – auch als Adressat lobbyistischer Einflussversuche – wird dabei nicht selten mediatisiert. Umso bedeutender sind deshalb Versuche von Interessenvertretern, die Fraktionsführung für ihre »Seite« zu gewinnen.
4.
Zusammenfassung
Parlamentarier unterliegen Fremdeinflüssen durch Interessenvertreter, die sowohl »extern« artikuliert werden als auch »intern« zur Durchsetzung gelangen können. Rechtliche Steuerungsmöglichkeiten können und sollen dabei nicht alle 207 C. Richter, ebenda. 208 Vgl. dazu Tabelle 3 in F. Müller-Rommel, a.a.O., S. 313. 209 R. Steinberg, Parlament und organisierte Interessen, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Schneider/ Zeh (Hrsg.), S. 227 sowie R. Breitling, Die Verbände in der Bundesrepublik Deutschland, S. 137. 210 C. Richter, a.a.O., S. 25.
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Einführung
Formen der Beeinflussung ausschließen, da externer Sachverstand wesensnotwendig für ein effizientes und dauerhaft Geltung beanspruchendes Gesetzgebungsvorhaben ist. Die aufgezeigten Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und Einflussnahme können jedoch dann problematisch werden, wenn sie sich direkt auf die Mandatsausübung auswirken und den Abgeordneten fernab des freien Mandats und freier Meinungsbildung an Partikularinteressen zu binden versuchen. Einflussversuche sind auch im Hinblick auf die Fraktionsspitzen bedeutsam, da die Willensbildung innerhalb des Bundestages bzw. innerhalb der Fraktionen im Wesentlichen über sie erfolgt.
B. Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
In der minimalistischen Demokratiedefinition von Dahl ist als Voraussetzung für Demokratie die Möglichkeit erfasst, sich in Interessengruppen zusammenzuschließen.211 Wichtig sei dabei die gleiche Gewichtung von Präferenzen, d. h. von Interessen. Durch Lobbying kann diese gleiche Gewichtung unterwandert oder zumindest verschoben werden, was Herausforderung für das allen Demokratien zu Grunde liegende Prinzip der Öffentlichkeit bzw. der Transparenz politischer Entscheidungsprozesse ist.212 Ein verbreitetes Unbehagen in der Öffentlichkeit, genährt durch Berichterstattungen des sogenannten investigativen Journalismus213 über häufig tatsächlich nicht übersehbare Missstände und Skandale214 und das Bekanntwerden illegitimer Spendenpraxen gegenüber Parteien, Mandatsträgern215 und Staatsbeamten216, ist mitverantwortlich für 211 R. Dahl, Polyarchie – Participation and Opposition, S. 78. 212 Vgl. R. Speth, Wie viel Lobbying verträgt die Demokratie? in: Ritter/ Feldmann (Hrsg.), Lobbying zwischen Eigeninteresse und Verantwortung, 1. Aufl., S. 48. 213 Vgl. J. Hahlen, Stellungnahme in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 F, S. 5 ff. 214 Vgl. dazu den jüngsten Vorfall im Bundesministerium für Gesundheit, in das ein »Maulwurf« der Apotheker-Lobby eingeschleust worden sein sollte, um dort vertrauliche Papiere zu Gesetzgebungsvorhaben »abzufangen«; hierzu der Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 11. 12. 2012, »Apotheken-Lobbyist soll Ministerium ausspioniert haben«, abrufbar unter : http://www.sueddeutsche.de/politik/ermittlungen-der-staatsanwaltschaft-apotheken-lobbyist-soll-gesundheitsministerium-ausspioniert-haben-1.1548096. 215 Vgl. etwa den sogenannten Parteispendenskandal der CDU Deutschlands unter dem damaligen Vorsitzenden Helmut Kohl, der sich weigerte, die anonymen Spender erheblicher Summen an die Parteikasse namentlich zu benennen, vgl. FAZ vom 02. 12. 1999 S. 3 und vom 25. 01. 2000 S. 16, oder die illegitime jährliche Zahlung der RWE AG in Höhe von 60.000 E an das damalige CDU-Präsidiumsmitglied Hermann-Josef Arentz, der dafür keine Arbeitsleistung erbracht hatte und daraufhin zurücktrat, sowie das Beziehen verbilligten Stromes durch den damaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer durch die RWE AG, worauf ebenfalls ein Rücktritt des Betroffenen folgte, vgl. FAZ vom 13. 12. 2004 S. 1 sowie vom 05. 01. 2005 S. 1. 216 Vgl. den u. a. wegen Vorteilsnahme verurteilten ehemaligen Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Ludwig-Holger Pfahls, der in seiner Zeit als Staatssekretär von
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
regelmäßig auftretende Forderungen nach einer Domestizierung des Einflusses von Interessenvertretung auf politische Entscheidungsprozesse durch gesetzliche Regelungen. Dabei wird übersehen, dass einerseits einige konkrete Bestimmungen in Gesetzen und Geschäftsordnungen existieren und andererseits heute vorgebrachte Vorschläge in der Vergangenheit bereits diskutiert worden sind, am Ende jedoch keine Umsetzung erfahren haben. Im Folgenden sollen deshalb neben dem Status Quo des Rechtsrahmens zunächst die nicht umgesetzten Versuche der rechtlichen Steuerung von Interessenpolitik dargelegt werden, um im Anschluss daran intranationale wie internationale Vergleiche zu ziehen. Dann erst kann eine Bewertung und Perspektive »neuer« bzw. zu modifizierender Steuerungsmöglichkeiten aufgestellt werden.
I.
Nicht umgesetzte Steuerungsversuche
Das politische System der Bundesrepublik Deutschland basiert auf einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber der Einbeziehung externen Know-Hows, was idealiter auf einen integren Abgeordneten projiziert wird, der aus moralischen Gründen dem Versuch der Vorteilsnahme widerspricht.217 Die Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes stellen die Bildung von (Interessens-) Vereinigungen unter Schutz und räumen zudem ein allgemeines Petitionsrecht ein. Eine gewisse Einschränkung findet die Einflussnahme von Interessenvertretern im Strafgesetzbuch, im Parteiengesetz und in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, worauf im Verlauf weiter einzugehen ist. Zunächst aber sollen anhand der Entwürfe über ein »Verbändegesetz« sowie einen »Wirtschafts- und Sozialrat für die Bundesrepublik Deutschland« zwei Diskussionsvorschläge nachgezeichnet werden, welche in der Vergangenheit erfolglos geblieben sind.
1.
Verbändegesetz
Bereits seit Beginn der Bundesrepublik begleitete die Wiederentstehung, Formierung und Etablierung der ausgeprägten »Verbandslandschaft« eine stete Diskussion über den rechtlichen Umgang mit dieser. Ausgehend vom Gedanken der Nützlichkeit und Notwendigkeit des Verbandswesens als Bestandteil einer freiheitlichen pluralistischen Gesellschaftsordnung, rückte insbesondere in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Bewusstsein über die möglichen Gedem Geschäftsmann Karlheinz Schreiber 3,8 Mio. Mark erhalten hatte, s. FAZ vom 10. 11. 2011 »Pfahls abermals verurteilt«, S. 4. 217 F. Busch-Janser, Staat und Lobbyismus, S. 40.
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fahren desselben in den Fokus der Öffentlichkeit.218 Dies führte zu einer von verschiedenen politischen Seiten geforderten Schaffung eines Verbandsgesetzes.219
a)
Motivation und Ausgangslage
Ausgangspunkt der Diskussionen über die Einführung eines Verbändegesetzes war die ungeklärte Tatsache, wie die Tätigkeiten der Verbände demokratischer Kontrolle unterzogen werden können, ohne ihre freie Entfaltung über Gebühr einzuschränken.220 Denn Grundlage der Diskussion war stets das normativlegalistische, die strikte Trennung von Staat und Gesellschaft postulierende Staatsverständnis. Auf die vereinzelten Regelungen zu Mitwirkungsrechten bei der staatlichen Willensbildung oder gar der Ausübung von Staatsgewalt ist noch einzugehen. Jedoch bleibt schon vorab festzuhalten, dass eine Veröffentlichung von Zeitpunkt, Umfang, Auswahl und Publizität von Vorgängen, in denen staatliche Stellen Verbände zu Rate ziehen, letztlich dem freien Ermessen überlassen wurde221 und bis heute an dieser Tatsache nichts Wesentliches verändert worden ist. i. Die ungeregelte Binnenstruktur der Verbände Anlass zur Diskussion um ein Verbändegesetz gaben einerseits Unzulänglichkeiten des Vereinsrechtes und andererseits Unzulänglichkeiten bei den Selbstordnungsaufgaben. Das BGB-Vereinsrecht (§§ 21 bis 79 BGB) stellte letztlich kein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem sich die Binnenstrukturen der Verbände sachgerecht abbilden und erfassen ließen. Vielmehr haben diese den gesetzlichen »Freiraum« – unter Berufung auf die sogenannte Vereinsautonomie durch von der staatlichen Rechtsordnung weitgehend unabhängige Verbandsordnungen und Regelwerke – bis heute in weitem Umfang ausgefüllt.222 Faktisch 218 Vgl. zur damaligen rechtspolitischen Diskussion über die Schaffung eines »Verbandsgesetzes« ausführlich: F. Nicklisch, Gesetzliche Anerkennung und Kontrolle von Verbandsmacht – Zur rechtspolitischen Diskussion um ein Verbandsgesetz –, in: Festschrift G. Schiedermair, S. 459 ff. 219 So insbesondere von Seiten der FDP, Frankfurter Rundschau vom 08. 08. 1975 S. 1, sowie von Seiten einer Grundsatzkommission der schleswig-holsteinischen CDU, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02. 10. 1975 S. 1. 220 J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 427 (428). 221 Vgl. F. Nicklisch, Gesetzliche Anerkennung und Kontrolle von Verbandsmacht – Zur rechtspolitischen Diskussion um ein Verbandsgesetz –, in: Festschrift G. Schiedermair, S. 459 (465 f.). 222 F. Nicklisch, a.a.O., S. 459 (463 f.).
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geschieht dies vor allem durch satzungsmäßige Rechtswegausschlussklauseln, durch ausdrückliche Versagung von Rechtsansprüchen sowie vereinsinterne »Gerichtszüge«.223 Auswirkung dieser Voraussetzungen ist, dass ein effektiver Rechtsschutz für die betroffenen Mitglieder bis heute nur in Teilen existiert, ebenso wie Satzungen und sonstige vereinsinterne Normen einer inhaltlichen Kontrolle durch die Rechtsprechung und damit durch die Gesamtrechtsordnung weitgehend entzogen sind.224
ii. Transparenz als Postulat Die empirische Verbandsforschung wies zum Zeitpunkt der beginnenden Diskussionen um ein Verbandsgesetz nach, dass nahezu keine administrative und parlamentarische Entscheidung getroffen wurde, an der nicht verschiedene Verbände beteiligt waren.225 Zudem nahm bei zunehmender gesellschaftspolitischer Bedeutung der Gesetzgebungsprojekte auch die Zahl der darauf einwirkenden Verbände zu. Das Bedürfnis, diese Unübersichtlichkeit von Durchsetzungsstrategien, Aushandlungsprozeduren, Zugangswegen zu den Entscheidungsorganen, Konsultationsprinzipien und Kooperationsweisen transparent zu machen, und in einem gewissen Sinn auch zu kanalisieren, wurde Weber zufolge dadurch weiter genährt.226 Ausgangspunkt einer solchen Formierung227 bzw. Steuerung der politischen Potenz organisierter Gruppen war dabei zudem, dass nicht zuletzt das Verbändesystem selbst durch regelnde staatliche Eingriffe profitieren könnte.228 So wäre dies – unzweifelhaft verbunden mit Schwierigkeiten der Umsetzung – mit einer offiziellen staatlichen Anerkennung und Garantie und damit einer Art praktischer Konstitutionalisierung der einschlägigen Organisationen einhergegangen.229 Um der Rolle der Verbände im politischen System der parlamentarischen Demokratie gerecht zu werden, lag die Gratwanderung damit einerseits zwischen einer nicht gewollten »staatlichen Zwangsjacke« des Verbandswirkens (und damit völligen Beraubung des eigentlichen Daseinszweckes) und andererseits dem gänzlichen Sich-selbstÜberlassen ohne rechtliche Kontrolle.230 Zusammengefasst nach Weber: Schaf223 224 225 226 227 228 229 230
F. Nicklisch, a.a.O., S. 459 (464). F. Nicklisch, ebenda. J. Weber, a.a.O., S. 427 (428). J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 427 (428). Vgl. schon L. Erhard, Die formierte Gesellschaft. Ludwig Erhards Gedanken zur politischen Ordnung Deutschlands. Reden und Interviews des Bundeskanzlers und bemerkenswerte Stellungnahmen. J. Weber, ebenda. J. Weber, ebenda. J. Weber, ebenda.
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fung einer notwendigen Kontrolle bei der Ausübung politischen Einflusses unter Betonung der grundsätzlichen Legitimität des Verbandshandelns. b)
Ausformung eines Verbändegesetzes
Aus den beschriebenen Motivationen heraus wurde so, insbesondere in den 1970er Jahren, die Idee der stärkeren Kanalisierung des Verbändeeinflusses durch ein eigenes Verbändegesetz diskutiert. Hierin sollten gewisse Mindestanforderungen an die interne Willensbildung, den Minderheitenschutz innerhalb der Mitgliedschaft, die Kontrolle der Verbandsbürokratie sowie die Rechenschaftspflicht der Führungsgremien festgelegt werden.231 Insbesondere aber sollten Bestimmungen normiert werden, die hinsichtlich der Herkunft und der Verwendung finanzieller Mittel Auskunft sowie die Offenlegung aller Beteiligungen in Beratungsgremien, öffentlich-rechtlichen Anstalten verlangten. Zu einer solchen Veröffentlichungspflicht waren zudem zu zählen: formelle Kontakte zu staatlichen Organen und deren Amtsinhabern einschließlich der Pflicht zur regelmäßigen Veröffentlichung aller schriftlichen Eingaben, Proteste, Gutachten etc. an die Regierungen, Verwaltungen und Parlamente im Bund und in den Ländern, sonstige Körperschaften (wie z. B. die Fernsehanstalten, die Bundesbank u. a.) und internationale Organisationen.232 Weber zufolge hätte ein solches Gesetz nicht zum Ziel gehabt, die Handlungsfreiheit der Organisationen zu beschränken, sondern nur den Appell an ihre Verantwortung zu konkretisieren und ihre Aktivität zumindest teilweise einer kritischen öffentlichen Diskussion zu unterziehen.233 Er verweist jedoch zugleich auch auf die Erfahrungen, die in den Vereinigten Staaten von Amerika mit einem solchen Gesetz seit 1946 gemacht worden waren.234 Dort hatten sich große Schwierigkeiten gezeigt, die mit der Formulierung eindeutiger und für eine derart vielfältige Gruppe unterschiedlicher Organisationen gültiger Bestimmungen verbunden waren. Dies könne entsprechend von »publizitätsscheuen« Verbänden ausgenutzt werden. Als Ergänzung hierzu sei daher eine Kontrollinstanz bzw. spezielle Aufsichtsbehörde in Analogie etwa zum Bundeskartellamt unvermeidbar, da sonst materielle Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen nur durch langwierige und kontinuierliche Ermittlungen festzustellen und zu ahnden seien.235
231 232 233 234
J. Weber, a.a.O., S. 427 (431). J. Weber, ebenda. J. Weber, ebenda. Vgl. hierzu A. Saipa, Politischer Prozess und Lobbyismus in der Bundesrepublik und in den USA. Eine rechtsvergleichende und verfassungspolitische Untersuchung, S. 188 ff., Anhang I ff. 235 J. Weber, a.a.O., S. 427 (432).
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Nach Kaisers »Repräsentation organisierter Interessen« aus dem Jahr 1956236 waren diese Fragen auch in der juristischen Wissenschaft, verwiesen sei etwa auf die Podiumsdiskussion des 52. Deutschen Juristentages237 oder die Dokumentationen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer238, immer wieder Verhandlungsgegenstände. Ergebnis war unter anderen die Infragestellung der Legitimation des überlieferten Repräsentationssystems. Demokratisierungsforderungen im gesellschaftlichen Bereich sollten mittels »neo-ständestaatlicher« Prozeduren und Institutionen und durch Einbau begrenzter direkt-demokratischer Techniken bei gleichzeitigem Verzicht auf einen Wirtschafts- und Sozialrat kompensiert werden.239 Konkrete Entwürfe eines Verbändegesetzes benennt von Alemann mit den politischen Vorstößen der Unionsparteien, insbesondere durch ihre Jugendorganisation, und vor allem der FDP in den Jahren 1976/77. Ähnlich dem Parteiengesetz sollten darin die Verbände eindeutig definiert, ihnen Rechte und Pflichten eingeräumt und die demokratische Willensbildung geregelt werden.240 Weithin bestand jedoch darin Einigkeit, dass sich Verbände, als Vertreter und Repräsentanten jeweils nur partikularer Interessen, insoweit deutlich von den politischen Parteien unterschieden, die nämlich grundsätzlich dem Gemeinwohl verpflichtet seien.241 Am weitesten hatte sich die FDP in der Frage eines Verbändegesetzes engagiert und dazu durch eine eigens eingesetzte Kommission »Gesellschaftliche Großorganisationen« 1976 einen Gesetzentwurf242 vorgelegt. Diese »Verbändekommission« der FDP hatte dabei das Ziel gehabt, Verbändedemokratie von zwei Seiten her anzugehen: als verbandsinternes Problem zwischen Mitgliedschaft und Führung und als verbandsexternes Problem zwischen Verbandsführungen und Öffentlichkeit bzw. zwischen unterschiedlichen Verbänden.243 Damit argumentierte die Kommission, von Alemann zufolge, ähnlich wie die CDU seit der sogenannten Mannheimer Erklärung von 1975, in der allerdings nur noch von »ordnungspolitischer Regelung« ohne ein allgemeines Verbändegesetz die Rede war.244 Auch ein rechtspolitischer Kongress der 236 J. H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen. 237 Kübler, Verhandlungen des 52. DJT, Bd. II, S. P. 238 Beispielhaft: VVDStRL 24, 5 ff, 24 ff.; 31, 147 ff., 179 ff.; 33, 183 ff., 221 ff.; 33, 8 ff., 69 ff.; 33, 62 ff.; 33, 115. 239 H. P. Ipsen, Zur »Verbände«-Diskussion, ZGR 4/ 1980, S. 548 (551). 240 Vgl. U. von Alemann, Verbände im Blick von Wissenschaft und Politik, Informationen zur politischen Bildung 1996, S. 22 ff. 241 H. P. Ipsen, Zur »Verbände«-Diskussion, ZGR 4/ 1980, S. 548 ff. 242 Vgl. U. von Alemann, Liberaler Korporatismus? Die Diskussion in der FDP um ein Verbändegesetz, in: Alemann/ Heinze (Hrsg.); Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus, S. 118 ff., m. w. N.; dort ebenso: W. Tönnesmann, Verbandsrecht als Ordnungspolitik: die CDU-Debatte um Verbandskontrolle, S. 159 ff. 243 Vgl. U. von Alemann, a.a.O., S. 118 (124). 244 Vgl. auch W. Tönnesmann, a.a.O., S. 139 ff.
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SPD von 1975 forderte die Verbände zu mehr Demokratie auf, ohne allerdings konkrete rechtliche Regelungen zu verlangen.245 Insgesamt betrachtet, war es CDU und FDP gelungen, die intensiv geführte Debatte über die Macht der Verbände, die von den Medien stark unterstützt worden war, in der politischen Öffentlichkeit weitgehend zu besetzen und für sich zu nutzen. Insbesondere im Bundestagswahlkampf 1976 wurde vom damaligen Generalsekretär der CDU Deutschlands, Kurt Biedenkopf, ein vermeintlich drohender »Gewerkschaftsstaat« in Ausprägung einer Verfilzung zwischen SPD und DGB als warnendes Beispiel für die angebliche Übermacht der Verbände hingestellt, wodurch er den gesetzlichen Regelungsauftrag für die Union zu reklamieren versuchte.246 Die Stoßrichtung dieser Diskussion als »Antigewerkschaftsgesetz« wurde alsbald von der SPD und den Gewerkschaften erkannt, obgleich dort die Notwendigkeit eines Verbändegesetzes überhaupt abgelehnt wurde247: »Es ist fatal, dass die Konservativen und ihre bürgerliche Ideologie sich an einem Thema profilieren können, welches ihr Problem ist und das sowohl ihr praktisches wie analytisches Defizit politischer Steuerung unter Beweis stellt. […] Aber wo bleibt bei dieser Sachlage unsere Kritik an diesem Schwächeeingeständnis der Konservativen? Wo schlägt sich das in größerem Selbstbewusstsein der Partei nieder?«.248
Die Arbeit der von der FDP eingesetzten Kommission wurde zunächst im Frühjahr 1976 in Form von drei Thesen in der »Berliner Liberale Zeitung« veröffentlicht, deren Verwirklichung nach Auffassung der Kommission nur durch ein Gesetz erfolgen könne: Transparenz, Legitimation, Konkurrenz. Zugleich wurde zugegeben, dass die bereits fortgeschrittene »Verfilzung« verschiedener Verbände sowohl mit der SPD als auch mit der CDU und CSU es der FDP nicht leicht mache, für diese Gesetzgebung Mehrheiten zu organisieren.249 Die FDP wollte jedoch auch für das Verbändegesetz um parlamentarische Mehrheiten kämpfen, da es die Situation verlangte250 : »Der Liberalismus hat die Grund- und Freiheitsrechte des einzelnen gegenüber dem Staat erkämpft und gesichert, heute gilt es, der neuen Gefährdung 245 Vgl. R. G. Heinze, Verbandskontrolle oder Gewerkschaftsgesetz: die Kritik von SPD und DGB an neokorporativer Einbindung der Verbände, in: Alemann/ Heinze (Hrsg.); Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus, S. 154 ff. 246 Vgl. R. G. Heinze, a.a.O., S. 154 ff. 247 R. G. Heinze, a.a.O. 248 Vgl. W. Deuling, Die drei Pfeiler der neuen konservativen Ordnungspolitik, Die Neue Gesellschaft, S. 63 – 64. 249 U. von Alemann, Liberaler Korporatismus? Die Diskussion in der FDP um ein Verbändegesetz, in: Alemann/ Heinze (Hrsg.); Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus, S. 118 (125). 250 U. von Alemann, a.a.O., S. 118 (125), m. w. N.
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- durch Einflussmonopole (Missbrauch delegierter öffentlicher Macht, privilegierter Einflussnahme auf die Gesetzgebung über Bürokratie und Parlamente) - durch Repräsentationsmonopole (Verhindern des Zugangs und des Mitwirkens kleinerer oder neugegründeter Verbände durch etablierte Verbände, z. B. bei Anhörung, Vertretung in Beiräten, Vertretung in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen) - durch Informationsmonopole (unredliches Beschaffen von Informationsvorsprüngen, einseitige Unterrichtung und Beeinflussung von Verbandsmitgliedern und Öffentlichkeit) zu begegnen. Besonders gefährlich ist der Einsatz wirtschaftlicher Macht durch Verbände, um politische Forderungen durchzusetzen. Mit liberalen Grundsätzen unvereinbar ist auch das Abhängigmachen beruflicher Betätigung von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Sozial- und Wirtschaftsverband (closend-shop-system). Schließlich behindern demokratisch unzureichend ausgestattete Strukturen und Verfahren der innverbandlichen Willensbildung die erforderliche Selbstund Mitbestimmung des einzelnen Mitglieds.«251 Der von der FDP letztendlich verabschiedete Gesetzentwurf lehnte sich in seinen ersten drei Abschnitten eng an das Parteiengesetz von 1967 an, insbesondere im zweiten Teil – »Innere Ordnung« –, der zum Teil wörtlich übernommen wurde.252 Eine der Herausforderungen des »Allgemeinen Teils« bestand nach von Alemann bereits im ersten Paragraphen, wie nämlich die Eingrenzung und Anwendung des Gesetzes auf »politisch bedeutsame Verbände« zu lösen war. Dazu war letztlich ein, von Alemann zufolge, nur wenig befriedigendes doppeltes Verfahren gewählt worden, das zunächst einige wichtige konkrete Verbandsgruppen enumerativ aufzählte, um schließlich einige allgemeine Kriterien nach »Machtstellung« (Schlüsselstellung im gesellschaftlichen und politischen Bereich, Mitgliederzahl, Verankerung im öffentlichen Willensbildungsprozess usw.) aufzustellen, für die weder klare Kriterien noch Institutionen mit Definitionsmacht angegeben wurden.253 Der dritte Abschnitt zur Rechenschaftslegung ging weit über die damals einschlägigen Bestimmungen des Parteiengesetzes hinaus, die sich in der Realität tatsächlich als unbefriedigend erwiesen hatten.254 Konkret wurde sowohl ein Tätigkeits- als auch ein Haushaltsbericht sowie Buchführungspflicht verlangt, die den Mitglieder- und Vertreterversammlungen, nicht wie im Parteiengesetz der Öffentlichkeit, vor251 252 253 254
U. von Alemann, ebenda, m. w. N. U. von Alemann, a.a.O., S. 126, m. w. N. Vgl. U. von Alemann, ebenda. Vgl. U. von Alemann, ebenda.
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zulegen gewesen wären. Darüber hinausgehende rechtliche Regelungen waren im 4. Abschnitt zur »Verbandstätigkeit« und zum »Beauftragten für das Verbändewesen« verfasst worden. Insgesamt ist der Entwurf den ursprünglichen drei Forderungen aus den Thesen der Kommission – Transparenz, Legitimation, Konkurrenz – untergeordnet worden, ergänzt durch die vorgeschlagenen Sanktionen:255 1. Transparenz sollte vermehrt werden durch: - Eindeutig bestimmten und klar begrenzten Verbandszweck in der Satzung (§§ 6 und 2), - Registrierpflicht der Verbände im Verbandsregister (§ 19) - Haushaltsabschlussbericht, der Einnahmen und Ausgaben des Verbandes, einschließlich Gewinn von Verbandsunternehmen, ausweist (§ 16); 2. Legitimation sollte verstärkt werden durch: - demokratische Willensbildung von unten nach oben mit der Vertreterversammlung als oberstem Organ (§ 9), - Verbandsschiedsgerichtsbarkeit (§ 12), - Antragsrecht auch für Minderheiten (§ 14), - Parteipolitische Neutralität von Verbänden, die sich satzungsgemäß als überparteilich bezeichnen (§ 25); - Verbot von Aufnahmesperren bei Verbänden mit Monopolstellung (§§ 10 und 1a), 3. Konkurrenz zwischen den Verbänden sollte erhöht werden durch: - Nichtdiskriminierung von Verbänden, bzw. Gleichbehandlung bei öffentlicher Förderung (§§ 4 und 2), - gleicher Zugang interessierten Verbände zu Beratungs- und Selbstverwaltungsgremien des Staates, mindestens durch Informations- und Antragsrecht nicht vertretener Verbände (§ 23); - »Jeder Verband hat sich so zu verhalten, wie es Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern« (§§ 21 und 1), 4. Sanktionen sollten für die Einhaltung der Bedingungen sorgen: - Verstöße gegen »Treu und Glauben« seien gerichtlich einklagbar – Arbeitskampfrecht solle davon unberührt bleiben (§ 21, 2 bis 4), - Parteipolitische Neutralität könne gerichtlich eingeklagt werden (§§ 25 und 2), - der Beauftragte des Verbändewesens, analog dem Wehrbeauftragten dem Par-
255 Zitiert nach U. von Alemann, a.a.O., S. 126 ff.
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lament verantwortlich, sorge mit schriftlichen Berichten und Bürgerhilfe im Einzelfall für die Ächtung verbotener Praktiken durch Verbände (§§ 26 bis 28) - Verbotene Praktiken wären z. B. a) vorsätzlich falsche Aussagen vor Ausschüssen oder Beiräten; b) Behauptungen, die andere verächtlich machen oder herabwürdigen könnten; c) Anordnung von Übeln gegenüber Mitgliedern und Außenstehenden den Eintritt oder Austritt betreffend; d) Ausschaltung oder Diskriminierung von Konkurrenzorganisationen. Kritisch im Rahmen einer rechtlichen Würdigung des Entwurfes setzte sich unter anderen der Deutsche Juristentag 1978 mit der Podiumsdiskussion »Die Verbände in der Demokratie und ihre Regelungsprobleme« auseinander, wonach die Forderung nach Transparenz, Legitimation und Konkurrenz allgemein begrüßt worden ist.256 Festzuhalten bleibt, dass die Intention, einen Verbändegesetzentwurf analog dem Parteiengesetz zu schaffen, sich als kaum lösbar erwiesen hat. Ein Verbändegesetz handelt mit einer in wesentlichen Bereichen ganz anderen Materie als das Parteiengesetz. Die Parteien sind eine homogene, klar definierbare Einheit, auch unter Berücksichtigung der Spannweite über die im Bundestag vertretenen Parteien (dort: Fraktionen) hinaus bis zu den kleineren Parteien und Splittergruppen.257 Die Verbände unterscheiden sich nicht nur nach ihrer Struktur – die prinzipiell demokratisch aufgebauten Gewerkschaften standen neben den prinzipiell nicht demokratisch aufgebauten Unternehmerverbänden – über die auch Kurt Biedenkopf258 sagte: »Die Verfassungen der Spitzenverbände der Wirtschaft sind nicht das, was man demokratisch nennen könnte, sondern diese sind mehr oligarchisch strukturiert.« Jedenfalls existierte und existiert kein einheitliches Bild gleichberechtigter pluralistischer Interessengruppen, die »alle gleichsam am gesellschaftlich-politischen Kräfteparallelogramm ziehen«, wie es die Theorie des Neopluralismus definiert.259 Die Organisationsmacht der Arbeitnehmer durch Gewerkschaften sei neben dem Wahlrecht ihre wichtigste Machtquelle zur eigenen Behauptung im sozioökonomischen und politischen Kräftefeld, so von Alemann. Für Unternehmer sei die kollektive Organisation dagegen nur ein sekundäres Hilfsmittel, um einheitliches Vorgehen und Information in Tarifpolitik und Lobbying 256 Kübler, Verhandlungen des 52. DJT, Bd. II, S. P. 257 U. von Alemann, a.a.O., S. 118 (128). 258 In: K. Biedenkopf, Einführung in die ordnungspolitische Problematik, in: Biedenkopf / v. Voss (Hrsg.), Staatsführung, Verbandsmacht und innere Souveränität. Von der Rolle der Verbände, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen in der Politik, S. 11 – 19. 259 U. von Alemann, a.a.O., S. 129.
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zu gewährleisten. Wesentliches Machtmittel derselben ist nach Auffassung von von Alemann dagegen die Verfügung über das Kapital. In Unternehmerverbänden herrsche in der Regel kein gleiches Stimmrecht nach dem Prinzip »one man – one vote«, sondern eine Gewichtung der Stimmen jedes Betriebes nach seiner Größe.260 In der Debatte auf den Gesetzesvorstoß der FDP wurde damit schnell klar, dass ein Gesetz an der Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Verbände einerseits und an den heiklen Fragen der Tarifautonomie andererseits, die gerade die Freiheit der Verbände vor staatlichen Regelungen zwingend vorsieht, zu scheitern drohte. Viele hegten den Verdacht, dass unter dem Vorwand einer Verstärkung innerverbandlicher Demokratie eine Einbindung und Verrechtlichung der Verbändelandschaft erreicht würde, die im Zweifelsfall die Verbände am gravierendsten träfe, die nicht im »freien Feld der Freizeitvereine« oder des Lobbyismus agierten, sondern unmittelbare und materielle Interessen ihrer Mitglieder vermittelten, nämlich vornehmlich die Gewerkschaften. Dahinter stecke die allgemeine Ansicht, die die Gewerkschaften als »heimliche Konkurrenten« der Parteien betrachte.261 Jedenfalls bestand darin Einigkeit, dass es schon ein begrüßenswerter Fortschritt gewesen wäre, unter Verzicht auf eine alle Aspekte des Verbandswirkens erfassende Regelung zumindest die finanzielle Seite ihrer Aktivitäten einer Pflicht zur Offenlegung zu unterziehen.262 Der Gesetzentwurf der FDP wurde schließlich aufgrund parteiinternen Widerstandes im darauffolgenden Jahr wieder fallengelassen.263 In der »Mannheimer Erklärung« aus dem Jahre 1975 hatte die CDU das Verbändeproblem unter den Titeln »Neue Soziale Frage« und »Rolle der gesellschaftlichen Gruppen« auf die Tagesordnung gesetzt. Ebenso hatte sich die Junge Union auf ihrem Deutschlandtag 1977 mit einem Antrag ihres Bundesvorstandes mit dem Thema »Der Staat und die Macht der Verbände« befasst. Ferner erschien im Anschluss an eine wissenschaftliche Arbeitstagung unter Vorsitz von Kurt Biedenkopf ein Buch mit dem Titel »Die Neue Soziale Frage und die Zukunft der Demokratie«. Ergebnis dieser Diskussionen264 waren eine Reihe von Maßnahmen für eine weiterentwickelte Ordnungspolitik, die auch die Verbände mit einbezog. Die CDU sah sich zunehmend in einer Konkurrenzsi260 U. von Alemann, a.a.O., S. 130. 261 Vgl. J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 427 (432). 262 J. Weber, ebenda. 263 Kieler Thesen zu Wirtschaft im Sozialen Rechtsstaat, zu Bürger, Staat, Demokratie, zu Bildung und Beschäftigung der jungen Generation, beschlossen auf dem 28. ordentlichen Bundesparteitag der F.D.P. vom 6. bis 8. November 1977 in Kiel, S. 54. 264 W. Tönnesmann, Verbandsrecht als Ordnungspolitik: die CDU-Debatte um Verbandskontrolle, in: von Alemann/ Heinze (Hrsg.); Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus, S. 139 ff.
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tuation mit Verbänden, insbesondere den Gewerkschaften.265 Ein solches »Spannungs- und Konkurrenzverhältnis«266 wog nach Unionsansicht schwer, als die Verankerung der Parteien in Art. 21 GG den Parteien »gegenüber anderen an der politischen Willensbildung beteiligten, intermediären Gewalten eine herausgehobene, in gewisser Weise privilegierte Position« zuweise.267 Ebenso stellte die Junge Union fest: »Den Parteien kommt bei der Durchsetzung des Gemeinwohls, der Sicherung der staatlichen Autorität und der Formulierung ordnungspolitischer Vorstellungen die entscheidende Bedeutung zu«.268 In Anbetracht des von Verbänden und Gewerkschaften weit ausgelegten Vertretungsauftrags für ihre Mitglieder – der DGB gab in der »Öffentlichen Liste über die Registrierung von Verbänden« beim Präsidenten des Deutschen Bundestages als Interessenbereich des Verbandes »Alle Gebiete der Gesellschaftspolitik sowie Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Bildungspolitik« an – wurde die Forderung nach einer Einschränkung der von den Verbänden beanspruchten »Allzuständigkeit« deutlich.269 Gleichwohl wurde letztlich in der Union – auch im Hinblick auf die erfolglose Diskussion in der FDP – ein allgemeines Verbändegesetz als unzweckmäßig erachtet und daher abgelehnt. Heinze zufolge wurde von der SPD der Einfluss und die Institutionalisierung der Verbände im politisch-administrativen System nicht als eine Gefährdung des Staates gesehen, sondern vor allem deren Informations- und Integrationsfunktionen betont.270 Die generelle Anerkennung der Verbände ging nach dieser Vorstellung einher mit der Forderung nach innerverbandlicher Demokratie. Das Problem der inneren Demokratie innerhalb der Verbände wurde im Rahmen des 4. Rechtspolitischen Kongresses der SPD 1975 ausführlich behandelt. Man sprach sich stattdessen für spezifische Regelungen aus, deren Kriterien noch von einer zu intensivierenden Verbandsforschung zu erarbeiten seien.271 Schon deutlich früher waren in den »Sozialdemokratischen Perspektiven« für die 1970er Jahre explizit die Transparenz der Beziehungen zwischen Staat und Verbänden, eine Registrierung aller im Bundestag angehörten Verbände und sogar ein von der Bundesregierung anzufertigender Bericht, in dem bei jeder Gesetzesvorlage mitgeteilt würde, welche Wünsche die Verbände bei der Entstehung des Gesetzes vorgetragen haben, gefordert worden.272 Durch die sozialVgl. Tönnesmann, a.a.O., S. 151. Vgl. H. Lemke, Über die Verbände und ihre Sozialpflichtigkeit, DÖV 28, 1975, S. 253 (254). Vgl. H. Lemke, a.a.O. Junge Union Deutschlands, Der Staat und die Macht der Verbände. Vgl. Tönnesmann, a.a.O., S. 152. R. G. Heinze, Verbandskontrolle oder Gewerkschaftsgesetz: die Kritik von SPD und DGB an neokorporativer Einbindung der Verbände, in: von Alemann / Heinze (Hrsg.); Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus, S. 154 ff. 271 R. G. Heinze, ebenda. 272 Vgl. R. G. Heinze, a.a.O., S. 158.
265 266 267 268 269 270
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liberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt war davon nur die 1972 instituierte »Öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertreter« umgesetzt worden. SPD-Verantwortliche charakterisierten sie bereits Ende der 1970er Jahre als untaugliches Mittel zur Herstellung von mehr Öffentlichkeit.273 Ein Vorschlag des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und SPD-Politikers Björn Engholm war dazu, jedem Gesetzentwurf ein Kurzprotokoll beizulegen, in dem die Verhandlungen zwischen den Verbänden und den Ministerien in der Phase der Gesetzentstehung geschildert werden – heute noch immer diskutiert als sogenannter legislativer Fußabdruck.274 Nach Vorstellung Engholms hätten so wenigstens im Nachhinein die Parlamentarier über die Aktivitäten der Verbände unterrichtet werden können, da diese im Referentenstadium eines Gesetzentwurfes meistens weniger Detailinformationen hätten als die für den jeweiligen Politikbereich relevanten und institutionalisierten Verbandsvertreter. Außerdem nahm Engholm den Vorschlag auf, »den mächtigsten Verbänden« das Privileg des unmittelbaren Zugangs zum Bundeskanzler durch eine strikte Anwendung der Geschäftsordnungsvorschriften zu beschränken. Zwar könne so faktisch nur ex post der ohnehin schon stattgefundene Einfluss rekonstruiert werden, was auf die lange Sicht jedoch durch ein jedem Gesetzentwurf beiliegendes Kurzprotokoll zu einer gewissen Selbstdisziplinierung der Parlamentarier hätten führen sollen.275 Ebenso hätte durch die so geschaffene »Transparenz« auch die Öffentlichkeit stärker für die Macht der Verbände sensibilisiert werden können, was einige Verbände in legitimatorische Schwierigkeiten gebracht hätte, so Heinze. Auf dem 4. Rechtspolitischen Kongress der SPD hatte man sich jedenfalls letztlich übereinstimmend gegen ein Verbändegesetz ausgesprochen. Ein solches hätte nach Auffassung der Sozialdemokraten den »komplexen Tatbestand« nicht adäquat erfassen können.276 Als Notwendigkeit wurde jedenfalls angesehen, den denkbaren Missbrauch von Verbandsmacht durch eine Stärkung der Verbandsmitglieder zu bändigen, da stets die Gefahr bestünde, dass die Verbände – in Ermangelung eines Rechtsrahmens – zu bloßen »Machtinstrumenten aktivistischer Eliten« degenerierten.277 Die Forderung nach stärkerer Einbindung der Verbandsführungen in den mitgliedschaftlichen Willensbildungs273 Vgl. B. Engholm, Herrschaft ohne Kontrolle? Zur Rolle der Verbände in der Bundesrepublik Deutschland, Die Neue Gesellschaft 22, S. 321 – 324. 274 Vgl. R. G. Heinze, a.a.O., S. 158, m. w. N. 275 Vgl. R. G. Heinze, a.a.O., S. 159. 276 Vgl. R. G. Heinze, a.a.O., S. 158, m. w. N. 277 J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 427 (432).
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prozess kollidierte allerdings mit der ebenfalls wichtigen Bestrebung, von den Verbänden Verantwortungsbewusstsein im Hinblick auf das politisch und wirtschaftlich Mögliche abzuverlangen278, was Fritz Scharpf – auf die Gewerkschaften bezogen – folgendermaßen auf den Punkt brachte: »Eine Verbändegesetzgebung mit dem Ziel, oder auch nur mit der unbeabsichtigten Nebenfolge einer Schwächung der inneren Geschlossenheit und organisatorischen Schlagkraft der Gewerkschaften würde nicht deren Kooperationsbereitschaft erhöhen, sondern lediglich ihr Kooperationsfähigkeit zerstören.«279
Der kontraproduktive Effekt gesetzgeberischer Eingriffe war also darin zu befürchten, dass die angesprochenen Verbandsführungen unter dem Druck ihrer (nunmehr mit einer Rechtsgrundlage »ausgestatteten«) Mitgliederbasis ihre Kompromissfähigkeit gegenüber den staatlichen Stellen würden einbüßen müssen, so Weber.280 Im Gegensatz zu den nachgezeichneten Überlegungen einer stärkeren Institutionalisierung der Verbände bzw. einer gesetzlich geregelten Überwachung ihrer Tätigkeiten nahm parallel eine andere Diskussion zu: im Hinblick auf die Sozialpflichtigkeit der Verbände war dies die Debatte über die Spannung zwischen organisierten Interessen und Gemeinwohl.281 Dieser Diskussion entsprang Weber zufolge ein »moralisch-appellativer Wunsch« nach einer Verpflichtung der im politischen Raum wirkenden Organisationen, bei ihrer Interessenverwirklichung das Allgemeinwohl zu berücksichtigen.282 Die Forderung nach einem den Art. 9 Abs. 1 GG ergänzenden Zusatz der »Sozialpflichtigkeit« bzw. einer »Gemeinwohlbindung« der Verbände – in Analogie zu Art. 14 Abs. 2 GG – konnte sich nicht durchsetzen. Hier herrschte Einigkeit darin, dass die Aufgabe, für das Gemeinwohl zu sorgen, schließlich den staatlichen Stellen und hier vor allem dem Parlament obliege, in dem (nach parlamentarisch-demokratischer Vorstellung) alle Interessen vertreten seien.283 Aus ähnlichen Gründen ist eine pauschale Bindung der Verbandsmacht an die Grundrechte abgelehnt worden. Eine Übertragung der im Verhältnis zwischen Individuum und Staat geltenden Grundrechtsbindungen auf die verbandlichen Rechtsbeziehungen scheiterte allein schon daran, dass auch den Verbänden selbst eigene Grundrechte, ins278 J. Weber, ebenda. 279 F. W. Scharpf, Autonome Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftspolitik: Probleme einer Verbändegesetzgebung, S. 18 f. 280 Vgl. J. Weber, a.a.O., S. 432. 281 J. Weber, a.a.O., S. 433. 282 Vgl. Der Bürger zwischen Gruppeninteressen und Staatsbürokratie. Ein Gespräch mit Prof. Kurt H. Biedenkopf zum Thema »Sozialpflichtigkeit der Verbände«, in: Herder Korrespondenz, 1976, S. 14. 283 F. Nicklisch, Gesetzliche Anerkennung und Kontrolle von Verbandsmacht – Zur rechtspolitischen Diskussion um ein Verbandsgesetz –, in: Festschrift G. Schiedermair, S. 459 (471).
Nicht umgesetzte Steuerungsversuche
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besondere die Grundrechte der Vereinigungs- bzw. Koalitionsfreiheit, zuzuerkennen waren, die der Staat ebenfalls zu schützen habe.284 Böckenförde285 fasste die (ergebnislosen) Diskussionen der 1970er Jahre um eine stärkere Verrechtlichung verbandlichen Einflusses letztlich treffend zusammen, dass es (nach damaliger Meinung) vielmehr auf Einsicht und Verantwortungsbewusstsein der handelnden Personen ankomme als auf [neu zu schaffende] rechtliche und institutionelle Regelungen: »Die Funktionsfähigkeit des politischen Systems beruht […] auf einem institutionalisierten Kompromiss zwischen den demokratisch gewählten politischen Entscheidungsträgern einerseits und den politischen Entscheidungsträgern kraft Statusfunktionen aus der Innehabung von Tarifautonomie und (gesamtwirtschaftlich relevanter) Investitionsfreiheit andererseits.«
Gleichwohl macht Weber dazu auf die Labilität des so beschriebenen machtpolitischen Gefüges von Staat und Verbänden aufmerksam, auf »die durch Missbrauch auf beiden Seiten zerstörbare Balance«.286 Zugleich äußert er die Hoffnung, dass in Erkenntnis dieser Situation Verantwortungsbewusstsein praktiziert und nicht nur von politischen Kontrahenten gefordert werde.287 Das Verbändegesetz, das vorgeschlagen worden war, um gemeinwohlwidriges Verhalten negativ und innerverbandliche Demokratie positiv zu beeinflussen, war damit letztlich am einhelligen Widerstand der großen Parteien, großer Verbände und der öffentlichen Meinung gescheitert. Bis heute hat es keine weiteren nennenswerten Vorstöße in Richtung Verbändegesetzgebung mehr gegeben.
2.
Wirtschafts- und Sozialrat
Neben der Schaffung eines Verbändegesetzes und der Kodifizierung einer Sozialpflichtigkeit bzw. einer Gemeinwohlorientierung tauchte – ebenfalls in den 1970er Jahren – als weiterer Vorschlag über geeignete Maßnahmen zur Kontrolle der Verbandseinflüsse und ihrer stärkeren Einbindung in eine sanktionsfähige Verantwortung die Idee der Einrichtung eines »Wirtschafts- und Sozialrates« auf. Die Einrichtung eines solchen ist in der Literatur288 seinerzeit verbreitet als 284 Nicklisch, a.a.O. 285 E.-W. Böckenförde, Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie. Ein Beitrag zum Problem der »Regierbarkeit«, Der Staat 1976, S. 457 ff. 286 J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 427 (434). 287 J. Weber, ebenda. 288 Vgl. K. von Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, S. 178 f.
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
»[…] mittlere Lösung zwischen der lockeren und koordinierten Form der Konsultationen in vielen Beiräten und Kommissionen und der total vom Staat gelenkten korporativen Kammer […]« charakterisiert und bewertet worden. Neben den politischen Ideengebern gehörten auch die Gewerkschaften zu den Fürsprechern einer derartigen umfassenden Institutionalisierung der Verbände innerhalb des parlamentarischen Regierungssystems.289 Weber fasste die in der Literatur aufgekommenen Bewertungen und Fragestellungen einer solchen Einrichtung – sollte ein solcher Rat als Beratungsorgan und Gutachtergremium oder als Mitbestimmungsorgan im Gesetzgebungsprozess konzipiert werden? – zusammen:290 - »Welche Verbände sollten darin Sitz und Stimme erhalten? - Würden nur die Großorganisationen (insbesondere im Wirtschafts- und Arbeitssystem) berücksichtigt werden? - Bestünde damit einhergehend nicht die Gefahr einer weiteren Privilegierung der großen und einer verschärften Diskriminierung der kleinen Verbände? - Ein zu großes Verbändeparlament wäre schlicht handlungsunfähig. - Wie könnten Veränderungen in der Mitgliederzahl oder neu entstehende Organisationen berücksichtigt werden?« Gleichzeitig würde, gemäß Weber, damit wieder das Problem der Legitimation des Verbandshandelns auftauchen:291 - Entweder würden sich die Verbandsvertreter in einem solchen Gremium auf ihre Mitglieder und deren (fälschlicherweise) als eindeutig und homogen dargestellten Interessen berufen oder sie stellten sich einer allgemeinen Wahl, was der Umwandlung der Verbände in Interessenparteien gleichgekommen wäre. - Entweder würde ein solcher Wirtschaftsrat bzw. ein solches Verbändeparlament zu einem Konkurrenten des Parteienparlaments mit der Tendenz seiner Entmachtung zugunsten ständestaatlicher bzw. korporativer Willensbildung oder es würde (wie zum Beispiel der einflusslose Wirtschaftsrat der Weimarer Republik) in der Rolle eines Beratungsgremiums verharren. Dies hätte die Verbände keinesfalls davon abgehalten, in direkten Verhandlungen mit den wichtigen politischen Adressaten ihre Belange durchzusetzen. Neben den befürwortenden Gewerkschaften war in Bayern im Jahr 1977 diesbezüglich durch den Bayerischen Landessportverband, den Sozialverband VdK sowie den Bund Naturschutz sogar ein Volksbegehren in Gang gesetzt worden, 289 J. Weber, a.a.O., S. 430. 290 J. Weber, ebenda. 291 Zitiert nach J. Weber, ebenda.
Umgesetzte Steuerungsversuche
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um die Aufnahme der Mitglieder der Verbände in den (damals noch existierenden) Bayerischen Senat zu erzwingen. Die nötige Stimmenzahl dafür war am Ende nicht erreicht worden.292 Schon damals war von von Beyme in den Diskussionen um die Schaffung solcher Einrichtungen auf die Erfahrungen anderer Länder wie Frankreich, Österreich und die Niederlande verwiesen worden, die keineswegs positiv ausgefallen waren.293 Es hatte sich gezeigt, dass der Mangel an Flexibilität solcher Gremien nicht durch erhöhte öffentliche und von den Mitgliedern selbst realisierbare Kontrolle der dort wirkenden Verbandsvertreter hatte wettgemacht werden können. Hättich294 kommentierte dies schließlich folgendermaßen: »In Wirklichkeit würde der Bürger dazu missbraucht, bei der Konstituierung eines Herrschaftsorganes mitzuwirken, über dessen tatsächliche machtmäßige Zusammensetzung er weit weniger Einfluss hätte, als er bei der Wahl zur ersten Kammer über die Parteien bei allen Friktionen doch hat.«
Letztlich war recht bald offensichtlich, dass sich die Forderung nach der Einrichtung eines Wirtschafts- und Sozialrates aus den benannten Gründen und der nicht vorhandenen politischen Bereitschaft dazu nicht würde durchsetzen können. Bis heute ist daher auch über diesen Vorschlag nicht mehr nennenswert diskutiert worden, womit ihm ein ähnliches Schicksal wie das des Verbandsgesetzes zuteil wurde.
II.
Umgesetzte Steuerungsversuche
1.
Registrierung von Verbänden und deren Vertretern (»Lobbyliste«)
Nachdem die intensive und kontrovers geführte Diskussion um die Schaffung eines »Verbändegesetzes«, welches nach dem Muster des Parteiengesetzes die organisierten Interessen zur Offenlegung ihrer Finanzen und zur Gewährleistung innerverbandlicher Demokratie verpflichten hätte sollen, in den 1970er Jahren im Sande verlaufen war, entschloss sich der Bundestag dazu, das Spektrum »lobbyistisch tätiger Organisationen« wenigstens durch deren öffentliche Registrierung transparenter zu machen. Zurückgehend auf einen Beschluss des Bundestages vom 21. September 1972295 gibt es daher seitdem die Möglichkeit – verankert in der Anlage 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – 292 J. Weber, a.a.O., S. 431. 293 Vgl. K. von Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, S. 179 ff. 294 M. Hättich, Das Entstehen des Verbandswesens in der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, in: Verbände und Herrschaft. Pluralismus in der Gesellschaft, S. 31 f. 295 Bundesanzeiger Nr. 199 vom 20. 10. 1972.
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
einer öffentlichen Registrierung und Eintragung für Verbände, die ihre Interessen gegenüber dem Deutschen Bundestag oder der Bundesregierung vertreten (sogenannte Verbändeliste). Inzwischen verzeichnet diese Liste, die beim Präsidenten des Deutschen Bundestages geführt wird, über 2100 registrierte Verbände.296 Grundsätzlich werden nur diejenigen Verbände in die öffentliche Liste aufgenommen, die eine Aufnahme von sich aus beantragt haben. Nicht registriert werden »Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts und deren Dachorganisationen sowie Organisationen, deren Interessenvertretung auf überregionaler Basis erfolgt«.297 Dies gilt ebenso für angeschlossene Verbände eines registrierten Dachverbandes sowie für einzelne Vereine und Einzelfirmen. Mit der Registrierung der Verbände sind ausdrücklich keine Rechte und keine Pflichten verbunden298, auch begründet die Eintragung in die Liste keinen Anspruch auf Anhörung oder Ausstellung eines Hausausweises, der einen jederzeitigen Zutritt zu den Parlamentsgebäuden ermöglicht. Gemäß der Anlage 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sind folgende Angaben für die Registrierung eines Verbandes erforderlich: 1. Name und Sitz des Verbandes 2. Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung 3. Interessenbereich des Verbandes 4. Mitgliederzahl 5. Namen der Verbandsvertreter sowie 6. Anschrift der Geschäftsstelle am Sitz von Bundestag und Bundesregierung. Nach verbreiteter Auffassung tendiert der Informationsgehalt der Liste »gegen Null«.299 So gibt etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Zahl seiner Mitgliedsorganisationen mit 34, der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZGH) mit 110 an. Rechtlich ist dies für die Spitzenverbände zutreffend, die Zahl der tatsächlich Repräsentierten und deren jeweiliges Gewicht innerhalb des Spitzenverbandes werden daraus allerdings nicht deutlich. Nach dieser Auffassung fehlen in der Liste Angaben zum finanziellen Hintergrund bzw. zur finanziellen Verflechtung: und zwar solche, welche Einnahmen, Mitarbeiterzahl, Aufwendungen für Werbung, Zuwendungen an politische Parteien 296 Stand: 1. Mai 2013, im Internet abrufbar unter : http://www.bundestag.de/dokumente/ lobbyliste/lobbylisteaktuell.pdf. 297 Vgl. die Mitteilung auf der Internetseite des Deutschen Bundestages unter : http:// www.bundestag.de/dokumente/lobbyliste/index.html. 298 s. Anlage 2 Abs. 4 der GOBT. 299 Vgl. nur: R. Steinberg, Grundlagen der parlamentarischen Demokratie, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Schneider/ Zeh (Hrsg.), S. 217 (256 f.).
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und Abgeordnete für den Verband einschließlich seiner Mitgliedsverbände erkennen lassen.300 In diesem Zusammenhang ist regelmäßig gefordert worden, die Offenlegung der Einflusskanäle der Verbände beim Adressaten des Einflusses, insbesondere also Parlament und Regierung, nachdrücklicher zu verfolgen.301 Insbesondere galt diese Forderung der konsequenten Beachtung der Berichtspflicht des § 66 Abs. 2 GOBT, wonach die bei Anhörungen dargelegten Auffassungen bzw. die tragenden Aspekte der als »Sachverständige« auftretenden Interessenvertreter »in ihren wesentlichen Punkten« wiedergegeben werden sollen. Die praktische Erfahrung mit der als »Soll-Vorschrift« ausgestalteten Norm zeigt jedoch, dass der aus ihr zum Ausdruck kommenden Rechtspflicht zur regelmäßigen Anwendung nur unregelmäßig und uneinheitlich nachgekommen wird.302 Da der Einfluss von Interessenvertretern in der Praxisforschung als bereits in der vorparlamentarischen Phase besonders wirksam angesehen wird (so insbesondere auf ministerieller Ebene, dort nach der Vorschrift des § 24 GGO), wird auch (schon) auf dieser Stufe eine konsequente Berichterstattung über stattgefundene Kontakte mit den »Externen« verlangt.303 Steinberg zufolge könne hier Vorbild die Regelung zum schweizerischen »Vernehmlassungsverfahren« sein, dessen Ergebnisse stets zu veröffentlichen sind. Schließlich hat sich der ursprüngliche Regelungszweck der »Verbändeliste« ohnehin überholt und ist wohl als quantitativ unzureichend bzw. zu beschränkt anzusehen, da sie bei weitem nicht alle Interessenvertreter erfasst. Akteure der Interessenvertretung sind heute, wie gesehen304, neben den »klassischen« Verbänden vor allem selbstständige Berater, Agenturen, Rechtsanwälte, Unternehmen, Sozialpartner, Nichtregierungsorganisationen und auch die Kirchen. Darüber hinaus entfällt auch das Argument der Möglichkeit, als Sachverständiger bei Ausschussanhörungen geladen werden zu können, soweit eine Registrierung in der Liste beim Bundestagspräsidenten erfolgt ist. Der Alltag der Ausschusssitzungen im Deutschen Bundestag, in denen Sachverständigenanhörungen (»hearings«) abgehalten werden, zeigt nämlich, dass längst auch »nicht-registrierte« Interessenvertreter bzw. Sachverständige eingeladen werden. 300 R. Steinberg, a.a.O.; Für eine Publizitätspflicht entsprechend dem Publizitätsgesetz 1969 s. F. Kübler in: Podiumsdiskussion auf dem 52. DJT, Die Verbände in der Demokratie und ihre Regelungsprobleme, 1978, Bd. II, S. P 13. 301 Beispielhaft: R. Steinberg, a.a.O., S. 217 (256) Rn. 119. 302 Vgl. J. Hahlen, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 F, S. 14. 303 R. Steinberg, Grundlagen der parlamentarischen Demokratie, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Schneider/ Zeh (Hrsg.), S. 217 (256 f.) Rn. 119. 304 Vgl. S. 38 ff.
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
Insgesamt stellt die Liste der beim Bundestag registrierten Verbände ein nur begrenzt wirksames Instrument dar, um der Öffentlichkeit einen möglichst transparenten Überblick über die Tätigkeiten der im Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages beteiligten und ihren Einfluss geltend machenden Interessenvertreter zu geben. Eine Erweiterung der Regelungen und Vorgaben, die die Registrierungsliste vorsieht, erscheint daher geboten.
2.
Umgang mit Nebentätigkeiten und Spenden in der Geschäftsordnung des Bundestages
a)
Nebentätigkeiten
Neben Regelungen, die auf die Sicherstellung des ordnungsgemäßen »äußeren« Ablaufs des parlamentarischen Verfahrens gerichtet sind, existieren Vorschriften, die einen Zusammenhang zwischen den persönlichen Eigenschaften des Abgeordneten sowie der Funktions- und Repräsentationsfähigkeit des Parlaments herstellen. Dazu gehören in der Verfassung (z. B. Art. 55 Abs. 1 GG, Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG) und in einfachen Gesetzen (z. B. §§ 5 ff. AbgG) festgelegte Inkompatibilitäten, die Interessenkollisionen entgegenwirken sollen, die aus dem Zusammentreffen des Mandats mit Exekutivämtern entstehen können.305 Ferner existieren auch »Verhaltensregeln«, die den Abgeordneten zu einer gewissen Offenlegung verpflichten, um dem Missbrauch des Mandats zu privaten Zwecken entgegenzuwirken. i. Rechtliche Grundlagen Bereits in der Weimarer Republik ist über die Einführung einer »Ehrenordnung« für Abgeordnete diskutiert worden, was im Endeffekt nur auf vereinzelte regionale Regelungen herausgelaufen war.306 Ebenso konnte in der neu gegründeten Bundesrepublik zunächst kein Konsens über diese Fragestellung erzielt werden.307 § 22 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 6. Dezember 1951308 eröffnete lediglich die Möglichkeit, dass sich der Bundestag eine »Ehrenordnung« geben konnte. Eine solche wurde dann erst 1972 beschlossen und zwar durch eine Ergänzung bestimmter Verhaltensregeln der Anlage 1 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.309 Im Jahr 1980 ist dann unter 305 zur Übersicht s. H. H. Klein, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR III, § 51 Rn. 26 ff. 306 Vgl. dazu näher K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 258 ff. 307 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Geschäftsordnung und Immunität der 1. WP, BT-Drucks. 1/2550, S. 3 zu § 22 GOBT. 308 BGBl. 1952 II, S. 389. 309 K. Stein, a.a.O., S. 396, m. w. N.
Umgesetzte Steuerungsversuche
73
der Abschnittsüberschrift »Unabhängigkeit der Abgeordneten« die Vorschrift des §44a310 – als erste gesetzliche Grundlage für Verhaltensregeln – in das Abgeordnetengesetz des Bundes aufgenommen worden. Der Bundestag hatte sich nach dieser Vorschrift Verhaltensregeln zu geben, die eine Reihe gesetzlich festgelegter Bestimmungen enthalten mussten, u. a. über berufliche Tätigkeiten und Interessenverknüpfungen. Der vormalige § 22 GOBT erhielt als neuer § 18 GOBT seine bis heute im Wesentlichen unveränderte Fassung; die Verhaltensregeln blieben insgesamt Bestandteil der Geschäftsordnung.311 Eine Reihe von politischen Affären gab in der Folgezeit den Anlass, die Verhaltensregeln mehrfach zu verschärfen312, ohne zunächst an der Regelungstechnik der Vorschriften etwas zu verändern. Diese grundlegende Änderung erfolgte erst im Jahre 2005.313 In der aktuellen Fassung legt § 44a AbgG bestimmte Verhaltenspflichten gesetzlich fest; der frühere § 44a AbgG ist nunmehr § 44b AbgG; die detaillierte weitere Regelung der Verhaltensregeln, zu der § 44b AbgG ermächtigt, findet sich weiterhin in einer – im Zuge der Novellen von 2005314 und 2013315 erneut »verschärften« – Anlage der GOBT.316 Das gegen zentrale Neuregelungen der Verhaltensregelungen durch neun Abgeordnete des Bundestages beim Bundesverfassungsgericht angestrengte Organstreitverfahren317 ist erfolglos geblieben.318 In der aktuellen Fassung des § 44a AbgG schreibt dessen Abs. 1 vor, dass die Ausübung des Mandats unbeschadet der ausdrücklich weiterhin zulässigen Tätigkeiten beruflicher oder sonstiger Art »im Mittelpunkt der Tätigkeit« der Bundestagsabgeordneten zu stehen hat.319 § 44a Abs. 2 AbgG enthält zwei Verbotstatbestände, die einer Verquickung der Mandatstätigkeit mit privaten Interessen entgegenwirken sollen.320 310 Art. I Nr. 4 des Gesetzes zur Neuordnung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes vom 22. 09. 1980 (BGBl. I S. 1752). 311 K. Stein, ebenda, unter Verweis auf Anlage 1 GOBT (BGBl. 1980 I, S. 1237). 312 Dazu ausführlich: Braun/ Jantsch/ Klante: Abgeordnetengesetz des Bundes – unter Einschluss des Europaabgeordnetengesetzes und der Abgeordnetengesetze der Länder, § 44a Rn. 4 ff. 313 K. Stein, ebenda, unter Verweis auf das 26. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 22. 08. 2005 (BGBl. I S. 2482). 314 Vgl. die Bekanntmachung der Verhaltensregeln vom 12. 07. 2005 (BGBl. I S. 2512) und die Ausführungsbestimmungen des Bundestagspräsidenten vom 30. 12. 2005 (BGBl. 2006 I, S. 10). 315 BT-Drucks. 17/12670. 316 K. Stein, a.a.O., S. 396 f. 317 2 BvE 1/06; 2 BvE 2/06; 2 BvE 3/06; 2 BvE 4/06. 318 BVerfGE 118, 277. 319 Zur verfassungsrechtlichen Diskussion um die »Mittelpunktregelung« ausführlich: A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 137 ff. 320 K. Stein, a.a.O., S. 397.
