Die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer in der Transplantationsmedizin: Eine Untersuchung am Beispiel der Richtlinie zur Lebertransplantation [1 ed.] 9783428585182, 9783428185184

Die Arbeit beschäftigt sich mit einem medizinrechtlichen Dauerthema – dem Transplantationsrecht. Dieses ist seit Jahrzeh

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German Pages 268 Year 2022

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Die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer in der Transplantationsmedizin: Eine Untersuchung am Beispiel der Richtlinie zur Lebertransplantation [1 ed.]
 9783428585182, 9783428185184

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Abhandlungen zum Medizin- und Gesundheitsrecht

Band 1

Die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer in der Transplantationsmedizin Eine Untersuchung am Beispiel der Richtlinie zur Lebertransplantation

Von

Johanna Flick

Duncker & Humblot · Berlin

JOHANNA FLICK

Die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer in der Transplantationsmedizin

Abhandlungen zum Medizin- und Gesundheitsrecht Herausgegeben von

Susanne Lilian Gössl, Andreas Hoyer Sebastian Graf von Kielmansegg, Saskia Lettmaier Rudolf Meyer-Pritzl

Band 1

Die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer in der Transplantationsmedizin Eine Untersuchung am Beispiel der Richtlinie zur Lebertransplantation

Von

Johanna Flick

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de Gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 2750-5790 (Print) ISSN 2750-5804 (Online) ISBN 978-3-428-18518-4 (Print) ISBN 978-3-428-58518-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine Eltern und meine Schwester Katharina

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Promotionsausschuss der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im April 2021 zur Dissertation angenommen. Rechtsprechung, Literatur und Normgebung wurden bis Dezember 2020 berücksichtigt. Die Internetquellen im Dokumentenverzeichnis sind auf dem Stand vom Januar 2021, wobei vereinzelnd auch neuere Publikationen noch Betrachtung finden konnten. Weiter möchte ich mich an dieser Stelle bei den vielen Begleitern bedanken, die mich während des intensiven Entstehungsprozesses der vorliegenden Untersuchung besonders unterstützt haben. Mein erster und ganz besonderer Dank gilt dabei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. jur. Sebastian Graf von Kielmansegg, für seine exzellente Betreuung und sein durchweg offenes Ohr während des gesamten Promotionsprojektes sowie für seine jederzeitige Diskussionsbereitschaft. Ferner möchte ich mich für die herausragend zügige Erstellung des Zweitgutachtens bei Herrn Prof. Dr. jur. Mathias Nebendahl herzlich bedanken. Besonderen Dank schulde ich zudem der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel für die Aufnahme der Arbeit in die neue Schriftenreihe „Abhandlungen für Medizin-und Gesundheitsrecht“ und die damit zugleich gewährte Möglichkeit, als erste Autorin in dieser veröffentlichen zu dürfen, was ich als besondere Ehre empfinde. Weiter möchte ich mich bei meiner guten Freundin Nadia Dörich für die zahlreichen Anregungen sowie kritischen Diskussionen bedanken, die für das Gelingen der Arbeit sehr wertvoll waren. Meinem Freund Joshio Rojas Moraga danke ich für die liebevolle Unterstützung sowie für seine bedingungslose Geduld und stete Ermutigung während meiner Promotionszeit. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, meiner Mutter Christiane Flick, meinem Vater Harald Brandt sowie meiner Schwester Katharina Flick. Meiner Schwester ist die Arbeit für ihre wertvolle Hilfe zum Verständnis komplexer medizinischer Sachverhalte und Zusammenhänge gewidmet. Meine Eltern haben meine Schwester und mich jederzeit bedingungslos und unermüdlich unterstützt, gefördert und begleitet. Ihnen verdanke ich einfach alles. Ohne sie wäre diese Arbeit nicht entstanden. Dafür gebührt ihnen mein zutiefst empfundener Dank. Hamburg, im Oktober 2021

Johanna Flick

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Themenhintergrund und Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Erstes Kapitel Einführung in die medizinische Entwicklung der Organtransplantation

26

I. Meilensteine der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. „HLA-Matching“ und Gewebekompatibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Die „Cyclosporin-Ära“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Standardisierung der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Zweites Kapitel Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts in der Bundesrepublik

30

I. Das deutsche Transplantationssystem vor Erlass des Transplantationsgesetzes . . . . . 30 1. Eurotransplant International Foundation (ET) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Transplantationszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4. Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren und die deutsche Transplantationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5. Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Herausforderungen eines Transplantationsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Notwendigkeit staatlicher Regulierung im Bereich der Transplantationsmedizin 35 2. Voraussetzungen einer postmortalen Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) „Tod“ des Organspenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Rechtfertigung einer Organentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 aa) Widerspruchslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 bb) Zustimmungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

10

Inhaltsverzeichnis 3. Verteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

III. Chronologischer Überblick der Gesetzgebungsgeschichte des TPG . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Erster Gesetzgebungsversuch eines Transplantationsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Erster Gesetzentwurf von 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Gegenentwurf des Bundesrats zum Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Aktivitäten der Fachgesellschaften und Gesetzesinitiativen auf Landesebene . . . . 43 a) Transplantationskodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) . . . . . . . 43 c) Landesinitiativen für ein Transplantationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Gesetzentwürfe auf Bundesebene und Einführung des TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vom 21. 06. 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Gesetzentwurf der GRÜNEN vom 7. November 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Finaler Gesetzentwurf vom 16. April 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 IV. Vorgeschlagene Lösungskonzepte in den Gesetzesentwürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Hirntodkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Zustimmung oder Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Verteilungskriterien: „Dringlichkeit und Erfolgsaussicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4. Institutionelle Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 V. Änderungen des TPG seit Inkrafttreten 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Drittes Kapitel Heutiges Transplantationssystem

57

I. Rechtsgrundlagen der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Das Transplantationsgesetz als rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Die Richtlinien der BÄK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Voraussetzungen einer postmortalen Organentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Hirntod des Organspenders, § 3 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Rechtfertigung der Organentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Die erweiterte Zustimmungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Einwilligung in die Organspende durch den Verstorbenen gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Zustimmung durch die nächsten Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Die „Entscheidungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Inhaltsverzeichnis

11

III. Organisation einer postmortalen Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Entnahmekrankenhäuser, § 9a TPG – Spenderseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Transplantationsbeauftragter, § 9b TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Transplantationszentren, § 10 TPG – Empfängerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Nationale Koordinierungsstelle nach § 11 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4. Internationale Vermittlungsstelle, § 12 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Beauftragung Eurotransplant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Organisatorische Abwicklung der Vermittlungsentscheidung . . . . . . . . . . . 72 bb) Rechtliche Rahmenbedingungen für die Vermittlungsentscheidung . . . . . . 75 5. Prüfungs- und Überwachungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Anlass zur Stärkung der Kontrollrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Kritik am Vorgehen der Kontrollinstanzen im Zuge des „Organallokationsskandals“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 IV. Allokationssystem im TPG und Kompetenzen der Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Erste Selektionsentscheidung: Die Aufnahme auf die Warteliste durch die Transplantationszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Die gesetzlichen Entscheidungskriterien: „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ gem. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Eigener Entscheidungsspielraum der Transplantationszentren . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Der Erlass von „Verfahrensanweisungen“ durch die DSO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Zweite Selektionsentscheidung: die Organvermittlung durch Eurotransplant . . . . 88 a) Die gesetzlichen Entscheidungskriterien: „Dringlichkeit und Erfolgsaussicht“ gem. § 12 Abs. 3 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Entscheidungsspielraum Eurotransplant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4. Die Befugnisse der Transplantationsinstitutionen als Ausübung hoheitlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Viertes Kapitel Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

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I. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Die Richtlinien der BÄK im Bereich der Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . 95 2. Rechtsnatur und Rechtswirkung der „Richtlinien“ nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG . . . 97 a) Die klassischen Steuerungsinstrumente im Gesundheitssektor . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

12

Inhaltsverzeichnis cc) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (1) Die Richtlinien des GBA nach § 92 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (2) Richtlinien der BÄK außerhalb des Organtransplantationswesens . . . . 102 (a) Richtlinien im Gewebebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (b) Richtlinien im Transfusionswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (c) Sonstige Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Die Einordnung der Richtlinien im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Einordnung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Rechtliche Einordnung des gesetzgeberischen Auftrags an die BÄK . . . . . . . . . . . 113 a) Die übertragene Richtlinientätigkeit nach dem TPG als öffentlich-rechtliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Beleihung der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Voraussetzungen einer Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (1) BÄK als Beleihungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (2) Beleihungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (3) Beleihungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

II. Verfassungsrechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Zulässigkeit der Beleihung mit Normsetzungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Subdelegation nach Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Keine Erstdelegation nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Rechtsstaatsprinzip und Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Die Wesentlichkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Regelungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Argumente für eine eingeschränkte Geltung des Parlamentsvorbehalts im Rahmen der Organallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Das Flexibilitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Mangelnder Sachverstand des parlamentarischen Gesetzgebers . . . . . . . . . 130 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Demokratische Legitimation der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe demokratischer Legitimation . . . . . . . . . 133 aa) Das verfassungsrechtliche Grundmodell der demokratischen Legitimation 133 bb) Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Legitimationsniveau der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Personell-organisatorische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (1) Vorsteuerung der Organallokation durch das TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (2) Der Genehmigungsvorbehalt nach § 16 Abs. 3 TPG . . . . . . . . . . . . . . . 138

Inhaltsverzeichnis

13

cc) Kompensationsmöglichkeit für eine defizitäre Legitimation . . . . . . . . . . . . 141 dd) Alternative Rechtfertigungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Lösungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Erhöhung der Steuerungsdichte im TPG als Grundvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . 144 2. Rechtsverordnungsermächtigung des BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Verordnungserlass mit BÄK als beratendem Gremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Fakultative Richtlinientätigkeit der BÄK als Ergänzung der Rechtsverordnung 146 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Fünftes Kapitel Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG zur Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation 150 I. Einführung und Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Deskription des Richtliniensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG i. V. m. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Auslegung des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) „Notwendigkeit“ i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 cc) „Erfolgsaussicht“ i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Umsetzung und Verständnis der gesetzlichen Vorgaben des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG in der Leberrichtlinie der BÄK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Notwendigkeit für die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Erfolgsaussicht für die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (1) Allgemeine Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Leberspezifische Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (a) „Alkoholkarenzklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (b) Bösartige Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (c) Metabolische (und genetische) Erkrankungen und akutes Leberversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Die Organvermittlung bei der Lebertransplantation nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG i. V. m. § 12 Abs. 3 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Auslegung des § 12 Abs. 3 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

14

Inhaltsverzeichnis bb) „Eignung“ und „Erfolgsaussicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) „Dringlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Umsetzung und Verständnis der gesetzlichen Vorgaben des § 12 Abs. 3 TPG in der Leberrichtlinie der BÄK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Faktor der „Eignung“ bei der Organvermittlung zur Lebertransplantation – Blutgruppenidentität und- kompatibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Faktoren der „Erfolgsaussicht“ bei der Organvermittlung zur Lebertransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (1) „Mailand-Kriterien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (2) Leberteiltransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Faktoren der „Dringlichkeit“ bei der Organvermittlung zur Lebertransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) High-Urgency („HU“)-Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (2) Grundparameter der Dringlichkeit – „MELD-Score“ . . . . . . . . . . . . . . . 174 (a) Berechneter MELD-Score (LabMELD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (b) Zugewiesener MELD-Score (matchMELD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (aa) Standard-Exception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (bb) Non-Standard-Exception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (c) Kritik am MELD-Score und Vorschläge alternativer Prognoseinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 dd) Faktoren der Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

III. Rechtliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Gerichtliche Aufarbeitung des Organallokationsskandals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Die aufsehenerregende Entscheidung des LG Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) „Manipulationsfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) „Indikationsfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 cc) Rechtliche Bewertung des LG Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Die BGH Entscheidung vom 28. Juni 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) „Wartelisten- und Manipulationsfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Rechtliche Bewertung durch den BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Reaktion der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 d) Reaktionen der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Vereinbarkeit der Alkoholkarenzklausel und der Mailand-Kriterien mit einfachem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Alkoholkarenzklausel als Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Regenerationspotenzial der Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Alkoholbedingte Lebererkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Erholungspotenzial der verschiedenen Lebererkrankungen . . . . . . . . . . 197 bb) Rückfallrisiko alkoholkranker Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Inhaltsverzeichnis

15

cc) Der neue Ausnahmetatbestand in der Alkoholkarenzklausel . . . . . . . . . . . . 202 b) Die Mailand-Kriterien als Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Vereinbarkeit der Alkoholkarenzklausel und der Mailand-Kriterien mit materiellem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Die abwehrrechtliche Komponente des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Die leistungsrechtliche Komponente des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Originäres Leistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Derivatives Teilhaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Freiheits- und gleichheitsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Rechtfertigungsanforderungen des Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Die Rechtfertigungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (2) Anwendung von Verhältnismäßigkeitskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (3) Prüfungsmaßstab für die Alkoholkarenzklausel und das Posteriorisierungskriterium der Mailand-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 bb) Grundsatz der Lebenswertindifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 d) Anwendung des verfassungsrechtlichen Maßstabes auf die Alkoholkarenzklausel und die Mailand-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Vereinbarkeit der Alkoholkarenzklausel mit dem derivativen Teilhaberecht alkoholkranker Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (1) Erhöhtes Rückfallrisiko als sachlicher Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (a) Das Merkmal der Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (b) Die Abstinenzpflicht als Anforderung an die postoperative Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Keine Begründung über das Gerechtigkeitskriterium Selbstverursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (3) Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot der Lebenswertindifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Vereinbarkeit der Mailand-Kriterien mit dem derivativen Teilhaberecht der Patienten mit HCC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Sechstes Kapitel Zusammenfassung und Ergebnis

233

Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

16

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. Abs. ACO A.-Drs. AGLMB AH ALD ALF Ann Surg Arch Intern Med Arq Gastroenterol Art. Aufl. AWMF Az. BÄK BAR Bd. BeckOK Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BMG BMJ Br J Surg BRD BSG BSGE BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BZgA bzw. Clin Gastroenterol Hepatol

andere Ansicht alte Form, alte Fassung Absatz Approved combined organs Ausschussdrucksache Arbeitsgemeinschaft der leitenden Medizinalbeamten Alkoholische Hepatitis Alcoholic liver disease Acute liver failure Annals of Surgery Archives of Internal Medicine Archives of Gastroenterology Artikel Auflage Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften e. V. Aktenzeichen Bundesärztekammer Balance of risk score Band Beck’scher Online-Kommentar Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesministerium für Gesundheit British Medical Journal British Journal of Surgery Bundesrepublik Deutschland Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestag Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beziehungsweise Clinical Gastroenterology and Hepatology

18 Clin Liver Dis Cold Spring Harb Perspect Med CPT-Score CsA d. h. DCD ders. dies. DGMR Dig Dis. DKG DKI DMW DÖV DpM DriZ Drs. DSO DSO-Satzung DSO-Vertrag DTG DtZ DVBl e. V. EASL Einf. Einl. ELAS ELIAC ENIS ESP ET ET-Vertrag Ethik Med EU f./ff. FOR FS GBA Gem. GesR GG GGO-PÜK GKV GMK

Abkürzungsverzeichnis Clinical Liver Disease Cold Spring Harbor Perspectives in Medicine Child-Turcotte-Pugh-Score Cyclosporin A das heißt Donation after cardiac death derselbe/dieselbe dieselbe Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht Digestive Diseases Deutsche Krankenhausgesellschaft Deutsches Krankenhausinstitut Deutsche Medizinische Wochenschrift Die Öffentliche Verwaltung Donors per Million Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutschen Stiftung Organtransplantation Satzung der Deutschen Stiftung Organtransplantation Koordinierungsstellenvertag mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation Deutsche Transplantationsgesellschaft Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt eingetragener Verein European Association for the Study of Liver Einführung Einleitung ET Liver Allocation System Eurotransplant Liver Intestine Advisory Committee Eurotransplant Information Network System Eurotransplant Senior Programm Eurotransplant International Foundation Vermittlungsstellenvertrag mit Eurotransplant Ethik in der Medizin Europäische Union folgende Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung Festschrift Gemeinsamer Bundesausschuss gemäß GesundheitsRecht Grundgesetz Geschäftsordnung der gemeinsamen Überwachungs- und Prüfungskommission Gesetzliche Krankenversicherung Konferenz der Landesgesundheitsminister

Abkürzungsverzeichnis GMS grds. GuP Gut GVHD HBV HCC Hirosaki Med J HLA HRRS Hrsg. HS. HStR HU i. V. m. INR insbes. Intensive Care Med JA JAMA J Clin Gastroenterol J. Cancer Res. Clin. Oncol. Jg. J Immunol J Hepatol J of Gastrointest Surg JöR J Psychosm Res JR JURA jurisPR-StrafR JuS JZ KBV KfH LAS LG Lit. Liver Transpl. LKRZ LTX MARS MBO-Ä MdR MedR Medstra MELD

19

German Medical Science grundsätzlich Gesundheit und Pflege Journal of the British Society of Gastroenterology Graft versus host disease Hepatitis-B-Virus hepatozelluläres Karzinom Hirosaki Medical Journal human leukocyte antigena HöchstRichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts high urgency in Verbindung mit International Normalized Ratio insbesondere Intensive Care Medicine Juristische Aerbeitsblätter Journal of the American Medical Association Journal of Clinical Gastroenterology Journal of Cancer Research and Clinical Oncology Jahrgang The Journal of Immunology Journal of Hepatology Journal of Gastrointestinal Surgery Jahrbuch des öffentlichen Rechts Journal of Psychosomatic Research Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juris PraxisReport Strafrecht Juristische Schulung JuristenZeitung Kassenärztliche Bundesvereinigung Kuratorium für Heimdialyse Lung allocation score Landgericht Buchstabe Liver Transplantation Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen – RheinlandPfalz – Saarland Lebertransplantation Molecular-Adsorbents-Recirculation-System Musterberufsordnung Ärzte Die Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht Zeitschrift für Medizinstrafrecht Model for End-stage Liver Disease

20 MK N Engl J Med n. F. NHBD Nis NJ NJW NOTA Nr. NSE-MELD NStZ NStZ RR NT NVwZ NZS OLG PharmR PÜK RL Rspr. S. SALT-Score Scand J Gastroenterol Schweiz Med Forum SE SG SGB SGG SOFT-Score StäKO StwissStPr StV StZg Swiss Med Wkly TFG TPG TPG-E TPG-GewV u. u. a. UNOS USA v. v. a. Visc Med VO

Abkürzungsverzeichnis Mailand-Kriterien The New England Journal of Medicine neue Fassung Non-heart-beating donation Nationales Integrita¨ tssystem Neue Justiz Die Neue Juristische Wochenschrift National Organ Transplant Act Nummer Non Standard Exeption Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungsreport Nicht transplantabel Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oberlandesgericht Pharmarecht Überwachungs-und Prüfungskommission Richtlinie Rechtsprechung Satz, Seite Survival after Liver Transplantation Scandinavian Journal of Gastroenterology Swiss medical forum Standard Exception Sozialgericht Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Survival Outcome Following Liver Transplantation Ständige Kommission Organtransplantation Staatswissenschaften und Staatspraxis: rechts-, wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Beiträge zum staatlichen Handeln. Strafverteidiger Stammzellengesetz Swiss Medical Weekly Transfusionsgesetz Transplantationsgesetz Transplantationsgesetzentwurf Transplantationsgesetz- Gewebeverordnung und Unter anderem United Network for Organ Sharing United States of America von vor allem Visceral Medicine Verordnung

Abkürzungsverzeichnis VVDStRL WJG World J Hepatol World J Surg WzS ZfL ZfME ZG ZGR ZIS Zit. ZRP

21

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Journal of Gastroenterology World Journal of Hepatology World Journal of Surgery Wege zur Sozialversicherung Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für medizinische Ethik Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung

„Es bringt die Zeit ein anderes Gesetz.“ Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, 1802 – 1804. 4. Akt, 2. Szene, Melchthal

I. Themenhintergrund und Problemaufriss Die Transplantationsmedizin verfügt als Königsdisziplin der Chirurgie über spektakuläre Möglichkeiten, lebensbedrohlich erkrankten Menschen ein neues Leben zu schenken und zieht dementsprechend seit den ersten durchgeführten Organtransplantationen großes gesellschaftliches Interesse auf sich. Die aus dem fortwährenden medizinischen Fortschritt resultierenden Indikationserweiterungen für eine Organtransplantation führen zu einem stetig steigenden Bedarf an der begrenzten menschlichen Ressource Organ. Kennzeichnend für diese Materie ist mithin die ständige Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Nach Dekaden parlamentarischer Unentschlossenheit respektive Uneinigkeit hat der Gesetzgeber im Jahr 1997 die rechtlichen Rahmenbedingungen der Transplantationsmedizin im Transplantationsgesetz (TPG)1 verankert. Das Gesetz übergibt die zentralen Steuerungsentscheidungen des Transplantationswesens in die Hände mehrerer nicht-staatlicher Institutionen und ist aus diesem Grund bis heute Gegenstand permanenter verfassungsrechtlicher Beanstandungen. Besonderer Hervorhebung bedarf in diesem Zusammenhang die der deutschen Bundesärztekammer (BÄK) gesetzlich zugewiesene Tätigkeit im Transplantationswesen. Durch die gesetzliche Befugnis zum Erlass verschiedenartiger Richtlinien für den Bereich der Transplantationsmedizin kommt dieser nämlich eine maßgebliche Gestaltungsfunktion zu, was vor dem Hintergrund ihrer privatrechtlichen Ausgestaltung rechtsstaatliche und demokratische Probleme aufwirft. Nach Bekanntwerden vermehrter Auffälligkeiten in einigen deutschen Transplantationszentren bei der Zuteilung postmortal gespendeter Organe vor einigen Jahren sind darüber hinaus insbesondere die Richtlinien der BÄK zur Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation sowie zur Organvermittlung in das gesellschaftliche Blickfeld gerückt. Rechtspolitische Folge der publik gewordenen „Ma1

BGBl. I, 2631.

24

Einleitung

nipulationen“ ist eine bis heute andauernde Debatte über die Reformierung des geltenden Transplantationsrechts, während sich die gesellschaftlichen Konsequenzen in einem drastischen Rückgang der postmortal realisierten Organtransplantationen widerspiegelten. Den rechtlichen Abschluss des Skandalons der Transplantationsmedizin lieferte der 5. Strafsenat des BGH im Sommer 20172 durch die strafrechtliche Bewertung der Manipulationshandlungen des angeschuldigten Transplantationschirurgen. Während das Gericht der rechtsstaatlichen Problematik um Art und Umfang der gesetzlich normierten Richtlinientätigkeit der BÄK wenig Beachtung schenkte, stand in der Entscheidung primär die Vereinbarkeit der (damaligen) Richtlinie zur Aufnahme auf die Warteliste und die Organvermittlung bei der Lebertransplantation mit der Verfassung auf dem Prüfstand. Die Streitigkeiten um die verfassungsrechtlichen Grenzgänge der Richtlinientätigkeit durch die BÄK sind daher aktueller denn je und ein Ende des Diskurses ist nicht abzusehen. Im Gegenteil nahm der Gesetzgeber die Manipulationsvorwürfe zum Anlass, das TPG einigen Änderungen zu unterziehen, während die BÄK die fragliche Richtlinie zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung bei der Lebertransplantation angepasst hat. Eine erneute Analyse des Transplantationsrechts drängt sich aus diesem Grund geradezu auf und bietet eine hervorragende Gelegenheit, das derzeitige System der postmortalen Organtransplantation einer kritischen Würdigung zu unterziehen.

II. Gang der Untersuchung Die nachstehenden Überlegungen unternehmen den Versuch, einen Beitrag zu dem bestehenden wissenschaftlichen Diskurs zu leisten, wobei die Richtlinientätigkeit der BÄK im Bereich der Organtransplantation den Untersuchungsgegenstand bildet. Die Arbeit wird mit einer überblicksartigen Darstellung der medizinischen Entwicklungslinie der Organtransplantationen eröffnet. Die dort vermittelten Grundkenntnisse werden im späteren Verlauf der Arbeit wieder aufgegriffen. Daran schließt eine Erörterung der historischen Entwicklung des Transplantationsrechts in der Bundesrepublik an. Besonderes Augenmerk wird in diesem Abschnitt auf die Probleme eines Transplantationsgesetzes und die Lösungsvorschläge in den jeweiligen Gesetzentwürfen gelegt. Anschließend erfolgt die Beschäftigung mit dem derzeitigen Transplantationssystem. Nach Darstellung der Rechtsgrundlagen des Transplantationswesens werden die rechtlichen Regelungen zur Einwilligung in eine postmortale Organentnahme erläutert. Im Anschluss werden die maßgeblichen Institutionen des Transplantationswesens und ihre Rolle im deutschen Organisationsmodell der postmortalen Organtransplantation dargestellt. Das Kapitel schließt mit der Erläuterung der vom TPG auf die unterschiedlichen Institutionen übertra-

2

BGH, Urteil vom 28. Juni 2017 – 5 StR 20/16, BGHSt 62, 223 ff.

II. Gang der Untersuchung

25

genen Entscheidungskompetenzen, wobei die Bewertung der Richtlinientätigkeit der BÄK als Hauptuntersuchungsgegenstand im daran anschließenden Kapitel erfolgt. Dieses ist erstes Kernstück der vorliegenden Untersuchung und nimmt die rechtliche Würdigung der vom TPG normierten Richtlinientätigkeit der BÄK vor. Nach Bestimmung der Rechtsnatur der Richtlinien wird die rechtsdogmatische Einordnung der auf die BÄK übertragenen Richtlinienkompetenz und im Anschluss die verfassungsrechtliche Bewertung unter Berücksichtigung der einschlägigen Auffassungen im Schrifttum vorgenommen. Dabei soll die Vereinbarkeit der Richtlinienkompetenz mit dem Demokratieprinzip gesonderte Berücksichtigung finden. Schwerpunkt dieses Kapitels bilden die Novellierungen des TPG im Hinblick auf ein mögliches Legitimationsdefizit der BÄK sowie die Darstellung alternativer Legitimationsmöglichkeiten. Im Anschluss folgt das zweite Hauptkapitel der Untersuchung. In diesem erfolgt die Untersuchung der gesetzlichen Richtlinienermächtigung anhand der konkreten Richtlinie der BÄK zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung bei der Lebertransplantation. Auf Umsetzungsebene sind einige der in der soeben benannten Richtlinie festgelegten Kriterien bzw. Klauseln für die Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung einer (verfassungs-)rechtlichen Würdigung zu unterziehen. Zu diesem Zweck erfolgt zunächst eine Deskription des Richtliniensystems. Im Anschluss erfolgt die rechtliche Analyse, wobei insbesondere die gerichtliche Aufarbeitung des Organallokationsskandals berücksichtigt wird. Nach Darstellung der durch die Gerichte vorgenommenen rechtlichen Würdigung wird anschließend die eigene einfach- und verfassungsrechtliche Bewertung der Richtlinie der BÄK zur Lebertransplantation auf Grundlage der vielfach im Schrifttum geäußerten Kritik an der Entscheidung vorgenommen. Dabei werden die in der Richtlinie festgelegten Kriterien zunächst auf ihre Vereinbarkeit mit der gesetzlichen Ermächtigungsnorm hin überprüft. Anschließend erfolgt die Untersuchung der Kriterien anhand des materiellen Verfassungsrechts. Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung bilden das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. S. 1 GG und der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG. Den Abschluss der Darstellung bilden die Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Fazit.

Erstes Kapitel

Einführung in die medizinische Entwicklung der Organtransplantation I. Meilensteine der Transplantationsmedizin Unter dem Begriff Transplantation wird die Übertragung eines Gewebes oder Organs auf denselben oder einen anderen Organismus verstanden.1 Im Gegensatz zum menschlichen Gewebe ist ein Organ eine Funktionseinheit bestehend aus verschiedenen Geweben und Zelltypen, während Gewebe aus bloß gleichartigen Zellen besteht.2 Die spektakulären Errungenschaften der Transplantationsmedizin basieren im Wesentlichen auf zwei grundlegenden medizinischen Erkenntnissen, ohne die ihr Aufstieg zur Standardtherapie für zahlreiche schwerwiegende und lebensgefährdende Erkrankungen nicht möglich gewesen wäre. Die Erforschung der Organtransplantation konnte nicht auf vorhandenes Wissen oder bekannte Behandlungsmethoden gestützt werden, sodass ein völlig neues interdisziplinäres Forschungsfeld entstand.3 Pioniergebiet der Transplantationsmedizin war die Übertragung der menschlichen Niere. Da Nierenversagen deutlich häufiger auftrat als das anderer lebenswichtiger Organe, standen Bemühungen um dieses Organ im Vordergrund.4 Der weltweit erste Versuch einer Nierentransplantation wurde schon im Jahr 1933 von Yu Yu Voronoy durchgeführt, scheiterte aber an der Abstoßungsreaktion des Organempfängers.5 Eine erfolgreiche Nierentransplantation gelang erst Joseph Murray im Jahr 1954 in Boston an eineiigen Zwillingen als Isotransplantation, bei denen eine Abstoßungsreaktion wegen der genetischen Identität nicht zum Tragen kam.6 1

Schaupp, Herausforderung Transplantationsmedizin, ZfME 2019, 3 (4). Werden Organe derselben Spezies aufeinander übertragen, spricht man bei genetisch identischen Personen wie beispielsweise eineiigen Zwillingen von einer Isotransplantation. Bei genetisch verschiedenen Individuen von Allotransplantation. Werden tierische Organe auf den Menschen übertragen, wird dies als Xenotransplantation bezeichnet, vgl. Klinikdatenbank Amboss/Steigbügel zum Stichwort: „Allotransplantation“. 3 Galden, Geschichte und Ethik der Verteilungsverfahren von Nierentransplantaten durch Eurotransplant, S. 10. 4 Largiadèr, Transplantation von Organen, S. 52. 5 Barker et al., Historical overview of transplantation, Cold Spring Harb Perspect Med 2013, 1, (4 ff.); Starzl, History of clinical transplantation, World J Surg. 2000, 759 ff. 6 Barker et al., Historical overview of transplantation, Cold Spring Harb Perspect Med 2013, 1, (8 ff.). 2

I. Meilensteine der Transplantationsmedizin

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1. „HLA-Matching“ und Gewebekompatibilität Der endgültige Durchbruch der Transplantationsmedizin gelang aber erst mit der Erkenntnis, dass durch das Einbringen körperfremder, unbekannter Strukturen eine Abwehrreaktion in Gang gesetzt wird und das Immunsystem des Organempfängers Antikörper gegen das Transplantat bildet, die Organabstoßung mithin eine Immunreaktion ist, wobei die Intensität der Reaktion genetisch bedingt ist.7 Durch die im Jahr 1958 vom französischen Mediziner Dausset entdeckte Entschlüsselungsmöglichkeit der sog. „human leukocyte antigena“ (HLA) und deren Bedeutung für Abstoßungsreaktionen des menschlichen Körpers, konnten potenzielle Organempfänger und Spenderorgane im Vorfeld einer Organtransplantation besser aufeinander abgestimmt werden. Bei den HLA-Antigenen handelt es sich um „genetisch festgelegte Merkmale, die sich an der Oberfläche kernhaltiger Zellen des Menschen befinden und für die Unterscheidung von körperfremd („non-self“) und körpereigen wichtig sind“.8 Das zum Transplantatempfänger passende Spenderorgan wurde nun nicht mehr wie bisher allein durch das Kriterium der Blutgruppenkompatibilität,9 sondern maßgeblich über die HLA-Kompatibilität bestimmt, wobei sich aber schnell die Nachteile dieser Methode offenbarten. Für die größtmögliche Übereinstimmung (sog. Histokompatibilität oder auch „full house“) mussten nämlich sechs HLAAntigene verglichen werden.10 Die Chance, einen Spender zu finden, der mit dem potenziellen Organempfänger nicht verwandt, aber dennoch mit diesem HLAkompatibel war, gestaltete sich, angesichts der überwältigenden Anzahl möglicher Allelen und der Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten, als äußerst schwierig,11 sodass nur jede 500. Niere für einen bestimmten Empfänger geeignet war.12 In den USA konnten vor diesem Hintergrund trotz der Zuhilfenahme eines nationalen Transplantationsregisters und der Möglichkeit, die Nieren an weit entfernte Orte zu schicken, lediglich 14 % der Organe optimal auf den Empfänger abgestimmt werden. Für den Großteil der Organe war eine Zuordnung anhand des HLA-Kriteriums daher 7 Zu dieser Erkenntnis trugen maßgeblich die Forschungen des britischen Immunologen Peter Brian Medawar bei, vgl. dazu Barker et al., Historical overview of transplantation, Cold Spring Harb Perspect Med 2013, 1, (2 ff.); Thorsby, A short history of HLA, Tissue Antigens 2009, 101 (108); Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 78. 8 Die für die Bildung der HLA-Antigene erforderliche genetische Information befindet sich auf dem Chromosom Nr. 6. Dieses Chromosomenstück besteht aus unterschiedlichen Genorten, die jeweils zwei Allelen ausbilden. Für die immunologische Reaktion sind die HLA-Antigene HLA-A, HLA-B und HLA-DR verantwortlich. Vgl. Herold, Innere Medizin, S. 59; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 10. 9 Die Entdeckung der Blutgruppen erfolgte bereits im Jahr 1912 durch den Arzt Karl Landsteiner und war für eine erfolgreiche Organübertragung unabdingbare Voraussetzung. Zur Bedeutung der Blutgruppenkompatibilität für die Organtransplantation heute. Vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 2. b) aa). 10 Jede Abweichung wird als „HLA-mismatch“ bezeichnet. Vgl. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 13. 11 Terasaki, The history of HLA and transplantation, Hirosaki Med. 2013, 45 (47 f.). 12 Gramer, Das Recht der Organtransplantation, S. 25.

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Kap. 1: Einführung in die medizinische Entwicklung der Organtransplantation

unmöglich.13 Mangels brauchbarer Alternativen wurde der Gewebekompatibilität bei der Empfängerauswahl dennoch die maßgebliche Bedeutung zugemessen.

2. Die „Cyclosporin-Ära“ Auf Grund des aufgezeigten Defizits der HLA-Kompatibilität wurde versucht, die Immunreaktion des Organempfängers auf andere Weise zu verhindern bzw. zu vermindern, was zur Entwicklung einer gezielten medikamentösen Immunsuppression führte. Die Verabreichung spezifischer Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems mit dem Ziel der Erzeugung einer transplantatspezifischen Immuntoleranz,14 konnte schließlich die Überlebenszeiten nach der Transplantation verlängern.15 Aus der Ende der 70er-Jahre entwickelten neuen Generation der Immunssuppressiva revolutionierte die schweizerische Entdeckung des „Wundermittels“16 Cyclosporin A (CsA)17 die Möglichkeiten der Transplantationsmedizin. Im Jahr 1978 wurde der erste menschliche Patient in Cambridge nach erfolgter Nierentransplantation mit Cyclosporin A behandelt. In den Folgejahren (1982 – 1983) etablierte sich Cyclosporin A auf Basis der Erfolgsergebnisse unterschiedlicher Studien als „Standard of care“ bei der Organtransplantation und wurde auch bei der Lebertransplantation das Mittel der Wahl, da auch außerhalb der Nierentransplantation früh die positive Wirkung des Mittels belegt werden konnte. Dementsprechend lag die Ein-Jahres-Überlebensrate nach erfolgter Lebertransplantation von Patienten, die mit Cyclosporin A behandelt wurden bei 71 % bzw. 64 % gegenüber einer Überlebensrate von 32 % derjenigen, die andere Immunsuppressiva erhielten.18

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Terasaki, The history of HLA and transplantation, Hirosaki Med. J. 2013, 45 (50). Müller, Chirurgie, S. 2. 15 Im Wissen um diesen Umstand gelang es Nierentransplantationspionier Murray im Jahr 1962 erstmalig, die Niere eines Verstorbenen zu transplantieren und mit Hilfe des immunschwächenden Wirkstoffes Azathioprin die Funktionsfähigkeit des Transplantats zu erhalten. Vgl. Starzl, History of clinical transplantation, World J Surg. 2000, 759 ff. 16 Barker et al., Historical overview of transplantation, Cold Spring Harb Perspect Med 2013, 1, (13). 17 Cyclosporin wurde im mikrobiologischen Labor von Sandoz (Teilkonzern des Pharmaunternehmens Novartis) in Basel entdeckt. Der Wirkstoff wird aus Tolypocladium inflatum gewonnen. Dabei handelt es sich um einen norwegischen Pilzstamm, der aus Bodenproben des Hardangervidda in Norwegen isoliert wurde, vgl. dazu umfassend: Yang et al., Cyclosporine biosynthesis in Tolypocladium inflatum benefits fungal adaptation to the environment, Molecular Biology and Physiology, 2018, 1 ff.; Colombo et al., Cyclosporine in Transplantation – a history of converging Timelines, Journal of biological Regulators & homeostatic Agents, 2011, 493 ff. 18 Starzl et al., Liver transplantation with use of cyclosporin a and prednisone, N Engl J Med 1981, 266 ff. Inzwischen hat der Wirkstoff Tacrolimus Cyclosporin A als übliches Immunsuppressivum bei der Lebertransplantation ersetzt. 14

II. Standardisierung der Transplantationsmedizin

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Erst seit Beginn der „Cyclosporin-Ära“19 konnten Organtransplantationen mit beachtlichem Erfolg und in großer Zahl durchgeführt werden. Erstmalig waren Transplantationen nicht mehr auf lebende Verwandte des Organempfängers begrenzt, sondern konnten einem enorm vergrößertem Empfängerpool angeboten werden.20 Dadurch wurde „das Optimierungsproblem zum Verteilungsproblem“21 und ist Ursprung der heutigen Verteilungsproblematik in der Transplantationsmedizin.

II. Standardisierung der Transplantationsmedizin Im selben Zeitraum wurde die Konservierung der entnommenen Organe optimiert, sodass unter Anwendung spezifischer Techniken die Funktionsfähigkeit einer Spenderniere bis zu sechs Stunden nach ihrer Entnahme erhalten werden konnte.22 Im US-amerikanischen Raum führte die Konservierungsmöglichkeit dazu, dass ein nationaler Organaustausch zwischen verschiedenen Zentren stattfand. Nach Gründung der ersten Organtransplantationsorganisationen wurden vermehrt Vorwürfe laut, die lokale Organvermittlung erfolge unter ungleichen Kriterien, sodass sich der amerikanische Kongress im Jahr 1984 zur Verabschiedung des National Organ Transplant Act (NOTA) entschloss, um eine gerechte Verteilung der Spenderorgane zu gewährleisten.23 Auch in der Bundesrepublik und den Nachbarländern wurde angesichts der rasanten Fortschritte der Transplantationsmedizin, der stetig steigenden Anzahl der Organtransplantationen und der Etablierung als Standardtherapie die Frage nach einem Transplantationssystem aufgeworfen. Dies führte in der Folge zur Gründung der internationalen und nationalen Institutionen, die auch heute noch am deutschen Transplantationsprozess maßgeblich beteiligt sind.

19 Colombo et al., Cyclosporine in Transplantation – a history of converging Timelines, Journal of biological Regulators & homeostatic Agents, 2011, 493 ff. 20 Schreiber/Wolflast, Rechtsfragen der Transplantation, in: Dietrich, Organspende und Organtransplantation S. 47. 21 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 11. 22 Barker et al., Historical overview of transplantation, Cold Spring Harb Perspect Med 2013, 1, (12 ff.). 23 Barker et al., Historical overview of transplantation, Cold Spring Harb Perspect Med 2013, 1, (12 ff.).

Zweites Kapitel

Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts in der Bundesrepublik Die Vorschrift des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG schreibt in seinen Nummern 2 und 5 der deutschen BÄK die Befugnis zum Erlass von Richtlinien zur Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Aufnahme eines Patienten auf die Warteliste zur Organtransplantation sowie zur Organvermittlung zu. Das TPG von 1997 bildet gemeinsam mit diesen Richtlinien der BÄK das Fundament des deutschen Transplantationsrechts. Das TPG sieht darüber hinaus die Beteiligung weiterer nationaler sowie internationaler nicht-staatlicher Akteure im hiesigen Transplantationsgeschehen vor. Das durch diese gesetzliche Ausgestaltung hervorgerufene, komplizierte Zusammenspiel der unterschiedlichen Institutionen der Transplantationsmedizin geht dabei auf die Tradition der diesen obliegenden Verantwortlichkeiten im Rahmen der Selbstregulierung vor Erlass einer gesetzlichen Regelung zurück. Nur durch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der fast 20jährigen Entstehungsgeschichte und der dadurch entstandenen Systematik des heutigen TPG ist somit ein Eindruck zu gewinnen, wie es zu der Kompetenz der BÄK in ihrer jetzigen Form und Reichweite kam.1 Auch für die Organallokation2 in ihrer derzeitigen Gestalt ist eine historische Betrachtung mit Blick auf die zahlreichen Gesetzentwürfe instruktiv.

I. Das deutsche Transplantationssystem vor Erlass des Transplantationsgesetzes „In some cases, optimum allocation will require exchange of organs or tissues between transplant organisations and countries. Cooperation between countries is increasingly important.“3 Bereits lange vor dieser Stellungnahme des Europarates aus dem Jahr 1999 entstanden länderübergreifende Kooperationen verschiedener 1

So auch: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 77. Unter den Begriff der „Organallokation“ werden folgend sowohl die Aufnahme auf die Warteliste als auch die anschließende Auswahl-bzw. Zuteilungsentscheidung (innerhalb der sich auf der Warteliste befindenden Kandidaten) gefasst. 3 Council of Europe, Organ shortage. Current status and strategies for improvement of organ donation – A European consensus document, VI; Schaupp, Herausforderung Transplantationsmedizin, ZfME 2019, 3 (7). 2

I. Das deutsche Transplantationssystem vor Erlass des Transplantationsgesetzes

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Transplantationszentren, um der Problematik des begrenzten Spenderpools entgegen treten zu können. Auch in der Bundesrepublik begann mit dem medizinischen Fortschritt der Gründungsprozess der noch heute maßgeblichen Institutionen des Transplantationswesens.

1. Eurotransplant International Foundation (ET) Die ersten Schritte zur heutigen komplexen Organisationsstruktur des Transplantationswesens resultierten aus der weiteren Erforschung des damals innovativsten Transplantationsbereichs, der Nierentransplantation. Wie bereits dargelegt, führte die Entdeckung der HLA-Antigene durch Dausset und ihre Berücksichtigung dieser bei der Organallokation zu beachtlichen Erfolgen bei der Nierentransplantation.4 Die Erkenntnisse Daussets wurden von dem im niederländischen Leiden tätigen Immunologen Johannes (Jon) J. van Rood ergänzt. Die Anpassung des HLATyps des Spenders auf den Empfänger führte zwar in der Folge rasch zu einem gesteigerten Transplantat- und Patientenüberleben. Die hohe Anzahl der verschiedenen HLA-Antigene verringerte aber wieder die Wahrscheinlichkeit, einen Spender mit einem passenden Gewebetyp für einen bestimmten Patienten zu finden.5 Um dennoch eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine möglichst hohe Übereinstimmung zu erreichen, wurde eine zentrale und umfassende Datenbank zum Abgleich aller Informationen über Spender und Patienten benötigt, die zugleich einen vergrößerten Spenderpool sichern sollte. Dieser Erkenntnis folgte im Jahre 1967 der Vorschlag van Roods zur Gründung einer internationalen Organaustauschorganisation während eines Histokompatibilitätsworkshops in Turin.6 Noch im selben Jahr erfolgte sodann die Gründung der Stiftung Eurotransplant („Eurotransplant International Foundation“) durch van Rood. Eurotransplant schuf nun die Voraussetzungen einer weiträumigeren und zentralen Registrierung der Wartelistenpatienten für eine einheitliche HLA-Analyse zur Typisierung von Spender und Empfänger, sowie für den Abgleich der Merkmale des Spenderorgans mit den Datensätzen aller potenzieller Organempfänger.7 Die Erfassung größerer Einzugsgebiete sollte die Registrierung größerer Empfängergruppen ermöglichen, um so die im jeweiligen Gebiet zur Verfügung stehenden Organe nach konkreten Kompatibilitätskriterien vergeben zu können.8 Die Kompatibilität eines jeden Eurotransplant aus den Zentren gemeldeten Spenders wurde mit den Empfängern auf der Warteliste abgeglichen und auf die höchstmögliche Übereinstimmung geprüft. In den Folgejahren begann Eurotransplant, nicht mehr nur die Allokation von Spendernieren, sondern nun auch die von 4

Vgl. erstes Kapitel, Glp. I. 1. Vgl. erstes Kapitel, Glp. I. 1. 6 Kirste, Organallokation im Eurotransplant Verbund, in: Ethik und Recht, S. 91. 7 Feuerstein, Das Transplantationssystem, S. 125. 8 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 96. 5

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

Lebern, Herzen und der Pankreas zu organisieren.9 Die verschiedenen Transplantationszentren führten eigene Wartelisten mit potenziellen Transplantationskandidaten und vermittelten diese Listen dann weiter an Eurotransplant. Diese führte die einzelnen Listen zu einer einheitlichen Liste zusammen und glich die gesammelten Daten mit denen möglicher Transplantatempfänger ab.10 War die Anzahl der beteiligten Transplantationszentren des Verbundes zunächst – bedingt durch die informelle Zulassung auf Initiative einzelner Ärzte – mit zwölf Transplantationszentren auf drei Ländern noch überschaubar, entwickelte sich Eurotransplant jedoch schon bald zu der organisatorisch und administrativ bedeutendsten Transplantationsinstitutionen Europas.11

2. Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Nur wenig später begann auch der nationale Infrastrukturausbau des Transplantationswesens in der Bundesrepublik durch die Gründung des Kuratoriums für Heimdialyse e. V. (KfH) (als gemeinnützige Körperschaft) im Jahre 1969 in NeuIsenburg. Das zunächst nur als Einrichtung für die bundesweit durchzuführenden Dialysen konzipierte Kuratorium wurde 1987 in Kuratorium für Heimdialyse und Nierentransplantation umbenannt und übernahm fortan die Organisation der Nierentransplantationen in der Bundesrepublik.12 Das KfH entwickelte Organisationsstrukturen zur Unterstützung der Nierentransplantationen und schuf die Voraussetzungen für einen vielversprechenden und effektiven Organaustausch durch die Möglichkeiten der Gewebetypisierung und Organkonservierung, des Transports und der Kooperation mit den Transplantationszentren. Die vom KfH angebotenen logistischen Strukturen fanden in Deutschland schnell Anklang.13 So befanden sich bereits 1979 zwölf Transplantationszentren im Austausch mit dem KfH. Um die Organtransplantationen in Deutschland weiter zu fördern, wurde am 7. Oktober 1984 die gemeinnützige Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) auf Initiative des KfH gegründet. Die DSO übernahm sodann die Organisation für sämtliche Organ9

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 80. Vgl. dazu die Homepage von Eurotransplant. Im Internet abrufbar unter: https://www.eu rotransplant.org/about-eurotransplant/history-and-timeline. 11 Bereits im Jahre 1970 war Eurotransplant für 68 Transplantationszentren in sechs Ländern als vermittelnde Institution tätig. Neben Westdeutschland gehörten Österreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande sowie die Schweiz zum Verbund Eurotransplants vgl. dazu die Homepage von Eurotransplant. Im Internet abrufbar unter: https://www.eurotransplant.org/ about-eurotransplant/history-and-timeline; Molnár-Gábor, Die Regelung der Organverteilung durch Eurotransplant – unzulässige ethische Standardsetzung?, in: Vöneky et al., Ethik und Recht – Die Ethisierung des Rechts, S. 328. Zwei Jahre später erfolgte die Gründung einer ähnlichen Organisation für Organvermittlung im skandinavischen Raum. Der Institution Scandiatransplant gehören Schweden, Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Estland an. 12 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 83; Feuerstein, Das Transplantationssystem, S. 131. 13 Feuerstein, Das Transplantationssystem, S. 130. 10

I. Das deutsche Transplantationssystem vor Erlass des Transplantationsgesetzes

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transplantationen mit Ausnahme der Nierentransplantation. Ebenfalls im Jahr 1989 schlossen die Spitzenverbände der Krankenkassen, das KfH und die DSO am 01. Juli einen Vertrag mit ET. Ziel der Vereinbarung war dabei eine umfassende Regelung zur Zusammenarbeit, des Informationsaustausches sowie der Finanzierung der ET durch die Organvermittlung entstehenden Kosten. Weiter sollte die Vereinbarung zu einer Verbesserung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit und so generell zur Förderung der Organtransplantation beitragen.14

3. Transplantationszentren Kliniken, die Transplantationen durchführten, mussten einen hohen Standard aufweisen, um alle Arten von Risiken zu vermeiden.15 Angesichts der Tatsache, dass nicht jedes örtliche kleinere Krankenhaus die organisatorisch-administrativen und nicht zuletzt fachlichen Ressourcen besaß, Transplantationen selbst zu bewältigen, wurden sog. Transplantationszentren eingerichtet. Den Transplantationszentren kam vor Erlass des TPG eine bedeutende Entscheidungsfunktion im Transplantationsprozess zu.16 Jedes Transplantationszentrum führte eine eigene Warteliste und entschied bei Meldung eines verfügbaren Organs autonom über die Aufnahme eines Patienten und die Auswahl eines Patienten von der eigenen Warteliste für eine Organtransplantation. Denn trotz der bereits beschriebenen frühzeitigen Herausbildung übergreifender internationaler wie nationaler Organisationen und der Tätigkeit ETs wurde die Mehrzahl der gemeldeten Organe im Rahmen des sog. „lokalen Selbstbehaltes“ von den Transplantationszentren in Eigenregie an den passenden Organempfänger innerhalb des eigenen Krankenhauses nach eigenen Kriterien zugeteilt.17 Es galt dabei die Regelung, dass eines von zwei gewonnenen Organen an Eurotransplant gegeben und das zweite als lokaler Selbstbehalt im Transplantationszentrum zur regionalen Verwendung verblieb und eigenverantwortlich an Patienten auf der eigenen Warteliste vergeben wurde.18 Somit oblag den Transplantationszentren letztlich die alleinige Entscheidungsmacht.19 14 Inhalt des Vertrages war auch der Transplantationskodex, vgl. Glp. III. 2. a). Der Vertrag ist abgedruckt bei Schauenburg, Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei Organtransplantationen, BKK, S. 429. Nach Erlass des TPG ist die DSO nunmehr als alleinige Koordinierungsstelle für alle Arten von Organtransplantationen zuständig. Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 3. Das KfH besteht nach wie vor, ist aber zu seiner ursprünglichen Tätigkeit (Versorgung nierenkranker Patienten) zurückgekehrt. 15 Carstens, Das Recht der Organtransplantation, S. 177. 16 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 87. 17 Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 195; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 7; Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 22; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 88. 18 Kirste, in: Ethik und Recht, Die Organallokation im Eurotransplant- Verbund, S. 92. Dennoch machte der lokale Selbstbehalt bei der Nierenallokation teilweise bis zu 90 % aller Nierenverteilungen aus. Vgl. Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 116.

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

4. Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren und die deutsche Transplantationsgesellschaft Im Jahre 1984 schlossen sich die Transplantationszentren der Bundesrepublik zur Erarbeitung von Richtlinien und Verfolgung ihrer Interessen zur „Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West e. V.“ zusammen.20 Mit Gründung der deutschen Transplantationsgesellschaft e. V. (DTG) im Jahre 1992 wurde die Arbeitsgemeinschaft von dieser übernommen. Die DTG entsendet seitdem ihre Vertreter in die maßgeblichen Transplantationsinstitutionen wie DSO, ET sowie in das wichtigste Entscheidungsgremium im Transplantationsprozess21 – die Bundesärztekammer.

5. Bundesärztekammer Geburtsstunde der heutigen Bundesärztekammer war ein Zusammentreffen von Vertretern des nordwestdeutschen Ärztekammerverbandes der britischen Zone mit Vertretern der Kammern der amerikanisch besetzten Zone im Jahr 1947 in Bad Nauheim.22 Während dieser Zusammenkunft erfolgte die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Ärztekammern“, die am 17./18. Oktober 1947 auf dem 51. Ärztetag endgültig konstituiert wurde.23 Die BÄK ist seitdem – in der Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins des Privatrechts gem. § 54 BGB24 – Selbstverwaltungsorganisation der Ärzteschaft und verfolgt entsprechend ihrer Satzung den Zweck des ständigen Erfahrungsaustausches unter den Ärztekammern und die gegenseitige Abstimmung ihrer Ziele und Tätigkeiten.25 Im Herbst des Jahres 1994 gründete die BÄK die sog. „Ständige Kommission Organtransplantation“ (StäKO). Mitglieder der StäKO sind die Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise, einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der DSO und ET sowie der zuständigen Behörden der Länder.26 Die StäKO hat gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ihres Statuts u. a. die Aufgabe, Empfehlungen zu Grundsätzen und Vorschlägen für Richtlinien für die Organspende, -vermittlung und -verteilung zu 19

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 89. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 84. 21 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 84. 22 Stobrawa, Die ärztlichen Standesorganisationen in Deutschland, S. 38. 23 Stobrawa, Die ärztlichen Standesorganisationen in Deutschland, S. 38. 24 Zu einer solchen Einordnung bereits: Bergemann, Die rechtliche Stellung der Bundesärztekammer, S. 47; Berger, Die Bundesärztekammer, S. 44 ff. 25 Vgl. § 2 Satzung der Bundesärztekammer, Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammern, in der vom 117. Deutschen Ärztetag 2014 beschlossenen Fassung. 26 Vgl. § 2 Abs. 1 des Statuts der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, in der vom Vorstand der Bundesärztekammer am 15. 5. 2020 beschlossenen Fassung, Dtsch. Ärztebl. 2020, A-1294. 20

II. Herausforderungen eines Transplantationsgesetzes

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erarbeiten. Durch ihre Anbindung an die BÄK sollte sichergestellt werden, dass die StäKO von Anfang an mehr Autorität bei der Abgabe ihrer Empfehlungen und bei den ihr zugewiesenen Kontrollfunktionen besaß als ähnliche, Institutionen, wie beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren.27

II. Herausforderungen eines Transplantationsgesetzes 1. Notwendigkeit staatlicher Regulierung im Bereich der Transplantationsmedizin Durch die institutionelle Entwicklung bestand nunmehr die Möglichkeit in größerem Umfang Organtransplantationen realisieren zu können. Dies führte zu einem starken Anstieg an durchgeführten Organtransplantationen. Ferner verstärkten die der mangelnden Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit geschuldeten Fehlvorstellungen28 der breiten Öffentlichkeit über das Zusammenwirken der internationalen und nationalen Institutionen den Ruf nach einer einheitlichen bundesgesetzlichen Kodifizierung.29 Das Fehlen einer konkreten bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung zur Transplantationsmedizin sowie die durch die laufende Standardisierung der transplantationsmedizinischen Operationstechniken stetig steigende Anzahl der Transplantationen führte im Laufe der Zeit zu einer sich weiter ausbreitenden Rechtsunsicherheit und Skepsis der überwiegenden Bevölkerung insbesondere hinsichtlich der Entnahmevoraussetzungen bei einer postmortalen Organtransplantation.30 In Ermangelung der Existenz spezialgesetzlicher Regelungen zur Zulässigkeit der Entnahme von Organen richtete sich die rechtliche Bewertung zwar nach den allgemeinen straf- und zivilrechtlichen Normen sowie den von Rechtsprechung und Literatur entwickelten allgemeinen rechtlichen Grundsätzen und befand sich damit nicht vollständig im rechtsfreien Raum.31 Dennoch war vor allem die Frage, wer nach dem Tode für eine Organentnahme seine Einwilligung erteilt haben musste, nicht beantwortet.32 Meist wurde den Angehörigen die Berechtigung zur Einwilligungserteilung zugesprochen, sodass der weitaus größte Teil 27

Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 168. Vielfach bestand die Fehlvorstellung in der Bevölkerung, ausschließlich ET besäße die allumfassende Entscheidungskompetenz darüber, wer als Organempfänger in Betracht käme, vgl. Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 22; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 87. 29 Samson, Die Explantation von Leichenteilen, NJW 1974, 2030 (2032). 30 Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 670. 31 Hirsch/Schmidt-Diczuhn, Transplantation und Sektion, S. 15; Höfling/Rixen, Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin, S. 13; Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, S. 27. 32 Heinitz, Rechtliche Fragen der Organtransplantation, S. 23. 28

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

der Organentnahmen zwar mit Einwilligung durchgeführt wurde. Zahlreiche Einzelfragen im Zusammenhang mit der Einwilligung waren aber nach wie vor ungeklärt.33 Bei fehlender Einwilligung wurde im Schrifttum zum Teil sogar der übergesetzliche Notstand als Rechtfertigung herangezogen.34 Fraglich war darüber hinaus auch, wie eine widerrechtliche postmortale Organentnahme sanktioniert werden könne. So kam eine Strafbarkeit nach § 189 StGB wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nicht in Betracht, da die Vorschrift nicht den Schutz der Unversehrtheit der Leiche bezweckte.35 Zwar wurde teilweise eine Strafbarkeit der widerrechtlichen postmortalen Organentnahme nach § 168 StGB wegen Störung der Totenruhe angenommen,36 dennoch fachte die zum Teil widersprüchliche Rechtsprechung die rechtspolitische Diskussion zur Notwendigkeit eines Transplantationsgesetzes weiter an.37 Es mehrte sich auch die Befürchtung, dass wegen der fehlenden gesetzlichen Regelung medizinisch erfolgsversprechende Organtransplantationen auf Grund des unklaren straf- und haftungsrechtlichen Risikos unterbleiben könnten. Weiter fehlte es bereits damals an einer ausreichenden Anzahl an Organspendern. Von den im Jahr 1977 im ET-Verbund vorgenommenen 384 Nierentransplantationen stammten lediglich 277 Organe von deutschen Spendern, während in dem deutlich bevölkerungsärmeren Nachbarland Niederlande im selben Zeitraum 200 Menschen einer Organentnahme zustimmten.38 Vor diesem Hintergrund wurde als Lösung des „Transplantationsunwesens“39 ein Transplantationsgesetz präferiert, das durch ein transparentes Transplantationsverfahren dem konstanten Mangel an Organen entgegenwirken sollte.

