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German Pages 237 Year 2004
Schriften zum Völkerrecht Band 151
Der rechtliche Status von Beutekunst Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkrieges nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter
Von
Susanne Schoen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SUSANNE SCHOEN
Der rechtliche Status von Beutekunst
Schriften zum Völkerrecht Band 151
Der rechtliche Status von Beutekunst Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkrieges nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter
Von
Susanne Schoen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 61 Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-11353-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Untersuchung zum rechtlichen Status von „Beutekunst“ am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkrieges nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter hat der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Sommersemester 2003 als Dissertation vorgelegen und wird hiermit mit geringfügigen Aktualisierungen veröffentlicht. Den entscheidenden Impuls zur Fertigung einer Dissertation habe ich im Zusammenhang mit meiner beruflichen Tätigkeit als Referentin in der Behörde der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien erhalten, wo ich im Bereich der Kulturgüterrückführung arbeite. Dabei hat mich das Schicksal der kriegsbedingt nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter beeindruckt. Die Untersuchung spiegelt meine persönliche wissenschaftliche Auffassung wieder. Danken möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. R. Alexander Lorz vom Lehrstuhl für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht, der die Arbeit vorzüglich betreut hat. Von ihm habe ich im wissenschaftlichen Gespräch auch zum Nutzen für meine tägliche Arbeit hinzugelernt. Herrn Prof. Dr. Dirk Looschelders vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung danke ich für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Die Arbeit widme ich meinen lieben Eltern: meiner Mutter, die mein Interesse an Kunst geweckt hat, und meinem Vater, der durch sein beharrliches Eintreten für die Idee der Gerechtigkeit meine Studienwahl maßgebend geprägt hat. Bonn, im November 2003
Susanne Schoen
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Kulturgüter als Kriegsbeute in der geschichtlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
II. Antike-Römische Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
III. Der 30jährige Krieg: Das Beispiel der Bibliotheca Palatina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Kunstraub in den Koalitionskriegen und im Zeitalter Napoleons . . . . . . . . . . . . . . . .
27
V. Der Erste Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Der tatsächliche Hintergrund der Beutekunstproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Das Verhalten Deutschlands während des Russlandfeldzuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
II. Die Verbringung des deutschen Kulturgutes in die Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . .
37
C. Der völkerrechtliche Kulturgüterschutz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges . . . . . .
40
I. Sinn und Zweck der Haager Landkriegsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
II. Geltung für den Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Allbeteiligungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
2. Kulturgüterschutz als Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kriegsverbrecherprozesse vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
III. Geltung der Haager Landkriegsordnung nach der Kapitulation Deutschlands . . .
46
IV. Das Beschlagnahmeverbot von Kulturgut auf besetztem Gebiet . . . . . . . . . . . . . . . .
48
V. Unzulässigkeit der Beschlagnahme von Kulturgut im Vorgriff auf Reparationen
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VI. Unzulässige Rechtsausübung: Das estoppel-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Verjährung der völkerrechtlichen Rückgabeansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Untergang der Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Rückgabe von Kulturgut an die DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
8
Inhaltsverzeichnis II. Umfang der noch in Russland lagernden deutschen Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . .
60
III. Zwei-plus-Vier-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
IV. Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Die Rückführungsklausel im deutsch-russischen Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Entstehung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
II. Der Anwendungsbereich der Rückführungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst . . . . . . .
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1. Kulturgutbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
2. Verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Verschollene Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
b) Unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
3. Beiderseitigkeit der Rückgabeverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
4. Adressaten der Rückführungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
5. Rückgabe an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger . . . . . . . . . . . . . . . .
81
a) Maßgeblicher Zeitpunkt der Eigentumslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
b) Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
d) Verfassung der UdSSR von 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
aa) Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung auf der Grundlage des Rechts von 1945–1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
bb) Sonstiger gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage des Rechts von 1945–1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
e) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung auf der Grundlage des Rechts von 1964–1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
bb) Sonstiger gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage des Rechts von 1964–1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
f) Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation ab 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
aa) Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung auf der Grundlage des Rechts ab 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Sonstiger gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage des Rechts ab 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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F. Inanspruchnahme des deutschen Kulturgutes durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Intention des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Ausnahmen von der Inanspruchnahme deutschen Kulturgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Die Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Abmachungen der Alliierten in Bezug auf Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Abkommen über den Kontrollmechanismus in Deutschland vom 14. November 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands vom 5. Juni 1945 110 c) Die Beschlüsse der Konferenz von Jalta und das Potsdamer Abkommen 111 d) Akte des Alliierten Kontrollrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Artikel 107 VN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4. Friedensverträge mit Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Finnland . . . 119 5. Kompensatorische Restitution als Völkergewohnheitsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Begriff der kompensatorischen Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Zulässigkeit der kompensatorischen Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Überkompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6. Die gemeinsame Erklärung der Regierungen der BRD und der DDR vom 15. Juni 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 7. Die Eigentumsgarantie in der russischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 8. Vorrang des Völkerrechts und der völkerrechtlichen Verträge nach der Russischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. Änderungen des Beutekunstgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 V. Erfolgsaussichten von Klagen hinsichtlich der von Russland nicht beanspruchten deutschen Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland . . . . . . . . . . . . . 141 I. Zuständigkeit des Bundes für die Rückführungsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Beteiligung der Länder an den Rückführungsverhandlungen des Bundes . . . . . . . 146 IV. Ein Sonderfall: Der Vertrag des Landes Bremen über die Rückführung von Kulturgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
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Inhaltsverzeichnis V. Dokumentationsstelle für die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 VI. Ergebnisse der Rückführungsbemühungen mit Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VII. Praktische Illustration: Das Bernsteinzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
H. Die Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut aus Russland nach Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Der Überleitungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 III. Verstoß der russischen Enteignungen gegen den ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 IV. Kein gutgläubiger Erwerb an abhanden gekommenen Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 V. Gutgläubiger Erwerb bei Veräußerung im Wege der öffentlichen Versteigerung 175 VI. Verjährung der zivilrechtlichen Herausgabeansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Hemmung der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1923 und Verfassung der UdSSR von 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation ab 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 d) Voraussetzung der Hemmung der Verjährungsfrist nach deutschem Bürgerlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Neubeginn der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 VII. Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Präzedenzfall: „Heilige Familie mit dem heiligen Johannes und der heiligen Elisabeth“ vor dem High Court of Justice in London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Völkerrechtlicher Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 III. Zivilrechtlicher Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 J. Leihverkehr mit Beutekunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage nach § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Regelungsgehalt der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Inhaltsverzeichnis
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2. Der Begriff „ausländisches Kulturgut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Herausgabeansprüche der Eigentümer gegen Besitzer von Beutekunst . . . 203 b) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Unentgeltliche vorübergehende Überlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Einwand der unzulässigen Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 IV. Vorrang des Völkerrechts vor einfachem Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 K. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 L. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Einleitung Erst in jüngster Zeit im Irak-Krieg von 2003 stellte sich das Problem, wie Kulturgüter in bewaffneten Konflikten vor Plünderungen, der anschließenden Verbringung ins Ausland und der Veräußerung an Dritte geschützt werden können. Denn in den ersten Tagen nach der Besetzung Iraks durch amerikanische und britische Truppen kam es im ganzen Land zu Plünderungen. Von den Übergriffen waren auch Museen und archäologische Grabungsorte betroffen. Wertvolle und einzigartige Kulturgüter, die Zeugnis einer Jahrtausende alten Kultur zwischen Euphrat und Tigris ablegen, wurden durch die einheimische Bevölkerung zerstört oder gestohlen. Die Schreckensmeldung, dass allein im Nationalmuseum von Bagdad 170.000 Exponate abhanden gekommen seien und die Amerikaner nichts zur Verhinderung der Diebstähle unternommen hätten, verbreitete sich wie ein Lauffeuer um die Welt1. Gemutmaßt wurde auch, amerikanische Sammler- und Händlerkreise hätten auf Lockerung der irakischen Ausfuhrbestimmungen gedrungen, um den Handel mit Antiquitäten zu erleichtern2. Das westliche Ausland wurde ferner verdächtigt, planmäßig vorgehende und kunstversierte Banden beauftragt zu haben, irakische Kultureinrichtungen nach wertvollen Objekten zu durchsuchen und diese zu stehlen3. Auch seien amerikanische Soldaten dabei beobachtet worden, wie sie Vasen und Skulpturen weggeschafft hätten4. Zur Verhinderung weiterer Plünderungen setzte die amerikanische Besatzungsmacht eine Spezialeinheit ein, die das Wiederauffinden der verloren gegangenen Altertümer zum Ziel hatte. Denn eine Besatzungsmacht hat auch die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Dies beinhaltet die Verpflichtung, Plünderungen, von wem auch immer, zu unterbinden. Kurz nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, relativierte sich der Schaden erheblich. Im Nationalmuseum von Bagdad reduzierte sich die Zahl der abhanden gekommenen Kulturgüter von 170.000 auf weniger als 50 Exponate5. Denn es 1 DER SPIEGEL, Heft 17 / 2003: Mongolensturm im Stahltresor, 154 – 158 (155 f.); Die Zeit, Ausgabe 18 / 2003: Weltkultur im Bollerwagen. 2 F.A.Z. vom 11. 4. 2003: Scherben für den Sieger; Die Zeit, Ausgabe 18 / 2003: Weltkultur im Bollerwagen; DER SPIEGEL, Heft 17 / 2003: Mongolensturm im Stahltresor, 154 – 158 (158). 3 Die Zeit, Ausgabe 18 / 2003: Weltkultur im Bollerwagen; DER SPIEGEL, Heft 17 / 2003: Mongolensturm im Stahltresor, 154 – 158 (155). 4 F.A.Z. vom 23. 6. 2003: Nebel- und Granatwerfer. 5 F.A.Z. vom 23. 6. 2003: Nebel- und Granatwerfer; Die Welt vom 20. 6. 2003: Der schweigsame Mr. George.
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stellte sich heraus, dass das Nationalmuseum in Bagdad dasjenige getan hatte, was bei bevorstehenden Kriegen im Allgemeinen vernünftigerweise zum Schutz des Kulturgutes unternommen wird. Mitarbeiter des Museums hatten archäologische Fundstücke aus den Schaukästen und Magazinen entfernt und in sicherere Depots verbracht6. Abgesehen davon, dass fremde Personen in die Museen eingedrungen sind, um zu stehlen, sollen allerdings auch Museumsleute wertvolle Stücke an sich genommen haben. Ob dies erfolgt ist, um sie vor Dieben und Randalierern zu schützen oder um sie auf eigene Rechnung zu verkaufen, wird sich nur schwer aufklären lassen. Dass die Aufbewahrung von Kunstschätzen in Wohnungen von Museumsmitarbeitern aus Schutzgründen erfolgt sei, wird ihnen jedenfalls jetzt als Schutzbehauptung ausgelegt7. Die Hiobsbotschaft über die Plünderungen jedenfalls mobilisierte die internationale Staatengemeinschaft, die sich daraufhin um Schadensbegrenzung bemühte. So forderte die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) in einem dringenden Appell amerikanische und britische Behörden auf, Sofortmaßnahmen zum Schutz irakischer Kulturgüter zu ergreifen, und unterrichtete die Nachbarländer Iraks, damit an den Grenzen der Schmuggel gestohlener Kunstschätze verhindert werde8. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verfasste eine Resolution, in der auch beschlossen wurde, dass alle Mitgliedstaaten geeignete Schritte unternehmen sollten, um die sichere Rückgabe von irakischem Kulturgut an die irakischen Institutionen zu erleichtern, namentlich durch die Verhängung eines Verbotes des Handels oder der Weitergabe von solchen Gegenständen, bei denen der begründete Verdacht besteht, dass sie unrechtmäßig entfernt wurden9. Außerdem forderten die Kulturminister der Europäischen Union die Rückgabe gestohlener Objekte an den Irak. Die internationale Polizeiorganisation Interpol nahm die Fahndung nach gestohlenen Objekten auf und publizierte einige vermisste Objekte im Internet10. Interpol arbeitet dabei eng mit der UNESCO zusammen. Namhafte Kulturinstitutionen der Welt, wie das Britische Museum in London und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, solidarisierten sich mit den irakischen Einrichtungen und boten Hilfe an11. Die Summe aller Aktivitäten der internationalen Staatengemeinschaft, mit denen die Diebstähle verurteilt und Maßnahmen zur Rückgabe an den Irak beschlossen wurden, falls gestohlenes Kulturgut auftaucht, dürfte mit dazu geführt 6 F.A.Z. vom 23. 6. 2003: Nebel- und Granatwerfer; Die Welt vom 20. 6. 2003: Der schweigsame Mr. George. 7 Süddeutsche Zeitung vom 28. 5. 2003: Ein Mittwoch in Bagdad; Die Welt vom 20. 6. 2003: Der schweigsame Mr. George. 8 Frankfurter Rundschau vom 15. 4. 2003: Trauer über Plünderungen. 9 Siehe: Nummer 7 der Resolution 1483 vom 22. Mai 2003 abgedruckt in: www.un.org / depts / german: Sicherheitsrat / Resolutionen und Beschlüsse. 10 www.interpol.int vom 13. 7. 2003: Posters of the Most Wanted Works of Art. 11 Bonner Rundschau vom 17. 4. 2003: Deutsche Hilfe für Iraks Kultur; F.A.Z. vom 7. 5. 2003: Das Tontafelmagazin ist unversehrt.
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haben, dass die gestohlenen Kunstwerke im Grunde auf lange Zeit hin kaum veräußerbar sind. Besitzer, bei denen derartige Werke entdeckt werden, müssen neben Strafverfahren damit rechnen, dass sie die Gegenstände wieder abgeben müssen. Dies hat zur Folge, dass der Verkehrswert der Objekte erheblich abgenommen hat. Wegen der gesunkenen Absatzchancen ist es nicht überraschend, dass Diebe die „heiße Ware“ nicht behalten wollen und etliches unauffällig den Museen zurückgebracht worden ist12. Auch wenn die Kulturgüterverluste im Irak eingedämmt werden konnten, so sind die Ereignisse im Irak aber auch ein Beleg dafür, dass infolge von bewaffneten Konflikten Kulturgut gefährdet ist und leicht zu „Beutekunst“ werden kann. Der rechtliche Status von „Beutekunst“ könnte im Prinzip auch für irakische Kulturgüter von Bedeutung sein. Dies trifft aber in der Regel nicht zu, wenn irakische Bürger aus eigenem Antrieb Kulturgut mitgenommen haben, um dieses gewinnbringend zu veräußern, sondern erst dann, wenn die Besatzungsmächte in die Plünderungen verwickelt sein sollten. Die nachfolgende Untersuchung befasst sich mit dem Rechtsstatus von „Beutekunst“ und konzentriert sich dabei auf die Kulturgüter, die kriegsbedingt nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Russland verbracht worden sind. Wenn dabei im Folgenden das Vorliegen der Voraussetzungen der UNESCOKonvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 195413 nicht näher untersucht wird, dann liegt dies daran, dass diese Konvention auf diejenigen deutschen Kulturgüter, die im Zusammenhang mit dem 1945 beendeten Zweiten Weltkrieg in Richtung Russland abtransportiert worden sind, keine Anwendung findet. Denn die Konvention ist erst später wirksam geworden. Für die Bundesrepublik Deutschland, die 1954 zu den Unterzeichnerstaaten gehörte, ist die Konvention drei Monate nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 11. November 1967 in Kraft getreten14. Es gehört zu den völkerrechtlichen Grundsätzen, dass Verträge im Allgemeinen keine Rückwirkung haben15. Die Konvention kommt damit für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 11. November 1967 mit Wirkung für die Zukunft, nicht aber für die nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 bis 1948 nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter zur Anwendung. Mangels Rückwirkung gilt auch das UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereig12 F.A.Z. vom 23. 6. 2003: Nebel- und Granatwerfer; Der Tagesspiegel vom 7. 5. 2003: Vase von Warka. 13 Gesetz zu der Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 11. April 1967, BGBl. II 1967, 1233. 14 Bekanntmachung über das Inkrafttreten der Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 26. Oktober 1967, BGBl. II 1967, 2471. 15 Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 129; siehe auch Artikel 28 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK).
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nung von Kulturgut von 197016 nicht für die kriegsbedingt nach Russland verbrachten Kulturgüter. Aber noch aus einem anderen Grunde kann Deutschland aus diesem Übereinkommen keine Rechte herleiten, aber auch nicht in die Pflicht genommen werden. Anders als die frühere Sowjetunion hat die Bundesrepublik Deutschland das Abkommen nämlich nicht ratifiziert. Die bisher nicht erfolgte Ratifikation wird insbesondere damit begründet, dass die Rückgabeverpflichtung von Kulturgut an die Herkunftsstaaten mit dem Schutz des gutgläubigen Erwerbers im Bürgerlichen Gesetzbuch im Widerspruch stehe17. Der Kunstraub im Irak hat jedoch die Diskussion über die Fragen nach dem Sinn und Zweck des Übereinkommens sowie der Vereinbarkeit des Übereinkommens mit innerstaatlichem Recht neu belebt18. In der früheren Sowjetunion, vor allem in Russland, befinden sich unzählige Kunstgegenstände deutscher Herkunft, die zum Teil einzigartig und von großem Wert sind. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden diese Kulturgüter in den Jahren 1945 bis 1948 insbesondere nach Moskau und St. Petersburg, aber auch nach Kiew abtransportiert19. Mit der Beendigung des sogenannten Kalten Krieges zwischen den Mächten in Ost und West und der Vereinigung Deutschlands 1990 hat sich auch eine neue Sachlage hinsichtlich der nach dem Zweiten Weltkrieg in die ehemalige Sowjetunion verbrachten Kulturgüter ergeben20. Viele der verschollen geglaubten Kunstwerke haben die Kriegswirren überstanden und liegen in staatlichen russischen Depots oder sind in privatem Besitz. Zunehmend werden mit dem Wegfall des sogenannten Eisernen Vorhangs Kunstwerke aus früherem Besitz deutscher Museen oder Privatsammlungen auf zum Teil zweifelhaften Wegen weltweit zum Kauf angeboten. Die mit den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern zusammenhängenden Sach- und Rechtsfragen haben auch in Deutschland eine neue Aktualität erlangt. Bis heute führen deutsche Museen, Bibliotheken und Archive Listen über die kriegsbedingt eingetretenen Verluste und haben die Hoffnung, ihre Werte aus Russland zurückerlangen zu können, bis heute nicht aufgegeben.
Abgedruckt in: Deutscher Bundestag, Drucksache VI / 3511 vom 26. Mai 1972, 3 ff. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 141, 420 f.; siehe zu den weiteren Bedenken, die gegen die Konvention bestehen: von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz, 1992, 429 ff. 18 Frankfurter Rundschau vom 23. 5. 2003: Task-Force; Das Parlament vom 26. 5. 2003: Ratifizierung der UNESCO-Konvention zur Rückgabe von Kulturgütern „steht seit 30 Jahren aus“. 19 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland, Die Verluste der öffentlichen Kunstsammlungen in Mittel- und Ostdeutschland 1943 – 1946, 1954: Der Bericht enthält eine nicht abschließende Zusammenstellung vor allem derjenigen kriegsbedingt eingetretenen Kulturgüterverluste, die durch die Abtransporte der sowjetischen Besatzungsmacht entstanden waren. 20 Vgl. Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543. 16 17
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Nicht allein in Drittländern, sondern auch in Russland selbst wird auf dem Kunstmarkt inzwischen mehr oder minder offen mit „Beutekunst“ aus Deutschland gehandelt, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland mitgenommen wurde21. Sowohl Privatpersonen wie auch der russische Staat sind an der Verwertung interessiert. Allen Widersprüchlichkeiten zum Trotz findet der geschäftsführende Direktor des privaten Russischen Nationalmuseums im Kunstmagazin art22 seine Lösung hierzu in einem bemerkenswerten Pragmatismus: Nach seiner Auffassung gehören die deutschen genauso wie die russischen Kulturgüter unabhängig von der Kriegsschuldfrage zwar in jene Museen und Sammlungen, aus denen sie abhanden gekommen sind. Weil die offizielle russische Seite dies aber nun einmal anders sehe und kein Gericht den Deutschen in Russland Recht geben werde, sollten die Deutschen, statt rechthaberisch auf die Einhaltung von Verträgen und russischen Zusagen zu pochen, einfach klug und still kaufen. Bisher sind nur wenige Fälle bekannt geworden, in denen sich die Gerichte mit den Ansprüchen auf die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter beschäftigt haben. Die Aufklärung des Sachverhaltes vom Abhandenkommen des Kulturgutes bis zu seinem Wiederauffinden erweist sich häufig bereits als schwierig; nicht minder aufwendig ist die Prüfung der Rechtslage, und nicht zuletzt sind die Kosten, die mit den Gerichtsverfahren verbunden sind, sehr hoch. Dies führt zu einer großen Zurückhaltung, Ansprüche bei Gericht geltend zu machen, wenn Kulturgut wieder auftaucht. In den Niederlanden und in England sind Urteile ergangen, die in ähnlich gelagerten Sachverhalten bei kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern jedoch zu einem entgegengesetzten Ergebnis kommen. So hat der Oberste Gerichtshof der Niederlande am 8. Mai 1998 entschieden, dass das Gemälde von Jan van der Heyden „Klooster in landschap“, welches Teil der Sammlung der Gemäldegalerie Dresden war, gestohlen und wahrscheinlich in die damalige Sowjetunion verbracht wurde, nicht an das Land Sachsen herausgegeben werden müsse, weil nach 30 Jahren der Herausgabeanspruch verjährt sei. Auf der anderen Seite hat die Bundesrepublik Deutschland 1998 vor dem High Court of Justice in London einen Prozess auf Herausgabe des Gemäldes „Heilige Familie mit dem heiligen Johannes und der heiligen Elisabeth“ von Wtewael gewonnen. Dies hat nicht nur in der Fachliteratur 23, 21 Ingleright, Start frei für den Ausverkauf der Beutekunst?, in: art 1 / 2000, 112 – 113 (112); Berliner Kurier vom 30. 12. 1999: Moskau verhökert ganz offen seine Beutekunst. 22 Ingleright, Start frei für den Ausverkauf der Beutekunst?, in: art 1 / 2000, 112 – 113 (113). 23 Das Urteil ist in Englisch mit deutscher Übersetzung abgedruckt in: Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 78 ff.; ausführlicher hierzu auch: Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen Kunstwerken, in: NJW 1999, 2551 – 2558 (2557); Finkenauer, Zum Begriff der Rechtsnachfolge in § 221 BGB, in: JZ 2000, 241 – 247; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 165 – 169; Franz, Beutekunst-Musterprozess entschieden: Wtewael-Gemälde zurück in Deutschland, in: KUR 1999, 298 – 301; Mair, Misappropriation and Skulduggery in Germany
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sondern auch in der Tagespresse24 erhebliche Aufmerksamkeit erfahren, so dass nicht zuletzt dadurch das Schicksal der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter, die sich bis heute in Russland oder anderswo befinden, in das Interesse der Allgemeinheit gerückt ist. Das Urteil hat darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung für den Kunstmarkt mit der Folge, dass Auktionshäuser es sich nicht mehr unbedingt so selbstverständlich leisten können, „Beutekunst“ zu versteigern25. Man kann die Entscheidung wegen der sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung, aber auch wegen der rechtlichen Ausführungen als Präzedenzfall betrachten. Die Tatsache, dass kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut auf den Kunstmarkt drängt, hängt auch mit der seit dem Zweiten Weltkrieg gewachsenen Nachfrage nach Kunstwerken zusammen. Da Kunstwerke in der Regel Unikate und damit einzigartig sind, können sie nicht entsprechend der Nachfrage produziert werden. Das Interesse an Kunstgegenständen, insbesondere Gemälden alter Meister und französischen Impressionisten, Zeichnungen, aber auch antiquarischen Büchern hat in den letzten 50 Jahren sprunghaft zugenommen. Kunstgegenstände sind gerade auch durch die erheblichen Wertsteigerungen in den letzten Jahrzehnten und die damit verbundenen rasant gestiegenen Veräußerungserlöse im internationalen Handel einschließlich der Auktionen zunehmend zu Anlage- und Spekulationsobjekten geworden26. Begünstigt wird das lebhafte Sammlerinteresse weiter durch den erreichten Lebensstandard in den Industrienationen, die gestiegenen Einkommen, aber auch durch größeres Kunstverständnis27. Die internationalen Hauptmärkte des Kunst- und Antiquitätenhandels sind London, New York und Paris28. Hier werden vornehmlich auch die Spitzenpreise für Werke weltbekannter Künstler erzielt. Da der zunehmenden Nachfrage nach Kunstwerken aber keine entsprechende Zunahme an Angeboten gegenübersteht, hat die Verknappung der Objekte die Preise für Spitzenwerke in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute nach oben katapultiert. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht in Sicht29. Als Beispiel für dieses Phänomen sei der Verkauf einer Christus-Zeichnung von Michelangelo erwähnt, die 1936 im Gegenwert eines Hauses in London den Eigentümer and Russia: The Case of Wtewael’s „The Holy Family“, in: Art, Antiquity and Law 3 (1998), 413 – 415. 24 F.A.Z. vom 10. 7. 1992: ius nudum; Thüringer Allgemeine vom 6. 4. 1998: Streit um Maria – Londoner Gericht verhandelt über Gothaer Gemälde; F.A.Z. vom 4. 11. 1998: Hände weg von Beutekunst. 25 General-Anzeiger vom 20. 2. 1999: „Heilige Familie“ wieder in Gotha. 26 Siehe auch zum zugenommenen Handel mit gestohlenen Kunstwerken: Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen Kunstwerken, in: NJW 1999, 2551 – 2558 (2551). 27 Picker, Antiquitäten, Kunstgegenstände: alles über Recht, Steuern, Versicherung,1996,32. 28 Picker, Antiquitäten, Kunstgegenstände: alles über Recht, Steuern, Versicherung,1996,36. 29 Picker, Antiquitäten, Kunstgegenstände: alles über Recht, Steuern, Versicherung, 1996, 32; Der Tagespiegel vom 12.7. 2001: 2785 Mark pro Quadratmillimeter.
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wechselte und 64 Jahre später 2000 auf einer Auktion 8,1 Millionen englische Pfund erzielte und damit einen Betrag einbrachte, mit dem man heute nicht nur ein Haus, sondern eine Straße erwerben könnte30. Im Jahr 2001 gab es auf einer Auktion bei Christie’s in London einen weiteren sensationellen Kauf: Für mehr als 8,1 Millionen englische Pfund wurde Leonardo da Vincis acht mal zwölf Zentimeter große Silberstift-Zeichnung „Pferd und Reiter“ veräußert und hält damit den Preisrekord als teuerste Altmeisterzeichnung. Dabei reichen Zeichnungen nicht an die Preise heran, die Gemälde erbringen können. Als Gemälde der klassischen Moderne führt seit 1990 Vincent van Gogh’s „Porträt Dr. Gachet“ mit 82,5 Millionen Dollar das Feld an, das bei Christie’s verkauft wurde31. Diese Beispiele lassen erahnen, wie der Wert der in russischen Depots einlagernden „Beutekunst“ aus deutschen Museen, Bibliotheken, Archiven oder renommierten deutschen Privatsammlungen inflationsbereinigt seit 1945 gestiegen ist. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass Russland mit dem dort in Depots eingelagerten deutschen Kulturgut sachgemäß umgegangen ist und es sich daher durchweg gut erhalten konnte. Dies verdankt es dem Umstand, dass Russland den künstlerischen Wert der mitgenommenen Objekte kannte und der russische Staat auch um sachgerechte Lagerung und Verwahrung des deutschen Kulturgutes in hierfür geeigneten Räumlichkeiten bemüht gewesen ist. Die Objekte, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges in russischen Depots lagern, haben unter Anlagegesichtspunkten den Vorteil, dass vieles dafür spricht, dass sie echt und nicht gefälscht sind. Denn die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter führen ihre Provenienz größtenteils auf deutsche Museen oder namhafte private Sammlungen zurück. Diese Einrichtungen haben die Objekte nach sachverständiger Prüfung erworben und langfristig in den Bestand aufgenommen32. Sie führen Bestandsverzeichnisse, und auch die Verlustbilder sind dokumentiert. Nach der Verbringung der Kulturgüter nach Russland sind sie bis Anfang der 90er Jahre in Depots verschlossen worden, sodass sich ihre Herkunft gut zurückverfolgen lässt. Die hohe Nachfrage bei enormer Wertentwicklung und Preissteigerungen im Kunsthandel stellen eine Verlockung für den russischen Staat dar, die Objekte nunmehr zu verkaufen und damit zusätzliche Einnahmen für den Staatshaushalt zu erlangen. Aber auch wenn deutsches Kulturgut mit solider Provenienz einen hohen Wert besitzt, so besitzt es diesen Wert im Grunde nur für den, der zur Verfügung über diese Werke berechtigt ist. Nur wenn der russische Staat international als berechtigt angesehen wird, die Gegenstände veräußern zu dürfen, kann er die erstrebten Einnahmen letztendlich auch erzielen.
Der Tagesspiegel vom 12. 7. 2001: 2785 Mark pro Quadratmillimeter. Der Tagesspiegel vom 12. 7. 2001: 2785 Mark pro Quadratmillimeter; Herchenröder, Kunstmärkte im Wandel, 2000, 8. 32 Siehe auch zur Bedeutung der Provenienz: Picker, Antiquitäten, Kunstgegenstände: alles über Recht, Steuern, Versicherung, 1996, 40. 30 31
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Zivilrechtliche Problematik Unter der Überschrift: „Der Kaiser aus Russland freigekauft“ wurde über den Verkauf von Filmaufnahmen aus dem russischen Filmarchiv in der Tagespresse berichtet33. Der Regisseur Peter Schamoni hat die Aufnahmen für seinen Film über den letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. „Majestät brauchen Sonne“ verwertet. Ursprünglich gehörten diese zeitgeschichtlichen Dokumente zum Reichsfilmarchiv in Babelsberg. Wahllos wurden Filmrollen und Akten infolge des Zweiten Weltkrieges nach Russland abtransportiert und galten Jahrzehnte offiziell als verschollen. Das Bundesfilmarchiv bemüht sich indes seit 1990 um die Rückgabe des nach Russland verlagerten Bestandes, aus dem kürzlich die Aufnahmen aufgekauft wurden. Dem Käufer stehen die Filmaufnahmen und die Verwertungsrechte daran aber nur dann zu, wenn der russische Staat diese wirksam an ihn übertragen konnte. Strafrechtliche Problematik Der rechtliche Status von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut ist auch bei Zollkontrollen in Deutschland von Bedeutung, wenn dieses Kulturgut nach Deutschland eingeführt werden soll, um es hier gewinnbringend zu veräußern. Gerade alte Bücher aus öffentlichen Sammlungen enthalten Angaben wie Stempelaufdruck und Signatur, die über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sammlung Auskunft geben. Wenn diese Bücher keinen zusätzlichen Austragungsvermerk haben, ist eigentlich für jeden ersichtlich, dass das Werk die Einrichtung nicht auf regulärem Wege verlassen haben kann. Beim Verdacht einer Straftat wie Hehlerei oder Betrug kann bei Gefahr im Verzug der Gegenstand bereits direkt beim Zoll beschlagnahmt werden. Eine Hehlerei z. B. durch Ankauf eines Gegenstandes, den ein anderer gestohlen hat, kann auch dann noch begangen werden, wenn die Vortat, wie dies bei den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern der Fall ist, nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden kann34. Erforderlich ist jedoch, dass die durch die Vortat entstandene rechtswidrige Besitzlage fortbesteht35. So hat der brandenburgische Zoll kriegsbedingt verbrachte wertvolle Bücher in deutscher und lateinischer Sprache, die ein Russe einem Berliner Antiquitätenhändler anbieten wollte, in amtliche Verwahrung genommen, wie die Tagespresse Anfang 1999 berichtete36. Die Beschlagnahmezuständigkeit für die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft ergibt sich dabei aus § 111 e Absatz 1 Satz 2 Strafprozeßordnung (StPO). Nach § 152 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung diejenigen Beamten- und Angestelltengruppen zu bezeichnen, denen die Eigenschaft von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zukommt. In Ausfüllung dieser Ermächtigung legt beispielsweise die Verordnung 33 34 35 36
Die Welt vom 10. 11. 2000. Schönke-Schröder-Stree, Strafgesetzbuch, 25. Auflage (1997), § 259, Rdnr. 11. Schönke-Schröder-Stree, Strafgesetzbuch, 25. Auflage (1997), § 259, Rdnr. 1. Der Tagesspiegel vom 14. 1. 1999: Beutekunst beschlagnahmt.
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über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft für das Land Brandenburg37 fest, dass u. a. Zollamtsräte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind. Dass die russischen Händler Respekt vor Reaktionen der deutschen (Zoll-)behörden haben, zeigt die Äußerung eines Petersburger Händlers, dass Beutekunst nicht exportierbar sei und dies die Preise drücke sowie mit der Verweigerung von Einreisevisa oder gar Festnahmen in den Herkunftsländern zu rechnen sei38. Aber auch wenn sich für das Vorliegen einer Straftat keine ausreichenden Anhaltspunkte bieten, ist die Rückgabe an den Besitzer, bei dem das Kulturgut beschlagnahmt wurde, dann ausgeschlossen, wenn deutsche Institutionen oder private Sammler weiterhin Eigentümer des Kulturgutes geblieben sind und ihr Herausgabeanspruch auch nicht verjährt ist. Von der Beurteilung der Rechtslage in völkerrechtlicher und zivilrechtlicher Hinsicht hängt es insofern ab, an wen die beschlagnahmten Gegenstände letztendlich ausgehändigt werden müssen. Völkerrechtliche Problematik Die Russische Föderation beruft sich indes auf ihr Bundesgesetz über die infolge des Zweiten Weltkriegs in die UdSSR verbrachten und im Hoheitsgebiet der Russischen Föderation befindlichen Kulturgüter vom 15. April 1998 (im weiteren Kulturgütergesetz bzw. Beutekunstgesetz genannt), mit dem die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zum Eigentum des russischen Staates erklärt worden sind. Sie hält sich folglich für legitimiert, die Herausgabe von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, die sich in staatlicher Verwahrung befinden, an die Bundesrepublik Deutschland abzulehnen. Dem gegenüber fordert die Bundesrepublik Deutschland die Rückgabe der Werke ein. Sie stützt sich dabei darauf, dass die Verbringung dieser „Kriegsbeute“ unter Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung (HLKO) erfolgt ist. Ferner beruft sie sich auf vertraglich eingegangene wechselseitige Rückgabeverpflichtungen, deren konsequente Erfüllung seitens des russischen Staates weiterhin aussteht. Art und Ausmaß der Rückgabeverpflichtung, die die Bundesrepublik Deutschland aus dem Völkerrecht herleitet, wird dabei maßgeblich vom deutschen und russischen Zivilrecht beeinflusst. Der Kulturgüterschutz kann nur dann wirksam seine Aufgabe erfüllen, wenn die Rechtsgebiete des Völkerrechts und des Zivilrechts Brücken schlagen39. Die Disziplinen beleuchten für sich jeweils nur einen Teilaspekt der Problematik hinsichtlich des Rechtsstatus der Beutekunst und sind isoliert nicht in der Lage, die mit der kriegsbedingten Verbringung zusammenhängenden Fragen umfassend zu beantworten.
37 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg vom 31. 7. 1991, Verordnung über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, 300 f. 38 Ingleright, Start frei für den Ausverkauf der Beutekunst?, in: art 1 / 2000, 112 – 113 (112). 39 Zum Kulturgüterschutz im Allgemeinen: Dolzer / Jayme / Mußgnug (Hrsg.), Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 1994, Vorwort, V-VII (VI).
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Einleitung
Die nachstehende Untersuchung befasst sich vor allem damit, wem die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter völkerrechtlich zustehen. Dabei bewegen sich die Ausführungen an einer Schnittstelle zwischen der Völkerrechtslage und dem sich darauf stützenden Herausgabeverlangen des deutschen Staates, dem russischen Zivilrecht und dem deutschen Herausgabeanspruch des Eigentümers auf Rückgabe seines Eigentums gemäß § 985 BGB. Die Frage, ob der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB vom früheren Besitzer mit Erfolg geltend gemacht werden kann, stellt sich dann, wenn Kulturgut wieder nach Deutschland zurückkehrt. Klagen derjenigen Einrichtungen und Personen, die seinerzeit nach dem Krieg ihren Besitz verloren haben, auf Herausgabe der nach Deutschland zurückgeführten Kulturgüter müssten negativ beschieden werden, falls die Kulturgüter wirksam zugunsten des russischen Staates enteignet worden sind, zwischenzeitlich gutgläubig erworben wurden oder ersessen werden konnten, oder wenn zumindest die Einrede der Verjährung erfolgreich erhoben werden kann.
A. Kulturgüter als Kriegsbeute in der geschichtlichen Entwicklung I. Allgemein Die Mitnahme von Kulturgut als Kriegsbeute ist keine Erfindung dieses Jahrhunderts. Zu allen Zeiten waren Kulturgüter infolge von Kriegen mehr oder weniger Gefährdungen ausgesetzt. Aber gerade die Kriege des 20. Jahrhunderts haben ein besonders negatives Beispiel abgegeben, was durch den technischen Fortschritt begünstigt wurde: Die modernen Massenvernichtungswaffen haben Kulturgut in unendlich großer Zahl unwiederbringlich zerstört, und die Verschleppung von Kulturgut, welches die Angriffe überstanden hatte, erfolgte in ungeheurem Umfang aus den besetzten Gebieten in das Staatsgebiet des Feindes1. Mussten in früheren Jahrhunderten die Güter mühevoll zu Fuß oder mit dem Pferd abtransportiert werden, erleichtern heute die modernen Transportmittel wie Bahn und LKW die Arbeit. Die russischen Trophäenbrigaden haben daher nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Wegnahme deutschen Kulturgutes im Prinzip etwas praktiziert, das in der Geschichte seine Vorläufer hat. Aber auch wenn es Zeiten gegeben hat, in denen der Kunstraub infolge von Kriegen durch das einschlägige Recht legalisiert war, spricht einiges dafür, dass die Rechtfertigung des Kunstraubes als Siegerrecht nie tatsächlich überzeugend gewesen ist2. Im Laufe der Geschichte hat sich schließlich die Meinung durchgesetzt, dass Kulturgut vor kriegsbedingter Zerstörung geschützt werden muss. Die beiden Weltkriege haben jedoch gezeigt, dass die allgemein anerkannten humanitären Standards der zivilisierten Welt, die in bewaffneten Konflikten zur Anwendung kommen sollten, in krassem Widerspruch zur erschreckenden Bilanz der kriegsbedingten Verluste stehen; Anspruch und Wirklichkeit waren nicht miteinander in Einklang zu bringen.
II. Antike-Römische Epoche In römischer Zeit bestand kein Zweifel daran, dass es zum Recht des Siegers gehörte, Kunstschätze aus dem Land des besiegten Feindes mitzunehmen. Bei den Römern gab es keine Eroberung, ohne dass Tempel und Paläste geplündert wur1 Wahl, Kunstraub als Ausdruck von Staatsideologie, in: Frank (Hrsg.), Recht und Kunst, 1996, 105 – 135 (105). 2 Treue, Kunstraub, 1957, 14 ff.; Günther-Hornig, Kunstschutz in den von Deutschland besetzten Gebieten 1939 – 1945, 1958, 2.
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A. Kulturgüter als Kriegsbeute in der geschichtlichen Entwicklung
den3. Die Güter der rechtlosen Besiegten galten als „res nullius“4 und waren damit herrenlose Sachen, die mit der Beschlagnahme in das Eigentum des Siegers übergingen. Beim Beutegut wurde auch nicht danach unterschieden, ob das Kulturgut in öffentlichem oder privatem Eigentum stand5. Bei der Plünderung bestand der besondere Triumph des Siegers darin, traditionsreiche Kunstwerke mitzunehmen und bei siegreicher Rückkehr in Rom zur Schau zu stellen6. Die Beute wurde teils für den Staatsschatz und die Tempel mitgenommen, aber es war auch üblich und zulässig, dass die Kämpfer einen Anteil für sich behalten durften7. Dennoch gab es auch zur römischen Zeit schon kritische Stimmen bei den Römern selbst, u. a. Cicero8, aber erst recht natürlich meldeten sich die besiegten Völker, insbesondere die Griechen, zu Wort, die sich mit dem Brauch, Kulturgut als Kriegstrophäen wegzunehmen, nicht abfinden wollten. Häufig sind Sieger im weiteren Verlauf der Geschichte wieder selbst zu Besiegten geworden, und das eroberte Kulturgut wurde abermals abtransportiert. Dies traf auch auf Kulturgut zu, das die Römer aus besiegten Ländern mitgenommen hatten. So mussten die Römer infolge der Belagerung ihrer Stadt durch die Goten Anfang des fünften Jahrhunderts enorme Kontributionen entrichten, damit die feindlichen Soldaten sich zum Abzug entschlossen, und zur Erfüllung der Lasten schmolzen sie sogar den Schmuck der Götterbilder ein, um Gold und Silber zu gewinnen9. Die anschließende Eroberung Roms 455 durch die Vandalen führte indes keineswegs zur Zerstörung der Kunstschätze, sondern hatte die systematische Plünderung Roms zur Folge10.
3 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 80. 4 Wahl, Kunstraub als Ausdruck von Staatsideologie, in: Frank (Hrsg.), Recht und Kunst, 1996, 105 – 135 (120); Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 79; Fiedler, Zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, 199 – 218 (211); Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 6. 5 Treue, Kunstraub, 1957, 13. 6 Treue, Kunstraub, 1957, 9. 7 Heffter / Geffcken, Das europäische Völkerrecht der Gegenwart, 7. Auflage (1881), 273. 8 Cicero, zitiert nach: Treue, Kunstraub, 1957, 15: „Gibt es unter all den Schätzen, die unsere schöne Stadt so reich zieren und schmücken, auch nur eine Figur, ein Bild, das nicht durch Plünderung zu uns gekommen, das nicht von Gegnern zu uns gelangt ist, welche wir besiegt haben? Die Landhäuser der Männer, von denen ich hier spreche, sind bis zum Überquellen mit den zahllosen Wertstücken angefüllt, die sie sogar unseren ergebensten und treuesten Bundesgenossen gestohlen haben.“ 9 Treue, Kunstraub, 1957, 17 f., zieht hier den Vergleich mit den nach dem Zweiten Weltkrieg nach Russland verbrachten antiken Münzen aus deutschen Museen, die ebenfalls eingeschmolzen wurden. 10 Kinder / Hilgemann, dtv-Atlas Weltgeschichte, 2000, 117; Treue, Kunstraub, 18 f.: Die Ableitung des Wortes „Vandalismus“ als Inbegriff der Zerstörungswut ist insoweit irreführend.
III. Der 30jährige Krieg: Das Beispiel der Bibliotheca Palatina
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III. Der 30jährige Krieg: Das Beispiel der Bibliotheca Palatina Auch der Einfluss des Christentums in Europa hat noch keinen grundsätzlichen Auffassungswandel bewirkt, wonach Kulturgut im Kriege und bei Friedensschlüssen nicht als Beute mitgenommen werden darf. Ein unrühmliches Beispiel im 30jährigen Krieg stellt die Erbeutung der kostbaren Büchersammlung der Heidelberger Universität 1622 durch den katholischen Feldherrn Tilly dar. Nachdem die katholische Liga Heidelberg eingenommen hatte, bemächtigte sich der bayerische Herzog Maximilian der Bibliotheca Palatina und schenkte den wertvollsten Teil dem Papst11. Der Papst finanzierte seinerseits die Kriegsunternehmungen der Liga mit, und die Überlassung der Palatina soll den Papst dazu ermuntert haben, die Wahl Maximilians bei seiner dann auch erfolgreichen Bewerbung um den Kurhut zu unterstützen12. Bibliotheken und Handschriften haben nicht allein im 30jährigen Krieg zu den besonders beliebten Beutestücken gehört, sondern sind generell in Kriegen begehrte Trophäen13. Denn Bibliotheken enthalten nicht nur wertvolle Kunstwerke. Gemäß dem Sprichwort „Wissen ist Macht“ spiegelt der Bestand einer Bibliothek einen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wider, und bisweilen, wie dies bei der Bibliotheca Palatina auch der Fall ist, wird darüber hinaus in Schriften eine geistige Idee verkörpert. Heidelberg als Zentrum der calvinistischen Lehre wurde durch den Verlust dieser Bibliothek folglich empfindlich getroffen14. Aber auch von evangelischer Seite wurde ein geistiges Weltbild bekämpft, indem im Gegenzug bevorzugt die Bibliotheken der Jesuiten geplündert wurden15. Der 30jährige Krieg endete 1648 mit dem Westfälischen Frieden. In den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück wurde erstmalig im Völkerrecht die Rückgabe von Archiven und anderen beweglichen Gegenständen vereinbart, die während der kriegerischen Besetzung verschleppt worden waren16. Nach Artikel XVI § 15 des Friedensvertrages von Osnabrück sollten Archive, schriftliche Dokumente und andere bewegliche Dinge, wie auch Geschütze, welche an besagten Orten zur Zeit der Einnahme gefunden worden waren und sich zum Zeitpunkt des 11 Treue, Kunstraub, 1957, 92, 94; Langer, Kulturgeschichte des 30jährigen Krieges, 1978, 130. 12 Treue, Kunstraub, 1957, 96; Langer, Kulturgeschichte des 30jährigen Krieges, 1978, 130. 13 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 86. 14 Treue, Kunstraub, 1957, 92, 94. 15 Treue, Kunstraub, 1957, 119; Langer, Kulturgeschichte des 30jährigen Krieges, 1978, 130. 16 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 87; deutsche Textausgabe der Friedensverträge von Münster und Osnabrück in: Six, Der Westfälische Friede von 1948, 1940.
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A. Kulturgüter als Kriegsbeute in der geschichtlichen Entwicklung
Abschlusses des Friedensvertrages dort unbeschädigt vorfanden, zurückgegeben werden. Das gleiche gilt für den Friedensvertrag von Münster. Die Palatina blieb in der Folgezeit ein begehrtes Beutegut. Napoleon ließ bei seinem Sieg in Italien im Friedensvertrag zu Tolentino 1797 auch den Anspruch auf einige Handschriften der Palatina festlegen. Die nach Paris gebrachten 38 Exponate der Palatina kehrten nach der Niederlage Frankreichs 1815 aber nicht nach Rom, sondern fast 200 Jahre nach dem Verlust aus Heidelberg dorthin zurück, was dem Umstand zu verdanken ist, dass die badische Regierung, unterstützt von Österreich und Preußen, die Rückgabe nach Heidelberg unter Bezug auf ältere Ansprüche geltend gemacht hatte17. Aus Rom selbst folgten nach intensiven Verhandlungen 1816 noch weitere 852 Handschriften18. Die Rückgabe der Teile aus der Palatina verdeutlicht in exemplarischer Weise, dass mit geschickten Verhandlungen noch nach außerordentlich langer Zeit die Rückgabe von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut möglich ist, wenn nur der Anspruch durchgängig aufrechterhalten wird. Aber die mit der „Schenkung“ der Palatina an den Papst zusammenhängenden Fragen waren damit 1815 / 16 keineswegs beendet. Denn erst vor einigen Jahren zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg schloss die Bibliothek des Vatikans mit der Bibliothek der Universität Heidelberg einen Leihvertrag über Exponate der Bibliotheca Palatina ab. Bevor die Palatina nach Rom zurückkehren konnte, kam es zu einem Rechtsstreit darüber, ob die Ausstellungsstücke nicht in Deutschland verbleiben müssten19. Von dritter Seite wurde gegen die Rückgabe an den Papst geltend gemacht, dass die Erbeutung der Heidelberger Universitätsbibliothek im 30jährigen Krieg und die anschließende Schenkung an den Papst nicht rechtmäßig gewesen wäre. Schon seinerzeit seien Kulturgüter vom Eroberungs- und Beuterecht ausgeschlossen gewesen mit der Folge, dass die Universität Heidelberg ihr Eigentum an der Büchersammlung nicht verloren habe. Mit der Rückgabe der in Heidelberg ausgestellten Exponate an den Papst würden die dafür Verantwortlichen einen Straftatbestand verwirklichen. Die Staatsanwaltschaft kam indes zu dem Ergebnis, dass der Vatikan wirksam Eigentum erworben hatte und daher der Rückgabe nach Rom nichts mehr entgegen stand. Gestützt wird das Recht des Vatikans auf das Kulturgut darauf, dass im Kriegsbeuterecht des 17. Jahrhunderts die Aneignung von Kulturgut noch keinen gewohnheitsrechtlichen Beschränkungen des Völkerrechtes unterlag20. Treue, Kunstraub, 1957, 102 f. Treue, Kunstraub, 1957, 102 f.; Langer, Kulturgeschichte des 30jährigen Krieges, 1978, 130. 19 Die Rechtsfragen um die Rückgabe der Palatina sind ausführlich behandelt bei: Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142. 20 Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (139 f.); Dolzer, Kulturgüter im Friedensvölkerrecht, in: Dolzer / Jayme / Mußgnug (Hrsg.), Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 1994, 149 – 159 (155 f.). 17 18
IV. Kunstraub in den Koalitionskriegen und im Zeitalter Napoleons
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IV. Kunstraub in den Koalitionskriegen und im Zeitalter Napoleons In der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert begann sich die Auffassung durchzusetzen, dass die kriegsbedingte Verschleppung von Kulturgut einen Machtmissbrauch darstellt21. Als Folge der Entwicklung des Staatsbegriffs galten im kontinental-europäischen Rechtskreis als Gegner in einem Krieg nicht mehr alle Personen, gleichgültig ob sie Zivilpersonen oder Soldaten waren, sondern der Krieg war auf die Ebene der ausschließlichen Auseinandersetzung zwischen Staaten gehoben worden22. Diese Differenzierung wirkte sich auch auf die Zugriffsrechte des Eroberers aus. Die Aneignungsbefugnis wurde auf das öffentliche Vermögen beschränkt, wogegen das private Eigentum nicht mehr angetastet werden sollte23. In einem weiteren Schritt, der auf Mäßigung der Kriegführung abzielte, ergab sich eine Beschränkung der Aneignungsrechte auf dasjenige Eigentum, welches den Gegner bei der Führung des Krieges unterstützen konnte. Da Werke der Kunst aber nicht als geeignet angesehen wurden, die Kriegführung zu beeinflussen, begann sich die Regel durchzusetzen, dass Kunstwerke insgesamt unabhängig von den Eigentumsverhältnissen keine Objekte kriegerischer Erbeutung sein durften. Der Auffassungswandel betreffend den Umfang des Aneignungsrechts im Krieg hatte beispielsweise zur Folge, dass Friedrich der Große im Siebenjährigen Krieg 1756 – 1763 kein Kulturgut aus den berühmten Gemäldegalerien in Dresden antastete und die Russen und Österreicher in Berlin Kulturgut ebenfalls schonten24. Die Kriege des französischen Revolutionsheeres gegen England, Österreich, Preußen und andere Staaten stellten indes für den Schutz des Kulturgutes einen herben Rückschlag dar. Unter Berufung auf die Überlegenheit der revolutionären Ideen und das römische Vorbild sah sich Frankreich als legitimiert an, Kulturgut als Kriegsbeute zu beanspruchen, sodass unzähliges Kulturgut teilweise unter Gewaltanwendung aus den besiegten Staaten Europas mitgenommen wurde25. Nachdem zunächst 1794 die ersten Sammlungen aus den Niederlanden und Belgien nach Frankreich geschafft wurden, folgte die Plünderung Italiens. Außer der eigen21 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 89; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 48. 22 Heffter / Geffcken, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart, 7. Auflage (1881), 274; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 89 f.; Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 8. 23 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 36. 24 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 91. 25 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 92; Wahl, Kunstraub als Ausdruck von Staatsideologie, in: Frank (Hrsg.), Recht und Kunst, 1996, 105 – 135 (123 f.); Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 48 f.
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A. Kulturgüter als Kriegsbeute in der geschichtlichen Entwicklung
mächtigen Wegnahme wurden auch schriftliche Abmachungen mit den Besiegten getroffen, um den äußeren Anschein der Legalität zu erwecken26. Kulturgüter wurden dabei auf die Gesamtsumme der allgemein anerkannten Kontributionen angerechnet27. In Waffenstillstandsabkommen und in friedensvertraglichen Regelungen fanden daher Klauseln Aufnahme, in denen sich die besiegten Staaten mit der Kulturgutverbringung einverstanden erklärten bzw. erklären mussten, denn Friedensverträge folgen häufig dem Recht des Stärkeren28. Kunstschätze aus zahlreichen Ländern Europas gelangten auf diese Weise nach Frankreich, vor allem in die französische Hauptstadt Paris, wo sich der Louvre zur reichsten Sammlung mit Meisterwerken aus aller Welt entwickelte. Als ein markantes Beispiel für den napoleonischen Kunstraub im deutschen Raum zählt die Quadriga vom Brandenburger Tor in Berlin, die nach Paris transportiert wurde. Als Kriegstrophäe wurde sie im Louvre zur Schau gestellt. Nach seinem Sieg im Oktober 1806 in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt zog Napoleon mit seinen Truppen auch in Berlin ein29. Abgesehen davon, dass aus den Berliner Gemäldegalerien etliche Werke nach Frankreich verbracht wurden, war unter den mitgenommenen Werken auch die aus Kupferblech gefertigte Quadriga vom Brandenburger Tor30. Dabei handelte es sich um einen besonders symbolhaltigen Raub: Denn der Wagen mit den vier Pferden wird von der Siegesgöttin gelenkt, und mit der Wegnahme der Siegesgöttin vom Brandenburger Tor hatte Preußen seine Siegesgöttin verloren. Aber ungeachtet der Tatsache, dass die Siegesgöttin in französische Gefangenschaft geraten war, gelang es Preußen schließlich, sich erfolgreich gegen die französische Besetzung zu wehren, und seine Armee zog gemeinsam mit den Verbündeten im März 1814 in Paris ein. Napoleon musste abdanken, und der erste Pariser Friede wurde abgeschlossen. Aus Rücksicht auf das wiedererrichtete Bourbonenkönigtum fielen die Bedingungen dieses Friedensschlusses sehr günstig für Frankreich aus und enthielten keine Regelungen betreffend die Rückgabe des Kulturgutes31. Preußen, das ungeachtet dessen auf der Rückgabe seiner nach Frankreich verbrachten Kulturwerke bestand, ließ sich vom Bourbonenkönig eine formelle Anerkennung seiner Rückgabeansprüche geben, indem dieser die Rückgabe aller in Frankreich befindlichen preußischen Kulturgüter zusagte32. Diese Zusicherung be-
Wescher, Kunstraub unter Napoleon, 1976, 56 f. Wescher, Kunstraub unter Napoleon, 1976, 56. 28 Treue, Kunstraub, 1957, 206 f. 29 Kinder / Hilgemann, dtv-Atlas Weltgeschichte, 2000, 307. 30 Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz (Hrsg.), Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin, 1982, 9, 13; Schreiber, Berlin, Brandenburger Tor, 1997, 18, 22. 31 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 95. 32 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 94 ff. 26 27
IV. Kunstraub in den Koalitionskriegen und im Zeitalter Napoleons
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traf die Rückgabe von Kulturgut, das in öffentlichen Sammlungen ausgestellt oder in Depots verwahrt wurde, aber sie betraf auch die Rückgabe von Werken, die sich im privaten Besitz befanden. Die tatsächliche Rückgabe verlief indessen aufgrund des Widerstandes der französischen Seite sehr zögerlich33. Die französische Rückgabezusage wurde schließlich modifiziert, und die Parteien einigten sich darauf, dass nur diejenigen Objekte zurückgegeben werden sollten, die zur Zeit des Friedensschlusses am 30. Mai 1814 noch nicht in öffentlichen Sammlungen in Frankreich ausgestellt waren. Infolge der Bemühungen Preußens gelang es insgesamt, dass bis zum Frühjahr 1815 ein Drittel der mitgenommenen Werke zurückkehrte. Dazu gehörte auch die Quadriga vom Brandenburger Tor. Die Rückkehr des Viergespanns von Paris nach Berlin glich einem Triumphzug durch Deutschland und endete am 7. August 1814 mit der feierlichen Enthüllung auf dem Brandenburger Tor, wobei der preußische König an der Spitze seiner Truppen als Sieger Einzug hielt34. Damit war das Kapitel der napoleonischen Kriege aber noch nicht beendet, denn im März 1815 zog Napoleon abermals mit Truppen gegen Osten und erlitt bei Waterloo seine endgültige Niederlage. Anders als im ersten Pariser Frieden von 1814 fielen die Konditionen der Sieger nun wesentlich härter aus, und sie verständigten sich im zweiten Pariser Frieden von 1815 auf die Restitution der ihnen weggenommenen Kulturgüter. In der Castlereagh-Note vom 11. September 181535 legte die englische Seite ihren Standpunkt dar, wonach sich Frankreich im Widerspruch zu den Prinzipien der Gerechtigkeit und der neuzeitlichen Kriegführung verhalten habe. Castlereagh verwies dabei auf die neuzeitlichen Eroberer, die im Gegensatz zu Frankreich die Untrennbarkeit der Kunstwerke vom Territorium ihrer Herkunftsstaaten respektiert hatten. Frankreich wurde vorgehalten, die Integrität des kulturellen Erbes der besiegten Nationen durch die Wegnahme des Kulturgutes verletzt zu haben. Die Nationen, die Frankreich besiegt hatten, nahmen dabei 1815 eine Verletzung der Integrität ihres kulturellen Erbes nicht nur in den Fällen der Plünderung und der Beschlagnahme, sondern auch in den vertraglichen Absprachen der Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträge, nach denen Kulturgut als Kriegskontribution an Frankreich zu leisten war, an36. Infolgedessen wurde auch den in den Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträgen vereinbarten Auslieferungen von Kulturgut an Frankreich keine Wirkung beigemessen. Sie wurden annulliert und Frankreich musste die erbeuteten Kulturgüter zurückgeben. 33
Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964,
96 f. 34 Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz (Hrsg.), Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin, 1982, 16 ff.; Schreiber, Berlin, Brandenburger Tor, 1997, 22. 35 Ausführlich zur Bedeutung der Note: Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 107 – 119; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 49 – 53. 36 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 116, 118.
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Darüber hinaus haben aber die Sieger ihrerseits französisches Kulturgut in Frankreich belassen. Ihre Siegerstellung haben sie nicht dahingehend ausgenutzt, um nun im Gegenzug, wie es Frankreich in ihren Ländern praktiziert hatte, ihre eigenen Museen und Archive mit Exponaten französischer Provenienz anzureichern. Insoweit liegt hier ein wesentlicher Unterschied zum Verhalten der sowjetischen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland vor, die nicht nur ihre eigenen von Deutschland geraubten Kunstwerke zurückgeführt haben, sondern darüber hinaus planmäßig komplette deutsche Sammlungen aus Museen, Bibliotheken, Archiven und aus Privatbesitz mitgenommen haben.
V. Der Erste Weltkrieg Mit den Haager Konventionen von 1899 und 1907 kam es zu den ersten umfassenden völkerrechtlichen Vereinbarungen betreffend die Rechte und Gebräuche des Krieges, die für viele Staaten auch als Vertragsrecht bindend wurden. Im Ersten Weltkrieg haben sich diejenigen Regeln, die den Kulturgüterschutz betreffen, insoweit bewährt, als die Zerstörung oder Mitnahme von Kulturgütern als Kriegsbeute kein primäres Kriegsziel war37. Zwar wurden bedingt durch den modernen Artilleriekrieg Baudenkmäler und das Inventar von Museen in größerem Umfang vernichtet38. Dabei ist aber zu berücksichtigten, dass die kriegführenden Parteien es in der Regel nicht darauf abgesehen hatten, den Feind durch Zerstörung oder Wegnahme seines Kulturgutes zu schädigen und zu demütigen. Vielmehr handelte es sich bei den eingetretenen Schäden um die Nebenfolge der Kampfhandlungen, wenn Städte zwischen die Fronten gerieten. Eine negative Ausnahme stellt indes der in der mittelalterlichen Stadt Löwen von deutschen Soldaten gelegte Brand dar, bei dem historische Bausubstanz und in den Gebäuden verwahrtes wertvolles Kulturgut vernichtet wurde39. Die Stadt Löwen im neutralen Belgien war 1914 von deutschen Truppen eingenommen worden. Von deutscher Seite wurde beteuert, die eigenen Soldaten seien in der Stadt aus den Häusern von Zivilisten und belgischem Militär in Zivilkleidung beschossen worden40. In diesem Angriff sahen diese dann die Rechtfertigung, die Häuser, aus 37 Wahl, Kunstraub als Ausdruck von Staatsideologie, in: Frank (Hrsg.), Recht und Kunst, 1996, 105 – 135 (131). 38 Treue, Kunstraub, 1957, 298; Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, 1959, 13; andere Wertung durch: Clemen, Der Schutz der Kunstdenkmäler im Kriege, aus: Mitteilungen des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz, VIII, 1914, 191 – 203 (196); nach seiner Ansicht sind z. B. in Belgien keine unersetzlichen architektonischen Werte zugrundegegangen. 39 Sauer, Die Zerstörung von Kirchen und Kunstdenkmälern an der Westfront, 1917, 50 – 60; Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, 1959, 15 f. 40 Clemen, Der Schutz der Kunstdenkmäler im Kriege, aus: Mitteilungen des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz, VIII, 1914, 191 – 203 (196); Sauer, Die Zer-
V. Der Erste Weltkrieg
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denen die Schüsse erfolgt waren, anzuzünden. Dieser Darstellung wurde von belgischer Seite stets unter Berufung auf willkürliche Übergriffe des deutschen Militärs auf Leib und Leben sowie Vermögenswerte der friedlichen Zivilbevölkerung widersprochen41. Das Feuer breitete sich in der mittelalterlichen Stadt aus und ergriff auch das Gebäude der Universitätsbibliothek und die Kathedrale St. Peter. Der Schaden in der Bibliothek war besonders groß, weil dort auch kostbare und einzigartige Handschriften verwahrt wurden. Bei dem Brand ging der Bestand von über 250.000 Bänden, 500 Manuskripten und über 800 Inkunabeln in Flammen auf42. Bemerkenswert sind die nationalen Emotionen, die sich in wechselseitigen Schuldzuweisungen und Verunglimpfungen äußerten und auch den Bereich der wissenschaftlichen Forschung erfassten. Dies machte eine sachliche Aufklärung der Umstände des Brandes unmöglich. Werden beispielsweise die Teilnehmer des Aufstandes bei Sauer, Professor an der Universität zu Freiburg / Breisgau, „zu hinterlistigen Meuchelmördern“ erklärt, „die im Kriegszustand ihr Leben und Eigentum verwirkt“ hätten43, sind es auf belgischer Seite bei Mayence, Professor an der Universität zu Löwen, „Halluzinationen“, an denen die Soldaten litten: „welche jeden Augenblick das Gespenst des Franktireurs vor sich aufsteigen sahen“44. Von den Fällen der Vernichtung und Beschädigung von Denkmälern und anderen Kulturwerten durch Kampfhandlungen zu trennen ist die Verbringung von Kulturgütern aus dem eingenommenen Feindesland in der Absicht, sich diese Werte anzueignen. Die kriegführenden Nationen verstanden sich im Ersten Weltkrieg als Kulturnationen, und zu diesem Selbstverständnis gehörte im Grundsatz auch Respekt und Achtung vor der kulturellen Leistung, die andere hervorgebracht hatten. Bei den Fällen von Kunst- und Archivraub handelt es sich folglich im Gegensatz zu den eingetretenen Zerstörungen nur um vereinzelte Vorkommnisse45. Teilweise wurden Kunstwerke auch aus den umkämpften Gebieten zur Sicherung abtransportiert. Da diese Entfernung zu Schutzzwecken erfolgte, war die Verbringung gerechtfertigt, und es handelt sich daher nicht um Fälle von Kriegsbeute. Diese Werte kehrten im Prinzip nach dem Krieg an ihren angestammten Platz zurück46. Bisweilen sind die Grenzen zwischen Beutemachen und Sicherungsmaßnahmen fließend, weil sich nicht immer klar ermitteln lässt, ob Kulturgut ausschließlich zu dem Zweck abtransportiert wird, damit es nicht durch Kampfhandlungen geschädigt störung von Kirchen und Kunstdenkmälern an der Westfront, 1917, 51 f., 55; Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, 1959, 15 f. 41 Sauer, Die Zerstörung von Kirchen und Kunstdenkmälern an der Westfront, 1917, 52 f. 42 Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, 1959, 16. 43 Sauer, Die Zerstörung von Kirchen und Kunstdenkmälern an der Westfront, 1917, 55 f. 44 Mayence, Die Legende der Franktireurs von Löwen, 1928, 22. 45 Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, 1959, 18; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 122. 46 Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, 1959, 18; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 122 f.
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wird, oder ob auch insgeheim schon die Überlegung besteht, die Sache nach einem siegreichen Kriegsende behalten zu wollen. Der am 28. Juni 1919 zwischen dem besiegten Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten unterzeichnete Friedensvertrag von Versailles47 enthält ausführliche Wiedergutmachungsregeln. Artikel 238 des Versailler Vertrages betrifft allgemeine Restitutionsregeln, die auch die Verpflichtung Deutschlands zur Rückgabe fortgenommener Kulturgüter beinhalten, um damit den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, wie er vor dem Krieg bestand. Darüber hinaus sehen Artikel 245 bis 247 des Versailler Vertrages einige Sonderbestimmungen für Kulturgut vor, von denen besondere Erwähnung Artikel 247 des Versailler Vertrages verdient. In Artikel 247 Absatz 1 des Versailler Vertrages wurde zugunsten der Stadt Löwen eine spezielle Ausgleichsvereinbarung für den Verlust ihrer berühmten Bibliothek, die in Flammen aufgegangen war, getroffen. Gemäß Artikel 247 Absatz 1 des Versailler Vertrages wurde festgelegt, dass Deutschland der Universität Löwen innerhalb von drei Monaten nach der durch Vermittlung des Wiedergutmachungsausschusses zugehenden Aufforderung Handschriften, Wiegendrucke, gedruckte Bücher, Karten und Sammlungsgegenstände in gleicher Zahl und gleichem Wert zu liefern hatte, wie sie durch den von Deutschland verursachten Brand der Bibliothek von Löwen vernichtet worden waren. Dem Wiedergutmachungsausschuss wurde übertragen, nähere Einzelheiten zu regeln. In völkerrechtlicher Hinsicht liegt in dieser Vereinbarung eine Reparationsverpflichtung in der Sonderform der restitution in kind vor. Die restitution in kind ist streng von einer Restitution zu trennen48. Auch wenn die Bezeichnung restitution in kind nahe legt, dabei handele es sich um eine Ausformung der Restitution, ist die restitution in kind ihrer Rechtsnatur nach ein speziell geregelter Fall von Reparation. Denn während bei der Restitution die weggenommenen Gegenstände in natura zurückgegeben werden, werden bei der restitution in kind nicht die weggenommenen Gegenstände selbst zurückgegeben, sondern es wird für vernichtete oder anderweitig verloren gegangene Objekte Ersatz durch die Lieferung gleichartiger und gleichwertiger Gegenstände geleistet. Bei der restitution in kind wird also Schadensersatz erbracht. Die Verpflichtung, Schadensersatz in Geld oder Sachwerten leisten zu müssen, stellt aber eine Reparationsverpflichtung dar. Eine weitere Sonderregelung, mit der Belgien Entschädigung durch Lieferung von Kulturgut zugestanden wurde, enthält Artikel 247 Absatz 2 des Versailler Vertrages. Deutschland wurde in dieser Vereinbarung auferlegt, abgetrennte Teile von 47 Gesetz über den Friedensschluss zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten vom 16. Juli 1919, RGBl 1919, 687. 48 Zur Abgrenzung von Reparation, Restitution, restitution in kind siehe: Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 123 f., 138; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 37; siehe auch: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (559).
V. Der Erste Weltkrieg
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zwei Altären mit der Zweckbestimmung herauszugeben, die in Belgien an ihrem Herkunftsort verbliebenen Mittelstücke wieder zu vervollständigen. Es handelte sich dabei zum einen um die Seitenflügel des Genter Altars der Gebrüder van Eyck „Die Anbetung des Lammes“ aus der Kirche St. Bavo in Gent, und zum anderen um die Flügel des Triptychons „Das Abendmahl“ von Dierk Bouts aus der Kirche St. Peter in Löwen. Die abgetrennten Teile der Altäre waren im 19. Jahrhundert rechtmäßig durch Kauf nach Deutschland in Museen gelangt. Die Verpflichtung zur Herausgabe der von Deutschland erworbenen Altarflügel, um sie mit den in Belgien verbliebenen Mittelstücken an ihrem angestammten Platz zusammenzufügen, stellt eine allgemeine Reparationsverpflichtung dar, wobei die Entschädigung nicht in Geld, sondern durch Sachlieferung erfolgt49. Eine Reparation in der Sonderform der restitution in kind liegt indes hier im Gegensatz zu der Wiedergutmachung für die vernichtete Universitätsbibliothek in Löwen deshalb nicht vor, weil die zu liefernden Bestandteile der Altäre keinem gleichartigen und gleichwertigen kriegsbedingt eingetretenen Verlust in Belgien zugeordnet wurden. Sie dienten damit nicht als Ersatz für konkrete kriegsbedingte Verluste an entsprechenden belgischen Kulturwerten, sondern erfüllen die Kriterien einer allgemeinen Wiedergutmachung für Kriegsschäden. Die völkerrechtliche Anerkennung der in Artikel 247 Absatz 2 des Versailler Vertrages getroffenen Vereinbarung sieht Engstler50 darin begründet, dass auf diese Weise die Rekonstruktion zerrissener Kunstwerke an ihrem angestammten Platz ermöglicht wurde und darin ein Anwendungsfall der territorialen Bindung von Kulturgütern zu sehen sei. Der Erste Weltkrieg ist ein praktisches Beispiel dafür, dass dem Feind Kulturgut während des Krieges, von einzelnen Missbrauchsfällen abgesehen, nicht mit Aneignungswillen weggenommen worden ist. Soweit dennoch Kulturgut nach Deutschland gelangt war, musste dies an die Herkunftsländer zurückgeben werden. Hatte schon Frankreich 1815 das mitgenommene Kulturgut zurückgeben müssen, so liegt hier ein weiterer Anwendungsfall der durchgesetzten Restitutionspflicht von Kulturgut vor, auch wenn im Gegensatz zu den napoleonischen Kunstraubzügen im Ersten Weltkrieg Kulturgut kaum als Beute mitgenommen wurde und folglich auch nur in Einzelfällen Kulturgut zurückzugeben war. Die Beanspruchung von Kulturgut zu Reparationszwecken ist im Versailler Vertrag nur in wenigen genau geregelten Einzelfällen und nur bei besonders gelagerten Umständen erfolgt. Ein genereller Zugriff auf Kulturgut für Zwecke der Kriegsentschädigung ist im Versailler Vertrag nicht vorgesehen. Dies lässt den Rückschluss zu, dass die 49 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 128 f.; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 63 f. 50 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 129; siehe auch: Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 38, 63 f.
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A. Kulturgüter als Kriegsbeute in der geschichtlichen Entwicklung
Sieger Kulturgut im Allgemeinen nicht als taugliches Objekt zur Realisierung von Wiedergutmachung angesehen haben51. Die beiden großen Kriege der Neuzeit, die den europäischen Kontinent in Mitleidenschaft zogen und 1815 mit der Niederlage Frankreichs und 1918 mit der Niederlage Deutschlands endeten, haben gemeinsam, dass die siegreichen Nationen das kulturelle Erbe des Verlierers im Grundsatz nicht angetastet haben. Der von den Römern und anderen Völkern der antiken Welt gepflegte Brauch, Kulturgut als Kriegstrophäe im Triumphzug zu verschleppen und als sichtbares Zeichen des Sieges dem eigenen Volk zur Schau zu stellen, ist ungeachtet zwischenzeitlicher Rückschritte aufgegeben worden. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass Kulturgut dorthin gehört, wo es seinen angestammten Platz gefunden hat, und Demütigungen des besiegten Feindes durch Verletzung der Integrität seines kulturellen Erbes nachhaltig die Beziehungen zwischen den Staaten stören können. Dennoch haben diese humanitären Überlegungen sich nicht gegen die Ideologien, die den Zweiten Weltkrieg beherrscht haben, durchsetzen können und nicht verhindern können, dass im Zweiten Weltkrieg Kulturgut des Feindes geschädigt wurde. In diesem mangelnden Respekt gegenüber Kulturgütern und ihren Eigentümern liegen die Wurzeln der Beutekunstproblematik mit Russland, die bis heute nicht gelöst ist.
51 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 64.
B. Der tatsächliche Hintergrund der Beutekunstproblematik I. Das Verhalten Deutschlands während des Russlandfeldzuges Die systematischen Abtransporte deutschen Kulturguts durch die sowjetischen Trophäenbrigaden nach dem Zweiten Weltkrieg können nicht gänzlich isoliert von den Ereignissen betrachtet werden, die sich zuvor während des Krieges auf sowjetischem Territorium abgespielt haben. Am 22. Juni 1941 erfolgte ohne vorherige Kriegserklärung der deutsche Überfall auf die Sowjetunion1. Zur Verteidigung rief Stalin zum „Großen Vaterländischen Krieg“ auf2. Zum Teil wurden die erheblichen Verwüstungen auf sowjetischem Boden nicht nur durch den deutschen Angriff, sondern auch durch die sowjetische Strategie der verbrannten Erde verursacht. Denn Stalin hatte der Roten Armee aufgetragen, alle bewohnten Gebiete im eigenen Land zu zerstören und niederzubrennen, die jenseits der deutschen Linien bis zu einer Entfernung von vierzig bis sechzig Kilometern hinter der Front und bis zu einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Kilometern rechts und links der Straßen lagen3. Die deutschen Truppen drangen aber trotz des erbitterten Widerstandes zügig bis an Moskau heran. Leningrad wurde belagert und eingeschlossen. Die in der Umgebung von Leningrad liegenden Paläste, u. a. der Katharinenpalast mit dem legendären Bernsteinzimmer, wurden eingenommen. Anderen Städten erging es kaum besser: Baudenkmäler der kulturgeschichtlich bedeutenden Städte Pkow und Nowgorod, wie beispielsweise die aus dem 12. Jahrhundert stammende Erlöserkirche an der Nerediza in Nowgorod, wurden zerstört4. In den besetzten Gebieten der Sowjetunion gingen Museen und Bibliotheken mit wertvollen Exponaten in Flammen auf5. Im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg6 wird die Zahl der zerstörten Museen mit 427 angeKinder / Hilgemann, dtv-Atlas Weltgeschichte, 2000, 485. Kinder / Hilgemann, dtv-Atlas Weltgeschichte, 2000, 485. 3 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 37 f. 4 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 62 ff.; Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 8, 37 ff., 46. 5 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 8. 6 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 63. 1 2
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B. Der tatsächliche Hintergrund der Beutekunstproblematik
geben. Besonders frevelhaft wurde in dem Prozess auch angesehen, dass die für die kulturelle Identität des Landes herausragenden Plätze, die an das Leben und Wirken der Schriftsteller Puschkin und Tolstoj sowie den Komponisten Tschaikowsky und den Maler Repin erinnert hatten, nicht geschont wurden7. Zu den Zerstörungen kam hinzu, dass Einzelpersonen Kulturgüter für eigene Zwecke plünderten sowie im Auftrag der Nationalsozialisten oder der Wehrmacht die organisierte Mitnahme von Kulturgut nach Deutschland erfolgte. Hierzu gehört auch das legendäre Bernsteinzimmer im Katharinenpalast von Zarskoje Selo, das in das damals deutsche Königsberg abtransportiert wurde und bis heute verschollen ist. Insbesondere der Einsatzstab Rosenberg und Ribbentrops Sonder-Bataillon plünderten in den besetzten Gebieten systematisch Museen, Paläste und Bibliotheken und brachten die erbeuteten Gegenstände nach Deutschland8. Die Art und Weise des deutschen Vorgehens muss dabei als besonders rücksichtslos eingestuft werden9. Das Verfahren für die Ostgebiete fasste 1942 ein Mitarbeiter Rosenbergs wie folgt zusammen: „Die Slawen sollen für uns arbeiten. Soweit wir sie nicht brauchen, mögen sie sterben. Impfzwang und deutsche Gesundheitsfürsorge sind daher überflüssig. Die slawische Fruchtbarkeit ist unerwünscht“10. Es wurde im Osten eine rigorose Ausbeutungspolitik betrieben. Anders als beim Einmarsch in die westlichen Länder gingen die Deutsche Wehrmacht und das NS-Regime im Osten äußerst brutal vor, weil in der Rassenideologie der Nationalsozialisten die Slawen als Untermenschen angesehen wurden. Folglich wurde auch ihre Kultur geringgeschätzt. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zum Ersten Weltkrieg, der eine derartige ideologische Komponente nicht besaß. Die totalitären Machtansprüche und die ideologische Ausrichtung des Zweiten Weltkrieges haben die Gefahr für Kulturgut, vernichtet oder mitgenommen zu werden, erhöht. Denn der Krieg richtete sich nicht nur als Nebenfolge, sondern zielgerichtet gegen das kulturelle Erbe und damit die historische und kulturelle Identität des Feindes. Alfred Rosenberg, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und Organisator des „Einsatzstabes Rosenberg“, wurde strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg verurteilte ihn zum Tode durch 7 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 64: Die Deutschen „zerteilten das Gut des Dichters Puschkin in Mikhailowskoye, entweihten sein Grab und zerstörten die benachbarten Dörfer und das Mönchskloster von Swyatogor. Sie zerstörten das Gut und Museum von Leo Tolstoj ,Yasnaya Polyana‘ und entweihten das Grab des großen Schriftstellers. In Klin zerstörten sie das Tschaikowsky-Museum und in Ponaty das Museum des Malers Repin und vieler anderer.“ 8 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 271. 9 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 9. 10 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 266.
II. Die Verbringung des deutschen Kulturgutes in die Sowjetunion
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den Strang11. Er wurde schuldig gesprochen wegen Verbrechen gegen den Frieden, weil er mitverantwortlich für die Planung und Ausführung der Besatzungspolitik in den besetzten Ostgebieten war12. Ferner wurde er wegen Verbrechen gegen die Humanität zur Verantwortung gezogen, weil er unter anderem mit seinem Einsatzstab zahlreiche Museen und Bibliotheken geplündert, Kunstschätze und Sammlungen beschlagnahmt und Privathäuser ausgeraubt hatte. Ihm wurde besonders entgegengehalten, dass er die Anweisung gegeben hatte, die Haager Landkriegsordnung in den besetzten Ostgebieten nicht anzuwenden13.
II. Die Verbringung des deutschen Kulturgutes in die Sowjetunion Schon während des Krieges ab 1943 dachte die sowjetische Regierung darüber nach, Deutschland nach dem Sieg für die eigenen Kulturgüterverluste verantwortlich zu machen. Der Kompensationsgedanke stand zu diesem Zeitpunkt im Vordergrund und sollte in der Weise realisiert werden, dass die von den Deutschen in der Sowjetunion geschädigten Museen nach dem Krieg aus den entsprechenden Einrichtungen des Feindes Ersatz erhalten sollten14. Auch wurde überlegt, nach Kriegsende in Moskau ein Supermuseum für Beutekunst zu errichten15. Zur Erfassung derjenigen Kulturgüter, die als Beutestücke in Frage kommen sollten, wählten sowjetische Kunstsachverständige systematisch ihnen hierzu geeignete Objekte aus. Insbesondere durch Auswertung der Bestandskataloge konnten Ziellisten von allen deutschen Museen angefertigt werden16. Diese Vorarbeiten waren Voraussetzung für die systematische Arbeit der Trophäenbrigaden in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ). Kunstwerke erster Qualität und Güte aus deutschen Museen und Privatsammlungen, Bibliotheken sowie Archivgut wurden in vergleichsweise kurzer Zeit aufgespürt und in die Sowjetunion verbracht. Die für den Abtransport der Beutekunst zuständigen Einheiten waren insbesondere die Trophäenbrigade des Komitees für Kunstangelegenheiten beim Rat der 11 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 412. 12 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 331 f. 13 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 333. 14 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 34; Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 13. 15 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 16 ff. 16 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 53 ff.; Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 13, 20.
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B. Der tatsächliche Hintergrund der Beutekunstproblematik
Volkskommissare der UdSSR17, die Trophäenbrigade des Architekturkomitees, ebenfalls beim Rat der Volkskommissare der UdSSR angesiedelt, sowie die Trophäenbrigade des Komitees der Kulturerziehenden Organisationen beim Rat der Volkskommissare der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Die Trophäenbrigaden waren für die Sicherung des Kulturgutes sowie die Vorbereitung und Durchführung des Abtransportes zuständig, während die Transportanweisungen an die Trophäenbrigaden von höheren Instanzen in der militärischen Hierarchie ergingen. Stalin selbst unterzeichnete zahlreiche Anweisungen zur Verlegung von Kulturgütern18. Die Trophäenbrigaden wurden bei ihrer Arbeit von der sowjetischen Verwaltung, der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), unterstützt. Die bereits während des Krieges gefasste Idee zur Errichtung eines Supermuseums mit Beutekunst in Moskau wurde jedoch u. a. aus Kostengründen nach Ende des Krieges aufgegeben19, und die Beutestücke verschwanden stattdessen in geheimgehaltenen Depots20. Einen besonders interessanten Fall im Wettlauf um die Kunst stellte die Mitnahme der im Flakturm am Zoo eingelagerten Kulturgüter dar. Dorthin war wertvollstes Kulturgut vor Bombenangriffen in sichere Verwahrung gebracht worden. Sowjetische Soldaten drangen kurz vor Kriegsende am 1. Mai 1945 mit den letzten Kampfhandlungen in Berlin bis zum Flakturm am Zoo in Berlin-Tiergarten vor21. Bereits im November 1941 waren zum Schutz vor Luftangriffen u. a. die wertvollsten Schätze des Museums für Vor- und Frühgeschichte, das im Gropiusbau untergebracht war, verlegt worden22. Zu den im Flakturm am Zoo sicher verwahrten Werten gehörten das trojanische Gold (Schatz des Priamos) sowie der Goldfund von Eberswalde23. Kurz nach ihrem Auffinden stellte die sowjetische Militärkommandantur die Kunstgegenstände unter ihren Schutz und transportierte sie unverzüglich in die Sowjetunion ab24. Aus sowjetischer Sicht war Eile angesagt, 17 Ab 1946 Komitee für Kunstangelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR, siehe näher zum Aufbau der Trophäenbrigaden: Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 23 ff. 18 Volkert, Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg, 2000, 106; Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 24; Ritter, Kulturerbe als Beute?, 1997, 15. 19 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 38. 20 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 40, 9; Fiedler, Warum wird um die Kriegsbeute noch immer gestritten?, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 263 – 269 (268); Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (560). 21 Jähne, Geheimsache Troja, 1998, 150. 22 Goldmann, Alteuropas Altertümer: „Unersetzliches – Wertvollstes – Übriges“, in: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Schliemanns Gold und die Schätze Alteuropas, 1993, 18 – 50 (20); Jähne, Geheimsache Troja, 1998, 128 ff.; Siebler, Troia, 1994, 55. 23 Goldmann, Alteuropas Altertümer: „Unersetzliches – Wertvollstes – Übriges“, in: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Schliemanns Gold und die Schätze Alteuropas, 1993, 18 – 50 (20, 38).