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
Nach diesen Tatbeständen ist es dem Abgeordneten zum einen verboten, für die Ausübung seines Mandats andere als die gesetzlich vorgesehenen Zuwendungen oder andere Vermögensvorteile anzunehmen, insbesondere wenn der Leistende aufgrund der Zuwendung die Vertretung und Durchsetzung seiner Interessen erwartet (§ 44a Abs. 2 Satz 1 und 2 AbgG). Zum anderen ist die Annahme von Geld oder geldwerten Zuwendungen unzulässig, wenn die Leistung ohne angemessene Gegenleistung des Abgeordneten erfolgt (»Arbeitslose Einkommen«, § 44a Abs. 2 Satz 3 AbgG). Durch diese Regelung erfüllte der Gesetzgeber auf Grundlage des Art. 38 Abs. 3 GG den durch das Diätenurteil321 des Bundesverfassungsgerichts vorgezeichneten Gesetzgebungsauftrag, indem er gesetzliche Vorkehrungen gegen Zahlungen an Abgeordnete geschaffen hat, die in Erwartung einer bestimmten Interessenwahrnehmung im Parlament gezahlt werden bzw. denen jedenfalls der Schein anhaftet, dass sie nur aufgrund eines entsprechenden Ansinnens erfolgen.322 Die Annahme von Spenden bleibt bei alledem hiervon unberührt (§ 44a Abs. 2 Satz 4 AbgG). Intention der nunmehr gesetzlich geregelten Offenlegungspflichten war die Schaffung von mehr Transparenz in der Mandatstätigkeit.323 Gemäß §44a Abs. 4 Satz 1 AbgG sind sowohl Tätigkeiten vor der Übernahme des Mandats als auch Tätigkeiten und Einkünfte neben dem Mandat, die auf für die Ausübung des Mandats bedeutsame Interessenverknüpfungen hinweisen können, nach Maßgabe der Verhaltensregeln (§ 44b AbgG) anzuzeigen und zu veröffentlichen.324 Die in Ausführung der gesetzlichen Ermächtigung des § 44b AbgG als Bestandteil der Geschäftsordnung erlassenen Verhaltensregeln konkretisieren die Tätigkeiten und Zuwendungen, auf die sich die in § 44a AbgG bestimmten Anzeigepflichten beziehen (§§ 1 und 2 der Verhaltensregeln des Bundestages (Verhaltensregeln-BT). Nach diesen Vorgaben sind dem Bundestagspräsidenten insbesondere »entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat, die selbstständig oder im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses ausgeübt werden«, anzuzeigen. Außerdem sind anzeigepflichtig »Tätigkeiten als Mitglied eines Vorstandes oder eines sonstigen leitenden oder beratenden Gremiums eines Vereins, Verbandes oder einer ähnlichen Organisation sowie einer Stiftung mit nicht ausschließlich lokaler Bedeutung«, »Vereinbarungen, wonach dem Mitglied des Bundestages während oder nach der Beendigung der Mitgliedschaft bestimmte Tätigkeiten übertragen oder Vermögensvorteile zugewendet werden sollen«, sowie be321 BVerfGE 40, 296 (318 f.). 322 Dazu ausführlich: A. Käßner, a.a.O., S. 29, 44. 323 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der diesen einbringenden Fraktionen SPD und BÜNDNIS90/ Die Grünen, BT-Drucks. 15/5671, S. 4. 324 Zur Verfassungsmäßigkeit und vertiefter Darstellung der Problemkomplexes der Nebentätigkeiten s. A. Käßner, a.a.O., S. 25 ff.
Umgesetzte Steuerungsversuche
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stimmte Beteiligungen an Personen- oder Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 4 bis 6 Verhaltensregeln-BT). Übersteigen die aus diesen Tätigkeiten erzielten Einkünfte monatlich 1.000 oder jährlich 10.000 Euro, ist auch die Höhe der so erzielten Einkünfte anzeigepflichtig (§ 1 Abs. 3 Satz 1 VerhaltensregelnBT).325 Die Veröffentlichung dieser Angaben im Handbuch und auf der Internetseite des Bundestages ist so geregelt, dass die intern gegenüber dem Bundestagspräsidenten betragsmäßig anzuzeigenden Auskünfte pauschaliert in Stufen angegeben werden, § 3 Verhaltensregeln-BT: bisher galten die drei Stufen 1.000 Euro bis 3.500 Euro, bis 7.000 Euro und über 7.000 Euro jährlich. Mit Beschluss vom 14. März 2013 hat der Bundestag326 die Verhaltensregeln auf Empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung327 geändert. Die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte wird nunmehr auf zehn Stufen bis 250.000 Euro erweitert. Gleich bleiben die ersten beiden Stufen mit Einkünften von 1.000 bis 3.500 Euro und von 3.500 bis 7.000 Euro. Dann folgen Einkünfte bis 15.000, 30.000, 50.000, 75.000, 100.000, 150.000, 250.000 und über 250.000 Euro.328 Darüber hinaus entfällt die bisher geregelte Anzeigepflicht für die Tätigkeiten als Mitglied der Bundesregierung, Parlamentarischer Staatssekretär oder Staatsminister, »da sich aus diesen Tätigkeiten eine für die Ausübung des Mandats bedeutsame Interessenverknüpfung, die es nach dem Regelungszweck der Anzeigepflichten gesondert offenzulegen gilt, nicht ergeben« könne.329 Die neuen Regelungen treten mit der Konstituierung des Bundestages nach der Bundestagswahl 2013 in Kraft. Die Anzeigepflichten werden ergänzt um weitere Pflichten, die der Transparenz der Abgeordnetentätigkeit dienen sollen. Danach haben die Abgeordneten zum einen über die ihnen für ihre politische Tätigkeit zugewendeten Geldspenden und andere geldwerte Zuwendungen gesondert Rechnung zu führen und dem Bundestagspräsidenten Spenden im Wert von mindestens 5.000 Euro im Kalenderjahr anzuzeigen (§ 4 Verhaltensregeln-BT). Zum anderen hat ein 325 K. Stein, ebenda. 326 Keine Mehrheit fanden zwei gemeinsame Änderungsanträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen (17/12698, 17/12699) sowie der Linksfraktion (17/12701, 17/12702). SPD und Grüne wollten durch ihre Anträge erreichen, »dass die im geltenden Recht bereits als Möglichkeit vorgesehene Veröffentlichung von Nebentätigkeiten von Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern, wie beispielsweise Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten oder Steuerberaterinnen und Steuerberatern, nach Branchen nun als Verpflichtung ausgestaltet wird.« Die Linke wollte eine Pflicht zur Angabe der Branche von Auftraggebern aufnehmen und ebenfalls erreichen, dass die zu veröffentlichenden Nebeneinkünfte »auf Euro und Cent« angegeben werden müssen. 327 BT-Drucks. 17/12670 328 BT-Drucks. 17/12670. 329 BT-Drucks. 17/12670.
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
Abgeordneter, der entgeltlich mit einem Gegenstand beschäftigt ist, der in einem Bundestagsausschuss beraten wird, als Mitglied dieses Ausschusses vor der Beratung eine Interessenverknüpfung offenzulegen, wenn diese Interessenverknüpfung nicht ohnehin schon aus der außerhalb des Mandats ausgeübten Tätigkeit hervorgeht (§ 6 Verhaltensregeln-BT).330 ii. Sanktionsmöglichkeiten In der Konsequenz des freien Mandats des Abgeordneten liegt es, dass eine politische und rechtliche Sanktionierung von Pflichtverletzungen, die durch Abgeordnete begangen werden, nur in engen Grenzen in Betracht kommt.331 Vorgesehen sind dabei Sanktionen, die das Mandat als solches unangetastet lassen, aber auch solche, die zu einem Mandatsverlust führen können. (1) Sanktionen unter Fortbestand des Mandats Liegt ein Verstoß gegen die Verhaltenspflichten vor, so muss dies Konsequenzen haben, da ansonsten den aufgestellten Pflichten eine allein symbolische Bedeutung zukommen würde. Neben den Maßnahmen, die der Bundestagspräsident ergreifen kann, um den ordnungsgemäßen parlamentarischen Verfahrensgang aufrechtzuerhalten (z. B. Sach- und Ordnungsruf, Wortentziehung), existieren für die hier in Rede stehenden Verletzungen der Verhaltensregeln Vorschriften mit eindeutigem Sanktionscharakter, zum Teil schon seit dem Jahr 1972. Als Novum ist im Rahmen der Novellierung der Verhaltensregeln im Jahr 2005 die Möglichkeit der Verhängung eines in der Höhe tatabhängigen Ordnungsgeldes nach § 44a Abs. 4 Satz 2 AbgG hinzugetreten, dessen Verfahren sich nach den §§ 8 Abs. 1 bis 4 Verhaltensregeln-BTrichtet.332 Zuvor wurde einzig auf die »Prangerwirkung«333 einer Veröffentlichung eines Pflichtenverstoßes gesetzt, die allein schon häufig nicht zu unterschätzende politische Folgen (beispielsweise Ansehensverlust in Fraktion und Öffentlichkeit mit der möglichen Folge, bei der kommenden Wahl nicht wieder aufgestellt bzw. gewählt zu werden) nach sich ziehen kann. Gelangt der Bundestagspräsident zu dem Ergebnis, dass ein Bundestagsabgeordneter gegen Anzeigepflichten verstoßen hat, teilt er dies dem Präsidium und den Fraktionsvorsitzenden mit (§ 8 Abs. 2 Satz 2 Verhaltensregeln-BT). Bewertet das Präsidium nach Anhörung des betroffenen Abgeordneten den 330 K. Stein, a.a.O., S. 398 f. 331 Vgl. dazu K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 404 f. 332 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 36 ff. 333 A. van Aaken, Genügt das deutsche Recht den Anforderungen der VN-Konvention gegen Korruption? Eine rechtsvergleichende Studie zur politischen Korruption unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, ZaöRV 2005, 407 (437).
Umgesetzte Steuerungsversuche
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Vorgang in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gleichfalls als Verstoß gegen die Verhaltensregeln, stellt es diesen Verstoß förmlich fest (§ 8 Abs. 2 Satz 3 Verhaltensregeln-BT). Das bis dahin parlamentsintern geführte Verfahren wird jetzt öffentlich, indem die Feststellung des Pflichtenverstoßes als Drucksache veröffentlicht wird (§ 8 Abs. 2 Satz 4 Verhaltensregeln-BT). Ein anderes Vorgehen findet nur dann statt, wenn nach der Überzeugung des Bundestagspräsidenten ein »minder schwerer Fall oder leichte Fahrlässigkeit« vorliegt (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Verhaltensregeln-BT); in diesen Fällen erfolgt lediglich eine »Ermahnung« des Abgeordneten.334 Die Höchstgrenze des Ordnungsgeldes – nicht mehr als die Hälfte der jährlichen Abgeordnetenentschädigung – soll sicherstellen, dass dem Abgeordneten ausreichend finanzielle Mittel zur Erfüllung seiner Pflichten als Repräsentant des ganzen Volkes verbleiben, da jede Sanktionierung ihre Grenze in der Beeinträchtigung der freien Mandatsausübung finde – so die Begründung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes.335 Weiterhin neu geregelt ist, dass ein Abgeordneter, der nach Maßgabe der Verhaltensregeln unzulässige geldwerte Vorteile erlangt hat, diese an den Bundeshaushalt abführen muss; der Bundestagspräsident macht diesen Anspruch durch Verwaltungsakt geltend. Auch dieser Pflichtenverstoß wird als Drucksache veröffentlicht (§ 44a Abs. 2 AbgG i. V. m. § 8 Abs. 5 Verhaltensregeln-BT).336 Zur Durchsetzbarkeit der Einhaltung der Verhaltensregeln hat der Gesetzgeber somit verschiedene Sanktionen miteinander kombiniert: Neben drohenden finanziellen Nachteilen soll vor allem durch die Prangerwirkung eines veröffentlichten Pflichtenverstoßes Druck auf die Abgeordneten ausgeübt werden.337 Klarzustellen ist, dass das Untersuchungs- und Sanktionsverfahren nur bei der Verletzung der Pflichten aus den Verhaltensregeln, insbesondere der Anzeigepflichten, zur Anwendung kommt. Die sonstigen Regelungen über das Mandat, insbesondere die Mittelpunktregelung nach § 44a Abs. 1 AbgG, können nicht Gegenstand des Verfahrens sein. Besteht Uneinigkeit über Maßnahmen und Entscheidungen nach § 44a AbgG und der Verhaltensregeln im Einzelfall, so kann der Abgeordnete eine verwaltungsgerichtliche Klage erheben. Hierfür ist nach § 50 Abs. 1 Nr. 5 VwGO die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts als erster und letzter Rechtszug begründet.338
334 335 336 337 338
K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 405. BT-Drucks. 15/5671. K. Stein, ebenda. K. Stein, ebenda. Braun/ Jantsch/ Klante: Abgeordnetengesetz des Bundes – unter Einschluss des Europaabgeordnetengesetzes und der Abgeordnetengesetze der Länder, § 44a Rn 24.
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
(2) Der Verlust des Mandats Während einer laufenden Wahlperiode kann einem Bundestagsabgeordneten grundsätzlich nicht das Mandat entzogen werden.339 Eine Ausnahme davon stellt die infolge eines Parteiverbots eintretende Mandatsaberkennung dar. Darin drückt sich die Bindung der Abgeordneten an die durch das Grundgesetz verfasste freiheitliche demokratische Grundordnung aus.340 Eine andere Ausnahme ist der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts bei Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr gem. § 45 StGB. Ansonsten kann weder das Staatsvolk noch eine andere Instanz einen Abgeordneten mit verbindlicher Wirkung abberufen, wovon gewiss die politische Drucksituation zu unterscheiden ist, die durch ein »Fehlverhalten« des Abgeordneten entstehen kann und ihn zu einem (freiwilligen) Mandatsverzicht bewegen kann.341
b)
Spenden
Abgesehen von Nebentätigkeiten und Nebeneinkünften können auch Spenden an Abgeordnete eine maßgebliche Einflussnahme auf deren politische Arbeit darstellen. Als Spenden in diesem Sinne sind einmalige Geldgeschenke und geldwerte Zuwendungen aller Art zu bewerten, die dem Abgeordneten für seine politische Tätigkeit ohne konkrete Gegenleistung seinerseits gemacht werden.342 Aufgrund dieser möglichen Einflussnahme fordert § 44b Nr. 3 AbgG, im Rahmen von Verhaltensregeln Bestimmungen über die Pflicht zur Rechnungsführung und zur Anzeige von Spenden an Abgeordnete oberhalb festgelegter Mindestbeträge sowie Annahmeverbote und Ablieferungspflichten zu normieren. Diese gesetzliche Vorgabe wird durch § 4 Verhaltensregeln-BT erfüllt. Festzuhalten ist, dass das geltende Recht Abgeordneten des Bundestages die Annahme von Spenden im Grundsatz erlaubt.343 Gemäß § 4 Abs. 1 Verhaltensregeln-BT hat jeder Abgeordnete über Geld339 K. Stein, a.a.O., S. 406, verbunden mit dem Hinweis, dass davon Mandatsaberkennungen infolge einer erfolgreichen Wahlanfechtung oder infolge des Wegfalls der Wählbarkeitsvoraussetzungen zu unterscheiden sind. 340 K. Stein, a.a.O., S. 407, unter Verweis auf § 46 Abs. 1 Nr. 5 BWahlG; Dazu J. Ipsen in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 21 Rn. 196 ff. 341 K. Stein, ebenda. 342 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 41, unter Verweis auf H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, 249 (252); zum Begriff der »Spende« s. auch A. Herbertz, Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 102 ff. 343 A. Käßner, a.a.O., S. 41, unter Verweis auf D. Pohl, Drittzuwendungen an Bundestagsabgeordnete, ZParl 26 (1995), 3, S. 385 (390).
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spenden und jedwede geldwerte Zuwendungen,344 die ihm für seine politische Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden, gesondert Rechnung zu führen. Eine solche gesonderte Rechnungsführung verlangt, dass Spenden getrennt von anderen Einnahmen zu erfassen sind.345 Entsprechend § 4 Abs. 2 VerhaltensregelnBT ist eine Spende, die im Kalenderjahr den Wert von 5.000 Euro übersteigt, unter Angabe von Name und Anschrift des Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende dem Bundestagspräsidenten anzuzeigen. Übersteigt der Spendengesamtwert eines Spenders im Jahr 10.000 Euro, so sind diese Spenden gem. § 4 Abs. 3 Verhaltensregeln-BT vom Bundestagspräsidenten unter Angabe ihrer Höhe und Herkunft zu veröffentlichen.346 Durch diese verpflichtenden Regeln wird den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem sog. Parteispenden-Urteil347 entsprochen. Sie haben den Zweck, neben den anderen Anzeige- und Veröffentlichungspflichten finanzielle Einflüsse auf die politische Willensbildung offen zu legen und so transparent zu machen.348 Käßner weist zudem auch auf Nr. 10 der Ausführungsbestimmungen des Bundestagspräsidenten zu den Verhaltensregeln hin, wonach solche Spenden, die der Abgeordnete als Parteispende entgegennimmt und an seine Partei weiterleitet, nicht anzeigepflichtig gemäß den Verhaltensregeln sind. Die Rechenschaftspflicht der jeweiligen Partei nach Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG i. V. m. § 25 des Gesetzes über die politischen Parteien349 (PartG) bleibt davon unberührt. Damit wird klargestellt, dass die Verhaltensregeln nur solche Zuwendungen erfassen, die beim Abgeordneten selbst verbleiben und über deren Verwendung der Abgeordnete selbst entscheidet.350 Gemäß § 4 Abs. 4 Verhaltensregeln-BTwird für Geldspenden an Abgeordnete § 25 Abs. 2 und Abs. 4 PartG entsprechend angewendet. Die Annahme bestimmter Spenden durch Abgeordnete ist unabhängig davon, ob die einzelne Spende den anzeigepflichtigen Schwellenwert von 5.000 Euro erreicht oder nicht, verboten. Darunter fallen konkret solche, die auch einer Partei nicht zugewendet werden dürfen.351 Nicht erlaubt ist beispielsweise die Annahme von 344 Zur klarstellenden Ergänzung der »geldwerten Zuwendungen aller Art« siehe BTDrucks. 13/834, sowie BVerfGE 85, 264 (320 f.). 345 H. Freund, Abgeordnetenverhalten: Ausübung des Mandats und persönliche Interessen, S.268. 346 A. Käßner, a.a.O., S. 41 f. 347 Vgl. BVerfGE 85, 264 (325). 348 A. Käßner, a.a.O., S. 42 f., mit Verweis auf M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 122. 349 In der Fassung der Bekanntmachung vom 31. 01. 1994 (BGBl. I, S. 149), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 12. 2004 (BGBl. I, S. 3673). 350 A. Käßner, ebenda. 351 A. Käßner, a.a.O., S. 42 f., mit Verweis auf Einzelheiten bei B. Küstermann, Das Transpa-
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Spenden von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, von Fraktionen oder Gruppen der einzelnen Volksvertretungen und von politischen und sozialen Stiftungen. Dadurch soll vermieden werden, dass neben der staatlichen Parteienfinanzierung bzw. der staatlichen Abgeordnetenentschädigung über Umwege weitere, hierfür nicht vorgesehene (und damit zweckfremde), staatliche Mittel an den Abgeordneten fließen.352 Im Grundsatz ist zudem die Annahme von Spenden untersagt, die von Spendern gezahlt werden, die sich außerhalb des Geltungsbereiches des Parteiengesetzes befinden.353 Dieses Verbot soll als Ausdruck der Volkssouveränität gewährleisten, dass die politische Einflussnahme, die durch private Zuwendungen erfolgen kann, allein dem deutschen Volk vorbehalten bleibt.354 Darüber hinaus sind an die Partei weiterzuleitende Spenden von Berufsverbänden, Spenden von Unternehmen der öffentlichen Hand und Spenden, die 500 Euro übersteigen und deren tatsächlicher Spender nicht festgestellt werden kann bzw. über eine dritte Person zugeleitet werden, d. h. anonyme Spenden, ausgeschlossen.355 Die Differenzierung, wann es sich um eine solche anonyme Spende handelt, soll nach einer Ansicht durch das Abstellen auf die Kenntnis des die Zahlung empfangenden Abgeordneten gelingen.356 Nicht vom Verbot erfasst würden damit Zuwendungen durch einen Spender, der dem Abgeordneten zwar bekannt ist, der aber anonym bleiben möchte. Dagegen wendet Käßner berechtigterweise ein, dass das Verbot der Annahme anonymer Spenden das Transparenzinteresse der Öffentlichkeit – bzw. im Hinblick auf Parteispenden das Transparenzinteresse der zuständigen Parteigremien – schützen soll.357 Dieser Schutz würde umgangen, wenn nur der unmittelbare Empfänger der Zuwendung die Person des Spenders kennen müsste. Das Verbot erfasst daher auch alle Spenden, deren Spender nicht öffentlich genannt werden möchte.358
352 353 354 355 356 357 358
renzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, S. 144 ff. A. Käßner, a.a.O., S. 43, unter Verweis auf U. Müller/ S. Albrecht, Fraktionen und Parteien: Getrennt durch den Spendenbegriff ?, DVBl 18, 2000, S. 1315 – 1325. Zu beachten sind allerdings die detailliert beschriebenen Ausnahmen in § 25 Abs. 2 Nr. 3 a) – c) PartG, vgl. A. Käßner, ebenda. A. Käßner, ebenda., mit Verweis auf M. Morlok, Spenden – Rechenschaft – Sanktionen – Aktuelle Rechtsfragen der Parteifinanzierung, NJW, 2000, 761 – 769; Vgl. auch BVerfGE 83, 37 (51 f.). A. Käßner, a.a.O., S. 43. Vgl. zur problematischen Abgrenzung J. Ipsen, Abgeordnetenspenden – eine Regelungslücke des Parteiengesetzes?, NVwZ 2003, 14 ff.; J. Kersten, Parteispende oder Abgeordnetenspende?, JA 2005, 360 – 363. J. Ipsen, Parteiengesetz – Kommentar, § 25 Rn. 34; B. Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, Göttingen, 2003, S. 144 ff. A. Käßner, ebenda.
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Ferner sind gem. § 25 Abs. 2 Nr. 7 PartG sogenannte Bestechungsspenden ausdrücklich untersagt. Dies sind solche Spenden, die erkennbar in der Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden. Spenden, die unzulässigerweise angenommen worden sind, sind gem. § 25 Abs. 4 PartG an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weiterzuleiten. Gem. § 4 Abs. 5 Verhaltensregeln-BT werden auch geldwerte Zuwendungen grundsätzlich wie Geldspenden behandelt. Dabei gelten jedoch solche Zuwendungen nicht als Spenden im Sinne dieser Vorschrift, die der Abgeordnete aus Anlass der Wahrnehmung interparlamentarischer oder internationaler Beziehungen oder zur Teilnahme an Veranstaltungen zur Darstellung der Standpunkte des Bundestages oder seiner Fraktionen in Empfang nimmt. Jene Zuwendungen sind lediglich dem Bundestagspräsidenten anzuzeigen. Mit dieser Ausnahmeregelung soll Käßner zufolge die politisch gewollte Außenrepräsentation des Bundestages möglich bleiben, ohne dass das Verbot für Auslandsspenden nach § 4 Abs. 2 Verhaltensregeln-BT i. V. m. § 25 Abs. 2 Nr. 3 PartG eingreift.359 Erfasst werden soll mit dieser Regelung insbesondere die Übernahme von Reise- und Aufenthaltskosten durch Dritte.360 Zusammengefasst sind die Regelungen zur Bewältigung von Interessenkonflikten bei Abgeordneten durch Nebentätigkeiten und daraus erzielte Einkünfte maßgeblich geprägt durch die Anzeige- und Veröffentlichungspflichten der §§ 44a Abs. 4, 44b AbgG und §§ 1 ff. Verhaltensregeln-BT. Diese Normen waren neben der Mittelpunktregelung des § 44 a Abs. 1 AbgG Gegenstand eines von neun Bundestagsabgeordneten angestrengten Organstreitverfahrens vor dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts. Wegen Stimmengleichheit wurden die Regelungen gem. § 15 Abs. 4 Satz 3 BVerfGG nicht für verfassungswidrig erklärt.361 Die geltenden gesetzlichen Regelungen über Spenden an Abgeordnete stellen sich insbesondere im Vergleich zu den Regelungen des Parteiengesetzes über an Parteien gerichtete Spenden als offener gefasst dar. Das Ziel einer jeden Regelung betreffend die Abgeordnetenspenden sollte sein, die politischen Finanzen, die hinter einem Abgeordneten und auch einem Kandidaten für ein Mandat stehen, für den Wähler durchschaubar zu machen. Hierbei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber lediglich für die Parteien eine umfassende öffentliche Rechenschaftspflicht im Grundgesetz kodifiziert hat, vgl. Art. 21 359 A. Käßner, ebenda, mit Verweis auf Braun/ Jantsch/ Klante: Abgeordnetengesetz des Bundes – unter Einschluss des Europaabgeordnetengesetzes und der Abgeordnetengesetze der Länder, § 44a Rn 21. 360 A. Käßner, a.a.O., S. 44; BT-Drucks. 13/834, S. 5. 361 BVerfGE 118, 277. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird, auch im Hinblick auf das Votum der dissentierenden Richter, noch einzugehen sein.
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Abs. 1 Satz 4 GG. Inwieweit daraus de lege ferenda eine vergleichbare Rechenschaftspflicht für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages abgeleitet werden kann, insbesondere Abgeordnetenspenden möglicherweise in die Rechenschaftspflicht der politischen Parteien mit einbezogen werden könnten, ist deshalb noch zu untersuchen.
3.
Kodizes
Im Zusammenhang mit Forderungen nach »besserer« Transparenz politischer Entscheidungsprozesse ist neben dem Vorschlag gesetzlicher Normierung von »Transparenzvorschriften« auch vermehrt die Forderung nach Schaffung von sogenannten Verhaltenskodizes für politische wie für interessenvertretende Akteure aufgekommen, um lobbyistische Aktivitäten zu kanalisieren. Unter einem Verhaltenskodex (engl. »code of conduct«) wird in der Regel eine Sammlung von Verhaltensweisen verstanden, die in unterschiedlichen Umgebungen und Zusammenhängen abhängig von der jeweiligen Situation angewandt werden können bzw. sollen. Im Gegensatz zu einer gesetzlichen Regelung ist die Zielgruppe nicht zwingend an die Einhaltung des Verhaltenskodex’ gebunden. Ein Verhaltenskodex ist vielmehr eine Selbstverpflichtung, bestimmten Verhaltensmustern zu folgen oder diese zu unterlassen und dafür Sorge zu tragen, dass sich niemand durch Umgehung dieser Muster einen Vorteil verschafft.362 Bislang gibt es auf Ebene des Bundestages, abgesehen von den Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages (§§ 1 bis 8 der Verhaltensregeln-BT), keinen derartigen Verhaltenskodex, der den Umgang von Abgeordneten mit Interessenvertretern zum Gegenstand hätte. Existent sind vergleichbare Kodizes inzwischen auf Ebene der EU363, nationaler exekutiver (ministerialer) Ebene364 sowie auf Seiten der Akteure selbst, nämlich innerhalb einzelner Interessenvertreterorganisationen. Zu letzteren 362 Vgl. dazu beispielhaft W. Erdmann in Gloy/ Loschelder/ Erdmann, Wettbewerbsrecht, §37 Rn 3 – 7. 363 Vgl. Europäische Kommission, Europäische Transparenzinitiative. Rahmen für die Beziehungen zu Interessenvertretern (Register und Verhaltenskodex), KOM (2008) 323 endgültig, Brüssel, 27. Mai 2008, S. 7 – 9, http://ec.europa.eu/transparency/docs/323_de.pdf. 364 Vgl. die »Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung in der Bundesverwaltung« des Bundesministeriums des Innern, abrufbar unter http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Themen/OED_Verwaltung/Korruption_Sponsoring/empfehlungen_zur_ richtline_korruptionspraevention_de.pdf ?__blob=publicationFile oder den »Verhaltenskodex für in der Bundesverwaltung tätige externe Personen«, abrufbar unter http://www. verwaltungsvorschriften-im-internet.de/pdf/BMI-O-20080717-KF01-A001.pdf.
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gehören die »Sieben Selbstverpflichtungsprinzipien«365 für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Public Relations (DPRG) sowie der »degepol-Verhaltenskodex«366 der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung e.V. (degepol). Die Selbstverpflichtungsprinzipien für Mitglieder der DPRG sind dabei in Anlehnung an den internationalen »Code d’Athenes« für PR-Verbände als Moralkodex ausgestaltet, der mittels Formulierung ethischer Prinzipien sehr allgemein das zwischenmenschliche Verhalten innerhalb des Berufsstandes regelt. Sie handeln von der »Würde des Menschen« und von der Achtung, die dem Gegenüber daraus entgegengebracht werden muss. Weitergehende, konkrete Handlungs- und Unterlassungsanweisungen für Interessenvertreter, insbesondere gegenüber den politischen Entscheidungsträgern, enthalten diese allerdings nicht. Dagegen ist der Kodex der degepol in Anlehnung an den europäischen »Code de Lisbonne« von 1978 bzw. den US-amerikanischen »Code of Professional Standards« als Verhaltenskodex formuliert, der spezifische Verhaltensnormen von Politikberatern bzw. PR-Beratern einfordert. Unter den Grundsätzen - Wahrhaftigkeit gegenüber Auftraggebern, politischen Institutionen, Medien und Öffentlichkeit - Diskretion - Keine unlauteren oder ungesetzlichen finanziellen Anreize - Keine Diskriminierung - Respekt - Klare Trennung von Beruf und politischem Amt bzw. Mandat - Keine Berufsschädigung verpflichten sich die Mitglieder der degepol, bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit »einerseits die Interessen ihres Auftraggebers zu wahren« und »andererseits die Wahrung des Gemeinwohls als Zielsetzung von Politikberatung auch bei der Durchsetzung individueller Interessen eines Auftraggebers zu berücksichtigen«.367 Zudem hat die degepol für Kodexverstöße ein Sanktionspotential geschaffen. Sie kann im Falle eines Fehlverhaltens eine Rüge aussprechen oder den Betreffenden aus der degepol ausschließen.368 Im Übrigen haben die Vorschriften des degepol-Kodex’ keinerlei verbindlichen Charakter und erfassen selbstredend nur Mitglieder der degepol. Die größte Anzahl von Interessenvertretern beim Deutschen Bundestag ist jedoch nicht Mitglied der degepol, so dass nur ein 365 Abrufbar unter : http://www.drpr-online.de/upload/downloads_11upl_file/Selbstverpflich tungen.pdf. 366 Quelle: www.degepol.de/grundlagendokumente/verhaltenskodex. 367 Vgl. die Präambel des degepol-Verhaltenskodex’. 368 Http://www.degepol.de/grundlagendokumente/verhaltenskodex.
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allgemein verbindlicher Verhaltenskodex für alle Interessenvertreter effektiven Sanktionscharakter besäße. Schließlich haben Forderungen nach einem Verhaltenskodex, der auch explizit Parlamentarier im Umgang mit Interessenvertretern erfassen könnte, bis heute keine Früchte getragen.
4.
Strafgesetzliche Schranke der Interessenpolitik: Der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung § 108 e StGB
Die Delikte des vierten Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches (»Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen«) bezwecken den Schutz der Freiheit der politischen Meinungsbildung und Meinungsäußerung, indem bestimmte Beeinträchtigungen von Verfassungsorganen und von Wahlen und Abstimmungen untersagt werden. Relevant für die Mandatsausübung des Abgeordneten ist der Tatbestand des § 108 e StGB, der die sogenannte Abgeordnetenbestechung regelt: »Wer es unternimmt, für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« (§ 108 e Abs. 1 StGB)
a)
Normzweck
In § 108 e StGB wird die Abgeordnetenbestechung als Stimmenkauf bzw. Stimmenverkauf verstanden, was auch aus der Gesetzesbegründung aus dem Jahr 1994 hervorgeht.369 Geschütztes Rechtsgut ist die Integrität der Mandatsausübung und die Funktionsfähigkeit des repräsentativen Systems.370 Danach kann der demokratische Rechtsstaat nur dann auf Dauer bestehen, wenn die Bürger darauf vertrauen können, dass die Mandatsträger ausschließlich zum Wohle der Allgemeinheit handeln. Dies sei dann nicht der Fall, wenn die Abgeordneten private Interessen oder die demokratisch nicht legitimierten Interessen einzelner oder kleiner Gruppen vertreten.371 Der Tatbestand des § 108 e StGB ist als sog. Unternehmensdelikt (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB) ausgestaltet, so dass Vollendung bereits mit dem unmittelbaren Ansetzen zum Stimmenkauf oder –verkauf eintritt.372 Es genügt damit 369 MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 1 mit Verweis auf BT-Drucks. 12/5927, S. 4. 370 BT-Drucks. 12/5927, S. 4. 371 U. Epp, Die Abgeordnetenbestechung – § 108e StGB, S. 163. 372 Dazu krit.: S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098 (1100).
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schon das Angebot zum Kauf bzw. Verkauf einer Stimme für eine bestimmte Wahl bzw. Abstimmung, der Abschluss einer Unrechtsvereinbarung oder gar deren Erfüllung ist nicht erforderlich.373
b)
Gang der Gesetzgebung
Nachdem die Abgeordnetenbestechung in Form des § 109 StGB a. F. seit dem 3. Strafrechtsänderungsgesetz (StrÄndG) 1953 nicht mehr unter Strafe gestanden hatte, wurde sie am 14. 01. 1994 als »neuer« Straftatbestand wieder eingeführt. Nach dem § 109 StGB a. F. des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 war strafbar gewesen, wer in einer »öffentlichen Angelegenheit« eine Wahlstimme kaufte oder verkaufte.374 Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts erfasste der damalige § 109 a. F. StGB die Gesamtheit des Gemeinwesens, weshalb die Vorschrift nach der damals herrschenden Meinung auch die Abgeordnetenbestechung mit einschloss.375 Bereits bei den parlamentarischen Beratungen zum Entwurf des 3. StrÄndG vom 4. 8. 1953 wurde diskutiert, ob Wahlen und Abstimmungen innerhalb von Volksvertretungen in den Schutzbereich der Wahlstrafdelikte miteinbezogen werden sollten.376 Gegen den Widerspruch der damaligen Bundesregierung wurde beschlossen, den Geltungsbereich der §§ 107 ff. StGB auf Wahlen und Abstimmungen des Volkes zu beschränken.377 In den folgenden vierzig Jahren gab es in der Folge eine Strafbarkeitslücke, so dass es einem Abgeordneten möglich war, Geld oder sonstige Vorteile in unbegrenzter Höhe von Verbänden, Konzernen und anderen Interessengruppen entgegenzunehmen und als »Gegenleistung« dafür in deren Sinne im Parlament abzustimmen, ohne eine strafrechtliche Sanktion fürchten zu müssen. Ebensowenig strafbar machte sich derjenige, der einem Abgeordneten Geld oder sonstige Vorteile anbot, was auf Bundes- und Landesebene gleichermaßen galt.378 Das bedeutet, dass die Korruption von Abgeordneten – entgegen den Regelungen in vielen anderen Staaten – zunächst straffrei gestellt und seither eine Privilegierung von Mandatsträgern bewusst beibehalten wurde.379 Nachdem eine zu schaffende Regelung im Schrifttum immer wieder angemahnt worden war und auch die allgemeine Strafwürdigkeit der Abgeordne373 MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 2. 374 R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (460 f.). 375 R. Michalke, a.a.O., S. 459 (461). 376 MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 4 mit Verweis auf BT-Drucks. 12/5927 S. 4. 377 BT-Drucks. 12/5927. 378 C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 33. 379 G. Erdsiek, Umwelt und Recht, NJW 1959, 25.
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tenbestechung praktisch unbestritten war, wurde 1994 schließlich mit dem 28. StrÄndG ein neuer Tatbestand geschaffen.380 Der Tatbestand wurde dabei bewusst restriktiv gefasst, so dass einzelne strafwürdige Verhaltensweisen weiterhin straffrei blieben.381 Ein nach Aufdeckung des CDU-Spendenskandals 1999/ 2000 vom Bundesland Saarland eingebrachter Entwurf382 eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes wurde indes nicht weiter behandelt.383 Gesetzgeberischen Handlungsbedarf hat auch der 5. Strafsenat des BGH im Jahr 2006384 angemahnt. Ein Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages war zunächst angekündigt, aber letztlich nicht vorgelegt worden – Fischer weist in diesem Zusammenhang auf die entsprechende Pressemitteilung auf der Internetseite des Bundesministeriums der Justiz vom 30. 05. 2007 hin, die »nachträglich berichtigt worden« sei.385 Ferner sind von den Fraktionen BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN im Mai 2007386 und von der Fraktion DIE LINKE im Mai 2007387 sowie im April 2010388 eingebrachte Gesetzentwürfe eines Strafrechtsänderungsgesetzes – Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten – nicht weiter beraten worden. Eine schriftliche Anfrage389 der Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler an die Bundesregierung wurde am 7. Oktober 2011 durch den Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz, Max Stadler MdB, dahingehend beantwortet, dass auch die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Anpassung von § 108 e StGB sehe, ein Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag, aus dessen Mitte ein Gesetzentwurf vorgelegt werden solle, sich zurzeit jedoch nicht abzeichne.390 In einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses vom 17. Oktober 2012 benannten eine Reihe der geladenen Fachleute ebenfalls prinzipiellen Handlungsbedarf, sahen allerdings in den vorgelegten Gesetzent-
380 Vgl. H. H. von Arnim, Abgeordnetenkorruption, JZ 1990, 1014 ff.; F. Klein, Straflosigkeit der Abgeordnetenbestechung, ZRP 1979, 174. 381 S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098 (1100). 382 BR-Drucks. 98/00. 383 Vgl. T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e, Rn. 1. 384 Vgl. BGHSt 51, 44, 59 f., in dessen Urteil der Senat von »Wertungswidersprüchen« spricht: »Im Zusammenhang mit der ohnehin auf Grund internationaler Abkommen notwendigen Modifizierung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung (…) sollte der Gesetzgeber deshalb nach Auffassung des Senats für entsprechende Abhilfe sorgen (…)«. 385 Fischer, a.a.O. 386 BT-Drucks. 16/6726. 387 BT-Drucks. 16/8979. 388 BT-Drucks. 17/1412. 389 BT-Drucks. 17/7279, Fragen 27 und 28. 390 BT-Drucks. 17/7279, ebenda.
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würfen der Fraktionen von SPD391, BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN392 und DIE LINKE393 erhebliche völker- und verfassungsrechtliche Bedenken.394 Inzwischen gibt es auch fraktionsübergreifende Bestrebungen unter Beteiligung einzelner Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion, den Straftatbestand neu zu fassen.395 c)
Anwendungsbereich des § 108 e StGB
Der Anwendungsbereich des § 108 e StGB wurde bewusst restriktiv gehalten396, wodurch die praktische Relevanz nach einer verbreiteten Auffassung überschaubar bleibt.397 In den Beratungen hatte man sich darauf verständigt, dass § 108 e StGB nicht der Beamten- und Richterbestechung nachgebildet werden könne, da Aufgabenkreis von Abgeordneten und Amtsträgern nicht vergleichbar sei. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs398 sei es einem Amtsträger im öffentlichen Dienst generell verboten, einen persönlichen Vorteil für eine Diensthandlung anzunehmen, wohingegen es beim Mandatsträger bereits an einem genau begrenzten Pflichtenkreis fehle.399 Darüber hinaus sei die Interessenwahrnehmung auch innerhalb des Parlaments Bestandteil des politischen Kräftespiels.400 An den Abgeordneten gerichtete Versprechungen und Erwartungen, die bei Abstimmungen in politischen Fragen gemacht würden, widersprächen prinzipiell nicht den Spielregeln der Demokratie.401 Der Tatbestand des § 108 e StGB erfasst nur verwerfliches Abstimmungsverhalten von Mandatsträgern in den verschiedenen, in Abs. 1 benannten parlamentarischen Gremien und das hiermit korrespondierende Verhalten Außenstehender.402 Die Stimme des Abgeordneten soll »für eine Wahl oder Ab391 392 393 394 395
396 397 398 399 400 401 402
BT-Drucks. 17/8613. BT-Drucks. 17/5933. BT-Drucks. 17/1412. Vgl. die Pressemitteilung des Deutschen Bundestages, abrufbar unter : http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/40880846_kw42_pa_recht_vorteilsnahme/index.html. Vgl. die Berichte der Frankfurter Rundschau online vom 01. 03. 2013, abrufbar unter : http://www.fr-online.de/politik/abkommen-gegen-korruption-kauder-und-oppositioneinig-bei-abgeordneten-bestechung,1472596,21978678.html sowie Handelsblatt online vom 01. 03. 2013, abrufbar unter : http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/unokonvention-union-streitet-ueber-abgeordnetenbestechung/7864454.html. C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 59. Vgl. nur C. Richter, ebenda, sowie A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 198 ff. BT-Drucks. 12/5927, 5. Vgl. R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (461 f.). BT-Drucks. 12/5927, 5. R. Michalke, a.a.O., S. 459 (461). T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e, Rn. 3.
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
stimmung« gekauft oder verkauft werden; damit zielt die Norm auf das Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten (»Stimmenkauf«). Unrechtsvereinbarungen zwischen Dritten und den einzelnen Abgeordneten, die dagegen nicht auf das Abstimmungsverhalten im Plenum gerichtet sind, sondern ausschließlich das Abstimmungsverhalten in außerparlamentarischen Gruppierungen betreffen (»allgemeine wirtschaftliche Interessenverflechtung«403), sind von der Strafbarkeit nicht umfasst.404 Dazu ergibt der Wortlaut Aufschluss: Strafrechtlich geschützt ist lediglich eine Wahl bzw. Abstimmung innerhalb einer Volksvertretung, d. h. im Plenum und in den Ausschüssen, aber auch in den Fraktionen.405 Darin einbezogen sind Abgeordnete des Europäischen Parlaments, des Bundestags sowie die Volksvertretungen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände. Die Formulierung »eine Wahl oder Abstimmung« bedeutet nicht, dass sich die Tat auf eine bestimmte einzelne Mandatsausübung beziehen muss, sondern sie kann auch mehrere oder alle Abstimmungen betreffen, die in einem bestimmten Zusammenhang vorgenommen werden.406 Diese Beschränkung bietet nach verbreiteter Auffassung ein Einfallstor für Umgehungen.407 Die vorgelagerten Willensbildungsprozesse außerhalb der Volksvertretung, wie beispielsweise die ersten Erörterungen der Gesetzentwürfe in den Fraktionen oder Arbeitsgruppen, unterlägen gerade keinerlei Beschränkungen.408 Gerade aber auch in außerhalb des Parlaments stattfindenden Sitzungen würden gewöhnlich die entscheidenden Weichenstellungen vorgenommen, eine Einflussnahme Dritter bereits zu diesem Zeitpunkt erscheine schließlich viel erfolgsversprechender als eine Einflussnahme im Hinblick auf die Abstimmungen im Plenum, wenn der Gesetzentwurf bereits stehe.409 So könnten Interessengruppen jederzeit durch Geldzuwendungen im Rahmen von »Beraterverträgen« einflussreiche Abgeordnete für die allgemeine Lobby-Arbeit im Parlament gewinnen bzw. den Stimmenkauf auf diese Weise »kaschieren«.410 Viele strafwürdige Fälle blieben damit straflos.
403 T. Fischer, a.a.O., § 108 e, Rn. 3. 404 Krit. dazu: H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, 249, 252 f. 405 T. Fischer, a.a.O., § 108 e, Rn. 3. 406 T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e, Rn. 3a. 407 MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 12. 408 Vgl. dazu W. Schaupensteiner, Bekämpfung von Korruptionsdelinquenz – Vom Unwesen des Bestechens und Bestochenwerdens, Kriminalistik, 1994, S. 514 (523). 409 Vgl. dazu W. Schaupensteiner, ebenda. 410 MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 12.
Umgesetzte Steuerungsversuche
d)
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Tathandlung
Der Absatz 1 des § 108 e StGB setzt das Unternehmen voraus, eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen. Diese Umschreibung der Tathandlung soll nicht im zivilrechtlichen Sinne den §§ 433 ff. BGB entsprechend verstanden werden, sondern ist vielmehr umgangssprachlich im Sinne von Leistung und Gegenleistung zu verstehen, um die typischen Merkmale der Bestechlichkeit bzw. der Bestechung deutlich zu machen.411 Der Gesetzgeber war seinerzeit der Auffassung, durch diese Umschreibung werde dem Richter »ein konkreter Anhaltspunkt für die Verwerflichkeit tatbestandsmäßigen Verhaltens« an die Hand gegeben.412 Der »Leistung« des Abgeordneten, nämlich im Parlament gemäß den Interessen des Auftraggebers abzustimmen, muss ein messbarer, in einem Geldbetrag ausdrückbarer materieller Vorteil gegenüberstehen.413 Immaterielle oder ausschließlich persönliche Vorteile werden von § 108 e StGB nicht erfasst. Dies wird in der Literatur als ungerechtfertigte Einengung kritisiert, da das vom Tatbestand zu schützende Rechtsgut durch die Annahme oder Gewährung eines immateriellen Vorteils nicht weniger beeinträchtigt werde als durch den Austausch von materiellen Vorteilen.414 Im Hinblick auf die seit dem sogenannten Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts415 für verfassungswidrig erklärten Scheinarbeitsverhältnisse seien deshalb auch »verschleiert« zugewandte Vorteile in den Tatbestand des § 108 e StGB mit einzubeziehen.416 Das Merkmal der »Käuflichkeit« soll das Wesen der Stimmbestechung verdeutlichen, aber nur diejenigen Fälle verwerflicher Gewährung oder Annahme von Vorteilen erfassen, bei denen das Stimmverhalten, das auch in einer Stimmenthaltung bestehen kann, zum Gegenstand eines sittenwidrigen Geschäfts gemacht wird.417 Mit dem Begriff der Käuflichkeit sollten von vornherein solche Fälle ausgeschlossen werden, bei denen es um sogenannte sozial adäquate Verhaltensweisen geht.418 So soll nach der Begründung des Gesetzentwurfes nur solches Verhalten erfasst sein, das die Stimme des Abgeordneten »zur Ware
411 412 413 414 415 416
Vgl. BT-Drucks. 16/5927, S. 5, 7. Vgl. BT-Drucks. 16/5927, S. 5 f.; BT-Drucks. 12/1630, S. 5 f. Vgl. T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e, Rn. 4. Vgl. MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 17. BVerfGE 40, 296 (314 f.). So MünchKommStGB/ H. E. Müller, a.a.O.; ebenso J. Heisz, Die Abgeordnetenbestechung nach § 108 e StGB – Schließung einer Regelungslücke?, S. 126. 417 Vgl. T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e, Rn. 4. 418 S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098 (1099).
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Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
erniedrigt«.419 Die Auslegung dieser normativen Merkmale des Tatbestandes bleibt allein der Rechtsprechung überlassen.420 Täter des Stimmenkaufs kann jedermann sein, wohingegen der Stimmenverkauf Sonderdelikt des Mandatsträgers ist. Gemeinderatsmitglieder können nach Ansicht des BGH421 und der h. M. nur insoweit Amtsträger im Sinne von §§ 331 ff. StGB sein, als dass sie nicht in Ausübung ihres freien Mandats tätig sind.422 Weiter erforderlich ist eine den Tatbestandsvoraussetzungen der Beamtenbestechungsdelikten (§§ 331 ff. StGB) vergleichbare konkrete Unrechtsvereinbarung zwischen dem Dritten und dem entsprechenden Abgeordneten.423 Eine solche liegt vor, sobald die Gewährung materieller Zuwendungen zu dem Zweck erfolgt, den Abgeordneten nach gemeinsamer Absprache zu einer bestimmten Stimmabgabe zu veranlassen. Erforderlich ist somit ein Kausalzusammenhang zwischen der erfolgten Zuwendung und dem begehrten Abstimmungsverhalten des Abgeordneten.424 Werden dagegen dem Abgeordneten Zuwendungen für die Vertretung bestimmter »Interessen« in Aussicht gestellt, bezieht sich dies nicht auf eine konkrete Stimmabgabe und ist damit straflos. Die Honorierung einer allgemeinen »Gewogenheit« reicht ebenfalls grundsätzlich nicht aus. Durch das Erfordernis des Unternehmens einer konkreten Unrechtsvereinbarung geht die Norm nach verbreiteter Auffassung weitgehend ins Leere.425 Auch zum Teil problematische Abhängigkeitsverhältnisse der Abgeordneten von Interessengruppen werden durch § 108 e StGB nicht erfasst. Nicht pönalisiert wird danach die Praxis häufiger auftretender mittelbarer oder nicht klar bestimmter Beeinflussung eines Abgeordneten, Vereinbarungen »allgemeiner Beziehung«426 auf die Abgeordnetentätigkeit wie dem »Geneigtmachen« durch Geschenke und andere Vorteile, Spenden für Wahlkreisarbeit oder für einen Wahlkampf, wenn sie der »allgemeinen Klimapflege« gelten. Anders ist dies nur bei Wahlkampfspenden in Beziehung auf ein für den Fall der Wahl erwartetes konkretes Abstimmungsverhalten.427 »Entgeltliche Tätigkeiten als Lobbyist« unterfallen – selbst wenn die Einkünfte aus solcher, einem Einzelinteresse verpflichteten Tätigkeit bei Berufs-
419 420 421 422 423 424 425 426 427
Vgl. BT-Drucks. 16/5927, S. 7. C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 63. BGHSt 51, 44, 49 ff. T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e, Rn. 4. T. Fischer, a.a.O., § 108 e, Rn. 6. MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 20. MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 21. T. Fischer, a.a.O., § 108 e, Rn. 8a. Vgl. BGH 2 StR 557/ 05.
Umgesetzte Steuerungsversuche
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politikern nicht selten die Abgeordnetenbezüge übersteigen – in der Regel nicht dem § 108 e StGB.428 e)
Zusammenfassung
Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung ist ein Tatbestand mit einem engen Anwendungsbereich und kann als zuvörderst symbolisches Gesetz angesehen werden, da es lediglich den Kauf einer Abgeordnetenstimme bei Wahlen oder Abstimmungen im Plenum bestraft und Umgehungen zulässt. Auch nachträgliche Spenden zum »Dank« für bestimmte Entscheidungen werden nicht erfasst. Da die eigentlichen inhaltlichen Weichenstellungen nicht erst im Plenum, also in der finalen Abstimmung, sondern bereits in Fraktionen, Ausschüssen, Arbeitsgruppen und häufig im persönlichen Gespräch gefällt werden, läuft der § 108 e StGB im Hinblick auf diese Bereiche parlamentarischer Beratungen ins Leere. Es ist allerdings zuzugeben, dass es angesichts des Bestimmtheitsgebotes schwierig ist, handhabbare Maßstäbe zu setzten, anhand derer strafwürdiges korruptives bzw. verwerfliches Verhalten zuverlässig von solchen Einflussnahmen abgegrenzt werden kann, die sich in einer repräsentativen Demokratie im Rahmen des politisch Adäquaten bewegen. Dass es bis heute keine Verurteilung nach diesem Tatbestand gegeben hat, beweist den fehlenden praktischen Nutzen der Norm. Das nach außen vom Gesetzgeber erklärte Regelungsziel, politische Korruption »wirksam zu bekämpfen«, wird durch den § 108 e StGB, jedenfalls bisher, nicht nachweisbar verbessert. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung ist durch Art. 2 § 2 IntBestG429 die Bestechung ausländischer Abgeordneter den internationalen geschäftlichen Verkehr betreffend unter Strafe gestellt worden. Dabei wird im Gegensatz zu § 108 e StGB nicht nur konkretes, durch Vorteile bewirktes Abstimmungsverhalten tatbestandlich erfasst, sondern die künftige Vornahme jeglicher »mit seinem Mandat oder seinen Aufgaben zusammenhängender Handlung oder Unterlassung«.430 Ein umfassender strafrechtlicher Tatbestand der Abgeordnetenbestechung bzw. die Modifizierung des § 108 e StGB, wie er in anderen Demokratien bereits besteht431, wird in der Literatur verbreitet als zur wirksamen Bekämpfung von Korruption »dringend erforderlich« angesehen.432
428 T. Fischer, ebenda. Fischer fordert in diesem Zusammenhang, dem Unbehagen über die beschriebenen Zustände durch Offenlegungs- und Transparenzpflichten entgegenzuwirken. 429 Gesetz vom 10. 09. 1998. 430 MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 8. 431 M. Möhrenschlager, Die Struktur des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung auf
92
Bisherige rechtliche Steuerungsversuche
Bislang wurden Lösungen in erster Linie außerhalb des Strafrechts gesucht, wie zum Beispiel durch die Neuregelungen des Abgeordnetengesetzes und der Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete. Jüngste Ansätze auch seitens des Bundesjustizministeriums zur Ausweitung der Strafbarkeit des § 108 e StGB in der 16. Wahlperiode433, insbesondere vor dem Hintergrund internationaler Abkommen, sind bislang im Sande verlaufen. Es bleibt daher festzustellen, dass es sich bei § 108 e StGB – jedenfalls nach verbreiteter Auffassung – um »symbolisches Strafrecht« handelt, das wegen seines engen Tatbestandes kaum zur Anwendung kommt. Welche Konsequenzen daraus de lege ferenda zu ziehen sind, ist noch zu untersuchen.
dem Prüfstand – Historisches und Künftiges, in: Festschrift für Ulrich Weber, S. 217, 231, m. w. N. 432 H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, 249 (252); ebenso T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e, Rn. 1; MünchKommStGB/ H. E. Müller, § 108e StGB Rn. 20. 433 Vgl. die Pressemitteilung des BMJ vom 30. 05. 2007 unter http://www.bmj.bund.de.
C. Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
In der bestehenden Rechtsordnung auf Bundesebene existieren Regelungen, die sich mit der Tatsache befassen, dass Parlamentsmitglieder neben der Mandatsausübung noch weiteren Tätigkeiten nachgehen oder andere Stellungen und Ämter innehaben. So bestehen Normen einerseits für den Fall, dass der Abgeordnete neben dem Mandat auch Organwalter einer weiteren Staatsfunktion ist.434 Andererseits existieren Normen, die darauf abstellen, dass der Abgeordnete neben dem Mandat noch einer Nebenbeschäftigung im Sinne einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Inkompatibilitäten und Befangenheitstatbestände, die dies neben den Verhaltensregeln bzw. dem Abgeordnetengesetz regeln könnten, haben bislang keine Umsetzung im deutschen Parlamentsrecht erfahren. Auch in anderen Ländern wird seit Langem darüber diskutiert, welche neben dem Mandat bestehenden Tätigkeiten noch mit der Mandatsausübung vereinbar sind. Auf diese Konstellationen zugeschnittene Regelungen finden sich sowohl im englischen Recht des 14. Jahrhunderts435 wie auch im französischen Recht des 19. Jahrhunderts436. Deutschland führte erst vergleichsweise spät in den Jahren 1972 und 1980 Verhaltensregeln ein.437 Schon vorher gab es Versuche, Inkompatibilitätsvorschriften in das deutsche Reichsrecht einzufügen, zu deren Realisierung es jedoch nie gekommen ist.438 Geltendes Landesrecht sieht vereinzelt 434 Vgl. C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 138; mit Verweis auf die systematische Einordnung von D. Tsatsos, Die parlamentarische Betätigung von öffentlichen Bediensteten, S. 147; ders., Die verfassungsrechtliche Problematik der Inkompatibilität von Richteramt und Mandat, DRiZ 1964, 251 ff.; ders., Die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit von Regierungsmitgliedern, VerwArch 1967, 360 ff. 435 Gesetz aus dem Jahre 1372, 46 Edw. III, The Statues of the Realm, vol., 1 1810, S. 394 (betr. den Ausschluss von Anwälten aus dem Parlament). 436 Vgl. R. Büttner, Wirtschaftliche Inkompatibilitäten, S. 116 f., m. w. N. 437 C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 139 mit Verweis auf BGBl. 1972, I, 2065; BGBl. 1980, I, S. 1255; M. Lohmeier, Ausländische Regelungen für wirtschaftliche Interessenkonflikte (Beraterverträge) von Abgeordneten, ZParl 1978, S. 470 ff. 438 Vgl. C. Richter, a.a.O., S. 139, m. w. N.
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Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
Missbrauchstatbestände vor, bei denen Schwierigkeiten entstehen aufgrund der generalklauselartigen, wenig konkreten Formulierung sowie der mangelnden Anwendung der Regelungen.439 Verschiedene Kommunalverfassungen enthalten Ausschlussmöglichkeiten einzelner Mitglieder der Gemeinderäte für den Fall der Befangenheit.440 Inkompatibilitätsregelungen sind ein Ansatzpunkt für eine Begrenzung der Einflussnahme von Interessenvertretern auf politische Entscheidungsprozesse. Sie sind auf Sachverhalte ausgerichtet, in denen Parlamentarier neben der Mandatsausübung noch einer anderen Tätigkeit nachgehen.441
I.
Inkompatibilitätsvorschriften
Eine Einführung bzw. Erweiterung von Inkompatibilitätsvorschriften kann dazu beitragen, die Kontrollfunktion und Unabhängigkeit der Parlamente gegenüber der Exekutive und privatwirtschaftlichen Unternehmen zu wahren. Dies kann nur unter der Voraussetzung geschehen, dass Parlamentsmitglieder in sachlicher und personeller Hinsicht unabhängig sind. Vor diesem Hintergrund erscheint eine personelle Trennung von Amt und Mandat, abstrakt betrachtet, zweckmäßig.442 Mit einer Inkompatibilitätsvorschrift wird beispielsweise verhindert, dass eine Person Mitglied eines Parlaments und zugleich Aufsichtsratsmitglied eines Unternehmens ist und dadurch die Gefahr besteht, den Interessen des Unternehmens zu starke Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidung des Parlaments einzuräumen.443 Im Folgenden sollen die verschiedenen Inkompatibilitätsvorschriften, die bereits de lege lata auf Länderebene und kommunaler Ebene bestehen, aufgezeigt werden, um im Anschluss daran zu prüfen, ob eine Einführung vergleichbarer Regelungen auf Ebene des Deutschen Bundestages möglich und zweckmäßig ist.444 439 Vgl. C. Richter, a.a.O., S. 140, m. w. N. 440 Baden-Württemberg: § 18 GemO; Bayern: Art. 49 GemO; Brandenburg: § 22 BbgKVerf; Bremen: § 11 Verfassung für die Stadt Bremerhaven; Hessen: § 25 HGO; MecklenburgVorpommern: § 19 Abs. 4 i.V. m. § 24 KV; Niedersachsen: § 54 Abs. 3 i.V. m. § 41 NKomVG; Nordrhein-Westfalen: § 31 GO NW; Rheinland-Pfalz: § 22 GemO; Sachsen: § 20 SächsGemO; Sachsen-Anhalt: § 31 GO LSA; Saarland: § 27 KSVG; Schleswig-Holstein: § 22 GO; Thüringen: § 38 ThürKO. 441 C. Richter, a.a.O., S. 140. 442 So auch C. Richter, a.a.O., S. 141. 443 C. Richter, a.a.O., S. 141. 444 Vgl. dazu ausführlich C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 141 ff., deren Ergebnisse zur Einführung von Inkompatibilitätsvorschriften sowie Ausschluss- und Befangenheitsregelungen zusammengefasst wiedergegeben werden und auf die im weiteren Verlauf wiederholt rekurriert wird.
Inkompatibilitätsvorschriften
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1.
Inkompatibilitätsvorschriften auf Länderebene und kommunaler Ebene
a)
Begriff der Inkompatibilität
Als Inkompatibilität wird die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Ausübung mehrerer öffentlicher Ämter durch eine Person sowie die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Ausübung eines öffentlichen Amtes und einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit bezeichnet.445 Das Verbot der Kumulation öffentlicher Ämter mit einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit wird mit dem Begriff der wirtschaftlichen Inkompatibilität erfasst.446 Inkompatibilitäten können als einschneidendste Maßnahmen, die außerparlamentarische Nebentätigkeiten von Abgeordneten bzw. Gemeinderäten gänzlich verbieten, bezeichnet werden.447 Der Gesetzgeber wird in Art. 137 Abs. 1 GG ermächtigt, Inkompatibilitäts- und Ineligibilitätsvorschriften, also Vorschriften, die die Aufstellung bzw. Wahl eines Mandatsträgers oder Amtsinhabers verhindern, einzuführen. Die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit endet, wenn eine faktische Beschränkung der Wählbarkeit die Konsequenz der Inkompatibilität wäre, da dann die echte Wahlmöglichkeit für den Amtsinhaber ausgeschlossen wäre.448 Richter konstatiert zu Recht, dass sich die Inkompatibilität dann als faktische Ineligibilität und damit nicht mehr von der Ermächtigung in Art. 137 Abs. 1 GG gedeckt, auswirken würde.449 Im Gegensatz zu Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften, die bereits entstandene Interessenkollisionen im Einzelfall, innerhalb oder vor Mitwirkung an einem Verfahren regeln, schließen Inkompatibilitäten (wirtschaftliche) Einflüsse von außen von vornherein durch ein Verbot gänzlich aus. Auf der Ebene des Bundesverfassungsrechts finden sich für Abgeordnete ausdrückliche Inkompatibilitäten im Hinblick auf die Unvereinbarkeit mit dem Amt des Bundespräsidenten (Art. 55 Abs. 1 GG) und dem der Bundesverfassungsrichter (Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG i. V. m. § 3 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG). Auch das einfache Bundesrecht und das Geschäftsordnungsrecht enthalten Inkompatibilitäten, die die Kumulation von Mandat und verschiedenen anderen staatlichen Funktionen verbieten.450
445 Vgl. W. Hausmann, Die Inkompatibilität im Gemeindeverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 29. 446 Vgl. etwa Art. 55 Abs. 2, 66 GG. 447 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 23. 448 BVerfGE 18, 183 f.; 12, 73 (81 f.). 449 C. Richter, a.a.O., S. 143. 450 Z. B. § 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates über die Unvereinbarkeit einer Mitgliedschaft im Bundesrat und im Bundestag; Art. 45b GG i. V. m. § 14 Abs. 3 des Gesetzes über
96
Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
Wirtschaftliche Inkompatibilitäten sind grundgesetzlich nur für den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler und die Bundesminister vorgesehen. So dürfen Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesminister nach Art. 55 Abs. 2, 66 GG kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben. Weiterhin dürfen sie nicht der Leitung eines auf Erwerb ausgerichteten Unternehmens angehören. Dem Bundespräsidenten ist es zudem verwehrt, einen Aufsichtsratsposten in einem auf Erwerb ausgerichteten Unternehmen zu übernehmen, während dies dem Bundeskanzler und den Bundesministern erlaubt ist, jedoch die Zustimmung des Parlaments erfordert, vgl. Art. 66 GG. Für die Mitglieder des Deutschen Bundestages sind vergleichbare (wirtschaftliche) Unvereinbarkeitsvorschriften nicht vorgesehen. b)
Bestehende Vorschriften
Sowohl aus kommunalrechtlicher wie auch aus parlamentsrechtlicher Sicht ist es Aufgabe des Inkompatibilitätsgrundsatzes, die Anhäufung von Macht und Funktionen, und somit eine Einschränkung der Kontrollmechanismen insgesamt, zu verhindern. In manchen Bundesländern451 ist die Inkompatibilität von Landtagsmandat und Amt eines Landes- oder Gemeindebeamten festgelegt. Die entsprechende Inkompatibilitätsregel auf Bundesebene geht noch weiter und lässt bei Annahme der Wahl in den Bundestag Angehörige des öffentlichen Dienstes bzw. Beamte mit Dienstbezügen automatisch in den Ruhestand treten.452 Auch auf kommunaler Ebene sollen die Beschäftigten, die im Bereich kommunaler Verwaltung oder in der staatlichen Kommunalaufsicht tätig sind, aus den Gemeindevertretungen ferngehalten werden.453 Verhindert werden soll die parallele Ausübung eines Mandats in einer Gemeindevertretung und einer Tätigkeit als Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied in gemeindeeigenen privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen oder Unternehmen, an denen die Gemeinde beteiligt ist.454 In einigen Bundesländern ist der von der Unvereinbarkeitsregelung erfasste Personenkreis erweitert. Das Amt eines leitenden
451 452 453
454
den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages zur Unvereinbarkeit eines parlamentarischen Mandats mit dem Amt des Wehrbeauftragten. Vgl. beispielhaft § 5 AbgG des Landes Niedersachsen. Vgl. §§ 5, 8 AbgG. Beispielhaft: § 50 NKomVG. Hinweis: da sich die Regelungen in den einzelnen Bundesländern weitgehend ähneln, wird im Folgenden, soweit es angezeigt und der Übersichtlichkeit dienlich ist, beispielhaft auf die Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) verwiesen. Beispielhaft: § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 NKomVG.