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Hirsch/Schmidt-Diczuhn, Transplantation und Sektion, S. 3. Heinitz, Rechtliche Fragen der Organtransplantation, S. 25; Kohlhaas, Neue rechtliche Probleme bei der Organtransplantation, NJW 1971, 1870 (1871); Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 109. 35 Vgl. zur zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 1 BGB: Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 673. 36 Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 674. 37 Vgl. das berühmte Gütgemann-Urteil des LG Bonn 25. Februar 1970, LG Bonn VersR 1970, 715, vgl. dazu Geilen, Probleme der Organtransplantation, JZ 1971, 41; zur weiteren Rechtsprechung vgl. Maurer, Die medizinische Organtransplantation in verfassungsrechtlicher Sicht – Bemerkungen zum Entwurf eines Transplantationsgesetzes, DÖV, 1980, 7 ff. 38 Behl, Verfehlen beide Gesetzentwürfe ihr Ziel?, DRiZ 1980, 342 (342). 39 Bellanger/Steinbrecher/Tröhler, in: Hirntod und Organspende, Ethik und Recht, S. 11. 34

II. Herausforderungen eines Transplantationsgesetzes

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2. Voraussetzungen einer postmortalen Organtransplantation a) „Tod“ des Organspenders Unbestrittene wie unabdingbare Voraussetzung für eine postmortale Organentnahme ist denklogisch der zuvor eingetretene „Tod“ des potenziellen Spenders, womit aber zugleich eine der Hauptkontroversen auf dem langjährigen Weg zum TPG von 1997 benannt ist. Eine gesetzliche Definition des Todes erschien lange Zeit überflüssig, angesichts der Tatsache, dass eine Person mit endgültig eingetretenem Herz- und Kreislaufstillstand, für jeden Menschen erfahrbar, tot war.40 Zeitgleich mit dem Fortschritt der Transplantationsmedizin machten aber auch die intensivmedizinischen Behandlungsmethoden in den 50er Jahren einen Sprung nach vorne. Durch Langzeittherapie und mit Hilfe moderner apparativer Beatmungstechnologie konnten Atmung und Kreislauffunktion (und damit auch die Organperfusion (Organdurchblutung)) erstmals maschinell aufrechterhalten werden.41 Durch diese Möglichkeit wurde der bis dato geltende klassische Todesbegriff als Abgrenzungskriterium untauglich und die einst klar gezogene Grenze zwischen Leben und Tod unklar.42 Trotz des Fortschrittes der Intensivmedizin stellte man jedoch bald fest, dass viele der Patienten, die durch künstliche Beatmung und Aufrechterhaltung des Kreislaufsystems intensivmedizinisch behandelt wurden, nicht mehr aus ihrem Zustand erwachten, da sämtliche Hirnfunktionen bei ihnen bereits irreversibel und unwiederbringlich verloren waren (sog. „Coma dépassé“).43 Von renommierten medizinischen Fachgesellschaften – allen voran einem Ad-hoc-Komitee der Harvard medical School – wurde dieses irreversible Koma im Jahr 1968 zu einem „neuen“ Todeskriterium erklärt.44 Die medizinische Anerkennung dieser sog. „Hirntodkonzeption“machte den Weg frei für Organentnahmen nach eingetretenem irreversiblen Hirnfunktionsausfall (umgangssprachlich auch als „Hirntod“45 bezeichnet). Ohne 40 Heuer/Conrads, Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung 1997, MedR 1997, 195, (196). 41 Schellong, Die künstliche Beatmung und die Entstehung des Hirntodkonzeptes, in: Schlich/Wiesemann, Hirntod. Zur Kulturgeschichte der Todesfeststellung, S. 187 ff. 42 Bellanger/Steinbrecher/Tröhler, in: Hirntod und Organspende, Ethik und Recht, S. 11; Heuer/Conrads, Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung 1997, MedR 1997, 195, (196). 43 Manzei, Über den Zusammenhang von Hirntodkonzept und Organmangel, in: Transplantationsmedizinrecht, S. 85. 44 In der Stellungnahme heißt es sodann: „Our primary purpose is to define the irreversible coma as a new criteria for death.“ Als sekundäre Begründung wird dazu angeführt: „Obsolete criteria for the definition of death can lead to controversy in obtaining organs for transplantation“. Vgl. Harvard Medical School, A definition of irreversible coma, 1968, Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to examine the definition of brain death, JAMA, 677 ff. Auch in der Bundesrepublik wurde im selben Jahr eine von einer interdisziplinär besetzten Kommission erarbeitete Stellungnahme zur Thematik veröffentlicht. Vgl. Heinitz, Rechtliche Fragen der Organtransplantation, S. 22. 45 Aus Praktikabilitätserwägungen wird im Verlauf dieser Untersuchung der kürzere, geläufigere Begriff „Hirntod“ benutzt.

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

die Zuhilfenahme der Hirntodkonzeption waren die Erfolge von Organtransplantationen zuvor lediglich moderat, da sich die Funktionsfähigkeit des entnommenen Organs durch die ischämiebedingten Schädigungen, die bis zum Eintritt des „klassischen“ Herz-Kreislauf-Todes eintraten, in Grenzen hielt.46 Im Hinblick auf die durch die Hirntodkonzeption erzielten Erfolge wurde der irreversible Hirnfunktionsausfall als Todeskriterium politisch überwiegend befürwortet47 und erlangte auch in der Rechtswissenschaft Akzeptanz.48 Für die Gleichsetzung von Tod und Hirntod wurden (und werden bis heute) im Wesentlichen zwei Begründungsansätze angeführt. Zum einen entfalle nach der sog. Geistigkeitstheorie mit dem irreversiblen Ausfall des gesamten Gehirns die biologische Grundlage für jegliche Geistigkeit des Menschen; ohne funktionsfähiges Gehirn könne der Mensch nichts mehr empfinden, wahrnehmen, denken oder entscheiden; gerade dies sei aber Wesenskriterium des Menschseins.49 Die sog. Integrationstheorie stellt hingegen auf den menschlichen Organismus in seiner biologischen Gesamtheit ab. Für den Tod des Menschen sei nicht der Tod aller Körperteile entscheidend; vielmehr sei der Tod das Ende des Organismus in seiner funktionellen Gesamtheit. Durch den Gesamthirntod sei ebendieser Zustand eingetreten.50 Trotz der grundlegenden Akzeptanz der Hirntodkonzeption seitens der medizinischen Wissenschaft stießen die Begründungsansätze während des Gesetzgebungsprozesses des TPG immer wieder auf Kritik, die teilweise auch heute noch angeführt wird. Die Kritiker monierten insbesondere, die neue Todesdefinition sei nur im Interesse der Transplantationsmedizin zum Zwecke eines frühestmöglichen Zugriffs auf einen noch lebenden Menschen konstruiert worden.51 Der hirntote Mensch sei eine Person, die sich zwar im unaufhaltsamen Sterbeprozess befinde, aber eben noch nicht tot sei. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verbiete eine Anknüpfung des Begriffes „Leben“ an bestimmte psychische oder kognitive Leistungskriterien, denen ein Hirntoter nicht mehr gerecht werden könne; diese Anknüpfung der Geistigkeitstheorie sei daher mit der Verfas46 Barker et al., Historical overview of transplantation, Cold Spring Harb Perspect Med 2013, S. 11. 47 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 77; Schaupp, Herausforderung Transplantationsmedizin, ZfME 2019, 3 (6). 48 So beispielsweise bereits Vogel, Zustimmung oder Widerspruch, NJW 1980, 625 (626); Heun, Der Hirntod als Kriterium des Todes des Menschen, JZ 1996, 213 (213 ff.). 49 Gemeinsame Stellungnahme medizinischer Fachgesellschaften, MedR 1994, VIII f.; vgl. umfassend zur Thematik: Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 212 ff.; Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3 Rn. 13 ff. 50 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer, Dtsch. Ärztebl. 1993, A-2933 ff.; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 214.; Höfling/ Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3 Rn. 15; Jox, in: Hirntod und Organtransplantation, „Hirntod“: historische Entwicklung, aktuelle Kontroversen und künftige Perspektiven, S. 79. 51 Heuer/Conrads, Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung 1997, MedR 1997, 195, (197); Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 680; Höfling, Um Leben und Tod: Transplantationsgesetzgebung und Grundrecht auf Leben, JZ 1995, 26 ff.

II. Herausforderungen eines Transplantationsgesetzes

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sung nicht zu vereinbaren.52 Vor diesem Hintergrund könne dem daher (noch) Sterbenden der Schutz des Art. 2 S. 1 GG aber nicht verwehrt werden. Eine etwaige Organentnahme sei daher ausschließlich bei persönlicher Einwilligung des Patienten zulässig.53 b) Rechtfertigung einer Organentnahme Aus der soeben dargelegten Problematik um die Hirntodkonzeption resultierte der nächste umstrittene Aspekt für ein Transplantationsgesetz. Je nach vertretener Position zur Hirntodkonzeption wurden von Gegnern und Befürwortern unterschiedliche Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Beteiligung des potenziellen Spenders an der Entscheidung über eine Organentnahme verlangt. Im Laufe der Jahre wurden unterschiedliche Modelle entwickelt, von denen heute nur zwei in der internationalen transplantationsrechtlichen Praxis (alternativ) angewendet werden. aa) Widerspruchslösung Nach der sog. Widerspruchslösung war (und ist) eine Organentnahme automatisch zulässig, wenn der Betroffene zu Lebzeiten keinen ausdrücklichen Widerspruch gegen eine etwaige Organentnahme (gegenüber Angehörigen, Arzt etc.) erklärt hat. Ein fehlender Widerspruch wird von diesem Lösungsmodell als Zustimmung gewertet. Das Widerspruchsmodell existiert in zwei verschiedenen Varianten, von denen beide im langwierigen Gesetzgebungsprozess diskutiert wurden.54 Bei der „engen“ Widerspruchslösung, ist die Befugnis, einen Widerspruch einlegen zu können, auf den Betroffenen selbst begrenzt. Anders ist dies bei der „erweiterten“ Widerspruchslösung. Danach dürfen auch die nächsten Angehörigen des Verstorbenen noch (nachträglich) Widerspruch einlegen und können so eine Organentnahme verhindern. bb) Zustimmungslösung Das zweite Modell setzt auf eine ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen zu Lebzeiten. Liegt ein bloßes Schweigen zur Frage der Organentnahme vor, wäre eine solche – konträr zur Widerspruchslösung – unzulässig. Die Zustimmungslösung gibt es ebenfalls in einer engen und einer erweiterten Variante. Nach der engen Zustimmungslösung kann nur der Betroffene selbst in eine Organentnahme einwilligen, während die erweiterte Zustimmungslösung (wenn ein Einverständnis des Betroffenen selbst nicht vorliegt) den nächsten Angehörigen ein subsidiäres und am 52

Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3 Rn. 16. Höfling, Hirntodkonzeption und Transplantationsgesetzgebung, MedR 1996, 6 ff.; Höfling/Rixen, Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin in der Diskussion, S. 87. 54 Vgl. dazu sogleich Glp. IV. 2. 53

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

mutmaßlichen Willen des Betroffenen orientiertes Entscheidungsrecht zugesteht. Für die Gegner der Hirntodkonzeption ist als Rechtfertigungsmodell für eine Organentnahme allein die enge Zustimmungslösung zulässig, da nach ihrem Verständnis ein hirntoter Patient ein sterbender Mensch ist, der dem Schutz des Art. 2 S. 1 GG unterliegt, sodass nur er selbst eine Einwilligung erteilen könne. Gegen diese Ansicht wurde vermehrt die Kritik geäußert, dass der Betroffene nicht durch privatrechtliche Verfügung in eine (bei Ablehnung der Hirntodkonzeption) tatbestandliche Tötung der behandelnden Ärzte durch die Organentnahme einwilligen könne, sodass dann eine Tötung auf Verlangen gem. § 216 StGB verwirklicht sei.55 Teilweise wurde eine enge Zustimmungslösung aber auch von Befürwortern der Hirntodkonzeption als einzig zulässiges Rechtfertigungsmodell für eine Organentnahme verlangt.56 Dies ergäbe sich daraus, dass eine etwaige Vertretung durch die nächsten Angehörigen bei einer Entscheidung um Leben und Tod nicht möglich sei. Diese Sicht sah sich aber dem Einwand ausgesetzt, dass das Betreuungsrecht die Möglichkeit einer Generalvorsorgevollmacht vorsehe, dem Gesetz demnach eine Vertretung auch in gesundheitsrechtlichen Belangen nicht fremd sei.57 Ferner ergäbe sich ein Zustimmungsrecht aus dem verfassungsrechtlich anerkannten Totensorgerecht der Angehörigen.

3. Verteilungskriterien Vor Beginn der Cyclosporin-Ära58 wurde eine Normierung von Verteilungskriterien (zunächst) für nicht notwendig erachtet, da im Hinblick auf die Probleme der immunologischen Verträglichkeit wohl kaum ein derartiger Konfliktfall zu erwarten sei, dass ein Transplantat für mehrere Empfänger gleich geeignet sei.59 Wer als Empfänger in Frage komme, liege zudem in der alleinigen Entscheidungskompetenz der Ärzte. Wie bereits dargelegt, veränderte die Behandlung von Organempfängern mit Immunsuppressiva wie Cyclosporin A die Situation grundlegend, da nun die Möglichkeit bestand, Spenderorgane auch auf Menschen, die nicht miteinander verwandt waren, zu übertragen.60 Durch den Umstand, dass dadurch zwar deutlich mehr Menschen als Empfänger in Betracht kamen, die Anzahl der hirntoten Organspender aber gleich blieb, entstand die bis heute andauernde Mangelsituation in der Transplantationsmedizin. Die Transplantation des einen bedeutet daher oftmals 55 Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 681. 56 Vgl. dazu sogleich Glp. IV. 2. 57 Heuer/Conrads, Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung 1997, MedR 1997, 195 (197). 58 Vgl. erstes Kapitel, Glp. I. 2. 59 Linck, Gesetzliche Regelung von Sektionen und Transplantationen, NJW 1973, 759 (764). 60 Vgl. erstes Kapitel, Glp. I. 1.

III. Chronologischer Überblick der Gesetzgebungsgeschichte des TPG

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den Tod eines anderen potenziellen Organempfängers. Angesichts der Mangelsituation stellte sich die Frage, nach welchen Grundsätzen die knappen Organe unter direkt miteinander konkurrierenden Transplantationskandidaten verteilt werden sollten. Für die Beurteilung, welcher Patient den Vorzug erhalten sollte, wurde insbesondere auf den Grad und die Gefahr eines baldigen Schadeneintritts abgestellt. Die Verteilung der Organe sollte sich mithin maßgeblich an der Dringlichkeit einer Organtransplantation orientieren.61 Für die Fälle gleich gelagerter Dringlichkeit bestand hingegen keine Einigkeit. Ein Transplantationsgesetz sollte hinreichend konkrete Grundsätze zur Verteilung entwickeln, um die Rechtsgüter Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie dem Gleichheitsgebot ausreichend Rechnung tragen zu können.62

III. Chronologischer Überblick der Gesetzgebungsgeschichte des TPG 1. Erster Gesetzgebungsversuch eines Transplantationsgesetzes Vor dem Hintergrund, dass (West-)Deutschland Ende der 70er Jahre noch zu den wenigen europäischen Staaten ohne Transplantationsgesetz gehörte, während das Transplantationswesen auch in der DDR bereits geregelt worden war63 und die Forderungen nach Rechtssicherheit nicht verstummten, begannen schließlich die legislativen Arbeiten für den Erlass eines Transplantationsgesetzes. a) Erster Gesetzentwurf von 1978 Nachdem der bundesweit erste landesgesetzliche Entwurf eines Transplantationsgesetzes der Berliner CDU64 in Erwartung einer baldigen bundesgesetzlichen 61 Das Organallokationssystem von ET sah ebenfalls eine Allokation anhand der Dringlichkeit einer Organtransplantation vor. Die von ET aufgestellten Regelungen, besaßen jedoch nur einen unverbindlichen Empfehlungscharakter, sodass eine Nichtbeachtung seitens der Ärzte folgenlos blieb. Vgl. Heuer/Conrads, Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung 1997, MedR 1997, 195 (199); Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 164. 62 Heuer/Conrads, Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung 1997, MedR 1997, 195 (199). 63 In der DDR wurde das Transplantationsrechts bereits seit dem Jahr 1975 durch eineVerordnung geregelt, vgl. Verordnung über die Durchführung von Organtransplantationen, DDR-GBl. I 1975, 597 ff., geändert durch die Durchführungsbestimmung vom 5. 8. 1987, DDR-GBl. I 1987, 199 ff. 64 Drucksache des Abgeordnetenhauses Berlin, 6/948 vom 22. 6. 1973. Der Entwurf warf ferner verfassungsrechtliche Fragen auf, da eine Organentnahme auch gegen den ausdrücklichen Willen des Verstorbenen zulässig sein sollte (sog. Notstandslösung) vgl. Kübler, Verfassungsrechtliche Aspekte der Organentnahme zu Transplantationszwecken, S. 32. Vgl.

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

Regelung zurückgestellt worden war und auch ein Hamburger Referentenentwurf65 verworfen wurde, brachte die Bundesregierung am 13. September 197866 einen ersten Entwurf für ein das Transplantationswesen regelndes Bundesgesetz ein.67 Dieser Regierungsentwurf eines „Gesetzes über Eingriffe an Verstorbenen zu Transplantationszwecken (Transplantationsgesetz)“68 wurde auf Grund der mangelnden Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Gesundheitsrechts als strafrechtliches Nebengesetz erarbeitet.69 Der Großteil des Entwurfs fußte auf vorausgegangenen ausführlichen Vorarbeiten einer eigens zu diesem Zweck auf Beschluss der 42. Konferenz der Justizminister und Senatoren beim Bundesministerium der Justiz im Oktober 1973 gegründeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Transplantation“.70 Auf den Entwurf folgte eine weitreichende parlamentarische Debatte. b) Gegenentwurf des Bundesrats zum Regierungsentwurf Die Grundsatzstreitigkeiten um die Rechtfertigung einer postmortalen Organentnahme durch Zustimmung oder fehlenden Widerspruch führten dazu, dass der Entwurf im Bundesrat auf Gegenwehr stieß, dieser mit Schreiben vom 10. November 1978 gem. Art. 76 Abs. 2 GG Stellung nahm und einen vollständigen Gegenentwurf beifügte.71 Wegen der (trotz durchgeführter Sachverständigenanhörung) anhaltenden Uneinigkeit empfahl schließlich der damalige Bundesjustizminister Dr. Hans-Jochen Vogel nach der ersten Lesung im Bundestag am 26. März 1979 im März 1980 eine Unterbrechung des legislativen Vorhabens durch eine Überlegungs- und Besinnungspause.72 Dies hatte zur Folge, dass die Gesetzesinitiativen mit Ende der

umfassend zu diesem Entwurf: Linck, Gesetzliche Regelung von Sektionen und Transplantationen, NJW 1973, 759 ff. 65 Samson, Die Explantation von Leichenteilen, NJW 1974, 2030, (2034). 66 Abgedruckt in: BT-Drs. 8/2681. 67 Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Transplantation, Organgewinnung- und allokation, in: Medizin- Ethik-Recht, S. 25. 68 BT-Drs. 8/2681; Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Transplantation, Organgewinnung- und allokation, in: Medizin- Ethik-Recht, S. 25. 69 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, Einführung, Rn. 18. 70 Carstens, Das Recht der Organtransplantation, S. 113 ff.; Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 153 ff.; Nickel, Die Entnahme von Organen und Geweben. S. 61; Gramer, Das Recht der Organtransplantation, S. 64. 71 BR-Drs. 395/78; Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Transplantation, Organgewinnung- und allokation, in: Medizin- Ethik-Recht, S. 30. 72 Vogel, Zustimmung oder Widerspruch, NJW 1980, 625 ff. Angesichts der heftigen Auseinandersetzungen um die Einwilligung in eine Organtransplantation empfahl die Bundesärztekammer im Januar des Jahres 1981, eine gesetzliche Regelung zurückzustellen und die weitere Entwicklung abzuwarten. Vgl. Schreiber/Wolflast, Ein Entwurf für ein Transplantationsgesetz, MedR 1992, 189 (190).

III. Chronologischer Überblick der Gesetzgebungsgeschichte des TPG

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achten Legislaturperiode am 4. November 1980 dem Diskontinuitätsgrundsatz gem. § 125 S. 1 GO-BT verfielen und nicht weiter behandelt werden durften.73

2. Aktivitäten der Fachgesellschaften und Gesetzesinitiativen auf Landesebene Im darauffolgenden Jahrzehnt blieb die resignierte Legislative74 hinsichtlich der Erarbeitung eines neuen Gesetzesentwurfs untätig. Die Diskussion zur Normierung der Transplantationsmedizin kam vorerst zur Ruhe und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung einer postmortalen Organtransplantation entwickelten sich aus der Praxis heraus.75 a) Transplantationskodex Die unterbrochenen legislativen Tätigkeiten des Gesetzgebers eröffneten die Möglichkeit für private „soft-law-Normierungsaktivitäten und Gesetzgebungsimpulse Dritter“.76 Ergebnis dieses Zusammenschlusses war u. a. die Veröffentlichung des sog. „Transplantationskodexes“. Dieser enthielt erstmalig Vorschriften zu bislang ungeregelten und umstrittenen Aspekten zur Durchführung des Transplantationsverfahrens und wurde als bislang größte Orientierungshilfe für die transplantierenden Ärzte am 7. November 1987 in Marburg verabschiedet.77 Zur Einhaltung dieses Kodexes verpflichteten sich die Transplantationszentren freiwillig. b) Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) Am 25. und 26. Juni des Jahres 1988 führte die deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) ihr 3. Expertengespräch (auch als „Einbecker Workshop“ bekannt) zum Thema „Organtransplantation aus medizinrechtlicher Sicht“.78 Die

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Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Transplantation, Organgewinnung- und allokation, in: Medizin- Ethik-Recht, S. 33. 74 Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 670. 75 Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Transplantation, Organgewinnung- und allokation, in: Medizin- Ethik-Recht, S. 34. 76 Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Transplantation, Organgewinnung- und allokation, in: Medizin- Ethik-Recht, S. 34. 77 Vgl. Viebahn/Greif-Higer, Dtsch. Arztebl. 2013, A-2465. 78 Hiersche/Hirsch/Graf-Baumann, Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 3. Einbecker Workshop der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, 25./26. Juni 1988, Vorwort.

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

DGMR veröffentlichte im Anschluss an den Workshop acht verschiedene Empfehlungen zu medizinrechtlichen Fragen der Organtransplantation.79 c) Landesinitiativen für ein Transplantationsgesetz Im September des Jahres 1989 reichte die Bundestagsfraktion der GRÜNEN eine große Anfrage zur Thematik der modernen Transplantationsmedizin ein, die zugleich dem Bundesgesetzgeber die Erforderlichkeit einer Regelung dieser Materie nahelegen sollte.80 Während die Bundesregierung keinen Anlass sah, tätig zu werden,81 erteilte kurz darauf (im November 1989) die Konferenz der Landesgesundheitsminister (GMK) der Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamten (AGLMB) den Auftrag, die Erforderlichkeit eines Transplantationsgesetzes zu untersuchen.82 Wenig später gab aber ein von der Arbeitsgemeinschaft83 der deutschen Transplantationszentren e. V. in Zusammenarbeit mit der DSO vorgelegter „Entwurf für ein Transplantationsgesetz“84 bereits den Anstoß für erneute legislatorische Bemühungen im Bereich der Transplantationsmedizin auf Landesebene. Im Oktober 1991 wurde der AGLMB sodann auch ausdrücklich die Vorbereitung eines Gesetzesentwurfs eines Transplantationsgesetzes auferlegt.85 Bevor die AGLMB aber einen Entwurf vorstellen konnte, brachte die SPDFraktion im Januar 1992 einen Entwurf für ein Transplantationsgesetz in den niedersächsischen Landtag ein, der auf dem o. g. Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Transplantationszentren e. V. beruhte, aber im Parlament keine Mehrheit fand.86 Im Oktober desselben Jahres wurde ebenfalls von der SPD-Fraktion auch in den rheinland-pfälzischen Landtag ein Entwurf für ein Transplantationsgesetz eingebracht.87

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Hiersche/Hirsch/Graf-Baumann, Empfehlungen der DGMR zu medizinrechtlichen Fragen der Organtransplantation, in: Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 3. Einbecker Workshop der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, 25./26. Juni 1988, S. 146 ff. 80 BT-Drs. 11/5163, S. 3; Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 685. 81 BT-Drs. 11/7980, S. 4, 57. 82 Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 183. 83 Diese ist auch Herausgeber des Transplantationskodexes, vgl. Glp. III. 2. a). 84 Der Entwurf ist abgedruckt bei: Schreiber/Wolfslast, Ein Entwurf für ein Transplantationsgesetz, MedR 1992, 189 (191 ff.); Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 95. 85 Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 685. 86 Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 685. 87 Vgl. dazu Weber/Lejeune, Rechtliche Probleme des rheinland-pfälzischen Transplantationsgesetzes, NJW 1994, 2392 ff.

III. Chronologischer Überblick der Gesetzgebungsgeschichte des TPG

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Im gleichen Zeitraum kam die AGLMB schließlich ihrem Auftrag aus dem Jahr 1991 nach und lieferte im September 1993 einen Musterentwurf für die Entnahme und Übertragung von Organen für die Länder.88 Am 23. 06. 1994 verabschiedete Rheinland-Pfalz den von der SPD-Fraktion eingebrachten Entwurf; angesichts heftiger Proteste gegen das Gesetz seitens der Öffentlichkeit wurde es aber bereits kurz darauf wieder aufgehoben.89 Der von der AGLMB erarbeitete Vorschlag wurde zur Grundlage eines gemeinsamen Entwurfs eines „Gesetzes zur Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz)“ der Bundesländer Hessen und Bremen, den sie am 30. 06. 1994 in den Bundesrat einbrachten.90

3. Gesetzentwürfe auf Bundesebene und Einführung des TPG a) Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vom 21. 06. 1994 Auf den Vorschlag der gemeinsamen Verfassungskommission einen bundesgesetzgeberischen Kompetenztitel zur Regelung von Organtransplantationen und Transplantationen von Gewebe in das Grundgesetz aufzunehmen,91 entstand ein textidentischer gemeinsamer Entwurf des Bundesrates und der Fraktionen CDU/ CSU, SPD und FDP eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, um rechtliche Einheitlichkeit zu gewährleisten.92 In Erwartung einer baldigen Übertragung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der transplantationsmedizinischen Materie auf den Bund brachte die SPD-Fraktion im Jahr 1994 einen Entschließungsantrag in den Bundestag ein, mit der Aufforderung an die Bundesregierung, einen Entwurf für ein Transplantationsgesetz vorzulegen, um den legislativen Stillstand auf Bundesebene zu beenden.93 Ende des Jahres 1994 wurde die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes durch eine Ergänzung des Art. 74 GG durch den Kompetenztitel Nr. 26 erweitert.94

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Nickel, Die Entnahme von Organen und Geweben, S. 66. Rheinland-Pfälzische LT-Drs. 12/2094. 90 BR-Drs. 682/94; Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 686. 91 BT-Drs. 12/600. 92 BT-Drs. 12/6633. 93 Im Entschließungsantrag hieß es u. a., dass eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung zur Organtransplantation „dringend geschaffen“ werden müsse. Es bestehe eine tiefgreifende Angst der Bevölkerung, gegen den eigenen Willen als „Organbank“ benutzt zu werden, die durch eine mangelnde Normierung zusätzlich verstärkt werde. Vgl. BT-Drs. 12/8063, S. 1. Laufs hielt hingegen eine gesetzliche Regelung für nicht erforderlich, vgl. Laufs, Ein deutsches Transplantationsgesetz – jetzt?, NJW 1995, 2398 ff. 94 Die Änderung erfolgte durch Art. 1 Nr. 6 a), dd) des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, Gesetz vom 27. 10. 1994, BGBl. I, 3146. 89

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

b) Gesetzentwurf der GRÜNEN vom 7. November 1995 Im April 1995 einigten sich die Regierung, die SPD Bundestagsfraktion sowie die Länder auf die Einbringung eines überparteilichen, interfraktionellen Gesetzesentwurfs.95 Dazu kam es aber nicht. Wegen anhaltender Differenzen um die Hirntodkonzeption brachte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN am 7. November 1995 zuvor einen eigenen Gesetzesentwurf ein.96 c) Finaler Gesetzentwurf vom 16. April 1996 Grundlage für das heute geltende TPG waren schließlich größtenteils der Gesetzesentwurf der SPD, CDU/CSU und FDP Fraktionen zum Transplantationsgesetz vom 16. April 199697 sowie die Vorschläge des Gesundheitsausschusses98 im Folgejahr. Der Entwurf nahm einen bereits im Jahr 1995 von der Bundesregierung erarbeiteten Entwurf für ein Strafrechtsänderungsgesetz,99 der den Handel mit Organen unter Strafe stellt, mit auf.100 Er wurde hinsichtlich der umstrittenen Fragestellungen durch verschiedene Anträge mehrfach ergänzt,101 bevor er als „Transplantationsgesetz“ mit großer Mehrheit am 25. Juni 1997 vom deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Nach Zustimmung des Bundesrats am 26. September 1997 und nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten am 5. November trat es schließlich am 1. Dezember 1997 in Kraft.102

IV. Vorgeschlagene Lösungskonzepte in den Gesetzesentwürfen 1. Hirntodkonzeption Der erste Entwurf eines Transplantationsgesetzes der Bundesregierung aus dem Jahr 1978103 sah sich selbst als eine fragmentarische Lösung an, die zugunsten einer 95

Plenarprotokoll des deutschen Bundestages 13/99, S. 8819. BT-Drs. 13/2926. 97 BT-Drs. 13/4355. 98 BT-Drs. 13/8017. 99 BT-Drs. 13/587. 100 Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 687. 101 BT-Drs. 13/4144; BT-Drs. 13/4368 sowie durch die Änderungsvorschläge des Ausschusses für Gesundheit BT-Drs. 13/8017. Vgl. zu den Änderungsanträgen auch Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 688. 102 BGBl. I, 2631. Gleichzeitig traten die Verordnungen über die Durchführung von Organtransplantationen der DDR außer Kraft. 103 Vgl. Glp. III. 1. a). 96

IV. Vorgeschlagene Lösungskonzepte in den Gesetzesentwürfen

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schnellen Schaffung rechtlicher Klarheit auf diesem Gebiet auf ein vollumfassendes Gesetzeswerk verzichtete.104 Schwerpunkt des Entwurfes war die Normierung eines rechtlichen Rahmens für die Zulässigkeit einer postmortalen Organentnahme. Diese knüpfte der Entwurf an den zuvor eingetretenen Hirntod des potenziellen Spenders an. Dementsprechend sah § 2 Abs. 5 vor, dass die Entnahme der Organe (…) „auch vor Ablauf von drei Stunden seit dem endgültigen Stillstand des Kreislaufs“ des Verstorbenen zulässig sei, wenn zwei von der Transplantation unabhängige Ärzte den Tod bescheinigt hätten. Der „Gehirntod“ wurde als „irreversibler Verlust aller Hirnfunktionen (Hirnrinde und Hirnstamm)“ bezeichnet.105 Auch der Transplantationskodex von 1987 und die Empfehlungen der DGMR aus dem Jahre 1988 sahen den Hirntod als notwendige Voraussetzung für eine Organentnahme vor.106 Nach der dritten Empfehlung der DGMR habe die Diagnostik des Hirntodes nach den allgemein anerkannten Methoden und unter den gebotenen Absicherungen zu erfolgen. Dazu verwies die Empfehlung auf die Entscheidungshilfen des wissenschaftlichen Beirats der BÄK zu den Kriterien des Hirntods aus dem Jahre 1982.107 Die grundlegende Problematik um die Hirntodkonzeption zeigte sich erst wieder im Jahre 1995. Auf Grund einer zur Vorbereitung eines Transplantationsgesetzes vom Ausschuss für Gesundheit zuvor durchgeführten Sachverständigenanhörung, sah die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN die Hirntodkonzeption für widerlegt an.108 In ihrem eingereichten Entwurf109 hieß es folglich, Hirntote seien „lebende Sterbende“, die auch als solche geschützt werden müssten; die Hirntodkonzeption verstoße gegen die Verfassung und das Grundprinzip, dass ein Mensch so lange lebe, wie er als lebendig erfahren werde.110 Der nachfolgende gemeinsame Entwurf vom April 1996 schrieb (in § 5) zwar fest, dass sowohl der „endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen“ als auch der endgültige nicht behebbare Stillstand von Herz- und Kreislauffunktion als Zeitpunkt des Todes gelte, ließ aber unbeantwortet, ob der endgültige und nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen ein sicheres Todeszeichen darstellt.111 Durch einen fraktionsübergrei104

BT-Drs. 8/2681, S. 7. BT- Drs. 8/2681, S. 11. 106 Dritte Empfehlung der DGMR Abs. 4, Hiersche/Hirsch/Graf-Baumann, Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 3. Einbecker Workshop der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, 25./26. Juni 1988. 107 Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesa¨ rztekammer zur Frage der Kriterien des Hirntodes – Entscheidungshilfen zu seiner Feststellung“, Dtsch. Ärztebl. 1982, A 45. Vgl. zur heutigen Richtlinie der BÄK zur Hirntodkonzeption, drittes Kapitel, Glp. II. 1. 108 BT-Drs. 13/2926, S. 1. 109 Vgl. Glp. I. 3. b). 110 Ausschuss-Drs. 603/13, S. 2, 3; Geisler, Ausschuss-Drs. 582/13, S. 6, 8; Heuer/Conrads, Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung, MedR 1997, 195 (196). 111 Zum Stillstand von Herz und Kreislauf heißt es in der Begründung hingegen, dass dieser „unstreitig ein sicheres Zeichen für den eingetretenen Tod des Menschen“ sei, vgl. BT-Drs. 13/ 4355, S. 12; Dippel, Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. 11. 1997, in: FS Hanack, S. 687. 105

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

fenden Antrag vom 17. 04. 1996112 wurde der Entwurf dahingehend ergänzt. Die Anerkennung der Hirntodkonzeption als Todeskriterium sei notwendig, da eine gesetzliche Verankerung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktionen als bloße formale Voraussetzung zu einer gesetzlich zugelassenen Tötungshandlung seitens des behandelnden Arztes führen würde.113 Dementsprechend legte der Antrag den Hirntod als sicheres Todeszeichen fest.114 Die überwältigende Mehrheit der internationalen Ärzteschaft sei der Ansicht, dass mit Ausfall der gesamten Hirnfunktionen der Tod des Menschen eingetreten sei; das Hirntodkriterium liege aus diesem Grund auch allen anderen europäischen Regelungen zur Organtransplantation sowie Kanadas und der USA zugrunde.115 Auch bei Stillstand von Herz und Atmung sei der Tod erst mit dem kurz danach folgenden endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen eingetreten.116 Etwaige Zweifel an der Hirntodkonzeption seien durch die breite Sachverständigenanhörung vollumfänglich ausgeräumt. Zur Feststellung des Hirntodes verwies der Antrag auf die vom wissenschaftlichen Beirat der BÄK erarbeiteten „Kriterien des Hirntodes“ aus dem Jahre 1982.117 Die einzelnen medizinischen Verfahrensschritte zur Feststellung des Hirntodes sollten den Richtlinien der BÄK vorbehalten bleiben, da diese den Stand der medizinischen Wissenschaft feststellen könne.118 Die Hirntodkonzeption fand damit Eingang in das heutige TPG.119

2. Zustimmung oder Widerspruch Neben dem eingetretenen Hirntod des potenziellen Organspenders sah der Entwurf der Bundesregierung von 1978 eine Organentnahme bei fehlender vorheriger Einwilligung des Verstorbenen zu Lebzeiten als zulässig an, soweit dem Arzt ein entgegenstehender Wille nicht bekannt und dem Personalausweis des Verstorbenen keine einer Organentnahme widersprechende Erklärung zu entnehmen sei. Dadurch setzte der Entwurf (in § 2 Abs. 2 Nrn. 1 – 4) eine Empfehlung der Bund-Länder -Arbeitsgruppe um und verankerte dort die enge Widerspruchslösung.120 Eine Minderheit der Arbeitsgruppe hatte zuvor als Alternative zur Widerspruchlösung die 112

BT-Drs. 13/4386. BT-Drs. 13/4386, S. 6. 114 BT-Drs. 13/4386, S. 4; anders noch ein kurz zuvor eingereichter, fraktionsübergreifender Antrag vom 14. 3. 1996, wonach beim Hirntod nachweislich eine „Schwelle erreicht ist, von der an der Prozess des Sterbens unumkehrbar geworden ist und der Tod unmittelbar bevorsteht“. Vgl. BT-Drs. 13/4114, S. 2. 115 BT-Drs. 13/4386, S. 4. 116 BT-Drs. 13/4386, S. 5, 6. 117 BT-Drs. 13/4386, S. 4. 118 BT-Drs. 13/4386, S. 6. 119 Zur heutigen Regelung des Hirntodes im TPG vgl. drittes Kapitel, Glp. II. 1. 120 Zur Widerspruchslösung vgl. Glp. II. 2. b) aa). 113

IV. Vorgeschlagene Lösungskonzepte in den Gesetzesentwürfen

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sog. „Informationslösung“ vorgeschlagen.121 Nach diesem Modell sollten die Angehörigen des Verstorbenen über die geplante Organentnahme (durch eine gesetzlich festgelegte Informationspflicht der behandelnden Ärzte) Kenntnis erlangen und ihnen die Möglichkeit zugestanden werden, ihre Zustimmung oder Ablehnung zur Organentnahme mitzuteilen. Würde die Mitteilung schweigend hingenommen, stünde dies einer Zustimmung gleich, sodass die Informationslösung auch tragende Elemente der Widerspruchslösung enthielt. Obwohl das schließlich für den Entwurf gewählte Modell der Widerspruchslösung von der Politik größtenteils befürwortet wurde, stieß dieses in der breiteren Öffentlichkeit auf erhebliche Kritik. Bereits damals wurde die verfassungsrechtliche Problematik der Widerspruchslösung deutlich, die auch heute noch von ihren Kritikern angeführt wird. Die Widerspruchslösung sei ein zu weitreichender Eingriff in das auch über den Tod eines Menschen hinauswirkende Persönlichkeitsrecht.122 Zudem sei einem Schweigen im Rechtsverkehr grundsätzlich keine zustimmende Bedeutung beizumessen, was erst recht bei Entscheidungen, die die körperliche Integrität beträfen, gelte. Schweigen könne ein Zeichen von Unwissenheit oder Unentschlossenheit sein, sodass die Widerspruchslösung eine Art „Übertölpelung“ desinteressierter Bevölkerungsschichten sein könne.123 Ferner wurde ebenfalls die (in § 2 Abs. 2 Nr. 4) vorgesehene Regelung des Entwurfs, einen Widerspruch in den Personalausweis eintragen zu lassen,124 im Schrifttum abgelehnt. Der Bürger dürfe sich bei der Eintragung nicht unter Druck gesetzt fühlen, als „guter“ Mensch gelten zu müssen oder einer Spende nur deshalb zustimmen, um bei der Ausstellung oder beim Vorlegen des Ausweises nicht negativ aufzufallen. Die Eintragung im Personalausweis brächte dabei zusätzlich das Problem mit sich, dass dieser im Vorfeld einer möglichen Organentnahme (wegen Verlusts, Vernichtung oder durch schlichtes Vergessen) nicht immer rechtzeitig vorläge.125 Der Gegenentwurf des Bundesrates enthielt aus diesem Grund nun nicht mehr die Widerspruchslösung, sondern (in § 2 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2) die erweiterte Zustimmungslösung.126 Die erweiterte Zustimmungslösung entsprach der damals üblichen Praxis in der Bundesrepublik. Die überwiegende Ansicht im Schrifttum gestand den Angehörigen des Verstorbenen nämlich seit Durchführung der ersten Organtransplantationen das Recht zu (bei nicht geäußertem Willen des Verstorbenen zu Lebzeiten) über eine Organentnahme zu entscheiden.127 Dennoch stieß diese Lösung bei 121

Carstens, Das Recht der Organtransplantation, S. 123; Höfling/Rixen, Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin, S. 26. 122 Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 153 ff. 123 Behl, Verfehlen beide Gesetzentwürfe ihr Ziel?, DRiZ 1980, 342 (342). 124 Deutsch, Die rechtliche Seite der Transplantation, ZRP 1982, 174 (177). 125 Vgl. Hirsch/Schmidt-Didzcun, Transplantation und Sektion, S. 58; ebenso: Samson, Legislatorische Erwägungen zur Explantation von Leichenteilen, NJW 1974, 2030 (2034). 126 BT-Drs. 8/2681, S. 14. 127 Samson, Legislatorische Erwägungen zur Explantation von Leichenteilen, NJW 1974, 2030 (2030).

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

der Ärzteschaft auf Bedenken, da diese bei einer gesetzlichen Festschreibung des Zustimmungsmodells einen damit zusammenhängenden Organspendenrückgang befürchtete. Der Schwerpunkt des Gegenentwurfs lag damit ebenfalls auf der Auswahl eines geeigneten Rechtfertigungsmodells. Auch der Transplantationskodex von 1987 orientierte sich an der bisherigen Handhabung in der Praxis und legte als Rechtfertigungsmodell die erweiterte Zustimmungslösung für eine postmortale Organentnahme zugrunde. Anders sah es hingegen in der DDR aus. Eine Organentnahme in der DDR war zulässig, sofern der Verstorbene zu Lebzeiten keinen Widerspruch gegen eine Organentnahme erhoben hatte und basierte mithin auf der engen Widerspruchslösung.128 Hinsichtlich der engen Widerspruchslösung des DDR-Rechts war aber ungeklärt, ob und in welchem Umfang die Transplantationsärzte eine Ermittlungspflicht zur Feststellung eines möglichen Widerspruchs treffe; der Konsens in der DDR ging jedoch dahin, dass den Transplantationsärzten nur bei einer ausdrücklichen Erklärung des Widerspruchs eine Organentnahme versagt sei.129 In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zur Dokumentation der Existenz eines Widerspruchs unterlag die Verordnung aber erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken und wurde aus diesem Grund nicht mehr angewandt. Das Transplantationsgesetz von Rheinland-Pfalz von 1994 fußte ebenfalls auf der (engen) Widerspruchslösung.130 Da diese jedoch auf erhebliche Kritik in Literatur und Öffentlichkeit stieß,131 wurde die Verkündung des Gesetzes zunächst um zwei Monate ausgesetzt und das Gesetz schließlich am 25. August 1994 durch Beschluss wieder aufgehoben. Der Entwurf der Länder Bremen und Hessen aus demselben Jahr sah in § 3 Abs. 1 S. 2 eine Informationslösung als Mischform der Widerspruchs- und Zustimmungslösung vor.132 Bei fehlender Einwilligung des Verstorbenen zu Lebzeiten seien seine Angehörigen über die geplante Organentnahme zu informieren. Ihnen stehe innerhalb einer bestimmten Frist sodann ein eigenes Widerspruchsrecht zu.133 Grundlage des Entschließungsantrags von 1994 war die erweiterte Zustimmungslösung und der Vorschlag einer zentralen Regis-

128 § 1 Abs. 1 S. 1, DDR-GBl. I 1975, S. 597 ff.; Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 186; vgl. dazu auch: Schmidt-Didczuhn, Transplantationsmedizin in Ost und West im Spiegel des Grundgesetzes, ZRP 1991, 264 ff. 129 Vgl. ausführlich zur Rechtslage und dem Streitstand: Hirsch/Schmidt-Didzcun, Transplantation und Sektion, S. 35 ff. 130 Vgl. dazu Weber/Lejeune, Rechtliche Probleme des rheinland-pfälzischen Transplantationsgesetzes, NJW 1994, 2392 ff. 131 Weber/Lejeune, Rechtliche Probleme des rheinland-pfälzischen Transplantationsgesetzes, NJW 1994, 2329 ff. 132 Vgl. Glp. III. 2. c). 133 BR-Drs. 682/94, S. 22; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 161.

IV. Vorgeschlagene Lösungskonzepte in den Gesetzesentwürfen

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trierung aller erklärten Einwilligungen in eine Organspende.134 Der Gesetzesvorschlag der GRÜNEN aus dem Jahr 1995 sah – als Konsequenz aus der Ablehnung der Hirntodkonzeption135 – als Modell für die postmortale Organentnahme die enge Zustimmungslösung vor. Da (bei Ablehnung der Hirntodkonzeption) eine Organentnahme beim noch lebenden Menschen erfolge, sei ausschließlich die enge Zustimmungslösung möglich.136Der dem TPG zugrundeliegende Entwurf von 1996 enthielt ebenfalls die erweiterte Zustimmungslösung, die (trotz einiger zwischenzeitlich erfolgten Modifikationen) auch heute noch Grundlage des TPG ist.137

3. Verteilungskriterien: „Dringlichkeit und Erfolgsaussicht“ Regierungsentwurf und Gegenentwurf von 1978 enthielten keine Regelungen für den Fall, dass zu wenige Transplantate für mehrere geeignete Empfänger verfügbar sein sollten. Vor Beginn der Cyclosporin-Ära138 wurde die gesetzliche Regelung dieser bereits im Rahmen des ersten Berliner CDU-Entwurfs aufgeworfenen Frage139 für verzichtbar erklärt, da im Hinblick auf die Probleme der immunologischen Verträglichkeit wohl kaum ein derartiger Konfliktfall zu erwarten sei, dass ein Transplantat für mehrere Empfänger gleich geeignet sei.140 Erstmalig konkret festgeschriebene Verteilungskriterien enthielt der Transplantationskodex (in Nr. 8), wonach bei konkurrierenden Kandidaten die Nierentransplantate zum einen nach „Dringlichkeit“ und zum anderen nach „Erfolgsaussicht“ vergeben werden sollten.141 Kurze Zeit später fand sich in der 4. Empfehlung der DGMR eine ähnliche Regelung, nach der der Arzt „zur gerechten Entscheidung im Rahmen seiner fachlichen und ethischen Verantwortung verpflichtet“ sei, falls mehrere passende Empfänger für nur ein Transplantat in Frage kämen.142 Als Entscheidungskriterien wurden für diese Fälle die „Notwendigkeit und die Dringlich134

BT-Drs. 12/8603, S. 8; Für die erweiterte Zustimmungslösung sprach sich die WHO in ihren Leitsätzen (Guiding Principles on Human Transplantation) bereits im Jahre 1991 aus. Vgl. International Digest of Health Legislation, 1991. 135 Vgl. Glp. III. 3. b). 136 BT-Drs. 13/2926, S. 13 f. 137 BT-Drs. 13/4355, S. 13 ff.; vgl. zur sog. „Entscheidungslösung“ des heutigen TPG, drittes Kapitel, Glp. II. 2. b). 138 Vgl. erstes Kapitel, Glp. I. 2. 139 Hanack, Rechtsprobleme der Organtransplantation, Studium Generale 1970, 436, (488). 140 Linck, Gesetzliche Regelung von Sektionen und Transplantationen, NJW 1973, 759 (764). 141 Der Transplantationskodex wurde 1992 und 2013 von einer Ethikkommission der DTG umfassend überarbeitet und ist auch heute noch existent. Die aktuelle Version ist auf der Homepage der DTG veröffentlicht. 142 Hiersche/Hirsch/Graf-Baumann, Empfehlungen der DGMR zu medizinrechtlichen Fragen der Organtransplantation, in: Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 3. Einbecker Workshop der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, 25./26. Juni 1988, S. 146 ff.

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

keit“ einer Transplantation festgelegt. Das Transplantationsgesetz aus RheinlandPfalz regelte in § 7 des Gesetzes, der die „Reihenfolge der Vergabe von Organen“ zum Gegenstand hatte, dass die Auswahl des potenziellen Empfängers „grundsätzlich“ nach den Kriterien der „Dringlichkeit und der Gewebeverträglichkeit“ zu erfolgen habe.143 Der Musterentwurf der Länder Bremen und Hessen sah für die Verteilung der Transplantate (in § 6 Abs. 2) vor, dass diese „nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, insbesondere nach den Grundsätzen der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ erfolgen solle.144 Nach dem Entschließungsantrag von 1994, habe die Organvergabe nach transparenten und dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Vergabekriterien zu erfolgen.145 Das Gesetz habe eine allgemeine Formulierung zur Festlegung bestimmter Vergabekriterien zu wählen, um eine Anpassung an den Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermöglichen.146 Darüber hinaus enthielt der Entschließungsantrag einen Passus, wonach bei der Organvergabe neben medizinischen Kriterien auch soziale Aspekte berücksichtigt werden sollen. Anders als die vorherigen Entwürfe stellte der Antrag nicht auf die Kriterien der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit ab. Diese fanden sich aber wenig später erneut in dem Entwurf der GRÜNEN von 1995.147 Auch der TPGEntwurf von 1996 nahm schließlich die beiden Verteilungskriterien der Dringlichkeit und Erfolgsaussicht auf. Einzelheiten der Organvermittlung sollten durch entsprechende Verträge der beteiligten Institutionen nach den gesetzlichen Vorgaben und unter Einbeziehung der Richtlinien der BÄK geregelt werden.148

4. Institutionelle Dimension Bei den Entwürfen, die Regelungen zur Lösung der Verteilungsproblematik enthielten, stellte sich anschließend zum einen die Frage, welche Einrichtung für die Verteilung der Transplantate zuständig sein und zum anderen, wer die konkrete Ausgestaltung der auslegungsbedürftigen Verteilungskriterien „Dringlichkeit und Erfolgsaussicht“ vornehmen sollte. Das rheinland-pfälzische Transplantationsgesetz sah die Vergabe von Transplantaten durch Zusammenarbeit des die Organentnahme durchführenden Arztes und einer „zentralen Koordinierungseinrichtung“ vor; diese Einrichtung sollte darüber hinaus auch für die Erfassung und Koordination der Organe zuständig sein.149 Eine ähnliche Formulierung enthielt auch der Musterentwurf der Länder Bremen und 143

Rheinland-pfälzische LT-Drs. 12/5037 zu LT-Drs. 12/2094. BR-Drs. 682/94; Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 184. 145 BT-Drs. 12/8603, S. 4. 146 BT-Drs. 12/8603, S. 10. 147 BT-Drs. 13/2926, S. 6. 148 BT-Drs. 13/4355, S. 15. 149 Weber/Lejeune, Rechtliche Probleme des rheinland-pfälzischen Transplantationsgesetzes, NJW 1994, 2392 (2397 f.). 144

IV. Vorgeschlagene Lösungskonzepte in den Gesetzesentwürfen

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Hessen. Die Verteilung der Organe an geeignete Empfänger sollte durch eine „zentrale Organisation“ erfolgen.150 Eben dieser zentralen Organisation sollte es obliegen, in Zusammenarbeit mit den Transplantationszentren „Richtlinien zur Qualitätssicherung für Organentnahme und -transplantation“ zu erlassen und auch deren Einhaltung zu überwachen.151 Der Gesetzgeber habe „gewisse Mindestvorgaben“ für eine möglichst gerechte Verteilung zu normieren.152 Die tatsächliche Vermittlung der Organe sollte aber durch die zentrale Einrichtung erfolgen; zudem seien die Kriterien der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit vom Gesetzgeber nicht näher zu definieren, da diese eine ärztliche Entscheidung erfordern würden.153 Die Verteilung der Organe nach dem „Stand der medizinischen Wissenschaft“ sei erfolgreich etabliert und da das bestehende System „gut funktioniere“, sei kein gesetzgeberischer Regelungsbedarf erforderlich, sodass die Regelungen zur Organverteilung lediglich eine „Beschreibung des aktuellen Verteilungssystems“ darstellten.154 Nach dem Entschließungsantrag von 1994 sollte die Organverteilung durch eine (zu diesem Zweck noch zu schaffende), nationale und zentrale Verteilungsstelle (sog. „nationales Transplantationszentrum“) erfolgen.155 Zwar sei Deutschland auf den internationalen Transplantataustausch durch Eurotransplant angewiesen, zur Erhöhung der Transparenz sei aber zusätzlich eine nationale „Verteilungs- und Kontrollstelle“ einzurichten.156 Die Vergabekriterien sollten von einer eigens dafür mit Vertretern der BÄK, sowie des dann geschaffenen nationalen Transplantationszentrums, der Kirchen, humanistischer Gesellschaften sowie Einzelpersonen (wie Pflegepersonal und Soziologen) paritätisch besetzten Ethikkommission verfasst werden.157 Im Entwurf der GRÜNEN von 1995 war vorgesehen, eine nationale Koordinierungsstelle und eine Vermittlungsstelle zu beauftragen.158 Diese Idee wurde von dem fraktionsübergreifenden, finalen Entwurf von 1996 aufgegriffen und mit dem Zusatz versehen, dass auch eine geeignete Einrichtung mit der Organvermittlung beauftragt werden könne, die ihren Sitz im Ausland habe.159 Darüber hinaus wurde die BÄK durch den finalen Gesetzentwurf von 1996 (in § 15), zum Erlass von Richtlinien zur „Feststellung des Standes der medizinischen 150

Vgl. § 6 Abs. 2 des Entwurfs, BR-Drs. 682/94. Vgl. BR-Drs. 682/94; Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 184. 152 BR-Drs. 682/94 S. 30. 153 BR-Drs. 682/94 S. 30, 31. 154 BR-Drs. 682/94, S. 31. 155 BT-Drs. 12/8603, S. 4; Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 186. 156 BT-Drs. 12/8603, S. 12. 157 Vgl. BT-Drs. 12/8603, S. 6; Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 186. 158 BT-Drs. 13/2926, S. 6. 159 § 11 Abs. 2 vgl. BT-Drs. 13/4355, S. 6. 151

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

Wissenschaft“ u. a. für „die Regeln zum Nachweis des endgültigen nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion“ und auch für die „Regeln zur Organvermittlung“ ermächtigt. Die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft werde ferner vermutet, wenn die Richtlinien der BÄK beachtet worden seien.160 Die Richtlinien der BÄK seien auch im Falle der Beauftragung einer ausländischen Vermittlungsstelle heranzuziehen.161 Durch die Einführung eines neuen § 10 in den Entwurf, der Vorschriften zu den Transplantationszentren enthielt und in Abs. 2 deren Kompetenz zur Entscheidung der Aufnahme auf die Warteliste nach dem „Stand der medizinischen Wissenschaft“ normierte, wurde die (nun in § 16) verschobene Kompetenz der BÄK zum Erlass von Richtlinien nochmals um die Feststellung des Standes der medizinischen Wissenschaft für die Regeln zur Aufnahme auf die Warteliste nach § 10 Abs. 2 TPG ergänzt.162 Die ersten Richtlinien der BÄK wurden im Jahre 1999 verabschiedet.163

V. Änderungen des TPG seit Inkrafttreten 1997 Die erste Änderung erfuhr das TPG von 1997 zehn Jahre später mit Einführung des Gewebegesetzes vom 27. 07. 2007.164 Einige Jahre später keimte angesichts niedriger Zahlen zur Organspende die Diskussion um die Einführung einer Widerspruchslösung wieder auf. Statt dieser wurde im Juli 2012 die sog. Entscheidungslösung im TPG verankert.165 Noch im selben Monat erfolgten darüber hinaus auch strukturelle Novellierungen des Gesetzes.166 Nach den im selben Jahr bekanntgewordenen Missständen im Bereich der Transplantationsmedizin wurde der Gesetzgeber erneut tätig und führte u. a. Änderungen zur Richtlinientätigkeit der BÄK ein.167 Eine weitere Novellierung erfolgte im Jahr 2019 um strukturelle Defizite des 160

§ 15 vgl. BT-Drs. 13/4355, S. 7. BT-Drs. 13/4355, S. 28. 162 BT-Drs. 13/8017, S. 22 f.; ferner hieß es statt „die Bundesärztekammer kann in Richtlinien den Stand der medizinischen Wissenschaft feststellen (…)“ nunmehr „die Bundesärztekammer stellt fest (…)“. 163 Der Vorstand der BÄK hat nach Vorbereitung durch die StäKO am 13. November 1999 die ersten Richtlinien für Wartelisteführung und die Organvermittlung beschlossen. Vgl. Schreiber/Haverich, Richtlinien für die Warteliste und die Organvermittlung, Dtsch. Ärztbl. 2000, A-385. 164 Gesetz über die Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz), BGBl. I 2007, 1574 ff. 165 Gesetz zur Einführung Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz vom 12. 7. 2012, BGBl. I, 1504, vgl. dazu drittes Kapitel, Glp. II. 3. 166 Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes vom 21. 7. 2012, BGBl. I, 1601, vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 5. 167 Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. 7. 2013, BGBl. I, 2423, 2429, vgl. viertes Kapitel, Glp. IV, 4. b) bb) (2). 161

VI. Zusammenfassung

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Transplantationsprozesses zu beheben.168 Jüngst ist das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft169 bei der Organspende verabschiedet worden, das am 01. 03. 2022 in Kraft treten wird.