II. Die Verbringung des deutschen Kulturgutes in die Sowjetunion
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denn die westlichen Alliierten schickten sich im Juni 1945 an, die Kontrolle über ihre Sektoren der Stadt zu übernehmen25. Weder der Gropiusbau, in den die Bestände des Museums für Vor- und Frühgeschichte gehörten, noch der Flakturm am Zoo in Berlin-Tiergarten, in den die besonders wertvollen Stücke gebracht worden waren, lagen nämlich in dem Gebiet, das nach den Vereinbarungen mit den anderen Siegermächten von den sowjetischen Truppen besetzt werden sollte26. Der systematische Abtransport des deutschen Kulturgutes aus der SBZ unterscheidet sich stark von dem Verhalten der Westmächte in ihren Besatzungszonen. Denn die Westmächte verzichteten letztlich insgesamt auf die Beschlagnahme deutscher Kulturgüter. Davon zu unterscheiden sind einzelne Personen, die ohne staatlichen Auftrag Kulturgut für sich selbst plünderten, wie dies u. a. beim in die USA verbrachten Quedlinburger Domschatz der Fall gewesen ist. Dagegen war es in der Sowjetunion der Staat selbst, der die Mitnahme organisierte27. Außer den offiziellen Beutestücken, die die Trophäenbrigaden zusammengetragen haben, ist Kulturgut auch von sowjetischen Soldaten und anderem Besatzungspersonal für eigene Zwecke weggenommen worden. Dieser Teil der „Kriegsbeute“ war schon in den 50er Jahren Teil des illegalen Kunsthandels in der Sowjetunion28. Das zunächst auch auf amerikanischer Seite vorhandene Interesse, sich in den Besitz von Kunstbeständen deutscher Museen zu bringen, traf auf den energischen Widerstand amerikanischer Kunsthistoriker, die auf Initiative des amerikanischen Kunstschutzoffiziers Walter Farmer im „Wiesbadener Manifest“ erfolgreich protestierten29. Dabei mag den westlichen Alliierten die Entscheidung, Kulturgut in Deutschland zu belassen, nicht zuletzt deshalb leichter gefallen sein, weil deren Verluste wesentlich geringer ausgefallen waren als dies im Osten der Fall war. Weder die USA noch England waren von deutschen Truppen besetzt worden, während in den besetzten Ländern im Osten die Infrastruktur stark geschädigt worden war und sie durch Plünderung von Wirtschafts- sowie Kulturgütern ausgebeutet worden waren30. 24 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 97, 104; Goldmann, Alteuropas Altertümer: „Unersetzliches – Wertvollstes – Übriges“, in: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Schliemanns Gold und die Schätze Alteuropas, 1993, 18 – 50 (22 f.). 25 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 99; Jähne, Geheimsache Troja, 1998, 153. 26 Jähne, Geheimsache Troja, 1998, 153 f., berichtet ferner, dass auch die amerikanischen Truppen Kulturgüter aus der späteren sowjetischen Besatzungszone in die amerikanische Zone verbracht haben. Dazu ist anzumerken, dass die Kulturgüter damit immer noch in Deutschland waren, während die Sowjetunion die Güter in ihren eigenen Staat abtransportiert hat. 27 Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (54). 28 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 259 f. 29 Ritter, Kulturerbe als Beute?, 1997, 24; Friemuth, Die geraubte Kunst, 1989, 106 f.; Das Wiesbadener Manifest vom 7. November 1945 ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Farmer, Die Bewahrer des Erbes, 2002, 63. 30 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 267 – 272; Volkert, Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg, 2000, 100.
C. Der völkerrechtliche Kulturgüterschutz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges I. Sinn und Zweck der Haager Landkriegsordnung Hatte die Geschichte gezeigt, dass sich Kriege letztlich nicht verhindern ließen, so sollten sie durch rechtliche Regeln in Grenzen gehalten werden1. Mit der Aufstellung von Kriegsregeln war allerdings eine generelle Ächtung des Krieges noch nicht verbunden2. Ausgangspunkt der modernen Kriegsregeln ist, dass der bewaffnete Konflikt zwischen Staaten nicht zwischen Völkern und Individuen stattfindet und deshalb das einzige legitime Ziel der kriegerischen Auseinandersetzung darin besteht, den feindlichen Staat in seiner militärischen Widerstandskraft zu schwächen3. Die Vorstellung, dass unter zivilisierten Nationen nicht jede Gewaltausübung zulässig sein kann und der Verwirklichung von Kriegszielen Schranken gesetzt werden müssen, gab den Anstoß dazu, die Regeln des zulässigen Verhaltens im Krieg schriftlich festzulegen4. Diese Überlegungen haben in der bis heute gültigen Haager Konvention von 19075 ihren Ausdruck gefunden. Das deutsche Kaiserreich und das zaristische Russland gehören zu den Staaten, die die Konvention mit unterzeichnet haben. Die Haager Konvention besteht aus dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 nebst Anlage, die die Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs enthält. Die Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (HLKO im engeren Sinne6) schränkt das Recht in der Wahl der Mittel der Kriegführung während der kriegerischen Auseinandersetzung und die Befugnisse nach Übernahme der militärischen Kontrolle über das besetzte feindliche Gebiet ein. Nicht jedes Kriegsmittel 1 Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 603 – 679 (642). 2 Erst der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 erklärte es für unzulässig, politische Ziele mit Gewaltanwendung durchsetzen zu wollen, und brachte eine Ächtung des Angriffskrieges zum Ausdruck, so: Doehring, Völkerrecht, 1999, 239 f. 3 Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 603 – 679 (646). 4 Günther-Hornig, Kunstschutz in den von Deutschland besetzten Gebieten 1939 – 1945, Tübingen, 1958, 2 – 4; Partsch, Schutz von Kulturgut, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, 306 – 326 (306). 5 Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907, RGBl 1910, 107. 6 Nachfolgend HLKO genannt.
II. Geltung für den Zweiten Weltkrieg
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ist erlaubt und auch nicht jedes Kriegsziel zulässig. So ist beispielsweise die Verwendung von Gift oder die Tötung eines wehrlosen Feindes, der sich ergeben hat (Artikel 23 HLKO), untersagt. Ferner enthält die HLKO Regelungen für den Waffenstillstand in Artikel 36 ff. HLKO sowie für die militärische Gewalt auf besetztem feindlichem Gebiet in Artikel 42 ff. HLKO. Von besonderer Bedeutung für den Kulturgüterschutz im besetzten Gebiet sind die Artikel 46, 47 und 56 HLKO, worauf noch näher einzugehen sein wird7.
II. Geltung für den Zweiten Weltkrieg 1. Allbeteiligungsklausel Nach Artikel 2 des Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 finden die Bestimmungen der HLKO nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung, und zwar nur dann, wenn die Kriegführenden sämtlich Vertragsparteien sind. Zwar waren nicht alle am Krieg beteiligten Staaten auch Vertragsparteien des Abkommens. Dies schließt die Anwendung der in der HLKO enthaltenden Regeln für den Zweiten Weltkrieg aber nicht aus. Dies ergibt sich daraus, dass mit der HLKO im wesentlichen Regelungen getroffen worden sind, die ohnehin längst Völkergewohnheitsrecht waren8. Die Unterzeichnerstaaten der Haager Konvention haben seinerzeit zum Verhältnis der Regelungen in der HLKO gegenüber dem bestehenden Völkergewohnheitsrecht in der Präambel der Konvention Stellung bezogen. Mit der Intention, den Interessen der Menschlichkeit und den sich immer steigernden Forderungen der Zivilisation zu dienen, war den Unterzeichnern daran gelegen, „die allgemeinen Gesetze und Gebräuche des Krieges einer Durchsicht zu unterziehen, sei es, um sie näher zu bestimmen, sei es, um ihnen gewisse Grenzen zu ziehen, damit sie soviel wie möglich von ihrer Schärfe verlieren“. Die HLKO von 1907 in ihrer Gesamtheit stellte nach dem Willen der vertragschließenden Parteien im wesentlichen nichts anderes dar als die schriftliche Festlegung derjenigen Kriegsregeln, die im Grundsatz bereits Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts waren9. Die Bedeutung der HLKO als Zusammenfassung der völkergewohnheitsrechtlichen Regeln des Krieges kommt auch in der sogenannten „Martens’schen Klausel“ der Präambel der Konvention zum Ausdruck. Die Klausel bestimmt: „dass in den Fällen, die in den Bestimmungen der von ihnen angenommenen Ordnung nicht einbegriffen sind, die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutze und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechtes bleiben, wie sie sich ergeben aus Siehe dazu ausführlicher unter: C.IV. von Schmoller / Maier / Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, § 5, 5 – 6; speziell zum Kulturgüterschutz ausführlicher unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V. 9 von Schmoller / Maier / Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, § 5, 5; Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 10. 7 8
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C. Der völkerrechtliche Kulturgüterschutz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens“. Es wird somit in der Präambel auf bestehendes Völkergewohnheitsrecht Bezug genommen, das der Kriegführung schon bisher Grenzen setzte und das weiterhin dort Anwendung finden soll, wo die HLKO nicht eingreift10. Die Unterzeichner der Konvention waren sich bewusst, dass ihr Vertragswerk nicht abschließend war. Sie gingen davon aus, dass die Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts, die sich zum Schutz der Bevölkerung und der kriegführenden Parteien entwickelt haben, auch in den Fällen Anwendung finden sollen, wo die Haager Konvention selbst nicht unmittelbar einschlägig ist. Zwar gilt bei bewaffneten Konflikten, in denen nicht alle Kriegsparteien zu den Vertragsparteien der Haager Konvention gehören, wegen der Allbeteiligungsklausel die HLKO nicht unmittelbar, aber in diesen Fällen erfolgt der Rückgriff auf das Völkergewohnheitsrecht. Die Verpflichtung zur Beachtung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts ergibt sich somit für die Vertragsparteien der Haager Konvention unmittelbar aus dem Vertragstext. Für andere kriegführende Nationen sind die Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts einschlägig. Da diese Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts im Prinzip in der HLKO ihren schriftlichen Niederschlag gefunden haben, sind die Regeln der HLKO zur Bestimmung des Inhalts des Völkergewohnheitsrechts auch dann heranzuziehen, wenn die Allbeteiligungsklausel nicht erfüllt ist. Gerade auch, was den Schutz von Kulturgut im Kriege anbelangt, hatte der Nürnberger Militärgerichtshof in seinem Urteil gegen die Hauptkriegsverbrecher ausdrücklich festgestellt, dass die in der HLKO niedergelegten Regeln als Zusammenstellung der gewohnheitsrechtlich geltenden Kriegsgesetze und -gebräuche anzusehen sind und deshalb für den Zweiten Weltkrieg gelten11. Zwar hatte die sozialistische Sowjetunion durch ausdrückliche Erklärung mitgeteilt, an die seinerzeitige Unterzeichnung der HLKO durch das zaristische Russland nicht gebunden zu sein12. Zu sehr sei die Sowjetunion ideologisch vom zaristischen Russland verschieden, um Bindungen zu übernehmen, die der Kaiser aller Reußen (russischer Zar) eingegangen sei. Aber da die HLKO die schriftliche Fixierung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht darstellt, kann es dahinstehen, ob die Sowjetunion die Geltung der als allgemeingültig anerkannten Regeln und Gebräuche des Krieges für sich akzeptiert hat oder nicht. Das Völkergewohnheitsrecht ist vielmehr auch für die ehemalige Sowjetunion verbindlich.
10 Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 19 f.; Oeter, Kampfmittel und Kampfmethoden in bewaffneten Konflikten und ihre Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht, in: Hasse / Müller / Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, 78 – 109 (81). 11 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 284 f.; siehe ferner dazu unter: C.II.3. 12 von Schmoller / Maier / Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, § 5, 6.
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2. Kulturgüterschutz als Völkergewohnheitsrecht In der völkerrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts wird es als Errungenschaft der zivilisierten Welt bezeichnet, dass außer dem privaten Vermögen auch das öffentliche Vermögen, dem keine für die Kriegführung bedeutsame Funktion zukommt, sondern welches sozialen Zwecken dient, für Zwecke des Krieges nicht missbraucht werden darf. Während Waffen, Vorräte und Beförderungsmittel kriegsdienlich sind, ist dies z. B. bei Gemälden oder alten, wertvollen Büchern nicht der Fall. So führt Bluntschli13 aus, dass der Raub von Kunstschätzen und Denkmälern dem öffentlichen Gewissen anstößig und widerrechtlich erscheint, weil diese Werte keinen nahen Bezug auf den Staat und den Krieg haben, sondern der friedlichen Kultur der bleibenden Nation dienen. Bluntschli spricht auch den Aspekt der Herausbildung des Schutzes des feindlichen Vermögens durch das Völkergewohnheitsrecht an, das sich durch die tatsächliche Missbilligung der kriegführenden Parteien entwickelt habe, während die Wissenschaft in dieser Frage versagt habe14. Das Völkergewohnheitsrecht umfasst die Summe der Verhaltensregeln, die die Staaten im Umgang miteinander in der allgemeinen Überzeugung ihrer Rechtsgültigkeit anwenden15. Die Bildung von Völkergewohnheitsrecht erfordert daher eine andauernde Übung, die die Staaten untereinander praktizieren, und die Überzeugung, dass diese Praxis verbindliches Recht darstellt. Zu den Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts gehört auch, dass Kulturgüter, von begründeten Sicherstellungen zum Schutz vor Kriegseinwirkungen einmal abgesehen, dem besiegten Feind nicht weggenommen und außer Landes gebracht werden dürfen. Die Wegnahme von Kulturgut des Feindes wird als verwerflich und darüber hinaus als rechtlich unzulässig angesehen mit der Folge, dass Zuwiderhandlungen eine Rückgabepflicht auslösen16. So ist Kulturgut für die Kriegführung nicht Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten, 3. Auflage (1878), 41 f. Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten, 3. Auflage (1878), 42: „Es ist beschämend für unsere Wissenschaft, dass sie in dieser wichtigen Frage nicht eher die Wahrheit erkannt hat, als bis ihr die veredelte Kriegsführung der heutigen Staten durch die thatsächliche Missbilligung und durch das militärische Verbot aller Beutemacherei vorausgegangen ist.“ – Bluntschli konnte damals noch nicht erahnen, welche Rückschritte die guten Vorsätze für eine veredelte Kriegsführung dann aber im 20. Jahrhunderts erleiden würden, sodass die Skepsis der Wissenschaft doch eher berechtigt gewesen ist. 15 Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 1 – 85 (72); Dahm, Völkerrecht, Band 1, 2. Auflage (1989), 56. 16 Partsch, Schutz von Kulturgut, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, 306 – 326 (306); Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (139); Fiedler, Zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, 199 – 218 (199, 217); Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 207 f., Fußnote 666; Höhn, Die Verlagerung deutscher Kulturgüter nach dem Zweiten Welt13 14
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unmittelbar von Nutzen und unterstützt das mit der Kriegführung verbundene Ziel, die Streitkräfte des Feindes zu besiegen, nicht17. Ein weiterer Grund für den Schutz von Kulturgütern liegt darin, dass sich in diesen Werten die schöpferisch-kreative Leistung einer Bevölkerung widerspiegelt. Während erbeutete Kulturgüter beim Sieger das Gefühl des Triumphes erzeugen, verstärken sie beim Besiegten das Gefühl der Niederlage18. Beeinflusst vom Geiste der Aufklärung und des damit verbundenen Humanismus hatte sich die Ansicht durchgesetzt, dass diese zusätzlichen Erniedrigungen eines Volkes durch die Wegnahme der Grundlagen des jeweiligen Kulturerbes nicht zulässig sein können und völkerrechtswidrig sind. Wenn gleichwohl gegen dieses Verbot verstoßen und Kulturgut dem Feind abgenommen wird, dann darf dieser rechtswidrige Zustand nicht aufrechterhalten werden, und es besteht die Verpflichtung zur Rückgabe des verschleppten Kulturgutes. Wenn es um die Beantwortung der Frage geht, seit wann der Schutz von Kulturgut im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, gehen die Meinungen auseinander. Doehring geht davon aus, dass sich der Kulturgüterschutz im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte und sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Abschluss der HLKO verfestigt hat19. Hingegen setzt Fiedler den Zeitpunkt um ein Jahrhundert früher an20. Zur Begründung dieses früheren Datums führt er an, dass sich in den Kriegen des 18. Jahrhunderts der Kulturgüterschutz in der Praxis kontinuierlich herausgebildet habe. Denn im Zeitalter der Aufklärung sei auf die Zerstörung oder Mitnahme dieser Werte in der Regel verzichtet worden21. Die Herausbildung des Kulturgüterschutzes als Völkergewohnheitsrecht ist daher nach Fiedler schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts abgeschlossen gewesen. Die napoleonischen Eroberungen, die in diese Zeit fallen, hätten folglich bereits einen Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht dargestellt. Bei der Niederlage Frankreichs 1815 seien die Grundsätze des Völkergewohnheitsrechtes dann zur Anwendung gekommen, indem Frankreich verbrachtes Kulturgut wieder herausgeben musste22. krieg aus völkerrechtlicher Sicht, in: HuV-I 1995, 26 – 32 (28); Walter, Rückführung von Kulturgut im internationalen Recht, 1988, 78 f. 17 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 89 – 91. 18 Siehe: Strebel, Die Haager Konvention zum Schutze der Kulturgüter im Falle eines bewaffneten Konfliktes vom 14. Mai 1954, in: ZaöRV 16 (1955 / 1956), 35 – 75 (38 f.). 19 Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (139), so auch: Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 8. 20 Fiedler, Zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, 199 – 218 (215, 217). 21 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 89 – 91. 22 Fiedler, Zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, 199 – 218 (215, 217).
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Die Entscheidung über den genauen Zeitpunkt, ab wann Kulturgut völkerrechtlich geschützt ist, kann letztlich hier dahinstehen, denn es ist unbestritten, dass spätestens bei Aufnahme der Regelungen über den Kulturgüterschutz in die HLKO das Verbot zur Beschlagnahme von Kulturgut auf besetztem Gebiet zu den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts gehörte. Die gewohnheitsrechtlich entwickelten Verhaltensregeln hinsichtlich des Kulturgüterschutzes bei Ausübung der militärischen Gewalt auf besetztem feindlichem Gebiet haben in Artikel 46 HLKO, wonach Privateigentum geachtet werden soll und nicht eingezogen werden darf, in Artikel 47 HLKO, der die Plünderung ausdrücklich untersagt, sowie darüber hinaus in Artikel 56 HLKO, wonach die Beschlagnahme von Werken der Kunst und Wissenschaft untersagt ist und Zuwiderhandlungen geahndet werden sollen, ihren schriftlichen Niederschlag gefunden. Der gewohnheitsrechtlich anerkannte Schutz von Kulturgut ist auch nicht dadurch wieder entfallen, dass der Schutz von Kulturgut infolge von bewaffneten Konflikten im 20. Jahrhundert allzu häufig missachtet worden ist. Denn die Verletzung von Regeln des Völkergewohnheitsrechts führt nicht dazu, dass das Gewohnheitsrecht dadurch selbst in Frage gestellt würde23. Zwar hat die HLKO insgesamt die in sie gesetzten Erwartung nicht erfüllt24. Der Einsatz der modernen Massenvernichtungswaffen führte schon im Ersten Weltkrieg dazu, dass die Gegner sich in Stellungs- und Grabenkriegen Materialschlachten lieferten. Dies setzte sich mit dem Zweiten Weltkrieg fort, der mit seinen Flächenbombardements ganze Städte und Regionen auslöschte und damit auch kunsthistorisch wertvolle Bausubstanz mit Inventar in großem Umfang vernichtete. Aber die Anstrengungen um den Kulturgüterschutz wurden nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt und führten 1954 zum Abschluss der UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. Obwohl die Regeln der HLKO häufig nicht eingehalten worden sind und sie vor allem auch den Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus keinen Einhalt gebieten können, sind die in ihr zum Ausdruck gekommenen gewohnheitsrechtlich entwickelten Grundsätze keineswegs obsolet geworden. Sie beanspruchen bis heute Gültigkeit, wie nicht zuletzt der erst kürzlich erfolgte Verweis des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag auf die HLKO belegt25.
23 Dahm, Völkerrecht, Band 1, 2. Auflage (1989), 59; Langen / Sauer, Die Restitution im internationalen Recht, 1949, 9. 24 Oeter, Kampfmittel und Kampfmethoden in bewaffneten Konflikten und ihre Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht, in: Hasse / Müller / Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, 78 – 109 (81 f.). 25 International Court of Justice, The Hague, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, in: Human Rights Law Journal 1996, 253 – 292 (266).
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3. Kriegsverbrecherprozesse vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg Die Geltung der HLKO für den Zweiten Weltkrieg hat der Internationale Militärgerichtshof in seinem Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher 1945 / 46 in Nürnberg ungeachtet der Tatsache, dass die Allbeteiligungsklausel nicht erfüllt war, ausdrücklich bestätigt. Zwar haben Angeklagte vor dem Internationalen Militärgerichtshof geltend gemacht, dass die Haager Konvention nicht anwendbar sei, weil nicht alle kriegführenden Staaten Vertragspartner der Haager Konvention gewesen seien. Sie haben mit diesem Argument aber nicht durchdringen können, weil die in der Konvention niedergelegten Regeln von allen zivilisierten Nationen anerkannt und als Zusammenstellung der Kriegsgesetze und -gebräuche betrachtet werden26. Gemäß Artikel 6 Abschnitt (b) des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof wurde die Verletzung der Kriegsgesetze und -gebräuche als Kriegsverbrechen definiert. Artikel 6 Abschnitt (b) des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof enthält ferner eine nicht abschließende Aufzählung, welche Handlungen Kriegsverbrechen darstellen. Die Aufzählung führt auch die Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums auf. Im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass Verletzungen der Artikel 46, 50, 52 und 56 HLKO in Verbindung mit Artikel 6 Abschnitt (b) des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof Kriegsverbrechen darstellen, für die die schuldigen Personen zu bestrafen waren27. Damit wurde klargestellt, dass die HLKO und die in ihr zum Ausdruck kommenden allgemein gültigen Regelungen auch für den Zweiten Weltkrieg zur Anwendung gekommen sind und die Verletzung dieser Regeln mit Sanktionen verbunden ist. Das Urteil gegen die Hauptkriegsverbrecher hat auch der sowjetische Richter mit unterschrieben. Da das Urteil sich maßgeblich auf die Verletzung der HLKO stützt, hat der sowjetische Richter durch die Unterschrift unter dieses Urteil indirekt bestätigt, dass die Sowjetunion die Regeln der HLKO für den Zweiten Weltkrieg für anwendbar hält.
III. Geltung der Haager Landkriegsordnung nach der Kapitulation Deutschlands Die militärische Führung des Deutschen Reiches hatte am 7. und 8. Mai 1945 bedingungslos kapituliert. Danach wurde die letzte Reichsregierung unter Groß26 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 285. 27 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 284, 11 f.
III. Geltung der Haager Landkriegsordnung nach der Kapitulation Deutschlands
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admiral Dönitz durch die Sieger aufgelöst. Gleichwohl hat Deutschland den Zusammenbruch überdauert und ist weder mit der Kapitulation noch mit der Ausübung der Staatsgewalt durch die Hauptsiegermächte untergegangen28. Am 5. Juni 1945 verkündeten die vier Besatzungsmächte in ihrer Berliner Erklärung, dass sie die oberste Regierungsgewalt in Deutschland einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden übernehmen würden. Die Besatzungsmächte nahmen dabei eine Doppelfunktion ein. Zum einen übten sie die militärische Besatzungshoheit in Deutschland aus. Zum anderen hatten sie daneben die oberste Staatsgewalt in Deutschland übernommen. Mit der Übernahme der obersten Regierungsgewalt ging Deutschland als Staat nicht unter, aber es trat eine Schwächung der Souveränität ein, indem die vier Besatzungsmächte die Hoheitsgewalt in Deutschland stellvertretend ausübten29. Die deutsche Staatsgewalt war in der Weise tangiert, dass sie zwar in der Substanz erhalten geblieben war, aber ihre Ausübung durch die Besatzungsmächte in treuhänderischer Funktion erfolgte30. Die Wahrnehmung der deutschen Staatsgewalt wie auch der militärischen Besatzungsgewalt durch die Besatzungsmächte war nicht in das Belieben der Sieger gestellt, sondern nur in den Grenzen des völkerrechtlich Zulässigen statthaft31. In Ausübung ihrer besatzungsrechtlichen Befugnisse hatten die Besatzungsmächte ungeachtet des vollständigen militärischen und politischen Zusammenbruchs Deutschlands daher die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und damit auch die Regelungen des völkergewohnheitsrechtlichen Kulturgüterschutzes, wie sie in der HLKO zum Ausdruck gekommen sind, einzuhalten. Allerdings wird unter Berufung darauf, dass Deutschland seine Souveränität bzw. Teile davon verloren habe, auch die Auffassung vertreten, dass die HLKO die deutsche Bevölkerung nicht gegen Maßnahmen des die Staatsgewalt ausübenden Siegers schützen könne32. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch wenn die Alliierten den vollständigen Sieg errungen hatten, ihnen dies keine Rechtfertigung gab, von den Regeln des allgemein anerkannten Völkerrechts und den damit verbundenen humanitären Standards gegenüber der Bevölkerung im besiegten Staat abzuweichen. Auch die besiegte Nation kann sich auf das Völkergewohnheitsrecht berufen. Die deutschen Kulturgüter sind in der Regel erst nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 7. und 8. Mai 1945 abtransportiert worden. Die Regeln der HLKO für die Ausübung der militärischen Gewalt auf besetztem Urteil zum Grundlagenvertrag mit der DDR: BVerfGE 36, 1 (15 f.). Brownlie, Principles of Public International Law, 5. Auflage (1998), 107. 30 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 81, 87 ff. 31 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 16 f., 87 ff.; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 1097; Gasser, Schutz der Zivilbevölkerung, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, 168 – 235 (195, 197). 32 Nevelev, The Soviet Union’s Seizure and Removal of „objets d’art“ from Germany in 1945 – 1948: Evaluating the Conflicting Claims to Legal Authority over Occupied Territory, GYIL 42 (1999), 337 – 399 (397). 28 29
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C. Der völkerrechtliche Kulturgüterschutz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
Gebiet nach Artikel 42 ff. HLKO stellen in erster Linie darauf ab, dass die Feindseligkeiten noch andauern (occupatio bellica)33. Dieser Zustand der occupatio bellica war mit der Kapitulation indes beendet. Dies führt aber nicht zur Unanwendbarkeit der HLKO. Da die in der HLKO niedergelegten Grundsätze eine allgemeine Rechtsüberzeugung verkörpern, sind die in der HLKO niedergelegten Beschränkungen auch nach Beendigung der Kampfhandlungen im Zustand der occupatio post bellum einzuhalten, soweit sie nicht ihrer Natur nach die Fortdauer des Krieges voraussetzen34. Aus diesem Grund ist auch der in Artikel 46 HLKO geregelte Schutz des Privateigentums, mit dem schon eine Vielzahl von Kulturgütern erfasst ist, nach diesem Zeitpunkt nicht gegenstandslos geworden. Gleiches gilt für den ausdrücklichen Schutz von Kulturgut vor Beschlagnahme, wie er in Artikel 56 HLKO seinen Ausdruck gefunden hat. Diese Vorschriften über den Kulturgüterschutz auf besetztem Gebiet finden mithin nach Beendigung der Feindseligkeiten für Deutschland weiter Anwendung. Sie verlieren ihre Bedeutung nicht dadurch, dass die Kampfhandlungen endgültig eingestellt worden sind. Denn der umfangreiche Kulturgüterschutz der HLKO bedarf seiner kontinuierlichen Fortgeltung auch nach Kriegsende, um effektiv das kulturelle Erbe einer Nation am Ort zu sichern. Wenn schon die Besatzungsmächte während der Fortdauer des Krieges im besetzten Gebiet Regeln zum Schutz der Bevölkerung und der Vermögenswerte einhalten müssen und die Wegnahme von Kulturgut insoweit unzulässig ist, dann macht dies erst recht Sinn, wenn alle Kampfhandlungen eingestellt sind und der Kriegszustand beendet ist35.
IV. Das Beschlagnahmeverbot von Kulturgut auf besetztem Gebiet Dem Schutz von Kulturgut während der Feindseligkeiten dienen die Artikel 23 g), 27 und 28 HLKO. Nach Artikel 23 g) HLKO ist die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums außer in den Fällen, wo dies durch die Erfordernisse des 33 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 116 ff.; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 1097. 34 Zum deutschen Standpunkt: von Schmoller / Maier / Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, § 5, 8; allerdings haben die Besatzungsmächte die HLKO nach Beendigung der Kampfhandlungen seinerzeit überwiegend für nicht mehr anwendbar gehalten, a. a. O., 10; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 1098; Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 118; ausdrücklich für die Fortgeltung des Kulturgüterschutzes nach Artikel 56 HLKO, wenn die Kampfhandlungen beendet sind: Turner, in: Fiedler (Hrsg.) Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 115; Körbs, Der internationale Schutz von Kulturgütern – Ein Rückblick –, in: HuV-I 1996, 138 – 148 (147). 35 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 119; Turner, in: Fiedler (Hrsg.) Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 133; im Ergebnis auch: Langen / Sauer, Die Restitution im internationalen Recht, 1949, 9; Långström, „War Trophies“ from World War II in Russia: Robbery or Restitution?, in: FYBIL 9 (1998), 249 – 296 (286).
IV. Das Beschlagnahmeverbot von Kulturgut auf besetztem Gebiet
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Krieges unabweislich ist, untersagt. Gemäß Artikel 27 HLKO sollen bei Belagerungen und Beschießungen nicht nur die Hospitäler und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, sondern auch die Gebäude, die dem Gottesdienste, der Kunst, der Wissenschaft und der Wohltätigkeit gewidmet sind, und die geschichtlichen Denkmäler so viel wie möglich geschont werden, vorausgesetzt, dass sie nicht gleichzeitig zu militärischen Zwecken Verwendung finden. Artikel 28 HLKO untersagt, Städte oder Ansiedlungen der Plünderung preiszugeben. Nach der Besetzung während der Fortdauer des Kriegszustandes, aber auch nach vollständiger Beendigung der Feindseligkeiten ergibt sich der Schutz von Kulturgut aus den Artikeln 46, 47 und 56 HLKO. Artikel 46 HLKO besagt, dass Privateigentum geachtet werden soll und nicht eingezogen werden darf, und nach Artikel 47 HLKO ist die Plünderung ausdrücklich untersagt. Mit dem ausdrücklichen Schutz des Privateigentums in Artikel 46 HLKO ist daher ein großer Teil der Kulturgüter, nämlich die Kulturgüter in privater Hand, erfasst36. Aus dem Gebot, privates Eigentum zu achten, folgt auch die Verpflichtung der Besatzungsmacht, Verstöße ihrer Angehörigen strafrechtlich zu ahnden37. Die HLKO schützt aber nicht nur Kulturwerte, die sich in privatem Eigentum befinden. Kulturgüter der öffentlichen Hand werden ebenfalls ausdrücklich geschützt. Denn Artikel 56 Absatz 1 HLKO bestimmt: „Das Eigentum der Gemeinden und der dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, dem Unterrichte, der Kunst und der Wissenschaft gewidmeten Anstalten, auch wenn diese dem Staate gehören, ist als Privateigentum zu behandeln.“ Somit wird dieses öffentliche Eigentum des Staates oder anderer gemeinnütziger Einrichtungen dem privaten Eigentum gemäß Artikel 46 HLKO gleichgestellt und darf nicht eingezogen werden. Nach Artikel 55 HLKO hat sich der besetzende Staat auch nur als Verwalter und Nutznießer der öffentlichen Gebäude und Liegenschaften zu betrachten, die dem feindlichen Staate gehören und sich in dem besetzten Gebiet befinden. Artikel 56 Absatz 2 HLKO ergänzt den in Artikel 56 Absatz 1 HLKO enthaltenen Eigentumsschutz und führt weitergehend aus: „Jede Beschlagnahme, jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von derartigen Anlagen, von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft ist untersagt und soll geahndet werden.“ Die Wegnahme jeglichen Kulturguts als Kriegsbeute wird damit für unrechtmäßig erklärt38. Der Kulturgüterschutz nach Artikel 56 HLKO umfasst bewegliches und unbewegliches Kulturgut gleichermaßen. Geschützt wird dabei neben dem unbeweglichen Kulturgut jedes bewegliche Kulturgut, und zwar ganz unabhängig von seinem Aufenthaltsort39. Insoweit gewährt Artikel 56 Absatz 2 HLKO durch die Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 59. Waltzog, Recht der Landkriegsführung, 1942, 83. 38 Siehe auch: Gattini, Restitution by Russia of Works of Art Removed from German Territory at the End of the Second World War, in: EJIL 7 (1996), 67 – 88 (69 f.): „Therefore, the provision had the effect of excluding the legitimacy of so called: ,war booty‘“. 39 Waltzog, Recht der Landkriegsführung, 1942, 107; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz, 1992, 67 f.; Walter, Rückführung von Kulturgut im internationalen Recht, 36 37
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C. Der völkerrechtliche Kulturgüterschutz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
zusätzliche Aufzählung von „Werken der Kunst und Wissenschaft“ eine weitergehende Sicherung40, als sie sich bereits aus Artikel 56 Absatz 1 HLKO für den Schutz der dort aufgeführten Anstalten ergibt. Denn es werden durch Artikel 56 Absatz 2 HLKO auch diejenigen Werke der Kunst und Wissenschaft dem Zugriff der Besatzungsmacht entzogen, die sich nicht in den in Artikel 56 Absatz 1 HLKO aufgeführten Gebäuden befinden. Dieser erweiterte Schutz hat besondere Bedeutung im Zweiten Weltkrieg erlangt. Infolge der Lufthoheit, die die Alliierten im Laufe des Krieges ausgeübt haben, legten Bombenangriffe ganze Städte und damit auch die Museen, Kirchen, Bibliotheksgebäude und Archive in Schutt und Asche. Zur Abwendung der Gefahren, die den Kulturgütern aus der Luft drohten, wurden diese häufig rechtzeitig in Kellern, Bunkern und Bergwerken ausgelagert. Diese Kunstwerke befanden sich nun nicht mehr in Anstalten, die der Kunst und der Wissenschaft gewidmet waren. Wegen des erweiterten Schutzes gemäß Artikel 56 Absatz 2 HLKO durften aber auch diese Kulturgüter weder beschlagnahmt, zerstört noch beschädigt werden. Verstöße gegen den Kulturgüterschutz haben bei Wegnahme von Kulturgut zur Folge, dass die Rückgabe erfolgen muss. Dies entspricht auch den Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts41. Zwar regelt Artikel 3 Satz 1 des Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907, dass die Kriegspartei, welche die Bestimmungen der bezeichneten Ordnung verletzten sollte, gegebenen Falles zu Schadensersatz verpflichtet ist. Nach Artikel 3 Satz 2 dieses Abkommens ist sie auch für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden. Die Verpflichtung, Schadensersatz in Geld zu leisten, kommt bei abhanden gekommenen Kulturgütern jedoch erst dann in Betracht, wenn die Wiederherstellung der Ausgangslage, wie sie vor der Wegnahme bestanden hat, nicht möglich ist. Insoweit hat die Wiederherstellung der Ausgangslage Vorrang vor einem finanziellen Ausgleich, mit dem der eingetretene Verlust wieder gutzumachen ist. Wenn Kulturgut aber nicht zerstört und sein Verbleib bekannt ist, kann der ursprüngliche Zustand dadurch wieder hergestellt werden, dass das Kulturgut zurückgegeben wird. Gegen das in Artikel 46, 47 und 56 HLKO zum Ausdruck gekommene, völkerrechtlich allgemein anerkannte Gebot, dass Privateigentum insgesamt und vor allem jegliches Kulturgut, ganz gleich wem es gehört, aus dem besetzten Territorium des besiegten Feindes nicht weggenommen werden darf, haben die sowjetische Besatzungsmacht und die privaten Plünderer verstoßen, als sie die Kunstwerke aus Deutschland mitnahmen. Die Kulturgüter sind unrechtmäßig in die UdSSR verbracht worden, weil es an einer besatzungsrechtlichen Grundlage gefehlt hat. Das Verhalten der Sowjetunion ist als Besatzungsunrecht zu qualifizie1988, 22 f., 76, Fußnote 17; a.A.: Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg, 1959, 8, 20, 54: nur unbewegliches Kulturgut sei durch die HLKO geschützt, bewegliches hingegen nicht ausdrücklich. 40 Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, 1914, 125. 41 Siehe ausführlicher hierzu: C.II.2.
V. Unzulässigkeit der Beschlagnahme von Kulturgut im Vorgriff auf Reparationen
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ren42. Dieses Besatzungsunrecht wird durch Rückgabe des abhanden gekommenen Kulturgutes beseitigt.
V. Unzulässigkeit der Beschlagnahme von Kulturgut im Vorgriff auf Reparationen Nach Kriegsende stellte sich die Frage der Verantwortung Deutschlands für die eingetretenen Kriegsschäden, die in der Sowjetunion als einem Hauptkampfgebiet besonders groß waren. Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg Kriegsverbrechen in größtem Ausmaß verübt. Kriegsgefangene und Zivilpersonen wurden misshandelt und gefoltert sowie öffentliches und privates Eigentum geplündert43. Der Nürnberger Militärgerichtshof hat auf eine Verletzung der Artikel 46, 50, 52 und 56 der HLKO und Artikel 2, 3, 4, 46 und 51 der Genfer Konvention von 1929 erkannt44. Zu den allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen gehört auch, dass derjenige, der einen Schaden verursacht, diesen wiedergutmachen muss45. Dieser Rechtsgedanke hat in Artikel 3 des Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 seinen Niederschlag gefunden, indem dort die Schadensersatzpflicht bei Verstößen gegen die HLKO geregelt ist46. Reparationen sind Wiedergutmachungsleistungen, die ein Völkerrechtssubjekt in Geld und Sachleistungen zu erbringen hat, weil ihm ein völkerrechtlicher Unrechtstatbestand zugerechnet wird47. Die Wiedergutmachungspflicht umfasst den gesamten Schaden, der durch die Kriegshandlungen verursacht worden ist. Aus der Tatsache, dass es sich bei der Reparation um Schadensersatz handelt, ergibt sich auch, dass der Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum Schaden stehen muss und folglich nicht höher als der eingetretene Schaden sein darf48. Den völkerrechtlichen Begriff der Reparation gab es bis zum Ersten Weltkrieg noch nicht. Engstler vertritt die Auffassung, dass es sich bei Reparationen nur um eine andere Bezeichnung für die bereits seit dem Altertum bekannte Kriegsentschädigung handelt49. Dagegen unterscheidet Grewe die Kriegsentschädigung von der Reparation dahinSeidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 380. Siehe: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 255 – 283. 44 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Band 1, 1947, 284. 45 Dahm, Völkerrecht, Band 1, 2. Auflage (1989), 64. 46 So auch: Oppenheim / Lauterpacht, International Law, Band 1, 7. Auflage (1948), 305. 47 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 156; Oppenheim / Lauterpacht, International Law, Band 1, 7. Auflage (1948), 318; Rumpf, Die Regelung der deutschen Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg, in: AVR 23 (1985), 74 – 101 (74); Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 37 f. 48 Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 1969, 127. 49 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 123. 42 43
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C. Der völkerrechtliche Kulturgüterschutz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
gehend, dass der Sieger kraft seiner Überlegenheit bei der Kriegsentschädigung eine Art Erfolgsprämie erhebt, während bei der Reparation völkerrechtliches Unrecht durch Schadensersatzleistungen wieder gutzumachen ist50. Der völkerrechtliche Ausgleich durch Reparationen einschließlich der Reparation in der Sonderform der restitution in kind kann indes nicht einseitig vom Sieger festgelegt werden, sondern erfolgt in der Regel durch einen Friedensvertrag51. Einseitige Festlegungen zulasten des besiegten Staates verbieten sich deshalb, weil dadurch dessen Souveränitätsrechte verletzt würden52. Auch wenn sich bereits aus den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts ergibt, dass derjenige Staat, der völkerrechtliches Unrecht begangen hat, für die eingetretenen Schäden Reparationen zu leisten hat, darf der Sieger Art, Umfang und Modalitäten der Reparation nicht einseitig festlegen, sondern muss darüber eine Übereinkunft mit dem Gegner erzielen. Auch Vorleistungen darf der Sieger nicht im Vorgriff auf einen noch abzuschließenden Friedensvertrag selbst festlegen und vereinnahmen53. Abgesehen davon, dass bei Vorgriffen auf zukünftig festzulegende Reparationen die Souveränität des besiegten Staates verletzt wird, bestehen gegen derartige Vorgriffe noch weitere Bedenken. Ohne vertragliche Festlegungen und ein geordnetes Verfahren ist unklar, ob bestimmte Leistungen, die zu erbringen sind, überhaupt als Reparation beansprucht werden oder aus einem anderen Rechtsgrund; ferner ist die Zuordnung dieser Leistungen hinsichtlich der Anrechnung der festzustellenden Gesamtschuld und der Gutschrift auf dem Reparationskonto erschwert54. Das Erfordernis des Vertragsabschlusses entfällt auch nicht dadurch, dass der Sieger bei den Verhandlungen mit dem Gegner den Inhalt des Friedensvertrages maßgeblich bestimmt55. Der Überlegenheit des Siegers bei der Festschreibung der Bedingungen im Friedensvertrag werden durch das Völkergewohnheitsrecht Grenzen gesetzt, die nämlich einzuhalten er verpflichtet ist. Damit ist selbst beim Abschluss eines Friedensvertrages der völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Schutz des Kulturgutes zu beachten mit der Folge, dass das nationale kulturelle Erbe des Feindes auch nicht über einen Friedensvertrag zur Disposition des Siegers gestellt werden kann56. Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 156. Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 164, 168; Waltzog, Recht der Landkriegsführung, 1942, 105; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 33, 36 f. 52 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 33, 36. 53 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 158 – 167; Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 1969, 128; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 115. 54 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 160. 55 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 38 f.; Waltzog, Recht der Landkriegsführung, 1942, 105. 56 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 39, 115, 133. 50 51
VI. Unzulässige Rechtsausübung: Das estoppel-Prinzip
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Zwar ist es zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland nicht mehr gekommen57. Denn schon bald nach Kriegsende spitzte sich der Ost-West-Konflikt zu58. Aber das Hinziehen der Verhandlungen zwischen den Hauptsiegermächten stellt ebenfalls keine Rechtfertigung dafür dar, dass im Vorgriff auf einen Friedensvertrag mit Deutschland Kulturgut waggonweise in die Sowjetunion abtransportiert worden ist. Denn abgesehen davon, dass Vorleistungen ohnehin nicht einseitig festgelegt und vereinnahmt werden dürfen, ist Kulturgut gewohnheitsrechtlich gegen Beschlagnahme geschützt, und Zuwiderhandlungen lösen einen Rückgabeanspruch aus. Die territoriale Bindung dieser Werke an ihren angestammten Platz kann daher grundsätzlich weder eigenmächtig noch durch Vereinbarung bzw. im Vorfeld einer Vereinbarung aufgehoben werden. Insofern ist nach geltendem Völkerrecht die Beschlagnahme und Mitnahme des Kulturgutes durch die sowjetischen Trophäenbrigaden in jeder Hinsicht unrechtmäßig erfolgt59. Soweit in den Friedensverträgen von 1947 mit Italien, Bulgarien und Ungarn in besonders gelagerten Einzelfällen für konkret nachgewiesene Verluste der Ersatz durch Lieferung gleichartiger und gleichwertiger Kulturgüter (restitution in kind) vereinbart und damit die restitution in kind insoweit als zulässig angesehen worden ist, wird darauf bei der Prüfung der Argumentation des russischen Verfassungsgerichtes zum Beutekunstgesetz eingegangen60.
VI. Unzulässige Rechtsausübung: Das estoppel-Prinzip Der Rückgabe des kriegsbedingt verbrachten Kulturgutes kann auch nicht entgegengehalten werden, das Rückgabeverlangen stelle eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne des estoppel-Prinzips dar. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wie sie mehr oder weniger in jeder Rechtsordnung zur Anwendung kommen, gehört auch der Gedanke, dass eine Partei sich nicht zu ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch setzen darf (venire contra factum proprium)61. Das völkerrechtlich anerkannte estoppel-Prinzip greift damit den Gesichtspunkt vom Vertrauensschutz auf. Anhaltspunkte für einen Vertrauensschutz zugunsten Russlands sind indes nicht gegeben.
57 Siehe aber zu den Beschlüssen der Hauptsiegermächte in Jalta und Potsdam, die auch Grundsätze der Reparationsforderungen an Deutschland enthalten, die Ausführungen unter: F.III.2.c). 58 Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 33 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Auflage (2002), 36. 59 Siehe ausführlicher hierzu: C.IV. 60 Siehe dazu unter: F.III.4. und F.III.5. 61 Dahm, Völkerrecht, Band 1, 2. Auflage (1989), 64, 68; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984), 393; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 178, 203; Principles of Public International Law, 5. Auflage (1998), 158, 645 f.
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C. Der völkerrechtliche Kulturgüterschutz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
Die russische Seite argumentiert zwar im Rahmen der Rückführungsverhandlungen damit, dass die von der deutschen Besatzungsmacht aus der Sowjetunion mitgenommenen Kulturgüter unrechtmäßig verbracht worden sind, was von deutscher Seite auch eingestanden wird. Aber im umgekehrten Verhältnis wird teilweise von russischer Seite bestritten, dass die siegreiche sowjetische Armee und die sowjetische Militärverwaltung in Deutschland durch den Abtransport deutscher Kulturgüter gleichfalls gegen den völkerrechtlich anerkannten Kulturgüterschutz verstoßen haben. Die Beutekunstaktionen werden von Russland im Hinblick darauf, dass Deutschland einen Angriffskrieg geführt hat und die vorgenommenen Wegnahmen sich auf Entscheidungen des sowjetischen Staates stützen, bisweilen als gerechtfertigte Reaktion angesehen62. Bei diesen Überlegungen der russischen Seite wird aber außer acht gelassen, dass der Vergeltungsgedanke dem Völkerrecht fremd ist und sich Russland mit seinem Verhalten in gleicher Weise wie Deutschland an der HLKO messen lassen muss. Eine Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung der Kulturgutverbringungen, die von deutscher Seite erfolgt sind, gegenüber den sowjetischen Mitnahmen lässt sich nicht begründen und findet keine Stütze im Völkerrecht63. Denn der Schutz von Kulturgütern gilt umfassend und unabhängig davon, wer letztlich die Ursache für die kriegerische Auseinandersetzung geliefert hat. Die Verpflichtung zur Restitution besteht somit unabhängig davon, wer die Verantwortung für den Krieg im Allgemeinen zu tragen hat64. Noch ein weiteres Argument spricht dagegen, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Rückführungsverlangen gegen das estoppel-Prinzip verstoßen hat. Deutschland hat zwar bei der Besetzung der Sowjetunion selbst rücksichtslos und nachhaltig die völkerrechtlichen Grundsätze, wie sie in der HLKO niedergelegt sind, missachtet. Weder hat Deutschland aber durch pflichtwidriges Verhalten eigene Rechte verwirkt noch ist darin ein Verzicht auf den Kulturgüterschutz der HLKO insgesamt zu erkennen. Insbesondere hat Nazi-Deutschland nicht zum Ausdruck gebracht, es lege keinen Wert auf die Beachtung der HLKO, falls die Rollen vertauscht würden und nicht mehr die Sowjetunion von deutschen Truppen, sondern das eigene Territorium von sowjetischen Truppen besetzt sein sollte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die deutsche Wehrmacht am 7. und 8. Mai 1945 bedingungslos kapituliert hat. Mit der bedingungslosen Kapitulation ist keineswegs der Verzicht auf die Einhaltung der Grundsätze der HLKO verbunden gewesen. Bedingungslos war die Kapitulation deshalb, weil bei der Kapitulation keine Bedingungen militärischer Art ausgehandelt worden sind; davon un62 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 300; Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (55). 63 Fiedler, Warum wird um die Kriegsbeute noch immer gestritten?, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkung auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 263 – 269 (267). 64 Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 12, 76; siehe auch: Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (255).
VII. Verjährung der völkerrechtlichen Rückgabeansprüche
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berührt bleiben die auf dem allgemeinen Völkerrecht beruhenden Rechte und Pflichten der Kapitulierenden65.
VII. Verjährung der völkerrechtlichen Rückgabeansprüche Die Rückgabeansprüche der Bundesrepublik Deutschland sind auch nicht verjährt. Auch wenn seit der Verbringung infolge des Zweiten Weltkrieges nun mehrere Jahrzehnte vergangen sind, steht der Zeitablauf einer Berufung auf das Völkerrecht nicht entgegen. Wie für das estoppel-Prinzip gilt auch für die Verjährung, dass es sich dabei um einen Rechtsgrundsatz handelt, wie er in den Rechtsordnungen der Staaten allgemein anzutreffen ist66. Feste Verjährungsfristen haben sich im Völkerrecht nicht herausbilden können, sondern ergeben sich aus den Umständen des Einzelfalls67. Berücksichtigt man, dass noch 1815 / 16 Teile der im Dreißigjährigen Krieg aus Heidelberg weggenommenen Bibliotheca Palatina zurückgegeben worden sind, wird der Zeitraum vom 50 Jahren kaum ausreichen, Verjährung zu begründen. Im übrigen setzt das Vorliegen einer Verjährung voraus, dass der anspruchsberechtigte Staat es unterlassen hat, seine Forderungen geltend zu machen68. Dies ist jedoch nicht der Fall. So hat die DDR seinerzeit über die Rückgabe von Kulturgut mit der Sowjetunion verhandelt und wertvolle Sammlungen zurückerlangt. Weitergehende Rückgabeerwartungen wurden aber nicht erfüllt. Seit der Wiedervereinigung 1990 und den demokratischen Entwicklungen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion verhandelt die Bundesrepublik Deutschland mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion über die Rückführung von Kulturgut. Aber auch wenn die Forderungen von Russland nicht erfüllt werden, so reicht es aus, wenn Forderungen geltend gemacht werden, um langfristig den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Denn es ist nur erforderlich, dass der Staat sich bemüht hat, seine Ansprüche geltend zu machen; aber es ist für die Verjährung unbeachtlich, ob und inwieweit sich der Staat, gegen den sich die Ansprüche richten, auf das Anliegen einlässt69.
Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 20 f. Dahm, Völkerrecht, Band 1, 2. Auflage (1989), 64; Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 108, 325. 67 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 325; Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (140). 68 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 325. 69 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 325. 65 66
D. Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Untergang der Sowjetunion I. Rückgabe von Kulturgut an die DDR 1955 ergab sich im Zusammenhang mit dem Abschluss des Warschauer Paktes für die Sowjetunion ein neues Verhältnis gegenüber den Bündnisstaaten. Es kam zu beträchtlichen Rückgaben von Kunstwerken an die DDR. Zu nennen sind hier beispielsweise die Exponate der Dresdner Gemäldegalerie 1955 sowie die kostbaren Schätze des Kurfürst-Königs August des Starken aus dem Grünen Gewölbe in Dresden, die 1958 mit der zweiten Rückführungswelle wiederkamen. Auch erhielten die Berliner Museen große Teile ihrer Sammlungen, u. a. 1958 den Fries von Pergamon, zurück. Insgesamt gab die Sowjetunion 1.569.176 vermisste Kunstwerke an die DDR heraus1. Bestimmte Gruppen von Kulturgut kamen jedoch nicht in die DDR zurück, denn die sowjetische Regierung hatte insoweit die Rückgabe ausgeschlossen. Dabei handelte es sich um Kulturgut, das zu Museen in Westdeutschland und Berlin (West) gehörte, jegliches private Eigentum an Kulturgut, Eigentum privatrechtlich organisierter Vereinigungen und Stiftungen sowie Kulturgut der Kirchen, sämtliches Archivgut und mit Ausnahme von Teilen der Gothaer Bibliothek sämtliches Bibliotheksgut auch aus öffentlichen Museen2. Nach Auffassung der in den 50er Jahren für die Rückführung zuständigen russischen Museumsfunktionäre sollten Rückgaben aus Beständen westdeutscher und Westberliner Museen aber nach einer Wiedervereinigung der beiden getrennten Teile Deutschlands erfolgen, wobei allerdings davon ausgegangen wurde, dass das sozialistische System der DDR das erfolgreichere sein werde und auch in der Bundesrepublik übernommen werden würde3. Die Rückgabe von Kulturgut an Privatpersonen kam aus sowjetischer Sicht schon deshalb nicht in Frage, weil in der kommunistischen Gesellschaftsordnung Privateigentum nur noch in sehr eingeschränktem Maße zulässig war und sich das Individualeigentum nach russischem Recht im Grunde nur noch auf Gegenstände des persönlichen Bedarfs erstreckte4. Dieser Ideologie widersprach folglich die Herausgabe von Kulturgut an Privatpersonen.
Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 51. Schmidt, Zur Frage der Rückführung deutschen Kulturguts aus Russland, in: Indo-Asiatische Zeitschrift, 3.1999, 84 – 87 (85); Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 48. 3 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 49. 1 2
I. Rückgabe von Kulturgut an die DDR
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Weitere Rückgaben seitens der Sowjetunion an die DDR sind teilweise deshalb nicht erfolgt, weil sich die DDR ihrerseits außerstande sah, kriegsbedingt aus der Sowjetunion nach Deutschland verschleppte Kulturgüter im Wege der Gegenseitigkeit an die Sowjetunion zurückzugeben5. Dies lag aber daran, dass trotz umfangreicher Nachforschungen keine Kulturgüter der UdSSR auf dem Gebiet der DDR mehr aufzufinden waren. Denn die Sowjetarmee hatte gleich nach dem Krieg in der von ihr besetzten Zone alle Einrichtungen nach verschleppten Kulturgütern abgesucht und diese dann auch berechtigterweise wieder mitgenommen. So kehrten unmittelbar nach Kriegsende 21 Güterwagen mit Kunstwerken zurück, die russischen, weißrussischen und ukrainischen Museen gehörten6. Die Sowjetunion wurde nicht nur in ihrer eigenen Besatzungszone fündig. Denn die anderen Besatzungsmächte gaben über die Collecting Points Kulturgüter, die aus der Sowjetunion geraubt worden waren und sich in den Westzonen befanden, ebenfalls an die Sowjetunion heraus. So hat die sowjetische Militärverwaltung in Deutschland von amerikanischen Kunstschutzoffizieren zwischen 1945 und 1948 insgesamt 534.120 Kunstwerke aus den Museumssammlungen von Kiew, Minsk, Smolensk, Pskow, Nowgorod und den Palästen in der Umgebung von Leningrad zurückerhalten7. Infolge dieser systematischen Suche nach von Deutschland verschleppten Kulturgütern war mit weiteren Entdeckungen in größerem Umfang nicht mehr zu rechnen. Die enorme Zahl der nach dem Krieg aus Deutschland in die Sowjetunion zurückgeführten sowjetischen Kulturgüter sowie später in den 50er Jahren aus der Sowjetunion an die DDR zurückgegebenen deutschen Kulturgüter verdeutlicht, in welchem Ausmaß die beiden Kriegsparteien unter Verstoß gegen die HLKO das kulturelle Erbe des Gegners missachtet haben. Dabei ist von beiden Seiten auch in Kauf genommen worden, dass einzigartige Objekte bei den Transporten beschädigt bzw. zerstört wurden oder abhanden kamen. Viele in Deutschland nach den Rückgaben aus der Sowjetunion weiterhin vermisste Kulturgüter, wie z. B. die mittelalterlichen Fenster der Marienkirche Frankfurt / Oder, schienen verschollen, d. h. ihr Verbleib war in Deutschland unbekannt. Im Zeichen von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre und der damit verbundenen Annäherung der beiden Machtblöcke in Ost und West wurde aber immer mehr bekannt, dass viele Kunstwerke nicht verlorengegangen waren, sondern in der Sowjetunion an geheim gehaltenen Orten gelagert wurden. So offenbarte im August 1993 der russische Kulturminister Sidorow, dass der Schatz des Priamos nicht vernichtet worden sei, er habe vielmehr selbst Teile da4 Schmidt, Zur Frage der Rückführung deutschen Kulturguts aus Russland, in: Indo-Asiatische Zeitschrift, 3.1999, 84 – 87 (85); Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, 1955, 71. 5 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 48 f. 6 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 48 f.; Lehmann, Einleitung, in: Lehmann / Kolasa (Hrsg.), Die Trophäenkommissionen der Roten Armee, 1996, 7 – 10 (7 f.); Kolasa, Vorbemerkungen, in: Lehmann / Kolasa (Hrsg.), Die Trophäenkommissionen der Roten Armee, 1996, 11 – 20 (19). 7 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 48 f.
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D. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Untergang der Sowjetunion
von in den Händen gehalten. Im Puschkinmuseum in Moskau war der Schatz Jahrzehnte versteckt vor der Öffentlichkeit verwahrt und seine Existenz wie auch der Fortbestand vieler anderer Kostbarkeiten von russischer Seite dauerhaft geleugnet worden8. Die Frage, inwieweit Deutschland auch den Schatz des Priamos zu Recht als sein Eigentum beanspruchen kann, obwohl er doch in Kleinasien ausgegraben worden ist und dem ersten Anschein nach daher eher in die heutige Türkei gehört, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder aufgeworfen. Der Schatz ist jedoch in rechtmäßiger Weise durch eine wirksame Schenkung Heinrich Schliemanns nach Berlin gelangt. Schliemann hatte den Schatz in der Türkei ausgegraben. Für das Vorhaben besaß er eine Grabungserlaubnis des türkischen Staates mit der Verpflichtung, etwaige Funde mit dem türkischen Staat zu teilen9. Dieser Verpflichtung kam er allerdings nicht nach und schmuggelte den Schatz nach Griechenland. Der nachfolgende Rechtsstreit endete damit, dass Schliemann den Schatz behalten konnte, aber eine Entschädigung von 10.000 Goldfrancs zu zahlen hatte. Schliemann zahlte nicht nur den Betrag von 10.000 Goldfrancs sondern insgesamt 50.000 Goldfrancs. Er ließ sich dabei von der Erwartung leiten, seine Grabungserlaubnis für Troja erneuert zu bekommen, die er dann auch tatsächlich erhalten hat10. Da sich der Schatz des Priamos 1945, als er nach Moskau verschleppt wurde, rechtmäßig in Deutschland befunden hat, stehen einer Rückgabe an Deutschland somit keine rechtlichen Bedenken entgegen. Bis zur Vereinigung Deutschlands 1990 verfestigte sich hingegen in Museumskatalogen der DDR die einheitliche Darstellung von der Rettung der Kunstgegenstände durch die Sowjetunion und der späteren Rückgabe durch die Sowjetunion, nachdem die Voraussetzungen für eine sachgemäße Aufbewahrung wieder gegeben waren11. In der Tat lagen die deutschen Städte 1945 durch die ausgeprägten Luft-
Siebler, Troia, 1994, 58 ff. (61). Jähne, Geheimsache Troja, 1998, 33; Easton, The Excavation of the Trojan Treasures and Their History up to the Death of Schliemann in 1890, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 194 – 199 (197 ff.). 10 Jähne, Geheimsache Troja, 1998, 34 f.; Siebler, Troia, 1994, 40, 45. 11 Bachmann, Vorwort, in: Gemäldegalerie Alte Meister Dresden, 7. Auflage (1988), 7 – 12, 10 f.: Die Rote Armee erhielt den Auftrag: „die ausgelagerten Kunstschätze aufzuspüren und zu retten. . . ... 1955 gab die sowjetische Regierung zunächst die 1240 geretteten Meisterwerke der Gemäldegalerie zurück, bevor sie 1958 alle in der Sowjetunion aufbewahrten Bestände deutscher Museen, darunter auch die Schätze aus sechs anderen Dresdner Sammlungen vollzählig dem deutschen Volk zurückgab.“; Schade, Vorwort, in: Schätze der Weltkultur, Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.), 5. Auflage (1988), 7: „Sowjetischen Soldaten, Wissenschaftlern und Restauratoren ist es zu verdanken, dass wir heute wieder Kunstwerke aus allen Epochen der Menschheitskultur präsentieren können. Sie waren es, die die Kunstwerke aus den Wirren der Nachkriegszeit retteten, in der Sowjetunion liebevoll restaurierten und dem deutschen Volk zurückgaben, als die Voraussetzungen zu deren sicheren Unterbringung auf der Museumsinsel wieder gegeben waren.“; im gleichen Sinne: Hühns, Zur Geschichte der Staatlichen Museen, ebenda, 8 – 28, 22 ff. 8 9
I. Rückgabe von Kulturgut an die DDR
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angriffe größtenteils in Schutt und Asche. Auch die Museumsbauten waren nicht verschont worden und so sehr beschädigt oder zerstört, dass eine sachgemäße Aufbewahrung des Kulturgutes überwiegend nicht mehr gewährleistet war. So waren z. B. sämtliche Museumsgebäude der Staatlichen Museen in Berlin mit Oberlicht infolge zahlreicher Bombenvolltreffer nur noch fensterlose Ruinen12. Im Februar 1945 wurde Dresden mitsamt seinen Museen von angloamerikanischen Fliegern angegriffen und nahezu ausgelöscht13. Die Kunstsammlungen in Deutschland waren zum Schutz vor Kriegseinwirkung weitgehend in Bunkern, Kellern, Bergwerken etc. ausgelagert worden. Diese Sicherungsmaßnahmen haben ihren Zweck erfüllt, und die Gegenstände haben den Krieg in ihren Auslagerungsstätten weitgehend unbeschadet überstanden. Zwar waren wegen Kälte- und Feuchtigkeitseinwirkungen nicht alle Lagerstätten für eine längere Unterbringung von Kulturgut geeignet. In Anbetracht der zerbombten Städte standen geeignete Räumlichkeiten zur Einlagerung in Depots oder zur Präsentation des Kulturgutes in Ausstellungen nur in eingeschränktem Maße zur Verfügung. Aber es ist zumindest zweifelhaft, ob und inwieweit deshalb ein systematischer Transport der Werke über eine derartig große Distanz bis nach Leningrad und Moskau angezeigt und unabweislich gewesen sein soll. Geht man indes von der Motivlage aus, dass die Kulturgüter in die Sowjetunion mitgenommen worden sind, um sie vor Vernichtung zu retten, und die Rückgabe vorgesehen war, sobald wieder geeignete Unterbringungsmöglichkeiten in Deutschland bestanden haben, so handelt es sich um eine Sprachregelung, die nicht allein die DDR vertreten hat. Vielmehr war es gerade die Sowjetunion selbst, die in den Verhandlungen mit der DDR über die Rückgabe des Kulturgutes das Bild des Aufbewahrers der Werte für Deutschland vermittelte14. Wenn nun ein Teil der Kulturgüter an die DDR zurückgegeben worden ist, aber ein weiterer Teil noch in der Sowjetunion lagert, dann ist die unterschiedliche Behandlung nicht nachvollziehbar. Denn nach dem Kriege sind die Städte in Deutschland zügig wieder aufgebaut worden, und daher sind in Deutschland auch für die noch in der Sowjetunion verbliebenen Güter die Voraussetzungen einer sachgemäßen Lagerung und Präsentation gegeben.
12 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland, Die Verluste der öffentlichen Kunstsammlungen in Mittel- und Ostdeutschland 1943 – 1946, 1954, 12. 13 Zimmermann, Gemäldegalerie Dresden Neue Meister, 1987, 42. 14 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 41 ff.; Nevelev, The Soviet Union’s Seizure and Removal of „objets d’art“ from Germany in 1945 – 1948: Evaluating the Conflicting Claims to Legal Authority over Occupied Territory, GYIL 42 (1999), 337 – 399 (342, 344) m. w. N.
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D. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Untergang der Sowjetunion
II. Umfang der noch in Russland lagernden deutschen Kulturgüter Die Bundesregierung vermutet, dass sich insgesamt in Russland noch über eine Million Kunstgegenstände, einschließlich 200.000 Kunst- und Kulturschätze von besonderer musealer Bedeutung, zwei Millionen Bücher aus deutschen Museen und Privatsammlungen sowie Archivgut von drei Regalkilometern befinden15. Hierzu gehören16: der Schatz des Priamos und der Eberswalder Goldschatz aus dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, rund 480 Gemälde und 1500 Zeichnungen aus den Beständen der Dresdner Kunstsammlungen; mehr als 4000 Gemälde, Zeichnungen und Drucke der Bremer Kunsthalle; rund 5200 Objekte der Berliner Ostasien-Sammlung (samt Bibliothek); Waffen und Militaria aus dem Berliner Zeughaus, der Wartburg und der Dresdner Rüstkammer; 2000 Inkunabeln der Landesbibliothek Dresden; Bücher, mittelalterliche Handschriften und frühe Drucke einschließlich zweier Gutenbergbibeln aus 100 deutschen Bibliotheken, z. B. aus der Berliner Staatsbibliothek, dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig, der Landesbibliothek in Dresden; Archivmaterial, z. B. Akten von Reichsministerien, Nachlässe (Rathenau); verschiedene Goethe-Manuskripte aus Weimar; mehrere tausend Filme aus dem Berliner Reichsfilmarchiv. Die Aufzählung ist aber keineswegs abschließend. Erwähnenswert sind auch die privaten Sammlungen. Stellvertretend für die privaten Verluste kann die Gemäldesammlung Köhler genannt werden, die u. a. Werke französischer Impressionisten umfasst17.
III. Zwei-plus-Vier-Vertrag In bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes bestanden die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Hauptsiegermächte fort, die aus der Zeit der Besetzung Deutschlands infolge des Zweiten Weltkrieges herrührten. Deshalb wurde in Vorbereitung des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland eine Einigung der Hauptsiegermächte darüber erforderlich, was mit diesen Rechten geschehen sollte. Die Regelung erfolgte durch den Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (Zwei-plus-Vier-Vertrag) vom 12. September 199018. Der Vertrag ersetzt eine friedensvertragliche Rege15 Ziffer 4. des Bonner Protokolls der Zweiten Sitzung der gemeinsamen deutsch-russischen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern vom 29. bis 30. Juni 1994, abgedruckt in: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 45 – 46 (46). 16 Siehe Aufzählung in: Die Welt vom 29. 4. 2000: Beutekunst aus Deutschland in Russland. 17 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 56 – 62. 18 Gesetz zu dem Vertrag vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 11. Oktober 1990, BGBl II 1990, 1317.
III. Zwei-plus-Vier-Vertrag
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lung19. Gemäß Artikel 7 Absatz 1 des Zwei-plus-Vier-Vertrages haben Frankreich, die Sowjetunion, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes beendet. Damit wurde die volle Souveränität Deutschlands in seinen äußeren und inneren Angelegenheiten wiederhergestellt, wie Artikel 7 Absatz 2 des Vertrages ausdrücklich klarstellt20. Zwar haben die damaligen Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik in einem gemeinsamen Brief vom 12. September 1990 an die Außenminister der vier Mächte anlässlich der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages21 mitgeteilt, dass Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen sind. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass Deutschland seine Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern aufgegeben habe22. Der genannte Brief hat nämlich nichts mit der Frage der in der Sowjetunion lagernden Kulturgüter zu tun23. Zwar sind die Kulturgüter beschlagnahmt und in die Sowjetunion abtransportiert, aber in der Regel eben nicht enteignet worden. Die Sowjetunion hat die verbrachten Kulturgüter über Jahrzehnte hinweg nicht als ihr Eigentum betrachtet, einen Teil in den 50er Jahren zurückgegeben und im Übrigen die Existenz weiterer Kulturgüter bestritten24. Das Schreiben der beiden Außenminister betrifft hingegen vorrangig die Bodenreform auf dem Gebiet der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der späteren DDR25. Mit der Wiedererlangung der vollen Souveränität Deutschlands verbunden war im Prinzip auch die Befugnis, eine Revision besatzungsrechtlicher Entscheidungen nach Herstellung der Vereinigung Deutschlands auf deutschem Staatsgebiet vorzunehmen. Die beiden deutschen Staaten haben mit ihrem Schreiben lediglich insoweit eine Versicherung abgegeben, als sie bestimmte seinerzeit getroffene Entscheidungen der damaligen Siegermächte akzeptieren und insoweit keine Änderungen vornehmen werden. Von dem EntscheiBrand, Souveränität für Deutschland, 1993, 248. Blumenwitz, Der Vertrag vom 12. 9. 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, in: NJW 1990, 3041 – 3048 (3047). 21 Der gemeinsame Brief ist abgedruckt in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Die Vereinigung Deutschlands im Jahre 1990, Verträge und Erklärungen, 1991, 183. 22 Siehe hierzu auch unter: F.III.6. 23 Siehe auch: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (556); Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (561); Hiller, The German-Russian Negotiations over the Contents of the Russian Repositories, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 179 – 185 (184 f.). 24 Dieser Absatz ist weitestgehend zitiert nach: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (539). 25 Kiessler / Elbe, Ein runder Tisch mit scharfen Ecken, 1993, 186 f. 19 20
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D. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Untergang der Sowjetunion
dungsspielraum, den Deutschland durch die Wiedererlangung der vollen Souveränität hinzugewonnen hat, sind hingegen die auf fremdem Staatsgebiet lagernden Kulturgüter nicht erfasst26.
IV. Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion Als Folge der Demokratisierung in den osteuropäischen Staaten und der Öffnung nach Westen ist am 9. November 1990 der Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unterzeichnet worden. Er ist mit Zustimmung des deutschen Bundestages in der Form eines Bundesgesetzes verabschiedet worden27. Der Vertrag regelt die politischen Beziehungen des Bundes. Nach Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes28 werden politische Beziehungen durch einen Vertrag geregelt, wenn wesentlich und unmittelbar der Bestand des Staates und dessen Stellung und Gewicht innerhalb der Staatengemeinschaft oder die Ordnung der Staatengemeinschaft betroffen sind. Dazu gehören vor allem Bündnisse, Garantiepakte, Abkommen über politische Zusammenarbeit, Friedens-, Nichtangriffs-, Neutralitäts- und Abrüstungsverträge, Schiedsverträge und ähnliche Verträge. Der deutsch-sowjetische Nachbarschaftsvertrag erfüllt die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an politische Verträge stellt. Denn ihm kommt hohe politische Bedeutung zu, indem in grundlegender Weise die Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland nach der Beendigung des sogenannten Kalten Krieges auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Anstelle jahrzehntelang andauernder Konfrontation zwischen den beiden Bündnisblöcken in Ost und West sollte nunmehr die Verständigungsbereitschaft die zukünftige Basis eines kooperativen Miteinanders der beiden Völkerrechtssubjekte werden. In dem gemeinsamen Wunsch, mit der Vergangenheit endgültig abzuschließen, entschlossen an die guten Traditionen ihrer Jahrhunderte langen Geschichte anzu26 Dieser Absatz ist zitiert nach: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (539). 27 Gesetz zu dem Vertrag vom 9. November 1990 über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 31. Mai 1991, BGBl. II 1991, 702. 28 BVerfGE 1, 372 (381 f.).
IV. Vertrag über Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion
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knüpfen und gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Grundlage ihrer Beziehungen zu machen, haben die Vertragsparteien den Vertrag abgeschlossen29. Gemäß Artikel 16 Absatz 2 dieses Vertrages wurde die Rückgabevereinbarung bezüglich Kulturgut getroffen: „Sie stimmen darin überein, dass verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze, die sich auf ihrem Territorium befinden, an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben werden.“ Die Ernsthaftigkeit, diese eingegangene Verpflichtung auch erfüllen zu wollen, wird durch den Passus in Artikel 1 Absatz 6 des Nachbarschaftsvertrages bekräftigt. Danach gewährleisten die Vertragsparteien: „den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechtes in der Innen- und internationalen Politik und bekräftigen ihre Entschlossenheit, ihre vertraglichen Verpflichtungen gewissenhaft zu erfüllen.“. Fraglich könnte indes sein, ob Deutschland aus diesem Vertrag noch Rechte für sich herleiten kann. Denn die Sowjetunion ist nach Vertragsabschluss als Völkerrechtssubjekt untergegangen. Denn die Staatschefs von Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, der Russischen Föderation, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan haben durch die Alma-Ata-Deklaration vom 21. Dezember 1991 die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) für aufgelöst erklärt30. Wegen des Untergangs des Völkerrechtssubjekts UdSSR ist das Schicksal der völkerrechtlichen Verträge, die der untergegangene Staat abgeschlossen hat, zu klären. Für die Russische Föderation ist der deutsch-sowjetische Nachbarschaftsvertrag deshalb verbindlich, weil die Russische Föderation für ihr Staatsgebiet die Nachfolge in den völkerrechtlichen Vertrag angetreten hat. Ein Fall der Staatennachfolge ist gegeben, wenn ein Staat untergeht und das Staatsgebiet mit den Rechten und Pflichten des untergegangenen Staates auf einen oder mehrere Staaten übergeht31. Nach Artikel 29 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) bindet ein Vertrag, soweit nichts Abweichendes vereinbart ist, jede Vertragspartei hinsichtlich ihres gesamten Hoheitsgebietes. Fragen, die sich aus der 29 Siehe Präambel des Vertrags vom 9. November 1990 über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Gesetz vom 31. Mai 1991, BGBl. II 1991, 702 (703). 30 Im Fundstellennachweis B vom 31. Januar 2001, BGBl. II 2001, 146, ist die Alma-AtaDeklaration in deutscher Übersetzung auszugsweise wiedergegeben: „Mit der Schaffung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten hört die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf zu bestehen. Die Mitglieder der Gemeinschaft garantieren gemäß ihren verfassungsmäßigen Vorschriften die Erfüllung der internationalen Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen und den Vereinbarungen der früheren UdSSR ergeben.“; näheres zur Auflösung der UdSSR bei: Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 161 – 265 (220). 31 Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 126, 306 ff.; Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 253 f.
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D. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Untergang der Sowjetunion
Nachfolge von Staaten ergeben, lässt dieses Wiener Übereinkommen gemäß seinem Artikel 73 aber ausdrücklich unberührt. An welche Verträge der Nachfolgestaat bzw. die Nachfolgestaaten gebunden sind, lässt sich auch nur unzureichend über das Völkergewohnheitsrecht lösen, weil sich in diesem Bereich allgemeine Regeln des Völkerrechts nur teilweise entwickelt haben32. Gerade bei Verträgen politischen Charakters, wie dies beim deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag der Fall ist, wird dabei die Auffassung vertreten, dass der Neustaat diese Verträge nicht übernehmen muss33. Dies schließt aber nicht aus, dass der neue Staat die Verträge des Vorgängerstaates übernehmen will und in die Rechte und Pflichten des Vorgängerstaates eintritt. Dies hat die Russische Föderation getan, indem das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation mit Note vom 13. Januar 1992 der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau notifiziert hat, dass die Russische Föderation die Ausübung der Rechte und Erfüllung der Pflichten aus den von der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen fortsetzt und in diesem Zusammenhang darum bittet, anstelle der UdSSR die Russische Föderation als Vertragspartei aller geltenden völkerrechtlichen Verträge anzusehen34.
32 Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 161 – 265 (221). 33 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 256. 34 Bekanntmachung über die Fortsetzung der völkerrechtlichen Mitgliedschaften und Verträge der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken durch die Russische Föderation vom 14. August 1992, BGBl. II 1992, 1016.
E. Die Rückführungsklausel im deutsch-russischen Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit I. Entstehung und Inhalt Am 16. Dezember 1992 wurde das deutsch-russische Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit in Moskau unterzeichnet. Es trat am 18. Mai 1993 in Kraft1. Ein Vertragsgesetz, wie es beim Nachbarschaftsvertrag beschlossen worden ist, ist zum Kulturabkommen nicht ergangen. In Kulturabkommen erklären sich die vertragschließenden Parteien bereit, die kulturellen Beziehungen auszubauen und die gegenseitige Kenntnis der Kultur ihrer Länder zu erweitern und zu verbessern2. In Konkretisierung dieser umfassenden Aufgabenstellung trifft das deutsch-russische Kulturabkommen in den drei Schwerpunkten der Kulturpflege, nämlich der Kunst, der Bildung und der Wissenschaft, entsprechende Absprachen. In der Sparte der Kunstpflege geht es vorrangig um die Förderung von Konzerten, Theateraufführungen und anderen künstlerischen Darbietungen, sowie um die Förderung der Durchführung von Ausstellungen, der Teilnahme an Tagungen und der Kontaktpflege zwischen Museen (Artikel 2 des Abkommens). Große Bedeutung wird der Förderung der Sprache beigemessen, die im Land des Vertragspartners gesprochen wird (Artikel 3 des Abkommens). Im Bildungs- und Wissenschaftsbereich stehen insbesondere die Zusammenarbeit zwischen allgemeinbildenden Schulen und Hochschulen durch den Austausch von Lehrern, Schülern, Studenten und Wissenschaftern (Artikel 4 des Abkommens), die Bereitstellung von Stipendien (Artikel 5 des Abkommens), Kontakte zwischen den Archiven und Bibliotheken (Artikel 6 des Abkommens) sowie die wechselseitige Anerkennung von Studienabschlüssen (Artikel 7 des Abkommens) im Vordergrund. In Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens ist außerdem die beiderseitige Rückgabeverpflichtung, wie sie im Prinzip schon in Artikel 16 Absatz 2 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages enthalten ist, übernommen worden: „Die Vertragsparteien stimmen darin überein, dass verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter, die sich in ihrem Hoheitsgebiet befinden, an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben werden“.
1 Bekanntmachung des deutsch-russischen Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit vom 8. Juli 1993, BGBl. II 1993, 1256. 2 Köstlin, Die Kulturhoheit des Bundes, 1989, 62 f.; siehe auch die Präambel und Artikel 1 des deutsch-russischen Kulturabkommens, BGBl. II 1993, 1256, die diese allgemeinen Grundsätze der Zusammenarbeit enthalten.
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E. Rückführungsklausel
Die Kulturgüterrückgabeklausel im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 ergänzt hierbei die vertragliche Rückgabeverpflichtung, die schon im 1990 abgeschlossenen deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag enthalten war und in dessen Rechte und Pflichten die Russische Föderation als Nachfolgestaat der Sowjetunion eingetreten ist. In erster Linie kommt der zusätzlichen Aufnahme der Rückgabeverpflichtung hinsichtlich der verschollenen oder unrechtmäßig verbrachten Kulturgüter in das deutsch-russische Kulturabkommen daher eine klarstellende Funktion zu. So hat die Aufnahme der Rückgabeklausel in das deutsch-russische Kulturabkommen in völkerrechtlicher Hinsicht den Vorteil, dass auf diese Weise Probleme der Staatennachfolge Russlands in die Rechtsposition der Sowjetunion gar nicht erst entstehen können3. Zwar hat Russland generell erklärt, Verpflichtungen, die die frühere Sowjetunion eingegangen ist, zu erfüllen. Aber mit der zusätzlichen Vereinbarung der Rückgabeklausel mit Russland ist unmissverständlich deutlich geworden, dass eine Verpflichtung besteht, die auch Russland für sich ausdrücklich akzeptiert. Darüber hinaus dokumentiert die wiederholende Regelung der Kulturgüterrückführung im deutsch-russischen Kulturabkommen die hohe Priorität, die der Kulturgüterrückgabe beigemessen wird. Gerade für Deutschland bestand ein erhebliches rechtliches und politisches Interesse an dieser zusätzlichen Vereinbarung der Verpflichtung zur Kulturgüterrückführung unmittelbar mit Russland, weil sich in Russland noch unzählige nach dem Zweiten Weltkrieg verbrachte deutsche Kulturgüter befinden. Neben der klarstellenden Funktion, die der Rückführungsklausel hinsichtlich der Staatennachfolge der Russischen Föderation in die von der Sowjetunion eingegangenen Verpflichtungen zukommt, beinhaltet die Rückgabeklausel eine eigenständige Anspruchsgrundlage. Diese vertraglich zwischen Deutschland und Russland begründete Anspruchsgrundlage tritt neben den völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Schutz von Kulturgut im Kriege. Denn nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechtes, wie sie in Artikel 46, 47 und 56 HLKO ihren Niederschlag gefunden haben, darf Kulturgut nicht beschlagnahmt werden und ist infolgedessen bei Verstößen gegen dieses Verbot auch ohne wenn und aber zurückzugeben, wie schon an anderer Stelle in dieser Untersuchung dargelegt worden ist4.
II. Der Anwendungsbereich der Rückführungsklausel Wenn die Vertragsparteien in Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens darin übereinstimmen, dass verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter, die sich in ihrem Hoheitsgebiet befinden, an den Eigentümer oder seinen 3 Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (54); siehe ferner die Ausführungen unter: D.IV. 4 Siehe dazu unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V.