Inkompatibilitätsvorschriften
97
Angestellten einer Gesellschaft oder Stiftung bürgerlichen Rechts ist dort mit einem Gemeinderatsmandat unvereinbar.455 Liegen die Voraussetzungen der Inkompatibilitätsvorschriften vor, müssen die in den Gemeinderat gewählten Personen entscheiden, ob sie das Mandat annehmen oder ihr Amt weiter ausüben wollen. Jene Regelungen sind durch Art. 137 Abs. 1 GG legitimiert und verstoßen nicht gegen die durch die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG gewährte freie Wählbarkeit der Bürger zum Gemeinderat.456 c)
Vergleich der Tätigkeit eines Landtagsabgeordneten und eines Gemeinderatsmitglieds mit der eines Bundestagsabgeordneten
Im direkten Vergleich haben Landtagsabgeordnete und Bundestagsabgeordnete einen vergleichbaren Aufgabenbereich: die Mitwirkung an Gesetzgebungsverfahren in Bund und Ländern. Ein Unterschied der Tätigkeiten besteht darin, dass Landtagsabgeordnete nach Art. 70 ff. GG für die Gesetzgebung der entsprechenden Länder zuständig sind, während den Bundestagsabgeordneten die Gesetzgebung für den Bund zugewiesen ist. Häufig üben Landtagsabgeordnete ihr Mandat nur »in Teilzeit« aus.457 Die Gemeinden als Grundlage des demokratischen Rechtsstaats sind Teil der Symbiose von kommunaler Selbstverwaltung und parlamentarischer Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland.458 Sie sind gleichsam demokratisch legitimiert (vgl. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts »Keimzelle der Demokratie«.459 Da sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, werden die Gemeinden grundsätzlich als Teil der exekutiven Gewalt angesehen.460 Der Gemeinderat ist Hauptorgan der Gemeinde461 und die aus Wahlen hervorgegangene Vertretung der Bürgerschaft. Unmittelbare demokratische Legitimation und die materielles Recht schaffende Satzungsbefugnis der Gemeinderatsmitglieder lassen gewiss parlamentstypische Elemente und eine gewisse Nähe zur Legislative erkennen. Dennoch ist der Gemeinderat nicht ein Parlament im staatsorganisationsrechtlichen Sinne,
455 In Hessen etwa reicht eine maßgebliche Beteiligung der Gemeinde an der Gesellschaft oder Stiftung bürgerlichen Rechts aus, vgl. § 37 Nr. 2 HGO. 456 BVerfGE 48, 64 (82); 58, 177 (191). 457 C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 151. 458 J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rn. 30. 459 BVerfGE 79, 127 (149). 460 A. Käßner, a.a.O., S. 81, unter Verweis auf BVerfGE 78, 344 (348); Jarass/ Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 10. 461 Vgl. J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rn. 207; beispielhaft: § 45 NKomVG.
98
Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
sondern unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ eines Verwaltungsträgers.462 Trotz der grundsätzlichen Einordnung in die Exekutive, lassen sich Käßner zufolge zwischen der Stellung der Gemeinderatsmitglieder und der Stellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages Parallelen ziehen, die für die Lösung von Interessenkonflikten aufgrund lobbyistischer Aktivitäten Orientierung geben können.463 Gerade weil der Gemeinderat eine gewählte Volksvertretung ist, die nicht allein verwaltend tätig wird, sondern auch politische Gestaltungsaufgaben wahrnimmt464, ist dies von Relevanz für eine Untersuchung im Hinblick auf Interessenkonflikte der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Zu betonen ist zudem die Bedeutung der direktdemokratisch gewählten Gemeindevertretung für die Verwirklichung des Demokratieprinzips. Die Mitgliedschaft im Gemeinderat ist zudem keine hauptberufliche Tätigkeit. Inkompatibilitäten von Amt und Mandat sollen verhindern, dass nicht eine einzelne Person im Gesetzgebungsverfahren mitwirken und gleichzeitig als Vollzugsorgan dieselben Gesetze ausführen (können) soll.465 Inkompatibilitätsregelungen gewährleisten mithin die »organisatorische Gewaltenteilung«, was in der Kontrollfunktion der kommunalen Vertretungsorgane gegenüber der Verwaltung besonders zum Ausdruck kommt.466 Ipsen konstatiert in diesem Zusammenhang zu Recht, dass eine »Gewaltenteilung besonderer Art geradezu ein verfassungsrechtliches Desiderat« sei, weil »die ›Volksvertretungen‹ (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 57 Abs. 2 Satz 1 NV) anderenfalls die ihnen wesenseigenen Kontrollkompetenzen nicht erfüllen könnten«.467 Diese sogenannte organisatorische Gewaltenteilung geschieht in concreto dadurch, dass das Amt des Gemeindebeamten mit einem Mandat im Gemeinderat als nicht vereinbar deklariert wird. Zudem soll verhindert werden, dass Gemeinderatsmitglieder in Aufsichtsräten oder Vorständen von privatwirtschaftlich geführten Unternehmen unmittelbar verantwortlich sind und gleichzeitig als Gemeinderatsmitglied
462 Vgl. D. Ehlers in Mann/ Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 21 Rn. 2, m. w. N. BVerfGE 78, 344 (348) sowie J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rn. 323, wobei Ipsen unter Bezugnahme auf BVerfGE 32, 346 (361) das kommunale Vertretungsorgan hinsichtlich der Satzungsgebung zutreffend dem Bereich der Legislative zuordnet. 463 Vgl. A. Käßner, ebenda. 464 A. von Ungern-Sternberg: Gemeinderat als »Kommunalparlament«?, JA 2007, S. 256 – 259. 465 BVerfGE 18, 172 (183). 466 J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rn. 228, unter Verweis auf BVerfGE 58, 177 (201) und zuvor schon BVerfGE 12, 73 (77); 18, 172 (183); 38, 326 (338 f.); 48, 64 (83); 57, 43 (62). 467 J. Ipsen, ebenda.
Inkompatibilitätsvorschriften
99
an Entscheidungen beteiligt sind, die das entsprechende Unternehmen betreffen.468 Auf der Bundesebene gibt es vergleichbare Sachverhalte im Bereich von Maßnahmegesetzen, die auch in jüngerer Vergangenheit verabschiedet worden sind.469 Solange der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, ausschließlich den betreffenden Einzelfall zu regeln (Verbot der sogenannten Einzelfallgesetzgebung), ist ein solches Gesetz gemäß Bundesverfassungsgericht mit Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar.470 Abgeordnete, die Mitglied in den Aufsichtsräten oder Vorständen von Unternehmen sind und gleichzeitig im Parlament an den diese Unternehmen betreffenden Gesetzgebungsverfahren mitwirken, unter Umständen sogar in den entsprechenden Ausschüssen, können faktisch Interessenkollisionen nicht ausschließen.
2.
Zweckmäßigkeit der Einführung erweiterter Inkompatibilitätsvorschriften auf Bundesebene
Vorschriften, die sogenannte wirtschaftliche Inkompatibilitätenregeln, können das Auftreten von Interessenkonflikten dadurch verhindern, dass bestimmte Tätigkeiten im Wirtschafts- und Verbandsleben, die den Verdacht rechtfertigen, anfällig für Interessenkonflikte zu sein, als nicht mit einer gleichzeitigen Ausübung des Parlamentsmandats vereinbar eingestuft werden.471 Nach geltender Rechtslage bestehen für Abgeordnete des Deutschen Bundestages keine wirtschaftlichen Inkompatibilitätsregelungen, so dass sie grundsätzlich neben dem Mandat anderen Tätigkeiten nachgehen können. Lediglich vorgesehen ist die 468 C. Richter, ebenda. 469 Aktuell wurde diese Abgrenzung im Rahmen der Verabschiedung des sog. Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (FMStErgG), BT-Drucks. 16/12100, bzw. des Rettungsübernahmegesetzes (RettungsG) in Zusammenhang mit der »Verstaatlichung« der Hypo Real Estate Bank; vgl. zu den Reaktionen des Gesetzgebers auf die Finanzmarktkrise ausführlich die Arbeit von L. Ritzenhoff, Das Beihilfe- und Vergaberecht in der Krise – Eine Untersuchung der Maßnahmen zur Überwindung der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise; Beispielhaft sei zudem genannt das sogenannte VW-Gesetz (VWGmbHÜG, in Kraft getreten am 28. 07. 1960, am 23. 10. 2007 durch den EuGH für mit dem Recht der Europäischen Union unvereinbar erklärt) oder die Änderung im Gesetz für Parlamentarische Staatssekretäre im Jahr 1999, die »Lex Naumann«, die es Michael Naumann, der kein Mitglied des Bundestages war, ermöglichte, zum Staatsminister für Kultur und Medien beim Bundeskanzler ernannt zu werden. 470 BVerfGE 25, 371 (396 ff.); BVerfGE 99, 367 (400). 471 C. Richter, a.a.O., S. 153, unter Verweis auf P. u. M. Kromarek, Die Kumulation von parlamentarischem Mandat und privater Tätigkeit in Frankreich und Deutschland, DÖV 1974, S. 458 (459).
100
Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
bereits dargelegte Unvereinbarkeit von Bundestagsmandat und anderen öffentlichen Ämtern. Gleichwohl finden sich zahlreiche Vorschriften, die sich konkret auf diese Nebentätigkeiten beziehen und versuchen, die »Gefahren«, die von diesen ausgehen, weitgehend einzudämmen.472 Die ineinander greifenden Regelungen der §§ 44 a, 44 b AbgG, der Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages sowie die vom Bundestagspräsidenten erlassenen Ausführungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln enthalten in ihren Schwerpunkten die Pflicht zur Anzeige und Veröffentlichung von Nebentätigkeiten und daraus erzielten Einkünften. Zu kommunalrechtlichen Inkompatibilitätsregelungen von Gemeinderatsmitgliedschaft und Vorstands- bzw. Aufsichtsratstätigkeit, etwa in einem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen, in dem die Gemeinde einen Anteil von mehr als 50 % hat, existiert auf Bundesebene keine vergleichbare Vorschrift. Auch ein Verbot für Abgeordnete, Aufgaben in einem Wirtschaftsunternehmen, insbesondere Aufsichtsratsposten, wahrzunehmen, ist bislang nicht vorhanden. Fraglich ist, ob für bestimmte Konstellationen, in denen Parlamentsmandat und der Vorstands- oder Aufsichtsratsposten in einem Unternehmen – sei der Bund nun anteilsmäßig an dem Unternehmen beteiligt oder nicht – Inkompatibilitätsvorschriften eingeführt werden sollten. Es besteht die Befürchtung, dass eine Tätigkeit für ein solches Unternehmen eine unabhängige Entscheidung dem Abgeordneten nahezu unmöglich macht. Dies insbesondere, wenn das entsprechende Gesetzgebungsverfahren die Interessen des Unternehmens unmittelbar betrifft. Es läge, abstrakt betrachtet, im Interesse der Unabhängigkeit des Parlaments und der Funktionsfähigkeit desselben, würden außerparlamentarische, privatwirtschaftliche Tätigkeiten von Abgeordneten oder auch nur bestimmte vertragliche Beziehungen zu Unternehmen, Verbänden oder Interessengruppen teilweise oder möglicherweise gänzlich verboten sein. Schließlich würden Probleme gar nicht erst entstehen, da von Beginn an ein »Verbot« parallel zum Mandat ausgeübter Tätigkeiten bestünde. Ein Abgeordneter, der neben seinem Mandat keiner weiteren Tätigkeit nachgehen dürfte, stünde mit seiner »gesamten Arbeitskraft« der parlamentarischen Mandatswahrnehmung zur Verfügung und würde damit dem vom Bundesverfassungsgericht so qualifizierten »Full-Time-Job« gänzlich gerecht.473 Im Hinblick vor allem auf die aus Art. 38 GG hergeleitete Freiheit des Abgeordneten, sein Mandat nur nach seinem Gewissen und damit nach eigenen 472 Vgl. dazu die Ausführungen oben S. 72 ff. sowie die ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik von A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 23 f. 473 A. Käßner, a.a.O., S. 24, unter Verweis auf H. H. von Arnim, in: BK, GG, Art. 48 (Zweitbearbeitung) Rn. 48.
Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften
101
Vorstellungen auszuüben, begegnet dies möglicherweise begründbaren verfassungsrechtlichen Zweifeln, auf die noch einzugehen ist. Die im Grundgesetz vorhandenen wirtschaftlichen Inkompatibilitätsvorschriften sind jedenfalls nicht auf den Personenkreis der Abgeordneten zugeschnitten und somit nicht geeignet, wirtschaftliche Verstrickungen einzelner Parlamentarier zu verhindern.
II.
Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften
Neben wirtschaftlichen Inkompatibilitäten können Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften Interessenkonflikten entgegenwirken, indem sie die Mitwirkung des Betreffenden an Entscheidungs- oder Beratungsvorgängen bei Vorliegen eines Konfliktfalles ausschließen. Ausdrücklich sind weder im Grundgesetz noch im einfachen Bundesrecht grundlegende Befangenheitsvorschriften für Abgeordnete vorhanden, die bei konkreter Betroffenheit in eigener Sache zu einem Ausschluss führen würden. Abgesehen von wenigen Vorschriften, die Mitwirkungsverbote aufgrund persönlicher Betroffenheit in der Funktion des Mandatsträgers in bestimmten Gremien betreffen474, sind auf Bundesebene keine weiteren (ausdrücklichen) Befangenheitsvorschriften geregelt. Einzig § 6 Verhaltensregeln-BT sieht vor, dass ein Ausschussmitglied, das entgeltlich475 mit einem Gegenstand beschäftigt ist, der im Ausschuss beraten wird, eine Interessenverknüpfung offenzulegen hat. Damit soll erreicht werden, dass Diskussionsbeiträge des betroffenen Abgeordneten und sein Abstimmungsverhalten von den anderen Mitgliedern des Ausschusses im Lichte der Interessenverknüpfung gewürdigt werden können.476 Darüber hinaus gehende Folgen ergeben sich aus der Regelung nicht. Insbesondere von der Beschlussfassung ist der Abgeordnete gerade nicht ausge-
474 § 17 WahlprüfungsG schließt denjenigen Abgeordneten von der Beratung und Beschlussfassung im Wahlprüfungsverfahren aus, dessen Wahl zur Prüfung steht; ähnlich regelt § 8 Verhaltensregeln-BT den Ausschluss im Rahmen eines den Abgeordneten selbst betreffenden Sanktionsverfahrens wegen Verletzung von Verhaltenspflichten; den gleichen Regelungszweck betrifft die auf § 107 Abs. 2 GOBT beruhende Regelung Nr. 3 der »Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten« in der Anlage 6 der GOBT, wonach das betroffene Mitglied, um dessen Aufhebung der Immunität entschieden wird, das Wort zur Sache nicht erhalten soll; ausführlich dazu s. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 51 f. 475 Bis zum 18. 10. 2006 geltender Wortlaut: »… beruflich oder auf Honorarbasis …«; heute: »…das entgeltlich mit einem Gegenstand beschäftigt ist…«. 476 A. Käßner, a.a.O., S. 53, unter Verweis auf H. A. Roll, Verhaltensregeln, in: Schneider/ Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 612 Rn. 12.
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Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
schlossen. Eine vergleichbare Regelung betreffend die Willensbildung im Plenum gibt es nicht. In der Literatur wird zum Teil die Meinung vertreten, dass es eine ungeschriebene Rechtspflicht der Abgeordneten gebe, sich bei Vorliegen einer Interessenkollision der Mitwirkung bei Beratungen und Abstimmungen im Parlament zu enthalten.477 Eine solche Pflicht ergebe sich aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Prozess- und Verwaltungsrechts, der auch im Parlamentsrecht Geltung beanspruchen könne.478 Nach dieser Auffassung bestünden trotz Fehlens ausdrücklicher Tatbestände grundlegende Mitwirkungsverbote für Parlamentarier. Folge wären etwa das Fernbleiben von der Abstimmung oder die Stimmenthaltung. Diese Ansicht verdient, Käßners Argumentation folgend, keine Zustimmung. Der rechtsstaatliche Grundsatz, dass niemand Richter in seiner eigenen Sache sein darf, kann nicht ohne Weiteres für den legislativen Staatsbereich in der Art Geltung beanspruchen, als dass von einem der gesamten Rechtsordnung immanenten Prinzip die Rede sein könnte, das ein ungeschriebenes Mitwirkungsverbot aufstellt.479 Jedenfalls bedürfte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, durch die der Gesetzgeber die Modalitäten von Mitwirkungsverboten ausgestalten könnte.480 Vorliegend stehen sich kollidierende Verfassungsgüter – insbesondere das Mitwirkungsrecht als mitgliedschaftliche Kompetenz des einzelnen Parlamentariers und das Demokratieprinzip einerseits sowie das Prinzip der Gemeinwohlorientiertheit allen staatlichen Handels andererseits – gegenüber, die das Grundgesetz selbst nicht in eindeutigen Ausgleich zu bringen vermag.481 Es läge damit am Gesetzgeber, hier Abhilfe zu schaffen und die Kollision zulasten des Mitwirkungsrechts der Parlamentarier durch die Einführung von Befangenheitsvorschriften aufzulösen.
477 A. Käßner, ebenda, unter Verweis auf U. Becher, Die persönliche Rechtsstellung des Gemeindevertreters im Verhältnis zu der des Parlamentariers, 1964, Kiel, S. 53; ähnlich auch F. J. Peine, Der befangene Abgeordnete, JZ 1985, 913 (914, 920). 478 U. Becher, ebenda. 479 So zutreffend A. Käßner, a.a.O., S. 54; ablehnend auch Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 61; Klein § 51 Status des Abgeordneten, in: HdStR, Bd. III, Rn. 32. 480 A. Käßner, ebenda, m. Verweis auf N. Achterberg, Die Abstimmungsbefugnis des Abgeordneten bei Betroffenheit in eigener Sache, AöR 1984, S. 505 (518 f.). 481 A. Käßner, ebenda.
Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften
1.
103
Mitwirkungsverbote auf Landesebene
Auf Landesebene existieren nur einige wenige Regelungen, die Abgeordnete von der Mitwirkung an bestimmten parlamentarischen Entscheidungen ausschließen, soweit eine Kollision der privaten Interessen des Abgeordneten mit öffentlichen Interessen zu befürchten ist. a)
Art. 84 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen
Die Verfassung Bremens enthielt bis zum Beginn der 18. Wahlperiode (seit Juni 2011) als einzige Landesverfassung in Deutschland eine Regelung über ein Mitwirkungsverbot für Parlamentarier wegen Befangenheit. Nach Art. 84 BremLV durfte ein Mitglied der Bürgerschaft nicht an Beratungen oder Entscheidungen mitwirken, die ihm selbst oder seinem Ehegatten, seinem Verwandten bis zum dritten oder Verschwägerten bis zum zweiten Grade oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen könnten. Auch eine Vorbefasstheit mit der Sache, etwa durch Erstattung eines Gutachtens oder die (entgeltliche) Tätigkeit für eine Person, die an der Erledigung der Angelegenheit ein persönliches oder wirtschaftliches Sonderinteresse hat, führte zum Verbot für das betreffende Mitglied, an der Entscheidung teilzunehmen. Das Mitwirkungsverbot galt nicht, wenn ein Mitglied der Bürgerschaft an der Entscheidung der Angelegenheit nur als Angehöriger einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe beteiligt ist, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt wurden. Mit Beschluss vom 17. 03. 2010 (die Aufhebung trat zu Beginn der 18. Wahlperiode in Kraft) hat die Bremische Bürgerschaft den Art. 84 BremLV ersatzlos aufgehoben.482 Zur Begründung wird ausgeführt, »dass sich in der parlamentarischen Praxis keine Notwendigkeit für eine solche Regelung gezeigt« habe. Es handle sich vielmehr um »ein typisches Instrument des Kommunalrechts. Die Verfassungen und Abgeordnetengesetze aller anderen Länder und des Bundes kennen keine Regelungen über Mitwirkungsverbote von Abgeordneten. Auch höherrangiges Recht steht einer Aufhebung nicht entgegen«483. Bezeichnend und in die Überlegungen einer möglichen Einführung auf Bundesebene mit einzubeziehen ist zudem, dass dieser Beschluss einstimmig gefasst worden ist.484
482 Vgl. Plenar-Protokoll vom 17. 03. 2010, Drucks. 17/63 sowie Drucks. 17/1210 Bremische Bürgerschaft. 483 Vgl. die Begründung zum Antrag »Gesetz zur Änderung der Landesverfassung – Artikel 82, 84, 97 BremLV«, Drucks. 17/1210 Bremische Bürgerschaft. 484 Vgl. Plenar-Protokoll vom 17. 03. 2010, Drucks. 17/63 S. 4743 Bremische Bürgerschaft.
104 b)
Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
§ 135 Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags
Ein parlamentarisches Mitwirkungsverbot besteht durch die Regelung des § 135 der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags.485 Die Regelung sieht vor, dass ein Abgeordneter von der Abstimmung über Angelegenheiten, die allein und unmittelbar ihn selbst betreffen, ausgeschlossen wird. Die anstehende Angelegenheit muss in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zur Person des Abgeordneten stehen.486 Wird dem Abgeordneten die Teilnahme an einer Abstimmung aus diesem Grund verwehrt, so hat er das Recht, gegen diese Entscheidung Einspruch beim Ältestenrat einzulegen. Der Ältestenrat kann das Mitwirkungsverbot aufrechterhalten, wenn diese Entscheidung von zwei Dritteln der Mitglieder des Ältestenrates getragen wird. Das Erfordernis der ZweiDrittel-Mehrheit sichert das Stimmrecht der Landtagsabgeordneten gegenüber Ausschlüssen aus parteipolitischen Erwägungen ab.487 Ohnehin ist der Ausschlusstatbestand mit der Formulierung »allein und unmittelbar ihn betreffen« sehr restriktiv gefasst, so dass die Vorschrift nur in sehr seltenen, sich aufdrängenden Fällen angewendet werden kann.488 Zudem wird in der Literatur ein Mitwirkungsverbot im untergesetzlichen Range des Geschäftsordnungsrechts, wie dies bei § 135 der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtages der Fall ist, als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen.489
2.
Mitwirkungsverbote auf kommunaler Ebene
Nebentätigkeiten, das heißt in der Regel der Hauptberuf, der neben der Mitgliedschaft im Gemeinderat ausgeübt wird, sind auf kommunaler Ebene als selbstverständlich anzusehen. Aber gerade aufgrund dieser »privaten Stellung« des Gemeinderatsmitglieds in beruflicher, finanzieller und gesellschaftlicher Hinsicht besteht in den Räten die Gefahr der Einflussnahme von außen. Leicht denkbar sind Fälle, in denen Mitglieder der Gemeinderäte aufgrund ihrer anderen Tätigkeiten einer Sache nicht neutral gegenüber stehen.490 Dass unter solchen Umständen ein Ausschluss vom Abstimmungsverfahren erfolgt, fußt auf der Überlegung und dem allgemeinen Grundsatz, wonach Amtsträger ver485 486 487 488
In der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2009. E. Schmid: Die Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag, S. 149. C. Knebel-Pfuhl: Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit für Parlamentarier?, S. 113. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 55, m. w. N. 489 A. Käßner, a.a.O., S. 55, 241 f., m. w. N. 490 C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 165 ff., unter Verweis auf H. H. von Arnim, Ausschluss von Ratsmitgliedern wegen Interessenkollision, JA 1986, S. 1, 12 ff.
Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften
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pflichtet sind, uneigennützig und unbefangen zu handeln.491 Diese Überlegung lässt sich Richter zufolge auch auf die Bundesebene übertragen: Ein Abgeordneter, dessen persönliche Interessen oder die Interessen eines von ihm vertretenen Interessenverbandes vom Gesetzgebungsgegenstand betroffen sind, wird möglicherweise zu einer uneigennützigen und nur das Wohl der Allgemeinheit berücksichtigenden Mitwirkung nicht mehr zweifelsfrei in der Lage sein. Die Gemeindeverfassungen der einzelnen Bundesländer enthalten in der Konsequenz Regelungen, die den Ausschluss bzw. ein Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit für Gemeindevertreter vom Verfahren bei Interessenkollisionen vorsehen.492 Bereits im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 war eine Einschränkung der Mitwirkungsrechte der Gemeindevertreter vorgesehen, wenn die Belange der Stadtgemeinde und die persönlichen Interessen des Gemeindevertreters eine Interessenkollision befürchten ließen.493 Ein unmittelbares Vorbild für die heute geltenden Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften war § 25 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. 01. 1935, der sich im Wortlaut in den heutigen Regelungen überwiegend wiederfindet.494
a)
Ausgestaltung
Zur Bewältigung von Interessenkonflikten sind bei Gemeinderäten die Befangenheitsvorschriften maßgeblich. Durch sie sollen die Unparteilichkeit und Uneigennützigkeit der Gemeindeverwaltung und deren Ansehen in der Öffentlichkeit gesichert werden. Ferner sollen sie gewährleisten, dass die zu treffenden Entscheidungen an den Interessen der Gemeinde unter Einbeziehung möglichst vieler Sachgesichtspunkte bei gleichzeitig weitest möglichem Ausschluss von Sonderinteressen ausgerichtet werden.495 Gemäß der Vorschriften in 491 C. Richter, ebenda, unter Verweis auf P. Kirchhof, Die Bedeutung der Unbefangenheit für die Verwaltungsentscheidung, VerwArch 1975, 370. 492 Baden-Württemberg: § 18 GemO; Bayern: Art. 49 GemO; Brandenburg: § 22 BbgKVerf; Bremen: § 11 Verfassung für die Stadt Bremerhaven; Hessen: § 25 HGO; MecklenburgVorpommern: § 19 Abs. 4 i.V. m. § 24 KV; Niedersachsen: § 54 Abs. 3 i.V. m. § 41 NKomVG; Nordrhein-Westfalen: § 31 GO NW; Rheinland-Pfalz: § 22 GemO; Sachsen: § 20 SächsGemO; Sachsen-Anhalt: § 31 GO LSA; Saarland: § 27 KSVG; Schleswig-Holstein: § 22 GO; Thüringen: § 38 ThürKO. 493 C. Richter, ebenda, unter Verweis auf W. Hofmeister, Interessenkollisionen nach deutschem Gemeindeverfassungsrecht, S. 61. 494 H. H. von Arnim, Ausschluss von Ratsmitgliedern wegen Interessenkollision, JA 1986, S. 1 (12). 495 Vgl. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 83 mit Verweis auf die Arbeit von M. Glage, Mitwirkungsverbote in den Gemeindeordnungen.
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den verschiedenen Kommunalverfassungen496 darf ein Ratsmitglied – ähnlich, wie bei der oben zitierten bayerischen Landesregelung497 – weder beratend noch entscheidend bei Angelegenheiten mitwirken, wenn die Entscheidung ihn selbst, seinen Ehegatten oder Lebenspartner, seinen Verwandten oder Verschwägerten bis zu einem gewissen Grad oder einer von ihm kraft Gesetz oder Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.498 Ein Gemeinderatsmitglied ist schließlich auch ausgeschlossen, wenn es gegen Entgelt bei einer natürlichen oder juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts oder Vereinigung beschäftigt ist, wenn die Entscheidung diesen Dritten einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.499 Anknüpfungspunkt für Mitwirkungsverbote ist der unmittelbare Vorteil oder Nachteil, den eine Entscheidung den genannten natürlichen oder juristischen Personen bringen kann. Dass dies, auch trotz beispielsweise der Legaldefinition der »Unmittelbarkeit« in § 41 Abs. 1 Satz 2 NKomVG500, Schwierigkeiten bei der Auslegung mit sich bringt, ist offenkundig. Ipsen verweist in diesem Zusammenhang treffend auf die Sentenz Nipperdeys, wonach der Begriff der Unmittelbarkeit nichts anderes sei als der »Ausdruck der dogmatischen und sachlichen Verlegenheit, (noch) nicht ganz präzise angeben zu können, was überhaupt gemeint ist«.501 In den Kommunalverfassungen sind Ausnahmefälle vorgesehen, in denen die Regelungen zum Mitwirkungsverbot nicht gelten. So ist festgelegt, dass solche Vor- und Nachteile keine Interessenkollisionen begründen, die die Gemeinderatsmitglieder als Angehörige einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe betreffen502, deren gemeinsame Belange durch die Angelegenheit berücksichtigt 496 Baden-Württemberg: § 18 GemO; Bayern: Art. 49 GemO; Brandenburg: § 22 BbgKVerf; Bremen: § 11 Verfassung für die Stadt Bremerhaven; Hessen: § 25 HGO; MecklenburgVorpommern: § 19 Abs. 4 i.V. m. § 24 KV; Niedersachsen: § 54 Abs. 3 i.V. m. § 41 NKomVG; Nordrhein-Westfalen: § 31 GO NW; Rheinland-Pfalz: § 22 GemO; Sachsen: § 20 SächsGemO; Sachsen-Anhalt: § 31 GO LSA; Saarland: § 27 KSVG; Schleswig-Holstein: § 22 GO; Thüringen: § 38 ThürKO. 497 § 135 der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtages. 498 A. Käßner, a.a.O., S. 84, vgl. dazu beispielhaft § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 NKomVG. 499 Vgl. beispielhaft § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 2 NKomVG; Hinweis: da sich die Regelungen in den einzelnen Bundesländern weitgehend ähneln, wird im Folgenden, soweit es angezeigt und der Übersichtlichkeit dienlich ist, beispielhaft auf die Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) verwiesen. 500 Danach gilt als unmittelbar »nur derjenige Vorteil oder Nachteil, der sich aus der Entscheidung selbst ergibt, ohne dass (…) weitere Ereignisse eintreten oder Maßnahmen getroffen werden müssen«. 501 J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rn. 257, unter Verweis auf Nipperdey, H. C., Tatbestandsaufbau und Systematik der deliktischen Grundtatbestände, NJW 1967, 1985 (1990). 502 Beispielhaft: § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 3 NKomVG.
Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften
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werden.503 Ausgenommen sind außerdem die Beratung und Entscheidung über Rechtnormen, Beschlüsse, welche die Besetzung unbesoldeter Stellen oder die Abberufung aus ihnen betreffen, Wahlen und ehrenamtlich Tätige, die dem Vertretungsorgan einer juristischen Person als Vertreter der Kommune angehören.504 Der Zweck dieser Ausnahmevorschriften liegt darin, dass im Rahmen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts im Sinne des Art. 28 Abs. 2 GG gerade die von den Entscheidungen allgemein oder als Mitglied einer bestimmten Gruppe mittelbar Betroffenen an diesen Entscheidungen auch mitwirken sollen.505 Denn es ist geradezu üblich und erwünscht, dass bestimmte Gemeinderatsmitglieder als Vertreter bestimmter Gruppen und deren Interessen in den Gemeinderat gewählt werden.506 Die Ausschlussvorschriften erlangen deshalb nur Geltung, wenn den einzelnen Gemeinderatsmitgliedern ein individueller Vor- oder Nachteil nachgewiesen werden kann. Bestehen Zweifel, ob ein Gemeinderatsmitglied ein solches individuelles Interesse an einer Entscheidung hat, so ist es verpflichtet, den Gemeinderat über die es möglicherweise befangen machenden Umstände aufzuklären.507 Besteht hingegen ein eindeutiges Sonderinteresse, so ist dem Gemeindevertreter die Mitwirkung an der betreffenden Entscheidung verwehrt. Der Gemeinderat bzw. jeweilige Ausschuss entscheidet im Zweifel darüber, ob ein Ratsmitglied an einer Entscheidung mitwirken darf oder nicht.508 Die Entscheidung des Gemeinderates bzw. des betroffenen Ausschusses kann im Rahmen eines Kommunalverfassungsrechtsstreits überprüft werden.509 Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung für Wahlen ist, dass bei Wahlen die vom Wähler bestimmten Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat beibehalten werden sollen. Der Gedanke dahinter ist, dass in Wahlen die politischen Kräfteverhältnisse zum Ausdruck gelangen sollen.510 In einer solchen Konstellation stehe Richter zufolge die Unbefangenheit und Unabhängigkeit des Gemeinderatsmitgliedes zurück.511 Ipsen hält es zu Recht für rechtspolitisch bedenklich, dass das Mitwirkungsverbot nicht für die Beratung und Entscheidung über Rechtsnormen gilt (vgl. § 41 Abs. 3 Nr. 1 NKomVG).512 Diese »Lockerung« ziele 503 504 505 506 507 508 509 510 511 512
Beispielhaft: § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 3 Nr. 3 NKomVG. Vgl. beispielhaft: § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 4 NKomVG. C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 171 f. C. Richter, ebenda, unter Verweis auf H. H. von Arnim, Ausschluss von Ratsmitgliedern wegen Interessenkollision, JA 1986, S. 1 (4). C. Knebel-Pfuhl: Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit für Parlamentarier?, S. 23. Vgl. beispielhaft § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 4 Satz 2 NKomVG. R. Stahl, Der Interessenwiderstreit im Gemeinderecht – Voraussetzungen, Rechtsfolge und Fragen des Rechtsweges, DVBl. 1972, S. 764 (765). C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 173. C. Richter, ebenda. J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rn. 265.
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auf die Beratung und Entscheidung über Bebauungspläne, also Satzungen i. S. d. § 10 BauGB, bei denen wegen ihres begrenzten Geltungsbereichs die Gefahr der Einflussnahme von interessierter Seite besonders ausgeprägt sei.513 Schließlich existiere als Sanktion nur die Mitteilungspflicht (des § 41 Abs. 4 Satz 3 NKomVG) des Betroffenen als reine »Ordnungsvorschrift«, deren Verletzung ohne Folgen für die Wirksamkeit der Rechtsnorm bleibe.514 b)
Verfahren und Rechtsfolgen bei Mitwirkung eines befangenen Gemeinderatsmitglieds
Nach § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 4 NKomVG hat das Gemeinderatsmitglied das Vorliegen eines Tatbestandes, der zu seiner Befangenheit führen kann, vor der Beratung über den Gegenstand anzuzeigen. In Zweifelsfällen entscheidet gem. § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 4 Satz 2 NKomVG die Stelle, in der oder für welche die ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt wird, also der Gemeinderat. Der wegen Befangenheit Ausgeschlossene darf an der Beratung und Entscheidung nicht mitwirken und muss die Gemeinderatssitzung verlassen, § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 5 NKomVG. Hat ein befangenes Gemeinderatsmitglied dennoch an einer Entscheidung mitgewirkt, so ist die Entscheidung als solche zwar rechtswidrig. War die Stimme des Betroffenen nicht entscheidungserheblich, so wird für diesen Fall die Kausalität zwischen Stimmabgabe des befangenen Ratsmitglieds und der getroffenen Entscheidung verneint. Der Beschluss ist dann gem. § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 6 NKomVG nicht rechtswidrig, da er (theoretisch) sofort von Neuem ohne den Betroffenen gefasst werden könnte. Zudem gilt ein rechtswidriger Ratsbeschluss ein Jahr nach der Beschlussfassung bzw. seiner öffentlichen Bekanntmachung als von Anfang an gültig zustande gekommen, § 54 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 6 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG. c)
Strafrechtliches Verbot reiner Nebeneinkünfte: § 108 e StGB versus §§ 331 ff. StGB
Bisher war in strafrechtlicher Hinsicht umstritten, ob Gemeinderatsmitglieder Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind oder nicht.515 Der Streit um 513 J. Ipsen, ebenda. 514 J. Ipsen, ebenda. 515 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 91 f., m. Verweis auf weitergehende Literatur zu diesem Streit: Die Amtsträgerschaft bejahend: LG Krefeld NJW 1994, 2036; LG Köln StV 2003, 597 ff.; grundsätzlich verneinend: J. J. Nolte, Das freie Mandat der Gemeindevertretungsmitglieder, DVBl. 2005, 870 ff., M. Deiters, Zur Frage der Strafbarkeit von Gemeinderäten wegen Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, NStZ 2003, 453 ff.
Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften
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die Einordnung resultiert aus der besonderen Qualität des Gemeinderates als Hauptorgan der Gemeindeverwaltung einerseits und als unmittelbar demokratisch legitimierte Bürgervertretung andererseits. Sie stehen im »Schnittpunkt unterschiedlicher Funktionszuweisungen«.516 Vor allem dadurch ist die Beantwortung der Frage, ob sie Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind, schwierig. Davon hängt ab, ob sich die Gemeinderatsmitglieder durch die Annahme von Zuwendungen nach den §§ 331, 332 StGB strafbar machen oder ob sie allein taugliche Täter der Abgeordnetenbestechung nach § 108 e StGB sein können.517 Durch Urteil vom 09. 05. 2006518 hat der 5. Strafsenat des BGH dazu klärend Stellung bezogen.519 Danach sind »kommunale Mandatsträger keine Amtsträger, es sei denn, sie werden mit konkreten Verwaltungsaufgaben betraut, die über ihre Mandatstätigkeit in der kommunalen Volksvertretung und den zugehörigen Ausschüssen hinausgehen«.520 Der Gesetzgeber habe sie ausdrücklich – durch Aufnahme in den personellen Anwendungsbereich des § 108 e StGB – in strafrechtlicher Hinsicht den Abgeordneten gleichgestellt und somit verdeutlicht, dass sie strafrechtlich nicht wie Amtsträger zu behandeln seien.521 Ferner sei die kommunale Mandatsausübung strukturell derart unterschiedlich zu behördlicher Amtsausübung, dass eine differenzierte strafrechtliche Behandlung beider Handlungsformen geboten sei.522 Eine andere Bewertung könne nur in Fällen erfolgen, in denen ein kommunaler Mandatsträger aufgrund seiner Gemeinderatsmitgliedschaft zusätzlich als Mitglied eines – vom Gemeinderat losgelösten – exekutiven oder beratenden Organs der Kommunalverwaltung bestellt wird.523 Allein insoweit bliebe der Anwendungsbereich der Bestechungsdelikte für Amtsträger weiterhin eröffnet.524 516 A. Käßner, ebenda, unter Verweis auf H. Dahs/ B. Müssig: Strafbarkeit kommunaler Mandatsträger als Amtsträger? – Eine Zwischenbilanz, NStZ 2006, S. 191 – 196. 517 Die amtliche Überschrift des § 108 e StGB »Abgeordnetenbestechung« ist dahingehend irreführend, da Gemeinderatsmitglieder nicht als »Abgeordnete« bezeichnet werden sondern nur Mitglieder von Landtagen, Abgeordnetenhäusern bzw. dem Bundestag. Der Wortlaut des § 108 e StGB erfasst jedoch auch eindeutig den Stimmenkauf für Abstimmungen in den Gemeinderäten, vgl. A. Käßner, a.a.O., S. 92. 518 5 StR 453/05, veröffentlicht in BGHSt 51, 44 ff. 519 Vgl. dazu J. Ipsen, Mandatsträger als Amtsträger?, NdsVBl. 2006, S. 321 ff., der anhand des Revisionsurteils nochmals die verfassungsrechtliche Determination der Amtsträgereigenschaft von (kommunalen) Mandatsträgern verdeutlicht, die ihren Ursprung in den Wahlrechtsgrundsätzen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG hat, welche jenen nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG entsprechen. 520 BGHSt 51, 44 Leitsatz 1a. 521 BGHSt 51, 44 (50 f.). 522 BGHSt 51, 44 (51 f.). 523 So bereits BGHSt 8, 21 (22 – 24). 524 Vgl. zu den Differenzierungen der Amtsträgereigenschaft, J. Ipsen, a.a.O., S. 321 ff.
110
Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
Schließlich erklärte der BGH die Vorschrift des § 108 e StGB zu einer im Verhältnis zu den §§ 331 ff. StGB abschließenden Sonderregelung für sämtliche Vorteilszuwendungen im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen in den Volksvertretungen.525 Komme in der Konsequenz eine Strafbarkeit nur unter den sehr engen Voraussetzungen des § 108 e StGB in Betracht, sei dies vom Gesetzgeber so gewollt.526 Im Ergebnis folgt aus der Rechtsprechung des BGH, dass eine Reihe von Verhaltensweisen im Hinblick auf Vorteilszuwendungen an Gemeinderatsmitglieder wie auch an Abgeordnete nach geltendem Recht straflos bleibt.527 Wenn auch dogmatisch de lege lata richtig, so sieht eine verbreitete Meinung528 darin eine »beunruhigende Strafbarkeitslücke«.529 Der 5. Strafsenat des BGH hat es zum Anlass genommen, an dieser Stelle ausdrücklich auf einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf hinzuweisen.530 Ob diese Kritik auch nach Auffassung des Verfassers Zustimmung verdient, ist im Rahmen einer möglichen Erweiterung des Straftatbestandes des § 108 e StGB zu untersuchen und zu bewerten. d)
Rechtspolitische Zweckmäßigkeit der Einführung von Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften auf Bundesebene
Auch auf Bundesebene gibt es Konstellationen, in denen die Abgeordneten Interessenkollisionen ausgesetzt sind. In diesen Fällen besteht Anlass zu der Befürchtung, dass die Abgeordneten nicht mehr uneigennützig und nur dem Allgemeinwohl verpflichtet handeln. Während die oben erörterten Inkompatibilitätsvorschriften bereits im Vorfeld der Tätigkeiten eines Amtsträgers ansetzen und durch das Verbot mehrfacher Tätigkeiten schon das Entstehen von Interessenkollisionen vermeiden sollen, greifen die Befangenheitsvorschriften im konkreten Einzelfall ein. Sie verbieten in diesem Fall ein bestimmtes Tätigwerden als Amts- bzw. Mandatsträger. Die Vorschriften gehen dabei von der Existenz und Zulässigkeit mehrerer Tätigkeiten und Interessen aus.531 525 BGHSt 51, 44 (59). 526 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 93, m. Verweis auf BGHSt 51, 44 (59). 527 So A. Käßner, ebenda. 528 So beispielhaft A. Käßner, a.a.O., S. 93, m. w. N. bei M. Feinendegen, Vorteilsannahme ohne Folgen – Freibrief für kommunale Mandatsträger durch den BGH?, NJW 2006, 2014 (2016). 529 Ipsen macht in diesem Zusammenhang treffend darauf aufmerksam, dass, soweit der Gesetzgeber eine weitergehende Strafbarkeit von in unmittelbaren Volkswahlen gewählten Mandatsträgern für rechtspolitisch geboten halte, es jedenfalls einer Erweiterung der Vorschrift des § 108 e StGB und nicht einer extensiven Auslegung etwa des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c StGB bedürfe, vgl. J. Ipsen, Mandatsträger als Amtsträger?, NdsVBl. 2006, S. 321 (324). 530 BGHSt 51, 44 (60). 531 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundes-
Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften
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Das bislang einzige bundesrechtlich normierte parlamentarische Mitwirkungsverbot des § 17 WahlprüfungsG, das in den Verhaltensregeln enthaltene Verbot der Mitwirkung am Sanktionsverfahren, das in Teilen angenommene Beteiligungsverbot bei Immunitätsangelegenheiten und die lediglich eine dahingehende Tendenz aufweisende Regelung des § 6 Verhaltensregeln-BTsind die wenigen bislang existierenden Ausprägungen des Regelungsinstruments Mitwirkungsverbot. Die bloße Offenlegung eines möglichen Interessenkonflikts im Ausschuss wird insofern als unzureichend angesehen, als dass wegen der Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit in Ausschusssitzungen (§ 69 GOBT) in manchen Fällen schon nicht einmal eine Transparenzwirkung erwartet werden könne.532 Zudem zeigt die Praxis der Ausschusssitzungen, dass die Regelung des § 66 GOBT, die eine Berichterstattung mit Begründung sowie die Ansicht der Minderheit des federführenden Ausschusses nebst Stellungnahmen der anderen beteiligten Ausschüsse einfordert, bislang nicht konsequent zur Anwendung kommt.533 Ein Vergleich der Regelungen auf Landes- und Bundesebene ist einfacher anzustellen, da beide die Parlamentsebene betreffen. Ausschluss- und Befangenheitsvorschriften könnten beispielsweise im Rahmen der Ausschussberatungen der Bundestagsabgeordneten zur Anwendung kommen. Ein Mitwirkungsverbot für Abgeordnete, die von Interessenvertretern in unzulässiger Weise beeinflusst werden und damit als befangen anzusehen sind, könnte den Einfluss der Interessenvertreter effektiv begrenzen. Im Gegensatz zum Plenum, aus dem der Abgeordnete schon aufgrund seines unter besonderem verfassungsrechtlichen Schutz stehenden Status’ nicht einfach für bestimmte Abstimmungen ausgeschlossen werden könnte, könnte der Parlamentarier dagegen im Ausschuss von einem anderen Abgeordneten seiner Fraktion vertreten werden. Damit blieben die bestehenden politischen Mehrheitsverhältnisse gewahrt und verfassungsrechtliche Bedenken könnten zumindest »leichter« ausgeräumt werden.534 Im Gegensatz zur Vergleichbarkeit der Mandatstätigkeit in Land und Bund, liegt dieser zwischen Bundestagsabgeordneten und Gemeinderatsmitgliedern nicht ohne Weiteres auf der Hand. Beide sind durch Direktwahlen unmittelbar demokratisch legitimiert und Träger politischer Mandate. Der Gemeinderat ist tages, S. 231, unter Bezugnahme auf E. Reimer: Die Bewältigung von Interessenkollisionen bei Amts- und Mandatsträgern, Rechtsstoff – Normstrukturen – Grundfragen, Manuskript der Habilitationsschrift, Teil 3 C., Manuskript S. 267. 532 A. Käßner, a.a.O., S. 231 mit Verweis auf A. van Aaken, Genügt das deutsche Recht den Anforderungen der VN-Konvention gegen Korruption?, ZaöRV 2005, 407 (436). 533 Vgl. J. Hahlen, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 F, S. 14. 534 A. Käßner, ebenda.
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Vergleich mit landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften
nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG eine Vertretung des Volkes, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht. Es gelten damit dieselben Wahlrechtsgrundsätze, wie sie in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG für die Wahl zum Bundestag vorgesehen sind.535 Das freie Mandat des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG findet eine vergleichbare Regelung in den Vorschriften der Gemeindeordnungen der Länder, nach denen Gemeinderatsmitglieder nur durch das öffentliche Wohl in ihrer Überzeugung bestimmt sind und ferner an Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, nicht gebunden sind. Obwohl es sich bei dem Gemeinderat um ein Organ der Exekutive handelt536, können Parallelen zum Deutschen Bundestag gezogen werden. Die Einführung von Mitwirkungsverboten für Abgeordnete, die gegen Entgelt bei Unternehmen beschäftigt sind oder in dessen Aufsichtsrat oder Vorstand sitzen, könnte möglicherweise eine Lösung für Fälle darstellen, in denen Abgeordnete an Entscheidungen mitwirken, die die Interessen des Unternehmens betreffen. Ipsen macht allerdings zu Recht darauf aufmerksam, dass Mitwirkungsverbote rechtspolitisch nicht unbedenklich seien, da Mitwirkungsverbote die notwendige Entsprechung von Mitwirkungsmöglichkeiten darstellten.537 Dieser Hinweis bezieht sich allerdings vor allem auf die kommunale Ebene, da die kommunale Selbstverwaltung die Verwaltungsform bildet, »auf die der Bürger am nachhaltigsten einwirken kann«.538 Inwiefern daraus Konsequenzen für mögliche Mitwirkungsverbote auf Bundesebene gezogen werden können, ist deshalb im Rahmen der Reformvorschläge noch zu untersuchen.
535 Zur Vergleichbarkeit der Volksvertretungen: J. Ipsen, Mandatsträger als Amtsträger?, NdsVBl. 2006, S. 321 (322 f.). 536 Vgl. J. Ipsen, ebenda, mit Verweis auf BVerfGE 65, 283 (289); D. Ehlers in Mann/ Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 21 Rn. 2. 537 J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rn. 265. 538 J. Ipsen, ebenda.
D. Ausländische Regelungen
In zahlreichen anderen Ländern, so innerhalb der Europäischen Union und jenseits des Nordatlantiks, existieren bereits verschiedene, zumeist »umfangreichere« Instrumente, mit denen versucht wird, Interessenvertretung gesetzlich zu regulieren. Innerhalb der EU sind dies insbesondere Estland539, Litauen540, Polen541, Österreich542, Ungarn543 und Slowenien544, auf dem nordamerikanischen Kontinent die Vereinigten Staaten von Amerika545 und Kanada546. Ein kursorischer Überblick über die bestehenden Regelungen auf Ebene der EU sowie in den USA soll im Folgenden exemplarisch herausstellen, inwieweit diese möglicherweise auch für die Regulierung der Interessenvertretung bei der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages taugliche Instrumente sein können.
539 B. Schröder in WD 3 – 3000 – 056/11 S. 5, auf Basis einer Abfrage über das Europäische Zentrum für parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD-Anfrage Nr. 1648). 540 »Law on Lobbying Activities«, abrufbar unter : http://www3.lrs.lt/pls/inter2/dokpaieska.showdoc_e?p_id=167217. 541 Ustawe o dzialalno ‹ci lobbiGO Nds.wej v. 7. 7. 2005; Dziennik Ustaw Rzeczpospolitej Polskiek (Gesetzblatt), 6. 9. 2005, Nr. 169, Pos. 1414; http://www.sejm.gov.pl/prawo/lob bing/lobbing.htm. 542 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, BGBl. I Nr. 64/2012. 543 Törv¦ny a lobbitev¦kenys¦gröl Nr. XLIX v. 13. 2. 2006. 544 B. Schröder in WD 3 – 3000 – 056/11 S. 6, auf Basis einer Abfrage über das Europäische Zentrum für parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD-Anfrage Nr. 1648). 545 Legislative Reorganization Act of 1946, 60 Stat. 812, ch. 753: Die Registrier- und Berichtspflicht für Lobbyisten; Lobbying Disclosure Act of 1995, Public Law 104 – 65 v. 19. 12. 1995, 109 Stat. 691, in der Fassung des Honest Leadership and Open Government Act of 2007 v. 14. 9. 2007, Public Law 110 – 81, 121 Stat. 735. 546 Lobbyists Registration Act, R.S.C. 1985, ch. 44 (4th Supp.).
114
I.
Ausländische Regelungen
Regulierung der Interessenpolitik innerhalb der EU
Auf der Ebene der Institutionen der Europäischen Union sowie in einigen EUMitgliedstaaten gibt es seit einiger Zeit Bestrebungen, die Beziehungen zwischen den Interessenvertretern einerseits sowie Politik und Verwaltung andererseits klaren Transparenzvorschriften zu unterwerfen.547 Schon auf den ersten Blick unterscheidet sich die Definition des »Lobbyismus« auf der Ebene der EU-Institutionen von der der Mitgliedstaaten mit Gesetzen betreffend die Interessenvertretung. Nach der kurzen polnischen Definition beschränkt sich Lobbyismus auf »entgeltliche Interessenvertretung für Dritte bei der Rechtssetzung«, während die litauische Definition auch unentgeltliche Interessenvertretung erfasst.548 Das ungarische Gesetz ist ähnlich formuliert wie die Verwaltungsvorschrift der EU-Kommission549 und schließt über die Gesetzgebung hinaus Entscheidungen der Verwaltung mit ein, was angesichts des volkswirtschaftlichen Gewichts von Verwaltungsakten, etwa in der Finanzaufsicht, zweckmäßig ist.550 Die kürzeste und zugleich weiteste Definition des »Lobbyismus« findet sich in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Verpflichtet zur Registrierung sind danach »Personen […], [die Abgeordnete] mit Informationen versehen«551 wollen. Im Sprachgebrauch der Europäischen Kommission werden Interessenvertreter als »Organisationen der Zivilgesellschaft«552 bezeichnet und sind als solche aus Sicht der Kommission »wichtige Verbündete für die gesellschaftliche Verankerung und Intensivierung des europäischen Integrationsprozesses«.553 Daraus wird deutlich, dass die Interessenvertretung aus EU-Kommissionssicht als geradezu wesensimmanent und notwendig für einen geeigneten politischen Entscheidungsprozess angesehen wird. In Polen und Ungarn existieren seit dem Jahr 2006 Register, die für professionell agierende Lobbyisten verpflichtend sind. Das polnische und das ungarische Register offenbaren nur Grunddaten zum Interessenvertreter selbst, nicht aber Finanz- oder Klientendaten, wie in der litauischen Regelung. Die einzelnen 547 H.-J. Schmedes, Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, ZParl, 3/2009, S. 543 (551). 548 T. Hoppe, »Transparenz per Gesetz? Zu einem künftigen Lobbyisten-Register«, ZRP 2009, 39. 549 Nr. 1.1 Rahmen für die Beziehungen zu Interessenvertretern, KOM (2007) 127 endgültig. 550 T. Hoppe, a.a.O. 551 Art. 9 IV GO EP, 16. Aufl. (2004), ABlEG Nr. 44 v. 15. 2. 2005, S. 1 (i. d. F. 09/ 2008). 552 Europäische Kommission, Europäisches Regieren. Ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endgültig, Brüssel, 25. Juli 2001, S. 19, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2001/ com2001_0428de01.pdf. 553 H.-J. Schmedes, Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, ZParl, 3/2009, S. 543 (551), m. w. N.
Regulierung der Interessenpolitik innerhalb der EU
115
Aktivitäten der Lobbyisten werden regelmäßig in Form eines umfassenden Berichts veröffentlicht.554 In Österreich ist am 01. 01. 2013 das »Lobbying- und InteressenvertretungsTransparenz-Gesetz (›LobbyG‹)« in Kraft getreten.555 Zum einen regelt es Verhaltenspflichten bei der Wahrnehmung und Durchsetzung individueller und kollektiver Interessen (§ 4 Abs. 1 Nr. 8 i. V. m. §§ 6 und 7 sowie § 5 LobbyG). Sie sehen bestimmte Mindeststandards im Umgang mit der öffentlichen Hand vor. Zum anderen verpflichtet das Gesetz bestimmte Unternehmen und Einrichtungen zur Registrierung im »Lobbying- und Interessenvertretungs-Register« (§§ 4 und 9 LobbyG). Das Register wird elektronisch vom österreichischen Justizministerium geführt und ist größtenteils im Internet einsehbar (§ 10 LobbyG). Den Verhaltens- und Registrierungspflichten soll durch Sanktionen zur Durchsetzung verholfen werden (§§ 16 ff. LobbyG), und zwar durch Verwaltungsstrafen, die Möglichkeit zur Streichung aus dem Register sowie vertragsrechtliche Folgen von Pflichtenverletzungen.
1.
Das EU-»Transparenzregister«
Bereits im Jahr 1992 wurde in einer Kommissionsmitteilung unter dem Titel »Ein offener und strukturierter Dialog zwischen der Kommission und den Interessengruppen«556 das Bemühen verdeutlicht, das Verhältnis der EU-Institutionen zu den Interessenvertretern durch Gleichbehandlung und vergleichbare Anhörungschancen möglichst transparent zu gestalten. Durch das im Jahr 2001 veröffentlichte Weißbuch »Europäisches Regieren«557 sollte in diese Richtung ein erster entscheidender Schritt erfolgen. In diesem Weißbuch wurde auch eine »effektivere und transparentere Konsultation [von Interessenvertretern] als Herzstück der EU-Politikgestaltung«558 beschrieben. Die Vorschläge der Kommission blieben jedoch weitgehend erfolglos, da sie nahezu ausschließlich auf Selbstregulierungsmechanismen der Branche und eine freiwillige Registrierung der Lobbyisten setzten.559 In der Folge sah sich die Kommission gezwungen, das bestehende Regelwerk verbindlicher zu gestalten. Im Rahmen der »Europäi554 555 556 557
T. Hoppe, ebenda. Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, BGBl. I Nr. 64/2012. Brüssel, 2. Dezember 1992, Amtsblatt C 93 v. 5. März 1993, S. 2 – 7. Europäische Kommission, Europäisches Regieren. Ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endgültig, Brüssel, 25. Juli 2001, S. 19, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2001/ com2001_0428de01.pdf. 558 Ebenda, S. 20. 559 H.-J. Schmedes, Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, ZParl, 3/2009, S. 543 (552).
116
Ausländische Regelungen
schen Transparenzinitiative«560 im Jahr 2005 sowie der Veröffentlichung eines gleichnamigen Grünbuchs am 3. Mai 2006561 wurde unter anderem ein »Register der Interessenvertreter«562 vorgestellt. Im Unterschied zum Register beim Präsidenten des Deutschen Bundestages soll sich das Register der Europäischen Union neben Verbänden generell auch an alle anderen Lobbying-Akteure unterschiedlicher Kategorien richten.563 Schmedes weist darauf hin, dass, anders als es der Name des Registers erwarten ließe, keine individuellen Lobbyisten, sondern lediglich Lobbying-Organisationen erfasst werden.564 Neben den allgemeinen Informationen, die auch das Register beim Bundestag enthält, erfordert eine Eintragung in das europäische Pendant (seit Juni 2011 als »Transparenzregister« bezeichnet565) umfassendere Angaben zum vorhandenen Budget, das für Lobbying-Aktivitäten aufgewendet wird (»Geschätzte Kosten der direkten Lobbyarbeit der Organisation bei den EU-Organen für das Geschäftsjahr«), sowie Angaben über die Finanzierungsquellen des jeweiligen Akteurs. Eine Eintragung in das Register geht zudem einher mit der Anerkennung eines »Verhaltenskodex’«566, der zur Befolgung bestimmter Grundregeln verpflichtet. Als Hauptkritikpunkte an dem Vorstoß der Europäischen Kommission werden angeführt, dass es sich bei dem Register um ein bis heute ausschließlich freiwilliges Instrument handelt und dass nicht geklärt ist, welche Kontroll- und Sanktionsmechanismen bei fehlerhaften oder unvollständigen Angaben im Register oder bei Verstößen gegen den Verhaltenskodex überhaupt eingreifen.567 Diese »Lücke« im System könne dazu einladen, Angaben über finanzielle wie organisatorische Verflechtungen nicht oder nicht vollständig zu leisten.568 In560 Dazu ausführlich: C. Humborg, Das Instrument des Lobbyistenregisters im Kontext der »European Transparency Initiative«, ZPB 1 (2008) 3/4: 601 – 608. 561 Europäische Kommission, Grünbuch Europäische Transparenzinitiative, KOM (2006) 194 endgültig, Brüssel, 3. Mai 2006, http://ec.europa.eu/transparency/eti/docs/gp_de.pdf. 562 Das Register ist im Internet einzusehen unter : http://europa.eu/transparency-register/index_de.htm; Der offizielle »Start« des Registers erfolgte am 23. Juni 2008, einzusehen durch die Erklärung »Transparentes Europa« auf der Internetseite der EU-Kommission unter der Adresse: http://ec.europa.eu/news/justice/080623_1_de.htm. 563 H.-J. Schmedes, Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, ZParl, 3/2009, S. 543 (552). 564 H.-J. Schmedes, a.a.O. 565 Vgl. Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 11. 05. 2011 »Parlament unterstützt gmeinsames Register für Lobbyisten und andere Interessenvertreter« unter http:// www.europarl.europa.eu/news/de/pressroom/content/20110510IPR19128/html/EP-un terst%C3 %BCtzt-gemeinsames-Register-f%C3 %BCr-Lobbyisten-andere-Interessenver treter. 566 Vgl. Europäische Kommission, Europäische Transparenzinitiative. Rahmen für die Beziehungen zu Interessenvertretern (Register und Verhaltenskodex), KOM (2008) 323 endgültig, Brüssel, 27. Mai 2008, S. 7 – 9: http://ec.europa.eu/transparency/docs/323_de.pdf. 567 H.-J. Schmedes, ebenda. 568 H.-J. Schmedes, ebenda.
Regulierung der Interessenpolitik innerhalb der EU
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zwischen sind im Register bereits mehr als 5600 Interessenvertreter569 registriert. Noch im Mai 2009 lag diese Zahl bei »nur« 1450 Organisationen, was damals nach Schätzungen nicht einmal die Hälfte der tatsächlich ansässigen und tätigen Lobbyisten darstellte.570 Dennoch dürfte die heutige Zahl noch immer nicht alle tatsächlich tätigen Interessenvertreter erfassen, worauf Einzelangaben der Register-Statistik571 schließen lassen. Unter der Kategorie der »professionellen Berater und Anwaltskanzleien, die in der EU-Lobbyarbeit tätig sind« haben sich bislang 39 Anwaltskanzleien572 registriert, die lobbyistische Tätigkeiten bzw. Mandatsübernahmen in diesem Bereich ausweisen. Nach Auffassung von Nichtregierungsorganisationen wie der »Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation« (ALTER-EU) sind die offenzulegenden Angaben, die eine Registereintragung einfordert, bislang unzureichend.573 Obwohl ALTER-EU die EU-Organe seit den jüngsten Veränderungen des Verhaltenskodex’ für Abgeordnete574, die in Folge des Skandals dreier Abgeordnete des Europäischen Parlaments im Frühjahr 2011575 erfolgt sind, auf einem »guten Weg« sieht, mahnt die Organisation nach wie vor strengere Regeln an.576 Das Europäische Parlament (EP) hatte in der Vergangenheit bereits wiederholt eine nicht ausreichende Umsetzung der Transparenzinitiative moniert577 und forderte in einer Entschließung vom 8. Mai 2008578 die Einrichtung eines
569 Stand: 1. Mai 2013. 570 Vgl. dazu die Ausführungen von Schmedes, ebenda, mit weiteren Nachweisen auf S. Hix, The Political System of the European Union, Houndmills, Basingstoke 2005, S. 211 – 213 sowie H.-J. Schmedes, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbände im Mehrebenensystem. Lobbyingaktivitäten britischer, deutscher und europäischer Verbände, Wiesbaden 2008, S. 52 – 60. 571 Vgl. dazu die Registerstatistiken auf der Internetseite der Kommission unter : http://ec.europa.eu/transparencyregister/public/consultation/statistics.do?locale=de& ac tion=prepareView. 572 Stand: 1. Mai 2013. 573 Schmedes, a.a.O., mit Verweis auf die Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation (ALTER-EU), http://www.alter-eu.org. 574 Vgl. die Mitteilung des EP unter : http://www.europarl.europa.eu/de/pressroom/content/ 20110707IPR23576/html/Parliament-group-leaders-endorse-new-Code-of-Conduct-forMEPs. 575 Drei Abgeordnete hatten sich bereit gezeigt, das durch Journalisten der britischen Zeitung »Sunday Times« fingierte Angebot der Zahlung von 100.000 E als »Gegenleistung« für »gezielte politische Initiativen« anzunehmen, vgl. FAZ vom 21. März 2011 S. 5 »EU-Abgeordnete unter Verdacht«. 576 http://www.alter-eu.org/documents/2013/01/letter-to-president-european-parliamentabout-dalli-scandal. 577 Vgl. C. Humborg, Das Instrument des Lobbyistenregisters im Kontext der »European Transparency Initiative«, 601 – 608 (606). 578 »Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Mai 2008 zu dem Aufbau des Rege-
118
Ausländische Regelungen
gemeinsamen Registers von Parlament, Kommission und Ministerrat, das auch umfassende finanzielle Offenlegungspflichten enthält. Zentraler Punkt der Forderungen war insbesondere die Verpflichtung zur Registrierung, da die bisherige Erfahrung gezeigt habe, dass Freiwilligkeit nicht ausreiche, um eine transparente Interessenvertretung zu gewährleisten. Nichtregierungsorganisationen kritisierten auch diese Vorschläge des EP als nicht ausreichend. Die Anforderungen der finanziellen Offenlegung orientierten sich an den »schwachen Vorgaben der Kommission« und der bereits bestehende Verhaltenskodex des EP sei »ähnlich schwach wie der neue Kodex der Kommission«.579 Ferner lasse die Entschließung weiterhin klare Aussagen zum Sanktionsmechanismus und zum Überwachungsmechanismus vermissen. Eine »Hochrangige Arbeitsgruppe des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission für ein gemeinsames Register und einen Verhaltenskodex für Lobbyisten« hatte sich schließlich am 22. April 2009 auf eine gemeinsame Erklärung verständigt, die neben dem Ziel eines gemeinsamen Verhaltenskodex’ beider Institutionen auch einen Verweis auf ein zukünftig zu schaffendes gemeinsames Lobbyregister enthält. Nach Ende der 6. Legislaturperiode hatte die Arbeitsgruppe ihre Arbeit in der 7. Legislatur wieder aufgenommen und in einem gemeinsamen Beschluss vom 11. Mai 2011 die Schaffung eines gemeinsamen Registers von Parlament und Kommission empfohlen, die daraufhin durch das Europäische Parlament verabschiedet worden ist.580 Seit Juni 2011 gibt es nun das gemeinsame Register der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments (»Transparenzregister«), das zwar nach wie vor auf eine freiwillige Registrierung setzt, die Aushändigung eines Hausausweises zum Parlament jedoch von einer vorherigen Registrierung abhängig macht.581 Des weiteren werden die Organisationen und Personen, die sich registrieren lassen, über die bisherigen Angaben hinaus zukünftig auch die Anzahl der Personen, die »beratend tätig« sind, die wichtigsten Gesetzesvorhaben, an denen sie (bereits) mitgewirkt haben sowie die empfangenen EU-Mittel angeben müssen.582 Als wesentliches Hindernis bei der Einführung vor allem verpflichtender Regelungen wird stets der Rat genannt, der gegenüber diesen Forderungen eine
579 580 581 582
lungsrahmens für die Tätigkeit von Interessenvertretern (Lobbyisten) bei den Organen der Europäischen Union« (2007/ 2115 (INI)). So der Geschäftsführer von Transparency International Deutschland e.V., C. Humborg, , ebenda. Beschluss veröffentlicht unter : http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pu bRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2011 – 0222+0+DOC+XML+V0//DE. Vgl. die Internetseite des Europäischen Parlaments, http://www.europa.eu/transparencyregister/index_de.htm. Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 23. 06. 2011, abrufbar unter : http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/11/773& format=HTML& a ged=0& language=DE& guiLanguage=de.