VI. Zusammenfassung Der Erlass eines Gesetzes zur Regelung der postmortalen Organtransplantation stellte die Legislative vor bislang unbekannte juristische und ethische Herausforderungen, wirft die Regulierung der Transplantationsmedizin doch naturgemäß überaus schwierige und unangenehme Fragen auf. Der Schwerpunkt der fast ein Vierteljahrhundert andauernden parlamentarischen Debatte lag auf Landes- wie auf Bundesebene vornehmlich auf den beiden unterschiedlichen Modellen – der Zustimmungs- oder Widerspruchslösung – zur Rechtfertigung einer postmortalen Organentnahme sowie der Diskussion um die Hirntodkonzeption.170 Andere zentrale Aspekte des Transplantationswesens erschienen vor diesem Hintergrund als gar nicht oder weitaus weniger diskussionswürdig. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Organallokation betrachtet. Die erst durch den medizinischen Fortschritt aufgeworfene Frage zur Vergabe knapper Transplantate wurde in der überwiegenden Anzahl der Entwürfe nur nebenbei abgehandelt. Der Gesetzgeber sah die Organvermittlung nicht als „zwingende Staatsaufgabe“ an und sich selbst nur in der Verpflichtung, durch Rechtsvorschriften eine sachgerechte Verteilung der knappen Spenderorgane an geeignete Empfänger sicherzustellen.171 Im heutigen TPG finden sich in § 12 Abs. 3 dementsprechend als Verteilungskriterien die konkretisierungsbedürftigen Begriffe der Dringlichkeit und Erfolgsaussicht. Mit Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte fällt darüber hinaus auf, dass sich anfänglich aber auch zwischenzeitlich immer wieder die Frage nach der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regulierung des Transplantationswesens stellte.172 Dies 168 Zweites Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes –Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende, BGBl I, 352. 169 BGBl. I, 2020, Nr. 13, S. 497. 170 Dies belegt auch das Schrifttum des Zeitraums vor Inkrafttreten des TPG, vgl. dazu nur Angstwurm, Der Einfluss der modernen Diagnostik auf die Definition des Todeszeitpunkts – aus neurologischer Sicht, MedR 1994, 467 ff.; Beckmann, Ist der hirntote Mensch eine „Leiche“?, ZRP 1996, 219 ff.; Birnbacher, Hirntodkriterium: Anthropologisch-ethische Aspekte, MedR 1994, 469 ff. 171 BT-Drs. 13/4355, S. 15. 172 Nach dem Scheitern der ersten Gesetzesinitiative Ende der 70er-Jahre dauerte es nochmals zwanzig Jahre bis die Regulierung der Transplantationsmedizin (erneut) für notwendig gehalten wurde. Während der Zeit der legislativen Untätigkeit hieß es beispielsweise in den Empfehlungen der DGMR, dass eine gesetzliche Regelung nicht erforderlich sei. Auch die Bundesregierung sah keinen Handlungsbedarf. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage (vgl. BT-Drs. 11/3795) der Abgeordneten Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN vom 15. Februar 1989 (BT-Drs. 11/3993) äußerte sich die Bundesregierung dementsprechend hin-

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Kap. 2: Rückblick – Die historische Entwicklung des Transplantationsrechts

geschah insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das Transplantationssystem bereits früh selbstständig entwickelt hatte und nicht auf staatliche Regulierung angewiesen zu sein schien. Nach dem Scheitern der ersten Gesetzesinitiative in den 70er Jahren brauchte es zwanzig Jahre, bis eine Regulierung (erneut) für erforderlich gehalten wurde. Angesichts dieses selbstregulativen Systems überrascht es nicht, dass der Gesetzgeber im TPG schließlich an die bereits bestehenden Strukturen angeknüpft173 und die Rollenverteilung von DSO (als nationale Koordinierungsstelle) und ET (als internationale Vermittlungsstelle) schließlich nur gesetzlich festgeschrieben hat. Entsprechend wurde durch die Einführung des TPG „kein neues staatliches Organisationssystem“174 geschaffen, sondern das bereits existente Kernkonzept sowie die vorgefundenen Organisationsstrukturen beibehalten und nach dem Prinzip der regulierten Selbstregulierung175 in einen gesetzlichen Rahmen eingestellt. Dies gilt indes nicht für die vom TPG normierte Position der BÄK. Abgesehen von den veröffentlichen Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes kam die BÄK als Institution erst spät in Berührung mit dem Transplantationssystem. Angesichts des Umstandes, dass die BÄK erstmalig im Entschließungsantrag der SPD von 1994 für die Erarbeitung von Kriterien zur Organverteilung vorgeschlagen und zuvor nicht als maßgebliche Instanz auch nur erwähnt wurde, erscheint der Umfang der ihr „plötzlich“ zugewiesenen Richtlinienkompetenz durch den Gesetzgeber bemerkenswert. Der beachtliche Umfang der Richtlinienkompetenz der BÄK hinsichtlich der Organverteilung resultiert aus dem damals herrschenden Verständnis, dass die Organvergabe ausschließlich nach medizinischen Kriterien erfolgen könne. Die Feststellung des Standes der medizinischen Wissenschaft sei dabei in erster Linie Aufgabe der medizinischen Fachwelt.176 Dass der Gesetzgeber mit diesem Verständnis einem Fehler unterlegen ist, wird noch zu zeigen sein. sichtlich der Schaffung eines gesetzlichen Rahmens im Bereich des Transplantationsrechts weiterhin ablehnend. Bei der gegebenen Situation der Organtransplantation bestehe in Deutschland kein „Anlass zu gesetzgeberischen Maßnahmen“. Eine gesetzliche Regelung führe nicht zu einer erhöhten Spendenbereitschaft der Bevölkerung. Zudem wollte man eine Konfrontation mit der (dem Thema der Organspende derzeit aufgeschlossenen Bevölkerung) durch eine gesetzliche Regelung tunlichst vermeiden, vgl. BT-Drs. 11/3993, S. 4, 6. 173 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 101. 174 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 167; Neft, Reform des Transplantationsgesetzes- Weichenstellung für eine bessere Patientenversorgung, MedR, 2013, 82 ff. 175 Die Steuerungsidee der regulierten Selbstregulierung ist durch ein Zusammenwirken selbstregulativer und hoheitlicher Steuerungselemente sowie die Selbstkontrolle der Beteiligten gekennzeichnet, vgl. zum Begriff der „regulierten Selbstregulierung“: Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl. 1996, 960 ff.; Augsberg, Rechtstatsächliches Gutachten auf Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit, Gesetzliche Regelungen zur Organ, und Gewebespende, S. 15. 176 BT-Drs. 13/4355, S. 28; In diese Richtung äußerte sich auch Laufs: „Ich kann nicht erkennen, was der Gesetzgeber besser wissen sollte als der Kreis der Sachverständigen, der sich

Drittes Kapitel

Heutiges Transplantationssystem Bevor mit der Untersuchung der Richtlinientätigkeit der BÄK begonnen wird, sind noch einige grundlegende Erörterungen voranzustellen, die für das Verständnis des deutschen Transplantationssystems von Bedeutung sind.

I. Rechtsgrundlagen der Transplantationsmedizin 1. Das Transplantationsgesetz als rechtlicher Rahmen Wie im zweiten Kapitel bereits dargelegt, ist das deutsche Transplantationsgesetz vom 5. November 1997 das Ergebnis einer intensiven parlamentarischen Auseinandersetzung und stellt heute den rechtlichen Rahmen für die Transplantationsmedizin dar. Nach dem zähen und gesundheitspolitisch aufreibenden Gesetzgebungsprozess und der rechtspolitischen Forderung einer gesetzlichen Regelung für die jahrzehntelang der Selbstregulierung überlassene Transplantationsmedizin, entschied sich der Gesetzgeber letztendlich doch dazu, „durch einen klaren rechtlichen Handlungsrahmen“ die anhaltenden Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, um die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung zu steigern.1 Im TPG sind u. a. die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Entnahme und Übertragung von Organen bei lebend- und postmortaler Organspende normiert. Ferner enthält das Gesetz Bestimmungen zur Organisation des Transplantationsprozesses und spricht verschiedenen Institutionen spezifische Aufgaben zu. Ausweislich der Gesetzesbegründung trennt das TPG die Bereiche Organspende, Organvermittlung und Organübertragung in organisatorischer und personeller Hinsicht streng voneinander.2 Für jeden der drei Bereiche ist jeweils eine andere Institution der Transplantationsmedizin nach dem TPG zuständig. Für die Aufnahme eines Patienten auf die Warteliste zur Organtransplantation nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG sowie die Vermittlung eines Organs an einen Empfänger auf der Warteliste nach § 12 Abs. 3 TPG bedürfen die vom Gesetzgeber normierten Kriterien der „Notwendigkeit“ und Erfolgsaussicht in § 10

bemüht“ in: Diskussion Schreiber, Rechtliche Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit im Sozialstaat, in: Nagel/Fuchs, Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 310. 1 BT-Drs. 13/4355, S. 1. 2 BT-Drs. 13/4355, S. 11.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

Abs. 2 Nr. 2 TPG sowie „Dringlichkeit und Erfolgsaussicht“ nach § 12 Abs. 3 TPG weiterer Konkretisierung.3

2. Die Richtlinien der BÄK Zur Erfüllung dieser Aufgabe sieht das TPG in § 16 Abs. 1 S. 1 eine Verpflichtung der BÄK zum Erlass von Richtlinien vor. Die BÄK hat in diesen Richtlinien den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ festzustellen. Wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird, kommt diesen Richtlinien die zentrale Steuerungswirkung im Transplantationswesen zu, sodass sie die tatsächlich tragende Säule des Transplantationsrechts bilden. Dies zeigt sich u. a. daran, dass der in § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 – 7 TPG normierte Richtlinienkatalog der BÄK zur Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nicht auf die Organallokation der vermittlungspflichtigen4 Organe beschränkt ist.5 Zentrales Organ bei der BÄK für die Erarbeitung der Richtlinien zur Transplantationsmedizin ist die im Jahre 1994 gegründete Ständige Kommission Organtransplantation (StäKO).6 Für die organspezifischen Richtlinien sind eigens spezialisierte Arbeitsgruppen der StäKO zuständig. Die Geschäftsführung der StäKO liegt gem. § 15 Abs. 1 ihres festgelegten Statuts7 bei der BÄK, die zu diesem Zweck eine Geschäftsstelle errichtet hat. Die aktuelle Version der Richtlinien wird im Bundesärzteblatt veröffentlicht und ist im Internet auf der Homepage der BÄK abrufbar.8 Neben der bundesgesetzlichen Regelung durch das TPG haben die Länder im Rahmen ihrer Länderkompetenz der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG in bestimmten, nicht durch Bundesgesetz geregelten Bereichen ergänzend Raum für Ausführungsbestimmungen zum Transplantationsgesetz. Alle Bundesländer haben nach Einführung des TPG entsprechende Ausführungsgesetze erlassen.

3

Vgl. viertes Kapitel, Glp. II. 3. a). Zu den sog. vermittlungspflichtigen Organen gehören gem. § 1a TPG: Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse und Darm. 5 Zum Umfang des Richtlinienkatalogs und den von der BÄK erlassenen Richtlinien vgl. viertes Kapitel, Glp. I. 1. 6 Vgl. zweites Kapitel, Glp. I. 5. 7 Statut der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, in der vom Vorstand der Bundesärztekammer am 15. 5. 2020 beschlossenen Fassung, Dtsch. Ärztebl. 2020, A-1249. 8 Die Richtlinien der BÄK zur Transplantationsmedizin sind auf ihrer Homepage abrufbar und werden im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. 4

II. Voraussetzungen einer postmortalen Organentnahme

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II. Voraussetzungen einer postmortalen Organentnahme 1. Hirntod des Organspenders, § 3 TPG Nach den allgemeinen Vorschriften des ersten Abschnitts widmet sich der zweite Abschnitt des TPG in den §§ 3 bis 7 den Voraussetzungen einer postmortalen Organtransplantation.9 In Deutschland gilt im Rahmen der postmortalen Organtransplantation die sog. „Dead Donor Rule“, aus der folgt, dass eine Organentnahme nur bei einem verstorbenen Menschen zulässig ist. Wie bereits im zweiten Kapitel dargelegt, war die Entscheidung für das der Zulässigkeit einer Organentnahme zugrunde liegende Todeskonzept eines der Kernprobleme des langwierigen Gesetzgebungsprozesses10 und ist bis heute eines der interdisziplinär meist umstrittenen Themengebiete der Transplantationsmedizin.11 Der Gesetzgeber entschied sich nach intensiver Debatte12 letztlich für den Hirntod als maßgebliche Todesdefinition.13 9 Die Vorschriften beziehen sich nicht nur auf die vermittlungspflichtigen Organe, sondern auch auf Organteile und Gewebe i. S. d. § 1 Abs. 1 TPG vgl. Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3 Rn. 1. 10 Vgl. dazu das zweite Kapitel. 11 Dazu sei nur auf die reichhaltige, weiterführende Literatur verwiesen. S. dazu nur die Veröffentlichungen von Höfling: Medizinischer Todesbegriff und verfassungsrechtlicher Lebensbegriff, in: Evangelische Akademie Iserlohn (Hrsg.), Halb tot oder ganz tot. Der „Hirntod“ – ein sicheres Todeszeichen?, 1995, S. 59 ff.; Vom Ende menschlichen Lebens. Anmerkung zum sogenannten Hirntod aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Transplantation: Spenden und empfangen (Materialien fu¨ r den Dienst in der Evangelischen Kirche von Westfalen), 1995, S. 82 ff.; Organtransplantation und Verfassungsrecht, in: Johannes Hoff/Ju¨ rgen in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, 1995, S. 449 ff.; Verfassungsrechtliche Grundfragen des Transplantationswesens, in: Ho¨ glinger/Kleinert (Hrsg.), Hirntod und Organtransplantation, 1998, S. 83 ff.; Hirntodkonzeption und Transplantationsgesetzgebung, in: MedR 1996, S. 6 ff.; Das Hirntodkonzept auf dem Pru¨ fstand des Verfassungsrechts, in: Niederschlag/Proft (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, 2012, S. 31 ff. Heun, Der Hirntod als Kriterium des Todes des Menschen, JZ, 1996, 213, mit kritischer Anmerkung Höfling, ebenfalls JZ, 615. Aktuell auch Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 209 ff. 12 Vgl. zweites Kapitel, Glp. IV. 1. 13 Diese Entscheidung hat auch Auswirkungen auf das verfügbare Organaufkommen. Denn obwohl auch jeder Herz-Kreislauftod den Hirntod zwangsläufig nach sich zieht, gibt es jährlich nur etwa 60.000 Fälle, in denen die (Hirn-)Verletzung überhaupt zu einer Hirntoddiagnose hätte führen können. In mehreren EU-Ländern (z. B. in Österreich, Spanien, Großbritannien, Belgien und den Niederlanden) ist eine Organentnahme daher auch nach dem eingetretenen „HerzKreislauf“-Tod als „DCD“ („Donation after cardiac death“ oder auch sog. „Non-heartbeating Donors“ (NHBD)) Spende zulässig. Als NHBD-Verfahren/DCD Spende werden Organentnahmen bei Personen ohne Herzschlag bezeichnet. Organe können nach eingetretenem Herzstillstand und Nulllinien-EKG entnommen werden, ohne dass es der Feststellung des Hirntodes bedarf. Als gültiger Zeitabstand zwischen dem Nulllinien-EKG und der Organentnahme wurde auf der Mastricht-Konferenz die Dauer von zehn Minuten als international geltender Standard festgelegt. Eine Entnahme kann nach erfolgloser Wiederbelebung oder nach infauster Prognose des Patienten vorgenommen werden. In Deutschland findet keine Implantation von (aus dem ET-Verbund erhaltenen) Organen statt, die DCD-Spendern entnommen wurden. Vgl. dazu Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 44 ff., 143 ff.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

Dies ist der Vorschrift des § 3 TPG, die die Voraussetzungen einer postmortalen Organspende normiert, allerdings nicht direkt zu entnehmen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der Entnahme von Organen oder Geweben, dass „der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist“. Die Vorschrift § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG regelt ferner, dass eine Entnahme von Organen unzulässig ist, wenn vor der Organentnahme „nicht der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.“ Das TPG verwendet in § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG lediglich die Begrifflichkeit „Tod“ ohne sie inhaltlich zu bestimmen und enthält damit keine Legaldefinition für den (wie auch immer gearteten) Tod des Menschen. Die Vorschrift normiert ausschließlich, dass die „Feststellung“ des Todes nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnis in der medizinischen Wissenschaft entsprechen, erfolgen soll.14 Die Grenze für die Unzulässigkeit einer Explantation zieht der Gesetzgeber dann in § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, wonach eine Organentnahme (jedenfalls) bis zum Zeitpunkt der Feststellung des Hirntodes nicht zulässig sein soll. Vom Schrifttum wird wegen dieses irreführenden Verhältnisses der beiden Absätze zueinander moniert, das Gesetz arbeite mit „zwei Todesbegriffen“.15 Dennoch hat der Gesetzgeber durch den in § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG enthaltenen Verweis den Hirntod zumindest konkludent bzw. implizit als Tod des Menschen i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1. TPG angenommen und behandelt den Hirntod und den Herz-Kreislauf-Tod als gleichbedeutend.16 Der Gesetzgeber hat mit der in § 3 TPG gewählten Systematik auf die zahlreichen Angriffe gegen die Hirntodkonzeption aus unterschiedlichen (insbesondere theologischen) Fachkreisen reagiert.17 Mit Blick auf die bereits dargelegte Entstehungsgeschichte des Transplantationsgesetzes und der aufgezeigten Kernstreitigkeit um das Hirntodkriterium, resultiert die eigentümliche Konzeption des § 3 TPG18 also aus der politischen Erwägung heraus, nur auf diesem Wege, ein Transplantationsgesetz – mit der dafür nötigen parlamentarischen Mehrheit – verabschieden zu können.19 Der Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die „Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des 14

Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3, Rn. 11. Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3, Rn. 7. 16 Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1038; Middel/Pühler/Schreiber, Richtlinienkompetenz zur Hirntod-Feststellung erneut bei Bundesärztekammer, ZRP 2007, 67 (68). 17 Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1038. 18 Höfling bezeichnet den § 3 TPG gar als „legistische Trickserei“, vgl. Höfling, Die Transplantationsversorgung und deren Regulierung, in: Ebsen, Handbuch des Gesundheitsrechts, S. 277; ders., Grundstrukturen des Rechts der Transplantationsmedizin, Medstra 2015, 85 (86). 19 Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3 Rn. 11. 15

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Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation“ soll gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG von der BÄK in einer Richtlinie festgelegt werden. Die BÄK erhält durch das TPG somit den Auftrag, die diagnostischen Anforderungen an die Todesfeststellung durch den Nachweis des eingetretenen Hirntodes festzulegen,20 dem sie durch den Erlass der entsprechenden Richtlinie auch nachgekommen ist.21 Im Schrifttum stößt diese Ermächtigung vermehrt auf Kritik. Die Kompetenz der BÄK zur Todesfeststellung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft wird ihr dabei zwar nicht abgesprochen, da der Nachweis von biologischen Tatsachen, die auf den normativ festgelegten Tod hindeuten, in den Kompetenzbereich der Medizin falle.22 Vielmehr ist neben inhaltlichen Beanstandungen des deutschen Feststellungsverfahrens der Hirntoddiagnose in der entsprechenden Richtlinie der BÄK (insbesondere zur klinischen Methodik, nach der lediglich Teilbereiche des Gehirns untersucht würden)23 Hauptgegenstand der Kritik, dass die BÄK sich gerade nicht auf die reine Todesfeststellung beschränke, sondern in ihren Stellungnahmen zur Hirntodkonzeption auch normativ tätig werde, indem sie teilweise Aussagen träfe, die über die naturwissenschaftlich-medizinischen Todesfeststellung hinausgingen.24 Die Problematik um die normative Tätigkeit der BÄK beschränkt sich nicht einzig auf die Richtlinie zur Hirntodfeststellung wie im Laufe der Untersuchung noch zu zeigen sein wird.

2. Rechtfertigung der Organentnahme a) Die erweiterte Zustimmungslösung aa) Einwilligung in die Organspende durch den Verstorbenen gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG Neben der obligatorischen Feststellung des eingetretenen (Hirn-)Todes des Patienten verlangt § 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG seine zu Lebzeiten erklärte Einwilligung in eine eventuelle Organentnahme, da das Selbstbestimmungsrecht des verstorbenen 20 Middel/Pühler/Schreiber, Richtlinienkompetenz zur Hirntod-Feststellung erneut bei Bundesärztekammer, ZRP 2007, 67 (68). Da die Hirntoddiagnostik über die Transplantationsmedizin hinaus gerade auch im intensivmedizinischen Bereich von tragender Bedeutung für eine Fortführung oder einen Abbruch einer Therapie ist, wird diese Richtlinie im Auftrag des Vorstands der BÄK vom wissenschaftlichen Beirat der BÄK erarbeitet. 21 Richtlinie der BÄK gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Vierte Fortschreibung vom 30. Januar 2015. 22 Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3, Rn. 10. 23 Vgl. dazu umfassend: Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 233 ff. 24 Beispiele bei Höfling/Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 3, Rn. 10.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

Bürgers im Transplantationsrecht oberste Priorität genießt.25 Dieser Vorrang der Eigenentscheidung des Verstorbenen über den Verbleib seiner Organe nach seinem Ableben vor der Mitwirkung durch nächste Angehörige26 bei der Entscheidungsfindung wurde folglich in § 3 Abs. 1 TPG zum Grundpfeiler einer Explantation gemacht. Um die Tatbestandsvoraussetzung der Einwilligung zu erfüllen, muss der potenzielle Spender verständlich zum Ausdruck gebracht haben, dass er der Entnahme von Organen und Geweben nach seinem ärztlich festgestellten Tod zustimmt.27 Bei den Erklärungen zur Organspende nach § 2 Abs. 2 TPG – Einwilligung oder Widerspruch – sind keine gesonderten Formvorschriften zu beachten, sodass diese sowohl schriftlich (dann vorzugsweise im Organspendeausweis) als auch mündlich formlos erfolgen können. Der Widerruf einer einstmals erklärten Einwilligung kann ebenso formlos und jederzeit erklärt werden. Bei Vorliegen eines Widerspruches ist eine Entnahme gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 TPG absolut unzulässig.28 In § 2 Abs. 2 S. 1 TPG wird dem Spender darüber hinaus die Möglichkeit eingeräumt, eine von ihm namentlich benannte Person seines Vertrauens mit der Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung einer postmortalen Spende zu beauftragen, falls er sich nicht selbst der Wahl aussetzen möchte oder sich selbst nicht zu einer Entscheidung in der Lage sieht. Vor dem Hintergrund der Transparenz des Organentnahmeprozesses und zur nochmaligen Absicherung des Willens des Verstorbenen findet sich in § 3 Abs. 3 TPG die Regelung, dass die Angehörigen über die beabsichtigte Organentnahme vorab informiert werden müssen und ihnen ein Recht auf Akteneinsicht zusteht. bb) Zustimmung durch die nächsten Angehörigen Wenn von dem Verstorbenen keine eigene Einwilligung vorliegt und auch keine Vertrauensperson auserwählt worden ist, kommt die gegenüber § 3 TPG subsidiäre Regelung des § 4 TPG zum Tragen. Die Vorschrift bildet neben dem § 3 TPG die Zentralvorschrift für die Zulässigkeit einer Organentnahme post mortem.29 Die Subsidiarität des Entscheidungsrechts der nächsten Angehörigen ergibt sich dabei ausdrücklich aus § 4 Abs. 1 TPG, der normiert, dass diese erst in den Willensfindungsprozess zur Organspende mit eingebunden werden sollen, sofern eine Einwilligung oder ein Widerspruch des Verstorbenen nicht vorliegt. Vielmehr soll durch die Mithilfe der Angehörigen primär nur der mutmaßliche Wille des Verstorbenen gem. § 4 Abs. 1 S. 1 TPG ermittelt werden. Erst und nur, wenn Anhaltspunkte für die Ermittlung eines solchen Willens fehlen, steht die Entscheidung über eine Organ25

Weber, in: Höfling, TPG Kommentar, § 4, Rn. 1. Die Definition des nächsten Angehörigen findet sich in § 1a Nr. 5 TPG. 27 Resch, Die empfängergerichtete Organspende, S. 28. 28 Ein wirksamer Widerspruch gegen eine Organentnahme ist gem. § 2 Abs. 2 S. 3 TPG bereits ab dem vierzehnten Lebensjahr möglich. 29 Weber, in: Höfling, TPG Kommentar, § 4 Rn. 1. 26

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entnahme den nächsten Angehörigen als „Sachwalter“30 des über den Tod hinausgehenden Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen in eigenem „ethisch verantwortbaren Ermessen“ zu.31 Liegt hingegen eine Erklärung des Verstorbenen vor, ist diese wegen § 3 TPG absolut und unzweifelhaft vorrangig zu behandeln, und dennoch durchgeführte Angehörigengespräche haben auf den Entscheidungsprozess keinen Einfluss.32 Im Jahr 2019 basierten 44,2 % der insgesamt 1040 Fälle einer Zustimmung zu einer postmortalen Organentnahme auf dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen. Eine eigene Entscheidung der Angehörigen führte in 12,2 % der Fälle zu einer Zustimmung.33 Im Organspendeausweis schriftlich festgehalten hatten eine Zustimmung lediglich 18,8 % der Verstorbenen, während 24,8 % vorher bereits mündlich ihre Zustimmung erteilt hatten.34 Vom Gros der Bürger wird die Entscheidung pro oder contra Organspende also ihren Angehörigen aufgebürdet. Wie bereits dargelegt, ist die Einbeziehung der Angehörigen kennzeichnend für die erweiterte Zustimmungslösung.35 Die nächsten Angehörigen können – bei nicht geäußertem Willen und Fehlen wesentlicher Hinweise auf den mutmaßlichen Willen – anstelle des Verstorbenen eine Erklärung abgeben. Hierin liegt zugleich die Krux bei der Zustimmungslösung in ihrer erweiterten Variante. Denn bei Abstellen auf einen mutmaßlichen Willen oder gar einen eigenen Willen der nächsten Angehörigen ist das Selbstbestimmungsrecht des Verstorbenen durch das Risiko von (unerkannten) Fehlentscheidungen erheblichen Einschränkungen ausgesetzt.36 b) Die „Entscheidungslösung“ Die erweiterte Zustimmungslösung geriet in den letzten Jahren vor dem Hintergrund niedriger Spendenzahlen vermehrt in die Kritik. Ausgelöst durch eine Nierenspende des damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD und derzeitigen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier an seine Ehefrau, forderten einige Parlamentarier und der damalige Präsident der BÄK37 die Einführung einer Widerspruchslösung insbesondere auch deshalb, da seit Jahren zwischen der grundsätzlich positiven Einstellung der Bevölkerung zum Thema Organspende und der tatsächlich im Organspendeausweis rechtsverbindlich dokumentierten Spendebereitschaft eine

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BT-Drs. 13/8027, S. 9. Weber, in: Höfling, TPG Kommentar, § 4, Rn. 5. 32 Weber, in: Höfling, TPG Kommentar, § 4, Rn. 5. 33 DSO Jahresbericht 2019, S. 62. 34 DSO Jahresbericht 2019, S. 62. 35 Vgl. auch Schachtschneider/Siebold, Die „erweiterte Zustimmungslösung“ des Transplantationsgesetzes im Konflikt mit dem Grundgesetz, DÖV 2000, 129 ff. 36 Schroth, in: Schroth/Gutmann/König/Uduncu, TPG Kommentar, § 4 Rn. 13. 37 Klinkhammer/Richter-Kuhlmann, Dtsch. Ärztbl. 2010, A-991. 31

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

enorme Lücke klafft.38 Durch die Einführung einer Widerspruchslösung sollte der in § 1 Abs. 1 TPG normierten Zielsetzung des TPG, „die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern“, entsprochen werden. Die Idee wurde aber vom Parlament verworfen und anstatt dessen im Jahre 2012 als Ergänzung zur erweiterten Zustimmungslösung, die sog. „Entscheidungslösung“ im Gesetz verankert.39 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte dieses Modell die erwähnte Diskrepanz verringern, ohne den Einzelnen durch eine Erklärungspflicht zu belasten.40 Die Entscheidungslösung sollte ferner die geltende erweiterte Zustimmungslösung nicht ersetzen, sondern Denkanstöße der Bürger zum Thema Organspende geben und so als Ergänzung dienen. Die seitdem in der Bundesrepublik geltende Entscheidungslösung verpflichtet die gesetzlichen und privaten Krankenkassen im neuen § 2 Abs. 1a S. 4 TPG ihren Versicherten über sechzehn Jahren alle zwei Jahre Informationen zur Organspende zur Verfügung zu stellen, um die Bürger in die Lage zu versetzen, sich ernsthaft mit dem Thema zu befassen, um dann eine Entscheidung für oder gegen eine Spende zu treffen zu können.41 Vom gesetzgeberischen Auftrag an die Krankenkassen ist auch die Aufklärung über das Verhältnis von Organspende und Patientenverfügung umfasst. Die Aufklärung hat objektiv und ergebnisoffen stattzufinden, die konkrete Umsetzung liegt aber in den Händen der jeweiligen Krankenkasse, daher ist die Art, wie die Informationen den Bürgern übermittelt werden, unterschiedlich. So haben einige Krankenkassen Informationsbroschüren versandt und andere Onlineinformationen zur Verfügung gestellt.42 Anders als die Terminologie der „Entscheidungslösung“ impliziert, muss vom Bürger aber nach wie vor keine verbindliche Entscheidung getroffen werden, denn nach § 2 Abs. 2a TPG darf niemand verpflichtet werden eine Erklärung zur Organspende abzugeben.43 Im Juni 2019 entbrannte die Diskussion um die Einführung einer Widerspruchslösung erneut und ein fraktionsübergreifender Antrag44 zur Einführung einer „doppelten“45 Widerspruchslösung in das TPG wurde in den Bundestag einge38 So standen nach einer Umfrage der BZgA bereits im Jahr 2010 mehr als zwei Drittel der Befragten (79 %) einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüber. Vgl. „Einstellung, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevo¨ lkerung zur Organ- und Gewebespende“ vom Oktober 2010, S. 36. 39 Vgl. Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz vom 12. Juli 2012, BGBl. I, 1504. 40 BT-Drs. 17/9030 S. 20. 41 Herbst-Cokbudak, Das System der Organspende in Deutschland, GuP, 2016, 100 ff. 42 Leber/Reinemann, Transplantationsmedizin in Deutschland, GKV Lesezeichen, 2014, S. 71. 43 Neft, Reform des Transplantationsgesetzes, MedR 2013, 82 (83); Dannecker/Streng, Die Neuregelungen des Transplantationsrechts durch den Gesetzgeber und die Bundesärztekammer, in: FS Schiller 2014, S. 143. 44 BT-Drs. 19/11096. 45 Die „doppelte“ Widerspruchslösung erhält ihre Bezeichnung durch die Nachfrageverpflichtung bei den Angehörigen, ob nicht doch ein schriftlicher Widerspruch oder ein entgegenstehender Wille des Verstorbenen vorliegt. Die Nachfrage soll ein zusätzliches Sicher-

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bracht.46 Der Entwurf fand aber wegen der (bereits im Gesetzgebungsverfahren zum TPG aufgeworfenen)47 verfassungsrechtlichen Kritikpunkte48 zur Widerspruchslösung keine Mehrheit im Parlament.49 Stattdessen wurde ein Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft50 (für eine „optimierte“ Entscheidungslösung)51 bei der Organspende verabschiedet, das am 01. 03. 2022 in Kraft treten wird. Das Gesetz regelt u. a., dass die Abgabe einer Erklärung zur Organspende auch bei Beantragung, Verlängerung oder der persönlichen Abholung bei denen für die Ausstellung und Ausgabe von Personalausweisen und Reisepässen zuständigen Stellen von Bund und Ländern direkt vor Ort möglich ist.52 Diese Stellen sind nunmehr verpflichtet, die Informationen zur Organspende auszuhändigen und auf die Möglichkeit der Erklärungsabgabe im Register hinzuweisen. Ferner haben Hausärzte ihre Patienten regelmäßig und ergebnisoffen zur Organspende zu beraten, wobei insbesondere der Hinweis auf die Abgabe der Erklärung im Register sowie die Voraussetzungen einer Organentnahme Gegenstand der Beratung sein sollen. Darüber hinaus sollen angehende Mediziner in der ärztlichen Ausbildung stärker für das Thema Organspende sensibilisiert werden, sodass durch das Gesetz die Thematik um die Organspende nunmehr Teil des zweiten Abschnitts der ärztlichen Prüfung geworden ist.53 Zusätzlich ist das Grundwissen zur Organspende innerhalb des abzuleistenden ErsteHilfe-Kurses im Vorfeld des Erwerbs der Fahrerlaubnis zu vermitteln.

heitsnetz und „doppelte“ Absicherung für die Wahrung des tatsächlichen Spenderwillens darstellen. Die Angehörigen fungieren insoweit als „Garant“ für die Berücksichtigung des Willens des Verstorbenen. Ein eigenes Entscheidungsrecht stünde den Angehörigen aber nach diesem Modell (und anders als derzeit) nicht (mehr) zu. Vgl. BT-Drs. 19/11096, S. 14. 46 Vgl. dazu Schockenhoff, Paradigmenwechsel zur Widerspruchsregelung?, ZfME 2019, 19 ff.; McColgan, Reformvorschläge zur Organspende – Die Widerspruchslösung auf dem Prüfstand, JZ 2018, 1138 ff. 47 Vgl. zweites Kapitel, Glp. III. 1. a) und IV. 2. 48 Vgl. zur Kritik beispielsweise: Schäfer, Für und Wider der Widerspruchsregelung, NJ 2019, 45 ff.; Augsberg/Dabrock, Widersprüchlich und keine Lösung, Gastbeitrag in der FAZ vom 15. 10. 2019. 49 Für die Einführung der Widerspruchslösung hingegen: Rosenau/Knorre, Die rechtliche Zulässigkeit der erweiterten (doppelten) Widerspruchslösung in der Organtransplantation, ZfME 2019, 45 ff.; Scheinfeld, Organgewinnung per Widerspruchslösung- ein Segen, medstra 2018, 321 ff. 50 BGBl. I, 2020, Nr. 13, S. 497. Diesem liegt ebenfalls ein fraktionsübergreifender Entwurf zugrunde. Vgl. BT-Drs. 19/11087. 51 Vgl. Bormann, Plädoyer für die (Weiterentwicklung der) Entscheidungslösung, ZfME 2019, 35 ff. 52 BT-Drs. 19/11087, S. 5. Diese Idee ist indes nicht neu. Ein ähnliches Modell wurde bereits von Samson im Jahr 1974 vorgeschlagen, vgl. Samson, Legislatorische Erwägungen zur Explantation von Leichenteilen, NJW 1974, 2030 (2034). 53 BT-Drs. 19/11087, S. 13.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

III. Organisation einer postmortalen Organtransplantation Nach den im dritten Abschnitt normierten Vorschriften zur Lebendspende legt der folgende Abschnitt des TPG die organisatorischen Anforderungen für die Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen und die Zusammenarbeit der am Transplantationsprozess beteiligten Institutionen fest. Durch die Trennung der Zuständigkeiten und der nunmehr durch das TPG vorgeschriebenen Beteiligung der historisch erwachsenen unterschiedlichen Akteure am Transplantationssystem hat der Gesetzgeber ein schwer überschaubares und komplexes Organisationskonzept geschaffen.

1. Entnahmekrankenhäuser, § 9a TPG – Spenderseite Nach § 9 Abs. 1 TPG darf eine Entnahme von Organen nur in dafür zugelassenen und nach § 9a TPG definierten sog. Entnahmekrankenhäusern erfolgen. Entnahmekrankenhäuser sind dabei „die nach § 108 des Fünften Sozialgesetzbuches oder nach anderen gesetzlichen Bestimmungen zugelassenen Krankenhäuser, die nach ihrer räumlichen und personellen Ausstattung in der Lage sind, Organentnahmen von möglichen Spendern nach § 3 oder § 4 (…) zu ermöglichen.“ Eine Organentnahme kann dann in einem Krankenhaus stattfinden, wenn es mindestens über eine Intensivstation mit Beatmungsplätzen verfügt.54 In Deutschland erfüllen derzeit ca. 1230 Krankenhäuser diese Minimalanforderung und sind damit Entnahmekrankenhäuser im Sinne des Transplantationsgesetzes.55 a) Aufgaben Nach § 9a Abs. 2 TPG treffen die Entnahmekliniken ausgewählte Melde- und Sorgfaltspflichten. Als primäre Pflicht gem. § 9 Abs. 2 Nr. 1 TPG haben die Entnahmekliniken den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, Kleinhirns und des Hirnstamms von Patienten, die als Organspender in Betracht kommen, unverzüglich der Koordinierungsstelle zu melden. Den Entnahmekrankenhäusern kommt durch die Identifizierung von Verstorbenen als potenziellen Organspendern eine zentrale Schlüsselfunktion im gesamten Organisationssystem des Transplantationswesens zu. Die Durchführung einer Hirntoddiagnostik ist nämlich allererster Schritt für eine mögliche Organentnahme, sodass die konsequente Mitwirkung der Entnahmekrankenhäuser für ein funktionierendes System unerlässlich ist. Seit Jahren verdichten sich allerdings Hinweise darauf, dass nicht alle Entnahmekrankenhäuser der gesetzlichen Meldepflicht auch ausreichend 54

BT-Drs. 17/7376, S. 19. Die DSO hat eine Liste der bundesweiten Entnahmekrankenhäuser nach § 9a TPG im Internet veröffentlicht. 55

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nachkommen. Im Jahr 2005 haben sich nach Angaben der Koordinierungsstelle lediglich 45 Prozent der Krankenhäuser mit Intensivstationen an der Organspende beteiligt, das heißt mindestens Kontakt wegen einer in Betracht kommenden Organentnahme aufgenommen.56 Diese Differenz zwischen theoretisch möglichen und tatsächlich realisierten Organentnahmen57 wird (neben zahlreichen weiteren Aspekten) auch vermehrt auf eine fehlende finanzielle Refinanzierung der durch das Entnahmekrankenhaus durchgeführten, aufwändigen Hirntoddiagnostik zur regelmäßigen Meldung aller potenziellen Spender sowie auf fehlende Sanktionsmöglichkeiten durch das TPG zurückgeführt.58 Die Organspende ist – gerade in kleineren, regionalen – Krankenhäusern ein vergleichsweise seltenes Ereignis, sodass von Klinik zu Klinik teilweise erhebliche Unterschiede bei der fachlichen Qualifikation bestehen. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass statistisch im Durchschnitt bei Krankenhäusern ohne Neurochirurgie nur alle fünf Jahre eine Organentnahme stattfindet. Gerade die kleineren Häuser sind zur Durchführung der Hirntoddiagnostik ohne Hinzuziehung von externen Konsiliarärzten oftmals gar nicht in der Lage. Vor dem geschilderten Hintergrund, dass nur die wenigsten Bundesbürger eine Erklärung zur Organspende abgegeben haben, sehen sich Ärzte und Personal der Entnahmekrankenhäuser zwangsläufig mit dem sehr belastenden Angehörigengespräch im direkten Anschluss an das Ableben des Patienten konfrontiert. Auch sind die Ablehnungsraten der Angehörigen nicht zu unterschätzen, denn liegt keine Einwilligung des Verstorbenen vor, entscheidet sich der Großteil der Angehörigen gegen eine Organentnahme.59 Ferner bestehen teilweise auch Widersprüche zwischen in der Patientenverfügung festgelegten Ablehnung intensivtherapeutischer Maßnahmen und der Realisierung einer Organspende unter Aufrechterhaltung der Homöostase.60 Den Krankenhäusern generell mangelndes Engagement bei der Identifikation möglicher Spender zu unterstellen, erscheint daher schwierig, da bei Erhebung des Spenderpotenzials durch retrospektive Studien ein erheblicher methodischer Spielraum besteht, sodass das nicht ausgeschöpfte Potenzial schwierig

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Die Zahl der Organspenden erhöhen – zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland, Stellungnahme des Nationalen Ethikrats vom 24. April 2007, S. 20. 57 Es gibt auch Studien, die das unzureichende Meldeverhalten der Entnahmekrankenhäuser nicht bestätigen. Vielmehr hätten die an dem Pilotprojekt teilnehmenden Krankenhäuser die Mehrzahl der Verstorbenen Spender an die DSO gemeldet. Vgl. Blum, Abschlussbericht Inhousekoordination bei Organspenden, Deutsches Krankenhaus Institut, S. 103. 58 Die Zahl der Organspenden erhöhen – zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland, Stellungnahme des Nationalen Ethikrats vom. 24. April 2007, S. 16; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 105. 59 Vgl. DSO Jahresbericht 2018, S. 58. 60 Therapielimitierungen machten in der von Blum durchgeführten Studie bis zu ein Viertel der Ausschlussgründe für eine nicht durchgeführte Hirntoddiagnostik aus. Vgl. Blum, Abschlussbericht Inhousekoordination bei Organspenden, Deutsches Krankenhaus Institut, S. 109 ff.

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abzuschätzen ist.61 Dennoch zeigen jüngere Studien, dass der Anteil der gemeldeten Organspender in letzten Jahren (weiter) stark abgenommen hat, wobei teilweise große Diskrepanzen zwischen den unterschiedlichen Entnahmekrankenhäusern bestehen.62 Der Gesetzgeber reagierte auf dieses Defizit im Jahr 2019 durch eine Novelle, die das TPG u. a. hinsichtlich der organisatorischen Rahmenbedingungen für die Realisierung von Organspenden in Entnahmekrankenhäusern einigen Neuerungen unterzog.63 b) Transplantationsbeauftragter, § 9b TPG Neben den in § 9a Abs. 2 TPG normierten Melde- und Sorgfaltspflichten trifft die Entnahmekrankenhäuser nach § 9b TPG die zusätzliche Verpflichtung, einen sog. Transplantationsbeauftragten zu bestellen.64 Nach § 9b Abs. 2 Nr. 1 TPG ist der Transplantationsbeauftragte insbesondere dafür verantwortlich, dass die Entnahmekrankenhäuser ihrer Meldeverpflichtung der potenziellen Organspender aus § 9a TPG nachkommen. Ferner erstreckt sich das Tätigkeitsfeld des Transplantationsbeauftragten nach § 9b Abs. 2 TPG auch auf eine angemessene Begleitung der Angehörigen. Zudem ist er ebenfalls für die ordnungsgemäßen Handlungsabläufe in den Entnahmekrankenhäusern und für die regelmäßige Information der Ärzte und des Pflegepersonals über den Prozess der Organspende zuständig, um möglichen Fehlvorstellungen oder Missverständnissen über den Transplantationsprozess vorzubeugen. Das TPG verpflichtet ihn darüber hinaus auch zur Auswertung aller Todesfälle, bei denen eine Organspende möglich gewesen wäre und eine Meldung an die Koordinierungsstelle nach § 9a Abs. 2 Nr. 2 TPG trotzdem nicht erfolgt ist. Das Nähere (insbesondere zur Qualifikation und zur organisationsrechtlichen Stellung) des Transplantationsbeauftragten ist nach Landesrecht festzulegen. Das TPG enthält in § 9b daher einen konkreten Gesetzgebungsauftrag an die Landesgesetzgeber.65

2. Transplantationszentren, § 10 TPG – Empfängerseite Während die Entnahme der Organe in jedem zugelassenen Entnahmekrankenhaus erfolgen kann, darf die Übertragung der Organe nur in zugelassenen Transplanta-

61 Vgl. ausführlich dazu Blum, Organspendesituation in deutschen Krankenhäusern, 2007, S. 163. 62 Schulte et al., Decline in organ donation in Germany-a nationwide secondary analysis of all inpatient cases, Dtsch. Arztebl. Int. 2018, 463 ff. 63 Zweites Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes- Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende, BGBl. I, 352. 64 Hat ein Entnahmekrankenhaus mehrere Intensivstationen, ist jeweils ein Transplantationsbeauftragter pro Intensivstation zu bestellen. 65 Vgl. BT-Drs. 18/10854, S. 23 f.

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tionszentren vorgenommen werden.66 Nach § 13 Abs. 3 S. 1 TPG hat der behandelnde Arzt „Patienten, bei denen die Übertragung vermittlungspflichtiger Organe medizinisch angezeigt ist, mit deren schriftlicher Einwilligung unverzüglich an das Transplantationszentrum zu melden, in dem die Organübertragung vorgenommen werden soll.“ Der Begriff des Transplantationszentrums wird in § 10 Abs. 1 TPG festgelegt. Es handelt sich dabei um Krankenhäuser oder Einrichtungen an Krankenhäusern, die nach § 108 SGB V für die Übertragung der Organe Verstorbener zugelassen sind.67 Derzeit sind nach Angaben der DSO in Deutschland 46 Transplantationszentren mit 134 Transplantationsprogrammen zugelassen.68 Da die Transplantationszentren nach einer Organentnahme für die anschließende Übertragung zuständig sind, ist neben u. a. Dokumentations- und Qualitätssicherungspflichten69 ihre primäre gesetzliche Aufgabe gem. § 10 Abs. 2 Nr. 1 TPG das Führen von organspezifischen Wartelisten70 aller in Frage kommenden potenziellen Organempfänger. Nach der Diagnose einer schwerwiegenden Erkrankung (die eine Transplantation erforderlich macht) durch den behandelnden Arzt, erfolgt die Vorstellung des Patienten in einem Transplantationszentrum. Patienten, bei denen eine Organtransplantation die Therapieoption der Wahl ist, sollen von den Transplantationszentren unter Angabe der für die Vermittlungsstelle erforderlichen Daten auf die Warteliste zur Organtransplantation aufgenommen werden. Dass den Transplantationszentren dabei ein nicht unerheblicher eigener Entscheidungsspielraum verbleibt, wird noch zu zeigen sein.

3. Nationale Koordinierungsstelle nach § 11 TPG Die Entnahme und Übertragung von Organen ist nach dem TPG gemeinschaftliche Aufgabe der Entnahmekrankenhäuser und der Transplantationszentren. Für die flächendeckende, bundesweite Koordinierung ist nach § 11 Abs. 1 TPG eine sog. Koordinierungsstelle zu beauftragen. Aufraggeber der Koordinierungsstelle sind die BÄK, der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG).71 Durch nach (§ 11 Abs. 3 TPG 66 Organisatorisch ist es allerdings möglich, dass ein Transplantationszentrum auch gleichzeitig ein Entnahmekrankenhaus i. S. d. § 9b TPG ist und dass ein dort explantiertes Organ auch dort wieder implantiert wird. 67 Für die Zulassung von Privatkrankenhäusern ist eine Konzessionserteilung zur Übertragung von Organen nach § 30 GewO erforderlich. 68 DSO Jahresbericht, 2019, S. 48. BT-Drs. 18/10854, S. 20. 69 Vgl. umfassend zu den Dokumentationspflichten der Transplantationszentren insbesondere nach Bekanntwerden der Manipulationen im Bereich der Transplantationsmedizin, Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 111. 70 Vgl. zur Begriffsproblematik der „Warteliste“: Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin S. 166; Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 7. 71 Im Folgenden als „TPG-Auftraggeber“ bezeichnet.

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vom Bundesgesundheitsministerium genehmigten) Vertrag (Koordinierungsstellenvertrag) vom 27. Juni 200072 wurde die DSO als Auftragnehmerin beauftragt. Die DSO wurde nach hessischem Stiftungsrecht gegründet und stellt nach § 1 Nr. 2 ihrer Satzung eine rechtsfähige Stiftung des Bürgerlichen Rechts dar.73 Gemeinnütziger Zweck der DSO ist gem. § 2 Nr. 1 ihrer Satzung die „Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege im Bereich der Organtransplantation, insbesondere durch die Wahrnehmung spezifischer Aufgaben nach dem Transplantationsgesetz“. Die Kontrolle der DSO erfolgt zum einen durch den eigenen Stiftungsrat, in den die TPG-Auftraggeber und Vertreter der DTG74 entsandt werden und zum anderen durch die sog. Überwachungskommission.75 Ein in der Bundesrepublik entnommenes vermittlungspflichtiges Organ, darf nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 9 Abs. 1 S. 3 TPG nur transplantiert werden, wenn die Koordination durch die DSO erfolgt ist. Dadurch ergibt sich ein „Koordinierungsmonopol,“76 der DSO, das historisch erwachsen77 und heute durch das TPG und den Koordinierungsstellenvertrag festgelegt ist. Bundesweit existieren neben der Zentrale der DSO sieben rechtlich unselbstständige Organisationseinheiten.78 Die Aufgaben der DSO wurden im Koordinierungsstellenvertrag in § 2 Abs. 3 Nrn. 1 – 17 von den TPG-Auftraggebern unter Einhaltung des in § 11 Abs. 2 Nrn. 1 – 5 TPG gesetzlich normierten Mindestinhaltes festgelegt. Zu den Kernaufgaben79 der DSO gehört neben der Unterstützung der Entnahmekrankenhäuser bei der Hirntoddiagnostik nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 des Vertrages ebenso die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Organentnahme vorliegen. Unter Beachtung der Richtlinie der BÄK zu den Anforderungen an eine Organentnahme zum Schutz des Organempfängers nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TPG, hat die DSO durch die notwendigen Datenerhebungen und Untersuchungen sicherzustellen, dass die Voraussetzungen einer Organentnahme vorliegen, also eine 72 Vertrag nach § 11 Abs. 2 Transplantationsgesetz zur Beauftragung einer Koordinierung stelle (Koordinierungsstellenvertrag) vom 15. Februar 2016. Zwar lautet die Überschrift „Änderung des Vertrages nach § 12 Abs. 3 TPG.“ Dabei handelt es sich aber um einen redaktionellen Fehler, vgl. auch Bundesgesundheitsministerium, Berichtigung der Bekanntmachung der Änderung des Vertrags nach § 12 Abs. 3 TPG, Berichtigung der Veröffentlichung in BAnz AT 18. 2. 2016 B2, BAnz AT 26. 2. 2016 B3. 73 Satzung der Deutschen Stiftung Organtransplantation vom 8. Juli 2013. 74 Vgl. zweites Kapitel, Glp. I, 4. 75 Vgl. dazu sogleich, Glp. III, 5. 76 BT-Drs. 16/13740, S. 42. 77 Vgl. zweites Kapitel, Glp. I. 2. 78 Die DSO-Nord ist zuständig für die Bundesländer: Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen; die DSO-Nordost ist zuständig für: Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern; die DSO-Ost für: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und die DSO-Mitte für: Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern haben jeweils eine eigene Organisationseinheit (DSO-BaWü, DSO-NRW und DSOBayern). 79 Zu den zahlreichen weiteren Aufgaben der DSO vgl. Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 11.

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Übertragung auf einen Empfänger für diesen unschädlich ist.80 Neben der Organisation der Entnahme durch qualifizierte Ärzte sowie der unter deren Aufsicht vorgenommenen Konservierung, Perfusion, Verpackung und Kennzeichnung der entnommenen Organe hat die DSO nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 des Vertrags die nationalen und internationalen Transporte der Entnahmeteams sowie den der entnommenen Organe zu den Organempfängern zu organisieren. Die DSO übermittelt ferner die für die Organvermittlung erforderlichen Daten (z. B. Kenn-Nummer des Organs) an die Vermittlungsstelle und leitet die von der Vermittlungsstelle getroffene Entscheidung an das betreffende Transplantationszentrum, in dem die Organübertragung vorgenommen werden soll, weiter. Ferner hat die DSO in Zusammenarbeit mit der Vermittlungsstelle, den Transplantationszentren und den Entnahmekrankenhäusern, Daten zur Durchführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen zu sammeln und ist nach § 11 Abs. 5 TPG (und § 5 des Vertrages) dazu verpflichtet, jährlich einen Tätigkeitsbericht u. a. zu Art und Anzahl der durchgeführten Transplantationen zu veröffentlichen. Durch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes aus dem Jahr 201281 hat der Gesetzgeber, um die Rolle der DSO zu stärken, die Befugnisse der Koordinierungsstelle durch die Verpflichtung zum Erlass von zahlreichen „Verfahrensanweisungen“ gem. § 11 Abs. 1a TPG noch erweitert. Die Erstellung dieser Verfahrensanweisungen wurde sodann auch im Koordinierungsstellenvertrag als zentrale Aufgabe der DSO in § 2 Abs. 3 Nr. 1 aufgenommen.82

4. Internationale Vermittlungsstelle, § 12 TPG Darüber hinaus sind die TPG-Auftraggeber gem. § 12 Abs. 1 S. 1 TPG verpflichtet, zur Vermittlung der vermittlungspflichtigen Organe gemeinsam eine geeignete Einrichtung – die sog. Vermittlungsstelle – zu beauftragen. Der Gesetzgeber begründete diese Verpflichtung damit, dass die Organvermittlung „keine zwingende Staatsaufgabe“ sei; der Staat könne sich daher – dem Subsidiaritätsgrundsatz entsprechend – privatrechtlicher Mittel bedienen.83 Der Gesetzestext überlässt ferner in § 12 Abs. 2 den Auftraggebern die Entscheidung, eine auch außerhalb des Geltungsbereichs des TPG geeignete Institution zu beauftragen. Die privatrechtlich organisierte und gemeinnützige Stiftung ET mit Sitz im niederländischen Leiden nimmt seit ihrer Gründung fortan im Interesse der „optimalen Verwendung von Organen“ die Funktion als europäische Vermittlungsstelle zwischen den beteiligten Transplantationszentren in den verschiedenen dem Verbund zugehörigen Ländern wahr. 80

Dies soll nach § 2 Abs. 3 Nr. 4 des Koordinierungsstellenvertrages insbesondere durch Untersuchungen der Organfunktion, Immunologie, Virologie, Bakteriologie, Blutgruppenbestimmung und Pathologie sichergestellt werden. 81 BGBl. I, 1601. 82 Zu den Verfahrensanweisungen der DSO vgl. Glp. IV. 2. 83 BT-Drs. 13/4355, S. 14.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

a) Beauftragung Eurotransplant Die TPG-Auftraggeber beauftragten (vor dem dargelegten historischen Kontext und der auf diese Möglichkeit geradewegs zugeschnittenen Norm wenig überraschend)84 die niederländische Stiftung ET durch privatrechtlichen Vertrag im Jahr 200085 mit der Vermittlung der postmortal86 entnommenen Organe. Bereits vor Existenz einer gesetzlichen Regelung nahm ET auf Grundlage des Vertrages mit dem KfH, der DSO und den Spitzenverbänden der Krankenkassen vom 01. Juli 1989 die Tätigkeit als Vermittlungsstelle wahr. In dem Vermittlungsstellenvertrag ist nach dem Willen des Gesetzgebers gem. nach § 12 Abs. 4 TPG (ähnlich dem § 11 Abs. 2 TPG) der genaue Aufgabenbereich ETs mit Wirkung für die Transplantationszentren durch die Auftraggeber zu konkretisieren. Voraussetzung für die Beauftragung ETs ist ausweislich der Gesetzesbegründung zudem, dass auch bei einer im Ausland ansässigen Vermittlungsstelle die Vermittlung der Organe nach den Regelungen des TPG zu erfolgen hat.87 ET umfasst derzeit einen Verbund von acht Ländern88 mit insgesamt ca. 136 Millionen Einwohnern und 81 Transplantationszentren.

b) Aufgaben aa) Organisatorische Abwicklung der Vermittlungsentscheidung Wenn ein oder mehre Organe eines Spenders zur Verfügung stehen, muss alsbald (kalte Ischämiezeit) der passende Organempfänger ermittelt werden. Zu diesem Zweck übersendet die DSO die erforderlichen Daten des Spenders an die Vermittlungsstelle ET. Diese übernimmt alle zur Vermittlung des jeweiligen Organs notwendigen Aufgaben für die Zuordnung der gespendeten Organe an die passenden Empfänger. Dazu bedient sich ET eines Computersystems, dem Eurotransplant Information Network System („ENIS“)89 um Empfänger, Spender und Transplanta84

Vgl. zweites Kapitel, Glp. I. 1. Der Vertrag mit der Vermittlungsstelle ist nur im Internet auffindbar, wobei die aktuelle Version des Vertrages in seiner seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung (vgl. Bekanntmachung vom 18. 4. 2005 im BAnz. Nr. 124a vom 6. 7. 2005, S. 14 ff.) nicht veröffentlicht ist. Ferner ist beabsichtigt, die Verhandlungen mit der Vermittlungsstelle u¨ ber den Vertrag in Ku¨ rze wieder aufzunehmen. Vgl. BT-Drs. 18/10854 S. 28. Eine Überarbeitung des Vermittlungsstellenvertrages ist aber bislang nicht erfolgt. 86 Durch den gem. § 8 TPG gesetzlich begrenzten Empfängerkreis für eine Lebendspende (nur nächste Angehörige), ist im Bereich der Lebendspende keine Vermittlungstätigkeit erforderlich. 87 BT-Drs. 13/4355, S. 25; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplant im Sinne des § 12 TPG, S. 9. 88 Zu diesen Ländern gehören: Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Slowenien, Schaupp, Herausforderung Transplantationsmedizin, ZfME 2019, 3 (7). 89 Vgl. dazu das Eurotransplant ENIS User Manual vom 2. 12. 2016 auf der Homepage von Eurotransplant. 85

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tionen zu registrieren und die Vermittlung („Matching“) für das einzelne Organ durchzuführen. In der ENIS-Datenbank werden die für die verschiedenen Bereiche der Organvermittlung notwendigen Daten aufgenommen und verwaltet. Jedes Transplantationszentrum kann – durch entsprechende Eingaben der zugriffsberechtigten Personen – seine eigenen Informationen über das Zentrum, die Empfänger und die Transplantate eingeben, aktualisieren und abrufen. Sowohl mögliche Spender als auch Empfänger müssen bei ENIS registriert werden.90 Auf Spenderseite enthält ENIS eine detaillierte medizinische Tabelle sowie Informationen über die (relevante) medizinische und soziale Geschichte sowie Labortests.91 Für die Transplantationszentren besteht die Möglichkeit, bei ENIS spezifische, zentrumsbezogene Akzeptanzbedingungen von Organen (z. B. keine Annahme von Organen eines Spenders über 65 Jahren) festzulegen, das sog. „Zentrumsprofil“. Zusätzlich können im spezifischen „Patientenprofil“ persönliche Akzeptanzbedingungen des einzelnen Patienten festgelegt werden. Das jeweils angegebene Profil findet dann automatisch auf alle Patienten des Zentrums Anwendung, die bei ET gelistet sind. Zwischen den Wartelisten der Transplantationszentren und der von der Vermittlungsstelle geführten Warteliste ist zu differenzieren. Denn nach § 5 Abs. 4 des Vermittlungsstellenvertrages erstellt ET eine „organspezifische Match-Liste“. Konkret bedeutet das, dass erst nach der Meldung z. B. einer Spenderleber für genau diese konkrete Leber von ET eine Rangliste erstellt wird. Auf dieser Match-Liste werden dann die Empfänger, die für genau dieses Organ in Betracht kommen (z. B. wegen immunologischer Übereinstimmung und/oder passenden Zentrums-, oder Spenderprofils), in einer bestimmten Rangfolge aufgelistet.92 Es gibt demnach keine allgemeine Warteliste auf der von vorneherein alle Patienten, die für eine Leber in ENIS registriert sind, aufgelistet werden. Ferner spielt die tatsächliche Wartezeit (außerhalb der Nierentransplantation) eine eher untergeordnete Rolle.93 Ein möglicher Abgang von der Warteliste (durch erfolgte Transplantation, Tod oder aus sonstigen Gründen) muss umgehend bei ENIS eingetragen werden.94 Kommt ein 90 Jeder Zugriffsberechtigte der Transplantationszentren verfügt über einen eigenen Nutzernamen und Passwort. Die Listung erfolgt „im Vertrauen auf die Richtigkeit“ (LG Leipzig Beschluss vom 7. 2. 2018, 1 Ks 301 Js 213/13) der von den Transplantationszentren erfolgten Eingaben in die vorgegebene Maske. Seit der am 25. Mai 2018 in Kraft getretenen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten für die Verwendung seiner Daten durch ET sowie für den Austausch mit nationalen oder internationalen Registern, verlangt. 91 Ferner sendet ET Blutproben für die AB0- und HLA-Typisierung an das angeschlossene Gewebe-Typisierungslabor und führt virologische sowie bakteriologische Tests durch. Zur AB0-Blutgruppenkompatibilität vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 2. b) aa). 92 Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 279. Für den weiteren Verlauf der Untersuchung wird der Begriff „Match-Liste“ für die Wartelisten von ET verwendet. 93 Zur Allokation bei der Lebertransplantation vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 2. b). 94 Für den Fall einer Retransplantation ist kein erneutes Ausfüllen des Erstzulassungsformulars erforderlich.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