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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Rechtsnachfolger zurückgegeben werden, so ergibt sich aus dieser Formulierung, dass der Anwendungsbereich nicht auf die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter beschränkt ist. Die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter werden ausdrücklich nicht einmal genannt. Die weite Fassung des Artikels 15 des Kulturabkommens erfasst daher auch alle anderen erdenklichen Fälle, in denen Kulturgut sich vornehmlich zu Unrecht auf dem Staatsgebiet des Vertragspartners befindet. Die Rückgabeklausel erfasst damit nicht nur in der Vergangenheit liegende Vorkommnisse, sondern dient auch als Anspruchsgrundlage, wenn beispielsweise in der Zukunft einem deutschen Eigentümer ein Kulturgut abhanden kommt und später wieder in Russland auftaucht. Gleiches gilt natürlich auch im umgekehrten Fall, wenn z. B. aus Russland wertvolle Ikonen verschwinden und in Deutschland im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen beschlagnahmt werden. Als weiterer Anwendungsfall der Klausel sind in diesem Zusammenhang auch Kunstwerke und anderes Kulturgut einschließlich Bibliotheksgut sowie Archivgut zu nennen, deren Abwanderung aus Deutschland einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde und die gemäß § 1, 10 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (KgSchG) in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen sind. Diese eingetragenen Gegenstände dürfen nur mit Genehmigung ausgeführt werden. Würde ein solches national wertvolles Kulturgut nach Russland gelangen, ohne dass vorher die Genehmigung vorliegt, dann wäre die Verbringung unrechtmäßig und die Rückgabeklausel würde greifen. Auch wenn es für die Rückführungsklausel viele denkbare Anwendungsfälle gibt, stand beim Aushandeln und beim Abschluss der Regelung ein Anwendungsfall im Vordergrund: Es ging darum, auf zwischenstaatlicher Ebene eine Lösung hinsichtlich der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zu finden und die zukünftige Zusammenarbeit mit Russland nicht weiter mit den Relikten des Zweiten Weltkriegs zu belasten5.
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst 1. Kulturgutbegriff Während in Artikel 16 Absatz 2 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrags von 1990 als Objekte der Rückgabe „Kunstschätze“ aufgeführt werden, sind es in Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992 „Kulturgüter“. 5 Siehe auch: Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (55); Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum BeutekunstGesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (557 f.).
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E. Rückführungsklausel
Trotz der unterschiedlichen Wortwahl ist indes dasselbe gemeint6. „Kunstschätze“ und „Kulturgüter“ beschreiben damit diejenigen Gegenstände, die zurückgegeben werden sollen, in einheitlichem Sinne. Zwar könnte man zunächst daran denken, bei den Kunstschätzen im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag handele es sich nur um ganz herausragendes wertvolles Kulturgut, während im späteren deutsch-russischen Kulturabkommen eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf alle – auch die weniger bedeutsamen – Kulturgüter stattgefunden habe. Gegen diese Auslegung spricht aber bereits, dass die Kulturgüterrückführungsklausel insbesondere deshalb in das deutsch-russische Kulturabkommen aufgenommen worden ist, weil die Sowjetunion als Staat zwischenzeitlich untergegangen war. Durch die Aufnahme der Klausel in das deutsch-russische Kulturabkommen wurde klargestellt, dass im Verhältnis der beiden Vertragspartner Deutschland und Russland zueinander eine Rückgabeverpflichtung fortbesteht7. Ferner widerspricht es dem Sinn und Zweck der Vereinbarungen im deutschsowjetischen Nachbarschaftsvertrag, die Rückgabe rechtswidrig verbrachter Kulturgüter nur auf herausragende Kunstwerte zu erstrecken. Gründe, dahingehend zu unterscheiden, ob es sich bei der rechtswidrig mitgenommenen Sache um ein besonders wertvolles, wenn nicht gar einzigartiges Objekt, oder um eine weniger wertvolle Sache handelt, sind nicht ersichtlich. Eine Legitimation dafür, dass weniger wertvolles Gut z. B. beim Dieb verbleiben kann, lässt sich nicht finden. Eine derartige Abstufung innerhalb der Kategorie der Kulturgüter wäre auch in der Praxis wenig praktikabel, denn sie würde zu Abgrenzungsschwierigkeiten darüber führen, wo die Grenze zwischen wertvoll und weniger wertvoll zu ziehen ist. Auch würden bei einem allzu engen Auslegungsverständnis von Kunstschätzen die Archive und Bibliotheken von der Rückgabeklausel nicht erfasst werden können. Als weiteres kommt hinzu, dass es von beiden Abkommen auch verbindliche russische Fassungen gibt. In den russischen Fassungen der Abkommen ist aber für den Gegenstand der Rückgabeverpflichtung ein einheitlicher Begriff gewählt worden. Nach Artikel 33 Absatz 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) ist der Text in jeder Sprache in gleicher Weise maßgebend. Nach Artikel 33 Absatz 3 WVK wird vermutet, dass die Ausdrücke des Vertrags in jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben. Wenn in den Texten im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag und im deutsch-russischen Kulturabkommen, die in russischer Sprache abgefasst sind, dieselbe Bezeichnung für „Kulturgüter“ verwandt worden ist, dann bestätigt dies daher, dass es sich trotz der unterschiedlichen Wortwahl in den entsprechenden deutschen Fassungen inhaltlich um dasselbe handelt. Vom Anwendungsbereich des Artikels 16 Absatz 2 des 6 Weber, Wem gehört der Schatz des Priamos?, Die deutsch-russische Kontroverse über die Rückgabe der sogenannten „Beutekunst“, in: HuV-I 1999, 36 – 51 (42); siehe auch im Verhältnis zur russischen Fassung von Artikel 16 Absatz 2 des Nachbarschaftsvertrages: Långström, „War Trophies“ from World War II in Russia: Robbery or Restitution?, in: FYBIL 9 (1998), 249 – 296 (280). 7 Siehe hierzu auch unter: E.I.
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrags und des Artikels 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens werden mithin dieselben Objekte erfasst, die der Rückgabeverpflichtung unterliegen. Wenn man darüber hinaus der Frage nachgehen will, welche Gegenstände zu den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern im Einzelnen gehören, dann muss man feststellen, dass eine einheitliche Definition des Begriffs „Kulturgut“ weder im Völkerrecht noch im innerstaatlichen Recht der Staaten existiert8. Im allgemeinen Sprachgebrauch in Deutschland ist „Kulturgut“ ein Gegenstand, der als kultureller Wert Bestand hat und bewahrt wird9. Boguslavsky10, Professor am Institute of State und Law, Academy of Sciences, Moskau, hält es insgesamt für sinnvoll, eine Vereinheitlichung des Begriffs des Kulturgutes anzustreben, damit er sowohl im internationalen Recht als auch im Recht verschiedener Staaten unterschiedslos angewandt werde, was derzeit nicht gewährleistet sei. Im Hinblick auf den weltweiten Warenverkehr mit Kulturgut mag dies wünschenswert sein, wenn auch eine generelle Harmonisierung des Begriffs schwerlich zu erreichen sein wird. Schon im nationalen deutschen Recht lassen sich Kunst und Kulturgut nicht abstrakt verbindlich definieren; aber aus dem jeweiligen Sinnzusammenhang kann man erschließen, was gemeint ist11. Nach Artikel 31 WVK ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Durch Auslegung lässt sich daher auch in Zweifelsfällen ermitteln, welche Objekte zurückgegeben werden müssen. Eine wesentliche allgemeine Eingrenzung des Kulturgutbegriffs im Rahmen der Rückgabeverpflichtung ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass nur Gegenstände für eine Rückgabe in Betracht kommen, die auch beweglich sind12. Denkmalgeschützte Gebäude fallen damit beispielsweise aus dem Kulturgutbegriff heraus, während Bestandteile von Gebäuden, die abgetrennt worden sind, beweglich sind und damit auch Kulturgüter im Sinne des Artikels 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens darstellen.
8 Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, 15 – 42 (15); von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz, 1992, 82; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 6, 10. 9 Brockhaus, Enzyklopädie, Band 12, 19. Auflage (1990), Stichwort: Kulturgut. 10 Boguslavsky, Der Begriff des Kulturguts und seine rechtliche Relevanz, in: Dolzer / Jayme / Mußgnug (Hrsg.), Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 1994, 3 – 12 (4). 11 Doehring, Diskussionsbeitrag zu den beiden Referaten von: Boguslavsky, Der Begriff des Kulturguts und seine rechtliche Relevanz, sowie von: Dolzer, Die Deklaration des Kulturguts zum çommon heritage of mankind“, in: Dolzer / Jayme / Mußgnug (Hrsg.), Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 1994, 29; siehe auch: Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 6, 10; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz, 1992, 82. 12 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 13.
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E. Rückführungsklausel
Beim Begriff des Kulturgutes muss im Auge behalten werden, dass Artikel 15 des deutsch-russischen Abkommens einerseits für die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter Anwendung findet, aber darüber hinaus eben nicht nur kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut umfasst. Daher ist eine flexible Auslegung angezeigt, die den unterschiedlichen Sachlagen gerecht werden muss. Was die Beutekunst anbelangt, so ergibt sich auch aus dem Kriegsrecht keine konkrete einschlägige Begriffsbestimmung. Die HLKO gibt zur Eingrenzung des Begriffs des Kulturgutes wenig her, und auch die UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 195413 kann nur sehr begrenzt herangezogen werden. Nach Artikel 46 HLKO darf Privateigentum nicht eingezogen werden. Damit ist auch privates Kulturgut geschützt. Darüber hinaus werden Kulturgüter insbesondere der öffentlichen Hand in Artikel 56 Absatz 2 HLKO ausdrücklich gegen Wegnahme geschützt, indem die Beschlagnahme „von Werken der Kunst und Wissenschaft“ untersagt ist und geahndet werden soll. Da Werke der Kunst und Wissenschaft insgesamt geschützt sind, macht es nach der HLKO keinen Unterschied, ob es sich um ein besonders wertvolles Kulturgut handelt oder nicht. Es muss auch nicht einzigartig sein. Schließlich kommt es nicht darauf an, dass es sich um ein besonders bekanntes und damit ausgeprägt identitätsstiftendes Objekt handelt14. Eine Kodifikation zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit der UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 geschaffen. In dieser Konvention ist auch eine Definition für geschütztes Kulturgut enthalten. Die Definition des Kulturgutes in der UNESCO-Konvention ist jedoch zu eng, um bei der Auslegung des Kulturgutbegriffs in der Rückführungsklausel letztendlich weiterhelfen zu können. Nach Artikel 1 der UNESCO-Konvention ist unter Kulturgut „bewegliches oder unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe aller Völker von großer Bedeutung ist, wie z. B. Bau-, Kunst- oder geschichtliche Denkmale religiöser oder weltlicher Art, archäologische Stätten, Gebäudegruppen, die als Ganzes von historischem oder künstlerischem Interesse sind, Kunstwerke, Manuskripte, Bücher und andere Gegenstände von künstlerischem, historischem oder archäologischem Interesse sowie wissenschaftliche Sammlungen und bedeutende Sammlungen von Büchern, Archivalien oder Reproduktionen des oben bezeichneten Kulturguts“ zu verstehen. In Artikel 4 Absatz 3 der UNESCO-Konvention haben sich die Vertragsparteien verpflichtet: „jede Art von Diebstahl, Plünderung oder anderer widerrechtlicher Inbesitznahme von Kulturgut sowie jede sinnlose Zerstörung solchen Gutes zu verbieten, zu verhindern und nötigenfalls zu unterbinden. Sie nehmen davon Abstand, 13 Gesetz zu der Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 11. April 1967, BGBl. II 1967, 1233. 14 Siehe: Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 469 – 544 (538): u. a. in der fehlenden Konkretisierung der Schutzobjekte wird ein Grund dafür gesehen, dass die HLKO ihre Ziele in den Kriegen nicht erreicht hat.
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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bewegliches Kulturgut, das sich auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Hohen Vertragspartei befindet, zu beschlagnahmen“. Die in der UNESCO-Konvention geregelte Art des Kulturgüterschutzes stimmt zwar, wie sich aus Artikel 4 Absatz 3 der Konvention ergibt, durchaus mit dem in Artikel 46, 47 und 56 HLKO geregelten Kulturgüterschutz überein, indem in beiden Fällen die Beschlagnahme des Kulturgutes verboten ist. Jedoch ist der Kreis der geschützten Objekte bei der Konvention wesentlich enger. Denn die UNESCOKonvention beschränkt den Schutz auf dasjenige Kulturgut, „das für das kulturelle Erbe aller Völker von großer Bedeutung ist“. Eine derartige Beschränkung enthält die HLKO nicht. Bei der Auslegung, auf welche kriegsbedingt verbrachten Gegenstände sich Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens erstreckt, ist daher von einem weitgefassten Kulturgüterbegriff auszugehen. Welche Objekte dann konkret unter die Rückführungsklausel fallen, lässt sich durch Auslegung ermitteln. Bei Werten, die aus Museen, Bibliotheken und Archiven stammen sowie bei gleichartigen und gleichwertigen Objekten der Kirchen und Privatpersonen dürfte grundsätzlich kein Zweifel bestehen, dass es sich dabei um Kulturgut im Sinne der Rückführungsklausel handelt. 2. Verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter Um festzustellen, was unter „verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter“ im Sinne der Vereinbarungen zu verstehen ist und welche Wechselwirkungen zwischen beiden Alternativen bestehen, muss auf die historisch-politische Ausgangslage zurückgeblickt werden15. Die Demokratisierung in Osteuropa und die Beendigung des Kalten Krieges zwischen den Machtblöcken in Ost und West zog eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion bzw. Russland nach sich. Dies war auch die Voraussetzung dafür, dass der deutsch-sowjetische Nachbarschaftsvertrag von 1990 und das deutsch-russische Kulturabkommen von 1992 überhaupt abgeschlossen werden konnten. Wie vor allem die Präambel des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages von 1990 zum Ausdruck bringt, wurde der Vertrag 1990 in dem Wunsch geschlossen „mit der Vergangenheit endgültig abzuschließen und durch Verständigung und Versöhnung einen gewichtigen Beitrag zur Überwindung der Trennung Europas zu leisten“. Mit dem Ziel, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, haben die ehemaligen Kriegsgegner daher vereinbart, dass verschollenes oder unrechtmäßig verbrachtes Kulturgut gegenseitig zurückzugeben ist. Sie wollten dabei gerade auch die kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgüter von der Vereinbarung erfasst sehen. Dies taten sie, um Belastungen für die zukünftige Zusammenarbeit aus dem Weg zu räumen16. 15 Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (48). 16 Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 2.
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E. Rückführungsklausel
a) Verschollene Kulturgüter Der Begriff der Verschollenheit ist in Bezug auf Personen im deutschen Recht gesetzlich geregelt. Eine Definition der Verschollenheit enthält das deutsche Verschollenheitsgesetz (VerschG), soweit es um Personen geht, deren Aufenthalt unbekannt ist. Nach § 1 VerschG ist verschollen, wessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist, ohne dass Nachrichten darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit noch gelebt hat oder gestorben ist, sofern nach den Umständen hierdurch ernsthafte Zweifel an seinem Fortleben begründet werden. Darüber hinaus wird man im allgemeinen Sprachgebrauch „verschollen“ auch auf Sachen anwenden können, deren Verbleib unbekannt ist. In diesem erweiterten Sinne sind auch die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter als verschollen anzusehen. Denn in Deutschland lag über Jahrzehnte hinweg keine Information darüber vor, wo die meisten mitgenommenen Kulturgüter abgeblieben waren. Die Sowjetunion hielt über Jahrzehnte hinweg deutsches Kulturgut in ihren Depots versteckt, und es bestand totale Geheimhaltungspflicht. Infolgedessen war der Aufenthalt dieses Kulturgutes in Deutschland lange Zeit entsprechend unbekannt17. Zur Beantwortung der Frage, wann ein Kulturgut als verschollen gilt, ist die Sichtweise desjenigen maßgebend, der dieses Kulturgut vermisst. Diese Bewertung erfährt auch keine Einschränkung dadurch, dass in Russland ein kleiner eingeweihter Personenkreis sehr wohl wusste, was mit den Kulturgütern passiert war, und wo sie sich befanden. Denn bei der Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Objekt als verschollen zählt, kann es nur darauf ankommen, dass der Berechtigte, der das Objekt vermisst, nicht weiß, wo die Sache abgeblieben ist. Unbeachtlich ist daher nach Sinn und Zweck der Rückgabeklausel im deutsch-russischen Kulturabkommen, wenn beim Vertragspartner einige wenige unterrichtete Personen den Aufbewahrungsort kennen. Wenn also staatliche sowjetische Stellen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses über die Kenntnis vom Verbleib des deutschen Kulturgutes verfügen, führt dies nicht dazu, dass das Merkmal der Verschollenheit entfällt18. Von russischer Seite ist eingewandt worden, dass Kulturgüter, die im staatlichen Auftrag mitgenommen wurden, nicht als „verschollen“ zu bezeichnen sind. Verschollen seien nur solche Kulturgüter, die von Einzelpersonen unbefugt mitgenommen wären, und deren Verbleib folglich auch den staatlichen russischen Stellen 17 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 40, 9; Fiedler, Warum wird um die Kriegsbeute noch immer gestritten?, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 263 – 269 (268); Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (560). 18 So auch: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 14; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 121; Hiller, The German-Russian Negotiations over the Contents of the Russian Repositories, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 179 – 185 (183); Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (274 f.).
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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nicht bekannt sei19. Diese Argumentation ist nicht überzeugend. Denn die Reduzierung der verschollenen Kulturgüter auf die zu privatem Nutzen unbefugt mitgenommenen Werke wird der Bedeutung der Rückführungsklausel im Lichte der historischen Situation, in der die Vereinbarungen von 1990 und 1992 abgeschlossen wurden, nicht gerecht. Auch die Tatsache, dass die Sowjetunion bzw. Russland als Völkerrechtssubjekte derartige Verpflichtungen zur Rückgabe eingegangen sind, spricht dafür, dass gerade diejenigen Kulturgüter von der Rückgabeverpflichtung erfasst sein sollten, auf deren tatsächliche Rückführung staatlicherseits eine entsprechende Einflussmöglichkeit besteht20. Dies ist bei den in staatlichen Depots liegenden deutschen Kulturgütern der Fall, in der Regel aber nicht bei den zu privaten Zwecken mitgenommenen Kulturgütern, die beispielsweise in einer russischen Wohnung verwahrt werden und von denen der russische Staat nur in den seltensten Fällen gewahr wird. Das Merkmal der Verschollenheit ist auch nicht dadurch entfallen, dass die deutsche Seite ab 1989 / 90 zunehmend erfahren hat, wo das Kulturgut abgeblieben ist. Zwar begann die sowjetische bzw. russische Seite in Folge der Annäherung zwischen den Mächten in Ost und West offen zu legen, was mit dem deutschen Kulturgut geschehen war21. Hatte die deutsche Seite beim Abschluss des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrags von 1990 kaum Kenntnis über den Verbleib des verschwundenen Kulturgutes, so lag beim deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 eine veränderte Situation vor. Denn die deutsche Seite wusste nun, dass große Teile ihres kulturellen Erbes in russischen Depots versteckt wurden22. Es macht aber für die Auslegung der Verschollenheit im deutsch-russischen Kulturabkommen keinen Unterschied, ob Deutschland zunehmend erfahren hat, dass vermisstes Kulturgut über Jahrzehnte hinweg in Depots versteckt worden ist. Denn die Kulturgüter waren nach dem Krieg ab 1945 für die deutschen Eigentümer verschollen, und diese Eigenschaft haftet ihnen im Rahmen des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages von 1990 genauso an wie im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992, mag auch ab 1989 / 90 bekannt geworden sein, wo sich die verschwundenen Teile des deutschen Kulturerbes befinden.
b) Unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter Die Merkmale „verschollene“ sowie „unrechtmäßig verbrachte“ sind durch ein „oder“ miteinander verknüpft. Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich 19 Weber, Wem gehört der Schatz des Priamos?, Die deutsch-russische Kontroverse über die Rückgabe der sogenannten „Beutekunst“, in: HuV-I 1999, 36 – 51 (45). 20 Im Ergebnis auch: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (557 f.). 21 Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 13 f. 22 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 298.
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um alternative Tatbestände handelt, die verschollenen Kulturgüter einerseits und die unrechtmäßig verbrachten Kulturgüter andererseits. Hierbei ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass ein Kulturgut beide Merkmale gleichzeitig erfüllt, weil es verschollen und zugleich auch unrechtmäßig verbracht worden ist. Die Rückgabepflicht wird allerdings bereits ausgelöst, wenn nur eines der beiden Merkmale erfüllt ist. Insoweit bezieht sich die Verschollenheit auf die ungeklärte Frage des Verbleibs, während die Unrechtmäßigkeit eine rechtliche Bewertung der Verbringungsmaßnahmen vornimmt. Auf die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter treffen in der Regel beide Merkmale zu. Sie sind nicht nur verschollen, sondern zugleich auch unrechtmäßig verbracht worden. Wie schon an anderer Stelle in dieser Untersuchung dargelegt worden ist23, war die Sowjetunion nicht berechtigt, das Kulturgut mitzunehmen. Vielmehr hat sie mit der Verbringung der Werke in die Sowjetunion gegen den völkergewohnheitsrechtlich bestehenden Schutz von Kulturgütern, wie er in der HLKO zum Ausdruck gekommen ist, verstoßen. Wird Kulturgut unter Verletzung der allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechtes mitgenommen, so löst dies eine Rückgabepflicht aus. Dabei sind nicht nur die in staatlichem Auftrag in die Sowjetunion verbrachten Kulturgüter unrechtmäßig in die Sowjetunion gelangt. In gleicher Weise trifft dies auf die zu privaten Zwecken mitgenommenen Werke zu. Während Deutschland zugibt, dass es sich im Zweiten Weltkrieg gegenüber der Sowjetunion völkerrechtswidrig verhalten hat und die Mitnahme von Kulturgut aus der Sowjetunion unzulässig war, bewertet die russische Seite die Rechtslage bisweilen anders, wenn sie selbst in die Pflicht genommen werden soll24. Dabei wird der deutschen Seite vorgehalten, dass Deutschland im Zweiten Weltkrieg unter Verletzung der allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechtes, wie sie in der HLKO ihren Ausdruck gefunden haben, Kulturgüter aus Russland abtransportiert hat25. Insoweit ist die Verbringung russischen Kulturgutes nach Deutschland unrechtmäßig im Sinne der Rückführungsklausel gewesen26. Unter Bezugnahme auf die Rechtswidrigkeit der Verbringung nimmt Russland daher im Grundsatz für sich zu Recht in Anspruch, Rückgabeansprüche gegenüber dem deutschen Staat zu stellen, wenn russisches Kulturgut in Deutschland aufgefunden wird. Wenn es hingegen um die Frage der rechtlichen Bewertung der Verbringung des deutschen Kulturgutes nach Russland geht, wird von russischer Seite aber nicht mit den gleichen Rechtsgrundlagen argumentiert, auf die sie sich für ihre eigenen Kulturgüter Siehe dazu ausführlicher unter: C.IV. Eine Gegenüberstellung des deutschen und des russischen Standpunktes zu den nach Russland verbrachten deutschen Kulturgütern enthält der Aufsatz: Stephens, The Hermitage and Pushkin Exhibits: An Analysis of the Ownership Rights to Cultural Properties Removed from Occupied Germany, in: Houston Journal of International Law (18) 1995, 59 – 112. 25 Siehe auch: C.VI. 26 Boguslavsky, Legal Aspects of the Russian Position in Regard to the Return of Cultural Property, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 186 – 190 (187 f.). 23 24
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beruft27. Dabei wird verkannt, dass der Schutz von Kulturgütern unabhängig davon zu beachten ist, wer letztlich für den Krieg die Verantwortung trägt28. Stattdessen dient ungeachtet des Kulturgüterschutzes in der HLKO das Vorliegen einer entsprechenden Befehlslage der eigenen militärischen Führung als Rechtfertigung für die Mitnahme des deutschen Kulturgutes29. Vor dem Hintergrund, dass Deutschland im Zweiten Weltkrieg ohne Kriegserklärung in die Sowjetunion einmarschiert ist, weite Landstriche der Sowjetunion durch die Kriegshandlungen verwüstet worden sind und die Rote Armee den „Großen Vaterländischen Krieg“ zum überwältigenden Sieg geführt hat, ist es für einige der russischen Verhandlungspartner schwer vorstellbar, dass die Wegnahme von Kulturgut aus Deutschland, dessen Soldaten bei ihnen so großen Schaden angerichtet haben, rechtswidrig sein könnte. Zugestanden wird insoweit nur, dass die zu privaten Zwecken mitgenommenen Kulturgüter unrechtmäßig verbracht worden seien und deshalb diese – aber eben nur diese – zurückgegeben werden müssten. Würde man dieser Ansicht folgen, ergäbe sich eine widersprüchliche Situation: Deutschland müsste kriegsbedingt aus Russland nach Deutschland verbrachte Kulturgüter, die sich ohnedies nur noch in sehr geringer Anzahl in Deutschland befinden, zurückgeben. Im umgekehrten Verhältnis könnte Deutschland aber aus der Rückgabevereinbarung keine Ansprüche auf die Rückgabe der vielen im staatlichen Auftrag kriegsbedingt nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter stellen, weil die Unrechtmäßigkeit dieser Kulturgutverbringungen verleugnet wird. Eine derartige einseitig den russischen Vertragspartner begünstigende Regelung haben die beiden Staaten in Anbetracht der unzähligen in den deutschen Einrichtungen bis heute vermissten und in Russland lagernden Kulturgüter nicht abgeschlossen. Vielmehr ist die Rückführungsklausel auch hinsichtlich der kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgüter auf Gegenseitigkeit ausgelegt, weil sowohl Deutschland als auch die Sowjetunion völkerrechtswidrig gehandelt haben, als sie Kulturgut aus dem anderen Staat abtransportiert haben. Auch muss die Rückführungsklausel im Kontext mit anderen Vereinbarungen gesehen werden. In Artikel 1 Absatz 6 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages ist vereinbart worden, dass die Vertragsstaaten den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in der Innen- und internationalen Politik gewährleisten. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören auch die Bestimmungen der HLKO zum Schutze von Kulturgut gegen Wegnahme. Dieses 27 So: Boguslavsky, Legal Aspects of the Russian Position in Regard to the Return of Cultural Property, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 186 – 190 (188). 28 Fiedler, Warum wird um die Kriegsbeute noch immer gestritten?, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkung auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 263 – 269 (267); Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 12, 76; Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (255). 29 Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (55).
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Bekenntnis zugunsten der Grundsätze des Völkerrechts im Rahmen des deutschsowjetischen Nachbarschaftsvertrages, der wie das deutsch-russische Kulturabkommen die Rückführungsklausel enthält, kann nur eines bedeuten: beide Parteien und damit auch Deutschland können sich auf die HLKO berufen, wenn es um die Frage geht, wann Kulturgut unrechtmäßig im Sinne der Rückführungsklausel verbracht ist30. Die russische Auslegung entspricht auch nicht der Intention der Rückgabevereinbarung. Verträge sind gemäß Artikel 31 WVK nach Treu und Glauben im Lichte ihres Zieles und Zweckes auszulegen. Diese Auslegungsgrundsätze werden verletzt, wenn die Rückführungsklausel einerseits zwar für die russischen kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter, andererseits aber nicht für die deutschen kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter gelten soll. Denn der nach Beendigung des Kalten Krieges abgeschlossene deutsch-sowjetische Nachbarschaftsvertrag von 1990 und das deutsch-russische Kulturabkommen von 1992 leiteten eine neue Ära ein, in der die Kooperation an die Stelle der Konfrontation treten sollte. Es kann daher nicht die Absicht der vertragschließenden Staaten gewesen sein, bei der Auslegung der Rückführungsklausel eine rückwärtsgewandte Diskussion über die Legitimation bzw. die Nichtlegitimation zur Verschleppung von Kulturgut infolge des Zweiten Weltkrieges führen zu wollen31. Bei der Auslegung der Rückgabeklausel kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die internationale Staatengemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg weitere Anstrengungen unternommen hat, Kulturgut vor Zerstörung und Wegnahme zu schützen. Diesen Zielen dienen die UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 und das UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut von 1970. Zwar können diese Konventionen auf die infolge des Zweiten Weltkrieges nach Russland verbrachten Kulturgüter mangels Rückwirkung keine Anwendung finden. Aber die kontinuierlichen Bemühungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zum Schutz des kulturellen Erbes unternommen worden sind, dokumentieren den hohen Stellenwert, den die Staatengemeinschaft der Bewahrung des kulturellen Erbes einer Nation zumisst. Die jahrzehntelange Geheimhaltung des Verbleibs der Kulturgüter und das beharrliche Leugnen ihrer Existenz deuten ferner darauf hin, dass auch in der Sowjetunion Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der planmäßigen Mitnahme u. a. ganzer Museumsbestände bestanden haben müssen32. Denn wer sich als befugt an30 Hiller, The German-Russian Negotiations over the Contents of the Russian Repositories, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 179 – 185 (183). 31 Hiller, The German-Russian Negotiations over the Contents of the Russian Repositories, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 179 – 185 (183 f.). 32 Im Ergebnis auch: Fiedler, Warum wird um die Kriegsbeute noch immer gestritten?, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 263 – 269 (268); Gattini, Restitution by
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sieht, mit einer Sache nach Belieben zu verfahren, der versteckt sie nicht über Jahrzehnte hinweg. Weder konnten sowjetische Forscher wissenschaftlich mit den Objekten arbeiten noch hatte die sowjetische Bevölkerung die Möglichkeit, sich am Anblick der Werke zu erfreuen. Dieses Verhalten hat auch wenig gemeinsam mit den klassischen Kriegstrophäen, die der Sieger in früheren Epochen in der Überzeugung, nichts Unrechtes zu tun, dem Besiegten wegnahm, und die im Land des Siegers ein triumphaler Empfang erwartete33. Dafür, dass die Vertragsparteien generell die Rückgabe des kriegsbedingt verbrachten Kulturgutes regeln und sich nicht nur auf diejenigen Objekte beschränken wollten, die privat gestohlen worden sind, spricht ferner, dass man sich noch auf der ersten Sitzung der gemeinsamen deutsch-russischen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern im März 1994 in Moskau dahingehend festgelegt hat, dass „Gegenstand der Tätigkeit der gemeinsamen Kommission diejenigen Kulturgüter sind, die während und infolge des Zweiten Weltkrieges verbracht worden sind“34. Ausgangspunkt der Rückführungsverhandlungen hinsichtlich der in Russland lagernden deutschen Kulturgüter ist damit allein die Tatsache, dass die Kulturgüter infolge des Zweiten Weltkriegs nach Russland abtransportiert worden sind. Weitere Diskussionen über die Verschollenheit bzw. die Unrechtmäßigkeit der Verbringungen sind damit eigentlich entbehrlich. Es dürfte ausreichen, wenn festgestellt wird, welche Kulturgüter kriegsbedingt nach Russland gelangt sind. Diese müssen im Prinzip zurückgegeben werden. In diesem Sinne hat sich auch der russische Ministerpräsident Tschernomyrdin geäußert. Er machte anlässlich des Auffindens von zwei Teilen des Bernsteinzimmers in Deutschland eine Bemerkung, wonach dasjenige Kulturgut, welches aus dem Land des Vertragspartners stammt, ohne Wenn und Aber zurückgegeben werden muss. Denn er plädierte für die Rückgabe jeglicher Beutekunst nach der Formel: „Das Russische den Russen, das Deutsche den Deutschen“35. Deutsches kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut gehört demnach also genauso wenig nach Russland, wie kriegsbedingt verbrachtes russisches Kulturgut nach Deutschland gehört. 3. Beiderseitigkeit der Rückgabeverpflichtung Die Verpflichtung zur Rückgabe besteht für jeden Vertragspartner, sobald ihm bekannt ist, dass sich auf seinem Staatsgebiet ein Kulturgut befindet, das zurückRussia of Works of Art Removed from German Territory at the End of the Second World War, in: EJIL 7 (1996), 67 – 88 (82); Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (255 f., 274 f.). 33 Siehe zu den Kriegstrophäen der Römer: Treue, Kunstraub, 1957, 9. 34 Siehe Ziffer 5. des Moskauer Protokolls vom 24. März 1994, abgedruckt in: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 41 – 44 (42). 35 DER SPIEGEL, Heft 22 / 1997: Tränen unserer Vorfahren, 198 – 200 (200).
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zugeben ist. Die Rückgabe ist nicht davon abhängig, dass zugleich der Staat, der ein Kulturgut zurückerhält, seinerseits im Austausch ein gleichwertiges Objekt anbietet und zurückgeben muss. Die Rückgabeverpflichtung besteht für beide Staaten jeweils als einseitige Verpflichtung und steht damit nicht in Abhängigkeit von einer entsprechenden Gegenleistung. Würde ein Vertragspartner die Rückführung davon abhängig machen wollen, dass zugleich auch der andere Vertragspartner im Austausch Kulturgut zurückgibt oder im Ausgleich Geldzahlungen leistet, läge darin ein Verstoß gegen die völkerrechtlichen Abmachungen. Deutschland war an der Aufnahme der Kulturgüterrückgabeklausel in die völkerrechtlichen Verträge gerade deshalb so interessiert, weil sich in Russland noch so außerordentlich viele und auch sehr wertvolle und einzigartige Kulturgüter befinden, mit deren Verlust die Eigentümer sich bis heute nicht abgefunden haben. Dabei war beiden Vertragsparteien bekannt, dass in Russland noch in erheblichem Umfang deutsches Kulturgut liegt, während umgekehrt in Deutschland keine staatlichen Depots existieren, in denen russisches Kulturgut gehortet wird36. Deutschland verfügt daher nicht über die erforderliche Verhandlungsmasse an russischem Kulturgut, um dieses gegen eigenes Kulturgut eintauschen zu können. In der Bundesrepublik Deutschland befinden sich kaum noch kriegsbedingt aus der UdSSR nach Deutschland verbrachte Kulturgüter, weil die Sowjetarmee gleich nach dem Krieg in der von ihr besetzten Zone alle Einrichtungen nach verschleppten Kulturgütern absuchte und diese legitimerweise zurückgeführt, sowie außerdem von den Alliierten über die Collecting Points aus den anderen Besatzungszonen geraubte Kulturgüter zurückerhalten hat37. Lediglich in geringem Umfang können sich daher noch Kunstwerke in öffentlicher oder privater Hand befinden. In erster Linie ist an Soldaten der ehemaligen Wehrmacht zu denken, die einzelne Objekte gestohlen haben und in der Hoffnung weiter verborgen halten, dass später einmal die Herkunft nicht mehr festgestellt werden kann bzw. durch Ersitzung bei den Erben gutgläubiger Erwerb eintreten wird. Auch für Museen und andere öffentliche Einrichtungen ist zumindest nicht auszuschließen, dass selbst bei noch so gründlichen Rückführungsmaßnahmen, wie sie direkt nach dem Krieg vorgenommen wurden, dennoch das eine oder andere Objekt übersehen worden sein mag. Möglich ist auch, dass in bisher unbekannten Verstecken, ungenutzten Kellerräumen oder Stollen noch russisches Kulturgut verborgen sein könnte. Allem in allem kann es sich aber nur um Einzelfälle handeln. Falls dennoch in beträchtlichem Maße Kulturgut von der russischen Seite vermisst wird, dann lässt sich dies zum Teil damit erklären, dass die Objekte im Krieg 36 Bereits am 19. Oktober 1957 hatte die Botschaft der DDR in Moskau wegen der Nichterfüllbarkeit von sowjetischen Rückgabeanliegen dem sowjetischen Außenministerium eine Note überreicht: „Trotz umfangreicher Nachforschungen im Rahmen staatlicher Untersuchungen mussten wir feststellen, dass sich Kulturgüter der UdSSR nicht mehr in der Deutschen Demokratischen Republik befinden.“, zitiert nach: Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 48. 37 Siehe ausführlicher dazu: D.I.
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vernichtet worden sind. Soweit die Kulturgüter die Kriegswirren überstanden haben, aber nicht wieder an den angestammten Ort zurückgekehrt sind, ist zu vermuten, dass die Kulturgüter in der Regel zwar wieder zurück in die Sowjetunion transportiert worden sind, aber eben nicht wieder in diejenigen Einrichtungen zurückgelangt sind, aus der sie verschwunden waren38. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Kulturgüter dabei entweder in den nichtberechtigten Besitz von Privatpersonen gelangt sind oder in Sonderdepots eingelagert wurden39. Dafür, dass sich Werke beispielsweise illegal in russischen Privatsammlungen befinden, gibt es auch konkrete Anhaltspunkte: So übernahm beispielsweise ein Museum in Perm von einem Bürger ein Gemälde, von dem sich später herausstellte, dass es aus den Sammlungen der Kiewer Museen stammte, die kriegsbedingt nach Königsberg verbracht worden waren40. Ungeachtet der nicht geklärten Frage, wo noch vermisstes russisches Kulturgut abgeblieben ist, war den Beteiligten der bilateralen Vereinbarung klar, dass vorrangig Deutschland von der Rückführungsklausel profitieren würde. Dazu waren die sowjetische und nachfolgend die russische Regierung auch bereit, damit die Belastungen aus der Vergangenheit dem Aufbau freundschaftlicher Beziehungen nicht weiter im Weg stehen sollten. Dementsprechend hat Deutschland in die Partnerschaft von Anfang an investiert und der auseinanderbrechenden Sowjetunion sowie dem Nachfolgestaat Russland in der Zeit der politischen Umbruchsituation vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht geholfen41. Mit Milliardenbeträgen hat Deutschland den dortigen Reformkurs unterstützt. Auch von daher ist nicht verständlich, wenn jetzt Forderungen finanzieller Art als Voraussetzung für die Rückgabe von Beutekunst an Deutschland gerichtet werden. Im Rahmen der Auslegung der Rückgabeklausel werden bisweilen Surrogate angesprochen, die aber nichts mit der Problematik der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zu tun haben. Russland schmerzt nämlich nicht nur der Verlust an Kulturgut, der infolge des Zweiten Weltkriegs eingetreten ist, sondern vermisst wird auch Kulturgut, das infolge der russischen Revolution von 1917 ins Ausland verkauft wurde. Zur Devisenbeschaffung für die notleidende Wirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg wurden wertvollste Objekte, die zumeist aus enteigneten Beständen stammten, verkauft. Der Bestand russischen Kulturgutes wurde aber noch auf eine andere Weise dezimiert. Aus ideologischen Gründen wurden Schätze der nationalen Kultur vernachlässigt und vernichtet. Das Ausmaß wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Sowjets allein 50.000 Kirchen ganz oder teilweise zerstör38 Lehmann, Einleitung, in: Lehmann / Kolasa (Hrsg.), Die Trophäenkommissionen der Roten Armee, 1996, 7 – 10 (8). 39 Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 100 f.; Iwanow, Von Kaliningrad nach Königsberg, 1991, 189 f. 40 Iwanow, Von Kaliningrad nach Königsberg, 1991, 189 f. 41 Siehe auch: Weber, Wem gehört der Schatz des Priamos?, Die deutsch-russische Kontroverse über die Rückgabe der sogenannten „Beutekunst“, in: HuV-I 1999, 36 – 51 (47).
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ten42. Für diese Verluste ist Deutschland nicht verantwortlich gewesen und kann dafür folglich nicht verantwortlich gemacht werden43. Überlegungen, dass Deutschland auf dem freien Markt russisches Kulturgut aufkaufen sollte, um auf diesem Wege Russland eine Gegenleistung anbieten zu können, liegen gänzlich außerhalb der Rückführungsproblematik. Wenn Russland am Rückkauf von Kunst, die vor 1917 nach Russland gehört hat, interessiert ist, dann ist der Erwerb eine innerrussische Entscheidung, wenn Exponate beispielsweise auf Auktionen angeboten werden. Mit der Rückführung von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut steht dies in keinem Zusammenhang und sollte deshalb auch nicht mit ihr verquickt werden. Da Russland die Rückgabe des kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgutes derzeit im Grundsatz verweigert, stellt sich allerdings die Frage, wie vorzugehen ist, wenn in Deutschland Kulturgüter auftauchen, die nach Russland gehören. Man könnte in diesem Fall daran denken, dass die deutsche Seite ihrerseits russisches Kulturgut solange zurückhalten darf, solange nicht über die Praxis der Rückgabe in beide Richtungen Einvernehmen erzielt worden ist. Ob Deutschland dieses russische Kulturgut ungeachtet der Tatsache gleichwohl zurückgibt, dass deutsches Kulturgut erst 1998 durch Gesetz verstaatlicht worden ist, ist eine politische Frage, tangiert aber den Rechtsstatus der Beutekunst nicht. Sie scheint dahingehend entschieden, dass Deutschland auch dann bereit ist, Kulturgüter bedingungslos zurückzugeben, wenn Russland im umgekehrten Verhältnis dazu nicht bereit ist. Ausdruck dieser Bereitschaft war 2002 die Rückgabe von sieben Gemälden aus der Zeit zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert insbesondere mit Abbildungen der Zarenfamilie, die aus den Schlössern Gatschina, Peterhof und Zarskoje Selo stammen44.
4. Adressaten der Rückführungsklausel Auch wenn die Vertragsparteien die Rückgabe der Kulturgüter an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger vereinbart haben, können die Eigentümer aus der Vereinbarung für sich unmittelbar keine Rechte herleiten. Die Vereinbarung ist zwischen den beiden Völkerrechtssubjekten Bundesrepublik Deutschland und Russische Föderation abgeschlossen worden. Träger von Rechten und Pflichten aus völkerrechtlichen Vereinbarungen sind die vertragschließenden Völkerrechtssubjekte, und nur diese werden durch den Vertrag für ihr gesamtes Hoheitsgebiet gebunden45. Dritte können aus der Kulturgüterrückgabeklausel keine Rechte herlei42 Ritter, Kulturerbe als Beute?, 1997, 23; Volkert, Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg, 2000, 30 ff. 43 Ritter, Kulturerbe als Beute?, 1997, 23. 44 Die Welt vom 18. 5. 2002: Russland bekommt Gemälde und sucht nach Brecht. 45 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Auflage (2002), 16 f.; Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 1 – 85 (66).
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ten, aber auch nicht unmittelbar aus ihr in Anspruch genommen werden. Dies bedeutet, dass der deutsche Staat die Rückgabe geltend machen und ihm das deutsche Kulturgut von der russischen Seite ausgehändigt werden muss. Der Eigentümer hat danach – ggf. gegen Erstattung der Aufwendungen – gegen die Bundesrepublik Deutschland einen Anspruch auf Herausgabe des Kulturgutes gemäß § 985 BGB. Wenn ein entsprechendes Einvernehmen zwischen dem deutschen Staat und dem Eigentümer vorliegt, kann Russland die Übergabe auch direkt an den Eigentümer bewirken. Wenn der Eigentümer unbekannt ist, kann der deutsche Staat das Kulturgut in Verwahrung geben.
5. Rückgabe an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger a) Maßgeblicher Zeitpunkt der Eigentumslage Die Formulierung in Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens, dass die Herausgabe „an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger“ zu erfolgen hat, legt die Auslegung nahe, dass im Rahmen dieser völkerrechtlichen Vereinbarung die zivilrechtliche Eigentumslage maßgeblich ist. Da sich die Eigentumsverhältnisse ändern können, ist zu prüfen, ob auf die Eigentumslage im Zeitpunkt der Wegnahme des Kulturgutes nach dem Krieg abzustellen ist oder ob für den Rückgabeanspruch derjenige Zeitpunkt entscheidet, zu dem das konkrete Rückgabeverlangen erfolgt. Wenn man bei der Eigentumslage auf die heutige Sachenrechtslage abstellt, dann ergibt sich die weitere Frage, ob und inwieweit sich in Russland zwischenzeitlich überhaupt ein zivilrechtlicher Eigentumswechsel vollziehen konnte bzw. kann. Zu denken ist dabei insbesondere an einen gutgläubigen Erwerb durch einen Dritten in Russland. Es geht an dieser Stelle ausschließlich um Akte, durch die zivilrechtlich eine Veränderung der Rechtslage eintritt. Davon unberührt bleiben Eingriffe des russischen Staates durch hoheitliche Maßnahmen, wie sie durch das Beutekunstgesetz erfolgt sind. Der Wortlaut der Regelung in Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens spricht bereits dafür, dass die zwischenstaatliche Rückgabeverpflichtung nur dann eingreift, wenn Institutionen oder Privatpersonen im anspruchsberechtigten Staat zivilrechtlich Eigentümer der Kulturgüter geblieben sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass dann, wenn im Staat des Vertragspartners jemand gutgläubig Eigentum erworben haben sollte, dieser gutgläubige Erwerber geschützt ist und er das Kulturgut behalten kann. Sofern nach russischem Recht ein gutgläubiger Erwerb möglich ist, was nachfolgend näher zu prüfen ist46, hätte Deutschland daher bei Vorliegen der Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs keinen Anspruch mehr auf Rückgabe. An dieser Stelle zeigt sich die enge Vernetzung zwischen Völkerrecht und Zivilrecht. Die Zivilrechtslage in Russland vom Abtransport der Kul46
Siehe ausführlicher dazu unter: E.III.5.b) – E.III.5.f)bb).
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turgüter ab 1945 bis heute ist damit von Bedeutung für die Frage, inwieweit ein völkerrechtlicher Rückgabeanspruch Deutschlands begründet ist. Für die Auslegung, wonach der völkerrechtliche Anspruch sich nach der derzeitigen Zivilrechtslage richtet und zwischenzeitliche zivilrechtliche Veränderungen ggf. anerkannt werden, spricht auch noch ein weiteres Argument. Denn es lässt sich dadurch ein Auseinanderklaffen von Völkerrechtslage und Zivilrechtslage verhindern. Völkerrechtlich sind die Staaten nämlich nicht generell verpflichtet, Eigentumsübergänge im Privatrechtsverkehr anzuerkennen47. Kollidiert die völkerrechtliche Rückgabeverpflichtung des Staates mit dem Eigentumsrecht seiner Bürger oder Institutionen, bleibt dann dem verpflichteten Staat im Prinzip nichts anderes übrig, als seine Eigentümer zu enteignen, wenn er den völkerrechtlichen Anspruch erfüllen will. Im Hinblick darauf, dass das erklärte Ziel der Vertragspartner beim Abschluss des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages und des deutsch-russischen Kulturabkommens darauf gerichtet war, die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu festigen, das gegenseitige Verständnis zu vertiefen und mit der Vergangenheit endgültig abzuschließen48, würde es diesen Absichten zuwiderlaufen, wenn Privatpersonen, die rechtmäßig an kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern Eigentum erworben haben, dieses nunmehr in Enteignungsverfahren herauszugeben hätten. Eine derartige Praxis dürfte der Versöhnung zwischen den Menschen beider Nationen nicht förderlich sein und deshalb auch nicht im Einklang mit den Prinzipien stehen, die mit den bilateralen Absprachen verfolgt werden sollten. Auch ein Vergleich mit Restitutionsregeln, wie sie in anderen Verträgen getroffen worden sind, bestätigt, dass vorliegend die Entwicklung der Eigentumsverhältnisse nicht unberücksichtigt bleiben sollte. Im Unterschied zu den Rückgabeklauseln von 1990 und 1992 ist die Restitution beispielsweise in Artikel 238 des Versailler Vertrages von 1919 nach dem Ersten Weltkrieg dahingehend geregelt worden, dass Deutschland die Rücklieferung der weggeführten und beschlagnahmten Gegenstände zu bewirken hatte. Die Vorschrift ist weit gefasst, und eine Bezugnahme auf Eigentumsverhältnisse bzw. einen Eigentümer, an den die Herausgabe zu erfolgen hat, fehlt in dieser friedensvertraglichen Regelung gänzlich. Spielraum für einen Gutglaubensschutz sieht die Regelung des Versailler Vertrages daher nicht vor49. Gleichwohl haben die Siegermächte des Ersten Weltkriegs die schwierige Interessenabwägung zwischen den Interessen des alten Eigentümers an der Wiedererlangung der Sache und dem Recht des neuen Eigentümers auf Behaltendürfen 47 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 159. 48 Siehe die Präambeln des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages von 1990 und des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992. 49 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 125.
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der Sache pragmatisch gelöst50, indem sie in gutgläubig erworbene Eigentumsrechte grundsätzlich nicht eingegriffen haben. Sie haben insoweit darauf verzichtet, ihre völkerrechtlichen Ansprüche durchzusetzen. Wenn aber schon nach dem Ersten Weltkrieg in der Praxis zivilrechtliche Erwerbungen respektiert worden sind, dann ist dies ein weiterer Grund dafür, nunmehr ähnlich zu verfahren. Da somit auf die heutige Eigentumslage abzustellen ist, würde der Rückgabeanspruch der Bundesrepublik Deutschland aus der Rückgabeklausel in den Fällen entfallen, in denen die deutschen Eigentümer ihr Eigentum in Russland an gutgläubige Erwerber verloren haben. Es wird daher nachfolgend geprüft, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Eigentumserwerb in Russland an den Kulturgütern überhaupt möglich war bzw. in Zukunft nach derzeitiger Rechtslage möglich ist. Fragen des gutgläubigen Erwerbs stellen sich, wenn der russische Staat oder russische Einrichtungen deutsches Kulturgut veräußern, das in den Depots eingelagert ist. Das meiste Kulturgut, das heute noch vermisst wird, liegt in russischen Depots. Es ist aber auch möglich, dass Kulturgut nicht von staatlichen Stellen veräußert wird, sondern aus den Depots abhanden kommt und von Privatpersonen verkauft wird. Hier ist ebenfalls von Belang, ob ein gutgläubiger Erwerb möglich ist. Eine weitere Gruppe stellen die Kulturgüter dar, die nicht in amtliche Verwahrung gelangt sind, weil sie seinerzeit privat geplündert worden sind, wenn sie von privater Hand auf den Markt gelangen.
b) Statutenwechsel Dadurch, dass die deutschen Kulturgüter in die Sowjetunion verbracht worden sind, wechselten sie in ein Staatsgebiet, in dem eine andere als die deutsche Rechtsordnung maßgebend ist. Der Wechsel einer Sache aus dem Geltungsbereich einer Rechtsordnung in eine andere Rechtsordnung bewirkt einen sogenannten Statutenwechsel. Dies bedeutet, dass die Rechtsordnung des neuen Lageortes zur Anwendung kommt51. Dabei übernimmt diejenige Rechtsordnung, in deren Geltungsbereich der Gegenstand gelangt ist, den Gegenstand grundsätzlich in der sachenrechtlichen Prägung, die sich aus der bisherigen Rechtsordnung ergibt52. Sachenrechte, die bereits in dem früheren Belegenheitsstaat bestanden haben, werden 50 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 125; Martin, Private Property, Rights and Interests in the Paris Peace Treaties, in: BYIL XXIV (1947), 272 – 300 (277). 51 Dieser gewohnheitsrechtlich anerkannte Grundsatz (lex rei sitae) ist durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21. Mai 1999, BGBl. I 1999, 1026, in Artikel 43 Absatz 1 EGBGB mit Wirkung zum 1. Juni 1999 eingefügt worden. 52 Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Auflage (2001), 524; Siehr, Internationales Privatrecht, 2001, 444; von Hoffmann, Internationales Privatrecht, 6. Auflage (2000), 453 ff.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 169 f.
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durch den Statutenwechsel folglich nicht mehr beeinträchtigt, da die bereits im alten Statut entstandenen Rechte am neuen Lageort im Allgemeinen anerkannt werden53. In diesen Fällen liegt ein sogenannter schlichter Statutenwechsel vor. Wer also Eigentümer einer Sache ist, bleibt Eigentümer und kann seine Position nicht einfach infolge des Ortswechsels der Sache in einen anderen Staat verlieren. Auch wenn der neue Belegenheitsstaat in der Regel entstandene Rechte und damit auch beispielsweise das private Eigentum an einer Kunstsammlung anerkennt, können sich Kollisionsprobleme aber dann ergeben, wenn der Fortbestand des Rechts mit der Sachenrechtsordnung des neuen Belegenheitsstaates völlig unverträglich wäre und daher das neue Statut eine vorher begründete Rechtsposition nicht anerkennt54. Eine derartige Situation ergibt sich hinsichtlich der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter. Wie die nachfolgende Prüfung zeigen wird55, versteht die sozialistische Rechtsordnung unter Eigentum etwas gänzlich anderes als dies in Deutschland der Fall ist. Als die deutschen Kulturgüter infolge des Zweiten Weltkrieges auf sowjetisches Gebiet kamen, war die dortige Sachenrechtsordnung sozialistisch geprägt. Die sozialistische Rechtsordnung privilegierte staatliches Eigentum und ließ privates Eigentum nur in sehr beschränktem Maße zu. Diese Unvereinbarkeit der deutschen Sachenrechtsordnung mit dem sozialistischen Eigentumsbegriff hat indes nicht dazu geführt, dass z. B. die aus privaten Sammlungen nach Russland verbrachten Kulturgüter allein durch den Lagewechsel in russisches Staatseigentum übergegangen wären. Auch wenn die Sachenrechtsordnungen Deutschlands und Russlands nach dem Zweiten Weltkrieg in grundlegender Hinsicht als nicht kompatibel bezeichnet werden müssen, so gehen bestehende Rechte durch Gebietswechsel nicht unter. Die Rechte können zwar infolge der Unvereinbarkeiten beider Rechtssysteme nicht ausgeübt werden56 und ruhen deshalb; aber die Rechte leben wieder auf, wenn der Gegenstand in den alten Belegenheitsstaat zurückkehrt oder in einen Drittstaat gelangt, mit dessen Sachenrechtsordnung das betreffende dingliche Recht vereinbar ist57. Das gleiche gilt, wenn der neue Belegenheitsstaat seine Rechtsordnung entsprechend ändert und die Unvereinbarkeit der Sachenrechte entfällt. Dies ist mit der grundlegenden Neukodifizierung des Zivilrechts ab 1995 in Russland geschehen. Dass die Rechte an den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern in Russland ungeachtet der unterschiedlichen Rechtsordnungen nicht untergegangen sind und nur 53 Siehr, Internationales Privatrecht, 2001, 446; von Hoffmann, Internationales Privatrecht, 6. Auflage (2000), 454 f. 54 Siehr, Internationales Privatrecht, 2001, 446; Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Auflage (2001), 524 f.; von Hoffmann, Internationales Privatrecht, 6. Auflage (2000), 456, 459 f. 55 Siehe dazu unter: E.III.5.c) – E.III.5.e)bb). 56 Siehe jetzt auch: Artikel 43 Absatz 2 EGBGB. 57 H.M.: Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Auflage (2001), 524 – 526; von Hoffmann, Internationales Privatrecht, 6. Auflage (2000), 459 f.; Stoll, Rechtskollisionen beim Gebietswechsel beweglicher Sachen, in: RabelsZ 1974, 450 – 467 (458 f.).
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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geruht haben, wird auch durch den Umgang der Sowjetunion mit den Kulturgütern bestätigt. Denn die deutschen Kulturgüter wurden in Depots über Jahrzehnte hinweg gesondert von den in Staatseigentum stehenden russischen Kulturgütern verwahrt. Die deutschen Kulturgüter sind der Allgemeinheit nicht zugänglich gemacht, sondern bis in die 90er Jahre unter hoher Geheimhaltung versteckt worden58. Die Sowjetunion hat damit zum Ausdruck gebracht, dass sie sich selbst nicht als legitimer Eigentümer angesehen hat. Denn wer eine Sache als sein Eigentum auffasst, macht Gebrauch von ihr, indem er die Sache nutzt oder anderweitig nach Belieben mit ihr verfährt. Das Verstecken der Kulturgüter macht deutlich, dass die Sowjetunion sich hinsichtlich der aus Deutschland stammenden Kulturgüter nicht wie ein Eigentümer gefühlt hat, sondern eher wie jemand, der etwas verbirgt, was ihm nicht zusteht. Es bleibt damit festzuhalten, dass die Kulturgüter unter Fortbestand der an ihnen in Deutschland begründeten Rechte 1945 – 1948 nach Russland verbracht worden sind. Der Statutenwechsel hat aber zur Folge, dass für das weitere rechtliche Schicksal der Kulturgüter im Prinzip das Recht des neuen Lageortes anzuwenden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Verlagerung gegen den Willen des Eigentümers erfolgt ist59. Für die Zeit, in der die deutschen Kulturgüter sich in Russland befinden, richtet sich ihr Rechtsstatus vor allem in Bezug auf gutgläubigen Erwerb, Ersitzung und Verjährung des Herausgabeanspruchs also grundsätzlich nach den Rechtsvorschriften Russlands. Einschlägig ist daher das russische Recht vom Zeitpunkt der Verbringung der Kulturgüter an, also ab dem Jahr 1945 bis heute. Damit geklärt werden kann, ob die Eigentümer, die nach Kriegsende ihren Besitz an den Kulturgütern verloren haben, weiterhin Eigentümer geblieben sind, kommt es auf die zwischenzeitliche rechtliche Entwicklung in Russland an. Da das Zivilrecht in Russland, anders als dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist, im Laufe der Zeit starken Veränderungen unterlegen hat, ist die Rechtslage in den entsprechenden Zeitabschnitten, in denen unterschiedliches Recht anzuwenden war, jeweils gesondert zu untersuchen. c) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1923 Im Zeitpunkt des Abtransportes der Kulturgüter aus Deutschland galt in Russland das Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepu58 Akinscha / Koslow / Toussaint, Operation Beutekunst, 1995, 40, 9; Fiedler, Warum wird um die Kriegsbeute noch immer gestritten?, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 263 – 269 (268); Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (560). 59 Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer / Jayme / Mußgnug (Hrsg.), Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 1994, 53 – 66 (54).
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blik (RSFSR) von 1923 (ZGB 1923)60, welches mit erheblichen Modifizierungen bis in die 60er Jahre Anwendung fand. Das Zivilrecht von 1923 stellte in seiner ursprünglichen Konzeption gemäß der Neuen Ökonomischen Politik noch eine Kombination sozialistischer und kapitalistischer Rechtsgrundsätze dar61 und kannte noch Elemente privatrechtlicher Betätigung, wie das zunächst noch zulässige Privateigentum an Produktionsmitteln, Wertpapieren und sonstigen Wertgegenständen zeigt. Im ZGB 1923 wurde das Eigentum in drei Eigentumsarten eingeteilt. Gemäß § 52 ZGB 1923 gab es folgende Eigentumsarten: „a) staatliches (nationalisiertes und kommunalisiertes); b) genossenschaftliches; c) privates.“. Während das deutsche Recht von einem einheitlichen Eigentumsbegriff ausgeht, bedeutet die Einteilung des Eigentums in staatliches, genossenschaftliches und privates Eigentum, dass nicht alle juristischen und natürlichen Personen in gleicher Weise berechtigt sind, Eigentümer von Gegenständen zu sein und über diese nach Belieben z. B. durch Veräußerung zu verfügen62. Während sich im Eigentum des Staates Sachen aller Art befinden können, ist der Kreis der Sachen, die sich im Eigentum einer Genossenschaft befinden können, gegenüber dem Staatseigentum eingeschränkt; am engsten ist jedoch gemäß § 54 ZGB 1923 der Kreis der Sachen, die im Eigentum von Privatpersonen stehen können63. Der Umfang des zulässigen Privateigentums war in § 54 ZGB 1923 wie folgt festgelegt: „Gegenstand des Privateigentums können sein: nichtkommunalisierte Gebäude, Handelsunternehmungen, Industrieunternehmungen, die Lohnarbeiter in keiner größeren Zahl als dies in besonderen Gesetzen vorgesehen ist, beschäftigen, Waffen und Produktionsmittel, Gelder, Wertpapiere und sonstige Wertgegenstände, darunter auch Gold- und Silbermünzen und ausländische Valuta, Gegenstände des Hausbedarfs, der Wirtschaft und des persönlichen Gebrauchs, Waren, deren Verkauf gesetzlich nicht verboten ist, und alle Sachen, die vom Privatverkehr nicht ausgeschlossen sind“. Die Rechtsbefugnisse der Eigentümer waren in § 58 ZGB 1923 geregelt: „Dem Eigentümer steht in den gesetzlich festgestellten Grenzen das Recht des Besitzes, der Nutzung und der Verfügung an der Sache zu“. Da das russische Recht die Einteilung in Eigentumsarten vornahm und diejenigen Gegenstände, die im privaten Eigentum stehen konnten, auf den in § 54 ZGB 1923 aufgeführten Umfang beschränkt hatte, konnten Privatpersonen rechtswirksam nur über diesen Kreis von Gegenständen verfügen. Andere Gegenstände, die nicht zu dem Kreis der aufgeführten Objekte gehören, waren hingegen in der Regel vom Privatrechtsverkehr ausgeschlossen, und insoweit fanden die Vorschriften des ZGB 1923 auf sie keine Anwendung. Diese Rechtsfolge ergab sich unmittelbar aus § 20 ZGB 1923: „Eine Sache, die vom bürgerlichen Verkehr ausgeschlossen ist, 60 Die deutsche Übersetzung des ZGB 1923, in Kraft getreten am 1. Januar 1923, ist in seiner ursprünglichen Fassung abgedruckt bei: Freund, Das Zivilrecht Sowjetrusslands, 1924, 115 ff. 61 Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 170, 178. 62 Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 179; Freund, Das Zivilrecht Sowjetrusslands, 1924, 159. 63 Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 179.
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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kann Gegenstand des bürgerlichen Rechts lediglich in den Grenzen sein, in denen dies vom Gesetz ausdrücklich angegeben ist“. Auch wenn § 54 ZGB 1923 den Kreis der Gegenstände, die als Privateigentum zulässig sind, nach der Gesetzeslage noch relativ großzügig abgesteckt hatte, müssen für die Praxis Einschränkungen gemacht werden. Denn Gesetzeslage und Realität fielen von Anbeginn auseinander, und die Schere zwischen den Rechtsvorschriften einerseits und der tatsächlichen Rechtspraxis andererseits wurde mit fortschreitendem Ausbau der sozialistischen Gesellschaft immer größer64. Schon vor Inkrafttreten des ZGB 1923 waren zumindest wertvolle Kulturgüter infolge der russischen Revolution von 1917 weitgehend verstaatlicht, und mit Werken, die dem Markt entzogen sind, konnte auch kein Privatrechtsverkehr mehr stattfinden. Im Verlauf der russischen Revolution von 1917 war die feudale zaristische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung aufgehoben worden, und es wurde mit dem Aufbau des Sozialismus begonnen. Das sowjetische Staatseigentum entstand vor allem in der ersten Zeit von 1917 – 1921 durch Enteignungen der Regierung65. Von den Enteignungen waren auch Kulturgüter erfasst. Sie wurden ihren Eigentümern abgenommen und verstaatlicht. Viele Kunstschätze kamen in einen neu gegründeten nationalen Museumsfonds. Zur Aufbesserung der Finanzen verkaufte die Sowjetunion ferner wertvolle Kunstschätze aus privaten Sammlungen in das westliche Ausland. In der Zeit von 1918 bis 1923 sollen mindestens 10 Millionen Kunstobjekte und Kulturdenkmäler in staatliches Eigentum überführt worden sein66. Als Beispiel für den Umgang mit wertvollem Kulturgut infolge der russischen Revolution von 1917 soll das Schicksal der Kunstsammlungen der beiden russischen Unternehmerfamilien Schtschukin und Morosow aufgezeigt werden. Dank ihres ausgezeichneten Geschmacks, ihrer Weitsichtigkeit, Meisterwerke der europäischen Malerei richtig einzuschätzen und sich neuen Kunstrichtungen zuzuwenden, sowie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse brachten sie vor dem Ersten Weltkrieg in Russland Sammlungen zustande, die u. a. Werke von Matisse und Picasso umfassten. Diese Sammlungen gehörten zu den ersten, die enteignet wurden. Den systematischen Enteignungen gingen die Registrierungen der Werke voraus. Am 15. Februar 1918 erteilte das Präsidium des Moskauer Stadtrates der kurz zuvor gegründeten Kommission zum Schutz der Kunst- und Geschichtsdenkmäler die Weisung, Häuser und Paläste von besonderem Wert in eine Liste aufzunehmen67. Es folgte im Oktober 1918 das u. a. von Lenin unterzeichnete Dekret über die Registrierung, Erfassung und den Schutz von Kunst- und Kulturschöpfungen, die sich im Besitz von Privatpersonen, Gesellschaften und InstituMeder, Das Sowjetrecht, 1971, 171. Jakobs, Eigentumsbegriff und Eigentumssystem des sowjetischen Rechtes, 1965, 60. 66 Volkert, Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg, 2000, 30 f. 67 Kostenewitsch, Russische Sammler französischer Kunst, in: Georg-W. Költzsch (Hrsg.), Morosow und Schtschukin – Die russischen Sammler, 1993, 35 – 137 (121). 64 65
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tionen befinden68. Nach den Verfügungen des Rates der Volkskommissare über die Verstaatlichung der Kunstschätze aus den Zarenpalästen und Klöstern wurde als erste Privatsammlung Sergej Schtschukins Galerie verstaatlicht. Seine Sammlung war ein vorrangiges Ziel des Zugriffs, sodass schon vor der Veröffentlichung des Dekrets zur Erfassung des privaten Kunstbesitzes mit ihrer Registrierung begonnen wurde. Das Dekret über die Nationalisierung wurde in der „Iswestija“ vom 5. November 1918 bekannt gemacht69: „In Anbetracht der Tatsache, dass Schtschukins Kunstgalerie eine außergewöhnliche Sammlung von Werken großer europäischer, vornehmlich französischer Maler ist, die Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind, und dass sie durch ihren hohen Kunstwert für die Volksbildung gesamtstaatliche Bedeutung hat, hat der Rat der Volkskommissare für Bildung verfügt: 1. Sergej Iwanowitsch Schtschukins Kunstsammlung zum staatlichen Eigentum der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetischen Republik zu erklären und sie dem Volkskommissariat für Bildung auf gleicher Basis mit den anderen staatlichen Museen zu unterstellen. . ..“. Nur wenige Wochen später erfolgte die Mitteilung über die Verstaatlichung der Sammlung Morosow zusammen mit den Kollektionen von zwei weiteren Sammlern, die ohne weitere Rechtfertigung durch einen Hinweis auf die Bedeutung für die Volksbildung, wie dies noch bei Schtschukin der Fall war, nur noch lautete: „werden zum Staatseigentum erklärt“70.
d) Verfassung der UdSSR von 1936 Des weiteren wird die Frage der Verkehrsfähigkeit der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter und damit die Frage, ob und inwieweit Dritte an den Kulturgütern gutgläubig Eigentum erwerben konnten, durch die Verfassung der UdSSR von 1936 mitbestimmt. Mit dem Übergang von der Neuen Ökonomischen Politik zur Politik der Verfestigung des Sozialismus wurde die private Betätigungsfreiheit und Vertragsfreiheit noch stärker eingeschränkt. Die bürgerlichen Rechtsverhältnisse zwischen Privatpersonen verloren immer mehr an Bedeutung, und das Zivilrecht, das auf einer Kombination der Grundsätze des Kapitalismus mit den Grundsätzen des Sozialismus beruhte, verwandelte sich in ein rein sozialistisches Zivilrecht71. Zunächst unter Beibehaltung der Regelungen des ursprünglichen ZGB 1923 wurde das Zivilrecht durch wissenschaftliche Auslegung, z. B. die Lehre vom einheitli68 Kostenewitsch, Russische Sammler französischer Kunst, in: Georg-W. Költzsch (Hrsg.), Morosow und Schtschukin – Die russischen Sammler, 1993, 35 – 137 (122 f.). 69 Zitiert nach: Kostenewitsch, Russische Sammler französischer Kunst, in: Georg-W. Költzsch (Hrsg.), Morosow und Schtschukin – Die russischen Sammler, 1993, 35 – 137 (123). 70 Kostenewitsch, Russische Sammler französischer Kunst, in: Georg-W. Költzsch (Hrsg.), Morosow und Schtschukin – Die russischen Sammler, 1993, 35 – 137 (123 f.). 71 Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 171. 72 Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 180.
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chen Eigentumsrecht des Staates und die Lehre vom persönlichen Eigentum, in eine Richtung weiterentwickelt, die zu einer starken Beschränkung des Privateigentums führte. Das private Eigentum reduzierte sich zunehmend auf Gegenstände des persönlichen Bedarfs. An die Stelle der Unterscheidung zwischen den drei Eigentumsarten des Staatseigentums, des genossenschaftlichen Eigentums und des Privateigentums, die der ursprünglichen Fassung des ZGB 1923 zugrunde lag, trat in der ersten Hälfte der 30er Jahre die Differenzierung zwischen Staatseigentum, genossenschaftlichem Eigentum und dem persönlichen Eigentum72. Das persönliche Eigentum war damit an die Stelle des Privateigentums getreten. Diese Rechtsfortbildung fand erst später zum Teil in der Verfassung der UdSSR vom 5. Dezember 1936 bzw. zum größten Teil erst in der Zivilrechtsreform von 1961 – 1965 ihren endgültigen gesetzgeberischen Niederschlag73. Artikel 10 der Verfassung der UdSSR vom 5. Dezember 1936 garantierte nur noch das persönliche Eigentumsrecht und legte als zugelassene Sachen, die im Eigentum von Privatpersonen stehen konnten, fest: „Das persönliche Eigentumsrecht der Bürger an ihren selbsterarbeiteten Einkünften und Ersparnissen, am Wohnhaus und an der häuslichen Nebenwirtschaft, an den Hauswirtschafts- und Haushaltungsgegenständen, an den Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts, ebenso wie das Erbrecht an dem persönlichen Eigentum der Bürger werden durch das Gesetz geschützt“74. Formalrechtlich wurde in der Entstehungsgeschichte des Artikels 10 der Verfassung der UdSSR die Eigentumsgarantie damit erklärt, dass die UdSSR zwar einen schon sozialistischen, aber noch keinen kommunistischen Staat darstelle. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur schließe deshalb Begründung und Anerkennung von Privateigentum nicht aus, vorausgesetzt der Staat überwache strikt die dem Privateigentum gezogenen Grenzen75. Im Hinblick auf die Dreiteilung des Eigentums im sozialistischen Zivilrecht und die Privilegierung des Staatseigentums war nach Artikel 131 der Verfassung der UdSSR jeder Bürger verpflichtet, das Staatseigentum und das genossenschaftlich-kollektivwirtschaftliche Eigentum als heilige und unverletzliche Grundlage der Sowjetordnung, als Quelle des Reichtums und der Macht des Heimatlandes, als Quelle eines wohlhabenden und kulturvollen Lebens aller Werktätigen zu hüten und zu festigen. Personen, die sich am gesellschaftlichen, sozialistischen Eigentum vergriffen, wurden als Feinde des Volkes angesehen. Der geringe Stellenwert, der demgegenüber dem persönlichen Eigentum in der sozialistischen Rechtsordnung noch zukam, wird durch die herausgehobene privilegierte Bedeutung des staatlichen Eigentums ersichtlich.
Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 171 f. Siehe Artikel 10 der Verfassung der UdSSR vom 5. Dezember 1936, in deutscher Übersetzung abgedruckt bei: Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, 1955, 69. 75 Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, 1955, 70. 73 74
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Auch wenn die Verfassung das persönliche Eigentum gewährleistete, so zeigt die Aufzählung in Artikel 10 der Verfassung der UdSSR, dass das zulässige persönliche Eigentum sich auf einen Überrest des privaten Eigentums reduziert hatte, dessen Quelle die eigene Arbeit war76. Die Beschränkung auf Gegenstände des persönlichen Gebrauchs und Verbrauchs bedeutete neben der gegenständlichen Einschränkung auch eine funktionale Eingrenzung auf Sachen, die zur Sicherung der persönlichen Existenz erforderlich sind77. Die diesem Rechtszustand widersprechenden Artikel 5, 54, 55 des ZGB 1923 waren faktisch mit dieser Verfassungswirklichkeit außer Kraft gesetzt, obwohl sie formell nicht aufgehoben wurden78. Da für die Änderung von Sachenrechten das Recht der belegenen Sache maßgebend ist, ist hinsichtlich der kriegsbedingt nach Russland verbrachten Kulturgüter nunmehr zu entscheiden, ob deutsche Eigentümer durch Rechtsgeschäfte Dritter ihr Eigentum an den Werken auf der Grundlage des russischen Zivilrechts in Verbindung mit der Verfassung der UdSSR verloren haben können. Im Hinblick darauf, dass im sozialistischen Recht diejenigen Güter festgelegt und damit eingegrenzt waren, an denen persönliches Eigentum bestehen konnte, ist daher vorab die Frage zu beantworten, ob und inwieweit die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zu diesen Gütern gehörten, an denen persönliches Eigentum möglich war. Denn entscheidend für die Anwendung der russischen Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb ist, ob Privatpersonen mit diesen Kulturgütern überhaupt Rechtsgeschäfte tätigen durften. Waren im Zuge der durch die russische Revolution eingetretenen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zunächst vor allem wertvolle Kulturgüter wie z. B. Sammlungen impressionistischer Maler staatliches Eigentum geworden, so führte der fortschreitende Aufbau des Sozialismus dazu, dass mit der Zeit auch anderes Kulturgut von geringerem Wert seine Verkehrsfähigkeit eingebüßt hatte. Nach der Verfassung der UdSSR von 1936 konnten im persönlichen Eigentum zwar Gegenstände des persönlichen Bedarfs und Komforts stehen. Anders als beispielsweise Lebensmittel und Kleidung gehören Kulturgegenstände aber durchweg nicht zu den Gegenständen, die zwingend benötigt werden, um die persönliche Existenz und den täglichen Lebensbedarf zu sichern. Bei den kriegsbedingt infolge des Zweiten Weltkriegs 1945 – 1948 aus Deutschland nach Russland transportierten Kulturgütern handelte es sich zum großen Teil um wertvolles herausragendes Kulturerbe aus Museen, staatlichen Archiven und Bibliotheken sowie aus namhaften Privatsammlungen. Gemäß der Einteilung des Eigentums in die drei Eigentumsarten gehörten diese Werte damit nicht zu den Sachen des persönlichen Gebrauchs und Verbrauchs, an denen persönliches Eigentum begründet werden konnte. 76 Jakobs, Eigentumsbegriff und Eigentumssystem des sowjetischen Rechtes, 1965, 67 f., 59; Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, 1955, 71. 77 Pfaff, Das sozialistische Eigentum in der Sowjetunion, 1965, 72; Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, 1955, 71. 78 Jakobs, Eigentumsbegriff und Eigentumssystem des sowjetischen Rechtes, 1965, 68.
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Soweit einzelne Objekte, z. B. Kunstgewerbegegenstände oder Bücher, für sich gesehen als Gegenstände des täglichen Bedarfs einzustufen sind, so haben sie die Funktion von Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts und damit ihre Privatnützigkeit in der Regel zumindest dann verloren, wenn diese Objekte Teil einer Sammlung in Deutschland gewesen sind. Gerade der Gesamteindruck, den eine Sammlung bildet, führt dazu, dass die einzelnen Exponate zu einem wichtigen Bestandteil des Ganzen werden und nicht mehr herausgelöst werden können, ohne dass die Sammlung insgesamt Schaden nimmt. Denn das Zusammentragen einer Sammlung stellt in der Regel eine wissenschaftliche Leistung dar und hebt die Summe der Einzelobjekte ungeachtet der Frage, ob jedes einzelne Objekt dazu zählen würde, in den Rang von Kulturgut79. Diese Teile aus einer deutschen Sammlung können folglich auch nicht mehr zu den Gegenständen gehören, die den „Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts“ im Sinne der russischen Verfassung zuzurechnen sind. So ist beispielsweise auch ein weniger wertvolles Exponat aus einem Kunstgewerbemuseum, z. B. eine Vase oder ein Stuhl, kein Gegenstand des persönlichen Bedarfs, wenn es Teil einer Sammlung ist. Bei Kulturgut aus öffentlichen Sammlungen kommt noch ein weiteres Argument hinzu, weshalb diese Werte kein persönliches Eigentum nach russischem Recht sein konnten. Soweit Exponate aus dem Bestand von Museen, Archiven oder Bibliotheken in staatlicher Trägerschaft stammen, war das Kulturgut bereits in Deutschland der persönlichen Nutzung entzogen. Insoweit handelt es sich bei dem Bestand der öffentlichen Einrichtungen um Sachen, die öffentlichen Zwecken dienen, indem sie z. B. im Museum der Allgemeinheit, aber auch zu Forschungs- und Studienzwecken zugänglich gemacht worden sind. Unabhängig vom Wert der Objekte dienten sie mit der Aufnahme in eine öffentliche Einrichtung in Deutschland öffentlichen und nicht mehr privaten Zwecken. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die kriegsbedingt nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter im Allgemeinen von Anfang an in Russland in der Regel nicht zu den Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts im Sinne der sozialistischen Rechtsordnung gehört haben. Die Kulturgüter waren damit von Gesetzes wegen vom privaten Rechtsverkehr ausgeschlossen. Auf die Auswirkung, die dies auf Rechtsgeschäfte hat, die dennoch vorgenommen worden sind, wird nachfolgend eingegangen.
aa) Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung auf der Grundlage des Rechts von 1945 – 1964 Die Ersitzung, d. h. der Erwerb auch von abhanden gekommenen Sachen durch mehrjährigen gutgläubigen Eigenbesitz, wie dies im deutschen Recht in §§ 937 ff. 79 Siehe auch zur Beurteilung einer Käfersammlung als national wertvolles Kulturgut i. S. d. Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. Dezember 1991 – Az: 7 B 89.349.
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BGB geregelt ist, wenn der Ersitzende die Sache 10 Jahre im Eigenbesitz hatte, war in der früheren russischen Gesetzgebung unbekannt. Dies bedeutet, dass Kulturgüter in der sozialistischen Rechtsordnung nicht gutgläubig durch mehrjährigen gutgläubigen Besitz erworben werden konnten.
bb) Sonstiger gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage des Rechts von 1945 – 1964 Das russische Recht kannte zwar den Schutz des gutgläubigen Erwerbs, wenn jemand eine Sache vom Nichtberechtigten erwirbt und der Erwerber den Nichtberechtigten für legitimiert hält, über die Sache zu verfügen. Dies ist der Fall, wenn der Erwerber davon ausgeht, dass der Verkäufer auch der Eigentümer des angebotenen Objektes ist. Dieser Schutz des gutgläubigen Erwerbers war in § 60 ZGB 1923 enthalten: „Von einer Person, die gutgläubig eine Sache nicht unmittelbar vom Eigentümer erworben hat, kann letzterer die Sache nur dann zurückfordern (§ 59 ZGB 1923), wenn sie ihm (dem Eigentümer) verloren gegangen oder ihm entwendet worden ist. Staatliche Anstalten und Unternehmungen können von jedem Erwerber eine Sache, die ihnen gehört und die auf irgendeine Weise ihnen gesetzwidrig weggenommen worden ist, zurückfordern“. Ob und inwieweit die Voraussetzungen der Vorschrift des § 60 ZGB 1923 bei einer Veräußerung von Kulturgut im Einzelfall vorlagen, kann im Grunde aber dahinstehen, denn die Gutglaubensregelung kam überhaupt erst dann zur Anwendung, wenn die Sache dem Privatrechtsverkehr unterlag. Auf andere Sachen, die nicht zu diesen Objekten gehörten und damit vom Privatrechtsverkehr ausgeschlossen waren, fanden insoweit die Vorschriften des ZGB keine Anwendung. Dies erschließt sich bereits aus der Systematik der sozialistischen Eigentumsordnung, ergibt sich aber auch ausdrücklich aus § 20 ZGB 1923, wonach eine Sache, die vom bürgerlichen Verkehr ausgeschlossen ist, nur noch in Ausnahmefällen Gegenstand des bürgerlichen Rechts sein kann. Da Kulturgüter in der Regel vom bürgerlichen Verkehr ausgeschlossen waren, weil sie nicht zu den Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts gehörten, konnten sie im Allgemeinen nicht wirksam ihren Eigentümer wechseln. Daher schied ein gutgläubiger Erwerb bei kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut aus. Der Schutz des guten Glaubens erstreckte sich somit nicht auf die dem Privatrechtsverkehr entzogenen deutschen Kulturgüter. Besitzer von deutschem Kulturgut in Russland können sich also nicht darauf berufen, diese Werte in der Zeit von 1945 bis 1964 erworben oder geerbt zu haben. Soweit tatsächlich einzelne Personen mit Kulturgütern gehandelt haben, so war dies illegal und nicht von der Gesetzeslage gedeckt. Gemäß der Rechtslage, wie sie bis 1964 in Russland bestand, haben die Eigentümer in Deutschland ihre Rechte an den Kulturgütern mangels Verkehrsfähigkeit der Werke im Allgemeinen also nicht verlieren können.