Regulierung der Interessenpolitik innerhalb der EU
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bislang ablehnende Haltung zeigt und auch vom jüngsten Beschluss nicht erfasst wird.583 Verbunden mit der (freiwilligen) Registrierung im Transparenzregister ist die Bereiterklärung, sich einem Verhaltenskodex folgenden Wortlauts zu unterwerfen584 : »Im Hinblick auf ihre Beziehungen zu den EU-Organen und ihren Mitgliedern, Beamten und sonstigen Bediensteten befolgen die registrierten Organisationen und Einzelpersonen folgende Regeln: a. Stets stellen sie sich namentlich vor und geben den Namen der Organisation (en) an, für die sie tätig sind oder die sie vertreten; sie geben an, welche Interessen, Ziele oder Zwecke sie verfolgen und gegebenenfalls welche Klienten oder Mitglieder sie vertreten; b. sie beschaffen sich nicht auf unlautere Weise oder durch Ausübung unstatthaften Drucks oder durch unangemessenes Verhalten Informationen oder erwirken auf unlautere Weise oder durch Ausübung unstatthaften Drucks oder durch unangemessenes Verhalten Entscheidungen, und unternehmen keine diesbezüglichen Versuche; c. sie geben in ihrem Umgang mit Dritten weder vor, in irgendeiner formellen Beziehung zur EU oder zu einem ihrer Organe zu stehen, noch stellen sie die Tatsache ihrer Registrierung in einer Weise dar, die Dritte oder Beamte oder sonstige Bedienstete der EU irreführen soll; d. sie stellen sicher, dass die von ihnen bei der Registrierung und danach im Rahmen ihrer in den Anwendungsbereich des Registers fallenden Tätigkeiten bereitgestellten Informationen nach ihrem besten Wissen vollständig, aktuell und nicht irreführend sind; e. sie verkaufen keine Kopien von Dokumenten, die sie von einem EU-Organ erhalten haben, an Dritte; f. sie verleiten Mitglieder von EU-Organen, Beamte oder sonstige Bedienstete der EU oder Assistenten oder Praktikanten von Mitgliedern der EU-Organe nicht dazu, gegen die für sie geltenden Regeln und Verhaltensnormen zu verstoßen; g. falls sie ehemalige Beamte oder sonstige Bedienstete der EU oder Assistenten oder Praktikanten von Mitgliedern der EU-Organe beschäftigen, respektieren die deren Pflicht, die für sie geltenden Regeln und Geheimhaltungspflichten einzuhalten; h. sie beachten sämtliche Bestimmungen über die Rechte und Pflichten ehe-
583 Schmedes, a.a.O., S. 554. 584 Vgl. Abschnitt »V. Auf sich registrierende Organisationen und Einzelpersonen anwendbare Bestimmungen«, Abs. 17. des Beschlusses.
120
Ausländische Regelungen
maliger Mitglieder des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission; i. sie unterrichten die von ihnen vertretenen Kunden über ihre Verpflichtungen gegenüber den EU-Organisationen. Einzelpersonen, die Organisationen oder Einrichtungen vertreten oder für diese arbeiten, die sich beim Europäischen Parlament zum Zweck der Ausstellung eines persönlichen, nicht übertragbaren Zugangsausweises für die Gebäude des Europäischen Parlaments registriert haben, befolgen folgende Regeln: j. Sie befolgen die in Artikel 9 und in Anlage X sowie in Anlage I Artikel 2 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments enthaltenen Vorschriften strikt; k. sie vergewissern sich, dass jede Zuarbeit im Rahmen der Anlage I Artikel 2 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments in das entsprechende Register eingetragen wird; l. sie holen zur Vermeidung etwaiger Interessenkonflikte die vorherige Zustimmung des betroffenen Mitglieds oder der betroffenen Mitglieder des Europäischen Parlaments hinsichtlich einer vertraglich geregelten Beziehung zu einem Assistenten eines Mitglieds ein und erklären dies anschließend im Register.«585 Schließlich findet sich in Anhang 4 des Registers eine mehrstufige Kaskade möglicher Sanktionsmaßnahmen, die im Falle der »Untersuchung und Bearbeitung von Beschwerden« über den Verstoß einer oder mehrerer Regeln des Verhaltenskodex ergriffen werden können.586 Diese reichen von einer Rüge einer fahrlässigen Nichteinhaltung einer Regel, über die zeitweilige Aussetzung der Registrierung bis hin zur Streichung aus dem Register. Zur Überwachung des Registers und zur Durchführung von Sanktionsmaßnahmen ist ein gemeinsames »Transparenz-Registersekretariat« von Europäischem Parlament und Europäischer Kommission zuständig.587 Insgesamt zeigt sich auf der Ebene des Europäischen Parlaments sowie der Europäischen Kommission ein inzwischen umfangreiches Registrierungssystem für Interessenvertreter, das allerdings auf Freiwilligkeit basiert. Da die Registrierung Voraussetzung für den dauerhaften und ungehinderten Zugang zu den Parlamentsgebäuden ist, kommt ihr ein faktisch zwingender Charakter zu.
585 Anhang 3 des Registers. 586 Vgl. Abschnitt VI. »Maßnahmen im Falle des Nichteinhaltens des Verhaltenskodex«. 587 Vgl. Abschnitt VII. »Umsetzung«.
Regulierung der Interessenpolitik innerhalb der EU
121
Der Verhaltenskodex stellt eine sinnvolle Ergänzung zum Registereintrag dar und erfährt eine Verbindlichkeit durch im Anhang des Registers klar formulierte Sanktionsmaßnahmen.
2.
»Legislativer Fußabdruck«
Bereits im Jahr 2008 hat das Europäische Parlament (EP) im Rahmen einer Entschließung zum »Aufbau des Regelungsrahmens für die Tätigkeit von Interessenvertretern (Lobbyisten) bei den Organen der Europäischen Union«588 festgestellt bzw. anerkannt, dass Lobbyismus neben der Beeinflussung von politischen und legislativen Beschlüssen auch auf die Zuweisung von Mitteln sowie auf die Kontrolle und Durchsetzung von Rechtsvorschriften abziele. Der Entschließung zufolge könne deshalb ein Berichterstatter zu einem Gesetzgebungsvorhaben, sofern er dies für angezeigt halte, auf freiwilliger Basis eine »legislative Fußspur«589 verwenden. Im Rahmen einer »indikativen Aufstellung« (in der Anlage zu den Berichten des Parlaments) könne er »diejenigen beim EP registrierten Interessenvertreter, die bei der Ausarbeitung des entsprechenden Berichts konsultiert wurden« und einen »signifikanten Beitrag dazu geleistet haben«, nennen. Insbesondere werde es für angezeigt gehalten, dass eine derartige Aufstellung in legislative Berichte eingebunden werde. Die Entschließung geht zurück auf den Ausschussbericht des EP-Abgeordneten Alexander Stubb vom 2. April 2008 (»Stubb-Bericht«)590, demzufolge durch eine legislative Fußspur veranschaulicht werden könne, »welche verschiedenen Interessen im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses mobilisiert wurden« und es somit »der Öffentlichkeit, den Medien, anderen Mitgliedern und Interessenten erleichtert werde[n], die parlamentarische Arbeit zu bewerten«.591 Nicht nachweisbar ist, wie häufig bislang überhaupt von der legislativen Fußspur Gebrauch gemacht worden ist, da es seitens des EP keine Erhebungen darüber gibt.592 Verschiedene EP-Abgeordnete geben beispielsweise auf ihrer Internetseite darüber Auskunft, mit welchen Interessenvertretern sie sich an welchem Tag zu einem Gespräch getroffen haben.593 588 Entschließung online abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA& language=EN& reference= P6-TA-2008 – 0197. 589 Synonym finden dazu die Begriffe »legislativer Fußabdruck« bzw. »legislativer Fingerabdruck« Verwendung. 590 Bericht online abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-// EP//NONSGML+REPORT+A6 – 2008 – 0105+0+DOC+PDF+V0//DE. 591 Vorgenannter Bericht, S. 12. 592 A. Hoffmann in WD 11 – 3000 – 19/11 S. 5. 593 A. Hoffmann ebenda, m. w. N.
122
Ausländische Regelungen
Mit Verabschiedung durch das EP vom 11. 05. 2011 ist nunmehr eine Regelung beschlossen worden, wonach die für ein bestimmtes Gesetzgebungsprojekt zuständigen, berichterstattenden Abgeordneten künftig ihre Kontakte mit Lobbyisten in einem »legislativen Fußabdruck« im Annex des Gesetzentwurfs offenlegen müssen.594 Darin würden »alle Lobbyisten aufgeführt werden müssen, mit denen ein Abgeordneter im Rahmen seiner Arbeit an einem Gesetz Kontakt hatte«595. Der Verlauf der praktischen Umsetzung und Anwendung bleibt noch abzuwarten. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügen bislang über sehr unterschiedliche Regelungen zum »legislativen Fußabdruck«. Die Länder mit vorhandenen bzw. weitreichenden Regelungen werden im Folgenden kurz aufgeführt.596 a.
Dänemark597
Obwohl in Dänemark bislang keine spezifischen Regelungen zu einem »legislativen Fußabdruck« vorliegen, hat sich in der parlamentarischen Praxis, begründet durch Richtlinien des dänischen Parlaments, ein Verfahren etabliert, wonach alle schriftlichen Dokumente (Briefe, Emails usw.), die von Interessengruppen und Lobbyisten an den für den Gesetzentwurf zuständigen Ausschuss gesendet worden sind, auf der Homepage des Parlaments veröffentlicht werden. Eine Richtlinie des Justizministeriums sieht außerdem vor, dass jeder Gesetzentwurf eine Auflistung aller Akteure zu enthalten hat, die vom zuständigen Ministerium bei der Ausarbeitung des Gesetzesvorschlags konsultiert worden sind. Die entsprechenden Stellungnahmen dieser Akteure werden ebenfalls auf der Internetseite des dänischen Parlaments veröffentlicht.
594 Beschluss veröffentlicht unter : http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pu bRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2011 – 0222+0+DOC+XML+V0//DE. 595 Vgl. Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 11. 05. 2011 »Parlament unterstützt gemeinsames Register für Lobbyisten und andere Interessenvertreter« unter http:// www.europarl.europa.eu/news/de/pressroom/content/20110510IPR19128/html/EP-un terst%C3 %BCtzt-gemeinsames-Register-f%C3 %BCr-Lobbyisten-andere-Interessenver treter. 596 Die Ausführungen zu den Ländern mit bestehenden Regelungen zum »Legislativen Fußabdruck« basieren auf der Ausarbeitung von B. Schröder für die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages auf Basis einer Abfrage über das Europäische Zentrum für parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD-Anfrage Nr. 1648) in WD 3 – 3000 – 056/11. 597 B. Schröder in WD 3 – 3000 – 056/11 S. 4 f., auf Basis einer Abfrage über das Europäische Zentrum für parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD-Anfrage Nr. 1648).
Regulierung der Interessenpolitik innerhalb der EU
b.
123
Estland598
Die weitreichendsten Regelungen über einen »legislativen Fußabdruck« finden sich in der Republik Estland. Alle verabschiedeten Gesetze müssen dort Anmerkungen enthalten, die einen Überblick geben sollen über die maßgeblichen Meinungen und Standpunkte der beteiligten Staats- und Regierungsinstitutionen und Interessengruppen bzw. Lobbyisten sowie lokale Verwaltungen. In den Anmerkungen enthalten sind: - Eine Auflistung aller Institutionen und Organisationen, die bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs konsultiert worden sind, - Angaben über das Ausmaß, in dem die Vorschläge und Anmerkungen dieser Organisationen in den Entwurf übernommen wurden, - nach Möglichkeit sollen alle Meinungen und Standpunkte schriftlich dokumentiert werden sowie alle relevanten Dokumente angehängt werden. Festzuhalten ist, dass in Estland in der Praxis die Erfahrung gemacht worden ist, dass in den Anmerkungen zu den Gesetzentwürfen zwar alle relevanten Akteure und Beteiligte genannt werden, der »tatsächliche Einfluss« der Akteure aus politischen oder organisatorischen Gründen jedoch nur unzureichend wiedergegeben wird.599 c.
Frankreich600
Das französische Rechtssystem sieht bislang keinen spezifischen Regulierungsrahmen für den »legislativen Fußabdruck« vor. Gängige Praxis ist dort allerdings, dass in den Berichten des zuständigen Ausschusses des Senats bzw. der Nationalversammlung eine Liste all jener Personen enthalten ist, mit denen der jeweilige Berichterstatter Gespräche geführt hat. d.
Polen601
Die Geschäftsordnung des Ministerrates in Polen enthält Regelungen, wonach alle Organisationen und Sachverständigen, die bei der Ausarbeitung eines Gesetzes vom zuständigen Ministerium konsultiert worden sind, auf dem jeweiligen Gesetzentwurf aufgelistet werden müssen. Darüber hinaus sollen Informationen veröffentlicht werden, inwiefern die Einschätzungen bzw. Informationen der Sachverständigen in den Gesetzentwurf eingeflossen sind. 598 599 600 601
B. Schröder, a. a. O., S. 5. B. Schröder ebenda. B. Schröder ebenda. B. Schröder, a. a. O., S. 6.
124
Ausländische Regelungen
In der Geschäftsordnung des polnischen Parlaments (Sejm) ist neben den Registrierungspflichten aller Lobby-Akteure, die an öffentlichen Anhörungen zu Gesetzesvorhaben der Regierung teilnehmen, vorgesehen, dass alle Ausschusssitzungen aufgezeichnet und dokumentiert werden. e.
Slowenien602
Das slowenische Recht (sog. »Public Sector Integrity Act«) sieht eine Registrierungspflicht für alle Personen, die Lobbytätigkeiten ausüben, vor. Alle registrierten Interessenvertreter müssen jährlich einer »Kommission zu Verhütung von Korruption« einen Bericht vorlegen, in dem sie offenlegen, für welche Organisationen sie tätig waren, welche Regierungsinstitutionen die Adressaten ihrer Tätigkeit waren und welche genauen Ziele mit der Lobbytätigkeit verfolgt worden sind. Um eine bessere Kontrolle zu gewährleisten, ist darüber hinaus vorgesehen, dass auch die Adressaten – Ministerialbeamte und Abgeordnete – verpflichtend alle Kontakte zu Lobbyvertretern dokumentieren und innerhalb von drei Tagen an die Kommission übermitteln müssen. Die Republik Slowenien versucht außerdem, die Öffentlichkeit in den Gesetzgebungsprozess mit einzubeziehen und eine »Kooperation« zwischen Bürgern und Sachverständigen zu schaffen (»Resolution on Legislative Regulation«). So werden im Rahmen dieser Zusammenarbeit alle Vorschläge, die von der Öffentlichkeit und den Sachverständigen gemacht worden sind sowie Angaben über das Ausmaß, in dem diese Beiträge in den Gesetzentwurf eingeflossen sind, offengelegt. Es folgt eine Veröffentlichung all dieser Informationen auf dem Vorblatt des ausgearbeiteten Gesetzes.603
II.
Regulierung der Interessenpolitik in Nordamerika: USA und Kanada
In den Vereinigten Staaten von Amerika, die in der Wissenschaft häufig paradigmatisch angeführt werden für eine »klassische« Interessengruppengesellschaft, gibt es seit Langem Erfahrung mit der praktisch-rechtlichen Handhabung des Lobbyismus. Bereits im Jahr 1876 hatte es erste Versuche gegeben, den Umgang mit Interessengruppen rechtlich zu regulieren.604 Mit Verabschiedung des sogenannten Lobbying Disclosure Act im Jahr 1995 existiert nun auf Bun602 B. Schröder ebenda. 603 B. Schröder ebenda. 604 Vgl. St. L. Fatka/ J. M. Levin, Protecting the Right to Petition: Why a Lobbying Contigency Fee Prohibition Violates the Constitution, S. 559 – 587, S. 569.
Regulierung der Interessenpolitik in Nordamerika: USA und Kanada
125
desebene der Vereinigten Staaten ein Gesetz, das eine allgemeine Registrierungspflicht von Lobbyisten in eine öffentliche Datenbank vorsieht.605 Im Unterschied zum deutschen »Lobbyisten-Register« müssen dort umfangreiche Informationen zu Klienten, den von ihnen vertretenen Interessen sowie detaillierte Angaben zur Finanzierung der Lobbying-Aktivitäten verbindlich gemeldet werden.606 Ferner gehören zu diesen Auskunftspflichten die genaue Nennung von Abschnitten in Gesetzgebungsvorhaben, an deren Ausarbeitung die Akteure beteiligt waren607, kontaktierte Regierungsagenturen sowie die Höhe geleisteter Honorare. Ein expliziter »legislativer Fußabdruck« existiert im US-amerikanischen Rechtssystem nicht, da die genannten Informationen nicht veröffentlicht werden und ebenso nicht auf den betroffenen Gesetzentwürfen dokumentiert werden.608 Es besteht eine Verpflichtung zu einer vierteljährlichen Aktualisierung der Angaben, woraufhin diese vom US-Kongress in elektronischer Form veröffentlicht werden.609 Die Regelungen können als im Vergleich zu den deutschen und europäischen Registern äußerst detailliert bezeichnet werden, wird nämlich dort nach Aktivitäten, Adressaten und Auftraggebern eines Lobbyisten differenziert und werden ferner Ausnahmeregelungen, etwa für Journalisten, Informanten (»whistleblower«) und religiöse Organisationen, berücksichtigt.610 Hoppe veranschaulicht die Regelungsdichte anhand der Anzahl der verwendeten Wörter. Während das US-amerikanische Gesetz für Definitionen und Ausnahmen rund 1800 und das kanadische Gesetz immerhin noch rund 1000 Wörter aufweise, umfasse die gesamte Anlage 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages lediglich rund 120 Wörter.611 In der Regel schließt sich an die obligatorische Auskunftserteilung der Lobbyisten die Arbeit weiterer Akteure non-gouvernamentaler Rechtsnatur an, die diese Informationen weiter aufbereiten beziehungsweise verknüpfen. Dazu gehören gemeinnützige Organisationen wie das »Center for Responsive Politics«, 605 H.-J. Schmedes, Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, ZParl, 3/2009, S. 543 – 560 (550). 606 Schmedes verweist hier auf die Zusammenstellung des House of Commons, Lobbying: Access and Influence in Whitehall. First Report of Session 2008 – 09, Vol. I: Report and Appendix, together with formal minutes, Public Administration Select Committee, London, The Stationery Office Limited, published 5th January 2009, http://www.publications. parliament.uk/pa/cm200809/cmselect/cmpubadm/36/36i.pdf. 607 B. Schröder in WD 3 – 3000 – 056/11 S. 7. 608 B. Schröder , ebenda. 609 Schmedes, a.a.O., S. 550. 610 T. Hoppe, »Transparenz per Gesetz? Zu einem künftigen Lobbyisten-Register«, ZRP 2009, 39. 611 T. Hoppe, ebenda.
126
Ausländische Regelungen
das die genannten Informationen etwa mit zusätzlichen Daten über Wahlkampfspenden oder den Wechsel von Mitarbeitern zwischen öffentlichen und privaten Arbeitgebern zusammenfügt und im Internet612 einsehbar der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Präsident Barack Obama hat unmittelbar am Tag nach seinem ersten Amtsantritt am 21. Januar 2009 Verhaltensregeln für Mitarbeiter seiner Administration bei Kontakten mit Interessenvertretern erlassen. Nach diesen Verhaltensregeln ist es den Mitarbeitern untersagt, Geschenke anzunehmen und in den ersten beiden Jahren ihrer Tätigkeit im Dienste der Regierung in Bereichen zu arbeiten, in denen sie zuvor außerhalb des öffentlichen Dienstes tätig waren. Für den umgekehrten Fall der Beendigung der Tätigkeit in der Administration ist eine Karenzzeit vorgesehen, die die gesamte weitere Regierungszeit des Präsidenten Obama umfasst. In dieser Zeit ist es den Mitarbeitern ebenso untersagt, als Lobbyisten zu arbeiten.613 Als Ergänzung zum Spannungsfeld Nebeneinkünfte bzw. Nebentätigkeiten und Mandat sei erwähnt, dass es in den USA Mitgliedern des Repräsentantenhauses und des Senats grundsätzlich verboten ist, noch ein zusätzliches privates Berufseinkommen zu beziehen.614 Auch in Kanada existieren seit dem Jahr 1989 durch den Beschluss des »Lobbying Registration Act« den us-amerikanischen vergleichbare gesetzliche Verpflichtungen. Zum 2. Juli 2008 sind diese noch einmal umfassend überarbeitet und unter dem Titel »Lobbying Act« umbenannt worden.615 Sowohl in den USA als auch in Kanada sind zudem effektive Sanktionen vorgesehen, die das Einhalten der Regelungen garantieren sollen. Dazu gehören empfindliche Geldbußen und auch Haftstrafen von bis zu zwei Jahren in Kanada und bis zu fünf Jahren in den USA. Um eine geeignete Überwachung der Registrierungspflichten zu gewährleisten, sind bei den Parlamenten eigens Stellen eingerichtet worden. In einigen Bundesstaaten der USA sowie einigen kanadischen Provinzen existieren zudem darüberhinausgehende, individuelle Regelungen616 für den Umgang mit Interessenvertretern.617
612 Etwa auf der Internetseite http://www.opensecrets.org. 613 Schmedes, a.a.O., S. 551. 614 Vgl. H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, 249. 615 House of Commons, Lobbying: Access and Influence in Whitehall. First Report of Session 2008 – 09, Vol. I: Report and Appendix, together with formal minutes, Public Administration Select Committee, London, The Stationery Office Limited, published 5th January 2009, http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200809/cmselect/cmpubadm/36/36i. pdf. 616 Schmedes, a.a.O., S. 551. 617 Eine vertiefende Untersuchung über die Ausgestaltung der Regulierung des Lobbyismus in
Zusammenfassung
III.
127
Zusammenfassung
In 24 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist bislang kein Lobbyisten-Register vorgesehen, wobei in einigen dieser Staaten inzwischen Bestrebungen zu erkennen sind, Regelungen auf diesem Gebiet einzuführen.618 In den EU-Staaten Litauen, Polen und Ungarn sowie in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Kanada existieren bereits Lobbyisten-Register, die Interessenvertreter zu einem Eintrag mehr oder weniger umfangreich gesetzlich verpflichten. Die Register beim Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission sowie beim Deutschen Bundestag sind bislang freiwillig ausgestaltet bzw. entfalten Rechtswirkungen und Pflichten nur auf Geschäftsordnungsebene. In Dänemark, Frankreich, Polen, Slowenien und den USA ist die Umsetzung einer »legislativen Fußspur« bisher erst in Ansätzen verwirklicht worden oder hat sich durch die politische Praxis herausgebildet. Neben den USA und Slowenien ist es vor allem Estland, das weitreichende explizite gesetzliche Regelungen zur »legislativen Fußspur« vorweisen kann. In Österreich ist zum 01. 01. 2013 ein »Lobbying- und Interessenvertretungs-Transparenz-Gesetz (›LobbyG‹)« in Kraft getreten. Die ausländischen Lobbyisten-Register verpflichten zumeist zur Nennung umfangreicher Angaben. Es müssen Auftraggeber der Lobbyisten, die betroffenen Gesetzgebungsverfahren und Regierungsressorts ausgewiesen werden und auch die geleisteten Honorare unterliegen der Veröffentlichungspflicht. Falschangaben bei der Registrierung sowie Regelverstöße gegen den gemeinsamen Verhaltenskodex von Europäischem Parlament und Europäischer Kommission unterliegen einer Sanktionskaskade, die von einer Rüge über eine zeitweilige Aussetzung der Registrierung bis hin zu einem dauerhaften Ausschluss aus dem Register reicht. In den drei europäischen Staaten, in denen bislang Regelungen bestehen, drohen dagegen Geldbußen, in Kanada und den USA Geldstrafen bzw. Haftstrafen bis zu fünf Jahren. Eine zentrale Stelle bzw. unabhängige Beauftragte beim Parlament oder bei der Exekutive sorgen dafür, dass Sanktionen umgesetzt und die Öffentlichkeit über Tätigkeiten, deren Umfang und die (mitunter finanzielle) Verflechtung der Interessenvertreter informiert wird.
den USA und Kanada findet sich bei R. Chari/ J. Hogan/ G. Murphy, Regulating Lobbying: a global comparison. 618 Vgl. dazu auch die Internetseite von LobbyControl unter : http://lobbypedia.de/index.php/ Lobbyregister sowie T. Hoppe und A. Thomas in: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Nr. 68/08.
E. Regelungsansätze internationaler Organisationen
Im vorangegangenen Teil dieser Arbeit ist exemplarisch und vergleichend darauf eingegangen worden, in welchem Umfang bereits andere Länder über Regelwerke zum Umgang mit Interessenvertretern verfügen.619 Dem übergeordnet finden sich im Recht internationaler Organisationen Politikansätze, die allgemeine Leitprinzipien und Verhaltensanforderungen für politische Akteure aufstellen. Unter dem Leitbegriff der »good governance« werden hierzu Transparenz und Effektivität der Staatsverwaltung mit demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Standards zusammengeführt.620 Im Folgenden werden deshalb die Regelwerke der Vereinten Nationen und des Europarats dahingehend herausgestellt, inwieweit sie Erwartungen bzw. »Vorgaben« an Einzelstaaten zum Umgang mit Interessenvertretung in der nationalen Politik formulieren. Leitmotiv dieser Regelwerke sind stets Aktivitäten zur internationalen Bekämpfung der Korruption, die zweifelsohne das negative Extrem der Interessenvertretung verkörpert.
1.
Regelwerke der Vereinten Nationen
Bei den Vereinten Nationen ist seit Mitte der 1990er Jahre ein verstärktes Einsetzen von Tätigkeiten zur Bekämpfung von Korruption zu beobachten, als deren maßgeblicher Impulsgeber die USA erscheinen. Dort waren bereits 1977 im Rahmen des sogenannten Foreign Corrupt Practises Act (FCPA) Maßnahmen zur strafrechtlichen Bekämpfung korrupter ausländischer Amtsträger ergriffen worden. Die so herausgebildeten Empfehlungen und Vorgaben setzten dabei weniger auf Sanktionen, als vielmehr auf Verhaltensregeln für Amts- und
619 Siehe dazu S. 113 ff. 620 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 552.
130
Regelungsansätze internationaler Organisationen
Mandatsträger, die bereits präventiv dem Entstehen von Korruptionspraktiken im politischen System entgegenwirken sollen.621 a)
Internationaler Verhaltenskodex für Amtsträger
In der Anlage zur Resolution 51/59 der Generalversammlung vom 12. Dezember 1996 findet sich ein erster Versuch, Verhaltensregeln für politische Akteure zu formulieren.622 Danach wird den UN-Mitgliedstaaten empfohlen, dafür Sorge zu tragen, dass Abgeordnete623 ihre Aufgaben effizient, wirksam und integer erfüllen.624 Insbesondere wird vorgeschlagen, Anzeigepflichten für alle Tätigkeiten vorzusehen, die zu einem Interessenkonflikt führen können. Darüber hinaus sollten alle Amtsträger ihre persönlichen Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.625 b)
Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption
Die vergleichsweise allgemeinen und unverbindlichen Empfehlungen des »Internationalen Verhaltenskodex’« finden im multilateralen »Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption« schon eine erheblich deutlichere Konkretisierung. Jenes erstmals im Dezember 2003 zur Unterzeichnung aufgelegte Übereinkommen626 verpflichtet die unterzeichnenden Mitgliedstaaten zunächst allgemein dazu, politische Konzepte zu entwickeln, die die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten und öffentlicher Vermögensgegenstände, der Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht widerspiegeln.627 Die Staaten werden zudem ausdrücklich dazu angehalten, die entsprechenden Verhaltens- und Offenlegungspflichten auch effektiv durchzusetzen.628 Für alle Amtsträger sollen daher Verhaltensnormen oder Verhaltenskodizes eingeführt werden und dabei Richtlinien für eine korrekte, dem Begriff »gute Sitte« entsprechende Wahrnehmung öffentli621 K. Stein, a.a.O., S. 553. 622 Resolutionstext in deutscher Übersetzung abrufbar unter : http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar51059.pdf. 623 Definiert wird in Nr. 1 des Verhaltenskodex’ der Amtsträger als »jedermann, der eine Vertrauensposition innehat, die mit der Pflicht verbunden ist, im öffentlichen Interesse zu handeln«, worunter auch der Abgeordnete fällt. 624 Nr. 2 Satz 1 des Verhaltenskodex’. 625 Nr. 5 des Verhaltenskodex’. 626 Resolution 58/4, verabschiedet auf der 51. Plenarsitzung am 31. Oktober 2003, ohne Abstimmung, auf der Grundlage des Berichts des Ad-hoc-Ausschusses für die Ausarbeitung eines Übereinkommens gegen Korruption (A/58422). Die deutsche Übersetzung ist abrufbar unter : http://www.un.org/depts/german/gv-58/band1/ar58004.pdf. 627 Kapitel II Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens. 628 Kapitel II Nr. 6 des Übereinkommens.
Regelungsansätze internationaler Organisationen
131
cher Aufgaben enthalten.629 Nach der Legaldefinition des Übereinkommens sind Amtsträger alle in der Exekutive und Judikative tätigen Amtswalter sowie die gewählten Abgeordneten.630 Der Inhalt der Verhaltensregeln, die zugleich als Leitlinien für eine ordnungsgemäße Staatsführung formuliert sind, wird durch das Übereinkommen in Umrissen schon selbst vorgegeben:631 Jeder Vertragsstaat sollte im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Ordnung Regelungen treffen, nach denen alle Amtsträger gegenüber den zuständigen Behörden bestimmte Erklärungen abzugeben haben, namentlich insbesondere über Nebentätigkeiten, Beschäftigungsverhältnisse, Kapitalanlagen, Vermögenswerte und erhebliche Geschenke oder Vergünstigungen, die in Bezug auf ihre Aufgaben als Amtsträger zu einem Interessenkonflikt führen können.632 Damit in engem Zusammenhang steht die Forderung nach mehr Transparenz bei der Finanzierung von Wahlkandidaturen und politischen Parteien.633 Zur Umsetzung dieser Ziele wird die verpflichtende Einrichtung einer zentralen bzw. mehrerer dezentraler Stelle(n) zur Korruptionsverhütung empfohlen.634 Neben den genannten präventiven Maßnahmen enthält das Übereinkommen auch repressive Maßnahmen. Dazu zählen konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung des innerstaatlichen Strafrechts einschließlich der möglichen Nebenfolgen und des Verfahrens.635 Im Hinblick auf die Ausgestaltung des deutschen Strafrechts sind daraus insbesondere zu nennen die Strafbarkeit aller Amts- und Mandatsträger wegen der »missbräuchlichen Wahrnehmung von Aufgaben«636 und die weitergefasste Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit.637 Ferner ist vorgesehen, dass nicht nur der Rechtsträger, für den der Akteur handelt, zum zivilrechtlichen Ersatz des durch seine ungesetzliche Handlung verursachten Schadens verpflichtet werden soll638, sondern den Akteur auch persönlich zivilrechtliche Sanktionen treffen.639 Kapitel II Art. 8 Nr. 2 des Übereinkommens. Kapitel I Art. 2 Nr. a) des Übereinkommens. K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 555. Kapitel II Art. 8 Nr. 5 des Übereinkommens. Kapitel II Art. 7 Nr. 3 des Übereinkommens. Kapitel II Art. 6 des Übereinkommens. Kapitel III Art. 15 bis 42 des Übereinkommens. Vgl. dazu Kapitel III Art. 19 des Übereinkommens: »Jeder Vertragstaat zieht in Erwägung, die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen zu treffen, um es, wenn vorsätzlich begangen, als Straftrat zu umschreiben, wenn ein Amtsträger seine Aufgaben oder seine Stellung missbräuchlich wahrnimmt, das heißt, wenn er in Erfüllung seiner Aufgaben unter Verstoß gegen Gesetze eine Handlung vornimmt oder unterlässt, um für sich selbst oder für eine andere Person oder Stelle einen ungerechtfertigten Vorteil zu erlangen.«. 637 Kapitel III Art. 15 Abs. 2 des Übereinkommens. 638 Kapitel III Art. 26 des Übereinkommens.
629 630 631 632 633 634 635 636
132
Regelungsansätze internationaler Organisationen
Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den (bisher) 140 Unterzeichnerstaaten640 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption. Fast alle Unterzeichnerstaaten, darunter die Vereinigten Staaten sowie die meisten Länder der Europäischen Union, haben inzwischen das Übereinkommen ratifiziert. Die Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland steht dagegen bis heute aus. Damit befindet sich Deutschland – betrachtet man die Übersicht abstrakt von den staatsrechtlichen Eigenheiten des Landes – in Gesellschaft von Staaten wie Saudi Arabien oder dem Sudan.641 Auch in der laufenden 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages sind bislang keine mehrheitsfähigen Initiativen zu beobachten, die an diesem Status etwas ändern würden.642 Einigkeit besteht darüber, dass das deutsche Recht im Übrigen – abgesehen vom Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung – bereits weitgehend den Vorgaben des Übereinkommens entspricht.643 Umstritten ist dagegen die Interpretation des Wortlauts der Konvention, dass eine Gleichsetzung des Tatbestandes des § 108 e StGB mit den »Amtsträgern« (i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu schaffen sei. Konsequenz wäre nämlich, dass die Abgeordneten letztlich in die »Amtsträgerdelikte« der §§ 331 ff. StGB mit einbezogen würden.644 Die Bundesrepublik hat sich durch die Zustimmung zur UN-Konvention gegen Korruption verpflichtet, erforderliche Schritte zu deren Umsetzung zu ergreifen. Zuletzt wurde nach einem Beschluss des Bundeskabinetts vom 30. 05. 2007 eine »nicht unerhebliche Erweiterung«645 des materiellen Korruptionsstrafrechts – mit Ausnahme der Erweiterung der Abgeordnetenbestechung – auf den Weg gebracht.
639 Kapitel III Art. 35 des Übereinkommens. 640 Vgl. die ständig aktualisierte Internetseite, abrufbar unter : http://www.unodc.org/unodc/en/treaties/CAC/signatories.html (Stand: 1. Mai 2013). 641 Stand: 1. Mai 2013; vgl. die ständig aktualisierte Übersicht, im Internet abrufbar unter : http://www.unodc.org/unodc/en/treaties/CAC/signatories.html. 642 Eine schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler an die Bundesregierung (Drucks. 17/7279, Fragen 27 und 28) wurde am 7. Oktober 2011 durch den Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz, Max Stadler MdB, dahingehend beantwortet, dass auch die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Anpassung von § 108 e StGB sehe, ein Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag, aus dessen Mitte ein Gesetzentwurf vorgelegt werden solle, sich zurzeit jedoch nicht abzeichne. Vgl. zum politischen Hintergrund z. B. DER SPIEGEL Nr. 21/2007 v. 21.05.07 S. 38. Danach zeigt sich bislang fraktionsübergreifend eine Mehrheit der Parlamentarier, die sich einer Änderung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung nach § 108 e StGB beharrlich verweigern. 643 Vgl. R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (466). 644 R. Michalke, a.a.O., S. 459 (467). 645 R. Michalke, a.a.O., S. 459 (467).
Regelungsansätze internationaler Organisationen
c)
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Der »Anti-Corruption-Toolkit« der Vereinten Nationen
Neben dem Setzen rechtlicher Vorgaben unterstützen die Vereinten Nationen die Nationalstaaten in ihren Bemühungen um die Etablierung der good governance auch durch informelle Maßnahmen, die in erster Linie »der Bewusstseinsschärfung« für diese Problematik dienen.646 Dazu gehört die Herausgabe eines Handbuchs, das eine Reihe von Einzelmaßnahmen gegen Korruption aufzählt (tools) und diese anhand von Fallbeispielen (case studies) illustriert.647 Dieses versteht sich als stetig fortzuschreibendes Kompendium, das lediglich eine stufenweise Umsetzung der dort aufgeführten Maßnahmen je nach Entwicklungsstand sowie den regionalen und kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Landes empfiehlt. Zusammengefasst zeigt sich in der Gesamtschau der Verlautbarungen und Resolutionen der Vereinten Nationen ein vergleichsweise klares und deutliches Werk im Hinblick auf die weltweite Korruptionsbekämpfung. Sind Äußerungen der UN in der Regel charakterisiert durch diplomatische und dehnbare Floskeln, so finden sich insbesondere im Übereinkommen gegen Korruption aus dem Jahr 2003 deutlich konturierte Verpflichtungen für die Unterzeichnerstaaten. Dass die Bundesrepublik hier bislang keine weiteren Reformanstrengungen bzw. Ratifikationsmaßnahmen unternommen hat, könnte man, wie große Teile des Schrifttums648, als »unrühmlich« für den ansonsten weltweit geschätzten und geachteten deutschen Parlamentarismus bezeichnen.649 Gleichwohl blendet eine undifferenzierte Sicht auf diese Situation die besonderen Eigenheiten des deutschen Parlamentarismus aus. Neben der Tatsache, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages keinem dem »Amtsträger« i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB vergleichbar konkretisierbaren Pflichtenkreis unterliegen, bestehen schon erhebliche Bedenken, durch eine Modifizierung bzw. Verschärfung von Straftatbeständen – nicht nur im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Be-
646 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 556. 647 United Nations Office on Drugs and Crime, The Global Programme Against Corruption: UN Anti-Corruption Toolkit http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/documents/un/ unpan020658.pdf. 648 Vgl. nur S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098 (1100); H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, 249 (252 f.); A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 207. 649 Auch eine Initiative von »30 führenden deutschen Konzernchefs« hat im Sommer 2012 an den Bundestag appelliert, die UN-Konvention gegen Korruption so schnell wie möglich in Kraft zu setzen, da das Ausbleiben der Ratifizierung dem Ansehen deutscher Wirtschaftsunternehmen im Ausland schade, vgl. den Artikel auf FAZ.net vom 08. 08. 2012, abrufbar unter : http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/anti-korruptionsabkommen-30konzernchefs-machen-druck-auf-bundesregierung-11848056.html.
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Regelungsansätze internationaler Organisationen
stimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG – Interessenvertretung sinnvoll zu regulieren.
2.
Regelwerke des Europarates
Auch von Seiten des Europarates gibt es verschiedene Regelwerke, die in erster Linie auf eine repressive Bekämpfung der Korruption abzielen, daneben aber auch die präventive Verbesserung des Entscheidungsverhaltens von Mandatsträgern ins Auge fassen.650 Erwähnt werden sollten in diesem Zusammenhang die »Zwanzig Leitprinzipien zur Korruptionsbekämpfung« (»Twenty Guiding Principles for the Fight against Corruption«)651, welche der Ministerrat im November 1997 verabschiedet hat. Da diese Forderungen – insbesondere im Hinblick auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit politischer Akteure652 verfasst – sehr allgemein gehalten sind, kommt ihnen lediglich appellativer Charakter zu.653
a)
Die Strafrechtskonvention zur Korruption des Europarates
Im Jahr 1999 ist durch den Europarat eine Strafrechtskonvention zur Korruption654 verabschiedet worden und schließlich zur Unterzeichnung aufgelegt worden, die die Unterzeichnerstaaten insbesondere dazu verpflichtet, einen Tatbestand der Bestechlichkeit im jeweiligen nationalen Strafrecht zu verankern, der nicht nur für alle Amts-, sondern auch für die Mandatsträger Geltung beansprucht.655 Die umschriebenen Tathandlungen umfassen dabei sowohl die unmittelbare oder mittelbare Forderung eines ungerechtfertigten Vorteils als auch das Annehmen und Versprechenlassen eines solchen Vorteils.656 Verlangt wird ferner das Unter-Strafe-Stellen »jeder missbräuchlichen Einflussnahme auf Amts- und Mandatsträger«.657 Zu beachten ist, dass das Übereinkommen die Definition des Amtsträgerbegriffes weitgehend den Signatarstaaten überlässt,
650 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 557. 651 101. Sitzung, Resolution Nr. (97) 24, im Internet unter : http://www.coe.int/t/dghl/monitoring/greco/documents/Resolution(97)24_EN.pdf. 652 Vgl. etwa Nr. 6 und 15 der Resolution. 653 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 557. 654 Criminal Law Convention against Corruption, ETS No. 173, abrufbar im Internet unter : http://www.conventions.coe.int/. 655 Art. 3 und 4 des Strafrechtsübereinkommens. 656 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 558. 657 Art. 12 des Strafrechtsübereinkommens.
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vgl. Art. 1 a der Konvention.658 Michalke macht zudem zu Recht darauf aufmerksam, dass sich jeder Vertragsstaat durch Art. 37 Abs. 1 des Übereinkommens das Recht vorbehalten kann, Strafvorschriften, die Abgeordnete betreffen, gar nicht oder nur beschränkt aufzunehmen.659 Eine zwingende Verpflichtung zu einer Verschärfung des § 108 e StGB erwächst aus diesem Abkommen daher nicht. Trotz der Unterzeichnung dieses multilateralen Abkommens durch die inzwischen 45 europäischen Mitgliedstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, steht eine Ratifikation durch die Bundesrepublik jedenfalls bislang aus.660
b)
Empfehlungen der GRECO
Von Bedeutung für die Fortentwicklung nationalen Parlamentsrechts im Hinblick auf die Interessenpolitik sind die Berichte und Forderungen der unter dem Dach des Europarates agierenden »Group of States against Corruption« (kurz: GRECO). Die GRECO-Staatengruppe661, der neben 45 europäischen Staaten (darunter Deutschland) auch die Vereinigten Staaten angehören, ist in erster Linie damit betraut, die laufende Kontrolle und Evaluierung der Bemühungen um eine Bekämpfung der Korruption durchzuführen. Unter diesen Untersuchungen bzw. deren Veröffentlichungen befinden sich auch regelmäßig länderspezifische Leitlinien für die öffentlichen Entscheidungsträger, so auch für Deutschland.662 Aus den Evaluationsberichten663 von GRECO aus dem Jahr 2009 geht, wie schon bereits aus Berichten der Erhebungszeiträume 2000 – 2002 sowie 2003 – 2006, eine deutliche Kritik an den deutschen Antikorruptionsbemühungen hervor. Es werden dem deutschen Gesetzgeber zahlreiche Gesetzesänderungen empfohlen. Konkret wurde der Bundesrepublik Deutschland bis zum 30. 06. 2011 die Gelegenheit eingeräumt, diese Empfehlungen rechtlich umzusetzen 658 R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (466). 659 R. Michalke, ebenda. 660 Stand: 1. Mai 2013. 661 Eine ausführliche Selbstdarstellung der Aktivitäten sowie eine aktuelle Übersicht der Mitgliedsländer der GRECO findet sich im Internet unter : http://www.coe.int/t/dghl/mo nitoring/greco/default_en.asp. 662 Vgl. dazu etwa die jüngsten zwei Evaluationsberichte über Deutschland, verabschiedet durch GRECO bei ihrer 45. Vollversammlung 30.11. bis 04. 12. 2009, abrufbar im Internet unter : http://www.coe.int/t/dghl/monitoring/greco/evaluations/round3/Repor tsRound3_en.asp. 663 Der Evaluationsbericht unterteilt sich in die zwei Einzelberichte I »Criminalisation of corruption« (»Kriminalisierung«) und II »Transparency of party funding« (»Transparenz der Parteienfinanzierung in Deutschland«).
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Regelungsansätze internationaler Organisationen
und im Anschluss daran gegenüber GRECO Bericht zu erstatten. Diese Frist ist fruchtlos verstrichen. Hervorzuheben sind aus den insgesamt 20 Empfehlungen für den hier bearbeiteten Forschungsgegenstand und tangierte Bereiche, wie dem der Parteienfinanzierung, folgende: - Die Ratifikation des Strafrechtsübereinkommens über Korruption nebst Zusatzprotokoll ist zügig voranzutreiben.664 - Die Kriminalisierung der Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten nach § 108e StGB ist deutlich zu erweitern, um den Tatbestand in Einklang mit Artikel 4 des Strafrechtsübereinkommens über Korruption zu bringen.665 - »Missbräuchliche Einflussnahme« nach Maßgabe des Artikels 12 des Strafrechtsübereinkommens666 über Korruption ist unter Strafe zu stellen.667 - Die Grenze von 50.000 Euro für Spenden an Parteien gemäß Parteiengesetz für die unmittelbare Berichterstattung und Veröffentlichung sollte gesenkt werden, anonyme Spenden sollten (gänzlich) verboten werden. Ebenso sollte eine deutliche Absenkung des Grenzwertes für die (allgemeine) Bekanntgabe von Spenden und Spendern (bislang: jährliche Veröffentlichung von Spenden ab 10.000 Euro) erwogen werden.668 - Spenden an Abgeordnete und Kandidaten, die Parteimitglieder sind, sollten verboten werden, oder ihnen sollte eine Rechenschafts- und Offenlegungspflicht ähnlich den Parteien auferlegt werden.669 - Es sollte geklärt werden, unter welchen Bedingungen Parteiensponsoring erlaubt ist und welches Rechts-, Rechnungslegungs- und Finanzsystem gelten soll.670 - Es sollte sichergestellt werden, dass die mit der Aufsicht der Parteienfinanzierung betraute Stelle (derzeit: der Präsident des Deutschen Bundestages) über ein ausreichendes Maß an Unabhängigkeit verfügt und mit geeigneten Kontrollinstrumenten, Mitarbeitern und Fachwissen ausgestattet ist.671 - Mögliche Verstöße gegen die Verhaltensregeln im Anhang zur Geschäftsordnung des Bundestages im Hinblick auf Spenden an Abgeordnete sollten auf-
664 Ad 1) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht I, S. 38. 665 Ad 3) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht I, S. 38. 666 Es wird dabei auf die bereits bestehende Regelung des § 266 StGB (Untreue) verwiesen, deren Tatbestand jedoch »nur« die Untreue gegenüber einem Unternehmen erfasse, jedoch nicht Fälle, in denen beispielsweise gewählte Mandatsträger beteiligt seien. Diese »Lücke« gelte es zu schließen. 667 Ad 9) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht I, S. 38. 668 Ad 3) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht II, S. 29. 669 Ad 4) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht II, S. 29. 670 Ad 6) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht II, S. 29. 671 Ad 8) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht II, S. 29/30.
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geklärt werden; es sollte zudem sichergestellt werden, dass diese Verstöße wirksame, angemessene und abschreckende Strafen nach sich ziehen.672 In den Schlussfolgerungen673 des Evaluationsberichtes I wird die »Korruptionsbekämpfung« in Deutschland wie folgt bewertet: »Es ist insoweit bedauerlich, dass es dem Bundestag […] nicht gelungen ist, […] das Strafrechtsübereinkommen über Korruption und das Zusatzprotokoll dazu sowie das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption zu ratifizieren […]. Besondere Sorge bereitet, dass bestimmte Personengruppen (einschließlich Abgeordnete und Mitglieder von Stadt- und Gemeinderäten, soweit sie nicht Amtsträger sind) Antikorruptionsbestimmungen in eingeschränkter Form unterliegen. Dies könnte in der breiten Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass für Teilbereiche der deutschen Gesellschaft nicht dieselben Regeln gelten wie für den Rest der Bevölkerung, wenn es um die Wahrung der Integrität in den sozialen, politischen und geschäftlichen Beziehungen geht. Deutschland wird dringend gebeten, zur Ergänzung der bestehenden Gesetzesbestimmungen gegen Korruption ein ehrgeiziges Paket an gesetzlichen Maßnahmen zu beschließen […] .«
Aufgrund des angeschlagenen »scharfen« Tons und Forderungen nach teils drastischen Tatbestandserweiterungen, die bei einzelnen Straftatbeständen (insbes. § 108 e StGB) aus den Evaluationsberichten hervorgehen, ist eine entsprechend kritische Resonanz darauf nicht ungewöhnlich: Hauck unterstellt den Verfassern der GRECO-Berichte gar fehlende kriminalpolitische und rechtsdogmatische Bodenhaftung, die an manchen Stellen von Oberflächlichkeit in Ansehung des deutschen Strafrechts gekennzeichnet sei.674 Im Hinblick auf den zu »verschärfenden« § 108 e StGB stellt Hauck zu Recht fest, dass im GRECO-Bericht die Frage nach dem Rechtsgut, das es mittels dieses Tatbestandes zu schützen gilt, schlechterdings gar nicht beantwortet wird.675 c)
OECD-Übereinkommen
Das »Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr« der OECD (Organisation for Economic Co-operation an Development) vom 17. 12. 1997 verpflichtete die Vertragsstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, in die Strafbarkeit der
672 Ad 10) der Empfehlungen, vgl. Evaluationsbericht II, S. 30. 673 Vgl. Evaluationsbericht I, S. 37/38. 674 P. Hauck, Über Sinn und Widersinn der von GRECO unterbreiteten Vorschläge zur Änderung der Korruptionstatbestände in §§ 108e, 299 und 331 ff. StGB, wistra 2010, 255 (255). 675 P. Hauck, a.a.O., 255 (256).
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Bestechungshandlungen von und gegenüber ausländischen Amtsträgern auch ausländische Mandatsträger mit einzubeziehen.676 Durch Verabschiedung des »Internationalen Bestechungsgesetzes«677, insbesondere den Art. 2 § 2 Abs. 1, hat die Bundesrepublik Deutschland eine in ihrem Tatbestand über den § 108 e StGB hinausgehende Regelung geschaffen. Neben einer generalisierenden Umschreibung der Tathandlung678 (»mit seinem Mandat oder seinen Aufgaben zusammenhängende Handlung oder Unterlassung«) ist die (internationale) Bestechung von Abgeordneten auch nicht an eine Pflichtwidrigkeit – im Hinblick auf deren nicht klar abgrenzbaren Pflichtenkreis – geknüpft.679 Eingeschränkt wird der Tatbestand durch eine Reduzierung auf den vom Täter erstrebten Auftrag oder sonst unbilligen Vorteil »im internationalen Geschäftsverkehr«.680 Zudem soll der Tatbestand bei »kleineren Zahlungen« nicht zur Anwendung kommen.681 Insgesamt unterliegen ausländische Abgeordnete damit im Hinblick auf die Bestechung einem umfangreicheren Tatbestand als deutsche Abgeordnete, was verbreitet als Grund für die Notwendigkeit einer Erweiterung des § 108 e StGB angeführt wird.682
3.
Zusammenfassung
Die Ausführungen haben veranschaulicht, dass es Bemühungen internationaler Organisationen gibt, rechtliche Rahmenbedingungen zu formulieren und deren Umsetzung den Mitgliedstaaten nahezulegen. Leitmotiv dieser Bemühungen ist die Bekämpfung korruptiver Praktiken in politischen Entscheidungsprozessen. Insbesondere das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Korruption macht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Vorgaben zur Überarbeitung bestehender Rechtsvorschriften. Darunter fällt speziell der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung gem. § 108 e StGB.
676 Vgl. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 des Übereinkommens. 677 Vom 10. 09. 1998, BGBl. II S. 2327. 678 R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (465). 679 R. Michalke, a.a.O., S. 459 (466) mit Verweis auf BT-Drucks. 13/10428, 7; M. Korte, Der Einsatz des Strafrechts zur Bekämpfung der internationalen Korruption, wistra 1999, S. 81 (87). 680 R. Michalke, ebenda mit Verweis auf M. Korte, ebenda. 681 BT-Drucks. 13/10428, S. 23. 682 Beispielhaft: M. Korte, wistra 1999, 81 ff. (87) unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/10428, 7.
F. Reformvorschläge
Der Abriss über die historische Entwicklung der Interessenpolitik in Deutschland, die Darstellung der bisherigen Regelungsversuche sowie der vergleichende Blick auf andere Rechtsordnungen haben gezeigt, dass die »Landschaft«, in der sich Interessenvertretung abspielt, seit geraumer Zeit in Veränderung begriffen ist. Durch die Pluralisierung, also eine Zunahme unterschiedlicher partikularer Interessen in Wirtschaft und Gesellschaft, sind neben den »klassischen« Verbänden ganz neue Akteure auf die Bühne getreten. Unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen ist die Herausforderung daher anspruchsvoll, geeignete rechtliche Möglichkeiten zu erarbeiten, die lobbyistische Einflüsse sinnvoll kanalisieren können. Den Schwerpunkt dieses Hauptteils der Arbeit bildet daher die Auseinandersetzung mit verschiedenen öffentlich-rechtlichen Regelungen und Maßnahmen, die hierzu Lösungen darstellen können. Ergänzend wird darüber hinaus in einem eigenen Abschnitt eine Modifizierung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung gem. § 108 e StGB diskutiert.
I.
Erweiterung von Rechtsvorschriften – Öffentliches Recht
Unabhängig von der teils deutlichen Kritik und der Unterstellung einer ausgeprägten »Unterwanderung« der parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesse durch Interessenvertreter683, bestehen bereits (öffentlich-) rechtliche Regelungen zum Umgang mit Interessenvertretern. Diese Regelungen haben zum Ziel, das Einwirken organisierter Interessen auf die Willensbildung von Parlament, Regierung und Verwaltung in Teilbereichen der Bundesgesetzgebung rechtlich zu steuern. Nachfolgend werden sie, bevor 683 Vgl. exemplarisch nur Leif/ Speth, Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland; C. Hohmann-Dennhardt, Hausverbot für Lobbyisten?, Forschungsjournal NSB Jg. 22, 1/ 2009, S. 16, 27 f.
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Reformvorschläge
auf mögliche Erweiterungen eingegangen wird, (nochmals) zusammengefasst vorangestellt: Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) enthält neben einer Verpflichtung zur Beteiligung der Länder und der kommunalen Spitzenverbände bei der Vorbereitung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen in den §§ 44 Abs. 4 und 47 Abs. 3 differenzierte Regelungen für die Beteiligung von Verbänden und Fachkreisen im Bereich der Exekutive. So sind in Kabinettvorlagen gem. §§ 22 Abs. 1 Nr. 4 und 51 Nr. 4 GGO Ergebnisse einer Verbandsbeteiligung, insbesondere die Darstellung wesentlicher Anregungen der Verbände, denen nicht entsprochen werden soll, anzugeben. Über die Regelung des § 47 Abs. 3 GGO hinaus hat der Gesetzgeber die Beteiligung betroffener Interessengruppen bei der Erarbeitung allgemeiner Regelungen vorgeschrieben.684 So kommen neben der Beteiligung von Gewerkschaften bei der Erarbeitung beamtenrechtlicher Regelungen insbesondere im Umweltrecht Vorschriften zur Geltung, welche die Anhörung »der beteiligten Kreise« vor dem Erlass von Rechtsverordnungen vorschreiben.685 Schließlich gibt es die Möglichkeit der Beteiligung »Externer« durch die Einrichtung von Beiräten bei Bundesoberbehörden, Kommissionen bei Ministerien686, runder Tische bei der Bundesregierung und anderer Gremien wie etwa die »konzertierte Aktion«687. Einige Gesetze sehen außerdem eine Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden mit Organisationen aus dem gesellschaftlichen Bereich vor.688 Außerdem sind Rechtsbehelfe in Form von Verbands- bzw. Vereinsklagen vorgesehen.689 Auf Seiten der Legislative verlangt die Geschäftsordnung des Deutschen 684 So beispielsweise § 11 BBG i. d. F. v. 5. 2. 2008 (BGBl I S. 160), vorm. § 94 BBG, sowie die dazu erlassene allg. Verwaltungsvorschrift v. 28. 8. 1996 GMBl 1996 S. 677. 685 So beispielsweise §§ 8 Abs. 2 und 20 Bundes-Bodenschutzgesetz vom 17. 03. 1998 BGBl I S. 502. Nach dieser Regelung sind u. a. neben Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der Wirtschaft, Landwirtschaft, Forstwirtschaft die Natur- und Umweltschutzverbände, die Vertreter des archäologischen Denkmalschutzes und die kommunalen Spitzenverbände zu hören. 686 Vgl. z. B. die Kommission für Anlagensicherheit nach § 51a Bundes-Immissionsschutzgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. 9. 2002 (BGBl. I S. 3830), in die neben Vertretern der zuständigen Behörden insbesondere Vertreter der Wissenschaft, der Umweltverbände, der Gewerkschaften, der Berufsgenossenschaften und der beteiligten Wirtschaft zu berufen sind. 687 Gem. § 3 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. 6. 1967, BGBl I S. 582. 688 Vgl. etwa § 17 Abs. 3 SGB I, der die Leistungsträger verpflichtet, mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen und Organisationen zusammenzuarbeiten. 689 Vgl. § 61 Bundesnaturschutzgesetz v. 25. 3. 2002 (BGBl I S. 1193), der vom BMU oder den Ländern anerkannten Vereinen, welche die Voraussetzungen des § 59 BNatSchG erfüllen, Rechtsbehelfe nach der VwGO ermöglicht. Darunter fallen beispielsweise die großen Umweltverbände.
Erweiterung von Rechtsvorschriften – Öffentliches Recht
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Bundestages in § 70 Abs. 1 öffentliche Anhörungen von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen, die vom Ausschuss in einem Bericht an den Bundestag in wesentlichen Punkten wiederzugeben sind, § 66 Abs. 2 GOBT. Anlage 2 der GOBT sieht lediglich für Verbände und deren Vertreter eine freiwillige Registrierung beim Bundestagspräsidenten vor. Andere Institutionen und Einzelpersonen, die ebenso als Interessenvertreter im parlamentarischen Raum agieren, werden damit nicht erfasst. Die Regelung bezieht sich zudem nur auf die formalisierte Anhörung in Ausschusssitzungen, Zwangsmaßnahmen sind gar nicht vorgesehen, lediglich eine »Vorenthaltung von Vorteilen« in Bezug auf die Anhörung und das Ausstellen eines Hausausweises. Die angeforderten Informationen, die der Verband preiszugeben hat, sind unter Transparenzgesichtspunkten nicht sonderlich aussagekräftig. Insgesamt können die bestehenden Regelungen der Anlage 2 der GOBT daher eher in die Kategorie »symbolischer Natur« eingeordnet werden.
1.
Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters
Im Zentrum der Forderungen nach mehr Transparenz von Lobbyistentätigkeiten gegenüber dem Deutschen Bundestag steht – insbesondere im Hinblick auf die dargelegten »Unzulänglichkeiten« der bestehenden Verbändeliste beim Bundestagspräsidenten – seit Längerem die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters. Neben zahlreichen Stellungnahmen von Nichtregierungsorganisationen wie LobbyControl e.V.690 und Transparency International e.V.691 hat es auch in jüngerer Zeit wieder Anträge verschiedener Bundestagsfraktionen692 gegeben, ein solches Register einzuführen. Auch in einigen Bundesländern gab es in jüngster Zeit Bestrebungen, verbindliche Lobbyregister in den Landesparlamenten einzuführen.693 Die Anträge und Stellungnahmen stimmen in we690 Vgl. nur die Stellungnahme von LobbyControl e.V. zur öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 15. 6. 2009 zum Thema »Transparenz«, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 E. 691 Vgl. nur die Stellungnahme von Transparency International Deutschland e.V. zur öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 9. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 A. 692 Vgl. den Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 9. 6. 2010 »Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters« BT-Drucks. 17/2096, den Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN vom 7. 7. 2010 »Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen«, BT-Drucks. 17/2486 sowie den Antrag der Fraktion der SPD vom 5. 7. 2011 »Interessenvertretung sinnvoll regeln – Lobbyismus transparent machen«, BTDrucks. 17/6442. 693 H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (195), der als Beispiel das Land Brandenburg anführt, in dem es bereits zu einer Entschließung des Landtages mit der Überschrift »Transparenz bei Lobbyarbeit – Ein öffentlich einsehbares Lobbyregister für
142
Reformvorschläge
sentlichen Punkten überein bzw. zahlreiche Forderungen tauchen in unterschiedlichem Zusammenhang wiederholt auf. Im Folgenden soll daher zunächst eine Untersuchung und Bewertung dieser rechtlich relevanten Kernforderungen erfolgen. Im Anschluss daran wird dann der Versuch der Erarbeitung eigener Vorschläge vor dem Hintergrund der bereits erläuterten früheren Regelungsversuche und Vergleichsvorschriften unternommen. In Teilen binden die Fraktionsanträge auch Regelungen für den Umgang der Bundesregierung bzw. der Bundesministerien mit Interessenvertretern ein. Aufgrund des eingegrenzten Forschungsgegenstandes wird auf diese Fragen nur vereinzelt eingegangen, um den Fokus auf Regelungen zu Einflussnahmen auf parlamentarische Willensbildungsprozesse herauszustellen. a)
Gesetzgebungskompetenz
Wird die Absicht verfolgt, Interessenvertretung, die auf Bundesebene gegenüber dem Deutschen Bundestag und den Bundesministerien ausgeübt wird, rechtlich zu regulieren, ist fraglich, ob dies überhaupt anhand einer Regelung oder Änderung innerhalb der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erreicht werden kann oder aber in Form eines formellen Gesetzes erfolgen sollte. Hierzu ist festzustellen, dass die Geschäftsordnung des Bundestages schon nicht ein »selbstständiges« Organ wie die Bundesregierung zu einem Verhalten verpflichten kann – was gleichwohl regelungstechnisch und von der Zielrichtung der Regelung her zweckmäßig wäre, um den Einfluss von Interessenvertretern auf Bundesebene einheitlich zu regeln. Lediglich in dem Falle, dass sich die Bundesregierung, z. B. in Ausübung des ihr zustehenden Rederechts, in das Parlament »begibt«, fällt auch diese in den Geltungsbereich einer Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.694 Folglich kann der Registrierungspflicht bzw. dem Sanktionscharakter eines solchen Registers, das es gegenüber (parlamentsexternen) Dritten einnehmen würde, nur durch gesetzliche Regelung zur Geltung verholfen werden. Durch die in Rede stehenden Maßnahmen wird die Berufsausübung von Interessenvertretern geregelt, was gemäß dem Schrankenvorbehalt695 des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen kann. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung ist fraglich, ob der Deutsche Bundestag für eine Regelung in Form eines formellen Gesetzes Brandenburg!« gekommen sei, vgl. die Drucksache des Landtages des Landes Brandenburg 5/2983-B. 694 Vgl. H. Meyer, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 C, S. 5. 695 Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem »Apotheken-Urteil« von einem »einheitlichen Grundrecht« der Berufsfreiheit aus, die einem Regelungsvorbehalt unterliege, vgl. BVerfGE 7, 377 (402).