Patient vorübergehend (auf Grund schlechten gesundheitlichen Zustandes oder aus sonstigen Gründen) nicht für eine Transplantation in Frage, wird er bei ET nicht abgemeldet, sondern erhält den Status „nicht transplantabel (NT)“. Alle anderen Patienten, werden mit dem Status „transplantabel“ (T)“ registriert. Nach Erstellung der Match-Liste bietet ET das Spenderorgan im Standardverfahren (oder auch Regelallokation) dem Transplantationszentrum empfängerbezogen und verbindlich an, bei dem der erstplatzierte Patient gelistet ist, sog. „Erstangebot“.95 Die Entscheidung, ob das Organ angenommen wird, trifft der behandelnde Transplantationschirurg im Transplantationszentrum bzw. letzten Endes der Patient selbst innerhalb einer organspezifischen Frist. Da heute allerdings bis zu 70 % der Organe durch Vorerkrankungen des Spenders beschädigt oder von Verstorbenen über 65 Jahren stammen (sog. „eingeschränkt vermittelbare Organe“),96 wird das Erstangebot häufig wegen mangelnder Qualität des Organs abgelehnt. Daher erfolgt zeitgleich durch ET das zweite Angebot an das Zentrum des Zweitplatzierten, sog. „Reserveangebot“.97 Wird auch dieses abgelehnt, erfolgen weitere Angebote an die nachplatzierten Patienten. Droht der Verlust des Organs aus medizinischen (z. B. Kreislaufinstabilität des Spenders) oder logistischen Gründen, kann ET das Organ nach dem sog. beschleunigten Verfahren (oder auch „Rettungsallokation“)98 unabhängig von der Match-Liste vermitteln.99 Bleibt im beschleunigten Verfahren zur Vermittlung des Organs nur noch wenig Zeit, bietet ET das Organ mehreren Zentren in der Umgebung zeitgleich an.100 Die Zuteilung erfolgt dann nach dem first-comefirst-serve Prinzip, wobei das Zentrum den Empfänger dann eigenständig aus seinen Patienten auswählen darf. Durch die teilweise sehr hohen Ablehnungsquoten der angebotenen Organe durch die Transplantationszentren kam es in den letzten Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Organvermittlungen nach diesem speziellen Verfahren, sodass es in den Fokus der Politik geriet.101 Der Vorwurf, Organe könnten, um mehr beschleunigte Verfahren zu ermöglichen, mit Absicht in ihrer Funktion „schlecht“ gemacht werden, konnte von der Prüfungs-, und Überwachungskommission aber nicht bestätigt werden.102 95

Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 600 ff. So die Terminologie der BÄK in ihren Richtlinien. Von ET werden diese Organe als „marginale“ Organe bezeichnet. Vgl. ET-Manual, Chapter 9, S. 17, s. zum ET-Manual sogleich. 97 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 600. 98 Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 12, Rn. 35. 99 S. dazu auch Schroth, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulationen bei der Leberallokation, NStZ 2013, 437 (439). 100 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 612 ff. 101 Vgl. BT-Drs. 17/9887, S. 89 ff. Im Jahr 2018 wurden 46, 9 % der transplantierten Organe innerhalb der Region des Spenders vermittelt. Bei der Nierentransplantation waren es sogar 66, 8 %. 102 ¨ berwachungskommission gem. § 11 Abs. 3. S. 4 TPG und der Bericht 2012/2013 der U Pru¨ fungskommission gem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG, S. 24, 29; sowie der folgende Bericht 2013/ ¨ berwachungskommission gem. § 11 Abs. 3. S. 4 TPG und der Pru¨ fungskommission 2014 der U 96

III. Organisation einer postmortalen Organtransplantation

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Die eingeschränkt vermittelbaren Organe werden im sog. „modifizierten Verfahren“ nur denjenigen Patienten angeboten, deren Zentrums- bzw. Patientenprofil einer solche Vermittlung nicht entgegensteht.103 bb) Rechtliche Rahmenbedingungen für die Vermittlungsentscheidung Gem. § 12 Abs. 3 TPG sind die vermittlungspflichtigen Organe von der Vermittlungsstelle „nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln.“ Nach § 9 Abs. 2 S. 3 TPG dürfen in der Bundesrepublik postmortal gespendete Organe ausschließlich nur dann transplantiert werden, wenn sie zuvor von der Vermittlungsstelle ET unter Beachtung des § 12 Abs. 3 TPG vermittelt worden sind. Außerhalb dieses Systems gibt es in Deutschland keine legale Möglichkeit, ein Organ zu erhalten. Auf der Grundlage der jeweils ¨ K erstellt die Vermittlungsstelle konkretisierende geltenden Richtlinien der BA Anwendungsregelungen fu¨ r die Organvermittlung, die im sog. „Manual“104 veröffentlicht werden. Das ET-Manual ist in verschiedene Kapitel untergliedert. Neben den für alle vermittlungspflichtigen Organe anzuwendenden Kapiteln „Donor“, „Recipient“ und „Allocation“ sind in Kapitel vier bis sechs u. a. die konkreten Allokationskriterien für die jeweiligen Organe festgelegt.105 ET ist vertraglich dazu verpflichtet, die Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG, in denen die Kriterien zur Vermittlung festgelegt sind, einzuhalten. Dabei sind die Richtlinien der BÄK gegenüber den Anwendungsregeln im Manual vorrangig zu beachten, sollten sie inhaltlich davon abweichen. Die Rangfolge auf der Match-Liste wird von ET durch ein algorithmisches Berechnungsmodell bestimmt. Die Berechnung erfolgt auf Grundlage der im ET-Manual – das wiederum auf den Richtlinien der BÄK zur Organvermittlung nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG basiert, festgelegten Gewichtung der konkurrierenden Allokationskriterien.106 Das Manual und die Richtlinien sind für die Verteilungsentscheidung von zentraler Bedeutung. Nach § 12 Abs. 3 S. 2 TPG trifft ET ferner die Verpflichtung, alle bundesweiten Wartelisten der Transplantatigem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG S. 20. Zur Prüfungs-und Überwachungskommission vgl. sogleich Glp. 5. 103 Vgl. beispielsweise die Richtlinie zur Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. II. 2. 104 Das ET-Manual ist mittlerweile auch online öffentlich zugänglich. Dass dies allerdings bis vor einigen Jahren noch nicht der Fall war, belegt Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 145. Allerdings ist die aktuelle Version nach wie vor ausschließlich auf englisch abrufbar. 105 Für die weitere Untersuchung ist Kapitel fünf des ET-Manuals zum Allokationsverfahren der Leber (Eurotransplant Liver Allocation System [ELAS]) besonders relevant. In den Kapiteln vier und sechs finden sich die Allokationsverfahren für die Niere (Eurotransplant Kidney Allocation System [ETKAS]) sowie Herz und Lunge (Eurotransplant Thoracic Allocation System [EthAS]) vgl. auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 145. 106 Molnár-Gábor, Fruzsina, Die Regelung der Organverteilung durch Eurotransplant – unzulässige ethische Standardsetzung?, in: Vöneky et al., Ethik und Recht – Die Ethisierung des Rechts, S. 330.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

onszentren als einheitliche Warteliste für Deutschland zu behandeln. Diese Vorschrift verbietet damit den (vor Erlass des TPG durchaus üblichen) lokalen Selbstbehalt der Transplantationszentren und entscheidet sich für eine patientenorientierte Allokation.107

5. Prüfungs- und Überwachungskommission Den TPG-Auftraggebern obliegt nach § 11 Abs. 3 S. 3 TPG und § 12 Abs. 5 S. 3 TPG die Verpflichtung, die Einhaltung der Vertragsbestimmungen sowohl von der Koordinierungsstelle DSO, als auch von der Vermittlungsstelle ET zu überwachen. Um der Überwachungspflicht nachkommen zu können, soll von den Auftraggebern gem. § 11 Abs. 3 S. 4 TPG sowie dem wortgleichen § 12 Abs. 4 S. 5 TPG eine Kommission eingesetzt werden, die jeweils aus mindestens einem Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der BÄK und der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder der Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam und zwei Vertretern der Länder zusammengesetzt ist. Die DSO, ET, die Transplantationszentren und die Entnahmekrankenhäuser werden vom TPG in dem folgenden Satz der Vorschrift verpflichtet, der Kommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Kommission hat nach §§ 11 Abs. 3 S. 6, 12 Abs. 5 S. 6 TPG etwaige Kenntnisse über Verstöße gegen das TPG oder auf Grund des TPG erlassener Rechtverordnungen an die zuständigen Landesbehörden weiterzuleiten. Die TPG-Auftraggeber haben zwei Kommissionen gebildet und in eine „Überwachungskommission“, die für die DSO und eine „Prüfungskommission“ die für ET zuständig ist, unterteilt.108 Diese gemeinsame Überwachungs- und Prüfungskommission (PÜK) hat sich eine Geschäftsordnung gegeben (GGO-PÜK),109 aus deren konkretisierender Aufgabenbeschreibung in § 2 Abs. 1 hervorgeht, dass die PÜK zur Erfüllung ihrer gesetzlich übertragenen Aufgaben „verdachtsabhängige sowie kontinuierlich und flächendeckend verdachtsunabhängige Prüfungen der Transplantationszentren, der Entnahmekrankenhäuser sowie der Koordinierungs- und der Vermittlungsstelle“ durchführt. Nach § 3 Abs. 1 GGO-PÜK sind die TPG-Auf107 Gutmann/Land, Ethische und rechtliche Kriterien der Organtransplantation, in: Brudermüller/Seelmann, Organtransplantation, S. 120; Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 12, Rn. 34. Zum lokalen Selbstbehalt vgl. zweites Kapitel, Glp. III. 108 Überwachungskommission gem. § 11 Abs. 3 S. 4 TPG und Pru¨ fungskommission gem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG, Tätigkeitsbericht 2017/2018, S. 7. Die PÜK geht aus einer Grundlagenvereinbarung der TPG-Auftraggeber aus dem Jahre 1998 hervor, vgl. Höfling/Rixen, Rechtsstaatliche Grenzen der Kontrolle von Transplantationszentren durch die Prüfungs- und die Überwachungskommission, GesR 2019, 1, (2). 109 Gemeinsame Geschäftsordnung der Prüfungs- und der Überwachungskommission (GGO-PÜK), Bekanntmachung im Bundesanzeiger BAnz AT 18. 2. 2016 B2, S. 42 ff. Die entsprechende Regelung findet sich ebenfalls in § 10 des DSO-Vertrages und ähnlich auch in § 10 des Vermittlungsstellenvertrages.

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traggeber sowie die zwei von der Gesundheitsministerkonferenz der Länder entsandten Vertreter stimmberechtigte Mitglieder. Nach § 16 Abs. 1 GGO-PÜK werden DSO und ET jährlich und die Transplantationsprogramme der Transplantationszentren der Bundesrepublik alle drei Jahre überprüft. Die Prüfungen erfolgen entweder durch Vor-Ort Prüfungen oder im schriftlichen Verfahren durch eine Prüfgruppe, die aus zwei medizinischen und einem juristischen Sachverständigen besteht und von einem Mitglied der PÜK geleitet werden. Nach erfolgter Prüfung ist der nach § 20 Abs. 1 GGO-PÜK zu erstellende Kommissionbericht der geprüften Einrichtung nach § 21 Abs. 1 GGO-PÜK zuzuleiten. Dieser wird innerhalb einer Frist von vier Wochen die Möglichkeit zur Gegendarstellung gewährt.

a) Anlass zur Stärkung der Kontrollrechte Bis zur Gesetzesnovelle 2012110 enthielt das TPG nahezu keine relevanten Vorgaben zu den Kontroll- und Aufsichtsrechten der TPG-Auftraggeber gegenüber den am Transplantationsprozess maßgeblich beteiligten Institutionen. Lediglich im Hinblick auf die Vermittlungsstelle regelte das ursprüngliche TPG in § 12 Abs. 4 Nr. 4 bereits, dass „Vermittlungsentscheidungen in regelmäßigen Abständen durch eine von den Vertragspartnern bestimmte Prüfungskommission“ zu überprüfen seien.111 Dabei soll ausweislich der Gesetzesbegründung die Kommission insbesondere zu prüfen haben, ob die Vermittlungsentscheidung im Einzelfall nach den gesetzlichen Bestimmungen und den vertraglichen Vermittlungsregeln erfolgt ist.112 Eine entsprechende Regelung zur Koordinierungsstelle enthielt das TPG hingegen nicht. Den Anlass zur gesetzlichen Normierung einer Kontrollmöglichkeit auch gegenüber der Koordinierungsstelle durch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes113 gab die zuvor laut gewordene Kritik an der DSO. In einem an den Bundesgesundheitsminister sowie seinen Ausschuss gerichteten Brief, wurden schwere Vorwürfe gegen den damaligen Vorstand der DSO erhoben.114 Die DSO habe Krankenkassengelder für vertragswidrige Zwecke verwendet.115 Ferner sei unangemessen auf kritische Nachfragen durch Mitarbeiter reagiert worden. Laut weiteren Medienberichten wurde die Arbeitsatmosphäre als „nach Gutsherrenart“ beschrie110

BT-Drs. 17/7376, Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes, BGBl. I, 1601. Höfling/Rixen, Rechtsstaatliche Grenzen der Kontrolle von Transplantationszentren durch die Prüfungs- und die Überwachungskommission, GesR 2019, 1, (2). 112 BT-Drs. 13/4355, S. 26. 113 BGBl. I, 1601. Die Änderung des TPG erfolgte im Zuge der Umsetzung notwendiger unionsrechtlicher Vorgaben zur Umsetzung der Richtlinie über Qualitäts-und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe ABl. L 207/14 vom 6. 8. 2010. 114 Leber/Reinemann, Transplantationsmedizin in Deutschland, GKV-Lesezeichen, 2014, S. 74. 115 BT-Drs. 17/11308, S. 4. 111

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ben, und auch von „Vetternwirtschaft“ war die Rede.116 Eine (nicht veröffentlichte)117 Überprüfung der DSO durch die BDO-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ergab zwar kein strafrechtlich relevantes Verhalten, allerdings wurden Verletzungen interner Verfahrensanweisungen festgestellt. Die Vorwürfe, die Gelder für vertragswidrige Zwecke verwendet zu haben, konnten durch das Gutachten weder bestätigt noch ausgeräumt werden, sodass man sich auf Grund anhaltender Kritik in den Medien vom bisherigen kaufmännischen Vorstand trennte.118 Der Gesetzgeber reagierte im Mai 2012, fügte den §§ 11 Abs. 3 und 12 Abs. 4 TPG die Sätze 5 – 9 an119 und normierte u. a. eine Vorlagepflicht der DSO hinsichtlich der finanziellen und organisatorischen Entscheidungen gegenüber den TPG-Auftraggebern. Zudem hat die DSO nunmehr jährlich einen Geschäftsbericht zu veröffentlichen. Hinsichtlich der PÜK wurde die zuvor nur im DSO-Vertrag geregelte, kontinuierliche Überprüfung der DSO durch die PÜK nunmehr auch gesetzlich verankert.120 Die PÜK hat im November 2012 und im August 2013 die erhobenen Vorwürfe gegen den (damaligen) Vorstand der DSO sodann direkt überprüft, stellte aber eine „sorgfältige und nachvollziehbare Wahrnehmung“ der gesetzlichen Aufgaben fest.121 b) Kritik am Vorgehen der Kontrollinstanzen im Zuge des „Organallokationsskandals“ Zeitgleich mit der Novellierung des TPG im Jahr 2012 erlangte das deutsche Transplantationswesen traurige Berühmtheit und geriet in seine bislang tiefste Krise durch die Aufdeckung vermeintlicher Missstände und Manipulationen u. a. im Bereich der Organvergabe.122 Ausgelöst durch einen anonymen telefonischen Hinweis 116 Bericht der Ärzte Zeitung mit dem Titel „Vetternwirtschaft? Gutachten entlastet DSO nur teilweise“ vom 29. 3. 2012. Bei der SPD hieß es folglich, die DSO arbeite nur noch „auf Bewährung“. Vgl. Rainer Woratschka, „Bundestag beschließt Reform der Organspende“ im Tagesspiegel vom 25. 5. 2012. 117 Ausweislich eines Berichts des Spiegels verhinderte der Stiftungsrat eine Veröffentlichung des Berichts, ließ aber dem Ministerium ein Exemplar zukommen. Vgl. Spiegel, „Vorwürfe gegen Stiftung überschatten Konsens“ vom 22. 3. 2012. 118 Presseerklärung der DSO vom 23. 4. 2012, Stiftungsrat und Kaufmännischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) geben einvernehmliche Trennung bekannt. 119 Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 11, Rn. 13. 120 BT-Drs. 17/9773 S. 33. 121 Bericht 2012/2013 der Überwachungskommission gem. § 11 Abs. 3 S. 4 TPG und der Prüfungskommission nach § 12 Abs. 5 S. 4 TPG, S. 12. 122 Von den Medien häufig als „Transplantationsskandal“ oder auch „Organspendenskandal“ betitelt. Richtigerweise ist mit Schroth/Hofmann von einem „Allokationsskandal“ zu sprechen, da es bei den Manipulationen um die Aufnahme auf die Warteliste und die Zuteilungsentscheidung ging, vgl. Schroth/Hofmann, Zurechnungsprobleme bei der Verteilung lebenserhaltender Güter, in: FS Kargl, S. 523. Von einem Organallokationsskandal sprechen ebenfalls Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, Versuchter Totschlag durch Manipulation der

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auf dem Anrufbeantworter der DSO, in dem von kriminellen Machenschaften des Universitätsklinikums Göttingen die Rede war und bei dem die Frage des Organhandels im Raum stand, und fast zeitgleich mit der Novellierung des TPG und den erfolgten Änderungen hinsichtlich der DSO im Sommer 2012 kamen Unstimmigkeiten ans Tageslicht, die sich durch die daraufhin eingeleiteten Überprüfungen der unterschiedlichen Transplantationsprogramme zu einer bundesweiten Affäre entwickelten. Das Ausmaß des medialen Interesses suchte seinesgleichen, die unterschiedlichen Vorwürfe wogen schwer, erschütterten das Vertrauen der Bevölkerung bis ins Mark, und die Diskussion um eine Reformierung des TPG entbrannte erneut. Über Jahre hinweg waren in unterschiedlichen Transplantationszentren vermeintlich systematisch Patientendaten verfälscht worden, um eine bessere Listung (oder überhaupt eine Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation) zu erreichen.123 Aus diesem Grund konnte die PÜK von ihren verstärkten Kontrollrechten direkt Gebrauch machen. Um allen Vorwürfen nachgehen zu können, wurde eine TaskForce aus Vertretern der StäKO und der PÜK eingesetzt, um die Prüfungskommission personell zu verstärken und die Prüfungen der Beteiligten zu intensivieren.124 Darüber hinaus haben der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die BÄK seit November 2012 bei der Prüfungskommission die sog. „Vertrauensstelle Transplantationsmedizin“125 zur (auch anonymen) Meldung von Auffälligkeiten und Verstößen gegen das Transplantationsrecht oder die Richtlinien der BÄK eingerichtet.126 Wenig später erfolgte zum 1. November 2012 die Errichtung einer „Geschäftsstelle Transplantationsmedizin“, der die Geschäftsführung der PÜK, Vertrauensstelle und der StäKO obliegt. Seit Bekanntwerden der Manipulationen wurden bundesweit 24 Lebertransplantationsprogramme durch Vor-Ort-Kontrollen in den Transplantationszentren überprüft, vermeintliche Verstöße gegen die Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG in Kommissionsberichten umfassend dokumentiert und u. a. auf der Website der BÄK veröffentlicht. Die Prüfungen wurden dabei in der Regel von zwei MitOrganzuteilung für Transplantationen?, JZ 2018, 32 (32), und Rosenau/Lorenz, Der Schlussakt des „Göttinger Organallokationsskandals“ – Neues, Bekanntes und (zu) viel Offenes, JR 2018, 168 (168), Fn. 1. 123 Transplantationsskandal an der Universität Göttingen: Erschütterndes Maß an Manipulation, Dtsch. Arztebl. 2012, A-1534. 124 Spitzengespräch zu den Manipulationsvorwu¨ rfen in den Transplantationszentren der Universitätsmedizin Göttingen und des Universitätsklinikums Regensburg, Kontrolle verstärken, Transparenz schaffen, Vertrauen gewinnen, Berlin 27. August 2012, S. 1; BT-Drs. 17/ 13897, S. 2. 125 Im Berichtszeitraum 2017/2018 sind bei der Vertrauensstelle insgesamt 40 Eingaben ¨ berwachungskommission gem. § 11 Abs. 3. S. 4 eingegangen. Vgl. Bericht 2017/2018 der U TPG und der Pru¨ fungskommission gem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG, S. 9. 126 Spitzengespräch zu den Manipulationsvorwu¨ rfen in den Transplantationszentren der Universitätsmedizin Göttingen und des Universitätsklinikums Regensburg, Kontrolle verstärken, Transparenz schaffen, Vertrauen gewinnen, Berlin 27. August 2012, S. 3.

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gliedern der PÜK, sowie zwei für die Lebertransplantation sachverständigen unabhängigen Ärzten durchgeführt.127 Der erste Kommissionsbericht bestätigte die Vorwürfe von Richtlinienverstößen unterschiedlicher Art und Schwere in den Zentren Göttingen, München rechts der Isar, Leipzig und Münster. Anschließend wurden auch Verstöße u. a. in Berlin und München-Großhardern im zweiten Prüfungsbericht veröffentlicht. Dem Großteil der Transplantationszentren wurde aber damals (und wird auch derzeit) kein regelwidriges Verhalten unterstellt.128 Nach Ansicht des derzeitigen Vorsitzenden der Überwachungskommission habe hinsichtlich der Richtlinienverstöße in den Transplantationszentren in den letzten Jahren ein „wahrer Struktur- und Kulturwandel“ stattgefunden.129 Trotz der ausschließlich positiven Bewertung der „neu geschaffenen Kontrollstruktur“ seitens der Politik130 stößt dieses auf dem Selbstverständnis der PÜK beruhende Vorgehen in der Praxis auf erhebliche Bedenken, was sich auch in der teilweise harschen Kritik im Schrifttum widerspiegelt.131 Das Vorgehen der PÜK (insbesondere die im Anschluss an die Vorwürfe durchgeführten Vor-Ort-Kontrollen der Transplantationsprogramme in den betreffenden Transplantationszentren) hat ihr im Schrifttum den Vorwurf schwerwiegender Kompetenzanmaßungen eingebracht.132 Fälschlicherweise wird die Durchführung verdachtsunabhängiger Prüfungen auf die gesetzliche Grundlage der §§ 11, 12 TPG gestützt, von denen aber eine solch weitreichende Überprüfungskompetenz der PÜK nicht gedeckt ist.133 Im TPG befindet sich bloß die Formulierung, dass erstens die Kommission nach § 11 Abs. 3 S. 4 TPG die Einhaltung der vertraglichen Bestimmungen durch die Koor127 Caliskan/Metzinger/Middel, Bilanzpressekonferenz der nach § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 TPF eingesetzten Prüfungs- und Überwachungskommission, MedR 2014, 21 (21). Dies ist allerdings nicht immer der Fall. So wurden die ersten veröffentlichen Prüfberichte der Kommission zu den Gegebenheiten in den Transplantationszentren Saarland, Köln, Leipzig, Magdeburg und Main im Jahr 2013 federführend ausschließlich von Juristen unterzeichnet, vgl. Jansen, Zur Strafbarkeit von Manipulationen bei der Leberallokation, MedR 2018, 31 (38). 128 Vgl. Prüfungsbericht 2018 der Überwachungskommission gem. § 11 Abs. 3 S. 4 TPG und der Prüfungskommission nach § 12 Abs. 5 S. 4 TPG. 129 Jahresbericht 2017/2018 der Prüfungskommission und der Überwachungskommission zur Prüfung der Herz-, Lungen-, Leber-, Nieren- und Pankreastransplantationsprogramme. 130 Caliskan/Metzinger/Middel, Bilanzpressekonferenz der nach § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 TPF eingesetzten Prüfungs- und Überwachungskommission, MedR 2014, 21 (21). 131 Vgl. Höfling/Rixen, Rechtsstaatliche Grenzen der Überwachung der Transplantationszentren durch die Prüfungs- und Überwachungskommission, GesR 2019, 1 (1). Vgl. zur Kritik an der PÜK vor der Gesetzesänderung 2012: Gutmann, in: Haarhoff, Organversagen- Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 168 f. 132 Sehr scharfe Kritik beispielsweise bei Gutmann, in: Haarhoff, Organversagen- Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 171, der die PÜK mit einem „Inquisationskommando“ und „Hexenverfolgungen“ vergleicht; ähnlich aber in gemäßigterem Tonfall auch: Höfling/Rixen, Rechtsstaatliche Grenzen der Kontrolle von Transplantationszentren durch die Prüfungs- und die Überwachungskommission, GesR 2019, 1 ff. 133 Höfling/Rixen, Rechtsstaatliche Grenzen der Überwachung der Transplantationszentren durch die Prüfungs- und Überwachungskommission, GesR 2019 1, (6 f.)

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dinierungsstelle und zweitens die Parallelkommission nach § 12 Abs. 5 S. 4 TPG die des Vermittlungsstellenvertrages durch ET zu überwachen hat. Den Transplantationszentren wird gesetzlich lediglich eine „Mitwirkungsverpflichtung“ bei der Zurverfügungstellung der erforderlichen Unterlagen und Auskunftserteilung zugeschrieben, aus der sich keine Befugnis zur Durchführung von Vor-Ort-Ort-Kontrollen ableiten lässt.134 Entsprechend wurde bereits vor Bekanntwerden der Auffälligkeiten in einzelnen Transplantationszentren vom damaligen Vorsitzenden der PÜK hinsichtlich der Reichweite der Überwachungsbefugnis durch die Kommission angemerkt, dass „ein klärendes Wort des Gesetzgebers nicht nur zweckdienlich erwünscht, sondern dringend nötig ist, um dem möglichen Vorwurf eigenmächtiger Interpretationen vorzubeugen.“135 Durch die Gesetzesänderung des TPG im Jahr 2012 ist der Gesetzgeber dieser Forderung jedenfalls nicht nachgekommen, sodass es nach wie vor an einer „präzisen Aufgabenbeschreibung“136 der PÜK fehlt. Zwar wurden durch die Novelle erstmalig Vorschriften zur Besetzung der Kommission in das TPG aufgenommen. Allerdings ergeben sich bei der Besetzung des Gremiums erneut zahlreiche personelle Verflechtungen, denn die von den TPGAuftraggebern in die Kommission entsandten Vertreter sind teilweise Mitglieder der StäKO und auch Vertreter von ET. Die Kritik erschöpft sich aber nicht bloß in der Feststellung von Unzulänglichkeiten der rechtlichen Grundlage im TPG für ein solches Vorgehen und den auch daraus resultierenden Kompetenzanmaßungen durch die PÜK, sondern hat auch teilweise schwerwiegende inhaltliche Bedenken der in den Transplantationszentren durchgeführten Überprüfungen zum Gegenstand. Hinsichtlich der Überprüfung vermeintlich systematischer Manipulationen im Universitätsklinikum Münster wird diese Kritik durch ein umfassendes Gutachten von Gutmann belegt.137 Auch die PÜK selbst räumt ein, dass die Richtlinien der BÄK zur Wartelistenführung und Organvermittlung „nicht eindeutig“ wären,138 was folglich einen einheitlichen Prüfungsmaßstab der PÜK ausschließt. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch aus einem von

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Höfling/Rixen, Rechtsstaatliche Grenzen der Überwachung der Transplantationszentren durch die Prüfungs- und Überwachungskommission, GesR 2019 1, (9); ähnlich auch Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 389. 135 Angstwurm, Einschätzung des Vorsitzenden der nach § 12 TPG bestellten Prüfungs- und der nach §§ 11, und 12 eingerichteten Überwachungskommission, in: Middel/Pühler/Lilie/ Vilmar, Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 240 f. 136 Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, S. 125. 137 Gutmann, Rechtswissenschaftliches Gutachten zu dem „Kommissionsbericht der Pru¨ ¨ berwachungskommission“ gema¨ ß § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 TPG vom 28. 8. fungs- und der U 2013 u¨ ber das Lebertransplantationsprogramm des Universita¨ tsklinikums Mu¨ nster, vom 15. 9. 2013. 138 So heißt es in ihrem Prüfungsbericht von 2013: „Die Dialysemeldung kann in diesem Fall jedoch wegen nicht eindeutiger Regelung in den Richtlinien selbst nicht als Richtlinienverstoß gewertet werden“. Aus diesem Grund wurden dann auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Münster eingestellt, vgl. BT-Drs. 18/3556, S. 10.

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

Höfling erstellten Gutachten für das Universitätsklinikum Essen.139 Ob die PÜK unter rechtstaatlichen Gesichtspunkten ein taugliches und zugleich unbedenkliches Kontrollregime darstellt, darf in der Tat bezweifelt werden, da nach wie vor die Kontrolle des Transplantationswesens von den Gremien ausgeübt wird, die direkt am Geschehen beteiligt oder mit den Akteuren unmittelbar organisatorisch verflochten sind. Auch eine staatliche Kontrolle der PÜK fehlt gänzlich.140 Der Selbstverwaltung wird die Kontrolle über die von ihr auszuführenden Aufgaben überlassen. Gegenüber den tatsächlich von der PÜK zu überwachenden Institutionen DSO und ET fehlen ihr jedoch effektive Kontrollinstrumente.141 Bereits in einer Stellungnahme des Bundesrats anlässlich der Novellierung des TPG durch das Gewebegesetz im Jahr 2006142 wurde moniert, dass keine effektive Kontrolle gewährleistet sei und eine wirksame Aufsicht über die am Transplantationsprozess Beteiligten fehle.143 Der Aufforderung,144 die Aufsicht über die am Transplantationsprozess beteiligten Institutionen in die Hände einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zu legen, die der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit untersteht, kam der Gesetzgeber (erneut) nicht nach. Ferner ist noch hervorzuheben, dass der derzeitige DSO-Vertrag in seinem § 10 Abs. 2 S. 3 die in §§ 11 Abs. 3 S. 6 TPG, § 12 Abs. 4 S. 6 TPG normierte Meldepflicht der Kommission, die durch die Überwachung erlangten Erkenntnisse über Verstöße gegen das TPG oder auf Grund des TPG erlassene Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden des Landes weiterzuleiten, rechtswidrig um Verstöße „gegen auf Grund des TPG erlassenen Richtlinien“ ergänzt.145 Dies ist vom Wortlaut der Ermächtigungsnormen im TPG aber nicht gedeckt. Bezüglich der im Zuge der Organallokationsskandale erfolgten Visitationen und „Ermittlungen“ in den Transplantationszentren und anschließend erfolgten Meldungen der PÜK an die Staatsanwaltschaft bleibt festzuhalten, dass es kaum Aufgabe einer Kommission von Sachverständigen der BÄK sein kann, zeitgleich als „vorverurteilende Vorhut“ der Staatsanwaltschaft zu fungieren.146 139 Höfling, Rechtsgutachtliche Stellungnahme zu einigen Aspekten (der Prüfung) des Lebertransplantationsprogramms des Universitätsklinikums Essen, Februar 2017. 140 Schon vorher stand die PÜK auf Grund mangelnder staatlicher Kontrollmöglichkeiten in der Kritik, vgl. Augsberg, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, Rechtstatsächliches Gutachten, S. 18 ff. 141 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 396. 142 Vgl. zweites Kapitel, Glp. V. 143 Einige gesetzliche Krankenkassen weigerten sich die Ausweise zur Organspende zu versenden, solange es keine geregelte staatliche Kontrolle über das Transplantationssystem gebe. Vgl. BT-Drs. 17/12225, S. 1. 144 Vgl. dazu BT-Drs. 17/11308, S. 1. 145 Auf diesen Umstand weisen Höfling/Rixen, Rechtsstaatliche Grenzen der Überwachung der Transplantationszentren durch die Prüfungs- und Überwachungskommission, GesR 2019, 1, (9) hin. 146 Jansen, Anmerkung zu BGH, Urt.v. 28. 6. 2017 – 5 StR 20/16, MedR 2018, 31 (38).

IV. Allokationssystem im TPG und Kompetenzen der Institutionen

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IV. Allokationssystem im TPG und Kompetenzen der Institutionen Wie bereits im zweiten Kapitel dargelegt, hat der Gesetzgeber das deutsche Transplantationssystem im Wesentlichen in den Händen der nicht-staatlichen Institutionen belassen, die bereits vor Erlass des TPG die Organallokation in der transplantationsmedizinischen Praxis durchführten und verankerte deren Befugnisse im TPG.147 Die Verlagerung von Regelungsbefugnissen auf nicht-staatliche Akteure durch das TPG ist historisch gewachsen und kennzeichnend für das deutsche Organallokationssystem. Zwar ist die BÄK durch die ihr in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG zugewiesene Richtlinienkompetenz, die Thema des nachfolgenden Kapitels ist, die regulatorische Zentralfigur der Organallokation. Dennoch verbleibt auch den übrigen Institutionen angesichts der wenigen gesetzlichen Vorgaben der § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG i. V. m. den organspezifischen Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG ein teilweise noch weitreichender eigener Entscheidungsspielraum. Dies betrifft beide Stufen des Allokationsprozesses: 1. die Aufnahme auf die Warteliste durch die Transplantationszentren und 2. die Organvermittlung durch Eurotransplant.

1. Erste Selektionsentscheidung: Die Aufnahme auf die Warteliste durch die Transplantationszentren Zu den in § 10 Abs. 2 Nr. 1 TPG gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben der Transplantationszentren gehört die Führung einer Warteliste der zur Übertragung von vermittlungspflichtigen Organen angenommenen Patienten mit den für die Organvermittlung nach § 12 TPG erforderlichen Angaben, sowie unverzüglich über die Annahme eines Patienten zur Organübertragung und seine Aufnahme in die Warteliste zu entscheiden und den behandelnden Arzt darüber zu unterrichten. Die Transplantationszentren entscheiden ebenso über die Herausnahme eines Patienten aus der Warteliste.148 Gem. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG haben die Transplantationszentren (bzw. die organspezifische, interdisziplinäre Transplantationskonferenz des jeweiligen Zentrums)149 über die Aufnahme auf die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, 147

So auch: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 134. Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 15. 149 Als Konsequenz der Organallokationsskandale wurde beschlossen, dass eine interdisziplinär besetzte Transplantationskonferenz über die Besetzung der Warteliste unter Erweiterung des bis dato geltenden vier- auf ein mindestens „sechs-Augen“-Prinzips zu entscheiden hat. Die Entscheidung über die Aufnahme oder Ablehnung des Patienten ist nunmehr von dieser Konferenz und nicht mehr von einzelnen Transplantationsmedizinern der Transplantationszentren zu treffen. Vgl. BT-Drs. 17/13897, S. 2; Spitzengespräch zu den Manipulations148

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Kap. 3: Heutiges Transplantationssystem

die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum nachträglich eingefügten § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG sollte die Vorschrift klarstellen, dass die Entscheidung über die Aufnahme auf die Warteliste nach „medizinisch begründeten Regeln“ vorzunehmen ist, die unter „medizinischen Gesichtspunkten für die Notwendigkeit der jeweiligen Arten von Organübertragungen und ihren Erfolg von Bedeutung sind“.150 Durch die Bezugnahme des Gesetzgebers in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG auf die „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ entsprechen, hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die Aufnahme auf die Warteliste ausschließlich nach medizinischen Aspekten erfolgen soll.151 Die Entscheidung, ob die Erkrankung bei individueller Betrachtung des Patienten eine Organübertragung erforderlich macht, sie i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG mithin „notwendig“ ist, sowie die Frage, ob der Patient für eine Organtransplantation i. S. d. geforderten Erfolgsaussicht geeignet ist, ist medizinisch begründbar. Denn ein Ausschluss von Patienten, bei denen eine Organtransplantation nicht notwendig (im Sinne einer medizinischen Indikation) ist, von der Aufnahme auf die Warteliste kann durch medizinisch begründete Regeln erfolgen; etwas anderes würde aber dann gelten, wenn der Zugang zur Warteliste den Patienten nicht medizinisch individuell, sondern im Hinblick auf utilitaristische Erwägungen nur im Vergleich mit anderen Patienten (bei Notwendigkeit und besserer Erfolgsaussicht) gewährt würde.152 Solche Entscheidungen wären dann normativer Natur und außerhalb des gesetzlichen Regelungsauftrags des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG.153 a) Die gesetzlichen Entscheidungskriterien: „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ gem. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG Der Gesetzgeber hat sich neben dem Verweis auf den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bei der inhaltlichen Steuerung der Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation (als erster Selektionsentscheidung) auf die Normierung der beiden Entscheidungskriterien der Notwendigkeit und Erfolgsaussicht in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG beschränkt.154 Für die (nach positiver Aufnahmevorwu¨ rfen in den Transplantationszentren der Universitätsmedizin Göttingen und des Universitätsklinikums Regensburg, Kontrolle verstärken, Transparenz schaffen, Vertrauen gewinnen, Berlin 27. August 2012, S. 2; BT-Drs. 17/12225, S. 2. Die genaue Zusammensetzung der Transplantationskonferenz ist dabei in den Richtlinien der BÄK geregelt. Auch die Aufgabe, die genauere Konzeption dieser Konferenzen festzulegen, hat die BÄK übernommen, was in der Literatur auf Kritik gestoßen ist. Vgl. Höfling, Die interdisziplinäre Transplantationskonferenz, GesR 2017, 549 ff. 150 BT-Drs. 13/8017, S. 42. 151 So auch: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 356. 152 Bader, Organmangel und Organverteilung S. 356. 153 In dem Sinne Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 35. 154 Zur Aufnahme dieser Kriterien in das TPG vgl. zweites Kapitel, Glp. IV, 4.

IV. Allokationssystem im TPG und Kompetenzen der Institutionen

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entscheidung) anschließend erfolgende Organvermittlung (als zweiter Selektionsentscheidung) schreibt § 12 Abs. 3 TPG als entscheidungserhebliche Kriterien die Dringlichkeit und Erfolgsaussicht vor. Der Begriffsunterschied von § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG, der anders als § 12 Abs. 3 TPG auf die Notwendigkeit einer Organtransplantation anstelle der Dringlichkeit abstellt, ergibt sich aus dem Umstand, dass der Dringlichkeit bei Aufnahme auf die Warteliste noch keine verteilungsrelevante Bedeutung zukommt.155 Zum Teil ist daraus geschlossen worden, dass eine Organtransplantation bei einem Patienten dann notwendig i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG ist, wenn bei diesem eine medizinische Indikation zur Organtransplantation vorliegt; die von § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG geforderte Erfolgsaussicht, ergebe sich dann aus der gleichzeitigen Abwesenheit von medizinischen Kontraindikationen bei dem Patienten, dem dann auch ein Anspruch auf Aufnahme auf die Warteliste zustehe.156 Nach der gesetzlichen Konzeption sollen die Begriffe aber durch die Richtlinien der BÄK konkretisiert werden, sodass die Entscheidungskriterien nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Richtlinien erfasst werden können.157 Das TPG enthält sich entsprechend einer Definition der beiden Begriffe und bestimmt lediglich, dass über die Aufnahme nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu entscheiden ist. Wie bereits erwähnt, ist die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation durch § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG der BÄK übertragen worden, die diesen in Richtlinien festzulegen hat. Statt die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Aufnahme auf die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG i. V. m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 TPG i. V. m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG158 in getrennten Richtlinien zu regeln, hat die StäKO159 die Wartelistenführung und Organvermittlung gemeinsam in jeweils einer organspezifischen Richtlinie festgeschrieben. Diese konkretisieren die gesetzlichen Vorgaben in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG (und § 12 Abs. 3 TPG) und sind von den Transplantationszentren sowohl bei Annahme eines Patienten zur Organtransplantation, Aufnahme auf die Warteliste aber auch bei Herausnahme aus der Liste160 zu beachten.161 Die Richtlinien 155

Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 19. Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 19. 157 Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 19. 158 Vgl. viertes Kapitel, Glp. I. 1. 159 Vgl. zweites Kapitel, Glp. I. 5. 160 Für eine Anwendung der Kriterien des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und den Richtlinien der BÄK auch auf eine Herausnahme des Patienten von der Warteliste, Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 47, der insoweit von einem gesetzgeberischen Versehen ausgeht und die Herausnahme als actus contrarius zur Aufnahme auf die Warteliste ansieht; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 110. 161 Zur „Vermutungsregelung“ des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG vgl. viertes Kapitel, Glp. I. 2.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 137. Die veröffentlichten Richtlinien enthalten neben den Vorgaben zur Wartelistenführung gleichzeitig auch die Konkretisierungen zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 TPG. 156

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der BÄK enthalten dabei neben Grundlegendem zur Organtransplantation auch ausformulierte Kriterien für die Aufnahme bzw. Ablehnung der Aufnahme auf die Warteliste. Allerdings enthalten die Richtlinien eine Vielzahl an deutungsoffenen Kriterien, die einen Auslegungsspielraum für die Transplantationszentren eröffnen. b) Eigener Entscheidungsspielraum der Transplantationszentren Exemplarisch heißt es in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation,162 dass Patienten „in fortgeschrittenen Stadien bösartiger Erkrankungen“ nur im Rahmen von kontrollierten Studien transplantiert werden sollen,163 sodass insoweit eine Einschränkung der Aufnahme auf die Warteliste besteht. Eine Definition dieses Begriffes findet sich in der Richtlinie jedoch nicht, sodass dieser einer eigenen Auslegung durch die Transplantationszentren bedarf. Diese und ähnliche deutungsoffene und unbestimmte Formulierungen ermöglichen eine lokal variierende Aufnahmepraxis je nach konkreter Auslegung der Begriffe durch das jeweilige Transplantationszentrum.164 Trotz der näheren Ausgestaltung der Zugangskriterien zur Warteliste verbleibt den Transplantationszentren also ein erheblicher eigener Entscheidungsspielraum.165 Die endgültige Entscheidung, ob ein Patient transplantiert wird oder nicht liegt daher bei den Transplantationszentren bzw. dem zuständigen Arzt des jeweiligen Zentrums.166

2. Der Erlass von „Verfahrensanweisungen“ durch die DSO Die DSO wurde durch den Koordinierungsstellenvertrag mit der Organisation postmortaler Organtransplantationen von der Entnahme bis zur Implantation – mit Ausnahme der Vermittlung der vermittlungspflichtigen Organe – beauftragt. Zeitgleich mit dem Bekanntwerden vermeintlicher Missstände bei der DSO und der 162

Vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 1. b) bb) (2) (b). Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 2. 2. 164 Vgl. zu weiteren Beispielen Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10; Bader, Organmangel und Organverteilung S. 140. 165 So auch: Bader, Organmangel und Organverteilung S. 139. 166 Ferner treffen die Transplantationszentren weitere allokationsrelevante Entscheidungen, wie die Anmeldung eines Patienten für eine bestimmte (Hoch-)Dringlichkeitskategorie oder die Meldung eines Patienten als nicht transplantabel (NT) durch entsprechende Anträge bei ET. Ersterer hat bei Zustimmung seitens ET eine vorrangige Berücksichtigung des Patienten zur Folge, da die Dringlichkeit von entscheidender Bedeutung für die konkrete Organzuteilung ist. Dies gilt auch für die Meldung als NT, da eine Organzuteilung an einen bei ET registrierten potenziellen Organempfänger in dem NT-Status (jedenfalls über den Zeitraum in dem er sich in diesem Status befindet) ausgeschlossen ist, vgl. auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 140 f. 163

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daraus resultierten Normierung einer Überprüfungsmöglichkeit durch die Überwachungskommission167 wurde die DSO durch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes von 2012 mit erweiterten Befugnissen ausgestattet. Bereits vor Erlass des Gesetzes wurde diskutiert, der DSO mehr Kompetenzen zuzusprechen, da oftmals Uneinigkeit darüber bestand, wem im Falle von Unstimmigkeiten zwischen Entnahmekrankenhäusern, Transplantationszentren und der DSO letztendlich die Entscheidungskompetenz zustehen solle. Folglich wurde die Frage aufgeworfen, ob sich die Funktion der DSO in einer bloßen Dienstleistungstätigkeit für die Krankenhäuser erschöpfe, oder ob sie Weisungskompetenzen innehaben solle.168 Letzteres wurde durch die Novelle 2012 vom Gesetzgeber bejaht, was durch den neu ins TPG eingefügten § 11 Abs. 1a S. 2 TPG zu Tage tritt.169 Durch die dortige Regelung erhielt die DSO zur Erfüllung der ihr gesetzlich übertragenen Aufgaben nunmehr die Befugnis zum Erlass sog. (in § 1a Nr. 10 TPG legaldefinierten) „Verfahrensanweisungen“,170 um die Qualität und Sicherheit in allen Phasen des Organspendeprozesses sicherstellen zu können.171 Der Katalog der Regelungsgebiete in § 11 Abs. 1a Nrn. 1 – 9 TPG, für die der Gesetzgeber den Erlass von Verfahrensanweisungen vorschreibt, enthält u. a. die Meldung potenzieller hirntoter Spender durch die Entnahmekrankenhäuser nach § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG, die Überprüfung der Spenderidentität, die Überprüfung von Einzelheiten der Einwilligung oder Zustimmung zur postmortalen Organentnahme nach §§ 3, 4 TPG, der Organ- und Spendercharakterisierung, der Entnahme, Konservierung und Verpackung bis zum Transport und der Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit im Falle schwerwiegender Zwischenfälle und schwerwiegender unerwünschter Reaktionen. Die Verfahrensanweisungen sind nach dem Willen des Gesetzgebers gegenüber den Entnahmekrankenhäusern und Transplantationszentren verbindlich. Dieser Umstand ergibt sich aus § 9 a Abs. 2 Nr. 5 TPG und § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 TPG, wonach die Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren die nach § 11 TPG getroffenen Regelungen zur Organentnahme einzuhalten haben. Die DSO hat bei Erstellung der Verfahrensanweisungen zudem die von der BÄK nach § 16 TPG 167

Vgl. Glp. III. 5. a). BT-Drs. 16/13740, S. 50. Besonders deutlich wurde die Problematik bei Streitigkeiten zwischen den Chirurgen und Chirurginnen des Entnahmeteams und den DSO-Koordinatoren. 169 Vgl. ausführlich Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 11, Rn. 24 ff. 170 Danach sind Verfahrensanweisungen „schriftliche Anweisungen, die die Schritte eines spezifischen Verfahrens beschreiben, einschließlich der zu verwendenden Materialien und Methoden und des erwarteten Ergebnisses“. Der Begriff der Verfahrensanweisungen findet sich in der EU Richtlinie 2010/53 EU in Art. 3 lit. p). 171 Die (bereits in vierter Auflage erschienenen) Verfahrensanweisungen der DSO sind im Leitfaden für die Organspende unter dem Kapitel Materialien integriert. Die aktuellen Verfahrensanweisungen können auf der Internetseite der DSO abgerufen werden. Auch in den Koordinierungsstellenvertrag wurden die von der DSO zu erlassenden Verfahrensanweisungen ¨ nderungen des Vertrages wurden am 7. Januar 2016 vom BMG gemitaufgenommen. Die A nehmigt und am 26. Februar 2016 im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Vgl. BT-Drs. 18/ 10854, S. 27. 168

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erlassenen Richtlinien zu beachten. Dies ist aber die einzige gesetzliche Vorgabe an die Ausgestaltung der Verfahrensanweisungen. Zwar wurde angesichts der massiven Kritik an der DSO ihre Satzung dahingehend geändert, dass neben dem ursprünglich bereits im Stiftungsrat vertretenen Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer und der Deutschen Transplantationsgesellschaft nunmehr auch Vertreter von Bund und Ländern im Stiftungsrat mit Sitz,– und Stimmrechten ausgestattet wurden, um die Stellung der öffentlichen Institutionen zu stärken.172 Durch die austarierten Stimmenverhältnisse sind im Stiftungsrat keine Entscheidungen gegen die Stimmen der beteiligten Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts möglich.173 Vor dem Hintergrund, dass die organspezifischen Richtlinien der BÄK aber kaum organisatorische Regelungen enthalten, verbleibt der DSO eine derart weitreichende Entscheidungshoheit, dass die grundrechtsrelevanten Verfahrensanweisungen fast unbegrenzt nach eigenen Wünschen gestaltet werden können. Wegen der mangelnden inhaltlichen Vorsteuerung und staatlichen Überprüfungsmöglichkeit wird im Schrifttum – zu Recht – die demokratische Legitimation der DSO für den Erlass verbindlicher Verfahrensanweisungen verneint.174

3. Zweite Selektionsentscheidung: die Organvermittlung durch Eurotransplant a) Die gesetzlichen Entscheidungskriterien: „Dringlichkeit und Erfolgsaussicht“ gem. § 12 Abs. 3 TPG Auf der zweiten Ebene der Organallokation, der (eigentlichen) Auswahl-, bzw. Verteilungsentscheidung, hat der Gesetzgeber parallel zu § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG in § 12 Abs. 3 TPG ebenfalls zwei zentrale Entscheidungskriterien normiert und im Übrigen auf den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft verwiesen. Dieser ist gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG ebenfalls von der BÄK in entsprechenden Richtlinien festzustellen. Wie bereits erwähnt, existieren fünf organspezifische Richtlinien der BÄK zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung.175 Wie auch bei § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG soll die Organvermittlung nach dem Willen des Gesetzgebers ebenfalls nach „medizinisch begründeten Regeln“ erfolgen; dafür wiederum seien Kriterien heranzuziehen, die „unter medizinischen Gesichtspunkten für die Dringlichkeit und den Erfolg der Transplantation von Bedeutung sind“.176 Ausweislich der Gesetzesbegründung sind dies für die Dringlichkeit in erster Linie 172

BT-Drs. 18/3566, S. 9. BT-Drs. 17/13897, S. 4. 174 Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 11, Rn. 24; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 393. 175 Vgl. zu den Richtlinien: viertes Kapitel, Glp. I. 1. 176 BT-Drs. 13/4355, S. 26. 173

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der Gesundheitszustand des Patienten im Hinblick auf seine verbleibenden Überlebenschancen, für die Erfolgsaussicht die Blutgruppe, der HLA-Status (Gewebeverträglichkeit), insbesondere bei Nierentransplantationen, sowie Größe und Gewicht des Spenderorgans bei anderen Organen, insbesondere Herz und Leber.“177 Anders als bei der ersten Allokationsstufe, der Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG, besteht seit Erlass des Transplantationsgesetzes aber im Schrifttum die nahezu einhellige Auffassung, dass die (eigentliche) Organverteilung bzw. Organzuteilung178 nicht nach rein medizinischen Kriterien erfolgt.179 Mehr noch, dass die durch den Mangel bedingte tatsächliche Verteilungsentscheidung auf Basis medizinischer Kriterien gar nicht möglich sei. Dabei ist zwischen der auf medizinischen Parametern beruhenden Feststellung, ob bei bestimmten Patienten eine Organübertragung medizinisch überhaupt möglich ist und der tatsächlichen Auswahlentscheidung, wer von mehreren zur Organtransplantation geeigneten Kandidaten das Organ erhalten soll, zu differenzieren. Letztere ist der Mangelsituation geschuldet und beinhaltet durch die Entscheidung, einem Patienten eine Organübertragung zu verweigern und sie einem anderen zu gewähren immer eine normative Wertung, sodass es sich bei der Organallokation um Verteilungsgerechtigkeit im eigentlichen Sinne handelt.180 Es bleiben stets mehrere Patienten übrig, denen nach den medizinischen Kriterien das Organ zugeteilt werden könnte, sodass zusätzlich andere Kriterien heranzuziehen sind,181 denn eine medizinisch-technische Beantwortung von Wertentscheidungen ist nicht möglich.182 So gibt es an sich keine medizinischen Gru¨ nde, eine gebotene Behandlung zu unterlassen und ein bestimmtes Leben nicht zu verlängern.183 Die Entscheidung „ist im Kern nicht medizinisch-technischer, sondern ethischer Natur“ und steht im „Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Nutzenmaximierung und der Gerechtigkeit“.184 Der Gesetzgeber ist daher im Laufe des langjährigen Entwicklungsprozesses des TPG einem „fundamentalen Kategorienfehler“ erlegen.185 177

BT-Drs. 13/4355, S. 26. Vgl. zu der begrifflichen Differenzierung: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 102 f. 179 Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 29. A. A. Rissing van Saan, Der sog. „Transplantationsskandal“ – eine strafrechtliche Zwischenbilanz, NStZ 2014, 233 (236). 180 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 103; Lachmann/Meuter, Medizinische Gerechtigkeit, S. 165. 181 Ähnlich auch: Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 198. 182 So grundlegend Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, § 12, Rn. 21; zustimmend: Schroth, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulationen bei der Leberallokation, NStZ, 2013, 437 (440). 183 Gutmann/Land, Ethische und rechtliche Fragen der Organverteilung, in: Brudermüller/ Seelmann, Organtransplantation, S. 89. 184 So bereits: Deutsch, Arzt und Recht – Fortschritte und Aufgaben, NJW 1998, 1750 (1754); Lachmann/Meuter, Medizinische Gerechtigkeit, S. 59 f.; Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 12 Rn. 30; Gutmann/Land, Ethische und rechtliche Fragen der Organverteilung, S. 95; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 319; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin S. 169. 178

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b) Entscheidungsspielraum Eurotransplant Neben den gesetzlichen Vorgaben des § 12 Abs. 3 TPG und dessen Konkretisierung durch die Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG wurde ET durch den Vermittlungsstellenvertrag zum Erlass sog. „Anwendungsregeln“ ermächtigt. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 des Vertrages enthält zunächst die Verpflichtung ETs, „die Vermittlungsentscheidung gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 TPG nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit zu treffen“. Zu diesem Zweck erstellt ET detaillierte Anwendungsregelungen für die Organvermittlung „auf der Grundlage“ der jeweils von der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG erlassenen Richtlinien und leitet diese den TPG-Auftraggebern sowie dem Bundesministerium fu¨ r Gesundheit in der jeweils geltenden Fassung zu.186 Eine Sammlung aller erstellter Anwendungsregeln wird von ET im ET-Manual veröffentlicht. Wie bereits dargelegt, enthält das ET-Manual fünf organspezifische Kapitel mit detaillierten Vorgaben zur Organvermittlung für die jeweiligen Mitgliedstaaten. Das Manual enthält hinsichtlich der nationalen Vorgaben, den Hinweis, dass die Richtlinien der BÄK zu beachten sind. Wie die Formulierung „auf der Grundlage“ (der Richtlinien der BÄK) im Vermittlungsstellenvertrag aber bereits nahelegt, ist eine konkretere Ausgestaltung, der vorgegebenen Kriterien durch die BÄK, durch ET möglich.187 ET ist zwar vertraglich an die nationalen Vorgaben der BÄK gebunden, dass diese abschließend sein sollen, ist dem Vermittlungsstellenvertrag aber nicht zu entnehmen.188 ET kann daher durch die Anwendungsregeln die Kriterien der BÄK nochmals ergänzen und ausfüllen. Entsprechend enthält das Manual auch Bestimmungen, die im TPG und den Richtlinien der BÄK nicht vorgesehen sind wie z. B. die Regelungen zu den sog. Non-ET-Residents oder den nationalen Austauschbilanzen.189 Darüber hinaus räumt § 5 Abs. 7 des Vermittlungsstellenvertrages ET sogar eine (zeitlich befristete) Abweichungsmöglichkeit von den Richtlinien der BÄK ein.190

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Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 12, Rn 33; Gutmann/Land, Ethische und rechtliche Fragen der Organverteilung, in: Organtransplantation, S. 88. Höfling verweist auf eine Stellungnahme des Schweizer Bundesrates zum deutschen Transplantationsgesetz in der die These, die Verteilung erfolge anhand medizinischer Kriterien als „falsch“ abgelehnt worden ist. Vgl. Höfling, Die Transplantationsversorgung und deren Regulierung, in: Ebsen, Handbuch des Gesundheitsrechts, S. 283, vgl. Botschaft des Schweizer Bundesrates zum Bundesgesetz u¨ ber die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 12. September 2001, S. 111. 186 Vermittlungsstellenvertrag mit der Vermittlungsstelle aus dem Jahr 2000, S. 6 f. 187 Duttge, Manipulationen in der Transplantationsmedizin und die Frage nach ihrer angemessenen Sanktionierung, ZFL 2017, 130 (130). 188 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 146. 189 Vgl. zu den Regelungen für Non-ET-Residents, ET-Manual, Chapter 2, S. 11 f.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 146. 190 Vgl. zu dieser sog. „Experimentierklausel“, Sautter, Forschung im Rahmen der postmortalen Organtransplantation, S. 27 ff.