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e) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1964 In den 60er Jahren wurde das russische Zivilrecht neu kodifiziert. Das neue Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (ZGB 1964) trat am 1. Oktober 196480 in Kraft. Vorausgegangen war das Gesetz der UdSSR vom 8. Dezember 1961 über die Grundlagen der Zivilgesetzgebung. Dieses Gesetz von 1961 legte den gesetzlichen Rahmen innerhalb der Sowjetunion fest und gab den Unionsrepubliken die Verpflichtung auf, neue Zivilgesetzbücher zu erlassen81. Die Zivilrechtsreform vom 8. Dezember 1961 verfolgte vor allem den Zweck, ein den veränderten Verhältnissen des Vollsozialismus und des kommunistischen Aufbaus entsprechendes Zivilrecht zu schaffen, indem der rechtliche Überbau an die veränderten Verhältnisse angeglichen wurde82. Die Grundlagen der Zivilgesetzgebung der UdSSR vom 8. Dezember 196183 enthielten eine Präambel, die fast wörtlich mit der Präambel des ZGB 1964 übereinstimmte. Hinsichtlich des Eigentums hatte die Präambel folgenden Wortlaut: „Die Wirtschaftsordnung in der Periode des umfassenden Aufbaus des Kommunismus beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln: dem Staatseigentum (Volkseigentum) und dem genossenschaftlich-kollektivwirtschaftlichen Eigentum. Das genossenschaftlich-kollektivwirtschaftliche Eigentum wird sich seinem Wesen nach allmählich dem Volkseigentum angleichen, bis schließlich ein einheitliches kommunistisches Volkseigentum an den Produktionsmitteln entsteht. Das persönliche Eigentum ist vom sozialistischen abgeleitet und dient als ein Mittel unter anderen, die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen. Je näher der Kommunismus heranrückt, in desto höherem Maße werden die persönlichen Bedürfnisse der Bürger aus gesellschaftlichen Fonds befriedigt werden“. Artikel 93 ZGB 1964 legte die Einteilung des Eigentums in sozialistisches Eigentum und persönliches Eigentum fest. Sozialistisches Eigentum war danach das Staatseigentum (Volkseigentum), das Eigentum der Kolchose und sonstiger genossenschaftlicher Organisationen und ihrer Vereinigungen sowie das Eigentum der gesellschaftlichen Organisationen. Für das persönliche Eigentum galt, dass es als eines der Mittel dazu diente, die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen. Das hierarchisch geordnete System der Eigentumsarten wurde damit beibehalten. Artikel 105 ZGB 1964 legte den Kreis derjenigen Gegenstände fest, an denen persönliches Eigentum möglich war: „Im persönlichen Eigentum der Bürger kann sich Ver80 Die deutsche Übersetzung des ZGB 1964 ist abgedruckt in: Frenzke, Das Zivilgesetzbuch und das Ehe- und Familiengesetzbuch der Russischen Sowjetrepublik (RSFSR), 1988. 81 Meder (Hrsg.), Grundlagen des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts der UdSSR, 1962, 3 f. 82 Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 446 f. 83 Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in: Meder (Hrsg.), Grundlagen des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts der UdSSR, 1962.
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mögen befinden, das zur Befriedigung ihrer materiellen und kulturellen Bedürfnisse bestimmt ist. Jeder Bürger kann persönliches Eigentum haben an Arbeitseinkünften und -ersparnissen, einem Wohnhaus (oder einem Teil desselben) und einer häuslichen Nebenwirtschaft, an Hauswirtschafts- und Haushaltungsgegenständen sowie an Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts. Vermögen im persönlichen Eigentum der Bürger darf nicht zur Erzielung von nichterarbeiteten Einkünften verwandt werden“. Zum persönlichen Eigentum konnte danach zwar auch Vermögen gehören, das zur Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse der Bürger diente. Aus dem Blickwinkel des sozialistischen Weltbildes ging es dabei nicht um Kapitalbildung, wie sie auch durch den Kauf von Kulturgütern erreicht werden kann. Vielmehr sollten die Bürger im Sozialismus u. a. die Möglichkeit haben, z. B. selbst künstlerisch kreativ zu sein, bzw. die finanziellen Mittel besitzen, um beispielsweise Konzerte zu besuchen. Das ZGB 1964 wurde in der Folgezeit mehrfach geändert. Dabei hielt die russische Gesetzgebung nicht Schritt mit den Vorgaben der Unionsgesetze. An die seit 1. Januar 1982 geltende Rechtslage der Sowjetunion angepasst wurde durch Dekret vom 24. Februar 1987 auch der Artikel 105 ZGB 1964 über das persönliche Eigentum, der folgende Fassung erhielt: „Im persönlichen Eigentum der Bürger können sich Gebrauchsgegenstände, Gegenstände des persönlichen Bedarfs und Komforts sowie der häuslichen Nebenwirtschaft, das Wohnhaus und erarbeitete Ersparnisse befinden“. Die Reduktion des privaten Eigentums im ZGB 1964 auf einen engen Kreis von Gegenständen, die Privatpersonen als Eigentum besitzen konnten, entsprach im Grunde schon der Rechtspraxis, wie sie zwar in diesem Ausmaß noch nicht im russischen ZGB 1923, jedoch in der sowjetischen Verfassung von 1936 zum Ausdruck gekommen war. Daher blieb auch nach Inkrafttreten des neuen russischen ZGB 1964 einschließlich der späteren Änderungen die Rechtslage für die kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgüter unverändert. Denn wie sich schon für die Jahre 1945 bis 1964 gezeigt hat, war Kulturgut auch in der Folgezeit ab 1964 im Prinzip kein verkehrsfähiger Gegenstand.
aa) Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung auf der Grundlage des Rechts von 1964 – 1994 Die Möglichkeit der Ersitzung durch gutgläubigen Eigenbesitz war entsprechend dem früheren Recht der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik auch im ZGB 1964 nicht vorgesehen.
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bb) Sonstiger gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage des Rechts von 1964 – 1994 Die Voraussetzungen, unter denen der gutgläubige Erwerber die erworbene Sache behalten konnte, ergaben sich aus Artikel 152 ZGB 1964. In Artikel 152 ZGB 1964 wurde zwar der gutgläubige Erwerber, der die Sache gegen Entgelt erwirbt, geschützt, sofern die Sache nicht verloren gegangen, gestohlen oder sonstwie abhanden gekommen ist. Auf den guten Glauben konnte sich aber nur derjenige berufen, der einen Gegenstand erworben hatte, der auch dem Privatrechtsverkehr unterlag. Dies war bei Kulturgütern nicht der Fall, weil sie grundsätzlich nicht zu den Gegenständen gehörten, an denen die sozialistische Rechtsordnung persönliches Eigentum zuließ84. Da die deutschen kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter nicht verkehrsfähig waren, konnten sie auch nicht gutgläubig erworben werden. Infolgedessen haben die deutschen Eigentümer ihre Rechte in der Zeit von 1964 bis 1994 durch gutgläubigen Erwerb eines Dritten nicht verlieren können. Dies entspricht dem Ergebnis, wie es auch schon für die Zeit von 1945 bis 1964 in dieser Untersuchung festgestellt worden ist85. Der zivilrechtliche Status, mit dem die deutschen Kulturgüter nach dem Krieg auf russisches Gebiet gelangt sind, war daher von dem Augenblick an, wo das Kulturgut auf russisches Gebiet gelangte, bis zum Inkrafttreten des neuen ZGB von 1994 gewissermaßen eingefroren.
f) Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation ab 1995 Mit der dritten Kodifizierung des ZGB86 kam es zu einer grundlegenden Neuordnung infolge der politischen Veränderungen durch Glasnost und Perestroika. Der erste Teil des ZGB vom 21. Oktober 1994 trat am 1. Januar 1995 in Kraft. Die Verfasser des ZGB 1995 orientierten sich an westlichen Vorbildern, vor allem am niederländischen, aber auch am deutschen Zivilrecht, ohne mit der eigenen Rechtstradition vollends zu brechen87. Kannte das sowjetische Recht drei der Rechtsträgerschaft nach unterschiedliche Eigentumsarten, denen jeweils ein bestimmter Umfang möglicher Eigentumsobjekte zugeordnet war, der beim Staatseigentum am umfassendsten und beim persönlichen Eigentum am eingeschränktesten war88, wurde die Privilegierung des staatlichen Eigentums im neuen ZGB 1995 beseitigt. Dabei ist zwar entsprechend der russischen Rechtstradition die Aufgliederung in die drei Eigentumsarten gemäß Artikel 212 ZGB 1995 beibehalten worden. Es gibt danach Siehe dazu die Ausführungen unter: E.III.5.d). Siehe dazu unter: E.III.5.d)bb). 86 Die deutsche Übersetzung des ZGB, Erster Teil, ist abgedruckt in: Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Auflage (1997), 77 ff. 87 Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Auflage (1997), 15. 88 Meder, Das Sowjetrecht, 1971, 179; Jakobs, Eigentumsbegriff und Eigentumssystem des sowjetischen Rechtes, 1965, 68. 84 85
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privates, staatliches und kommunales Eigentum, wobei das private Eigentum entsprechend seiner neuen Bedeutung nunmehr die Reihenfolge im Gesetzestext anführt. In Artikel 213 Absatz 1 ZGB 1995 wird ausdrücklich klargestellt, dass jetzt Eigentum von Bürgern und juristischen Personen an beliebigen Gegenständen bestehen kann. Ausgenommen davon sind bestimmte Arten von Gegenständen, die nach dem Gesetz Bürgern oder juristischen Personen nicht gehören dürfen. Privateigentum ist damit nicht mehr wie zu Zeiten, als die sozialistische Rechtsordnung galt, auf Gegenstände des persönlichen Gebrauchs und Verbrauchs beschränkt, sondern kann im Prinzip an allen Gegenständen, sofern sie nicht ausdrücklich durch Gesetz ausgenommen sind, begründet werden. Diese wesentliche Rechtsänderung hat auch Auswirkung auf Kulturgüter, denn seit dem Inkrafttreten des ZGB 1995 am 1. Januar 1995 ist der privatrechtliche Erwerb von Kulturgütern im Prinzip möglich geworden. Dies gilt insoweit auch für die kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgüter, die mit der Neukodifikation am 1. Januar 1995 verkehrsfähig geworden sind. Einschränkungen hinsichtlich der Veräußerbarkeit und sonstiger Verfügungen über diese Kulturgüter können sich aber daraus ergeben, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Eigentümern in Deutschland abhanden gekommen sind.
aa) Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung auf der Grundlage des Rechts ab 1995 In dem seit 1. Januar 1995 geltenden ZGB 1995 ist der Eigentumserwerb durch Ersitzung geregelt89. Der Erwerb durch Ersitzung tritt nach Artikel 234 Absatz 1 ZGB 1995 ein, wenn der Erwerber den beweglichen Gegenstand fünf Jahre redlich, offen und ununterbrochen als seinen eigenen besessen hat. Der Beginn der Frist für die Ersitzung beginnt bei einer Vindikationslage nicht mit der Inbesitznahme der Sache, sondern später. Wenn nämlich nach Artikel 301 ZGB 1995 ein Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den unrechtmäßigen Besitzer besteht, so beginnt gemäß Artikel 234 Absatz 4 ZGB 1995 die Ersitzungsfrist mit Ablauf der Verjährungsfrist für diesen Anspruch zu laufen90. Nach russischem Recht muss also erst der Herausgabeanspruch des Eigentümers verjährt sein, bevor die Ersitzungsfrist überhaupt beginnen kann. Kann die Verjährungsfrist nicht ablaufen, ist damit auch die Ersitzung ausgeschlossen. Das Föderale Gesetz zur Einführung des ersten Teils des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation enthält Übergangsregelungen für Sachverhalte, die nach dem bis Ende 1994 geltenden Recht noch nicht abgeschlossen waren. Artikel 11 des Föderalen Gesetzes zur Einführung des ersten Teils des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation vom 21. Oktober 199491 bestimmt, dass die Geltung des 89 90 91
Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Auflage (1997), 27. Siehe zur Verjährung des Eigentumsherausgabeanspruchs unter: H.VI.2.c). Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Auflage (1997), 247 ff.
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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Artikels 234 ZGB 1995 (Ersitzung) sich auch auf Fälle erstreckt, in denen der Besitz vor dem 1. Januar 1995 begonnen hat und zur Zeit des Inkrafttretens des ZGB 1995 andauert. Da die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter aber bis zum 1. Januar 1995 im Prinzip nicht verkehrsfähig waren, konnte es bis dahin auch keinen redlichen Eigenbesitzer geben. Zeiten, die vor dem Inkrafttreten des ZGB 1995 liegen, können daher auch nicht auf die Ersitzungszeit des bis dahin im russischen Recht unbekannten Rechtsinstituts der Ersitzung angerechnet werden. Aber auch in Zukunft stehen dem Beginn der Ersitzungsfrist Hinderungsgründe entgegen. Dabei besteht kein Unterschied, ob die Kulturgüter in staatlichem Auftrag mitgenommenen oder privat geplündert worden sind. Bei den in staatlichem Auftrag mitgenommenen Kulturgütern scheidet die Ersitzung schon deshalb aus, weil die Kulturgüter ihre Verkehrsfähigkeit durch Bundesgesetz der Russischen Föderation über die infolge des Zweiten Weltkriegs in die UdSSR verbrachten und im Hoheitsgebiet der Russischen Föderation befindlichen Kulturgüter vom 15. April 199892 wieder verloren haben. Aus Artikel 6 dieses Kulturgütergesetzes ergibt sich zwar, dass die deutschen kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter sich – von Ausnahmen abgesehen – im Eigentum des russischen Staates befinden. Auf russischem Territorium entfaltet dieses Gesetz auch Rechtswirkungen. Die innerrussische Rechtslage ist dabei zu trennen von der Frage, ob und inwiefern gegenüber Deutschland von dem Gesetz Wirkungen ausgehen. Soweit der russische Staat sich durch Gesetz zum Eigentümer der deutschen Kulturgüter erklärt hat, ist dies jedoch ein innerrussischer Vorgang, der im Verhältnis der Völkerrechtssubjekte zueinander unbeachtlich ist. Im Rahmen des deutsch-russischen Kulturabkommens sind damit nur diejenigen Erwerbsvorgänge zu berücksichtigen, die sich aufgrund der zivilrechtlichen Vorschriften in den vertragschließenden Staaten vollzogen haben93. Die ausschließlich innerrussisch wirksamen Enteignungen aufgrund des Kulturgütergesetzes haben indes Auswirkungen auf die Sachenrechtslage nach russischem Zivilrecht. Denn durch das Kulturgütergesetz sind die verstaatlichten Kulturgüter vom Privatrechtsverkehr ausgeschlossen worden. Diese Rechtsfolge wird in der Präambel des Kulturgütergesetzes ausdrücklich benannt, indem als ein Hauptziel, das mit dem Gesetz verfolgt wird, der Schutz dieser Kulturgüter vor Diebstahl, die Verhinderung ihrer illegalen Ausfuhr aus der Russischen Föderation sowie die unrechtmäßige Übergabe an wen auch immer aufgeführt wird. Im Rahmen der Systematik der russischen Rechtsordnung ist eine derartige Herausnahme von Gegenständen aus dem Anwendungsbereich des Zivilgesetzbuches auch ge92 Sammlung der Rechtsvorschriften der Russischen Föderation, 1998, Nr. 16, Artikel 1799. Das Gesetz in der Fassung vom 15. April 1998 ist in deutscher Übersetzung des Auswärtigen Amtes abgedruckt in: AVR, Band 38 (2000), 72 – 84; siehe ausführlich zum Kulturgütergesetz unter: F. 93 Zum Verstoß der russischen Enteignungen gegen den ordre public im Rahmen der bürgerlichen Rechtsbeziehungen, wenn kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter illegal in Deutschland auftauchen, siehe: H.III.
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E. Rückführungsklausel
setzlich zugelassen. Diese Ausnahme ist in Artikel 213 Absatz 1 ZGB 1995 geregelt. Danach kann Eigentum von Bürgern und juristischen Personen an Gegenständen nicht bestehen, die ihnen nach dem Gesetz nicht gehören dürfen. Dies trifft auf die kriegsbedingt nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter zu. Diejenigen Kulturgüter, die dem Kulturgütergesetz unterstehen, dürfen nach diesem Gesetz niemandem privat gehören. Sie können folglich mangels Verkehrsfähigkeit auch von niemandem mehr gutgläubig ersessen werden. Selbst wenn also deutsches Kulturgut aus einem staatlichen Depot gestohlen wird, kann durch Zeitablauf kein gutgläubiger Besitzer daran Eigentum erwerben. Anders als die im staatlichen Auftrag nach Russland verbrachten Kulturgüter sind diejenigen Kulturgüter, die privat geplündert worden sind, zwar nun verkehrsfähig. Denn für die zu privaten Zwecken mitgenommenen Gegenstände gilt das Kulturgütergesetz nicht. Damit sind die russischen Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb auf diese Werte anwendbar. Trotzdem dürfte auch bei diesen Gegenständen bisher keine Ersitzung erfolgt und auch in Zukunft damit nicht zu rechnen sein. Zwar können die Kulturgüter von einem Besitzer, der die Sache gutgläubig besitzt, im Prinzip durch Ersitzung nach Artikel 234 Absatz 1 ZGB 1995 erworben werden. Allerdings beginnt die fünfjährige Ersitzungsfrist bei den privat aus Deutschland geplünderten Kulturgütern gemäß Artikel 234 Absatz 4 ZGB 1995 erst dann zu laufen, wenn der Herausgabeanspruch nach Artikel 301 ZGB 1995 verjährt ist. Es muss danach erst der Herausgabeanspruch des Eigentümers in Deutschland verjährt sein, bevor die Ersitzungsfrist überhaupt zu laufen beginnt. Soweit der Herausgabeanspruch des Eigentümers nach Artikel 196 ZGB 1995 der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, hat indes diese Verjährungsfrist in der Regel noch gar nicht begonnen. Die Verjährungsfrist beginnt gemäß Artikel 200 Absatz 1 ZGB 1995 zu laufen, wenn der Betroffene von der Verletzung seines Rechts erfahren hat oder hätte erfahren müssen. Gerade im Hinblick auf die Kürze der Verjährungsfrist von drei Jahren spricht einiges für eine Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass die Verjährungsfrist erst dann beginnt, wenn der Anspruchsberechtigte auch tatsächlich in der Lage ist, seine Rechte in Russland geltend zu machen94. Dies ist zumeist nicht der Fall, weil die Eigentümer in der Regel nicht wissen, wo sich das zu privaten Zwecken mitgenommene Kulturgut befindet. Folglich ist auch nicht bekannt, gegen wen sich der Herausgabeanspruch richtet. Hat die Verjährungsfrist indes begonnen, weil der Eigentümer über alle Informationen verfügt, um Klage erheben zu können, dann lässt sich die Auffassung vertreten, dass dem Ablauf der Frist ein Hemmungsgrund entgegensteht. Nach Artikel 202 Absatz 1 Nummer 1) ZGB 1995 ist der Ablauf der Frist gehemmt, wenn die Klageerhebung durch höhere Gewalt verhindert wird. Für das Vorliegen eines derartigen Hinderungsgrundes lässt sich anführen, dass der Aufbau eines Justizwesens in Russland mit der gesetzlichen Einführung der neuen bürgerlichen Rechtsord94
Siehe zur Verjährung ausführlicher unter: H.VI.2.c).
III. Der Regelungsgehalt der Rückführungsklausel in Bezug auf Beutekunst
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nung nicht Schritt gehalten hat. Eine an rechtsstaatlichen Maßstäben ausgerichtete Rechtsprechung ist in Russland derzeit nicht vorhanden, und damit liegen für die Eigentümer in Deutschland außerordentliche und unabwendbare Umstände vor, die der Verfolgung ihrer Ansprüche in Russland entgegenstehen95. Erst wenn in Russland auch tatsächlich der Rechtsweg zu generell angemessenen Prozessgebühren eröffnet wird und die Rechtsprechung sich nach Gesetz und Recht richtet, kann die Hemmung der Verjährung entfallen. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass russische Gerichte für sich beanspruchen, dass sie eine funktionierende Rechtspflege garantieren, und nicht eingestehen, willkürlich zu handeln. Da es letztlich um Fragen der Berücksichtigung von Änderungen der Eigentumslage im Rahmen der Auslegung der völkerrechtlichen Rückgabeklausel im Kulturabkommen von 1992 geht, wird aber insoweit nicht die Auffassung der russischen Gerichte maßgebend, sondern ein objektiver Maßstab anzulegen sein.
bb) Sonstiger gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage des Rechts ab 1995 Nach Artikel 301 ZGB 1995 kann der Eigentümer die Herausgabe seines Gegenstandes aus fremdem unrechtmäßigem Besitz verlangen. Im Wege der Veräußerung kann aber ein Dritter nach dem russischem Recht seit 1995 gutgläubig Eigentum auch an Kulturgut erwerben, weil es mit der Neukodifikation des russischen Zivilrechts verkehrsfähig geworden ist. Der ursprüngliche Eigentümer kann eine Sache dann nicht wieder herausverlangen, wenn der Dritte, der vom Nichtberechtigten die Sache erworben hat, gutgläubig gewesen ist. Ist der Erwerber zwar gutgläubig gewesen, aber die Sache ist dem Eigentümer abhanden gekommen, dann kann der Eigentümer die Herausgabe der Sache dennoch verlangen. Dies ergibt sich aus Artikel 302 Absatz 1 ZGB 1995. Dieser Artikel regelt die Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit der Eigentümer die Herausgabe der Sache verlangen kann: „Der Eigentümer kann die Herausgabe von demjenigen verlangen, der den Gegenstand gegen Entgelt von einem nicht zur Veräußerung Berechtigten erworben hat, ohne dass er dessen mangelnde Berechtigung kannte oder kennen konnte (gutgläubiger Erwerber), wenn der Gegenstand dem Eigentümer oder demjenigen, den er zum Besitz berechtigt hatte, verlorengegangen, entwendet worden oder auf sonstige Weise abhanden gekommen war“. Die Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs nach russischem Recht entsprechen weitgehend §§ 932, 935 Absatz 1 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die ebenfalls den gutgläubigen Erwerb dann nicht zulassen, wenn die Sache dem Eigentümer abhanden gekommen ist. Da der Begriff „abhanden gekommen“ sowohl im russischen wie auch im deutschen Recht verwandt wird, dürften die Begriffe in beiden Rechtsordnungen nicht nur in der Wortwahl sondern auch in ihrer Bedeutung übereinstimmen. Dieses übereinstimmende Verständnis, wann eine Sache als abhanden gekommen gilt, ergibt sich 95
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Siehe dazu unter: F.V. und: H.VI.2.c).
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auch aus den Motiven, die zu der Neukodifikation des Zivilrechts in Russland geführt haben. Der russische Gesetzgeber hat ein neues Regelwerk schaffen wollen, wie es in westeuropäischen Staaten anzutreffen ist. Deshalb hat der Gesetzgeber des ZGB 1995 sich am niederländischen und am deutschen bürgerlichen Recht orientiert, indem er diese westlichen Kodifikationen zum Vorbild genommen hat96. Im Folgenden muss, wie dies schon bei der Prüfung der Ersitzung vorgenommen worden ist, unterschieden werden zwischen denjenigen Kulturgütern, die im staatlichen Auftrag mitgenommen worden sind und denjenigen Kulturgütern, die nicht im staatlichen Auftrag mitgenommen worden sind, weil sie für private Zwecke nach Russland gelangt sind. Zunächst soll auf die in staatlichem Auftrag mitgenommenen Kulturgüter eingegangen werden. Die aufgrund der Entscheidung der sowjetischen Besatzungsmacht nach Russland verbrachten Kulturgüter haben durch die Verstaatlichung gemäß Kulturgütergesetz von 1998 ihre allgemeine Verkehrsfähigkeit wieder verloren. Privatpersonen können daher mangels Verkehrsfähigkeit dieser Objekte schon aus diesem Grund nicht darüber verfügen. Dies betrifft Fälle, in denen Kulturgut aus staatlichen Depots früher abhanden gekommen ist bzw. in Zukunft abhanden kommt und nach Inkrafttreten des Kulturgütergesetzes von einem gutgläubigen Dritten gekauft wird. Soweit in der Zeitspanne nach Inkrafttreten des neuen ZGB ab 1995 bis zum Inkrafttreten des innerrussisch zu beachtenden Kulturgütergesetzes von 1998 ein Verkauf stattgefunden hat, so wird ein gutgläubiger Erwerb durch die revidierte Fassung des Kulturgütergesetzes nicht ausgeschlossen. Denn Artikel 6 Absatz 2 des Kulturgütergesetzes, der aufgrund der Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes nachträglich in das Kulturgütergesetz eingefügt worden ist, bestimmt, dass sich das Eigentumsrecht des russischen Staates nicht auf Kulturgüter erstreckt, die auf rechtmäßiger Grundlage Eigentum von natürlichen und juristischen Personen geworden sind. Ein rechtmäßiger Erwerb ist in diesen Fällen aber trotzdem bei den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern nicht möglich, weil dieses Kulturgut seinen Eigentümern zuvor in Deutschland abhanden gekommen ist. Die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter sind in Deutschland ihren Eigentümern abhanden gekommen, auch wenn die Mitnahme aufgrund von Entscheidungen der sowjetischen Besatzungsmacht erfolgt ist. Eine Sache ist nämlich dann abhanden gekommen, wenn der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz ohne seinen Willen verloren hat97. Da die Kulturgüter ohne den Willen der Eigentümer oder ihrer Besitzmittler im Namen der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und von den Trophäenbrigaden aus der sowjetischen Besatzungszone abtransportiert wurden, sind diese Kulturgüter abhanden gekomSolotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Auflage (1997), 15. So für die vergleichbare deutsche Rechtslage: Palandt / Bassenge, BGB, 60. Auflage (2001), § 935 Rdnr. 3; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 607 f. 96 97
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men. Dies betrifft vorliegend die Fälle, in denen Kulturgut von 1995 bis zu den Verstaatlichungen durch das Kulturgütergesetz von 1998 verkehrsfähig war, aus staatlichen Depots verschwunden ist und in dieser Zeitspanne von Privatpersonen veräußert wurde. Ferner sind diejenigen Kulturgüter abhanden gekommen, in denen nicht Personen, sondern der russische Staat selbst von 1995 bis zum Inkrafttreten des Kulturgütergesetzes deutsche Kunstwerke aus seinen Depots veräußert haben sollte. Auch der russische Staat kann Dritten kein Eigentum an diesen Werken verschaffen. Im übrigen dürfte es in diesen Fällen bereits an der Gutgläubigkeit des Erwerbers fehlen, wenn ihm bekannt ist, dass das Kulturgut aus einem staatlichen Beutekunstdepot stammt. Darüber hinaus ist in Betracht zu ziehen, dass der russische Staat sich seit 1998 durch die Verstaatlichung als Eigentümer und damit als Verfügungsberechtigter der Kulturgüter ansieht und sich folglich auch für befugt hält, Kulturgut aus seinen Depots zu veräußern. Aber ungeachtet der zwischenzeitlich erfolgten Vereinnahmung der deutschen Kulturgüter durch das Kulturgütergesetz von 1998 ist für die Frage des zivilrechtlichen Erwerbs durch einen gutgläubigen Dritten auch hier entscheidend, dass die Kulturgüter ihren Eigentümern in Deutschland abhanden gekommen sind. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht dadurch, dass die sowjetische Besatzungsmacht im Grunde befugt gewesen ist, in der von ihr besetzten Zone auch Hoheitsbefugnisse auszuüben. Denn auch wenn in den vorgenannten Konstellationen die deutschen Kulturgüter aufgrund einer staatlichen Anweisung der damaligen Sowjetunion in die Depots gelangt sind, lagen der Wegnahme der Kulturgüter nämlich keine wirksamen Hoheitsakte zugrunde. Zwar sind trotz fehlenden oder entgegenstehenden Willens Sachen dann nicht abhanden gekommen, wenn die Wegnahme durch einen rechtswirksamen, wenn auch anfechtbaren staatlichen Hoheitsakt erfolgt ist. Dieser Hoheitsakt ersetzt in diesen Fällen den fehlenden Willen98. Auch wenn der Hoheitsakt rechtswidrig und damit anfechtbar ist, muss er bis zu seiner Aufhebung respektiert werden. Etwas anders gilt aber, wenn der Hoheitsakt nicht nur rechtswidrig, sondern nichtig ist. Der nichtige Hoheitsakt kann nämlich den Besitzaufgabewillen nicht ersetzen, weil nichtige Maßnahmen keine Rechtswirkungen entfalten. Daher sind Gegenstände, die im Wege nichtiger Beschlagnahmen eingezogen worden sind, nach herrschender Auffassung99 abhanden gekommen. Die Sowjetunion konnte im Prinzip zwar rechtswirksam Hoheitsbefugnisse in der von ihr besetzten Zone ausüben und auch Verwaltungsakte erlassen. Da 98 Müller, Sachenrecht, 4. Auflage (1997), 752 f.; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 610 f.; BGB-RGRK-Pikart, 12. Auflage (1979), § 935 Rdnr. 19. 99 Müller, Sachenrecht, 4. Auflage (1997), 752 f.; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 610 f.; BGB-RGRK-Pikart, 12. Auflage (1979), § 935 Rdnr. 19; Palandt / Bassenge, BGB, 60. Auflage (2001), § 935 Rdnr. 6; a.A.: MünchKomm-Quack, BGB, Band 6, 3. Auflage (1997), § 935 Rdnrn.14, 15.
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Deutschland infolge der Besetzung als Staat nicht aufgehört hatte zu existieren, und die Besatzungsmächte stellvertretend handelten100, galt aber im Prinzip gemäß Artikel 43 HLKO die Rechtsordnung, wie sie im öffentlichen Recht, im Bürgerlichen Gesetzbuch und in Strafrechtsbestimmungen zum Schutz des Eigentums niedergelegt war, weiter. Die militärische Besatzungsmacht hatte insbesondere auch die Gebote und Verbote der HLKO einzuhalten101. Die Besetzung Deutschlands bedeutete, dass die deutsche Staatsgewalt in dem Umfang zurücktrat, indem der besetzende Staat die Regierungsgewalt ausübte102. Demgegenüber stellte die Ausbeutung des kulturellen Erbes einer Nation, wie dies die Sowjetunion in Deutschland durch willkürliche Demontagen und Abtransporte praktizierte, einen verwerflichen und nicht zu rechtfertigenden Missbrauch dar. Denn die Ausübung der Hoheitsbefugnisse steht dem besetzenden Staat nicht grenzenlos, sondern nur in dem Umfang zu, wie es völkerrechtlich anerkannt ist103. Nach Artikel 46 HLKO darf Privateigentum nicht eingezogen werden. Bei der Wegnahme der Kulturgüter wiegt die Verletzung des Völkerrechts besonders schwer, weil dabei nicht nur gegen den zumeist schon in Artikel 46 HLKO normierten Schutz von Privateigentum verstoßen, sondern darüber hinaus gezielt der erweiterte Schutz von Kulturgütern nicht respektiert wird. Über Artikel 56 Absatz 2 HLKO sind Beschlagnahmen von Werken der Kunst und Wissenschaft ausdrücklich untersagt und sollen geahndet werden. Im Gegensatz zu den Enteignungen aufgrund der Bodenreform104 erfolgte auch keine Umverteilung des Eigentums innerhalb der SBZ / DDR. Statt dessen fand der systematisch vorbereitete Abtransport in die Sowjetunion statt. Der den Kulturgütern zukommende ideelle und materielle Wert stand damit der Bevölkerung in Deutschland nicht mehr zur Verfügung. Der Abtransport erfolgte auch, ohne dass eine Möglichkeit bestanden hätte, durch Anfechtung einen Rückgabeanspruch gegen die Sowjetunion geltend zu machen, geschweige denn zu realisieren. Ergänzend kommt hinzu, dass sich die Sowjetunion bei den Verhandlungen zur Herstellung der Einheit Deutschlands zwar die Unumkehrbarkeit der Enteignungen durch die Bodenreform von 1945 bis 1949 zusichern ließ, jedoch darüber hinaus kein Verzicht auf die in der Sowjetunion gelagerten Kulturgüter vereinbart wurde105. Die Maßnahmen der Trophäenbrigaden waren im Grundsatz deshalb mit besonders schwerwiegenden Fehlern behaftet und dies war so offenkundig, dass die Beschlagnahmen in der Regel Brownlie, Principles of Public International Law, 5. Auflage (1998), 107. Siehe dazu unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V. 102 Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, 1914, 95; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 1097. 103 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 16 f., 82, 87, 89; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 1097; Gasser, Schutz der Zivilbevölkerung, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, 168 – 235, (195, 197). 104 Zur Bodenreform in der SBZ: BVerfG, NJW 1991, 1597; BVerfG, NJW 1996, 1666. 105 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Die Vereinigung Deutschlands im Jahre 1990, Verträge und Erklärungen, 1991, 183. 100 101
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nichtig waren106. Da die Beschlagnahmeaktionen der Trophäenbrigaden unwirksame Hoheitsakte darstellen, sind die Kulturgüter, deren Wegnahme derartige Hoheitsakte der sowjetischen Besatzungsmacht zugrunde lagen, in Deutschland abhanden gekommen. Da an abhanden gekommenen Sachen gemäß Artikel 302 ZGB 1995 ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich ist, können die deutschen Eigentümer ihr Eigentum an gutgläubige Erwerber nicht verlieren107. Die zu privaten Zwecken mitgenommenen Kulturgüter, auf die das Kulturgütergesetz keine Anwendung findet, sind ebenfalls ihren Eigentümern in Deutschland abhanden gekommen. Sowjetische Soldaten und sowjetisches Personal der Verwaltung in der SBZ, die Kunstgegenstände mitgenommen haben, um sie in das eigene Vermögen zu übernehmen, haben diese Gegenstände ihren Eigentümern gestohlen. Dies ist auch aus russischer Sicht unbestritten, weil es in diesen Fällen an einer staatlichen Anweisung gefehlt hat. Diese privat geplünderten Gegenstände sind den Eigentümern abhanden gekommen, und an abhanden gekommenen Gegenständen findet nach § 302 Absatz 1 ZGB 1995 kein gutgläubiger Erwerb statt. Abhanden gekommen sind Kulturgüter auch dann, wenn Personen aus eigener Entscheidung Kulturgüter mitgenommen haben, nicht um sie zu behalten, sondern um sie vor Zerstörung zu retten. In diesen Fällen fehlt allerdings die Zueignungsabsicht, und damit entfällt die Strafbarkeit des Verhaltens. Dies wird man bei denjenigen Kulturgütern annehmen können, die von Personen bei der deutschen Botschaft in Moskau abgegeben worden sind, oder in den Fällen, wo in anderer Weise das Bemühen bestand, die Werke wieder nach Deutschland zurückgelangen zu lassen. Als Ergebnis zu den Fragen des gutgläubigen Erwerbs kann festgehalten werden: Die Prüfung, ob und inwieweit Dritte seit der Verbringung der Kulturgüter ab 1945 nach Russland dort gutgläubig Eigentum erworben haben, hat zu dem Resultat geführt, dass grundsätzlich ein Eigentumserwerb Dritter in Russland nicht erfolgt ist und nach derzeitiger Rechtslage auch nicht eintreten kann. Da zivilrechtliche Erwerbungen an dem kriegsbedingt verbrachten Kulturgut in Russland nicht möglich sind, kann Russland bei der Erfüllung der Rückgabeverpflichtung aus Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992 nicht einwenden, dass deutsche Eigentümer zwischenzeitlich ihre Rechtsstellung durch gutgläubigen Erwerb in Russland verloren hätten. Russland muss daher in allen diesen Fällen das Kulturgut an Deutschland zurückgeben. 106 Im Ergebnis so auch der High Court of Justice in London: Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 89, 93 ff.; zur Nichtigkeit von Rechtsnormen der Besatzungsmacht, durch die gegen Artikel 42 bis 56 HLKO verstoßen wird: Schütz, Der internationale ordre public, 1984, 18, 21; a.A.: Schmidt-Jortzig, Rechtsstaatlich angemessener Ausgleich für die sog. „Alt-Eigentümer 1945 / 49“, in: Ipsen u. a. (Hrsg.) Verfassungsrecht im Wandel, 1995, 207 – 230 (210 f.): ein Verstoß gegen Artikel 46 HLKO führe nur zu Schadensersatz, nicht aber zur Nichtigkeit des rechtswidrigen Aktes. 107 Dieser Absatz ist weitgehend zitiert nach: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (541).
F. Inanspruchnahme des deutschen Kulturgutes durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation I. Intention des Gesetzes Durch Bundesgesetz der Russischen Föderation über die infolge des Zweiten Weltkriegs in die UdSSR verbrachten und im Hoheitsgebiet der Russischen Föderation befindlichen Kulturgüter vom 15. April 19981 beansprucht die Russische Föderation deutsches Kulturgut als Eigentum der Russischen Föderation. Mehr als 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs hat Russland damit ein Enteignungsgesetz verabschiedet. Von einigen Ausnahmen abgesehen, legt Artikel 6 des Kulturgütergesetzes fest, dass alle verbrachten Kulturgüter, die in Durchsetzung des Rechts der Sowjetunion auf kompensatorische Restitution2 in die Sowjetunion verbracht wurden, Eigentum der Russischen Föderation sind, sofern sie sich noch auf dem Gebiet der Russischen Föderation befinden. Selbst nach russischem Verständnis scheint bis zum Inkrafttreten des Gesetzes kein Eigentümerwechsel an den nach dem Krieg aus Deutschland in die Sowjetunion verbrachten Kulturgütern eingetreten zu sein. Denn ein Enteignungsgesetz wäre vollständig entbehrlich, wenn in Russland ein ausreichender Konsens über den rechtlichen Status der Beutekunst als Eigentum des russischen Staates bestehen würde. Der russische Gesetzgeber scheint vielmehr selbst davon auszugehen, dass die Eigentümer seinerzeit in der SBZ noch nicht wirksam enteignet worden sind, und möchte dies nun mit dem Kulturgütergesetz nachholen. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die frühere Sowjetunion sich bis in die jüngste Vergangenheit nicht als Eigentümer der Kulturgüter verstanden hat, sind die vorübergehende Verwahrung in Depots getrennt von eigenen Beständen und die teilweise Rückgabe an
1 Sammlung der Rechtsvorschriften der Russischen Föderation, 1998, Nr. 16, Artikel 1799. Das Gesetz in der Fassung vom 15. April 1998 ist in deutscher Übersetzung des Auswärtigen Amtes abgedruckt in: AVR, Band 38 (2000), 72 – 84; in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25. Mai 2000 ist das Gesetz in deutscher Übersetzung abgedruckt bei: Genieva / Michaletz / Werner (Hrsg.), Gesten des guten Willens und Gesetzgebung, 2001, 393 – 410. 2 Ausführlich zu den mit der kompensatorischen Restitution zusammenhängenden Rechtsfragen: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563; Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562; siehe auch: Berger, Die Rückgabe von Beutekunst aus der Russischen Föderation, in: IPRax 2000, 318 – 321; Rossi / Syssoeva, Kulturgüter zwischen russischem Verfassungsrecht und Völkerrecht, in: AVR 38 (2000), 63 – 71.
I. Intention des Gesetzes
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die DDR nach Wiederherstellung der kriegsbeschädigten Museen. Hinzu kommt, dass jahrzehntelang die Existenz weiterer Bestände geleugnet wurde, von denen jetzt mit dem Kulturgütergesetz davon ausgegangen wird, dass sie im Eigentum des russischen Staates stehen. Das Enteignungsgesetz wurde wohl für erforderlich gehalten, um im nachhinein eine rechtliche Basis für den dauerhaften Verbleib der Kulturgüter in Russland zu erhalten, sowie um die Möglichkeit der wirtschaftlichen Verwertung im In- und Ausland zu legitimieren. Die rechtswidrige Mitnahme der Kulturgüter nach dem Krieg in die Sowjetunion und später das vertragswidrige Zurückhalten der Kulturgüter sollten nachträglich mit einer Rechtsgrundlage ausgestattet werden. Der russische Gesetzgeber betrachtet die Regelungen als Selbstentschädigung eigener Verluste durch gleichwertige Kulturgüter des ehemaligen Feindes. In der Präambel des Kulturgütergesetzes sind die Hauptanliegen, die mit dem Gesetz verfolgt werden, festgehalten. Das Hauptziel bildet neben dem Schutz der Kulturgüter vor Diebstahl und der Verhinderung ihrer gesetzwidrigen Ausfuhr „die Schaffung der erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen für den realen Einsatz der genannten Güter zur Teilkompensierung des Schadens, der dem Kulturerbe der Russischen Föderation durch die Ausplünderung und Vernichtung von Kulturgütern in der Zeit des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland und seine militärischen Verbündeten zugefügt wurde“. Ein weiteres Ziel besteht in der Sicherung der Interessen der Russischen Föderation zur Regelung von Streitfragen bei der Einhaltung der Gegenseitigkeit bei Rückgabeverhandlungen. Ferner soll erreicht werden, dass die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter nicht weiter in Depots versteckt werden, sondern sich die eigene Bevölkerung an dem Anblick erfreuen kann und Wissenschaftler ihre Studien betreiben dürfen. Deutlicher ausgesprochen, will der Gesetzgeber erreichen, dass die russische Regierung daran gehindert wird, vereinbarte Rückgaben mit anderen Staaten, vor allem Deutschland, durchzuführen. Mit Übergaben von Kulturgut ohne volle Bezahlung für die langjährige Aufbewahrung, Pflege, den Schutz usw. soll Schluss gemacht werden. Wäre aus Sicht der Duma ein solches Gesetz früher verabschiedet worden, hätten Milliardeneinnahmen in westlichen Währungen als Kompensation für die Rückgabe von Gütern an Deutschland, Frankreich, Polen und andere Länder erzielt werden können. Mit der Verstaatlichung der Kulturgüter in Russland wird daher auch die Erwartung gehegt, durch einen Verkauf u. a. nach Deutschland Einnahmen zugunsten des russischen Staates zu erzielen. Bemerkenswert ist, dass durch das Kulturgütergesetz in seiner Fassung von 1998, bevor es vom russischen Verfassungsgericht überprüft wurde, nicht nur Eigentum des ehemaligen Kriegsgegners Deutschland und seiner Verbündeten, sondern darüber hinaus auch Eigentum aus Ländern erfasst werden sollte, die selbst von Deutschland angegriffen worden waren. Denn in von Deutschland besetzten Ländern wie Frankreich sind Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg widerrechtlich mitgenommen worden. Nach Kriegsende haben dann sowjetische Truppen in dem von ihnen besetzten Teil Deutschlands diese Werke aufgefunden. Es erfolgte ein
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
Weitertransport in die Sowjetunion, anstatt eine Rückgabe an die Eigentümer in den befreiten Staaten vorzunehmen3. Bereits im Januar 1995 hat u. a. die Direktorin des Moskauer Puschkin-Museums Antonowa, die schon 1945 bei der Entgegennahme von Beutekunst mitgewirkt hat, auf einem Symposium in New York um Zustimmung für das beabsichtigte russische Gesetz über die Verstaatlichung der „Beutekunst“ geworben, ist aber stattdessen international auf eine ablehnende Haltung gestoßen4. Die russische Seite bemüht sich aber weiter, international Anerkennung für ihren Standpunkt zu erhalten. Auf einer internationalen Konferenz, die im April 2001 zu den Perspektiven der praktischen Umsetzung des russischen Kulturgütergesetzes in Moskau stattfand, vertrat das russische Kulturministerium klar und deutlich die Auffassung, dass die zum Eigentum Russlands erklärten Kulturgüter eine Teilentschädigung für die im Kriege erlittenen gewaltigen kulturellen Verluste Russlands darstellen würden. Erwartungen hinsichtlich einer großzügigen Auslegung im Rahmen von Rückführungsverhandlungen werden nach den Äußerungen der Konferenz wohl enttäuscht werden müssen, denn die russische Seite hat mitgeteilt, dass Russland streng nach dem Gesetz verfahren werde und keine Spielräume gestatte5.
II. Ausnahmen von der Inanspruchnahme deutschen Kulturgutes Keine Anwendung findet das Gesetz bei Einzelplünderungen bzw. anderweitigen Mitnahmen, die ohne Befehl der militärischen Führung der Sowjetischen Armee und ohne die Verfügung anderer zuständiger Organe der UdSSR vorgenommen worden sind6. Dies wird aus Artikel 4 des Beutekunstgesetzes geschlossen, wo die verbrachten Kulturgüter, die gemäß Artikel 6 des Beutekunstgesetzes zum Eigentum des russischen Staates erklärt werden, definiert sind. Danach gelten als verbracht diejenigen Kulturgüter, die im Wege der kompensatorischen Restitution in das Hoheitsgebiet der UdSSR aus dem Hoheitsgebiet Deutschlands und dessen ehemaliger militärischer Verbündeter auf Befehle der militärischen Führung der Sowjetarmee und der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland oder kraft Anordnung anderer zuständiger Organe der UdSSR verbracht wurden und sich heute im Hoheitsgebiet der Russischen Föderation befinden. Im Umkehrschluss 3 Die vorstehenden Absätze zum Beutekunstgesetz sind weitgehend zitiert nach: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (539 f.). 4 Graw / Weiss, Einleitung in: Knyschewskij, Moskaus Beute, 1995, 10 f. 5 Bericht über die internationale Konferenz am 24. bis 25. April 2001 in Moskau: Syssoeva, Perspektiven der praktischen Umsetzung des russischen Kulturgüterschutzgesetzes, in: AVR 40 (2002), 54 – 63 (56). 6 Boguslavsky, About the Basic Legal Principles of the Russian Law, in: Spoils of War: International Newsletter 4 / 1997, 26 – 29 (27 f.).
II. Ausnahmen von der Inanspruchnahme deutschen Kulturgutes
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müssten die anderen Kulturgüter, die selbst nach Auffassung des russischen Gesetzgebers nicht im Wege der kompensatorischen Restitution in die Sowjetunion gelangt sind, weil kein staatlicher Auftrag zugrunde lag, umgehend nach Deutschland zurückgeführt werden. Das russische Verfassungsgericht hat dies bei seiner Entscheidung 19997 über das Beutekunstgesetz bestätigt, indem es in den Urteilsgründen dargelegt hat, dass diejenigen Kulturgüter, die nicht in staatlichem Auftrag der Sowjetunion, sondern etwa als persönliche Trophäen einzelner Kriegsteilnehmer oder Zivilpersonen mitgenommen worden sind, nicht unter die Wirkung des Beutekunstgesetzes fallen. Der rechtliche Status dieser Kulturgüter, so führt das Verfassungsgericht weiter aus, richtet sich ausschließlich nach dem russischen Zivilgesetzbuch. Aber auch in diesen Fällen, wo kein staatlicher Auftrag vorlag, erfolgt die Rückgabe nicht bzw. sehr zögerlich. Dies betrifft beispielsweise die Rückgabe der sogenannten Baldin-Sammlung und die 101 Bremer Blätter, die beide aus der Bremer Kunsthalle stammen. Das Beutekunstgesetz beansprucht ferner in besonders gelagerten Ausnahmefällen zwar kein Eigentum, regelt aber in diesen Fällen zugleich das Rückgabeverfahren. Ansprüche auf Rückgabe müssen nach Artikel 18 Absatz 1 des Beutekunstgesetzes von der deutschen Regierung gegenüber der Regierung der Russischen Föderation geltend gemacht werden, während Ansprüche natürlicher und juristischer Personen zur Prüfung nicht entgegengenommen werden. Die Anträge auf Rückgabe können gemäß Artikel 8 Absatz 2 des Beutekunstgesetzes erhoben werden für Kunstgegenstände, die Eigentum religiöser Organisationen oder privater Wohltätigkeitseinrichtungen darstellten und ausschließlich zu religiösen oder wohltätigen Zwecken verwandt wurden. Diese Ausnahmevorschrift trifft beispielsweise auf die wertvollen mittelalterlichen Glasfenster der Marienkirche Frankfurt / Oder zu, die nach langen Verhandlungen 2002 nach Frankfurt / Oder zurückgekommen sind8. Eine weitere Ausnahme gilt gemäß Artikel 8 Absatz 3 des Beutekunstgesetzes für Kulturgüter, die Personen gehört haben, denen das Eigentum an diesen Gütern wegen ihres aktiven Kampfes gegen den Nationalsozialismus (Faschismus), auch im Zusammenhang mit einer Beteiligung am nationalen Widerstand gegen die Besatzungsregime der ehemaligen Feindstaaten oder gegen Regime der Kollaboration und (oder) wegen ihrer rassischen, religiösen oder nationalen Zugehörigkeit entzogen wurde. Hierunter fällt in erster Linie Kulturgut, das NS-verfolgungsbedingt entzogen worden ist und später dann bei den nachfolgenden Besitzern aufgefunden und in die Sowjetunion verbracht worden ist.
Zur Entscheidung des russischen Verfassungsgerichts siehe ausführlicher unter: F.III. F.A.Z. vom 5. 5. 2001: Ein Schritt vor, zwei zurück; Märkische Oderzeitung vom 25. 6. 2002: Ein Gläschen auf die Rückkehr; F.A.Z. vom 29. 6. 2002: Fenster der Marienkirche wieder in Frankfurt / Oder. 7 8
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
III. Die Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz 1. Allgemein Das russische Verfassungsgericht hat geprüft, ob und inwieweit das Gesetz verfassungsgemäß ist9. Das Verfahren wurde auf Antrag des Präsidenten der Russischen Föderation Jelzin eingeleitet, gegen dessen Willen das Gesetz verabschiedet worden war10. In Bezug auf Länder, die im Krieg von Deutschland und seinen Verbündeten ganz oder teilweise besetzt waren, sind die Enteignungen für verfassungswidrig gehalten worden. Soweit Kunstschätze deutscher Herkunft zu Eigentum der Russischen Föderation erklärt werden, ist das Gesetz durch Urteil des russischen Verfassungsgerichts vom 20. Juli 1999 bestätigt worden. Die Enteignungen der deutschen Eigentümer sind in dem Urteil als verfassungsgemäß bewertet worden. Da sich das russische Verfassungsgericht zur Rechtfertigung auf internationale Abmachungen und vorrangiges Völkerrecht, insbesondere auf ein Recht zur kompensatorischen Restitution beruft, soll nachfolgend der Argumentation des Gerichtes nachgegangen werden. Das Verfassungsgericht verweist zwar in seinem Urteil zur Rechtfertigung der kompensatorischen Restitution auf eine Vielzahl völkerrechtlicher und anderer Akte. Jedoch erfolgt außer der allgemein gehaltenen Bezugnahme auf verschiedene Rechtsquellen keine konkrete Begründung, aus der sich entnehmen lässt, dass die angeführten Anspruchsgrundlagen auch tatsächlich den behaupteten Anspruch auf das deutsche kriegsbedingt verbrachte Kulturgut stützen11. Eine exakte Subsumtion von Sachverhalten unter eine den Anspruch begründenden Norm oder gar die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Rechtsmeinungen, wie sie für die Rechtspraxis in Deutschland selbstverständlich ist, hat das russische Verfassungsgericht mithin nicht vorgenommen. Das Gericht beschränkt sich vielmehr auf vage Angaben, ohne genau den Inhalt von Anspruchsgrundlagen wiederzugeben, und kommt dann zu dem Resultat, dass Russland das Recht zur kompensatorischen Restitution und somit auf Enteignung der deutschen Kulturgüter besitze. Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang aber nicht allein die genannten Verträge und anderen Akte, die das Verfas9 Das Urteil des Verfassungsgerichtes der Russischen Föderation vom 20. Juli 1999 ist in deutscher Übersetzung abgedruckt bei: Schröder, Wem gehört die Beutekunst? – Zum zweiten Beutekunst-Urteil des russischen Verfassungsgerichts –, in: Osteuropa-Recht 2000, 29 – 56. 10 Schröder, Wem gehört die Beutekunst? – Zum zweiten Beutekunst-Urteil des russischen Verfassungsgerichts –, in: Osteuropa-Recht 2000, 29 – 56 (29). 11 Siehe auch: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (554); Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (561); Rossi / Syssoeva, Kulturgüter zwischen russischem Verfassungsrecht und Völkerrecht, in: AVR 38 (2000), 63 – 71 (67).
III. Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz
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sungsgericht erwähnt, sondern in gleicher Weise diejenigen Regelungen, auf die das Gericht nicht eingegangen ist. Dies sind insbesondere die HLKO, in der der Kulturgüterschutz seinen Niederschlag gefunden hat, sowie die bilateralen Verpflichtungen zur Rückgabe von Kulturgut im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992. Diese Vorschriften werden im Urteil nicht angesprochen und damit auch nicht ausgewertet. 2. Abmachungen der Alliierten in Bezug auf Deutschland a) Abkommen über den Kontrollmechanismus in Deutschland vom 14. November 1944 Das russische Verfassungsgericht stützt sich zunächst auf das Abkommen über den Kontrollmechanismus in Deutschland vom 14. November 1944, das von den Vertretern Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion abgeschlossen worden ist12. Vereinbart wurde im Hinblick auf die bevorstehende Niederlage Deutschlands, dass die Hauptsiegermächte die oberste Autorität in Deutschland jeweils in der eigenen Besatzungszone übernehmen und gemeinsam in Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes betreffen, zuständig sein sollten. Um die Zusammenarbeit der Hauptsiegermächte zu organisieren und die deutsche zentrale Verwaltung zu kontrollieren, wurde als handelndes Organ die Einrichtung des Kontrollrates geschaffen. Eine Legitimation zur Mitnahme von Kulturgut lässt sich aus diesem Abkommen aber weder unmittelbar noch indirekt entnehmen. Rückschlüsse darauf, dass die willkürliche Demontage der Industrieanlagen oder der Abtransport ganzer Museumsbestände, Bibliotheken und Archive gerechtfertigt sein sollte, können aus den getroffenen Absprachen nicht gezogen werden. Denn die vereinbarte Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland durch die Siegermächte bedeutete nicht, dass Deutschland damit in einen Status der Rechtlosigkeit gegenüber den Besatzungsmächten geraten würde. Die Wahrnehmung von Staatsaufgaben und der Besatzungshoheit in den jeweiligen Besatzungszonen sowie die Koordinierung dieser Tätigkeiten zwischen den Besatzungsmächten war vielmehr nur in den Grenzen der allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts, wie sie in Artikel 42 ff. HLKO für die Besetzung ihren Niederschlag gefunden haben, zulässig13. Danach durften die Besatzungsmächte in Deutschland nur Maßnahmen treffen, die der Verwaltung des besetzten Gebietes dienten, und sie hatten dabei gemäß Artikel 43 HLKO, soweit keine zwingenden Hindernisse entgegenstanden, die Gesetze Deutschlands zu beachten. Die Mitnahme 12 Das Abkommen ist abgedruckt in: von Siegler (Hrsg.), Dokumentation zur Deutschlandfrage, 1959, 10 ff. 13 Siehe dazu auch unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V.
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von Kulturgut gehört im Prinzip nicht zur verwaltenden Tätigkeit und war nach Artikel 46, 47 und 56 HLKO verboten. b) Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands vom 5. Juni 1945 Am 7. und 8. Mai 1945 hatte die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert, und am 23. Mai 1945 wurde die letzte Reichsregierung unter Großadmiral Dönitz aufgelöst. Mit der Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands vom 5. Juni 194514, auf die sich das Verfassungsgericht ebenfalls stützt, hatten die vier Hauptsiegermächte Großbritannien, die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und Frankreich die oberste Regierungsgewalt in Deutschland übernommen. Zu den übernommenen Befugnissen gehörten alle Aufgaben der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden. Die Annektierung Deutschlands war, wie ausdrücklich in der Erklärung mitgeteilt wird, mit der Übernahme der Regierungsgewalt und der damit zusammenhängenden Befugnisse nicht verbunden, und sie wäre mit dem Völkerrecht auch nicht in Einklang zu bringen. Die Annexion eines Staates stellt einen einseitigen Akt eines Staates dar, durch den dieser fremdes Staatsgebiet gegen den Willen des betroffenen Staates zu seinem eigenen macht15. Das Verbot, besetztes Staatsgebiet zu annektieren, galt auch zugunsten des Aggressorstaates Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, weil ein derartiger Gebietserwerb durch angegriffene und siegreiche Staaten die Grenzen der zulässigen Selbstverteidigung sprengt16. Infolge der Übernahme der Staatsgewalt durch die Hauptsiegermächte verlor Deutschland zwar vorübergehend seine Handlungsfähigkeit, aber der deutsche Staat als Rechtssubjekt ist nicht untergegangen17. In der Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands wurden die ersten Maßnahmen, wie die Freilassung von kriegsgefangenen Angehörigen der Sieger und die Entwaffnung der deutschen Streitkräfte, mitverfügt. In Artikel 13 Absatz 2 der Erklärung wurden zwar weitere Forderungen, die sich aus der Niederlage Deutschlands ergeben sollten, angekündigt, ohne aber bereits Art und Umfang zu 14 Die Erklärung ist abgedruckt in: von Siegler (Hrsg.), Dokumentation zur Deutschlandfrage, 1959, 25 ff. 15 Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 161 – 265 (209); Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 260; Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 213, 254. 16 H.M.: Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 263 f.; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984), 293 ff., 759; Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 161 – 265 (209). 17 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 144; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984), 232 f.
III. Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz
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präzisieren: „Die Alliierten Vertreter werden Deutschland zusätzliche politische, verwaltungsmäßige, wirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Forderungen auferlegen, die sich aus der vollständigen Niederlage Deutschlands ergeben“. Aus diesen Formulierungen lässt sich zwar durchaus entnehmen, dass Deutschland für die Schäden, die es im Krieg verursacht hat, zu Schadensersatz herangezogen werden würde. Dies war im Prinzip vor dem Hintergrund der Verantwortlichkeit Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg auch legitim. Aber hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung von Art und Umfang der Wiedergutmachung stellt diese Passage keinen Freibrief dar. Vielmehr hatten die Sieger auch bei der weiteren Konkretisierung der Verpflichtung Deutschlands zur Wiedergutmachung die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, wie sie in der HLKO zum Ausdruck kommen, zu beachten18. Vereinbarungen zu Reparationsforderungen sind nach Art und Umfang indes weder im Abkommen vom 14. November 1944 noch in der Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands vom 5. Juni 1945 enthalten. Stattdessen werden dort die besatzungsrechtlichen Befugnisse der Hauptsiegermächte geregelt. Dies lässt darauf schließen, dass das Gericht in den Besatzungsbefugnissen selbst unmittelbar auch die Ermächtigung zur Beschlagnahme von Kulturgut gesehen hat19. Die Beschränkungen, die das Völkerrecht den Besatzungsmächten auferlegt, indem hinsichtlich des kulturellen Erbes des besiegten Feindes die Schonung verlangt wird, sind vom russischen Verfassungsgericht mit keinem Wort erwähnt worden.
c) Die Beschlüsse der Konferenz von Jalta und das Potsdamer Abkommen Das Verfassungsgericht hat sich bei seiner Herleitung des Anspruchs auf das deutsche Kulturgut weder mit den Beschlüssen der Konferenz von Jalta, die vom 3. bis 11. Februar 1945 in Anbetracht der bevorstehenden Niederlage Deutschlands und seiner Verbündeten gefasst wurden, noch mit den Ergebnissen der nach Kriegsende vom 17. Juli bis 2. August 1945 stattgefundenen Potsdamer Konferenz beschäftigt. Dabei wurden gerade in Jalta und Potsdam die Leitlinien der Reparationsforderungen gegen Deutschland und seine Verbündeten festgelegt. Die Rechtsnatur, die den Beschlüssen von Jalta und Potsdam zukommt, ist umstritten. Zum einen wird die Auffassung vertreten, dass es sich nur um unverbindliche moralische Erklärungen der beteiligten Staatsmänner im Sinne von „gentlemen’s agreements“ gehandelt habe20. Andererseits lassen sich die getroffenen Abmachungen als völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen ansehen21. Siehe dazu auch unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V. Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (554). 20 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984), 342. 18 19
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Aber selbst dann, wenn die Hauptsiegermächte miteinander völkerrechtliche Verträge abgeschlossen haben sollten, so kann die Bindungswirkung entsprechend den im Völkerrecht geltenden Grundsätzen nur zwischen den vertragschließenden Staaten, nicht aber zu Lasten Deutschlands eingetreten sein22. Denn das besiegte Deutschland war an den Verhandlungen gar nicht beteiligt und hat auch keine Zustimmung zum Verhandlungsergebnis erteilt23. Doch auch wenn die Vereinbarungen zwischen den Hauptsiegermächten für die Bundesrepublik Deutschland keine Bindungswirkung entfalten, ist es angezeigt, sich mit den Beschlüssen von Jalta und Potsdam zu befassen. Vor dem Hintergrund, dass es später zu einem Friedensvertrag mit Deutschland nicht mehr gekommen ist, lassen sich aus den Beschlüssen, die in Jalta und Potsdam gefasst wurden, ungeachtet von Fragen ihrer Rechtsnatur und Verbindlichkeit Anhaltspunkte dafür liefern, wie sich die Sieger Art und Umfang der Verantwortlichkeit Deutschlands für die eingetretenen Kriegsschäden vorgestellt haben. Jedenfalls lässt sich aus den Absprachen entnehmen, dass zwar über Reparationen verhandelt, aber an die Inanspruchnahme von Kulturgut zu Reparationszwecken nicht gedacht worden ist. Es ist folglich naheliegend, dass sich das russische Verfassungsgericht mit denjenigen Vereinbarungen der Siegermächte auseinandergesetzt hätte, in denen Reparationsforderungen auch tatsächlich behandelt wurden. Wenn dies unterblieben ist, dann ist dies durchaus aufschlussreich. Hätte sich das Gericht nämlich mit den konkreten alliierten Absprachen, die die Wiedergutmachungspflicht Deutschlands geregelt haben, befasst, dann hätte sich unausweichlich herausgestellt, dass die Sieger zwar über Reparationen, die Deutschland leisten sollte, gesprochen und sich dabei auch über die Art und Weise der wegzunehmenden bzw. zu liefernden Gegenstände verständigt haben. Aber die Beuteaktionen der sowjetischen Trophäenbrigaden sind gerade nicht aufgrund von Absprachen mit den anderen Besatzungsmächten erfolgt, sondern weit über das hinausgegangen, was insgesamt von Deutschland als Wiedergutmachung erwartet wurde. Weder in Jalta noch in Potsdam haben die Alliierten Beschlüsse gefasst, wonach Kulturgut als Objekt von Reparationsforderungen angesehen wurde24. Auf der Konferenz in Jalta im Februar 1945 und später auf der Potsdamer Konferenz wurde heftig und mit unterschiedlichen Standpunkten über die Reparationsleistungen verhandelt, die man von Deutschland verlangen könne. Auf der Krimkonferenz trafen die USA, die Sowjetunion und Großbritannien dennoch richtungweisende Vereinbarungen zu Art und Umfang der Wiedergutmachung sowie zum weiteren Verfahren ihrer Festsetzung25. 21 Zum Potsdamer Abkommen: Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 45. 22 Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 1 – 85 (66). 23 Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 1969, 59 f. 24 Ritter, Kulturerbe als Beute?, 1997, 24.
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Gemäß der Übereinkunft auf der Krim sollten vor dem Hintergrund, dass einige Länder wesentlich stärker durch Kriegsschäden belastet waren als andere, in erster Linie diejenigen Länder Schadensersatz erhalten „welche die Hauptlast des Krieges getragen, die schwersten Verluste erlitten und den Sieg über den Feind gestaltet haben“. Da die Sowjetunion besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen war, forderte sie für sich umfangreiche Reparationen ein. Sie schlug zunächst vor, u. a. 80% der deutschen Industrieanlagen, namentlich aus der Eisen- und Stahlindustrie, zu demontieren26. Die sowjetische und die amerikanische Delegation verständigten sich schließlich darauf, die Höhe der Reparationen, die Deutschland auferlegt werden sollte, mit einem Gesamtbetrag von 20 Milliarden Dollar, davon 50% für die Sowjetunion, anzusetzen, und diesen Betrag zur Diskussionsgrundlage der weiteren Verhandlungen in der alliierten Reparationskommission in Moskau zu machen. Dieser Vorschlag stieß aber bei der britischen Delegation nicht auf Zustimmung. Sie lehnte es ab, dass Beträge bei den Besprechungen der Wiedergutmachungsfrage der Moskauer Wiedergutmachungskommission überhaupt genannt wurden27. Über die Höhe der Reparationen und den Aufteilungsschlüssel haben sich die verhandelnden Staaten auf der Krimkonferenz somit nicht geeinigt. Die Arbeit der alliierten Reparationskommission in Moskau wurde später eingestellt, ohne dass die Reparationsfrage gelöst worden war28. Auch wenn sich die Teilnehmerstaaten der Krimkonferenz nicht verbindlich über den Gesamtumfang der Deutschland aufzulegenden Reparationen einigen konnten, so haben sie doch grundlegende Entscheidungen zu der von Deutschland erwarteten Wiedergutmachung getroffen. Zur Art, wie die Wiedergutmachung erfolgen sollte, sind in Jalta drei Formen der Wiedergutmachung vereinbart worden. Wie im Protokoll der Krimkonferenz zur Behandlung der Wiedergutmachungsthematik festgehalten ist, handelte es sich dabei um folgende Reparationsansprüche: a) innerhalb von zwei Jahren Wegschaffungen von deutschem Nationalvermögen wie Einrichtungen, Werkzeugmaschinen, Schiffe, rollendes Material, deutsche Investitionen im Auslande, Aktien der Industrie, Transport- und anderer Unternehmungen in Deutschland, zu dem Zweck der Zerstörung des Kriegspotentials Deutschlands,
25 Das Protokoll der Krimkonferenz betreffend die Wiedergutmachung ist abgedruckt in: von Siegler (Hrsg.), Dokumentation zur Deutschlandfrage, 1959, 13 (19 f.). 26 Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 1969, 32; Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 255. 27 Siehe die Vereinbarung unter Ziffer 4. des Protokolls der Krimkonferenz betreffend die Wiedergutmachung, in: von Siegler (Hrsg.), Dokumentation zur Deutschlandfrage, 1959, 13 (19 f.); sowie: Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 1969, 33; Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 255 f. 28 Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 257.
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b) jährliche Lieferungen von Gütern aus der laufenden Produktion für eine noch festzusetzende Zeitspanne, c) der Einsatz deutscher Arbeitskräfte. Die vorstehende Aufgliederung belegt zugleich, dass Kulturgut nicht als Reparationsobjekt vereinbart wurde, da sich Kulturgut keiner der drei aufgeführten Kategorien zuordnen lässt. So stehen Kulturgüter in keinem Zusammenhang mit den unter Buchstabe a) aufgeführten Gegenständen, die Deutschland pauschal weggenommen werden sollten. Im Rahmen der Entmilitarisierung Deutschlands ging es darum, diejenigen Gegenstände, die der Kriegführung von Nutzen sein konnten, vom deutschen Territorium zu entfernen. Dies trifft auf Kulturgut nicht zu. Mit Kulturgütern lassen sich keine militärischen Zwecke verfolgen und mit ihnen kann dem Gegner keinerlei Schaden und Nachteil im Rahmen der Kriegführung zugefügt werden. Kulturgüter sind vielmehr zum Schutz vor Kriegseinwirkung in Sicherheit gebracht worden, indem sie aus umkämpften Gebieten ausgelagert worden sind. Kulturgüter zählen auch nicht nach Buchstabe b) zu Gütern aus der laufenden Produktion. Die Kunstwerke, die in die Sowjetunion verschwanden, sind keine Objekte aus einer industriellen Fertigung oder andere nach allgemeinen Merkmalen bestimmbare Sachen, die in einer laufenden Produktion hergestellt werden. In ihrer künstlerischen Einzigartigkeit verkörpern sie vielmehr einen Teil des deutschen Kulturerbes. Sie sind in der Regel Unikate und werden nicht am Fließband hergestellt. Werden Kunstgegenstände abtransportiert, dann können sie im allgemeinen nicht durch ein gleichartiges Objekt ersetzt werden. In Ergänzung zu den Vereinbarungen von Jalta wurden die Verhandlungen über die Reparationen auf der Potsdamer Konferenz fortgesetzt. Ungeachtet der Frage, ob das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 überhaupt Bindungswirkung gegenüber Deutschland entfalten konnte, da Deutschland nicht zu den Vertragsparteien gehörte, wurden mit diesem Abkommen keine Vereinbarungen über die Verbringung von deutschem Kulturgut auf das Territorium der siegreichen Staaten getroffen. Ohnedies gehörte die Reparationsfrage in Potsdam zu den umstrittensten Punkten29. Geeinigt hat man sich im Potsdamer Abkommen, dass die Sowjetunion ihre Reparationsansprüche in erster Linie durch Entnahmen aus ihrer Besatzungszone und aus den deutschen Auslandsguthaben befriedigen sollte30. Worin die Reparationen nach Art und Umfang genau bestehen sollten, darüber trifft das Potsdamer Abkommen selbst keine näheren Festlegungen. Der Rahmen hinsichtlich der Art der Leistungen war bereits früher abgesteckt worden. Denn die Beschlüsse von Jalta im Februar 1945 hatten die Objekte festgelegt, die als Wiedergutmachung in Frage kommen sollten. Diese Festlegungen, die vorrangig die Demontage von Industrieanlagen sowie Lieferungen aus der laufenden Produktion betrafen, ließen das kulturelle Erbe Deutschlands völlig unberührt. Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 251, 257. Reparationen aus Deutschland, IV. Kapitel des Potsdamer Abkommens, abgedruckt in: von Siegler (Hrsg.), Dokumentation zur Deutschlandfrage, 1959, 34 (40 – 42). 29 30
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In Potsdam wurden der Sowjetunion außer den Entnahmen aus der eigenen Zone zusätzlich Reparationen aus den westlichen Zonen zugebilligt. Aber auch dieses Zugeständnis beschränkte sich ausdrücklich auf industrielle Ausrüstung, vor allem der metallurgischen, chemischen und Maschinen erzeugenden Industrien. Diese Ergänzung, die auf der Potsdamer Konferenz getroffen wurde, bestätigt, dass die Hauptsiegermächte Kulturgut auch weiterhin nicht in ihren Absprachen über die Reparationen einbezogen haben. Auch wenn im Potsdamer Abkommen das Schicksal des deutschen Kulturgutes einerseits keine Erwähnung findet, so war andererseits in der Praxis der Augenmerk auf genau dieses Kulturgut gerichtet. Denn der Abtransport von deutschem Kulturgut zur Verwendung als Wiedergutmachung durch die Sowjetunion parallel zu den Verhandlungen in Potsdam war bereits in vollem Gange. Andererseits waren auch die USA zu diesem Zeitpunkt durchaus nicht abgeneigt, deutsches Kulturgut in die USA zu verbringen. Über diese Absicht informierte die USA am 1. August 1945 auch den britischen und sowjetischen Außenminister, die sich jedoch beide gegen das amerikanische Vorhaben aussprachen31. Der Befehl zum Abtransport von mindestens zweihundert deutschen Kunstwerken größter Bedeutung in die USA stieß aber auf heftigen Widerstand von in Deutschland stationierten amerikanischen Kunstschutzoffizieren, die in dem Vorhaben eine systematische Plünderung sahen und ihre Ablehnung gegen den Abtransport von Kunstwerken im „Wiesbadener Manifest“ zum Ausdruck brachten32. Sie wiesen im „Wiesbadener Manifest“ insbesondere darauf hin, dass keine historische Kränkung so langlebig sei und so viel gerechtfertigte Verbitterung hervorrufe wie die aus welchem Grunde auch immer erfolgende Wegnahme eines Teils des kulturellen Erbes einer Nation33. Die USA gaben auf Protest der eigenen Öffentlichkeit sowie der in Deutschland stationierten Kunstschutzoffiziere ihre Absicht auf. Damit war der Diskussionsstand über die Verwendung des deutschen Kulturguts als Reparation aber noch nicht beendet, sondern wurde im Alliierten Kontrollrat fortgesetzt.
d) Akte des Alliierten Kontrollrates Akte, die auf der Grundlage der Rechte und der Oberhoheit der Besatzungsmächte in Deutschland von 1945 bis 1949 verabschiedet worden sind, sollen nach Auffassung des russischen Verfassungsgerichtes ebenfalls den Anspruch Russlands auf die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter rechtfertigen können. Wiederum präzisiert das Gericht aber mit keinem Wort, um welche konkreten Vereinbarungen es sich handelt und was im Einzelnen festgelegt worden sein soll. Abgesehen da31
Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991,
120. Farmer, Die Bewahrer des Erbes, 2002, 60 ff. Das Wiesbadener Manifest vom 7. November 1945 ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Farmer, Die Bewahrer des Erbes, 2002, 63. 32 33
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von, dass derartige Vereinbarungen den gewohnheitsrechtlich anerkannten Kulturgüterschutz zugunsten des besiegten Feindes nicht beseitigen können, haben sich nach Fiedler trotz intensiver Nachforschungen keine Anhaltspunkte dafür erbringen lassen, dass der Alliierte Kontrollrat eine generelle Ermächtigung zur Wegnahme des Kulturgutes erteilt haben könnte34. Dabei war die Behandlung von Kulturgut durchaus Gegenstand der Verhandlungen zwischen den Siegermächten, ohne aber dass das vom russischen Verfassungsgericht behauptete Ergebnis erzielt worden wäre. Im Coordinating Comittee of the Allied Control Council wurde die Eignung von Kulturgut zu Reparationszwecken vielmehr kontrovers erörtert35. Während Frankreich sich für einen sehr umfassenden Einsatz von Kulturgut als Wiedergutmachungsleistung einsetzte, waren die USA und England gegen die Verwendung von Kulturgütern zu Reparationszwecken und wollten eine Ausnahme nur im Sinne der restitution in kind für unersetzbare Einzelstücke zulassen. Auch die Sowjetunion sprach sich für eine strikte Begrenzung der restitution in kind auf seltene Einzelstücke aus36. Ungeachtet aller Worte, mit denen die Sowjetunion eine Beschränkung der restitution in kind befürwortete, wurde aber der systematische Abtransport von Kulturgut in die Sowjetunion fortgesetzt. Die Taktik der Sowjetunion, im Grundsatz sich gegen eine Verwendung von Kulturgut zu Reparationszwecken in den Verhandlungen einzusetzen, aber in der Praxis genau das Gegenteil zu tun, ist vor dem Bemühen der Sowjetunion begreiflich, Diskussionen über die Ausbeutung ihrer Besatzungszone zu vermeiden37. Im Alliierten Kontrollrat verständigte man sich bei der Frage der restitution in kind auf einen Kompromiss. Überlegungen unter den Alliierten, für vermisste einzigartige Güter von Deutschland adäquaten Ersatz durch die Lieferung von Exponaten gleicher Art zu verlangen, fanden in der Kontrollratsdirektive vom 21. Januar 1946 zur Behandlung der Frage der Restitutionen Eingang: „Bei Gütern von einmaligem Charakter, deren Rücklieferung unmöglich ist, wird eine besondere Anweisung die Art von Gütern festsetzen, bei denen ein Ersatz in Frage kommt, die Art dieses Ersatzes und die Bedingungen, unter denen diese Güter durch gleichwertige Gegenstände ersetzt werden können“38. Wenn damit der Alliierte 34 Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (55); ders., Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 17: allerdings hat es einzelne Direktiven in Bezug auf Vermögen von Kriegsverbrechern bzw. nationalsozialistischen Einrichtungen gegeben; ferner: Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (261 f.). 35 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 122 – 124; Kurtz, Nazi Contraband, 1985, 136 ff.; Clay, Entscheidung in Deutschland, 1950, 341. 36 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 123; Kurtz, Nazi Contraband, 1985, 136 ff. 37 Siehe auch: Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 123. 38 Abgedruckt bei: von Schmoller / Maier / Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, § 52, 23.
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Kontrollrat eine restitution in kind in Betracht gezogen hat, dann beschränkte sie sich auf Ausnahmen, in denen vermisste seltene Einzelstücke durch gleichartiges Kulturgut aus Deutschland ersetzt werden sollten. Jedoch war mit der Kontrollratsdirektive vom 21. Januar 1946 noch keine endgültige Entscheidung, die den Beginn der restitution-in-kind-Maßnahmen zugelassen hätte, getroffen. Denn dazu erforderte es, wie in der Kontrollratsdirektive ausdrücklich vorausgesetzt, noch der besonderen Anweisung zur Festsetzung der für die restitution in kind bestimmten Gegenstände. Zu dieser besonderen Anweisung ist es aber nicht mehr gekommen39. Widerstände gegen die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens innerhalb der verhandelnden Parteien führten stattdessen dazu, dass Absprachen über die Mitnahme deutschen Kulturgutes nicht mehr erfolgt sind40. Der Versuch Frankreichs, eine spezielle Anweisung für die restitution in kind zu erstellen, scheiterte letztlich am Einwand der USA sowie der Sowjetunion. Der systematische Abtransport ganzer Museumsbestände aus der SBZ, ohne dass eine Zuordnung der mitgenommenen Werte zu entsprechenden Verlusten auf sowjetischer Seite vorgenommen worden ist, ist damit in keiner Weise von Absprachen der Alliierten gedeckt. Das Verfassungsgericht hat seine Angaben wohl deshalb so unpräzise abgefasst, weil es keine Anhaltspunkte für entsprechende Vereinbarungen unter den Besatzungsmächten zur Reparation durch Kulturgüter gibt, sondern vielmehr im Gegenteil die Bedenken seinerzeit in den Verhandlungen überwogen haben. Vor diesem historischen Hintergrund sowie in Anbetracht der Rechtslage, die die Wegnahme von Kulturgut des besiegten Feindes nicht zulässt, hat die Sowjetunion das verbrachte Kulturgut nach der Wegnahme versteckt. Damit hat die Sowjetunion sich nicht offen zu dem Verstoß gegen das Völkerrecht bekennen wollen. Hier liegt ein Unterschied zum russischen Gesetzgeber, der das Beutekunstgesetz von 1998 geschaffen hat, und den Richtern des russischen Verfassungsgerichtes. Beide haben die Scheu, etwas Unrechtes getan zu haben, abgelegt, indem sie das deutsche Kulturgut selbstbewusst als Kulturgut Russlands beanspruchen41.
3. Artikel 107 VN-Charta Das Verfassungsgericht hat seine Argumentation auch auf Artikel 107 der VNCharta gestützt. Die Kriegsgegner Deutschlands und seiner Verbündeten hatten 39 Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (555); Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 123. 40 Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (555); Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 122 – 124, 133, 151; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 164; Körbs, Der internationale Schutz von Kulturgütern – Ein Rückblick –, in: HuV-I 1996, 138 – 148 (148); Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 72 ff. 41 Siehe auch: Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (561).
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1945 die internationale Organisation der Vereinten Nationen (VN) gegründet. Das Ziel war, eine neue Weltfriedensorganisation zu errichten42. Nach Artikel 107 der VN-Charta werden Maßnahmen, welche die hierfür verantwortlichen Regierungen als Folge des Zweiten Weltkriegs in Bezug auf einen Staat ergreifen oder genehmigen, der während dieses Krieges Feind eines Unterzeichnerstaates dieser Charta war, durch diese Charta weder außer Kraft gesetzt noch untersagt. In Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland ist diese sogenannte Feindstaatenklausel jedoch schon deshalb obsolet geworden, da Deutschland 1973 in die VN aufgenommen worden ist. Denn die Generalversammlung hat gemäß Artikel 4 Absatz 2 der VN-Charta am 18. September 1973 den gemeinsamen Beitritt der DDR und der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Die VN-Charta ist am gleichen Tag für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten43. Die Aufnahme eines Staates in die VN setzt voraus, dass der aufzunehmende Staat friedliebend ist. Mit Aufnahme der ehemaligen Feindstaaten in die VN ist deren Feindstaateneigenschaft erloschen, und die Feindstaatenklausel kann gegenüber VN-Mitgliedsstaaten nicht mehr zur Anwendung kommen44. Lediglich für vor der Aufnahme getroffene Kriegsfolgemaßnahmen hat die Klausel fortdauernde Wirkung, und rechtmäßige Maßnahmen können nicht in Frage gestellt werden45. Das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation ist aber erst nach dem Beitritt Deutschlands zur Charta der VN verabschiedet worden. Die Feindstaatenklausel kann schon aus diesem Grund nicht als Legitimation für das Beutekunstgesetz dienen. Darüber hinaus scheidet die Feindstaatenklausel als Rechtsgrundlage aber auch deshalb aus, weil es sich hierbei lediglich um eine Freistellung von den Bindungen der Charta handelt. Hingegen hat Artikel 107 der VN-Charta selbst keine Rechtstitelfunktion. Die Rechtsgrundlagen für die entsprechenden Maßnahmen sind daher außerhalb der Charta zu suchen46. Die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts bleiben dabei zu beachten. Die Charta kann folglich von den Regeln des Völkergewohnheitsrechts zum Schutz von Kulturgut, wie sie in der HLKO zum Ausdruck gekommen sind, keine Befreiung erteilen. Die Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts stehen nicht zur Disposition der Unterzeichnerstaaten der VN-Charta und sie können aus untereinander getroffenen Vereinbarungen Drittstaaten gegen42 Grewe, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991, XXIII, Rdnr. 1, XXXII, Rdnr. 42. 43 Vedder, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991, Artikel 110, Rdnr. 14; Gesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen vom 6. Juni 1973, BGBl. II 1973, 430; Bekanntmachung über das Inkrafttreten der Charta der Vereinten Nationen vom 27. November 1974, BGBl. II 1974, 1397. 44 Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 416 f. 45 Ress, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991, Artikel 107, Rdnrn. 2, 3; Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (561). 46 Ress, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991, Artikel 107, Rdnr. 1; Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (555).
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über keine Rechte herleiten. Vereinbarungen, die zulasten von Drittstaaten getroffen werden, erzeugen für diese nach den Grundsätzen des Völkerrechts nämlich keine Wirkungen47. Den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts widerspricht daher diejenige Auffassung, die annimmt, Artikel 107 der VN-Charta hätte die Unterzeichnerstaaten dazu legitimiert, jedwede Maßnahme einschließlich Gewalt und Drohung gegen den besiegten Feind anzuwenden48. Artikel 107 der VN-Charta liefert also keinen überzeugenden Anhaltspunkt für eine Rechtfertigung der Wegnahme des deutschen Kulturgutes nach dem Krieg, den Abtransport nach Russland 1945 – 1948 und die spätere Enteignung durch das Beutekunstgesetz von 1998.