Erweiterung von Rechtsvorschriften – Öffentliches Recht
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zuständig ist. Der Gesetzgeber würde innerhalb des Regierungsorganisationsrechts eine Regelung in Bezug auf Vorarbeiten zu Gesetzentwürfen treffen und damit auch Verfahren der exekutiven Staatsgewalt regeln. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: »Selbst eine gewisse Gewichtsverlagerung auf Kosten der Exekutive zugunsten des Parlaments ist in der parlamentarischen Demokratie unbedenklich. Erst wenn zugunsten des Parlaments ein Einbruch in den Kernbereich der Exekutive erfolgt, ist das Gewaltenteilungsprinzip verletzt«.696
Ein »Einbruch in den Kernbereich« der Exekutive ist mit dem behandelten Regelungsgehalt wohl nicht festzustellen. Gerade wenn es um Regierungsorganisationsrecht geht, das der Gesetzgeber hier regeln würde, erscheint es geradezu sinnvoll, wenn für Bundestag und Bundesregierung die gleichen Regeln gelten. Dabei ist der Gesetzgeber auch nicht gehalten, nur Randbereiche des Regierungsorganisationsrechts zu regeln.697 Einer gesonderten Betrachtung unterliegt dabei selbstverständlich die inhaltliche Ausgestaltung eines solchen Gesetzes.698 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelungsmaterie ist »aus der Natur der Sache« heraus begründbar. Nach einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts fallen unter diese ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz Sachgebiete, die »ihrer Natur nach eine eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheit des Bundes darstellen, vom Bund und nur von ihm geregelt werden können.«699Als Beispiele für eine solche Angelegenheit des Bundes, die nur durch ihn und von ihm geregelt werden kann, werden die mögliche gesetzliche Regelung der Einrichtung von Bundesministerien und die Festlegung ihrer Zuständigkeiten700 oder das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre genannt.701 Ipsen argumentiert in diesem Zusammenhang, dass wenn schon für jede behördliche Zuständigkeit eine gesetzliche Regelung zu fordern sei, man kaum annehmen könne, dass die Zahl der Bundesministerien und die Festlegung ihrer Geschäftsbereiche sich dem gesetzgeberischen Zugriff entzögen.702 So kann kein Zweifel bestehen, dass auch die gesetzliche Regelung eines Lobbyistenregisters, die den Umgang von Bundestag und Bundesregierung mit 696 BVerfGE 9, 268 (279 f.). 697 H. Meyer, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss ADrucks. 16(4)631 C, S. 5. 698 J. Ipsen, Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht), Rn. 599. 699 So BVerfGE 26, 246 (257). 700 J. Ipsen, Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht), Rn. 599; H. Meyer, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 C, S. 5. 701 Vgl. H. Meyer, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 C, S. 4 ff. 702 So J. Ipsen, Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht), ebenda.
144
Reformvorschläge
Dritten in Bezug auf die Vorarbeiten zu Gesetzentwürfen regelt, eine der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheit des Bundes ist.703 Es ist nicht ersichtlich, wie ein solches Register, das für die benannten Bundesorgane maßgeblich sein soll, anders als vom Bund und nur von ihm geregelt werden könnte. Es würde sich als überaus sinnvoll erweisen, wenn im Hinblick auf ein verpflichtendes Lobbyistenregister gleiche Regelungen für Bundestag und Bundesregierung gölten.704 Ein gesetzliches Lobbyistenregister würde schließlich nur einen (untergeordneten) Teil- bzw. Randbereich des Verfahrens bzw. der Vorarbeit von Gesetzentwürfen regeln.705 Da es sich bei einer Regelung um eine innere Angelegenheit des Bundes handelt, bestehen hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 30 und 70 GG keine Bedenken. Das Regelungserfordernis ergibt sich, wie dargelegt, aus der Natur der Sache.706 Eine Kompetenz des Bundestages zur Einführung eines gesetzlichen Lobbyistenregisters ist damit gegeben. Darüber hinaus erscheint ein Gesetz, das auch die Bundesregierung bzw. die beteiligten Bundesministerien mit erfasst, aus systematischen Gründen und Effizienzerwägungen sinnvoll. b)
Materiellrechtliche Ausgestaltung
i. Definition des relevanten Personenkreises Um lobbyistische Tätigkeiten effektiv zu erfassen, bedarf es einer juristisch klaren Definierung derjenigen Personen und Organisationen, die gegenüber dem Deutschen Bundestag (und ggfs. der Bundesregierung) Interessen vertreten, und welche Aktivitäten derselben es zu regulieren gilt. Die Darlegungen in dieser Arbeit haben gezeigt, dass eine Beschränkung auf Verbände, wie sie bislang in Anlage 2 der GOBTerfolgt, die tatsächliche Situation von Interessenvertretung am Deutschen Bundestag nicht erfasst. Es wäre daher konsequent, auch selbstständige Lobbyisten, Lobbyunternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, Stiftungen, sogenannte Think Tanks und Public-AffairsAgenturen sowie möglicherweise auch Rechtsanwälte bzw. Rechtsanwaltskanz703 Sodan begründet die Zuständigkeit dagegen mit der ungeschriebenen Annexkompetenz, die sich aus den Zuständigkeiten des Bundes für die Bundesorgane ergebe, H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (197), m. w. N. 704 So auch H. Meyer, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 C, S. 4 ff.; J. Hahlen, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 F, S. 5 ff. 705 So auch T. Hoppe in WD 3 – 3000 – 408/08 S. 4. 706 So auch T. Hoppe in WD 3 – 3000 – 408/08 S. 5 sowie H. Meyer, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 C, S. 5.
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leien zu einer Registrierung zu verpflichten bzw. das Register auf diese zu erweitern, soweit sie als Interessenvertreter beim Deutschen Bundestag tätig werden. Es ist zu überlegen, die Definition des Lobbyisten weit zu fassen, um tatsächlich »flächendeckend« die vielschichtige »Landschaft« der Interessenvertreter »greifbar« zu machen. Auf der anderen Seite ist im Hinblick auf den besonderen Status und die Arbeitsweise des Mandatsträgers zu berücksichtigen, dass eine Regelung den legitimen Anspruch nach Transparenz parlamentarischer Entscheidungsprozesse nicht überkompensiert. Private politische Gespräche, die Beantwortung von Bürgeranfragen und Gespräche im Wahlkreis, Interviews oder Konversationen mit Geistlichen müssen möglich bleiben, ohne einer obligatorischen Registrierungspflicht zu unterfallen. Gerade dieser mandatsimmanente und für die Meinungsbildung des Parlamentariers grundlegende Kernbereich sollte gewährleistet bleiben. Verpflichtend darüber im Einzelnen öffentlich Bericht erstatten zu müssen, würde auch das Vertrauen der Wähler in die Politik geradezu konterkarieren. Mindestanforderung einer Registrierungspflicht sollte daher ein gewisser Organisationsgrad und/oder eine gewisse gesellschaftsrechtliche Verfasstheit der betroffenen Institution oder Einzelperson sein, die versucht, Einfluss auf die staatliche Willensbildung zu nehmen. ii. Definition rechtlich relevanter Tätigkeiten Betroffene Gremien von Einflussnahmen sind im Deutschen Bundestag die Ausschüsse, Fraktionen und das Plenum. Wenn auch die Ministerialverwaltung als beteiligte Instanz eines Gesetzgebungsprozesses erfasst werden soll, sollte das Objekt der Einflussnahme allgemeiner umschrieben werden. Prozesse der Legislative, wie auch deren Vorbereitung durch Organe der Exekutive (Bundesbehörden), würden damit gleichermaßen einbezogen. Eine umfassende und detaillierte gesetzliche Umschreibung aller Tätigkeiten, die Interessenvertreter gegenüber den Gremien möglicherweise ausüben (könnten), erscheint nicht praktikabel. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Sinn und Zweck einer Registrierungspflicht zunächst nur ist, eine formale Ordnung der Zutrittsberechtigten zu den politischen Gremien zu schaffen, sollte die Beschreibung von »Interessenvertretung« weit und allgemein gehalten ausfallen: Einflussnahme auf politische Entscheidungen, egal, ob aus egoistischen oder aus altruistischen Motiven. Hoppe schlägt für eine künftige Regelung folgende sinnvolle Definition vor : »Lobbyismus ist jede gezielte Einflussnahme auf öffentliche Stellen, die außerhalb eines förmlichen Verfahrens, öffentlichen Amtes, Mandats der Auftragsverhältnisses und ohne Leistung eines Rechtsdienstes für einen Dritten ausgeübt wird, damit die Inter-
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Reformvorschläge
essen des Dritten bei Entscheidungen der Rechtsetzung oder Verwaltung möglichst vollständig Niederschlag finden.«707
Kritisch zu betrachten ist die Formulierung »…ohne Leistung eines Rechtsdienstes…«, da die Behandlung beratender Berufe im Hinblick auf lobbyistische Tätigkeiten umstritten ist.708 Darauf ist unter der Frage der Ausgestaltung der geforderten Angaben, die Interessenvertreter zu offenbaren haben, noch differenziert einzugehen. iii.
Verfassungsmäßigkeit einer Registrierungspflicht
(1) Art. 12 GG Fraglich ist, ob der sachliche Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG durch eine Registrierungspflicht überhaupt betroffen ist. Dazu müsste es sich bei der durch die Interessenvertreter bzw. Lobbyisten ausgeübte Tätigkeit um einen Beruf, also eine auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit709, handeln. Es wurde bereits dargelegt, dass die Tätigkeit der Interessenvertreter, die – abstrakt betrachtet – als die gezielte Einflussnahme auf politische Entscheidungen umschrieben werden kann, zahlreiche differenzierte Ausprägungen in »beruflicher« Hinsicht hat. Selbstständigen wie angestellten Interessenvertretern, Public-Affairs-Agenten, Rechtsanwälten, Beratungsunternehmen (und damit auch juristischen Personen des Privatrechts) ist jedoch gemein, dass sie diese Tätigkeit in der Regel auf Dauer und als maßgebliche Tätigkeit zur Erzielung ihres Lebensunterhalts, d. h. professionell ausüben. Dazu bemühen sie sich beispielsweise, als Sachverständige in Ausschussanhörungen und EnqueteKommissionen geladen zu werden, an »Expertengesprächen« der Fraktionen teilzunehmen oder Gutachten in Abgeordnetenbüros, Arbeitsgruppen und Ministerien zu lancieren.710 Sie vereint das Ziel, durch diese Arbeit politische Willensbildung im Sinne ihrer Auftraggeber oder aus eigenen Motiven zu prägen. Die jeweilige Organisationsform, in der die Tätigkeit der Einflussnahme auf die staatliche Willensbildung stattfindet, ist mithin nicht entscheidend für die Feststellung eines Eingriffs. Denn eine Registrierungspflicht schränkt jedenfalls die Arbeitsweise des diversifizierten Berufsbildes des Interessenvertreters bzw. der Interessenvertretungsorganisationen ein: sie können ihre Arbeit, also die 707 T. Hoppe, »Transparenz per Gesetz? Zu einem künftigen Lobbyisten-Register«, ZRP 2009, 39 (40). 708 Vgl. nur A. Geiger, Lobbyisten – des Teufels Advokaten?, EuZW 2003, 385 f. sowie A. Geiger/ P. Santomauro, Lobbying – Anwaltliches Beratungsfeld der Zukunft?, NJW 2003, 2878 f. 709 Vgl. dazu J. Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), Rn. 630 ff., (635) m. w. N. 710 Vgl. zum differenzierten Tätigkeitsbild schon ausführlich S. 42 ff.
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gezielte Einflussnahme gegenüber dem Deutschen Bundestag und den Bundesministerien, jedenfalls solange sie formalisiert bzw. »innerhalb« dieser Organe stattfindet, nur fortführen, wenn sie sich mit den erforderlichen Angaben registriert haben. Informelle Kontakte, die »außerhalb« dieser Institutionen stattfinden711, sind hiervon konsequenterweise nicht betroffen. Die Pflicht zur Registrierung stellt somit als Berufsausübungsregel712 einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Betroffenen aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht daran gehindert, den legitimen Zweck der Offenlegung politischer Entscheidungsprozesse zu verfolgen. Auch über die objektive Geeignetheit, mittels einer Registrierungspflicht zur Transparenz der Einflussnahme Dritter auf die Willensbildung in Parlament und Regierung und so mittelbar zur Wahrung der Integrität und politischen Vertrauenswürdigkeit derselben Organe beizutragen, bestehen keine Zweifel. Die bisherige Registrierungspraxis nach Anlage 2 GOBT und auch der Vergleich mit Regelungen auf der Ebene der Europäischen Union haben gezeigt, dass eine freiwillige Registrierung das angestrebte Ziel möglichst »umfassender« Transparenz nicht zufriedenstellend erreicht. Ein anderer, die Betroffenen weniger belastender Eingriff zur Erreichung des gleichen Zwecks, ist nicht ersichtlich. Eine Registrierungspflicht wäre daher zur Erfassung möglichst aller Interessenvertreter und Interessenvertretungsorganisationen, die gegenüber bzw. innerhalb von Parlament und Regierung tätig werden wollen, auch erforderlich. Schließlich müsste eine Registrierungspflicht im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Bestand haben. Der Anspruch auf Transparenz der Öffentlichkeit müsste in einer Güterabwägung gegenüber der Einschränkung der individuellen Berufsausübung überwiegen. Berufsausübungsregelungen dürfen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts vom Gesetzgeber getroffen werden, wenn sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sind.713 Der Deutsche Bundestag ist wesentliches Legislativorgan des Bundes und nimmt eine zentrale Stelle im verfassungsrechtlichen Gefüge ein. Die Transpa711 Vgl. schon S. 44 ff. 712 Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit sind nach dem grundlegenden »ApothekenUrteil« des Bundesverfassungsgerichts als einheitliches Grundrecht der »Berufsfreiheit« dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG unterstellt, BVerfGE 7, 377 (401 f.); vgl. dazu J. Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), Rn. 634 ff., m. w. N. 713 Vgl. BVerfGE 7, 298 (405); 70, 1 (28). Da das Bundesverfassungsgericht in der nachfolgenden Rechtsprechung selbst nicht streng nach der »Stufentheorie« und damit verbundenen Einwirkungsintensitäten differenziert, vgl. nur BVerfGE 77, 84 (106 ff.), wird der Sache nach letztlich eine Prüfung des Übermaßverbots vorgenommen, vgl. J. Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), Rn. 672 ff., m. w. N.
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Reformvorschläge
renz parlamentarischer Willensbildung ist dabei ein hohes Gut einer repräsentativen Demokratie. Transparente parlamentarische Arbeit ist Grundlage für die Wahlentscheidung des (Volks-)Souveräns, der – zwar befristet, aber immerhin für den Zeitraum einer Legislatur – seine Stimme vertrauensvoll »aus der Hand« gibt und dafür »im Gegenzug« eine möglichst umfassende objektive Berichterstattung bzw. Information über die Arbeit des Mandatierten erwarten kann. Sollten an dieser Arbeit, insbesondere dem Prozess politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung Dritte, außerstaatliche Akteure maßgeblich beteiligt (gewesen) sein, so ist Ausfluss des Transparenzgedankens, dass der Wähler dies erfährt. Darüber hinaus muss der Staat in der Lage sein, selbst darüber zu entscheiden, welche organisierten Interessen Zugang zu seinen Organen erhalten. Er muss die Seriosität der Einflussnahme derselben überprüfen und ihr Gewicht einschätzen können. Sachwidrige Einflussnahmen sollen effektiv verhindert werden. Nicht-organisierte Interessen hat der Staat bzw. seine Organe genauso zu berücksichtigen, was ihm nur gelingt, wenn er sie gleichberechtigt abwägen kann. Die Pflicht zur »bloßen« Registrierung bedeutet für den organisierten Interessenvertreter dagegen nicht, dass er wesentliche Einschnitte in seiner Berufsausübung zu befürchten hat. Im Falle der Einführung einer Registrierungspflicht für Interessenvertreter wären alle Berufskollegen, egal ob körperschaftlich oder selbstständig organisiert, finanziell stark oder schwach ausgestattet, gleichermaßen betroffen. Darüber hinaus ist die Tatsache der Registrierung an sich nicht weiter aussagekräftig, außer dass sie die prinzipielle Tätigkeit des Betroffenen gegenüber Bundestag und Bundesbehörden benennt. Die in Rede stehenden Akteure haben sich bewusst für die Ausübung einer sich im öffentlichen Raum vollziehenden Berufstätigkeit entschieden. Eine Erfassung dieser »lobbyistischen Tätigkeiten« kann gewissermaßen als »Anspruch« der Öffentlichkeit angesehen werden, da sie letztlich auch vom Ergebnis bzw. den Folgen der potenziellen Einflussnahme dieser Akteure direkt oder indirekt in Form von Rechtsnormen betroffen wird. Die Frage, welche Preisgaben im Rahmen einer Registrierung außerdem einhergehen (Offenlegung der Finanzen, Auftraggeber, gesellschaftsrechtliche Verflechtungen), ist an dieser Stelle nicht von Relevanz, sondern vielmehr eine Frage des Inhalts der Registrierung. Zusammengefasst wäre eine Registrierungspflicht als Berufsausübungsregel unter dem überwiegenden Argument des Transparenzinteresses der Öffentlichkeit sowie der Integrität politischer Willensbildung und der daran beteiligten Organe verhältnismäßig. Die individuelle Berufsausübung der Interessenvertreter wäre nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine gesetzliche Regelung wäre mithin aus vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt und damit mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.
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(2) Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Sodan sieht zudem einen Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit, welcher sich aus Registrierungspflichten sowie Sanktionen als Folgen von Verstößen gegen derartige Pflichten ergebe.714 Aus dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit folge »auch ein Zugangsrecht der Koalitionen zu Abgeordneten und Regierungsmitgliedern, sofern sich diese auf entsprechende Kontakte einlassen«.715 Der durch das Bundesverfassungsgericht716 eingeforderte »verfassungsrechtliche Bezug« der geschützten Betätigungsfreiheit bestehe jedenfalls dann, wenn eine Koalition versuche, »in einem Gesetzgebungsverfahren auf dem Gebiet des Arbeitsrechts – etwa in einem Verfahren zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes oder Tarifvertragsgesetzes – Einfluss gegenüber Parlament und Regierung zu nehmen«.717 Der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte freie Zugang von Koalitionen zum Parlament bzw. zur Regierung wäre nach dieser Ansicht unmittelbar und mit staatlicher Zielrichtung beeinträchtigt.718 Allerdings dürfte im Hinblick auf die verfassungsimmanenten Schranken des Grundrechts auch die Einschränkung der Koalitionsfreiheit durch eine »bloße Registrierpflicht« gerechtfertigt sein. Im Lichte des Demokratieprinzips und des damit einhergehenden Transparenzinteresses der Öffentlichkeit, ist im Wege der praktischen Konkordanz eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit hinzunehmen. Ein »Zugangsrecht der Koalitionen«, wie es Sodan berechtigterweise konstatiert, wird durch eine Registrierpflicht nicht unmöglich gemacht. Anders ist die Bewertung hinsichtlich weiterer Offenbarungspflichten (also der inhaltlichen Ausgestaltung) und hinsichtlich von Sanktionen zu treffen. (3) Sonstige möglicherweise betroffene Verfassungsgüter Durch eine Registrierpflicht könnte möglicherweise eine unzulässige Beschränkung des Grundsatzes des freien Mandats des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 GG vorliegen. Wie bereits dargelegt, ist der Austausch mit (Einzel-)Personen und deren politischen Meinungen, auch im Hinblick auf die Wahlkreisarbeit, für die Abgeordnetentätigkeit wesensimmanent. Eine Registrierungspflicht all derer, die in Einzelgesprächen mit dem Abgeordneten in Kontakt treten, wäre nicht zweckdienlich. Sind wichtige Verfassungsgüter wie die Transparenz und Integrität demokratischer Willensbildung (hier : des Bundes-
714 715 716 717 718
H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (199 ff.). H. Sodan, ebenda. BVerfGK 10, 250 (256). H. Sodan, a.a.O., S. 200, m. w. N. H. Sodan, ebenda.
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Reformvorschläge
tages) betroffen, so kann auch Art. 38 Abs. 1 GG prinzipiell Einschränkungen unterworfen werden.719 Eine Registrierungspflicht für organisierte Interessenvertreter verstößt jedoch offensichtlich nicht gegen Art. 38 Abs. 1 GG: Es bleibt dem Mandatsträger unbenommen, seiner Tätigkeit ohne Einschränkungen nachzugehen, da die bloße Registrierung von organisierten Interessenvertretern keine weitere Aussagekraft bezüglich der Mandatsarbeit des Einzelnen trifft. Inhalt und Personen, mit denen der Abgeordnete außerhalb von Ausschuss, Fraktion und Plenum in Kontakt tritt, sollten von einem Register ohnehin nicht erfasst werden. Als Teil der Vertretung des Volkes gem. Art. 41 Abs. 1 Satz 2 GG muss sich der Abgeordnete in eigener Verantwortung die Grundlagen seiner Entscheidungen selbst und frei beschaffen können. Eine unzulässige Beeinträchtigung ungehinderter Kommunikation bzw. dem Vertrauensverhältnis zwischen Abgeordneten und Bürgern, vgl. Art. 47 Satz 1 GG als Ausprägung des Art. 38 Abs. 1 GG, entsteht durch die »bloße« Registrierungspflicht für Interessenvertreter somit nicht. iv. Inhaltliche Ausgestaltung der Registerinformationen Es stellt sich daher die Frage, welche zusätzlichen Angaben mit einer Registrierung einhergehen sollten, um den Anspruch nach größtmöglicher Transparenz auf der einen Seite und das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Personen auf der anderen Seite in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. Bisherige Fraktionsanträge720 und Vorschläge aus dem Schrifttum721 verlangen, neben der Identifikation des oder der als Interessenvertreter auftretenden Personen insbesondere die (gesellschaftsrechtlich) hinter ihnen stehenden Unternehmen, Verbände, Organisationen oder andere Auftraggeber sowie den finanziellen Hintergrund (Gesamtbudget, finanzielle Aufwendungen der jeweiligen Lobbyarbeit) umfassend offenzulegen. Dass dies eine Reihe rechtlicher Fragestellungen aufwirft, liegt auf der Hand. Durch eine verpflichtende Regelung, neben Angaben über die Person bzw. den Firmennamen auch betriebs- und berufsbezogene Daten zu gesellschaftsrechtlichen und organisatorischen Verflechtungen sowie zur Vermögenssituation zu machen, wäre insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Recht auf in719 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 218 f. 720 Vgl. beispielhaft den Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 9. 6. 2010 »Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters« BT-Drucks. 17/2096, sowie den Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN vom 7. 7. 2010 »Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen«, BT-Drucks. 17/2486. 721 Vgl. beispielhaft M. Redelfs, Mehr Transparenz gegen die Macht der Lobbyisten, in: Leif/ Speth (Hrsg.), Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland, S. 333 f.
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formationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen.722 Das Gericht führt weiter dazu aus, dass dieses Recht nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf.723 Eine verpflichtende Registerregelung müsste daher vor diesen Anforderungen Bestand haben. Eine Erhebung und Veröffentlichung betriebs- und berufsbezogener Daten ist in Bereichen des bürgerlichen Rechts seit Langem üblich.724 So sind bestimmte Unternehmensformen (solange nicht wenigstens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist725) nach den §§ 325 ff. HGB dazu verpflichtet, über Finanzlage, Beteiligungen und Geschäftsfelder Auskunft zu erteilen. Dadurch sollen zum einen der Funktionsschutz des Marktes, zum anderen aber auch der Individualschutz der Marktteilnehmer selbst gewährleistet werden.726 Gem. § 161 AktG müssen sich börsennotierte Aktiengesellschaften zum Kodex guter Unternehmensführung (»Corporate Governance Kodex«) öffentlich bekennen und jährlich eine Erklärung abgeben, inwieweit sie diesen Kodex befolgen. Parteien sind gem. §§ 23 f. ParteienG generell zur Offenlegung ihrer Finanzen verpflichtet. Das öffentlich einsehbare Handelsregister gibt zudem über eingetragene Einzelkaufleute Auskunft. Im Unterschied zu einer verpflichtenden Registerregelung findet sich bezüglich der Rechenschaftspflicht von Parteien eine eindeutige verfassungsrechtliche Begründung: Gem. Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG ist Parteien ausdrücklich die Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel auferlegt. Eine vergleichbare öffentliche Rechenschaftspflicht auch etwa aus den Art. 9 Abs. 1 GG für Vereinigungen oder aus Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 12 GG für Unternehmen verfassungsrechtlich herzuleiten, liegt dagegen nicht ohne Weiteres nahe. In letzterer Hinsicht finden sich auch innerhalb des Handels- und Gesellschaftsrechts berechtigte kritische Stimmen, soweit aus öffentlich einsehbaren Registern Rückschlüsse auf die Vermögenssituation der Gesellschafter, auf die Kundenstruktur oder die Preisbildung eines Unternehmens gezogen werden können.727 Im Hinblick auf das auf eine EG-Richtlinie728 722 723 724 725 726 727
Vgl. BVerfGE 65, 1. BVerfGE 65, 1 (44). T. Hoppe, in WD 3 – 3000 – 408/08 S. 10 f. Merkt in Baumbach/Hopt (Hrsg.) HGB, § 325, Rn. 1. Merkt ebenda. Vgl. T. Hoppe, a.a.O., S. 10 f. mit Verweis auf C. Starck, Bilanzpublizität und Datenschutz, DStR 2008, 2035, 2036. 728 Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15. 7. 2003 zur Änderung der Richtlinie 68/151/EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsform.
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Reformvorschläge
zurückgehende »Gesetz über elektronische Handelsregister« lässt sich mit guten Gründen eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung vertreten. Wenn etwa Rückschlüsse auf die persönliche Vermögenssituation der Gesellschafter möglich seien, weil sie nur einen oder sehr wenige Gesellschafter haben oder in Personenhandelsgesellschaften nicht mindestens eine natürliche Person unbeschränkt haftet und aus deren Bilanz somit Gewinn und Vermögen einzelnen Personen zahlenmäßig zugeordnet werden können, sei dies verfassungswidrig.729 Daraus ergeben sich für die unterschiedlichen Akteure im Bereich der Interessenpolitik im Hinblick auf ein Register folgende Probleme730 : - Reine Mitgliederverbände können nicht mit Unternehmen, die in freiem Wettbewerb am Markt konkurrieren, gleichgesetzt werden. Sie vertreten vielmehr in erster Linie die Interessen ihrer Mitglieder und müssen keinen Kundenstamm binden bzw. halten. Betriebsinterna, wie Kundenstamm und Preisbildung sind hier weniger relevant. Durch eine Offenlegung ihrer Vermögenssituation und ihrer Mitglieder(-Struktur) in einem öffentlichen Register wären Mitgliederverbände daher nur wenig beeinträchtigt. Anders stellt sich die Situation im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG für Koalitionen dar. Die Offenlegung der finanziellen Grundlagen würde jedenfalls eine mittelbare Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit begründen.731 Sodan gibt zu Recht zu bedenken, dass »verpflichtende Angaben etwa zum Gesamtbudget oder den Hauptfinanzierungsquellen einer Organisation in einem öffentlich zugänglichen Register […] deren Verhandlungsposition als Tarifpartei« schwächen könnte. So könne etwa ein Arbeitgeberverband einen Eindruck von der Ausstattung der »Streikkasse« einer Gewerkschaft gewinnen.732 Vor diesem Hintergrund würden über eine Registrierpflicht hinausgehende Offenbarungspflichten erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Koalitionen dürften jedenfalls nicht in ein verbindliches Register einbezogen werden, das die Offenlegung etwa ihrer finanziellen Grundlagen ebenfalls verpflichtend vorschreiben würde. - Freiberuflich tätige Interessenvertreter, die auf Honorarbasis im Auftrag Dritter Interessen vertreten, agieren wie freie Unternehmer am Markt und stehen in Wettbewerb mit Berufskollegen. Eine verpflichtende Offenlegung ihrer Mandanten bzw. ihres Kundenstamms würde in erheblichem Maße in wichtige Bereiche ihres Geschäftsgeheimnisses eingreifen. Einige freiberuflich tätige Interessenvertreter arbeiten häufig über einen längeren Zeitraum 729 730 731 732
Vgl. C. Starck, Bilanzpublizität und Datenschutz, DStR 2008, 2035, 2038. Basierend auf der Ausarbeitung von T. Hoppe, in WD 3 – 3000 – 408/08 S. 11 ff. H. Sodan, Lobbyregister als Verfassungsproblem, LKV 2012, 193 (200). H. Sodan, ebenda.
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nur für eine geringe Zahl von Auftraggebern. Folglich müsste das gesamte vereinbarte Honorar offengelegt werden, was wohl kaum zu rechtfertigen wäre. - Unternehmen, die eigene »Lobbyabteilungen« mit Repräsentanzen in Berlin betreiben, wären unter Umständen zu einer umfangreichen oder gänzlichen Angabe wesentlicher Unternehmenszahlen, Gesellschafter und Kundenstämme verpflichtet. Auch aus dieser Sicht ergeben sich erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit einer umfangreichen Angabepflicht. - Kirchen und Religionsgemeinschaften werden ebenso als Interessenvertreter gegenüber politischer Willensbildung aktiv. Werden sie in diesem Rahmen tätig, sind sie auch ohne Weiteres zu behandeln wie die erstgenannten Lobbygruppen. Grundrechtliche Konflikte können entstehen, soweit der Vertreter der Religionsgemeinschaft im Rahmen der Religionsausübungsfreiheit tätig wird, die in den Schutzbereich des Art. 4 GG fällt.733 Im Falle bestimmter Äußerungen könne dies nach Hoppe beispielsweise der Fall sein, »wenn der Vertreter der Religionsgemeinschaft bei einer religiösen Staatsfeier oder während einer Feier im Andachtsraum des Deutschen Bundestages«734 spricht. Hier eine Abgrenzung zu »rein politisch relevanten« Äußerungen735 vorzunehmen, erscheint in den Augen des Verfassers allerdings zweifelhaft. Übertragen auf die hier in Rede stehenden Angaben über Auftraggeber und finanziellen Hintergrund müsste nach Hoppe »nur« die entgeltliche Interessenvertretung registrierungspflichtig sein, zur Not daher eine (einschränkende) verfassungskonforme Auslegung erfolgen.736 In den Augen des Verfassers erscheint dies nicht praktikabel. Auch dieser Konflikt einer Auslegung ließe sich vermeiden, würde über die berechtigte Registrierungspflicht hinaus die Angabe weiterer Fakten freiwillig sein. - Anwaltskanzleien, die im Auftrag ihrer Mandanten Interessenpolitik gegenüber dem Bundestag und obersten Bundesbehörden betreiben, stellen die Formulierung einer obligatorischen Registrierungsregel vor besondere rechtliche Herausforderungen. Es stellt sich die Frage, ob eine Eintragungspflicht das verfassungsrechtlich besonders geschützte Berufsgeheimnis beratender Berufe unzulässig verletzen würde. Zur verfassungsrechtlichen Garantie der anwaltlichen Verschwiegenheit führt das Bundesverfassungsgericht aus:
733 So Hoppe, a.a.O. 734 T. Hoppe, in WD 3 – 3000 – 408/08 S. 9. 735 Vgl. T. Hoppe, in WD 3 – 3000 – 408/08 S. 9, der eine Auslegung im jeweiligen Fall für realisierbar hält. 736 Vgl. T. Hoppe, a.a.O.
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Reformvorschläge
»Die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung unterliegt unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts […]. Der Schutz der anwaltlichen Berufsausübung vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung liegt dabei nicht allein im individuellen Interesse des einzelnen Rechtsanwalts oder des einzelnen Rechtssuchenden. Der Rechtsanwalt ist ›Organ der Rechtspflege‹ (vgl. §§ 1 und 3 BRAO) und dazu berufen, die Interessen seines Mandanten zu vertreten […]. Sein berufliches Tätigwerden liegt im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege […]. Unter der Geltung des Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes müssen dem Bürger schon aus Gründen der Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Seite stehen, denen er vertrauen und von denen er erwarten kann, dass sie seine Interessen unabhängig, frei und uneigennützig wahrnehmen […]. Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Integrität und Zuverlässigkeit des einzelnen Berufsangehörigen […] sowie das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit […] sind die Grundbedingungen dafür, dass dieses Vertrauen entstehen kann. Die Verschwiegenheitspflicht rechnet daher von jeher zu den anwaltlichen Grundpflichten […]. Als unverzichtbare Bedingung der anwaltlichen Berufsausübung hat sie teil am Schutz des Art. 12 GG.«737
Nach einer Auffassung738 stützt sich diese vom Bundesverfassungsgericht ausgeführte verfassungsrechtliche Garantie der anwaltlichen Verschwiegenheit nur auf die Tätigkeiten des Rechtsanwalts für die Rechtspflege. Diese Meinung geht davon aus, dass eine »rein gewerbliche Tätigkeit« eines Rechtsanwalts klar von einem Aufgabenfeld im Rahmen der Rechtspflege zu unterscheiden sei. Bei Tätigkeiten, die im Rahmen von Interessenvertretung gegenüber politischen Institutionen wahrgenommen werden, könne man demzufolge differenzieren zwischen der Schutzwirkung der Verschwiegenheitspflicht für den Mandanten einerseits, der – würde er höchstselbst als Lobbyist agieren – nicht schutzwürdig sei, und der Schutzwirkung einer Beratungstätigkeit in derselben Situation andererseits, die nun der Rechtsanwalt für seinen Mandanten ausübe.739 Andere Auffassungen tendieren dazu, das differenzierte Aufgabenfeld des Rechtsanwalts als Ganzes zu betrachten, da eine Unterscheidung je nach »Mandatsinhalt« schlicht nicht möglich sei.740 Diese Auffassung erscheint überzeugend. Es ist im Einzelfall nicht praktikabel bzw. umsetzbar, zwischen rein wirtschaftlichen (»lobbyistischen«) und rein rechtlichen Interessen des 737 BVerfGE 110, 226, 252; s. auch M. Henssler (Hrsg.), BRAO, §43a Rn. 30 f.; M. Henssler, Das anwaltliche Berufsgeheimnis, NJW 1994, 1817, 1818. 738 T. Hoppe, »Transparenz per Gesetz? Zu einem künftigen Lobbyisten-Register«, ZRP 2009, 39 (40). 739 Vgl. dazu H. Meyer, in der Dokumentation des Fachgesprächs der Fraktion BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN: Lobbyismus und Politik, vom 13. 08. 2008, S. 39, 42. 740 A. Geiger, Lobbyisten – des Teufels Advokaten?, EuZW 2003, 385 f. sowie A. Geiger/ P. Santomauro, Lobbying – Anwaltliches Beratungsfeld der Zukunft?, NJW 2003, 2878 f.
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Mandanten zu unterscheiden. So könnte ein Rechtsanwalt z. B. in einem Widerspruchsverfahren letztlich rein wirtschaftliche Interessen seines Mandanten durchzusetzen741 versuchen, ohne aber »offiziell lobbyistisch« zu agieren. Hier eine Abgrenzung vorzunehmen ist praktisch kaum realisierbar. Schließlich überzeugt auch nicht das Argument der ersten Ansicht, für Parteien gelte schon aus der Verfassung heraus (Art. 21 GG), dass diese zu einer umfassenden öffentlichen Rechenschaft verpflichtet seien. In einer Art »erst Recht-Schluss« müsse dies dann auch für ein öffentliches Register für Interessenvertreter (und damit auch für in diesem Bereich tätige Rechtsanwälte) beim Deutschen Bundestag gelten. Eine vergleichbare verfassungsrechtliche Grundlage existiert für politische Willensbildungsprozesse und erst recht für beratende Berufe eben gerade nicht. § 25 ParteienG ist Ausfluss der in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG den Parteien ausdrücklich auferlegten Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel.742 Zwar ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, dass Rechtsanwälte sich nicht auf ihre Verschwiegenheitspflichten berufen können sollen, soweit sie das Ziel verfolgen, staatliche Entscheidungen zu beeinflussen – denn die Verschwiegenheitspflicht besteht nicht für den Beratungsberuf an sich, sondern zum Schutze des Mandanten.743 Aufgrund der regelmäßigen Verschränkung der differenzierten Tätigkeiten, die für Mandanten wahrgenommen werden, ist eine Unterscheidung aber realitätsfern. Eine Auskunftspflicht für Rechtsanwälte, die eine Veröffentlichung ihrer jeweiligen Mandanten bzw. Auftraggeber sowie den finanziellen Hintergrund oder die Auftragshöhe einfordert, ist daher nach Ansicht des Verfassers nicht umsetzbar. Es stellt sich damit in der Gesamtschau der behandelten Berufsgruppen die Frage, ob die Aufnahme der Angaben über Auftraggeber, Gesamtbudget bzw. finanzielle Aufwendungen für einzelne Lobbytätigkeiten überhaupt verpflichtend gestellt werden sollte. Eine Differenzierung nach Tätigkeitsbereich oder die Schaffung von Ausnahmetatbeständen für bestimmte Berufsgruppen, insbesondere Rechtsanwälte, erscheint jedenfalls nicht praktikabel oder würde zumindest einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand744 erfordern, dessen
741 So andeutend T. Hoppe, der an seiner Auffassung auch begründete Zweifel erkennt, WD 3 – 3000 – 095/10, S. 4. 742 So auch J. Hahlen, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 F, S. 6. 743 H. Meyer, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss ADrucks. 16(4)631 C, S. 9. 744 Vgl. H.-J. Schmedes, Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, ZParl, 3/2009, S. 543 – 560 (547 f.), der im Endeffekt eine Offenlegungspflicht bejaht, gleichwohl er auch das Risiko des Entstehens eines »bürokratischen Datenfriedhofs« benennt.
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Reformvorschläge
tatsächlicher Beitrag zu mehr (und »objektiver«) Transparenz fraglich ist.745 Schließlich wäre solch eine faktische bzw. willkürliche »Ungleichbehandlung« der verschiedenen Lobby-Akteure, je nachdem, welchem »Berufsstand« sie angehören und obwohl die »Zielrichtung« und Vorgehensweise ihrer Arbeit möglicherweise dieselbe ist, auch vor dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG angreifbar. Der Angabe eines Budgets, das für »Lobbyaufgaben« aufgewendet wird, fehlen zudem vergleichbare Richtgrößen, da nicht klar abgrenzbar ist, welche Einzelbeträge beispielsweise in einem Konzern darunter fallen. Vielmehr besteht in Ermangelung objektivierbarer Richtgrößen die Gefahr, der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild der Finanzaufwendungen von Interessenvertretung zu vermitteln.746 Ohnehin bedingt die Höhe des »Lobbybudgets« nicht zwangsläufig Effizienz und Effektivität bei der tatsächlichen Interessendurchsetzung. Von einer verpflichtenden Aufnahme der Angaben über Auftraggeber und finanziellen Hintergrund der Interessenvertretung ist daher abzusehen. Zweckmäßiger erscheint dahingegen eine Nennung dieser Angaben auf freiwilliger Basis, beispielsweise im Rahmen eines zu schaffenden Verhaltenskodex’, auf den im Folgenden einzugehen ist. c)
Ergebnis
Die Anlage 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sollte in ihrer jetzigen freiwilligen Ausgestaltung dahingehend modifiziert werden, dass sämtliche organisierten Interessenvertreter gegenüber dem Deutschen Bundestag einer Registrierungspflicht unterliegen. Aufgrund der aufgezeigten Grundrechtseingriffe einer solchen Registrierungspflicht sollte diese Regelung in Form eines formellen Gesetzes umgesetzt werden. Von einer darüber hinausgehenden Verpflichtung über die Angabe weiterer Informationen, insbesondere finanzieller Art, ist aus rechtlichen wie aus rechtspolitischen Gesichtspunkten abzuraten.
745 Vgl. auch U. Battis, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 B, S. 2 unter II. 3., der die Aufnahme von Daten zu den finanziellen Aufwendungen für Lobbyismus in eine Lobbyliste aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen zumindest für nicht vollständig realisierbar hält. 746 Vgl. nur den treffenden Beitrag dazu von N. Theis in der Dokumentation der Podiumsdiskussion in »In der Lobby brennt noch Licht« – Lobbyismus als Schatten-Management in Politik und Medien, nr-Werkstatt Nr. 12 Dezember 2008, S.103, online abrufbar unter http://www.netzwerkrecherche.de/files/nr-werkstatt-12-lobbyismus-als-schatten-management-in-politik-und-medien.pdf S. 185 (194).
Erweiterung von Rechtsvorschriften – Öffentliches Recht
2.
157
Schaffung eines mit der Registrierungspflicht verbundenen Verhaltenskodex’
Das Europäische Parlament hat sich am 11. 05. 2011 neben der Schaffung eines gemeinsamen verpflichtenden »Transparenz-Registers« von Parlament und Kommission dafür ausgesprochen, einen Verhaltenskodex mit Regeln festzulegen, die von Seiten der Interessenvertreter bei den Beziehungen mit EU-Organen und ihren Mitgliedern, Beamten und sonstigen Bediensteten zu befolgen sind.747 Auch für den Umgang von Interessenvertretern gegenüber staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland wird von verschiedener Seite die Einführung eines Verhaltenskodex’ befürwortet.748
a)
Die Vorteile eines Verhaltenskodex’
Merkmal eines (freiwilligen) Verhaltenskodex’ ist insbesondere, dass er Handeln in Bereichen regeln kann bzw. soll, in denen wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen nicht formuliert sind und dies auch nur unzureichend regeln könnten. Ein Verhaltenskodex ist – soweit er nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben ist – in erster Linie eine Selbstverpflichtung und erreicht daher rechtlich-formal betrachtet in der Regel nicht die Verbindlichkeit gesetzlicher oder vertraglicher Bindungen. Faktisch entfalten Kodizes Bindungswirkung zumeist durch die »Prangerwirkung«, die eine Nicht-Befolgung der in ihnen niedergelegten Empfehlungen bzw. »Handlungsanweisungen« zur Folge hätte. Bedeutung für die Privatwirtschaft hat im vergangenen Jahrzehnt der am 26. Februar 2002 durch eine Regierungskommission eingesetzte Corporate Governance Kodex erlangt, der »die in Deutschland geltenden Regeln für Un747 Vgl. O. Philipp, Transparenz-Register für Lobbyisten, EuZW 2011, 452; Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 23. 06. 2011, abrufbar unter : http://europa.eu/rapid/ pressReleasesAction.do?reference=IP/11/773& format=HTML& aged=0& language=DE& guiLanguage=de. 748 Vgl. das gemeinsame Positionspapier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. »Interessenvertretung in Deutschland transparenter gestalten und fair regeln«, S. 3 f.: http://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Politik/Interessenvertretung_transparent_und_fair_final.pdf; C. Humborg, Transparente Interessenvertretung, Forschungsjournal NSB, Jg. 22, 1/ 2009, S. 82 (88 f.); T. Leif, Von der Symbiose zur Systemkrise, APuZ, 19/2010, S. 1 (8 f.), der jedoch zugleich ein Beispiel nennt, wonach die Entwicklung »selbst weicher Regelungen« in einer wichtigen Lobbyisten-Vereinigung bereits auf erheblichen Widerstand gestoßen sei; für die Seite der Interessenvertreter zustimmend: C. Yzer, in »In der Lobby brennt noch Licht« – Lobbyismus als SchattenManagement in Politik und Medien, nr-Werkstatt Nr. 12 Dezember 2008, S. 103 (108) sowie J. Hogrefe ebenda S. 108 (109), (110), (112) und die Dokumentation der Podiumsdiskussion ebenda S. 185 (192, 193), jeweils online abrufbar unter http://www.netzwerkrecherche.de/ files/nr-werkstatt-12-lobbyismus-als-schatten-management-in-politik-und-medien.pdf.
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Reformvorschläge
ternehmensleitung und –überwachung für nationale wie internationale Investoren transparent« machen soll, »um so das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Gesellschaften zu stärken«.749 Im Hinblick auf den vorliegenden Forschungsgegenstand ergibt sich eine Reihe von Vorteilen, die durch eine Kodex-Regelung für Interessenvertreter beim Deutschen Bundestag gegenüber umfangreichen gesetzlichen Regelungen erreicht würde. Es sollte aus rechtlichen wie aus rechtspolitischen bzw. praktischen Gründen darauf verzichtet werden, über die Registrierungspflicht und die bestehenden Auskunftspflichten hinaus die Nennung weiterer Informationen im Register beim Präsidenten des Deutschen Bundestages gesetzlich einzufordern. Dies würde nicht nur für die Bundestagsverwaltung eine Entlastung von einer aufwändigen Registerüberwachung bedeuten, die mit dem bürokratischen Erfassen von im Zweifel wenig aussagekräftigen (vor allem finanziellen) Angaben und deren ständiger Aktualisierung verbunden wäre. Zugleich böte das »Delegieren« solcher (und darüber hinausgehender Verhaltens-) Pflichten von der Gesetzesebene hin auf die Ebene des »soft law« flexiblere spätere Anpassungsmöglichkeiten. Ein Kodex, der entweder zwingend oder freiwillig mit einer »Registerpflicht« in Verbindung stünde, wäre dazu in den Augen des Verfassers das geeignete, die Registerpflicht ergänzende Instrument. Denkbar ist zudem, die Kontrolle bzw. Überwachung des Kodex’ einem Gremium zu überlassen, das sich als »Instanz der Selbstregulierung« verstünde und sich möglicherweise sowohl aus Interessenvertretern als auch aus Mitgliedern des Bundestages bzw. Mitgliedern der Bundestagsverwaltung zusammensetzen könnte.750 Orientierung für die Formulierung eines Verhaltenskodex’, der die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und idealerweise auch gegenüber der Bundesregierung erfassen könnte, bieten bestehende und in dieser Arbeit bereits dargestellte Kodizes.751 Dazu gehören international anerkannte Kodizes wie der Code d’Athenes, der Code of Venice und der Code de Lisbonne sowie die »lobbyeigenen« Richtlinien der Deutschen Public Relations Gesellschaft e.V. (DPRG), der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung e.V.
749 Vgl. die Selbstbeschreibung der »Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex« unter http://www.corporate-governance-code.de/ ; vgl. auch die Kommentierung von A. von Werder in Ringleb u. a. (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex (Kommentar), Rn. 3 ff. 750 Vgl. das gemeinsame Positionspapier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. »Interessenvertretung in Deutschland transparenter gestalten und fair regeln«, S. 6: http://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Politik/Interessenvertretung_transparent_und_fair_final.pdf. 751 Vgl. die Ausführungen im rechtsdarstellenden und rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit, insbes. S. 82 ff.
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(degepol) und ebenso die neuesten Regelungen zu Register und Verhaltenskodex beim Europäischen Parlament und Europäischer Kommission. Entscheidendes Kriterium für die Einführung eines Verhaltenskodex für Interessenvertreter wäre zunächst, dass er alle Vertreter von an Lobbyaktivitäten beteiligten Organisationen, d. h. Unternehmen, Verbände, PR-Agenturen sowie Organisationen der Zivilgesellschaft, aber auch Einzelpersonen erfasst, die professionell752 Interessen gegenüber Bundestag und Bundesregierung vertreten.753 Insbesondere Rechtsanwaltskanzleien, die aufgrund der oben genannten Bedenken754 nur einer begrenzten gesetzlichen Registrierungspflicht unterworfen werden könnten, sollten jedenfalls durch den Verhaltenskodex in die Pflicht genommen werden können. Ziel eines solchen Verhaltenskodex’ sollte sein, eine allgemeine faktische Verbindlichkeit für sämtliche (registrierten) Akteure zu erreichen. Damit verbunden müsste ein verhältnismäßiger, aber effektiver Sanktionsmechanismus bei Nichteinhaltung der Kodex-Regelungen eingreifen. Zu vermeiden wäre ein Sanktionssystem mit überbordendem »Strafcharakter«, da so die Gefahr bestünde, tatsächlich »Schattenmachenschaften« zu befördern. Der hinter den Regelungen stehende Gedanke der »Transparenz aus Eigeninteresse« sollte maßgebendes Leitmotiv sein. Dies durch ein geeignetes Regelwerk aus gesetzlicher Pflicht auf der einen und berufsständischem Ehrenkodex auf der anderen Seite zu befördern, ist aus Sicht des Verfassers eine empfehlenswerte Lösung. Von einem darüber hinausgehenden »Kodex für Abgeordnete« sollte abgesehen werden, da die bestehenden Verhaltensregeln und das Abgeordnetengesetz für die Mitglieder des Bundestages bereits weitreichende Regelungen vorsehen.
b)
Inhaltliche Ausgestaltung eines Verhaltenskodex’
Unter Bezug auf die Ausgestaltung der bereits erwähnten bestehenden Kodizes von Organisationen bzw. anderen politischen Ebenen sollten folgende Regelungen in einem Verhaltenskodex Berücksichtigung finden: i. Respektierung und Beförderung der Grundsätze des nationalen und internationalen Rechts, insbesondere die Grundsätze der Freiheit der Meinungsäußerung, des Rechts auf Information, der Unabhängigkeit der Me752 Zur Abgrenzung des »professionellen« bzw. »organisierten« Interessenvertreters von nichtorganisierten Interessen vgl. schon die Ausführungen u. a. zur Registerpflichtigkeit oben auf S. 141 ff. 753 C. Humborg, Transparente Interessenvertretung, Forschungsjournal NSB, Jg. 22, 1/ 2009, S. 82 (88 f.). 754 Vgl. die Ausführungen dazu auf S. 153 ff.
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ii.
iii.
iv.
v.
vi.
vii.
Reformvorschläge
dien, des Schutzes der Persönlichkeitsrechte und der Freiheit des Abgeordnetenmandats. Wahrhaftigkeit und Transparenz gegenüber allen Gesprächspartnern, d. h. namentliche Vorstellung und Angabe des Namens der Organisation(en), für die der Interessenvertreter tätig ist oder der vertreten wird (gegebenenfalls, welche Klienten oder Mitglieder vertreten werden); keine irreführende Angabe der Interessen, Ziele oder Zwecke, die verfolgt werden. Informationsbeschaffung und das Erwirken von Entscheidungen darf nicht auf unlautere bzw. ungesetzliche Weise oder durch Ausübung unstatthaften Drucks oder sonst unangemessenes Verhalten, insbesondere weder durch direkte oder indirekte finanzielle Anreize, erfolgen. Vertrauliche Informationen und Dokumente, die der Interessenvertreter von einem Bundesorgan bzw. eines seiner Mitglieder oder Angestellten erhalten hat, werden vertraulich behandelt und nur mit ausdrücklicher Zustimmung weitergegeben. Vertraulich werden Informationen ebenso von früheren und aktuellen Auftraggebern bzw. Mandanten gehandhabt; im Fall eines Interessenkonflikts ist auf diesen hinzuweisen bzw. ist dieser zu vermeiden. Achtung auf strikte Trennung zwischen beruflicher Beratungs- und Vertretungstätigkeit einerseits und weiteren politischen Ämtern, Mandaten und Funktionen andererseits. Vermeidung von Handlungen, die den Berufsstand schädigen könnten: Respektvoller Umgang mit Auftraggebern, Kollegen und Gesprächspartnern.
Humborg schlägt darüber hinaus vor, durch Unterzeichnung des Verhaltenskodex’ bestimmte »Spielregeln« zu akzeptieren, die auf Seiten von Politikern und Administration bereits Geltung haben.755 Darunter fielen Karenzzeiten, wonach ehemalige Politiker oder ehemalige Beamte innerhalb eines Zeitraums nicht eingestellt oder nicht als Berater beschäftigt werden dürfen, soweit ein Zusammenhang zwischen der vorher und der neu ausgeübten Tätigkeit besteht. Umgekehrt sei darauf zu verzichten, Mitarbeiter der interessenvertretenden Organisation in Ministerien zu entsenden, wenn dadurch die Integrität und Neutralität der Verwaltung gefährdet wäre.756 Dieser Vorschlag ist zu begrüßen, soweit schon Regelungen beispielsweise nachamtlicher »Karenzzeiten« bestehen. Da bislang keine allgemeine Regelung, insbesondere für ehemalige Minister, Staatssekretäre etc., besteht, würde diese Verhaltensvorschrift nur be755 C. Humborg, Transparente Interessenvertretung, Forschungsjournal NSB, Jg. 22, 1/ 2009, S. 82 (88 f.). 756 C. Humborg, ebenda.
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grenzte Wirkung entfalten können. Gleichwohl wäre die Einführung nachamtlicher Karenzzeiten für (führende) Funktionsträger der Exekutive ein sinnvolles Regelungsinstrument. Von höherer Relevanz wäre dagegen der Vorschlag, sich durch Unterzeichnung des Verhaltenskodex’ freiwillig mit weiteren Informationen in das »Lobbyistenregister« beim Präsidenten des Deutschen Bundestages einzutragen.757 Darunter würden beispielsweise auch finanzielle Angaben zu Gesamtbudget, Auftragshonoraren etc. sowie umfangreichere Angaben zur Gesellschaftsstruktur und Auftraggebern fallen können, die aus den bereits genannten Gründen nicht einer gesetzlichen Registerpflicht unterliegen sollten. Dieser Regelungspunkt könnte in einem Verhaltenskodex Aufnahme finden, mit dem Verweis, diese Angaben freiwillig zu leisten. Damit könnte ein Anreiz geschaffen werden, der in der Öffentlichkeit vorherrschenden Skepsis durch umfangreiche Offenlegungen zu entgegnen. Würden sich zunächst nur wenige Akteure zu dieser Offenlegung verpflichten, könnte dies mit der Zeit einen Multiplikatoreneffekt für berufsständische Kollegen einleiten. Insgesamt bietet ein Verhaltenskodex eine sinnvolle Ergänzung zu einer allgemeinen Registrierungspflicht. Die vorgeschlagenen Regelungspunkte könnten darin die Verhaltensweisen benennen, die zu einer »anerkennenswerten« Tätigkeit als Interessenvertreter gegenüber Bundestag und Bundesregierung gehören. Darüber hinausgehende Angaben, die die Betroffenen freiwillig leisten können, könnten eine hilfreiche Ergänzung sein, um dem Ziel der »Transparenz aus Eigeninteresse« näher zu kommen.
3.
Überwachung und Sanktionsmaßnahmen von Register und Verhaltenskodex
Um die verpflichtende Eintragung in ein Register für organisierte Interessenvertreter gegenüber dem Deutschen Bundestag und den Bundesministerien bzw. Bundesbehörden effektiv zu überwachen, werden verschiedene mögliche Kontrollinstanzen vorgeschlagen. Neben dem Bundestagspräsidenten758, bei dem bislang die Führung der bestehenden Liste der Interessenvertreter angesiedelt ist, könne dies ein aus dem Parlamentarierkreis zu wählender Interessenvertretungsbeauftragter759 bzw. Ombudsmann ähnlich dem Wehrbeauftragten des 757 C. Humborg, ebenda. 758 Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN vom 7. 7. 2010 »Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen«, BT-Drucks. 17/2486. 759 H.-J. Schmedes, Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, ZParl, 3/2009, S. 543 – 560 (556).
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Reformvorschläge
Deutschen Bundestages760, eine neu zu schaffende Institution beim Deutschen Bundestag761 , ein paritätisch besetztes Organ der freiwilligen Selbstkontrolle762 oder die Angliederung an eine bestehende Institution wie den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit763 sein. Aufgrund der »Zwischenstellung«, die eine solche Kontrollinstanz einzunehmen hätte, da sie sowohl gegenüber der Legislative als auch gegenüber der Exekutive agieren würde, sollte diese Institution außerhalb des Deutschen Bundestages angesiedelt sein. Eine Position analog zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages zu schaffen ist verfehlt, da diese Institution in Art. 45b GG eine eigene verfassungsrechtliche Grundlage findet und neben dem reinen Informationsrecht keine Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen sind. Naheliegend ist dagegen die Betrauung des bereits vorhandenen und mit umfangreichen Verwaltungsaufgaben vertraute Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (§§ 22 ff. BDSG). Dies hätte den Vorteil, dass der Beauftragte wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung gegenüber dem Parlament weitgehend unabhängig wäre, d. h. der Bundestag gegenüber dem Beauftragten keine Verwaltungsvorschriften erlassen könnte. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ist gem. § 22 Abs. 4 S. 2 BDSG »in Ausübung [seines] Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen«. Während er der Rechtsaufsicht der Bundesregierung untersteht, liegt die Dienstaufsicht beim Bundesministerium des Innern, vgl. § 22 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 BDSG. Zur Ahndung von Verstößen gegen den Verhaltenskodex erscheint jedoch die Betrauung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz nicht sinnvoll. Da es sich bei einem Kodex gerade nicht um eine »klassische« Rechtsregelung handelt, wie dies bei der gesetzlichen Registrierungspflicht der Fall wäre, sondern vor allem um eine Maßnahme der Selbstregulierung, wäre hierfür eine neu einzurichtende Instanz anzudenken, die ausdrücklich nicht auf rein staatlicher Ebene angesiedelt wäre bzw. staatliche Verwaltungsressourcen in Anspruch nehmen müsste. Vorgeschlagen wird ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle, das in diesem »sensiblen Feld« bereits ein »erprobtes Mittel« sei, wie es beispielsweise die 760 Vgl. T. Leif, Von der Symbiose zur Systemkrise, APuZ, 19/2010, S. 1 (8). 761 Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 9. 6. 2010 »Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters« BT-Drucks. 17/2096. 762 Vgl. das gemeinsame Papier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. »Interessenvertretung in Deutschland transparenter gestalten und fair regeln«: http:// www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Politik/Interessenvertretung_transparent_und_fair_final.pdf. 763 Vgl. die Stellungnahme von LobbyControl e.V. zur öffentlichen Anhörung des Innenausschusses v. 15. 6. 2009, Innenausschuss-Drucks. 16(4)631 E, S. 7.
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»erfolgreiche Arbeit des Deutschen Presserates bzw. des Deutschen Rates für Public Relations« zeige, so die gemeinsame Position von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V.764 In dieses Gremium könnten Vertreter aus Bundestag, Bundesregierung, dem Verbändeverein (bdvv), dem BDI, einer NGO, berufsständische Vertreter der Berater-Branche (Politik- und Kommunikationsberater, Agenturen, Rechtsanwälte, Unternehmens- und Verbandslobbyisten, degepol-Vertreter) entsandt werden. Tatsächlich böte ein Gremium, das sich aus Vertretern aller »Beteiligten« zusammensetzt, die im Rahmen der Interessenvertretung beim Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundestages betroffen sind, eine Reihe von Vorteilen. Innerhalb des eigenen Berufsstandes der Interessenvertreter sind Effekte der Selbstregulierung zu erhoffen, die mögliche »schwarze Schafe« aus den eigenen Reihen rasch aufzeigen würden. Gegenüber der Öffentlichkeit würde deutlich gemacht, dass es allen Beteiligten am Herzen liegt, transparent zu agieren und es würde dem (zumeist unberechtigt) verbreiteten negativen Bild des Lobbyismus entgegengewirkt. Die Ergebnisse der Beratungen des Gremiums sollten schließlich transparent und vor allem auch in elektronischer Form im Internet veröffentlicht werden. Nicht zu unterschätzen sind Sanktionsmaßnahmen, die ein solches Gremium gegenüber unzuverlässigen Akteuren verbindlich veranlassen könnte und die einer konsequenten Einhaltung der Verhaltensregeln zur effektiven Durchsetzung verhelfen würden. Grundsätzlich besteht im Rahmen staatlicher Sanktionsmaßnahmen sowohl die Möglichkeit der Einführung von Strafnormen als auch der Einführung von Ordnungswidrigkeitstatbeständen. Die Verhängung von Strafen obliegt aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips einzig den Strafgerichten, wohingegen Ordnungswidrigkeiten auch durch Behörden – und damit etwa auch von einem »Interessenvertretungsbeauftragten« geahndet werden könnten. Letztere wären stets verpflichtet, ermessensfehlerfrei über Verstöße zu entscheiden. Bei Organen der freiwilligen Selbstkontrolle, wie es hier vorgeschlagen wird, bestehen diese Sanktionsmöglichkeiten nicht. Hier kommen vielmehr Maßnahmen zur Geltung, die weniger durch ihren Strafcharakter, sondern mehr durch selbstregulierenden Charakter aus eigenem (Zugangs-) Interesse ihre Wirkung entfalten. Ähnlich, wie dies im Rahmen des neuen »Transparenz-Registers« auf Ebene der Europäischen Union765 jüngst eingeführt
764 Vgl. der Vorschlag aus dem gemeinsamen Positionspapier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. »Interessenvertretung in Deutschland transparenter gestalten und fair regeln«, http://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Politik/ Interessenvertretung_transparent_und_fair_final.pdf. 765 Vgl. den Anhang 4 der »Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Einrichtung eines Transparenz-Registers«, Beschluss veröffentlicht
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Reformvorschläge
worden ist, böte sich eine abgestufte Kaskade von Sanktionsmaßnahmen an, die das Gremium nach Bekanntwerden einer Beschwerde ergreifen kann:766 - Zunächst müsste dem Betroffenen, dem ein (genau zu bezeichnender) Verstoß gegen die Regelungen des Verhaltenskodex’ vorgeworfen wird, die Gelegenheit eröffnet werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist Stellung zu beziehen, um sich gegen möglicherweise unberechtigte Vorwürfe rechtzeitig zur Wehr setzen zu können. Diese Phase des Verfahrens sollte nicht-öffentlich sein. - Erhärten sich Vorwürfe bzw. kann sich der Betroffene nicht umgehend exkulpieren, so könnte bei fahrlässigem Verstoß eine nicht-öffentliche Mahnung erfolgen, die ihn beispielsweise innerhalb einer zu bestimmenden Frist zur Korrektur nicht oder falsch geleisteter Angaben oder zum künftigen Unterlassen kodexwidriger Verhaltensweisen verpflichtet. Hausausweise zu Parlamentsgebäuden, die der Betroffene im Rahmen der Registrierung erhalten hat, sollte er in dieser Phase behalten dürfen. Denkbar wäre allerdings ein Aussetzen der Registrierung, bis die Korrektur erfolgt ist, ähnlich dem Verfahren nach dem EU-Verhaltenskodex767. Erfolgt die Korrektur innerhalb der Frist, so würde die Registrierung wieder »aktiviert« werden; erfolgt sie nicht fristgemäß, so können weitere Maßnahmen, wie im Folgenden dargestellt, ergriffen werden. - Wird gegen Regelungen des Verhaltenskodex grob fahrlässig oder vorsätzlich verstoßen oder erfolgt keine rechtzeitige Korrektur der angemahnten Fehlbzw. Falschinformationen, sollte eine öffentliche Rüge ausgesprochen werden. - Ein schuldhafter Verstoß gegen bestimmte, näher zu bezeichnende Regelungen, könnte einen zeitlich befristeten Ausschluss aus dem Register bzw. einen Entzug der Zugangsberechtigung zu den Parlamentsgebäuden zur Konsequenz haben.768 - Wiederholte Verstöße könnten einen dauerhaften Ausschluss aus dem Reunter : http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7TA-2011 – 0222+0+DOC+XML+V0//DE. 766 Vgl. dazu auch die vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen aus dem gemeinsamen Positionspapier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. »Interessenvertretung in Deutschland transparenter gestalten und fair regeln«, S. 6, abrufbar unter : http://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Politik/Interessenvertretung_transparent_und_fair_final.pdf. 767 Vgl. den Anhang 4 der »Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Einrichtung eines Transparenz-Registers«, S. 15/17 Nr. 11, Beschluss veröffentlicht unter : http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP// TEXT+TA+P7-TA-2011 – 0222+0+DOC+XML+V0//DE. 768 Vgl. dazu auch die vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen aus dem gemeinsamen Positionspapier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. »Interessenvertretung in Deutschland transparenter gestalten und fair regeln«, S. 6. http:// www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Politik/Interessenvertretung_transparent_und_fair_final.pdf.