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4. Die Befugnisse der Transplantationsinstitutionen als Ausübung hoheitlicher Gewalt Die Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation bildet das Einfallstor zur Organallokation. Nur, wer von einem Zentrum gelistet wird, bekommt durch die entsprechende Übermittlung der Patientendaten an die Vermittlungsstelle überhaupt die Chance auf ein Organ. Unter Beachtung der von der BÄK in den nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG zu erlassenden organspezifischen Richtlinien getroffenen Regelungen zur Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation liegt die alleinige Entscheidungskompetenz zur konkreten Besetzung der Warteliste bei den Transplantationszentren bzw. den jeweiligen Transplantationskonferenzen, die durch die erste Selektionsentscheidung im gesamten Organallokationsprozess eine „Gatekeeper“ Funktion wahrnehmen.191 Das „Gros der Selektion“ findet daher bereits auf der ersten Entscheidungsebene in den Transplantationszentren statt.192 Die Transplantationszentren treffen durch die Aufnahme auf die Warteliste häufig keine reine medizinische Behandlungs-, sondern eine Auswahlentscheidung. Wie auch im Bereich der Studienplatzvergabe193 ist eine solche der verteilenden Verwaltung zuzuordnen. Zwar könnte die Aufnahme auf die Warteliste medizinisch begründet werden, in vielen Fälle ist sie aber – gerade im Hinblick auf das Kriterium der Erfolgsaussicht – normativ geprägt. Wie dargelegt, verbleibt den Transplantationszentren nämlich bei der konkreten Auslegung der Begriffe noch ein erheblicher Entscheidungsspielraum. Aus vorgenannten Gründen ist die Tätigkeit der Transplantationszentren als Ausübung öffentlicher Gewalt, genauer als „Bestandteil der Mangelverwaltung“ zu qualifizieren.194 Der Erlass von Verfahrensanweisungen durch die DSO (z. B. zu den Meldepflichten der Entnahmekrankenhäuser) ist ebenfalls von hoher Grundrechtsrelevanz. Nach dem Wunsch des Gesetzgebers sind die Verfahrensanweisungen für die übrigen Institutionen verbindlich, sodass diese als untergesetzliche Normen einzuordnen sind.195 Eine reine Selbstverwaltungstätigkeit der DSO kann vor diesem Hintergrund 191 Bobbert/Dannecker/Ganten/Streng, Gleichheit und Ungleichheit bei der Lebertransplantation, Marsiliuskolleg, aktuelle Fragen klinischer Praxis und ihre Reflexion aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht, S. 44. 192 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10, Rn. 9. 193 Vgl. viertes Kapitel, Glp. II. 3. a) bb). 194 So jüngst Bayerischer VGH, Beschluss vom 15. 6. 2015 – 5 ZB 14.1919, BeckRS 2015, 48093; Schmidt-Aßmann zieht den Vergleich zur Studienplatzvergabe, vgl. Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 101; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 384. Die übrigen entscheidungsrelevanten Aufgaben der Transplantationszentren wie die Meldung als NT oder die Anmeldung einer bestimmten Dringlichkeitskategorie sind ebenfalls als hoheitliche Tätigkeiten einzuordnen. 195 Die BÄK äußerte sich auf dem 115. Deutschen Ärztetag hinsichtlich der Verbindlichkeit der Verfahrensanweisungen kritisch. So könne es sich als rechtlich problematisch erweisen, „wenn von der DSO die gesetzlich vorgesehenen Verfahrensanweisungen erlassen werden, die für Dritte, insbesondere stationäre Einrichtungen, verbindlich werden sollen“, vgl. Beschlussprotokoll des 115. Deutschen Ärztetages zur Novellierung des Transplantationsgesetzes

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nicht angenommen werden.196 Darüber hinaus fällt die gesetzliche Vorsteuerung der Regelungsgebiete äußerst knapp aus, sodass der DSO ebenfalls ein erheblicher eigener Konkretisierungsspielraum verbleibt.197 Wie bereits dargelegt, nimmt ET die zweite Selektionsentscheidung (bzw. die Verteilungsentscheidung im engeren Sinne) bei der Organallokation vor und trifft damit existenzielle Wertentscheidungen zugunsten oder zulasten der gelisteten Patienten. Angesichts der trotz § 12 Abs. 3 TPG i. V. m. den Richtlinien der BÄK noch verbleibenden ausfüllungsbedürftigen Kriterien, kann ET in den Anwendungsregeln weitergehende Konkretisierungen treffen, die sich auf die übrigen beteiligten Institutionen und Patienten auswirken, sodass ET insoweit normsetzend tätig wird. Es handelt es sich bei der Tätigkeit daher nicht um eine „bloße Vollzugsentscheidung“198 auf Basis der Richtlinien der BÄK.199 Zu Recht ist daher festgestellt worden, dass die Tätigkeit ET’s im Rahmen der Organallokation, unterstellt sie wäre eine Institution des deutschen Rechts, als Ausübung hoheitlicher Gewalt anzusehen wäre.200 Obwohl man die soeben angeführten – für einen hoheitlichen Charakter der Tätigkeiten sprechenden – Argumente teilweise auch bei privatrechtlichen Entscheidungsprozessen findet, scheidet eine Einordnung als privatrechtliche Tätigkeit dennoch aus, da noch der Umstand hinzutritt, dass dem gesamten System der Organallokation der Aspekt des Gemeinwohls zu Grunde liegt.

(TPG) S. 70 f. Ebenso kritisch äußerte sich die BÄK bereits in der Stellungnahme vom 9. 5. 2011 zum TPG-E, S. 5 ff., vgl. Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 11, Rn. 25; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 393. 196 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 392. 197 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 393. 198 Molnár-Gábor, Die Regelung der Organverteilung durch Eurotransplant – unzulässige ethische Standardsetzung?, in: Vöneky et al., Ethik und Recht – Die Ethisierung des Rechts, S. 333 f. 199 Schroth/Hofmann, Organverteilung als normatives Problem, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 310; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, 2015, S. 60 f.; ebenso Höfling, in: Höfling TPG Kommentar, § 12, Rn. 14. 200 Höfling, Grundstrukturen des Rechts der Transplantationsmedizin, Medstra 2015, 85 (88) mit Verweis auf Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, 106; ebenso: Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 138. Problematisch ist, ob die Übertragung von Hoheitsrechten auf ET rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Zwar ist eine Übertragung von Hoheitsrechten auf eine im Ausland ansässige Stelle nach Art. 24 GG ausdrücklich möglich. Eine Kompetenzübertragung ist nach dem Willen des Grundgesetzgebers aber auf „zwischenstaatliche Einrichtungen“ begrenzt. Bei ET handelt es sich nicht um eine nach Völkerrecht geschaffene Stelle, sodass es sich nicht um eine zwischenstaatliche Einrichtung handelt, der durch Bundesgesetz Hoheitsrechte übertragen werden könnten. Vgl. Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 138. Auch die BÄK findet diesen Umstand (vor dem Hintergrund, dass ET auch Wertentscheidungen trifft), die teilweise weit über den rein technischen Vollzug der Richtlinien hinausgehen, problematisch. Vgl. BT-Drs. 16/13740, S. 70.

V. Zusammenfassung

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V. Zusammenfassung Betrachtet man das TPG, fallen gleich mehrere nichtstaatliche Akteure ins Auge, die im Bereich der Organallokation hoheitlich tätig werden. Diese Systematik des TPG, die durch die Einbindung der genannten Institutionen und staatlicher Zurückhaltung geprägt ist, lässt sich weitestgehend durch die historisch erwachsene Selbstregulierung des Transplantationswesens und die Fehlverstellung des Gesetzgebers erklären, die Organverteilung könne ausschließlich auf Grund medizinischer Kriterien erfolgen. Eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren Patienten auf der Warteliste ausschließlich auf Basis medizinsicher Kriterien ist, wie dargelegt, aber nicht möglich, sodass es sich um eine normative Entscheidung handelt. Aus den dürftig ausgestalteten inhaltlichen Vorgaben des § 10 Abs. 2 und § 12 Abs. 3 TPG resultiert eine eigene Entscheidungskompetenz der Transplantationszentren bei der Aufnahme auf die Warteliste und ET bei der Organvermittlung. Diese Kompetenzen werden durch das TPG nur insoweit eingeschränkt, als die Transplantationszentren, DSO und ET die Erfüllung ihrer Aufgaben nach den Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG auszurichten haben. Nur die von der BÄK in ihren Richtlinien verwandten deutungsoffenen Begriffe können von den Transplantationszentren und ET in Eigenregie ausgelegt werden. Ansonsten sind die von der BÄK getroffenen Regelungen zu beachten.201 Der BÄK kommt demnach die wahre Schlüsselkompetenz im Bereich der Organallokation zu.

201 Zwar ist ET als Stiftung des niederländischen Rechts nicht dem deutschen Recht unterworfen, ihre Bindung an das TPG und die Richtlinien der BÄK ergibt sich aber aus dem Vermittlungsstellenvertrag. Vgl. Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 12, Rn. 14.

Viertes Kapitel

Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer Die staatliche Normsetzung ist in einem – im Höchstmaß von Spezialisierung geprägten Allgemeinwesen – vermehrt von externer Expertise abhängig. Allen „Entparlamentarisierungs“-Vorwürfen1 zum Trotz ist in der modernen Gesellschaft die Beteiligung Sachverständiger auf gesetzlicher Ebene unerlässlich und aus Gründen einer sachgerechten Entscheidung rechtsstaatlich geboten.2 Gerade im Gesundheitswesen gehört die Einbeziehung externen Sachverstandes in die Entscheidungsfindung und die Übertragung von Kompetenzen auf nicht-staatliche Institutionen in großem Umfang zur alltäglichen Realität.3 Als Beispiel sei nur der gemeinsame Bundesausschuss (GBA) im Krankenversicherungsrecht genannt. Auch die Regelung der Transplantationsmedizin erfordert eine besondere „Wissenschaftsbasierung“,4 der durch die Normierung des § 16 TPG und den gesetzlichen Auftrag der BÄK Rechnung getragen werden soll. Dieser Gesetzestechnik inhärent ist, dass durch die Verwendung der Begrifflichkeiten „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ in § 16 TPG oder „Stand der medizinischen Erkenntnisse“ in § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V den diese Begriffe konkretisierenden Gremien ein teilweise weitreichender Spielraum verbleibt und der Gesetzgeber seinen Regelungsanspruch mehr oder weniger umfassend delegiert.5 Im Transplantationswesen zeigt sich die vom Gesetzgeber ergriffene Chance, sich unangenehmen Fragestellungen zu entziehen,6 insbesondere bei der Organallokation, bei der die BÄK die entscheidende Konkretisierungsfunktion der gesetzlich vorgegebenen Kriterien übernimmt. Angesichts des Umstandes, dass die BÄK (anders als ihre Bezeichnung impliziert)7 ein freiwilliger und privatrechtlicher Zusammenschluss der Landes1 Ruffert, Entformalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdung der Verfassung?, DVBl. 2002, 1145 ff. 2 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 530; Vierhaus, Die Identifizierung von Staat und Parteien – eine moderne Form der Parteidiktatur?, ZRP 1991, 468, (468). 3 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation S. 529. 4 Augsberg, Kooperative Wissensgenerierung im Gesundheitsrecht, GesR 2012, 595, (595). 5 Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 178. 6 Taupitz, Die Zukunft der ärztlichen Selbstverwaltung, MedR 1998, 1, (2). 7 Taupitz, Die Zukunft der ärztlichen Selbstverwaltung, MedR 1998, 1, (2), der darüber hinaus auch davon ausgeht, dass die Bezeichnung der BÄK als „Kammer“ gegen das Verbot der Irreführung in (dem damaligen) § 3 UWG (jetzt § 5 UWG) verstößt.

I. Dogmatische Einordnung

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ärztekammern in der Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins des Privatrechts i. S. d. § 54 BGB ist, wird das Ausmaß ihrer Entscheidungsgewalt im Bereich des Transplantationswesens heftig kritisiert. Zwar wird die Zulässigkeit der Einbeziehung privaten Sachverstandes durch den Gesetzgeber nicht ernsthaft bestritten. Die Reichweite der Entscheidungsmacht privater Gremien und die Vorfahrt der Selbstregulierung ist aber im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen kritisch im Auge zu behalten. Denn die damit zwangsläufig verbundene Reduktion der staatlichen Reglementierungen trifft auf verfassungsrechtliche Hürden u. a. in Gestalt des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, welcher Art die Tätigkeit der BÄK ist, ob der Gesetzgeber ihr einen wesentlichen Rahmen vorgegeben hat und nicht zuletzt, ob sie die für ihre gesetzlich zugestandene Entscheidungsmacht eine hinreichende demokratische Legitimation vorweisen kann.

I. Dogmatische Einordnung Bei der dogmatischen Einordnung der in § 16 Abs. 1 S. 1 TPG geregelten Richtlinienkompetenz der BÄK stellt sich zunächst die Frage, wie die von der BÄK erlassenen TPG-Richtlinien rechtlich zu qualifizieren sind. Anschließend ist zu klären, welcher dogmatischen Kategorie die Richtlinientätigkeit der BÄK zugeordnet werden kann und ob die Richtlinien der BÄK an das Verfassungsrecht gebunden sind.

1. Die Richtlinien der BÄK im Bereich der Transplantationsmedizin Im Bereich des Transplantationswesens ergibt sich der gesamte Richtlinienkatalog der BÄK aus § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 – 7 TPG. Ausweislich § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG stellt die BÄK in Richtlinien den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG, die Verfahrensregeln zur Feststellung des Hirntodes nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG8 sowie die dafür erforderliche ärztliche Qualifikation fest. Nach Verabschiedung des Gewebegesetzes9 im Jahr 2007 wurde die Befugnis der BÄK zur Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nach der nunmehr neuen Nr. 1a des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG – trotz verfassungsrechtlicher Bedenken10 – auch auf die Regeln zur Todesfeststellung für eine etwaige Organentnahme bei toten Embryonen oder Föten erweitert. Wie bereits erwähnt, erstreckt sich die Richtlinienkompetenz der BÄK wegen § 16 Abs. 1 S. 1 8

Zur vom TPG gewählten Todesdefinition vgl. drittes Kapitel, Glp. II. 1. Gesetz über die Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz), BGBl. I 2007, 1574 ff. 10 Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16 Rn. 36. 9

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

Nr. 2 TPG ferner auf die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme auf die Warteliste. Nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG hat die BÄK ebenfalls eine Richtlinie für die Erkennung von Patienten, die nach ärztlicher Beurteilung in den Entnahmekrankenhäusern (nach § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG)11 als Organspender in Betracht kommen sowie nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TPG eine Richtlinie für die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen (einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a TPG) zu erlassen. Bei der letztgenannten Richtlinie, die dem Schutz der Organempfänger dienen soll, ist der Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 lit. a – c TPG insbesondere auch für die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger sowie für die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe und die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, festzustellen. In § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG findet sich die gesetzliche Grundlage für die Richtlinie der BÄK zur Feststellung des medizinischen Erkenntnisstandes für die Regeln zur Organvermittlung, der durch ET vermittelten Organe. Schließlich hat die BÄK eine Richtlinie mit den Anforderungen im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und für die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden zu erlassen. In Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages hat die BÄK bislang alle entsprechenden Richtlinien bis auf die nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a TPG zur Todesfeststellung bei Embryonen oder Föten und nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 TPG zu den Anforderungen der Aufzeichnung der Lebendorganspenden im deutschen Ärzteblatt veröffentlicht.12 Die BÄK äußerte sich hinsichtlich der ihr in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a TPG zugewiesenen Richtlinienkompetenz kritisch und forderte, dass die grundlegenden Entscheidungen zur Todesfeststellung bei Embryonen und Föten vom Gesetzgeber selbst festgelegt werden müssten.13 Die Frage, was vom Gesetzgeber selbst normiert werden muss und was von der BÄK festgestellt werden darf, stellt sich ebenfalls bei den Richtlinien der BÄK, die Regelungen zur Organallokation enthalten. Der Vorstand der BÄK hat seit dem Jahr 199914 fünf Richtlinien gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur: 11

Zu den Aufgaben der Entnahmekrankenhäuser vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 1. Sie sind darüber hinaus auch auf der Homepage der BÄK online abrufbar. 13 Erweiterte und aktualisierte Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Regierungsentwurf für ein Gewebegesetz (BT-Drs. 16/3146) anlässlich der Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 7. März 2007, S. 73. 14 Der Vorstand der BÄK hat nach Vorbereitung durch die StäKO am 13. November 1999 die ersten Richtlinien für Wartelisteführung und die Organvermittlung beschlossen. Vgl. Schreiber/Haverich, Richtlinien für die Warteliste und die Organvermittlung, Dtsch. Ärztbl. 2000, A-385. 12

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– Nierentransplantation, – Lebertransplantation, – Herz- und Herz-Lungen-Transplantation, – Pankreastransplantation, – Dünndarmtransplantation, verabschiedet. Diese bilden das Kernstück des deutschen Organallokationssystems, wobei bereits hinsichtlich deren Rechtsnatur Uneinigkeit besteht. Teilweise wird die Einordnung der Regelungswirkung der Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG gar als die „umstrittenste Frage aus der Gesamtthematik“15 bezeichnet. Auch das BVerfG hat die Rechtsnatur der Transplantationsrichtlinien bislang offengelassen.16

2. Rechtsnatur und Rechtswirkung der „Richtlinien“ nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG Mit Blick auf die Ausgestaltung der BÄK als privatrechtlicher Verein liegt zunächst eine Einordnung der TPG-Richtlinien als private Normsetzung nahe, die gegenüber Dritten keine rechtliche Verbindlichkeit beanspruchen kann. Das TPG definiert den Begriff der Richtlinie17 zwar nicht, trifft aber in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG eine konkrete Aussage zur Rechtswirkung der Richtlinien. Dort heißt es: „Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.“ Wäre Folge dieser Regelung eine rechtliche Bindungswirkung bzw. Außenwirkung der TPG-Richtlinien, käme u. a. auch eine Einordnung als öffentlich-rechtliche Rechtsnorm in Betracht. Die Vorschrift des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG bildet daher den Ausgangspunkt für die dogmatische Einordnung der TPG-Richtlinien. a) Die klassischen Steuerungsinstrumente im Gesundheitssektor Bevor allerdings die Vermutungsregelung erörtert wird, sind zunächst die klassischen Steuerungsinstrumente im Gesundheitssektor sowie deren Rechtsnatur bzw. Rechtswirkungen in den Blick zu nehmen. Auch sind die von der BÄK außerhalb des Transplantationswesens erlassenen Richtlinien zu betrachten.

15

Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 127. Zuletzt BVerfG, Beschluss vom 6. 7. 2016, NJW 2017, 545 ff. 17 Der Übersichtlichkeit halber werden die Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 5 TPG in diesem Abschnitt als „TPG-Richtlinien“ bezeichnet. 16

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

aa) Empfehlungen Im Bereich des Gesundheitswesens wird zwischen Empfehlungen, Leitlinien und Richtlinien differenziert. Nach dem medizinisch-spezifischen Verständnis sind die Veröffentlichungen der medizinischen Fachgesellschaften mit der geringsten Aussagekraft die sog. Empfehlungen. Diese zielen auf den Aufmerksamkeitserhalt von Arzt und Öffentlichkeit bei änderungsbedürftigen Sachverhalten ab.18 Sie beschreiben die Möglichkeit eines ärztlichen Handelns oder Unterlassens und enthalten keine eindeutigen Handlungsanweisungen.19 Durch sie sollen „umfassende Informationen und Anregungen, Ratschläge oder Hinweise sowie konsentierte Lösungsstrategien zu ausgewählten Fragestellungen vermittelt werden.“20 Empfehlungen sind (ihrem Wortlaut entsprechend) unverbindlich. Die BÄK hat im Bereich der Transplantationsmedizin eine Empfehlung zur Lebendorganspende21 und eine weitere für die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Transplantationszentren bei der postmortalen Organentnahme veröffentlicht.22 Auch außerhalb der Transplantationsmedizin finden sich zahlreiche Empfehlungen (und Stellungnahmen) der BÄK, beispielsweise „zur Frage der Vermeidung von Hörstörungen durch Freizeitlärm im Kindes- und Jugendalter“.23 bb) Leitlinien Für die Festlegung des evidenzbasierten medizinischen Standards sind die sog. Leitlinien von zunehmender Relevanz. Zweck der Leitlinien ist es im Allgemeinen, den Stand der Erkenntnisse zu fixieren, also die standardgemäße fachärztliche Behandlung zu umschreiben.24 Leitlinien25 sollen die Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen unterstützen.26 Ihnen liegt keine gesetzliche Ermächtigung zu Grunde. Sie 18

Bachmann/Heerklotz, 1947/1997: Bundesärztekammer im Wandel – Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer, Dtsch. Ärzteblatt, 1997, A-583. 19 Bergmann, Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen, GesR, 2006, 337 (338). 20 So die Richtliniendefinition der BÄK auf ihrer Homepage. Im Internet abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/. 21 Dtsch. Ärzteblatt, 2000, A-3287. 22 Dtsch. Ärzteblatt, 1999, A-2044. 23 Dtsch. Ärzteblatt 2014, A-1921. 24 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, S. 231, Rn. 362. 25 Inhaltlich wird häufig zwischen Behandlungs- Diagnose, oder Organisationsleitlinie differenziert. Vgl. Bergmann, Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen GesR, 2006, 337 (337). 26 So die Definition der BÄK auf ihrer Homepage. Eine ähnliche Definition findet sich auch in: Dtsch. Ärzteblatt, Beurteilungskriterien für Leitlinien der medizinischen Versorgung, 1997, A-2156. Das Institute of Medicine (US) führt zu den ärztlichen „Guidelines“ aus: „Clinical Practice Guidelines are statements that include recommendations intended to optimize patient care that are informed by a systematic review of evidence and an assessment of the benefits and

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stellen für den Arzt die Weiche der Behandlung des Patienten mit dem vorrangigen Ziel, eine optimale Qualität der Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und bilden im Idealfall den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse ab.27 Die von den einzelnen Fachgesellschaften entwickelten Leitlinien, werden von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), in der die Fachgesellschaften organisiert sind, zentral gesammelt und im Internet publiziert.28 Innerhalb der Leitlinien29 wird von der AWMF nochmals anhand der Entwicklungsstufen und den Evidenzgraden (sog. S-Klassifikation in S1, S2 oder S3) der jeweiligen Leitlinien differenziert. Der Klassifikation der Leitlinie lässt sich entnehmen, welches methodische Konzept der Leitlinie zu Grunde liegt und welchen Entwicklungsprozess diese durchlaufen hat.30 Je nachdem auf welcher Stufe sich die Leitlinie befindet, wird ihr entsprechende Bedeutung für die Bestimmung bzw. Prägung des medizinischen Standards zuerkannt.31 Erfüllt eine Leitlinie die für die höchste Evidenzstufe (S3) erforderlichen Anforderungen, soll diese „evidenzbasierte Konsensusleitlinie“ die empirische Vermutung auslo¨ sen, den jeweiligen medizinischen Standard wiederzugeben, soweit sie nicht veraltet ist.32 Von den als Orientierungshilfen konzipierten Leitlinien kann entsprechend in begründeten33 Ausnahmefällen abgewichen werden. Für eine Abweichung von der Leitlinie seitens des behandelnden Arztes ist dabei – je nach Klassifikation – ein erhöhter Begründungsaufwand erforderlich. Bei den Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften handelt es sich um unverbindliche privatrechtliche Empfehlungen.34 Aus diesem Grund können sie den meharms of alternative care options“. Vgl. Clinical practice guidelines we can trust. National Academies Press, 2011. 27 No¨ lling, Es bleibt dabei: Leitlinien sind nicht rechtlich verbindlich, GMS Mitt AWMF, 2014, S. 1. 28 Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1029. 29 Angesichts der kaum überschaubaren Anzahl an Leitlinien hat die AWMF in Zusammenarbeit mit der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung (ÄZQ) bereits im Jahr 2000 ein „Leitlinienmanual“ veröffentlicht. 30 Vgl. umfassend: Borowski/Kopp, Medizinische und rechtliche Verbindlichkeit von Leitlinien, Zeitschrift für Herz-, Thorax und Gefäßchirurgie, Z Herz- Thorax- Gefa¨ ßchir 2015, 116 ff. 31 Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1029; Hart, Leitlinien und Haftung: Grundlagen, GesR 2011, 387 f. 32 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 363. 33 OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2014 – I-3 U 66/14. 34 Fancke, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 125; No¨ lling, Es bleibt dabei: Leitlinien sind nicht rechtlich verbindlich. GMS Mitt AWMF, 2014, S. 1. Auch die Rechtsprechung bestätigt die Unverbindlichkeit. Der BGH führt dementsprechend aus: „Leitlinien von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden können (im Gegensatz zu den Richtlinien der Bundesausschu¨ sse der Ärzte und Krankenkassen) nicht unbesehen mit dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers gebotenen medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Sie können kein Sachverständigengutachten ersetzen und nicht unbesehen als Maßstab für den Standard übernommen werden“. Vgl. BGH, Beschluss vom 28. 3. 2008 – VI ZR 57/07, Rn. 4; Zustim-

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dizinischen Standard35 nicht konstitutiv festlegen und keine verbindlichen Verhaltensanweisungen bestimmen. Sie stellen lediglich einen Wegweiser für den medizinischen Standard dar.36 Leitlinien unterscheiden sich somit grundsätzlich von rechtlich verbindlichen Standards oder Rechtsnormen.37 Sie lassen sich in der Nähe des sog. „antizipierten Sachverständigengutachtens“ verorten.38 Die BÄK hat Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, zur Qualitätssicherung in der Computertomographie sowie zur Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik veröffentlicht.39 Ausweislich der Präambeln der Leitlinien hat die BÄK diese ohne gesetzlichen Auftrag als Zusammenfassung der ärztlichen Qualitätsanforderungen und Empfehlungen zu dem jeweiligen Thema veröffentlicht. cc) Richtlinien Anders als Leitlinien basieren die für den Gesundheitssektor erlassenen Richtlinien auf einer gesetzlichen Grundlage und werden von gesetzlich dazu ermächtigten Institutionen wie beispielsweise dem GBA erlassen und erhalten dementsprechend eine erhöhte rechtliche Verbindlichkeit.40 Erste Assoziation zum Begriff der Richtlinie im Gesundheitswesen sind häufig die vom GBA erlassenen Richtlinien, waren diese doch Vorreiter bei der Frage nach der rechtlichen Qualität und standen im Zentrum der Diskussion um Richtlinien, sodass ein Vergleich angebracht erscheint. (1) Die Richtlinien des GBA nach § 92 SGB V Dass Richtlinien ein Höchstmaß an Verbindlichkeit erreichen können, lässt sich an der heutigen Ausgestaltung der GBA-Richtlinien belegen. Nach § 92 Abs. 1 SGB V beschließt der GBA „die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“ und gilt als die Institution der funktionalen Selbstverwaltung. Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik konnte die Vorgängerinstitution des GBA, der Reichsausschuss für Ärzte und Krankenkassen, nach mend auch BGH, Urteil vom 15. 4. 2014 – VI ZR 382/12, Rn. 17 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 48. 35 Vgl. zum ärztlichen Standard: Buchborn, Ärztlicher Standard: Begriff-EntwicklungAnwendung, MedR 1993, 328 ff. 36 OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2014 – I-3 U 66/14. 37 Borowski/Kopp, Medizinische und rechtliche Verbindlichkeit von Leitlinien, Zeitschrift für Herz-, Thorax und Gefäßchirurgie, Z Herz- Thorax- Gefa¨ ßchir 2015, S. 116 ff. 38 Clemens, Leitlinien und Sozialrecht, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 148; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 367. 39 Diese sind auf der Homepage der BÄK abrufbar. 40 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 190; Sickor, Die Hierarchie arztrechtlicher Normen, S. 177 ff.

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§ 368 e RVO unverbindliche41 Richtlinien zur einheitlichen ärztlichen Versorgung erlassen.42 Die heutige verfassungsrechtliche Kontroverse um die Richtlinientätigkeit des GBA begann mit der Übertragung einer Kompetenz zum Erlass von Ausführungsbestimmungen zu Arztverträgen und der wirtschaftlichen Krankenversorgung auf seine Vorgängerinstitution, den Reichsausschuss, durch § 368 i der Notverordnung des Reichspräsidenten43 vom 14. 1. 1932.44 Anders als den vorherigen Richtlinien nach § 368 e RVO kam den Ausführungsbestimmungen jetzt rechtliche Verbindlichkeit zu.45 Die Vorschrift des § 368 RVO wurde erst im Jahr 1955 durch das Gesetz zur Änderung des Kassenarztrechts46 erneuten Änderungen unterzogen. Auf Grund verfassungsrechtlicher Bedenken wurde beschlossen, die Bundesausschüsse nicht zum Erlass von verbindlichen Regelungen zu ermächtigen, sondern das Konstrukt der „unverbindlichen Richtlinie“ in dem – an die Stelle des § 368 i getretenen – § 368 p RVO einzuführen.47 Statt „Bestimmungen“ wurde nun von Richtlinien gesprochen48. Eine Verbindlichkeit außerhalb der beteiligten Körperschaften, Ärzten und Krankenkassen, die sich aus entsprechenden Geltungsanordnungen in den Satzungen der Landesverbände und Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen ergab, wurde von der Rechtsprechung des BSG gegenüber den Versicherten verneint und die Richtlinien als bloße Verwaltungsvorschriften ohne Außenwirkung eingeordnet.49 Durch die Einbeziehung der Richtlinien in die Verträge zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen und die dadurch erfolgte Inkorporation in den Bundesmantelvertrag-Ärzte erlangten die Richtlinien dennoch eine rechtliche Verbindlichkeit, wenn auch indirekt. Unter Geltung des SGB 41 So zumindest die damals herrschende Auffassung im Schrifttum, die einen zwingenden Charakter der Richtlinien verneinte. Vgl. umfassend dazu: Richter, Die Einrichtungen der kassenärztlichen Selbstverwaltung, in: FS Ehrenberg, S. 120 ff. 42 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 116, Fn. 656, S. 119, Fn. 689. 43 Verordnung vom 18. 1. 1932 (RGBl. 1, 19). Dem Reichsarbeitsminister kam nach der Verordnung ein eigenes Recht zum Erlass von Ausführungsbestimmungen zu. 44 Schmidt-Rögnitz, Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung, S. 66. 45 Die „Richtlinien des Reichsausschusses der Ärzte und Krankenkassen für wirtschaftliche Arzneiversorgung“ vom 16. 12. 1932 wurden durch die „Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über wirtschaftliche Arzneiversorgung in der Sozialversicherung“ im Jahre 1935 ersetzt. Vgl. Schmidt-Rögnitz, Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung, S. 66. 46 Gesetz über Änderungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung und zur Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes (Gesetz über Kassenarztrecht – GKAR), BGBl I, 513. 47 BT-Drs. II/1313, S. 10. Ossenbühl, Richtlinien im Vertragsarztrecht, NZS 1997, 497 (501); Schmidt-Rögnitz, Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung, S. 69. 48 BT-Drs. II/1313, S. 10. 49 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 118; BSGE 35, 10 (14); 38, 35 (37 f.); 52, 70 (73); 63, 102 (104 f.); Waldhoff, Untergesetzliche Normsetzung in einer informell vernetzten Gesundheitsversorgung, MedR 2016, 654 f.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

V und durch die „Methadon“-Entscheidung des BSG50 erfolgte schließlich die vollständige Anerkennung der Normqualität der Richtlinien. Das Gericht hob in der Entscheidung die Rechtsnormqualität der Richtlinien hervor und sprach ihnen normative Verbindlichkeit gegenüber Ärzten, Krankenkassen und auch gegenüber den Versicherten zu. Die Verbindlichkeit gegenüber den Versicherten stützte das BSG zum einen auf Vorschriften des SGB, die ausdrücklich bestimmen, dass die Ausgestaltung des Leistungsrechts der Richtliniengebung des Ausschusses unterliegt,51 zum anderen ergebe sich eine Verbindlichkeit auch unmittelbar aus der Funktion des § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V.52 Bei Errichtung des GBA im Jahr 2003 wurde dieser vom Gesetzgeber folglich als: „neue sektorenu¨ bergreifende Rechtsetzungseinrichtung53 der gemeinsamen Selbstverwaltung“54 bezeichnet. Durch den Gesetzgeber ist dadurch dem GBA das „Recht der Konkretisierung der Leistungsansprüche“ übertragen worden.55 Den Einwand, es fehle im Verhältnis zu den Versicherten an einer Verbindlichkeitsanordnung,56 entkräftete der Gesetzgeber mit der Einführung des § 91 Abs. 6 SGB V durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 25. 11. 2003,57 in dem es heißt, dass die Beschlüsse des gemeinsamen Bundesausschusses für die Versicherten, die Krankenkassen und für alle an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und die zugelassenen Krankenhäuser verbindlich sind. Der 6. Senat des BSG hat mit Urteil vom 31. Mai des Jahres 200658 ausgeführt, dass der normativ wirkende Rechtscharakter der Richtlinien des GBA nunmehr geklärt sei. Die GBA-Richtlinien sind durch die Verbindlichkeitsanordnung zu verbindlicher exekutiver Normsetzung erklärt worden. (2) Richtlinien der BÄK außerhalb des Organtransplantationswesens Ausweislich der eigenen Richtliniendefinition der BÄK59 handelt es sich bei ihren Richtlinien um „generell abstrakte Handlungsanweisungen“, die den „Stand der 50

BSGE 78, 70 ff. Rn. 20. BSGE 78, 70 ff. Rn. 22 u. a. mit Verweis auf: §§ 22 Abs. 2 S. 1; 25 Abs. 4 S. 2, 3; 26 Abs. 2, 29 Abs. 4 SGB V. 52 Kritische Auseinandersetzung mit dem Urteil bei Ossenbühl, Richtlinien im Vertragsarztrecht, NZS 1997, 497 (501). 53 Hervorhebung nicht im Original. 54 BT-Drs. 15/1525, S. 106. 55 Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, § 92, Rn. 1. 56 So etwa Ossenbühl, Richtlinien im Vertragsarztrecht, NZS 1997, 497 (501); a. A. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 120. 57 GKV-Modernisierungsgesetz vom 25. 11. 2003, BGBl. I 2190. 58 BSG, Urteil vom 31. 5. 2006 – B 6 KA 13/05 R, Rn. 58; Wenner, Der Gemeinsame Bundesausschuss GBA aus der Sicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, GuP 2013, 41, (42). 59 Vgl. die Definition auf der Homepage der BÄK zum Stichwort „Richtlinie“. Im Internet abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/. 51

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Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt widerspiegeln“; die gesetzliche Ermächtigungsnorm lege insbesondere den „Inhalt, Umfang und das Verfahren einschließlich der Beteiligung von Institutionen oder Personen fest“. Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft werde ferner „(widerlegbar) vermutet“, wenn die jeweilige Richtlinie beachtet worden sei.60 Die gesetzliche Beauftragung der BÄK, den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien festzustellen, zieht sich wie ein roter Faden durch das Transplantationsrecht, ist gleichzeitig allerdings nicht auf dieses begrenzt. Entsprechend tritt die BÄK vermehrt als Richtliniengeber in Erscheinung und hat auch außerhalb des Organtransplantationswesens Richtlinien auf gesetzlicher Grundlage erlassen. Dies sind bislang: – die Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion,61 – die Richtlinie zur Gewinnung von Spenderhornhäuten und zum Führen einer Augenhornhautbank,62 – die Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie),63 – die Richtlinie zur Herstellung und Anwendung von hämatopoetischen Stammzellzubereitungen,64 – die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen,65 – sowie die zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger.66 Diesen Richtlinien ist gemein, dass sie (wie auch die TPG-Richtlinien) zunächst auf einer gesetzlichen Grundlage basieren und in eine gesetzliche Vermutungsregelung, entsprechend der in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG, eingestellt sind. 60 Vgl. die Definition auf der Homepage der BÄK zum Stichwort „Richtlinie“. Im Internet abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/. 61 Dtsch. Ärztebl. 2018, A1 (DOI: 10.3238/arztebl.2018.Rili_assReproduktion_2018). 62 Dtsch. Ärztebl. 2018, A1 (DOI: 10.3238/arztebl.2018.rl_augenhornhautbank_02). 63 Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie) Gesamtnovelle 2017 in der vom Vorstand der Bundesärztekammer auf Empfehlung seines Wissenschaftlichen Beirats am 17. 2. 2017 verabschiedeten Fassung mit vom Vorstand der Bundesärztekammer auf Empfehlung seines Wissenschaftlichen Beirats am 18. 1. 2019 verabschiedeten Erratum/Anpassungen. 64 Dtsch. Ärztebl. 2019, A1 (DOI: 10.3238/arztebl.2019.rl_haematop_sz02). 65 Dtsch. Ärztebl. 2019, A1 (DOI: 10.3238/arztebl.2019.rili_baek_QS_Labor20192312). 66 Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger vom Vorstand der Bundesärztekammer in seiner Sitzung am 27./ 28. April 2017 verabschiedeten Fassung.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

(a) Richtlinien im Gewebebereich Die beiden erstgenannten Richtlinien, die die Entnahme und Übertragung von Geweben bzw. Zellen betreffen, finden ihre Rechtsgrundlage in § 16 b TPG. Im Zuge der europarechtskonformen Umsetzung der EU-Geweberichtlinie67 und ihrer Durchführungsrichtlinien in nationales Recht durch das Gewebegesetz68 von 2007 erhielt das TPG in § 16 a eine Rechtsverordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Gesundheit. Denn um die EU-Geweberichtlinie verbindlich in nationales Recht übernehmen zu können, bedurfte es einer Rechtsverordnung.69 Nach § 16 a TPG kann das BMG durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates und nach Anhörung der Bundesärztekammer und weiterer Sachverständiger die Anforderungen an Qualität und Sicherheit der Entnahme von Geweben und deren Übertragung regeln, sofern dies zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder zur Risikovorsorge erforderlich ist. Das BMG hat die entsprechende Verordnung (TPG-Gewebeverordnung (TPG-GewV))70 bereits kurz nach der Änderung des TPG verabschiedet.71 Die Richtlinienkompetenz der BÄK wurde in § 16 b TPG geregelt.72 Dieser ermächtigt die BÄK, „ergänzend“ zu der Rechtsverordnung des BMG den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, – im Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde – insbesondere für die ärztliche Beurteilung der medizinischen Eignung als Gewebespender, die Untersuchung der Gewebespender und die Entnahme, Übertragung und Anwendung von menschlichen Geweben, festzustellen. Die zuständige Bundesoberbehörde ist gem. § 21 TPG das Paul-Ehrlich-Institut. Auch im Gewebebereich wird nach § 16 b Abs. 2 TPG die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vermutet, wenn die Richtlinien der BÄK beachtet worden sind. 67 Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 31. 3. 2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen, ABl. Nr. L 102 v. 2. 4. 2004, 48 ff. 68 Gesetz über die Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz), BGBl I, 1574 ff. Vgl. dazu auch: von Auer, Das Gewebegesetz – Hintergründe und Konsequenzen, Transfusion Medicine and Hemotherapy, 2008, 407 ff. 69 BT-Drs. 16/3146, S. 43. Der Bundesrat sprach sich in seiner Stellungnahme hingegen gänzlich gegen eine Verordnungsermächtigung aus, um die EU-Richtlinie in einer Richtlinie der BÄK umzusetzen. Vgl. BT-Drs. 16/3146, S. 50. 70 TPG-Gewebeverordnung vom 26. März 2008, BGBl. I, 512. 71 Trotz des anderslautenden Titels der umzusetzenden EU-Geweberichtlinie verzichtet die TPG-GewV auf Regelungen zur Verteilung von Geweben gänzlich. Auch im Gewebebereich gibt es aber knappe Ressourcen wie beispielsweise Herzklappen oder Leberzellen. Vgl. dazu Augsberg, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16 a, Rn. 32 mit Verweis auf eine diese Problematik hervorhebende Stellungnahme des Bundesrates zum Gewebegesetz. Vgl. BT-Drs. 16/3146. 72 Die Vorschrift des § 16 b wurde erst auf Empfehlung des Bundesausschusses für Gesundheit nachträglich in den Entwurf zum Gewebegesetz eingeführt, vgl. BT-Drs. 16/5433, S. 50. Der Ausschuss fu¨ r Gesundheit hat sich für eine fakultative Richtlinienkompetenz der BÄK ausgesprochen.

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Von der in § 16 b TPG normierten Möglichkeit hat die BÄK Gebrauch gemacht und die beiden bereits genannten Richtlinien veröffentlicht. (b) Richtlinien im Transfusionswesen Die Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen (Hämotherapierichtlinie) sowie die Richtlinie zur Herstellung und Anwendung von hämatopoetischen Stammzellzubereitungen basieren auf Normen des Transfusionsgesetzes (TFG).73 Insbesondere als Reaktion auf die Verseuchung74 von Blut und Blutprodukten mit dem HIV-Virus wurde 1998 – ein Jahr nach Inkrafttreten des TPG – das Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens erlassen. Blut und seine Bestandteile sind dementsprechend nach § 1a TPG vom Anwendungsbereich des TPG ausgenommen. Die entscheidenden Vorschriften hinsichtlich der Richtlinienkompetenz der BÄK befinden sich in § 12 a TFG und § 18 TFG. Ebenfalls durch das Gewebegesetz von 2007 wurde eine Rechtsverordnungsermächtigung des BMG (wie in § 16 a TPG) im Bereich der Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen eingeführt, wonach es die fachlichen Anforderungen durch Rechtsverordnung regeln kann, „sofern dies zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder zur Risikovorsorge erforderlich“ ist.75 Die Richtlinienkompetenz der BÄK im Bereich des Transfusionswesens findet sich seitdem in § 12 a TFG,76 der (wie § 16 b TPG) eine „ergänzende“ Möglichkeit vorsieht, den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik“ – im Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut,77 – in Richtlinien festzustellen.78 Die Vermutungsregelung zugunsten der BÄK-Richtlinien findet sich in § 12 a Abs. 2 TFG. Für die Anwendung von Blutprodukten sieht § 18 Abs. 1 TFG ebenfalls eine Ermächtigung der BÄK zum Erlass von Richtlinien nebst Vermutung in § 18 Abs. 2 TFG vor. Vor dem Hintergrund, dass das BMG bislang von einer Rechtsverordnung

73 Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz- TFG) vom 1. 7. 1998, BGBl I, 1752. Auf Grund der zahlreichen Änderungen wurde das TFG zwischenzeitlich am 28. 8. 2007 neu bekanntgemacht, vgl. Bäsler/Bein/Bender, in: Pühler/Middel/Hübner, Praxisleitfaden Gewebegesetz, S. 126. Für die Transfusionsmedizin hat die BÄK bereits im Jahre 1958 Richtlinien beschlossen. 74 Sog. „Blutskandal“ vom Herbst 1993 vgl. Bäsler/Bein/Bender, in: Pühler/Middel/Hübner, Praxisleitfaden Gewebegesetz, S. 125. 75 BT-Drs. 16/5443 S. 45 f. Von § 12 TFG hingegen wurde noch kein Gebrauch gemacht, sodass die BÄK erst im Jahr 2017 die (bereits erwähnte) Gesamtnovelle der „Richtlinie Hämotherapie“ nach § 12,18 TFG verabschiedet hat. Vgl. Glp. I. 2. a) cc), (2). 76 Sowie in § 18 TFG vgl. dazu Bender, Der Entwurf eines Transfusionsgesetzes unter Einwilligungsgesichtspunkten, ZRP 1997, 353 (353). 77 Durch Gesetz vom 7. Juli 1972 (BGBl. I S. 1163) wurde das ursprünglich als öffentliche Anstalt des Landes Hessen gegründete Bundesamt für Sera und Impfstoffe unter der Bezeichnung Paul-Ehrlich-Institut als selbstständige Bundesoberbehörde errichtet. Vgl. Meyer/ Quarg, Zentrale Einrichtungen des Gesundheitswesens, S. 44. 78 Schon seit 1980 ist das Paul-Ehrlich-Institut an der Richtlinienerarbeitung beteiligt.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

nach § 12 TFG abgesehen hat, veröffentlichte die BÄK im Jahr 2017 die erwähnte Richtlinie Hämotherapie als Gesamtnovelle nach §§ 12 a, 18 TFG. (c) Sonstige Richtlinien Hinsichtlich der Richtlinie Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen ist zu erwähnen, dass in der Richtlinie keine rechtliche Grundlage für die Richtlinie genannt ist. Dies folgt aus dem Umstand, dass § 9 Abs. 1 S. 2 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV)79 als einzig in Betracht kommende rechtliche Grundlage lediglich die Regelung enthält, dass eine ordnungsgemäße Qualitätssicherung (bei laboratoriumsmedizinischen Untersuchungen) vermutet wird, „wenn Teil A der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, Heft 38 vom 19. September 2014, S. A 1583) beachtet wird.“ Im Oktober 2019 wurde die Richtlinie, auf die die Verordnung verweist, durch die derzeitige Version abgelöst. Die Ermächtigung der BÄK zum Erlass einer Richtlinie zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger, ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 der 15. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung (BtmÄndV).80 Dort heißt es, dass die BÄK den „Stand der medizinischen Wissenschaft“ feststellen kann, wobei die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft gem. § 11 Abs. 1 S. 2 BtmÄndV vermutet wird, wenn und soweit die Richtlinien eingehalten worden sind. b) Die Einordnung der Richtlinien im Schrifttum Teile der Literatur ordnen die TPG-Richtlinien mit Blick auf das medizinrechtliche Begriffsverständnis der Richtlinien nicht als Rechtsnormen, sondern als „standesrechtlich verbindliche Regelungen der ärztlichen Kunst“81 ein, die als privat gesetzte Regeln lediglich durch ihre Umsetzung in Satzungsrecht der Landesärztekammern rechtliche Verbindlichkeit gegenüber den Ärzten erlangten.82 Die Gesetzesbegründung zum TPG erkläre die Richtlinien zu bloßen „Entscheidungshilfen“83 des Arztes zur ordnungsgemäßen und gewissenhaften Berufsausübung, wie sie

79 Verordnung über das Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten (Medizinprodukte-Betreiberverordnung – MPBetreibV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. August 2002, BGBl. I, 3396. 80 Fünfzehnte Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften, Fünfzehnte Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung – 15. BtMÄndV, BGBl. I, 1180. 81 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 16, Rn. 4. 82 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 179. 83 BT-Drs. 13/4355 S. 29.

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die Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä)84 in § 2 Abs. 3 – unter Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse – fordert. Die Richtlinien seien als sog. antizipierte Sachverständigengutachten85 zur Konkretisierung und Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffes des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft keine hoheitlichen Normen.86 Dass den Richtlinien keine rechtsverbindliche Wirkung zukomme, ergebe sich auch aus der in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG enthaltenen Vermutungswirkung.87 Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 16 Abs. 1 S. 2 TPG gelte die „im Einzelfall widerlegbare Vermutung, dass bei Beachtung der Richtlinien der Stand der medizinischen Wissenschaft eingehalten ist.“88 Gegen den Rechtsnormcharakter der Richtlinien spräche daher die Vermutungsregelung,89 da Rechtsnormen vorbehaltlos zu beachten seien. Gerade diese Vermutungswirkung verdeutliche, dass die Richtlinien keinen „absoluten Geltungsanspruch“90 für sich und somit auch keine Verbindlichkeit innehätten.91 Weitere Stimmen ordnen die TPG-Richtlinien ebenfalls nicht als hoheitliche Normen ein, sehen aber in der vom Gesetzgeber in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG gewählten Gesetzestechnik eine sog. normkonkretisierende dynamische Verweisung92 auf die jeweils geltende Fassung der TPG-Richtlinien der BÄK. Eine eigene Rechtsver84 ¨ (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte MBO-A 1997 in der Fassung der Beschlüsse des 121. Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt. 85 Zu der Konstruktion des antizipierten Sachverständigengutachtens s. Vieweg, Antiziperte Sachverständigengutachten, NJW 1982, 2473 ff. und Rittstieg, Das antizipierte Sachverständigengutachten, NJW 1983, 1098 ff. 86 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 16, Rn. 20; ähnlich auch Hess, Die rechtliche Einordnung der Richtlinien der Bundesärztekammer, in: FS Dahm, 231 (238) und Kreße, Rechtsschutz für Patienten hinsichtlich der Zuteilung von Organen nach dem Transplantationsgesetz, MedR 2016, 491 (493). Taupitz möchte den Richtlinien zwar nicht die Qualität „echter“ Rechtsnormen zugestehen, räumt ihnen jedoch eine rechtsnormgleiche faktische Wirkung ein, vgl. Taupitz, Richtlinien in der Transplantationsmedizin, NJW 2003, 1145 (1148). 87 So die Bundesregierung im Jahr 2011: „Durch die in § 16 Absatz 1 Satz 2 TPG enthaltene Vermutungswirkung der Richtlinien ist klargestellt, dass diesen selbst keine rechtsverbindliche Wirkung zukommt, sondern diese als sog. antizipierte Sachverständigengutachten zu betrachten sind“. Vgl. BT-Drs. 17/7376, S. 36. 88 BT-Drs. 13/4355, S. 29. 89 Bekanntes nationales Beispiel einer Vermutungsregelung ist § 342 Abs. 2 HGB für die Rechnungslegungsstandards des Deutschen Rechnungslegungsstandards Committee e. V. (DRC). Auch dort wird die Beachtung der die Konzernrechnungslegung betreffenden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung vermutet, soweit die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bekanntgemachten Empfehlungen einer nach Absatz 1 Satz 1 anerkannten Einrichtung (DRC) beachtet worden sind. 90 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 16, Rn. 20. 91 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 16, Rn. 20. 92 Augsberg, Die Bundesärztekammer im System der Transplantationsmedizin, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 50; Rosenau, Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der BÄK in: Middel/Pühler/Lilie/ Vilmar, Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 73; Mengel, Sozialrechtliche Rezeption ärztlicher Leitlinien, S. 171.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

bindlichkeit bzw. Rechtsgeltung erhielten die Richtlinien durch die Verweisung jedoch nicht.93 Schließlich werden die TPG-Richtlinien im Schrifttum auch als exekutive Rechtssetzung qualifiziert. Teilweise wird dementsprechend versucht, die Richtlinien der Kategorie der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift als untergesetzlichem Normsetzungsinstrument zuzuordnen.94

3. Einordnung der Richtlinien Für die Beantwortung der Frage, ob die TPG-Richtlinien als öffentlich-rechtliche Rechtsnormen zu qualifizieren sind, ist zu klären, ob es sich bei diesen um „abstraktgenerelle Regelungen handelt, die Rechte und Pflichten gegenüber dem Bürger oder sonstigen selbstständigen Rechtspersonen begründen, ändern oder aufheben.“95 Rechtsnormen sind gegenüber ihren Regelungsadressaten verbindlich und sollen auch gegen ihren Willen durchgesetzt werden können. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei den TPG-Richtlinien um abstrakt-generelle Regelungen handelt, da sie an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet sind und verschiedene Sachverhalte umfassen.96 Fraglich bleibt daher allein die Bindungswirkung der Richtlinien. Betrachtet man die sonstigen von der BÄK erlassenen Richtlinien und die diesen zugrunde liegenden, in Wortlaut und Systematik ähnlichen Rechtsgrundlagen in § 16 b TPG oder § 12 a TFG, könnte dies gegen eine normative Verbindlichkeit der TPG-Richtlinien sprechen. So heißt es in der Gesetzesbegründung zum Gewebegesetz in der Gegenäußerung der Bundesregierung hinsichtlich der Richtlinienkompetenz der BÄK, dass die Feststellung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik „nicht zu einer rechtlich verbindlichen Regelung gegenüber den an der Gewebespende beteiligten Personen“ führt.97 Dass der Gesetzgeber dieser Auffassung gefolgt ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass zur Umsetzung der EU-Geweberichtlinie der neue § 16 a TPG mit der Verordnungsermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit eingefügt wurde, da eine Regelung des Gewebebereichs in den rechtsunverbindlichen Richtlinien der BÄK die Anforderungen an die Qualität eines EU-Umsetzungsaktes 93

Berger, Die Bundesärztekammer, S. 93; Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 152. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 182 ff. Auch die GBA-Richtlinien werden teilweise als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften eingeordnet, vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive, S. 412. Vgl. zum Instrument der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften: Gerhardt, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NJW 1998, 2233 ff.; Hill, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NVwZ 1989, 401 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 355. 95 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 180 mit Verweis auf Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht § 4 Rn. 3 f. 96 Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz- verfassungsgemäß?, S. 81. 97 BT-Drs. 16/3146, S. 62. 94

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nicht erfüllen konnte.98 Auch der Gesetzesbegründung zum TFG ist zu entnehmen, dass die Richtlinien der BÄK nach §§ 12a, 18 TFG sich (nur) im Einzelfall „verbindlich durch Auflagen der zuständigen Bundesoberbehörde“ konkretisieren sollen.99 Allerdings ist bei der Einordnung der TPG-Richtlinien zu beachten, dass diese nicht mit den sonstigen Richtlinien der BÄK vergleichbar sind.100 Zwar basieren sie auf gesetzlicher Grundlage und enthalten eine ähnliche Vermutungsregelung. Dennoch bestehen gewichtige Unterschiede. Dies betrifft bereits die Reichweite der gesetzlich übertragenen Richtlinienkompetenz. Sowohl § 16 b TPG als auch § 12 a TFG sehen lediglich eine fakultative Richtlinientätigkeit als bloße Ergänzung zu den Rechtsverordnungen des BMG vor. Ferner können die Richtlinien nur im Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde erlassen werden. Solche Regelungen enthält § 16 Abs. 1 S. 1 TPG hingegen nicht. Selbiges gilt auch für die Regelung in § 9 MBetreibVO. Allein aus einer etwaigen Unverbindlichkeit der sonstigen Richtlinien der BÄK außerhalb des Organtransplantationswesens ergibt sich daher kein Rückschluss auf die Verbindlichkeit der TPG-Richtlinien. Gegen die Einordnung der TPG-Richtlinien als ärztliches Standesrecht, das lediglich als internes Satzungsrecht gegenüber den Mitgliedern der Personalkörperschaften Verbindlichkeit erlangt, spricht, dass durch die Vermutungsregelung in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG eine allgemeine Bindung der Entscheidungsträger (Transplantationszentren und Eurotransplant) an die TPG-Richtlinien erfolgt. Zwar soll die Vermutungsregelung ausweislich der Gesetzesbegründung grundsätzlich „widerlegbar“101 sein. Im Schrifttum besteht aber Einigkeit dahingehend, dass – unabhängig von der dogmatischen Einordnung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG etwa als normkonkretisierende Verweisung102 – eine Widerlegung der von Fachleuten erstellten und in den Richtlinien getroffenen Regelungen selten bzw. gar nicht möglich ist, sodass eine Widerlegungsmöglichkeit nur bei Druckfehlern oder offensichtlichen Irrtümern besteht.103 Der Vermutungswirkung ist daher eine „Befassungs- und Befolgungs98 BT-Drs. 16/3146, S. 62 zum Gewebegesetz mit Verweis auf EuGH, C-361/88 [TA-Luft], Slg. 1991, I-2567, Rn. 20 ff. Danach fehle Verwaltungsvorschriften der für einen Umsetzungsakt erforderliche zwingende Charakter. 99 BT-Drs. 13/9594, S. 17. 100 Ähnlich auch Berger, Die Bundesärztekammer, S. 82. 101 BT-Drs. 13/4355, S. 29. 102 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik der normkonkretisierenden Verweisung: Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 405 ff.; Backherms, Das DIN e. V. Institut für Normung als Beliehener, S. 71 ff., Dreier, in: Dreier GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 121; Schultze-Fielitz, in: Dreier GG Kommentar, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 144. Für eine Unzulässigkeit der dynamischen Verweisung auf nicht-staatliche Regelungen auch: Badura, Staatsrecht, Rn. 49. Zur Abgrenzung von der sog. „Generalklauselmethode“ vgl. Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 132 ff. 103 Deutsch, Das Transplantationsgesetz vom 5. 11. 1997, NJW 1998, 777, (780); Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 135 f.; Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16, Rn. 2; ebenso Rosenau, der darauf hinweist, dass eine Nichtbefolgung der Richtlinien „realistisch nicht durchsetzbar“ sei, vgl. Rosenau, in: FS Deutsch, Die Setzung von Standards in der

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pflicht“104 inhärent.105 Es obläge dem Patienten zu beweisen, dass die von der BÄK getroffenen Regelungen nicht dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bzw. der fachärztlichen Praxis entsprechen.106 Dies dürfte für einen vom Tode bedrohten Patienten, der sich gegen eine Nichtaufnahme auf die Warteliste wehren möchte, aber ein unüberwindbares Hindernis darstellen, zumal im TPG jegliche Rechtsschutzvorschriften fehlen.107 Durch die Bindung der Transplantationszentren an die Richtlinien der BÄK gem. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG, der DSO gem. § 11 Abs. 1a S. 2 TPG und Eurotransplants durch § 5 des Vermittlungsstellenvertrages wirken die Richtlinien ferner über den Kreis der eigenen Angelegenheiten der Selbstverwaltung des ärztlichen Berufsstandes hinaus und entfalten Außenwirkung auch für Dritte.108 Wie bereits dargelegt, können die Regelungen zur Organallokation nicht rein medizinisch-naturwissenschaftlich durch die Feststellung des medizinischen Erkenntnisstandes begründet werden.109 Vielmehr müssen sie auch ethische Verteilungskriterien und normative Wertentscheidungen enthalten. Den organspezifischen Richtlinien der BÄK zur Aufnahme auf die Warteliste und zur Organvermittlung sind zahlreiche normative Kriterien (wie beispielsweise das Kriterium der „Compliance“)110 zu entnehmen, die den Zugang zur Warteliste beschränken oder auf der zweiten Selektionsebene die Rangfolge auf der Warteliste bestimmen.111 Die Richtlinien erschöpfen sich daher nicht in der bloß deskriptiven Festlegung des vorherrschenden Standes der medizinischen Wissenschaft, sondern regeln verbindlich anzuwendende Kriterien für die Organallokation.112 Selbst wenn der Gesetzgeber eine unmittelbare Geltung der Richtlinien nicht gewollt haben sollte,113 ändert dies nichts daran, dass sie durch die faktische Bedeutung der normierten Vermutungswirkung in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG zur maßgeblichen SteuerungskomTransplantation, S. 439; Scholz/Middel, Medizinrecht, § 16, Rn. 2; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 356. 104 Möllers/Fekonja, Private Rechtsetzung im Schatten des Gesetzes, ZGR 2012, 777 (804); ähnlich auch Rosenau, Die Setzung von Standards in der Transplantation, in: FS Deutsch, S. 439. 105 Zur „unwiderlegbaren Vermutung“ vgl. Bachmann, Private Ordnung, S. 372. 106 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 43. 107 Sickor, Der Genehmigungsvorbehalt für Richtlinien nach § 16 TPG, GesR 2014, 204 (205); zum Rechtsschutz im Transplantationsrecht vgl. Clement, Der Rechtsschutz der potenziellen Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz. 108 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 180; Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 59. 109 Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 3. a). 110 Vgl. fünftes Kapitel, Glp. IV. 4. a) aa) (1). 111 Für die Warteliste vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 1. b). Für die Verteilung vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 2. b). 112 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 60. 113 In diesem Sinne Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 181.