4. Friedensverträge mit Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Finnland Auch wenn sich das russische Verfassungsgericht auf die Friedensverträge, die 1947 mit Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Finnland abgeschlossen wurden, berufen hat, lassen sich aus diesen Verträgen keine Ansprüche gegenüber Deutschland herleiten. Diese Staaten hatten ursprünglich an der Seite Deutschlands gekämpft und waren später in das Lager der Alliierten hinübergewechselt49. Auch wenn sie sich in den Friedensverträgen als Besiegte behandeln lassen mussten, wurden sie für die, wenn auch teilweise recht späte Abkehr von Deutschland dadurch belohnt, dass sie mit dem zügigen Abschluss dieser Verträge Planungssicherheit in politischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht erlangten. Damit bot sich ihnen frühzeitig die Chance der schnelleren Wiederherstellung normaler Lebensverhältnisse50. In den Friedensverträgen mit Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Finnland finden sich Regelungen, wonach diese Staaten gegenüber den Alliierten und Assoziierten Mächten auf alle Forderungen und Ansprüche verzichten, die unmittelbar durch den Krieg entstanden sind oder aus Maßnahmen herrühren, die aufgrund des Kriegszustandes durchgeführt wurden51. Auf diese Vorschriften in den 47 Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 1 – 85 (66); siehe auch zu den Grenzen der Freistellung in Artikel 107 VN-Charta: Schneider, Die Charter der Vereinten Nationen und das Sonderrecht für die im Zweiten Weltkrieg unterlegenen Nationen (Artikel 53 und 107), 1967, 89 ff. (94). 48 Ausführlich zu den unterschiedlichen Standpunkten: Schneider, Die Charter der Vereinten Nationen und das Sonderrecht für die im Zweiten Weltkrieg unterlegenen Nationen (Artikel 53 und 107), 1967, 89 ff. 49 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 156. 50 Menzel, in: Cornides / Menzel (Hrsg.), Die Friedensverträge von 1947 mit Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Finnland, 1948, 1. 51 Verzichtserklärungen in den Friedensverträgen: Artikel 76 Ziffer 1 (Italien), Artikel 32 Ziffer 1 (Ungarn), Artikel 28 Ziffer 1 (Bulgarien), Artikel 30 Ziffer 1 (Rumänien), Artikel 29 Ziffer 1 (Finnland).
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Friedensverträgen bezieht sich das russische Verfassungsgericht auch gegenüber Deutschland, obwohl mit Deutschland gar kein Friedensvertrag abgeschlossen worden ist. Nach Auffassung des Gerichts hätten die ehemaligen Feindstaaten auf die Rückgabe beschlagnahmten Kulturgutes verzichtet. Das russische Verfassungsgericht geht zur Untermauerung seiner Argumentation davon aus, dass diese Kulturgüter rechtmäßig beschlagnahmt worden sind. Dabei wäre genau die Frage der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmen zu prüfen gewesen. Dies wird einfach unterstellt. Das Gericht verkennt ferner die rechtliche Funktion, die einem Verzicht zukommt. Die Aufgabe von Forderungen setzt nämlich ungeachtet der Frage, wie globale Verzichte des unterlegenen Feindes völkerrechtlich zu bewerten sind, gerade voraus, dass Ansprüche bestehen. Erlassen wird mit einem Verzicht nur die Erfüllung bestehender Ansprüche52. Aus den Verzichtserklärungen, die die früheren Feindstaaten Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Finnland abgeben mussten, lässt sich also keine Rechtfertigung dafür finden, dass die Beschlagnahme und Mitnahme von Kulturgut zulässig war. Neben den allgemeinen Verzichtserklärungen ist die Inanspruchnahme von Kulturgut zu Reparationszwecken in den Friedensverträgen mit Italien, Ungarn und Bulgarien durch restitution-in-kind-Klauseln speziell geregelt53. Nur unter sehr engen Voraussetzungen, die vertraglich festgelegt sind, konnten die Sieger Kulturgut zu Zwecken der Reparation ausnahmsweise verlangen. Hierauf geht das russische Verfassungsgericht in seiner Begründung gar nicht ein. Dabei hätte es wesentlich näher gelegen, den Anspruch auf Kulturgut aus diesen Vorschriften herleiten zu wollen, als sich mit einem Verzicht auf Forderungen auseinander zu setzen. So bestimmt beispielsweise der Friedensvertrag mit Italien in Artikel 75 Ziffer 9: „Wenn es Italien in besonderen Fällen unmöglich ist, Objekte von künstlerischem, historischem oder archäologischem Wert, die zu dem kulturellen Erbe des Mitgliedstaats der Vereinten Nationen gehören, von deren Gebiet diese Objekte durch italienische Streitkräfte, Behörden oder Staatsangehörige mit Gewalt oder Zwang entfernt wurden, zurückzuerstatten, so wird Italien dem in Frage kommenden Mitgliedstaat der Vereinten Nationen den entfernten Objekten gleichartige und annähernd gleichwertige überlassen, soweit derartige Objekte in Italien erhältlich sind“. Die Reparation in Form der restitution in kind kommt danach erst dann in Betracht, wenn ein Kulturgut, das mit Gewalt oder Zwang entfernt worden ist, nicht zurückgegeben werden kann. Bei Kulturgütern, die zurückgegeben werden müssen, obliegt es beispielsweise nach Artikel 75 Ziffer 7 des Friedensvertrages mit Italien aber zunächst der fordernden Regierung, das Eigentum festzustellen und die Eigentumsrechte daran nachzuweisen. Dies bedeutet, dass ein zweistufiges 52 Siehe auch: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (556). 53 Restitution-in-kind-Regelungen mit Italien: Artikel 75 Ziffer 9, Ungarn: Artikel 24 Ziffer 3, Bulgarien: Artikel 22 Ziffer 3; die Verträge mit Rumänien und Finnland enthalten keine restitution-in-kind-Regelung.
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Verfahren eingehalten werden muss: Erst muss der anspruchstellende Staat seine Rechte an einem abhanden gekommenen Kulturgut darlegen. Wenn der Staat, gegen den sich der Herausgabeanspruch richtet, das Kulturgut nicht zurückgeben kann, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer restitution in kind nach Artikel 75 Ziffer 9 des Friedensvertrages mit Italien vorliegen. Kulturgut kann folglich nur in besonders gelagerten Einzelfällen als Ersatz für konkret nachgewiesene Verluste verlangt werden. Dabei erstrecken sich die Ansprüche auf gleichartige und annähernd gleichwertige Kulturgüter. Als weiteres ist dabei erforderlich, dass derartige Ersatzobjekte auch vorhanden sind. Einen pauschalen Verzicht auf ihr Kulturgut, wie das russische Verfassungsgericht unterstellt, haben Italien, Ungarn und Bulgarien somit gerade nicht abgegeben. Es ist stattdessen eine differenzierte restitution-in-kind-Regelung für besonders gelagerte Einzelfälle getroffen worden. Wenn aber in den Friedensverträgen nach dem Zweiten Weltkrieg nur in sehr engen Grenzen Kulturgut zu Reparationszwecken verlangt worden ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass der waggonweise Abtransport deutschen Kulturgutes nicht den Erfordernissen entsprochen haben kann, die die Siegermächte an die restitution in kind gestellt haben. Der Vergleich mit den restitution-in-kind-Regelungen, die mit den ehemaligen Verbündeten Deutschlands getroffenen worden sind, bestätigt vielmehr, dass die Mitnahme kompletter Museumsbestände und privater Sammlungen auch aus der Sicht der Siegermächte nicht rechtmäßig sein konnte. Dies mag auch der Grund sein, weshalb das russische Gericht sich gar nicht erst mit den Regelungen der restitution in kind in den Friedensverträgen befasst hat. Es wäre andernfalls aufgefallen, dass die Definition der kompensatorischen Restitution in Artikel 4 des Beutekunstgesetzes54 diesen Anforderungen nicht entspricht. Denn die kompensatorische Restitution gemäß Artikel 4 des Beutekunstgesetzes stellt nicht auf Ausnahmefälle ab, in denen für den Verlust von wertvollen Objekten die restitution in kind in Frage kommen kann, sondern macht aus der restitution in kind einen Regelfall für Kulturgutverluste. Aber noch etwas Wesentliches hat das russische Verfassungsgericht nicht beachtet, indem es gegenüber Deutschland Rechte aus Verträgen herleiten will, die mit Deutschland gar nicht abgeschlossen worden sind. Denn die Vereinbarungen in den Friedensverträgen von 1947 über einen Verzicht auf Ansprüche sowie über die Durchführung einer restitution in kind wirken nicht gegenüber Deutschland, sondern nur zwischen den Parteien, die diese Verträge unterzeichnet haben. Die restitution-in-kind-Vereinbarungen in den Friedensverträge mit Italien, Ungarn und Bulgarien können Rechte hinsichtlich der auf deutschem Territorium befindlichen Kulturgüter nicht schmälern55. Denn Verträge zulasten Dritter sind völkerrechtlich nicht zulässig56. Aus der Sicht Deutschlands sind die Verträge daher „res inter alios Zur kompensatorischen Restitution ausführlicher unter: F.III.5. Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (254, 264). 54 55
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acta“, sodass Russland daraus ohnedies keine Rechte gegen Deutschland ableiten kann. Der Versuch, mit Friedensverträgen zu argumentieren, die mit anderen Staaten nicht aber mit Deutschland abgeschlossen worden sind, wird folglich von Fiedler als Verlegenheitslösung bezeichnet57. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des ErstRecht-Schlusses. Insoweit ist daran zu denken, dass, wenn schon die ehemaligen Verbündeten Deutschlands, die die Fronten gewechselt hatten, sich zur restitution in kind verpflichten mussten, dies erst recht für Deutschland gelten muss, das den Krieg bis zum Schluss fortgesetzt hatte und zudem zu den Hauptverantwortlichen des Zweiten Weltkrieges zählt. Ein derartiger Erst-Recht-Schluss, dem die Überlegung zugrunde liegt, dass Deutschland andernfalls gegenüber Italien, Ungarn und Bulgarien privilegiert würde, wenn eine restitution in kind nur deshalb nicht abverlangt werden könnte, weil sich die Hauptsiegermächte im beginnenden Kalten Krieg nicht mehr auf den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland verständigen konnten, ist aber nicht statthaft. Denn die Souveränität des deutschen Staates war von den Siegern und zwar von jedem Einzelnen von ihnen zu respektieren, auch wenn diese wegen der internen Meinungsverschiedenheiten zu keiner einvernehmlichen Lösung über das weitere Schicksal Deutschlands gelangt sind. Schadensersatz für die Kriegsschäden, und hierzu gehört die restitution in kind, hätten die Sieger mit Deutschland vereinbaren müssen. Aber selbst wenn man einen Erst-Recht-Schluss zulassen würde, dann beschränkte sich die restitution in kind auf die Wiedergutmachung für konkret nachgewiesene Verluste und wäre auch nur unter der Voraussetzung zu akzeptieren, dass die Ersatzobjekte gegenüber den verloren gegangenen Objekten gleichartig und gleichwertig sind. Ferner müssten diese in Deutschland erhältlich gewesen sein, was zum Beispiel bei wertvollen russischen Ikonen in der Regel nicht der Fall ist. Mit der restitution in kind, wie sie in den Friedensverträgen von 1947 vereinbart worden ist, lässt sich indes der pauschale Abtransport der deutschen Kulturgüter durch die Sowjetunion nicht vergleichen und nicht rechtfertigen58. Das Beutekunstgesetz von 1998 unternimmt auch gar nicht den Versuch, eigene kriegsbedingt eingetretene Verluste aufzulisten und gleichartigen und gleichwertigen in Russland einlagernden deutschen Kulturgütern zu Reparationszwecken zuzuordnen. Vielmehr wird deutsches kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut ungeachtet der Tatsache pauschal beansprucht, dass in der Tauwetterphase des Kalten Krieges in völkerrechtlichen Verträgen 1990 und 1992 die Rückgabe zugesichert wurde. 56 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 36; Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 1 – 85 (66). 57 Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 17 f. 58 So auch: DÁrgent, The Russian Law on Removed Cultural Property: Some International Law Remarks, in: Spoils of War: International Newsletter 4 / 1997, 20 – 26 (25 f.); Långström, „War Trophies“ from World War II in Russia: Robbery or Restitution?, in: FYBIL 9 (1998), 249 – 296 (289 f.); Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (258).
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5. Kompensatorische Restitution als Völkergewohnheitsrecht? a) Begriff der kompensatorischen Restitution Im Beutekunstgesetz ist eine Begriffsbestimmung dessen enthalten, was im Sinne des Gesetzes als kompensatorische Restitution zu verstehen ist. Diese Definition ist von Bedeutung für den Anwendungsbereich des Gesetzes und hat damit Auswirkungen auf den Umfang der enteigneten Objekte. Denn nach Artikel 6 Absatz 1 des Beutekunstgesetzes sind Kulturgüter, die in die UdSSR zur Gewährleistung des Rechts auf kompensatorische Restitution gebracht wurden, bis auf wenige Ausnahmen Eigentum der Russischen Föderation. In Artikel 4 wird zur kompensatorischen Restitution festgelegt: „Für die Zwecke dieses Bundesgesetzes werden folgende hauptsächliche Begriffe verwendet:. . . . Kompensatorische Restitution – Art der materiellen völkerrechtlichen Haftung eines Aggressorstaates, die in Fällen angewandt wird, in denen die Realisierung seiner Haftung in Form einer gewöhnlichen Restitution unmöglich ist, und die in der Verpflichtung dieses Staates besteht, den einem anderen Staat zugefügten materiellen Schaden durch die Übergabe von Gegenständen der gleichen Art an den geschädigten Staat (oder deren Einzug durch den geschädigten Staat zu eigenen Gunsten) wie die geraubten und illegal aus dem Hoheitsgebiet des geschädigten Staates durch den Aggressorstaat ausgeführten Gegenstände zu kompensieren“. Bei der vorstehenden Passage handelt es sich um eine Übersetzung des Auswärtigen Amtes59. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Schwierigkeit, den Text sprachlich und grammatisch nachzuvollziehen, seine Ursache darin hat, dass die russische Fassung entsprechend unübersichtlich und schwer verständlich formuliert worden ist. In gewisser Weise spricht die Begriffsbestimmung aber eine sehr deutliche Sprache, indem Deutschland und seine ehemaligen Verbündeten mehr als fünfzig Jahre nach dem beendeten Zweiten Weltkrieg als Aggressorstaaten tituliert werden. Der russische Gesetzgeber spricht damit deutlich die Sprache des Kalten Krieges. Im Gegensatz dazu steht der außenpolitisch erklärte Wille mit der Vergangenheit abzuschließen und durch gemeinsame Werte ein vereintes Europa zu schaffen, wie dies im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 seinen Ausdruck gefunden hat. Das russische Verfassungsgericht versucht die Rechtfertigung für die kompensatorische Restitution in dem oben dargelegten Sinne aus der schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs erfolgten Anerkennung des Prinzips der völkerrechtlichen Verantwortung des Aggressorstaates, der einen Angriffskrieg entfacht hat, herzuleiten. Gegenüber dieser Argumentation des Gerichtes ist zweierlei auseinander zu halten. Die völkerrechtliche Mitverantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg ist zu trennen von Art, Umfang und Verfahren der sich aus der Verantwortung ergebenden zulässigen Schadensersatzforderungen. Deutschland war zwar für das 59 Das Gesetz in der Fassung vom 15. April 1998 ist in deutscher Übersetzung des Auswärtigen Amtes abgedruckt in: AVR, Band 38 (2000), 72 – 84.
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völkerrechtliche Unrecht, das es begangen hatte, verantwortlich60. Aus der Schuld, die Deutschland zuzurechnen ist, hat sich eine Pflicht zur Wiedergutmachung eingetretener Kriegsschäden durch Erbringung von Geld- und Sachleistungen ergeben. Mit der Aggression Deutschlands durch die Entfachung eines Angriffskriegs ist der Rechtsgrund für die Reparationsschuld entstanden, aber Umfang und Verfahren der Erfüllung hätten durch einen Vertrag mit Deutschland geregelt werden müssen61. Es stand also nicht im freien Belieben des Siegers zu entscheiden, was er dem besiegten Staat und seinen Bewohnern abnimmt. Vielmehr sind die Schranken des Völkergewohnheitsrechts zu beachten, denn auch ein Aggressor ist nicht rechtlos. Selbst wenn er einen Krieg begonnen hat, ist nicht jede Reaktion gerechtfertigt62. Um die im Beutekunstgesetz enthaltene Definition der „Kompensatorischen Restitution“ völkerrechtlich einordnen zu können, spielt die in der Staatengemeinschaft zur Zeit des Zweiten Weltkriegs allgemein anerkannte Unterscheidung zwischen Restitution, restitution in kind und Reparation eine entscheidende Rolle. Daher soll kurz darauf eingegangen werden, wie sich die Begriffe von einander abgrenzen lassen. Während es sich bei der Reparation um Schadensersatz in Form von Geld oder Sachleistungen handelt, erfolgt demgegenüber bei der Restitution die Rückgabe derjenigen Gegenstände, die dem Gegner rechtswidrig entzogen worden sind. Die dem Eigentümer unter Verstoß gegen die HLKO abhanden gekommenen Gegenstände sind bei der Restitution in natura zurückzuerstatten63. Bei der Restitution wird somit der frühere Zustand wieder hergestellt, wie er vor dem schädigenden Ereignis bestanden hat. Von der Restitution zu trennen ist die restitution in kind, wie sie schon im Versailler Vertrag von 191964 und den Friedensverträgen mit Italien, Bulgarien und Ungarn von 194765 enthalten ist und bei der es sich um eine Form der Reparation handelt. Denn es liegt bei der restitution in kind eine Form des Schadensersatzes vor, indem Gegenstände von gleicher Art und von annähernd gleichem Wert als Ersatz für abhanden gekommene geliefert werden müssen66. Der vom russischen Gesetzgeber gewählte Begriff der kompensatori60 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 164; Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (555). 61 Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 164; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 33, 36 f. 62 Siehe dazu ausführlicher auch: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V. 63 Kaufmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen und Grenzen der Restitutionen, in: AöR 75 (1949), 1 – 26 (20 f.); Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 138; Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 37. 64 Siehe dazu unter: A.V. 65 Siehe dazu unter: F.III.4. 66 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 37; siehe auch: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (559).
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schen Restitution ist mit dem Begriff, für den sich im Völkerrecht der englische Ausdruck restitution in kind durchgesetzt hat, zu vergleichen67. Es geht also nachfolgend um den völkerrechtlichen Begriff der restitution in kind, seinen Inhalt und seine Grenzen.
b) Zulässigkeit der kompensatorischen Restitution Ob die kompensatorische Restitution bzw. die restitution in kind bei Kulturgut völkerrechtlich überhaupt zulässig sein kann und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise Kulturgut als Schadensersatz beansprucht werden kann, ist sehr umstritten. Im Hinblick auf den im Völkergewohnheitsrecht anerkannten Schutz von Kulturgut ist die Verwendung dieser Werke zu Reparationszwecken grundsätzlich völkerrechtswidrig. Von dem Verbot, dass Kulturgut des ehemaligen Feindes nicht beschlagnahmt und außer Landes gebracht werden darf, kann es nach Auffassung von Turner68 auch keine Ausnahmen geben. Die Tatsache allein, dass der Versailler Vertrag von 1919 mit Deutschland sowie die Friedensverträge von 1947 mit Italien, Ungarn und Bulgarien Reparationsleistungen in Form von Kulturgütern für konkrete Kulturgutverluste geregelt haben, beweist für sich gesehen noch nicht die völkerrechtliche Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen. Denn de facto kommen Friedensverträge nicht zwischen einander gleichberechtigten Völkerrechtssubjekten, sondern zwischen einem stärkeren Sieger und einem unterlegenen Besiegten zustande. Allerdings setzt das Völkergewohnheitsrecht den Befugnissen des Siegers Grenzen, die der Sieger nicht überschreiten darf, indem er völkerrechtswidrige Absprachen mit dem besiegten Feind erzwingt69. Jedoch kann man auch anderer Ansicht sein und in den Vereinbarungen der Friedensverträge über die restitution in kind den Rahmen abgesteckt sehen, innerhalb dessen die Inanspruchnahme von Kulturgut zu Reparationszwecken völkerrechtlich statthaft ist. Hiervon scheint auch Engstler auszugehen70. Er macht allerdings auf das Problem aufmerksam, dass es Schwierigkeiten bereitet, was unter Kulturgütern der gleichen Art zu verstehen sei. Gerade in der Praxis wird es nicht leicht sein, Objekte zu ermitteln, welche als gleichartiger und gleichwertiger Ausgleich in Frage kommen können. Denn Kunstwerke zeichnen sich gerade durch ihre Einzigkeit aus. Es reicht nach Engstler daher nicht aus, dass beispielsweise ein Gemälde durch ein anderes ersetzt werde, sondern das Ersatzobjekt müsse die gleiche 67 Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (553). 68 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 37 f., 64 f., 133. 69 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 38 f. 70 Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 163.
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Herkunft besitzen wie das verlorene Werk. Falls dies nicht der Fall ist, müsse das Ersatzobjekt zumindest aber in sonstiger Weise dem kulturellen Erbe des anderen Landes angehören, wie dies bei einer langen Verbundenheit mit seiner Geschichte gegeben sei. Wie schon im Zusammenhang mit den Akten des Alliierten Kontrollrates ausgeführt worden ist71, sind bei den Verhandlungen der Hauptsiegermächte im Alliierten Kontrollrat über die von Deutschland zu leistenden Reparationen die Bedenken betreffend die Inanspruchnahme von Kulturgut zu Reparationszwecken erörtert worden, sodass man letztlich ganz davon Abstand genommen hat, Kulturgüter als geeignete Objekte zur Wiedergutmachung zuzulassen72. Dass die Inanspruchnahme von Kulturgut zu Reparationszwecken völkerrechtswidrig sei und gegenüber dem besiegten Deutschland ein unrechtmäßiges Verhalten darstellen würde, war den Siegermächten bewusst. Dies kommt im amerikanischen Standpunkt bei den Verhandlungen deutlich zum Ausdruck: „Wir durften vom deutschen Volk nicht erwarten, dass es Maßregeln verstünde, die es seines Kulturbesitzes beraubten und die der Hitlerpolitik glichen, die wir verurteilten. Es wurde schließlich ein Kompromiss geschlossen, der in besonderen und außergewöhnlichen Fällen den Ersatz verloren gegangener Werke vorsah, obwohl bisher niemand genau sagen konnte, was darunter zu verstehen sei“73. Die für die Durchsetzung des Kompromisses erforderlichen weiteren Absprachen sind jedoch nicht mehr getroffen worden, so dass ein abgestimmtes restitution-in-kind-Programm nicht mehr zustande kam. Zwar hatten Frankreich und andere Staaten in Europa, die nicht zu den Hauptsiegermächten gehörten, eine großzügige restitution-in-kind-Regelung befürwortet. Aber diese Staaten konnten sich in den Verhandlungen nicht durchsetzen, weil sich wegen der Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Vorschläge erheblicher Widerstand regte. Das französische Vorbringen, Ersatz für jedes Kulturgut, das nicht mehr auffindbar war, aus deutschen Beständen zu verlangen, wurde verworfen. Die ablehnende Haltung wurde letztlich auf die praktische Undurchführbarkeit eines restitution-in-kind-Programms gestützt. Denn es sei schwer nachweisbar, was alles nach Deutschland kriegsbedingt verbracht worden und dort verloren gegangen ist. Außerdem erschien es als schwierig, festzustellen, welches Kulturgut aus Deutschland als gleichwertiger Ersatz ausgewählt werden sollte74.
Siehe dazu unter: F.III.2.d). Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (555); Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 122 – 124, 133, 151; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 164; Körbs, Der internationale Schutz von Kulturgütern – Ein Rückblick –, in: HuV-I 1996, 138 – 148 (148); Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 72 ff. 73 Clay, Entscheidung in Deutschland, 1950, 341 f. 74 Clay, Entscheidung in Deutschland, 1950, 341; Kurtz, Nazi Contraband, 1985, 138 f. 71 72
III. Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz
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c) Überkompensation Davon, dass die Alliierten Abstand genommen haben, eine restitution in kind gegenüber Deutschland durchzuführen, bleibt aber die Frage zu trennen, ob sich die restitution in kind unter den engen Voraussetzungen, wie sie im Friedensvertrag des Ersten Weltkrieges mit Deutschland sowie in den Friedensverträgen des Zweiten Weltkrieges mit den ehemaligen Verbündeten Deutschlands geregelt ist, noch im völkerrechtlich zulässigen Rahmen bewegt. Dies lässt sich nicht eindeutig entscheiden, weil hierzu die Meinungen mit jeweils nachvollziehbaren Gründen auseinander gehen. Hier soll daher zugunsten Russlands unterstellt werden, dass eine restitution in kind durchaus zulässig sein könnte. Aber alle Maßnahmen, in denen die Voraussetzungen der bisher vertraglich vereinbarten und durchgeführten restitution in kind nicht eingehalten wurden, sprengen den Rahmen einer zulässigen restitution in kind. Sie sind daher als völkerrechtswidrig einzustufen. Denn von einer allgemeinen Rechtsüberzeugung, Kulturgüter könnten als Wiedergutmachungsleistungen allein deshalb in Frage kommen, weil Deutschland einen Angriffskrieg ausgelöst hat, kann entgegen der Behauptung des russischen Verfassungsgerichts nicht die Rede sein. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Ein dahingehender Brauch, wie er noch in der Antike bestanden hat, Kulturgut als Kriegstrophäe mitzunehmen, hat sich nach dem 30jährigen Krieg zurückgebildet. Als Grundsatz des Völkerrechts ist allgemein anerkannt, dass Kulturgüter dem besiegten Feind nicht weggenommen werden dürfen und Zuwiderhandlungen eine Rückgabepflicht auslösen75. Auf diesem Prinzip beruhten bereits die Rückgabeansprüche gegen Frankreich 1815 nach den napoleonischen Kriegen. Der Grundsatz, dass die Wegnahme von Kulturgut aus dem besetzten Gebiet sowohl während der Fortdauer des Krieges als auch, nachdem sich der Feind endgültig ergeben hat, unzulässig ist, hat sich als Ausdruck einer allgemeinen als Recht anerkannten Übung entwickelt und Eingang in die HLKO gefunden. Der Kulturgüterschutz, wie er seine Ausprägung in den Artikeln 46, 47 und 56 HLKO gefunden hat, ist in der Staatenpraxis völkergewohnheitsrechtlich anerkannt76. Ob es in Einzelfällen im Einklang mit dem Völkerrecht stehen kann, wenn friedensvertraglich vereinbart wird, dass gleichartiger und gleichwertiger Ersatz geleistet werden muss, wenn der Kulturgutverlust besonders herausragende Werte be75 Partsch, Schutz von Kulturgut, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, 306 – 326 (306); Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (139); Fiedler, Zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, 199 – 218 (199, 217); Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 207 f., Fußnote 666; Höhn, Die Verlagerung deutscher Kulturgüter nach dem Zweiten Weltkrieg aus völkerrechtlicher Sicht, in: HuV-I 1995, 26 – 32 (28); Walter, Rückführung von Kulturgut im internationalen Recht, 1988, 78 f. 76 Siehe dazu auch unter: C.II.2., C.III.Ç.IV. und C.V.
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
traf und die Umstände des Verlustes – wie dies im Ersten Weltkrieg auf die Vernichtung der Universitätsbibliothek Löwen zutraf – besonders verwerflich und völkerrechtswidrig gewesen sind, kann bei den kriegsbedingt nach Russland verbrachten Kulturgütern aber dahinstehen. Denn abgesehen davon, dass die restitution in kind vertraglich vereinbart sein muss und allenfalls in engen Grenzen zulässig sein kann, hat die Sowjetunion mit dem waggonweise erfolgten Abtransport deutschen Kulturgutes alle Grenzen überschritten, in denen eine restitution in kind zu Recht praktiziert worden ist77. Mit dem Beutekunstgesetz wird auch gar nicht erst versucht, erfolgte Verstöße gegen das Völkerrecht nachträglich teilweise zu kaschieren. Es wäre daran zu denken, dass eigene russische Verluste mit in Depots verwahrten deutschen Gütern konkret verglichen werden müssen, damit gleichwertige deutsche Objekte ausgewählt werden können, die für die russischen Verluste als Ersatz vorgesehen werden. Diese Forderung stellt das Beutekunstgesetz nicht auf. Dabei soll es selbst nach der russischen Begriffsbestimmung einer kompensatorischen Restitution um Schadensersatz durch Übergabe von Gegenständen gleicher Art für die geraubten und illegal ausgeführten Gegenstände gehen. Insoweit wäre selbst nach russischem Recht eigentlich eine Zuordnung von russischen Verlusten zu gleichwertigen Ersatzobjekten aus Deutschland angezeigt. Das einseitige Behalten der deutschen Kulturgüter, ohne dass eine Zuordnung zu konkreten russischen Kulturgüterverlusten vorgenommen wird, kann indes nicht mehr vom Begriff der restitution in kind gedeckt sein78. Abschließend bleibt zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der kompensatorischen Restitution bzw. zur restitution in kind im Beutekunstgesetz daher festzuhalten, dass sie, wenn überhaupt, nur insoweit zulässig ist, wie die Lieferung eines Kulturgutes zum Schadensausgleich für ein abhanden gekommenes einzigartiges, besonders wertvolles Kulturgut vereinbart wird. Das Ersatzobjekt muss zudem in Art und Wert dem abhanden gekommenen entsprechen. Diese Voraussetzungen werden hinsichtlich der deutschen kriegsbedingt nach Russland verbrachten Kulturgüter in keiner Weise erfüllt. Das Beutekunstgesetz verstößt damit gegen den gewohnheitsrechtlich anerkannten Schutz des Kulturgutes und die entsprechenden Vorschriften der HLKO, die diese völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätze wiederspiegeln. Außerdem steht das Beutekunstgesetz im Widerspruch zu der im deutschsowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 enthaltenen Verpflichtung zur Rückgabe von Kulturgut. Indem die Trophäenbrigaden waggonweise Kulturgut den deutschen Einrichtungen weggenommen und nach Russland abtransportiert haben, sowie indem über 50 77 So auch: Wilske, International Law and the Spoils of War: To the Victor the Right of Spoils?, in: UCLA 3 (1998), 223 – 282 (258). 78 So auch: DÁrgent, The Russian Law on Removed Cultural Property: Some International Law Remarks, in: Spoils of War: International Newsletter 4 / 1997, 20 – 26 (25 f.); Långström, „War Trophies“ from World War II in Russia: Robbery or Restitution?, in: FYBIL 9 (1998), 249 – 296 (290).
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Jahre danach der nicht zwischenzeitlich an die DDR zurückgegebene Teil des Kulturgutes durch das Beutekunstgesetz von 1998 als russisches Eigentum beansprucht wird, hat Russland eine Überkompensation für seine Kriegsschäden vorgenommen. Aber nicht allein dadurch, dass mit der Wegnahme des Kulturgutes für Reparationszwecke völkerrechtlich im Grundsatz ungeeignete Gegenstände nach Russland mitgenommen worden sind, sondern noch aus einem anderen Grund liegt mit der Wegnahme der Werke und der späten Vereinnahmung der auf russischem Territorium verbliebenen deutschen Kulturgüter mit dem Beutekunstgesetz 1998 eine Überkompensation für die in Russland durch den deutschen Angriff eingetretenen Kriegsschäden vor. Denn die Sowjetunion hat nicht nur Kulturgüter, sondern Gegenstände aller Art als Schadensersatz beansprucht. Sie hat im Grunde aus ihrer Besatzungszone an Sachwerten abtransportiert, was ihr nützlich schien. Zwar hatte die Sowjetunion im Februar 1945 auf der Jalta-Konferenz in Verhandlungen mit Churchill und Roosevelt Reparationen durch einmalige Entnahmen und jährliche Warenlieferungen aus der laufenden Produktion im Wert von 10 Milliarden Dollar für sich gefordert79. Diese in Anbetracht der erlittenen Schäden als vergleichsweise moderat einzustufende Forderung80 wurde in der Realität allerdings bei weitem überzogen. Dies ergibt sich aus Auflistungen, in denen festgehalten ist, was die sowjetische Besatzungsmacht wirklich der SBZ / DDR abverlangt hat. Nach Schätzungen des früheren Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen belaufen sich die tatsächlichen Leistungen und Entnahmen aus der SBZ / DDR bis zum offiziellen Verzicht auf weitere Wiedergutmachung Ende 1953 auf einen Wert von 15,80 Milliarden Dollar81. Bei einem Dollarkurs von 4,20 DM / Mark82 (Wert: 1953) ergibt sich damit ein Betrag in Höhe von 66,40 Milliarden DM / Mark. Hinzu kommen noch 16 Milliarden Mark Besatzungskosten bis Ende 1953. Nicht enthalten in der Berechnung sind insbesondere der Wert der Arbeitsleistung deutscher Kriegsgefangener und Spezialisten, die in der Sowjetunion mitgeholfen haben, Kriegsschäden zu beseitigen. Die Sowjetunion erklärte am 22. August 1953 in dem Protokoll über die Einstellung der Erhebung der deutschen Reparationszahlungen und über andere Maßnahmen zur Erleichterung der mit den Folgen des Krieges verbundenen finanziellen und wirtschaftlichen Verpflichtungen der DDR den vollständigen Verzicht auf weitere Reparationen. 79 Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 1969, 32 f.; Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 255 – 257. 80 So: Antoni, Das Potsdamer Abkommen – Trauma oder Chance?, 1985, 257. 81 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), DDR-Handbuch, Band 2, 3. Auflage (1985), Stichwort: „Reparationen“. 82 Deutsche Mark und Mark werden hier mit 1:1 bewertet. Ab 1. Januar 2002 mit Einführung des Euro entspricht der Betrag von 66,40 Milliarden DM einem Wert von circa 33,95 Milliarden Euro.
9 Schoen
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
Das Beutekunstgesetz von 1998 steht zu diesem Reparationsverzicht von 1953 im Widerspruch. Der russische Gesetzgeber versucht die mit dem Beutekunstgesetz vorgenommene Verstaatlichung der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zwar mit einem Recht auf kompensatorische Restitution zu rechtfertigen. Aber da es sich bei der kompensatorischen Restitution um eine Form der Reparation handelt, kann Russland auch im Hinblick auf den 1953 erklärten Reparationsverzicht keine weiteren Ansprüche hinsichtlich der über Jahrzehnte hinweg in Geheimdepots versteckt gehaltenen deutschen Kulturgüter erheben. Die Einstellung der Reparationen trat mit Wirkung zum 1. Januar 1954 in Kraft83. Dennoch kann man nur von einer formalen Beendigung der Reparationsleistungen reden, denn Exporte der DDR in die Sowjetunion wurden auch nach 1953 nicht mit dem tatsächlichen Warenwert angesetzt, sondern waren unterbewertet84. Folgende Leistungen in DM / Mark hat das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen ermittelt85: Verlust an Sach- und Kunstwerten durch Beuteaktionen: Verluste durch Demontagen: (Beispiel: im Mai bis Juni 1945 werden allein 460 Berliner Betriebe demontiert und abtransportiert) Leistungen, die mit erbeuteten Banknoten bezahlt wurden: Leistungen, die mit Besatzungsgeld bezahlt wurden: Warenlieferungen aus der laufenden Produktion, soweit sie über Reparationskonto verrechnet wurden: Nebenkosten der Reparationslieferungen: Stopp-Preissubventionen an deutsche und an zu sowjetischen Aktiengesellschaften erklärte Betriebe (SAG) für Reparationslieferungen: Ausstattung der SAG-Betriebe mit Umlaufmitteln (vor 1950) und Kapitalentzug 1952 / 1953: Rückkauf der SAG-Betriebe:
2,00 Mrd. 5,00 Mrd.
6,00 Mrd. 9,00 Mrd. 34,70 Mrd. 2,85 Mrd.
3,30 Mrd. 1,00 Mrd. 2,55 Mrd.
Zusammen: 66,40 Mrd. DM Dieser Betrag entspricht ungefähr: 33,95 Mrd. Euro
Die o.a. Aufstellung liefert einen Überblick über die wertmäßige Berechnung der Verluste und Leistungen der SBZ / DDR zugunsten der Sowjetunion. In dieser Brodesser, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation, 2000, 64 f. Karlsch, Allein bezahlt?, 1993, 236. 85 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), DDR-Handbuch, Band 2, 3. Auflage (1985), Stichwort: „Reparationen“. Die Aufstellung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen ist nur eine von verschiedenen Untersuchungen über die von der SBZ / DDR getragene Reparationslast. Andere Berechnungen wie z. B. bei Karlsch, Allein bezahlt?, 1993, 228 ff., kommen zu abweichenden Beträgen, die aber ebenfalls höher liegen als die seinerzeit von der Sowjetunion geforderten 10 Milliarden Dollar. 83 84
III. Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz
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Berechnung werden die Verluste an Sach- und Kunstwerten durch Beuteaktionen mit einem Betrag von 2 Milliarden DM veranschlagt. Die Aufstellung enthält aber keine rechtliche Bewertung im Sinne zulässiger Reparationen, auch wenn die Ausführungen unter dem Stichwort: „Reparationen“ abgefasst sind. Insgesamt stellt die Berechnung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen nur eine Bestandsaufnahme der tatsächlich eingetretenen Verluste und Ausgaben dar. So waren seit dem Abtransport der Kulturgüter in die Sowjetunion die damit verbundenen finanziellen Werte nicht mehr in Deutschland vorhanden. Der Vermögensverlust an den Kulturgütern gemäß der Aufstellung ist aber nicht als endgültige Abschreibung aufzufassen, wie auch die teilweise Rückgabe von Kulturgut in den 50er Jahren aus der Sowjetunion an die DDR bestätigt. Die enormen Reparationen an die Sowjetunion werden von Karlsch86 als die höchsten bezeichnet, die im 20. Jahrhundert bekannt geworden sind. Er hält sie mitursächlich für die langsame Erholung der Wirtschaft in der SBZ / DDR87. Im umgekehrten Verhältnis haben in der Sowjetunion indes insbesondere die erheblichen Demontagen von Industrieanlagen aus Deutschland einen wirtschaftlichen Aufschwung begünstigt, sodass die sowjetischrussische Industrieproduktion bis 1952 das Doppelte des Vorkriegsstandes erreichte88. Eine Rechtfertigung für die Verstaatlichung der kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgüter über 50 Jahre nach dem Krieg lässt sich damit auch nicht mit den großen Schäden begründen, die von deutscher Seite durch den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion verursacht worden sind. Wie die zügige Erholung der sowjetischen Wirtschaft bestätigt, sind diese Schäden bereits nicht zuletzt durch die Mitnahme von Wirtschaftsgütern mehr als ausgeglichen worden. Abgesehen davon, dass Kulturgut als Gegenstand einer Reparation gar nicht in Frage kam89, liegt in dieser Überkompensation ein weiterer Missbrauch durch die Sowjetunion als einstiger Siegermacht vor. Denn Reparationen müssen nicht nur nach Art und Inhalt, sondern auch nach dem Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu den angerichteten Schäden stehen90.
6. Die gemeinsame Erklärung der Regierungen der BRD und der DDR vom 15. Juni 1990 Schließlich bezieht sich das Verfassungsgericht auf die gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 15. Juni 1990, die im gemeinsamen Brief vom 12. September 86 87 88 89 90
9*
Karlsch, Allein bezahlt?, 1993, 228 ff. Karlsch, Allein bezahlt?, 1993, 240. Brodesser, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation, 2000, 65. Siehe dazu unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V. Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 1969, 127.
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
1990 anlässlich der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags91 den Außenministern der Sowjetunion, Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten mitgeteilt wurde. Auch wenn die gemeinsame Erklärung die Aussage trifft, dass Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen sind, so erfasst die Erklärung die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter schon deshalb nicht, weil die Enteignungen nicht 1945 bis 1949, sondern erst 1998 durch das russische Kulturgütergesetz vollzogen worden sind. Zwar sind die deutschen Kulturgüter nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion mitgenommen worden. Es fand damit ein Besitzwechsel bei den Werken statt. Mit den Beschlagnahmeaktionen der sowjetischen Siegermacht war aber eine Änderung der Eigentumsverhältnisse nicht verbunden92. Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage haben also gar nicht vorgelegen. Bemerkenswerterweise wird vom russischen Verfassungsgericht bei der Bezugnahme auf die gemeinsame Erklärung auch gar nicht behauptet, dass das Kulturgut damals enteignet worden sei, sondern es spricht nur von der Unumkehrbarkeit von Maßnahmen zur Beschlagnahme von Vermögen aufgrund von Rechten der Besatzungsmächte in Deutschland von 1945 – 1948. Es setzt somit unzulässigerweise Beschlagnahme mit Enteignung gleich. Hinzu kommt, dass die gemeinsame Erklärung sich nur auf diejenigen enteigneten Sachen bezieht, die mit der Wiedererlangung der vollen Souveränität in den Machtbereich des vereinten Deutschlands fallen. Dies sind diejenigen Gegenstände, die sich auf dem Territorium der DDR befanden und für die nach der Wiedervereinigung die rechtliche Möglichkeit bestanden hätte, Änderungen der Eigentumsverhältnisse herbeizuführen. Insoweit bezieht sich die gemeinsame Erklärung vorrangig auf die 1945 bis 1949 in der SBZ durchgeführten Bodenreform und die damit verbundenen Enteignungen der Großgrundbesitzer, nicht aber auf die exterritorial auf russischem Staatsgebiet lagernden Kulturgüter93. Der am 12. September 1990 unterzeichnete Zwei-plus-Vier-Vertrag und die am gleichen Tag den Vertragspartnern brieflich übermittelte gemeinsame Erklärung vom 15. Juni 1990, auf die sich das russische Verfassungsgericht beruft, muss ferner im Zusammenhang mit anderen Vereinbarungen gesehen werden, die parallel dazu abgeschlossen wurden, und die ebenfalls den geänderten politischen Verhältnissen durch Annäherung der beiden Machtblöcke in Ost und West Rechnung truSiehe hierzu auch unter: D.III. Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (556 f.); siehe auch unter: E.III.5.f)bb). 93 Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (556); Dolzer, „Kompensatorische Restitution“?, in: NJW 2000, 560 – 562 (561); Hiller, The GermanRussian Negotiations over the Contents of the Russian Repositories, in: Elizabeth Simpson (Hrsg.), The Spoils of War, 1997, 179 – 185 (184 f.). 91 92
III. Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz
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gen. So haben fast zeitgleich zum Zwei-plus-Vier-Vertrag die Sowjetunion und Deutschland über den deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag verhandelt, der auch die Rückgabeverpflichtung von Kulturgut regelt und im November 1990 unterzeichnet wurde. Indem die Sowjetunion im Nachbarschaftsvertrag von 1990 dem deutschen Staat die Rückgabe von verschollenen oder rechtswidrig verbrachten Kulturgütern und damit insbesondere die Rückgabe aller kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zugesichert hat, wird ersichtlich, dass das Problem der kriegsbedingt in die Sowjetunion verbrachten deutschen Kulturgüter gerade nicht im Rahmen der Verhandlungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages, sondern davon getrennt im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 gelöst werden sollte. Da das russische Verfassungsgericht aber mit keinem Wort auf den deutsch-sowjetischen Nachbarvertrag und die darin enthaltene Sonderregelung für Kulturgut eingegangen ist, ist die rechtliche Prüfung des russischen Verfassungsgerichts auch an dieser Stelle lückenhaft. 7. Die Eigentumsgarantie in der russischen Verfassung Die Enteignungen durch das Kulturgütergesetz müssen sich an der russischen Verfassung von Dezember 1993 messen lassen und sind nur zulässig, wenn sie mit der russischen Verfassung in Einklang stehen. Nach Artikel 8 Absatz 2 und Artikel 35 Absatz 1 der Russischen Verfassung (RV)94 werden in der Russischen Föderation privates, staatliches, kommunales Eigentum sowie andere Formen des Eigentums gleichermaßen anerkannt und geschützt. Gemäß Artikel 35 Absatz 3 RV darf niemandem sein Vermögen entzogen werden, es sei denn auf Grund einer Gerichtsentscheidung. Eine Zwangsenteignung für staatliche Bedürfnisse darf nur durchgeführt werden, wenn dafür vorab gleichwertige Entschädigung geleistet wird. Darüber hinaus dürfen nach Artikel 55 Absatz 2 RV keine Gesetze erlassen werden, die die Rechte und Freiheiten des Menschen und des Bürgers aufheben oder schmälern. Einschränkungen nach Artikel 55 Absatz 3 RV sind durch Bundesgesetz nur in dem Maße zulässig, wie dies zum Schutz der Grundlagen der Verfassungsordnung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen anderer sowie zur Gewährleistung der Verteidigung des Landes und der Staatssicherheit notwendig ist. Gemäß Artikel 62 Absatz 3 RV haben im Grundsatz auch ausländische Staatsbürger, also auch Deutsche, in Russland die gleichen Rechte und Pflichten wie die Bürger der Russischen Föderation. Damit müssten eigentlich auch die deutschen Eigentümer unter Berufung auf die russische Verfassung die Respektierung und die Herausgabe ihres Eigentums beanspruchen können. Denn die russische Verfassung schützt auch ihr Eigentum und sieht die Enteignung nur bei staatlichem Bedürfnis gegen Entschädigung vor. Zwar sind nach Artikel 62 Absatz 3 RV auch Beschränkungen zulasten von ausländischen Staatsbürgern durch 94 Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 in deutscher Übersetzung: www.constitution.ru / de
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
Bundesgesetz oder durch einen völkerrechtlichen Vertrag zulässig. Aber wie das russische Verfassungsgericht festgestellt hat, können diese Beschränkungen nicht willkürlich festgelegt werden, sondern müssen in Einklang mit Artikel 55 Absatz 3 RV stehen und sind daher nur unter den dort aufgeführten engen Voraussetzungen zulässig. Den hohen Stellenwert, den das private Eigentum nach der russischen Verfassung genießt, hat das Beutekunstgesetz jedoch nicht beachtet, indem die deutschen Eigentümer durch dieses Gesetz enteignet worden sind. Das russische Verfassungsgericht hat den Rang verkannt, den die russische Verfassung dem Grundrecht auf Eigentum zumisst. Das russische Verfassungsgericht bekennt sich zwar zur Eigentumsgarantie gemäß der russischen Verfassung. Es kommt aber gleichwohl für die kriegsbedingt aus Deutschland verbrachten Kulturgüter zu dem Ergebnis, dass die Enteignung deshalb rechtmäßig sei, weil bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit auch die Grundlagen, weshalb sich die Gegenstände in Russland befinden, bei der Auslegung des Rechts mit zu berücksichtigen seien. Nun fehlt es bereits, wie schon dargelegt worden ist95, an einer Rechtsgrundlage, die die Mitnahme des deutschen Kulturgutes nach dem Krieg auf sowjetisches Territorium rechtfertigen konnte. Stattdessen verbietet das Völkergewohnheitsrecht die Mitnahme von Kulturgut96. Ferner stehen die bilateralen Absprachen zur Rückführung gemäß deutsch-sowjetischem Nachbarschaftsvertrag von 1990 und deutsch-russischem Kulturabkommen von 1992 den Enteignungen entgegen. Aber selbst wenn die Voraussetzungen für eine Enteignung vorliegen würden, wäre nach Artikel 35 Absatz 3 RV die Enteignung nur gegen Entschädigung zulässig. Denn nach Artikel 35 Absatz 3 RV dürfen Zwangsenteignungen für staatliche Bedürfnisse nur bei vorheriger und gleichwertiger Entschädigung durchgeführt werden. Entschädigungslose Enteignungen, wie sie mit dem Beutekunstgesetz erfolgt sind, lässt das russische Verfassungsrecht gar nicht zu. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht deshalb, weil sich das Verfassungsgericht auf Akte beruft, die vor dem Inkrafttreten der Russischen Verfassung liegen. Denn zum einen sind die Enteignungen des Beutekunstgesetzes von 1998 erst nach Inkrafttreten der Verfassung von 1993 erfolgt, und zum anderen werden Gesetze und sonstige Rechtsakte, die vor dem Inkrafttreten der Verfassung gegolten haben, gemäß den Schluss- und Übergangsbestimmungen der Verfassung nur dann weiter angewandt, wenn sie der Verfassung der Russischen Föderation nicht widersprechen. Dies bedeutet nichts anderes, als dass sich das Verfassungsgericht nicht auf frühere Rechtsakte berufen kann, wenn sie aus heutiger Sicht gegen die Eigentumsgarantie verstoßen würden.
95 96
Siehe dazu unter: F.III.2.a) – F.III.5.c). Siehe dazu unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V.
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8. Vorrang des Völkerrechts und der völkerrechtlichen Verträge nach der Russischen Verfassung Nach Artikel 15 Absatz 4 Satz 1 der RV sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die völkerrechtlichen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil des Rechtssystems. Artikel 15 Absatz 4 Satz 2 RV bestimmt ferner, dass, wenn durch einen völkerrechtlichen Vertrag der Russischen Föderation andere Regelungen als die vom Gesetz vorgesehenen getroffen sind, die Regelungen des internationalen Vertrages angewendet werden. Hinsichtlich des Rangs, den die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts und die völkerrechtlichen Verträge im Verhältnis zu den in der Verfassung unmittelbar niedergelegten Rechtsgrundsätzen haben, kommt den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts und den völkerrechtlichen Verträgen allerdings kein Überverfassungsrang zu. Vielmehr sind diese Bestandteil des russischen Rechtssystems und müssen sich dort einordnen. Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts stehen dabei zwar über dem einfachen Gesetzesrecht, jedoch unter dem gesamten Verfassungsrecht97. Da Völkergewohnheitsrecht Vorrang vor dem einfachen Gesetzesrecht hat, geht Völkergewohnheitsrecht auch dem Beutekunstgesetz vor. Denn das Beutekunstgesetz ist ein einfaches Bundesgesetz. Gleiches gilt für völkerrechtliche Verträge, die gemäß Artikel 15 Absatz 4 Satz 2 RV ebenfalls den einfachen Gesetzen vorgehen. Zur genaueren Festlegung des zu beachtenden Verfahrens für das Zustandekommen, die Durchführung und die Beendigung völkerrechtlicher Verträge ist 1995 das Gesetz über internationale Verträge der Russischen Föderation in Kraft getreten98. Die Präambel des Gesetzes stellt auch die Bedeutung völkerrechtlicher Verträge als Rechtsgrundlage der zwischenstaatlichen Beziehungen heraus99. Russland ist nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 in der überaus schwierigen Lage gewesen, sich in kürzester Zeit eine komplett neue Rechtsordnung zu geben, die sich grundlegend von der bisherigen Struktur unterscheidet. Der in der Verfassung von 1993 gewährleistete Vorrang des Völkergewohnheitsrechts und des Völkerver97 Die russische Rechtslage entspricht insoweit dem deutschen Verfassungsrecht gemäß Artikel 25 Grundgesetz: Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Für das deutsche Recht wird ganz überwiegend vertreten, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts über dem einfachen innerstaatlichen Recht, jedoch unter dem Verfassungsrecht stehen. Siehe: Rojahn, in: von Münch / Kunig, GKK II, 5. Auflage (2001), Artikel 25 Rdnr. 37; Herdegen, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 3, Artikel 25 Rdnr. 42; siehe auch zum russischen Recht: Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (553). 98 Zu diesem Gesetz: Beknazar, Das neue Recht der völkerrechtlichen Verträge in Russland, in: ZaöRV 56 (1996), 406 – 426; Lukašuk, Das neue russische Gesetz über internationale Verträge und das Völkerrecht, in: Osteuropa-Recht 1997, 182 – 190. 99 Beknazar, Das neue Recht der völkerrechtlichen Verträge in Russland, in: ZaöRV 56 (1996), 406 – 426 (407).
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
tragsrechts gegenüber den nationalen Normen wird sich daher in der Realität vor russischen Behörden und Gerichten erst noch behaupten und durchsetzen müssen. Zu den Startschwierigkeiten in der russischen Rechtspraxis äußert sich der Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation: „Die unmittelbare Geltung der Verfassung und der Vorrang völkerrechtlicher Normen sind verkündet, doch weiß niemand, was das in unserer Realität zu bedeuten hat“100. Das russische Verfassungsgericht hat sich auch mit der vorrangigen Geltung des Völkergewohnheitsrechts und der völkerrechtlichen Verträge nach Artikel 15 Absatz 4 RV befasst. Dabei hat es sich auf Akte aus der Zeit der Besetzung Deutschlands berufen, die aber den erhobenen Anspruch auf das deutsche Kulturgut nicht rechtfertigen können101. Entgegen den Darlegungen des Gerichtes ist im Völkergewohnheitsrecht stattdessen anerkannt, dass dem besiegten Feind sein kulturelles Erbe erhalten bleiben muss. Das russische Verfassungsgericht ist aber mit keinem Wort auf diesen gewohnheitsrechtlich anerkannten Schutz von Kulturgütern eingegangen, den diese Gegenstände auf dem besetzten Gebiet für sich beanspruchen können102. Denn in der HLKO, auf die sich das Verfassungsgericht mit seiner Argumentation nicht bezogen hat, haben die im Rechtsbewusstsein der Staatengemeinschaft entwickelten Anschauungen des Völkergewohnheitsrechts zum Kulturgüterschutz ihren Ausdruck gefunden. Artikel 56 Absatz 2 HLKO untersagt ausdrücklich jede Beschlagnahme von Werken der Kunst und der Wissenschaft. Es widerspricht daher den allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts, dass die deutschen Kulturgüter nach dem Krieg mitgenommen und über 50 Jahre später zum Eigentum des russischen Staates erklärt worden sind. Obwohl das Völkergewohnheitsrecht verhindern will, dass Kulturgut als Kriegstrophäe davongetragen wird, und deshalb bei Verstößen gegen das Beschlagnahmeverbot auch die Rückgabe verlangt, hat das russische Verfassungsgericht sich gescheut, sich mit diesen Grundsätzen überhaupt zu befassen. Da nach Artikel 15 Absatz 4 RV die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes Vorrang vor den innerstaatlichen Gesetzen haben, ist das Urteil des russischen Verfassungsgerichtes lückenhaft, indem es diese Prüfung unterlassen hat. Da die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts zum Schutz von Kulturgütern infolge von bewaffneten Konflikten auch nach innerrussischer Rechtslage Vorrang vor einfachen Gesetzen der russischen Föderation haben, hätte sich bei einer objektiven Untersuchung durch das Gericht herausstellen müssen, dass das Beutekunstgesetz mit dem Völkergewohnheitsrecht im Widerspruch steht. In gleicher Weise wie die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts haben auch die völkerrechtlichen Verträge nach Artikel 15 Absatz 4 RV Vorrang vor den 100 Zitiert aus: Lukašuk, Das neue russische Gesetz über internationale Verträge und das Völkerrecht, in: Osteuropa-Recht 1997, 182 – 190 (182). 101 Siehe dazu unter: F.III.2.a), F.III.2.b), F.III.2.d) und F.III.3. – F.III.5.c). 102 Siehe dazu auch unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V.
III. Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes über das Beutekunstgesetz
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Gesetzen103. Die vertraglich vereinbarte Rückgabe von verschollenem oder rechtswidrig verbrachtem Kulturgut, wie sie sowohl im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 als auch im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 geregelt ist, hat damit gemäß Artikel 15 Absatz 4 RV Vorrang vor den Verstaatlichungen im Beutekunstgesetz von 1998. Da nach Artikel 15 Absatz 4 Satz 2 RV der Konflikt zwischen einem Vertrag und einem davon abweichenden Gesetz zugunsten der Anwendung des Vertrages gelöst ist, bräuchte die russische Regierung das Beutekunstgesetz eigentlich gar nicht zu beachten und könnte deutsches Kulturgut unter Bezugnahme auf internationale Verträge zurückgeben, ohne dabei in einen innerstaatlichen rechtlichen Konflikt zu geraten. Gegenüber den Verstaatlichungen des deutschen Kulturgutes im Beutekunstgesetz hat daher die Rückgabeverpflichtung dieser Exponate gemäß den bilateralen Vereinbarungen Priorität. Ungeachtet dieser klaren Rechtslage hat sich das russische Verfassungsgericht weder mit dem deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 noch mit dem deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 auseinander gesetzt. Dabei gehört der Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) zu den anerkannten Prinzipien des Völkerrechts. Dies hat auch in Artikel 26 WVK seinen Niederschlag gefunden, wonach ein Vertrag, der in Kraft ist, die Vertragsparteien bindet und von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen ist. Auch von daher hätte sich eine Prüfung von in Frage kommenden vertraglichen Anspruchsgrundlagen geradezu aufgedrängt. Selbst wenn das Gericht dabei zu der Auffassung gekommen wäre, dass die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter nicht verschollen und auch nicht unrechtmäßig verbracht worden seien, und damit kein Anwendungsfall der Rückgabeklauseln vorliege, so hätte es nahegelegen, sich im Urteil mit diesen Fragen zumindest auseinander zu setzen. Dies ist nicht geschehen. Auf diese Weise negiert das Gericht die Tatsache, dass die Phase der Besetzung Deutschlands lange zurück liegt, und dass Deutschland als souveräner Staat in eigener Verantwortung seine Außenpolitik mit Russland als Partner gestaltet. Die Analyse des Urteils bei Hartwig104 mündet daher in die Erkenntnis, dass das Urteil der überkommenen Völkerrechtsdoktrin aus sozialistischer Zeit folgt, die den im Zweiten Weltkrieg errungenen Sieg an die Stelle des Rechts setzt.
103 Zur restriktiven Auslegung der Vorschrift im Sinne völkerrechtlicher Verträge, die in der Form eines Bundesgesetzes erlassen worden sind, durch das russische oberste Gericht: Beknazar, Das neue Recht der völkerrechtlichen Verträge in Russland, in: ZaöRV 56 (1996), 406 – 426 (411). 104 Hartwig, Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunst-Gesetz, in: EuGRZ 1999, 553 – 563 (558).
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
IV. Änderungen des Beutekunstgesetzes Zwischenzeitlich wurde das Gesetz nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtes novelliert. Die Modifizierungen des Beutekunstgesetzes sind im Mai 2000 in Kraft getreten. Das Prinzip der „kompensatorischen Restitution“ wurde beibehalten. Die wesentlichen Änderungen, die für Deutschland eine Rolle spielen, sind folgende: Die 18-Monatsfrist für die Anmeldung der Ansprüche privilegierter Eigentümer, die nach dem Beutekunstgesetz von 1998 mit dem Inkrafttreten des Gesetzes begonnen hat, wurde aufgehoben und durch eine neue 18-Monatsfrist ersetzt. Die neue Frist endet jetzt 18 Monate nach Veröffentlichung von Angaben über die fraglichen Kulturgüter in einem amtlichen Publikationsorgan der russischen Regierung (Artikel 10 Absatz 1 Beutekunstgesetz n.F.). Durch diese Änderung, die auf die Veröffentlichung der Angaben über die Kulturgüter abstellt, entsteht auf russischer Seite Handlungsdruck, die verbrachten Objekte zu registrieren und offen darzulegen. Vor der Veröffentlichung beginnt die Frist nicht zu laufen. Während nach dem Beutekunstgesetz von 1998 die Herausgabe eines Kulturgutes nur auf der Grundlage eines Gesetzes der Russischen Föderation vorgesehen war, wird nunmehr differenziert: Die Rückgabe eines Kulturgutes von einzigartigem Charakter und von besonders großer historischer, künstlerischer, wissenschaftlicher oder anderer kultureller Bedeutung an den beanspruchenden Staat erfolgt weiterhin nur aufgrund eines föderalen Gesetzes. Hinsichtlich der anderen Kulturgüter genügt jetzt eine Regierungsverordnung (Artikel 18 Absatz 2 Beutekunstgesetz n.F.). Da für die Rückgabe von Kulturgütern, die nicht von besonderer kultureller Bedeutung sind, nun eine Regierungsverordnung ausreicht, ist insoweit die Entscheidungskompetenz vom rückgabefeindlich eingestellten Parlament auf die Regierung verlagert worden. Hierin könnten insgesamt eine Lockerung des Gesetzes und eine Erleichterung bei den Verhandlungen gesehen werden.
Diese Änderungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bürokratischen Hürden durch das Erfordernis eines Gesetzes bzw. einer Regierungsverordnung weiterhin außerordentlich hoch sind, um Rückgaben tatsächlich auf staatlicher Ebene zwischen den Regierungen zu realisieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Übergabe der privilegierten Kulturgüter gemäß Artikel 18 Absatz 4 des Beutekunstgesetzes nur gegen Erstattung der Kosten für die Identifizierung, Begutachtung, Verwahrung und Restaurierung des Kulturgutes sowie für dessen Übergabe (Transportkosten u. a.) erfolgt. Da das Gesetz auf Einnahmeerzielung ausgerichtet ist, kann unterstellt werden, dass die finanziellen Erwartungen Russlands weit höher liegen als in der Regel die Bereitschaft der Eigentümer, Aufwendungsersatz zu leisten. Nach alledem darf es nicht wundern, dass die nicht verstaatlichten Kulturgüter gemäß Artikel 20 des Beutekunstgesetzes zwischenzeitlich bis
V. Erfolgsaussichten von Klagen hinsichtlich nicht beanspruchter Kulturgüter
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zum Ablauf von Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen als Eigentum der Russischen Föderation betrachtet werden.
V. Erfolgsaussichten von Klagen hinsichtlich der von Russland nicht beanspruchten deutschen Kulturgüter Wenngleich nach Artikel 18 Absatz 1 des Beutekunstgesetzes Ansprüche natürlicher und juristischer Personen nicht geprüft werden, weil es sich um ein zwischenstaatliches Verfahren handelt, erläutert das Urteil des russischen Verfassungsgerichts hierzu, dass dieses im Beutekunstgesetz geregelte zwischenstaatliche Verfahren für die in Artikel 8 Absatz 2 und 3 Beutekunstgesetz aufgeführten privilegierten Kulturgüter den Weg zu den Gerichten der Russischen Föderation nicht ausschließt. Ohne die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Rückgabe und einer Klage abschätzen zu können, eröffnet das russische Verfassungsgericht für die Kulturgüter religiöser Organisationen oder privater karitativer Einrichtungen sowie Kulturgüter von Personen, die diese im Zusammenhang mit ihrem Kampf gegen den Faschismus bzw. in Verbindung mit ihrer Rassen-, Religions- oder Nationalitätenzugehörigkeit verloren haben, eine Chance auf Rückgabe. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass es auch im Zeichen der Demokratisierung in Russland und des Umbaus der Rechtsordnung u. a. durch ein neues Zivilgesetzbuch und eine Verfassung, die vergleichbar sind mit Regelungen in Ländern mit langer Rechtsstaatstradition, leider bis heute noch nicht zum Aufbau eines funktionierenden Justizwesens gekommen ist, das die Einhaltung von Gesetz und Recht auch nur annähernd garantiert. Bis heute bestehen daher ernsthafte Zweifel an der Zweckmäßigkeit, Klagen vor russischen Gerichten zu erheben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bis vor kurzem über Kulturgut gar keine Klagen bei Gericht erhoben werden konnten, weil diese Werte kaum Gegenstand von Klagen in der sozialistischen Gesellschaftsordnung der früheren Sowjetunion sein konnten. Den Gerichten ist es daher bisher aufgrund der sozialistischen Vorprägung nicht vertraut, privaten Personen und privaten Institutionen hohe Sachwerte zuzusprechen, die nach der früheren Ideologie nur dem Volk in seiner Gesamtheit zustehen durften. Neben der nicht möglichen Abschätzung der Erfolgsaussichten von Klagen besteht außerdem die Gefahr, dass dem Kläger übermäßig hohe Prozessgebühren abverlangt werden105. Überhöhte Prozesskostenforderungen können dazu führen, dass davon Abstand genommen wird, berechtigte Ansprüche wegen des finanziel105 Lisizyn-Svetlanov, Die Perspektive der Gerichtspraxis: Zur Umsetzung des Gesetzes der Russischen Föderation über Kulturgüter, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion verlagert wurden und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befinden, in: Genieva / Michaletz / Werner (Hrsg.), Gesten des guten Willens und Gesetzgebung, 2001, 272 – 277 (273 f.).
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F. Inanspruchnahme durch das Beutekunstgesetz der Russischen Föderation
len Risikos vor Gericht geltend zu machen. Durch die abschreckende Wirkung der überzogenen Forderungen besteht der in der russischen Verfassung garantierte Rechtsweg nur formal. Ein Beispiel dafür, wie willkürlich die Berechnung von Prozesskosten sein kann, zeigt die Klage Nierenberg auf Herausgabe von mehreren kriegsbedingt nach Russland verbrachten Gemälden gegen den russischen Staat. Der Familie der Klägerin, die ungarisch-jüdischer Herkunft ist, waren die Gemälde auf Geheiß der SS in Ungarn abgenommen und nach Deutschland gebracht worden, von wo sie nach Russland in staatliche Museen weiter verschleppt wurden. Das zuständige Moskauer Bezirksgericht forderte eine Prozessgebühr, die ungefähr einem Wert von etwa 37 Millionen Euro entspricht. Zwar beträgt bei vermögensrechtlichen Klagen die Gebühr 1,5 Prozent des Streitwertes. Aber der Streitwert, der dem Wert des streitbefangenen Vermögens entspricht, ist ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Wert der Kunstwerke entsprechend hochgerechnet worden106. Die Klägerin hatte sich davon nicht entmutigen lassen und gegen die Kostenentscheidung Rechtsmittel eingelegt. Ihre Ausdauer wurde belohnt, denn diese Klage war letztendlich erfolgreich. Die Entscheidung in der Hauptsache steht damit allerdings noch aus. Lediglich die Prozesskostenhürde wurde genommen.
106 Schröder, Entwicklung der russischen Rechtsprechung bis zur Beseitigung der Kostenbarriere für Individualklagen auf Rückgabe von Beutekunst, in: EuGRZ 2002, 3 – 6 (4).
G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland Die Kulturgüterrückgabeklausel im Kulturabkommen sowie die entsprechende Vereinbarung im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag und das Völkergewohnheitsrecht stellen die Basis dar, um in weiteren Verhandlungen Einzelheiten der Rückgabe von Kulturgut zu klären. Dabei ist zu bedenken, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nach Vereinbarung der Kulturgüterrückgabe in Artikel 16 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages von 1990 und Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992 im Prinzip nicht mehr in der Phase des Aushandelns von Rechtsgrundlagen für die Rückgabe aller kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter, sondern in der Phase der Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen befindet1. Es geht um die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge und damit auch um die Beachtung des für beide Parteien geltenden Grundsatzes „Pacta sunt servanda“2, wie er in Artikel 26 WVK enthalten ist. Denn wenn ein Vertrag in Kraft ist, bindet er die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen. Um die bestehenden Verpflichtungen aus der Rückgabeklausel zu erfüllen, sind mehrere Schritte erforderlich. Das Verfahren zur Rückführung ist im Allgemeinen zu klären, und die konkrete Planung für die Rückgabe von Kulturgut muss vorgenommen werden. Ferner ist der tatsächliche Rücktransport der unzähligen noch in Russland lagernden Kulturgüter zu organisieren. Auch wenn ein Übergabeprotokoll als Formalität ausreichen würde und spontane Übergaben z. B. aus Anlass von Staatsbesuchen erfolgt sind3, sind im Hinblick auf die Menge der in Russland lagernden Werte weitere Verhandlungen und Regelungen mit der russischen Seite erforderlich.
I. Zuständigkeit des Bundes für die Rückführungsverhandlungen Die Zuständigkeit des Bundes zur Rückführung der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter ergibt sich aus Artikel 32 Absatz 1 GG. Gemäß Artikel 32 Absatz 1 1 Fiedler, „Kriegsbeute“ im internationalen Recht, in: Strocka (Hrsg.), Kunstraub – ein Siegerrecht?, 1999, 47 – 61 (54). 2 Fiedler, Warum wird um die Kriegsbeute noch immer gestritten?, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 263 – 269 (264). 3 Dresdner Morgenpost vom 7. 6. 2001: Zwei „Alte Meister“ kehrten zurück . . .
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
GG ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes. Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie gemäß Artikel 32 Absatz 3 GG mit Zustimmung der Bundesregierung Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen. Unter auswärtigen Beziehungen im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 GG sind diejenigen Angelegenheiten zu verstehen, die sich aus der Stellung der Staaten in der Völkerrechtsgemeinschaft ergeben4. Die Entscheidung, den Bund als Gesamtstaat zum Hauptträger der auswärtigen Gewalt zu berufen, liegt in der Notwendigkeit begründet, anderen Völkerrechtssubjekten gegenüber als einheitliches, umfassendes und voll handlungsfähiges Rechtssubjekt aufzutreten5. Verhindert werden soll, dass z. B. durch divergierende Grundansichten zwischen Bund und Ländern oder innerhalb der Länder beim Auftreten im Außenverhältnis Irritationen aufkommen oder dass gar der Eindruck mangelnder Handlungsfähigkeit entsteht. Mit der Zentralisierung der auswärtigen Gewalt beim Bund wird zugleich bezweckt, die Handlungsmacht der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt in der Gemeinschaft mit anderen Völkerrechtssubjekten zu stärken. Die Kompetenzzuweisung an den Bund entspricht weiter dem Bedürfnis, den Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten für das gesamte Bundesgebiet im Innenverhältnis einen einheitlichen Rahmen zugeben. Da es schließlich selten Verträge gibt, die ausschließlich Bundes- oder Landesmaterien berühren, müssten andernfalls Verträge mit anderen Staaten getrennt nach den Zuständigkeiten von Bund und Ländern abgeschlossen und damit zusammenhängende Materien auseinandergerissen werden6. Die Zuständigkeit des Bundes für die Pflege der auswärtigen Beziehungen umfasst dabei nicht nur den Abschluss von Staatsverträgen und die diesen vorausgehenden Vertragsverhandlungen, sondern alle politischen Maßnahmen wie Regierungserklärungen, Staatsbesuche und sonstigen Beziehungen, die sich aus der Stellung der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt zu anderen Völkerrechtssubjekten ergeben7. Dabei ist der Bund der Sachwalter aller Interessen, auch der außenpolitisch relevanten kulturellen Interessen, die über die Interessen der einzelnen Länder hinaus das Gemeinwesen in seiner Allgemeinheit berühren8. 4 Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 32 Rdnr. 2; Maunz, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 3, Artikel 32 Rdnr. 1. 5 BVerfGE 2, 347 (378); Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 32 Rdnr. 2; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 1998, Artikel 32 Rdnr. 19 f.; siehe auch: Dreher, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Auswärtigen Gewalt nach dem Bonner Grundgesetz, 1969, 25, 34 f. 6 Kramer, Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zum Abschluss und zur Durchführung von Kulturabkommen, 1967, 89. 7 Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 32 Rdnr. 3; Maunz, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 3, Artikel 32 Rdnrn. 2, 3; Kempen, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG II, 4. Auflage (2000), Artikel 32 Rdnrn. 33, 68. 8 Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, 609.
I. Zuständigkeit des Bundes für die Rückführungsverhandlungen
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Als Sachwalter bündelt der Bund die Rückgabeanliegen aus den Bundesländern hinsichtlich der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter und macht das Anliegen in seiner Gesamtheit gegenüber dem Ausland geltend. Dadurch wird im Interesse der Allgemeinheit und des Einzelnen auch erreicht, dass der Modus der Rückgabe einheitlich gestaltet werden kann. Bei der Beutekunstthematik kommt hinzu, dass es sich um eine außenpolitisch besonders sensible Angelegenheit handelt, die einen diplomatisch versierten Umgang erfordert, um zu verhindern, dass wegen Meinungsverschiedenheiten bei dieser Frage Verstimmungen in anderen Bereichen der bilateralen Beziehungen ausgelöst werden. Denn es geht um die Lösung eines Problems, das mit der Hypothek des Überfalls Deutschlands im Zweiten Weltkrieg auf die Sowjetunion mit all seinen Folgen belastet ist. Auf der anderen Seite stellen Kulturgüter, die als Kriegstrophäen länger als 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs zu Eigentum des russischen Staates erklärt worden sind, eine späte Demütigung und Erniedrigung des ehemaligen besiegten Feindes, Deutschland, dar. Die Zuständigkeit des Bundes für die Kulturgüterrückführung kollidiert auch nicht mit der sogenannten „Kulturhoheit der Länder“. Der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Naumann, äußerte sich im November 2000 in einem Namensartikel in „Die Zeit“ mit den Worten: „Die grundgesetzliche Legitimation einer Bundeskulturpolitik wurde anfänglich unter Hinweis auf die ,Kulturhoheit der Länder‘ infrage gestellt. Doch der barocke Begriff der ,Kulturhoheit‘ taucht im Grundgesetz nicht auf. Er gehört zur Verfassungsfolklore.“9. Mit diesen Sätzen löste Naumann parteiübergreifend einen Sturm der Entrüstung bei den Bundesländern aus, der seitens des Bundeslandes Bayern10 in der Feststellung gipfelte: „Naumann qualifiziere sich automatisch für einen Volkshochschullehrgang über die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bundesrepublik“. Dieser Schlagabtausch macht deutlich, dass auf der politischen Ebene die Zuständigkeitszuordnung im Bereich der Kultur keineswegs abschließend ausdiskutiert ist. Dies gilt mit Einschränkungen auch für die Kulturgüterrückführung, wie der 1999 abgeschlossene Vertrag des Landes Bremen mit Russland über die Rückgabe von 101 kriegsbedingt verbrachten Zeichnungen und Grafiken des Bremer Kunstvereins im Austausch gegen ein Mosaikbild aus dem Bernsteinzimmer belegt11. Der Begriff der „Kulturhoheit der Länder“, der für die Zuständigkeit der Länder im Bereich der Kultur geprägt wurde, wird leicht missverstanden im Sinne einer ausschließlichen Zuständigkeit für alles, was den Namen Kultur trägt. Im Grundgesetz kommt der Begriff „Kulturhoheit der Länder“ nicht vor. Dennoch kann man den Begriff der „Kulturhoheit der Länder“ rechtlich gesehen nicht im Bereich der Verfassungsfolklore ansiedeln. Schließlich verwendet das BundesverfassungsDie Zeit, Ausgabe 45 / 2000: Zentralismus schadet nicht. Die Welt vom 3. 11. 2000: Naumann haut auf die Pauke. 11 Siehe dazu unter: G.IV. 9
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
gericht12 diesen Begriff ausdrücklich in seiner Rechtsprechung, indem es die Länder gemäß der verfassungsrechtlichen Ordnung „zum ausschließlichen Träger der Kulturhoheit“ bestimmt. Aber diese Feststellung wird vom Gericht zugleich durch die Bezugnahme auf Grenzen relativiert, die sich ebenfalls aus der Verfassung ergeben können. Unter dem Begriff „Kulturhoheit der Länder“ werden folglich alle diesbezüglichen Zuständigkeiten der Länder zusammengefasst, aber davon unberührt bleiben die dem Bund in diesem Bereich durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben13. Zu den dem Bund durch das Grundgesetz ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben gehört auch die Pflege der auswärtigen Beziehungen gemäß Artikel 32 Absatz 1 GG. Darüber hinaus ergibt sich die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes in diesem Bereich aus Artikel 73 Ziffer 1 GG. Danach hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit über die auswärtigen Angelegenheiten. Würde der Bund seine auswärtige Kulturpolitik auf gesetzliche Grundlagen stellen, so wäre dafür die bundesgesetzliche Zuständigkeit nach Artikel 73 Ziffer 1 GG gegeben14. Die in der „Kulturhoheit der Länder“ gebündelten Kompetenzen treten insoweit zurück15. Die Zuständigkeit des Bundes endet allerdings dort, wo der innerstaatliche Kulturbereich beginnt16. Der Bund kann daher seine Zuständigkeit für die auswärtigen Angelegenheiten nicht dazu nutzen, auf dem Weg über internationale Abkommen faktisch Zuständigkeiten an sich zu ziehen, die nach der innerstaatlichen Kompetenzordnung den Ländern vorbehalten sind. Aus diesem Grund werden die Absprachen in den Kulturabkommen von Ausnahmen abgesehen unverbindlich gehalten, was durch Formulierungen wie: „bemühen“ und „fördern“ zum Ausdruck kommt, um sich nicht zu Maßnahmen zu verpflichten, für die innerstaatlich die Länder ganz oder zumindest teilweise zuständig sind17. Unmittelbar anwendungsfähige Bestimmungen in Kulturabkommen sind selten18. Die Kulturgüterrückgabeklausel stellt im Kontext der unverbindlichen Bestimmungen des deutsch-russischen Kulturabkommens aber eine Ausnahme dar. Sie unterscheidet sich im Grad BVerfGE 6, 309 (354). Maunz, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 4, Artikel 73 Rdnr. 20. 14 H.M.: Maunz, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 4, Artikel 73 Rdnr. 33; Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 32 Rdnrn. 16, 24; Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG II, 4. Auflage (2000), Artikel 73 Rdnr. 9; Köstlin, Die Kulturhoheit des Bundes, 1989, 35. 15 Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG II, 4. Auflage (2000), Artikel 73 Rdnr. 9. 16 Kramer, Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zum Abschluss und zur Durchführung von Kulturabkommen, 1967, 176 f. 17 Köstlin, Die Kulturhoheit des Bundes, 1989, 66; Kramer, Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zum Abschluss und zur Durchführung von Kulturabkommen, 1967, 116 f. 18 Kramer, Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zum Abschluss und zur Durchführung von Kulturabkommen, 1967, 63, 180: als Beispiel für unmittelbar anwendbare Bestimmungen werden Regelungen, die die Einfuhr von Gegenständen kulturellen Inhalts erleichtern sollen, genannt. 12 13
I. Zuständigkeit des Bundes für die Rückführungsverhandlungen
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der Verbindlichkeit wesentlich von den anderen Regelungen im Abkommen. So haben die Vertragsparteien mit der Rückgabeklausel nicht nur eine allgemein gehaltene Bemühenszusage zur kulturellen Zusammenarbeit abgegeben, sondern mit der Formulierung „Die Parteien stimmen darin überein“ deutlich gemacht, dass sie unmittelbar Verpflichtungen begründen wollten. Im Gegensatz zu den anderen Bestimmungen des Kulturabkommens geht es bei der Kulturgüterrückgabeklausel nicht um die Festlegung eines vertraglichen Rahmens, auf dessen Grundlage eine kulturelle Zusammenarbeit zwischen Kultureinrichtungen auf lokaler und regionaler Ebene vorgesehen ist. Die Kulturvermittlung und der kulturelle Dialog als Gestaltungselemente der auswärtigen Beziehungen entfallen hier, sodass bei der Rückführungsklausel der primär außenpolitische Charakter zutage tritt. Ein Indiz für die politische Bedeutung der Rückgabeklausel im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 ergibt sich daraus, dass die Klausel auch schon im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 enthalten war und dieser Vertrag nicht die kulturellen Beziehungen, sondern die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion bzw. zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion regelt. Verträge, die die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einem anderen Staat regeln, dürfen die Länder nicht abschließen19. Der politische Gehalt der Kulturgüterrückgabeklausel im Kontext des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass mit der Kulturgüterrückführungsvereinbarung für die vielen kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter eine vertragliche Grundlage für konkrete Verhandlungen zu ihrer Rückgabe geschaffen werden sollte. Damit war auf deutscher Seite die Erwartung verbunden, im Verhandlungswege die vielen noch in Russland lagernden deutschen Kulturgüter zurückzuerhalten. Zudem ist das Merkmal der Unrechtmäßigkeit der Verbringung, das in der Rückgabeklausel die Rückgabepflicht auslöst, bei den kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern gerade dadurch verwirklicht, dass die Wegnahme des Kulturgutes gegen die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts verstoßen hat20. Bei der Erfüllung der Kulturgüterrückgabeklausel geht es also letztlich überwiegend um völkerrechtliche Verpflichtungen, wie sie in der HLKO zum Ausdruck gekommen sind. Hierfür ist der Bund ausschließlich zuständig. Bei völkerrechtswidrigem Handeln eines anderen Völkerrechtssubjektes liegt vorrangig eine Verletzung der Rechte des Staates in seiner Gesamtheit vor21. Ungeachtet der umfassenden Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Kultur können Herausgabeansprüche auf dem Gebiet des Völkerrechts daher nur von der Bundesrepublik Deutschland erhoben werden.
19 Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 32 Rdnr. 36; Kempen, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG II, 4. Auflage (2000), Artikel 32 Rdnr. 85. 20 Siehe dazu auch unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V. 21 Siehe auch zur Bibliotheca Palatina: Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?; in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (140, 142).
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
II. Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung Das Auswärtige Amt koordiniert die Vertragspolitik der anderen Bundesministerien und führt im In- und Ausland die Verhandlungen, sofern es nicht die Verhandlungsführung dem Fachministerium überlässt22. Völkerrechtliche Verträge mit Russland können von einem Bundesministerium in Absprache mit dem Auswärtigen Amt als sogenannte Ressortabkommen abgeschlossen werden, wenn der Inhalt in die alleinige Zuständigkeit des Ministeriums fällt23. In der Form von Ressortabkommen lassen sich z. B. Vereinbarungen über die verwaltungsmäßige Durchführung bestehender Verträge treffen24. Mittels Ressortabkommen kann folglich der für die Kulturgüterrückführung zuständige Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien die weiteren Modalitäten zur Umsetzung der im Kulturabkommen vereinbarten Kulturgüterrückgabe mit der russischen Seite vereinbaren. Vereinbarungen über die Rückführung von Kulturgütern können auch durch den Wechsel von zwei oder mehr Noten geschlossen werden. Notenwechsel werden innerstaatlich wie Ressortabkommen behandelt. In gleicher Weise können auch Briefwechsel zwischen den Fachministern erfolgen, für deren Verfahren und förmliche Ausgestaltung die Vorschriften über den Notenwechsel entsprechend gelten25. Bevor aber eine völkerrechtliche Übereinkunft, beispielsweise ein Ressortabkommen, ausgearbeitet wird, ist gemäß § 72 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien zu prüfen, ob eine völkervertragliche Regelung unabweisbar ist oder ob der Zweck nicht mit anderen Mitteln einfacher erreicht werden kann. Dies können beispielsweise Übergabeprotokolle betreffend die Rückführung von Kulturgütern sein, die nicht den formalen Anforderungen entsprechen, die an völkerrechtliche Übereinkünfte gestellt werden.
III. Beteiligung der Länder an den Rückführungsverhandlungen des Bundes Obgleich der Bund für die Kulturgüterrückführung zuständig ist und keine Pflicht zur Beteiligung der Bundesländer an den Verhandlungen besteht, so kann es dennoch zweckmäßig sein, Ländervertreter zu den Verhandlungen mit Russland hinzuzuziehen. Aus dem im Grundgesetz verankerten Bundesstaatsprinzip hat das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens ent22 Auswärtiges 1998, XVII, 23. 23 Auswärtiges 1998, XVI, 4. 24 Auswärtiges 1998, 4 f. 25 Auswärtiges 1998, 6 f.