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gister bzw. einem dauerhaften Entzug des Hausausweises zur Folge haben. Dieses Verbot müsste zumindest für einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren Geltung behalten, um den dauerhaften Sanktionscharakter zu unterstreichen. Ein solches Ausschlussverfahren bzw. ein erfolgter Entzug der Zugangsberechtigung sollte konsequenterweise zwingend zu veröffentlichen sein bzw. mit einer öffentlichen Rüge einhergehen.769 Zusammengefasst sollte daher, auch aufgrund der Tatsache, dass de lege lata bisher die Registrierung nur freiwillig erfolgt(e) und überhaupt keine Sanktionen bestehen, von Strafnormen abgesehen und in erster Linie anhand der dargelegten abgestuften Sanktionskaskade eine Registrierungspflicht und ein allgemeiner (freiwilliger) Verhaltenskodex für Interessenvertreter versucht werden durchzusetzen. Auch der Entzug des Hausausweises, der den jederzeitigen Zugang zu den Gebäuden des Deutschen Bundestages ermöglicht, wäre eine denkbare Sanktionsmöglichkeit, die zwar den Handlungskreis des Interessenvertreters beschneiden würde, aber dennoch seine Arbeit nicht gleich gänzlich unmöglich machen würde. Schließlich bestünde auch in diesem Falle noch – wie für jeden anderen Gast eines Abgeordnetenbüros – die Möglichkeit, durch vorherige Vereinbarung eines Termins, auch mit einem Gastausweis die Gebäude betreten zu können. Ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle, in das alle im Rahmen der Interessenvertretung »Beteiligten« Vertreter entsenden sollten, wäre eine geeignete Instanz, die am ehesten Anerkennung seitens der Beteiligten selbst, aber auch in der Öffentlichkeit erfahren würde. Eine »Berichterstattung« bzw. Veröffentlichung durch das Gremium, die offenkundiges Fehlverhalten von registrierten Akteuren benennen würde, würde die Förderung des Transparenzgedankens bei der organisierten Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag untermauern.
4.
Wirtschaftliche Inkompatibilitäten
Im darstellenden und im vergleichenden Teil dieser Arbeit wurde herausgearbeitet, dass weitere Regelungsinstrumente unerwünschter Interessenkollisionen Vorschriften sein können, durch die außerparlamentarische, privatwirtschaftliche Tätigkeiten und Vertragsbeziehungen von Abgeordneten eingeschränkt oder gänzlich verboten werden.770 Unzweifelhaft wäre eine Inkompatibilität, die 769 Vgl. dazu auch die vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen aus dem gemeinsamen Positionspapier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. ebenda. 770 Vgl. S. 94 ff.
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Reformvorschläge
dem Abgeordneten neben seinem Mandat keine weitere Tätigkeit erlaubt, ein effektives Mittel, Interessenkollisionen von vornherein aus dem Weg zu gehen. Aus rein finanzieller Hinsicht garantiert die geltende Rechtslage dem Abgeordneten jedenfalls bereits einen adäquaten Lebensunterhalt für sich und seine Familie allein durch die Mandatstätigkeit.771 Die Gemeinwohlorientiertheit politischen Handelns, die der Abgeordnetentätigkeit zugrunde liegt, würde durch ein Verbot von Nebentätigkeiten und anderer nebenberuflicher Vertragsverpflichtungen kaum beeinträchtigt. Andersherum »leidet« die Gemeinwohlorientiertheit, die »funktionsgerechte Funktionsausübung« durch den Mandatsträger772 potenziell, sobald weitere Tätigkeiten neben dem Mandat hinzukommen. Käßner verweist hierzu paradigmatisch auf das für den Ältestenrat des Deutschen Bundestages erstellte Rechtsgutachten von Meyer, in dem dieser exemplarisch das Bild eines auftragsund weisungsgebundenen Abgeordneten zeichnet, der zugleich die Position eines Spitzenfunktionärs eines Interessenverbandes bekleidet und explizit damit betraut ist, Anliegen der im Verband organisierten Interessen im Bundestag und dessen Gremien zu vertreten.773 Es ist daher im Folgenden zu erörtern, ob wirtschaftliche Inkompatibilitätsvorschriften für Abgeordnete des Deutschen Bundestages (verfassungs) rechtlich möglich und verfassungspolitisch auch sinnvoll sind. a)
Verfassungsrechtliche Zulässigkeit wirtschaftlicher Inkompatibilitäten
Um wirtschaftliche Inkompatibilitäten zu normieren, bedarf es zunächst der Überprüfung, ob diese aus verfassungsrechtlicher Sicht überhaupt zulässig wären. i. Verletzung des passiven Wahlrechts, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG In der Literatur dominieren im Hinblick auf die Einführung umfangreicher Inkompatibilitätsvorschriften zumeist Bedenken, diese verletzten das allgemeine und gleiche passive Wahlrecht nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG.774 771 Vgl. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 210 ff., auf deren Arbeitsergebnisse als jüngste umfangreiche Untersuchungen zum Themenkomplex der Inkompatibilitäten und Befangenheitsvorschriften nachfolgend maßgeblich Bezug genommen und darüber hinaus kritisch Stellung bezogen wird. 772 D. Tsatsos, Die parlamentarische Betätigung von öffentlichen Bediensteten, S. 95. 773 A. Käßner, a.a.O., S. 212, mit Verweis auf H. Meyer, Möglichkeiten und Grenzen der Regelung von Nebentätigkeiten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Rechtsgutachten für die Rechtsstellungskommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages vom 11. 5. 2005, S. 22. 774 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 643; A. Käßner, a.a.O., S. 215, ins-
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Unvereinbarkeitsvorschriften können tatsächlich eine faktische Beschränkung der passiven Wählbarkeit eines Wahlbewerbers bewirken, denn ohne die Aufgabe der inkompatiblen Funktion wäre die Annahme des Mandates nicht möglich. Dieser faktische Entscheidungszwang kann sich bereits im Vorfeld der Wahl dahingehend auswirken, dass der potenzielle Kandidat gar nicht erst die Bereitschaft entwickelt, überhaupt zu kandidieren.775 Aufgrund der Tatsache, dass Kandidaten vorher unterschiedliche Berufe oder gar keinen Beruf ausgeübt haben, wirkt sich der Entscheidungszwang ungleich auf die verschiedenen Mandatsbewerber aus. Die Gleichheit des passiven Wahlrechts ist somit betroffen.776 Fraglich ist, ob eine Einführung wirtschaftlicher Inkompatibilitätsvorschriften gleichwohl verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Käßner zieht als Argument insbesondere das »erweiterte Gewaltenteilungsprinzip«777 sowie die Unabhängigkeit und die Gemeinwohlorientiertheit der Abgeordneten und der parlamentarischen Willensbildung insgesamt778 heran, was in den Augen des Verfassers zunächst nicht zu beanstanden ist. Problematisch erweist sich dabei jedoch, dass das Regelungsinstrument der Inkompatibilität absolut und umfassend wirkt, was im kompletten Gegensatz zur grundsätzlichen Freiheit des Mandatsträgers steht, Art und Umfang seiner Mandatsausübung, insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht, selbst bestimmen zu können. Gerade das ist Kernelement des aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG resultierenden freien Mandats und eben nicht ohne Weiteres mit dem Gemeinwohlanspruch des Volkssouveräns und der Integrität parlamentarischer Willensbildung zu rechtfertigen. Da es nach Käßner außerdem zahlreiche Tätigkeiten779 gebe, die nicht oder nur sehr unwahrscheinlich mit dem Mandat kollidieren780, wird in der Konsequenz vorgeschlagen, keine vollständige wirtschaftliche Inkompatibilität zu normieren, sondern
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besondere mit Verweis auf D. Tsatsos, Unvereinbarkeiten zwischen Bundestagsmandat und anderen Funktionen, in: Schneider Hans-Peter/ Zeh, Wolfgang (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 701 – 726. D. Tsatsos, Die parlamentarische Betätigung von öffentlichen Bediensteten, S. 95. A. Käßner, a.a.O., S. 216, unter Bezugnahme auf E. Reimer : Die Bewältigung von Interessenkollisionen bei Amts- und Mandatsträgern, Rechtsstoff – Normstrukturen – Grundfragen, Manuskript der Habilitationsschrift, Teil 6 B. IV. 3. b., Manuskript S. 818; K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 643. P. Krause Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit, DÖV 1974, 325 (334). A. Käßner, a.a.O., S. 216. »Mandatswidrig ist es zum Beispiel kaum, wenn ein Arzt neben dem Mandat einige Stammpatienten weiter betreut, ein Bäcker samstags Brötchen bäckt oder ein selbstständiger Unternehmer sich noch um die Buchhaltung seines Betriebes kümmert, um diesen während der Mandatszeit am Laufen zu halten«, vgl. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 217. A. Käßner, a.a.O., unter Bezugnahme auf E. Reimer : Die Bewältigung von Interessenkollisionen bei Amts- und Mandatsträgern, Rechtsstoff – Normstrukturen – Grundfragen, Manuskript der Habilitationsschrift, Teil 6 B. IV. 3. b., Manuskript S. 818.
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sich nur auf einzelfallabhängige Inkompatibilitäten zu verständigen.781 Dieser Vorschlag ist grundsätzlich bedenkenswert, sollte aber im Folgenden eingehender hinterfragt werden. ii. Vereinbarkeit mit Art. 9 GG (Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit) Die durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte legitime Mitwirkungsfunktion der Verbände im demokratischen Willensbildungsprozess782 wird durch Inkompatibilitätsvorschriften als solche nicht unmöglich gemacht bzw. deren Mitwirkung nicht ausgeschlossen. Die Mitwirkung findet ihre Grenze, sobald Unabhängigkeit und Gemeinwohlorientierung des Abgeordneten nicht mehr gewährleistet sind, da ein regelrechtes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Verband bzw. »Auftraggeber« und Abgeordnetem besteht.783 Jedenfalls würden Inkompatibilitäten, ob nur als »Verbandsinkompatibilität« oder vollständige Inkompatibilität ausgestaltet, der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 GG nicht entgegenstehen, sondern vielmehr die verfassungsrechtlichen Grenzen dieses Grundrechts benennen.784 iii. Vereinbarkeit mit dem Repräsentationsprinzip Eine Einführung vereinzelter wirtschaftlicher Kompatibilitäten könnte mit dem im Grundgesetz verankerten Repräsentationsgedanken, wonach das Volk über die gewählten Abgeordneten repräsentiert wird, unvereinbar sein. Zwar ist nicht erforderlich, dass sich alle Bevölkerungsgruppen spiegelbildlich abgebildet im Parlament wiederfinden785, jedoch sollen alle wesentlichen Gruppen und Interessen in ihrer Vielfältigkeit im parlamentarischen Willensbildungsprozess zur Geltung kommen können.786 Durch den Ausschluss bestimmter beruflicher Tätigkeiten wird in dieses Prinzip erheblich eingegriffen. Es besteht die Gefahr, dass bestimmte Berufs- und Bevölkerungsgruppen von einer Mandatstätigkeit ausgeschlossen werden bzw. für Vertreter dieser Berufe – z. B. hochbezahlte Spitzenkräfte – das Anstreben eines Mandates nicht mehr attraktiv erscheint.787 Käßner sieht umgekehrt in einer Kumulation von Mandat 781 A. Käßner, a.a.O., S. 217. 782 BVerfGE 5, 85 (232). 783 A. Käßner, a. A.O, S. 221, mit Verweis auf R. Hensel, Mehr Transparenz für Verbandsabgeordnete, ZRP, 8/ 1974, S. 177 – 181 (179). 784 A. Käßner, ebenda. 785 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 48 Rn 25. 786 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 221, mit Verweis auf H. H. Trute in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG Kommentar, Band 2: Art. 20 – 69 GG, Art. 48 Rn. 20. 787 H. H. Klein, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR Bd. III, § 51 Rn. 37; M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 143.
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und Verbandstätigkeit eine Beeinflussung von Mandatsentscheidungen, die im Hinblick auf das anzustrebende Gemeinwohl eine freie Würdigung der unterschiedlichen Interessen verhindere.788 Für Wefelmeier dagegen widerspricht das gezielte Ausschließen (vermeintlich) »parlamentsunwürdiger« Verbandsfunktionen dem notwendigen gesellschaftlichen Pluralismus.789 Die Gruppenbildung in der Gesellschaft, zu der auch Verbände gehörten, müsse schließlich auch im Parlament widerspiegeln.790 Käßner ist dahingehend zuzustimmen, dass Verbandsinkompatibilitäten – wie von Wefelmeier befürchtet – die Interessengruppen nicht grundsätzlich vom Parlament fernhalten, sondern eine Kumulation mehrerer Funktionen in einer Person verhindern.791 In der Tat müssen im Hinblick auf das Repräsentationsprinzip (theoretisch) alle gesellschaftlichen Interessen die Möglichkeit der Einwirkung auf den parlamentarischen Willensbildungsprozess haben. Dass der Abgeordnete dies allerdings fernab jeglicher persönlicher (auch berufsbedingter) Präferenz tun soll, verdient keine Zustimmung. Soweit allerdings die nebenberufliche Beschäftigung einen derartigen Umfang einnimmt, dass sie den Entscheidungsbereich des Abgeordneten a priori in eine Blickrichtung verengt792, sieht auch der Verfasser die Repräsentationsfähigkeit des Bundestages als gefährdet an. Einer Verbandsinkompatibilität stünde somit jedenfalls das Repräsentationsprinzip nicht von vornherein entgegen. iv. Vereinbarkeit mit dem »freien Mandat« aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Das Bedürfnis für eine Einführung wirtschaftlicher Inkompatibilitäten wird im Lichte des aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleiteten »freien Mandats« verbreitet damit gerechtfertigt, dass die Unabhängigkeit der Mitglieder des Bundestages von intermediären Kräften, die in die parlamentarische Willensbildung hineinwirkten, nur so adäquat zu garantieren sei. Zugleich wird Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Abgeordneten gegenüber seiner Partei und seiner Fraktion auch als Argument gegen die Einführung wirtschaftlicher Inkompatibilitäten vorgebracht.793 Durch die zeitliche Befristung 788 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 223. 789 C. Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat: zur aktuellen Bedeutung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, 1991 Stuttgart, S. 194 f. 790 C. Wefelmeier, a.a.O., S. 195. 791 Vgl. A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 223. 792 Vgl. A. Käßner, ebenda. 793 M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 145; P. Häberle, Freiheit, Gleichheit und Öffentlichkeit des Abgeordnetenstatus, NJW 1976, S. 537
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Reformvorschläge
des Bundestagsmandates bestünde stets das Risiko, für die darauffolgende Legislatur nicht wiedergewählt zu werden. Ein Untersagen von Tätigkeiten neben dem Mandat verstärke geradezu das Interesse, wiedergewählt zu werden und setze den Abgeordneten gegenüber Partei und Fraktion unter Druck.794 Käßner entkräftet diese Argumentation mit dem Hinweis auf die Vorschrift der »Mittelpunktstätigkeit«795 des § 44 a Abs. 1 Satz 1 AbgG und dem ohnehin vorhandenen Wiederwahlinteresse – schließlich strebe wohl niemand von vornherein das Mandat nur für eine Legislaturperiode an. Zudem könne eine »leichte Beeinträchtigung« der Unabhängigkeit gegenüber der Partei zugunsten des Schutzes der Unabhängigkeit vor wirtschaftlichen Einflüssen eher hingenommen werden. Dies rechtfertige die grundgesetzliche Verankerung des Einflusses der Parteien auf die staatliche Willensbildung aus Art. 21 GG, wo es für den wirtschaftlichen Einfluss keinen entsprechenden verfassungsrechtlichen »Schutz« gebe.796 Dem ist prinzipiell zuzustimmen, allerdings nur, soweit die »leichte« Einschränkung der Unabhängigkeit von Partei und Fraktion rein rechtlich betrachtet wird. Verfassungspolitisch ist dies auch unter der schon oben dargelegten Argumentation kritischer zu sehen797, da der ursprünglich erlernte und ausgeübte Beruf mit Blick auf Rückkehrmöglichkeiten unter Umständen erheblich eingeschränkt wird. Zur verfassungspolitischen Argumentation ist unten deshalb noch weiter Stellung zu nehmen. Zuzustimmen ist in der Konsequenz der verfassungsrechtlichen Bewertung, inwieweit wirtschaftliche Inkompatibilitäten die durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete freie Gewissensentscheidung determinieren würden.798 Wirtschaftliche Inkompatibilitäten schaffen gerade eine formalrechtliche Unabhängigkeit von externen Einflussversuchen, die den »Schutzbereich« Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG einfachgesetzlich konkretisieren und somit die freie Entscheidungsfindung des Abgeordneten erhöhen. Eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Unvereinbarkeit wirtschaftlicher Inkompatibilitäten mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG kann daher nicht festgestellt werden.
794 795 796 797 798
(541); C. Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat: zur aktuellen Bedeutung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, S. 195. M. Becker, a.a.O., S. 143. Vgl. BVerfGE 40, 296 (314). A. Käßner, a.a.O., S. 225. Käßner weist hier selbst auf möglicherweise berechtigte Bedenken hin, vgl. A. Käßner, a.a.O., S. 225. So schon D. Tsatsos, Unvereinbarkeiten zwischen Bundestagsmandat und anderen Funktionen, in: Schneider/ Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 726.
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v. Inkompatibilität versus Bestimmtheitsgrundsatz Eine praktikable Handhabung des Vorschlags »einzelfallabhängiger Inkompatibilitäten« erscheint unter dem bei der Formulierung solcher Inkompatibilitätstatbestände zu wahrenden Bestimmtheitsgrundsatz schwierig. Bestimmte Tätigkeiten herauszugreifen und sie mit dem »Verbot« zu belegen, die Tätigkeit neben der Abgeordnetenarbeit weiter ausüben zu dürfen, begegnet im Lichte der formalisierten Gleichheit der Abgeordneten verfassungsrechtlichen Bedenken. Käßner799 und Hensel800 führen in diesem Zusammenhang den Begriff der »Verbandsinkompatibilität« ein, nach der gezielt »Funktionärsposten«, also vergütete Tätigkeiten für Verbände neben dem Abgeordnetenmandat, verboten werden sollen. Hierbei wird das Argument vorgebracht, dass der Abgeordnete als Repräsentant des ganzen Volkes gem. Art. 38 Abs 1 Satz 2 GG nicht beruflich verpflichtet sein dürfe, einseitig auf die parlamentarische Willensbildung einzuwirken, gleichzeitig aber gemeinwohlorientierte Entscheidungen treffen solle.801 Sicherlich besteht immer das »Risiko«, dass gewisse Interessengruppen – die sich auch innerhalb des Parlaments durch Abgeordnete widerspiegeln können – durch einen höheren Organisationsgrad und höhere Finanzausstattung einen ungleich höheren Einfluss gewinnen könnten, als er ihrem »wahren Anteil an der Gesamtheit der vorhandenen Interessen in der Bevölkerung«802 entspricht.803 Wer aber legt dabei den »wahren Anteil« bestimmter Interessen an der Gesamtbevölkerung fest? Und worin liegt in der Konsequenz dann die Rechtfertigung, einerseits bestimmte Verbandstätigkeiten zu verbieten, aber parallele Beschäftigungsverhältnisse in (Groß-)Unternehmen bzw. Kapitalgesellschaften, freiberuflichen Kanzleien oder Agenturen zuzulassen, die durchaus auch über hohe Finanzbudgets und organisatorische »Schlagkraft« verfügen? Auch die Begrifflichkeit des »Verbandes«, auf den einzig eine solche Regelung Anwendung fände, bietet eine Angriffsfläche nicht nur im Lichte des Bestimmtheitsgrundsatzes und des Gleichheitsgrundsatzes, sondern auch aus praktischen Gesichtspunkten. Das Risiko der Umgehung einer solchen Regelung, etwa durch bloßes »Variieren« der Tätigkeitsbezeichnung, scheint naheliegend. Eine Ungleichbehandlung von Verbandstätigkeiten und anderen Tätigkeiten (»Verbandsinkompatibilitäten«) ist in den Augen des Verfassers daher vor dem Kriterium hinreichender Bestimmtheit nicht ohne Weiteres umsetzbar.
799 800 801 802 803
A. Käßner, a.a.O., S. 219. R. Hensel, Mehr Transparenz für Verbandsabgeordnete, ZRP, 8/ 1974, S. 177 – 181 (178 f.). A. Käßner, a.a.O., S. 218. A. Käßner, a.a.O., S. 219. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 26 V 2., S. 193 ff.
172 b)
Reformvorschläge
Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten von Inkompatibilitäten
Kommt man aus den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Überlegungen – trotz der Bedenken im Hinblick auf die Bestimmtheit – dennoch zu dem Schluss, dass eine Einführung wirtschaftlicher Inkompatibilitätsvorschriften rechtlich prinzipiell möglich ist, so resultiert daraus die Frage der rechtstechnischen Form, die zu wählen wäre. Die einschneidenden Wirkungen, die auch nur »punktuelle« wirtschaftliche Unvereinbarkeitsregelungen auf das passive Wahlrecht hätten, wären rechtlich nicht allein über eine Änderung des Abgeordnetengesetzes umsetzbar. Vielmehr bildet Art. 137 Abs. 1 GG in dieser Hinsicht – dieser ermächtigt den Gesetzgeber lediglich zu Beschränkungen der neben dem Mandat ausgeübten Beamten-, Richter- und Soldatentätigkeit804 – eine vergleichbar abschließende Regelung, die auch keinen Raum für ungeschriebene Inkompatibilitäten lässt805 und somit eine Grundgesetzänderung erforderlich machen würde.806 Art. 48 Abs. 2 GG stellt darüber hinaus klar, dass Mandat und private Erwerbstätigkeit prinzipiell vereinbar sind, gleichwohl dem Mandat vor privaten Tätigkeiten ein gewisser verfassungsrechtlicher Vorrang zukommt.807 Die Ermächtigung des Art. 38 Abs. 3 GG, die dem Gesetzgeber ermöglicht, »das Nähere« über den Rechts- und Pflichtenkreis der Abgeordneten in einfachem Bundesgesetz festzulegen, reicht für die hier in Rede stehenden Änderungen nicht aus.808 Auch das Fehlen von den Artikeln 55 Abs. 2 und 66 GG entsprechenden Vorschriften für Bundestagsabgeordnete kann zu Recht als Bestätigung der These angesehen werden, dass das Nebeneinander von Mandat und »zivilberuflicher« Tätigkeit bereits in der Verfassung selbst angelegt ist.809 804 Vgl. K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 642, m. w. N., die darauf verweist, dass die Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut überwiegend nicht als Ineligibilitätsregelung verstanden wird. 805 BVerfGE 57, 43 (57 f.). 806 Vgl. K. Stein, a.a.O., S. 642, 644; P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten, in: Schneider/ Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 60 S. 508 sowie A. Käßner, a.a.O., S. 226. 807 Vgl. H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, 249, der gleichwohl eine Veränderung im Bild des »Abgeordneten mit Erwerbsberuf« konstatiert; M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 142; A. Käßner, a.a.O., S. 226. 808 Vgl. A. Käßner, a.a.O., S. 226 und unter Bezugnahme auf E. Reimer : Die Bewältigung von Interessenkollisionen bei Amts- und Mandatsträgern, Rechtsstoff – Normstrukturen – Grundfragen, Manuskript der Habilitationsschrift, Teil 3 B. IV 3. b., Manuskript S. 819; a. A. H. Meyer, Möglichkeiten und Grenzen der Regelung von Nebentätigkeiten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Rechtsgutachten für die Rechtsstellungskommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages vom 11. 5. 2005, Berlin, S. 22. 809 Vgl. K. Stein, a.a.O., S. 642, m. w. N. auch in BVerfGE 40, 296 (318 f.); 118, 277 (323 f.).
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Wirtschaftliche Inkompatibilitätsvorschriften, auch in der »reduzierten« Form von Verbandsinkompatibilitäten, bedürften daher der Normierung durch eine Grundgesetzänderung.
c)
Verfassungspolitische Zweckmäßigkeit wirtschaftlicher Inkompatibilitäten
Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass gegenüber einer Einführung von wirtschaftlichen Unvereinbarkeitsvorschriften zwar verfassungsrechtliche Bedenken – so insbesondere im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot – bestehen, gleichwohl ihre Umsetzung prinzipiell rechtlich zulässig wäre. Fraglich ist jedoch, ob auch unter verfassungspolitischen Gesichtspunkten ein ähnlicher Schluss gezogen werden kann. Fernab der festgestellten rechtlichen Realisierbarkeit sollten am Ende verfassungspolitische Zweckmäßigkeitsüberlegungen die Entscheidung über das Für oder Wider bestimmen. Ein bereits angesprochener neuralgischer Punkt bei einer Einführung wirtschaftlicher Inkompatibilitäten ist die Wiedereingliederungsmöglichkeit in den vormals ausgeübten Beruf, was durch Unvereinbarkeiten möglicherweise erschwert würde. Während bei Selbstständigen ohnehin nur schwer vorstellbar ist, den Beruf neben dem Mandat gänzlich aufzugeben, um nach Beendigung der Abgeordnetentätigkeit weiterhin eine Existenzgrundlage zu haben810, ist die Situation bei Angestelltenverhältnissen dazu nur teilweise vergleichbar. Hierzu wird argumentiert, dass der Wechsel zwischen verschiedenen Berufen und Arbeitsplätzen auf dem freien Arbeitsmarkt heute Normalität sei und jeder »normale« Arbeitnehmer mit dieser Situation umzugehen habe.811 Parlamentarier seien aufgrund ihrer Bekanntheit und den ihn gewährten Übergangsgeldern ohnehin bereits privilegiert, während Inhaber öffentlicher Wahlämter, wie beispielsweise Bürgermeister, die Berufstätigkeit zugunsten ihres Amtes aufgeben und sich nach Ausscheiden neu orientieren müssten.812 Darüber hinaus sei es aufgrund der Flexibilität in Ort und Zeit fast nur freiberuflich tätigen Abgeordneten überhaupt möglich, neben ihrem Mandat zu arbeiten813 und 810 M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 18; A. Käßner, a.a.O., S. 227. 811 P. Conradi, Parlamentarier in privilegienfeindlicher Demokratie – Anmerkungen eines Bundestagsabgeordneten zum »Diäten-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts, ZParl 1976, S. 113 (116). 812 A. Käßner, a.a.O., S. 227, unter Verweis auf P. Conradi, Parlamentarier in privilegienfeindlicher Demokratie – Anmerkungen eines Bundestagsabgeordneten zum »Diäten-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts, ZParl 1976, S. 113 (116). 813 A. Käßner, ebenda.
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Reformvorschläge
Umfragen wiesen aus, dass 77 % der Abgeordneten ihren angestammten Beruf auch faktisch gar nicht mehr ausübten.814 Dem ist entgegenzuhalten, dass es für viele Berufe gerade notwendig ist, Kenntnisse und Fertigkeiten im bisher ausgeübten Beruf zu bewahren und fachliche Fort- und Weiterentwicklungen verfolgt werden müssen.815 Dies kann praktisch nur durch die Aufrechterhaltung der wie auch immer gearteten Tätigkeit neben dem Mandat gewährleistet werden. Käßner macht zu Recht darauf aufmerksam, dass ohne die Rückkehrmöglichkeit in den »angestammten« Beruf gerade die Gefahr der Drittbeeinflussung des Abgeordneten bestehe.816 Beispielhaft seien hier zu nennen der erhöhte Druck durch Partei und Fraktion, Zuwendungen finanzieller Art aus privatwirtschaftlichen Quellen oder das InAussicht-Stellen eines attraktiven Postens für die Zeit nach Beendigung des Mandats. Auch aus rein existenziellen Erwägungen, den ursprünglichen Beruf nach Beendigung des Mandats überhaupt wieder ergreifen zu können, könnte ein Abgeordneter geneigt sein, sich dauerhaft zum Typus eines »Berufspolitikers ohne jegliche ›Bodenhaftung‹« zu entwickeln.817 Die Praxis zeigt, dass Abgeordnete ohnehin im Durchschnitt nicht mehr als zwei Legislaturperioden das Mandat innehaben.818 Dem ist insofern beizupflichten, als dass den Abgeordneten zumindest die Möglichkeit offengehalten werden sollte insbesondere die vormals ausgeübten und erlernten Berufe weiterhin ausüben zu dürfen. Käßner kommt dabei zu dem Schluss, dass Tätigkeiten, die »eindeutig nicht« dem Wiedereinstieg des Abgeordneten in seinen Beruf dienten, und Tätigkeiten, bei denen die Gefährdung der Unabhängigkeit parlamentarischer Willensbildung »besonders hoch sei«, für unvereinbar erklärt werden könnten.819 In der Konsequenz würde dies der Einführung einer Verbandsinkompatibilität und einem Verbot der Aufnahme solcher »neuer« Tätigkeiten, die in keinem Zusammenhang mit dem »vormandatlichen« Beruf stünden, nicht entgegenstehen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie zweifelsfrei festgelegt werden soll, bei welchen Tätigkeiten die Gefährdung als »besonders hoch« einzustufen ist und bei welchen nicht. Auch die Festlegung auf ein Verbot jeglicher Tätigkeiten, die nach Aufnahme des Mandates aufgenommen werden, ist zu weitreichend. Fallen 814 W. Patzelt, Deutschlands Abgeordnete: Profil eines Berufstands, der weit besser ist als sein Ruf, ZParl, H. 3, 27 (1996), S. 462 – 502. 815 Vgl. dazu auch K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 642. 816 A. Käßner, ebenda. 817 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 642. 818 Vgl. Artikel von P. Carstens, »Der längste Tag«, FAZ online vom 12. 10. 2011, abrufbar unter : http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/denk-ich-an-deutschland/abgeordnete-im-bundestag-der-laengste-tag-11490713.html. 819 A. Käßner, a.a.O., S. 227.
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hierunter beispielsweise auch Veränderungen der (neben-)beruflichen Position, etwa Versetzungen bei ein und demselben Arbeitgeber? Wie ist zu verfahren mit ehrenamtsähnlichen Funktionen, die eine gewisse Entschädigung vorsehen, aber erst im Zuge der Mandatstätigkeit aufgenommen werden, weil beispielsweise der vorher ausgeübte Beruf dafür nicht zeitlich flexibel genug war? In der Gesamtschau bestehen vielmehr erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen noch zulässiger und nicht mehr zulässiger Tätigkeit. Schließlich besteht das Risiko, durch willkürliche Festlegungen von Grenzen Umgehungsversuche, beispielsweise durch wenig aussagekräftige oder die tatsächliche Funktion verschleiernde Tätigkeitsbezeichnungen, zu provozieren.820 Wirtschaftliche Inkompatibilitäten sind damit unter dem Gesichtspunkt beruflicher Wiedereingliederungsmöglichkeiten nicht zu empfehlen. Schließlich wird in der Diskussion um die Einführung von Inkompatibilitätsvorschriften mit dem zu erhaltenen Bezug zur Berufswelt das aus Sicht des Verfassers stichhaltigste Gegenargument vorgebracht. Zwar existieren Stimmen, die der Entfremdung des Abgeordneten von seiner beruflichen und interessenmäßigen Herkunft, die mit dem Ruhenlassen während der Mandatszeit zwangsläufig einhergeht, einen positiven Effekt abgewinnen können.821 Dadurch würde die Bereitschaft, Kompromisse und übergreifende Entscheidungen einzugehen, deutlich erhöht und somit eine Offenheit gegenüber anderen Ansichten befördert. Ferner würde ein neben dem Mandat ausgeübter Beruf immer nur spezifische Kenntnisse und Beziehungen zu einem sehr abgegrenzten Teil der Berufswelt vermitteln.822 Ein breiter Einblick in andere, für die Gesetzgebung relevante Lebensbereiche, eröffne gerade die Mandatsarbeit im Wahlkreis sowie in den parlamentarischen Ausschüssen und Arbeitsgruppen.823 Sicherlich ist das Argument berechtigt, dass der Abgeordnete mit einem möglichsten breiten und unvoreingenommenen Blick die vielfältigen Interessen in der Gesellschaft bei der parlamentarischen Willensbildung zu berücksichtigen hat, ohne dies stets durch die »gefärbte Brille« seiner eigenen beruflichen Fachrichtung zu betrachten. Überzeugender dahingegen ist, diesen (neben) beruflichen »Filter« als bereichernd und notwendig anzusehen. Durch Tätigkeiten außerhalb des Parlaments bringt der Abgeordnete aktuelle Informationen, wertvolle Kenntnisse, Kontakte und das Wissen um Bedürfnisse der Be-
820 Vgl. auch die Bedenken von C. Richter, Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung, S. 160 f., die gleichwohl Abgrenzungsmöglichkeiten sieht. 821 D. Herzog, Karrieremuster von Abgeordneten in Deutschland – früher und heute, in: Zur Sache 1/79 »Politik als Beruf ?«, S. 63 – 73 (72). 822 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 229. 823 A. Käßner, ebenda.
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völkerung »aus erster Hand« in parlamentarische Beratungsprozesse ein.824 Gerade diese »Verwurzelung in der realen Welt« ist es, deren Ermangelung den Abgeordneten allzu häufig und teils auch berechtigterweise vorgehalten wird.825 Ein Parlament, das sich nur noch aus Berufspolitikern zusammensetzt, die einzig ihre Wiederwahl im Auge haben, ist tunlichst zu vermeiden. Käßner kommt in ihrer Untersuchung zu Recht zu dem Schluss, dass die Verankerung der Volksvertreter im Volke durch den vom Abgeordneten vor Mandatsübernahme ausgeübten Beruf und das Wissen um den möglichen Wiedereinstieg gestärkt wird.826 Schließlich setzt auch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG voraus, dass das Parlament einen Querschnitt der Gesellschaft widerspiegelt, in dem gerade auch in der Privatwirtschaft besonders erfolgreiche Personengruppen zu »halten« sind bzw. sich unter diesen Voraussetzungen überhaupt erst zu einer Kandidatur entscheiden.827 Auch aus der Sicht des positiven Bezuges zur Berufswelt ist daher eine Einführung wirtschaftlicher Inkompatibilitäten abzulehnen. Die Bestätigung der sogenannten Mittelpunktregelung des §44 a AbgG durch das Bundesverfassungsgericht828 widerspricht dieser Ansicht – auch wenn dies scheinbar zunächst nahe liegen könnte – ausdrücklich nicht. Das Gericht hat in seiner Entscheidung vielmehr deutlich gemacht, dass die Entscheidung über Ausgestaltung bzw. Definition des »Mittelpunktes« der Tätigkeit jedem einzelnen Abgeordneten selbst überlassen bleiben müsse.829 Darüber hinaus dürfe die Beachtung der Pflicht zur »Mittelpunktstätigkeit« keinerlei Überwachungsmaßnahmen unterworfen werden.830 Die Normierung eines Nebentätigkeitsverbotes oder eine »verbindlich wirkende Vorstufe« dessen lassen sich aus §44 a Abs. 1 Satz 1 AbgG jedenfalls nicht herauslesen.831 d)
Ergebnis
Eine Übertragung von Inkompatibilitätsregelungen, wie sie beispielsweise für andere kollegial verfasste Staatsorgane wie die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht existieren, kann auf das Bundestagsmandat nicht ohne 824 A. Käßner, a.a.O., S. 229/230. 825 Vgl. M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 143; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 48 Rn 40; A. Käßner, a.a.O., S. 230. 826 A. Käßner, a.a.O., S. 230. 827 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 643; a. A. dazu BVerfGE 118, 227 (333). 828 BVerfGE 118, 277 (323 ff., 334 ff.). 829 Vgl. K. Stein, ebenda, m. w. N. bei BVerfGE 118, 277 (336 f.). 830 BVerfGE 118, 277 (336 f.). 831 So K. Stein, a.a.O., S. 644, was Zustimmung verdient.
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Weiteres erfolgen. Wirtschaftliche Inkompatibilitätsvorschriften für die Mitglieder des Deutschen Bundestages könnten nur durch eine Grundgesetzänderung eingeführt werden, da sie erheblich in verfassungsrechtlich verbürgte Rechte des Abgeordneten eingreifen würden. Aus verfassungspolitischer Hinsicht ist die Einführung wirtschaftlicher Inkompatibilitätsvorschriften abzulehnen. Auch der Vorschlag, nur bestimmte Tätigkeiten neben dem Mandat auszuschließen, die die Vermutung nahelegen könnten, dass durch sie »mandatswidriger Einfluss« ausgeübt werden könnte, empfiehlt sich nicht. Dies würde vielmehr willkürliche Grenzziehungen zwischen erlaubten und unerlaubten Tätigkeiten erfordern, die insbesondere vor dem Gleichheitsgrundsatz (und anderen Verfassungsrechten) bedenklich wären. Dadurch würde Umgehungen unnötiger Vorschub bereitet.
5.
Ausschluss- und Befangenheitsregelungen
Im Bereich der Judikative und der Exekutive finden Regelungsinstrumente bereits verbreitete Verwendung, die auch als potenzielle Vorschriften für die Mitglieder des Deutschen Bundestages diskutiert werden. Dazu zählen Befangenheitsvorschriften bzw. Mitwirkungsverbote, die die Mitwirkung eines in einer konkreten Angelegenheit der Gesetzgebung betroffenen Abgeordneten verhindern.832 Im Gegensatz zu wirtschaftlichen Inkompatibilitätsvorschriften, die bereits im Vorfeld einer in Frage stehenden (Neben-)Tätigkeit ansetzen und dadurch bereits das Entstehen von Interessenkollisionen vermeiden sollen, wirken Befangenheitsvorschriften nur punktuell.833 So wird unter Betrachtung des jeweiligen Einzelfalles festgestellt, ob eine bestimmte Tätigkeit, die neben der Amts- bzw. Mandatsträgereigenschaft ausgeübt wird, mit dem behandelten Sachverhalt (z. B. einem Gesetzesvorhaben) vereinbar ist. Fällt diese Bewertung negativ aus, so ist es dem Betroffenen versagt, bei dem in Rede stehenden Sachverhalt in seiner Amts- oder Mandatsträgereigenschaft tätig zu werden bzw. mitzuwirken. Bislang existieren auf Bundesebene nur begrenzte (und offensichtliche) Mitwirkungsverbote, die sich auf parlamentarische Vorgänge beziehen: Nach § 17 Wahlprüfungsgesetz ist der Abgeordnete von der parlamentarischen Beratung und Beschlussfassung im Wahlprüfungsverfahren ausgeschlossen, dessen Wahl zur Prüfung steht. Darüber hinaus existiert in den Verhaltensregeln des 832 Vgl. auch hierzu A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 231 ff., deren Arbeitsergebnisse zum Themenkomplex der Befangenheitsvorschriften Grundlage der nachfolgenden Ausführungen sind und kritisch bewertet werden. 833 Vgl. zur Abgrenzung schon S. 101 ff.
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Reformvorschläge
Deutschen Bundestages das Verbot der Mitwirkung am Sanktionsverfahren, das teilweise angenommene Beteiligungsverbot bei Immunitätsangelegenheiten sowie die ein Mitwirkungsverbot andeutende Regelung des § 6 Verhaltensregeln-BT.834 In § 69 GOBT ist zwar eine Offenlegungspflicht der Abgeordneten für mögliche Interessenkonflikte in Ausschusssitzungen vorgesehen, jedoch wird die tatsächliche Transparenzwirkung aufgrund der in der Regel nicht-öffentlich stattfindenden Beratungen als wenig zielführend bewertet.835 Eine Auflösung des Konflikts würde dadurch kaum ermöglicht.836
a)
Mitwirkungsverbote in Judikative und Exekutive als Vorbild?
Auf bestehende landes- und kommunalrechtliche Mitwirkungs- und Befangenheitsvorschriften wurde bereits vergleichend eingegangen, mit dem Ergebnis, dass insbesondere die umfangreichen kommunalrechtlichen Vorschriften für Gemeinderatsmitglieder nicht ohne Weiteres auf die Bundesebene zu übertragen sind.837 In diesem Zusammenhang ist Käßner zufolge zudem nochmals auf die begrenzte Vergleichbarkeit zu den anderen beiden Gewalten, Judikative und Exekutive, hinzuweisen: Die Tätigkeit von Richtern und Abgeordneten stützt sich zwar prinzipiell auf die gleichen Grundgedanken, nämlich das Treffen von sachgerechten und gemeinwohlorientierten Entscheidungen.838 In der konkreten Ausgestaltung ihrer Tätigkeiten differieren sie jedoch deutlich: Während das Richteramt zwangsläufig mit Unparteilichkeit und Neutralität einhergeht, wird von Abgeordneten im Hinblick auf die Existenz des Art. 21 GG eine Parteizugehörigkeit (und damit politische Tendenz) geradezu erwartet, mindestens verfassungsrechtlich privilegiert. Interessenvertretung geht damit zwangsläufig einher, denn der Wähler muss zumindest politische Grundeinstellungen des von ihm zu Mandatierenden absehen können. Er erwartet aussagekräftige Stellungnahmen seitens des Abgeordneten und diesbezüglich eine gewisse inhaltliche »Standhaftigkeit« im Laufe von Gesetzgebungsprozessen. Zu Recht stellt Klein daher fest, es sei unabdingbar, dass der Vollzug der Gesetze durch Exekutive und Justiz frei von einer Verknüpfung mit persönlichen Interessen des Amtswalters erfolgen müsse.839 Während die beiden letztgenannten Gewalten damit insbesondere durch den Verfassungsgrundsatz des Rechts834 Vgl. A. Käßner, a.a.O., S. 231. 835 A. van Aaken, Genügt das deutsche Recht den Anforderungen der VN-Konvention gegen Korruption? Eine rechtsvergleichende Studie zur politischen Korruption unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, ZaöRV 2005, 407 (436). 836 A. Käßner, a.a.O., S. 231. 837 Vgl. schon oben S. 97 ff. 838 A. Käßner, a.a.O., S. 233. 839 Klein, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 48 Rn. 150.
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staatsprinzips geprägt sind, erfährt in der rechtssetzenden Gewalt das Demokratieprinzip einen besonderen Niederschlag. Erst aus dem – teils kontroversen – Diskurs der politischen Interessen und der vorgeschalteten klaren Positionierung der parlamentarischen Repräsentanten entstehen gemeinwohlorientierte Gesetze und Beschlüsse.840 Das öffentliche Vertreten politischer Ansichten durch den Mandatsträger kann daher letztlich sogar zu besserer Information und mehr Transparenz parlamentarischer Willensbildungsprozesse beitragen.841 Freilich findet solch ein »Recht zur Parteilichkeit« bei der Willensbildung eine Grenze im Sachlichkeitsgrundsatz, wonach sachfremde Gesichtspunkte, wie zum Beispiel wirtschaftliche Eigeninteressen, nicht mehr vom Demokratiegrundsatz gedeckt werden.842 Ob jedoch (allein) dieses Gebot für den Abgeordneten, sachfremde Aspekte außer Betracht zu lassen, die Einführung von Befangenheitsvorschriften rechtfertigt, erscheint Käßner zufolge zu Recht zweifelhaft.843 Käßners Vergleich zu Amtswaltern der Exekutive ergibt eine ähnliche, treffende Bewertung. Der Beamte ist im Lichte des Rechtsstaatsprinzips an klare, sachorientierte Bewertungsmaßstäbe gebunden, nach denen er ermessensfehlerfrei zu handeln hat. Das bedeutet in der Konsequenz eine Austauschbarkeit des im Einzelfall Handelnden – die Persönlichkeit des Beamten und seine Auffassung zu einem Sachverhalt sind von untergeordneter Bedeutung.844 Der Parlamentarier dagegen ist gerade nicht im Hinblick auf eine jederzeitige Austauschbarkeit gewählt worden. Der Wähler hat insbesondere bei der Direktwahl seine Stimme personengebunden abgegeben und erwartet in der Folge Entscheidungen des Parlamentes in der aus den Wahlen hervorgegangenen Zusammensetzung.845 Schließlich werden aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG – wie bereits bei der Frage von Inkompatibilitäten gesehen – Mitwirkungsrechte hergeleitet846, die dem Abgeordneten verfassungsrechtlich garantieren, an parlamentarischen Beratungen und Abstimmungen nach eigenem Ermessen teilzunehmen.847 Wie der Abgeordnete seine Entscheidungen trifft, bleibt allein seinem Gewissen überlassen, so dass er in seinen Entscheidungs840 A. Käßner, ebenda. 841 A. Käßner, a.a.O., S. 234 f., unter Verweis auf M. Schäfer, Zur Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern, in: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg, H. 7, 2003, S. 271 – 275 (271). 842 A. Käßner, a.a.O., S. 235, unter Verweis auf F. J. Peine, Der befangene Abgeordnete, JZ 1985, 913 (919). 843 A. Käßner, ebenda. 844 Vgl. M. Glage: Mitwirkungsverbote in den Gemeindeordnungen, S. 27. 845 A. Käßner, a.a.O., S. 236. 846 Achterberg/Schulte in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Art. 38 Rn. 59. 847 A. Käßner, a.a.O., S. 236, mit Verweis auf C. Knebel-Pfuhl: Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit für Parlamentarier?, S. 135.
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Reformvorschläge
prozess alles das aufnehmen und einführen kann, was ihm nach seinem subjektiven Empfinden billig und recht erscheint.848 Der Beamte dagegen trifft seine Entscheidungen – objektiv beurteilbar – anhand der maßgeblichen Rechtsvorschriften unparteiisch und aufgrund sachlicher Erwägungen.849 Zusammengefasst sind also die umfassenden Vorschriften, die Mitwirkungsverbote für Amtswalter der Judikative wie der Exekutive normieren, nicht ohne Weiteres auf die Legislative übertragbar. Die Struktur- und Funktionsunterschiede zwischen den drei Gewalten sind erheblich. Darüber hinaus begegnet eine mögliche Einführung von Mitwirkungsverboten auch verfassungsrechtlichen wie verfassungspolitischen Bedenken, die im Folgenden nachzuzeichnen sind. b)
Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Betrachtung
Dem Abgeordneten des Deutschen Bundestages stehen kraft seines ihm verfassungsrechtlich gewährleisteten, jedoch nicht individualrechtlichen Status’ aus Art. 38 Abs. 1 GG gewisse Mitwirkungs-, Informations- und Antragsrechte zu.850 Relevant im Hinblick auf den Forschungsgegenstand sind hierbei insbesondere die Mitwirkungsrechte, die den Abgeordneten berechtigen, an parlamentarischen Beratungen und Beschlussfassungen teilzunehmen (Art. 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 77 Abs. 1 S. 1 GG).851 Das Stimmrecht ist höchstpersönlicher Natur und mithin nur durch den jeweiligen Abgeordneten selbst ausübbar.852 So nimmt der Abgeordnete sein Mitwirkungsrecht vor allem dadurch wahr, dass er in Plenar- und Ausschusssitzungen das Wort ergreift und abstimmt.853 Das Rederecht ist somit notwendiger Bestandteil seines verfassungsrechtlichen Status’854 und damit nicht vom Schutzbereich des Art. 5 GG erfasst.855 Der Argumentation Käßners folgend, würden Mitwirkungsverbote, die den Abgeordneten bei einer (zu definierenden) Selbstbetroffenheit von einer Abstimmung ausschlössen, das verfassungsrechtlich garantierte Stimmrecht einschränken. Eine solche Einschränkung könnte in der Konsequenz weder durch ein einfaches Gesetz noch durch eine Änderung der Geschäftsordnung erfolgen, sondern 848 Vgl. J. J. Nolte, Das freie Mandat der Gemeindevertretungsmitglieder, DVBl. 2005, 870 (871). 849 A. Käßner, ebenda. 850 A. Käßner, a.a.O., S. 243 f., unter Verweis auf H. H. Klein, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR III, § 51 Rn. 32. 851 Vgl. M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 163. 852 A. Käßner, a.a.O., S. 244, unter Verweis auf Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (Hrsg.), GG, Art. 38 Rn. 68. 853 H. H. Klein, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR III, § 51 Rn. 32. 854 Vgl. BVerfGE 10, 4 (11 f.); 60, 374 (379); 80, 188 (228 f.). 855 BVerfGE 60, 374 (380).
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bedürfte zu ihrer Rechtfertigung vielmehr verfassungsrechtlicher Regelungen.856 In Betracht kommen dabei die Verfassungsgrundsätze der repräsentativen Demokratie sowie das Prinzip der demokratischen Gleichheit. Auch können parlamentarische Entscheidungen, welche auf sachfremden Aspekten beruhen, gegen die erforderliche Gemeinwohlorientiertheit staatlichen Handelns verstoßen.857 Jedoch bleibt zu konstatieren, dass diese Grundsätze trotz ihres Status’ als verfassungsimmanente Schranken an der überragend hohen Bedeutung des Mitwirkungsrechtes des Abgeordneten gemessen werden müssen. Befangenheitstatbestände müssten in dieser Hinsicht so ausgestaltet werden, dass nur bei einer ebenso überragenden Beeinträchtigung der kollidierenden Verfassungsgrundsätze die Mitwirkung auszuschließen ist.858 Auch nach Auffassung des Verfassers ist eine solche Konstellation nur in sehr seltenen Einzelfällen vorstellbar, etwa im Falle von Einzelfall- oder Maßnahmegesetzen, die den Abgeordneten oder seinen Vertragspartner unmittelbar betreffen. Parlamente fungieren vielmehr als »Schnittstellen zwischen Staat und Gesellschaft«, in denen gesellschaftliche Interessen gebündelt werden.859 Die Mandatsträger sind dabei zwar gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gemeinwohl verpflichtet – ein Neutralitätsgebot kann daraus allerdings nicht gefolgert werden. Im Gegenteil, es ist auch an dieser Stelle zu betonen, dass über diese Gemeinwohlverpflichtung einzig das Gewissen des Abgeordneten »wacht«.860 Bedenken begegnet die Einführung von Befangenheitsvorschriften auch im Hinblick auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gesetzgebung als »selbstständiges organisationsimmanentes Rechtsprinzip«861 mit Verfassungsrang. Wie oben bereits erläutert, ist der Abgeordnete im Gegensatz zum Verwaltungsbeamten aufgrund des höchstpersönlichen Rechtsstatus’ nicht austauschbar, so dass bei bestimmten Sachverhalten theoretisch ganze Gruppen von Abgeordneten bis hin zur Beschlussunfähigkeit des Parlaments ausgeschlossen werden könnten.862 Ein geregelter Ablauf des parlamentarischen Verfahrens wäre damit nicht mehr gewährleistet. Auch ein Ausschluss allein wegen der Zugehörigkeit des Abgeordneten zu einer bestimmten Berufs- oder
856 A. Käßner, a.a.O., S. 244, mit Verweis auf M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 163. 857 A. Käßner, a.a.O., S. 244. 858 A. Käßner, ebenda. 859 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 644. 860 K. Stein, ebenda. 861 N. Achterberg: Die Abstimmungsbefugnis des Abgeordneten bei Betroffenheit in eigener Sache, AöR, 1984, S. 505 (518 f.). 862 A. Käßner, a.a.O., S. 245.
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Reformvorschläge
Bevölkerungsgruppe wird zu Recht als unzulässig angesehen.863 Darüber hinaus ist die Funktionsfähigkeit der Gesetzgebung in Gefahr, sollten Befangenheitsvorschriften grundsätzlich auch für Entscheidungen eingreifen, die das Parlament »in eigener Sache« trifft, also beispielsweise die Frage nach der Höhe der Diäten oder eine Änderung des Abgeordnetengesetzes.864 Dann könnte praktisch keines der Mitglieder des Parlaments an solchen Abstimmungen teilnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu klar Stellung bezogen und Entscheidungen des Parlaments »in eigener Sache« als quasi strukturelle Konsequenz des Systems repräsentativer Demokratie beschrieben, die letztlich nur durch größtmögliche Transparenz des gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses abgefedert werden könne.865 Zu Recht wird daher auch die Öffentlichkeit als geeignete Disziplinierung befangener Abgeordneter angesehen, soweit innerparlamentarische Kontrollmechanismen dazu nicht in der Lage seien.866 Schließlich wäre es für den geordneten parlamentarischen Beratungsablauf auch schlicht nicht praktikabel, müsste vor jeder anstehenden Entscheidung erst darüber debattiert werden, welches der Mitglieder des Hauses möglicherweise aufgrund »persönlicher Betroffenheit« auszuschließen ist. Käßner führt zudem stichhaltig ins Feld, dass im Falle des Erkennens persönlicher Betroffenheit von Abgeordneten nach Verabschiedung von Gesetzen die Rechtsklarheit und Bestandskraft von Gesetzen erheblich gefährdet wäre.867 Auch mit Blick auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gesetzgebung ist deshalb von der Einführung von Befangenheitsvorschriften abzusehen. Zuletzt ist auf das Risiko hinzuweisen, dass Mitwirkungsverbote zu deutlichen Verschiebungen der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse führen können und unter Umständen Anlass für Manipulationsversuche derselben geben. So kann es bei ohnehin knappen Regierungsmehrheiten durch den Befangenheits-Ausschluss von Abgeordneten zu »Zufallsmajoritäten« kommen, die im Vorhinein nicht immer absehbar sind.868 Ein allgemeiner Verfassungsgrundsatz, der verlangt, dass die bestehenden politischen Kräfteverhältnisse im Parlament bestehen bleiben müssen, existiert nicht.869 Gleichwohl ist darauf zu verweisen, dass gerade knappe Mehrheiten innerhalb der Fraktion eine transparenzfördernde Disziplinierung bewirken können. Im Falle etwaiger Mitwir863 M. Becker, a.a.O., S. 166. 864 A. Käßner, a.a.O., S. 245, m. w. N. 865 BVerfGE 40, 296 (327); Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 48 Rn. 149 ff.; kritisch dazu H. H. von Arnim, Die Besoldung von Politikern, ZRP 2003, 235 (236). 866 A. Käßner, a.a.O., S. 245, m. w. N. 867 A. Käßner, a.a.O., S. 246. 868 A. Käßner, a.a.O., S. 245, m. w. N. 869 A. Käßner, a.a.O., S. 246, unter Verweis auf F. J. Peine, Der befangene Abgeordnete, JZ 1985, 913 (921).
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kungsverbote würde in der Fraktion und auch beim Abgeordneten selbst möglicherweise besonders darauf geachtet, dass keine Verbindungen eingegangen werden, die den Verdacht der Befangenheit begründen könnten, um bei der eigentlichen Abstimmung nicht unerwartete Mehrheitskonstellationen riskieren zu müssen.870 In diesem Zusammenhang wird jedoch zu Recht auf die hohe Gefahr politischer Instrumentalisierung von Mitwirkungsverboten hingewiesen.871 Entsprechend hohe Quoren bei der Anwendung der Mitwirkungsverbote, so eine Meinung, könnten gezielte Manipulationen verhindern und die bloße Besorgnis, die von einer politischen Seite geäußert werde, dürfe nicht ausreichend für eine Befangenheitsbegründung sein.872 Manipulationsversuche sind damit kaum auszuschließen – zumindest würden gegenseitige Verdächtigungen der politischen Gegner stets die Abstimmungen begleiten und durch ein Quorum nicht verhindert werden. c)
Ergebnis
Auch Befangenheits- und Ausschlussvorschriften sind keine empfehlenswerte Möglichkeit, Dritteinflüsse auf den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess zu verhindern. Das Ausnutzen des Mandates durch den Abgeordneten zu finanziellen Eigeninteressen können Mitwirkungsverbote nicht verhindern. Einzig die Mitwirkung des Abgeordneten bei Einzelfall- und Maßnahmegesetzen, die ausschließlich den Mandatsträger persönlich oder ein mit ihm verbundenes Unternehmen betreffen, könnte sinnvollerweise ausgeschlossen werden. Da diese Fälle kaum in der Praxis auftreten, sind der praktische Nutzen und die günstigen Auswirkungen auf »transparentere Beratungsprozesse« gering. Die Tatsache, dass auch die Bremische Bürgerschaft jüngst die Landesvorschrift über Mitwirkungsverbote (Art. 84 BremLV) einstimmig mit der Begründung aufgehoben hat873, es habe sich in der Praxis keine Relevanz für das Verbot gezeigt und andere Bundesländer sowie der Bund hätten bewusst auf eine Regelung verzichtet874, bestätigt dieses Ergebnis. Von einer Einführung von Befangenheits- und Ausschlussvorschriften ist deshalb abzuraten.
870 H. Freund, Abgeordnetenverhalten: Ausübung des Mandats und persönliche Interessen, S. 159; F. J. Peine, Der befangene Abgeordnete, JZ 1985, 913 (921). 871 H.-P. Schneider, Gesetzgeber in eigener Sache, in: Grimm/ Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, S. 327 (341); J. Isensee, Zwischen Amtsethos und Parteibindung – Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache, ZParl, 31 (2000), S. 402 (406). 872 A. Käßner, a.a.O., S. 249. 873 Vgl. dazu schon oben die Ausführungen im darstellenden Teil, S. 103 f. 874 Vgl. die Begründung zum Antrag, Drucks. 17/1210 Bremische Bürgerschaft.
184 6.
Reformvorschläge
Einführung eines »legislativen Fußabdrucks«
Neben der Einführung eines verbindlichen bzw. umfassenderen Registers für Interessenvertreter beim Deutschen Bundestag wird in jüngerer Zeit von verschiedener Seite875 die Einführung eines »legislativen Fußabdrucks« bzw. einer »legislativen Fußspur«876 gefordert. In einigen Ländern der Europäischen Union, auf Ebene der Europäischen Union sowie in den USA bestehen bereits solche mehr oder weniger umfangreichen Regelungen entlang eines Gesetzgebungsprozesses.877 Nachdem sich neben lobbykritischen Vereinigungen auch Interessenvertreter selbst wiederholt für die Einführung einer solchen Regelung ausgesprochen haben878, waren diese auch Gegenstand parlamentarischer Beratungen in der 17. Wahlperiode.879 Eine »legislative Fußspur« soll nach Vorstellung ihrer Befürworter auf dem Vorblatt eines Gesetzentwurfs darüber informieren, welche externen Personen, die nicht der Bundesregierung (bzw. den Bundesministerien), dem Bundestag oder dem Bundesrat angehören, einen (möglicherweise) »signifikanten Einfluss auf die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs« gehabt haben.880
a)
Rechtliche Zulässigkeit
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.881 Das Grundrecht ist dabei nicht schrankenlos gewährleistet. Allgemein muss der Grundrechtsträger Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbst875 876 877 878
Vgl. beispielhaft T. Leif, Von der Symbiose zur Systemkrise, APuZ, 19/2010, S. 1 (8). Die Begrifflichkeiten werden in dieser Arbeit synonym benutzt. Vgl. dazu schon die Ausführungen oben S. 113 ff. Vgl. das gemeinsame Papier von degepol e.V. und Transparency International Deutschland e.V. »Interessenvertretung in Deutschland transparenter gestalten und fair regeln«: http:// www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Politik/Interessenvertretung_transparent_und_fair_final.pdf bzw. http://www.degepol.de/transparenz/das_positionspapier_mit_transparency_international.pdf S. 5 sowie C. Yzer in »In der Lobby brennt noch Licht« – Lobbyismus als Schatten-Management in Politik und Medien, nr-Werkstatt Nr. 12 Dezember 2008, S.103, online abrufbar unter http://www.netzwerkrecherche.de/files/nrwerkstatt-12-lobbyismus-als-schatten-management-in-politik-und-medien.pdf. 879 Vgl. den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN »Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen« vom 07. 07. 2010; BTDrucks. 17/2486 sowie BT-PlPr. 17/102. 880 B. Schröder, in WD 3 – 3000 – 056/11 S. 4. 881 BVerfGE 78, 77 (84); Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 177 f.; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 72 f.
Erweiterung von Rechtsvorschriften – Öffentliches Recht
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bestimmung nur im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen, die Einschränkung darf dabei nicht weitergehen, als zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.882 An die Rechtfertigung eines Eingriffs sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je tiefer die in den Daten gespeicherten Informationen Auskunft über den privaten Bereich des Betroffenen geben und je umfassender die Daten benutzt werden sollen.883 Zu den Daten zählen auch »einfache« Identifikationsmerkmale, wie etwa der Name eines Interessenvertreters, dessen Nennung im Rahmen eines »legislativen Fußabdrucks« auf einem Gesetzesvorblatt denkbar ist. Auf der Ebene der einfachen Gesetze gilt für die Erhebung, Verbreitung und Nutzung personenbezogener Daten, u. a. durch öffentliche Stellen des Bundes, das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Gem. § 4 Abs. 1 BDSG ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig, »soweit das BDSG bzw. eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt hat«. Weder aus dem BDSG noch aus anderen Rechtsvorschriften ergibt sich eine ausdrückliche Erlaubnis, die Namen (externer) Interessenvertreter, die einen signifikanten Einfluss auf die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes gehabt haben, zu veröffentlichen.884 Die Verwendung eines »legislativen Fußabdrucks« erfordert daher einer Rechtsgrundlage, die in der Lage ist, den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs.1 GG zu rechtfertigen. Die oben bereits ausgeführten Untersuchungen zur rechtlichen Zulässigkeit einer Ausweitung der »Lobbyliste« beim Präsidenten des Deutschen Bundestages haben gezeigt, dass die grundsätzliche bzw. pauschale Nennung aller organisierten Interessenvertreter, die gegenüber dem Deutschen Bundestag tätig bzw. registriert sind, in einer Liste verhältnismäßig ist.885 Fraglich ist, ob die gezielte namentliche Nennung einzelner Akteure, die in bestimmten Gesetzgebungsvorhaben (an)gehört oder um Formulierungsvorschläge gebeten worden sind oder sonst einen »nachweisbaren« Einfluss ausgeübt haben, ebenfalls als verhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bewertet werden kann. Es ist ein legitimes Ziel, der Öffentlichkeit und insbesondere dem Wähler zu vermitteln, wie seine Repräsentanten in der Praxis rechtssetzend tätig werden. Dazu gehört zumindest auch das Umreißen des Interessenspektrums, mit dem sich der (berichterstattende) Abgeordnete während seiner Gesetzgebungsarbeit auseinandergesetzt hat. Für eine rechtliche 882 883 884 885
BVerfGE 65, 1 (44); 67, 100 (143); 78, 77 (85). Di Fabio in Maunz/Dürig, GG Kommentar, Art. 2 Rn. 182 f. B. Schröder, in WD 3 – 3000 – 056/11 S. 7. Vgl. schon die Ausführungen S. 141 ff.
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Reformvorschläge
Zulässigkeit spricht daher, dass aus der Tatsache der »bloß« namentlichen Nennung als einer unter mehreren Akteuren keine spezifische Preisgabe des tatsächlichen Einflussumfangs des Einzelnen hervorgehen würde. Da ohnehin bekannt ist, dass ein Berichterstatter in der Regel mit verschiedensten Interessenvertretern Gespräche führt, würde die namentliche Auflistung derselben keine tiefergehenden Informationen preisgeben. Auf der anderen Seite ist auf das berechtigte Interesse des Lobbyisten auf Vertraulichkeit von Gesprächen und damit einhergehend die Nichtpreisgabe seines Namens durch staatliche Stellen in egal welchem Zusammenhang Rücksicht zu nehmen. Dasselbe gilt für die Integrität des freien Abgeordnetenmandats aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, auf das in dieser Arbeit in anderem Zusammenhang schon wiederholt eingegangen worden ist. Auch hier ist Teilelement des besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes neben der Vertraulichkeit von Gesprächen (und mit wem diese geführt werden) die Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung, bei der der Abgeordnete einzig seinem Gewissen verantwortlich ist.886 Insgesamt ergibt die verfassungsrechtliche Abwägung der widerstreitenden Interessen – informationelle Selbstbestimmung des Interessenvertreters auf der einen, Informations- und Auskunftsbedürfnis auf der anderen Seite – dass die Verwendung einer »legislativen Fußspur« aus überwiegendem Allgemeininteresse gerechtfertigt wäre. Eine bloße Namensnennung im Zuge eines öffentlichen Gesetzgebungsprozesses gibt über das Tätigwerden an sich hinaus keinen tieferen Einblick in den »privaten Bereich des Betroffenen«. Im Gegenteil, gerade weil es hierbei um die Transparenz des rechtssetzenden Verfahrens der höchsten Volksvertretung geht, müssen externe Akteure, die diesen öffentlichen Prozess aktiv »begleiten«, Preisgaben hinnehmen, die auf ihr Tätigwerden hinweisen. Für die (rechtliche) Zulässigkeit der Schaffung einer Rechtsgrundlage zur »legislativen Fußspur« kann auch ergänzend die Begründung des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (»Informationsfreiheitsgesetz« – IFG)887 wertend herangezogen werden. Diesem lag die Intention zugrunde, einen »allgemeinen und voraussetzungslosen Zugang zu (amtlicher) Information des Bundes unter Berücksichtigung des Daten– und Geheimnisschutzes« zu eröffnen.888 Neben der Tatsache, dass Presse- und Interessenvertreter selbst als »Hauptnutzer der Informationsfreiheit des Bundes«889 angesehen werden können, ist vice versa ein Auskunftsrecht des Bürgers über eine Beteiligung jener intermediärer Kräfte aus dem Sinn und Zweck des IFG (vgl. § 2 886 887 888 889
Vgl. Klein in Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 194 f. Gesetz vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722). Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes in BT-Drucks. 15/4493. Vgl. H. Schmitz, S.-D. Jastrow, Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, NVwZ 2005, 984 (995).