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ponente des Transplantationsrechts erstarken.114 Dass zu dieser Erkenntnis letztlich auch der Gesetzgeber gelangt ist, lässt sich an der Einführung des Genehmigungsvorbehaltes in § 16 Abs. 3 TPG durch das BMG erkennen. Hieß es im Jahr 2011 seitens der Bundesregierung noch dazu, dass den Richtlinien „keine rechtsverbindliche Wirkung“ zukäme, ein Genehmigungsvorbehalt mithin überflüssig sei,115 ist im Jahre 2013 ein solcher schließlich doch in das TPG eingeführt worden. Wären die Richtlinien also tatsächlich unverbindliche Regelungen, wäre die Einführung unsinnig und widersprüchlich. Losgelöst von der konkreten rechtsdogmatischen Einordnung der Richtlinien als „normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften“,116 Richtlinien mit quasi-hoheitlichem Charakter“,117 durch „Private gesetzte Rechtsnormen“,118 faktische Wirkung wie Rechtsnormen,119 oder als „rechtsverbindliche normative Verhaltensanweisungen“120 besteht Einigkeit dahingehend, dass die Richtlinien auf Grund ihrer Außenwirkung und Verbindlichkeit materiell wie Rechtsnormen wirken.121 Das LG Göttingen hat den TPG-Richtlinien entsprechend und in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung in der Literatur122 den Charakter exekutiver Rechtsetzung bescheinigt.123 Dem hat sich auch der BGH in der derzeit prominentesten Entscheidung im Bereich der postmortalen Organtransplantationen angeschlossen. Danach seien die Richtlinien als „eine Form der exekutiven Rechtssetzung“ zu qualifizieren.124 Dafür spreche auch die Handhabung in der medizinischen Praxis.125 114 Engels, Punktuelle gesetzgeberische Intervention im Transplantationswesen, WzS 2013, 199, (202). 115 BT-Drs. 17/7376 S. 37. Zum Genehmigungsvorbehalt vgl. Glp. II. 4. b) bb) (2). 116 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 182 ff. 117 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 357. 118 Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 73. 119 Taupitz, Richtlinien in der Transplantationsmedizin, NJW 2003, 1145 (1150). 120 Augsberg, Die Bundesärztekammer im System der Transplantationsmedizin, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 51. Rosenau, Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der BÄK in: Middel/Pühler/ Lilie/Vilmar, Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 73. 121 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 183 f., der die Richtlinien formal einem Rechtssatz in Gestalt eines antizipierten Sachverständigengutachtens zuordnet, ihnen jedoch materiell den Charakter einer Rechtsnorm zumisst. 122 Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16, Rn. 14; Scholz/Middel, Medizinrecht § 16, Rn. 2; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, 2005, § 16 Rn. 4; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV, Rn. 6a. 123 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris. 124 BGH, Urteil vom 28. 6. 2017 – 5 StR 20/16, S. 13, BGHSt, 62, 223 ff. Zur BGH-Entscheidung im Rahmen der Aufarbeitung des Organallokationsskandals vgl. fünftes Kapitel, Glp. III. 1. b). 125 In der Entscheidung des LG Göttingen führten mehrere medizinische Sachverständige an, „dass sowohl die Mitglieder der Prüfungskommission der Bundesärztekammer als auch Transplantationsmediziner die in den Richtlinien getroffenen Regelungen als verbindlich ansehen und davon ausgehen, dass von diesen nicht abgewichen werden dürfe“. Vgl. LG Göt-

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Auch das BVerfG hat diese Ansicht mittelbar bestätigt, indem es die Überprüfbarkeit der Richtlinien mit höherrangigem Recht bejaht.126 Für die Einordnung der TPGRichtlinien als exekutive Rechtssetzung spricht die von ihnen ausgehende Außenwirkung, sodass es sich bei ihnen nicht nur um binnenrechtliche127 Verwaltungsvorschriften handelt. Weiter spricht der Umstand, dass die Nichteinhaltung der Richtlinien einen Verstoß gegen § 12 TPG zur Folge hätte, der über § 9 Abs. 2 S. 3 TPG zu einer Ordnungswidrigkeit nach § 20 TPG führt, für den imperativen Charakter der Richtlinien.128 Soweit die BÄK in ihren Richtlinien lediglich medizinischtechnische Regelungen trifft, berührt dies die Einordnung als exekutive Rechtsetzung aus den vorgenannten Gründen nicht. Die Besonderheit, dass die Richtlinien von einer nicht-staatlichen Institution erlassen werden, qualifiziert sie als exekutive Rechtsetzung129 sui generis.130 Wie die GBA-Richtlinien sind auch die TPG-Richtlinien ein „Regelungsinstrumentarium eigener Art“.131 tingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1817. Dass es nach wie vor Unstimmigkeiten bei der Einordnung der Richtlinien gibt, belegt die Entscheidung des LG Leipzig aus dem Jahr 2019. Nach Ansicht des LG Leipzig spräche der Wortlaut des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG dafür, dass es sich bei den Richtlinien „nur um Vermutungsregeln handeln soll“. Vgl. LG Leipzig, Beschluss vom 7. Februar 2018 – 1 Ks 301 Js 217/13, juris, Rn. 95. 126 Entsprechend heißt es: „Da sie kein förmliches Gesetz ist, können und müssen sie die Richtlinie – ohne dass der Rechtscharakter dieser Richtlinie dafür hier näher bestimmt werden müsste – auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüfen, falls es für ihre Entscheidung darauf ankommt“. Vgl. BVerfGE, Beschluss vom 18. 8. 2014 – 1 BvR 2271/14, Rn. 4; Bals/Bleckmann, Die Publikation der Transplantationsrichtlinien, GesR 2017, 421; a. A. Kreße, Rechtsschutz für Patienten hinsichtlich der Zuteilung von Organen nach dem Transplantationsgesetz, MedR 2016, 491 (494). 127 Schon länger wird von der Verwaltungsrechtslehre „die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenrecht kritisiert, da sie nicht in der Lage sei, die enorme Steuerungsleistung von Verwaltungsvorschriften in angemessener Weise zu erfassen“, vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Für „insgesamt fraglich“ halten die Unterteilung zudem Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24, Rn. 17. 128 Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz- verfassungsgemäß?, S. 83; dem folgend: Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 61. 129 Exekutive Rechtsetzung wird vermehrt auch als „Gesetz im materiellen Sinn“ bezeichnet, vgl. Waldhoff, Untergesetzliche Normsetzung in einer informationell vernetzten Gesundheitsversorgung, MedR 2016, 654 (656). 130 Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 84. 131 So das BSG im Septemberurteil zu den Richtlinien des GBA vgl. BSGE 81, 73 ff.; Ihle, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, Kommentar, § 91, Rn. 20; Waldhoff, Untergesetzliche Normsetzung in einer informationell vernetzten Gesundheitsversorgung, MedR 2016, 654 (655). Die Frage, ob ein verfassungsrechtlicher numerus clausus der Rechtsetzungsformen besteht, der zu einem Verbot der Entwicklung neuer Rechtsetzungsformen führe, wird überwiegend verneint, sodass die Richtlinien der BÄK nicht einer der klassischen Rechtsetzungsformen zugeordnet werden müssen und der Gesetzgeber auf die Form der Richtlinie zurückgreifen durfte. Der Gesetzgeber darf nämlich aus dem Repertoire der Rechtsetzungsformen frei wählen, vgl. Ossenbühl, Richtlinien im Vertragsarztrecht, NZS, 1997, 497 (499). Vgl. ausführlich zu einem numerus clausus der Rechtsetzungsformen,

I. Dogmatische Einordnung

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4. Rechtliche Einordnung des gesetzgeberischen Auftrags an die BÄK Für die anschließend erfolgende verfassungsrechtliche Untersuchung der Richtlinienkompetenz der BÄK im Bereich des Transplantationsrechts bedarf es zunächst der Klärung, ob die TPG-Richtlinien der BÄK überhaupt einer verfassungsrechtlichen Bindung unterliegen. a) Die übertragene Richtlinientätigkeit nach dem TPG als öffentlich-rechtliche Aufgabe Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Die umfassende Bindung der gesamten Staatsgewalt ergibt sich ferner aus Art. 20 Abs. 3 GG. Für den Gesetzgeber ergibt sich die Bindung an die Verfassung bzw. verfassungsmäßige Ordnung im Bereich des Transplantationswesens bereist unmittelbar aus Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG. Hinsichtlich der Tätigkeit der BÄK ist zunächst festzuhalten, dass die durch Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG vorgeschriebene Grundrechtsbindung nicht bereits deshalb entfällt, wenn der Gesetzgeber Normsetzungskompetenzen delegiert oder auf die Rechtsetzung durch Private zurückgreift.132 Vielmehr besteht eine umfassende Grundrechtsbindung auch in derartigen Fällen, da eine Freizeichnung des Staates von sich in irgendeiner Form äußernder Staatsgewalt durch Anwendung unterschiedlicher Handlungsformen vermieden werden soll. Wird dem Adressaten der Ermächtigung die Kompetenz zur Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe übertragen, deren Erfüllung dem Staat obliegt, gelten die verfassungsrechtlichen Maßstäbe mithin auch für das Handeln des Adressaten.133 Fraglich ist daher, ob die der BÄK in § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 5 TPG übertragene Richtlinientätigkeit als staatliche Gewalt zu qualifizieren ist, wobei maßgeblich ist, ob der BÄK eine öffentliche Aufgabe übertragen wurde. Öffentliche Aufgaben können grundsätzlich auch privaten oder sonstigen nicht-staatlichen Institutionen zugeschrieben werden.134 Eine öffentliche Aufgabe bezeichnet eine bestimmte Tätigkeit des Adressaten, die eine spezifische Bedeutung für die Gesamtheit oder das gemeine Wohl aufweist.135 Das BVerfG definiert die öffentliche Aufgabe ferner als Wiegand, die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 79 ff.; Neumann, Verantwortung, Sachkunde, Betroffenheit, Interesse: Zur demokratischen Legitimation der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, NZS, 2010, 593 ff. 132 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 63. 133 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 63; Sommermann, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 20, Rn. 146. 134 Badura, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben und die Unternehmenszwecke bei der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Schlochauer, S. 8. 135 Badura, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben und die Unternehmenszwecke bei der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Schlochauer, S. 8.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

solche, „an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber so geartet sind, dass sie weder im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen (…).“136 Bereits aus dieser Definition ergibt sich, dass in der Richtlinienermächtigung der BÄK die Übertragung einer öffentlichen Aufgabe gesehen werden kann, auch wenn es nach Ansicht des Gesetzgebers bei der Organallokation um „keine zwingende Staatsaufgabe“137 handelt. Jedenfalls hat sich der Gesetzgeber nach langem Zögern für den Erlass einer gesetzlichen Regelung der Organallokation entschieden138 und diese dadurch selbst zur staatlichen Aufgabe gemacht und sich damit den verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen.139 Denn wenn sich der Gesetzgeber für die Regelung eines grundrechtsrelevanten Bereichs entscheidet, dann unterliegt er auch den öffentlich-rechtlichen Bindungen.140 Die Einordnung der Organallokation als öffentliche Aufgabe ergibt sich ferner aus ihrer überragenden Bedeutung für die Gesamtheit der Gesellschaft und des Gemeinwohlinteresses sowie der hohen Grundrechtsrelevanz der Verteilungskriterien für die betroffenen Patienten hinsichtlich ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG.141 Wie bereits festgestellt, kommt den Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 5 TPG und ihren konkretisierenden Verteilungskriterien auch eine Drittwirkung zu, was ebenfalls für die Einordnung der Richtlinientätigkeit als öffentliche Aufgabe spricht.142 Insgesamt führt die Bedeutsamkeit der Regelungsmaterie sowie die spezifische Bindungswirkung zu einer Qualifikation der Richtlinientätigkeit der BÄK als durch das TPG übertragende öffentliche Aufgabe.143 Diese Einordnung ergibt ein stimmiges Gesamtbild im Bereich der Organallokation, da – wie bereits dargelegt – auch die übrigen Institutionen im Transplantationswesen, namentlich die Transplantationszentren, DSO und ET ebenfalls hoheitlich tätig sind.144

136

BVerfGE 38, 281 (299). BT-Drs. 13/4355, S. 14; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 12, Rn. 1. 138 Vgl. zweites Kapitel, Glp. VI. 139 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 192. 140 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, S. 40. 141 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 64; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 102; ders., Organisationsformen des medizinischen Sachverstandes im Transplantationsrecht, S. 1064. 142 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 65. 143 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 102; ders., Organisationsformen des medizinischen Sachverstandes im Transplantationsrecht, S. 1064; Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 65. 144 Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 4. 137

I. Dogmatische Einordnung

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b) Beleihung der Bundesärztekammer Ausweislich der bisherigen Ergebnisse hat der Gesetzgeber der BÄK eine öffentliche Aufgabe übertragen, wobei die Richtlinientätigkeit im Bereich der Organallokation in ihrer Gesamtheit als exekutive Rechtsetzung zu qualifizieren ist. Die privatrechtliche Ausgestaltung der BÄK als nicht rechtsfähiger Verein i. S. d. § 54 BGB führt zu der Frage, wie ihr rechtsdogmatisch eine hoheitliche Aufgabenwahrnehmung übertragen worden ist. Bei einer hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben durch private Akteure wird häufig auf das Institut der staatlichen Beleihung verwiesen. Dementsprechend wird eine Beleihung vom Schrifttum auch für die Richtlinientätigkeit der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 5 TPG in Betracht gezogen.145 Eine mögliche Qualifizierung als Beleihung lässt allerdings keine Rückschlüsse auf eine verfassungsgemäße Übertragung der Richtlinienkompetenz zu,146 denn aus einer organisationsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Einordnung, lässt sich nicht bereits auf eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit (oder Verfassungswidrigkeit) schließen.147 aa) Voraussetzungen einer Beleihung Das Institut der Beleihung erfreut sich in den letzten Jahren wieder zunehmender Beliebtheit, sodass vermehrt von einer „Renaissance“148 gesprochen wird. Durch die dogmatische Figur der Beleihung können natürliche oder juristische Personen des Privatrechts Träger öffentlicher Verwaltung werden.149 Gern bedient sich die öffentliche Hand zur Erfüllung der eigenen Aufgaben der Beleihung, um effektiv auf das private Know-how150 und das bei bestimmten Berufsgruppen lokalisierte Expertenwissen zurückgreifen zu können.151 Durch den Verwaltungsvollzug durch 145

Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16, Rn. 14; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 173 ff.; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 357; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 73. 146 Anders Rissing-van Saan/Verrel, die sich zu der Einordnung der TPG-Richtlinien durch den BGH als exekutive Rechtsetzung dahingehend äußern, es bestehe nunmehr „erfreuliche Rechtssicherheit, wurde im Schrifttum doch immer wieder in Frage gestellt, dass der Gesetzgeber die Richtlinienarbeit auf die BÄK übertragen durfte“. Vgl. Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57, (59). Mit dieser Feststellung ist zur Rechtmäßigkeit der Übertragung allerdings noch nichts gesagt. 147 Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 69. 148 Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 79; Schmidt am Busch, Die Beleihung, DÖV 2007, 533 ff. 149 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung in der Verwaltung, S. 25. 150 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 25 ff. 151 Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 249.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

externe Private stellt die Beleihung eine Durchbrechung der hierarchischen Behördenstruktur und einen „Sonderfall“152 der mittelbaren Staatsverwaltung dar. Der Private tritt an die Stelle einer entsprechenden öffentlichen Institution und kann hoheitliche Befugnisse ausüben. Durch den Übertragungsakt der Beleihung wird der Private in die Staatsorganisation eingegliedert und funktional zu einer Behörde i. S. d. § 1 Abs. 4 VwVfG.153 Die Beleihung unterscheidet sich durch die Übertragung von hoheitlichen Befugnissen als intensivste Form von allen anderen Arten der privaten Beteiligung. Als höchst „heterogener Komplex“154 ist sie durch ihre uneinheitliche Strukturierung und Terminologie bis heute eine der umstrittensten Rechtsfiguren im deutschen Verwaltungsrecht.155 Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass sich sowohl die Verfassung als auch das VwVfG156 zum Institut der Beleihung gänzlich ausschweigen. Das Transplantationsrecht dient als Beispiel für die Existenz einer Vielzahl unklarer gesetzlicher Ermächtigungen unterschiedlicher nicht-staatlicher Institutionen, die zur bestehenden Unsicherheit um das Rechtsinstitut der Beleihung erheblich beitragen. (1) BÄK als Beleihungsadressat Die Begriffsschwierigkeiten um den „Privaten“ gelten mehr oder minder als geklärt. Die ursprüngliche Theorie, nach der nur klassische Privatrechtssubjekte tauglicher Beleihungsadressat sein können, gilt mittlerweile als überholt. Bei Auswahl des Adressaten ist daher inzwischen anerkannt, dass neben natürlichen Personen auch teilrechtsfähige Personengesellschaften, nichtrechtsfähige Vereinigungen und juristische Personen beliehen werden können.157 Die BÄK stellt als Dachverband der als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Landesärztekammern als nichtrechtsfähiger Verein i. S. d. § 54 BGB mithin einen tauglichen Beleihungsadressaten dar.

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Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung in der Verwaltung, S. 116. Schmidt, Gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse des Beliehenen, ZG 2002, 353 ff.; Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrechts, S. 25. 154 Heintzen, Beteiligung Privater an öffentlichen Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 2003, 220 (226). 155 Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, DÖV 1970, 526 (527). Ausgangspunkt für das heutige Begriffsverständnis der Beleihung war die Lehre Otto Mayers. Nach dieser (mittlerweile überholten) Definition der Theorie des „beliehenen (öffentlichen) Unternehmers“ handele es sich bei der Beleihung um die Übertragung eines „Stückes öffentlicher Verwaltung“ auf nicht-staatliche Rechtssubjekte. Vgl. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 28. 156 Das LVwG Schleswig-Holstein regelt in § 21 zumindest, dass bei der Übertragung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung an natürliche oder juristische Personen des Privatrechts eine Aufsicht sicherzustellen ist. 157 Schmidt am Busch, Die Beleihung, DÖV 2007, 533 (536); Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 134. 153

I. Dogmatische Einordnung

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(2) Beleihungsgegenstand Die Einordnung als Beleihung wird von unterschiedlichen Strömungen in der Literatur anhand verschiedener Abgrenzungskriterien zur sonstigen Einbeziehung Privater vorgenommen. Nach der sog. Aufgabentheorie ist bei der Qualifikation ausschließlich auf das Vorliegen einer übertragenen Aufgabe abzustellen, die dem Staat vorbehalten ist. Durch den Übertragungsakt wird sie dem Privaten zugänglich gemacht.158 Der Aufgabentheorie wird entgegengehalten, dass unklar sei, wie die Einordnung der Aufgaben, die ausschließlich dem Staat vorbehalten sein sollen, zu erfolgen habe; Verwirrung stifte sie zudem bei der Frage, ob Beleihungsgegenstand die Übertragung einer „öffentlichen“ oder „staatlichen“ Aufgabe sei und wie die Abgrenzung der weitläufigen Begriffe voneinander vorzunehmen sei.159 Demgegenüber stellt die Rechtstellungstheorie160 auf die rechtliche Stellung des Beliehenen und zusätzlich darauf ab, ob diesem Hoheitsbefugnisse übertragen worden sind. Auch die Rechtstellungstheorie ist wegen begrifflicher Unklarheiten und dem Umgang mit schlicht-hoheitlichem Handeln der Verwaltung nicht frei von Kritik geblieben. Vor dem Hintergrund dieser begrifflichen Schwierigkeiten und der Abgrenzungsproblematik hat sich eine dritte Theorie entwickelt, die verschiedene Elemente der beiden Haupttheorien verbindet. Nach dieser Kombinationstheorie161 liegt eine Beleihung dann vor, wenn der Staat die Erfüllung bestimmter Verwaltungsaufgaben an Privatrechtssubjekte zur selbständigen hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung im eigenen Namen überträgt.162 Beleihungsgegenstand ist also die hoheitliche (auch schlicht-hoheitliche) Wahrnehmung von selbstständig erbrachten Verwaltungsaufgaben.163 Dies begründet den Hauptunterschied zum unselbstständigen und weisungsgebundenen beleihungsähnlichem Institut des Verwaltungshel158

Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 95. Zur Abgrenzung und zum Verhältnis beider Begriffe zueinander vgl. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 41 ff.; Michaelis, Der Beliehene, S. 16 ff.; Heintzen, Beteiligung Privater an öffentlichen Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 2003, 220 (226 ff.); Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 23 ff. Kritisch hinsichtlich der weit gefassten Begriffe der öffentlichen und staatlichen Aufgabe: Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 28 f. 160 Teilweise wird die Rechtstellungstheorie synonym auf Grund der übertragenen Befugnisse auch als „Befugnistheorie“ bezeichnet, vgl. Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 111. 161 Der Begriff tauchte erstmals bei Steiner auf. S. zur Kombinationstheorie: Stuible-Treder, Der Beliehene im Verwaltungsrecht, S. 9 ff.; Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 25. Vgl. ausführlich zum Streitstand zwischen Aufgabentheorie und Rechtsstellungstheorie: Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, S. 53 ff.; Stadler, Die Beleihung in der neueren Gesetzgebung, S. 6 ff. 162 BVerwGE 29, 166 ff.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21, Rn. 11, § 23, Rn. 63 ff. 163 Dies ist mittlerweile in der Literatur überwiegend anerkannt, vgl. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 80; Stuible-Treder, Der Beliehene im Verwaltungsrecht, S. 9 ff.; Burgi, Der Beliehene- ein Klassiker im modernen Verwaltungsrecht, in: FS Mauer 2001, S. 586. 159

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

fers, der ebenfalls in die staatliche Aufgabenerfüllung integriert ist, aber nicht in eigener Kompetenz agiert. Wie bereits dargelegt164 handelt es sich bei der Richtlinientätigkeit der BÄK um eine ihr gesetzliche übertragene hoheitliche Aufgabenwahrnehmung. Die BÄK trifft auch selbstständige Entscheidungen, da sich ihre Richtlinientätigkeit im Bereich der Organallokation nicht in bloßen Vorbereitungshandlungen erschöpft, sondern vielmehr die maßgebliche Konkretisierung der gesetzlich festgelegten Kriterien zur Aufnahme auf die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 TPG übernimmt, sodass eine Einordnung als bloßer Verwaltungshelfer ausscheiden muss. Die BÄK wurde durch das TPG mit einer selbständigen, hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung in Form einer Normsetzungskompetenz betraut, sodass sie nach allen Theorien zur Beleihung als Beliehene zu qualifizieren ist.165 (3) Beleihungsakt Durch die Beleihung erfolgt eine Übertragung von Hoheitsrechten, sodass diese einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Aus dem Demokratieprinzip ergibt sich ein institutioneller Gesetzesvorbehalt als Rechtmäßigkeitsschranke.166 In § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 5 TPG wird eine direkte Ermächtigung der BÄK zur Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien normiert, sodass diese Norm die gesetzliche Grundlage für die Beleihung der BÄK ist.167 bb) Ergebnis Bei der im TPG gewählten Übertragungsart handelt es sich um eine Beleihung.168 Die BÄK übt eine hoheitliche Tätigkeit aus. Gegen die Einordnung der Beleihung spricht auch nicht, dass der Wortlaut des § 16 TPG die angenommene Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen auf die BÄK nicht ausdrücklich enthält.169 Zweifelhaft ist bereits, ob nicht gerade die Formulierung des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG für die Übertragung einer Rechtsetzungskompetenz spricht. Wie bereits erwähnt, ist aber jedenfalls die verwaltungsrechtliche Einordnung als Beleihung von ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit zu trennen, da auch eine verfassungswidrige Belei-

164

Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 4. So auch: LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1814; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 178. 166 Backherms, Das DIN Deutsches Institut für Normung e. V. als Beliehener, S. 82. 167 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 175. 168 So auch: Höfling, in: TPG Kommentar, § 16 Rn. 9 ff.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 178; Lang, Deregeulierte Verantwortungslosigkeit, MedR 2005, 269 (273 f.) 169 So aber Augsberg, Die Bundesärztekammer im System der Transplantationsmedizin, in: Höfling, Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 50. 165

II. Verfassungsrechtliche Würdigung

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hung dennoch als Beleihung anzusehen wäre.170 Aus demselben Grund kann an dieser Stelle das ebenfalls angeführte Argument, eine Befugnis zur Normsetzung könne nicht übertragen werden171 (zunächst) offen bleiben.172 Die BÄK ist durch die übertragene Richtlinienkompetenz zur Ausübung hoheitlicher Tätigkeit in Gestalt von Normsetzung beliehen worden. Wie bei allen Beleihungen fungiert die privatrechtliche Rechtsform der BÄK als „atypische Hülse“ für das hoheitliche Handeln.173

II. Verfassungsrechtliche Würdigung 1. Zulässigkeit der Beleihung mit Normsetzungskompetenzen Bei den Richtlinien der BÄK zur Wartelistenführung und Organvermittlung nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG handelt es sich um exekutive Rechtsetzung. Die BÄK ist mit der Befugnis zur Normsetzung beliehen worden.174 Die Komplexität des Rechtsinstitutes der Beleihung basiert aber u. a. auch auf der Frage, ob die Übertragung einer Befugnis zur staatlichen Rechtsetzung überhaupt einen zulässigen Beleihungsgegenstand darstellen kann.175 Entsprechend wird die Übertragung von Normsetzungskompetenzen auf Private von einigen Autoren in der Literatur für unzulässig erklärt.176 Andere halten die Übertragung der Befugnis zur exekutiven Rechtsnormsetzung auf Private für verfassungsgemäß.177 Zunächst ist festzustellen, dass das Grundgesetz eine Übertragung von Normsetzungskompetenzen auf Private nicht kennt.178 Es besteht aber auch kein explizites Verbot einer Übertragung von Normsetzungskompetenzen. Die Befugnis zur Rechtsetzung ist jedoch grundsätzlich der Legislative vorbehalten.179 Unstreitig scheidet aus diesem Grund die Übertragung einer Befugnis zum Erlass von formellen Gesetzen aus, da diese nur von den Ge170

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 192; Wiegand, Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 140 ff.; Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16, Rn. 14. 171 Augsberg, Die Bundesärztekammer im System der Transplantationsmedizin, in: Höfling, Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 50. 172 Vgl. auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 176. 173 Lang, Deregulierte Verantwortungslosigkeit?, MedR 2005, 269 (273). 174 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 184. 175 Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 140 ff.; So bereits: Nickusch, Die Normativfunktion technischer Ausschüsse und Verbände als Problem der staatlichen Rechtsquellenlehre, S. 153. 176 Stadler, Die Beleihung in der neueren Bundesgesetzgebung, S. 38; Bachmann, Private Ordnung, S. 406. 177 Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 318; Heintzen, Beleihung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, VVDStRL 2003, 220 (242). 178 Rennert, Beleihung zur Rechtsetzung?, JZ 2009, 976 (980). 179 BVerfGE 34, 52 (59).

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

setzgebungsorganen erlassen werden können.180 Außerhalb des Parlamentes können aber u. a. von Verwaltung und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts Rechtsnormen erlassen werden. Für die Beantwortung nach der Zulässigkeit einer Übertragung von Normsetzungskompetenzen wird vom Schrifttum die Vorschrift des Art. 80 GG zum Erlass von Rechtsverordnungen herangezogen.181 Dies entspricht dem bereits festgestellten Ergebnis, wonach die Richtlinien der BÄK im Bereich der Organallokation als exekutive Rechtsetzung den eigenen Wirkungskreis bei weitem überschreiten und daher in ihrer Wirkung einer Rechtsverordnung gleichstehen.182 a) Subdelegation nach Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG Der Begriff des Privaten taucht aber in Art. 80 GG nicht auf. Art. 80 Abs. 1 GG beschränkt den Adressatenkreis einer Rechtverordnungsermächtigung auf die Bundes- und Landesregierungen sowie auf die Bundesminister. Häufig wird aus diesem Grund als Hintertür183 auf eine mögliche sog. Subdelegation auf Private nach Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG verwiesen.184 Im Wege der Subdelegation ist eine nochmalige Weiterübertragung der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen (seitens der nach Art. 80 Abs. 1 GG erstermächtigten Stellen) möglich. Voraussetzung des Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG ist, dass die Weiterübertragung durch Gesetz vorgesehen ist und dass die Subdelegation in einer Rechtsverordnung ausgesprochen wird. Unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen dieser Voraussetzungen bei der Übertragung der Richtlinienkompetenz auf die BÄK, geht ein beachtlicher Teil der Literatur davon aus, dass eine Weiterübertragung an Private generell unzulässig und eine Subdelegation nur an die durch den Aufbau der öffentlichen Gewalt nachgeordneten Behörden möglichsei.185 Ausweislich des Wortlautes von Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG sei eine Erweiterung der Subdelegatare auf Private zudem nicht gewollt. Andere Stimmen halten eine Übertragung von Normsetzungskompetenzen mit Berufung auf die Inkorporation des Beliehenen in die Verwaltungsorganisation im Wege der 180

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 184. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 184. 182 Rennert, Beleihung zur Rechtsetzung?, JZ 2009, 976 (981). 183 So explizit: Rennert, Beleihung zur Rechtsetzung?, JZ 2009, 981. 184 Uhl, Die Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 318; Heintzen, Beleihung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, VVDStRL 2003, 220 (242). 185 So bereits: Michaelis, Der Beliehene, S. 38; Obermayer, Das Bundesverfassungsgericht und der Vorbehalt des Gesetzes, DVBl, 1959, 354 (357); Stern, Das Staatsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, II, § 38 III, 2, S. 669; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hennecke, GG Kommentar, Art. 80 GG, Rn. 100; Mann, in: Sachs GG Kommentar, Art. 80, Rn. 34; Uhle, in: Epping/Hillgruber, GG Kommentar, Art. 80, Rn. 34; Ossenbühl, in: HStR V, § 103, Rn. 36. Schmidt, Gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse des Beliehenen, ZG 2002 353 (366); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG Kommentar, Art. 80, Rn. 30; gegen die Befugnis zum Erlass von Rechtsverordnungen auch Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 43. 181

II. Verfassungsrechtliche Würdigung

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Subdelegation für möglich.186 Begründet wird dies u. a. ebenfalls mit dem Wortlaut des Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG, der Private nicht explizit ausschlösse, obwohl vor Erlass des Grundgesetzes schon verschiedene Formen der privaten Rechtssetzung bekannt gewesen seien.187 b) Keine Erstdelegation nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG Selbst bei einer unterstellten Zulässigkeit der Übertragung von Normsetzungskompetenzen auf Private scheidet eine Subdelegation an die BÄK bereits aus anderen Gründen aus. Denn wie der Begriff Subdelegation bereits impliziert, bedarf es für eine Übertragung einer vorangegangenen Delegation. Daran fehlt es aber im TPG. Durch die erschöpfende188 Aufzählung in Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG besteht ein numerus clausus der Ermächtigungsadressaten (sog. Erstdelegatare). Die Normsetzungsbefugnis wird vom TPG direkt auf die BÄK übertragen. Weder Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen waren bei der Übertragung der Richtlinienkompetenz beteiligt, mithin war kein Erstdelegatar im Spiel. Ohne eine ursprünglich übertragene Kompetenz kann diese auch nicht weiterübertragen werden. Häufig wird im Sozialversicherungsrecht bei fehlendem Erstdelegatar ein verfassungsrechtlicher Dispens nach Art. 87 Abs. 2 GG herangezogen, um eine verfassungsgemäße Beleihung mit Normsetzungskompetenzen ohne Erstdelegatar zu ermöglichen. So erlangt der GBA seine Richtlinienkompetenz ebenfalls direkt aus § 92 SGB V. Da die BÄK aber nicht auf dem Gebiet der Sozialversicherung tätig ist, scheidet jedoch auch diese Möglichkeit aus.189 Aus der abschließenden Aufzählung der Erstdelegatare ergibt sich, dass eine direkte Beleihung unter Umgehung des Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG verfassungswidrig ist.190 Über das Erfordernis eines Erstdelegatars kann zudem nicht hinweggeholfen werden. Zwar wird teilweise angenommen, dass Defizit eines fehlenden Erstdelegatars könne ausgeglichen werden, wenn kein Verlust staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten, durch eine Fachaufsicht zu erwarten sei.191 In einem solchen Fall sei eine Beleihung unmittelbar durch den Gesetzgeber möglich. Im TPG fehlt es aber gerade an der Normierung der entsprechenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit.192 186 Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 144 ff.; Heintzen, Beleihung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, VVDStRL 2003, 220 (242). 187 Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 147. 188 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG Kommentar, Art. 80, Rn. 6. 189 Vgl. dazu Wiegand, Die Beleihung des Verbands der Privaten Krankenversicherung mit Normsetzungskompetenzen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, GesR 2008, 237 (240). 190 Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 144. 191 Wiemer, Der Basistarif in der privaten Krankenversicherung, S. 97; Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 174. 192 Vgl. zur fehlenden Aufsicht: Augsberg, Die Bundesärztekammer im System der Transplantationsmedizin, in: Höfling, Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, S. 49.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

2. Zwischenergebnis Die Beleihung der BÄK ist folglich insgesamt verfassungswidrig.193 Aus der Verfassungswidrigkeit folgt, dass die Richtlinien der BÄK gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 5 TPG zur Aufnahme Wartelistenführung und Organvermittlung unverbindlich sind. Ferner entfällt auch die in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG geregelte Vermutungswirkung zugunsten der Richtlinien, da ansonsten die Rechtsfolge der Unverbindlichkeit bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der faktisch unwiderlegbaren Vermutungsregelung ins Leere liefe.

3. Rechtsstaatsprinzip und Parlamentsvorbehalt Der Normsetzung durch die Exekutive sind im grundrechtsrelevanten Bereich auch durch den Parlamentsvorbehalt absolute und allgemeine Grenzen gesetzt.194 Der Parlamentsvorbehalt wurzelt im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 2, 3 GG und verhindert als gesteigerte Ausprägung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes195 eine schrankenlose Weitergabe von Normsetzungsbefugnissen durch den parlamentarischen Gesetzgeber an die Exekutive, indem die Regelung bestimmter Lebenssachverhalte ausschließlich der Legislative vorbehalten wird. Im Bereich der Organallokation enthalten § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG die Kriterien, die bei der Aufnahme auf die Warteliste und der anschließenden Vermittlung der Organe zu berücksichtigen sind.196 Es fragt sich, ob das TPG mit diesen Vorgaben dem Parlamentsvorbehalt gerecht wird. a) Die Wesentlichkeitslehre Zur Bestimmung der Reichweite und Einordnung der Regelungsmaterie, die unter den Parlamentsvorbehalt fällt, ist vom BVerfG insbesondere zu Art. 6 GG und dem Strafvollzug die sog. Wesentlichkeitslehre197 als Maßstab erarbeitet worden.198 Durch 193 Dieses Ergebnis entspricht auch der überwiegenden Auffassung in der Literatur. Vgl. dazu nur: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 184 ff., 194 ff., 198 ff.; Dannecker/ Streng-Baunemann, Verschaffung des Wartelistenzugangs fu¨ r Alkoholiker entgegen den Organallokations-Richtlinien der Bundesa¨ rztekammer – (versuchter) Totschlag?, NStZ 2014, 673, (674 f.); Fateh-Moghadam, MedR 2014, 665 (666); Gutmann, in: Schroth/Ko¨ nig/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16, Rn. 6 ff.; Ho¨ fling, in: Ho¨ fling, TPG Kommentar, § 16, Rn. 16 ff. 194 Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) aus der Perspektive des Verfassungsrechts, GesR 2017, 205, (206). 195 Dreier, in: Dreier, GG Kommentar, Art. 20 GG (Demokratie), Rn. 118. 196 Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 1. a) und 3. a). 197 Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, in: FS Faller, S. 112; Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 22, Fn. 51; Eberle, Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt, DÖV 1984, 485 (487, Fn. 23). Zur Kritik an dem Begriff der „Theorie“ vgl. Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetztes, NJW 1977, 1313 (1317);

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diese Lehre wird dem Gesetzgeber durch das Rechtstaats- und Demokratiegebot die Verpflichtung auferlegt, die wesentlichen Entscheidungen „selbst zu treffen und nicht der (…) Verwaltung zu überlassen“.199 Die Wesentlichkeitstheorie erweiterte die bis dato bestehende Vorbehaltslehre über den klassischen Eingriff in Freiheitsrechte hinaus.200 aa) Regelungsgegenstand Das vom BVerfG entwickelte vage Kriterium der Wesentlichkeit ist hinsichtlich seiner dogmatischen Aussagekraft teilweise heftig kritisiert worden. Inwieweit der Gesetzgeber tätig werden muss, ist trotz des Kriteriums schwer zu fassen und die Grenzen sind fließend. Daher ist der Begriff der Wesentlichkeit auf Grund seiner Konturenlosigkeit nicht streng dogmatisch, sondern eher beschreibend und als „Orientierungsrichtlinie“201 zu verstehen.202 Maßgeblich für die Einordnung ist der Grundrechtsbezug des Lebensbereiches.203 Das BVerfG richtet die Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes an der „Relevanz für die Verwirklichung der Grundrechte“204 aus. Entsprechend unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes „nur, was für die Ausübung der Grundrechte in einem unvermeidlichen Spannungsverhältnis wesentlich ist.“205 Negativ formuliert bedeutet dies, dass eine geringe Grundrechtsrelevanz und Unwichtigkeit des Regelungsgegenstandes für eine Delegierbarkeit an den untergesetzlichen Normgeber sprechen kann.206 Angesichts der im Bereich des Transplantationswesens teilweise hochemotional geführten Debatte in Politik und Öffentlichkeit liegt der Gedanke nah, dass es sich bei der Transplantationsmedizin Krebs, Die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes, Jura, 304 (308). Kritisch auch Oppermann, Die erst halb bewältigte Sexualerziehung-Erledigtes und Unerledigtes zu Elternrecht, Familienschutzgarantie und schulrechtlichem Gesetzesvorbehalt nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 12. 1977, JZ 1978, 289 (292). 198 Vgl. dazu den Beschluss des BVerfG vom 14. März 1972 zur Einschränkung der Grundrechte Strafgefangener, BVerfGE 33, 1 ff. Zur Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses vgl. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, S. 17 ff. 199 BVerfGE 33, 125 (158); 303 (349); 34, 52, (59); 34, 165 (192); 40, 237 (249); 41, 251 (260); 45, 400 (417); 47, 46 (78 ff.); 58, 257 (268); 108, 282 (311). Aus dem Schrifttum: Krebs, Die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes, Jura, 304 (308); Starck, Organisation des öffentlichen Schulwesens, NJW 1976, 1375 (1377); Schuppert, Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaates, S. 111; Schröder, Genehmigungsverwaltungsrecht, S. 478 ff.; Dreier, in: Dreier, GG Kommentar, Art. 20 GG (Demokratie), Rn. 118. 200 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 134. 201 Schmidt-Aßmann, Organisationsformen des medizinischen Sachverstandes im Transplantationsrecht, in: FS Laufs, S. 1050. 202 Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, S. 144. 203 BVerfGE 108, 282 (311). 204 BVerfGE 34, 165 (192); 40, 237 (248 f.); 251 (260 f.); 47, 46 (79 f.); So auch: Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes, NJW 1977, 1313 (1317). 205 BVerfGE 47, 46 (79 f.). 206 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 261.

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um einen Regelungsgegenstand handelt, der in seiner Gesamtheit wesentlich ist und dem Parlamentsvorbehalt unterfällt. Die politische Kontroverse um eine Regelung ist zwar für die Bejahung der Wesentlichkeit allein nicht ausreichend,207 stellt aber ein Indiz für die Einordnung einer Materie als wesentlich dar. Letztlich kommt aber für die Einordnung als wesentlich der Grundrechtsrelevanz die zentrale Bedeutung zu. Die existenzielle und „dramatische“208 Grundrechtsrelevanz einer medizinischen Verteilungsentscheidung für die Verwirklichung der Grundrechte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 3 GG des Einzelnen dürfte kaum bestreitbar sein, droht bei Versagung eines lebensnotwendigen Organs doch unmittelbar der Tod des Betroffenen. Es ist daher evident, dass Allokationsentscheidungen im Transplantationswesen wesentlich im Sinne des Parlamentsvorbehaltes sind.209 Die Wesentlichkeit einer Regelungsmaterie bedeutet allerdings nicht zugleich, dass der Gesetzgeber umfassende Detailregelungen zu normieren hat. bb) Regelungsdichte Der Gesetzgeber hat das Transplantationswesen im TPG – einem förmlichen Gesetz – geregelt. Dass überhaupt ein Gesetz existiert, ist für die Erfüllung der Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehaltes nicht ausreichend, vielmehr muss es „der Bedeutung der Sache entsprechend präzise“ sein.210 Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesetzgeber mit den Regelungen in § 12 Abs. 3 TPG bzw. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG die wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen hat, mithin die erforderliche Regelungsdichte besteht. Die Regelungsdichte misst sich wiederum an der grundrechtlichen Relevanz des Sachverhalts. Die BÄK stellt gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 5 TPG den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Aufnahme auf die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und für die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 TPG fest. Wie bereits dargelegt, gibt § 10 Abs. 2 TPG die Kriterien der „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ für die Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation vor und § 12 Abs. 3 TPG legt als Kriterien für die Vermittlung die „Dringlichkeit“ und ebenfalls die Erfolgsaussicht einer Organtransplantation fest.211 Zur Beurteilung, ob der Gesetzgeber mit diesen Kriterien das Wesentliche bereits festgelegt hat, ist die gerichtliche Leitentscheidung zur Wesentlichkeitsrechtsprechung im Bereich begrenzter Ressourcen, das Numerus-Clausus Urteil212 des BVerfG zu den Zulassungsvorausset207 Dass die (politische) Kontroverse nicht maßgeblich sein kann, drückt Kisker treffend mit „Heute wesentlich morgen gleichgültig“ aus. Vgl. Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetztes, NJW 1977, 1313 (1317). 208 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 190. 209 Kingreen, Gesundheit ohne Gesetzgeber?, in: Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 159. 210 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 137. 211 Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 1. a) und 3. a). 212 BVerfGE 33, 303 (337).

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zungen für die Aufnahme eines Medizinstudiums, heranzuziehen.213 Das Gericht sah in der Zulassung zur Hochschule eine „Zuteilung von Lebenschancen,“214 für die der Gesetzgeber die grundlegenden Entscheidungen selbst verantworten soll. Ferner führte das Gericht aus, dass der Gesetzgeber selbst die Maßstäbe für eine gerechte, willkürfreie Verteilung der Studienplätze zu übernehmen habe, insbesondere dann, wenn „als Folge nicht ausreichender Kapazitäten der Kreis der Begünstigten unter Inkaufnahme von Ungleichbehandlungen eingeschränkt ist“.215 Auf Grund der einschneidenden Bedeutung der Auswahlregelung habe der parlamentarische Gesetzgeber die „Bestimmungen über Art und Rangverhältnis der Auswahlkriterien“ selbst festzulegen.216 Vom Schrifttum ist hinsichtlich der Organallokation zutreffend angeführt worden, dass es sich bei der Organverteilung – im wahrsten Sinne des Wortes – um eine Zuteilung von Lebenschancen handele, sodass die vom Gericht aufgestellten Anforderungen erst Recht für die Organverteilung gelten müssen.217 Die Vorprogrammierung im TPG hält den vom BVerfG aufgestellten Anforderungen nicht stand. Das BVerfG hat in seiner jüngsten Numerus-Clausus Entscheidung aus dem Jahre 2017 hinsichtlich der Art der Auswahlkriterien ausgeführt, dass der Gesetzgeber den normgebenden Institutionen kein eigenes „Kriterienerfindungsrecht“218 überlassen darf. Weiter führt das Gericht aus: „Untergesetzlichen Normgebern darf von Verfassungs wegen nicht die Kompetenz eingeräumt werden, den parlamentsgesetzlichen Katalog durch selbst entwickelte Auswahlkriterien zu ergänzen oder zu erweitern. (…) Die Art der Auswahlkriterien muss abschließend geregelt werden.“219 Wegen der nicht abschließenden, exemplarischen Aufzählung der Kriterien in § 10 Abs. 2 Nr. 2 und § 12 Abs. 3 TPG sind von der BÄK in ihren organspezifischen Allokationsrichtlinien zusätzliche eigene Kriterien entwickelt worden. Zwar gesteht 213 Für die Übertragung der Numerus-Clausus-Rechtsprechung auf den Bereich der Organallokation bereits: Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, NJW 2002, 3365 (3366); Bader, Organmangel und Organverteilung S. 192; Höfling, Schriftliche Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages zu den Anhörungen vom 25. 9. und 9. 10. 1996, Ausschuss-Drs. 599/13. A. A. Rosenau, Die Setzung von Standards in der Transplantation, in: FS Deutsch, S. 445 mit Verweis auf Schmidt-Aßmann, der allerdings nicht die Übertragung der vom BVerfG entwickelten Voraussetzungen ablehnt, sondern lediglich Beispiele anführt, wie der parlamentarische Gesetzgeber kontroverse gesundheitsrechtliche Fragestellungen selbst im Gesetz geregelt hat. Vgl. Schmidt-Aßmann, Organisationsformen des medizinischen Sachverstandes im Transplantationsrechts S. 1052. 214 BVerfGE 33, 303 ff. (338). 215 BVerfGE 33, 303 (337); Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, in: FS Faller, S. 118; Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 21. 216 BVerfGE 33, 303 (345 f.); Bader, Organmagel und Organverteilung, S. 190. 217 So bereits die Stellungnahmen zum Entwurf des Transplantationsgesetzes von Höfling und Gutmann. Vgl. Ausschuss-Drs. 599/13, S. 4 ff.; 591/13 S. 13 ff.; Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, NJW 2002, 3365 (3366). 218 BVerfGE 147, 253 (119). 219 BVerfGE 147, 253 (119).

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das BVerfG gewisse Konkretisierungsspielräume zu.220 Bei der Berücksichtigung der Wartezeit bei der Nierentransplantation221 als Ausdruck des allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens und dem zweifelhaften Kriterium der Compliance222 handelt es sich aber um Wertentscheidungen, die mit medizinischen Erkenntnissen zur Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben Erfolgsaussicht und Dringlichkeit in § 12 Abs. 3 TPG nichts zu tun haben. Darüber hinaus enthält das TPG weder hinsichtlich der Aufnahme auf die Warteliste noch zur Organvermittlung einen Hinweis auf eine Gewichtung der genannten Kriterien. Eine Gewichtung dieser Kriterien ist angesichts ihrer Gegenläufigkeit indes unerlässlich. Zwar dürfte eine Verwendung gegenläufiger Kriterien verfassungsrechtlich zulässig sein, von einer konkreteren Regelung der Gewichtung entbindet dies den Gesetzgeber jedoch nicht.223 Der Gesetzgeber hat sich dieser unangenehmen Fragestellung komplett entzogen und die schwierige Entscheidung der BÄK überlassen, obwohl er den Konflikt zwischen den beiden Kriterien sehr wohl erkannt hat, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt.224 Der Konflikt zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussicht ist „das normative Grundproblem der Organallokation schlechthin“,225 das die BÄK in ihrer Richtlinie für die Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung zur Lebertransplantation zugunsten der Dringlichkeit einer Transplantation gelöst hat, obwohl die Gewichtung der Kriterien nicht (allein) durch Inbezugnahme der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft gelöst werden kann.226

b) Argumente für eine eingeschränkte Geltung des Parlamentsvorbehalts im Rahmen der Organallokation Seit dem Kalkar Beschluss227 des BVerfG wird die Auffassung vertreten, dass geringere Anforderungen an die Detailliertheit der parlamentarischen Regelung zu stellen sind, wenn der „dynamische Grundrechtsschutz“ durch eine offen gestaltete Formulierung besser sichergestellt werden könne.228 Der Gesetzgeber dürfe keine 220

BVerfGE 147, 253 (120). In Gesetzesbegründung zum TPG wird Wartezeit als Kriterium vorgeschlagen, vgl. BTDrs. 13/4355, S. 26. 222 Vgl. fünftes Kapitel, Glp. IV. 4. a) aa) (1). 223 Lang, Deregulierte Verantwortungslosigkeit?, MedR 2005, 269 (278). 224 Dort heißt es: „Zu den Vermittlungsregeln gehören auch Kriterien, nach denen im Konfliktfall Dringlichkeit und Erfolgsaussicht gegeneinander abzuwägen sind“. Vgl. BTDrs. 13/4355, S. 26; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 199. 225 Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 121. 226 Zum „Kategorienfehler“ vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 3. a). 227 BVerfGE 49, 89. 228 Vgl. generell: Di Fabio, Verlust der Steuerungskraft klassischer Rechtsquellen, NZS 1998, 449 ff. 221

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starren, sondern müsse offene Normen schaffen, die entwickelt und angepasst werden können.229 Je nach Natur des Regelungsgegenstandes230 könne sich eine zu detaillierte gesetzliche Regelung verbieten, wenn diese nicht adäquat wäre, denn trotz Geltung des Parlamentsvorbehaltes bestehe „kein totaler Wesentlichkeitsvorbehalt“231 und die Exekutive werde nicht zum bloßen „Gesetzesvollzugsautomaten“232 herabgestuft. Dem Parlament werde vom Grundgesetz kein allumfassender Vorrang bei grundlegenden Entscheidungen zugesprochen. Im Bereich der Organallokation wird daher auch von einigen Autoren im Schrifttum aus unterschiedlichen Gründen eine eingeschränkte Geltung des Parlamentsvorbehalts angenommen.233 aa) Das Flexibilitätsargument Seit jeher wird gegen eine Änderung des TPG und Loslösung von den Richtlinien der BÄK hin zu einer parlamentarischen Regelung der Verteilungsparameter die mangelnde Normierungsfähigkeit der Organallokation angeführt.234 Begründet wird dies häufig mit dem Argument des gesteigerten Bedürfnisses an Flexibilität im Bereich der Organallokation.235 Denn der Parlamentsvorbehalt stößt überall dort an seine Grenzen, wo durch eine detaillierte gesetzliche Regelung auf Grund der Flexibilität des Regelungsgebietes Einbußen an Effektivität verbunden wären. Entsprechend führt Rosenau an, die Dynamik der Medizin verlange einen flexibleren Normgeber als das Parlament.236 Die BÄK sei an weniger verfahrensrechtliche Anforderungen gebunden und könne entsprechend schnell auf die Veränderungen reagieren.237 229

Hill, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NVwZ, 1989, 401 (407). BVerfGE 49, 89, (134). 231 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, viertes Kapitel, Rn. 22. 232 Krebs, Die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes, Jura, 304 (311). 233 Rosenau, die Setzung von Standards in der Transplantation, in: FS Deutsch, S. 442 ff.; ders., in: Middel/Pühler/Lilie/Vilmar, Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 79. 234 Zudem müsse die vom BVerfG entwickelte Figur des dynamischen Grundrechtsschutzes gewährleistet sein. „Diese Beurteilung in die Hand der Exekutive zu geben, deren rechtliche Handlungsformen sie für die erforderliche Anpassung sehr viel besser ausrüsten als den Gesetzgeber, dient auch insoweit einer Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes“. Vgl. BVerfGE 49, 89 (139); vgl. auch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 187. 235 Rosenau, Die Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der Bundesärztekammer, in: FS Deutsch, S. 447; ders., in: Middel/Pühler/Lilie/Vilmar, Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 79. 236 Rosenau, Die Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der Bundesärztekammer, in: FS Deutsch, S. 447. 237 Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz, S. 135. 230

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In der Tat ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, alle Modalitäten der Organallokation in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG bis in kleinste Detail zu regeln, da allgemein anerkannt ist, dass der Gesetzgeber zur Wahrung des Grundrechtsschutzes bei der Regelung dynamischer Materien von einer detaillierten Regelung absehen kann.238 Nur die Wesentlichkeit des Regelungsgenstandes bedeutet nämlich noch nicht, dass der Gesetzgeber eine bis ins genaue Detail geregelte Norm schaffen muss. Im Bereich der Organallokation ist aber bereits fraglich, ob die Allokationskriterien tatsächlich einer derartigen Dynamik unterliegen.239 Dies mag das Beispiel der Richtlinie zur Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation verdeutlichen. Vor der Einführung des „Model for endstage Liver Disease“ dem sog. MELD-Score240 im Jahr 2006 wurde in der Richtlinie zur Vermittlung der Leber primär nach Wartezeit verteilt. Um den „Tod auf der Warteliste“ zu minimieren wurde, unter zu Hilfenahme ausländischer Vorbilder der MELDScore von der BÄK in ihrer Richtlinie zur Lebertransplantation eingeführt, der hauptsächlich die Dringlichkeit einer Transplantation berücksichtigt. Dieser gilt als Dringlichkeitsmesswert nunmehr seit über dreizehn Jahren, was gegen eine Normierungsunfähigkeit spricht. Rosenau führt als Beleg für den Flexibilitätsbedarf der Materie und zur Praktikabilitätserwägung an, dass sich nach Einführung des MELDScore gezeigt habe, dass dieser in Ausnahmefällen bei bestimmten Patientenkollektiven trotz gleichbleibend schlechten Gesundheitszustandes die Dringlichkeit nicht adäquat wiedergeben konnte und den betroffenen Patienten aus diesem Grund eine gesonderte Score-Ziffer zugewiesen werden musste.241 Aus diesem Grund sei sodann eine entsprechende Richtlinienänderung angeregt und schließlich auch umgesetzt worden; solche „Feinsteuerungen“ der Verteilungskriterien seien mit dem parlamentarischen Gesetzgeber unmöglich.242 Ob ein Mangel an Feinsteuerungsmöglichkeit für ein so weitreichendes Flexibilitätserfordernis der Organallokation spricht, dass sie jeglichen weiteren Vorgaben durch den Gesetzgeber komplett entzogen ist, darf bezweifelt werden. Jedenfalls aber verfängt das Argument Rosenaus schon deswegen nicht, da die im Schrifttum vorgebrachte Kritik nicht auf einzelne und medizinisch begründbare Indikationsdetails, sondern auf die normativen und ethischen Allokationskriterien abzielt.243 Darüber hinaus kann die Flexibilität einer Materie nur dann ein Kriterium zur Zuweisung zum Verfahren der Verordnungsgebung sein, wenn es sich nicht um eine grundrechtintensive, grund238

Vgl. BVerfGE 47, 46 (82); Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 71. Ähnlich zur Nierentransplantation auch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, S. 200. 240 Der sog. MELD-Score errechnet aus drei unterschiedlichen Laborwerten die Wahrscheinlichkeit des Patienten innerhalb von drei Monaten zu versterben, mithin die „Dringlichkeit“ einer Lebertransplantation. Vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 2. b) cc) (2). 241 Vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 2. b) cc) (2) (b). 242 Rosenau, Die Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der Bundesärztekammer, in: FS Deutsch, S. 448. 243 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 71. 239

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legende Materie handelt.244 Im Hinblick auf die fundamental grundrechtsrelevanten Fragen, die die Organallokation mit sich bringt, sind die normativen Wertentscheidungen vom Parlament als Vertretung des deutschen Volkes selbst zu treffen.245 Ferner trägt auch das Argument des dynamischen Grundrechtsschutzes nicht. Dieses Konzept entspringt dem Umwelt-und Technikrecht, wo sich der Gesetzgeber der Schwierigkeit gegenübersah einen technisch-flexiblen Sachverhalt zu regeln und dabei zugleich dem Bedürfnis nach einem „law in action“,246 das in der Lage ist, sich dem Wandel der modernen Gesellschaft anzupassen, gerecht zu werden. Der Gesetzgeber behalf sich im Bereich dieser Materie mit der Regelungskonzeption der (dynamischen) Verweisung247 beispielsweise auf den „Stand der Wissenschaft und Technik“, um der Abwehr von spezifischen Gefahren der Technik Rechnung tragen.248 Die Konkretisierung und Ausarbeitung der technischen Regeln wurde nichtstaatlichen Expertengremien übertragen, um effektiven Grundrechtsschutz auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ermöglichen.249 Ausweislich der Kalkar-Entscheidung des BVerfG dient die offene gesetzliche Fassung entsprechend dem dynamischen Grundrechtsschutz.250 Selbst wenn sich der Gesetzgeber durch die Formulierung des § 16 Abs. 1 S. TPG an die soeben erläuterte Regelungskonzeption anknüpfen wollte, ist die Figur des dynamischen Grundrechtsschutzes nicht auf den Bereich der Organallokation übertragbar.251 Denn anders als im Umwelt- und Technikrecht und dem dazugehörigen Institut des dynamischen Grundrechtsschutzes geht es im Transplantationsrecht gerade nicht um die Wahrung des Grundrechtsschutzes aller Betroffenen, sondern vielmehr um eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren Betroffenen, mithin die normative Entscheidung, wessen Grundrechte im Vergleich zu denen anderer mehr Schutz genießen sollen.252 Der aktuelle medizinische Erkenntnistand würde daher nicht dem Schutz aller betroffenen Patienten dienen, sondern könnte lediglich Argumente für eine zwischen ihnen festzulegende Rangfolge bieten, wobei diese normative Grundentscheidung aber dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss.253 244

Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 263. Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 71. 246 Vgl. zur Kritik am parlamentarischen Gesetz und an der „Normenflut, Normenschwäche und Flucht in Generalklauseln“, Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Viertes Kapitel, Rn. 8. 247 Vgl. Glp. I. 2. b). 248 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 148 ff. 249 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 193; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 151. 250 BVerfGE 49, 89 (137). 251 Ähnlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 193. 252 Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 121 f.; Schroth/Gutmann/König/ Oduncu, § 12, Rn. 26; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 379; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 193. 253 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 194. 245

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

bb) Mangelnder Sachverstand des parlamentarischen Gesetzgebers Darüber hinaus wird oftmals auf den mangelnden Sachverstand des parlamentarischen Gesetzgebers und den Wissensvorsprung sowie die überlegene Expertise der Fachkreise verwiesen.254 Betrachtet man das legislative förmliche Gesetzgebungsverfahren stellt man fest, dass bei der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes ein arbeitsteiliges Zusammenwirken zwischen der Exekutive und der Legislative stattfindet. Der Gesetzgeber ist durchaus in der Lage, sich bei der Vorbereitung des Gesetzes den erforderlichen Sachverstand zur Beantwortung von speziellen Sachfragen mit ins Boot zu holen. Die Erarbeitung des Inhalts von Gesetzesvorlagen wird durch die weitreichenden Vorarbeiten der Exekutive maßgeblich mitbestimmt. Bestes Beispiel ist die aktuelle Diskussion um die Einführung einer Widerspruchslösung.255 In Öffentlichkeit und parlamentarischen Beratungen ist die Diskussion transparent und unter zu Hilfenahme von viel Sachverstand geführt worden. Mangelnder Sachverstand spricht mithin nicht für eine eingeschränkte Geltung des Parlamentsvorbehaltes. c) Ergebnis Die Richtlinienkompetenz der BÄK verstößt in ihrer jetzigen Gestalt gegen den Parlamentsvorbehalt.256 Wie bereits dargelegt, kann die Organallokation nach § 12 Abs. 3 TPG nicht auf der Grundlage rein medizinisch-technischer Erwägungen erfolgen, sondern bedarf normativer Wertentscheidungen. Dies gilt auch für den Zugang zur Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG soweit dieser nicht medizinisch individuell, sondern anhand utilitaristischer Erwägungen im Vergleich mit anderen Patienten erfolgt.257 Bedingt durch den Kategorienfehler, dem der Gesetzgeber bei Erlass des TPG erlegen ist, und der daraus folgenden grundlegend falschen Annahme, es handele sich bei den Verteilungskriterien um rein medizinische Kriterien, resultieren § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG in ihrer heutigen Form. Denn durch die gesetzlich getroffene Kategorisierung der Organallokation als rein medizinischer Fragestellung unterlag der Gesetzgeber zugleich einem Folgefehler, nämlich dass es bei der Organallokation nichts Wesentliches zu regeln gäbe und verlagerte die maßgebliche Entscheidungszuständigkeit entsprechend auf die

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BT-Drs. 13/4355, S. 28 und zweites Kapitel, Glp. VI. Vgl. drittes Kapitel, Glp. II. 3. 256 Schroth/Hofmann, Organverteilung als normatives Problem, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 317; Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation von Organzuteilungsentscheidungen in einem fragwürdigen System, Medstra, 2018, 3 (8). A. A. Rosenau, Die Setzung von Standards in der Transplantation in FS: Deutsch, S. 445 ff.; dem zustimmend: Sternberg-Lieben, Sinn und Grenzen (straf)gesetzlicher Steuerung im Arztrecht am Beispiel der Organ-Allokation, ZIS 2018, 130 (137). 257 Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 1. a). 255

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BÄK.258 Eine hinreichende Vorprogrammierung259 durch den Gesetzgeber enthält das TPG daher nicht.260 Denn weder hat der Gesetzgeber die Art der Auswahlkriterien für die Aufnahme auf die Warteliste und die Organvermittlung durch einen abschließenden Katalog festgelegt, noch wurde das bestehende Spannungsverhältnis mangels Gewichtung der beiden Kriterien aufgelöst. Dies wäre aber Mindestvoraussetzung, um dem Parlamentsvorbehalt gerecht zu werden. Auch ist die Einbeziehung der BÄK als das medizinische Fachgremium zur Beantwortung medizinischer Sachverhalte grundsätzlich nicht zu beanstanden. Trotz der sachadäquaten Beteiligung medizinischer Sachverständiger hat der Gesetzgeber aber die nichtmedizinischen normativen („wesentlichen“) Entscheidungen zur Organallokation selbst zu treffen. Im Kontext der Normierung von Verteilungsregelungen begrenzter medizinischer Ressourcen sind notwendigerweise ethische Grundsätze heranzuziehen. Zu der Frage welche nicht-medizinischen Kriterien bei der Organallokation herangezogen werden sollen, schweigt sich das TPG aber aus. Der Gesetzgeber hat die ethischen und normativen Kriterien selbst festzulegen. Zu diesem Zweck kann er von verschiedenen Institutionen wie dem Ethikrat oder der Enquete-Kommission beraten werden.261 Dass eine konkretere parlamentarische Regelung durchaus möglich ist, belegt ein Blick auf das Schweizer Bundesgesetzes u¨ ber die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen, das in Art. 18 maßgebende auch nichtmedizinische Kriterien wie beispielsweise Gleichbehandlung bei der Wartezeit festlegt.262 Im Hinblick auf das deutsche Organallokationsrecht wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die nichtmedizinischen Gerechtigkeitskriterien

258 Gutmann spricht vom „grundlegenden Konstruktionsfehler“ des § 12 TPG vgl. Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 116. 259 Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetztes, NJW 1977, 1313 (1317). 260 Das TPG enthält mit den Begriffen der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit keine hinreichend bestimmten Vorgaben, sodass es an einer Normenklarheit fehlt. Da das TPG mit seinen unbestimmten Kriterien in § 12 Abs. 3 somit keine konkreten Handlungs- oder Unterlassungspflichten erkennen lässt, hat der BGH in seiner Entscheidung vom 18. 6. 2017 darin (mit Blick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG garantierte Gesetzlichkeitsprinzip) keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Strafbarkeit angenommen. Vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2017 – 5 StR 20/16, Rn. 35 (vgl. umfassend zu dem Urteil: fünftes Kapitel, Glp. III. 1. b)); dem folgend auch: LG Leipzig, Beschluss vom 7. 2. 2018 – 1 Ks 301 Js 217/13, S. 20 f., mit Verweis auf Schroth/Hofmann, Zurechnungsprobleme bei der Manipulation der Verteilung lebenserhaltender Güter, in: FS Kargl, S. 539. Ähnlich auch Verrel, Manipulationen von allokationsrelevanten Patientendaten – ein (versuchtes) Tötungsdelikt?, MedR 2014, 464 (467). 261 Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 209. 262 Entsprechend heißt es in Art. 18 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 8. Oktober 2004, dass bei der Zuteilung der Organe anzustreben ist, dass „Patienten, die auf Grund ihrer physiologischen Eigenschaften mit sehr langen Wartezeiten rechnen müssen, mit gleicher Wahrscheinlichkeit ein Organ zugeteilt erhalten Patienten ohne diese Eigenschaften.“ Das Gesetz wird als Vorbild für das deutsche Transplantationsgesetz schon länger diskutiert. Vgl. statt vieler: Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 23.