Amt, Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge, Stand Amt, Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge, Stand Amt, Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge, Stand Amt, Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge, Stand
III. Beteiligung der Länder an den Rückführungsverhandlungen des Bundes
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wickelt, wonach die Länder sowohl einander als auch dem Bund und umgekehrt der Bund den Ländern die Treue halten und sich verständigen müssen26. Das Prinzip der Bundestreue findet zwar im Text des Grundgesetzes keine ausdrückliche Erwähnung, hat sich aber zu einem Grundsatz des ungeschriebenen Verfassungsrechts herausgebildet27. In Ausformung des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens haben alle Länder den gleichen verfassungsrechtlichen Status und haben im Umgang mit dem Bund Anspruch auf gleiche Behandlung28. Es darf im Bundesstaat nichts geschehen, das den Bund oder die Länder schädigt29. Eine Verletzung des Gebotes zu bundesfreundlichem Verhalten mit der Folge, dass das Verhalten als verfassungswidrig einzustufen ist, setzt aber voraus, dass das Verhalten einen offenbaren Missbrauch von Kompetenzen darstellt30. Wenn der Bund im Bereich seiner ausschließlichen Kompetenzen ohne Beteiligung der Länder Verhandlungen über die Rückführung von Kulturgut führt, so liegt dadurch noch kein Verstoß gegen den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens vor. Eine Verletzung wäre allerdings dann in Betracht zu ziehen, wenn sich der Bund nur für die Rückführung von Kulturgut an einige, nicht aber an alle betroffenen Bundesländer einsetzen würde. Denkbar wäre der Fall, dass die Bundesregierung der Rückgabe in Bundesländer und Kommunen, die von der gleichen Partei regiert werden, mehr Nachdruck verleiht, als dies bei Verlusten in denjenigen Ländern der Fall ist, wo eine andere politische Konstellation besteht. Dafür, dass derartige Einseitigkeiten vorliegen, bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Aber auch unterhalb der Schwelle der Verfassungswidrigkeit zeigt sich im Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, dass es dem föderativen Prinzip des Grundgesetzes dienlich sein kann, wenn in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern gegenseitige Abstimmung, Koordination, Rücksichtnahme und Mitwirkung dort erfolgen, wo es der Erfüllung von Aufgaben sachdienlich ist. Da insbesondere Museen in der Trägerschaft der Länder und Kommunen von den Verhandlungen über die Rückgabe von Kulturgut betroffen sind, weil sie die ihnen kriegsbedingt abhanden gekommenen Exponate wieder zurück haben wollen, kann es zweckmäßig sein, die Länder bzw. Kommunen an den Verhandlungen zu beteiligen. Dabei ist auch die Aufnahme in die Verhandlungsdelegation auf deutscher Seite möglich. Dem Bund kann dabei die Fachkompetenz und die Fachkunde aus den Ländern zugute kommen. Soweit im Rahmen der Beteiligung von Ländern an den Verhandlungen mit Russland Entscheidungen getroffen werden, trifft der Bund im Außenverhältnis die Entscheidungen. An Vorschläge, die aus den Ländern kommen, ist er nicht gebunden. 26 BVerfGE 1, 299 (315); BVerfGE 4, 115 (140 f.); BVerfGE 6, 309 (361 f.); BVerfGE 12, 205 (254 f.); BVerfGE 43, 291 (348); BVerfGE 92, 203 (234). 27 Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht, 2001, 16 – 19. 28 BVerfGE 12, 205 (255). 29 BVerfGE 6, 309 (361). 30 BVerfGE 4, 115 (140 f.); BVerfGE 6, 309 (361).
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
IV. Ein Sonderfall: Der Vertrag des Landes Bremen über die Rückführung von Kulturgut Dass in der Praxis teilweise Unklarheiten darüber bestehen, wer für die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter und die damit verbundenen Verhandlungen im Allgemeinen und in konkreten Einzelfällen zuständig ist, wurde deutlich, als das Land Bremen mit Russland 1999 einen Vertrag über die Rückgabe eines florentinischen Mosaikbildes aus dem legendären Bernsteinzimmer im Katharinenpalast bei St. Petersburg abschloss und sich im Gegenzug die Rückgabe von 101 Zeichnungen und Grafiken des Bremer Kunstvereins zusichern ließ. Das florentinische Mosaikbild mit der Darstellung einer Allegorie des Geruchsinns war von einem deutschen Soldaten in Russland aus der Bernsteinzimmervertäfelung herausgebrochen und nach Deutschland mitgenommen worden31. Im Rahmen eines Strafverfahrens hatte das Land Bremen den Gewahrsam an dem Mosaikbild erlangt. Im Gegenzug für die Rückgabe des Mosaikbildes verpflichtete sich Russland seinerseits zur Rückgabe von 101 grafischen Blättern und Zeichnungen, die dem Bremer Kunstverein gehören und kriegsbedingt nach Russland gelangt waren32. Es handelte sich u. a. um Druckgrafiken von Toulouse-Lautrec, Goya, Delacroix und Manet sowie um Dürers berühmtes Aquarell „Felsenschloss“, eine der ersten Landschaftsdarstellungen und damit ein herausragendes Kunstwerk33. Die 101 Bremer Blätter waren in der zweiten Jahreshälfte 1943 zusammen mit etlichen weiteren Kunstwerken aus der durch Luftangriffe gefährdeten Kunsthalle in das Schloss Karnzow / Mark Brandenburg in Sicherheit gebracht worden. Insgesamt waren in Karnzow 50 Gemälde, 1715 Zeichnungen und 3000 Druckgrafiken ausgelagert34. Als sowjetische Soldaten 1945 in dem Schloss Quartier nahmen, ließen sie, ganz ähnlich wie zuvor deutsche Soldaten bei St. Petersburg, die gebotene Rücksichtnahme auf die Kunstwerke vermissen. An den in ihrem Versteck 1945 aufgestöberten Aktzeichnungen der Bremer Sammlung ergötzten sich betrunkene sowjetische Soldaten, ohne ihren Wert zu ahnen; Aktzeichnungen von Tiepolo, Rodin und anderen Meistern schmückten die Wagen, mit denen die sowjetischen Soldaten ihre Heimreise antraten35. 1993 wurden die 101 Bremer Blätter im 31 DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (210); siehe ferner: DER SPIEGEL, Heft 21 / 97: „Das kann man nicht fälschen“, 34 – 37; DER SPIEGEL, Heft 22 / 1997: Tränen unserer Vorfahren, 198 – 200; DER SPIEGEL, Heft 52 / 1997: Träne für Boris, 50 – 53. 32 DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (211); Die Welt vom 20. 1. 2000: Nicht mit der Morgengabe ins Haus fallen; Berliner Zeitung vom 2. 5. 2000: Privatbesitz gilt wieder was in Russland. 33 Berliner Zeitung vom 2. 5. 2000: Privatbesitz gilt wieder was in Russland; Süddeutsche Zeitung vom 2. 5. 2000: Reich heim. 34 Blaum / Salzmann, in: Dokumentation der durch Auslagerung im Zweiten Weltkrieg vermissten Kunstwerke der Kunsthalle Bremen, 1991, 6 f.
IV. Ein Sonderfall: Der Vertrag des Landes Bremen
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Auftrag eines Kriegsveteranen in der Deutschen Botschaft in Moskau abgegeben36 und waren damit bereits im Besitz der Bundesrepublik Deutschland. Gleichwohl ließ die russische Ausfuhrgenehmigung auf sich warten, bis der Bremer Handel perfekt war. Dieser Vertrag des Landes Bremen stößt auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Zwar dürfen die Länder nach Artikel 32 Absatz 3 GG völkerrechtliche Verträge mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten abschließen, soweit sie für die Gesetzgebung zuständig sind. Voraussetzung für ein Tätigwerden der Länder ist somit aber, dass diese für die Gesetzgebung zuständig sind, was für den Bereich der Kulturgüterrückführung nicht zutrifft, wie vorstehend schon näher ausgeführt worden ist37. Die Bundesländer können daher keine Verträge über die Rückführung von Kulturgut abschließen. Die Kulturgüterrückführung fällt vielmehr in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes. Der Bund ist nach Artikel 32 Absatz 1 GG für die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten zuständig, ohne dass sich aus Artikel 32 Absatz 3 GG damit für die Länder im Bereich der Kulturgüterrückführung Kompetenzen erschließen. Da den Bundesländern Kompetenzen im Bereich der Kulturgüterrückführung nicht zustehen, war das Land Bremen folglich nicht befugt, über die Rückgabe des Mosaikbildes an Russland und die Rückführung der 101 Bremer Blätter mit russischen Behörden zu verhandeln und einen Vertrag darüber abzuschließen. Das Land Bremen hat damit außerhalb seiner Zuständigkeit gehandelt. Aber noch in einem weiteren Punkt scheint das Grundgesetz nicht beachtet worden zu sein. Selbst wenn das Land Bremen zuständig gewesen wäre, hätte gemäß Artikel 32 Absatz 3 GG die Zustimmung des Bundes zu diesem Vertrag vor Vertragsabschluss eingeholt werden müssen. Dies ist nicht geschehen bzw. der Versuch hierzu gar nicht erst unternommen worden38. Sinn des Zustimmungserfordernisses ist es hingegen, dass die Bundesregierung auf diese Weise darauf hinwirken kann, dass eine einheitliche Außenpolitik betrieben wird und politisch nicht gewollte Länderverträge verhindert werden können39. Verträge, die ohne die erforderliche Zustimmung abgegeben werden, sind völkerrechtlich 35 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 291 f.; Die Welt vom 2. 5. 2000: Ein Hoffnungsstrahl am Beutekunst-Himmel; Berliner Morgenpost vom 2. 5. 2000: Zeremonie mit Hubschrauber. 36 Berliner Zeitung vom 2. 5. 2000: Privatbesitz gilt wieder was in Russland; DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (211). 37 Siehe dazu ausführlicher: G.I. 38 Berliner Zeitung vom 2.5. 2000: Privatbesitz gilt wieder was in Russland, wonach die Bremer eine Politik der kleinen Schritte zum Teil hinter dem Rücken Berlins verfolgten und die Durchführung des Vertrages zunächst am Einspruch des Auswärtigen Amtes und der Behörde des Beauftragten für Angelegenheiten der Kultur und der Medien gescheitert sei „die mit starken Worten die Bremer von ihrem Alleingang zurückpfiffen und auf Vertragsabschlüssen auf Bundesebene beharrten“. 39 Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 32 Rdnr. 38.
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
unwirksam40. Inwieweit diese Verträge nur schwebend unwirksam sind und durch eine nachträglich vorgenommene Zustimmung des Bundes noch geheilt werden können, ist fraglich41. Der ausländische Vertragspartner kann die Rechtsfolge der Unwirksamkeit eines mit einem deutschen Bundesland abgeschlossenen Vertrages jedenfalls dadurch abwenden, dass er sich vorher beim deutschen Staat z. B. über die deutsche Auslandsvertretung erkundigt, ob der deutsche Gliedstaat berechtigt ist, den Vertrag abzuschließen. Ob für den vom Land Bremen mit der Russischen Föderation abgeschlossenen Vertrag die Zustimmung des Bundes nachträglich noch erteilt werden kann, und der unwirksame Vertrag dadurch nachträglich geheilt wird, kann hier dahinstehen. Denn das Land Bremen war nicht befugt, den Vertrag abzuschließen und kann diese Befugnis auch nicht nachträglich durch eine Zustimmung des Bundes verliehen bekommen. Da Vertragspartner einer derartigen Vereinbarung mit Russland gemäß der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes nur die Bundesrepublik Deutschland nicht aber das Land Bremen sein konnte, kann eine nachträgliche Zustimmung des Bundes nicht in Betracht kommen. Denn, selbst wenn der Bund nachträglich seine Zustimmung erteilen würde, bliebe das Land Bremen Vertragspartner des mit Russland abgeschlossenen Vertrages, obwohl der Vertrag nur durch die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen werden darf.
V. Dokumentationsstelle für die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter 1991 richtete der Bund eine Dokumentationsstelle für die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter ein42. Schließlich war im November 1990 der deutsch-sowjetische Nachbarschaftsvertrag unterzeichnet worden, in dem die Rückgabe von Kulturgut vereinbart worden war. Um Verhandlungen über die Rückgabe von Kulturgut zu führen, ist eine Übersicht über den Umfang des vermissten Kulturgutes erforderlich, damit Ansprüche auch konkret geltend gemacht werden können. Zwar ergibt sich aus dem Vertrag die Verpflichtung des Staates, der weiß, dass in den Magazinen seiner Museen und anderen Einrichtungen Kulturgut liegt, welches in das Land des Vertragspartners gehört, dies dem Vertrags40 H.M.: Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 32 Rdnrn. 38, 40; Kempen, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG II, 4. Auflage (2000), Artikel 32 Rdnr. 91; Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 1967, 168 f. 41 Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 1998, Artikel 32 Rdnr. 46. 42 Die Dokumentationsstelle wurde beim Bundesministerium des Innern angesiedelt. Mit Übertragung der Zuständigkeit für die Kulturgüterrückführung vom Bundesministerium des Innern auf den Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien im Oktober 1998 ging auch die Zuständigkeit für die Dokumentationsstelle auf den Kulturbeauftragten über.
V. Dokumentationsstelle für die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter 151
partner mitzuteilen und das Kulturgut zügig zurückzugeben. Aber es schien auch zweckmäßig, dass diejenigen, die etwas vermissen, ihre Verluste beschreiben und dem eigenen Staat mitteilen. Der Bund weiß auf diese Weise, wenn ihm Kulturgut von Russland angeboten wird, wo es in Deutschland vermisst wird und wo es hingehört. Wird Kulturgut an Deutschland zurückgegeben, kann es direkt an den Berechtigten weitergeleitet werden. Da der Bund für die Verhandlungen zur Rückführung von Kulturgut und die damit zusammenhängenden vorbereitenden Maßnahmen gemäß Artikel 32 Absatz 1 GG i.V.m. Artikel 73 Ziffer 1 GG zuständig ist, wurden Informationen zu den Kulturgutverlusten zusammengetragen bzw. müssen diese weiterhin auf dem neuesten Kenntnisstand gehalten werden. Diese Aufgabe wird in der Dokumentationsstelle des Bundes wahrgenommen. Denn zu den Aufgaben der Dokumentationsstelle des Bundes gehören insbesondere die Erfassung vermisster Kulturgüter aus Deutschland und damit verbundene Nachforschungen43. Die Erfassung der in Deutschland vermissten Objekte erleichtert die Geltendmachung von Herausgabeansprüchen, wenn die Verluste genau bezeichnet werden können. Ferner hat die Dokumentationsstelle die Aufgabe, entsprechende Recherchen zum Verbleib von Kulturgut anzustellen, das im Ausland vermisst wird. Hinzu kommt die Registrierung erfolgreich abgeschlossener Rückführungen. Auf der zweiten Sitzung der gemeinsamen deutsch-russischen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern, die vom 29. bis 30. Juni 1994 in Bonn tagte, konnte die Bundesrepublik Deutschland als Ergebnis der Recherche eine Zusammenstellung aller bekannten Fälle von Kulturgütern, die nach ihrer Auffassung Gegenstand von eigenen Rückführungsansprüchen sind (ca. 200.000 Museumsgüter, 2 Millionen Bücher und 3 Kilometer Archivgut) übergeben und behielt sich die Notifizierung weiterer Ansprüche vor44. Die russische Seite übergab ebenfalls Verlustlisten mit 39.588 Positionen und teilte mit, dass die Aufstellungen ebenfalls nicht abschließend sind. Auch wenn damit der Rückgabeumfang umrissen ist, bedeutet dies nicht, dass alle diese Objekte sich auch im Land des Vertragspartners befinden. Zu vermuten ist, das einiges in den Kriegswirren vernichtet wurde und deshalb nie wieder auftauchen wird. In diesen Fällen kann der Vertragspartner das Herausgabebegehren letztendlich nicht mehr erfüllen. Was die angegebenen Verluste der russischen Seite anbelangt, so können sich in Deutschland, wie bereits ausgeführt worden ist, kaum noch Objekte befinden, weil nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland systematisch nach russischem Kulturgut abgesucht und das aufgefundene Kulturgut mitgenommen worden ist45. 43 www.lostart.de / Lost Art Internet Database / Koordinierungsstelle / Grundlagen, Stand: 8. 9. 2003. 44 Siehe Ziffer 4. des Bonner Protokolls vom 30. 6. 1994, abgedruckt bei: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 45 – 46 (46). 45 Siehe dazu auch: E.III.3.
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
1994 haben Bundesländer ihrerseits eine Koordinierungsstelle zur Dokumentation und Recherche der aus deutschen öffentlichen Einrichtungen vermissten Kulturgüter eingerichtet, die zunächst in Bremen angesiedelt war und 1998 nach Magdeburg verlagert wurde46. Denn ein großer Teil der kriegsbedingt aus Deutschland verbrachten Kulturgüter gehört in Museen, Bibliotheken und Archiven, bei denen es sich um öffentliche Einrichtungen handelt. Diese öffentlichen Einrichtungen, die von den Kulturgutverlusten betroffen sind, stehen insbesondere in der Trägerschaft der Bundesländer oder Kommunen. Daher hatten die Länder und Gemeinden ein Interesse daran, einen Überblick der Verluste ihrer Einrichtungen zu erlangen. Ende 1999 waren in der Verlustdatenbank ca. 3,6 Millionen Grunddaten zusammengetragen, die 32.000 Objekte von knapp 330 öffentlichen Institutionen einschließlich kirchlicher Einrichtungen betreffen47. Im Rahmen der Rückführungsverhandlungen des Bundes können diese Verlustinformationen betreffend das Eigentum von Ländern und Kommunen die Suche nach Kulturgut erleichtern. Inzwischen wird die Koordinierungsstelle der Länder auch vom Bund mitgetragen. Diese Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste unterhält eine Internet-Datenbank unter: www.lostart.de. Diese Datenbank erfasst neben Kulturgütern, die infolge des Zweiten Weltkrieges verbracht wurden, auch Kulturgüter, die als Ergebnis der nationalsozialistischen Herrschaft insbesondere jüdischen Mitbürgern entzogen wurden48. Der Vorteil des Internet-Projektes liegt vor allem darin, dass weltweit Kulturgutverluste abgefragt werden können. Dies erschwert den Handel mit kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut. Für den Kunsthandel, für Privatpersonen und Behörden ist mit der Internet-Datenbank die Möglichkeit geschaffen worden, sich darüber zu informieren, ob Kulturgut kriegsbedingt vermisst und von seinem rechtmäßigen Eigentümer gesucht wird49.
VI. Ergebnisse der Rückführungsbemühungen mit Russland Unter Leitung des deutschen Innenministers Seiters und seines Kollegen Sidorow, Minister für Kultur der Russischen Föderation, wurden im Februar 1993 in Dresden die Verhandlungen über die beiderseitigen Rückführungen aufgenommen50. 46 www.lostart.de / Lost Art Internet Database / Koordinierungsstelle / Geschichte, Stand: 8. 9. 2003. 47 Franz, Datenbanken abhanden gekommener Kulturgüter am Beispiel der Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern, in: KUR 1999, 345 – 351 (348). 48 www.lostart.de / Lost Art Internet Database / Koordinierungsstelle / Geschichte, Stand: 8. 9. 2003; und: Lost Art Internet Database, Stand: 8. 9. 2003; Franz, www.LostArt.de – A new initiative, in: Spoils of War: International Newsletter 7 / 2000, 12 – 15 (13). 49 Franz, Datenbanken abhanden gekommener Kulturgüter am Beispiel der Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern, in: KUR 1999, 345 – 351 (349). 50 Das Dresdner Protokoll vom 10. 2. 1993 ist abgedruckt bei: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 36 – 39.
VI. Ergebnisse der Rückführungsbemühungen mit Russland
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Die deutsche und russische Seite haben in Dresden die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern, die zwei- bis dreimal im Jahr tagen sollte, vereinbart. Zur Klärung der mit der Rückführung zusammenhängenden Einzelfragen wurden darüber hinaus Fachgruppen für die Bereiche Archive, Bibliotheken, Museen / Sammlungen und für Rechtsfragen gebildet. Schon kurz darauf kamen die gerade erst aufgenommenen Verhandlungen ins Stocken. Zwar übergab der russische Kulturminister Sidorow auf der ersten Sitzung der gemeinsamen deutsch-russischen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern im März 1994 in Moskau einige Bücher der Gothaer Restbestände an den deutschen Außenminister Kinkel als symbolische Geste für die weiteren Bücher, die bald folgen sollten51. Die weiteren Bücher wurden auch für den Rücktransport verpackt, aber dann nicht mehr auf den Weg nach Deutschland gebracht. Die Tatsache, dass die Rückgabe von Russland auf der Grundlage der bilateralen Absprache mit der deutschen Regierung vorbereitet wurde, macht aber eines deutlich: Beide Parteien gingen davon aus, dass nach dem Krieg ein Eigentumserwerb zugunsten Russlands an den Gothaer Beständen wie auch an anderen kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern nicht stattgefunden hatte und deshalb auch eine Rückgabe an Deutschland unmittelbar bevorstand. Die deutsch-russische gemeinsame Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern trat noch ein zweites und zugleich bisher letztes Mal im Juni 1994 in Bonn zusammen. Die dabei wechselseitig übergebenen Verlustlisten52 bestätigen, dass Deutschland in unvergleichlich größerem Umfang als Russland Kulturgut vermisst. Die Tatsache, dass die deutsche Seite allein 200.000 Museumsgüter zuzüglich 2 Millionen Bücher und drei Kilometer Archivgut vermisst, während Russland eine erheblich geringere Anzahl von knapp 40.000 Positionen als Verluste benannt hat, macht deutlich, dass ein Tauschgeschäft mit Leistungen Zug um Zug nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch mangels entsprechender Masse auf deutscher Seite nicht die Basis weiterer Erörterungen sein konnte. Im weiteren Verlauf haben die Verhandlungen auf Regierungsebene nicht die erhofften Erfolge gezeigt, insbesondere weil Abgeordnete der Duma die Rückgabepolitik des russischen Präsidenten Jelzin nicht unterstützten und sich zunehmend der Rückführung von „Kriegsbeute“ widersetzten. Aufgrund des Widerstandes der russischen Duma, der im Erlass des russischen Beutekunstgesetzes von 1998 gipfelte, ist es in den Folgejahren nur noch zu vereinzelten Rückgaben gekommen. Aus Russland kamen 1997 noch Mappen mit Archivunterlagen des früheren Außenministers Walther Rathenau zurück nach Deutschland. Auch für die 101 grafischen Blätter und Zeichnungen, die 2000 in die Bremer Kunsthalle zurückgekehrt sind, wurde die Ausfuhrgenehmigung erteilt. Diese 101 51 Siehe entsprechende Ziffer 10. im Moskauer Protokoll vom 24. 3. 1994, abgedruckt bei: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 41 – 44 (43). 52 Siehe entsprechende Ziffer 4. im Bonner Protokoll vom 30. 6. 1994, abgedruckt bei: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 45 – 46 (46).
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
Werke waren nicht auf der Grundlage eines staatlichen Auftrages der militärischen Führung, sondern privat weggenommen und 1993 in der deutschen Botschaft in Moskau abgegeben worden. Auf privat weggenommene Werke findet das Beutekunstgesetz von 1998 ohnehin keine Anwendung53. Selbst nach innerrussischer Gesetzeslage müssen diese Gegenstände nach Deutschland zurückgegeben werden. Es ist also nicht nachzuvollziehen, weshalb die Ausfuhrgenehmigung für die 101 Bremer Blätter nicht umgehend, sondern erst im Jahre 2000 erfolgt ist, nämlich erst nachdem Bremen der russischen Seite das Mosaik aus dem Bernsteinzimmer offeriert hatte54. Während die 101 Bremer Blätter im Jahre 2000 letztendlich nach Deutschland ausreisen konnten, musste der für März 2003 vorbereitete feierliche Empfang der sogenannten Baldin-Sammlung in Bremen erst einmal kurzfristig abgesagt werden55. Der russische Kulturminister Schwydkoj konnte sein Rückgabeversprechen für das vereinbarte Datum somit nicht einhalten56. Dabei gehört die Baldin-Sammlung zu demselben Konvolut wie die 101 Bremer Blätter, die gemeinsam mit weiteren Kunstwerken des Bremer Kunstvereins zum Schutz vor Kriegseinwirkungen in das Schloss Karnzow / Mark Brandenburg ausgelagert worden waren57. Die Rückgabe dieser Baldin-Sammlung hatte die russische Seite bereits auf der ersten Sitzung der gemeinsamen deutsch-russischen Kommission zur beiderseitigen Rückführung im März 1994 in Aussicht gestellt58. Benannt ist dieser Teil der Bremer Sammlung nach dem russischen Offizier Baldin. Nachdem das Versteck mit den wertvollen Kunstwerken von russischen Soldaten aufgestöbert worden war, sicherten sich Soldaten ihren persönlichen Anteil an der Kriegsbeute. Baldin, der als Architekt zudem etwas von Kunst verstand, erkannte die Bedeutung der Zeichnungen und Gemälde und tauschte dabei auch von seinen Kameraden Kunstwerke gegen Gebrauchsgegenstände59. 362 Zeichnungen mit Werken u. a. von Rembrandt, Tizian, Corot und Manet sowie zwei Gemälde von Dürer und Goya umfassen die Baldin-Sammlung60. Auch wenn Baldin die Kulturgüter mitgenommen hat, ohne dass ein Befehl der sowjetischen Führung vorlag, kann indes nicht behauptet werden, Baldin habe sich persönlich bereichern wollen. Gewichtige Gründe sprechen vielmehr dafür, dass Baldin die Werke im Chaos der Kriegswirren vor Zerstörung oder dem dauerhaften Verschwinden in Siehe auch unter: F.II. Siehe auch unter: G.IV. 55 Die Welt vom 27. 3. 2003: Geben und Nehmen. 56 Die Welt vom 20. 3. 2003: Wir haben uns die Bilder ersessen. 57 Blaum / Salzmann, in: Dokumentation der durch Auslagerung im Zweiten Weltkrieg vermissten Kunstwerke der Kunsthalle Bremen, 1991, 6 f.; F.A.Z. vom 13. 3. 2003: Spätheimkehrer Dürer. 58 Siehe entsprechende Ziffer 10. im Moskauer Protokoll vom 24. 3. 1994, abgedruckt bei: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 41 – 44 (43). 59 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 291 f. 60 F.A.Z. vom 13. 3. 2003: Spätheimkehrer Dürer. 53 54
VI. Ergebnisse der Rückführungsbemühungen mit Russland
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Privatbesitz bewahrt hat. Denn Baldin gab die Beute 1948 im Moskauer Architekturmuseum ab, dessen späterer Direktor er wurde61. Seit der Breschnew-Ära bemühte er sich um eine Rückgabe an Deutschland62. Um die Rückführung nach Deutschland zu bewirken, schrieb er auch an die politische Führung seines Landes, ohne je eine Antwort erhalten zu haben63. Baldins letzter Brief ging an den russischen Präsidenten Jelzin, der ein Rückgabevotum auf dem Schreiben vermerkte, sich aber gegenüber dem Kulturministerium und dem Vorsitzenden des Kulturausschusses der Duma, Gubenko, nicht durchsetzen konnte64. Obwohl auf die Baldin-Sammlung das völkerrechtswidrige Beutekunstgesetz keine Anwendung findet und das Gesetz damit selbst nach innerrussischer Rechtslage nicht als Vorwand für das weitere Zurückhalten dienen kann, verhinderte der Vorsitzende des Kulturausschusses der Duma, Gubenko, die vom russischen Kulturminister zugesagte Rückgabe in letzter Minute, indem er eine Entschließung der Duma veranlasste. Die Abgeordneten der Duma sprachen sich dabei mit großer Mehrheit gegen die Rückgabe der Baldin-Sammlung nach Deutschland aus65. Nachdem Gubenko den Wert der Baldin-Sammlung auf 1,5 Milliarden Dollar hochgerechnet hatte, forderte er eine adäquate Gegenleistung für die Rückgabe ein66. Die wegen der Entschließung der Duma eingeschaltete russische Generalstaatsanwaltschaft untersagte die entschädigungslose Ausfuhr der Baldin-Sammlung mit der Begründung, dass der Bremer Kunstverein sein Eigentum nicht eindeutig nachgewiesen habe67. Zwar sind alle Bremer Kunstwerke, die nach Karnzow ausgelagert wurden, mit Herkunftsangaben, insbesondere mit Stempeln der Bremer Kunsthalle oder des Bremer Kunstvereins versehen68. Die russische Staatsanwaltschaft wandte aber ein, dass die Stempel auf den Blättern und die kopierten Inventarverzeichnisse nur als Beleg dafür taugen, dass die Werke früher in Bremen aufbewahrt oder ausgestellt worden seien69. Damit erkennt die Staatsanwaltschaft 61 Blaum / Salzmann, in: Dokumentation der durch Auslagerung im Zweiten Weltkrieg vermissten Kunstwerke der Kunsthalle Bremen, 1991, 6; F.A.Z. vom 13. 3. 2003: Spätheimkehrer Dürer. 62 Blaum / Salzmann, in: Dokumentation der durch Auslagerung im Zweiten Weltkrieg vermissten Kunstwerke der Kunsthalle Bremen, 1991, 6 f.; F.A.Z. vom 13. 3. 2003: Spätheimkehrer Dürer; F.A.Z. vom 29. 3. 2003: In jedem Fall ein treuer Diener des Staates. 63 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 289 f. 64 Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 289. 65 Die Welt vom 20. 3. 2003: Wir haben uns die Bilder ersessen. 66 DER SPIEGEL, Heft 13 / 2003: Delikates Geben und Nehmen, 128 – 130 (129); Die Zeit, Ausgabe 14 / 2003, Stalingrad der Künste. 67 DER SPIEGEL, Heft 13 / 2003: Delikates Geben und Nehmen, 128 – 130 (128 f.); Die Zeit, Ausgabe 14 / 2003: Stalingrad der Künste; Frankfurter Rundschau vom 19. 3. 2003: Russische Justiz stoppt Rückgabe-Aktion. 68 Blaum / Salzmann, in: Dokumentation der durch Auslagerung im Zweiten Weltkrieg vermissten Kunstwerke der Kunsthalle Bremen, 1991, 7. 69 F.A.Z. vom 19. 3. 2003: Bremer Blätter; Stuttgarter Zeitung vom 21. 3. 2003: Wenn aus guten Absichten schamlose Verbrechen werden.
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
den früheren Besitz in Bremen an, bestreitet aber zugleich die Eigentümerstellung des Kunstvereins in Bremen. Diese Argumentation ist nicht überzeugend, denn es sind in der Regel die Eigentümer, die mit einem entsprechenden Stempelaufdruck auf der ihnen gehörenden Sache den Eigentumsnachweis führen wollen, wenn die Sache ihnen abhanden gekommen ist. Hinzukommt, dass nicht nur die Herkunftsstempel für die Zugehörigkeit zur Bremer Sammlung sprechen. Inventarbücher und alte Kataloge aus Vorkriegstagen belegen zudem eindeutig, dass die Bremer Blätter dem Bremer Kunstverein gehören. Und nicht zuletzt gibt es noch die Aussagen des Offiziers Baldin darüber, unter welchen Umständen die Kunstwerke aus Deutschland nach Russland mitgenommen worden sind. Aber selbst wenn die russische Staatsanwaltschaft anerkennen würde, dass der Bremer Kunstverein bis zum Kriegsende Eigentümer der Kunstwerke gewesen ist, baut sie noch eine weitere Hürde auf. Denn sie behauptet außerdem, Russland habe die Kulturgüter zwischenzeitlich „ersessen“70. Die Ersitzung wird dabei auf Artikel 225 ZGB 1995 gestützt71. Nach Artikel 225 Absatz 2 ZGB 1995 kann das Eigentum an herrenlosen beweglichen Sachen zwar durch Ersitzung erworben werden. Herrenlos ist nach Artikel 225 Absatz 1 ZGB 1995 eine Sache, die keinen Eigentümer hat oder deren Eigentümer nicht bekannt ist oder an der das Eigentum aufgegeben worden ist. Die Kunstwerke aus der Baldin-Sammlung waren aber keine herrenlose Sachen. Sie sind vielmehr dem rechtmäßigen Eigentümer gegen dessen Willen abhanden gekommen72. Das Eigentum des Bremer Kunstvereins ist zudem eine offenkundige Tatsache. Denn die Stempelaufdrucke auf den Kunstwerken dokumentieren unmissverständlich die Herkunft aus Bremen. Von einer Eigentumsaufgabe kann in Anbetracht des beharrlichen Bemühens um Rückgabe ebenfalls nicht gesprochen werden. Aber nicht erst nach dem neuen ab 1995 geltenden Zivilrecht scheidet eine Ersitzung aus. Auch zu einem früheren Zeitpunkt kann es dazu nicht gekommen sein. Abgesehen davon, dass Russland die Baldin-Sammlung in Kenntnis der illegalen Wegnahme aus Deutschland in einem geheimgehaltenen Depot versteckt hat, war das Rechtsinstitut der Ersitzung im sozialistischen Zivilrecht unbekannt73. Die Berufung auf Artikel 225 ZGB 1995, wonach die Baldin-Sammlung als herrenlose Sache ersessen worden sei, stellt indes in völkerrechtlicher Hinsicht einen Rückfall in die Argumentation der antiken-römischen Epoche dar, wo der Feind als rechtlos behandelt wurde. In jener Zeit waren die Güter des besiegten Feindes herrenlose Sachen, die sich der Sieger nach Belieben aneignen konnte74. 70 Frankfurter Rundschau vom 19. 3. 2003: Russische Justiz stoppt Rückgabe-Aktion; Die Welt vom 20. 3. 2003: Wir haben uns die Bilder ersessen; F.A.Z. vom 27. 3. 2003: Erst ausstellen; Die Welt vom 27. 3. 2003: Geben und Nehmen; F.A.Z. vom 29. 3. 2003: In jedem Fall ein treuer Diener des Staates. 71 F.A.Z. vom 19. 3. 2003: Bremer Blätter. 72 Siehe zum Abhandenkommen der Kulturgüter unter: E.III.5.f)bb). 73 Siehe zur Ersitzung unter: E.III.5.d)aa), E.III.5.e)aa) und E.III.5.f)aa); siehe auch: Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Auflage (1997), 27.
VI. Ergebnisse der Rückführungsbemühungen mit Russland
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Jedoch änderte sich diese Auffassung unter dem Einfluss des Gedankengutes im Zeitalter der Aufklärung und führte schließlich zu dem völkerrechtlich allgemein anerkannten Grundsatz, dass Kulturgüter aus dem besetzten Gebiet nicht weggenommen werden dürfen75. Auch wenn die Rückgabe der Baldin-Sammlung im März 2003 gescheitert ist, gibt es noch weitere einzelne Rückgaben, die erwähnenswert sind. Einen Ausnahmefall einer erfolgreichen Rückgabe aus Russland stellt das Gemälde „Die ruhende Henne“ von d‘Hondecoeter dar. Das Kunstwerk hatte eine Privatperson schon 1992 in der deutschen Botschaft in Moskau abgegeben. Bereits auf dem Botschaftsgelände wieder in deutschem Besitz, wartete das Bild dann aber ungefähr neun Jahre geduldig auf die russische Ausfuhrgenehmigung und kam im Juni 2001 zurück in die Sammlung nach Dresden76. Die Zeit, die hier verstrichen ist, bis dieses Gemälde wieder in Deutschland war, dokumentiert sehr anschaulich, wie zäh die Verhandlungen um die Beutekunst mit Russland verlaufen. Ebenfalls nicht dem Beutekunstgesetz unterlagen drei kleinformatige Gemälde, die der russische Präsident Putin 2001 anlässlich eines Staatsbesuches nach Deutschland mitbrachte. Die Kunstwerke gehörten vor dem Krieg in die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und wurden seit Kriegsende vermisst. Private Kriegsbeute umfasste bevorzugt kleinformatige Objekte, wie dies bei den zurückgegebenen Werken der Fall ist, da diese unauffälliger zu transportieren waren. Auf Moskauer Märkten tauchten die Gemälde wieder auf, wo sie ein russischer Bauunternehmer erstand und Dresden zukommen ließ77. Nach langwierigen Verhandlungen gelang es dem deutschen Kulturstaatsminister Nida-Rümelin 2002 außerdem, eine Vereinbarung betreffend die Rückgabe der Kirchenfenster der Marienkirche in Frankfurt / Oder mit dem russischen Kulturminister zu erzielen78. Da die russische Seite dabei konsequent das Verfahren des völkerrechtswidrigen Beutekunstgesetzes angewandt hat, erfolgte die Herausgabe an Deutschland erst, nachdem das russische Parlament durch Gesetz die Herausgabe der Fenster gemäß Artikel 18 Absatz 2 des Beutekunstgesetzes beschlossen hatte. Eine positive Entscheidung war aus der Sicht des russischen Parlamentes deshalb möglich, weil auf die Kirchenfenster die Ausnahmevorschrift des Artikels 74 Wahl, Kunstraub als Ausdruck von Staatsideologie, in: Frank (Hrsg.), Recht und Kunst, 1996, 105 – 135 (120); Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 79; Fiedler, Zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, 199 – 218 (211); Kowalski, Art Treasures and War, 1998, 6. 75 Siehe dazu unter: C.II.2. 76 Dresdner Morgenpost vom 7. 6. 2001: Zwei „Alte Meister“ kehrten zurück. . .. ; Dresdner Neueste Nachrichten vom 7. 6. 2001: Großer Bahnhof für zwei vermisste Gemälde. 77 F.A.Z. vom 28.9. 2001: Nur Trostschnäpse?. 78 Märkische Oderzeitung vom 25. 6. 2002: Ein Gläschen auf die Rückkehr; F.A.Z. vom 29. 6. 2002: Fenster der Marienkirche wieder in Frankfurt / Oder.
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
8 Absatz 2 des Beutekunstgesetzes Anwendung finden konnte. Denn bei den mittelalterlichen Glasfenstern handelte es sich um Kulturgüter im Eigentum einer religiösen Organisation, die ausschließlich zu religiösen oder wohltätigen Zwecken verwandt wurden. Auf diese Gegenstände finden die Enteignungsregelungen des Beutekunstgesetzes keine Anwendung mit der Folge, dass diese Gegenstände auf Antrag selbst nach der Rechtslage des russischen Beutekunstgesetzes der deutschen Regierung herausgegeben werden müssen. Ein weiterer kleiner Rückführungserfolg konnte 2003 bei historischen Zeitungsbeständen erreicht werden. Aus der Russischen Staatsbibliothek kamen Zeitungen aus drei Jahrhunderten nach Deutschland. Allerdings waren die Zeitungen nur zu einem Teil kriegsbedingt nach Russland verbracht worden. Etliche Zeitungstitel gehörten stattdessen zum eigenen Bestand der Russischen Staatsbibliothek, die sich davon im Rahmen der guten Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft trennte79. Was die kriegsbedingt zurückgegebenen Zeitungen anbelangt, sind damit erstmals Kulturgüter zurückgegeben worden, die im Prinzip unter das Beutekunstgesetz fallen, ohne dass eine der Ausnahmebestimmungen für eine Rückgabe eingreift80. Die Rückkehr der Zeitungsbestände ist besonders bemerkenswert, weil sie zeitlich parallel zu der verhinderten Rückgabe der BaldinSammlung erfolgt ist, die ihrerseits selbst nach innerrussischer Rechtslage nicht unter das Beutekunstgesetz fällt. Im Jahr 2000 gab es auch eine Rückgabe in Richtung Russland, indem Deutschland eine Ikone aus Pkow an Russland aushändigte und damit die Beiderseitigkeit der Verpflichtung aus der Rückgabeklausel des deutsch-russischen Kulturabkommens deutlich machte. Es folgte ferner im Jahr 2002 von deutscher Seite die Rückgabe von sieben Gemälden, die aus den Zarenschlössern bei St. Petersburg entwendet worden waren81. Diese vereinzelten Rückgabehandlungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentlichen Ergebnisse bei der Rückführung von Kulturgut mit Russland noch ausstehen. Die Hürden, die mit den Verstaatlichungen der Kulturgüter im Beutekunstgesetz errichtet worden sind, sind derzeit hoch. Dies wird bestätigt durch die Aussage des russischen Kulturministeriums auf der Konferenz zur praktischen Umsetzung des Beutekunstgesetzes im April 2001 in Moskau, wonach streng nach dem Gesetz verfahren und keine sonstigen Lösungsansätze akzeptiert würden82. Ein Vergleich mit anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion zeigt 79
F.A.Z. vom 20. 3. 2003: Strandgut im Westhafen; F.A.Z. vom 17. 4. 2003: Dreißig Uni-
kate. 80 So auch der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Lehmann in: F.A.Z. vom 20. 3. 2003: Strandgut im Westhafen. 81 Die Welt vom 18. 5. 2002: Russland bekommt Gemälde und sucht nach Brecht. 82 Bericht über die internationale Konferenz am 24. bis 25. April 2001 in Moskau: Syssoeva, Perspektiven der praktischen Umsetzung des russischen Kulturgüterschutzgesetzes, in: AVR 40 (2002), 54 – 63 (56).
VII. Praktische Illustration: Das Bernsteinzimmer
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aber: Im Gegensatz zu Russland führen andere Nachfolgestaaten kriegsbedingt verbrachte deutsche Kulturgüter ohne Vorbehalte zurück. Vorreiter war hier Georgien, das 1996 Buchbestände, darunter Bände aus der verloren geglaubten Handbibliothek Friedrich Schillers sowie eine kostbare Streitschrift Martin Luthers aus dem Jahre 1523, zurückgegeben hat83. Auch die Ukraine verhält sich kooperativer, indem sie 2001 ein Archiv mit rund 5000 Musikalien mit Autographen von Bach, Mozart und anderen Komponisten an die Sing-Akademie zu Berlin aushändigte84.
VII. Praktische Illustration: Das Bernsteinzimmer Wie Kunst die Geschicke der Politik beeinflussen kann, zeigt das legendäre Bernsteinzimmer. Da es sich bei dem Zimmer um ein Durchschnittswerk des deutschen Rokokos handelt85, verdankt es seinen Bekanntheitsgrad weniger seiner künstlerischen Qualität als vielmehr seiner politischen Bedeutung. Das Bernsteinzimmer spielt auch bei den Rückführungsverhandlungen eine besondere Rolle, weshalb hier näher dem Schicksal dieses Kunstwerkes nachgegangen werden soll. Das Bernsteinzimmer spiegelt einerseits das gute nachbarschaftliche Verhältnis mit Russland wieder, als der Aufstieg des Landes Preußen im 18. Jahrhundert begann. Aber das Bernsteinzimmer wirft auch einen Schatten auf die jüngere deutsche Vergangenheit, nämlich durch die Verschleppung dieses Kunstschatzes durch die deutsche Wehrmacht 1941 im Zweiten Weltkrieg aus der Nähe von Leningrad (St. Petersburg) in das damals deutsche Königsberg. Heute steht das weiterhin verschollene Bernsteinzimmer für die vielen aus der Sowjetunion gestohlenen Kulturgüter. Es ist in den Jahrzehnten nach dem Krieg zunehmend zum Symbol für die hemmungslose nationalsozialistische Raubzugspolitik auf dem Gebiet der Kunst und Kultur geworden86. Andererseits dient das Zimmer nicht nur dazu, mit seinem Raub aus Russland, seinem Verschwinden in den Kriegswirren und der vergeblichen Suche nach Kriegsende den Kunstraub der Nationalsozialisten in der Sowjetunion als Verbrechen wach zu halten. Darüber hinaus erfüllt es wohl auch den Zweck, für die russische Seite den Raub deutschen Kulturgutes zu kaschieren und nicht zuletzt auch zu legitimieren87.
83 Ritter, Kulturerbe als Beute?, 1997, 27; Hamann / Lülfing / Mälck, Glückliches Ende einer Odyssee, in: ZfBB 44 (1997), 599 – 616; Die Welt vom 29. 4. 2000: Von keinem Gesetz gedeckt. 84 F.A.Z. vom 3. 12. 2001: Jubelgesang. 85 Bonner Rundschau vom 24. 5. 2003: Jäger des verlorenen Schatzes. 86 F.A.Z. vom 29. 4. 2000: Retter der Heimat; Süddeutsche Zeitung vom 3. 2. 2001: Der Bernstein des Anstoßes. 87 Siehe auch: Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 136; Michal, Der Fall Bernsteinzimmer, in: Geo 5 / 1997, 120 – 149 (143); Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 290 f.
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
Wegen der Instrumentalisierung und damit der politischen Funktion, die dieses Zimmer bewusst oder unbewusst im Rahmen der Rückführungsverhandlungen erfüllt, erscheint ein Rückblick auf seine Historie angezeigt, um seine derzeitige Bedeutung richtig einschätzen zu können. Bemerkenswerterweise wurde das Zimmer bereits kurz nach seiner Herstellung für die Zwecke der Politik genutzt. Diese besondere Bestimmung hat es – wenn auch in anderer Weise – noch heute. Ursprünglich ist die Wandtäfelung mit Bernsteinfeldern als Auftragsarbeit in Königsberg tätiger dänischer und Danziger Kunsthandwerker für den preußischen König Friedrich I. geschaffen worden und war zunächst für das Schloss Charlottenburg vorgesehen88. Eingebaut wurden die Tafeln nach elfjähriger Arbeit 1712 jedoch in einem Eckzimmer des Berliner Stadtschlosses89. Im Gegensatz zu seinem kunstsinnigen Vater Friedrich I. setzte dessen Sohn, der sogenannte Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., auf den Ausbau der Armee zur militärischen Festigung Preußens und fand in dem russischen Zaren Peter dem Großen einen Verbündeten90. Dabei spielte das Bernsteinzimmer keine unbedeutende Rolle. Als sich 1716 Peter der Große in Berlin aufhielt, um das angestrebte Bündnis zwischen Russland und Preußen zur Eindämmung des schwedischen Einflusses im Ostseeraum zu besiegeln, äußerte er seine Bewunderung für das Bernsteinzimmer. Zur Bekräftigung der militärischen Allianz bekam Peter der Große daraufhin das Bernsteinzimmer geschenkt91. Dieser finanzielle Einsatz erwies sich im weiteren Lauf der Geschichte auch als lohnendes Opfer: Wenige Jahre später wurde Schweden gemeinsam besiegt. Preußen gewann Vorpommern und Stettin hinzu, wodurch es den Grundstein für seinen späteren Aufstieg zur europäischen Großmacht legte, und Peter der Große erlangte die Vormachtstellung im Ostseeraum92. Das nach St. Petersburg transportierte Bernsteinzimmer ließ die Zarentochter Elisabeth 1755 in das nur wenige Kilometer entfernte Zarendorf, Zarskoje Selo, bringen, um es in die Sommerresidenz, den Katharinenpalast, einzubauen. Der Hofarchitekt Rastrelli verwandte die Bernsteinpaneele zur Ausgestaltung des Festsaales, der wesentlich größer war als das ursprüngliche Bernsteinzimmer in Berlin. Um die vorhandenen Paneele in den größeren Raum einzupassen, wurden 24 venezianische Spiegel eingefügt. Vier italienische Landschaftsdarstellungen aus Steinmosaik mit den allegorischen Darstellungen der fünf Sinne dienten der Vollendung des Raumeindrucks. Unter Verwendung der Bernsteintäfelung war damit ein einmaliges Kunstwerk entstanden, das vor allem am Abend im Kerzen88 Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 22; Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 24 f. 89 Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 25; Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 25. 90 Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 25 f. 91 Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 25 f.; Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 26 ff. 92 Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 28.
VII. Praktische Illustration: Das Bernsteinzimmer
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schein der vielen Leuchter einen überwältigenden Eindruck beim Betrachter hinterlassen haben muss93. Im Zweiten Weltkrieg erreichten Mitte September 1941 die deutschen Truppen den grünen Gürtel im Südwesten Leningrads, in dem auch der nach der russischen Revolution von 1917 verstaatlichte Katharinenpalast mit seinem Bernsteinzimmer lag94. Der Katharinenpalast diente als Quartier der deutschen Soldaten, die dort keineswegs alle Rücksicht auf das Inventar nahmen. Noch bevor das Bernsteinzimmer durch die deutsche Wehrmacht nach Königsberg abtransportiert wurde, plünderten einzelne deutsche Soldaten unter Verstoß gegen das Völkerrecht und nahmen Kulturgüter als Kriegstrophäe für sich nach Deutschland mit. Im Bernsteinzimmer rissen sie die zum Schutz vor Kriegseinwirkung notdürftig aufgeklebte dicke Pappe herunter und brachen mit dem Seitengewehr Erinnerungsstücke heraus. Der Augenzeuge Hans Hundsdörfer hat dazu einen Leserbrief in der F.A.Z. vom 25. August 1966 geschrieben95: „So kam ich auch in das Bernsteinzimmer. Hier waren die Wände mit dicker Pappe zugeklebt und abgedeckt. Ich sah zwei Landser, wie sie sich mühten, aus Neugierde die Verkleidung herunterzureißen. Zutage kamen wunderbar leuchtende Bernstein-Schnitzereien als Rahmen eines Mosaikbildes. Als die beiden ihre Seitengewehre zückten, um sich ,Erinnerungsstücke‘ herauszubrechen, schritt ich ein. Anderntags sah das ,Bernsteinzimmer‘ schon einigermaßen wüst aus. Viel Pappe war abgerissen, Schnitzereien abgeschlagen, Bernsteinspäne bedeckten den Fußboden entlang den Wänden.“ Zu diesen geplünderten Gegenständen gehört auch das 1997 wieder aufgetauchte florentinische Steinmosaik96. Dem Abtransport des Bernsteinzimmers nach Königsberg ging ein Gerangel zwischen den einflussreichen Größen des Dritten Reichs voraus: Reichsmarschall Göring wollte es für seine Sammlung haben, und der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Rosenberg hätte es gerne nach Berlin verbracht, indes sich Gauleiter Koch durchsetzte97. Im Frühjahr 1942 wurde das Bernsteinzimmer in verkleinerter Form im Königsberger Schloss ausgestellt98 und 1944, als die Front herannahte, wieder demontiert und in Luftschutzräumen in Sicherheit gebracht99. Das Bernsteinzimmer soll im 93 Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 26 ff.; Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 29 f. 94 Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 44. 95 Zitiert nach: Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 46 f.; Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 30. 96 DER SPIEGEL, Heft 21 / 1997: „Das kann man nicht fälschen“, 34 – 37; DER SPIEGEL, Heft 22 / 1997: „Tränen unserer Vorfahren“, 198 – 200. 97 Kurz, Kunstraub in Europa 1938 – 1945, 1989, 313 f. 98 Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 76; Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 67 ff. 99 Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 80 ff.; Kurz, Kunstraub in Europa 1938 – 1945, 1989, 314.
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
August 1944 den schweren Bombenangriff auf Königsberg, bei dem auch das Schloss fast völlig niederbrannte, bis auf sechs Sockelelemente überstanden haben100. Da es sich aber gleichwohl nach Kriegsende nicht mehr auffinden ließ, wirft sein Verbleib bis heute ungelöste Rätsel auf. Die Suche nach dem Bernsteinzimmer beschäftigte jahrzehntelang Schatzsucher, Kunstsammler, die DDR-Staatssicherheit, russische und deutsche Behörden101. 1997 sind zwar das bereits erwähnte florentinische Mosaikbild aus dem Bremer Handel mit Russland102 und außerdem eine in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts in Russland hergestellte klassizistische Kommode mit Intarsien, die im Bernsteinzimmer aufgestellt war, aufgetaucht. Rückschlüsse auf den Verbleib des restlichen Zimmers haben sich daraus jedoch nicht ergeben. Denn es handelt sich bei den beiden aufgefundenen Teilen um Objekte, die schon vor dem Verschwinden des ganzen Zimmers entfernt worden waren. Aber die Spekulationen, wo sich das Bernsteinzimmer befinden könnte, sind durch den Fund wieder aufgelebt. Hinter der Fassade der Faszination, die meisterliche Kunstwerke auf den Betrachter ausüben, vollziehen sich bisweilen Aktionen, die weniger dem kunstsinnigen Bereich als vielmehr dem Bereich der kriminellen Handlungen zuzuordnen sind. Nicht nur, dass das Mosaikbild aus Russland gestohlen worden ist, die Verstrickung in kriminelle Handlungen ist damit noch nicht abgeschlossen. Das florentinische Steinmosaik hatte der letzte Besitzer 1978 von seinem verstorbenen Vater, der zu einer Einheit gehört haben soll, die in Zarskoje Selo das Bernsteinzimmer demontiert hatte, geerbt103. Er behauptete, das Mosaik auf dessen Speicher gefunden zu haben, und es angeblich im Glauben, ein gewöhnliches Bild zu besitzen, über dem Sofa aufgehängt zu haben. Erst 1992 nach Ablauf der 10jährigen Frist für den Erwerb durch Ersitzung bei Gutgläubigkeit gemäß § 937 BGB will er den wahren Wert aus dem Fernsehen erfahren haben104. Die ersten Pressemeldungen nach der Sicherstellung des Mosaiks legten zunächst die Vermutung nahe, der Besitzer habe das Mosaik gutgläubig ersessen105. Jedoch traten im wei100 Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 86 ff.; Enke, Bernsteinzimmer-Report, 1986, 74 f. 101 Kurz, Kunstraub in Europa 1938 – 1945, 1989, 315; Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 13 und 191 ff.: letzterer führt außerdem aus, dass Paul Enke, der den Bernsteinzimmer-Report geschrieben hat, sich nach außen als Hobbyforscher ausgab, aber tatsächlich als Stasi-Offizier im besonderen Einsatz über Jahrzehnte hinweg an mehr als hundert Orten nach dem verschollenen Schatz gesucht hat. 102 Siehe dazu unter G.IV. 103 DER SPIEGEL, Heft 52 / 1997: Träne für Boris, 50 – 53 (50). 104 DER SPIEGEL, Heft 52 / 1997: Träne für Boris, 50 – 53 (51); DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (210). 105 DER SPIEGEL, Heft 21 / 1997: „Das kann man nicht fälschen“, 34 – 37 (35); Bonner Rundschau vom 16. 5. 1997: Eigentum an dem Kunstwerk „ersessen“?; siehe aber: Krämer, Bernsteinzimmer-Mosaik: Ersitzung durch den gutgläubigen Erben des bösgläubigen Besitzers?, in: NJW 1997, 2580 – 2581, der entgegen der h.M. zu dem Ergebnis kommt, dass der Sohn das Bild dann nicht habe ersitzen können, wenn er auf nichts weiter vertraut habe, als
VII. Praktische Illustration: Das Bernsteinzimmer
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teren Verlauf diejenigen Umstände zutage, die dessen Gutgläubigkeit in Frage stellten. Widerlegt wurde die Gutgläubigkeit des Besitzers durch die heimliche Suche nach einem Käufer über einen Anwalt106 sowie durch die Aussage seiner früheren Ehefrau, wonach ihrem früheren Mann sehr wohl bekannt gewesen sein muss, welcher Schatz so lange verborgen war. Die ehemalige Ehefrau hatte sich aus Südafrika gemeldet und mitgeteilt, dass ihr ehemaliger Ehemann ihr verboten habe, über das Mosaik auf dem Dachboden zu sprechen107. Das florentinische Steinmosaik wurde im Mai 1997 bei einem Bremer Anwalt sichergestellt, der es im Auftrag des Besitzers „Mister X“ für 2,5 Millionen Dollar auf konspirative Weise einem vermeintlichen Interessenten, einem Zivilfahnder der Polizei, in seiner Praxis zum Kauf angeboten hatte108. Nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs war die Presse über das fiktive Verkaufsgespräch mit der anschließenden Festnahme des Anwaltes schon vorab über V-Leute der Polizei, ehemalige Stasimitarbeiter, informiert; diese V-Leute waren für diese Indiskretion auch bezahlt worden109. Die in der Presse abgedruckten Photos, die in den Kanzleiräumen des Anwaltes gefertigt worden waren, sind, wie der Bundesgerichtshof in seinem Urteil festgestellt hat, unter massiver Verletzung des Hausrechtes des Anwaltes und der geschützten Persönlichkeitsrechte entstanden. Der Anwalt ist wegen versuchten Betruges rechtskräftig verurteilt worden110. Durch die Verkaufsofferte geriet nicht nur der mit dem Verkauf beauftragte Bremer Anwalt, sondern auch der nichtberechtigte Besitzer des Mosaiks „Mister X“ in Verdacht, wissentlich einen ihm nicht gehörenden Gegenstand an einen Dritten veräußern zu wollen. Da der Besitzer mangels Gutgläubigkeit das Mosaik nicht nach § 937 BGB ersessen hatte, und er damit nach § 935 Absatz 1 BGB keinem gutgläubigen Käufer an dem in Russland abhanden gekommenen Kunstwerk das Eigentum verschaffen konnte, wurde ihm zur Last gelegt, einen Betrugsversuch begangen zu haben. Er wurde verhaftet und verbrachte 66 Tage in der Untersuchungshaftanstalt Moabit111. Nach seinem Tod kam das Mosaik in den Besitz seiner Tochter112. dass der Gegenstand, der sich faktisch im Nachlass seines Vaters befunden hatte, auch dessen Eigentum gewesen sei; Erwiderung mit Begründung der h.M.: Finkenauer, Gutgläubiger Erbe des bösgläubigen Erblassers – Das Bernsteinzimmer-Mosaik, in: NJW 1998, 960 – 962. 106 DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211. 107 DER SPIEGEL, Heft 52 / 1997: Träne für Boris, 50 – 53 (51). 108 Das Wochenmagazin DER SPIEGEL berichtete ausführlich über die wieder aufgefundenen Teile: DER SPIEGEL, Heft 21 / 1997: „Das kann man nicht fälschen“, 34 – 37; DER SPIEGEL, Heft 22 / 1997: „Tränen unserer Vorfahren“, 198 – 200; DER SPIEGEL, Heft 52 / 1997: Träne für Boris, 50 – 53; DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211. 109 Siehe: Urteil des BGH vom 26. 6. 2001 – 5 StR 69 / 01; dazu auch: Remy, Mythos Bernsteinzimmer, 2003, 11. 110 Urteil des BGH vom 26. 6. 2001 – 5 StR 69 / 01; Die Welt vom 27. 6. 2001: BernsteinMosaik: Bundesgerichtshof verschärft Strafe. 111 DER SPIEGEL, Heft 52 / 1997: Träne für Boris, 50 (51). 11*
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
Durch die Sicherstellung des Mosaiks rückte das Bernsteinzimmer insgesamt in den Blickpunkt von Pressemeldungen113. Dies veranlasste die Besitzerin einer Kommode, das Möbelstück mit Abbildungen aus dem Bernsteinzimmer in der Presse zu vergleichen. Über ihren Anwalt lieferte sie daraufhin das Möbelstück, auf dessen Rückseite in kyrillischer Schrift die Inventarbezeichnungen der Schlossverwaltung von Zarskoje Selo eingebrannt sind, beim Magazin DER SPIEGEL ein, um die Herkunft prüfen zu lassen114. 1978 hatte sie die Kommode für 20.000 DM bei der DDR-Firma Kunst- und Antiquitäten GmbH, ein Unternehmen der „Kommerzielle Koordinierung“ des DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski, gekauft115. Das Land Bremen sah in dem Mosaik aus dem Bernsteinzimmer ein Faustpfand116. Ohne Rücksicht darauf, dass das Land Bremen für die Rückführung kriegsbedingt verbrachten Kulturgutes nicht zuständig ist, sondern dies eine Angelegenheit ist, die das Grundgesetz dem Bund zugewiesen hat117, handelte der Senat der Freien Hansestadt Bremen mit dem russischen Kulturministerium das Zug-umZug-Geschäft des Mosaiks gegen die 101 Bremer Blätter aus. Um die Ausfuhr zu verhindern, wurde das Verfahren zur Aufnahme des Mosaiks und der Kommode in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingeleitet 118. Damit war nach § 4 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (KgSchG) die Ausfuhr untersagt mit der Folge, dass Zuwiderhandlungen nach § 16 Absatz 1 KgSchG mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden können. Mit Sponsorenmitteln wurden schließlich sowohl das Mosaik (200.000 DM) wie auch die Kommode (100.000 DM) bei ihren Besitzern ausgelöst und im April 2000 in Anwesenheit des russischen Präsidenten Putin durch den für die Rückführung von Kulturgütern zuständigen Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien sowie den Bremer Bürgermeister in St. Petersburg feierlich übergeben119. Bevor es zu diesem kulturpolitischen „Happy end“ kommen konnte, wurde die nach dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes Remy, Mythos Bernsteinzimmer, 2003, 12. U.a.: DER SPIEGEL, Heft 21 / 1997: „Das kann man nicht fälschen“, 34 – 37; Kölner Stadt-Anzeiger vom 15. 5. 1997: Mosaik aus dem Bernsteinzimmer gefunden?; Hannoversche Allgemeine vom 16. 5. 1997: Mosaik aus dem Bernsteinzimmer – was tat sich in Bonn?; F.A.Z. vom 16. 5. 1997: Triumph des grauen Marktes. 114 DER SPIEGEL, Heft 22 / 1997: „Tränen unserer Vorfahren“, 198 – 200 (198 f.); DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (211). 115 DER SPIEGEL, Heft 22 / 1997: „Tränen unserer Vorfahren“, 198 – 200 (198); DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (211). 116 DER SPIEGEL, Heft 52 / 1997: Träne für Boris, 50 – 53 (50); DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (211). 117 Zur rechtlichen Dimension des Bremer Handels siehe unter G.IV. 118 DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (210). 119 DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211. 112 113
VII. Praktische Illustration: Das Bernsteinzimmer
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gegen Abwanderung eingeleitete Unterschutzstellung der beiden Teile aus dem Bernsteinzimmer im Katharinenpalast bei St. Petersburg als national wertvolles deutsches Kulturgut wieder aufgehoben. Damit entfiel auch das vorläufige Ausfuhrverbot nach § 4 KgSchG. Beim Auftauchen der beiden Teile aus dem Bernsteinzimmer forderte Russland die zügige Rückgabe, und der Ministerpräsident Tschernomyrdin unterstrich die Bedeutung des Bernsteinzimmers mit den Worten: „Das sind Tränen, Tränen unserer Vorfahren“120. Bei der offiziellen Übergabezeremonie in St. Petersburg erhob der russische Präsident Putin die beiden Teile des Bernsteinzimmers sogar in den Rang eines nationalen Heiligtums121. Dennoch wurde genau dieses nationale Heiligtum sogleich auf Tournee geschickt, und zwar in das Land, aus dem es gerade mit viel Aufmerksamkeit durch Politik, Wirtschaft und Medien ausgereist war: nach Deutschland. Dort konnten die beiden Originale mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie im Herbst 2000 in Schloss Britz, Berlin, bewundert werden122. Eine weitere Etappe war zusammen mit weiteren Leihgaben aus der Bernsteinsammlung des staatlichen Museums in Zarskoje Selo die Doppelausstellung „Mythos Bernsteinzimmer“ im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte und im Karstadt-Haus in Dortmund123. Ihren endgültigen Platz haben die Exponate zwischenzeitlich im restaurierten Bernsteinzimmer des Katharinenpalastes bei St. Petersburg gefunden. Der Ministerrat der russischen Sowjetrepublik hatte 1979 die Entscheidung getroffen, das Bernsteinzimmer wiederherzustellen124. Nach Auflösung der Sowjetunion kamen die Arbeiten wegen Geldmangel ins Stocken. Es sprang ein Sponsor aus Deutschland ein. Denn die deutsche Ruhrgas AG stellte für die Wiederherstellung des Bernsteinzimmers einen Betrag von bis zu 3,5 Millionen Dollar zur Verfügung125. Die Unterstützung kam nicht ganz von ungefähr, denn die Ruhrgas AG bezieht seit drei Jahrzehnten Erdgas aus Russland und ist auch Aktionär beim russischen Erdgasunternehmen Gazprom. Auslöser für die Ruhrgas AG, sich gerade bei der Rekonstruktion des Bernsteinzimmers zu engagieren, war die symbolische Bedeutung des Kunstwerkes für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland mit ihren Höhen und Tiefen126. Rechtzeitig zum 300. Stadtjubiläum von St. Petersburg 120 DER SPIEGEL, Heft 17 / 2000: Ende der Geiselhaft, 210 – 211 (210); DER SPIEGEL, Heft 22 / 1997: „Tränen unserer Vorfahren“, 198 – 200 (200). 121 Berliner Morgenpost vom 2. 5. 2000: Zeremonie mit Hubschrauber. 122 Berliner Morgenpost vom 15. 9. 2000: Schau für Schatzgräber; F.A.Z. vom 13. 10. 2000: Bald wird das Gold der Ostsee wieder leuchten; Die Welt vom 2. 5. 2000: Ein Hoffnungsstrahl am Beutekunst-Himmel. 123 General-Anzeiger vom 16. 2. 2001: Dortmund zeigt „Mythos Bernsteinzimmer“. 124 Remy, Mythos Bernsteinzimmer, 2003, 174; Der Tagesspiegel vom 14. 5. 2003: Tränen der Ostsee. 125 Der Tagesspiegel vom 14. 5. 2003: Tränen der Ostsee; Süddeutsche Zeitung vom 14. 5. 2003: Stromschnellen in Buttercreme. 126 Bergmann, Vorwort, in: Semjonowa, Das Bernsteinzimmer, 2003, 13.
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G. Rückführungsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland
im Jahre 2003 wurden die Arbeiten am Bernsteinzimmer beendet und das wiederhergestellte Bernsteinzimmer gemeinschaftlich vom russischen Präsidenten Putin und dem deutschen Bundeskanzler Schröder eingeweiht. Das Pathos, mit dem sich die Rückführung der beiden originalen Teile aus dem Bernsteinzimmer vollzogen hat, die anschließende ausgeprägte Zurschaustellung in Deutschland, kurz nachdem beide Teile an Russland feierlich übergeben worden waren, sowie die Einweihung des rekonstruierten Bernsteinzimmers auf höchster politischer Ebene stützen die These127, dass das Bernsteinzimmer die Erinnerung an den Kunstraub der Nationalsozialisten in Russland wach halten soll. Auf diese Weise wird davon abgelenkt, dass auch von der stalinistischen Diktatur Unrecht ausgegangen ist mit der Folge, dass in Russland noch unzählige deutsche Kulturgüter liegen, die rechtswidrig mitgenommen worden sind und deren vertragsgemäße Rückkehr Deutschland stets anmahnt128, deren konkrete Rückgabe aber eben noch aussteht.
127 Siehe auch: Reuth, Auf der Spur des Bernsteinzimmers, 1998, 136; Michal, Der Fall Bernsteinzimmer, in: Geo 5 / 1997, 120 – 149 (143); Akinscha / Koslow, Beutekunst, 1995, 289 f. 128 Der deutsche Kulturstaatsminister unterstrich bei der Rückgabe der beiden Teile aus dem Bernsteinzimmer an Russland das Anliegen nach Rückgabe der in Russland lagernden Beutekunst: Berliner Morgenpost vom 2. 5. 2000: Zeremonie mit Hubschrauber; F.A.Z. vom 29. 4. 2000: Retter der Heimat.
H. Die Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut aus Russland nach Deutschland I. Allgemein Mit der Beendigung des Kalten Krieges zwischen den beiden Machtblöcken in Ost und West sind auch die Grenzen von Russland nach Deutschland durchlässiger geworden. Dies bedeutet, dass nunmehr zunehmend kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter aus Russland nach Deutschland zurückkehren und zum Verkauf angeboten werden. Dies gilt zum einen für die zu privaten Zwecken nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland geplünderten Gegenstände, die auch nach der innerrussischen Rechtslage ihren derzeitigen russischen Besitzern nicht zustehen. Aber auch der russische Staat und seine Einrichtungen sondieren die Möglichkeiten, ob und inwieweit sich kriegsbedingt verbrachtes deutsches Kulturgut im Westen absetzen lässt, nachdem das bis Anfang der 90er Jahre in Depots versteckte Kulturgut durch das Beutekunstgesetz von 1998 als russisches Eigentum deklariert worden ist. Beim Export von Kulturgut zu Verkaufszwecken wird die Erwartung gehegt, dass im Westen höhere Preise erzielt werden können, als dies in Russland der Fall ist. Dort ist der Kunstmarkt in der postkommunistischen Phase noch nicht entsprechend etabliert. Die Rechtslage nach Wiedereinführung von kriegsbedingt verbrachtem deutschem Kulturgut in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist daher von zunehmender Bedeutung. Da bereits im Rahmen dieser Untersuchung festgestellt worden ist, dass die deutschen Einrichtungen und privaten Sammler in Anwendung des russischen Zivilrechts während der Lagerung ihrer Werke auf russischem Territorium ihr Eigentum in der Regel nicht verloren haben1 und die Bundesrepublik Deutschland nach Völkergewohnheitsrecht2 aber auch aufgrund der Kulturgüterrückgabeklauseln im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 sowie im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 gegenüber Russland einen völkerrechtlichen Herausgabeanspruch hat, bleibt der Rechtsstatus des kriegsbedingt verbrachten Kulturgutes bei Rückkehr nach Deutschland zu untersuchen. Hierbei geht es insbesondere darum, ob die deutschen Einrichtungen und privaten Sammler nunmehr in Deutschland durch Veräußerungen eines Nichtberechtigten oder durch Ersitzung ihr Eigentum verlieren können, bzw. ob ihnen zumindest die Einrede der Verjährung gegen den Herausgabeanspruch des Eigentümers entgegen gehalten werden kann. Aber nicht nur bei Veräußerungen, sondern auch im Rahmen von 1 2
Siehe dazu unter: E.III.5.a) – E.III.5.f)bb). Siehe dazu unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V.
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
Ausleihen der Beutekunst für Ausstellungen stellt sich die Eigentumsfrage, wenn die Kulturgüter anschließend wieder nach Russland zurückgegeben werden sollen. Nach § 985 BGB kann der Eigentümer von dem Besitzer die Herausgabe des Kulturgutes verlangen. Eine Vielzahl von Fallkonstellationen sind denkbar; nachfolgend soll es um grundsätzliche Überlegungen gehen. Nach deutschem Internationalem Privatrecht gilt bei einer Eigentumsübertragung der Grundsatz, dass jeweils das Recht des Ortes anzuwenden ist, an dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Eigentumsübertragung befindet (lex rei sitae)3.
II. Der Überleitungsvertrag Beim Überleitungsvertrag4 handelt es sich um den Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen in der gemäß Liste IV zu dem am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung. Im Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 1 dieses Vertrages5 verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland, in Zukunft keine Einwendungen gegen Maßnahmen zu erheben, die gegen das deutsche Auslands- oder sonstige Vermögen durchgeführt worden waren oder werden sollten, das beschlagnahmt worden war für Zwecke der Reparation oder Restitution oder auf Grund des Kriegszustandes oder auf Grund von Abkommen, die die drei Mächte mit anderen alliierten Staaten, neutralen Staaten oder ehemaligen Bundesgenossen Deutschlands geschlossen haben oder schließen werden. Nach dem Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 3 des Überleitungsvertrages werden Ansprüche und Klagen gegen Personen, die auf Grund der in Absatz 1 dieses Artikels bezeichneten Maßnahmen Eigentum erworben oder übertragen haben, sowie Ansprüche und Klagen gegen internationale Organisationen, ausländische Regierungen oder Personen, die auf Anweisung dieser Organisationen oder Regierungen gehandelt haben, nicht zugelassen. Mit dem Ziel, einen Schlussstrich unter die im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg erfolgten Maßnahmen gegen deutsches Auslands- oder sonstiges Vermögen zu ziehen, wurde dieser weitgehende Klageausschluss zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten Großbritannien, den USA und Frankreich vereinbart. Vor deutschen Gerichten können also im Wege der Klage keine Ansprüche erhoben werden, allerdings nur dann nicht, wenn die im Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 1 des Überleitungsvertrages genannten Voraussetzungen vorliegen6. Siehe zur lex rei sitae auch unter: E.III.5.b). Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen, BGBl. II 1955, 405. 5 Diese Bestimmungen sind ausdrücklich auch nach der Vereinigung Deutschlands 1990 in Kraft geblieben: BGBl. II 1990, 1386. 6 Dieser Absatz ist weitgehend zitiert nach: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (541). 3 4
II. Der Überleitungsvertrag
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Auch wenn die Sowjetunion nicht zu den Staaten gehörte, die den Überleitungsvertrag unterzeichnet haben, ist der Vertrag in Bezug auf die Sowjetunion und die Russische Föderation als einem Nachfolgestaat der Sowjetunion nicht gänzlich unbeachtlich. Zwar ist im Völkerrecht anerkannt, und dies hat auch in Artikel 34 WVK seinen Ausdruck gefunden, dass völkerrechtliche Verträge im Grundsatz nur zwischen den vertragschließenden Staaten Bindungswirkung entfalten7. Gleichwohl gibt es von diesem Grundsatz Ausnahmen. Ein derartiger Fall ist gegeben, wenn die vertragschließenden Parteien in einer Art Reflexwirkung der Rechte, Drittstaaten begünstigen wollen8. Diese Drittbegünstigung nimmt das Bundesverfassungsgericht9 für den im Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 1 des Überleitungsvertrages geregelten Einwendungsausschluss an, mit der Folge, dass Deutschland auch Drittstaaten keine Einwendungen entgegenhalten kann. Jedoch wird die Drittbegünstigung nur dann eintreten können, wenn diejenigen Voraussetzungen vorliegen, die im Überleitungsvertrag aufgestellt sind, damit als Rechtsfolge der Einwendungsausschluss greifen kann. Nur wenn die im Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 1 des Überleitungsvertrages aufgestellten Kriterien erfüllt sind, wird die Bundesrepublik Deutschland keine Einwendungen erheben, und werden Ansprüche und Klagen gemäß Absatz 3 nicht zugelassen. Ein globaler Verzicht auf Alles und Jedes, und schon gar nicht auf die kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgüter, ist mit dem Einwendungsausschluss hingegen nicht verbunden. Maßgebend bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge ist der Wille der Vertragsparteien, wie er im Vertragstext zum Ausdruck gekommen ist. Da die Westmächte Kulturgüter im Allgemeinen nicht als taugliche Objekte von Reparationsforderungen angesehen und letztendlich insgesamt davon Abstand genommen haben, für Zwecke der Reparation auf deutsches Kulturgut zuzugreifen, müsste dies nach Turner10 bei der Auslegung des Überleitungsvertrages mit berücksichtigt werden. Nach seiner Ansicht, der hier zugestimmt wird, kann Kulturgut nicht unter den vereinbarten Einwendungs- und Klageausschluss fallen. Denn der Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen bezieht sich auf deutsches Auslands- und sonstiges Vermögen, das zu Zwecken der Reparation, Restitution oder auf Grund des Kriegszustandes oder aufgrund von Abkommen beschlagnahmt worden ist. Die aufgeführte Zweckbestimmung ist bei Kulturgut nicht gegeben, weil das Völkerrecht die Beanspruchung von Kulturgut als Schadensersatz für Kriegsschäden grundsätzlich verbietet. Insoweit haben sich die alliierten Mächte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf die Beschlagnahme von deutschem Kulturgut zu Reparationszwecken verständigen können. Überlegungen zur Inanspruch7 Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage (2001), 1 – 85 (66); Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984), 482 ff. 8 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984), 483. 9 BVerfGE vom 28. 1. 1998 – Az: 2 BvR 1981 / 97. 10 Turner, in: Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage, 1991, 150 f.
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
nahme von Kulturgut stießen auf erhebliche Vorbehalte11. Da die Voraussetzungen, die im Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 1 des Überleitungsvertrages aufgestellt werden, nicht erfüllt sind, kann der Einwendungsausschluss nicht eintreten. Klagen bleiben folglich in Bezug auf Kulturgut weiter zulässig. Die Prüfung der Voraussetzungen für den Einwendungsausschluss nach dem Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 1 des Überleitungsvertrages obliegt den Gerichten, wenn zu entscheiden ist, ob eine Klage zulässig ist oder nicht. Verträge sind nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, ihren Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte ihres Zieles und Zweckes auszulegen, wie sich auch aus Artikel 31 WVK ergibt. Daher kann der Anwendungsbereich des Einwendungsausschlusses zugunsten Dritter nicht weiterreichen, als dies zwischen den vertragschließenden Staaten der Fall ist. Mit dem in den 50er Jahren abgegebenen Einwendungsausschluss war kein Verzicht auf beschlagnahmtes deutsches Kulturgut verbunden. Die drei Westmächte, mit denen der Überleitungsvertrag zustande kam, haben im Grundsatz deutsches Kulturgut nicht weggenommen. Somit hatte Deutschland ihnen gegenüber auch keine entsprechenden völkerrechtlichen Rückgabeansprüche. Da keine Rückgabeansprüche bestanden haben, ist auch nicht auf ihre Geltendmachung verzichtet worden. Der Einwendungsverzicht bezieht sich gegenüber den Vertragspartnern also nicht auf Kulturgüter und kann sich folglich auch Drittstaaten gegenüber nicht auf Kulturgüter beziehen, wenn diese im Gegensatz zu den Vertragspartnern Kulturgut beschlagnahmt haben. Selbst wenn Russland als Drittstaat aus dem Überleitungsvertrag begünstigt wird, reicht die Begünstigung nicht weiter als dies gegenüber den Vertragspartnern der Fall ist. Da der Einwendungsausschluss Kulturgut nicht mitumfasste, steht der Einwendungsausschluss Rückforderungsansprüchen, die Kulturgüter betreffen, nicht entgegen. Deutschland kann das kriegsbedingt verbrachte Kulturgut von Russland zurückverlangen, und Russland kann sich nicht auf den Einwendungsausschluss berufen. Allerdings hat die Rechtsprechung12 zur in der Tschechoslowakei erfolgten Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“ bei der Auslegung auf die Sichtweise desjenigen Staates abgestellt, der die Inanspruchnahme des Vermögens vorgenommen hat. Sie hat damit die Rechtsauffassung des aus dem Überleitungsvertrag begünstigten Drittstaates, in diesem Fall die Rechtsauffassung der Tschechoslowakei, bei der Auslegung des Einwendungsausschlusses zugrundegelegt. Diese Entscheidung ist in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen13. Die Kritik stützt sich insbesondere darauf, dass die AusSiehe dazu unter: F.III.2.a) – d) und F.III.5.b). LG Köln, IPRax 1996, 419; BVerfGE vom 28. 1. 1998 – Az: 2 BvR 1981 / 97 –, die das Urteil des LG Köln bestätigt. Die anschließende Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wegen Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht war ebenfalls nicht erfolgreich: Urteil vom 12. 7. 2001, in: EuGRZ 2001, 466 – 475. 13 Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, in: IPRax 11 12
II. Der Überleitungsvertrag
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legungsregeln, wie sie sich im Völkergewohnheitsrecht entwickelt haben und in Artikel 31 ff. WVK ihren Ausdruck gefunden haben, auf den Willen der Vertragsparteien nicht aber auf die Sichtweise eines am Vertrag nichtbeteiligten Dritten abstellen. Aber selbst dann, wenn man hinsichtlich des kriegsbedingt nach Russland verbrachten deutschen Kulturgutes davon ausginge, bei der Auslegung des Sechsten Teils Artikel 3 des Überleitungsvertrages sei die Rechtsauffassung der aus dem Vertrag drittbegünstigten Russischen Föderation maßgebend, kann hier kein Einwendungs- und Klageverzicht vorliegen. Die Sowjetunion hat sich in den Zeiten des Kalten Krieges nicht als legitimer Eigentümer der deutschen Kulturgüter angesehen, sondern die Kulturgüter bis in die 90er Jahre unter hoher Geheimhaltung versteckt und gesondert von den eigenen Beständen aufbewahrt. Auch wenn Russland 1998 mit dem Beutekunstgesetz nunmehr die Kulturgüter als eigenes Kulturgut deklariert hat, kann diese innenpolitische russische Sichtweise für die Auslegung des Einwendungsausschlusses keine Bedeutung erlangen. Denn Aufschluss für die Auslegung können nur Willenserklärungen geben, die im völkerrechtlichen Rahmen abgegeben worden sind. Im völkerrechtlichen Rahmen hat Russland sich jedoch gegenüber Deutschland gebunden, indem es noch 1992 im deutsch-russischen Kulturabkommen die Rückgabe von Kulturgut zugesichert hat. Selbst nach der völkerrechtlich relevanten Sichtweise der Russischen Föderation, wenn man schon auf die Rechtsauffassung des Drittbegünstigten abstellt, kommen Kulturgüter als Reparationsleistungen nicht in Frage. Aber noch aus einem weiteren Grund greift der Einwendungsausschluss nicht durch. Der Einwendungsausschluss wird ungeachtet der Frage, ob er für das kriegsbedingt nach Russland verbrachte Kulturgut überhaupt einschlägig sein kann, durch die selbstständigen bilateralen Verträge überlagert, mit denen sich 1990 die Sowjetunion und später 1992 auch Russland zur Rückgabe dieser Kulturgüter verpflichtet hat. Nachdem die Fortgeltung des Einwendungsausschlusses im September 1990 feststand, wurden im November 1990 der deutsch-sowjetische Nachbarschaftsvertrag und 1992 das Kulturabkommen mit Russland abgeschlossen. In den Verhandlungen mit Russland wurde auch Einvernehmen darüber erzielt, dass die wechselseitige Verpflichtung zur Rückgabe der unrechtmäßig verbrachten Kulturgüter nicht nur die privat geplünderten, sondern alle infolge des Zweiten Weltkrieges abtransportierten Kulturgüter betrifft, also auch diejenigen, die im staatlichen Auftrag verbracht worden sind. Im Protokoll der ersten Sitzung der gemeinsamen deutsch-russischen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern im März 1994 in Moskau ist deshalb wörtlich ohne Einschränkungen festgehalten, dass „Gegenstand der Tätigkeit der Gemeinsamen Kommis-
1996, 410 – 412; Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt, in: IPRax 1998, 465 – 467; Fassbender, Der Fürst, ein Bild und die deutsche Geschichte, in: EuGRZ 2001, 459 – 466.
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
sion diejenigen Kulturgüter sind, die während und infolge des Zweiten Weltkriegs verbracht worden sind“14. Auf diese Rückgabeverpflichtungen Russlands können sich auch private Eigentümer in Deutschland berufen, wenn es um die Zulassung der Klage vor deutschen Gerichten geht15.