Erweiterung von Rechtsvorschriften – Öffentliches Recht
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Nr. 1: amtliche Information als »jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung«) heraus durchaus begründbar. Aus rechtlicher Sicht bestehen damit keine überwiegenden Bedenken, die gegen die Einführung eines »legislativen Fußabdrucks« sprechen würden. Unter Beachtung der berechtigten Interessen des Datenschutzes bzw. des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen wäre eine (verhältnismäßige) gesetzliche Regelung daher zulässig.
b)
Rechtspolitische Zweckmäßigkeit
Die Befürworter der Einführung eines »legislativen Fußabdrucks« versprechen sich davon die Möglichkeit, mehr Transparenz zu erzeugen und dass dadurch der Lobbyismus in der Öffentlichkeit eher zu akzeptieren sei.890 Neben der verpflichtenden Angabe des Tätigkeitszwecks und des »Finanziers« in einem Lobbyregister würde der Interessenvertreter durch Nennung in einer »legislativen Fußspur« der jeweiligen Gesetzgebung in der Öffentlichkeit viel mehr bzw. eher als legitimer intermediärer Akteur wahrgenommen.891 Bürger und Wähler könnten durch solche Nennungen besser nachvollziehen, welche Interessen in die Entstehung eines Rechtsaktes eingeflossen sind.892 Darüber hinaus werde für »seriöse Lobbyisten« gerade ein Anreiz geschaffen, im »legislativen Fußabdruck« zu erscheinen und zu zeigen, dass sie aktiv geworden sind.893 Eine solche Erfassung könne sich sogar künftig als eine Art »Gütesiegel« für staatliche Institutionen, wie auch für die Interessenvertreter selbst, etablieren.894 Auf der anderen Seite wird vorgebracht, dass das Instrument einer »legislativen Fußspur« sehr bürokratisch sei und die Abgeordneten daran hindere, vertrauliche Informationen auch vertraulich zu behandeln.895 Es sei darüber 890 A. Hoffmann in WD 11 – 3000 – 19/11 S. 6 unter Verweis auf C. Yzer in »In der Lobby brennt noch Licht« – Lobbyismus als Schatten-Management in Politik und Medien, nr-Werkstatt Nr. 12 Dezember 2008, S.103, online abrufbar unter http://www.netzwerkrecherche.de/ files/nr-werkstatt-12-lobbyismus-als-schatten-management-in-politik-und-medien.pdf. 891 Vgl. C. Yzer, a.a.O., S. 103. 892 Vgl. die Äußerung bezüglich der europäischen Ebene von Ingo Friedrich MdEP a.D. im Presseartikel »Lobbyismus: Das EU-Parlament fordert Register für Interessenvertreter, Mehr Transparenz in der EU«, VDI Nachrichten vom 4. 4. 2008, online abrufbar unter http://www.vdi-nachrichten.com/artikel/Mehr-Transparenz-in-der-EU/37877/1. 893 Vgl. die Pressemitteilung von Ingo Friedrich MdEP a.D. vom 31. 07. 2008, online abrufbar unter http://www.ingo-friedrich.de/ingo-friedrich/hn/arbeit-als-mdep/pressemitteilungen/article/csu-vize-ingo-friedrich-mehr-transparenz-fuer-bruesseler-lobbyisten.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=177& cHash=989d5a8572c0ba4cba372c72e00821e8. 894 Vgl. die Pressemitteilung von Ingo Friedrich MdEP a.D. vom 31. 07. 2008, a.a.O. 895 A. Hoffmann in WD 11 – 3000 – 19/11 S. 6 unter Verweis auf den Artikel »MEP’s split over lobbying footprint«, EuropeanVoice vom 31. Januar 2008.
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Reformvorschläge
hinaus schwer oder geradezu unmöglich, objektiv darüber zu befinden, welche Interessenvertreter in einem Gesetzesvorhaben tatsächlich »gehört« worden sind. Dieser Umstand könne gegenüber Berichterstattern vielmehr den Verdacht erzeugen, sie hätten Informationen nur unausgewogen berücksichtigt.896 Schließlich wird angeführt, dass die Einführung einer »legislativen Fußspur« die Unabhängigkeit eines Parlamentariers gefährde bzw. sogar unterlaufen könne.897 Die kritischen Argumente sind, trotz der oben festgestellten prinzipiellen rechtlichen Zulässigkeit einer »legislativen Fußspur«, nicht von der Hand zu weisen. So sehr der Anspruch nach »größtmöglicher« Transparenz des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses des Deutschen Bundestages anzuerkennen ist, so deutlich muss die Frage gestellt werden, was eine »Fußspur« über scheinbar »signifikant« beteiligte Akteure tatsächlich zu diesem Anspruch beiträgt und ob sie nicht möglicherweise sogar ein falsches Bild zeichnet. Sinn und Zweck einer solchen Regelung kann jedenfalls nicht sein, in buchhalterischer Weise jeden Besuch in einem Abgeordnetenbüro zu erfassen und damit ein bürokratisches Monstrum898 zu generieren, das letztlich an der eigenen Überprüfbarkeit zu scheitern drohte. Es wird somit kaum vollständig nachprüfbar sein, mit welchen Einzelpersonen ein Abgeordneter tatsächlich über mögliche inhaltliche Ausgestaltungen eines Gesetzesvorschlags gesprochen hat. Hier ist vielmehr auf die Ehrlichkeit und das eigene Berufsverständnis des Mandatsträgers zu setzen, dessen wahrheitsgemäße Angaben über den Beratungsprozess schon im ureigenen Interesse liegen sollten. Macht er deutlich, von welchen Interessenvertretern er konsultiert worden ist, gibt dies dem Wähler und Bürger einen begrüßenswerten Einblick in die parlamentarische Arbeit »seines« Repräsentanten. Der Abgeordnete wiederum kann dadurch dem häufig erhobenen Vorwurf der »Hinterzimmerpolitik« entgegnen und so öffentlich »Rechenschaft« ablegen. Die Aussagekraft der namentlichen Nennung einzelner Interessenvertreter ist dabei ohnehin begrenzt, da aus ihr nicht zwangsläufig hervorgeht, welche Gesetzespassagen welche Interessengruppe tatsächlich signifikant beeinflusst hat. Tauchen dagegen die im Entwurfsstadium des Gesetzes gehörten Interessenvertreter mit ihrer ablehnenden und befürwortenden Argumentation namentlich in einem Vorblatt auf, so kann dies als Beweis gewertet 896 A. Hoffmann, ebenda, unter Verweis auf den Zeitungsartikel »MEP’s split over lobbying footprint«, EuropeanVoice vom 31. Januar 2008. 897 A. Hoffmann, ebenda, unter Verweis auf den Pressebeitrag »Regulating Brussels’ legion of lobbyists von Alexander Stubb MdEP a.D., Europe’s World, Frühjahr 2008, im Internet abrufbar unter http://www.europesworld.org/NewEnglish/Home_old/Article/tabid/191/ ArticleType/articleview/ArticleID/20442/language/en-US/Default.aspx. 898 Vgl. den Redebeitrag des Bundestagsabgeordneten Armin Schuster in der Bundestagsdebatte vom 7. April 2011, BT-Plenarprotokoll 17/102 S. 11689 f., der sich gegen die Einführung ausspricht.
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werden, das gesamte Meinungsspektrum in den Gesetzesberatungen berücksichtigt zu haben. So ist auch prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, dass gewisse Formulierungen in Gesetzen außerhalb des Deutschen Bundestages entstanden sind, solange von vornherein klar ist, dass hier ein Interesse artikuliert worden ist und dieses Interesse durch den jeweiligen Abgeordneten aufgenommen worden ist.899 Neben der Tatsache, dass für Ausschussanhörungen ohnehin bereits Berichtspflichten bestehen900 – die es allerdings auch konsequent einzuhalten gilt – wäre daher eine »legislative Fußspur« auf dem Vorblatt eines Gesetzentwurfes ein rechtspolitisch zu begrüßender Beitrag zur Transparenzförderung parlamentarischer Willensbildungsprozesse. Ein Fortschritt wäre bereits erzielt, würden schon jetzt konsequent sämtliche Stellungnahmen von Sachverständigen in den Ausschussanhörungen im Internet veröffentlicht werden. Sinnvoll wäre zudem, eine Regelung herauszubilden, die sowohl parlamentarische als auch ministerielle Kontakte mit Interessenvertretern erfasst. Man würde damit den gesamten Entstehungsprozess eines Gesetzentwurfes »dokumentieren« und so auch das Argument zu entkräften helfen, lobbyistische Einflussversuche würden bereits auf ministerieller Fachebene unlauter vonstattengehen.
7.
Spenden an Abgeordnete
Ein offenkundiger Reformbedarf zeigt sich im Hinblick auf die sogenannten Abgeordnetenspenden, also Zuwendungen, die direkt an Abgeordnete fließen, um deren politische Arbeit zu fördern.901 Dies gilt in besonderem Maße im Lichte der umfangreichen Regelungen des Parteiengesetzes über an Parteien gerichtete Spenden.902 899 Vgl. dazu den treffenden Beitrag von C. Yzer in der Dokumentation der Podiumsdiskussion in »In der Lobby brennt noch Licht« – Lobbyismus als Schatten-Management in Politik und Medien, nr-Werkstatt Nr. 12 Dezember 2008, S.103, online abrufbar unter http:// www.netzwerkrecherche.de/files/nr-werkstatt-12-lobbyismus-als-schatten-managementin-politik-und-medien.pdf S. 185 (194). 900 In der GOBT sind in §70 Abs. 1 öffentliche Anhörungen »von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen« vorgesehen, deren Protokolle nach §73 Abs. 2 GOBT nicht als Verschlusssachen behandelt werden dürfen. Die in den Anhörungen dargelegten Auffassungen sind vom jeweiligen Ausschuss in seinem Bericht an den Deutschen Bundestag in ihren wesentlichen Punkten wiederzugeben, vgl. § 66 Abs. 2 GOBT. 901 Vgl. dazu die Darstellung des Spendenrechts de lege lata, S. 60 ff. 902 Zur problematischen Abgrenzung von Abgeordnetenspende und Parteispende ausführlich: A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 189 f.
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Reformvorschläge
Direktspenden versus Parteispenden: Eine Lücke im Gesetz
Der Anspruch, der an die Ausgestaltung nicht nur der Regelungen über die Spenden-Finanzierung von Parteien sondern insbesondere auch an die Ausgestaltung der Spenden an Abgeordnete gestellt werden sollte, ist auch hier das öffentliche Interesse (des Wählers) an Transparenz. Die bestehenden Regelungen über Spenden an Abgeordnete entsprechen diesem Gebot aus einer Reihe von Gründen nicht. Die Publizitätsgrenze, nach der erst Einzelbeträge über 5.000 Euro überhaupt eine Anzeigepflicht und erst Beträge über 10.000 Euro eine Veröffentlichung der Spende durch den Bundestagspräsidenten zur Folge haben, sollte abgesenkt werden. Dieser Forderung liegen zwei offenkundige Defizite der bestehenden Regelungen zugrunde. Zum einen fordern die Mindestbeträge geradezu eine Umgehung heraus, denn Großspenden können theoretisch mühelos auf eine größere Anzahl von Abgeordneten bis zum Grenzbetrag verteilt werden.903 Zum anderen fallen auch kleinere Spendenbeträge bei Abgeordneten deutlich stärker ins Gewicht, stellen sie zumeist auch einen entscheidenden Anteil an der Finanzierung etwa des Wahlkampfes des einzelnen Kandidaten dar. Diese Bedeutung fällt für erstmalige Wahlbewerber sogar höher ins Gewicht, da der betriebene Aufwand zur Erlangung von Bekanntheit beim Wähler ungleich größer ist. Bei den Parteien dagegen haben regelmäßig erst größere Einzelbeträge potentiellen Einfluss auf politische Entscheidungen.904 Zu Recht können in diesem Zusammenhang die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung durch Spenden aufgezeigten Publizitätsgrenzen905 nur als Minimalforderung angesehen werden. Eine Offenlegungspflicht von Einzelspenden von nicht mehr als 10 % der Publizitätsgrenze für Parteien könnte hier ein sinnvoller Richtwert sein.906 Ein entscheidendes Argument für eine verstärkte Angleichung der Regelungen über Abgeordnetenspenden an das Parteispendenrecht ergibt sich insbesondere aus dem beschränkten (personellen) Geltungsbereich der bestehenden Regelungen, die sich de lege lata einzig auf die bereits gewählten Personen beziehen.907 Wahlkandidaten werden durch die Vorschriften der Geschäftsordnung des Bundestages ob der Rechtsqualität der Normen als reines Parlamentsinn-
903 J. Ipsen, Abgeordnetenspenden – eine Regelungslücke des Parteiengesetzes?, NVwZ 2003, 14, 17. 904 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 189 f. 905 Vgl. BVerfGE 85, 264 (324 f.). 906 J. Ipsen, ebenda. 907 Vgl. A. Käßner, a.a.O., S. 190 f.
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enrecht selbstredend nicht erfasst.908 Spenden, die direkt vom Spender an den Kandidaten fließen und nicht beispielsweise zunächst der Partei und dann dem Wahlkandidaten von der Partei überwiesen werden, also sogenannte Direktspenden, unterliegen damit keiner Veröffentlichungs- oder Anzeigepflicht.909 Der Anspruch des Transparenzgebots, nämlich die Offenlegung des Einflusses auf den politischen Prozess durch Geld, kann für den Wähler unter Umständen bei noch nie gewählten Wahlbewerbern sogar ungleich größer und bedeutsamer sein. Umso frappierender ist in diesem Zusammenhang die Ungleichbehandlung von erstmaligen Wahlbewerbern und solchen, die sich aus dem bestehenden Mandat zur Wiederwahl stellen. Letztere unterliegen auch während des Wahlkampfes der gesonderten Rechnungsführung und der Anzeige- und Veröffentlichungspflicht nach § 4 Verhaltensregeln-BT, wohingegen erstmalige Kandidaten keinerlei vergleichbaren Pflichten begegnen.910 Klein hat bereits in seinem Bericht für die »Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung« für den Deutschen Bundestag im Jahr 2001 gefordert, Offenlegungspflichten entsprechend zu erweitern und »auch auf solche Leistungen zu erstrecken, die nicht erfolgreiche Kandidaten für ihre Bemühungen um ein Amt oder Mandat erhalten haben«.911 Dazu bedürfe es allerdings einer gesetzlichen Grundlage. Eine Einbeziehung der Abgeordnetenspenden in die Rechenschaftspflicht der politischen Parteien böte darüber hinaus die Möglichkeit, die Verbindlichkeit und den Geltungsbereich der Vorschriften durch die Anwendbarkeit der effektiveren Sanktionsmaßnahmen des Parteispendenrechts zu stärken. Unrichtige Angaben von Abgeordneten oder anderen Funktionsträgern über die ihnen zugewandten Spenden würden gleichzeitig eine Unrichtigkeit des Rechenschaftsberichtes bewirken, vgl. § 31 d Abs. 1 Nr. 1 PartG.912 Verstöße gegen die Rechenschaftspflicht sind nach den §§ 31 b, 31c, 31 d PartG mit empfindlichen Geldsanktionen sowie nebenstrafrechtlichen Geld- bzw. Freiheitsstrafen belegt, während die schärfste Sanktion des Ermittlungsverfahrens nach den Bundestags-Verhaltensregeln eine »bloße« Veröffentlichung des Regelverstoßes und ein Ordnungsgeld vorsieht.913 Um dem Gesetzesvorbehalt zu genügen, bedürfte allerdings auch diese Modifikation eines formellen Gesetzes als Rechtsgrundlage.
908 H. A. Roll, Verhaltensregeln, in: Schneider/ Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 615 Rn. 21. 909 A. Käßner, a.a.O., S. 191. 910 A. Käßner, ebenda. 911 Vgl. H. H. Klein, Gutachten BT-Drucks. 14/6711, S. 19 oben. 912 J. Ipsen, Abgeordnetenspenden – eine Regelungslücke des Parteiengesetzes?, NVwZ 2003, 14, 17. 913 A. Käßner, a.a.O., S. 192.
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Reformvorschläge
Es stellt sich damit die Frage nach der Sinnhaftigkeit914 der ohnehin schwierigen Abgrenzung915 von Abgeordnetenspenden und Parteispenden. In vielen Fällen stellt es eine Schwierigkeit dar, den Destinatär der Spende durch den nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bestimmenden Willen des Zuwendenden916 überhaupt zweifelsfrei zuordnen zu können. Fraglich ist zudem, ob ein rechtlich nicht vorgebildeter Spender – was die Regel sein dürfte – überhaupt den Unterschied zwischen Abgeordneten- und Parteispende zu erkennen vermag. Käßner macht in diesem Zusammenhang zu Recht auf weitere Gründe aufmerksam, nach denen die Unterscheidung, die de lege lata gemacht wird, als künstlich und undienlich bewertet werden muss: So sei dies zum einen im Hinblick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot bedenklich, da beispielsweise eine (versehentliche) falsche Behandlung einer Spende durch den Annehmenden gleich strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte, vgl. §31 d PartG. Zum anderen seien bewusste Umgehungen der strengeren Vorschriften des Parteiengesetzes durch eine »Flucht« in die Abgeordnetenspende zu befürchten.917 Am Ende sind auch Zielrichtung und (Neben-)Effekt einer Direktspende dieselben, wie die einer Parteispende. Die dem Mandatsträger zugedachte Spende kommt zumindest mittelbar auch immer seiner Partei zugute. Nur in dem theoretisch denkbaren, jedoch praktisch kaum relevanten Falle eines parteilosen Mandatsträgers ist dies anders zu bewerten.918 Die Unterscheidung ist also auch hier eine künstliche und damit dem Transparenzgedanken nicht zweckdienliche. b)
Verbot von Direktspenden als Lösung?
Um die Abgrenzungsschwierigkeiten und Regelungslücken auszuräumen und um schon dem Anschein illegitimer Drittbeeinflussung des Mandatsträgers von 914 Es sei an dieser Stelle, der Vollständigkeit halber, zudem auf die steuerrechtlichen Aspekte verwiesen, die für Spender und Empfänger von nicht unerheblicher Bedeutung sein können, vgl. die unterschiedliche steuerrechtliche Handhabung nach den §§ 10b Abs. 2, 34 g Abs. 1 EStG und 13 Abs. 1 Nr. 18 ErbStG. So können für Parteispenden Steuerbegünstigungen in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus sind Parteispenden im Gegensatz zu Spenden an Abgeordnete von der Schenkungssteuer befreit, s. A. Käßner, ebenda, m. w. N. 915 Vgl. dazu ausführlich U. Battis/ J. Kersten, Regelungsdefizite des neuen Parteispendenrechts, JZ 2003, S. 655 (656) sowie J. Ipsen, Abgeordnetenspenden – eine Regelungslücke des Parteiengesetzes?, NVwZ 2003, 14. 916 Vgl. U. Battis/ J. Kersten, Regelungsdefizite des neuen Parteispendenrechts, JZ 2003, S. 655 (656) sowie J. Ipsen, Abgeordnetenspenden – eine Regelungslücke des Parteiengesetzes?, NVwZ 2003, 14, 15. 917 A. Käßner, a.a.O., S. 194, m. w. N. 918 A. Käßner, ebenda.
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vornherein aus dem Wege zu gehen, könnte somit der Schluss nahe liegen, ein gänzliches Verbot von Direktzuwendungen an Abgeordnete zu fordern.919 Schließlich würde ein generelles Verbot einen beachtlichen Beitrag zur Unabhängigkeit des Abgeordneten und zur Transparenz des Parteienfinanzierungsrechts leisten. Während Spenden an Parteien schon wegen des Vorranges der Selbstfinanzierung der Parteien verfassungsrechtlich zulässig und geradezu geboten sind, kann andersherum aus den Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 48 Abs. 3 GG eine grundsätzliche Missbilligung finanzieller Einflussversuche auf den Abgeordneten geschlossen werden.920 Becker weist in diesem Zusammenhang treffend darauf hin, dass eine Differenzierung zwischen einer im Rahmen der Verhaltensregeln (vgl. § 4 Verhaltensregeln-BT) implizit für zulässig erklärten Spende und einer gem. § 44 Abs. 2 AbgG explizit für unzulässigen sogenannten Interessentenzahlung praktisch kaum möglich sei.921 Faktisch kann so de lege lata derzeit jede verbotene Zuwendung als erlaubte Spende getarnt werden.922 Allerdings ist die Bedeutung von Direktspenden an Abgeordnete für den einzelnen Mandatsträger nicht zu unterschätzen. Gerade weil auch in Deutschland politische Karrieren zumeist Parteikarrieren923 sind, bieten Direktspenden noch eine der wenigen Möglichkeiten, (zumindest finanziell) unabhängiger von der Partei zu sein.924 Darüber hinaus können finanziell schwächer gestellte Wahlbewerber nur durch die Akquisition von Spenden den zuvörderst aus eigenen Mitteln zu bestreitenden Wahlkampf adäquat finanzieren.925 Nicht zuletzt ist das für viele Spender entscheidende personale Element einer Zuwendung zu berücksichtigen, nach dem die gezielte Förderung eines Einzelbewerbers noch vor der Parteienpräferenz den höheren Stellenwert genießt.926 Am Ende gebietet schon das Gebot der passiven Wahlrechtsgleichheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, dass die potentielle – wenn auch unwahrscheinliche –
919 Vgl. beispielsweise die Empfehlung der sog. »Sendler-Kommission« des Deutschen Bundestages in BT-Drucks. 12/4425, S. 31, 49. 920 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 195, m. w. N. 921 M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 124. 922 A. Käßner, a.a.O., S. 196. 923 J. Ipsen, Abgeordnetenspenden – eine Regelungslücke des Parteiengesetzes?, NVwZ 2003, 14, 17. 924 M. Becker, a.a.O., S. 124; A. Käßner, a.a.O., S. 196; H. H. Klein, Gutachten BT-Drucks. 14/ 6711, S. 19. 925 A. Käßner, ebenda, mit Verweis auf H. H. Klein, Gutachten BT-Drucks. 14/6711, S. 19. 926 Vgl. die Ergebnisse der Kommission unabhängiger Sachverständiger, BT-Drucks. 14/6710, S. 38.
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Reformvorschläge
passive Wahlmöglichkeit parteiloser Kandidaten durch ein Verbot von Direktspenden nicht quasi unmöglich gemacht wird. So unbefriedigend der gegenwärtige Rechtszustand im Hinblick auf Abgeordnetenspenden auch sein mag, sollte von einem gänzlichen Verbot von Direktspenden an Abgeordnete dennoch abgesehen werden. Sinnvoller wäre es dagegen, im Rahmen einer Reform des Spendenrechts eine deutliche Annäherung des Rechts der Abgeordnetenspenden an das Recht der Parteispenden anzudenken. Im Rahmen einer solchen Reform zu diskutieren wären etwa die Begrenzung einzelner Spenden pro Person der Höhe nach oder eine wie auch immer geartete Verpflichtung, nicht nur den Erhalt sondern auch die konkrete Verwendung der Direktspenden anzuzeigen.927 c)
Ergebnis
Der Grundgedanke des Transparenzgebots gilt für politische Akteure als Personen in gleichem Maße wie für Parteien als Organisationen und ist unter Umständen mit Bezug auf die Offenlegung von Spenden an Einzelpersonen sogar höher einzuschätzen. Da es faktisch die Parteimitgliedschaft ist, die dem Einzelbewerber den Wahlerfolg ermöglicht, sollte sie als Anknüpfungspunkt für künftige Regelungen betrachtet werden.928 Eine Anpassung und Angleichung des Rechts der Abgeordnetenspenden an das Parteispendenrecht ist verfassungsrechtlich notwendig und rechtspolitisch sinnvoll, eine gänzliche Eingliederung in das Parteispendenrecht sowie ein Verbot von Direktspenden an Abgeordnete sind allerdings aus Rücksichtnahme der Chancengleichheit parteiloser Bewerber nicht anzuraten.929 Es kann als verfassungsrechtliche Notwendigkeit angesehen werden, das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG auch als Gebot einer umfassenderen Regulierung der personenbezogenen Spenden aufzufassen. Insgesamt sollte so das Rechenschaftssystem über Spenden an Abgeordnete auf einfachgesetzliche Grundlage gestellt werden und konsequenterweise auch Wahlbewerber erfassen.
927 A. Käßner, a.a.O., S. 197. 928 Vgl. J. Ipsen, Abgeordnetenspenden – eine Regelungslücke des Parteiengesetzes?, NVwZ 2003, 14, 17. 929 A. Käßner, a.a.O., S. 197 f.
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8.
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Offenlegung von Einkünften – der gläserne Abgeordnete als Ideal?
Die jüngsten, auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigten930, Modifizierungen des Abgeordnetengesetzes über eine gestufte Offenlegungspflicht von Nebeneinkünften haben bereits einen wesentlichen Beitrag zum von verschiedener Seite verstärkt eingeforderten Transparenzgebot931 geleistet.932 Ob diesem Schritt in Richtung der gänzlichen Offenlegung von Einkünften der Abgeordneten noch weitere folgen sollten, die dem vermeintlichen Idealbild des »gläsernen Abgeordneten«933 faktisch nahe kämen, erscheint, der Argumentation von Stein934 folgend, zu Recht zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Akt der Stimmabgabe bei Wahlen nicht nur Freiheit von Zwang und unzulässigem Druck erfordere, sondern auch, dass der Wähler Zugang zu den Informationen habe, die für seine Entscheidung von Bedeutung sein können.935 Vielfältige Regelungen des Grundgesetzes seien dabei Ausprägungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit politischer Herrschaft, vgl. Art. 5 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 Satz 4, Art. 42 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG.936 Das Vertrauen des Volkes in die parlamentarische Demokratie funktioniere nur mit weitgehender Transparenz, die erlaube, zu verfolgen, was politisch geschieht.937 So schließe das freie Mandat die Rückkoppelung zwischen Parlamentariern und Wahlvolk auch während einer Legislaturperiode nicht aus, sondern ganz bewusst ein und schaffe durch den Zwang zur Rechtfertigung Verantwortlichkeit.938 Diese Rückkoppelung zwischen Abgeordneten und Wählern dürfe nach Ansicht des Gerichtes auch durch verpflichtende Regeln ausgestaltet werden, die zulässigerweise darauf abzielten, den Wählern anderweit nicht zugängliche Informationen zu verschaffen. Die Gefahr des Entzugs vor der Kontrolle der Öffentlichkeit sei ansonsten zu groß.939 Freilich lassen sich sehr unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten, welche Reichweite eine solche Verpflichtung zur Veröffentlichung »anderweit nicht zugänglicher Informationen« haben sollte. Der Gesetzgeber hat hierbei die 930 Vgl. BVerfGE 118, 277 (360 f.). 931 Vgl. dazu schon oben die Vorgabe von Prinzipien einer »good governance« seitens der Regelwerke Internationaler Organisationen, S. 129 ff.; sowie H. H. von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 198 ff. 932 Vgl. § 44 a Abs. 4 AbgG i. V. m. § 44 b AbgG i. V. m. der Anlage 1 GOBT. 933 Zur Begrifflichkeit des »Gläsernen Abgeordneten« vgl. BVerfGE 118, 277 (353). 934 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 646 f. 935 BVerfGE 118, 227 (353). 936 BVerfGE 118, 227 (353). 937 BVerfGE 40, 296 (327). 938 BVerfGE 118, 227 (353); K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 646. 939 BVerfGE 118, 227 (353).
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Reformvorschläge
betroffenen Rechtsgüter – die Funktionsfähigkeit und das Vertrauen in die Integrität des Deutschen Bundestages auf der einen und die Auswirkungen auf die Freiheit des Abgeordnetenmandats in ergänzender Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte auf der anderen Seite – in einen verfassungsgemäßen Ausgleich zu bringen.940 Im Hinblick auf die in dem Verfassungsrechtsstreit angegriffenen Regelungen über die Anzeigepflichten, die Veröffentlichung von Angaben über Tätigkeiten neben dem Mandat sowie die Sanktionierung von Verstößen hat das Bundesverfassungsgericht letztlich »nur« aufgrund der zur Anwendung gekommenen Regelung des § 15 Abs. 4 Satz 3 BVerfGG die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen können. Nach dieser Verfahrensvorschrift kann bei Stimmengleichheit der dem Senat angehörenden Richter ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden. So zeigt sich, dass es auch nach dieser Entscheidung umstritten ist, ob die Pflicht zur Offenlegung der Nebeneinkünfte mit dem freien Mandat und den Grundrechten vereinbar ist941 – es bleibt vielmehr ein unklares Bild dessen, wie das »grundsätzliche Verständnis des Abgeordnetenmandats im repräsentativen System des Grundgesetzes«942 zu bewerten ist. Die die Entscheidung des Gerichtes in Teilen nicht tragenden Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau bringen in diesem Zusammenhang bedenkenswerte Auffassungen vor, die die Kritik an dem vermeintlichen »Ideal« des »Gläsernen Abgeordneten« untermauern. Zu Recht wird in dem Sondervotum konstatiert, dass das Grundgesetz selbst den Begriff der Transparenz nicht kenne, sondern allgemein die Öffentlichkeit staatlicher Beratungs- und Entscheidungsprozesse »inhärenter Bestandteil« des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes gem. Art. 20 Abs. 1 GG sei.943 Der Verfassungsgeber habe öffentliche Rechenschaftspflichten explizit nur für die politischen Parteien geregelt, vgl. Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG, auf eine den Abgeordneten entsprechende Regelung jedoch (wohl aus gutem Grunde) verzichtet. Einkünfte, die neben dem Mandat erzielt werden, können zwar einen ersten Anhaltspunkt auf mögliche Interessenverknüpfungen geben, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Nebentätigkeiten und aus ihnen erzielten Einkünften mit der Gefahr von Abhängigkeitsverhältnissen kann nicht grundsätzlich angenommen werden. Vielmehr besteht bei einer Pflicht zur Veröffentlichung sämtlicher entgeltlicher Tätigkeiten – teils anonymisiert, teils namentlich ausgewiesen und in der Höhe pauschaliert – die Gefahr, über tatsächliche Abhän-
940 941 942 943
BVerfGE 118, 227 (385). So auch K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 647. M. Sachs in seiner Urteilsbewertung zu BVerfGE 118, 227 in JuS 2007, 1044 (1048 f.). Vgl. BVerfGE 118, 277 (382 f.); F. Schnapp, Darf es von Rechts wegen den »gläsernen Abgeordneten« geben? NWVBl. 2006, S. 401 (403).
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gigkeitsverhältnisse keine objektive Aussage treffen zu können.944 Die bloße Angabe des Zuflusses von Mitteln (und gegebenenfalls ihrer Höhe) vermittelt der Öffentlichkeit keine Vorstellung darüber, welche konkrete Gegenleistung erbracht worden ist und welcher betriebliche oder berufliche (Kosten-)Aufwand der Einnahmeseite möglicherweise gegenübersteht – von Aufwandsentschädigungen zahlreicher ehrenamtlicher Funktionen ganz zu schweigen. Diese »unbereinigten« Einkünfte (Gleichsetzung von Mittelzufluss und Einkommen) sind vielmehr geeignet, ein verzerrtes Bild der tatsächlichen finanziellen Situation des Abgeordneten zu zeichnen, was insbesondere Freiberufler und Selbstständige945 einem erheblichen Rechtfertigungsdruck aussetzen kann.946 Für letztere wird die Entscheidung zur Übernahme eines Abgeordnetenmandats damit erst recht unattraktiv. Soll also in der Konsequenz eine Ausweitung der Veröffentlichungspflichten in Richtung des »Gläsernen Abgeordneten« – etwa im Sinne einer Veröffentlichung der Einkommenssteuererklärung – erfolgen, wie dies beispielsweise in einigen europäischen Staaten, wie in Schweden und in Norwegen, der Fall ist? Dies kann sicherlich nicht gewollt sein, ist in diesem Zusammenhang doch auf das ausgeprägte Steuer- und Informationszugangsrecht der skandinavischen Länder hinzuweisen, das dort alle Bürger gleichermaßen betrifft und mit dem deutschen Steuer- und Informationszugangsrecht nicht vergleichbar ist.947 In der Bundesrepublik genießt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Geheimhaltung von persönlichen Daten für alle Bürger einen ausgeprägten verfassungsrechtlichen Schutz, der unter Berufung auf Regelungen anderer Rechtsordnungen nicht allein für den Abgeordneten zur Disposition gestellt werden darf.948 Eine »radikale« Lösung – so denn die bestehenden Veröffentlichungspflichten als unzureichend anzusehen sind – könnte am Ende nur darin bestehen, sich auch im bundesdeutschen Parlamentsrecht für »spanische Verhältnisse« zu 944 BVerfGE 118, 277 (387 f.). 945 Vgl. dazu auch Nr. 3 der »Ausführungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages« des Bundestagspräsidenten, wonach bei Nebentätigkeiten die »Art der Tätigkeit sowie Name und Sitz des Vertragspartners, des Unternehmens oder der Organisation« – bei Freiberuflern und Selbstständigen allerdings nur, soweit die Brutto-Einkünfte aus einer oder mehreren Vertragsbeziehungen mit diesem Vertragspartner die in § 1 Absatz 3 Satz 1 der Verhaltensregeln-BT genannten Beträge übersteigen – anzugeben sind. Dies kann bei Freiberuflern und Selbstständigen jedoch – neben einer erheblichen zusätzlichen Arbeitsbelastung – zu einer weitgehenden »Offenbarung« ihrer (neben-)beruflichen Tätigkeit führen. Dies begegnet, dem Sondervotum des Senats folgend, erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Berufsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, vgl. BVerfGE 118, 277 (394 f.). 946 BVerfGE 118, 277 (391 f.). 947 Vgl. H. W. Kruse, Über das Steuergeheimnis, BB 1998, S. 2133 (2134). 948 BVerfGE 118, 277 (398 f.).
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entscheiden. Für spanische Parlamentarier gilt ein weitreichendes Verbot, nach dem den Abgeordneten – abgesehen von wenigen Ausnahmen – jede entgeltliche Nebentätigkeit untersagt ist.949 Folglich wäre auch die Debatte über die Reichweite von Veröffentlichungspflichten über Nebentätigkeiten obsolet. Eine absehbare Folge einer so weitreichenden Modifizierung des Parlamentsrechts wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass das Abgeordnetenmandat, insbesondere für in der freien Wirtschaft besonders erfolgreiche »potentielle Kandidaten«, keine Attraktivität mehr besäße. Selbst die theoretische Möglichkeit, diese mangelnde Attraktivität beispielsweise durch eine deutliche Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung zu kompensieren, wäre wohl kaum erfolgversprechend. Die durch das Gesetz ausdrücklich zugelassene Möglichkeit einer vergüteten Tätigkeit außerhalb des Abgeordnetenmandats (§ 44 a Abs. 1 Satz 2 AbgG) liegt vielmehr gerade im Interesse der durch das Grundgesetz ausgestalteten demokratischen Staatsordnung.950 Sie garantiert eine enge Bindung an den »zivilen« Beruf während der Mandatszeit, ermöglicht die wünschenswerte »Verwurzelung« der Mandatsträger in der Breite der Gesellschaft und bewahrt die Möglichkeit einer unkomplizierten Rückkehr in den Beruf nach Ende der Mandatszeit. Zusammengefasst sollte daher darauf verzichtet werden, weitreichende Änderungen in der Zulässigkeit von Nebentätigkeiten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages anzustreben. Vor allem aber sollte sich die Einsicht durchsetzen, dass eine Ausweitung der Veröffentlichungspflichten und die Idealvorstellung eines »Gläsernen Abgeordneten« nicht der Maßstab im System des deutschen Parlamentarismus951 sind. Maßstab für die Wahrnehmung des Mandats im Interesse des Souveräns ist vielmehr, ob die nebenberufliche Tätigkeit geeignet ist, den Abgeordneten in die Gefahr von Interessenverknüpfungen und Abhängigkeitsverhältnissen zu bringen. Eine bloße Nennung der absoluten Höhe von (Neben-)Einkünften birgt vor allem das Risiko, Neid-Debatten Vorschub zu leisten.952 949 Vgl. Ley Orgnica 5/1985, de 19 de junio, del R¦gimen Electoral General, zuletzt geändert durch Ley Orgnica 16/2003, de 28 noviembre, Art. 157. 950 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 647. 951 Vgl. dazu auch das Sondervotum der dissentierenden Richter in BVerfGE 118, 277 (398): »Rechtsvergleichung kann ohne Bedachtnahme auf den politischen, historischen und sozialen Hintergrund einer bestimmten rechtlichen Regelung nicht auskommen und würde ohne Erörterung dieser faktischen Umstände nur an der Oberfläche eines realen Problems verharren (…). Daher wird in Staaten, in denen alle Bürger verpflichtet sind, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu offenbaren, die Offenlegungspflicht von Parlamentsmitgliedern oder anderen Inhabern öffentlicher Ämter anders zu beurteilen sein als in Staaten, in denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Geheimhaltung von persönlichen Daten einen hohen, teilweise verfasssungsrechtlich abgesicherten, Stellenwert hat.«. 952 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 647.
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Dagegen wäre ein sich ergänzendes Zusammenspiel von (bestehenden) qualitativen Veröffentlichungspflichten auf Seiten der Mandatsträger einerseits und registerpflichtigen (aber in Teilen freiwilligen) Veröffentlichungen von Seiten der Interessenvertreter andererseits, am ehesten dem Gemeinwohl und der Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems dienlich: »Das rechtsstaatliche System des Grundgesetzes benötigt und erlaubt kein jakobinisches Schwert, mit dem man die Hülle privater und gewerblicher Abwehrrechte durchschlagen könnte, um die ›wahren‹ Verhältnisse offenzulegen.«953
9.
Private Einkünfte und Abgeordnetenentschädigung
Im Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen und Abhängigkeitsverhältnisse, denen Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegenüber Dritten ausgesetzt sein können, wird auch die Idee vorgebracht, die aus einer Nebentätigkeit erzielten Einkünfte auf die Abgeordnetenentschädigung ganz oder teilweise anzurechnen.954 Als Vorbilder einer solchen Anrechnungspflicht werden die bestehenden beamtenrechtlichen Regelungen in Deutschland955 sowie Regelungen ausländischer Rechtsordnungen genannt, nach denen Hinzuverdienste von Abgeordneten, die sie aus Nebentätigkeiten erzielen, von der Entschädigung abgeschöpft werden.956 Allerdings bestehen schon erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel, ob vergleichbare Regelungen für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages überhaupt zulässig wären. Gegen eine Zulässigkeit wird insbesondere das »Diäten-Urteil«957 des Bundesverfassungsgerichts vorgebracht, wonach schon die aus der Wahlrechtsgleichheit gefolgerte strikte Gleichheit aller Abgeordneten bei der Bemessung ihrer Entschädigung jede Kürzung der staatlichen Abgeordnetenbezüge anlässlich individueller Verdienste verbiete.958 Zudem würden auch verfassungspolitische Gründe gegen eine Anrechnungsregelung sprechen: »Weil die Anrechnung nicht höher ausfallen kann als die Abgeord-
953 BVerfGE 118, 277 (384) (Sondervotum). 954 Vgl. H. H. von Arnim, Diener vieler Herren: die Doppel- und Dreifachversorgung von Politikern, München 1998, S. 177 f. 955 Vgl. § 69 BBG (a. F.) i. V. m. § 6 BNV. 956 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, 647, die als Beispiel ausländischer Regelungen auf die Niederlande verweist, wo Einkünfte, die 14 % der Abgeordnetenentschädigung übersteigen, zur Hälfte auf die Abgeordnetenentschädigung angerechnet werden (§ 2 Art. 3 Wet schadeloosstelling leden Twede Kamer). 957 BVerfGE 40, 296. 958 K. Stein, a.a.O., S. 647, 648, m. w. N. bei BVerfGE 40, 296 (318).
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Reformvorschläge
netenbezüge bemessen sind, würde der Zweck der Anrechnungsvorschriften gerade dort verfehlt werden, wo die privaten Einkünfte besonders hoch sind«.959 Vergegenwärtigt man sich auch in diesem Punkt den in dieser Arbeit wiederholt herausgearbeiteten grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Rechtsund Pflichtenkreis des Beamten auf der einen und der Stellung des Abgeordneten auf der anderen Seite, so verdient diese Ansicht Zustimmung. Die Abgeordnetenentschädigung soll es dem Mandatsträger gerade ermöglichen, durch eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung (vgl. Art. 48 Abs. 3 GG) einzig seinem Gewissen unterworfene Entscheidungen im Hinblick auf das Gemeinwohl zu treffen. Welche Hinzuverdienste der Abgeordnete neben dem Mandat erzielt, bleibt ihm überlassen, solange er darüber – den Vorschriften entsprechend – transparent dem Bundestagspräsidenten Auskunft erteilt. Im Gegensatz zur Stellung des Lebenszeit-Beamten ist das »Amt« des Abgeordneten dabei nicht dauerhaft angelegt, sondert endet spätestens mit Ablauf einer Legislatur. Das Beibehalten einer nebenberuflichen Tätigkeit (samt ihrer Bezahlung) ermöglicht dem Abgeordneten eine einfachere Rückkehr in den vormalig ausgeübten Beruf und dient nicht der dauerhaften Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage.960 Im Gegensatz dazu soll die Besoldung bzw. Alimentation des Beamten vor allem sicherstellen, dass dieser – wirtschaftlich unabhängig – Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen tätigt, ohne durch etwaige (bezahlte) Nebentätigkeiten dem Risiko einer unlauteren Einflussnahme Dritter ausgesetzt zu sein. Zusammengefasst ist der Vorschlag einer Anrechnung privater Einkünfte auf die Abgeordnetenentschädigung aus verfassungsrechtlicher wie auch aus verfassungspolitischer Hinsicht abzulehnen. Eine Anrechnungslöung würde aus beiderlei Hinsicht nicht dazu beitragen, unlautere Einflussnahme Externer zweckmäßig zu verhindern.
10.
Konsequente Transparenz bei Ausschussanhörungen von Interessenvertretern
In Zusammenhang mit den Ausführungen zur Einführung einer »legislativen Fußspur« bzw. der Schaffung eines verbindlichen Registers für Lobbyisten wurde erwähnt, dass bestehende Regelungen in den Geschäftsordnungen bereits Berichtspflichten vorsehen, die Ausschüsse bei öffentlichen Anhörungen von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen zu beachten haben, vgl. § 70 Abs. 1 GOBT. Gem. § 73 Abs. 1 GOBT ist über jede 959 K. Stein, a.a.O., S. 648. 960 Vgl. BVerfGE 40, 29.
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Ausschusssitzung ein schriftliches Protokoll anzufertigen, das mindestens alle Anträge und die Beschlüsse des Ausschusses enthalten muss. Schließlich ist in § 66 Abs. 2 GOBT geregelt, dass die in Anhörungen dargelegten Auffassungen vom Ausschuss in seinem Bericht an den Bundestag in ihren wesentlichen Punkten wiederzugeben sind. In der Praxis zeigt sich bisweilen eine gewisse Nachlässigkeit in der systematischen Wiedergabe aller vertretenen Auffassungen, weshalb die berechtigte Forderung erhoben wird, dass »statt eines bürokratisch aufwendigen FootprintPrinzips […] bei Gesetz- und Verordnungsentwürfen mit den Vorgaben […] in § 66 Abs. 2 GOBT für Ausschussberichte Ernst gemacht werden«961 müsse. Auf Seiten der Exekutive existiert dazu die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). Neben der Verpflichtung zur Beteiligung der Länder und der kommunalen Spitzenverbände bei der Vorbereitung von Gesetzund Verordnungsentwürfen bestehen mit den § 44 Abs. 4 und § 47 Abs. 3 GGO eindeutige Regelungen für die Beteiligung von Verbänden und Fachkreisen. Gem. §§ 22 Abs. 1 Nr. 4 GGO und § 51 Nr. 4 GGO ist das Ergebnis einer Verbandsbeteiligung, insbesondere die Darstellung wesentlicher Anregungen, denen nicht entsprochen werden soll, anzugeben.962 Auch nach Ansicht des Verfassers sollte vor dem Hintergrund der zahlreichen Forderungen nach einer umfassenderen Verrechtlichung folgendes nicht übersehen werden: neben den bereits bestehenden differenzierten Regelungen über das Einwirken von organisierten Interessen in die Willensbildung von Regierung und Verwaltung, haben sich auch im Hinblick auf die Willensbildung im Parlament und seinen Gliederungen bereits eine Reihe von Regelungen herausgebildet. Wenn schon weitere Schritte unternommen werden sollen, den Beratungsverlauf von Gesetzentwürfen »transparenter« zu gestalten, würde sich zunächst empfehlen, die schon bestehenden Vorschriften mit Nachdruck und Konsequenz anzuwenden und damit die Praxis der Ausschuss-Berichterstattung zu modifizieren.
II.
Erweiterung von Rechtsvorschriften – Strafrecht: Modifizierung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung § 108 e StGB?
Die Beschränkung der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung in § 108 e StGB lediglich auf den »Stimmenkauf« bzw. »-verkauf« hat seit ihrer Schaffung im Jahr 961 Vgl. J. Hahlen, Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages v. 15. 6. 2009, Innenausschuss A-Drucks. 16(4)631 F, S. 14. 962 Vgl. J. Hahlen, a.a.O., S. 3.
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Reformvorschläge
1994 steten Anlass zu Kritik gegeben.963 Zuletzt hat der 5. Strafsenat des BGH in einer Entscheidung vom 09. 05. 2006964 angemahnt, dass § 108 e StGB als »bedeutungslose symbolische Gesetzgebung« nicht ausreiche, um alle strafwürdigen korruptiven Verhaltensweisen zu erfassen.965 Hinzu kommt die Pflicht zur Ratifikation völkerrechtlicher Zusagen, die ebenfalls bereits Erwähnung gefunden haben. Aus dieser umfassenden Diskussion966 um eine Ausweitung des § 108 e StGB kann skizziert werden, was (erweiterte) strafrechtliche Lösungen zur Bewältigung unerwünschter Einflussnahmen durch Interessenvertreter auf Abgeordnete beitragen können bzw. inwieweit dies verfassungspolitisch sinnvoll wäre.
1.
Argumente für das Erfordernis einer umfassenderen Strafbarkeit
Ein Vergleich mit geltenden Strafvorschriften, die Beamte, Richter und andere Amtsträger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfassen, stellt den engen Straftatbestand des § 108 e StGB klar heraus: Während im parlamentarischen Bereich nur der Stimmenverkauf im engeren Sinne967 unter Strafe steht, sanktionieren die §§ 331 ff. StGB jegliche Vorteilsannahme im Rahmen der Amtsausübung. In der Praxis sind Strafverfolgungen letzterer daher keine Seltenheit.968 Befürworter einer Strafbarkeitserweiterung verlangen deshalb, eine zumindest »gewisse Gleichwertigkeit« der Strafbarkeit dieser Personengruppen zu erreichen, obschon die besonderen Eigenheiten des parlamentarischen Willensbildungsprozesses und der besondere (verfassungsrechtliche) Status des Abgeordneten berücksichtigt werden müssten.969 Das deutsche Rechtssystem besteht jedoch zu Recht auf einer Unterscheidung zwischen Amtsträgern und Abgeordneten. Letztere führen gerade nicht bloß weisungsgebunden Gesetze aus, sondern sind unabhängige Entscheidungsträger 963 Vgl. nur T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108e Rn. 2 f.; S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098; H. H. von Arnim, Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik, NVwZ 2006, 249 (252 f.). 964 BGH NStZ 2006, 389 ff. (392). 965 R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (460 f.). 966 Vgl. hierzu beispielhaft H. Schaller, Strafrechtliche Probleme der Abgeordnetenbestechung; J. Heisz, Die Abgeordnetenbestechung nach § 108 e StGB – Schließung einer Regelungslücke?; U. Epp, Die Abgeordnetenbestechung – § 108e StGB. 967 Barton spricht von lediglich besonders »kruden, krassen und simplen Formen«, die die Bestechlichkeit einschränken, vgl. S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098 (1100). 968 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 199. 969 So A. Käßner, ebenda.
Erweiterung von Rechtsvorschriften
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mit rechtsetzender Gewalt, die allein ihrem Gewissen verantwortlich sind, vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG.970 Ob allerdings der mögliche gesellschaftliche Schaden, der durch korruptives Verhalten von Abgeordneten entstehen kann, als maßgebendes Argument für eine Neuregelung herangezogen werden sollte971, erscheint zweifelhaft. Prägendes Motiv sollte dagegen sein, dass gerade die parlamentarische Willensbildung oft viel weiterreichende und grundlegendere Entscheidungen mit gesamtgesellschaftlicher Auswirkung trifft, die von korruptiven Einflüssen bewahrt werden müssen, als dies zumeist bei Einzelfallentscheidungen der Judikative und Exekutive der Fall ist.972 Ein weiteres Argument für eine Änderung des Straftatbestandes ist der »Selbstwiderspruch«973 innerhalb der Rechtsordnung. Art. 2 § 2 des Internationalen Bestechungsgesetzes (IntBestG) erfasst jede Art der Vorteilsgewährung für jede Art von mit dem Mandat zusammenhängende Tätigkeiten ausländischer Volksvertreter. Eine Unterscheidung nach inländischem oder ausländischem »Tätigkeitsfeld« eines betroffenen Parlamentariers ist eine nicht zweifelsfrei zu rechtfertigende Diskrepanz der strafrechtlichen Regelungssystematik. Im Hinblick auf die ohnehin bestehenden internationalen Verpflichtungen, namentlich die UN-Konvention gegen Korruption sowie das Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarates, zeigt jedenfalls die Schaffung des Art. 2 § 2 IntBestG vor wenigen Jahren, dass Änderungen im bestehenden deutschen Recht möglich sind. Dölling behauptet, dass eine hinreichend klare Abgrenzung korruptiver Verhaltensweisen zu »sonstigen politischen Tätigkeiten« durch einen Verweis auf die durch das Grundgesetz, einfaches Gesetz und die Geschäftsordnung des Bundestages übertragenen Befugnisse des Abgeordneten im parlamentarischen Willensbildungsprozess zu erreichen sei.974 Danach könnte jede Entgegennahme von Vorteilen, insbesondere finanzieller Art, als strafwürdig angesehen werden, die als Gegenleistung für ein zur Mandatsausübung gehörendes Verhalten975 erfolgt. »Verhalten« müsse Käßner zufolge damit nicht zwangsläufig auch ein
970 R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (460 f.). 971 So A. Käßner, ebenda. 972 W. Schaupensteiner, Bekämpfung von Korruptionsdelinquenz – Vom Unwesen des Bestechens und Bestochenwerdens, Kriminalistik, 1994, S. 514 (523). 973 A. Käßner, a.a.O., S. 200. 974 D. Dölling, Empfehlen sich Änderungen des Straf- und Strafprozessrechts, um der Gefahr von Korruption in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wirksam zu begegnen?, Gutachen C für den 61. Deutschen Juristentag, C 83. 975 M. Deiters, Die UN-Konvention gegen Korruption – Wegweiser für eine Revision der deutschen Strafvorschriften? in: U. von Alemann (Hrsg.), Dimensionen politischer Korruption – Beiträge zum Stand der Internationalen Forschung, S. 424 (437).
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Reformvorschläge
Abstimmungsverhalten sein und könnte damit treffend die vielfältigen Handlungsweisen politischer Prozesse erfassen.976 Über die bislang strafbare konkrete Unrechtsvereinbarung für zukünftige Abstimmungen durch Geldmittel hinaus, wird eine zeitlich und inhaltlich extensivere Ausgestaltung der Tathandlung gefordert.977 Ziel einer Neuregelung der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung müsse sein, Korruption im Inund Ausland und zwischen den unterschiedlichen Trägern der Staatsgewalt gleichwertig zu bekämpfen.978 Internationale Abkommen sowie die bereits bestehende Strafvorschrift nach dem IntBestG gäben dazu Orientierung. Stein schlägt vor, die Unterschiede zwischen der Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit durch jeweils einen eigenständigen Absatz für die entsprechende Tatbestandsalternative zu verdeutlichen.979 Dazu könne die derzeit noch in § 108 e Abs. 2 StGB enthaltene Rechtsfolgenbestimmung Gegenstand eines neuen dritten Absatzes werden, wohingegen von Stein für § 108 e Abs. 1 und 2 StGB folgende Formulierung vorgeschlagen wird: »Wer es unternimmt, einem Mitglied des Europäischen Parlaments, einer Volksvertretung des Bundes, der Länder (…) für die die Ausübung des Mandats einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vermögensvorteil zu verschaffen oder zu versprechen, wird mit Freiheitsstrafe (…) oder mit Geldstrafe (…) bestraft. Ebenso wird bestraft, wer es als Mitglied des Europäischen Parlaments, einer Volksvertretung des Bundes, der Länder (…) unternimmt, für die Ausübung des Mandats einen derartigen Vermögensvorteil zu fordern, sich versprechen zu lassen oder ihn annimmt.«980
Diesem Vorschlag ist insoweit zuzustimmen, als dass er nicht pauschal versucht, »moralische Standards in der politischen Tätigkeit«981 mit Mitteln des Strafrechts aufzustellen bzw. durchzusetzen. Da im Hinblick auf das Wahlvolk schon nicht von einem »homogenen Souverän mit einheitlichem Willen«982 die Rede 976 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 204. 977 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 660 f. 978 K. Stein, ebenda. 979 K. Stein, ebenda. 980 Vgl. dazu auch die Vorschläge in den jüngsten Gesetzentwürfen der Fraktion Die Linke vom 21. 04. 2010 (BT-Drucks. 17/1412), dazu krit.: E. Schnell, Neuer Anlauf zur Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung?, ZRP 2011, 4 ff., und der Fraktion BÜNDNIS90/Die Grünen vom 16. Oktober 2007 (BT-Drucks. 16/6726). Die mangelnde Bereitschaft zu einer Gesetzesänderung der übrigen (Mehrheits-)Fraktionen (vgl. nur Sitzg. Vom 25. 09. 2008, Verh. BT, 16. WP, S. 19118) lässt jedoch eine baldige Änderung des Status quo als nicht realistisch erscheinen. 981 So E. Schnell, Neuer Anlauf zur Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung?, ZRP 2011, 4 (6) zu Recht krit. zum Gesetzentwurf Fraktion Die Linke vom 21. 04. 2010 (BT-Drucks. 17/ 1412). 982 So E. Schnell, a. A.O, S 4 (6).
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sein kann, ist viel entscheidender, dass eine strafrechtliche Sanktionsdrohung dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügt. Dies sind auch nach Auffassung des Verfassers nur konkret feststellbare Tathandlungen im Hinblick auf einen möglichen Stimmenverkauf, den ein Mandatsträger im Rahmen seiner parlamentarischen Tätigkeit mit Dritten »eingeht«. Eine darüber hinausgehende Erweiterung des § 108 e StGB auf eine Verletzung von Transparenzvorschriften erscheint jedoch von vornherein nicht sinnvoll. Zumindest solange nicht konkrete Anhaltspunkte983 für eine Interessenkollision vorliegen, die zu veröffentlichen wären, sollte eine generelle Anzeigepflicht für Tätigkeiten und Einkünfte aus dem Mandat ohne Nachweis einer Konfliktlage im Einzelfall nicht im Straftatbestand erfasst sein. Ebenso griffe eine zusätzliche Sanktionsmöglichkeit in Form der Androhung des Entzuges von aktivem und passivem Wahlrecht984 nach Auffassung des Verfassers ungerechtfertigt weit in grundrechtlich verbürgte Rechtspositionen ein. Schließlich ist hierin ein Kardinalsrecht eines jeden wahlberechtigten Bürgers berührt, der anders überhaupt keine Möglichkeit mehr hätte, an politischer Willensbildung teilzuhaben. Ebenso muss es genügen, dass einzig der Souverän (das Wahlvolk) über Wiederwahl oder Nicht-Wiederwahl eines Mandatsträgers entscheidet, der möglicherweise Transparenzvorschriften verletzt hat. Dem durch Veröffentlichungen des Bundestagspräsidiums und die Medienberichterstattung informierten Wahlbürger kann unterstellt werden, dass er durch die Sanktion der Nicht-Wiederwahl der parlamentarischen Demokratie und dem rechtmäßigen Verhalten von Abgeordneten zur effektiven Durchsetzung verhilft.
2.
Argumente gegen das Erfordernis einer umfassenderen Strafbarkeit
In der Diskussion um eine mögliche Erweiterung bzw. Modifizierung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung gibt es auch deutliche Stimmen, die dem kritisch gegenüberstehen und dafür vor allem die Besonderheiten des deutschen Rechtssystems ins Feld führen.985 Schon vom Grundsatz her kann 983 So der Vorschlag von Schnell, a.a.O. 984 So der Vorschlag aus dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke vom 21. 04. 2010 (BTDrucks. 17/1412), und in modifizierter Form, nämlich durch Strafzumessungserwägungen auch vorgeschlagen von E. Schnell, Neuer Anlauf zur Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung?, ZRP 2011, 4 (7). 985 Vgl. M. Möhrenschlager, Die Struktur des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung auf dem Prüfstand – Historisches und Künftiges, in: Festschrift Ulrich Weber, S. 217, 231; S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098 (1101); R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (460 f.).
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Reformvorschläge
nicht jede materielle und immaterielle Besserstellung986 im parlamentarischen Alltag eines Abgeordneten als strafwürdig angesehen werden, wenn beispielsweise ein Amt in der zu wählenden Regierung, ein sicherer Listenplatz oder andere Förderungen der politischen Karriere zumindest konkludent in Aussicht gestellt werden.987 Es besteht überhaupt schon keine Einigkeit darüber, was politisch inadäquates Verhalten ausmacht.988 Wiederholt wurde in dieser Arbeit bereits dargelegt, dass der Abgeordnete im Gegensatz zum Beamten allein seinem Gewissen verantwortlich ist und sich diese Gewissensentscheidung nicht auf ihre »Pflichtgemäßheit« überprüfen lässt.989 Michalke stellt dazu treffend fest: »Bedingt durch die Besonderheiten bei der Handhabung des Abgeordnetenmandats, insbesondere den für den »Lobbyismus« so typischen »Gegenseitigkeitsgeschäften« sowie das grundsätzlich fehlende Verbot, Zuwendungen und Entgelte anzunehmen, sind keine ausreichend objektivierbaren Kriterien für die in der Praxis so wichtige Unterscheidung zwischen dem sozialadäquaten und dem strafwürdigen Handeln von Parlamentariern vorhanden.«990
Das Eingehen von Kompromissen durch gegenseitiges Nachgeben und gleichzeitiges Fordern gehören, wie auch die Einwirkung von Interessenvertretern auf Willensbildungsprozesse, zum Wesen einer parlamentarisch-repräsentativen Demokratie.991 Soll auf der anderen Seite die konkrete Stimmabgabe oder ein anderes Handeln des Mandatsträgers mittels Bezahlung erfolgen, besteht über die Unzulässigkeit Einigkeit. Während bei Beamten die Annahme von Vorteilen oder die Feststellung von »Gegenseitigkeitsgeschäften« bereits einen begründeten Anfangsverdacht nach den §§ 331 ff. StGB auslösen, legen vergleichbare Handlungen beim Abgeordneten in keiner Weise sozial inadäquates Verhalten nahe.992 Problematisch erweist sich also die Grenzziehung zwischen den Verhaltensweisen, denn ein Straftatbestand muss hinreichend konkret ein strafbares Verhalten umschreiben, Art. 103 Abs. 2 GG. Der Versuch, die mangelnde Bestimmbarkeit strafbaren Verhaltens über eine bloße Verwerflichkeitsklausel in 986 So T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 331 Rn. 11 f. 987 So A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, S. 206 mit Verweis auf B. Schulze, Zur Frage der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung, JR, H. 12, 1973, S. 485 – 488. 988 S. Barton, Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB), NJW 1994, 1098 (1101). 989 R. Michalke, a.a.O., S. 459 (468). 990 R. Michalke, ebenda. 991 M. Becker, Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des § 108 e StGB sowie der Verhaltensregeln des Bundestages, S. 189. 992 R. Michalke, ebenda.
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Anlehnung an die Klausel des § 240 Abs. 2 StGB zu kompensieren993, führt dabei in die Irre. Aufgrund fehlender deskriptiver Merkmale, die einschränkende Beurteilungskriterien für eine solche Klausel böten – § 240 Abs. 2 StGB benennt demgegenüber konkrete Nötigungsmittel (Anwendung von Gewalt oder die Androhung eines Übels) – gelingt keine treffende Definition der verwerflichen Vorteils(an)nahme.994 Da schon der Ansatz der notwendigen Kohärenz von Amtsträgern und Abgeordneten im deutschen Rechtssystem fehle, ist nach dieser Auffassung die von der UN-Konvention vorgesehene Gleichstellung schlicht nicht zu verwirklichen.995 Der Vertragsstaat könne in diesem Falle nicht gezwungen werden, die von der UN-Konvention vorgesehene Gleichsetzung in sein Recht zu übertragen.996 Als vermeintlich »leichtere Übung« stellt sich die Ausweitung des Tatbestandes auf Bestechungen in Bezug auf Abstimmungen in anderen Gremien als dem Plenum des Parlaments dar. So könnten Abstimmungen und Wahlen in Fraktionen und Ausschüssen in den Tatbestand mit einbezogen werden. In Ausschüssen wird die meist nur noch »formale« Abstimmung im Parlament am Ende wesentlich vorbereitet. Durch ihre »Spiegelfunktion« in Bezug auf die Fraktionsgrößen wird das im Ausschuss erzielte Ergebnis absehbar für die letzte (zweite und dritte) parlamentarische Lesung und Abstimmung. Lobbyistische Einflussversuche setzen in diesem Stadium, in dem sich noch Vieles »im Flusse« befindet, und auch schon davor an. Auch in den Fraktionen werden wesentliche Weichenstellungen der politischen Willensbildung vorab festgelegt – die ungeschriebene »Regel« der Fraktionsdisziplin in der öffentlichen Abstimmung fordert es geradezu heraus, dass der Parlamentarier nur in diesem »Vorstadium« innerfraktioneller und innerparteilicher (nicht-öffentlicher) Beratung abweichende Tendenzen kundtut. Diese Auffassung übersieht jedoch, dass durch die Ausgestaltung des Tatbestands der Abgeordnetenbestechung als »Unternehmensdelikt« nach § 11 Abs. 1 Ziff. 6 StGB das Delikt bereits mit dem Versuch, und damit schon weit im Vorfeld des eigentlichen »Stimmenkaufs« – vollendet ist. Schon das Ansetzen zu einer Handlung, die nach der Vorstellung des Täters zu einem Stimmenkauf oder -verkauf führen soll, reicht zur Vollendung aus.997 So gesehen werden über die 993 Vgl. den Entwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vom 16. 10. 2007, BTDrucks. 16/6726. 994 Vgl. R. Michalke, a.a.O., S. 459 (470). 995 R. Michalke, a.a.O., S. 459 (468). 996 M. Möhrenschlager, Die Struktur des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung auf dem Prüfstand – Historisches und Künftiges, in: Festschrift Ulrich Weber, S. 217, 231; F. Zieschang, Das EU-Bestechungsgesetz und das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung, NJW 1999, 105 (107). 997 T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108 e Rn. 10.