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der Wartezeit und der Chancengleichheit263 sowie Diskriminierungsverbote264 normiert. Um die Chancengleichheit der Patienten zu gewährleisten, müsste der Gesetzgeber Regelungen normieren, um etwaige schicksalhafte Nachteile einiger Patienten (wie etwa eine seltene Blutgruppe) auszugleichen.265 Weiter könnten die in Art. 3 Abs. 3 GG normierten Diskriminierungsverbote für die Organallokation übernommen werden.266 Darüber hinaus sollte neben der Gewichtung der Kriterien von Dinglichkeit und Erfolgsaussicht der Begriff der Erfolgsaussicht sowohl auf der ersten Selektionsebene nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG als auch auf der zweiten Selektionsebene nach § 12 Abs. 3 TPG hinreichend definiert und dahingehend konkretisiert werden, auf welcher Ebene welche Anforderungen an die Erfolgsaussicht (kurz- bzw. mittelfristig) zu stellen sind, wobei strenge verfassungsrechtliche Anforderungen für die Anwendung eines solchen Kriteriums zu beachten sind.267

4. Demokratische Legitimation der Bundesärztekammer Ausfluss des sich aus Art. 20 Abs. 2 GG ergebenden Demokratieprinzips ist neben der Einhaltung des Parlamentsvorbehaltes durch den Gesetzgeber ferner eine hinreichende demokratische Legitimation für die Ausübung staatlicher Gewalt.268 Entsprechend heißt es in der „Staatsfundamentalnorm“269 des Art. 20 Abs. 2 GG, dass „alle Staatsgewalt vom Volke“ ausgeht, wodurch der Grundsatz der Volksouveränität im Grundgesetz verankert ist.270 Der Begriff der demokratischen Legiti-

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Dieses Kriterium findet sich bislang nur in den Richtlinien der BÄK. Die Regelung in Art. 18 des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 8. Oktober 2004 ist ebenfalls Ausfluss des Prinzips der Chancengleichheit. 264 Vgl. Art. 17 des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 8. Oktober 2004. 265 Auch dazu finden sich auf Ebene der Richtlinien bereits Regelungen. Vgl. fünftes Kapitel, Glp. II. 2. b) aa). Eine gesetzliche Formulierung zur Wahrung der Chancengleichheit findet sich in Art. 18. Abs. 2 des schweizerischen Transplantationsgesetzes. Vgl. dazu Fn. 262. 266 So auch Höfling und Lang. Vgl. Höfling, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, JZ 2007, 481 (486); Lang, Deregulierte Verantwortungslosigkeit?, MedR 2005, 269 (279). Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 209. 267 Vgl. fünftes Kapitel, Glp. III. 268 Sachs, in: Sachs, GG Kommentar, Art. 20, Rn. 27. 269 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 155. 270 Die Vorschrift ist ein wortgetreues Abbild des Art. 1 Abs. 2 WRV vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 156. Nach allgemeiner Auffassung ist unter dem Begriff „Volk“ i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG „die Gesamtheit der in dem jeweiligen Wahlgebiet ansässigen Deutschen (Art. 116 Abs. 1 GG)“ zu verstehen. Vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 80, Rn. 81.

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mation271 bezeichnet die Rechtfertigung von Herrschaft, also den „Vorgang der Herstellung legitimer Herrschaft“.272 Wie bereits festgestellt, wurde der BÄK durch die Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG die Befugnis zum Erlass von Richtlinien übertragen, die in ihrer Wirkung einer Rechtsnorm gleichkommen, sodass sich die Frage stellt, ob die BÄK für die Ausübung staatlicher Gewalt ausreichend demokratisch legitimiert ist.273 a) Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe demokratischer Legitimation aa) Das verfassungsrechtliche Grundmodell der demokratischen Legitimation Das Grundgesetz bestimmt in Art. 20 Abs. 2 GG das Volk zum alleinigen Träger der Staatsgewalt. Entsprechend bedarf es für jedes amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter einer durch das Staatsvolk vermittelten demokratischen Legitimation. Jedes staatliche Handeln muss sich mithin „auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden“.274 Eine unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk selbst, kann nur durch Wahlen und Abstimmungen erfolgen, sodass es für die Ausübung der sonstigen Staatsgewalt durch die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung eines „Zurechnungszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher Herrschaft“ bedarf.275 Dieser wird hauptsächlich durch die Parlamentsgesetze des (vom Volk gewählten) Parlaments gewährleistet, sodass die sachlich-inhaltliche Legitimation durch das Parlamentsgesetz und die personell-organisatorische Legitimation durch die vom Volk direkt gewählten Abgeordneten die beiden Säulen des verfassungsrechtlichen Modells der demokratischen Legitimation bilden.276 Die sachlich-inhaltliche Legitimation betrifft mithin die inhaltliche Rückführbarkeit der Ausübung von Staatsgewalt auf das Volk und verlangt darüber hinaus, eine ausreichende Vorsteuerung der 271 Zur Unterscheidung der Begriffe Legitimation und Legitimität vgl. Voßkuhle/Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ, 2002, 673, (674). „Legitimation ist demnach ein Prozess und Legitimität das Resultat“. 272 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 32 f. 273 Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16, Rn. 13 ff.; ders., Die Transplantationsversorgung und deren Regulierung, in: Ebsen, Handbuch des Gesundheitsrechts, S. 277; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, § 16, Rn. 5; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 187. 274 BVerfGE 130, 67 (123); Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 139. 275 BVerfGE 130, 76 (123); 135, 155 (221); Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 139. 276 BVerfGE 135, 155 (223); vgl. dazu grundlegend Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. II, § 24, Rn. 16 ff.; Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 140.

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Entscheidungen durch hinreichende Vorgaben im Gesetz277 sowie eine Verbindlichkeit der inhaltlichen Vorgaben für die Exekutive.278 Zur Wahrung der personellorganisatorischen Komponente muss eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk hin zum entscheidungsberechtigen Organ existieren.279 Die öffentliche Aufgabenwahrnehmung eines Amtswalters muss sich entsprechend auf einen seinerseits personell-legitimierten Amtswalter zurückführen lassen, wobei zugleich ein konkret begrenzter Aufgabenbereich für den Amtswalter festzulegen ist.280 Es kann mithin ausschließlich derjenige ernennen, der von jemandem ernannt wurde, der seinerseits vom Volk gewählt wurde.281 Das Niveau der Legitimation nimmt aber bei jeder Weitergabe ab, bleibt also nicht in gleicher Intensität bestehen.282 Beide Komponenten der demokratischen Legitimation stehen in einem solchen wechselseitigen Verhältnis zueinander, dass eine geringere Legitimation der einen durch eine erhöhte Legitimation der anderen kompensiert werden kann, soweit ein „hinreichendes Legitimationsniveau“ gewährleistet wird.283 bb) Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung Nach der Rechtsprechung des BVerfG richtet sich die Bestimmung des erforderlichen Legitimationsniveaus maßgeblich nach der organisatorischen Struktur des konkret handelnden Organs sowie seiner funktionalen Aufgabenbestimmung durch das Gesetz.284 Entsprechend kann das Legitimationsniveau je nach Erscheinungsform der Staatsgewalt unterschiedlich ausgestaltet sein, wobei die Gewährleistung der Effektivität des staatlichen Handelns entscheidend ist.285 Neben den problemlos demokratisch legitimierten Trägern der unmittelbaren Staatsverwaltung286 können 277

Dreier, in: Dreier GG Kommentar, Art. 20 (Demokratie), Rn. 112; Schröder, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, JA 2017 809 (814). 278 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 80, Rn. 83. 279 BVerfGE, 47, 253 (275 f.); 68, 1 (88); 77, 1 (40); Dreier, in: Dreier GG Kommentar, Art. 20 (Demokratie) Rn. 111; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Zweites Kapitel, Rn. 827. Das BVerfG spricht in BVerfGE 83, 60 (73) von einem „unmittelbaren Legitimationszusammenhang“. 280 Die Begrenzung des Aufgabenbereichs ist die „organisatorische“ Komponente der personell-organisatorischen Legitimation. Vgl. Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 140. 281 Schröder, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, JA 2017, 809 (814.) 282 Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 153. 283 BVerfGE 93, 37 (67); 83,60, (72);93,37, (67);107,59, (87); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 119; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 9. 284 BVerfGE 93, 37 (66 f.); Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 141. 285 BVerfGE 93, 37 (66 f.). 286 Die höchste demokratische Legitimation liegt bei der Bundeskanzlerin, die direkt vom Volk gewählt und ihm gegenüber verantwortlich ist. Die Bundeskanzlerin benennt die jewei-

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nach der Rechtsprechung des BVerfG demnach auch andere verselbständigte Organe, die Staatsgewalt ausüben, demokratische Legitimation aus dem herkömmlichen verfassungsrechtlichen Legitimationsmodell erlangen, wozu insbesondere die Träger der „funktionalen Selbstverwaltung“ gehören.287 Nach dem BVerfG ist die funktionale Selbstverwaltung „als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen“ Ergänzung des Demokratieprinzips, das es erlaube, durch Gesetz „für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen.“288 Die personelle Legitimation der Amtswalter der funktionalen Selbstverwaltung erfordert nach der zitierten Rechtsprechung des BVerfG keine Rückführung auf das „Gesamtvolk“; vielmehr ergibt sich deren Legitimation durch das „Verbandsvolk“ (als „sachnahe Betroffene“) der Selbstverwaltung.289 Diese verringerten legitimatorischen Anforderungen gelten ausweislich des BVerfG für die funktionale Selbstverwaltung, bei der es sich um „überwiegend überschaubare Aufgabenbereiche“ handele; darüber hinaus müsse sichergestellt werden, dass „betroffene Interessen angemessen berücksichtigt werden und dem Volk „maßgeblicher Einfluss“ auf das verbindliche Handeln der funktionalen Selbstverwaltung verbleibt.290 b) Legitimationsniveau der Bundesärztekammer aa) Personell-organisatorische Legitimation Die Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG werden von der StäKO erarbeitet und vom Vorstand der BÄK verabschiedet. Für den demokratischen Zurechnungszusammenhang ist aber nicht die StäKO, sondern allein die BÄK als erlassendes Organ maßgeblich.291 Ausweislich § 3 der Satzung der BÄK292 sind ihre Organe zum einen die Hauptversammlung (Deutscher Ärztetag) und zum anderen der Vorstand. Dieser besteht wiederum nach § 5 der Satzung aus einem Präsidenten ligen Fachminister, die wiederum weitere Amtsträger ernennen. Vgl. Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 76; vgl. generell zum System der hierarchischen Verwaltung: Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, S. 287 ff. 287 Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 142. BVerfGE 93, 37 (66 f.). 288 BVerfGE 107, 59 (92); Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 142. 289 Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 143. 290 BVerfGE 107, 59 (93); Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 143. 291 Höfling, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, JZ 2007, 481 (484). 292 Satzung der Bundesärztekammer in der vom 117. Deutschen Ärztetag 2014 beschlossenen Fassung.

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und zwei Vizepräsidenten, den Präsidenten der Landesärztekammern sowie zwei weiteren Ärzten, wobei Präsident und Vizepräsidenten vom Deutschen Ärztetag für die Dauer von vier Jahren und die beiden weiteren Ärzte für die Dauer von zwei Jahren gewählt werden. Die Wahl der Präsidenten der Landesärztekammern erfolgt nach ihren jeweiligen Satzungen. Auf die Besetzung des Vorstandes hat der Gesetzgeber keinen Einfluss; die Mitglieder werden weder vom Parlament gewählt noch sind sie in irgendeiner Weise auf den parlamentarischen Willen zurückzuführen.293 Es kann zunächst festgehalten werden, dass die personell-organisatorische Legitimation der Mitglieder des Vorstandes der BÄK autonom durch die mitgliedschaftlichen Berufsträger vermittelt wird, sodass eine Rückanbindung an das Gesamtvolk fehlt.294 Diese Tatsache ist zwar für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung typisch und auch nicht per se zu beanstanden, soweit die Wirkungen der Entscheidungen nur den begrenzten Mitgliederbereich betreffen. Wird eine Legitimation also mitgliedschaftlich durch ein „Teilvolk“ vermittelt, dürfen die Entscheidungen des Amtswalters auch nur dieses Teilvolk betreffen, da gerade diese Begrenzung der Zuständigkeit bzw. des Aufgabenbereichs die organisatorische Komponente der personell-organisatorischen Legitimation ausmacht.295 Wie auch für die Legitimation der Rechtsetzung des GBA im GKV-Recht wird auch hinsichtlich der Richtlinientätigkeit der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG teilweise angeführt, dass es sich um Selbstverwaltung handele,296 was das bestehende personelle Legitimationsdefizit rechtfertige. Dies vermag aber nicht zu überzeugen. Kennzeichen der Selbstverwaltung ist die Kongruenz der von den Maßnahmen Betroffenen und deren Partizipation an den Entscheidungen.297 Inhalt der selbstverwaltenden Tätigkeit können dementsprechend nur eigene Angelegenheiten der beteiligten Ärzte sein.298 Die Wahrnehmung vom Staat übertragener Aufgaben darf nicht über die eigenen Angelegenheiten der Selbstverwaltungskörperschaft hinausgehen299 und Wirkungen gegenüber Nichtmitgliedern entfalten. Entscheidungen von unmittelbarer Außenwirkung sind nicht selbstverwaltungsfähig.300

293 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 67, 77; Sickor, Der Genehmigungsvorbehalt der Richtlinien nach § 16 TPG GesR 2014, 204 (207). 294 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 76. 295 Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 148. 296 Holznagel, Die Vermittlung von Spenderorganen nach dem geplanten Transplantationsgesetz, DVBl. 1997, 393 ff. 297 Taupitz, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 208 f. 298 Haverkate, Verantwortung für Gesundheit als Verfassungsproblem, in: Häfner, Gesundheit unser höchstes Gut?, S. 125. 299 BVerfGE 33, 125. 300 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 545.

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Die in den Richtlinien der BÄK festgeschriebenen Regelungen zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung überschreiten den Kreis eigener Angelegenheiten der BÄK bei weitem.301 Sie entfalten u. a. gegenüber den potenziellen Organempfängern als außenstehenden Dritten grundrechtsrelevante Wirkung.302 Die von den Richtlinien ausgehenden Entscheidungswirkungen reichen somit über den Kreis der legitimierenden Mitglieder hinaus. Bei der Tätigkeit der BÄK im Transplantationswesen handelt es sich daher keinesfalls um bloße ärztliche Selbstverwaltung, sondern vielmehr um „Fremdverwaltung.“303 Es bleibt daher festzuhalten, dass es der BÄK hinsichtlich ihrer gesetzlich zugewiesenen Richtlinientätigkeit im Bereich der Organallokation bereits an der personell-organisatorischen Legitimation gänzlich mangelt. Das festgestellte Defizit kann ferner nicht durch die geringeren Anforderungen, die das BVerfG an funktionale Selbstverwaltungskörperschaften stellt, gerechtfertigt werden, da es sich bei der Richtlinientätigkeit nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG gerade nicht um Selbstverwaltung der BÄK handelt. bb) Sachlich-inhaltliche Legitimation (1) Vorsteuerung der Organallokation durch das TPG Der sachlich-inhaltliche Legitimationsstrang verlangt eine inhaltliche Rückführbarkeit des staatlichen Handels auf das Volk (bzw. auf das Parlament) sowie Aufsichts-, Kontroll- und Weisungsrechte gegenüber den handelnden Amtswaltern.304 Wie bereits dargelegt, liegt mit den Vorgaben in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG keine ausreichende Vorsteuerung der Organallokation im TPG vor, sodass sich die sachlich-inhaltliche Legitimation hier mit dem Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt trifft.305 Der Gesetzgeber hätte zumindest eine Gewichtung der tendenziell gegenläufigen Kriterien in § 12 Abs. 3 TPG vornehmen und die nichtmedizinischen Allokationskriterien selbst festlegen müssen. Die BÄK ist gezwungen, dieses Versäumnis auf Ebene ihrer Richtlinien nachzuholen und Kriterien, wie beispielsweise das der Chancengleichheit selbst zu normieren. Die Tätigkeit der BÄK erschöpft sich daher nicht lediglich in der Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, denn die durch den Organmangel aufgeworfenen Gerechtigkeitsfragen beantwortetet die BÄK unter Zuhilfenahme normativer Kriterien selbst.306 301 Schroth/Hofmann, Organverteilung als normatives Problem, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 319; S. auch Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 204. 302 Zur Wirkung der Richtlinien vgl. Glp. I. 2. und 3.; Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 122. 303 Haverkate, Verantwortung für Gesundheit als Verfassungsproblem, in: Häfner, Gesundheit unser höchstes Gut?, S. 126. 304 Voßkuhle/Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, 673, (678). 305 Vgl. Glp. II. 3. c). 306 Vgl. dazu umfassend: fünftes Kapitel.

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(2) Der Genehmigungsvorbehalt nach § 16 Abs. 3 TPG Darüber hinaus enthält das TPG keinerlei Regelungen zur Besetzung oder etwaigen Kontrollmechanismen hinsichtlich der von der BÄK ausgeübten Tätigkeit, sodass es an der erforderlichen Weisungsgebundenheit fehlt. Vielmehr ist die BÄK selbst Teil der maßgeblichen Kontrollinstanzen des TPG, namentlich der Prüfungsund Überwachungskommission.307 Durch einen fraktionsübergreifenden Antrag im Zuge der Aufdeckung der Allokationsauffälligkeiten wurde die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Richtlinien der BÄK unter einen Genehmigungsvorbehalt des Bundesministeriums für Gesundheit stellt und ein nationales Transplantationsregister einführt.308 Zahlreiche Stimmen im Schrifttum, mehrere Bundesländer (und verschiedene regionale Niederlassungen der DSO) hatten sich bereits im Jahr 2007 für die Einführung eines „Genehmigungs- oder Einvernehmensvorbehalts“ ausgesprochen.309 Um der im Schrifttum bereits seit Jahren vorgebrachten Kritik hinsichtlich der defizitären Kontrollmöglichkeiten der BÄK und in Folge der Organallokationsskandale entschied sich der Gesetzgeber schließlich für die Einführung des geforderten Genehmigungsvorbehaltes. Durch Art. 5d des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung310 (KVBeitrSchG) wurde das TPG entsprechend ergänzt und der Genehmigungsvorbehalt in § 16 Abs. 3 TPG normiert. Dort heißt es, dass die Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 TPG dem Bundesgesundheitsministerium zur Genehmigung vorzulegen sind. Ausweislich § 16 Abs. 3 S. 2 TPG kann dieses von der BÄK im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ferner zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern. Es stellt sich die Frage, ob der neu etablierte Genehmigungsvorbehalt nunmehr das bestehende Kontrolldefizit beseitigt bzw. die defizitäre sachlich-inhaltliche Legitimation hinsichtlich der Richtlinientätigkeit der BÄK beeinflusst. Durch die 307

Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 5. BT-Drs. 17/13897, S. 4 ff. Das Gesetz zur Errichtung eines Transplantationsregisters wurde am 7. Juli 2016 vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Der Großteil seiner Regelungen ist am 1. November 2016 in Kraft getreten. Das Gesetz legt fest, dass die TPG-Auftraggeber geeignete Stellen mit der Errichtung und dem Betrieb einer Transplantationsregisterstelle sowie einer unabha¨ ngigen Vertrauensstelle fu¨ r die Pseudonymisierung personenbezogener Daten vertraglich beauftragen, vgl. BT-Drs. 18/10854 S. 26 ff. 309 So beispielsweise der Bericht zum 10-jährigen Bestehen des TPG vgl. BT-Drs. 16/13740 S. 14 aber auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 105; Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16, Rn. 21; Taupitz, Richtlinien in der Transplantationsmedizin, NJW 2003, 1145 (1150). Zur früheren Diskussion, einen Genehmigungsvorbehalt der Richtlinien aus § 12 Abs. 5 TPG abzuleiten, vgl. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 177. Anders aber die BÄK, die sich im Jahr 2012 ausdrücklich gegen die Einführung eines Genehmigungsvorbehaltes aussprach, vgl. Beschlussprotokoll 115. Ärztetag, S. 70 f. 310 Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. 7. 2013, BGBl. I, 2423, 2429. 308

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gesetzliche Genehmigungspflicht erfolgt eine nachträgliche Kontrolle der Richtlinien durch das BMG, das seine demokratische Legitimation durch die Anwendung der Parlamentsgesetze und durch die vom Bundeskanzler ernannten Fachminister erhält.311 Zunächst ist festzuhalten, dass die Genehmigung der Richtlinien durch einen demokratisch legitimierten Verwaltungsträger den festgestellten Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt nicht auszugleichen vermag, da nur das Parlament selbst legitimiert ist, die „wesentlichen“ Allokationskriterien festzulegen.312 Darüber hinaus ist auch die Vermittlung demokratischer Legitimation durch den Genehmigungsvorbehalt fraglich. Zwar ist zu begrüßen, dass die Richtlinien der BÄK erstmals seit Erlass des TPG überhaupt einer staatlichen Kontrolle unterliegen. Allerdings bleibt offen, anhand welcher Maßstäbe die Kontrolle durch das BMG erfolgen soll. Es ist bereits unklar, ob die Genehmigungspflicht ihrem Wortlaut nach und in Konsequenz des Kategorienfehlers neben der Überprüfung medizinischer Konkretisierungen auch die Kontrolle der normativen Entscheidungen in den Richtlinien erfassen soll.313 Die ebenfalls durch das KVBeitrSchG in § 16 Abs. 2 S. 1 TPG neu eingeführte Begründungspflicht, nach der von der BÄK „insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen“ ist, ermöglicht jedenfalls nur eine auf Plausibilitätserwägungen basierende Beurteilung.314 Eine materielle Überprüfung der normativen Kriterien kann dadurch nicht erfolgen. Neben der Frage um die Reichweite der in § 16 Abs. 3 TPG normierten Genehmigungspflicht ist auch der legitimatorische Wert einer solchen zu betrachten. Ein Genehmigungsvorbehalt ist klassisches Aufsichtsinstrument der funktionalen Selbstverwaltung.315 Innerhalb der Genehmigungsvorbehalte wird zwischen rechtlichen Unbedenklichkeitserklärungen und (echten) staatlichen Mitentscheidungsrechten unterschieden, wobei erstere eine präventive Rechtskontrolle und letztere eine eigene Zweckmäßigkeitskontrolle bzw. Entscheidungsanteile beinhaltet.316 Bei der Genehmigungspflicht in § 16 Abs. 3 TPG handelt es sich um eine nachträgliche Kontrolle der BÄK-Richtlinien, die deren Wirksamwerden vorgeschaltet ist. Einer solchen wohnt kein eigenes Rechtsetzungselement oder eigenständige Gestaltung

311

Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 84. Zum Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt vgl. Glp. II. 3. c).; Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 84. 313 Ablehnend: Sickor, Genehmigungsvorbehalt für Richtlinien nach § 16 TPG, GesR 2014, 204, (207); Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 364. 314 Weigel, Organvermittlung und Arzthaftung, S. 84. 315 Höfling, Die Transplantationsmedizin und deren Regulierung, in: Ebsen, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 285; ders., Grundstrukturen des Rechts der Transplantationsmedizin, Medstra 2015, 85 (88). 316 Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 185. 312

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des BMG inne.317 Dies, die fehlende sachliche Einflussnahme im Vorfeld durch das BMG sowie die Gesetzesbegründung, wonach sich an der „gesetzlich zugewiesenen Verantwortung“ der BÄK nichts ändern soll,318 sprechen für das Vorliegen eines Genehmigungsvorbehaltes in Form einer Unbedenklichkeitserklärung. Darüber hinaus darf man sich fragen, welcher Wert einer Überprüfung durch eine Instanz beizumessen ist, die für eine medizinische Bewertung einer Begründung durch die BÄK (nach dem zu diesem Zwecke eingeführten § 16 Abs. 2 S. 1 TPG) bedarf und sich seit Erlass des TPG weiterer Kontrollverantwortlichkeiten entzogen hat. Das BMG hat seit Erlass des TPG keine eigene Expertise geschaffen und die maßgeblichen Entscheidungen von Anfang an auf nicht-staatliche Fachgremien verlagert.319 Auch dies spricht gegen die Annahme eines gesetzlich gewollten eigenen Mitscheidungsrechts des BMG. Hinsichtlich des Mangels an personell-organisatorischer Legitimation der BÄK vermag der Genehmigungsvorbehalt ebenfalls keine positive Änderung herbeizuführen, da sich die Überprüfung lediglich auf den Inhalt der Richtlinien und nicht auf das Verfahren und das Zustandekommen bezieht.320 Der Genehmigungsvorbehalt in seiner konkreten Gestalt in § 16 Abs. 3 TPG vermag daher nicht über das demokratische Defizit der BÄK hinwegzuhelfen,321 sodass es der BÄK – auch bei Kombination der beiden Legitimationsstränge – an dem vom BVerfG geforderten Legitimationsniveau fehlt.322 317 Kingreen, Wer bekommt ein Organ? Zuteilungskriterien der Transplantationsmedizin im Streit, Öffentliche Plenarsitzung des deutschen Ethikrates vom 26. 9. 2013. 318 BT-Drs. 17/13947, S. 40. 319 Gutmann, in: Haarhoff, Organversagen – Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 164 f. mit Verweis auf positive Gegenbeispiele aus anderen Ländern. Zur Entstehungsgeschichte des TPG vgl. umfassend: zweites Kapitel. 320 Sickor, Genehmigungsvorbehalt für Richtlinien nach § 16 TPG, GesR 2014, 204, (207). 321 Sickor, Genehmigungsvorbehalt für Richtlinien nach § 16 TPG, GesR 2014, 204, (207 f.); Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 364. A. A. Dannecker/Streng, Die Neuregelungen des Transplantationsrechts durch den Gesetzgeber und die Bundesärztekammer, in: FS Schiller, S. 134, die der Ansicht sind, dass das Legitimationsdefizit der BÄK zumindest „behoben bzw. erheblich verringert“ werde. Nach Höfling wird das Legitimationsdefizit „nur teilweise“ beseitigt. Vgl. Höfling, Grundstrukturen des Rechts der Transplantationsmedizin, Medstra 2015, 85 (88). Sternberg-Lieben sieht die „staatliche Garantenstellung“ durch die Einführung des Genehmigungsvorbehaltes als gewahrt an. Vgl. Sternberg-Lieben, Sinn und Grenzen (straf-)gesetzlicher Steuerung im Arztrecht am Beispiel der Organ-Allokation, ZIS, 2018, 130 (142); ebenso Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57, (59). 322 Auch die Stimmen, die die Richtlinien als autonome Regelwerke klassifizieren, sehen sich in Anbetracht der gewichtigen Grundrechtsrelevanz gezwungen, zumindest gesteigerte Anforderungen an die Legitimation zu stellen. Augsberg weist daher (trotz Ablehnung der Beleihung und einer unmittelbaren Geltung der grundgesetzlichen Anforderungen) auf eine „vorwirkende Legitimationsverantwortung“ hin und verlangt ein „vergleichbares Legitimationsniveau“. Gerade im Bereich des Transplantationsrechts verbleibe dem Staat eine „spezifische Legitimationsverantwortung“. Vgl. Augsberg, Die Bundesärztekammer im System der Transplantationsmedizin, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 52. Ähnlich Taupitz, Richtlinien in der Transplantationsmedizin, NJW 2003, 1145 (1149). Auch

II. Verfassungsrechtliche Würdigung

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cc) Kompensationsmöglichkeit für eine defizitäre Legitimation Fehlt es an einer der beiden Legitimationskomponenten, wird im Schrifttum die Möglichkeit diskutiert, ob ein Ausgleich durch andere legitimationsstiftende Tatbestände möglich ist. Dabei ist umstritten, ob eine Kompensation bei einem „Totalausfall“ eines der beiden Legitimationsstränge überhaupt in Betracht kommt.323 Wie bereits festgestellt, mangelt es der BÄK gänzlich an der personell-organisatorischen Legitimation, da aber der sachlich-inhaltliche Legitimationsstrang ebenfalls defizitär ist, kommt eine Substitution durch die jeweils andere Legitimationskomponente ohnehin nicht in Betracht. Aus diesem Grund werden für eine Kompensation des demokratischen Defizits der BÄK alternative Rechtfertigungsmodelle angeführt. dd) Alternative Rechtfertigungsmodelle Das herkömmliche Modell der demokratischen Legitimation mit seinen zwei Legitimationskomponenten ist nicht unumstritten, sodass auch außerhalb des Transplantationsrechts alternative Legitimationsmodelle vorgebracht werden.324 Vor dem Hintergrund der hoch entwickelten technischen Gesellschaft, die nur mit Fachwissen als Basis reguliert werden kann, stößt das klassische Demokratieverständnis an seine Grenzen.325 Zur Vermeidung einer zu restriktiven Handhabung des Legitimationsmodells sieht ein Teil der Literatur dementsprechend mehr „Spielraum für Substitutionsmöglichkeiten“ für eine Abkehr vom herkömmlichen Modell. Legitimation sollen daher auch alternative Legitimationsmodi wie die Garantie von Entscheidungsrichtigkeit, Akzeptanz, Partizipation, Öffentlichkeit und Effizienz vermitteln können.326 Angeregt von der Diskussion um das Legitimationsdefizit der EU wurden in der Politikwissenschaft die Modelle der „Output-“ und „Inputlegitimation“ entwickelt. Die Output-Legitimation stellt auf das Ergebnis des Entschei-

Schmidt-Aßmann stuft die Regelwerke als privatrechtlich ein, verlangt aber auf Grund der Intensität der Regelungsmaterie das Vorliegen der demokratischen Legitimation i. S. v. Art. 20 Abs. 2 GG vgl. Schmidt-Aßmann, Organisationsformen des medizinischen Sachverstandes im Transplantationsrecht, in: FS Laufs, S. 1060 ff. Allgemein zur legitimatorischen Vorwirkung vgl. Trute, Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem, Das Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 290 ff. 323 Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 153 ff. 324 Zur Kritik am volksdemokratischen Demokratieverständnis vgl. exemplarisch Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, StwissStPr, 1994, S. 305 ff. 325 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, Handbuch des Staatsrechts Bd. I, § 22, Rn. 70. 326 Dreier, in: Dreier GG Kommentar, Art. 20 (Demokratie), Rn. 111; Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, 433 ff.; Voßkuhle/Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ, 2002, 673 (676); Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 90 ff.

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dungsprozesses ab, während die Input-Legitimation durch Partizipation der Betroffenen Legitimität stiftet.327 Vereinzelte Stimmen im Schrifttum versuchen das festgestellte demokratische Defizit der BÄK mit Hilfe solch alternativer Legitimationsmodi zu überwinden. Nach Rosenau328 bestehe zwar keine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den Mitgliedern der StäKO, sei aber auch nicht erforderlich. Über die Gesichtspunkte der Expertise, Partizipation und Akzeptanz erhielte das Gremium das hinreichend bestimmte Legitimationsniveau.329 Bei der Konzeption der Legitimation kraft Expertise und Sachverstandes wird davon ausgegangen, dass zahlreiche politische Fragen zu speziell und ausdifferenziert seien, als dass die Allgemeinheit sinnvoll eine Entscheidung über sie treffen könne.330 Unterstellt man zunächst, dass ein legitimatorischer Ausgleich auch bei Totalausfall der personell-organisatorischen Legitimation überhaupt möglich ist, stellt sich die Frage, ob die vorgebrachten Legitimationskonzepte dazu geeignet sind. Hinsichtlich der vorgebrachten Legitimation kraft „Expertenkompetenz“331 ist anzuführen, dass die in den Richtlinien getroffenen normativen Wertentscheidungen einer Determinierung durch Experten ohnehin entzogen sind.332 Diese liegen außerhalb der medizinischen Expertise der BÄK. Der von Rosenau ebenfalls vorgebrachte Legitimationsgesichtspunkt der „Akzeptanz“ hängt eng mit dem im GKVRecht für die Richtlinientätigkeit des GBA vorgebrachten Rechtfertigungsvorschlag der „Tradition“ zusammen, wonach es für die Rechtsetzung des GBA auch gegenüber Dritten keiner personell-organisatorischen Legitimation bedürfe.333 Bei den Richtlinien des GBA handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG um ein „historisch gewachsenes Regelungssystem, welches untrennbar mit den für die gesetzliche Krankenversicherung charakteristischen Strukturen der Leistungserbringung verknüpft ist.334 Dies ist aber bei den Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 TPG gerade nicht der Fall. Zwar ist es richtig, dass das Transplantationswesen vor

327

Petersen, Demokratie und Grundgesetz JöR 58, 2010, 138 (145). Rosenau, Die Setzung von medizinischen Standards in der Transplantation, in: FS Deutsch, S. 444. 329 Rosenau, Die Setzung von medizinischen Standards in der Transplantation, in: FS Deutsch, S. 444. 330 Petersen, Demokratie und Grundgesetz, JöR 2010, 138 (145); vgl. auch: Vierhaus, Sachverstand als Vierte Gewalt?, NVwZ 1993, 36 ff. 331 Rosenau, Die Setzung von medizinischen Standards in der Transplantation, in: FS Deutsch, S. 443. 332 Petersen, Demokratie und Grundgesetz, JöR 2010, 138 (145 ff.). 333 Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 155. 334 BSGE 81,73, (83); Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 156. 328

II. Verfassungsrechtliche Würdigung

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Erlass des TPG im Jahr 1997 im Wege der Selbstregulierung gesteuert wurde335 und die maßgeblichen Institutionen wie ET und DSO schon bei den ersten bundesweiten Organtransplantationen beteiligt waren. Wie die historische Untersuchung bereits ergeben hat,336 ist die BÄK hingegen – trotz erster Gesetzgebungsinitiativen im Jahr 1978 – erst im Jahr 1994 mit der Transplantationsmedizin wesentlich in Berührung gekommen, sodass eine sich aus Tradition ergebende Akzeptanz der Richtlinien durch die Bevölkerung ausscheidet. Darüber hinaus fehlt für das Verteilungswesen im Transplantationsrecht – anders als für das Sozialversicherungsrecht mit Art. 87 Abs. 2 GG – eine auf funktionale Selbstverwaltung gerichtete, grundgesetzliche Regelung. Hinsichtlich des Legitimationskonzepts der Partizipation bzw. Interessenausgleichs ist festzuhalten, dass alle Interessen gleichheitsgerecht repräsentiert sein müssen.337 Nach § 16 Abs. 2 S. 4 TPG sind bei der Erarbeitung der Richtlinien Personen aus dem Kreis der Patienten und Angehörigen „angemessen“ zu beteiligen. In § 2 Abs. 2 des Statuts der StÄKO338 wurde festgelegt, dass jeweils ein Vertreter aus dem Kreis der Patienten und Angehörigen bei der Erarbeitung miteinzubeziehen ist. Ob jeweils schon ein einziger Vertreter aus dem Kreis der Patienten und einer aus dem der Angehörigen eine „angemessene“ Partizipation darstellt, darf bezweifelt werden. Auch bleibt fraglich, ob diese angesichts der fachlichen Anforderungen eines Expertendiskurses tatsächlich auch partizipieren können.339 Darüber hinaus sprechen gewichtige Argumente – unabhängig von dem konkreten Fall der BÄK-Richtlinien – gegen die Anwendung relativierender, alternativer Legitimationskonzepte. So fehlt es für eine Ausdehnung des Demokratieverständnisses, das die Entscheidungsmacht allein beim Volk verankert, hin zu einer ergebnisorientierten Legitimation durch die Einbeziehung fachkundiger Akteure an einer verfassungsrechtlichen Festschreibung.340 Die Vorgaben der Verfassung sind nicht auf eine „output-orientierte Expertokratie“ gerichtet, sondern auf eine demokratische Legitimation der Entscheidungsinstanzen.341 Außerdem bietet das Demokratieprinzip keine inhaltlichen Maßstäbe, an denen sich die Qualität eines sachlichen Ergebnisses messen lässt.342 Schließlich wird gegen die Output-Legitimation überspitzt angeführt, dass sie auch von einer Diktatur vorgebracht werden 335 Rosenau, Die Setzung von medizinischen Standards in der Transplantation, in: FS Deutsch, S. 444. 336 Vgl. zweites Kapitel, Glp. IV. 4. 337 Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 160. 338 Statut der Sta¨ ndigen Kommission Organtransplantation der Bundesa¨ rztekammer in der vom Vorstand der Bundesärztekammer am 15. 5. 2020 beschlossenen Fassung, Dtsch. Ärztebl. Dtsch. Ärztebl. 2020, A-1294. 339 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 375. 340 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 372. 341 Ausgberg, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16a, Rn. 15. 342 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 373.

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

könne, soweit gute Ergebnisse erzielt würden.343 Eine anderweitige Legitimation der BÄK über eine Abkehr vom klassischen Legitimationsmodell scheidet demnach aus.

III. Lösungsvarianten 1. Erhöhung der Steuerungsdichte im TPG als Grundvoraussetzung Vor dem Hintergrund des bestehenden demokratischen Defizits der BÄK im Transplantationswesen stellt sich die Frage, wie dieses behoben werden kann. Angesichts der mangelnden sachlich-inhaltlichen Legitimation der BÄK basierend auf der unzureichenden gesetzlichen Vorsteuerung der Organallokation in §§ 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG, ist zur Herstellung einer Legitimation die Erhöhung der gesetzlichen Steuerungsdichte im TPG notwendig. Wie bereits dargelegt, ist es nicht Aufgabe des Parlaments alle Modalitäten der Organallokation in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG bis in kleinste Detail zu regeln und fachwissenschaftliche Vorschriften zu normieren.344 Vielmehr ist geboten, dass der Gesetzgeber die Gewichtung der gegenläufigen Kriterien der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit in § 12 Abs. 3 TPG vornimmt und (auch für § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG) definiert, sowie die ethischen bzw. nicht-medizinischen Kriterien selbst normiert.345 Auch im Hinblick auf den festgestellten Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt ist ein Erhöhung der Steuerungsdichte im TPG ohnehin zwingend geboten.346

2. Rechtsverordnungsermächtigung des BMG a) Verordnungserlass mit BÄK als beratendem Gremium Das demokratische Legitimationsdefizit der BÄK könnte aber auch vollumfänglich beseitigt werden, indem die Richtlinientätigkeit aus dem privaten Sektor herausgenommen, das BMG durch das TPG zum Erlass von Rechtsverordnungen für den Bereich der Organallokation ermächtigt und die entsprechenden Regelungen durch Rechtsverordnung umsetzen würde.347 Wie bereits dargelegt, enthält nicht nur 343

Kingreen, Optionen zur Stärkung der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 161 mit Verweis auf Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Rn. 53, Fn. 271. 344 Vgl. Glp. II. 3. b) aa). Kluth, Rechtsgutachten Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 249. 345 Vgl. Glp. II. 3. c). 346 Vgl. Glp. II. 3. c). 347 BT-Drs. 17/7376, S. 33 f.; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 534.

III. Lösungsvarianten

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§ 12 TFG eine solche Ermächtigung für das Transfusionswesen, sondern sogar das TPG selbst. Entsprechend ermächtigt § 16 a TPG das BMG zum Erlass einer Rechtsverordnung für den Gewebebereich.348 Vorteil eines solchen Vorgehens ist, dass der in der BÄK gebündelte Sachverstand optimal genutzt werden kann, während die verbindliche Regelung aber durch das demokratisch legitimierte Ministerium erfolgt.349 Um letztendlich aber eine solche Entscheidung auch vollumfänglich treffen zu können, wäre die Schaffung von ausreichender (medizinischer) Sachkompetenz beim BMG erforderlich.350 Dies könnte durch die Berufung einer Sachverständigengruppe sichergestellt werden, die beim Ministerium direkt oder auch beim Paul-Ehrlich-Institut angesiedelt werden kann; zusätzlich würde ein (wie in § 16 a TPG) normiertes Anhörungserfordernis der BÄK bzw. StÄKO die ausreichende Expertise gewährleisten.351 Etwaigen Bedenken seitens der BÄK, dass der Verordnungsgeber nicht dauerhaft in der Lage sei „diese weit in die medizinische Praxis reichende Zuständigkeit und Verantwortlichkeit umfassend und zeitgerecht wahrzunehmen“352 und einer aus diesem Grund befürworteten Subdelegation der Verordnungsermächtigung an das Paul-Ehrlich-Institut als zuständiger Bundesoberbehörde kann entgegengehalten werden, dass durch den Erlass der TPG-Gewebeverordnung ein umfassendes und medizinisch detailliertes353 Regelwerk geschaffen worden ist. Auch bei einer Umwandlung der BÄK in ein rein beratendes Gremium354 wäre die Auswahl und der Sachverständigen auf Grund des maßgeblichen Einflusses auf die Verordnungsgebung gesetzlich zu regeln.

348

Vgl. Glp. I. 2. a) cc) (2) (a). Ähnlich für den GBA: Kluth, Rechtsgutachten Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 248. 350 Kluth, Rechtsgutachten Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 248. 351 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 534. 352 So die BÄK zum Gewebegesetz und der Einführung des § 16 a TPG vgl. Erweiterte und aktualisierte Stellungnahme zum Regierungsentwurf für ein Gewebegesetz (BT-Drs. 16/3146) vom 24. 1. 2007, S. 60 f.; Augsberg, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16 a, Rn. 14. 353 Vgl. insbesondere die Anlage zur Verordnung über die Anforderungen an Qualität und Sicherheit der Entnahme von Geweben und deren Übertragung nach dem Transplantationsgesetz (TPG-Gewebeverordnung – TPG-GewV) vom 26. 3. 2008, BGBl. I, 512. 354 Ein solcher Ansatz wird auch für den GBA vertreten. Vgl. Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, 2001, S. 23 ff.; Kluth, Rechtsgutachten Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 250. 349

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

b) Fakultative Richtlinientätigkeit der BÄK als Ergänzung der Rechtsverordnung Vor dem Hintergrund, dass die Beauftragung der BÄK politisch größtenteils immer noch befürwortet wird355 und eine gesetzlich geregelte reine Beratungstätigkeit der BÄK bzw. ein eigener Regelungsverzicht356 daher unwahrscheinlich erscheint, könnte ihr nach dem Beispiel des § 16 b TPG (neben der Ermächtigung des BMG zum Erlass von Rechtsverordnungen) eine ergänzende und fakultative Richtlinienkompetenz zugesprochen werden, soweit der Erlass von Richtlinien neben der erlassenen Rechtsverordnung noch erforderlich sein sollte. Dabei sollte zunächst das BMG zum Erlass der Rechtsverordnung gesetzlich verpflichtet werden, um zu verhindern, dass – wie im Transfusionswesen geschehen357 – bei Untätigkeit des Ministeriums die ergänzende Richtlinienkompetenz der BÄK zu einer vollumfänglichen erstarkt. Anders als in § 16 b TPG und § 12 TFG sollte der Erlass einer Rechtsverordnung demnach nicht unter den Vorbehalt der „Abwehr von Gefahren für die Gesundheit vom Menschen oder zur Risikovorsorge“ gestellt werden. Wäre trotz Erlass einer Rechtsverordnung eine „ergänzende“ Richtlinie der BÄK mit fachspezifischen Detailregelungen zur Beantwortung medizinisch-naturwissenschaftlicher Fragestellungen notwendig, könnte die Vorschrift des § 16 b TPG nebst Vermutungsregelung in § 16 b Abs. 2 TPG für eine fakultative Richtlinienkompetenz der BÄK nur bei Vornahme einiger Änderungen Modell stehen. Zunächst müsste aus dem Wortlaut der Vorschrift erkennbar werden, wie weit sich die Ermächtigung der „Ergänzung“ der Rechtsverordnung durch Richtlinien der BÄK erstreckt, sodass deutlich wird, dass die BÄK zur Konkretisierung der in der Verordnung bereits vorhandenen Regelungen durch Detailregelungen, nicht aber zur Normierung eigener Regelungen bzw. Ausfüllen etwaiger Lücken in der Verordnung befugt ist.358 Darüber hinaus sollte die Formulierung des § 16 b TPG, wonach die BÄK den „allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ feststellen kann, für eine ergänzende Richtlinientätigkeit im Bereich der Organallokation nicht übernommen werden, da ansonsten (wie auch bei § 16 TPG) der Eindruck entstünde, es ginge nur um die Festlegung eines naturwissenschaftlich 355 Auf diesen Umstand weist Neuefeind hin. Vgl. Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 534. 356 Kluth schlägt für den GBA die Möglichkeit eines freiwilligen Regelungsverzichts vor, soweit eine intensive Betroffenheit Dritter durch die Richtlinien erkennbar wird. Vgl. Kluth, Rechtsgutachten Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 248. 357 Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie), Gesamtnovelle 2017 in der vom Vorstand der Bundesärztekammer auf Empfehlung seines Wissenschaftlichen Beirats am 17. 2. 2017 verabschiedeten Fassung mit vom Vorstand der Bundesärztekammer auf Empfehlung seines Wissenschaftlichen Beirats am 18. 1. 2019 verabschiedeten Erratum/Anpassungen. 358 Zu Recht weist Augsberg auf diesen Punkt hin. Vgl. Augsberg, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16b, Rn. 7.

III. Lösungsvarianten

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begründbaren Standards.359 Die in § 16 b Abs. 1 Nrn. 1 – 3 TPG normierte Aufzählung möglicher Inhalte der Richtlinie zur Einschränkung des Gestaltungsspielraums der BÄK wäre auch für eine etwaige fakultative Richtlinienermächtigung im Bereich der Organallokation zu übernehmen, aber auf diese entsprechend anzupassen, wobei die aufgezählten Regelungsgegenstände auch mit dem Anwendungsbereich der Rechtsverordnung identisch sein können.360 Statt des in § 16 b Abs. 1 TPG normierten Einvernehmenserfordernisses durch das Paul-Ehrlich-Institut wäre für den Bereich der Organallokation die Beibehaltung des Genehmigungsvorbehaltes in § 16 Abs. 3 TPG durch das BMG zweckmäßiger. Zum einen gab es im Transplantationsbereich anders als im Transfusionswesen keine dem PaulEhrlich-Institut vergleichbare Bundesoberbehörde, die die Richtlinientätigkeit der BÄK seit langem begleitet und überprüft.361 Zum anderen ist mit Blick auf die Legitimationsfunktion die Genehmigung der BÄK-Richtlinien durch das BMG als der auch für die Rechtsverordnung verantwortliche Instanz effektiver als eine etwaig (neue) Beteiligung des Paul-Ehrlich-Instituts bei der Überprüfung der Richtlinien.362 Angesichts des bereits festgestellten Defizits des Genehmigungsvorbehaltes in § 16 Abs. 3 TPG wäre aber Voraussetzung, dass das BMG eine eigene Zweckmäßigkeitskontrolle vornimmt.363 Schließlich bedürfte es einer gesetzlichen Regelung zum Verfahren bei Erarbeitung und Verabschiedung der Richtlinien, das bislang die BÄK entsprechend der gesetzlichen Anweisung in § 16 Abs. 2 S. 1 TPG in § 10 des StäKO-Statuts364 selbst festgelegt hat. Die Veröffentlichungspflicht der Richtlinien in § 16 b Abs. 1 S. 3 TPG genügt den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Publizität und wäre daher für eine fakultative Richtlinienkompetenz im Bereich der Organallokation zu übernehmen. Die von der BÄK nach § 16 TPG für den Bereich der Organallokation erlassenen Richtlinien genügen mit der Veröffentlichung im nichtamtlichen Deutschen Ärzteblatt dieser Anforderung nicht.365 Damit aber nicht bloß eine formale Verlagerung der Entscheidungskompetenz erfolgt, wäre ein ausreichend vorhandener Sachverstand beim BMG sicherzustellen bzw. zu generieren.366 Bei Übernahme der in § 16 b Abs. 2 TPG normierten Vermutungswirkung auch für die fakultative Richtlinienkompetenz der BÄK im Bereich der Organallokation, wäre angesichts der sich daraus ergebenen Steuerungswirkung 359

Augsberg, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16b, Rn. 9. Augsberg, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16b, Rn. 11. 361 Das Paul-Ehrlich-Institut ist bereits seit 1980 an der Richtlinienerarbeitung beteiligt. 362 Augsberg, in: Höfling, TPG Kommentar, § 16b, Rn. 13. 363 Vgl. Glp. II. 4. b) bb) (2). 364 Statut der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer in der vom Vorstand der Bundesärztekammer am 15. 5. 2020 beschlossenen Fassung, Dtsch. Ärztebl. 2020, A-1294. 365 Vgl. Bals/Bleckmann, Die Publikation der Transplantations-Richtlinien, GesR 2017, 420 (422). 366 Kluth, Rechtsgutachten Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 249. 360

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Kap. 4: Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer

die Besetzung der StäKO gesetzlich zu regeln, wobei eine pluralistische Besetzung und die vollständige Berücksichtigung der betroffenen Interessen sicherzustellen ist.367 Der Gesetzgeber hat in § 16 Abs. 2 S. 3 TPG die bei der Richtlinienerstellung zu beteiligenden Fach-und Verkehrskreise (u. a. unbeteiligte Ärzte sowie Personen mit der Befähigung zum Richteramt normiert). Darüber hinaus wäre aber noch gesetzlich festzulegen, wie die in § 16 Abs. 2 S. 4 TPG getroffene Regelung zur „angemessenen Beteiligung“ der Patienten und Angehörigen sichergestellt werden soll.368

IV. Zusammenfassung Bei der Richtlinientätigkeit der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 5 TPG handelt es sich um exekutive Rechtsetzung. Die durch die Ermächtigungsnorm im Wege der Beleihung erfolgte Übertragung von Normsetzungskompetenzen ist aber bereits formal verfassungswidrig und verstößt gegen Art. 80 GG. Ferner mangelt es der BÄK an einer hinreichenden demokratischen Legitimation bereits auf Ebene der sachlich-inhaltlichen Legitimationskomponente, da es an einer ausreichenden gesetzlichen Vorsteuerung durch § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG fehlt.369 Die Vorschriften werden dem Parlamentsvorbehalt nicht gerecht. Die konkreten materiell-rechtlichen Regelungen zur Aufnahme auf die Warteliste und zur Organvermittlung finden sich erst auf Ebene der Richtlinien. Es ist aber eine politische Entscheidung über die Verteilung knapper medizinischer Güter zu treffen, die nicht von Einrichtungen der Selbstverwaltung geleistet werden kann, sondern nur vom Gesetzgeber.370 Infolge der grundlegend falsche Annahme des Gesetzgebers, es handele sich bei der Organverteilung um eine rein medizinische Problematik, fehlt es an einer notwendigen Normierung der maßgeblichen nicht-medizinischen Kriterien im TPG. Dies hat zur Konsequenz, dass selbst, wenn die BÄK in öffentlich-rechtlicher Rechtsform organisiert wäre, sie die Richtlinien in ihrer derzeitigen Gestalt – mangels ausreichender gesetzlicher Vorsteuerung durch das TPG – dennoch nicht normieren dürfte. Die fehlerhafte Prämisse des Gesetzgebers führt zu einer verfassungswidrigen Entscheidungsverlagerung der Normierung der konkreten materiell367

BVerfGE 83, 130, (149 ff). Neuefeind schlägt eine Orientierung an dem derzeitigen § 2 Abs. 2 des StäKO-Statuts vor, vgl. Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 538. Bereits im Zehn-Jahres-Bericht zum TPG kritisierten die Krankenkassen, dass in der StäKO mangels paritätischer Besetzung kein angemessener Interessenausgleich möglich sei. Vgl. BTDrs. 16/3740, S. 85. 369 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 367 mit Verweis auf eine Entscheidung des BVerfG, (BVerfG, Beschluss vom 28. 1. 2013 – 1 BvR 2747/ 12) in der das Gericht zumindest Zweifel an der demokratischen Legitimation der BÄK zur Richtlinienerstellung andeutet. 370 Haverkate, Verantwortung für Gesundheit als Verfassungsproblem, in: Häfner, Gesundheit unser höchstes Gut?, S. 125. 368

IV. Zusammenfassung

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rechtlichen Regelungen der Organallokation auf ein nichtstaatliches Expertengremium.371 Die Novellierungen des TPG als Reaktion auf die anhaltende verfassungsrechtliche Kritik und den Allokationsskandal vermögen das demokratische Defizit der BÄK nicht zu beseitigen. Der neu eingeführte Genehmigungsvorbehalt des § 16 Abs. 3 TPG ist in seiner derzeitigen Gestalt zur Vermittlung ausreichender demokratischer Legitimation untauglich. Trotz der im Laufe der Jahre zahlreich vorgebrachten verfassungsrechtlichen Kritik und Initiativen mit dem Ziel, die Schaffung der Verteilungskriterien in staatliche Hände zu überführen, ist eine konstruktive Neuordnung des TPG bis dato nicht erfolgt. Das Allokationssystem des deutschen Transplantationsgesetzes wird aus vorgenannten Gründen, auch mit Blick auf die mangelnde demokratische Legitimation von ET und DSO, zu Recht als „worst- case eines misslungenen public-private-government“ bezeichnet.372

371

Kingreen, Gesundheit ohne Gesetzgeber?, in: Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 170. 372 Gutmann, in: Haarhoff, Organversagen-Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 168. Ähnlich auch Höfling, der im TPG ein „bedrückendes Negativbeispiel“ der regulierten Selbstregulierung sieht, vgl. Höfling, VVDStRL, Prima¨ r- und Sekunda¨ rrechtsschutz im ¨ ffentlichen Recht, 2002, 260 (290). O

Fünftes Kapitel

Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG zur Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation Nach den Manipulationsvorwürfen im Rahmen des Organallokationsskandals wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen den ehemaligen Leiter des Lebertransplantationszentrums an der Universitätsklinik Göttingen eingeleitet. Aus diesem Grund war und ist die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG zur Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation1 in jüngster Zeit von besonderem Interesse. Angesichts der öffentlichen Aufmerksamkeit, die der Richtlinie zur Lebertransplantation – nicht zuletzt durch das prominente BGH Urteil – zuteilwurde und der verfassungsrechtlichen Dimension der gewählten Differenzierungskriterien lohnt sich ein genauerer Blick auf die betreffenden Regelungen innerhalb der Richtlinie. Zuerst bedarf es dazu einer umfassenden inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Richtlinie um folgend die einschlägigen verfassungsrechtlichen Grundlagen gegenüberstellen zu können. Dabei wird zwischen der Aufnahme auf die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG i. V. m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und der anschließenden Verteilung der Transplantate nach § 12 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG unterschieden.2 Sodann wird die Rechtsprechung des LG Göttingen und die Entscheidung des BGH in den Blick genommen. Anschließend erfolgt die verfassungsrechtliche Bewertung der fraglichen Kriterien.