III. Verstoß der russischen Enteignungen gegen den ordre public Die Enteignungen durch das russische Beutekunstgesetz entfalten in Deutschland keine Rechtswirkung. Zwar gilt der Grundsatz, dass Enteignungen, die ein Staat auf seinem Staatsgebiet vornimmt, auch von einem anderen Staat anerkannt werden16. Für bestimmte Ausnahmen wird hiervon aber abgewichen, nämlich dann, wenn gegen den ordre public verstoßen wird. Nach Artikel 6 EGBGB (ordre public) ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates dann nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Die Anwendung ausländischen Rechts wird damit dann untersagt, wenn das Ergebnis zu den Grundgedanken des deutschen Rechts und den ihm zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass dies aus deutscher Sicht untragbar erscheint17. Die Anerkennung von Enteignungen im Ausland setzt zunächst voraus, dass das dortige Landesrecht die Enteignungen deckt18. Auch wenn das russische Verfassungsgericht die Verstaatlichung der Kulturgüter als kompensatorische Restitution für eigene kriegsbedingte Verluste für zulässig gehalten hat, so ist die Überschreitung der innerrussischen Rechtsgrenzen schon deshalb gegeben, weil nach Artikel 35 Absatz 3 der russischen Verfassung eine Zwangsenteignung für staatliche Bedürfnisse nur durchgeführt werden darf, wenn dafür vorab gleichwertige Entschädigung geleistet wird. Entschädigungen gerade auch der vielen privaten Sammler von Kunstgegenständen sind aber durch das russische Beutekunstgesetz ausgeschlossen. Da Enteignungen ohne Entschädigung nach russischem Verfassungsrecht nicht zulässig sind, verstoßen die Enteignungen bereits gegen die russische Verfassung. Enteignungen, die unter Verstoß gegen Gesetze des enteignenden Staates erfolgt sind, sind in Deutschland nicht anzuerkennen. 14 Siehe Ziffer 5. im Moskauer Protokoll vom 24. 3. 1994, abgedruckt bei: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 41 – 44 (42). 15 Dieser Absatz ist weitgehend zitiert nach: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (541 f.). 16 Kegel / Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Auflage (2000), 942 f. 17 BGHZ 104, 240 (243). 18 Kegel / Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Auflage (2000), 945.
III. Verstoß der russischen Enteignungen gegen den ordre public
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Auch nach deutscher Rechtslage, Artikel 14 Absatz 3 GG, kann eine Enteignung nur gegen Entschädigung erfolgen. Dies führt jedoch keineswegs immer zu einem Verstoß der im Ausland vorgenommenen entschädigungslosen Enteignungen gegen den deutschen ordre public, wenn das dortige Recht eine entschädigungslose Enteignung zulässt19. Ob ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt, hängt nach der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung von den besonderen ergänzenden Umständen wie z. B. dem Inlands- und Gegenwartsbezug ab20. Es kann jedoch dahinstehen, ob die Voraussetzungen des Inlands- und Gegenwartsbezuges vorliegen. Denn die Enteignungen verstoßen schon deshalb gegen den ordre public, weil bereits die Grenzen der innerstaatlichen russischen Gesetzgebungskompetenz überschritten worden sind, indem das dortige Beutekunstgesetz mit seinen Enteignungsregelungen gegen die Eigentumsgarantie der russischen Verfassung verstoßen hat. Außerdem verstoßen die Enteignungen noch aus einem weiteren Grund gegen den ordre public. Sie sind völkerrechtswidrig21. Enteignungen sind völkerrechtswidrig, wenn sie dem Völkergewohnheitsrecht oder völkerrechtlichen Verträgen widersprechen22. Bei Verstößen gegen das Völkerrecht braucht eine Maßnahme nicht anerkannt zu werden23 bzw. darf eine Maßnahme nicht anerkannt werden24. Mit den Abtransporten der Güter auf russisches Gebiet nach dem Krieg und den Enteignungen über 50 Jahre danach ist gegen Völkerrecht (HLKO) verstoßen worden25. Außerdem liegt ein weiterer Verstoß gegen das Völkerrecht deshalb vor, weil die russische Seite sich gegenüber Deutschland vertragswidrig verhält. Ein vertragswidriges Verhalten liegt in den Enteignungen durch das Beutekunstgesetz. Dieses Gesetz steht im Widerspruch zu der Rückgabeverpflichtung von Kulturgut, die im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 geregelt ist. Die Berufung auf eine Verletzung des ordre public kann auch nicht durch den Einwendungsausschluss im Sechsten Teil Artikel 3 Absatz 1 des Überleitungsvertrages ausgeschlossen worden sein. Denn Deutschland hat mit der Sowjetunion 19 Kegel / Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Auflage (2000), 944; a.A.: Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 659, wonach Enteignungen nur gegen Entschädigung zulässig seien. 20 BVerfG, NJW 1991, 1597 (1600); siehe auch: BGHZ 104, 240 (243). 21 Vgl. zum amerikanischen Recht: Kline, The Russian Bill to Nationalize Trophy Art: An American Perspective, in: Spoils of War: International Newsletter 4 / 1997, 31 – 36 (33 f.), er ist der Auffassung, dass die Enteignungen auch von amerikanischen Gerichten ausnahmsweise nicht anerkannt werden dürften, u. a. weil die Wegnahme des deutschen Kulturgutes gegen die HLKO verstoßen hat. 22 Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, in: NJW 1961, 705 – 710 (705). 23 Kegel / Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Auflage (2000), 945; Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 126, 274; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 659. 24 Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, in: NJW 1961, 705 – 710 (707). 25 Siehe dazu unter: C.II.2., C.III., C.IV. und C.V.
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
bzw. mit Russland die Rückgabe von Kulturgut und damit die Beseitigung eines völkerrechtswidrigen Zustandes vereinbart. Die deutsche Regierung hat auch beständig darauf verwiesen, dass sie die Verbringung der Kulturgüter in die Sowjetunion und die Enteignungen für völkerrechtswidrig hält, und damit kontinuierlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Enteignungen in Deutschland nicht anerkennt26. Wenn also vor deutschen Gerichten im Rahmen von Herausgabeansprüchen des Eigentümers nach § 985 BGB darüber gestritten wird, ob die früheren Eigentümer der Kulturgüter weiterhin Eigentümer geblieben sind, so haben die Kläger ihre Rechte an den Kulturgütern durch die Enteignungen aufgrund des russischen Beutekunstgesetzes nicht verloren, weil diese Maßnahmen in gravierender Weise gegen den deutschen ordre public verstoßen haben und in Deutschland als nichtig anzusehen sind27. In der Literatur wird auch vertreten, dass die Nichtigkeit völkerrechtswidriger Akte auch aus Artikel 25 GG hergeleitet werden kann. So vertritt Mann die Auffassung, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die nach Artikel 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind, Vorrang auch vor dem ausländischen Gesetz haben, soweit dieses in Deutschland angewandt werden will28. Dem wird entgegen gehalten, dass das Verhalten eines ausländischen Staates nicht auf seine Vereinbarkeit mit Artikel 25 GG geprüft werden könne, weil Artikel 25 GG direkt nur das völkerrechtsgemäße Verhalten deutscher Stellen garantiere29.
IV. Kein gutgläubiger Erwerb an abhanden gekommenen Sachen Werden Kunstwerke aus Russland zurück in die Bundesrepublik Deutschland gebracht, so richten sich die Möglichkeiten des gutgläubigen Erwerbs vom Zeitpunkt der Einfuhr in die Bundesrepublik Deutschland an nach dem Recht des neuen Belegenheitsstaates, also hier nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Wie die Prüfung der Rechtslage bereits ergeben hat30, haben die deutschen Eigentümer durch die Mitnahme des Kulturgutes nach Russland ihr Eigentum bis heute in der Regel nicht verloren. Wird das ihnen abhanden gekommene Kulturgut 26 Die vorstehenden Absätze zum ordre public sind zu weiten Teilen zitiert nach: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (542). 27 Zu diesem Ergebnis betreffend die Beutekunst kommt auch: Berger, Die Rückgabe von Beutekunst aus der Russischen Föderation, in: IPRax 2000, 318 – 321 (319). 28 Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, in NJW 1961, 705 – 710 (708); ders. Nochmals zu völkerrechtswidrigen Enteignungen vor deutschen Gerichten, in: Festschrift für Konrad Duden, 1977, 287 – 305 (302). 29 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Auflage (2000), 126. 30 Siehe dazu unter: E.III.5.a) – E.III.5.f)bb) und H.III.
V. Gutgläubiger Erwerb bei Veräußerung im Wege der öffentlichen Versteigerung 175
also wieder nach Deutschland eingeführt, dann lebt der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB wieder auf. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass in Deutschland ein Nichtberechtigter über Kulturgut verfügt, so dass sich die Frage des gutgläubigen Erwerbs stellt. Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten ist in §§ 932 bis 935 BGB geregelt31. Durch eine nach § 929 BGB vorgenommene Veräußerung kann der gutgläubige Erwerber gemäß § 932 Absatz 1 BGB grundsätzlich auch dann Eigentümer werden, wenn die Sache dem Veräußerer nicht gehört. Jedoch tritt nach § 935 Absatz 1 BGB der Erwerb des Eigentums dann nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhanden gekommen ist, es sei denn, die Veräußerung erfolgt im Wege der öffentlichen Versteigerung. Eine Sache ist dann abhanden gekommen, wenn der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz ohne seinen Willen verloren hat32. Die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter sind nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland abhanden gekommen, wie bereits im Rahmen dieser Untersuchung festgestellt worden ist33. Dies trifft nicht nur auf die privat geplünderten Werke, sondern außerdem auf diejenigen Exponate zu, die im Auftrag der sowjetischen Behörden mitgenommen worden sind. Zwar kann der fehlende oder der der Wegnahme entgegenstehende Wille durch einen Hoheitsakt ersetzt werden, aber, wie bereits dargelegt worden ist34, waren die Beschlagnahmen mit so schwerwiegenden Fehlern behaftet, dass sie in der Regel nichtig sind. Nichtige Hoheitsakte haben keine rechtlichen Auswirkungen und können damit keine Rechtsgrundlage für die Mitnahme von Kulturgut darstellen.
V. Gutgläubiger Erwerb bei Veräußerung im Wege der öffentlichen Versteigerung Unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes ist gemäß § 935 Absatz 2 BGB gleichwohl auch an abhanden gekommenen Kulturgütern ein gutgläubiger Erwerb möglich, wenn die Veräußerung im Wege der öffentlichen Versteigerung erfolgt. Praktische Bedeutung erlangt in diesen Fällen dann aber die Vorschrift des § 816 Absatz 1 Satz 1 BGB. Danach ist der nichtberechtigte Veräußerer verpflichtet, den Veräußerungserlös an den früheren Eigentümer herauszugeben. Der gutgläubige Erwerb von Beutekunst auf Auktionen in Deutschland lässt sich jedoch weitgehend verhindern. Der Bundesverband Deutscher Kunstversteigerer e.V. hat einen „Verhaltenskodex für den internationalen Handel mit Kunstwerken“ Siehe auch zur Ersitzung nach § 937 BGB unter: H.VII. Palandt / Bassenge, BGB, 60. Auflage (2001), § 935 Rdnr. 3; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 607 f. 33 Siehe ausführlicher dazu unter: E.III.5.f)bb). 34 Siehe ausführlicher dazu unter: E.III.5.f)bb). 31 32
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
als verbindlich für seine Mitglieder herausgegeben35. Danach wird sich der deutsche Kunsthandel nicht am Import, Export oder Handel solcher Gegenstände beteiligen, bei denen hinreichender Grund zur Annahme besteht, dass der Verkäufer nach geltendem deutschen Recht nicht zur Verfügung über den Gegenstand berechtigt ist, insbesondere dass der Gegenstand mittels Diebstahls oder in anderer Weise unrechtmäßig erworben wurde, oder dass ein importierter Gegenstand in seinem Herkunftsland unter Verstoß gegen das geltende Recht erworben oder exportiert wurde. Darüber hinaus wird der Kunsthandel auch sonst nichts unternehmen „was geeignet ist, den illegalen Handel oder Export von Kunstgegenständen zu fördern, vielmehr an dessen Verhinderung nach Kräften mitwirken.“ Da der Verhaltenskodex das Bemühen beinhaltet, an der Verhinderung des illegalen Handels mitzuwirken, erscheinen Recherchen hinsichtlich der Herkunft von eingelieferten Objekten nicht nur dann angezeigt, wenn sich ein Verdacht aufdrängt, dass der Einlieferer des Kunstwerkes nicht der Verfügungsberechtigte ist. Vielmehr wird es zu den Sorgfaltspflichten des Versteigerers gehören, bei Kunstwerken Erkundungen darüber einzuholen, ob das Objekt nicht anderweitig vermisst wird. Hierzu dürfte auch die Nachfrage bei der Internet-Datenbank www.lostart.de gehören. Bei dieser Internet-Datenbank sind die kriegsbedingten Kulturgutverluste gespeichert und können von jedermann abgerufen werden. Durch eine entsprechende Überprüfung kann in der Regel die Herkunft von Kulturgut geklärt und verhindert werden, dass kriegsbedingt abhanden gekommenes Kulturgut in Deutschland versteigert wird.
VI. Verjährung der zivilrechtlichen Herausgabeansprüche 1. Allgemein Auch wenn die Einrichtungen und privaten Sammler in Deutschland Eigentümer geblieben sind, ist damit zu rechnen, dass bei Rückkehr des Kulturgutes nach Deutschland der Besitzer die Einrede der Verjährung erhebt, wenn er zur Herausgabe des Kulturgutes aufgefordert wird. Die Verjährung wird nicht von Amts wegen berücksichtigt, sondern begründet für den Schuldner gemäß § 214 BGB36 das Recht, die Leistung zu verweigern. Sie führt nicht zum Erlöschen des Herausgabeanspruchs, sondern gibt dem Besitzer gegenüber dem Eigentümer die Einrede, die Herausgabe der Sache abzulehnen. Der Berechtigte kann entscheiden, ob er sich auf Verjährung beruft oder nicht. Zweck der Verjährungsvorschriften ist es, den Auseinandersetzungen über Ansprüche, die innerhalb bestimmter Zeiträume nicht durchgesetzt werden konnten, www.kunstversteigerer.de Die Zitierung folgt dem seit 1. 1. 2002 geltenden Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001, BGBl. I 2001, 3138; § 222 BGB a.F. 35 36
VI. Verjährung der zivilrechtlichen Herausgabeansprüche
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im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens ein Ende zu setzen37. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass Ansprüche in aller Regel nicht allzu lange, nachdem sie fällig geworden sind, geltend gemacht werden. Je länger die Zeit ist, die seit Entstehen des Anspruchs vergangen ist, desto schwieriger wird die Beweislage für den in Anspruch genommenen. Der Herausgabeanspruch aus Eigentum nach § 985 BGB verjährt gemäß § 197 Absatz 1 Nr. 1 BGB38 grundsätzlich in 30 Jahren. In der Endphase des Gesetzgebungsverfahrens zur Modernisierung des Schuldrechts im Oktober 2001 kamen Irritationen auf, dass mit den geplanten Änderungen eine Verschlechterung des Kulturgüterschutzes verbunden sei. Müller-Katzenburg äußerte gar die Vermutung, dass die Bundesregierung sich mit dem neuen Verjährungsrecht die Möglichkeit verbaut habe, bei Beutekunstwerken den Herausgabeanspruch durchzusetzen39. Jedoch hat sich an der bisherigen Rechtslage durch das neue Recht nichts geändert. Denn auch nach dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Recht unterlag der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist von 30 Jahren gemäß § 195 BGB a.F. 40. Die Ansprüche der Eigentümer auf Herausgabe ihrer in Deutschland wieder auftauchenden Kulturgüter sind in der Regel jedoch nicht verjährt41, obwohl die dreißigjährige Frist nach deutschem Recht in der Zeit von 1975 bis 1978 eigentlich abgelaufen wäre. Auf den Ablauf der Frist nach deutschem Recht wirkt sich nämlich maßgeblich aus, dass die deutschen Einrichtungen und privaten Sammlungen während der Dauer der Verbringung in Russland keine Möglichkeit hatten, in einem rechtsstaatlichem Verfahren mit Aussicht auf Erfolg Ansprüche gegenüber russischen Behörden oder Gerichten geltend zu machen. Bei der nachfolgenden Prüfung ist für den Ablauf der deutschen Verjährungsfrist also entscheidend, wie die Rechtslage während der Dauer der Verbringung in Russland insgesamt zu beurteilen ist. Denn der Herausgabeanspruch aus Eigentum nach § 985 BGB verjährt dann nicht, wenn wegen Hemmung (§ 206 BGB42) oder Neubeginn der Verjährung (§ 212 Absatz 1 Nr. 1 BGB43) die Verjährungsfrist nicht abgelaufen ist. Die Anwendung von § 206 BGB wird dabei auch nicht durch lex specialis verdrängt. Zwar gibt es Sonderhemmungsvorschriften44, die
Palandt / Heinrichs, BGB, 60. Auflage (2001), Überbl v § 194 a.F. Rdnr. 4. § 195 BGB a.F. 39 Müller-Katzenburg, Verjährt?!, in: F.A.Z. vom 20. 10. 2001; siehe ferner: Müller-Katzenburg, Auswirkungen der Neuregelung des Verjährungsrechts für NS-verfolgungsbedingt und kriegsbedingt entzogenes Kulturgut, in: KUR 2001, 124 – 129. 40 Palandt / Heinrichs, BGB, 60. Auflage (2001), § 195 a.F. Rdnr. 6; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 112. 41 Siehe hierzu auch: Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (543). 42 § 203 BGB a.F. 43 § 208 BGB a.F. 37 38
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infolge des Zweiten Weltkrieges erlassen worden sind. Diese finden aber vorliegend keine Anwendung, weil sie auf die Einschränkung der Rechtspflege in Deutschland während und kurz nach dem Krieg abstellen. Die dreißigjährige Verjährungsfrist nach § 197 Absatz 1 Nr. 1 BGB beginnt nach § 200 BGB45 mit der Entstehung des Anspruchs. Für die Kulturgüter begann die Frist mit ihrer Wegnahme zwischen 1945 und 1948. Denn mit der Wegnahme entstand sofort der Rückgabeanspruch, sodass zu diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist zu laufen begann.
2. Hemmung der Verjährung Nach Internationalem Privatrecht gilt im Grundsatz für die Verjährung das Recht des Anspruchs, weil die Verjährung eine Einrede gegen den Anspruch darstellt und daher dieselbe Rechtsordnung Anwendung finden soll wie für das übrige Schicksal des Anspruchs46. Zu berücksichtigen ist dabei aber, dass bei der Verjährung ein gestreckter Sachverhalt vorliegt, dessen Rechtsfolgen nicht an einen zeitlich genau bestimmten und begrenzten Tatbestand anknüpfen, sondern einen Zeitablauf erfordern47. Die während der Belegenheit der Sache im Ausland verstrichene Zeit wird bei Rückkehr in der Regel in die nach deutschem Recht anzuwendende Verjährungsfrist einbezogen. Ist die Verjährung während des Aufenthalts der Sache im Ausland nach dortigem Recht vollendet, dann bleibt die eingetretene Verjährung auch in Deutschland zu respektieren48. Ist die Verjährung während des Aufenthalts der Sache im Ausland nach dortigem Recht hingegen noch nicht vollendet, ist bei Rückkehr der Sache nach Deutschland die Anrechnung der im Ausland verstrichenen Zeit auf die deutsche Verjährungsfrist zu prüfen. Für die kriegsbedingt nach Russland verbrachten Kulturgüter bedeuten diese Regeln des Internationalen Privatrechts, dass zuerst die Rechtslage in Russland für die Dauer des Aufenthaltes des Kulturgutes zu klären ist. Erst wenn sich herausstellt, dass in Russland keine Verjährung der Herausgabeansprüche erfolgt ist, können in Deutschland Hemmungsgründe gemäß den deutschen Verjährungsvorschriften zum Tragen kommen. Wegen der wesentlichen Änderungen, die das russische 44 U.a. Verordnungsblatt der Provinzverwaltung Mark Brandenburg vom 19. 1. 1946: Verordnung über die Hemmung gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Fristen vom 29. 11. 1945. 45 § 198 BGB a.F. 46 Kegel / Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Auflage (2000), 301, 557; siehe auch: LG München 1, IPRax 1995, 43, Rechtsstreit um das 1937 als entartet eingezogene Bild „Sumpflegende“ von Paul Klee. 47 Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Auflage (2001), 527; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 171 ff.; von Hoffmann, Internationales Privatrecht, 6. Auflage (2000), 453 f. 48 MünchKomm-Spellenberg, BGB, Band 10, 3. Auflage (1998), Artikel 32 EGBGB Rdnr. 66.
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Recht während der Lagerung der deutschen Kulturgüter in Russland erfahren hat, erfolgt die Prüfung nach entsprechenden Zeitabschnitten, in denen unterschiedliche Rechtsvorschriften gelten.
a) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1923 und Verfassung der UdSSR von 1936 Als die deutschen Kulturgüter nach Russland abtransportiert wurden, galt dort das Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) von 1923 i.V.m. der Eigentumsordnung, die die sowjetische Verfassung von 1936 vorgab49. Gemäß § 44 ZGB 1923 erlöschten Klagerechte nach Ablauf einer dreijährigen Frist (Klageverjährung), wenn im Gesetz nicht eine andere Verjährungsfrist vorgeschrieben war. Die Verjährung wurde somit nicht als Einrede vom Beklagten vorgebracht, sondern sie war von Amts wegen im Prozess zu berücksichtigten. Nach § 59 ZGB 1923 hatte der Eigentümer das Recht, seine Sache aus fremdem ungesetzlichem Besitz zurückzufordern. Diese Rechte der Eigentümer, ihre Sachen aus fremdem ungesetzlichem Besitz zurückzufordern, verjährten damit in drei Jahren. Dennoch sind die Herausgabeansprüche der deutschen Eigentümer nicht nach drei Jahren verjährt. Im Rahmen der Prüfung der Verjährung wirkt sich nämlich die Durchdringung der russischen Zivilrechtsordnung mit Elementen kommunistischer Lehren in ähnlicher Weise aus, wie dies bereits bei der Klärung der Eigentumslage im Rahmen dieser Untersuchung50 eine entscheidende Rolle gespielt hat. Das sozialistische Recht kannte eine Einteilung in die drei Eigentumsarten Staatseigentum, genossenschaftliches und persönliches Eigentum. Dabei beschränkte sich das persönliche Eigentum, wie es in der sowjetischen Verfassung von 1936 zum Ausdruck gebracht ist, auf einen eng umgrenzten Teil von Sachen und hatte sich weitgehend auf Gegenstände des persönlichen Bedarfs und Komforts reduziert. Da Kulturgüter in der Regel nicht zu diesen Gegenständen gehören, war ein privater Rechtsverkehr mit ihnen auch nicht statthaft. Auf die vom privaten Rechtsverkehr ausgeschlossenen Gegenstände finden weder die zum gutgläubigen Erwerb im russischen Zivilrecht enthaltenen Regelungen Anwendung, noch können die Regelungen über die Verjährung einschlägig sein. Daher konnten die Rechte der deutschen Eigentümer an den Kulturgütern nicht untergehen und auch nicht verjähren.
49 Siehe ausführlicher zum ZGB 1923 unter: E.III.5.c) und zur Verfassung der UdSSR von 1936 unter: E.III.5.d). 50 Siehe ausführlicher zur Eigentumslage in Russland: E.III.5.c) – E.III.5.e)bb).
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b) Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1964 Zum 1. Oktober 1964 trat das neue Zivilgesetzbuch der Russischen Sowjetrepublik (ZGB 1964) in Kraft51. Die Rechtslage, die bei der Einfuhr der deutschen Kulturgüter nach Russland maßgebend war, hatte sich dadurch nicht geändert. Nach Artikel 78 ZGB 1964 betrug die regelmäßige Frist, in der ein in seinem Recht Verletzter Rechtsschutz durch Klageerhebung verlangen konnte, wie nach altem Recht drei Jahre. Die Privilegierung des staatlichen Vermögens hatte bei den Verjährungsvorschriften im neuen ZGB 1964 außerdem einen ausdrücklichen Niederschlag gefunden. Während die Herausgabeansprüche von privaten Personen bereits nach drei Jahren verjährten, waren die Herausgabeansprüche staatlicher Organisationen in Artikel 90 ZGB 1964 nämlich für unverjährbar erklärt worden: „Der Klageverjährung unterliegen nicht . . . Ansprüche staatlicher Organisationen auf Herausgabe staatlichen Vermögens aus widerrechtlichem Besitz von Kollektivwirtschaften, sonstigen genossenschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationen oder Bürgern“. Auch nach der Rechtslage ab 1964 blieb das persönliche Eigentum gemäß Artikel 93 ZGB 1964 nur insoweit zulässig, als es dazu diente, „die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen“. Artikel 105 ZGB 1964 führte als zulässige Gegenstände des persönlichen Eigentums diejenigen Gegenstände auf, die auch schon die sowjetische Verfassung von 1936 festgelegt hatte. Nach Artikel 105 ZGB 1964 galt: „Jeder Bürger kann persönliches Eigentum haben an . . . Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts“. Da die deutschen kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter in der Regel nicht in diese Kategorie fallen und die Kulturgüter außerdem im Eigentum ihrer früheren rechtmäßigen Besitzer in Deutschland geblieben sind, waren sie auch weiterhin nicht verkehrsfähig, und Eigentum konnte nicht an ihnen erworben werden. Damit scheidet eine Verjährung von Ansprüchen aus dem Eigentum aus. Denn wenn schon kein Recht im Zivilrechtsverkehr an einer Sache begründet werden kann, existiert keine gesetzlich geschützte Rechtsposition, die verjähren konnte. c) Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation ab 1995 Wesentliche Änderungen des Zivilrechts erfolgten mit dem derzeit geltenden russischen Zivilgesetzbuch Teil I vom 21. Oktober 1994 (ZGB 1995)52. Für Ansprüche, die bis zum Inkrafttreten des ZGB 1995 am 1. Januar 1995 noch nicht verjährt sind, kommen gemäß Artikel 10 des Föderalen Gesetzes zur Einführung des ersten Teils des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation die im ZGB 1995 geregelten Verjährungsvorschriften zur Anwendung. Da die Einschränkung auf 51 52
Siehe ausführlicher zum ZGB 1964 unter: E.III.5.e). Siehe ausführlicher zum ZGB 1995 unter: E.III.5.f).
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Gegenstände, an denen im früheren sozialistischen Recht Privateigentum bestehen konnte, abgeschafft worden ist, können nach dem neuen Recht grundsätzlich auch Kunstwerke von jedermann erworben werden. Kulturgut ist damit verkehrsfähig geworden. Das Zivilrecht jedenfalls lässt Herausgabeansprüche entstehen, und daher stellt sich ab Inkrafttreten des neuen Rechts zum 1. Januar 1995 auch die Frage der Verjährbarkeit der Herausgabeansprüche unter dem Blickwinkel der eingetretenen Gesetzesänderungen. Aber auch wenn Kulturgüter wie andere Sachen verkehrsfähig geworden sind, ergibt sich für die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter hier eine wesentliche Einschränkung. Denn diejenigen Kulturgüter, die in staatlichem Auftrag verbracht worden sind, haben ihre Verkehrsfähigkeit durch das russische Beutekunstgesetz vom 15. April 1998 gleich wieder eingebüßt. Dadurch, dass diese Kulturgüter durch das Beutekunstgesetz verstaatlicht wurden, sind diese Werte allesamt dem Privatrechtsverkehr wieder entzogen53. Die Verjährungsvorschriften des ZGB 1995 finden damit keine Anwendung. Zwar steht das Beutekunstgesetz im Widerspruch zum Völkergewohnheitsrecht (HLKO) und zur vertraglichen völkerrechtlichen Rückgabeverpflichtung Russlands, aber innerstaatlich entfaltet das Gesetz kraft der Souveränität des russischen Staates für sein Hoheitsgebiet Rechtswirkung. Für die vielen öffentlichen Einrichtungen und privaten Sammlungen hat diese innerstaatliche Relevanz des Beutekunstgesetzes zur Folge, dass wegen der mangelnden Verkehrsfähigkeit der Objekte weiterhin keine Verjährung möglich ist. Die Ansprüche der deutschen Eigentümer an den im staatlichem Auftrag kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern sind in Russland damit nicht verjährt. Die weiteren Ausführungen beziehen sich insofern nur noch auf dasjenige Kulturgut, auf welches das Beutekunstgesetz keine Anwendung findet. Dies sind diejenigen Kulturgüter, die nicht aufgrund eines staatlichen Auftrags, sondern privat geplündert oder zu Schutzzwecken aus Eigeninitiative mitgenommen worden sind. Hierauf erstreckt sich die nachfolgende Prüfung. Die Klageverjährung ist in Artikel 195 bis Artikel 208 ZGB 1995 geregelt. Sie wird nicht mehr von Amts wegen beachtet, sondern nach Artikel 199 Absatz 2 ZGB 1995 vom Gericht nur noch dann berücksichtigt, wenn sich eine der Streitparteien auf den Ablauf der Verjährungsfrist beruft. Die allgemeine Frist für die Klageverjährung beträgt unabhängig davon, wer Eigentümer ist, nach Artikel 196 ZGB 1995 drei Jahre. Nach dem Zivilrecht der Russischen Föderation verjähren aber nicht alle Ansprüche gemäß Artikel 196 ZGB 1995. Anders als das deutsche Recht kennt das russische Zivilrecht auch Forderungen, die unverjährbar sind. Nach Artikel 301 ZGB 1995 kann der Eigentümer die Herausgabe seines Gegenstandes aus fremdem unrechtmäßigem Besitz verlangen. Ob Herausgabeansprüche des Eigentümers gemäß Artikel 301 ZGB 1995 unverjährbar sind oder der dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen, ist nicht eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes herauszulesen, sondern birgt Widersprüchlichkeiten. Unverjährbar sind nach 53
Siehe auch zur Ersitzung nach dem ab 1995 geltenden Recht unter: E.III.5.f)aa).
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
Artikel 208 ZGB 1995: „Forderungen von Eigentümern oder sonstigen Besitzern auf Beseitigung von Störungen ihres Rechts, selbst wenn sie nicht mit der Entziehung des Besitzes verbunden sein sollten (Artikel 304 ZGB 1995)“. Nach Artikel 304 ZGB 1995, auf den sich die Unverjährbarkeit gemäß Artikel 208 ZGB 1995 ausdrücklich bezieht, kann der Eigentümer die Beseitigung jeglicher Beeinträchtigungen seines Rechts verlangen, auch wenn diese nicht mit der Entziehung des Besitzes verbunden sein sollten. In Artikel 208 ZGB 1995 wird zwar auf die Vorschrift des Artikels 304 ZGB 1995, nicht aber auf den in Artikel 301 ZGB 1995 geregelten Herausgabeanspruch des Eigentümers Bezug genommen. Daher ergibt sich die Notwendigkeit zu untersuchen, ob sich die Unverjährbarkeit von Forderungen in Artikel 208 ZGB 1995 auch auf den Herausgabeanspruch des Eigentümers erstreckt. Die Formulierung in Artikel 304 ZGB 1995, wonach der Eigentümer die Beseitigung von Störungen des Eigentums verlangen kann, „auch wenn diese nicht mit der Entziehung des Besitzes verbunden sein sollten“, lässt durch das „auch wenn“ nach hiesigem Verständnis den Schluss zu, dass Artikel 304 ZGB 1995 sowohl Störungen erfasst, die ohne Besitzverlust erfolgen, als auch solche Störungen, die mit Besitzverlust verbunden sind. Vergleicht man den in Artikel 304 ZGB 1995 geregelten Beseitigungsanspruch mit der entsprechenden Regelung, wie sie im deutschen Recht in § 1004 BGB enthalten ist, dann fällt auf, dass nach deutschem Recht das Eigentum „in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt“ werden muss. Durch diese Formulierung in § 1004 BGB wird im deutschen Recht der Beseitigungsanspruch gegen Störungen ohne Besitzverlust gegenüber dem Herausgabeanspruch des Eigentümers nach § 985 BGB, bei dem der Eigentümer nicht mehr im Besitz der Sache ist, auch im Wortlaut klar und deutlich abgegrenzt. Dies ist im russischen Recht insoweit anders, als die Formulierung „auch wenn“ in Artikel 304 ZGB 1995 dem Wortlaut nach Störungen ohne Besitzverlust und darüber hinaus auch Störungen mit Besitzverlust erfasst. Obwohl sich damit der Herausgabeanspruch des Eigentümers vom Wortlaut her sowohl unter Artikel 301 ZGB 1995 als auch unter Artikel 304 ZGB 1995 subsumieren lässt, soll Artikel 301 ZGB 1995 als Spezialregelung für den Herausgabeanspruch des Eigentümers zu verstehen sein. Die Anwendung von Artikel 304 ZGB 1995 wird daher verdrängt, wenn die Sache in fremden unrechtmäßigen Besitz gelangt ist. In einer Vorlesungsreihe des Instituts für Gesetzgebung und vergleichende Rechtswissenschaft bei der Regierung der Russischen Föderation über das Zivilrecht Russlands wird zum Thema Eigentumsrecht ausdrücklich gesagt, dass sich die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren gemäß Artikel 196 ZGB 1995 auch auf die Vindikationsklage erstreckt54. Solotych und Schröder geben die russische Rechtslage ebenfalls dahingehend wieder, dass Herausgabeansprüche des 54 Institut für Gesetzgebung und vergleichende Rechtswissenschaft bei der Regierung der Russischen Föderation, Das Zivilrecht Russlands, Vorlesungsreihe, Teil 1, 1996.
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Eigentümers nach Ablauf der allgemeinen dreijährigen Verjährungsfrist nach § 196 ZGB 1995 verjähren55. Die Vorschrift des Artikels 208 ZGB 1995, wonach Forderungen von Eigentümern auf Beseitigung von Störungen ihres Rechts, selbst wenn sie nicht mit der Entziehung des Besitzes verbunden sein sollten, unverjährbar sind, findet damit auf den Herausgabeanspruch des Eigentümers keine Anwendung. Diese Auslegung hat indes zur Konsequenz, dass nach Artikel 208 ZGB 1995 i. V. m. Artikel 304 ZGB 1995 einfache Beeinträchtigungen des Eigentums dauerhaft geltend gemacht werden können, weil sie nie verjähren, aber dem umfassendsten Recht des Eigentümers auf Herausgabe seiner Sache nach drei Jahren der Einwand der Verjährung entgegen gehalten werden kann. Der Eigentümer hat also dort, wo er vergleichsweise gering beeinträchtigt wird, erheblich weitergehenden Schutz, als wenn sein Eigentumsrecht in grundlegender Weise durch Entzug des Besitzes eingeschränkt wird. Gleichwohl ist die allgemeine Verjährungsfrist bei den privat geplünderten Kulturgütern noch nicht abgelaufen. Teilweise bestehen Bedenken, ob sie überhaupt schon begonnen hat. Denn nach Artikel 200 Absatz 1 ZGB 1995 beginnt der Lauf der Frist an dem Tag, an welchem der Betroffene von der Verletzung seines Rechtes erfahren hat oder hätte erfahren müssen. Legt man diese Vorschrift eng aus, könnte man daran denken, dass die Geschädigten bereits seit Jahrzehnten von der Verletzung ihres Rechtes wissen, weil die Wegnahme ihrer Kulturgüter entsprechend lange zurück liegt. Gegen eine derartige Auslegung spricht aber, dass das ZGB in Russland neu kodifiziert worden ist und erst ab 1995 die Kulturgüter überhaupt verkehrsfähig geworden sind. Gerade im Hinblick auf die Kürze der erst ab 1995 geltenden Verjährungsfrist erscheint es angezeigt, die Frist erst dann beginnen zu lassen, wenn der Betroffene auch tatsächlich in der Lage ist, seine Rechte geltend zu machen. Dies können die Eigentümer des kriegsbedingt vermissten Kulturgutes aber nur, wenn sie alle Umstände der fortwährenden Rechtsverletzung kennen. Dies bedeutet auch, dass dem Betroffenen bekannt sein muss, wo sich sein Kulturgut befindet und gegen wen er Ansprüche erheben kann56. Da es an dieser Stelle der Prüfung ausschließlich um die privat gestohlenen oder auf andere Weise mitgenommenen Kulturgüter geht, für die kein offizieller Auftrag zum Abtransport vorlag, kann davon ausgegangen werden, dass die Eigentümer dieser Werke nicht wissen und auch kaum in Erfahrung bringen können, wo sich ihr Kulturgut derzeit befindet. Insoweit lässt sich vertreten, dass die Verjährungsfrist noch gar nicht begonnen hat.
55 Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Auflage (1997), 27, 53 f.; Schröder, Entwicklung der russischen Rechtsprechung bis zur Beseitigung der Kostenbarriere für Individualklagen auf Rückgabe von Beutekunst, in: EuGRZ 2002, 3 – 6 (6). 56 Siehe auch: Schröder, Entwicklung der russischen Rechtsprechung bis zur Beseitigung der Kostenbarriere für Individualklagen auf Rückgabe von Beutekunst, in: EuGRZ 2002, 3 – 6 (6).
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
Verfügt ein Eigentümer über alle Kenntnisse, um Klage erheben zu können, dann hat die Verjährungsfrist zwar zu laufen begonnen, aber sie ist noch nicht abgelaufen. Dies liegt daran, dass die Verjährungsfrist bis auf weiteres gehemmt ist. Nach Artikel 202 Absatz 1 Nummer 1) ZGB 1995 wird die Verjährung in ihrem Lauf gehemmt, wenn die Klageerhebung durch einen außergewöhnlichen und unter den gegebenen Bedingungen unabwendbaren Umstand (höhere Gewalt) verhindert wird. Die Bewertung, ob nach russischem Recht ein Hemmungsgrund gegeben ist, obliegt dem deutschen Gericht, das über die Verjährung des Herausgabeanspruchs bei in Deutschland wieder auftauchenden kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern entscheiden muss. Das Vorliegen eines Hemmungsgrundes dürfte grundsätzlich gegeben sein, denn es ist den Eigentümern in Deutschland bisher verwehrt, ihre Rechte zivilrechtlich geltend zu machen. In Russland gibt es bisher kein funktionierendes Justizwesen, und Ansprüche stehen weitestgehend nur auf dem Papier57. Denn es fehlt im russischen Rechtssystem die Rechtstradition, nach sachlichen Kriterien zu entscheiden. Dies liegt daran, dass die Durchsetzung des Rechts in der sozialistischen Ära in erster Linie darauf abzielte, die sozialistischen Machtstrukturen zu erhalten und zu festigen. Während in Deutschland die staatlichen Aufgaben der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung gemäß Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz voneinander getrennt sind, ist dies in sozialistischen Rechtsordnungen nicht der Fall. Die Gewaltenteilung in Deutschland hat zur Folge, dass der Rechtsprechung Kontrollfunktion gegenüber den anderen beiden staatlichen Gewalten zukommt. Da es in der sozialistischen Rechtsordnung der Sowjetunion keine Gewaltenteilung gegeben hat, bedeutet dies für die Rechtspflege, dass sie im Sozialismus bzw. Kommunismus Teil der einheitlichen Staatsgewalt gewesen ist und dabei als Instrument zur Verwirklichung der sozialistischen Ziele gedient hat. Die Reformpolitik in der Sowjetunion Ende der 80er Jahre, die nach der Auflösung der Sowjetunion im Nachfolgestaat Russland fortgesetzt wurde, hatte zur Konsequenz, dass die sozialistische Gesellschaftsordnung in eine bürgerliche Gesellschaft mit freien Wahlen und Marktwirtschaft umgewandelt wurde. Betroffen von diesen Veränderungen war auch die Rechtsordnung. In kürzester Zeit gab sich Russland eine Rechtsordnung nach westlichem Vorbild. Die bisher mit der Anwendung sozialistischen Rechts vertrauten Gerichte sahen sich folglich vor die Aufgabe gestellt, mit der alten Rechtstradition zu brechen, und sich mit einem vollständig anderen Rechtssystem zu identifizieren. Dieser schwierige Anpassungsprozess ist noch nicht vollzogen. Daher hat sich in der 57 Siehe auch: Lisizyn-Svetlanov, Die Perspektive der Gerichtspraxis: Zur Umsetzung des Gesetzes der Russischen Föderation über Kulturgüter, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion verlagert wurden und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befinden, in: Genieva / Michaletz / Werner (Hrsg.), Gesten des guten Willens und Gesetzgebung, 2001, 272 – 277 (272 ff.); Schröder, Entwicklung der russischen Rechtsprechung bis zur Beseitigung der Kostenbarriere für Individualklagen auf Rückgabe von Beutekunst, in: EuGRZ 2002, 3 – 6; Ingleright, Start frei für den Ausverkauf der Beutekunst?, in: art 1 / 2000, 112 – 113 (113).
VI. Verjährung der zivilrechtlichen Herausgabeansprüche
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postkommunistischen Phase bisher keine unabhängige an Gesetz und Recht gebundene Rechtsprechung entwickeln können. Die schon im Zusammenhang mit dem Beutekunstgesetz erwähnte Klage der Martha Nierenberg58 ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie schwer den Gerichten die Anpassung an die neue Rechtslage fällt59. Gegenstände von hohem Wert, wie dies bei Kulturgütern der Fall ist, waren bis vor kurzem überhaupt noch nicht Gegenstand von gerichtlich geltend gemachten Herausgabeansprüchen, da diese Werke nach der sozialistischen Ideologie dem Volk in seiner Gesamtheit, nicht aber dem Einzelnen zustehen konnten. Martha Nierenberg, die vor dem Moskauer Bezirksgericht auf Herausgabe von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut Klage erhoben hat, sollten völlig überhöhte Prozessgebühren von umgerechnet circa 37 Millionen Euro abverlangt werden. Die Gefahr, bei hohen Streitwerten exorbitant hohe Gerichtskosten aufbringen zu müssen, ohne dass die Erfolgsaussichten kalkulierbar sind, schreckt indes davor ab, die Gerichte in Russland anzurufen. Auch wenn in Artikel 46 der russischen Verfassung das Recht auf Zugang zur Rechtsprechung garantiert wird, wird beispielsweise dieses Recht durch maßlos überzogene Gerichtsgebühren, die in keinem Verhältnis zum Wert der Sache stehen, unterlaufen. Da es in Russland bisher im Grundsatz keine an Gesetz und Recht ausgerichtete Rechtsprechung gibt, liegen außergewöhnliche und unter den gegebenen Bedingungen unabwendbare Umstände in Russland vor, die eine Klageerhebung verhindern. Die Herausgabeansprüche der Eigentümer von kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgütern können im Allgemeinen nicht erfolgreich durchgesetzt werden. Sie sind daher bis auf weiteres gehemmt. Damit kann keine Verjährung dieser Ansprüche in Russland eintreten. Als Ergebnis zur Verjährung von Herausgabeansprüchen in Russland kann damit festgehalten werden: Nach dem sozialistischen Zivilrecht, das bis Ende 1994 galt, waren Kulturgüter im Allgemeinen nicht verkehrsfähig, und folglich fanden auf die dem Rechtsverkehr entzogenen Werte auch keine Verjährungsvorschriften Anwendung. Aber auch nach dem seit 1995 geltenden Zivilrecht ist keine Verjährung in Russland eingetreten. Die Verjährung ist bei den in staatlichem Auftrag verbrachten Kulturgütern nicht eingetreten, weil sie verstaatlicht worden und damit nicht mehr verkehrsfähig sind. Bei den privat mitgenommenen Kulturgütern ist keine Verjährung erfolgt, weil entweder die Verjährungsfrist noch nicht begonnen hat, oder ihr Ablauf wegen eines unabwendbaren Umstandes gehemmt ist. Da nach russischem Recht also keine Verjährung eingetreten ist, schließt sich bei Rückkehr von Kulturgut nach Deutschland die Prüfung nach deutschem Verjährungsrecht an. Siehe dazu unter: F.V. Schröder, Entwicklung der russischen Rechtsprechung bis zur Beseitigung der Kostenbarriere für Individualklagen auf Rückgabe von Beutekunst, in: EuGRZ 2002, 3 – 6; LisizynSvetlanov, Die Perspektive der Gerichtspraxis: Zur Umsetzung des Gesetzes der Russischen Föderation über Kulturgüter, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion verlagert wurden und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befinden, in: Genieva / Michaletz / Werner (Hrsg.), Gesten des guten Willens und Gesetzgebung, 2001, 272 – 277 (274 ff.). 58 59
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
d) Voraussetzung der Hemmung der Verjährungsfrist nach deutschem Bürgerlichem Recht Nach § 206 BGB ist die Verjährung gehemmt, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Mit der Rückkehr von Kulturgut nach Deutschland erfolgt ein zweiter Statutenwechsel, indem das Kulturgut in den Geltungsbereich des deutschen Zivilrechts zurückgelangt. Der erste Statutenwechsel vollzog sich, als das Kulturgut infolge des Zweiten Weltkrieges nach Russland verbracht wurde. Der weitere Statutenwechsel tritt ein, wenn Kulturgut zurück nach Deutschland kommt. Dieser zweite Statutenwechsel erfüllt die Kriterien eines sogenannten qualifizierten Statutenwechsels. Ein qualifizierter Statutenwechsel liegt vor, wenn sachenrechtlich relevante Elemente unter der Herrschaft des alten Statuts noch nicht abgeschlossen sind60. Typische Anwendungsfälle hierfür sind die im alten Statut noch nicht abgelaufene Ersitzungs- bzw. die Verjährungsfrist. Bei diesen gestreckten Sachverhalten findet für den gesamten Tatbestand das Recht des neuen Belegenheitsstaates Anwendung61. Die im alten Belegenheitsstaat abgelaufene Zeit wird beim qualifizierten Statutenwechsel in der Regel bei der Berechnung der Frist im neuen Belegenheitsstaat mitgerechnet. Für gestreckte Erwerbsvorgänge, wie dies bei der Ersitzung der Fall ist, ist der qualifizierte Statutenwechsel seit 1. Juni 1999 ausdrücklich in Artikel 43 Absatz 3 EGBGB geregelt. Ist danach ein Recht an einer Sache, die in das Inland gelangt ist, nicht schon vorher erworben worden, so sind für einen solchen Erwerb Vorgänge in einem anderen Staat wie inländische zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Verjährung, auch wenn sich dies nicht unmittelbar aus Artikel 43 Absatz 3 EGBGB ergibt, weil die Verjährung nicht zu einer Eigentumsänderung führt, sondern nur ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Eigentümer darstellt. Insoweit gelten die gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätze des Internationalen Privatrechts fort. Denn im Falle der Verjährung stellen sich die gleichen kollisionsrechtlichen Probleme wie bei der Ersitzung62. Die Anrechnung der im alten Statut verstrichenen Zeit bei der Berechnung der Verjährungsfrist im neuen Statut erfolgt auf jeden Fall dann, wenn der frühere Belegenheitsstaat die Verjährung von Herausgabeansprüchen kannte. Im sozialistischen Recht in Russland war zwar das Rechtsinstitut der Verjährung bekannt, aber sie hatte für nicht verkehrsfähige Gegenstände keine Auswirkung. Denn im Hin60 Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Auflage (2001), 527; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 171 ff.; von Hoffmann, Internationales Privatrecht, 6. Auflage (2000), 453 f. 61 Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Auflage (2001), 527; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 171 ff.; von Hoffmann, Internationales Privatrecht, 6. Auflage (2000), 454. 62 Siehe zur Verjährung: Kunze, Restitution „entarteter Kunst“: Sachenrecht und internationales Privatrecht, 2000, 150; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 171 ff.
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blick auf Kulturgut gab es im sozialistischen Zivilrecht in der Regel mangels Verkehrsfähigkeit bis Anfang 1995 keine Ansprüche auf Herausgabe, und Ansprüche, die nicht existierten, konnten auch nicht verjähren. Ist die Verjährung im Ausland nicht möglich, wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die im Ausland verbrachte Zeit im neuen Statut nicht mitgezählt wird63. Dies spielt im Verhältnis zum Schweizer Recht eine Rolle. Denn nach Schweizer Recht ist der Herausgabeanspruch des Eigentümers unverjährbar. Jedoch hat die Rechtsprechung die Verjährung im Rechtsstreit um das 1937 als entartet eingezogene Bild „Sumpflegende“ von Paul Klee bejaht. Das Bild ist durch Veräußerung 1962 von Deutschland in die Schweiz gelangt. 1982 ist das Bild dort weiterverkauft worden. Es kehrte nach Deutschland zurück und wurde der Städtischen Galerie im Lenbach-Haus in München übergeben. Die Meinung des Klägers, die zeitweiligen Besitzverhältnisse in der Schweiz seien nicht voll anzurechnen, hat das Gericht nicht überzeugt64. Der Auffassung des Gerichts soll vorliegend gefolgt werden. Für die Argumentation des Gerichts spricht, dass die Verjährungsvorschriften der Sicherheit des Rechtsverkehrs und dem Rechtsfrieden dienen. Es kann nicht dem Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften entsprechen, wenn Zeiten in einem Land wie der Schweiz, wo Ansprüche in einem rechtsstaatlichen Verfahren geltend gemacht werden können, nicht angerechnet werden. Es ist gerechtfertigt, auch die in Russland verstrichene Zeit bei der Berechnung der 30jährigen Verjährungsfrist in Deutschland mitzuzählen. Gerade bei Sachverhalten mit Auslandsberührung kommt der Zweck der Verjährung, den Auseinandersetzungen über Ansprüche im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nach Ablauf einer Frist ein Ende zu setzen, besonders zum Tragen. Denn in diesen Fällen ist es besonders schwierig, zu ergründen und nachzuweisen, ob nicht bereits ein wirksamer Erwerb stattgefunden hat. Noch ein weiteres Argument spricht vorliegend für eine Anrechnung der Zeiten. Für den Zeitabschnitt von 1945 bis Ende 1994 war das Recht in Russland sozialistisch geprägt. Anders als im Schweizer Recht ist im sozialistischen Zivilrecht die Verjährung des Herausgabeanspruchs des Eigentümers als Rechtsinstitut nicht gänzlich unbekannt, sondern die Verjährungsvorschriften sind nur mangels Verkehrsfähigkeit der Objekte bis Ende 1994 nicht anwendbar gewesen.
63 Zu diesem Ergebnis im Verhältnis des deutschen Rechts zum Schweizer Recht, das die Verjährung von Herausgabeansprüchen des Eigentümers nicht kennt, dafür allerdings großzügigere Regelungen für den gutgläubigen Erwerb hat, kommen: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht, 1999, 124 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 172 ff.; Kunze, Restitution „entarteter Kunst“: Sachenrecht und internationales Privatrecht, 2000, 150, 154 f. Infolge der kürzlich erfolgten Ratifikation des UNESCO-Übereinkommens über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut von 1970 durch die Schweiz ist für Kulturgüter die Ersitzungsfrist von 5 Jahren auf 30 Jahre verlängert worden. 64 LG München 1, IPRax 1995, 43.
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Bei Anrechnung der in Russland verstrichenen Zeit wäre daher normalerweise die 30jährige Verjährungsfrist 1975 / 78 abgelaufen, da die Kulturgüter 1945 / 48 aus Deutschland mitgenommen worden sind. Jedoch liegen die Voraussetzungen der Hemmung dieser Frist nach § 206 BGB vor. Um die von der Verjährung bezweckte Rechtssicherheit nur in den Fällen einzuschränken, in denen der Verjährungseintritt für den Gläubiger nicht zumutbar ist, werden an die Voraussetzungen für das Bestehen höherer Gewalt in § 206 BGB strenge Maßstäbe gestellt, die hier aber erfüllt sind. Höhere Gewalt liegt nur vor, wenn die Rechtsverfolgung wegen eines unabwendbaren Ereignisses verhindert und nicht nur erschwert ist65. Fehlende Kenntnis vom Verbleib der Sache reicht deshalb für sich allein nicht aus, eine Hemmung zu begründen. Befindet sich eine Sache aber im Ausland und ist dem deutschen Eigentümer die Rechtsverfolgung im Ausland objektiv verwehrt, so kommt mit Plambeck66 eine Hemmung für den später in Deutschland geltend gemachten Herausgabeanspruch zum Tragen. Der Bundesgerichtshof67 hat eine Hemmung nach § 206 BGB bei einer Bewohnerin der SBZ / DDR bejaht, weil sie an der Rechtsverfolgung einer unerlaubten Handlung solange gehindert war, bis sie ihren Wohnsitz nach Westberlin verlegte, wo auch die Beklagte ihren Sitz hatte. Vergleichbar ist diese Situation mit den Herausgabeansprüchen der Eigentümer von kriegsbedingt in die Sowjetunion verbrachten Kulturgütern insoweit, als in beiden Fällen die Realisierung von Ansprüchen aus politischen Gründen ausgeschlossen war bzw. gegenüber Russland weiterhin im Prinzip noch ausgeschlossen ist. Die Durchsetzung der Herausgabe kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter vor Gericht oder auf politischem Wege gegenüber der Sowjetunion war nicht möglich. Insbesondere waren Kulturgüter selbst innerhalb Russlands dem Rechtsverkehr entzogen, weil keine Rechte an ihnen begründet werden konnten. Damit schieden auch entsprechende gerichtliche Verfahren aus. Vor allem in der Praxis waren zivilrechtliche Streitigkeiten in der Sowjetunion nicht zuletzt aus diesem Grunde selten. Die Ausfuhr von Kunstgegenständen unterlag zudem in der Sowjetunion einer strengen Kontrolle bzw. war verboten68. Auch Jayme69, der ein Gutachten zur Rechtslage unter Berücksichtigung der Verjährung im Rechtsstreit um das Wtewael-Gemälde vor dem High Court of Justice erstattet hat, nimmt an, dass die Verjährung wegen höherer Gewalt gehemmt ist, weil die Rückforderung von Beutekunst praktisch und aus politischen Gründen ausgeschlossen war. 65 BGH, NJW 1997, 3164; Palandt / Heinrichs, BGB, 60. Auflage (2001), § 203 a.F. Rdnrn. 4, 6. 66 Plambeck, Die Verjährung der Vindikation, 1997, 98 f. 67 BGH, VersR 1964, 404. 68 Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht, 1999, 234. 69 Das Gutachten ist abgedruckt bei: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht, 1999, 225 – 235 (234); a.A.: von Plehwe, Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs und Ersitzung in Fällen abhanden gekommener Kulturgüter – Zur Notwendigkeit einer Reform, in: KUR 2001, 49 – 61 (52).
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Aber auch nach dem politischen Wandel Anfang der 90er Jahre in Russland und dem Bekenntnis zur Demokratie als Staatsform befindet sich die Herausbildung von rechtstaatlichen Strukturen erst im Aufbau. Abgesehen davon, dass eine Vielzahl neuer Gesetze verabschiedet worden ist, ist der Gesetzesvollzug dieser neuen Vorschriften noch nicht gewährleistet. Der Mangel an rechtsstaatlicher Kompetenz ergibt sich zum einen daraus, dass gesetzliche Vorschriften erlassen worden sind, deren Inhalt sich nicht klar und widerspruchsfrei erschließt. Ein Beispielsfall dafür stellt die bereits an anderer Stelle in dieser Untersuchung geprüfte Regelung unverjährbarer Forderungen in Artikel 208 ZGB 1995 i.V.m. Artikel 304 ZGB 1995 dar70. Zum anderen fehlt es in weiten Teilen an einer funktionierenden Rechtsprechung, sodass die Durchsetzung von Ansprüchen nicht gesichert ist71. Entsprechende Fortschritte in der Entwicklung eines rechtsstaatlichen Justizwesens sind noch nicht gegeben, und dies hat auch Auswirkung auf Ansprüche, die die Herausgabe von Kulturgut betreffen. Das Beutekunstgesetz und das Urteil des russischen Verfassungsgerichtes zu diesem Gesetz sind ein Beispiel dafür. Selbst der russische Präsident Jelzin, der die Klage gegen das Beutekunstgesetz vor dem Verfassungsgericht erhoben hatte, wurde über dieses Instrumentarium gehindert, Kulturgut vereinbarungsgemäß zurückzugeben. Damit ist die Situation beschrieben, die den Eigentümern in Deutschland die Durchsetzung von Rückgabeansprüchen praktisch unmöglich macht. Es bestehen unzweifelhaft Rückgabeansprüche, aber sie lassen sich derzeit im Grundsatz weder auf dem Zivilrechtsweg noch im zwischenstaatlichen Verhandlungswege realisieren. Folglich sind die Eigentümer, solange die Kulturgüter in Russland lagern, durch höhere Gewalt daran gehindert, ihre Rechte geltend zu machen, und die Verjährung ihrer Ansprüche ist gehemmt72. Wenn die Kulturgüter nach Deutschland zurückgelangen, ist daran zu denken, dass dann die innerhalb der letzten sechs Monate gehemmte 30jährige Verjährungsfrist weiterläuft, weil in Deutschland keine Verhinderung durch höhere Gewalt mehr anzunehmen ist73. Dies hätte zur Folge, dass sechs Monate nach Rückkehr der Kulturgüter die Verjährung eintreten könnte, wenn sich nicht noch ein Neubeginn der Verjährung anschließen würde. Zu einem anderen Ergebnis kann man aber gelangen, wenn dahingehend argumentiert wird, dass die Rückkehr nach Deutschland den Hinderungsgrund nicht enden lässt. Zumeist werden die Eigentümer es nämlich nicht erfahren, wenn ihr Eigentum wieder in Deutschland auftaucht. Es spricht daher einiges dafür, den bestehenden Hemmungsgrund nicht schon dann wieder entfallen zu lassen, wenn das Kulturgut wieder auf deutsches Territorium gelangt, sondern erst ab Kenntnisnahme durch den Eigentümer davon, dass das Kulturgut sich wieder in Deutschland befindet. Siehe dazu unter: H.VI.2.c). Siehe dazu unter: F.V. und H.VI.2.c). 72 Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (543). 73 So: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht, 1999, 234; ders.: Recht contra Moral?, in: F.A.Z. vom 16. 1. 2002. 70 71
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3. Neubeginn der Verjährung Wenn infolge der Rückkehr des Kulturgutes nach Deutschland die Verjährungsfrist abgelaufen ist, dann stellt sich allerdings noch die Frage, ob die Verjährungsfrist nicht noch einmal neu gemäß § 212 Absatz 1 Nr. 1 BGB beginnt. Denn während der Fristhemmung in Russland ist die Verjährung durch ein Anerkenntnis unterbrochen worden74. Die neue Frist von 30 Jahren läuft dann vom Ende der Hemmung an75. Nach § 212 Absatz 1 Nr. 1 BGB beginnt die Verjährung erneut, wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt. Es genügt dabei, dass der Schuldner den Anspruch dem Grunde nach anerkennt76. Leistet der Schuldner auf bestimmte Schadensgruppen, so erstreckt sich die Unterbrechung im Zweifel auf die Gesamtforderung77. Sowohl im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 wie auch im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 ist die Rückgabe von verschollenen oder unrechtmäßig verbrachten Kulturgütern an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger vereinbart worden. Außer ihren völkerrechtlichen Wirkungen hat diese Klausel auch zivilrechtliche Relevanz. Denn die Anerkennung völkerrechtlicher Rückgabeansprüche im Kulturabkommen beinhaltet hier zugleich die Anerkennung der zivilrechtlichen Herausgabeansprüche der Eigentümer, die in Deutschland durch die Verletzung des Völkergewohnheitsrechts ihren Besitz verloren haben. Soweit sich das deutsche Kulturgut im Besitz des russischen Staates selbst befindet, hat Russland hinsichtlich der in seinen Einrichtungen lagernden Objekte das Anerkenntnis abgegeben. Soweit sich Kulturgüter bei Privatpersonen oder nichtstaatlichen Einrichtungen befinden, ist der russische Staat als Träger hoheitlicher Befugnisse im Verhältnis zu anderen Staaten ermächtigt, für die Bewohner seines Landes zu handeln. Dies gilt auch dann, wenn dieses Handeln nicht deren tatsächlichem Willen entspricht. Denn die Besitzer von Kulturgütern haben kein Eigentum an den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern erwerben können und auch sonst keine schützenswerte Rechtsposition erlangt. Sie wären zivilrechtlich ohnedies zur Herausgabe verpflichtet. Der russische Staat als Schuldner der Rückgabeverpflichtung hat das Anerkenntnis allerdings nicht gegenüber den Eigentümern des Kulturgutes abgegeben, sondern gegenüber dem deutschen Staat. Für das Anerkenntnis des Schuldners gegenüber dem Gläubiger genügt aber in entsprechender Anwendung der §§ 164 ff. BGB, dass das Anerkenntnis gegenüber dem legitimierten Vertreter abgegeben worden ist78. Der deutsche Staat ist berechtigt, auf der Grundlage der zivilrechtlichen RePalandt / Heinrichs, BGB, 60. Auflage (2001), § 208 a.F. Rdnr. 1. Palandt / Heinrichs, BGB, 60. Auflage (2001), § 217 a.F. Rdnr. 1. 76 MünchKomm-Grothe, BGB, Band 1, 4. Auflage (2001), § 208 a.F. Rdnr. 4. 77 Palandt / Heinrichs, BGB, 60. Auflage (2001), § 208 a.F. Rdnr. 5. 78 Palandt / Heinrichs, BGB, 60. Auflage (2001), § 208 a.F. Rdnrn. 6, 7; MünchKommGrothe, BGB, Band 1, 4. Auflage (2001), § 208 a.F. Rdnr. 8. 74 75
VII. Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung
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gelungen in Vertretung Erklärungen für seine Bürger entgegenzunehmen; insbesondere ist die Vertretungsbefugnis zugunsten derjenigen Museen und Privatsammler gegeben, die ihr Rückführungsanliegen bei der Dokumentationsstelle des Bundes glaubhaft dargelegt haben. Zusätzlich ist Deutschland in seiner Funktion als Völkerrechtssubjekt befugt, generell für seine Bürger und Museen ein Anerkenntnis von einem anderen Staat entgegenzunehmen. Das vertraglich erfolgte Anerkenntnis, das in der Rückgabeklausel des deutschrussischen Kulturabkommens von 1992 enthalten ist, wurde zusätzlich bekräftigt durch Teilleistungen: Rückgabe von Büchern aus der Gothaer Bibliothek (1994), Mappen mit Archivunterlagen des früheren Außenministers Walther Rathenau (1997), die 101 Bremer Zeichnungen und Grafiken (2000) sowie die Rückgabe der mittelalterlichen Kirchenfenster der Marienkirche Frankfurt / Oder (2002).
VII. Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung Wenn kriegsbedingt nach Russland verbrachtes Kulturgut nach Deutschland zurückgelangt und hier veräußert wird, dann scheidet ein gutgläubiger Erwerb nach §§ 932 bis 934 BGB i.V.m. § 935 Absatz 1 BGB, wie die Untersuchung an anderer Stelle bereits ergeben hat79, aus. Denn das kriegsbedingt verbrachte Kulturgut ist seinen Eigentümern in Deutschland abhanden gekommen. Abhanden gekommenes Kulturgut kann nur ausnahmsweise dann erworben werden, wenn die Veräußerung gemäß § 935 Absatz 2 BGB im Wege der öffentlichen Versteigerung erfolgt sein sollte. Den originären und damit nicht vom Eigentümer abgeleiteten Eigentumserwerb regelt § 937 BGB mit der Ersitzung. Nach § 937 BGB erwirbt derjenige, der eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitze hat, das Eigentum an dieser Sache, wenn er gutgläubig gewesen ist. Die Ersitzung ist ausgeschlossen, wenn der Erwerber bei dem Erwerbe des Eigenbesitzes nicht in gutem Glauben ist oder wenn er später erfährt, dass ihm das Eigentum nicht zusteht. Das Rechtsinstitut der Ersitzung ermöglicht damit den Eigentumserwerb an einer fremden beweglichen Sache, wenn der Besitzer die Sache zehn Jahre als ihm gehörend besessen hat. Beim Erwerb des Eigenbesitzes muss er darauf vertraut haben, Eigentümer geworden zu sein. Der gute Glaube erstreckt sich auf das vermeintliche Eigentum des Ersitzenden80. Nach dem Erwerb des Eigenbesitzes darf der Besitzer nicht positive Kenntnis vom Fehlen seines Eigentumsrechts erlangt haben. Während beim gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten nach §§ 932 ff. BGB an Sachen, die dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhanden gekommen sind, wegen des in § 935 Absatz 1 BGB geregelten Ausschlusses kein Eigentum erworSiehe dazu unter: H.IV. und H.V. MünchKomm-Quack, BGB, Band 6, 3. Auflage (1997), § 937 Rdnr. 14; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 665. 79 80
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H. Eigentumslage bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut
ben wird, kann nach § 937 BGB Eigentum auch an Sachen ersessen werden, die abhanden gekommen sind. Der Erwerb des Eigentums an abhanden gekommenen Sachen nach zehnjähriger Ersitzungsfrist ist der Hauptanwendungsfall der Vorschrift81. Durch die Möglichkeit der Ersitzung wird verhindert, dass der Besitz und das Recht anhaltend auseinanderfallen, und es wird erreicht, dass die mit dem Zeitablauf sich ergebenden Beweisschwierigkeiten ausgeräumt werden82. Der Unterschied zwischen der Verjährung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB und der Ersitzung liegt darin, dass die Verjährung dem Besitzer nach 30 Jahren nur ein Leistungsverweigerungsrecht gibt83, aber den Bestand des Eigentums unberührt lässt, während der Ersitzende nach zehn Jahren Eigentümer wird. Allerdings tritt die Ersitzung nicht ein, wenn der Eigentümer ausnahmsweise durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Nach § 939 Absatz 2 BGB ist die Ersitzung gehemmt, solange die Verjährung des Herausgabeanspruchs nach den §§ 205 bis 207 BGB gehemmt ist. Der Verweis auf §§ 205 bis 207 BGB in § 939 Absatz 2 BGB bewirkt, dass aus den gleichen Gründen, aus denen nach §§ 205 bis 207 BGB die Verjährungsfrist gehemmt wird, zugleich auch die Ersitzungsfrist gehemmt ist. Nach § 206 BGB ist die Verjährung gehemmt, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Wie bereits bei der Prüfung der Hemmung der Verjährungsfrist näher dargelegt worden ist, ist den Eigentümern in Deutschland die Rechtsverfolgung ihrer berechtigten Interessen bis heute objektiv verwehrt84. Dies gilt zum einen für die Zeit, in der die Kulturgüter sich in Russland befinden, und zum anderen wohl auch noch dann, wenn Kulturgut in den Geltungsbereich des deutschen Rechts zurückgelangt. Solange Kulturgut in Russland lagert, ist die erfolgreiche Geltendmachung bestehender Ansprüche in Russland nicht gewährleistet, weil dort eine unabhängige und nur an Gesetz und Recht gebundene Rechtsprechung fehlt. Daher ist ein rechtsstaatliches Verfahren in der Praxis der russischen Gerichte nicht garantiert. So wie dieser Mangel an Rechtsstaatlichkeit einen Hemmungsgrund darstellt, der dazu führt, den Eintritt der Verjährung des Herausgabeanspruchs des Eigentümers nach § 985 BGB zu verhindern, so ist dies auch der Grund für die fortdauernde Hemmung der Ersitzung. Fraglich ist zwar, ob der Hemmungsgrund in dem Augenblick entfällt, wo kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut wieder auf deutschen Boden und damit in den Anwendungsbereich der deutschen Gesetze gelangt. Die Eigentümer erfahren jedoch in den allermeisten Fällen nichts von der Rückkehr ihres Kulturgutes und 81 MünchKomm-Quack, BGB, Band 6, 3. Auflage (1997), § 937 Rdnr. 4; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 663. 82 MünchKomm-Quack, BGB, Band 6, 3. Auflage (1997), § 937 Rdnr. 1; Baur / Stürner, Sachenrecht, 17. Auflage (1999), 663. 83 Siehe zur Verjährung des zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs unter: H.VI.1. – H.VI.2.d). 84 Siehe dazu unter: H.VI.2.d).
VII. Gutgläubiger Erwerb durch Ersitzung
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haben auch keine Möglichkeiten, durch konkrete Nachforschungen in Erfahrung zu bringen, dass sich das ihnen gehörende Kulturgut nunmehr in Deutschland befindet. Erst wenn die Eigentümer konkret wissen, wo ihr kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut in Deutschland aufgetaucht ist und sie deshalb ihre Ansprüche auch geltend machen können, kann man davon sprechen, dass sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr an der Rechtsverfolgung durch höhere Gewalt gehindert sind. Die positive Kenntnis des Eigentümers hat somit zur Folge, dass die Hemmung der Verjährung und damit auch die Hemmung der Ersitzung entfällt. Die Hemmung der Ersitzung bewirkt nach § 939 Absatz 2 BGB i.V.m. § 206 BGB, dass in die zehnjährige Ersitzungszeit des § 937 Absatz 1 BGB die Zeiten nicht eingerechnet werden, in denen die Verjährung des Herausgabeanspruchs des Eigentümers aus § 985 BGB gehemmt ist85. Die Verjährung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB ist während der Lagerung des Kulturgutes in Russland gehemmt und sie bleibt auch bei Rückkehr des Kulturgutes nach Deutschland gehemmt, solange der Eigentümer nicht vom Verbleib der Sache erfährt86. Daher ist bei einer Veräußerung des Kulturgutes durch einen Nichtberechtigten nach Rückkehr des Kulturgutes in den Geltungsbereich der deutschen Gesetze die zehnjährige Ersitzungsfrist für den gutgläubigen Erwerber von vorneherein gehemmt. Die zehnjährige Ersitzungsfrist beginnt erst dann zu laufen, wenn der Eigentümer des Kulturgutes Kenntnisse erlangt hat, die die Rechtsverfolgung seines Herausgabeanspruchs vor deutschen Gerichten zulassen. Gleiches gilt für den Fall, dass der nicht berechtigte Besitzer des nach Deutschland zurückgelangten Kulturguts das Kulturgut an eine gutgläubige Person vererbt. Auch in dem letztgenannten Fall beginnt die Ersitzungsfrist zugunsten des Erben erst dann, wenn der Hemmungsgrund entfallen ist.
85 Palandt / Bassenge, Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, Ergänzungsband zu Palandt, BGB, 61. Auflage (2002), § 939 n.F. Rdnr. 4. 86 Siehe dazu unter: H.VI.2.d).
13 Schoen
I. Präzedenzfall: „Heilige Familie mit dem heiligen Johannes und der heiligen Elisabeth“ vor dem High Court of Justice in London I. Allgemein Auch wenn in Russland und in anderen Staaten vermehrt mit „Beutekunst“ gehandelt wird, werden kaum Rechtsstreitigkeiten mit dem Ziel der Herausgabe von Beutekunst an den ursprünglichen Eigentümer geführt. Dies gilt auch für Deutschland. Neben der letztendlich erfolgreichen Klage der Kunstsammlungen Weimar noch zu DDR-Zeiten auf Herausgabe von zwei Dürer-Bildern, die nach Kriegsende in Thüringen verschwunden waren und 1946 in New York von einem entlassenen amerikanischen Soldaten für 450 Dollar veräußert worden sind1, stellt eine weitere Ausnahme das 1998 ergangene Urteil des High Court of Justice in England dar. Nach der Entscheidung des englischen Gerichts musste das Gemälde von Wtewael „Heilige Familie mit dem heiligen Johannes und der heiligen Elisabeth“, welches eine in Panama registrierte Gesellschaft beim Auktionshaus Sotheby’s versteigern lassen wollte, an die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin herausgegeben werden2. Im Hinblick auf die Rückschlüsse, die aus diesem Urteil für andere kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter, die im Handel auftauchen, gezogen werden können, soll hier näher auf die englische Entscheidung eingegangen werden. Falls in nächster Zeit oder auch vielleicht erst in einigen Jahren in Deutschland entsprechende Klagen rechtshängig werden, so wird es für die zu findende Lösung sinnvoll sein, sich mit der englischen Entscheidung auseinander zu setzen. Dem Urteil kommt grundlegende Bedeutung weit über den Einzelfall hinaus zu. Denn es wa1 Drobnig, Amerikanische Gerichte zum internationalen Sachenrecht auf dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, in: IPRax 1984, 61 – 65. 2 Das Urteil ist in Englisch mit deutscher Übersetzung abgedruckt in: Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 78 ff.; ausführlicher hierzu auch: Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen Kunstwerken, in: NJW 1999, 2551 – 2558 (2557); Finkenauer, Zum Begriff der Rechtsnachfolge in § 221 BGB, in: JZ 2000, 241 – 247; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 165 – 169; Franz, Beutekunst-Musterprozess entschieden: Wtewael-Gemälde zurück in Deutschland, in: KUR 1999, 298 – 301; Mair, Misappropriation and Skulduggery in: Germany and Russia: The Case of Wtewael’s „The Holy Family“, in: Art, Antiquity and Law 3 (1998), 413 – 415.
I. Allgemein
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ren Sach- und Rechtsverhältnisse zu klären, die auch in anderen Fällen von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern entscheidungserheblich sein können. Es wurden Sachverständige hinzugezogen, die grundlegende Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beantwortet haben. Abgesehen davon, dass jedes Kunstwerk seinen eigenen ganz persönlichen Lebenslauf besitzt, weisen die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter aber durch ihre Verbringung Gemeinsamkeiten auf, die insoweit auch rechtlich eine einheitliche Würdigung verdienen. Das englische Gericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Mitnahme von Kulturgut durch die Trophäenbrigaden keine wirksame Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht Sowjetunion darstellte, sondern als Diebstahl zu qualifizieren ist, ferner dass die deutsche Verjährungsfrist zu berücksichtigen ist, die Zeit des Aufenthaltes der Kulturgüter in der Sowjetunion nicht schon nach 30 Jahren zur Verjährung geführt hat und auch im weiteren Zeitlauf bis zur Klageerhebung keine Verjährung eingetreten ist. Der urteilende Richter hat dabei den Sachverhalt mit den trefflichen Worten kommentiert: „Ich wurde zur Klärung strittiger Tatbestandsfragen mit dem SMERSH, Beutekunstbrigaden, den Kunstschmugglern von Moskau und ,Big Mamma‘ vertraut gemacht und bei der Klärung von strittigen Fragen des deutschen Rechts habe ich die Gelehrsamkeit von Kommentatoren des Bürgerlichen Gesetzbuchs kennengelernt“3. Bemerkenswerterweise ist das Gemälde im Diplomatengepäck für einen Dritten unbehelligt nach Berlin eingeschleust worden und von der Besitzerin, „Big Mamma“ genannt, unterschlagen worden4. In der Gemäldegalerie Dahlem wurde das geschmuggelte Kulturgut zum Zwecke der Schätzung des Wertes 1987 eingeliefert. Dort ist das Gemälde zwar im Hinblick darauf, dass es zu den kriegsbedingt verschollenen Werken zählt5, zunächst beschlagnahmt, aber mangels ausreichender Anhaltspunkte für eine Straftat wieder zurückgegeben worden6. Das Auktionshaus Sotheby’s in London, bei dem das Gemälde schließlich eingeliefert wurde, bezeichnete es als Unternehmenspolitik des Hauses, Gegenstände nicht zu versteigern, ohne sie vorher ihren früheren Eigentümern anzubieten7. Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 83. Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 109, 115. 5 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 101, 107; In dem von Rogner herausgegebenen Verzeichnis, Verlorene Werke der Malerei, 1965, 130, ist der Verlust des Gemäldes dokumentiert und damit in Fachkreisen eine offenkundige Tatsache. 6 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 101. 7 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 205; so auch im Versteigerungskatalog von Sotheby’s Old Master Paintings, London, 1st April 1992, 16: „Provenance: Schlossmuseum Gotha, until removed during the 1939 – 45 war; Acquired as a gift by Adolf Kozlenkov in Germany circa 1945;. . ...On behalf of the present owner, Sotheby’s had offered Schlossmuseum Gotha the opportunity to purchase privately“. – Durch den Hinweis im Katalog auf ein Geschenk an A. Kozlenkov hatte das kriegsbedingt abhanden gekommene und später anderweitig noch unterschlagene Gemälde eine neue Identität mit makelloser Vergangenheit bekommen. Aber es scheint sich bei dieser Praxis nicht um einen Einzelfall zu han3 4
13*
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I. Präzedenzfall
Nachdem die Stadt Gotha die an sie gerichtete Verkaufsofferte über 700,000 englische Pfund nicht angenommen hatte, beabsichtigte Sotheby’s, das Gemälde zu versteigern. Wegen des Rechtsstreits kam es nicht mehr dazu.
II. Völkerrechtlicher Aspekt Faszinierend und beeindruckend mag schon der Sachverhalt bewertet werden, aber die rechtliche Lösung steht dem in nichts nach: Das Gericht führt aus, dass in dem Gebiet des Landes Thüringen nach dem Krieg die sowjetische Militärverwaltung die staatliche Gewalt ausgeübt hat8. Die Sowjetunion konnte daher im Prinzip rechtswirksam Hoheitsbefugnisse in der von ihr besetzten Zone ausüben, wie schon im Rahmen dieser Untersuchung festgestellt worden ist9. Zwar hat das Gericht festgestellt, dass das Gemälde wie auch andere abhanden gekommene Objekte, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einem höheren Offizier als Teil der offiziellen Kriegsbeute konfisziert worden ist10. Die Beschlagnahme der Museumsgegenstände aus dem Schloss Gotha durch Angehörige der Beutekunstbrigaden, die wahrscheinlich Major Professor Alexejew unterstellt waren, werden aber vom Gericht keineswegs als wirksame Hoheitsakte der Besatzungsmacht, sondern stattdessen als kriminelles Handeln eingestuft11. Denn auch wenn die Sowjetische Militäradministration in ihrer besetzten Zone staatliche Gewalt ausüben konnte, so stand ihr diese Befugnis nicht grenzenlos, sondern nur in dem Umfang zu, wie es völkerrechtlich zulässig war12. Der Abtransport des Gemäldes von Wtewael in die damalige Sowjetunion hat aber nach Auffassung des Gerichts diese Grenzen überschritten. Das Ergebnis, zu dem das englische Gericht gekommen ist, stimmt mit der rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Trophäenbrigaden im Rahmen dieser Untersuchung überein13. Im Völkergewohnheitsrecht ist anerkannt, dass Kulturgut nicht beschlagnahmt werden darf und in Artikel 56 HLKO hat dieses Verbot seinen Ausdruck gefunden. Der High Court of Justice hat sich zwar nicht ausdrücklich mit dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Kulturgüterschutz auseinandergesetzt, aber er spricht ungeachtet dessen den Trophäenbrigaden bereits die Legitideln: DER SPIEGEL, Heft 17 / 1998: Lizenz zum Plündern, 232 – 234 (232), zitiert den Kölner Kunsthistoriker Herbert Molderings dahingehend: „Sotheby’s ist direkt involviert in die Fälschung der Provenienz. Man stellt den Einlieferern keine Fragen, weil man ahnt, dass etwas faul ist“. 8 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 89, 163. 9 Siehe dazu unter: C.III. und E.III.5.f)bb). 10 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 93 ff. 11 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 89, 93 ff. 12 Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, 1914, 95; Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 16 f., 87 ff.; Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 1097. 13 Siehe dazu unter: C.II.2., C.III., C.IV., C.V. und E.III.5.f)bb).
III. Zivilrechtlicher Aspekt
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mation ab, ein mit entsprechenden besatzungsrechtlichen Kompetenzen ausgestattetes Organ zu sein, indem die Trophäenbrigaden als „official“ trophy brigades14 bezeichnet werden und dabei das Wort „official“ in Anführungszeichen gesetzt ist. Da schon die sowjetischen Trophäenbrigaden selbst nicht als legitimiert angesehen wurden, Hoheitsbefugnisse auf deutschem Boden auszuüben, können die von ihnen vorgenommenen Handlungen auch keine wirksamen Hoheitsakte darstellen. Die Beschlagnahme der Bilder aus dem Gothaer Museum wird folglich vom Gericht als Plünderung (engl.: „official“ trophy brigades . . . looted the museum15) eingestuft und das Wtewael-Gemälde wurde als Opfer einer strafbaren Handlung, nämlich eines Diebstahls (engl.: the painting was stolen16) angesehen. Weitere Formulierungen im Urteil wie: „dass dieses Gemälde Teil der reichen Ernte war, die im Januar 1946 in dem Museum eingesammelt wurde“17, bestätigen, dass die Beschlagnahmen als nichtige Hoheitsakte bewertet werden und damit keine Rechtswirkungen entfalten. Dadurch, dass das englische Gericht die Beschlagnahme des Wtewael-Gemäldes und anderer Gemälde des Museums in Gotha durch die Trophäenbrigaden als strafbares Verhalten bewertet hat, wird den Beschlagnahmeaktionen der Sowjetunion in der SBZ insgesamt ihre Wirksamkeit abgesprochen. Dieses Ergebnis ist für weitere Entscheidungen in ähnlichen Fällen von erheblicher Tragweite. Der Präzedenzcharakter der Entscheidung wird noch dadurch unterstrichen, dass das Urteil zugunsten Deutschlands eben nicht im eigenen Land, sondern im Ausland erstritten worden ist. Das Urteil stützt den von deutscher Seite vertretenen Standpunkt, dass die kriegsbedingte Verbringung von Kulturgut völkerrechtlich unzulässig gewesen ist. Dabei ist es für die Bewertung des sowjetischen Verhaltens als strafbare und völkerrechtswidrige Handlung auch für vergleichbare Fälle von Beutekunst im Inund Ausland von Belang, dass diese Einschätzung eben nicht nur vom besiegten Deutschland, das einen Angriffskrieg geführt hat, sondern auch von Nationen geteilt wird, die von Deutschland in den Krieg gezogen worden sind. Dies erhöht die Glaubwürdigkeit des deutschen Standpunktes, dass die Wegnahme des deutschen Kulturgutes durch nichts gerechtfertigt werden kann.