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Reformvorschläge
Versuchsstrafbarkeit alle auch in den §§ 331 ff. StGB genannten Tathandlungen des »Forderns, Anbietens, Versprechens und Versprechenlassens eines Vorteils« für den Stimmenkauf erfasst.998 Zudem ist nach h. M. bei diesem »echten« Unternehmensdelikt weder ein Rücktritt gem. § 24 StGB noch eine Strafmilderung gem. § 23 Abs. 2 StGB möglich999, wodurch der Versuchsstrafbarkeit praktisch ein selbstständiger Deliktscharakter zukommt.1000 Eine weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit in die Beratungen bzw. Abstimmungen vorbereitender Gremien ist damit gar nicht geboten. Unter Berücksichtigung der bei einem Unternehmensdelikt mit einzubeziehenden Versuchsstrafbarkeit ergeben sich daher schon de lege lata weitgehende Strafbarkeitsvoraussetzungen. Fischer stellt dazu treffend1001 fest: »Die weite Vorverlagerung der Vollendungsgrenze führt daher zu weitreichenden Ahndungsmöglichkeiten korruptiven Verhaltens, welche weder den pauschalen Unwirksamkeits-Vorwurf noch die erstaunliche Zurückhaltung von Ermittlungsbehörden rechtfertigen.«1002
Michalke veranschaulicht anhand der Argumentation des 5. Strafsenats des BGH im zu entscheidenden Fall1003 überzeugend, dass sich unter Berücksichtigung der für das Unternehmensdelikt der Abgeordnetenbestechung mit einzubeziehenden Versuchsstrafbarkeit den Korruptionsbestimmungen vergleichbare Strafbarkeitsvoraussetzungen bereits existieren:1004 So seien an die »Feststellungen einer zumindest konkludenten Unrechtsvereinbarung bei den Abgeordneten keine höheren Anforderungen als bei den Bestechungsdelikten für die Amtsträger« zu stellen oder es genüge, »wenn dem Empfänger ein Vorteil zumindest zumindest auch um eines bestimmten künftigen Abstimmungsverhaltens Willen zugute kommen« solle. Darüber hinaus müsse »das Abstimmungsverhalten nach seinem sachlichen Gehalt nur in gro998 999 1000 1001
BGHSt 15, 88 ff. (97). T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 11 Rn. 28 ff. R. Michalke, a.a.O., S. 459 (470). Zustimmend auch R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (473). 1002 T. Fischer, StGB und Nebengesetze, § 108e StGB Rn. 10. 1003 BGHSt, NStZ 2006, 389 ff.: In dem Fall hatte der Bundesgerichtshof einen kommunalen Mandatsträger, der von einem Unternehmer im Hinblick auf sein Stimmverhalten Geldzuwendungen erhalten hatte, vom Vorwurf der Bestechlichkeit nach den §§ 331 ff. StGB freigesprochen mit der Begründung, dieser sei kein »Amtsträger« im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Der Senat selbst macht in dieser Entscheidung (erstaunlicherweise) durch seine eigenen Hinweise an die nächste Instanz deutlich, dass der Freispruch des Mandatsträgers vom Vorwurf nach den §§ 331 ff. StGB gute Aussichten habe, durch eine Verurteilung nach § 108e StGB »aufgefangen« zu werden (Michalke, ebenda). 1004 R. Michalke, a.a.O., S. 459 (473).
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ben Umrissen festgelegt sein« und schließlich liege »bei längerfristigen Zuwendungen im Sinne eines Anfütterns eine Unrechtsvereinbarung nahe, wenn sich die erwartete Gegenleistung konkretisiere«. Unter näherer strafrechtlich-dogmatischer Betrachtung liegen daher überzeugende Gründe dafür vor, dass durch § 108e StGB über die (schwerwiegendste) Form des »Stimmenkaufs« hinaus de lege lata bereits zahlreiche Verhaltensweisen unter Strafe gestellt sind. Sogar der stets als Argument für eine Strafbarkeitserweiterung ins Feld geführte Art. 2 § 2 IntBestG bleibt (unter dieser Betrachtung) durch seine Beschränkung auf »Vorteile im internationalen geschäftlichen Verkehr« und der nicht erfassten »passiven« Bestechung hinter der Reichweite des § 108 e StGB zurück.1005
3.
Ergebnis
Das Strafrecht ist grundsätzlich auf das Maß des Erforderlichen zu beschränken.1006 Die in Grundrechte eingreifenden strafrechtlichen Sanktionen dürfen erst dann zur Anwendung kommen, wenn der zugrunde liegende Konflikt nicht ausreichend durch weniger einschneidende staatliche Sanktionen geregelt werden kann. Unter der Prämisse, jedes noch so scheinbar verdächtige Verhalten von Interessenvertretern gegenüber Abgeordneten des Deutschen Bundestages – das »Anfüttern«, die Einladung zu parlamentarischen Abenden oder Abendessen – durch den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung zu erfassen, wäre eine Erweiterung sicherlich geboten. Der kritische strafrechtsdogmatische Blick auf die verbreiteten Forderungen »belehrt« allerdings, dass de lege lata der Großteil korruptiver Verhaltensweisen von und gegenüber Abgeordneten unter den (Versuchs-)Tatbestand des § 108 e StGB subsumierbar ist. Die danach nicht erfassten Verhaltensweisen können jedenfalls sinnvoller durch außerstrafrechtliche Maßnahmen geregelt werden. Eine andere, jenseits der rege diskutierten lex ferenda zu beantwortende Frage ist die, wie Ermittlungsbehörden mit dem bestehenden Regelwerk bislang umgehen und sich zu einem Tätigwerden veranlasst sehen. Unter Abwägung des Risikos, das eine noch weitergehende Strafbarkeit bergen würde – Missbrauch durch (Oppositions-)Fraktionen bzw. (Oppositions-) 1005 R. Michalke, ebenda. m. w. N. bei D. Dölling, Empfehlen sich Änderungen des Straf- und Strafprozessrechts, um der Gefahr von Korruption in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wirksam zu begegnen?, Gutachen C für den 61. Deutschen Juristentag, C 83; P. Gänßle, Das Antikorruptionsstrafrecht – Balsam aus der Tube der symbolischen Gesetzgebung?, NStZ 1999, 543 (547). 1006 M. Walter, Über die Fortentwicklung des Jugendstrafrechts – vom besonderen Sanktionssystem zur Redaktion der Eingriffstatbestände, NstZ 1992, S. 473.
210
Reformvorschläge
Abgeordnete und Behinderung des parlamentarischen Ablaufs, problematische Bestimmbarkeit strafrechtlich relevanter Tätigkeiten einerseits – gegenüber der Gefahr, gewiss nie ganz schließbare Lücken bzw. »Schlupflöcher« im bestehenden Tatbestand in Kauf zu nehmen andererseits, überwiegen im Hinblick auf die gebotene Zurückhaltung strafrechtlicher Regelungswut die Argumente restriktiver Anpassung.
III.
Outsourcing von Gesetzentwürfen
1.
Ausgangslage
Spätestens mit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise durch die Lehman-Brothers-Insolvenz im Herbst 2008, die insbesondere im Sommer des Jahres 2009 ein kurzfristiges Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers erforderlich gemacht hatte, ist unter dem Stichwort »Gesetzgebungsoutsourcing«1007 ein Problem zu Tage getreten, das als solches bis zu diesem Zeitpunkt nicht Gegenstand größerer politischer und rechtswissenschaftlicher Debatten in Zusammenhang mit dem Konfliktfeld der Interessenpolitik gewesen war.1008 Die Mitwirkung von Rechtsanwälten an der Gesetzesvorbereitung stellt zwar in Deutschland kein Novum dar – im Zeitraum von 1990 bis 2009 sind 61 Gesetze erlassen worden, an denen externe Berater mitgewirkt haben1009 –, allerdings haben erst die gesetzgeberischen Maßnahmen in Folge der Finanzkrise in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft eine Debatte1010 über die Zulässigkeit dieses Phänomens1011 entfacht. 1007 »Outsourcing ist die Verlagerung von Dienstleistungen oder Arbeitsprozessen aus dem eigenen Unternehmen auf außenstehende Dritte, weil diese – angeblich – die outgesourcten Arbeiten besser, schneller oder billiger vornehmen können«, vgl., auch zur allgemeinen Begrifflichkeit des Outsourcings, A. C. Filges, Gesetzgebungsoutsourcing – ein neues Berufsfeld für Rechtsanwälte?, BRAK-Mitt. 6/2010, S. 239 – 244 (239 f.). 1008 Vgl. M. Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, 131, 134 (131 f.). 1009 A. C. Filges, a.a.O., S. 239 – 244 (241). 1010 Jüngst wurden Vorwürfe erhoben, wonach die Erstellung eines Gesetzentwurfes zur Änderung der Rechte von Kleinaktionären gezielt an Rechtsanwaltskanzleien ausgelagert worden sei, die zugleich Großunternehmen berieten und darüber hinaus die den Gesetzentwurf initiierenden Abgeordneten (arbeitsvertraglich) verbunden seien, vgl. den Artikel »Skandal erreicht die FDP-Spitze« vom 18. 02. 2013 in Handelsblatt online, abrufbar unter : http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gesetze-aus-anwaltshand-skandal-erreicht-die-fdp-spitze/7797506.html. 1011 Vgl. dazu auch vgl. J. Ipsen, Grenzen des Staates, in E. Jesse (Hrsg.), Renaissance des Staates?, S. 41 (44), der sich kritisch mit der These auseinandersetzt, dass »der Staat« sich zunehmend aus der Ordnung bestimmter Sachbereiche heraushalte und sie gänzlich der
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Es stellt sich daher die Frage, ob dieser Themenkomplex überhaupt Gegenstand einer Untersuchung des Rechtsrahmens von Interessenpolitik bei der Gesetzgebung am Deutschen Bundestag sein sollte, standen doch im Zentrum der geäußerten Kritik die an den praktisch »über Nacht« durch große Rechtsanwaltskanzleien erstellten Gesetzentwürfen1012 primär beteiligten Bundesministerien.1013 Unter dem Blickwinkel, dass die Gesetzgebung per definitionem zunächst und am Ende buchstäblich entscheidend dem Parlament obliegt, sollte jedoch die berechtigte Frage gestellt werden dürfen, inwieweit das sogenannte Outsourcing von Teilen oder der Gesamtheit eines Gesetzentwurfes nichtstaatlichen Akteuren anvertraut werden darf und inwieweit dabei möglicherweise die Gefahr unzulässiger (oder unerwünschter) teilwohlorientierter Einflussnahme auf die dem Gemeinwohl dienende Legislative besteht. Neben der »finalen« Ratifikationsfunktion obliegt dem Parlament nämlich zunächst – auch wenn der Blick auf die ständige Praxis die inhaltliche Ausgestaltung von Gesetzentwürfen allein schon ob ihrer umfangreicheren personellen Ausstattung eher bei der Ministerialbürokratie verorten mag – zudem eine sachliche Programmierungsfunktion.1014 Auch vor dem Hintergrund des nach dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion benannten Effektes des »Struck’schen Gesetzes«, nach dem kein Gesetzentwurf das Parlament verlasse, wie es ursprünglich eingebracht worden ist,1015 ergibt sich keine andere Ausgangslage: »In materieller Hinsicht ist die Delegation von Entwurfsarbeiten rechtsrelevant, weil von den Entwürfen in den Begriffen der kognitiven Psychologie sogenannte Ankereffekte ausgehen. Als Ankereffekt bezeichnet man die unbewusste Orientierung einer Entscheidung an Vorgaben, die vorab durch Dritte gesetzt wurden«1016, stellt Krüper zu Recht fest. »Die Federführung bei einem
1012
1013 1014 1015 1016
Selbstregulierung durch Verbände oder andere Akteure, etwa international agierende Law Firms, überlasse. Die erste Reaktion des Gesetzgebers auf die Insolvenz der Investmentbank war der Erlass des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (FMStG), das maßgeblich von der Rechtsanwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen erarbeitet worden war. Es folgte in einem zweiten Schritt das Rettungsübernahmegesetz als Teil des Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes (FMStErG), das im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie durch die Rechtsanwaltskanzlei Linklaters LLP entworfen worden war, vgl. M. Kloepfer, a.a.O., S. 131 m. w. N. Vgl. J. Jahn, Selbst die Gesetzgebung wird manchmal »outgesourced«, in: FAZ vom 29. 09. 2010 S. 21; U. Battis, Outsourcing von Gesetzentwürfen?, ZRP 2009, 201 ff.; A. C. Filges, a.a.O., S. 239 – 244. J. Krüper, Lawfirm – legibus solutus? Legitimität und Rationalität des inneren Gesetzgebungsverfahrens und das »Outsourcing« von Gesetzentwürfen, JZ 13/2010, S. 655 – 662 m. w. N. bei Di Fabio, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR, Bd. 2, § 27 Rn. 19. Vgl. schon oben S. 42 sowie C. Plinke, Gesetzgebungsoutsourcing – Gesetzgebung durch Rechtsanwälte?, ZG 26/2011 , S. 92 (93). J. Krüper, a.a.O., S. 655 – 662, m. w. N.
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Reformvorschläge
Entwurf kann daher schnell zur Machtfrage werden«, konstatiert folgerichtig Filges. In diesem Zusammenhang verortet Krüper auch treffend in einem erstrecht-Schluss die Gemeinwohlbezogenheit staatlicher Aufgabenerfüllung, die auch für die Ausarbeitung von Gesetzen (durch die Ministerien) aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG herzuleiten sei. Löse nämlich schon der gesetzlich programmierte grundrechtswesentliche Vollzug einer Rechtsnorm den Funktionenvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG aus, müsse dies erst recht für die weitgehend unprogrammierte Erarbeitung von Rechtsnormen gelten. Die umfassende Gemeinwohlbindung der öffentlichen Verwaltung wirke hier als unverzichtbares Korrektiv eines ansonsten rein interessengeleiteten Normsetzungsprozesses.1017 In Art. 76 Abs. 1 GG, der Ausgangsvorschrift der Bestimmungen zum Gesetzgebungsverfahren, ist der Legislative und der Exekutive »exklusiv« das Recht zur Gesetzesinitiative zugewiesen. Die Bedeutung der die beiden Gewalten leitenden (externen) Interessen und auch die Orte der Gesetzgebung sind nicht Gegenstand verfassungsrechtlicher Regelungen; das sogenannte innere Gesetzgebungsverfahren als Prozess des Zustandekommens der Gesetzesinitiativen wird vielmehr vorausgesetzt.1018 Mit Blick auf das hier in Rede stehende parlamentarische innere Gesetzgebungsverfahren, das durch die Arbeit in Fraktionen, Ausschüssen und Arbeitsgruppen (gleichfalls) inhaltliche Einflussnahme auf den Gesetzentwurf ermöglicht, ergibt sich damit folgende Problematik: Wählen die mit der Gesetzesvorbereitung befassten staatlichen Institutionen mittels anderweitig Beteiligter (beispielsweise Rechtsanwaltskanzleien) alternative Formen der Entscheidungsproduktion ganzer Gesetzentwürfe oder wesentlicher Teile, so bewegt sich das Verfahren im Grenzbereich des verfassungsrechtlichen Institutionengefüges.1019 Die politische Rationalität des Gesetzgebungsverfahrens als staatliche Gemeinwohlverwirklichung kann möglicherweise geschädigt werden oder gar gänzlich verloren gehen: »Der Anwalt wird materiell zum Gesetzgeber – aus Beratung wird unmittelbare Gestaltung«.1020 In diesem Zusammenhang muss klargestellt werden, dass es sich bei der »Gesetzgebungshilfe« durch Rechtsanwälte um ein grundsätzlich zulässiges Vorgehen der Mitwirkung Externer an der staatlichen Gesetzgebung handelt. Diese wird beispielsweise auch durch die Zuarbeit von Verbänden, Instituten 1017 J. Krüper, a.a.O., S. 655 f., m. w. N. 1018 J. Krüper, a.a.O., S. 656, 657, m. w. N. 1019 J. Krüper, Lawfirm – legibus solutus? Legitimität und Rationalität des inneren Gesetzgebungsverfahrens und das »Outsourcing« von Gesetzentwürfen, JZ 13/2010, S. 655 – 662 (657). 1020 So M. Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, 131, 134 (132).
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oder rechtswissenschaftlichen Professoren, – zumeist sogar in rechtsförmlichen Verfahren, wie Ausschussanhörungen gem. § 70 Abs. 1 GOBT, Anhörungen beteiligter Kreise gem. § 51 BImSchG oder allgemeinen Hearings1021 – also durch besagte »grundrechtsrelevante Erscheinungen der Vorbereitung des politischen Willens«,1022 regelmäßig in Anspruch genommen.1023 Davon zu unterscheiden ist das hier in Rede stehende Auslagern ganzer Gesetzesentwürfe in Form der Indienstnahme externer Rechtsanwälte, die nicht als Sachverständige für Formund Normfragen, sondern aufgrund ihrer ausgewiesenen, durch frühere oder laufende Mandate erworbenen Expertise (etwa Rechtsfragen der Restrukturierung von Banken oder der Regulierung internationaler Finanzmärkte) herangezogen werden.
2.
Der Anwalt lobbyiert als sachverständiger Gesetzgeber?
In der Idealvorstellung verfügt der Interessenvertreter regelmäßig über einen qualifizierten Überblick über eine in Gesetzesform zu regelnde Materie und kann dabei unter Umständen auch unmittelbar von ihr betroffen sein. Demgegenüber soll sich ein Sachverständiger auszeichnen durch Sachkunde, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.1024 Dass diese Differenzierung in der Praxis der Gesetzgebung häufig nicht durchzuhalten ist, ist offenkundig. So können insbesondere Rechtsanwälte1025 durch Mandate auf einem Rechtsgebiet spezifische Expertise erworben haben, das unter Umständen Gegenstand gesetzlicher Neuregelungen sein wird und mit deren Ausarbeitung sie wiederum staatlicherseits betraut worden sind.1026 Deshalb kurzer Hand eine Gleichsetzung von 1021 Vgl. die §§ 22 Abs. 1 Nr. 4, 47 Abs. 3, 51 Nr. 4 GGO. 1022 U. Battis, Outsourcing von Gesetzentwürfen?, ZRP 2009, 201 ff, mit Verweis auf die Ausführungen des Sachverständigen J. Hahlen in BT-Protokoll des Innenausschusses Drucks. 16/99 S. 48. 1023 So treffend M. Kloepfer, a.a.O., S. 132 m. w. N. 1024 J. Krüper, a.a.O., S. 658. 1025 Standesrechtliche Betrachtungen in diesem Rollenkonflikt sollen hier außer Betracht gelassen werden. Zu dieser Thematik ausführlich: J. Krüper, a.a.O., S. 658 f. 1026 Vgl. die vereinfachte Beschreibung des Spannungsfeldes durch Battis in einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 15. 06. 2009 – freilich bezogen auf einen anderen Kontext auf der Ebene der EU, vgl. A. C. Filges, Gesetzgebungsoutsourcing – ein neues Berufsfeld für Rechtsanwälte?, BRAK-Mitt. 6/2010, S. 239 – 244 (240) – : »Die großen Anwaltskanzleien machen die Gesetze, dann kommen sie als Sachverständige und hinterher verdienen sie an den Gesetzen, die sie gemacht haben, bei der Beratung der Interessenten, die von diesen Richtlinien und Verordnungen profitieren«, vgl. Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Innenausschuss, Wortprotokoll Nr. 16/99 über die öffentliche Anhörung am 15. 06. 2009, S. 34/35.
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Reformvorschläge
anwaltlicher Beratung und einseitigem Lobbyismus anzunehmen1027, wird der Sache allerdings nicht gerecht. Gleichwohl lässt sich eine Grenze zwischen sachverständiger Beratung des Staates auf der einen und partikularinteressenbestimmter Entscheidung auf der anderen Seite nur schwer ermitteln. Wer einen Entwurf erarbeitet hat, bestimmt faktisch den Rahmen der sich anschließenden Entscheidungsfindung, da sich die Diskussion schlicht um den vorgelegten Entwurf als Grundlage dreht.1028 Kloepfer stellt deshalb zutreffend fest, dass Rechtsanwälte in ihrem professionellen Berufsbild in der Regel als Teilwohlvertreter und nicht als Gemeinwohlvertreter agieren.1029 Das Gemeinwohl werde deshalb typischerweise nur mittelbar, d. h. anti- bzw. synthetisch erzeugt, nämlich indem der von ihnen vertretene Interessenstandpunkt, das Teilwohl, im Gesetzgebungsverfahren auf ein entgegengesetztes Interesse bzw. auf ein anderes Teilwohl stoße. Die ein solches Verfahren abschließende Entscheidung sei dann häufig ein kompromisshafter Konfliktausgleich, der eine Gemeinwohlverwirklichung darstellen könne.1030 Dass demgegenüber Wissenschaftler in der Regel »gemeinwohlorientierter argumentieren«1031, mag zwar grundsätzlich richtig sein, insbesondere bei politisch hochaufgeladenen Themen (i. e. Euro-Rettung, Atomausstieg) sind diese jedoch auch nicht zwangsläufig Quelle rein unabhängigen Sachverstandes. Wird gesetzgeberische Gestaltungsmacht faktisch auf Rechtsanwälte verlagert, so steht dies in einem Spannungsverhältnis zum Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Da Rechtsanwälte in ihrer beruflichen Tätigkeit nicht demokratisch legitimiert bzw. kontrollierbar sind, reibt sich deren Gestaltungsmacht an der zentralen Rolle des Parlaments in der Gesetzgebung.1032 Zu Recht kritisiert Kloepfer daher die bloß formelle Absegnung, das »Abnicken« anwaltlicher Gesetzentwürfe durch den Bundestag, als einen mit der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur schwer vereinbaren
1027 Vgl. U. Battis, Anwaltliche Beratung bei der Gesetzesvorbereitung, Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2011, 1, S. 58 – 68 (62), m. w. N., der diese Annahme ebenfalls kritisch verneint. 1028 A. C. Filges, a.a.O., S. 239 – 244 (241). 1029 Die Bundesregierung freilich hat im Grundsatz eine andere Ansicht: »Externe Dritte können im Übrigen durchaus in der Lage sein, bei der Mandatierung durch die Verfassungsorgane für die Erarbeitung von Gesetzentwürfen gemeinwohlorientiert zu arbeiten, insbesondere wenn sie dabei bestimmte inhaltliche Regelungsvorgaben erhalten«, vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 05. 04. 2012, Drucks. 17/9266, S. 3 f. 1030 M. Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, 131, 134 (132 f.). 1031 So M. Kloepfer, a.a.O., S. 132 über die »typischerweise strukturell unterlegenen« Anwaltsentwürfe gegenüber denen der Wissenschaft. 1032 M. Kloepfer, a.a.O., S. 133.
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Zustand.1033 Die Tatsache, dass Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung nicht strikt voneinander zu scheiden sind, hat Voßkuhle1034 daher auch in der bezeichnenden Bewertung auf den Punkt gebracht, dass entscheidungsvorbereitendes staatliches Handeln von jeher rechtlich nur schwer zu strukturieren sei und Wege und Mechanismen einer entscheidungsrelevanten Beeinflussung staatlicher Gewalt durch Sachverständige kaum erfassbar und viel weniger wirksam regulierbar seien.1035 Durch diese innige Verschmelzung von Sachverstand und Interessenvertretung sei der faktische Einfluss des Beraters auf die Entscheidung praktisch unumgänglich.1036 Dementsprechend seien die Grenzen zwischen einer entscheidungsunabhängigen, einer entscheidungspräformierenden und einer faktisch entscheidungsersetzenden Beratung fließend.1037
3.
Vorteile des Gesetzgebungsoutsourcings
Vor dem Hintergrund des geschilderten Spannungsfeldes stellt sich die berechtigte Frage, warum bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen (auch künftig) überhaupt externe, anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden soll. So könnte beispielsweise die Forderung naheliegen, die scheinbar in Ministerien nicht ausreichend vorhandenen Kapazitäten an Fachpersonal kurzerhand erheblich aufzustocken, um von externer Beratung unabhängiger zu werden. Darüber hinaus könnte eine punktuelle Beratung zu einzelnen Fachfragen möglicherweise genauso gut auch durch andere Sachverständige, Verbände, Fachinstitute und Wissenschaftler geleistet werden.1038 Dieser Blickwinkel lässt allerdings gewichtige Argumente außer Acht, die für das Auslagern der Erarbeitung von Gesetzentwürfen sprechen. Wie bereits paradigmatisch dargelegt, hatten Lehman-Insolvenz und HypoReal-Estate-Übernahme in Deutschland die Schaffung eines Finanzmarktstabilisierungsgesetzes und eines Rettungsübernahmegesetzes als Teil des Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes quasi »über Nacht« erforderlich gemacht. Nur spezialisierte Großkanzleien waren (und sind bis heute) in der 1033 M. Kloepfer, ebenda. 1034 A. Voßkuhle in: Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HdStR, Bd. 3, § 43 Rn. 18 ff. 1035 J. Krüper, Lawfirm – legibus solutus? Legitimität und Rationalität des inneren Gesetzgebungsverfahrens und das »Outsourcing« von Gesetzentwürfen, JZ 13/2010, S. 655 – 662 (658). 1036 Vgl. U. Battis, Anwaltliche Beratung bei der Gesetzesvorbereitung, Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2011, 1, S. 58 – 68 (64). 1037 J. Krüper, a.a.O., S. 658 mit Verweis auf A. Voßkuhle in: Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HdStR, Bd. 3, § 43 Rn. 45 ff. 1038 Vgl. M. Kloepfer, a.a.O., S. 133 zu diesen erhobenen Forderungen.
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Reformvorschläge
Lage, ad hoc ein Personaltableau zusammen- und zur Verfügung zu stellen, das diese Gesetzentwürfe in kürzester Zeit erarbeiten und Ministerien und Parlament zur Entscheidung vorlegen kann. Diese Möglichkeit des kurzfristigen Abrufs fachlicher und personeller Kapazitäten bietet eine bürokratische Ministerialverwaltung nur begrenzt, müssten hierfür beispielsweise neue Planstellen geschaffen, diese mit hochqualifizierten Mitarbeitern besetzt und damit einhergehend Anpassungen des Ministeriumshaushalts bewilligt werden. Darüber hinaus sind die enormen logistischen Vorteile eines solchen »Spontaneinsatzes« externen Know-Hows nicht zu unterschätzen. Personalbezogene Belastungsspitzen können durch den flexiblen Einsatz von Personal einfach abgedeckt werden und verdienen auch wirtschaftlich betrachtet den Vorzug vor der Schaffung neuer Planstellen.1039
4.
Künftige Anforderungen an das Gesetzgebungsoutsourcing
Für die Praxis des weitgehend unregulierten »inneren Gesetzgebungsverfahrens« besteht damit die Herausforderung, den Scheitelpunkt zu bestimmen, in dem die vermutete Rationalitätsmaximierung durch das Outsourcing von Gesetzgebungsarbeit umschlägt in die Illegitimität der handelnden Akteure und in der Folge auch in eine Illegitimität der erarbeiteten gesetzlichen Regelung.1040 Freilich beeinträchtigt ein Verstoß gegen die Gebote rechtsstaatlicher Rationalität und demokratischer Transparenz nicht die Wirksamkeit eines Gesetzes, da es mit Recht keine Verfassungspflicht des Gesetzgebers zu »optimaler Gesetzgebung« gibt.1041 Ungeachtet dessen verbleibt die politische Verantwortlichkeit der auf staatlicher Seite Handelnden. Ziel sollte daher sein, Leitlinien bzw. Grenzen zu definieren, unter denen das Gesetzgebungsoutsourcing legitimerweise betrieben werden kann. Grundlegend für ein legitimes Gesetzgebungsoutsourcing ist dabei die Achtung der Prinzipien von Transparenz und Zurechenbarkeit staatlich-politischen Handelns.1042 Während die Stellung des Parlaments als zentrale und vorrangige Staatsgewalt der Gesetzesgestaltung zu bekräftigen ist, müssen die Ministerien dezidierte inhaltliche Vorgaben und Grenzen aufzeigen, nach deren strenger 1039 M. Kloepfer, ebenda. 1040 J. Krüper, Lawfirm – legibus solutus? Legitimität und Rationalität des inneren Gesetzgebungsverfahrens und das »Outsourcing« von Gesetzentwürfen, JZ 13/2010, S. 655 – 662 (660). 1041 U. Battis, Anwaltliche Beratung bei der Gesetzesvorbereitung, Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2011, 1, S. 58 – 68 (67). 1042 Vgl. hierzu M. Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, 131, 134 (134); J. Krüper, a.a.O., S. 660 f.
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Maßgabe die Ausarbeitung von Gesetzentwürfen (oder Teilen davon) in nichtstaatliche Hände gelegt wird. Damit einhergehen sollte eine intensive Prüfung des vorgelegten Entwurfes durch die Fachabteilungen des auftraggebenden Ministeriums. Dabei hat sich das Ministerium mit dem Regelungskonzept und den Risiken des Fremdentwurfes auseinanderzusetzen und sich so dessen Inhalt »zu eigen zu machen«. Durch die Herstellung eines solchen »Zurechnungszusammenhanges« soll gewährleistet werden, dass die verfassungsrechtlich vorgesehenen Akteure der Gesetzgebung sich nicht ihrer Gesamtverantwortung entziehen können.1043 Diese Akteure, so Krüper, seien somit darauf beschränkt, die Ausübung ihrer Verantwortung durch die Einschaltung Dritter sachlich zu rationalisieren. Die Beauftragung von Rechtsanwälten zur Erarbeitung kompletter Gesetzentwürfe sollte deshalb richtigerweise die ganz klare Ausnahme bleiben.1044 Davon unabhängig ist eine punktuelle Beratung in Einzelfragen grundsätzlich als zulässig anzusehen. Für den Fall, dass die Gestaltung eines Gesetzentwurfes zu einem Großteil ausgelagert werden muss, ist das Prinzip der Transparenz von herausragender Bedeutung, wozu sich inzwischen auch die Bundesregierung bekannt hat.1045 Dazu zählt zunächst die Verfahrenstransparenz1046, wonach über die Beauftragung als solche und über deren Konditionen (Honorare) sowie über den zu regelnden Gegenstand öffentlich Bericht zu erstatten ist. Zwar begegnet eine Veröffentlichungspflicht von Mandatsbeziehungen grundsätzlich berechtigten Vorbehalten1047, allerdings handelt der Rechtsanwalt in dieser Beziehung zum Staat kaum als Organ der Rechtspflege sondern gleichsam »hoheitlich«, so dass weiterreichende Offenlegungspflichten durchaus begründbar sind. Denkbar wäre, diese Offenlegung nur gegenüber einem speziellen Vertrauensgremium (des Parlaments) zu verlangen.1048 Krüper unterscheidet mit Blick auf die Zurechenbarkeit politischer Verantwortung zudem eine Verantwortungstransparenz, deren verfassungsrechtliche Situation dem Gebot des Art. 80 Abs. 1 GG strukturell gleiche, wonach eine Norm, die die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen berechtigt, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Delegation hinreichend bestimmt sein muss. In vergleichbarer Weise sollte daher auch die Delegation von Gesetzge1043 J. Krüper, a.a.O., S. 661. 1044 M. Kloepfer, a.a.O., S. 134. 1045 Die Bundesregierung »wird prüfen, ob und in welcher Weise die Inanspruchnahme einer Beratung dokumentiert werden könnte«, vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 05. 04. 2012, Drucks. 17/ 9266, S. 6, zu Frage 12. 1046 J. Krüper, a.a.O., S. 661. 1047 Vgl. beispielsweise A. C. Filges, Gesetzgebungsoutsourcing – ein neues Berufsfeld für Rechtsanwälte?, BRAK-Mitt. 6/2010, S. 239 – 244 (241 f.) sowie J. Krüper, a.a.O., S. 658 f. 1048 Vgl. J. Krüper, a.a.O., S. 660.
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Reformvorschläge
bungsarbeit begründet werden müssen. Eine darüber hinausgehende Begründungspflicht, warum die externe Hilfe letztlich in Anspruch genommen werden musste1049, erscheint dagegen wenig zielführend, da sie im Zweifel nur floskelhafte Ausführungen etwa über die unzureichende personelle Ausstattung im Ministerium hervorrufen würde.1050 Gemäß der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 05. 04. 2012 ist dies seitens der Bundesregierung auch künftig nicht beabsichtigt.1051 Ein öffentliches Vergabeverfahren, das die Delegation der Gesetzgebungsarbeit zunächst einem Bieterwettbewerb aussetzen würde, erscheint alleine schon wegen des Erfordernisses zumeist kurzfristiger Reaktionen nicht zweckmäßig. Zudem bestünde die Gefahr der Abschreckung von Spitzenberatern, die an einer Offenlegung geschäftlicher Kennziffern gleichsam einer Ausschreibung kein Interesse hätten.1052 Der Vorschlag, durch verschiedene Kanzleien parallel Alternativentwürfe anfertigen zu lassen, aus denen dann seitens des Ministeriums der »Geeignetste« ausgewählt werden würde, ist grundsätzlich überlegenswert. Allerdings würde ein solches Verfahren schon aus Kostengründen vermutlich für die wenigsten Fälle zur Anwendung kommen können.1053
5.
Ergebnis
Die Gesetzgebung ist als hoheitliche Aufgabe dem Parlament als demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten. Die These, dass sich das Parlament durch das Auslagern von Teilen des Gesetzgebungsverfahrens an Rechtsanwaltskanzleien dieses Rechts der Art. 76 ff. GG begibt, ist unbegründet. Vielmehr handelt es sich beim Gesetzgebungsoutsourcing um die externe Erarbeitung von Gesetzesvorlagen und damit um Teile des rechtlich weitgehend ungeregelten »inneren Gesetzgebungsverfahrens«, durch die ad hoc auf Sachverstand und Personalausstattung für den relevanten Rechtsbereich zugegriffen werden kann. Die Beauftragung von Rechtsanwälten stellt dabei nur eine Möglichkeit unter vielen dar, externen Sachverstand in die Gesetzgebungsarbeit mit ein1049 So der Vorschlag von J. Krüper, a.a.O., S. 661 oder auch von Kolbe, /Hönigsberger/ Osterberg (Hrsg.), Marktordnung für Lobbyisten. Wie Politik den Lobbyeinfluss regulieren kann, OBS-Arbeitsheft 70, S. 83. 1050 So krit. M. Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, 131, 134 (134) in Fn. 17. 1051 Vgl. BT-Drucks. 17/9266, S. 6, Frage 15. 1052 Vgl. M. Kloepfer, a.a.O., S. 134. 1053 Vgl. M. Kloepfer, ebenda.
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fließen zu lassen.1054 Gleichwohl zeigt sich, dass Sachverstand und Eigeninteresse nicht ohne Weiteres voneinander zu trennen sind und auch das »Struck’sche Gesetz«, nach dem Gesetzentwürfe im parlamentarischen Prozess stets noch mehr oder weniger deutlichen Modifikationen und Korrekturen ausgesetzt sind, dominierende Teilwohlinteressen anwaltlich ausgearbeiteter Gesetzentwürfe nicht gänzlich ausschließen kann. Das grundsätzlich als zweckmäßig zu bewertende Gesetzgebungsoutsourcing bedarf daher einer Einbettung in transparenzsichernde Verfahrensvorschriften1055, die Interessenkonflikte vermeiden können: »Ihre Beachtung ist eine Voraussetzung für die Akzeptanz einer inhaltlich guten, mit dem Anspruch der Gemeinwohlverwirklichung auftretenden Gesetzgebung und rechtfertigt in der gewaltenteilenden Demokratie zugleich die parlamentarische Verantwortung des Ministers für das Handeln der Gesetzgebungsabteilung seines Hauses«.1056
Die Auslagerung kompletter Gesetzentwürfe an Rechtsanwaltskanzleien sollte gleichwohl die Ausnahme bleiben und nur zur Anwendung kommen, wenn zeitliche und personelle Engpässe in den zuständigen Ministerien keine andere Wahl lassen. Im Übrigen gilt auch in diesem Bereich der Gesetzgebung, dass der Einbezug externen Sachverstands generell eine Bereicherung darstellt, auf den Ministerien und Bundestag in Einzelfragen legitimerweise zurückgreifen können sollten.
1054 M. Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, 131, 134 (134) m. w. N. 1055 Nach Auskunft der Bundesregierung ist eine gesonderte Regelung über die Vorgaben bei der Erstellung von Gesetzentwürfen nicht beabsichtigt, vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 05. 04. 2012, Drucks. 17/9266, S. 5, zu Fragen 8 – 10. 1056 U. Battis, Outsourcing von Gesetzentwürfen?, ZRP 2009, 201 (202).
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IV.
Reformvorschläge
Zusammenfassung der Reformvorschläge
Die Gesamtschau auf die erörterten potentiellen Erweiterungs- und Modifikationsmöglichkeiten rechtlicher Regelungen betreffend die Interessenpolitik beim Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundestages ergibt ein differenziertes Bild. Ausgehend sowohl von den Regelwerken und Leitlinien internationaler Organisationen als auch von der vergleichenden Betrachtung anderer Rechtsordnungen und früherer Regelungsversuche in Deutschland, resultieren Vorschläge de lege ferenda für »beide Seiten«: erstens, die Regulierung auf Seiten der interessenvertretenden Akteure und zweitens, die Regulierung der rechtssetzenden Gewalt in Gestalt des Deutschen Bundestages, seiner Mitglieder und Gremien. Alle Vorschläge wurden gleichsam auf ihre verfassungsrechtliche Umsetzbarkeit und rechtspolitische Zweckmäßigkeit hin untersucht. Ein in der Literatur und in immer wiederkehrenden Anträgen im Plenum des Deutschen Bundestages vieldiskutierter Änderungsvorschlag betrifft die »Verbändeliste« beim Präsidenten des Deutschen Bundestages. Nach den Ergebnissen dieser Arbeit empfiehlt sich die Einführung einer Registrierungspflicht für alle organisierten Interessenvertreter – unabhängig von Rechtsform, finanzieller oder personeller Schlagkraft –, die im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses des Deutschen Bundestages agieren wollen. Der bisherigen freiwilligen Regelungsform als Anlage 2 der Geschäftsordnung des Bundestages müsste ein formelles Gesetz folgen, um die Registerpflicht rechtswirksam, das heißt mit Außenwirkung, durchsetzen zu können. Über die bisher im Rahmen der Registrierung erforderlichen Angaben hinaus böte sich der Versuch an, Auskünfte etwa zu Budget, Auftraggeber und Zielsetzung zunächst nur im Rahmen eines freiwilligen Verhaltenskodex’ für Interessenvertreter zu »verlangen«. »Transparenz aus Eigeninteresse« sollte dabei das Leitmotiv sein. Um die Registerpflicht, wie vor allem auch den ehrlichen Umgang mit einem Verhaltenskodex aus besagtem Eigeninteresse zu überwachen und durchzusetzen, läge eine abgestufte Sanktionskaskade nahe. Von Strafnormen sollte dabei abgesehen werden. Ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle, paritätisch besetzt durch alle am Interessenvertretungsprozess Beteiligten, würde dazu eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Ziel dieser Maßnahmen wäre stets, eine Anerkennung durch die Beteiligten selbst, aber auch eine erhöhte Anerkennung der legitimen Interessenvertretung in den Augen der Öffentlichkeit – und damit in der medialen Berichterstattung – zu erlangen. Auf Seiten der Mandatsträger selbst – selbstverständlich immer auch »Interessenvertreter in eigener Sache« –, sind wirtschaftliche Inkompatibilitäten und/oder Nebentätigkeitsverbote, auch nur bezogen auf ohnehin schwer abgrenzbare Einzelfälle, keine empfehlenswerte Regulierungsoption. Zwar beste-
Zusammenfassung der Reformvorschläge
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hen de lege lata umfangreiche Vorschriften für andere kollegial verfasste Staatsorgane wie für die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht – rechtlich umsetzbar wären diese für Abgeordnete nur durch eine Grundgesetzänderung. Rechtspolitisch spricht eine Reihe von Gründen gegen wirtschaftliche Inkompatibilitäten und Nebentätigkeitsverbote. Das Parlament soll nach Möglichkeit einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden, was jedoch seit Langem schon wegen weniger überdurchschnittlich vertretener Berufsgruppen nicht mehr gewährleistet ist. Um diese Entwicklung nicht noch weiter zu befördern und den Bezug zum außerparlamentarischen Berufsleben nicht gänzlich zu verlieren, sollte zumindest die Möglichkeit paralleler beruflicher Tätigkeiten bewahrt, wenn nicht gar gutgeheißen werden. Das in der öffentlichen Meinung häufig verpönte Negativbild des »Berufspolitikers« würde jedenfalls verfestigt, so nämlich durch Nebentätigkeitsverbote auch Wiedereinstiegsmöglichkeiten in den vormaligen Beruf weniger attraktiv gemacht werden würden. Eine Verbandszugehörigkeit ist in der parlamentarischen Praxis schon lange nicht mehr der maßgeblich prägende Faktor für Entscheidungen. Steht eine Mehrheit knapp in Frage, so gibt zumeist die Fraktionsdisziplin am Ende den entscheidenden Ausschlag, hängt doch die Karriere des einzelnen Abgeordneten zum weit überwiegenden Teil von innerparteilicher und innerfraktioneller Anerkennung und Integrität ab. Der Grundsatz des freien Mandats1057 ist vor diesem Hintergrund ohnehin bereits schwer betroffen, als dass Inkompatibilitäten den einzelnen Abgeordneten, der selbstverständlich eine tendenziöse Meinungsbildung haben darf, nur noch weiter einschränken würden. Ein vergleichbares Argumentationsmuster resultierte aus der Untersuchung einer möglichen Einführung von Ausschluss- und Befangenheitsregelungen, die im Vergleich zu Inkompatibilitäten zwar nur punktuell und einzelfallbezogen, aber für den Einzelfall gleichsam ausschließend wirken. Die grundlegenden Mitwirkungsrechte des Abgeordneten, hergeleitet aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, überwiegen am Ende deutlich gegenüber dem Interesse der repräsentativen Demokratie sowie dem Prinzip der demokratischen Gleichheit. Auch eine Austauschbarkeit des im Einzelfall betroffenen Parlamentariers gegen einen »unbefangenen Kollegen« würde nur Manipulations- und Instrumentalisierungsversuche provozieren und Zufallsmajoritäten entstehen lassen. Parlamente fungieren als Schnittstellen zwischen Staat und Gesellschaft, in denen gesellschaftliche Interessen gebündelt werden sollen. Die Abgeordneten
1057 Man betrachte in diesem Zusammenhang nur die zahlreichen kontroversen Auseinandersetzungen im Rahmen der Euro-Staatsschuldenkrise, insbesondere innerhalb der Regierungsfraktionen, die die Dialektik von Gewissensfreiheit und Fraktions- und Koalitionsdisziplin wiederholt offen zu Tage förderten, vgl. etwa FAZ am Sonntag vom 16. 10. 2011, S. D 4 f. »Der Parlamentarier ist nicht täglich mutig«.
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sind dabei zwar gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gemeinwohl verpflichtet – ein Neutralitätsgebot kann daraus aber gewiss nicht gefolgert werden. Rechtlich ohne größere Schwierigkeiten realisierbar und rechtspolitisch zu begrüßen wäre dagegen die Einführung erweiterter Nachweispflichten parlamentarischer Beratungsprozesse, insbesondere mit Blick auf die Anhörung von Sachverständigen in den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages. Das Prinzip eines solchen »legislativen Fußabdrucks« bzw. einer »legislativen Fußspur« bestünde darin, die im Entwurfsstadium eines Gesetzes (im Rahmen des Ausschusses) gehörten Interessenvertreter mit ihrer ablehnenden und befürwortenden Argumentation namentlich im Gesetzesvorblatt zu vermerken. Sinnvoll erscheint zudem, eine Regelung herauszubilden, die sowohl parlamentarische als auch ministerielle Kontakte mit Interessenvertretern erfasst. Es würde damit der gesamte Entstehungsprozess eines Gesetzentwurfes »dokumentiert« und so auch das Argument entkräftet werden können, lobbyistische Einflussversuche würden bereits auf ministerieller Fachebene unlauter vonstattengehen. Selbstverständlich vertritt ein solches Fußspur-Prinzip keinen Absolutheitsanspruch und besitzt eine nur begrenzte Aussagekraft. Gegen einen vergleichsweise geringen bürokratischen Aufwand wäre der transparenzfördernde Ertrag nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus müssten aber die ohnehin de lege lata bereits bestehenden Berichtspflichten der §§ 66 Abs. 2, 70 Abs. 1 und 73 Abs. 2 GOBT konsequent angewendet werden. Die Untersuchung hat deutlich gemacht, dass der »Gläserne Abgeordnete« kein erstrebenswertes Ideal ist. Genauso wenig, wie das spanische Parlamentsrecht im Sinne völliger Nebentätigkeitsverbote das Ziel sein kann – § 44 a Abs. 1 Satz 2 AbgG erklärt Nebentätigkeiten ausdrücklich für grundsätzlich zulässig – , ist das skandinavische Steuer- und Informationszugangsrecht kein Vorbild hin zu einer größtmöglichen Offenlegung der persönlichen Finanzen des Abgeordneten.1058 Die bestehenden und jüngst noch einmal modifizierten Veröffentlichungspflichten gegenüber dem Bundestagspräsidenten sind dahingehend ausreichend und stellen insbesondere für Freiberufler und Selbstständige im Nebenberuf schon jetzt einen erheblichen Grundrechts-Eingriff dar. Ebenso wenig, wie sich eine Übertragung von Inkompatibilitäten der Exe1058 Vgl. dazu auch das Sondervotum der dissentierenden Richter in BVerfGE 118, 277 (398): »Rechtsvergleichung kann ohne Bedachtnahme auf den politischen, historischen und sozialen Hintergrund einer bestimmten rechtlichen Regelung nicht auskommen und würde ohne Erörterung dieser faktischen Umstände nur an der Oberfläche eines realen Problems verharren (…). Daher wird in Staaten, in denen alle Bürger verpflichtet sind, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu offenbaren, die Offenlegungspflicht von Parlamentsmitgliedern oder anderen Inhabern öffentlicher Ämter anders zu beurteilen sein als in Staaten, in denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Geheimhaltung von persönlichen Daten einen hohen, teilweise verfasssungsrechtlich abgesicherten, Stellenwert hat.«.
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kutive und Judikative auf Abgeordnete empfiehlt, sollte auch auf eine Anrechnung privater Einkünfte auf die Abgeordnetenentschädigung verzichtet werden. Mandat und Amtsträgereigenschaft sind nicht gleichzusetzen. Auch hier zeigt sich die grundsätzliche Offenheit parlamentarischer Tätigkeit gegenüber (Einzel-)Interessen. Das »Gemeinwohl« als der Bezugspunkt des Handelns politischer Akteure kann dabei nicht als feste, vorgegebene Größe verstanden werden, sondern nur als Produkt des pluralen, niemals interessefreien Prozesses politischer Willensbildung.1059 Offenkundigen Reformbedarf dagegen hat die Auseinandersetzung mit dem Recht der Abgeordnetenspenden ergeben. Die Parteizugehörigkeit stellt sich, neben der Akquisition von Drittmitteln, im bestehenden Wahlsystem als der entscheidende Faktor dar, der dem Einzelbewerber den Wahlerfolg überhaupt erst ermöglicht. Faktisch kommen Abgeordnetenspenden auch der Partei zugute, unterfallen rechtlich aber nicht der umfangreichen Regelungssystematik über Parteispenden. Der personelle Geltungsbereich der Regeln über Abgeordnetenspenden muss als zu beschränkt bezeichnet werden, da er beispielsweise nicht die Wahlbewerber umfasst, die aber insbesondere auf Spendenakquisition zurückgreifen (müssen). Darüber hinaus sind die Publizitätsgrenzen, nach denen eine Offenlegung bzw. Veröffentlichung überhaupt erst erfolgen muss, als zu hoch anzusehen. Vielmehr fordern sie zur Umgehung geradezu heraus. Sanktionsmaßnahmen existieren im Vergleich zu denen des Parteispendenrechts praktisch kaum. Eine Angleichung und Anpassung des Rechts der Abgeordnetenspenden an das Parteispendenrecht kann demnach als verfassungsrechtlich notwendig und rechtspolitisch sinnvoll bezeichnet werden. Eine gänzliche Eingliederung in das Parteispendenrecht sowie ein Verbot von Direktspenden an Abgeordnete sind schon aus Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit parteiloser Bewerber nicht anzuraten. Insgesamt sollte das Rechenschaftssystem über Spenden an Abgeordnete auf einfachgesetzliche Grundlage gestellt werden und konsequenterweise auch Wahlbewerber erfassen. Ein in jüngerer Zeit aktuell gewordenes Problemfeld in Zusammenhang mit der Interessenpolitik im Gesetzgebungsprozesses des Deutschen Bundestages ist im erweiterten Blickfeld der Untersuchung, nämlich der Vorbereitung gesetzgeberischer Arbeit, zutage getreten. Auch wenn Einflussversuche Dritter auf die ministerielle Vorarbeit ausdrücklich nicht im Fokus dieser Untersuchung gelegen haben, so tangiert die Auslagerung, das sogenannte Outsourcing der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen an externe Rechtsanwaltskanzleien den Forschungsgegenstand doch nicht unerheblich. Das »innere Gesetzgebungsver1059 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, S. 632.
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fahren«, also der Prozess des Zustandekommens von Gesetzesinitiativen, stellt sich als vollkommen unreguliert dar. Vielmehr gilt dieser Prozess als schlicht vorausgesetzt und unabhängig vom formalen Gesetzgebungsverfahren bestehend. Werden ganze Gesetzesentwürfe an nichtstaatliche Akteure (hier : Rechtsanwaltskanzleien) ausgelagert, so ist jedenfalls ein Grenzbereich beschritten, der über die bloße ad-hoc-Inanspruchnahme externen Sachverstands und externer Personalressourcen hinausgeht. Um dem Vorwurf der Interessenverquickung von Dienstleistung für den Staat einerseits und Rechtsberatung der in der Privatwirtschaft davon betroffenen Regelungssubjekte andererseits zu entgehen, sollte jedenfalls die komplette Auslagerung die Ausnahme bleiben. Für das teilweise Outsourcing, das in Ermangelung fachlicher Expertise oder personeller Ausstattung in Ministerien in Einzelfällen grundsätzlich zu befürworten ist, sollten dezidierte (inhaltliche) Vorgaben durch den staatlichen Auftraggeber mit der Mandatierung einhergehen, um Transparenz im Verfahren und Transparenz in der inhaltlichen Verantwortung eines Gesetzentwurfes nachvollziehbar herzustellen. Durch die Herstellung eines solchen »Zurechnungszusammenhanges« sollte so gewährleistet werden, dass die verfassungsrechtlich vorgesehenen Akteure der Gesetzgebung sich nicht ihrer Gesamtverantwortung entziehen können. Um die Bestandsaufnahme und den Ausblick potentieller rechtlicher Steuerungsmöglichkeiten von Interessenpolitik am Deutschen Bundestag abzurunden, wurde schließlich die seit Langem bestehende Diskussion um eine Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung gem. § 108 e StGB kritisch beleuchtet. Unter der Prämisse, das Strafrecht grundsätzlich auf das Maß des Erforderlichen zu beschränken, zeigte sich bei näherer Betrachtung, dass das Strafrecht keinesfalls das richtige Mittel ist, jedes (scheinbar) verdächtige Verhalten von Interessenvertretung von und gegenüber Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu regulieren. Der kritische strafrechtsdogmatische Blick belehrt vielmehr, dass de lege lata der Großteil der in Rede stehenden »korruptiven Verhaltensweisen« von und gegenüber Abgeordneten bereits unter § 108 e StGB subsumierbar ist. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie die Ermittlungsbehörden sich bislang in der Pflicht sehen, nach dem bestehenden Regelwerk tätig zu werden. »Der Parlamentarismus hat ein flächendeckendes Strafrecht als Moralinstanz nicht nötig«1060 : Das Gebot sollte vielmehr sein, zuvörderst außerstrafrechtliche Maßnahmen zur Regelung der Einflussnahme von Interessenvertretern auf
1060 R. Michalke, Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – Plädoyer gegen die Erweiterung einer ohnehin zu weiten Vorschrift, in: Festschrift Rainer Hamm, S. 459 (474).
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Abgeordnete zu ergreifen und nicht zuletzt auf das Votum des Volkssouveräns zu vertrauen, der die eigentliche Kontrollinstanz des Parlamentarismus darstellt. Zusammengefasst zeigt die kritische Betrachtung der zahlreichen Vorschläge, den Rechtsrahmen der Interessenvertretung beim Deutschen Bundestag zu »optimieren«, dass Zurückhaltung geboten ist. Während, rein rechtlich-theoretisch betrachtet, nahezu alle der diskutierten Möglichkeiten umgesetzt werden könnten, kommt die rechtspolitische Würdigung in nur wenigen Fällen zu dem Schluss, mehr oder minder umfangreiche Neuregelungen zu empfehlen. Eines zeigte sich vor allem: dem Anspruch, alle erdenklichen Vorgänge der Einflussnahme Dritter auf die parlamentarischen Entscheidungsprozesse zu erfassen, ja gar zu »kontrollieren«, kann das Recht nicht gerecht werden. Unter Bezugnahme auf die zu Beginn dieser Arbeit vorangestellten Ausgangsthesen kann die im Grundsatz zu begrüßende Interessenpolitik, deren Formen und Vorgehensweisen zudem einem stetigen Wandel unterworfen sind, sinnvoll reguliert werden. Effizienz und Effektivität des Rechtsrahmens sind dabei einschränkende Korrektoren, weshalb der in Deutschland prinzipiell funktionierende Ausgleich von Interessen durch das parlamentarisch-repräsentative System der Gesetzgebung nicht unnötigerweise in ein grunderneuertes Rechtskorsett, etwa in Form eines kompletten »Lobbyismusgesetzes«, überführt werden sollte. Der Blick auf frühere Regelungsversuche und Erfahrungen anderer Rechtsordnungen mit weitaus verästelteren Regeln, die »den Lobbyimus« keineswegs »besser gezähmt« haben, bestätigt vielmehr die These, dass die Bundesrepublik bislang keineswegs schlecht »gefahren« ist im (rechtlichen) Umgang mit dem Phänomen der Interessenvertretung. Ein Reformbedarf konnte ermittelt werden, aber gegenüber dem Anspruch einer umfassenden Verrechtlichung oder Regulierungswut sollte einer bedachten Anpassung und Erweiterung bestehender Normen der Vorzug gegeben werden.
G. Ausblick
Die Prozesse der politischen Willensbildung in Deutschland werden zunehmend mit einer pauschalisierenden öffentlichen Medienberichterstattung, insbesondere in der Ausprägung des sogenannten investigativen Journalismus’, konfrontiert. Interessenvertretung wird dort polemisch als »heimliche Schattenwirtschaft« oder gar fünfte Gewalt im Staate mystifiziert und zugleich werden Anspruch und Eindruck vermittelt, die Berichterstattung verkörpere selbst das Allgemeinwohl. Konsequenz dieser Behauptungen, die nicht selten auch im Gewand sachlich fragwürdiger politikwissenschaftlicher Untersuchungen daherkommen, ist eine verbreitete Skepsis der Öffentlichkeit, d. h. beim – im staatsrechtlichen Sinne – eigentlichen Souverän der Demokratie gegenüber jeglicher politischer Willensbildung. Jüngere Bestrebungen vereinzelter Bevölkerungsgruppen, durch gewählte Volksvertreter zustande gekommene (und gerichtlich bestätigte) Entscheidungen (in Ermangelung von Transparenz?) grundsätzlich in Frage zu stellen, um ihnen dann durch fragwürdige »direkt-demokratische« Volksbefragungen endgültig jegliche rechtsstaatliche Qualität absprechen zu wollen – Stichwort »Stuttgart21« –, bekräftigen die öffentliche Verunsicherung über das politische Repräsentativsystem vollends. Jene Bewegungen haben den deutschen Rechtsstaat bislang glücklicherweise nicht erschüttern können. Die Existenz vereinzelter spektakulärer Fälle von Korruption und politischer Erpressung ist unbestritten und Realität in einem System, das im Alltag und im weit überwiegenden Teil lobbyistischer Aktivitäten eher nüchtern als Tauschgeschäft von Sachverstand zwischen politischen Entscheidungsträgern und Interessenvertretern anzusehen ist. Von einer Unregierbarkeit des Staates aufgrund dominierender Teilwohlinteressen der finanziell potentesten Interessenvertreter kann jedenfalls keine Rede sein. Gleichwohl resultiert aus dem verbreiteten öffentlichen und medialen Unbehagen die berechtigte Frage, ob ein Tätigwerden des Gesetzgebers im Hinblick auf Lobbying und Transparenz tatsächlich Abhilfe schaffen oder zumindest dem
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öffentlichen Misstrauen entgegenwirken kann. Die vorliegende Untersuchung hat jedenfalls herausgearbeitet, dass sich Politik, auch und gerade in einem freiheitlichen Verfassungsstaat, nur in begrenztem Umfang verrechtlichen lässt. »Transparenz ist das Gebot der Stunde. Damit lässt sich Korruption bekämpfen – aber auch die Res publica ersticken«:1061
Transparenz ist unzweifelhaft ein effektives Mittel, auch ein legitimes Ziel, um illegale und illegitime Einflussversuche auf politische Entscheidungsprozesse offenzulegen und möglichst schon im Vorhinein zu unterbinden. Müller macht in diesem Zusammenhang auf zwei ganz wesentliche Risiken aufmerksam: Mehr Transparenz bedeute zwar mehr Kontrolle, aber vielleicht am Ende auch noch mehr (unerwünschte) Geheimhaltung, »vor allem von einer Art, die keiner merken solle«. Außerdem stelle sich ganz praktisch die Frage, wer, wenn alles öffentlich sein solle, sich am Ende überhaupt noch für die Res publica, für die öffentliche Sache, einsetzen wolle. Schließlich müssten sich schon heute politische Entscheidungsträger aus vielen Richtungen, die bis in das Privatleben hineinragen, »durchleuchten« lassen.1062 Inwiefern neue parteipolitische Ausformungen wie die Partei der Piraten mit der Idee der Meinungsbildung durch einen konsequent basisdemokratischen Ansatz (Stichwort »Liquid Democracy«) auch Interessenvertreter »chancengleich« werden einbinden können1063, muss sich freilich noch beweisen. Die symbiotische Beziehung, die sich zwischen Interessenvertretern und Politikern herausgebildet hat, hat sich jedenfalls im Grundsatz bewährt. Eine gewisse Selbstregulierung dieses Systems, die nicht zuletzt durch das bestehende parlamentarisch-repräsentative Staatssystem und das breite Meinungsspektrum der über 600 Mandatsträger »mit Einzelinteressen« im Deutschen Bundestag gewährleistet ist, ist nicht zu verkennen. Den dissentierenden Bundesverfassungsrichtern im Urteil über die Offenlegung von Nebentätigkeiten ist darin zuzustimmen, dass der Beamte Amtsträger ist und daneben, also im Wesentlichen außerhalb seines Amtes, Staatsbürger. Der Abgeordnete dagegen ist Inhaber eines öffentlichen Amtes und nicht daneben, sondern zugleich, und somit innerhalb seines Amtes, Staatsbürger. Die ihm vom Grundgesetz zugedachte Repräsentationsaufgabe kann er umso besser erfüllen, je stärker er seine Verwurzelung in der gesellschaftlichen Sphäre in den parlamentarischen Prozess
1061 Vgl. den Kommentar von R. Müller, Durchleuchtet, FAZ vom 13. 07. 2011 S. 1. 1062 R. Müller, ebenda. 1063 Vgl. dazu den Gastbeitrag »Lobbyismus in LiquidFeedback« des Sprechers der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus für Inneres, Integrations- und Flüchtlingspolitik, Fabio Reinhardt MdA, in FAZ vom 18. 04. 2012, S. 10.
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einbringt.1064 Dazu kann legitimerweise auch das Ausüben einer neben dem Mandat bestehenden beruflichen Tätigkeit gehören. Dennoch ist klarzustellen, dass mit der Veränderung der »Landschaft« der Interessenvertretung durch die großen Trends der Globalisierung, Europäisierung, Pluralisierung und Professionalisierung ebenso eine Anpassung des sie steuernden Rechtsrahmens einhergehen muss. Zu begrüßen wäre daher eine offene, polemikfreie Debatte darüber, wie mit dem Phänomen des Lobbyismus besser umgegangen werden kann. Die Beauftragung einer parlamentarischen Arbeitsgruppe oder Kommission, in der alle am Prozess der Interessenvertretung »Beteiligten« vertreten sind, könnte hier in die richtige Richtung weisen. Der Aufbau eines leistungsstärkeren Wissenschaftlichen Dienstes, der den Abgeordneten zur Verfügung steht, wäre ein weiterer wichtiger Beitrag hin zu einer sachverständigeren Begleitung der parlamentarischen Willensbildung. Das Strafrecht bildet in der Gesamtstruktur der Rechtsordnung die »ultima ratio« und greift mit seinen spezifischen Zwangsmitteln auf schwerwiegende Weise in die Grundrechte der Bürger ein. Die Subsidiarität des Strafrechts ist Ausdruck des verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das Strafrecht ist deshalb auf das Maß des Erforderlichen zu beschränken, die in Grundrechte des Bürgers eingreifenden strafrechtlichen Sanktionen dürfen erst dann zum Tragen kommen, wenn der zugrunde liegende Konflikt nicht ausreichend durch weniger einschneidende staatliche Sanktionen – und damit außerstrafrechtliche Maßnahmen – geregelt werden kann. Potenzielle außerstrafrechtliche Maßnahmen sind im Rahmen der Arbeit aufgezeigt worden. Eine Veränderung der strafrechtlichen Regelungen empfiehlt sich nach der Untersuchung nicht. Ein sich ergänzendes Zusammenspiel von öffentlich-rechtlichen Vorschriften, etwa qualitativen Veröffentlichungspflichten auf Seiten der Mandatsträger einerseits und registerpflichtigen (aber in Teilen freiwilligen) Veröffentlichungen von Seiten der Interessenvertreter andererseits, wäre überlegenswert. Vor allem aber sollte sich die Einsicht durchsetzen, dass eine grenzenlose Ausweitung der Veröffentlichungspflichten und die Idealvorstellung eines »Gläsernen Abgeordneten« als gleichsam »jakobinisches Schwert«, das die Hülle privater und gewerblicher Abwehrrechte durchschlagen1065 müsse, nicht der Maßstab im System des deutschen Parlamentarismus sind. Unter Bezugnahme auf den eingangs von Rottmann zitierten Anspruch1066 und in Anbetracht der dieser Arbeit zugrunde gelegten Ausgangsthesen, besitzt das Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages bereits jetzt eine hohe 1064 BVerfGE, Sondervotum, 118, 277 (379). 1065 BVerfGE, Sondervotum, 118, 277 (384). 1066 J. Rottmann, Wandlungen im Prozess der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 329 (334).
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Güte, für die Deutschland im Ausland enorme Achtung erfährt. Im Bewusstsein dessen empfehlen die Ergebnisse dieser Arbeit eine behutsame Anpassung bereits bestehender Steuerungsinstrumente.
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Weitere Bände der »Osnabrücker Beiträge zur Parteienforschung« Band 6 Stefan Ossege: Das Parteienrechtsverhältnis Das Rechtsverhältnis zwischen politischer Partei und Parteimitglied 2012, 359 Seiten, gebunden ISBN 978-3-8471-0009-6 Band 5 Werner, M.: Gesetzesrecht und Satzungsrecht bei der Kandidatenaufstellung politischer Parteien Probleme des Vorschlagsrechts nach BWG und EuWG 2010, 289 Seiten, gebunden ISBN 978-3-89971-628-3 Band 4 Gelberg, T. A.: Das Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG am Beispiel des NPD-Verbotsverfahrens 2009, 312 Seiten, gebunden ISBN 978-3-89971-742-6 Band 3 Ipsen, J.: 40 Jahre Parteiengesetz Symposium im Deutschen Bundestag 2009, 134 Seiten, gebunden ISBN 978-3-89971-765-5 Band 2 Muthers, K.: Rechtsgrundlagen und Verfahren zur Festsetzung staatlicher Mittel zur Parteienfinanzierung 2004, 257 Seiten, kartoniert ISBN 3-89971-157-2
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