III. Zivilrechtlicher Aspekt Der Herausgabeanspruch ist nach Rechtsauffassung des Gerichtes nicht verjährt, indem bei der Auslegung der Verjährungsregelung bei Rechtsnachfolge in § 198 BGB18 die Unterschlagung durch „Big Mamma“ einem Diebstahl gleichgestellt 14 15 16 17 18
Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 92 / 93. Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 92 / 93. Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 88 / 89. Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 95. § 221 BGB a.F.
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I. Präzedenzfall
wurde mit der Folge, dass mit der Unterschlagung die Verjährungsfrist neu zu laufen begann19. Durch ein ausländisches Gericht wurde damit der Anwendungsbereich einer deutschen Vorschrift im Wege der Auslegung ermittelt. Auf das Vorliegen einer Hemmung der Verjährungsfrist wegen Verhinderung der Rechtsverfolgung in Russland durch höhere Gewalt nach § 206 BGB20 hat das englische Gericht seine Entscheidung hingegen nicht gestützt21. Aber selbst wenn der Anspruch verjährt gewesen wäre, würde nach Auffassung des englischen Gerichts das deutsche Recht wegen der Bösgläubigkeit der beklagten Gesellschaft gegen den englischen ordre public verstoßen haben. Unter dem ordre public im Internationalen Privatrecht versteht man diejenigen Gerechtigkeitsvorstellungen und guten Sitten, deren Beachtung selbst bei Anwendbarkeit fremden Rechtes unverzichtbar ist22. Nach dem englischen ordre public wird sich ein englisches Gericht weigern, ein Gesetz anzuwenden, das seinem Rechtsempfinden oder Sittenkodex Hohn spricht, mithin einem Grundprinzip der Gerechtigkeit zuwiderläuft23. Der High Court of Justice hat daraus für das Wtewael-Gemälde abgeleitet, dass der Ablauf einer Frist weder dem Dieb noch irgend jemandem, auf den der Besitz übertragen wurde und der kein gutgläubiger Käufer ist, zugute kommen soll24. Kein geringerer als die Kläger, die Bundesrepublik Deutschland und die Stadt Gotha, hatten sich darauf berufen, dass, falls die deutsche Verjährungsfrist abgelaufen sei, diese auch gar nicht angewendet werden könnte, da die deutschen Verjährungsvorschriften gegen den englischen ordre public verstoßen und damit einem Grundprinzip der Gerechtigkeit zuwider laufen würden25. Ob die dreißigjährige Verjährungsfrist für den Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den nichtberechtigten unredlichen Besitzer, der also beim Besitzerwerb nicht in gutem Glauben war, im Widerspruch zu einem Grundprinzip der Gerechtigkeit steht, lässt sich indes nicht so einfach beantworten, wie es nach dem Urteil des englischen Gerichtes den Eindruck erwecken könnte. Bisher hat der deutsche Gesetzgeber an der grundsätzlichen Verjährbarkeit des Eigentumsherausgabeanspruchs nach dreißig Jahren festgehalten (§ 197 Absatz 1 Nr. 1 BGB). Einwände gegen die Verjährbarkeit des Eigentumsherausgabeanspruchs wurden auch im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum seit 1. Januar 2002 geltenden Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vorgebracht26. So wird es als ungerecht empfunCarl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 201. § 203 BGB a.F. 21 Siehe vergleichsweise zu den Voraussetzungen der Hemmung der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt bei – illegaler – Rückkehr von Kulturgut nach Deutschland: H.VI.2.d). 22 MünchKomm-Sonnenberger, BGB, Band 10, 3. Auflage (1998), Einl. IPR Rdnr. 184. 23 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 203. 24 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 213. 25 Carl / Güttler / Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht, 2001, 201. 26 von Plehwe, Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs und Ersitzung in Fällen abhanden gekommener Kulturgüter – Zur Notwendigkeit einer Reform, in: KUR 2001, 19 20
III. Zivilrechtlicher Aspekt
199
den, dass gestohlene Kulturgüter über Jahrzehnte hinweg versteckt und nach Ablauf der Verjährungsfrist verkauft oder ausgestellt werden. Die Forderung nach der Unverjährbarkeit des Eigentumsherausgabeanspruchs betraf auch die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter. Dabei wird allerdings zu bedenken sein, dass die Eigentümer der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter nur dann von der geforderten Gesetzesänderung profitieren können, wenn die Verjährung noch nicht bereits nach dreißig Jahren, also für 1945 abhanden gekommene Kulturgüter noch nicht bereits 1975 eingetreten ist. Dies liegt daran, dass Ansprüche, die nach geltendem Recht bereits verjährt sind, von einer etwaigen Änderung kaum noch erfasst werden können. Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird man dem Schuldner das ihm aus der Einrede der Verjährung zustehende Recht zur Leistungsverweigerung nicht im Nachhinein wieder nehmen können. Dieses Problem stellt sich aber dann nicht, wenn die dreißigjährige Verjährungsfrist ausnahmsweise noch gar nicht abgelaufen ist. Denn die Einrede der Verjährung gegen den Herausgabeanspruch kann nicht erhoben werden, wenn die Frist wegen Verhinderung der Rechtsverfolgung durch höhere Gewalt in Russland nach § 206 BGB gehemmt oder aus anderen Gründen z. B. wie beim Wtewael-Gemälde nach § 198 BGB noch nicht abgelaufen ist. So dürfte die Frist bei den kriegsbedingt nach Russland verlagerten Kulturgütern in der Regel weiterhin auch dann noch gehemmt sein, wenn das Kulturgut inzwischen aus Russland in einen anderen Staat gelangt ist, in dem ein funktionierendes Justizwesen besteht, aber der Eigentümer nichts von der Verlagerung erfährt. Denn die in Russland eingetretene Verhinderung der Rechtsverfolgung wirkt in diesen Fällen auch dann noch fort, wenn das Kulturgut später in einen Staat mit rechtsstaatlichen Strukturen, wie dies eben auch in England der Fall ist, gelangt27. Ungeachtet der durchweg nachzuvollziehenden Kritik an der dreißigjährigen Verjährungsfrist des Eigentumsherausgabeanspruchs darf nicht übersehen werden, dass es auch gute Gründe gibt, die für die Verjährbarkeit des Anspruchs nach § 985 BGB sprechen. Bei der Schaffung des BGB hatte sich der Gesetzgeber intensiv mit den Vor- und Nachteilen der Verjährung auseinandergesetzt und der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden Priorität vor dem Gläubigerinteresse eingeräumt28. Dem zumeist vermeintlichen Schuldner wird auf diese Weise die Abwehr unbegründeter Ansprüche erleichtert, denn die „verdunkelnde Macht der Zeit“ verschlechtert dessen Verteidigungsposition. Verjährungsvorschriften wirken damit z. B. auch zugunsten von Museen, die unberechtigte Forderungen Dritter durch die Einrede der Verjährung abwehren können. Ein weiterer Vorteil der Verjährungsfrist 49 – 61; Müller-Katzenburg, Auswirkungen der Neuregelung des Verjährungsrechts für NSverfolgungsbedingt und kriegsbedingt entzogenes Kulturgut, in: KUR 2001, 124 – 129; Siehr, Verjährung der Vindikationsklage?, in: ZRP 2001, 346 – 347; Jayme, Recht contra Moral?, in: F.A.Z. vom 16. 1. 2002. 27 Siehe: H.VI.2.d). 28 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band 1, 1888, 291 ff.
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I. Präzedenzfall
liegt in der Entlastung der Gerichte von Streitigkeiten über veraltete Ansprüche29. Dabei handelt es sich um eine Wirkung, die in anderen Staaten ohne entsprechende Verjährungsregelung durch im Vergleich zu Deutschland erheblich höhere Prozesskosten erreicht wird. Als Nebeneffekt wirken sich die Verjährungsvorschriften allerdings nicht nur zugunsten des vermeintlichen Schuldners, sondern auch zugunsten des bösgläubigen Besitzers aus. In letzter Konsequenz kann damit auch der Dieb oder Hehler30 die Einrede der Verjährung erheben. Fraglich könnte aber sein, ob der Gedanke der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens immer überwiegt oder ob nicht in Einzelfällen die Einrede der Verjährung rechtsmissbräuchlich sein kann, beispielsweise wenn der Schuldner eingeräumt hat, nicht in gutem Glauben gehandelt zu haben. Die vor dem High Court of Justice zu Tage getretenen kriminellen Machenschaften um das Wtewael-Gemälde geben Anlass zu der Überlegung, ob die Verjährungseinrede ausnahmsweise gegen die Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben im deutschen Recht verstoßen kann und damit die Berufung auf Verjährung ausgeschlossen ist31. Das Ziel, ein Grundsatzurteil zugunsten des Kulturgüterschutzes vor dem High Court of Justice in London zu erstreiten, wurde erreicht, forderte aber auch seinen finanziellen Preis, wie die Prozesskosten in Höhe von mehr als einer Million englische Pfund anschaulich dokumentieren32. Zwar sind diese Kosten von der Beklagten zu tragen gewesen, aber es bleibt die Frage, wie man seine Ansprüche realisieren will, wenn der Vertreter der beklagten Gesellschaft spurlos verschwindet und wegen Missachtung des Gerichts mit Haftbefehl gesucht wird33.
Larenz / Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 8. Auflage (1997), 335. Brox, Allgemeiner Teil des BGB, 26. Auflage (2002), 304; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 26. Auflage (2002), 289. 31 In diesem Sinne weitergehend: Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen Kunstwerken, in: NJW 1999, 2551 – 2558 (2558). 32 F.A.Z. vom 4. 11. 1998: Hände weg von Beutekunst. 33 F.A.Z. vom 4. 11. 1998: Hände weg von Beutekunst. 29 30
J. Leihverkehr mit Beutekunst I. Allgemein Deutsche Museen führen mit russischen Einrichtungen Verhandlungen mit dem Ziel, gemeinsame Ausstellungen mit „Beutekunst“ durchzuführen1. Für deutsche Ausstellungsfachleute mag bei den Planungen die im Grunde verständliche Überlegung ausschlaggebend sein, dass man, wenn Russland die Kulturgüter schon nicht auf Dauer zurückgibt, wenigstens erreichen sollte, dass im Wege der Ausleihe auf Zeit einzigartige Kunstschätze, wie der weltbekannte Schatz des Priamos, in Deutschland präsentiert und damit zumindest kurzfristig dem kunstinteressierten Besucher hier in Deutschland gezeigt werden können. Nach den Ausstellungen würde dann die Rückgabe an die russischen Museen erfolgen2. Die Rückgabe deutschen Kulturgutes nach einer Ausstellung an Russland kann aber unter Umständen in Russland sowie in anderen Staaten als Verzicht Deutschlands auf diese Kulturgüter aufgefasst werden. Es wäre dann nur noch ein kurzer Schritt dahin, dass im Ausland Russland als berechtigt angesehen wird, über deutsches Kulturgut zu verfügen. Denn wenn das ausgeliehene Kulturgut unbehelligt aus Deutschland wieder nach Russland gelangt, dann kann dies als Signal verstanden werden, dass mit diesen Kulturgütern ganz legal gehandelt werden kann. Eine derartige Entwicklung stünde aber im völligen Widerspruch dazu, dass die Bundesregierung als auch die vom Besitzverlust betroffenen Eigentümer sich um die dauerhafte Rückführung von Kulturgut bemühen. Im Hinblick insbesondere auf die im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 enthaltene Verpflichtung zur dauerhaften und an keine weiteren Bedingungen geknüpften Rückgabe hielt der deutsche Kulturstaatsminister 2000 die Ausleihe u. a. des Priamos-Schatzes nach Deutschland folgerichtig für nicht zulässig und forderte die zeitlich unbefristete Rückgabe3. Indes machen russische Museen ihre Bereitschaft, Beutekunst nach Deutschland zu geben, davon abhängig, dass die Gegenstände nur zum Zwe1 Der Tagesspiegel vom 10. 4. 2000: Beutekunst: Kommt Priamos-Ausstellung nach Deutschland?; General-Anzeiger vom 17.4. 2001: Die „Beutekunst“ soll auf Reisen gehen. 2 Der Tagesspiegel vom 10. 4. 2000, Beutekunst: Kommt Priamos-Ausstellung nach Deutschland?; Stuttgarter Nachrichten vom 10. 4. 2000: Leihweise nach Deutschland; Die Welt vom 10. 4. 2000: „Schatz des Priamos“ als Leihgabe?; Die Welt vom 11. 4. 2000: Naumann nennt Ausleihen des Priamos-Schatzes ungenügend. 3 Die Welt vom 11. 4. 2000: Naumann nennt Ausleihen des Priamos-Schatzes ungenügend: Der damalige Kulturstaatsminister Naumann wird in dem Artikel dahingehend zitiert: „Es ist einfach nicht gestattet, Kulturgut zu stehlen“.
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J. Leihverkehr mit Beutekunst
cke der Ausstellung vorübergehend überlassen werden und anschließend nach Russland zurückkehren. Voraussetzung für die vorübergehende Überlassung ist, dass Deutschland sich verpflichtet, die Kunstschätze zurückzugeben, und die Rückgabe verbindlich zugesichert wird4. Es ist umstritten, ob diese Rückgabezusage für das kriegsbedingt verbrachte Kulturgut überhaupt von der zuständigen Landesbehörde bzw. der Bundesbehörde erteilt werden kann. Fraglich ist hierbei vor allem, ob das kriegsbedingt verbrachte Kulturgut in den Anwendungsbereich der in § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung geregelten rechtsverbindlichen Rückgabezusage fallen kann. Denn die vorstehende Prüfung zum Rechtsstatus der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die bisherigen deutschen Eigentümer ihre Rechte an den Kulturgütern in der Regel nicht verloren haben. Sie sind also weiterhin Eigentümer. Ferner muss auch abgewogen werden, ob die Erteilung der Rückgabezusage für kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut den Verhandlungen der Bundesregierung, die auf dauerhafte Rückgabe gerichtet sind, zuwiderlaufen könnte. Außerdem ist die Völkerrechtslage zu berücksichtigen, zu der sich die Behörden, die die Rückgabezusage erteilen, nicht in Widerspruch setzen dürfen.
II. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage nach § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung 1. Regelungsgehalt der Norm Durch das Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (Kulturgutsicherungsgesetz – KultgutSiG) vom 15. Oktober 19985 wurde in Artikel 2 das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (KgSchG) geändert und in § 20 KgSchG die „Rechtsverbindliche Rückgabezusage“ eingefügt. Die nach § 20 KgSchG vorgesehene „Rechtsverbindliche Rückgabezusage“ darf aber nur unter bestimmten Voraussetzungen erteilt werden. Soll ausländisches Kulturgut vorübergehend zu einer Ausstellung im Bundesgebiet ausgeliehen werden, so kann nach § 20 Absatz 1 KgSchG die zuständige oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit der Behörde 4 Der Tagesspiegel vom 10. 4. 2000: Beutekunst: Kommt Priamos-Ausstellung nach Deutschland?; Stuttgarter Nachrichten vom 10. 4. 2000: Leihweise nach Deutschland; Die Welt vom 10. 4. 2000: „Schatz des Priamos“ als Leihgabe?. 5 BGBl. I 1998, 3162. Die Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung erfolgte am 8. Juli 1999 in: BGBl. I 1999, 1754.
II. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage
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des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien6 (BKM) dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zusagen. Bei Ausstellungen, die vom Bund oder einer bundesunmittelbaren juristischen Person getragen werden, entscheidet die Behörde des BKM. Nach § 20 Absatz 2 KgSchG ist die Zusage vor der Einfuhr des Kulturgutes schriftlich und unter Gebrauch der Worte „Rechtsverbindliche Rückgabezusage“ zu erteilen. Sie kann nicht zurückgenommen oder widerrufen werden. Die Zusage bewirkt gemäß § 20 Absatz 3 KgSchG, dass dem Rückgabeanspruch des Verleihers keine Rechte entgegengehalten werden können, die Dritte an dem Kulturgut geltend machen. Prozessual hat dies zur Folge, dass nach § 20 Absatz 4 KgSchG bis zur Rückgabe an den Verleiher gerichtliche Klagen auf Herausgabe, Arrestverfügungen, Pfändungen und Beschlagnahmen unzulässig sind7. Ist die Rückgabezusage erteilt, kann folglich für die Dauer des Aufenthaltes des Kulturgutes in Deutschland die Geltendmachung privater Rechte an den Leihgaben vor Gericht im Grundsatz nicht durchgesetzt werden.
2. Der Begriff „ausländisches Kulturgut“ a) Herausgabeansprüche der Eigentümer gegen Besitzer von Beutekunst Die Eigentümer in Deutschland, die nach 1945 ihren Besitz verloren haben, sind im Prinzip bis heute Eigentümer geblieben und haben daher zivilrechtliche Herausgabeansprüche gegenüber den russischen Besitzern. Wenn das Kulturgut zu Zwecken der Ausleihe zurück nach Deutschland kommt, dann richtet sich der Herausgabeanspruch nach deutschem Recht. Nach § 985 BGB kann der Eigentümer von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen. Wenn nun aber die deutschen Einrichtungen und privaten Sammler bzw. deren Erben weiterhin Eigentümer der von ihnen vermissten Kulturgüter geblieben sind, erlangt die Fragestellung Bedeutung, ob es sich bei den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern überhaupt um „ausländisches Kulturgut“ im Sinne des § 20 Absatz 1 KgSchG handeln kann. Denn nur für ausländisches Kulturgut kann „freies Geleit“ im Sinne von § 20 KgSchG in Frage kommen. Wie weit sich der Anwendungsbereich der Vorschrift erstreckt, ist allerdings eine offene Frage. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wie weit der Anwendungsbereich des freien Geleits geht, und ob für kriegsbedingt nach Russland verbrachtes Kulturgut die Rück6 Seit Herbst 2002 trägt die Behörde die Bezeichnung in weiblicher Form: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. 7 Nach Auffassung von Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, 15 – 42 (29), schafft die Zusicherung des „freien Geleits“ zudem einen völkerrechtlichen Vertrauenstatbestand, der gemäß Artikel 25 GG Vorrang vor den nationalen Gesetzen hat.
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J. Leihverkehr mit Beutekunst
gabezusage in Frage kommen kann. Während Schoen8 eine sehr sorgfältige Untersuchung dahingehend für erforderlich hält, ob die rechtsverbindliche Rückgabezusage bei kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern dem russischen Partner überhaupt nach dem Wortlaut sowie darüber hinaus nach Sinn und Zweck der Vorschrift erteilt werden kann, hält Hirsch9 dieser Auffassung entgegen, dass der Bundestag mit dem neu geschaffenen „freien Geleit“ habe erreichen wollen, dass unabhängig von Eigentumsansprüchen Kulturgüter in Deutschland ausgestellt werden können, die sonst niemals wieder in Deutschland zu sehen wären. Dabei beziehe sich die Vorschrift auf alle Leihgaben und nicht nur auf Leihgaben ausländischer Herkunft, sodass auch die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter in den Anwendungsbereich des § 20 KgSchG fielen. Die Meinung von Hirsch wird auch gestützt von Pieroth / Hartmann10, die in dem Fall der in Kriegswirren abhanden gekommenen Kulturgüter, an denen zwischenzeitlich auch niemand Eigentum erworben hat, einen typischen Anwendungsfall für die Erteilung der Rückgabezusage sehen mit der Folge, dass für die Dauer des leihbedingten Aufenthaltes dieser Kulturgüter in Deutschland nach § 20 Absatz 4 KgSchG die Herausgabeklage generell unzulässig sei. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Standpunkte soll anhand der von der Rechtsprechung für die Auslegung von Gesetzen entwickelten Kriterien der Anwendungsbereich der rechtsverbindlichen Rückgabezusage geprüft werden. Für die Auslegung ist der in der Rechtsvorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so wie er sich aus dem Wortlaut der Norm, aus ihrem Zusammenhang und Zweck sowie ergänzend aus der Entstehungsgeschichte ergibt11.
b) Grammatische Auslegung Bereits der Wortlaut der Vorschrift spricht dafür, dass es sich bei dem in § 20 Absatz 1 KgSchG bezeichneten ausländischen Kulturgut nur um solches Kulturgut handeln kann, von dem anzunehmen ist, dass es sich zumindest nicht erkennbar zu Unrecht bei dem Verleiher im Ausland befindet. Das kriegsbedingt verbrachte Kulturgut befindet sich aber ohne Rechtsgrund in Russland, und es ist weitestgehend bekannt, um welche Objekte es sich handelt, die dorthin verbracht worden sind.
8 Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, in: NJW 2001, 537 – 543 (540 f.). 9 Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter, in: NJW 2001, 1627. 10 Pieroth / Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, in: NJW 2000, 2129 – 2135 (2130). 11 BVerfGE 1, 299 (312); BVerfGE 10, 234 (244); BVerfGE 11, 126, (130 f.); Jarass, in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 6. Auflage (2002), Einl., Rdnrn. 4, 5.
II. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage
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Für die kriegsbedingt aus Deutschland nach Russland verbrachten Kulturgüter, die im Allgemeinen bis heute im Eigentum öffentlicher Einrichtungen, wie Museen, Bibliotheken und Archiven, in Deutschland stehen bzw. Privateigentümern gehören, ergibt sich bereits aus dem Wortsinn, dass dieses Kulturgut deutsch ist und von ausländischem Kulturgut im Sinne des § 20 KgSchG zu unterscheiden ist. Die Bezeichnungen „deutsch“ und „ausländisch“ schließen sich gegenseitig aus, denn sie stellen Gegensätze dar. Ein deutsches kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut wird nicht gleichzeitig ein deutsches und ein ausländisches Kulturgut sein können. Dabei handelt es sich bei dem Begriff „ausländisches“ um ein Eigenschaftswort. Eigenschaftswörter beschreiben die Eigenschaft der Sache, bei der sie stehen. Dies kann vorliegend nichts anderes bedeuten, als dass das dem Substantiv „Kulturgut“ vorangestellte Adjektiv „ausländisches“ das Substantiv „Kulturgut“ inhaltlich näher bezeichnet. Nur wenn ein Kulturgut die Eigenschaft aufweist, ausländisch zu sein, kann die Rückgabezusage erteilt werden. In diesem Sinn argumentiert auch Berger. Im Hinblick auf die Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 20 KgSchG auf „ausländisches Kulturgut“ ist er der Ansicht, dass die Beutekunst vor der Beschlagnahme durch die UdSSR oftmals dem deutschen Kulturgut zuzurechnen ist und deshalb fraglich sei, ob die Voraussetzungen für die rechtsverbindliche Rückgabezusage überhaupt vorliegen12. Während bei einer anderen Formulierung wie beispielsweise „Kulturgut aus dem Ausland“13 zweifelhaft sein könnte, ob nur auf die Belegenheit der Sachen im Ausland abzustellen ist, bezeichnet der im Gesetz gewählte Terminus „ausländisches Kulturgut“ dabei eindeutig nicht nur eine örtliche, sondern auch eine sächliche Zugehörigkeit der Kulturgüter zum Ausland. Diese Auslegung wird durch die Definition von „ausländisch“ im Duden14 gestützt, wonach das Adjektiv „aus dem Ausland kommend, stammend; einem fremden Land angehörend“ besagt. Man wird aber gerade bei den kriegsbedingt nach dem Zweiten Weltkrieg gegen den Willen der Eigentümer nach Russland abtransportierten Kulturgütern, wie z. B. den beiden Gutenbergbibeln, nicht behaupten können, dass sie aus Russland stammen. Allein durch Zeitablauf ändert sich an der Zuordnung der Zugehörigkeit nichts. Das Adjektiv „ausländisch“ bringt vielmehr zum Ausdruck, dass sich die Sache allem Anschein nach aus der Sicht der die Zusage erteilenden Behörde zu Recht im Ausland befindet. Dies ist bei den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern ganz überwiegend nachweislich nicht der Fall. Für die Erteilung der Rückgabezusage ist die Ausleihe aus dem Ausland deshalb zwar eine 12 Berger, Die Rückgabe von Beutekunst aus der Russischen Föderation, in: IPRax 2000, 318 – 321 (319). 13 Vgl.: Der dem § 20 KgSchG entsprechende Artikel 61 des französischen Gesetzes 94 – 679 vom 8. August 1994 über verschiedene Bestimmungen wirtschaftlicher und finanzieller Art knüpft daran an, dass die Kulturgüter von einer ausländischen Macht, einer ausländischen öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder kulturellen Institution verliehen werden. 14 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Auflage (1999), Band 1, 394, Stichwort: ausländisch.
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J. Leihverkehr mit Beutekunst
notwendige aber noch keine hinreichende Voraussetzung, um die Rückgabezusage erteilen zu können. c) Systematische Auslegung Bei der systematischen Auslegung sind die einzelnen Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gestellt hat, grundsätzlich so zu interpretieren, dass sie logisch miteinander vereinbar sind; denn es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sachlich Zusammenhängendes so geregelt hat, dass die gesamte Regelung einen durchgehenden, verständlichen Sinn ergibt15. Diese Interpretation sucht den Sinn des Gesetzes zu erfassen, indem aus dem Zusammenhang der Rechtssätze innerhalb der Rechtsordnung die Bedeutung der Einzelvorschrift abgeleitet wird16. Bereits der Zusammenhang, in den die Vorschrift des „freien Geleits“ eingebunden ist, lässt Rückschlüsse auf den Anwendungsbereich zu. Das „freie Geleit“ ist 1998 in das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung eingefügt worden. Wie sich schon aus der amtlichen Bezeichnung des Gesetzes ergibt, dienen die Vorschriften gerade der Bewahrung und Erhaltung von deutschem Kulturgut in Deutschland. Dem Grundgedanken dieses Gesetzes würde es zuwiderlaufen, wenn auch für deutsches Kulturgut, das sich im Ausland befindet, die Rückgabezusage erteilt werden könnte. Nach § 1 Absatz 1 KgSchG werden Kunstwerke und anderes Kulturgut – einschließlich Bibliotheksgut –, deren Abwanderung aus Deutschland einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde, in ein „Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes“ eingetragen. Über die Eintragung in das Verzeichnis entscheidet nach § 2 Absatz 1 KgSchG die oberste Landesbehörde. Für Archive gilt gemäß § 10 KgSchG Entsprechendes. Die Eintragung bewirkt nach §§ 5, 12 i.V.m. § 1 Absatz 4 KgSchG, dass ohne eine Genehmigung des BKM eine Ausfuhr des Kulturgutes aus Deutschland nicht zulässig ist. Die Genehmigung zur Ausfuhr ist zu versagen, wenn bei Abwägung der Umstände des Einzelfalles wesentliche Belange des deutschen Kulturbesitzes überwiegen. Damit zeigt sich, dass das KgSchG den Schutz deutschen Kulturgutes bezweckt und Maßnahmen unterbleiben müssen, die in Widerspruch zu diesen Zielen stehen. So wie die Erteilung der Rückgabezusage für nachweislich in Deutschland gestohlenes und anderweitig abhanden gekommenes Kulturgut nicht im Sinne des mit dem KgSchG verfolgten nationalen Kulturgüterschutzes liegen kann, trifft dies im besonderen auf die nachträglich in das Gesetz eingefügte Vorschrift des § 20 KgSchG zu. Das Kriterium „ausländisches Kulturgut“ kann nach dem Sinn und Zweck des § 20 KgSchG die nachweislich kriegsbedingt verbrachten deutschen BVerfGE 48, 246 (257). BVerfGE 48, 246 (257); Jarass, in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 6. Auflage (2002), Einl. Rdnrn. 4, 5. 15 16
II. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage
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Kulturgüter nicht mit umfassen. Grund für die 1998 erfolgte Einfügung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage in das KgSchG war, dass die Ausstellung ausländischen Kulturgutes in Deutschland häufig daran scheiterte, dass dem Verleiher das Risiko zu groß war, Kulturgut in den Geltungsbereich einer fremden Rechtsordnung zu entleihen, dessen Regeln ihm nicht geläufig sind17. Die Rückgabezusage soll daher zur Förderung und Intensivierung des internationalen Kulturgüteraustausches dienen18. Die Behörde, die die Rückgabezusage erteilt, muss die Eigentumsverhältnisse nicht in allen Einzelheiten prüfen. Grundsätzlich muss der Verleiher auch nicht Eigentümer der verliehenen Sache sein19, um wirksam einen Leihvertrag abschließen zu können. Liegen jedoch vor Erteilung der Rückgabezusage konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass das auszuleihende Kulturgut seinem Eigentümer in Deutschland gestohlen oder anderweitig abhanden gekommen ist und der Verleiher mithin nichtberechtigter Besitzer ist, spricht dies gegen eine Erteilung einer Rückgabezusage. Aber auch wenn die Rückgabezusage den Zweck hat, zur Förderung und Intensivierung des internationalen Kulturgüteraustausches beizutragen, kann in einem Rechtsstaat naturgemäß der Kulturgüteraustausch mit denjenigen Exponaten gerade nicht gewollt sein, bei denen bekannt ist, dass der Verleiher in jeder Hinsicht nach Kenntnis der Behörden nichtberechtigter Besitzer ist. Das Rechtsstaatsprinzip, wie es im Grundgesetz insbesondere in Artikel 20 Absatz 3 GG zum Ausdruck kommt, bindet die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Grundgesetz damit ein Staat, in welchem die staatlichen Entscheidungen anhand von Gesetzen messbar sind und der sich der Idee der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt20. Stellt man im Wege der systematischen Auslegung die in § 20 KgSchG geregelte Rückgabezusage für „ausländisches Kulturgut“ in einen Gesamtzusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Grundordnung, dann legt die Interpretation des Begriffs „ausländisches Kulturgut“ auch nach dieser Auslegungsmethode nahe, dass „ausländisches Kulturgut“ sich nicht auf dasjenige Kulturgut beziehen kann, von dem die zuständigen Behörden wissen bzw. annehmen, dass es der entleihenden Einrichtung in Deutschland oder gar einem Dritten gehört. Die Behörden, die die rechtsverbindliche Rückgabezusage erteilen, werden sich außerdem in Zweifelsfällen über die Herkunft von Kulturgut – wie dies etwa zu den Sorgfaltspflichten der Versteigerungsunternehmen gehört – durch Nachfrage beispielsweise über die Internet-Datenbank www.lostart.de21 versichern können, 17 Pieroth / Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, in: NJW 2000, 2129 – 2135 (2129). 18 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU / CSU und F.D.P., BT-Drs. 13 / 10789 vom 26. 5. 1998, 8, 10. 19 Palandt / Putzo, BGB, 60. Auflage (2001), § 598 Rdnr. 1. 20 Von Münch, Staatsrecht, Band 1, 6. Auflage (2000), 136.
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J. Leihverkehr mit Beutekunst
dass das Kulturgut nicht anderweitig vermisst wird. Da in der Internet-Datenbank www.lostart.de die Verluste in umfangreicher Weise, wenngleich naturgemäß nicht abschließend und lückenlos dokumentiert sind, ergibt sich mit der Abfrage ein zuverlässiges Instrumentarium, um kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter im Verfahren zur Erteilung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage herausfiltern zu können. Bedenkt man ferner, dass auch der englische High Court of Justice im Rechtsstreit um das Wtewael-Gemälde die Mitnahme von deutschem Kulturgut als Diebstahl bewertet hat, ist es mit rechtsstaatlichen Prinzipien schwer vereinbar, wenn der Kulturgüteraustausch mit in Deutschland gestohlener Kunst, an der bisher noch kein Dritter Eigentum erworben hat, begünstigt wird, indem deutsche Behörden für diese Exponate die Rückgabe des Kulturgutes zusichern. Die Rückgabezusage wird daher nur für die Kunstwerke in Frage kommen, bei denen nach Auffassung der zuständigen Behörden keine Bedenken gegen die Berechtigung des Verleihers erkennbar sind. Nur in diesem Fällen lässt es sich rechtfertigen, den im Grundgesetz gewährleisteten Rechtsweg zu suspendieren. In diesem Rahmen erleichtert die rechtsverbindliche Rückgabezusage den Kulturgüteraustausch und bereichert Ausstellungen in Deutschland mit Exponaten, die früher mangels Rechtssicherheit für den Verleiher nicht nach Deutschland gekommen wären.
d) Historische Auslegung Die Entstehungsgeschichte einer Gesetzesbestimmung kann ergänzend bei der Auslegung berücksichtigt werden, wenn sie die Richtigkeit der Auslegung nach dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der Vorschrift bestätigt oder Zweifel behebt, die mit den anderen Auslegungsmethoden nicht ausgeräumt werden können22. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung23. Deshalb kann der Wille des Gesetzgebers nur insoweit für die Auslegung einer Vorschrift von Belang sein, wie er im Wortlaut und Sinnzusammenhang der Gesetzesbestimmung seinen Ausdruck gefunden hat. Zwar hat der Bundestagsvizepräsident a.D., Hirsch, ausgeführt24, dass der Bundestag generell „freies Geleit“ für alle kulturellen Leihgaben aus dem Ausland ohne Ansehung der Eigentumsverhältnisse schaffen wollte. Gemäß den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Auslegungskriterien ist diese Motivlage aus der Entstehungs21 Siehe auch: Art Loss Register Deutschland GmbH in Köln, das seit 1998 Daten zur Beutekunst erfasst. 22 BVerfGE 1, 299 (312); BVerfGE 10, 234 (244); BVerfGE 11, 126 (130 f.). 23 BVerfGE 1, 299 (312); BVerfGE 10, 234 (244); BVerfGE 11, 126 (130 f.). 24 Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter, in: NJW 2001, 1627.
II. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage
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geschichte aber nur ergänzend beizuziehen, wenn auf diese Weise bei den anderen Auslegungsmethoden noch bestehende Zweifel an der Interpretation ausgeräumt werden können. Da die Auslegung nach dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift im Hinblick auf die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zu einer eindeutigen Absage an die Zulässigkeit der Erteilung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage geführt hat, ergeben sich für eine ergänzende Auslegung über die Entstehungsgeschichte keine Anknüpfungspunkte mehr. Damit bleibt festzuhalten, dass der Erteilung der rechtsverbindlichen Rückgabegarantie erhebliche Bedenken entgegengebracht werden müssen, wenn Kulturgut, von dem bekannt ist, dass es kriegsbedingt aus Deutschland nach Russland verbracht worden ist, für Ausstellungen vorübergehend aus Russland nach Deutschland eingeführt wird und anschließend zurückgegeben werden soll.
3. Unentgeltliche vorübergehende Überlassung Die Erteilung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage setzt ferner voraus, dass das Kulturgut ausgeliehen wird. Durch den Leihvertrag wird der Verleiher gemäß § 598 BGB verpflichtet, dem Entleiher den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten. Unentgeltlichkeit ist daher nur gegeben, wenn die Ausleihe unabhängig von einer Gegenleistung erfolgt. Schon ein ganz geringes Entgelt schließt eine Leihe aus und begründet ein Mietverhältnis25. Nur die nicht kommerzielle Nutzungsüberlassung von Kulturgut wird durch die Möglichkeit der Suspendierung des Rechtsweges privilegiert. Für Geschäfte, bei denen der Verleiher sich wirtschaftliche Vorteile zusagen lässt, kann die verbindliche Rückgabezusage von Kulturgut für Ausstellungen nicht erteilt werden. Vom Verleiher verauslagte Transportkosten sowie angemessene Kosten einer Versicherung des Kulturgutes können jedoch erstattet werden, ohne dass eine Entgeltlichkeit vorliegt. Entgeltlich ist eine Nutzungsüberlassung auch, wenn die Gegenleistung nicht in einer Geldzahlung besteht, sondern in einem anderen geldwerten Vorteil. Zu denken ist hierbei in Russland z. B. an die Übernahme der Fortbildung für einen Museumsmitarbeiter oder die Restaurierung eines Kunstwerkes der verleihenden Einrichtung. Die Unentgeltlichkeit ist auch dann nicht mehr gegeben, wenn das Begleitpersonal der verleihenden Institution zur Ausstellungsbetreuung im Gastland eine erheblich größere Delegation stellt als international üblich. Gleiches gilt für höhere Aufwendungen durch Kostenübernahme in Hotels der Luxusklasse oder gleichartige Vergünstigungen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass russische Einrichtungen, die sich nicht mehr vollständig aus staatlichen Quellen finanzieren, Gegenleistungen für die Ausleihe von Kulturgut erwarten. Als Gegenleistungen werden Geldzahlungen bzw. auch andere geldwerte Vorteile zu erbringen sein. Wenn mit Russland derartige Verein25
Palandt / Putzo, BGB, 60. Auflage (2001), § 598 Rdnr. 4.
14 Schoen
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J. Leihverkehr mit Beutekunst
barungen getroffen werden sollten, fehlt die Unentgeltlichkeit der vorübergehenden Überlassung im Sinne des § 20 KgSchG, und es kann für derartige Geschäfte keine rechtsverbindliche Rückgabezusage erteilt werden.
III. Einwand der unzulässigen Rechtsausübung Die Ausleihe von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut mit verbindlicher Rückgabezusage des Bundes bzw. des Landes kann auch den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach sich ziehen (estoppel-Prinzip). Denn es gehört zu den international allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen, dass eine gegen Treu und Glauben verstoßende Rechtsausübung unzulässig ist26. Gegen Treu und Glauben verstößt, wer sich durch die Ausübung eines Rechtes zu seinem eigenen Verhalten, auf das der andere vertraut, in Widerspruch setzt (sog. venire contra factum proprium)27. Ein Anspruch ist danach nicht mehr durchsetzbar, wenn ein vorhergehendes Verhalten des Berechtigten erwarten lässt, dass dieser den Anspruch nicht mehr erheben werde. Wenn die Bundesrepublik Deutschland sich im Rahmen der Rückführungsverhandlungen für eine dauerhafte Rückgabe an Deutschland einsetzt, dann darf dieses Rückgabeverlangen nicht in Widerspruch zu anderen Erklärungen von staatlicher Seite stehen. Ein Widerspruch zu früherem Verhalten kann gerade darin liegen, wenn deutsche Museen sich aus Russland kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut ausleihen, dafür von staatlichen Stellen eine verbindliche Rückgabezusage erteilt würde und das betreffende Kulturgut unbeanstandet nach der Ausstellung in Deutschland die Grenze Richtung Russland passiert, aber anschließend die Bundesregierung erklärt, dass dieses Kulturgut rechtmäßigerweise nach Deutschland gehört und sie es deshalb auf Dauer zurückhaben will. Der Abschluss eines Leihvertrages durch den Eigentümer in Deutschland und erst recht die Ausleihe mit verbindlicher staatlicher Rückgabezusage könnten daher auch als Verzicht auf das Eigentum und den Besitz gedeutet werden28. Dies gilt besonders dann, wenn der Bund selbst die Rückgabezusage erteilt, weil das Exponat für eine Ausstellung ausgeliehen werden soll, die vom Bund oder einer bundesunmittelbaren juristischen Person getragen wird. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben kann sich hier eine Schranke für die zulässige Rechtsausübung ergeben. 26 Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage (1999), 178, 203; Dahm, Völkerrecht, Band 1, 2. Auflage (1989), 68; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984), 393; Brownlie, Principles of Public International Law, 5. Auflage (1998), 158, 645 f. 27 Larenz / Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 8. Auflage (1997), 329; MünchKomm-Roth, BGB, Band 2, 4. Auflage (2001), § 242 a.F. Rdnr. 423; Brownlie, Principles of Public International Law, 5. Auflage (1998), 158, 645 f. 28 Siehe zum Leihvertrag der Universität Heidelberg mit dem Vatikan über die Bibliotheca Palatina und zu dem darin gesehenen Verzicht auf dauerhafte Rückgabe: Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (141).
IV. Vorrang des Völkerrechts vor einfachem Bundesrecht
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Für das Vorliegen einer unzulässigen Rechtsausübung kommt es entscheidend darauf an, ob beim Partner ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird. Sollten deutsche Einrichtungen mit russischen Partnern vereinbaren, dass die weiterhin in deutschem Eigentum stehenden Exponate vorübergehend zu einer Ausstellung aus russischem Besitz nach Deutschland kommen sollen, dann kann dem späteren Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durch eine Vorbehaltsklausel entgegengesteuert werden. Denn es muss verhindert werden, dass nach dem Empfängerhorizont in der vorübergehenden Ausleihe mit anschließender Rückgabe eine Anerkennung der Verstaatlichung des deutschen Kulturgutes durch das russische Beutekunstgesetz gesehen wird. Aus dieser Vorbehaltsklausel muss für die russische Seite folglich erkennbar sein, dass die deutschen Einrichtungen auf ihr Eigentum an den Kulturgütern nicht verzichten wollen und die Bundesregierung weiterhin die Rückgabe auf Dauer geltend machen wird. Darüber hinaus erscheint auch in der rechtsverbindlichen Rückgabezusage, die die Behörde dem Verleiher erteilt, ein entsprechender Zusatz angebracht. Daraus sollte deutlich hervorgehen, dass die rechtsverbindliche Rückgabezusage unbeschadet von Rechten, die Dritten an dem Kulturgut zustehen können, erteilt wird, und dass mit der Rückgabezusage auch kein Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die vertragsgemäße Rückgabe des Kulturgutes gemäß Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992 gegen den russischen Staat verbunden ist. Besonders problematisch wäre in diesem Zusammenhang, wenn eine Einrichtung kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut ausleihen will, das ihr nicht selbst gehört, sondern stattdessen einer anderen deutschen Einrichtung oder einer Privatperson. Hier wäre noch die Zustimmung des deutschen Eigentümers zu der Ausleihe erforderlich, die auch dem russischen Verleiher nachzuweisen ist. Würde das Eigentum zwischen den Einrichtungen in Deutschland nicht respektiert, könnte dies russischerseits zu dem Missverständnis führen, dass Deutschland die Kulturgüter nicht mehr als eigenes kulturelles Erbe, sondern als russisches Staatseigentum ansieht. Wird der Leihvertrag und die rechtsverbindliche Rückgabezusage mit einer Vorbehaltsklausel verknüpft, wonach die Rückgabe des Kulturgutes an Russland unbeschadet von Rechten Dritter erteilt wird, dann kann auf diese Weise dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung aus Russland entgegengewirkt werden. Denn die unbehelligte Rückgabe des Kulturgutes würde in diesem Fall kein russisches Vertrauen darauf begründen, die Eigentümer und der deutsche Staat hätten insgesamt auf ihre Rückgabeansprüche verzichtet. Hiervon zu trennen ist aber ein weiteres rechtliches Problem, weil das Grundgesetz den allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang vor den Gesetzen und damit auch vor § 20 KgSchG einräumt.
IV. Vorrang des Völkerrechts vor einfachem Bundesrecht Nach Artikel 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten 14*
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J. Leihverkehr mit Beutekunst
unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Durch die Eingliederung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in das Bundesrecht gelten diese Regeln damit im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und verpflichten alle Staatsorgane in Deutschland zu völkerrechtskonformem Verhalten29. Bei der Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechts – und dies gilt auch für § 20 KgSchG – haben die deutschen Behörden daher die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten. Dies bedeutet, dass bei Erteilung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage nach § 20 KgSchG nicht gegen die vorrangigen allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßen werden darf. Innerstaatliches Recht ist so auszulegen und anzuwenden, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht verletzt werden. Die Behörden sind dabei auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und sie sind daran gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken30. Die Erteilung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage nach § 20 KgSchG für kriegsbedingt nach Russland verbrachtes Kulturgut dürfte indes mit dem Völkergewohnheitsrecht kollidieren. Denn das deutsche kriegsbedingt nach Russland verbrachte Kulturgut gehört völkerrechtlich auf Dauer nach Deutschland. Der Grundsatz, dass die Wegnahme von Kulturgut aus dem besetzten Gebiet unzulässig ist, hat sich als Ausdruck einer allgemeinen als Recht anerkannten Übung herausgebildet31. Kulturgut in privatem und öffentlichem Eigentum darf dem Besiegten nicht weggenommen werden und als Beute behandelt werden. Es hat grundsätzlich im besiegten Staat zu verbleiben. Zuwiderhandlungen gegen das Beschlagnahmeverbot von Kulturgut, das auch in Artikel 56 Absatz 2 HLKO verankert ist, müssen geahndet werden. Aus dem Völkergewohnheitsrecht ergibt sich daher auch die Verpflichtung zur Restitution, d. h. zur Rückgabe des mitgenommenen Kulturgutes. Die Sowjetunion hat gegen den gewohnheitsrechtlich herausgebildeten Schutz von Kulturgut verstoßen, als sie die deutschen Kulturgüter aus der von ihr besetzten 29 Herdegen, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Band 3, Artikel 25 Rdnr. 1; Rojahn, in: von Münch / Kunig, GGK II, 5. Auflage (2001), Artikel 25 Rdnr. 2; BVerfGE 23, 288 (316); BVerfGE 75, 1 (18 f.). 30 BVerfGE 75, 1 (18 f.). 31 Partsch, Schutz von Kulturgut, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, 306 – 326 (306); Doehring, War die Universität Heidelberg verpflichtet, die Bibliotheca Palatina dem Vatikan zurückzugeben?, in: Ruperto Carola, 39. Jg., Nr. 76, Juli 1987, 138 – 142 (139); Fiedler, Zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring, 1989, 199 – 218 (199, 217); Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, 207 f., Fußnote 666; Höhn, Die Verlagerung deutscher Kulturgüter nach dem Zweiten Weltkrieg aus völkerrechtlicher Sicht, in: HuV-I 1995, 26 – 32 (28); Walter, Rückführung von Kulturgut im internationalen Recht, 1988, 78 f.
IV. Vorrang des Völkerrechts vor einfachem Bundesrecht
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Zone abtransportierte. Ferner ist die Rückgabe von Kulturgut im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 zugesichert worden. Es besteht daher bis heute ein Rückgabeanspruch der Bundesrepublik Deutschland gegen die Russische Föderation hinsichtlich der auf russischem Territorium lagernden deutschen Kulturgüter, wie schon an entsprechender Stelle in dieser Untersuchung ausgeführt worden ist32. Russland ist also völkerrechtlich verpflichtet, die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter auf Dauer und nicht nur zu Ausstellungszwecken an Deutschland zurückzugeben. Die Rückgabe von kriegsbedingt aus Deutschland verbrachtem Kulturgut an Russland aufgrund der Rückgabegarantie der deutschen Behörden würde aber der russischen völkerrechtlichen Verpflichtung zur dauerhaften Rückführung dieses Kulturgutes zuwiderlaufen. Durch die rechtsverbindliche Rückgabezusage soll die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass ein Eigentümer sein Kulturgut, das sich zu Ausstellungszwecken in Deutschland befindet, und damit eigentlich der deutschen Rechtsordnung untersteht, zurückerhält. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage verhindert insoweit den dauerhaften Verbleib des Kulturgutes in Deutschland. Sie verfestigt sogar den völkerrechtswidrigen Status, indem die Bundesrepublik Deutschland als souveräner Staat es zulässt, dass das Kulturgut dorthin gelangt, wo es nach den Grundsätzen des Völkerrechts nicht hingehört: nach Russland. Die Behörden, die die Rückgabe von deutschem kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut nach Russland sicherstellen, indem der Rechtsweg zu den deutschen Gerichten suspendiert wird, bringen zudem bewusst oder unbewusst zum Ausdruck, dass man sich mit der seinerzeit unter Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht erfolgten Wegnahme des Kulturgutes abgefunden haben könnte. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass international der Eindruck entsteht, Russland sei berechtigt, das kriegsbedingt verbrachte Kulturgut nicht nur nach Deutschland, sondern auch in andere Länder auszuleihen. Die vorgenannten Gründe machen deutlich, dass die Erteilung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage mit höherrangigem Völkerrecht, nämlich der Verpflichtung Russlands zur dauerhaften Rückgabe des Kulturgutes nicht vereinbar ist. Wird dennoch die Zusage erteilt, wirken deutsche Hoheitsträger an einer gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger mit. Mit dem „freien Geleit“ würde sich der völkerrechtswidrige Zustand verfestigen. Eine völkerrechtskonforme Auslegung des § 20 KgSchG wird deshalb dazu führen müssen, dass für das kriegsbedingt verbrachte Kulturgut keine verbindliche Rückgabezusage erteilt werden kann. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob es der Eigentümer, z. B. ein Museum in Deutschland, ist, der sich sein eigenes Kulturgut aus Russland ausleiht, oder ob es sich um das Eigentum eines Dritten handelt, 32 Siehe zum Völkergewohnheitsrecht unter: C.II.2., C.III., C.IV., C.V. und F.III.5; siehe ferner zur vertraglichen Rückgabeverpflichtung unter: D.IV. und E.
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das vorübergehend nach Deutschland kommen soll. Denn es geht um die vorrangige Geltung der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, die nicht zur Disposition der entleihenden Einrichtung steht, sondern von der Behörde zu berücksichtigen ist, die die rechtsverbindliche Rückgabezusage erteilt. Aus Artikel 25 GG, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen, ergibt sich also, dass wegen der völkerrechtlichen Verpflichtung Russlands zur Rückgabe des Kulturgutes von deutscher Seite die Bemühungen darauf gerichtet sein müssen, das kriegsbedingt verbrachte deutsche Kulturgut auf Dauer zurückzuerhalten. Dazu stünde eine staatliche Rückgabezusage nach § 20 KgSchG im Widerspruch. Dabei kann es nach hiesiger Ansicht keinen Unterschied machen, ob die Rückgabegarantie vorbehaltlich bestehender Rechte Dritter erteilt wird oder nicht. Denn in beiden Fällen soll die rechtsverbindliche Rückgabezusage den Rechtsweg suspendieren. Also auch wenn die rechtsverbindliche Rückgabezusage mit einer Vorbehaltsklausel versehen werden würde, kollidiert die Zusage mit vorrangigem Völkergewohnheitsrecht. Gemäß Artikel 25 GG geht der völkerrechtliche Rückgabeanspruch, den Deutschland gegenüber Russland hat, im Rang § 20 KgSchG vor. Wird dennoch die Rückgabezusage für Kulturgut, von dem bekannt ist, dass es kriegsbedingt verbracht ist, erteilt, dann ist die Einhaltung der rechtsverbindlichen Rückgabezusage keineswegs sichergestellt. Denn der private Einzelne kann sich auf den Vorrang des Völkerrechts berufen33. Zwar sind nach § 20 Absatz 4 KgSchG bis zur Rückgabe an den Verleiher gerichtliche Klagen auf Herausgabe und Beschlagnahmen unzulässig. Dies schließt aber nicht aus, dass gegen die Rückgabezusage im Hinblick auf Völkerrecht, das § 20 Absatz 4 KgSchG vorgeht, gerichtlich vorgegangen wird. Die Rückgabezusage kann nur dann den Rechtsweg suspendieren, wenn die Vorschrift des § 20 KgSchG selbst als Rechtsgrundlage einschlägig ist. Wenn die erteilte Rückgabezusage aber wegen eines Verstoßes gegen das vorrangige Völkerrecht eventuell auch i.V.m. dem in Artikel 14 GG garantierten Schutz des Eigentums34 für rechtswidrig erklärt und gerichtlich aufgehoben würde, dann entfaltet die Rückgabezusage keine Rechtswirkungen mehr. Eine rechtswidrig nach § 20 KgSchG erteilte rechtsverbindliche Rückgabezusage, die wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht gerichtlich aufgehoben wird und damit keine Rechtswirkungen mehr entfaltet, bewirkt nicht mehr die Unzulässigkeit der Geltendmachung von zivilrechtlichen Herausgabeansprüchen des EiBVerfGE 46, 342 (362 f.). Was die Vereinbarkeit der rechtsverbindlichen Rückgabezusage mit der Eigentumsgarantie anbelangt, steht die Diskussion erst noch am Anfang: So: Jayme / Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, in: IPRax 2000, 156 – 157; siehe auch: Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, 334. Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass die Suspendierung des Rechtsschutzes im Hinblick auf Artikel 14 GG (Schutz des Eigentums) und Artikel 19 Absatz 4 GG (Rechtsschutz) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, weil dem Dritten die Geltendmachung seiner Rechte nicht auf Dauer versagt werde, indem es sich nur um einen zeitweiligen Ausschluss der Klage- und Vollstreckungsmöglichkeit für die Dauer der Leihfrist handelt. 33 34
IV. Vorrang des Völkerrechts vor einfachem Bundesrecht
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gentümers nach § 985 BGB. Würde also die Rückgabezusage durch gerichtliche Entscheidung kassiert und der Herausgabeanspruch des Eigentümers zulässig sein, dann hindert dies die Rückgabe des Kulturgutes an Russland, wenn der Gegenstand an den Eigentümer in Deutschland zurückgegeben wird.
K. Folgerungen Der rechtliche Status von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut umfasst völkerrechtliche, zivilrechtliche und strafrechtliche Aspekte. Die Analyse des völkerrechtlichen Status ist eng mit der Zivilrechtslage verknüpft und umgekehrt. Die beiden Rechtsgebiete sind jeweils für sich betrachtet nicht in der Lage, die mit der kriegsbedingten Verbringung des Kulturgutes zusammenhängenden Fragen zutreffend zu lösen. Nur im Zusammenwirken der zivilrechtlichen und völkerrechtlichen Materien lässt sich der Rechtsstatus der Beutekunst klären. Als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts hat sich der Schutz von Kulturgut auf besetztem Gebiet herausgebildet. Die Überzeugung, dass Kulturgut nicht beschlagnahmt und vom Sieger nicht mitgenommen werden darf, hat ihren Niederschlag in den Artikeln 46, 47 und 56 HLKO gefunden. Verstöße gegen die gewohnheitsrechtlich anerkannte Regel, dass Kulturgut auf dem Territorium des besetzten bzw. des besiegten Staates zu verbleiben hat, ziehen Restitutionsansprüche nach sich. Nach Artikel 16 Absatz 2 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages von 1990 und Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992 haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückzugeben. Hierzu zählen vorrangig die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter. Auch wenn nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift zwischenzeitliche zivilrechtliche Erwerbungen, die seit 1945 stattgefunden haben, respektiert werden können, kommt diese Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es bisher in der Regel einen gutgläubigen Erwerb in Russland nicht geben konnte und dies in Zukunft auch nicht zu erwarten ist. Mangels Verkehrsfähigkeit von Kulturgut in der sozialistischen Eigentumsordnung war privates Eigentum an Kulturgütern bis zur ab 1995 geltenden Neukodifikation des russischen Rechts normalerweise nicht möglich. Ab 1995 scheitert der gutgläubige Erwerb von privat mitgenommenen Objekten, die nun verkehrsfähig geworden sind, im Wege der Ersitzung daran, dass die Frist für die Ersitzung noch nicht begonnen hat. Denn die fünfjährige Ersitzungsfrist beginnt gemäß Artikel 234 Absatz 4 ZGB 1995 erst dann zu laufen, wenn der Herausgabeanspruch des Eigentümers nach Artikel 301 ZGB 1995 verjährt ist. Die Verjährung hat aber nach Artikel 200 Absatz 1 ZGB 1995 noch nicht begonnen; bzw. sie ist nach Artikel 202 Absatz 1 Nummer 1) ZGB 1995 gehemmt, weil die Klageerhebung wegen eines unabwendbaren Umstandes verhindert ist. Die Verhinderung der Klageerhebung besteht darin, dass es in Russland noch kein funktionierendes Justizwesen gibt.
K. Folgerungen
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Bei den in staatlichem Auftrag mitgenommenen Werken scheidet die Ersitzung schon deshalb aus, weil die Kulturgüter durch das Beutekunstgesetz 1998 ihre Verkehrsfähigkeit wieder verloren haben. Darüber hinaus ist der sonstige gutgläubige Erwerb ausgeschlossen, weil diese Objekte in Deutschland abhanden gekommen sind und auch in Russland an abhanden gekommenen Sachen kein gutgläubiger Erwerb möglich ist. Dies gilt vorrangig für die privat geplünderten Objekte, während seit 1998 die im staatlichen Auftrag verbrachten Kulturgüter nicht mehr privat veräußert werden können, weil sie durch das Beutekunstgesetz 1998 ihre Verkehrsfähigkeit wieder eingebüßt haben. Das Beutekunstgesetz von 1998, mit dem das deutsche Kulturgut verstaatlicht worden ist, verstößt gegen die Eigentumsgarantie der Russischen Verfassung, den völkerrechtlich anerkannten Schutz von Kulturgut sowie gegen die Rückgabeklauseln im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992. Der Bund ist für die Rückführungsverhandlungen zuständig. Die Bundesländer haben keine Kompetenz, über die Rückführung von Kulturgut mit Russland völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Aber es kann zweckmäßig sein, die Länder an den Verhandlungen des Bundes deshalb zu beteiligen, weil ein großer Teil der in Russland lagernden Kulturgüter im Eigentum der öffentlichen Hand steht. Das Beutekunstgesetz stellt eine innerrussische Angelegenheit dar und entfaltet in Deutschland keine Wirkung. Wenn Kulturgut in Deutschland auftaucht, greift der Einwendungsausschluss, den Deutschland gegenüber Großbritannien, den USA und Frankreich im Überleitungsvertrag abgegeben hat, nicht durch. Die Enteignungen des Beutekunstgesetzes sind in Deutschland nicht anzuerkennen, weil sie gegen den ordre public nach Artikel 6 EGBGB verstoßen, da sie mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sind. Bei Rückkehr des Kulturgutes nach Deutschland kann der nicht berechtigte Besitzer die Einrede der Verjährung nicht erheben. Die Herausgabeansprüche der deutschen Eigentümer sind bis heute in der Regel nicht verjährt. Während der Zeit, in der sich das Kulturgut auf russischem Gebiet befindet, ist keine Verjährung eingetreten. Bis zur Neukodifizierung des Zivilrechts 1995 waren die Kulturgüter in der sozialistischen Eigentumsordnung im Allgemeinen nicht verkehrsfähig, und daher bestanden keine Ansprüche, die verjähren konnten. 1998 haben die im staatlichen Auftrag mitgenommenen Kulturgüter durch das Beutekunstgesetz ihre 1995 gewonnene Verkehrsfähigkeit wieder verloren. Bei diesen Kulturgütern kann mangels Verkehrsfähigkeit keine Verjährung eintreten. Bei den privat geplünderten Kulturgütern hat die Verjährung nach dem neuen Recht in Russland nach Artikel 200 Absatz 1 ZGB 1995 noch nicht begonnen, bzw. die Verjährungsfrist ist wegen eines unabwendbaren Umstandes nach Artikel 202 Absatz 1 Nummer 1) ZGB 1995 gehemmt. Der unabwendbare Umstand ergibt sich daraus, dass Russland noch kein funktionierendes Justizwesen hat. Somit ist die Durchsetzung der russischen Gesetze nicht gewährleistet. Gelangt
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K. Folgerungen
deutsches Kulturgut – illegal – nach Deutschland zurück, dann ist die deutsche 30jährige Verjährungsfrist nicht abgelaufen, weil gemäß § 206 BGB ein Hemmungsgrund vorliegt. Denn die deutschen Eigentümer sind an der Rechtsverfolgung ihrer Ansprüche in Russland objektiv gehindert gewesen, ohne dass sie daran das geringste Verschulden trifft. Gelangt Kulturgut zurück nach Deutschland, dann entfällt nach der hier vertretenen Auffassung die Hemmung nicht schon mit der Rückkehr des Kulturgutes nach Deutschland sondern erst mit der Kenntnis des Eigentümers davon. Im übrigen beginnt nach Ablauf der gehemmten Frist die Verjährung nach § 212 Absatz 1 Nr. 1 BGB erneut, weil die Rückgabeverpflichtung mit den Rückgabeklauseln in den bilateralen Verträgen und mit Teilleistungen anerkannt worden ist. Werden Kulturgüter aus Russland nach Deutschland verbracht, so scheidet ein gutgläubiger Erwerb nach §§ 932 ff. BGB aus, weil nach § 935 BGB mit Ausnahme von der Veräußerung im Wege der öffentlichen Versteigerung an abhanden gekommenen Sachen kein gutgläubiger Erwerb möglich ist. Der gutgläubige Erwerb durch Ersitzung nach § 937 BGB scheidet ebenfalls aus. Zwar können grundsätzlich auch abhanden gekommene Sachen ersessen werden, wenn der Besitzer die Sache zehn Jahre gutgläubig im Eigenbesitze hat. Die Ersitzung ist jedoch nach § 939 Absatz 2 BGB gehemmt, solange nach § 206 BGB der Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985 BGB wegen der Verhinderung der Rechtsverfolgung durch höhere Gewalt gehemmt ist. Für deutsches kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut kann die rechtsverbindliche Rückgabezusage nach § 20 KgSchG nicht erteilt werden. Der Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Gesetzes sprechen dagegen, dass deutsche Behörden für kriegsbedingt abhanden gekommene Exponate dem Verleiher in Russland die Rückgabezusage erteilen dürfen. Es dürfte zu den Sorgfaltspflichten der Behörden gehören, sich beispielsweise bei der Dokumentationsstelle des Bundes bzw. der Internet-Datenbank www.lostart.de vergewissern zu müssen, ob die für eine Ausstellung in Deutschland vorgesehenen Exponate als vermisst registriert sind. Außerdem zwingt der Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts nach Artikel 25 GG dazu, dass die Behörden in Deutschland alles unterlassen müssen, was einer dauerhaften Rückkehr von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut zuwiderläuft.
L. Ausblick Die deutschen kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter befinden sich nun schon seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Russland. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die frühere Sowjetunion in den 50er Jahren einen großen Teil der Kulturgüter an die DDR zurückgegeben hat. In den 90er Jahren hat das vereinte Deutschland die geänderte politische Weltlage dazu genutzt, die Verhandlungen über die Rückgabe von Kulturgut wieder aufzunehmen und fortzusetzen. Wie die Geschichte in anderen Fällen von Beutekunst gezeigt hat, wirkt der Verlust von Kulturgut und die damit verbundene Demütigung nachhaltig im Bewusstsein des geschädigten Volkes fort. Die Lücken, die der Krieg in den Museen, Bibliotheken und Archiven hinterlässt, sind kaum zu schließen. Die Verluste sind auch noch nach langer Zeit gegenwärtig. Daraus folgt das Bemühen, dasjenige, was an kultureller Identität verloren gegangen ist, wiederherzustellen. Da Kulturgut einzigartig und daher nicht reproduzierbar ist, kann der frühere Zustand nur dadurch erreicht werden, dass das weggenommene Kulturgut zurückgegeben wird. Was die Rückgabe kriegsbedingt verbrachten Kulturgutes aus Russland anbelangt, so stehen die Chancen hierzu letztendlich nicht schlecht. Denn mit einem größeren Abstand zur belastenden und nachwirkenden Vergangenheit der nationalsozialistischen Hitlerdiktatur in Deutschland, der kommunistischen Stalindiktatur in der Sowjetunion sowie zum Zweiten Weltkrieg mit dem durch nichts zu rechtfertigenden deutschen Überfall auf die Sowjetunion könnte sich die Ausgangsbasis für eine Einigung zwischen Deutschland und Russland über das weitere Schicksal der kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter verbessern. Dabei kann nicht außer acht bleiben, dass schon der frühere russische Präsident Jelzin die Kulturgüter zurückgeben wollte, aber durch das vom Parlament geschaffene Beutekunstgesetz daran gehindert wurde. Eine Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte in der Beutekunstproblematik dürfte in Zukunft weiter dadurch begünstigt werden, dass das russische Volk im ganzen, von kleinen Gruppen und Schichten einmal abgesehen, traditionell sehr deutschfreundlich eingestellt ist1. Dies ist äußerst bemerkenswert in Anbetracht der bitteren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und der negativen Propaganda im Kalten Krieg gegen die Bundesrepublik Deutschland. Nicht zuletzt wird es darauf ankommen, die Chancen, die sich aus der russischen Deutschfreundlichkeit ergeben, auch aufzugreifen. Es bleibt daher zu hoffen, dass mit einem Generationenwechsel in Russland und in Deutschland Hindernisse zur Lösung 1 Daschitschew, Stand und Perspektiven der deutsch-russischen Beziehungen, in: Meissner / Eisfeld (Hrsg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis, 1999, 279 – 285 (280, 283).
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des Beutekunstproblems ausgeräumt oder zumindest reduziert werden können. Solange jedoch in Russland Politiker über deutsches Kulturgut zu befinden haben, deren Eltern, wie dies beim Vorsitzenden des Kulturausschusses der Fall ist, im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind2, wird es nicht einfach sein, rechtlich begründete Ansprüche durchzusetzen. Eine Reflexion darüber, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist, kann allerdings zu einem für beide Nationen durchaus gerechten Ergebnis führen. Ein Weg, bei der Lösung der Beutekunstproblematik weiterzukommen, könnte in dem Vorschlag liegen, in Deutschland eine deutsch-russische Stiftung zu gründen. Die Aufgabe dieser Stiftung läge darin, einen Ausgleich zwischen deutschen und russischen Interessen vorzunehmen. Unter dem Aspekt der deutschen Interessenlage müsste der Zweck der Stiftung die zügige Rückführung von Kulturgut sein. Für Russland sind hingegen die Modalitäten der Rückführung im Rahmen des Stiftungszwecks von Bedeutung. Hierzu gehört die Vereinbarung von Aufwendungsersatz für die lange Lagerung durch den russischen Staat. Denn Russland hat die Kosten für Heizung und sonstige Unterhaltungsmaßnahmen der Räume, in denen das Kulturgut verwahrt worden ist, getragen. Eventuell wurden zwischenzeitlich auch notwendige Restaurierungsarbeiten durchgeführt, um die Substanz des Kulturgutes zu erhalten. Neben der Auszahlung von Aufwendungsersatz an den russischen Staat zu dessen freier Verfügung ist auch zu überlegen, dass ein finanzieller Anteil des Aufwendungsersatzes zweckgebunden denjenigen russischen Einrichtungen unmittelbar zugute kommen sollte, die Beutekunst jahrzehntelang verwahrt haben und nun zurückgeben müssen. In diesem Fall ist es ratsam, dass Zahlungen aus Deutschland direkt dorthin transferiert werden. Denn diese Einrichtungen haben sich in den Jahrzehnten der Lagerung um die Objekte gekümmert, und ihnen ist es mit zu verdanken, dass die Objekte erhalten blieben. Überlegungen, inwieweit für nachgewiesene Aufwendungen Regelungen zu treffen sind, wurden bereits in der Sitzung der deutsch-russischen Fachgruppe für Rechtsfragen zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern im Dezember 1993 in Saarbrücken angestellt3. Bei der Zahlung von Aufwendungsersatz müssen Erwartungen von russischer Seite, dass aus Deutschland Preise gezahlt werden, die einem regulären Kauf gleichkommen, gedämpft werden. Der Wert der Kulturgüter oder gar Wertsteigerungen, die viele der Kulturgüter seit dem Zweiten Weltkrieg erfahren haben, kann bei der Berechnung der Aufwendungen keine Berücksichtigung finden. Denn der Aufwendungsersatz orientiert sich nicht am Wert der Objekte, sondern an 2 DER SPIEGEL, Heft 42 / 2000: Blick in die Schatzkammer, 42 – 46 (46): Der Vorsitzende des russischen Kulturausschusses Nikolai Gubenko, einer der Väter des russischen Kulturgütergesetzes, äußerte im Oktober 2000 gegenüber dem deutschen Kulturstaatsminister, dass seine Mutter als angebliche Kollaborateurin hingerichtet worden und sein Vater ebenfalls Kriegsopfer gewesen sei. Seine Generation werde sich wegen der bitteren Erfahrungen nicht mehr vom Kulturgütergesetz verabschieden. Der deutsche Kulturstaatsminister will aber bei diesem Gespräch herausgehört haben, dass pragmatische Interpretationen zugelassen seien. 3 Das Protokoll der Sitzung ist abgedruckt bei: Fiedler, Kulturgüter als Kriegsbeute?, 1995, 39 – 40.
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den Ausgaben, die auf dem Territorium Russlands für die Verwahrung tatsächlich ungefähr aufgewandt worden sind. Dies lässt sich im nachhinein natürlich nur schätzen. Weitergehende Entschädigungen dafür, dass Kulturgut nach Deutschland zurückgegeben wird, sind nicht angezeigt. Schließlich sind die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter mit dem Makel der illegalen Verbringung behaftet und dem entsprechend bis heute international nicht verkehrsfähig. Sie sind entweder gänzlich unveräußerlich oder nur zu stark reduzierten Preisen absetzbar. Da auch in Deutschland die finanziellen Mittel begrenzt sind, um die Verwahrungskosten aufzubringen, sind auch Vereinbarungen denkbar, wonach nicht alle Exponate einer Sammlung nach Deutschland zurückgegeben werden, sondern ein Teil des Kulturgutes in Russland verbleibt. Ein weiterer Grund spricht für diese Lösung. Kulturgüter, die in Deutschland entstanden sind, legen ein Zeugnis von den Fähigkeiten der Künstler und den kulturellen Werten der Nation ab. Deutsche Kunstwerke in Russland vermitteln diese kulturellen Traditionen und sind ein wichtiger Mittler zwischen den Bevölkerungen beider Länder. Daher sind Absprachen sinnvoll, durch die Russland das Eigentum an den Objekten übertragen wird, die dort verbleiben sollen. Diese Objekte würden dadurch den Makel der rechtswidrigen Verbringung verlieren. Russland könnte von diesem Zeitpunkt an über die Gegenstände im internationalen Rechtsverkehr verfügen. Auch wenn das deutsche Kulturgut 1998 durch das russische Kulturgütergesetz zu staatlichem Eigentum erklärt worden ist, hat dies im internationalen Rechtsverkehr keine Auswirkungen. Denn die Enteignungen durch das Kulturgütergesetz sind wegen eines Verstoßes gegen den ordre public in Deutschland, aber auch in anderen Staaten unbeachtlich. Ohne eine Verständigung über die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zwischen Deutschland und Russland werden daher die kriegsbedingt in Russland eingelagerten Kulturgüter in der internationalen Kunstwelt ein Schattendasein führen. Hinsichtlich der Kulturgüter, deren Rückgabe nach Deutschland vereinbart wird, dürfte als formaler Akt ein Übergabeprotokoll ausreichen. Dieses Protokoll dient in erster Linie als Bestätigung für die abgebende Einrichtung, dass das Kulturgut zurückgegeben worden ist. Die Vorlage von Eigentumsnachweisen aus Deutschland gegenüber dem russischen Staat oder gegenüber der abgebenden Einrichtung in Russland ist hingegen verzichtbar. Jedenfalls betrifft dies die Objekte, bei denen beiden Staaten bekannt ist, dass das Kulturgut aus Deutschland kriegsbedingt verbracht worden ist. Es liegt in der Zuständigkeit Deutschlands, die Kulturgüter an den Berechtigten zurückzugeben. In Zweifelsfällen kann Problemen in den internationalen Beziehungen vorgebeugt werden, indem Deutschland den russischen Staat von etwaigen Ansprüchen freistellt, die Dritte am zurückgegebenen Kulturgut geltend machen könnten, wenn beispielsweise die Herausgabe an den Nichtberechtigten erfolgt ist. Soweit Aufwendungsersatz in Geld geleistet wird, liegt es in erster Linie bei den begünstigten privaten und öffentlichen Einrichtungen, entsprechende Zahlungen in den Fonds der Stiftung vorzunehmen, aus dem die Mittel an Russland weitergeleitet werden. Aber auch Sponsoren und andere kunstinteressierte Mäzene könnten hier
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ihren – steuerbegünstigten – Beitrag leisten. Im Hinblick auf die große Zahl der Objekte, die nach Deutschland zurückzugeben sind, bietet sich die Rückführung von Kulturgut in Etappen und eine Auszahlung des Aufwendungsersatzes in Teilbeträgen gemäß Vereinbarung und Fortschritt bei der tatsächlichen Rückführung an. Das vorstehend beschriebene Modell einer deutsch-russischen Kulturgüterrückführungsstiftung ist von anderen Überlegungen zu unterscheiden, bei denen, von der ebenfalls gewählten Rechtsform einer Stiftung einmal abgesehen, eine vollständig andere Konzeption zur Lösung der Beutekunstproblematik entwickelt wird. Es geht um den Vorschlag4, eine deutsch-russische Kulturstiftung zu gründen, der die Aufgabe zukommen soll, dass Deutsche und Russen die Beutekunst gemeinsam in der Substanz erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Kulturgüter würden nach dieser Konzeption als Vermögen in die Stiftung eingebracht, und sowohl Deutschland als auch Russland müssten auf ihre Ansprüche an den Kulturgütern verzichten. Da Russland aber keine berechtigten Ansprüche auf die Kulturgüter geltend machen kann, während die deutschen Anspruchsteller als Eigentümer berechtigt sind, die Herausgabe zu beanspruchen, stellen diese Überlegungen einer deutsch-russischen Kulturstiftung keinen pragmatischen Kompromiss zur Klärung einer zweifelhaften Sach- und Rechtslage dar. Vielmehr läuft der Vorschlag auf eine Aufgabe aller bestehenden deutschen Eigentumstitel hinaus5. Vor diesem Hintergrund dürfte es schwierig sein, die vielen privaten Eigentümer und öffentlichen Einrichtungen davon zu überzeugen, dass sie auf das ihnen gestohlene Kulturgut auf Dauer verzichten sollen. Insgesamt werden durch dieses Modell ohnedies mehr Fragen aufgeworfen, als gelöst werden. Denn es ist ungeklärt, wo die Gegenstände zukünftig aufbewahrt werden sollen, wer die Kosten der Erhaltung und Präsentation der Kulturgüter trägt und in welchen Gremien mit welchen Mehrheiten die Entscheidungen gefällt werden. Die zukünftigen Chancen zur Lösung der Beutekunstproblematik sind nach alledem von vielen Faktoren abhängig. Beide Staaten sind daher aufgerufen, über ihre Positionen nachzudenken und weitere Schritte aufeinander zu zugehen. Der ganze Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft zielt auf allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung. – Es gilt durch allmähliche Reform nach festen Grundsätzen in kontinuierlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden zu leiten. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 1795 4 Burchardi / Kalb, Unterwegs nach Europa, in: Deutschland Archiv 1997, 939 – 945; dies., Noch einmal zur „Beutekunst“, in: Deutschland Archiv 1998, 791 – 795; Werner, Konfliktlösungsmodelle zur Förderung und Erhaltung verschleppter Kulturgüter: Das Stiftungsmodell, in: Genieva / Michaletz / Werner (Hrsg.), Gesten des guten Willens und Gesetzgebung, 2001, 357 – 369. 5 Siehe ausführlich zu den Argumenten, die gegen die Errichtung einer deutsch-russischen Kulturstiftung sprechen: Fiedler, Unterwegs zu einem europäischen Beutemuseum?, in: Deutschland Archiv 1998, 258 – 270.
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Sachregister Abhandenkommen 91 ff., 174 ff., 191 ff. Alliierte Abmachungen 109 ff. Alliierter Kontrollrat 115 ff., 126 Anerkenntnis 190 f. Annexion 110 Antike-römische Epoche 23 f., 34, 127, 156 f. Aufwendungsersatz 220 ff. Baldin-Sammlung 107, 154 ff. Berliner Erklärung 47, 110 f. Bernsteinzimmer 35 f., 148 ff., 159 ff. Besatzungshoheit 47 ff., 101 ff., 109 f. Beschlagnahmeverbot 45, 48 ff., 70 f., 100 ff., 175 Beutekunstgesetz – Allgemein 81, 104 ff., 153 ff., 171 – Ausnahmen 106 f. – Gesetzesänderung 138 – Verfassungsgerichtsentscheidung 108 ff. – Zivilrechtliche Wirkung 81, 97, 100 f., 172 ff., 181 Bibliotheca Palatina 25 f., 55 Brandenburger Tor 28 f. Bremer Kunstverein 107, 148 ff., 154 ff., 164, 191 Bundeskompetenz 141 ff. Bundestreue 146 f. Collecting Points 57, 78 Deutsch-russisches Kulturabkommen von 1992 – Allgemein 65 ff. – Kulturgutbegriff 67 ff. – Kulturgüterrückgabeklausel 67 ff., 122, 128, 134, 137, 141, 145, 173 – Leihverkehr 201, 211 ff. – Unrechtmäßig verbracht 71, 73 ff. – Verschollen 71 ff.
– Zivilrechtslage 81 ff., 190 f. Deutsch-sowjetischer Nachbarschaftsvertrag von 1990 62 ff., 66 ff., 76, 128, 132 ff., 141, 145, 173, 190 f., 211 ff. Dokumentationsstelle 150 ff., 191 Dreißigjähriger Krieg 25 f., 55, 127 Eigentumsarten 86 ff., 179 Eigentumsgarantie 89, 133 f., 172 f. Einsatzstab Rosenberg 36 f., 46, 161 Einwendungsausschluss 168 ff., 173 f. Enteignung 61, 87 f., 97, 104 ff., 132 ff., 172 f. Ersitzung 85, 91 f., 94, 96 ff., 156, 191 ff. Erster Weltkrieg 30 ff., 82 f., 124 f. Estoppel-Prinzip 53 ff., 210 f. Feindstaatenklausel 117 ff. „Freies Geleit“ siehe Rückgabezusage Friedensverträge von 1947 119 ff., 124 f. Fürst von Liechtenstein 170 f. Geheimdepots 38, 72, 76 f., 83, 85, 98 ff. Gothaer Bibliothek 56, 153, 191 Gutgläubiger Erwerb 81, 85, 91 ff., 174 ff., 191 ff. Haager Landkriegsordnung (HLKO) – Allbeteiligungsklausel 41 f., 46 – Kulturgüterschutz 43 ff., 66, 73 ff., 127 f., 136, 145, 212 – Martens’sche Klausel 41 f. – Occupatio post bellum 46 ff. – Rückgabeverpflichtung 32, 50 ff., 63, 65 ff., 128, 145, 212 – Schadensersatz 32, 50 ff., 111 ff., 123 ff. Herausgabeanspruch des Eigentümers 85, 96 ff., 174 ff., 198 f. Höhere Gewalt 98, 184 ff., 192, 199
Sachregister Ideologie 34, 36, 56, 139, 184 f. Internet-Datenbank 152, 176, 207 f. Irak-Krieg 13 ff. Jalta-Konferenz 111 ff., 129 Kapitulation 46 ff., 54 f., 110 Klageausschluss siehe Einwendungsausschluss Kompensatorische Restitution siehe restitution in kind Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 152 Kriegsentschädigung siehe Reparation Kulturgütergesetz siehe Beutekunstgesetz Kulturgutverluste 56 ff., 78 f., 150 ff., 176 Kulturhoheit der Länder 143 f., 148 ff., 164 Kunsthandel 16 ff., 39, 152, 175 f. Leihverkehr 201 ff. Lex rei sitae siehe Statutenwechsel Marienkirche Frankfurt / Oder 57, 107, 157, 191 Militärgerichtshof Nürnberg 35 ff., 42, 46, 51 Napoleon 26 ff., 33 f., 44, 127 Ordre public 172 ff., 198 Pacta sunt servanda 137, 141 Plünderung 29, 39, 45 f., 49, 197 Potsdamer Abkommen 111 ff. Privateigentum 45, 48 f., 56, 84 ff., 179 Rechtsstaat 98 f., 135 f., 139 f., 177, 184 f., 188 f., 192, 199, 207 Reparation 32 f., 50 ff., 111 ff., 116, 119 ff., 123 ff., 168 ff. Reparationskonto 52, 130 Reparationsschuld 123 f. Res nullius 23 f., 156 Restitution 32, 50 f., 124, 168 ff. Restitution in kind – Begriff 32, 123 ff.
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– Beutekunstgesetz 104, 106 ff., 116 f., 119 ff., 123 ff. – Vereinbarung 52, 116 f., 119 ff., 124, 128 – Völkerrechtliche Zulässigkeit 52, 116 f., 125 ff. Rückführungsverhandlungen 73 ff., 141 ff. Rückgabezusage 202 ff. Russische Revolution von 1917 90 Russische Verfassung von 1993 133 ff., 172 Russisches Zivilgesetzbuch von 1923 85 ff., 179 Russisches Zivilgesetzbuch von 1964 93 ff., 180 Russisches Zivilgesetzbuch von 1995 95 ff., 180 ff. Schatz des Priamos 38, 57 f., 60, 201 Sicherungsmaßnahmen 31 f., 59, 103 Souveränität 47, 49, 52, 61, 122, 132, 181 Sowjetische Verfassung von 1936 88 ff., 179 f. Sozialistische Rechtsordnung 56, 84 ff., 139 f., 179 f., 184 f. Staatennachfolge 63 f., 66 Staatseigentum 84 ff., 179 Statutenwechsel 83 ff., 168, 178 f., 186 Stiftung 220 ff. Sumpflegende 187 Treu und Glauben 53 ff., 69, 137, 141, 170, 200, 210 f. Trophäenbrigaden 37 f., 53, 100 ff., 195 ff. Übergabeprotokoll 141, 146 Überleitungsvertrag 168 ff. UNESCO – Konvention von 1954 15, 45, 70 f., 76 – Konvention von 1970 15 f., 76 Unzulässige Rechtsausübung 53 ff., 200, 210 f. Vergeltungsgedanke 54 Verjährung – Hemmung 98 f., 178 ff., 192, 198 ff. – Herausgabeanspruch des Eigentümers 85, 96 ff., 176 ff., 198 ff.
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Sachregister
– Neubeginn 190 f. – Völkerrechtlicher Rückgabeanspruch 55 Verkehrsfähigkeit 86 ff., 179 ff. Verlustlisten 150 ff., 176 Versailler Vertrag von 1919 32 f., 82 f., 124 f. Versteigerung 18 f., 175 f., 191, 195 f. Vertragstreue siehe pacta sunt servanda Vertrag zulasten Dritter 111 f., 121 f. Verwirkung 54 Verzicht 39, 54, 119 f., 129 f., 169 ff., 210 f. VN-Charta siehe Feindstaatenklausel
Völkergewohnheitsrecht 41 ff., 50 ff., 66, 74 ff., 123 ff., 127 f., 135 ff., 145, 173, 211 ff. Vorrang des Völkerrechts 135 ff., 211 ff. Wiedergutmachung siehe Reparation Wiesbadener Manifest 39, 115 Wtewael-Gemälde 17 f., 188, 194 ff., 208 Zeitungsbestände 158 Zoll 20 f. Zwei-plus-Vier-Vertrag 60 ff., 131 ff. Zweiter Weltkrieg 35 ff.