1 Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation in der Fassung vom 24. 9. 2019, Dtsch. Ärztebl. 2019, AI (DOI: 10.3238/arztebl.2019.rili_baek_OrgaWlOvLeberTx20190924). 2 Im Jahr 1997 gab es noch zwei getrennte Richtlinien jeweils zur Aufnahme auf die Warteliste und zur Organvermittlung bei der Lebertransplantation, vgl. die erste Version der Richtlinie für die Lebertransplantation nach § 16 TPG der BÄK von 1997, Dtsch. Ärztebl. 97, 2000, A-396. Von diesem Vorgehen hat die BÄK aber zwischenzeitlich wieder Abstand genommen und erlässt nunmehr nur noch jeweils eine organspezifische Richtlinie, in der sowohl die Regelungen zur Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation als auch die für die anschließende Organvermittlung festgelegt sind.

I. Einführung und Untersuchungsgegenstand

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I. Einführung und Untersuchungsgegenstand Die Leber produziert als zentrales Stoffwechselorgan des Körpers lebenswichtige Proteine und Gallensäure. Ferner verwertet sie Nahrungsbestandteile und baut Stoffwechselprodukte, Medikamente und Giftstoffe ab, die sie anschließend ausscheidet.3 Die Abbauprodukte körperfremder aber auch körpereigener Stoffe werden über das Gallensystem in den Darm und in die Gallenblase abgegeben. Mit 1.500 Gramm ist die Leber zugleich größtes Organ des menschlichen Körpers.4 Bei terminalen Lebererkrankungen, die zum Verlust ihrer Funktion führen, muss eine Lebertransplantation (LTX) in Betracht gezogen werden, da es keine Gerätemedizin gibt, durch die das erkrankte Organ längerfristig5 ersetzt werden könnte und der Patient sich selbst innerhalb kürzester Zeit „vergiftet“. Zwischen 2010 und 2019 wurden in deutschen Transplantationszentren 5413 orthotope6 Lebertransplantationen mit postmortal gespendeten Lebern durchgeführt.7 Auf Grund des Mangels an Organen werden vermehrt Leberteiltransplantationen (sog. Split-Liver (SLTX)) bei denen die Leber des postmortalen Spenders nach Möglichkeit aufgeteilt und zwei unterschiedlichen Empfängern zugewiesen wird oder Lebendteillebertransplantationen durchgeführt.8 Im Jahr 2020 erfolgten dennoch 1268 Neuanmeldungen für die Warteliste zur Lebertransplantation.9 Am 31. 12. 2020 wurden in Deutschland 891 Lebern benötigt.10 Tatsächlich aber ist die Lage noch viel dramatischer, da von keiner Statistik die Patienten erfasst werden, die lebensbedrohlich erkrankt sind und von einer Lebertransplantation profitieren würden, auf Grund der restriktiven Wartelistenpolitik – bestimmte Patientenkollektive betreffend – aber von einer Aufnahme auf die Warteliste von Anfang an ausgeschlossen sind.11 3

Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zu dem Stichwort „Organtransplantation“. Müller, Chirurgie, S. 238. 5 Eine zumindest kurzfristige Überbrückung der Organfunktionen ist beispielsweise mit den Verfahren MARS oder ADVOS möglich. Vgl. dazu Glp. II. 2. b) cc) (1) (a). 6 Bei einer orthotopen Transplantation wird das körpereigene Organ entfernt und das Spenderorgan an dessen Stelle in den Körper des Empfängers implantiert („örtliche Übereinstimmung zwischen Explantations- und Transplantationsort). Bei einer heterotopen Transplantation gibt es keine örtliche Übereinstimmung und das erkrankte Organ wird nicht entfernt. Das Spenderorgan wird zusätzlich implantiert. Beispiel hierfür ist die Nierentransplantation, durch die beim Empfänger schließlich drei Nieren im Körper existieren. Die neue Niere befindet sich dann an anderer Stelle. Vgl. Müller, Chirurgie, S. 21. 7 DSO Jahresbericht 2018, S. 50 ff. 8 Im Jahr 2019 wurden 32 % der Lebertransplantationen durch einen Lebersplit ermöglicht. Vgl. DSO Jahresbericht 2019, S. 13. Zur Leberteiltransplantation vgl. Glp. II. 2. b) bb) (2). 9 DSO Jahresbericht 2020, S. 10. 10 DSO Jahresbericht 2020, S. 11. 11 Ebenso können keine Aussagen darüber getroffen werden, wie viele Patienten von ihren Hausärzten (aus welchen Gründen auch immer) den Transplantationszentren gar nicht erst vorgestellt und somit von einer Transplantation schon im Vorhinein ausgeschlossen werden. Internationale Studien (z. B. Rudge et al., Geographic disparities in access to organ transplantation in the United Kingdom, Transplantation, 2003, S. 1395 ff.) deuten darauf hin, dass 4

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Durch in der Leberrichtlinie der BÄK normierte Ausschluss-, bzw. Beschränkungsklauseln versterben diese Patienten, ohne jemals eine Chance auf Zugang zum Organverteilungssystem erhalten zu haben. Konkreter Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist zum einen die von der BÄK normierte Regelung, die (auf der ersten Selektionsebene) den Zugang alkoholkranker Patienten mit alkoholtoxischer Leberzirrhose zur Warteliste ohne Einhaltung einer sechsmonatigen Abstinenzzeit versperrt. In Abschnitt A.III.2.1 der derzeitigen Richtlinie findet sich unter der Überschrift „Einschränkung zur Aufnahme auf die Warteliste“ entsprechend die folgende Regelung: „Bei Patienten mit alkoholinduzierter Zirrhose, die auch in Kombination mit anderen Lebererkrankungen (z. B. Hepatozelluläres Karzinom, HCC) oder als Bestandteil von anderen Lebererkrankungen (z. B. HCV, HBV) vorliegen kann, erfolgt die Aufnahme in die Warteliste erst dann, wenn der Patient anamnestisch für mindestens sechs Monate völlige Alkoholabstinenz eingehalten hat.“12 Darüber hinaus normiert die Richtlinie nach erfolgter Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation für die eigentliche Organverteilung (auf zweiter Selektionsebene) Posteriorisierungskriterien, anhand derer eine Rangfolge der Patienten auf der Warteliste festgelegt wird. Für Patienten, die wegen Vorliegens eines Hepatozellulären Karzinoms („HCC“)13 auf die Warteliste zur Lebertransplantation bereits auf dieser Ebene medizinisch nicht begründbare (beispielsweise an Ethnie oder sozialem Status orientierte) Selektionsprozesse einsetzen. Vgl. dazu Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen – Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 201. 12 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, III.2.1. Der weitere Wortlaut der Klausel ist: „Als Laborparameter zur Beurteilung des Alkoholkonsums wird Ethylglucuronid im Urin (uEthG) bei jeder ambulanten Vorstellung des Patienten bestimmt. Zusätzlich können Ethylglucuronid im Haar (hEthG) und Carbohydrate-Deficient Transferrin (CDT) zur Beurteilung herangezogen werden. 2 – Zur Beurteilung eines möglichen Suchtverhaltens (schädlichen Gebrauchs) und der Bereitschaft und der Fähigkeit des Patienten, sich an Behandlungsabsprachen zu halten, wird eine Stellungnahme (Psychologie, Psychosomatik oder Psychiatrie) unter Berücksichtigung der vorgenannten Laborparameter eingeholt. – Diese Stellungnahme enthält auch Vorschläge zur weiteren suchttherapeutischen Betreuung oder Behandlung. Während der Zeit auf der Warteliste erfolgen regelmäßige Laborkontrollen, welche die vorgenannten Laborparameter einschließen. Urin-Ethylglucuronid, eventuell in Kombination mit anderen Alkoholmarkern, wird mindestens alle 3 Monate im Rahmen einer ambulanten Vorstellung des Patienten bestimmt. Bei Hinweis auf fortgesetzten Alkoholkonsum ist der Patient „nicht transplantabel“ (NT) zu melden und erneut zu evaluieren. Dieses beinhaltet eine erneute transplantationsbezogene psychologische Diagnostik und ggf. therapeutische Intervention. Bestehen in begründeten Ausnahmefällen, die insbesondere vorliegen bei akut dekompensierter alkoholischer Lebererkrankung, Notwendigkeit und Erfolgsaussicht für die Transplantation, kann die interdisziplinäre Transplantationskonferenz entscheiden, von der Regel abzuweichen, dass der Patient anamnestisch für mindestens sechs Monate völlige Alkoholabstinenz eingehalten hat. Voraussetzung ist, dass die Sachverständigengruppe gemäß Kapitel III.9 dieser Richtlinie dazu Stellung genommen hat.“ 13 Bei einem HCC handelt es sich um eine bösartige Entartung der Leberzellen. Es tritt mit einer Inzidenz von circa 5/100.000 Einwohner pro Jahr auf, wobei Männer dreimal so häufig betroffen sind wie Frauen. Ätiologisch entstehen über 90 % der HCCs auf dem Boden einer

II. Deskription des Richtliniensystems

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aufgenommen wurden, legt die Richtlinie fest, dass innerhalb dieses Patientenkollektivs nur solchen Patienten die für eine Organzuteilung notwendige Dringlichkeitskategorie zugewiesen wird, deren HCC eine bestimmte – nach den sog. „Mailand-Kriterien“ – festzustellende Größe nicht überschreitet. Patienten, deren HCC sich außerhalb der Mailand-Kriterien befindet, werden durch diese Festlegung gegenüber solchen deren Tumor sich innerhalb der Kriterien befindet, posteriorisiert. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland, aber auch in Mittel- und Osteuropa, die alkoholinduzierte Leberzirrhose14 und das HCC zu den mit Abstand häufigsten Indikationen für eine Lebertransplantation gehören, kommen die soeben benannten Kriterien statistisch am häufigsten zu Anwendung, betreffen mithin ein größeres Patientenkollektiv, sodass sich die Untersuchung auf diese beschränkt.

II. Deskription des Richtliniensystems 1. Die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG i. V. m. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG De lege lata ist gem. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG „über die Aufnahme in die Warteliste zur Organtransplantation nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung“. a) Auslegung des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG aa) „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen“ Wie bereits dargelegt, stellt die Formulierung „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen“ in § 10 Abs. 2 TPG klar, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Entscheidung über die Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation ausschließlich nach „medizinisch begründeten Regeln“ erfolgen soll.15 Anders als bei § 12 Abs. 3 TPG, für den die Gesetzesbegründung die Vermittlung der Organe ebenfalls nach medizinisch begründeten Regeln vorsieht, ist eine solche, rein auf medizinischen Erwägungen basierende Auf-

Leberzirrhose, egal welcher Genese. Vgl. Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zum Stichwort: „HCC“. 14 Inzidenz ist in Europa und in den USA ca. 250 – 100.000 pro Jahr. Es sind doppelt so viele Männer von der Leberzirrhose betroffen wie Frauen. Vgl. Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zum Stichwort: „Alkoholische Leberzirrhose“. 15 Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 1. a). Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 15.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

nahme auf die Warteliste auch möglich.16 Es wäre nämlich aus medizinischen Aspekten unsinnig, einen Patienten zu transplantieren, der eine Organtransplantation gar nicht benötigt oder für diese nicht geeignet ist. Dass die Entscheidung über die Aufnahme auf die Warteliste nach medizinischen Gesichtspunkten erfolgen soll, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zum TPG, nach der es ausgeschlossen sein soll, die Aufnahme auf die Warteliste von „nichtmedizinischen z. B. finanziellen oder sozialen Erwägungen abhängig zu machen.“17 Angesichts der Knappheit der verfügbaren Organe sollte die Regelung des § 10 Abs. 2 TPG der Chancengleichheit nach Maßgabe medizinischer Kriterien dienen.18 Diese Auslegung ergibt, dass nach der Ratio der Norm grundsätzlich zunächst alle Patienten auf die Warteliste aufzunehmen sind, bei denen eine Organtransplantation medizinisch indiziert ist.19 Die Berücksichtigung sonstiger nichtmedizinischer Erwägungen bei der Entscheidung über die Aufnahme auf die Warteliste ist demnach nicht nur ausgeschlossen, sondern vielmehr gesetzeswidrig. Selbst bei einem starken Anstieg der Neuanmeldungen und einer unrealistischen Chance des aufgenommenen Patienten auf Erhalt eines Organs, ist er – bei Indikation und Geeignetheit – auf die Warteliste aufzunehmen und eine künstliche Verknappung der Aufnahmekapazitäten der Warteliste auf Grund gesundheitspolitischer Erwägungen unzulässig. bb) „Notwendigkeit“ i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG Um ausufernde Neuanmeldungen zur Warteliste zu vermeiden, soll das Patientenkollektiv nach § 10 Abs. 2 TPG zunächst „insbesondere“ anhand der Notwendigkeit beschränkt werden. Aus dieser Systematik ist zu folgern, dass es sich bei der Notwendigkeit, um eine Regel handelt, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entspricht bzw. entsprechen soll, also medizinisch begründbar sein muss.20 Die Notwendigkeit i. S. d. § 10 Abs. 2 TPG ist daher ausschließlich auf der Grundlage rein medizinischer Erwägungen festzustellen, wobei eine Organtransplantation (im medizinischen Sinne) notwendig ist, sobald sie dem Patienten überhaupt nützt.21 Die Entscheidung über das Vorliegen der medizinischen Notwendigkeit ist für jeden Wartelistenkandidaten individuell zu treffen. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist darüber hinaus das vom Transplantationszentrum offerierte Behandlungsspektrum sowie die individuelle Situation des Patienten zu

16 Vgl. drittes Kapitel, Glp. IV. 1. a). Ebenso: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 355. 17 BT-Drs. 13/8017, S. 42. 18 Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 15. 19 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 357; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 171. 20 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 359. 21 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 359.

II. Deskription des Richtliniensystems

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berücksichtigen. Im sog. „Zentrumsprofil“22 kann jedes Transplantationszentrum der Vermittlungsstelle allgemeine Akzeptanzbedingungen für die Annahme von Spenderorganen – wie beispielsweise die Nichtannahme von Organen deren Spender über 65 Jahre alt waren – vorgeben. Zusätzlich können im spezifischen „Patientenprofil“ nach Absprache mit den Patienten, individuelle Erfordernisse und persönliche Akzeptanzbedingungen des Patienten festgelegt werden.23 cc) „Erfolgsaussicht“ i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG Neben der Notwendigkeit ist nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Erfolgsaussicht einer Organtransplantation für die Aufnahme auf die Warteliste maßgeblich. Auch das Kriterium der Erfolgsaussicht ist durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen sollen, mithin den medizinisch begründbaren Regeln, zuzuordnen.24 Ein Ausschluss von der Aufnahme auf die Warteliste wäre medizinisch begründbar, wenn eine vollumfängliche Aussichtslosigkeit der Behandlung, also überhaupt kein Erfolg einer Organtransplantation zu erwarten ist.25 Es ist daher danach zu fragen, ob eine Organtransplantation wegen des Vorliegens bestimmter Kontraindikationen bei dem jeweiligen Patienten von Anfang an und generell nicht in Betracht kommt.26 Im Hinblick auf den Grundsatz der Lebenswertindifferenz27 ist die Erfolgsaussicht i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG als (zumindest) minimale Erfolgsaussicht im Sinne einer grundsätzlichen Eignung zur Organtransplantation zu verstehen.28 Ist daher überhaupt (irgend-)ein Transplantationserfolg zu erwarten, liegt die erforderliche Erfolgsaussicht vor. Ein Ausschluss von Patienten, die grundsätzlich medizinisch transplantabel sind, durch einen Vergleich mit anderen in diesem Sinne geeigneten Patienten, die aber vermeintlich abstrakt bessere Erfolgsaussichten im Sinne von Organfunktionslebensdauer, Lebensdauer und -qualität 22 Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 4. b) aa). Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. II. 2. 23 Beispielsweise besteht die Möglichkeit auch eingeschränkt vermittelbare Organe zu akzeptieren. 24 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 362. 25 Dannecker/Streng/Ganten, in: Schmitz-Luhn/Bohmeier, Priorisierung in der Medizin, S. 147; Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 130. 26 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 361. 27 Vgl. Glp. III. 3. 28 So die überwiegende Auffassung im Schrifttum: Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 81 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 171 f.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 362; Dannecker/Streng, Die Neuregelungen des Transplantationsrechts durch den Gesetzgeber und die Bundesärztekammer, in: FS Schiller, S. 140; Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, Versuchter Totschlag durch Manipulation der Organzuteilung für Transplantationen?, JZ 2018, 32 (32). Einige Stimmen in der Literatur diskutieren, ob es ein Kriterium der Vergeblichkeit („futility“) geben darf und wann eine Organtransplantation vergeblich wäre, vgl. Ganten, Allokation von Spenderlebern: ethische und rechtliche Normen im Spiegel der medizinischen Praxis, Marsilius Kolleg, S. 209.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

aufweisen, ist eine normative Entscheidung, die nach der soeben dargelegten Auslegung des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG nicht zulässig ist. b) Umsetzung und Verständnis der gesetzlichen Vorgaben des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG in der Leberrichtlinie der BÄK Die BÄK hat in ihrer Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG zur Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation die gesetzlichen Vorgaben des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG konkretisiert. aa) Notwendigkeit für die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation Die von § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG geforderte Notwendigkeit der Aufnahme auf die Warteliste wird in der Richtlinie durch die Indikationen zur Lebertransplantation konkretisiert. Aus den allgemeinen Grundsätzen für die Aufnahme in die Warteliste zur Organtransplantation, die in jeder Richtlinie der BÄK den organspezifischen, besonderen Regelungen vorangestellt sind, ergibt sich, dass eine Organtransplantation medizinisch indiziert sein kann, wenn Erkrankungen „nicht rückbildungsfähig fortschreiten oder durch einen genetischen Defekt bedingt sind und das Leben gefährden oder die Lebensqualität hochgradig einschränken und durch die Transplantation erfolgreich behandelt werden können“. Spezifisch für die Lebertransplantation legt die Richtlinie zusätzlich zu den allgemeinen Anforderungen fest, dass „eine Aufnahme in die Warteliste bei nicht rückbildungsfähiger, fortschreitender das Leben des Patienten gefährdender Lebererkrankung erfolgen kann, wenn „keine akzeptable Behandlungsalternative besteht und keine Kontraindikationen für eine Transplantation vorliegen.“29 Eine Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation kann darüber hinaus indiziert sein, wenn es sich um genetische Erkrankungen der Leber handelt, deren Defekt im Wesentlichen in der Leber lokalisiert ist und durch eine Transplantation behoben werden kann und „die Überlebenswahrscheinlichkeit und/oder Lebensqualität mit Transplantation größer ist als ohne.“30 Die anderen organspezifischen Richtlinien enthalten keinen solchen Zusatz. Die Richtlinie benennt als häufigste Indikationsgruppen die Leberzirrhose, Krebserkrankungen der Leber, genetische und metabolische Erkrankungen sowie cholestatische Lebererkrankungen und akutes Leberversagen. Das Landgericht Göttingen hat im Zuge des Verfahrens um den Göttinger Allokationsskandal die medizinischen Indikationen in der Richtlinie zur Lebertransplantation gerügt. Zum einen sei unklar, ob die höhere Überlebenswahrscheinlichkeit mit Transplantation eine weitere Voraussetzung für das Bestehen einer medizini29

Vgl. A. III. 1 der Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation. 30 Vgl. A. III. 1 der Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation.

II. Deskription des Richtliniensystems

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schen Indikation sei oder eine Voraussetzung, die neben einer bestehenden Indikation für die Aufnahme auf die Warteliste noch zusätzlich hinzutreten müsse.31 Bei der spezifischen medizinischen Indikation zur Lebertransplantation sei das Abstellen auf eine „akzeptable Behandlungsalternative“ zu unbestimmt und hänge von subjektiven Einschätzungen des behandelnden Arztes ab.32 Auch unter den vom Gericht herangezogenen Sachverständigen ergab sich keine einheitliche Auffassung.33 bb) Erfolgsaussicht für die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation Für die Erfolgsaussicht normiert die Richtlinie, dass „bei der Entscheidung über die Aufnahme jeweils zu prüfen ist, ob die individuelle medizinische Situation des Patienten, sein körperlicher und seelischer Gesamtzustand den erwünschten Erfolg der Transplantation erwarten lässt: das längerfristige Überleben, die längerfristig ausreichende Transplantatfunktion und die verbesserte Lebensqualität. Für diese Beurteilung sind die Gesamtumstände zu berücksichtigen.“34 Ausdruck des Kriteriums der Erfolgsaussicht i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG sind die in der Richtlinie normierten Kontraindikationen, wobei sich allgemeine und leberspezifische Kontraindikationen unterscheiden lassen. (1) Allgemeine Kontraindikationen Im allgemeinen Teil der Richtlinie werden beispielhaft Kontraindikationen einer Organtransplantation, „die das Risiko bei der Operation erheblich erhöhen oder den längerfristigen Erfolg der Transplantation in Frage stellen“ benannt.35 „Diese können sich anhaltend oder vorübergehend aus allen Befunden, Erkrankungen oder Umständen ergeben.“ Es handelt sich dabei insbesondere um bösartige, nicht behandelte Erkrankungen, schwerwiegende Erkrankungen anderer Organe sowie Infektionserkrankungen, die klinisch manifest sind oder mit den Immunsuppressiva negativ interagieren.36 Vor dem Hintergrund, dass die Immunsuppressiva nach einer Transplantation für das restliche Leben vom Transplantierten konsequent einge31

LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 348. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 367 ff. 33 Als Konsequenz des „unklaren Indikationsbegriffs“ der Bundesärztekammer hat das LG Göttingen diesen bei seiner strafrechtlichen Bewertung hinsichtlich der sog. „Indikationsfälle“ nicht herangezogen. Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 453. Zum Urteil vgl. Glp. III. 1. a). 34 Vgl. A. I. Nr. 4 der Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation. 35 Vgl. A. I. Nr. 4 der Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation. 36 Schwerwiegende „operativ-technische Probleme“ bei der Transplantation sind in der Richtlinie ebenfalls als mögliche Kontraindikation aufgeführt. Vgl. A. I Nr. 4 der Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation. 32

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

nommen werden müssen, um eine Organabstoßung37 zu verhindern, bedarf es einer besonderen Anpassungsleistung38 des Patienten und seines sozialen Umfeldes an diese Situation. Diese Anforderung wird in den Richtlinien der BÄK unter dem Kriterium der sog. „Compliance“ festgeschrieben.39 Die Richtlinie beschreibt dieses Attribut als „Bereitschaft und Fähigkeit“ des Patienten an den erforderlichen Nachuntersuchungen und Nachbehandlungen mitzuwirken.40 Ausdrücklich Erwähnung findet zudem die mangelnde Compliance, die sich aus sprachlichen Barrieren ergeben könne und damit unüberbrückbare Schwierigkeiten auslöse. Zwar könne die Compliance eines Patienten schwanken, anhaltend fehlende Compliance schließe jedoch, die Aufnahme auf die Warteliste und folglich eine Organtransplantation aus.41 (2) Leberspezifische Kontraindikationen Auffällig ist, dass für die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation neben den allgemeinen Kontraindikationen, die für alle Organtransplantationen gelten, weitere leberspezifische Kontraindikationen bestehen. Ausschließlich in der Richtlinie zur Lebertransplantation findet sich der Abschnitt „Einschränkungen der Aufnahme auf die Warteliste“,42 der verschärfte Aufnahmekriterien normiert und einen Zugang zur Warteliste nur bei Erfüllen bestimmter Voraussetzungen gewährt. Wie auch bei den allgemeinen Kontraindikationen, erfolgt bei Vorliegen der leberspezifischen Kontraindikationen keine Aufnahme auf die Warteliste.

37 Es werden unterschiedliche Formen der Abstoßung unterschieden: Bei der hyperakuten Form der Abstoßung erfolgt die Reaktion des Immunsystems des Empfängers auf das fremde Organ bereits während der Operation zur Implementierung des Spenderorgans. Diese (sehr seltene) Form der Abstoßung führt mangels Therapiemöglichkeit zum Abbruch der Transplantation. Die akzelerierte (beschleunigte) und die akute Abstoßung führen innerhalb weniger Tage respektive weniger Wochen nach der Transplantation zum Verlust des Organs. Eine chronische Abstoßung ist auch noch mehrere Jahre nach der Transplantation möglich und mit einer langsamen Funktionseinbuße des Transplantats verbunden. Die akute und die chronische Abstoßung können zwar in begrenztem Umfang therapiert werden. Häufig ist aber bei der chronischen Abstoßungsreaktion eine Retransplantation unvermeidbar. Vgl. Müller, Chirurgie, S. 21. 38 Manzei, Körper-Technik-Grenzen, S. 128. 39 Vgl. Glp. III. 3. d) aa) (1) (a). 40 Vor Erlass der ersten Richtlinie der BÄK spielte die Compliance in der medizinischen Praxis eine untergeordnete bis gar keine Rolle. Entsprechend heißt es: „Es ist allerdings eher selten, daß man aus Gründen der Compliance die Transplantation ablehnt“ so ausdrücklich Nieren- und Leber Transplantationschirurg Pichlmayr, Möglichkeiten der Nieren- und Lebertransplantation, in: Nagel/Fuchs, Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 96. 41 Vgl. A. I der Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation. 42 Vgl. A. III. 2 der Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation.

II. Deskription des Richtliniensystems

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(a) „Alkoholkarenzklausel“ Hinsichtlich des Mangelproblems, an dem die Transplantationsmedizin seit ihrer Existenz krankt, bestand ursprünglich Konsens dahingehend, nur solchen Patienten Lebern zu transplantieren, bei denen eine Organtransplantation auch erfolgversprechend schien.43 So durften beispielsweise HIV-Patienten44 oder Menschen über 65 Jahren45 nicht auf ein Lebertransplantat hoffen. Auch bei der alkoholischen Lebererkrankung wurde eine Lebertransplantation als kurative Therapiemethode lange und konsequent abgelehnt. Zwar wurde die Lebertransplantation (gut zwanzig Jahre nach ihrer ersten Durchführung) auf der National Institute of Health Consensus Conference im Jahr 198346 schließlich auch als Behandlungsmethode für Patienten mit einer alkoholischen Lebererkrankung zugelassen. Voraussetzung war aber, dass bei ihnen ein Alkoholverzicht wahrscheinlich und sie unmittelbar vom Tode bedroht waren. Da aber Rückfälle und mangelnde Mitwirkungsbereitschaft dieses spezifischen Patientenkollektivs befürchtet wurden, erhielt dennoch nur ein verschwindend geringer Anteil dieser Patienten ein Lebertransplantat.47 In den USA wurde im Jahr 1991 von der US Health Care Financing Administration die Kostenübernahme für eine Lebertransplantation auf Grund einer alkoholischen Lebererkrankung genehmigt, allerdings mit der Empfehlung, dass solche Patienten eine „signifikante Abstinenzphase“ vor der Organtransplantation durchlaufen sollten.48 Das United Network of Organsharing („UNOS“) führte sechs Jahre später eine vorgeschriebene Mindestabstinenzzeit von sechs Monaten für Patienten mit einer alkoholischen Lebererkrankung vor Durchführung der Lebertransplantation ein. An diesem Vorbild hat sich auch die BÄK bei der Erstellung der Richtlinie zur Lebertransplantation 43 Ahlert et al., Prioritätsänderung in der Allokation postmortaler Spenden-LebernGrundsätzliche und aktuelle Fragen, S. 3. 44 In der ersten Fassung der Richtlinie der BÄK stellte eine HIV-Infektion einen Ablehnungsgrund zur Aufnahme auf die Warteliste dar, vgl. dazu Ragni, et al., Organtransplantation in HIV-positive patients with hemophilia, New England Journal Med. 1990, 1886 ff. 45 Das Alter stellte allerdings schon damals ausschließlich eine relative Kontraindikation dar. Vgl. Manns/Böker, Indikation und Bedarf bei der Lebertransplantation, in: Nagel/Fuchs, Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 135. 46 National Institutes of Health Consensus Development Conference Statement: liver transplantation-June 20 – 23, 1983, Hepatology 1984, 107 ff. 47 „Only a small proportion of alcoholic patients with liver disease would be expected to meet these rigorous criteria“. Vgl. National Institutes of Health Consensus Development Conference Statement: liver transplantation – June 20 – 23, 1983, Hepatology 1984, 107, (108). Auch wurde diskutiert, die eigene Spendebereitschaft des an alkoholtoxischer Leberzirrhose erkrankten Organbedürftigen für die Auswahlentscheidung miteinzubeziehen. Vgl. Pichlmayr, Möglichkeiten der Nieren- und Lebertransplantation, in: Nagel/Fuchs, Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 95. 48 Fünf Jahre zuvor entschied bereits in den USA ein District Court in Michigan, dass die vom dortigen Michigan Department of Social Services verlangte präoperative Abstinenzzeit von zwei Jahren als Voraussetzung für die Übernahme der Kosten einer Lebertransplantation „unreasonable“ sei und eine große Gruppe von potenziellen Transplantationskandidaten zu Unrecht ausschließt. Vgl. Allen v. Mansour, 681 F. Supp. 1232 (E.D. Mich. 1986). Vgl. auch Marroni et al., World J Gastroenterol 2018, 2785 (2787).

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

orientiert.49 Der Zugang zur Warteliste für Patienten mit einer alkoholischen Lebererkrankung war mithin schon immer50 und ist auch heute noch beschränkt. Wie bereits erwähnt,51 findet sich in der derzeitigen Richtlinie zur Lebertransplantation in Abschnitt A. III. 2. 1 unter „Einschränkung zur Aufnahme auf die Warteliste die Regelung, dass die Aufnahme von Patienten auf die Warteliste erst dann erfolgt, „wenn der Patient anamnestisch für mindestens sechs Monate völlige Alkoholabstinenz eingehalten hat.“52

Die Aufnahme von Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose auf die Warteliste erfolgt unabhängig von dem Schweregrad der Erkrankung, also erst nach erfolgreich eingehaltener sechsmonatiger Alkoholkarenz. Diese sog. Alkoholkarenzklausel war u. a. Dreh-und Angelpunkt der Organallokationsskandale, bestand doch der Vorwurf, mehrere Transplantationszentren hätten in besagtem Zeitraum systematisch Patienten auf die Warteliste zur Lebertransplantation aufgenommen, bei denen der Zeitraum eingehaltener Alkoholabstinenz zweifelhaft war. Die StäKO entschied sich im Jahr 2014 u. a. deswegen dazu eine strengere Nachweismethode hinsichtlich präoperativen Alkoholkonsums in der Klausel festzulegen. Präoperativer Alkoholkonsum wird seit dem (in der 1. Lesung beschlossenen) „Entwurf einer Beschlussempfehlung“ nunmehr durch Urinuntersuchungen des Patienten bestimmt.53 Der Nachweis erfolgt durch den Laborparameter Ethylglucuronid (uEthG), der einen Nachweis von Alkohol von einem bis zu drei Tagen erlaubt. Darüber hinaus ist es möglich, durch eine Blutentnahme das Carbohydrate-Deficient Transferrin (CDT) zu bestimmen, das Auskunft über den Alkoholkonsum der letzten Wochen geben kann. Um falsch positive Befunde durch 49

Die Klausel fand sich daher bereits in der Erstfassung der Richtlinie der BÄK zur Lebertransplantation aus dem Jahr 2000, vgl. Dtsch. Ärztebl., 2000, A-396. 50 Die Sechs-Monats-Regel wurde von den meisten Transplantationszentren schon angewandt, bevor es die Richtlinien der BÄK gab. 51 Lucey et al., Minimal Criteria for Placement of adults on the liver transplant waiting list: a report of national conference organized by the American Society of Transplant Physicians and the American Association for the study of Liver Diseases. Liver Transpl. Surg.1997, 628 ff.; Schenker, Alcoholic liver disease: evaluation of natural history and prognostic factors, Hepatology 1984, 36 ff.; McCallum et al., Liver transplantation for alcoholic liver disease: a systematic review of psychosocial selection criteria, Alcohol and Alcoholism 2006, 358 ff. 52 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 2. 1. Eine entsprechende Regelung findet sich ebenfalls in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lungentransplantation. Dort heißt es: „Sollte ein anamnestisch festgestellter schädlicher Substanzgebrauch bzw. ein Abhängigkeitssyndrom (z. B. Rauchen, Alkohol, andere schädliche Substanzen) vorliegen, erfolgt die Aufnahme in die Warteliste erst dann, wenn der Patient für mindestens 6 Monate Abstinenz eingehalten hat“. Vgl. Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lungentransplantation III.3.1, Dtsch.Ärztebl. 2017, A1 (DOI: 10.3238/arztebl.2017.rili_baek_ OrgaWlOvLungeTx20171020). 53 Fateh-Moghadam, Anmerkung zu OLG Braunschweig, Beschl. v. 20. 3. 2013 – Ws 49/13, MedR 2014, 661 (666).

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beispielsweise alkoholhaltige Nahrung auszuschließen, ist nach der Richtlinie für den Urintest jeweils ein „Cut-off“ von 0,5 mg/l anzusetzen. Zur Evaluation des möglichen Suchtverhaltens und Beurteilung der Compliance soll ferner eine psychologische Stellungnahme eingeholt werden.54 (b) Bösartige Erkrankungen Die Richtlinie zur Lebertransplantation begrenzt die Aufnahme auf die Warteliste auch für Patienten mit bösartigen Erkrankungen. In Abschnitt III. 2. 2. heißt es dazu: „Bei Patienten mit bösartigen Erkrankungen muss vor der Aufnahme in die Warteliste sowie durch regelmäßige Kontrollen während der Wartezeit extrahepatisches Tumorwachstum ausgeschlossen sein. Patienten in fortgeschrittenen Stadien bösartiger Erkrankungen sollen nur im Rahmen von kontrollierten Studien (z. B. zur Prüfung adjuvanter Therapiemaßnahmen) transplantiert werden.“55 Eine darüber hinausgehende Konkretisierung enthält die Richtlinie nicht, sodass unklar ist, wann ein „fortgeschrittenes Stadium“ einer bösartigen Erkrankung anzunehmen und folglich eine Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation abzulehnen ist.56 Generell erfolgt die Einordnung von Tumoren nach der sog. TNMKlassifikation, wobei Ausdehnung und Verhalten des Primärtumors (T), das Vorhandensein bzw. Fehlen von Lymphknotenmetastasen (N)57 und Fernmetastasen (M) berücksichtigt werden. Für das hier primär interessierende HCC enthält die T-Stufe fünf verschiedene Stadien.58 In das T1-Stadium wird ein HCC eingeordnet, wenn es sich um einen solitären (einzelnen) Tumor ohne Gefäßinvasion59 handelt. Das T2Stadium umfasst sowohl einen solitären Tumor mit Gefäßinvasion als auch multiple Tumoren mit einer Größe unter 5 cm. Multiple Tumoren mit einer Größe von über 5 cm werden dem T3a-Stadium und Tumoren, die bereits in die hauptversorgenden Abflussgefäße der Leber einwachsen in das T3b-Stadium zugeordnet. Im T4-Stadium sind die Nachbarorgane betroffen.60 Es ist anzunehmen, dass die Entscheidung der Transplantationszentren bzw. der Transplantationskonferenz über das Vorliegen eines „fortgeschrittenen Stadiums“ eines HCC und einer daraus resultierenden Ablehnung der Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation anhand der TNM-Klassifikation erfolgt. Allerdings werden in der Praxis auch die Mailand-Kriterien zur Einordnung herangezo54

Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 2. 1. 55 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 2. 2. 56 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1391. 57 Das „N“ steht für den lateinischen Begriff Nodus lymphoideus für Lymphknoten. 58 Herold, Innere Medizin, S. 560. 59 Mit Gefäßinvasion ist das Einwachsen des Tumors in die Blutgefäße gemeint, was eine etwaige Streuung begünstigen kann. 60 Herold, Innere Medizin, S. 560.

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gen, mit der Konsequenz, dass Patienten mit einem HCC außerhalb der MailandKriterien61 nicht auf die Warteliste aufgenommen werden.62 Die als Posteriorisierungskriterien auf Ebene der Organverteilung in der Richtlinie normierten MailandKriterien können mithin auch auf die erste Selektionsebene durchschlagen, obwohl sich für diese Anwendung in der Richtlinie keine Grundlage findet. (c) Metabolische (und genetische) Erkrankungen und akutes Leberversagen Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Richtlinie zur Lebertransplantation noch zwei weitere Klauseln enthält, die den Zugang bestimmter Patientengruppen zur Warteliste beschränkt. Ausweislich der Richtlinie zur Lebertransplantation können nach III.2.3. Patienten mit metabolischen oder genetischen Erkrankungen „in die Warteliste aufgenommen werden, wenn die Folgen des Defekts unmittelbar zu irreversiblen Scha¨ den zu fu¨ hren beginnen oder wenn abzusehen ist, dass ein weiteres Abwarten solche Folgen fu¨ r den Patienten in na¨ chster Zukunft unabwendbar mit sich bringen wu¨ rde.“ Auch bei Vorliegen eines akuten Leberversagens („acute liver failure“ (ALF)) enthält die Richtlinie eine Kontraindikation. Nach III. 2.4 der Richtlinie erfolgt eine Aufnahme auf die Warteliste nur, wenn durch spezifische Prognosekriterien die Notwendigkeit einer Organtransplantation vorliegt. Die häufigsten Ursachen für ein akutes Leberversagen sind eine Virushepatitis oder eine medikamentös-toxische Genese (Paracetamolintoxikation). Für jede dieser Indikationen existieren eigens entwickelte Kriterien, die für die Entscheidung der Wartelistenaufnahme des Patienten heranzuziehen sind.63 61

Zur Definition der Mailand-Kriterien vgl. Glp. 2. b) bb) (1). So äußerte sich jedenfalls ein Sachverständiger des LG Göttingen im Prozess zur Aufarbeitung der Organallokationsskandale. Ein fortgeschrittenes Stadium bösartiger Erkrankungen läge jedenfalls dann vor, wenn sich der Tumor außerhalb der Mailand-Kriterien befinde. Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1392. 63 Dabei handelt es sich um die sog. King’s-College- und „Clichy“-Kriterien. In der Klausel heißt es dazu: „Bei Patienten mit akutem Leberversagen kann die Indikation zur Transplantation gestellt werden, wenn die hierfür entwickelten Prognosekriterien die Notwendigkeit einer solchen Transplantation anzeigen. Danach werden Patienten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Transplantation benötigen, wenn folgende Befunde erhoben werden (King’s-College-Kriterien): Prothrombinzeit > 100 sec (= Quick < 7 % bzw. INR > 6,7) oder mindestens drei der Folgenden: – ungünstige Ätiologie,– kryptogene Hepatitis,– Halothan-Hepatitis,– Medikamententoxizität, – Ikterus mehr als 7 Tage vor Enzephalopathie, – Alter < 10 Jahre oder > 40 Jahre, – Prothrombinzeit > 50 sec (= Quick < 15 % bzw. INR > 4), – Serum Bilirubin > 300 lmol/l. Spezialkriterien für die Paracetamolintoxikation: arterieller pH < 7,3 oder alle drei Folgenden: – Prothrombinzeit > 100 sec (= Quick < 7 % bzw. INR > 6,7), – Kreatinin > 300 lmol/l, 62

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2. Die Organvermittlung bei der Lebertransplantation nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG i. V. m. § 12 Abs. 3 TPG a) Auslegung des § 12 Abs. 3 TPG aa) „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen“ Wie bei der Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation, soll ausweislich der Gesetzesbegründung auch die Organvermittlung nach „medizinisch begründeten Regeln“ erfolgen.64 Dass sich der Gesetzgeber auch bei der eigentlichen Verteilungsentscheidung bewusst und einzig auf medizinische Kriterien beschränken wollte, ergibt sich neben dem zu § 10 Abs. 2 TPG identischen Wortlaut der Norm („medizinisch“) nebst gleicher Begründung auch aus historischen bzw. systematischen Gesichtspunkten. Der Gesetzgeber hat den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion aus dem Jahr 1994,65 der für die Organverteilung (als Ausnahme zu allen sonstigen Gesetzentwürfen) auch soziale Kriterien vorsah, nicht übernommen. Ebenso werden die Richtlinien nach dem TPG nicht wie in dem Entwurf vorgeschlagen, von einer mit Vertretern der BÄK, der Kirchen, humanistischer Gesellschaften sowie Einzelpersonen (wie Pflegepersonal und Soziologen) paritätisch besetzten Ethikkommission erlassen, sondern allein von der BÄK bzw. StäKO. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber weder soziale Kriterien, noch eine solche Kommission in das TPG aufgenommen hat folgt, dass er dies nicht für erforderlich hielt. Nur, wenn auch medizinisch-normative Entscheidungen getroffen werden sollen, wäre ein Gremium in dieser Zusammensetzung notwendig.66 Die Übertragung der Richtlinienkompetenz zur „Feststellung der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ allein auf die BÄK, lässt daher den eindeutigen Schluss zu, dass die Organverteilung nach dem Willen des Gesetzgebers allein anhand medizinisch begründbarer Regeln erfolgen sollte. Mittlerweile ist aber nahezu einhellige Auffassung im Schrifttum, dass es sich bei einer Verteilungsentscheidung, die zwischen mehreren Patienten auf der Warteliste denjenigen auswählt, der das Organ erhalten soll, um eine normative Entscheidung handelt, der Gesetzgeber diesen Umstand übersehen und daher einem Kategorien– Enzephalopathie Grad 3 oder 4. Bei Empfängern mit viraler Hepatitis soll die Transplantationsindikation unter den folgenden Bedingungen gestellt werden (Clichy-Kriterien): – Enzephalopathie Grad 3 und 4 und – Faktor V < 20 % bei Empfängern < 30 Jahre oder – Faktor V < 30 % bei Empfängern > 30 Jahre. Vgl. dazu Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 2. 4. 64 BT-Drs. 13/4355 S. 26. 65 Vgl. zweites Kapitel, Glp. III. 3. a). 66 Ebenso: Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 167.

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fehler erlegen ist.67 Denn gerade diese Auswahlentscheidung kann nicht (rein) medizinisch68 begründet werden.69 Mit Bader ist aber davon auszugehen, dass sobald die normativ notwendigen (Vor-)Entscheidungen (wie beispielsweise die Gewichtung bestimmter Kriterien zueinander) getroffen worden sind, medizinische Kriterien definiert werden können, die „im Hinblick auf die Erreichung eines bestimmten Allokationsziels“ medizinisch begründbar sind.70 Es ist mithin nicht medizinisch begründbar, warum die Erfolgsaussicht Auswahlkriterium sein soll, aber durchaus, warum – wenn eine hohe Erfolgsaussicht erzielt werden soll (normative Entscheidung) – beispielsweise die HLA-Kompatibilität berücksichtigt werden soll (medizinisch begründbares Kriterium).71 Der Gesetzgeber hat als maßgebliche Prinzipien die Erfolgsaussicht und Dringlichkeit in § 12 Abs. 3 TPG normativ verankert, die nach dem soeben gesagten, durch medizinisch begründbare Kriterien verwirklicht werden können.72 Die Kriterien müssen ferner dem „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ entsprechen, was dann der Fall ist, wenn sie herrschende Auffassung in der medizinischen Praxis sind. Der „Stand“ stellt ferner etwas „bereits Erreichtes“ dar.73 Charakteristisch für ihn ist daher, dass er als gesichert gilt, mithin keines wissenschaftlichen Diskurses auf Fachkongressen oder in Fachzeitschriften mehr bedarf und Eingang in die medizinische Ausbildung findet.74 bb) „Eignung“ und „Erfolgsaussicht“ Wie bereits erwähnt, hat die Vermittlung der Organe nach § 12 Abs. 3 TPG insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit zu erfolgen. Darüber hinaus sind die Organe ausweislich der Vorschrift ausschließlich an „geeignete“ Patienten zu vermitteln. Zwar wird in der Gesetzesbegründung auf das Erfordernis einer generellen Eignung der Patienten nicht ausdrücklich hingewiesen, es ist aber dennoch 67 Vgl. nur: Lachmann/Meuter, Medizinische Gerechtigkeit, S. 59 f.; Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 12, Rn. 30; Gutmann/Land, Ethische und rechtliche Fragen der Organverteilung, S. 95; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 319; Gutmann/Land, in: Albert/Schmidt, Praxis der Nierentransplantation, S. 95; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin S. 169. 68 Nach Holznagel könne der Begriff der medizinischen Wissenschaft derart ausgelegt werden, dass die Medizin neben den klinischen Disziplinen u. a. auch Fächer wie Medizinethik und Medizinpsychologie umfasse. Aus diesem Grund könnten nicht nur medizinische Kriterien im engeren Sinne, sondern auch Gerechtigkeitserwägungen auf § 12 Abs. 3 TPG gestützt werden. Vgl. Holznagel, Selbstregulierung im TPG, S. 399 f. Dies wird zu Recht, mit Verweis auf die gängige Definition der Medizin als „ärztliche Heilkunst“ im Schrifttum abgelehnt vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 321 und Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 166. 69 Höfling, in: Höfling, TPG Kommentar, § 12, Rn. 30. 70 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 322. 71 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 322. 72 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 323. 73 Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 61. 74 Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 61.

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davon auszugehen, dass die Eignung eines Patienten als selbstständiges Kriterium neben Erfolgsaussicht und Dringlichkeit steht.75 Angesichts der absichtlich unterschiedlich gewählten Begrifflichkeit in § 12 Abs. 3 TPG ist das Kriterium der Eignung auch nicht als kongruent zu dem der Erfolgsaussicht anzusehen.76 Vielmehr ist Eignung i. S. v. § 12 Abs. 3 TPG im Hinblick auf die Kompatibilität zwischen Spenderorgan und Empfängerorganismus im Sinne einer „minimalen Erfolgsaussicht“ zu verstehen; ein Patient ist mithin geeignet, wenn minimale Erfolgsaussichten bestehen, eine Organtransplantation wegen des Ausschlusses von Abstoßungsreaktionen (zumindest über einen bestimmten Zeitraum) möglich ist.77 Im Verhältnis zur Eignung verlangt das Kriterium der Erfolgsaussicht i. S. d. § 12 Abs. 3 TPG ein Mehr im Sinne quantitativ maximaler Organfunktionsraten, die den Zeitraum beschreiben, den das transplantierte Organ im Empfängerkörper nicht nur überlebt, sondern in dem es auch funktioniert.78 Letztlich also geht es in quantitativer Hinsicht um die maximal langfristige Transplantatfunktion. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, die als Beispiele für die Erfolgsaussicht Blutgruppe, HLAStatus bzw. Gewebeverträglichkeit (bei der Nierentransplantation) sowie Größe und Gewicht (insbesondere bei Herz- und Lebertransplantationen) nennt.79 Diese Kriterien zielen auf eine höchstmögliche Transplantatfunktion ab.80 Darüber hinaus enthält das Kriterium der Erfolgsaussicht auch eine qualitative Komponente, die auf eine verbesserte (objektiv messbare) Lebensqualität abstellt.81 Angesichts der seit Jahren vorgebrachten Kritik hinsichtlich des Kriteriums der Erfolgsaussicht, legt das Schrifttum die von § 12 Abs. 3 TPG geforderte Erfolgsaussicht dahingehend verfassungskonform aus, dass nur ein Abstellen auf „minimale Erfolgschancen“ zulässig ist.82 Insoweit überschneidet sich die Erfolgsaussicht mit dem Kriterium der Eignung, sodass ein Organ einem Patienten nur dann vorenthalten werden darf, wenn 75 So bereits: Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 169; dem zustimmend: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 324. 76 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 169. 77 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 169; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 324. 78 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, II, S. 73; Schmidt, Politik der Organverteilung, S. 77, Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 169 f.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 326. 79 BT-Drs. 13/4355, S. 26. 80 Zu den Ideen einer Berücksichtigung des „most-lives-saved“-Ansatzes vgl. Schroth/ Hofmann, Zur gegenwärtigen Diskussion über die Strafbarkeit der Manipulation bei der Organverteilung, StV 2018, 747 (751); Dannecker/Streng, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer an den Erfolgsaussichten der Transplantation orientierten Organallokation, JZ 2012, 444 (445) sowie dies. zur Reformbedürftigkeit des gegenwärtigen Allokationsmodus für postmortal gespendete Lebern, in: Schmitz-Luhn/Bohmeier, Priorisierung in der Medizin, S. 147 ff. 81 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 326; Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, II, S. 73; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 433. 82 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, II, S. 81; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 344.

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es ihm gar nicht helfen kann, wobei für diese Beurteilung eine Mindestorganfunktionsdauer von drei Monaten heranzuziehen ist.83 Das Kriterium der Erfolgsaussicht ist dementsprechend für den weiteren Verlauf der Untersuchung im Sinne minimaler Erfolgsaussichten zu verstehen. cc) „Dringlichkeit“ Der Gesetzesbegründung ist keine Definition der Dringlichkeit zu entnehmen. Dort findet sich lediglich die Formulierung, dass hinsichtlich der Dringlichkeit insbesondere der „Gesundheitszustand des Patienten im Hinblick auf seine verbleibenden Überlebenschancen“ zu berücksichtigen sind.84 Für die Definition des Begriffes ist angesichts der Nähe zu den verschiedenen Gefahrbegriffen aus dem Polizei- und Strafrecht auf Art und Rang des gefährdeten Rechtsguts, die zeitliche Nähe, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und Ausmaß des zu erwartenden Schadens abzustellen.85 Auch in der Medizin ist eine erhöhte Priorisierung anerkannt, je konkreter und näher die Lebensgefährdung ist.86 Es ist daher je nach Einzelfall zu entscheiden, ob schon eine Lebensgefahr besteht, wobei diese Patientenkollektive dann in die für sie vorbehaltene eigene Dringlichkeitskategorie „High-Urgency“ (HU)87 eingeordnet werden. Hinsichtlich der zeitlichen Dimension der Dringlichkeit werden im Schrifttum unterschiedliche Maßstäbe präferiert. Die Befürworter des „zeitraumbezogenen“ Dringlichkeitsbegriffes fordern, dass alle Patienten, denen angesichts der Organknappheit mit gleicher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft keine lebensrettende Behandlung mehr zukommt, in ein und dieselbe Dringlichkeitskategorie eingeordnet wird.88 Es könne keinen Unterschied machen, ob ein Patient unmittelbar vom Tode bedroht sei oder sein Tod wegen Aussichtslosigkeit einer Organzuteilung ebenso wahrscheinlich sei.89 Die Vertreter der „zeitpunktbezogenen“ Dringlichkeit stellen für die zeitliche Beurteilung hingegen auf die konkrete Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Zuteilungsentscheidung ab. Es kommt mithin für sie auf die aktuelle Gefährdung des Patienten an. Die BÄK hat sich bei der Leberrichtlinie der letzteren Auffassung angeschlossen.90 83

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 344. BT-Drs. 13/4355, S. 26. 85 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 328; Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, II, S. 92 ff.; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 429. 86 Sog. „sickest-first-Prinzip“. Vgl. Persad et al., Principles for allocation of scarce medical interventions, Lancet 2009, 423 (424); Ahlert et al., Prioritätsänderung in der Allokation postmortaler Spenden-Lebern- Grundsätzliche und aktuelle Fragen, S. 5. 87 Für die Lebertransplantation vgl. Glp. 2. b) cc) (1). 88 Brech, Triage und Recht, S. 260 f.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 159; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 432; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 92. 89 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 432. 90 Vgl. Glp. 2. b) cc) (1). 84

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dd) Chancengleichheit Obwohl im TPG nicht ausdrücklich als Kriterium normiert, ist ausweislich der Gesetzesbegründung bei der Organvermittlung zusätzlich zu den medizinisch begründbaren Regeln der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit auch der Grundsatz der Chancengleichheit zu berücksichtigen.91 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen § 12 Abs. 3, S. 1 und S. 2 TPG nämlich der Chancengleichheit nach Maßgabe medizinischer Kriterien dienen.92 So soll im Rahmen der Organvermittlung gewährleistet werden, dass auch Patienten, die spezielle Eigenschaften aufweisen, die eine konkrete Organzuteilung verhindern (oder erheblich erschweren) würden, überhaupt eine Chance auf ein Transplantat erhalten. Die Nachteile dieser Minderheiten sollen durch bestimmte, sie schützende Regelungen ausgeglichen werden. Darüber hinaus soll auch das jeweilige Transplantationszentrum des Patienten bei der Organallokation nicht von Bedeutung sein, da die Chance auf den Erhalt eines Organs nicht von dem zufälligen Behandlungsort abhängig sein soll.93 Entsprechend ist die in § 12 Abs. 3 S. 2 TPG geregelte Verpflichtung der Vermittlungsstelle, die Wartelisten der Transplantationszentren als einheitliche Warteliste94 zu behandeln, Ausfluss der Chancengleichheit. b) Umsetzung und Verständnis der gesetzlichen Vorgaben des § 12 Abs. 3 TPG in der Leberrichtlinie der BÄK Die BÄK hat in ihren Organallokationsrichtlinien die gesetzlichen Vorgaben des § 12 Abs. 3 TPG ausgelegt und konkretisiert. Die Konkretisierung sowohl der Erfolgsaussicht als auch der Dringlichkeit erfolgt dabei anhand unterschiedlicher Kriterien, die im Folgenden dargestellt werden sollen. aa) Faktor der „Eignung“ bei der Organvermittlung zur Lebertransplantation – Blutgruppenidentität und- kompatibilität In der Richtlinie der BÄK für die Wartelistenführung und Organvermittlung bei der Lebertransplantation ist als erstes Allokationskriterium für die Lebertransplantation die Blutgruppenidentität- und kompatibilität genannt.95 Voraussetzung für eine Organtransplantation ist ausweislich der Regelung die immunologische Blutgruppenkompatibilität zwischen Organspender und Empfänger. Besteht nämlich zwischen beiden keine Blutgruppenidentität respektive Kompatibilität, droht eine hy91

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 394; BT-Drs. 13/5355, S. 26. BT-Drs. 13/5355, S. 26. 93 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 286. 94 Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 4. b) bb). 95 Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6.1. 92

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perakute Abstoßung96 des Organs.97 Die Zuordnung eines Spenderorgans zum immunologisch passenden Empfänger erfolgt dabei nach dem sog. AB0-System der Blutgruppen, das die Blutgruppenträger in vier verschiedene Gruppen A, B, AB und 0 unterteilt.98 Die Einteilung in die jeweiligen Blutgruppen erfolgt anhand vorhandener Antigene bzw. Antikörper. Auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) befinden sich zwei Sorten von Antigenen, gegen die das Immunsystem des Körpers Antikörper bildet.99 Menschen mit Blutgruppe A und B besitzen jeweils nur eines dieser Antigene, Blutgruppe AB hat beide, und Blutgruppe 0 hat keine. Die Antikörper werden gegen die dem Körper fehlenden Erythrozyten-Antigene gebildet. Blutgruppe A bildet mithin Antikörper gegen B, B gegen A, 0 gegen A und B, und AB bildet keine Antikörper. Jeder Mensch ist gegenüber fremden Blutgruppen höchstimmunisiert. Jede Blutgruppe besitzt differierende spezifische Eigenschaften, sodass die Abstoßungsreaktionen je nach Blutgruppe des Spenders und des Empfängers variieren. Während beispielsweise das Blut und die Organe eines Spenders der Blutgruppe 0100 allen anderen Blutgruppen übertragen werden können, müssen die Empfänger aus der Blutgruppe 0 Organe ihrer eigenen Gruppe erhalten. Um keine Empfänger in den unterschiedlichen Blutgruppen auf Grund der Seltenheit oder der spezifischen Eigenschaften ihrer jeweiligen Gruppe zu benachteiligen, wird in den Richtlinien der BÄK der normative Grundsatz der Blutgruppenidentität festgelegt. In jeder Dringlichkeitsstufe101 wird zunächst versucht, den Empfänger ausschließlich nach Blutgruppenidentität102 auszuwählen. Erst wenn kein blutgruppenidentischer Empfänger vermittelt werden kann, erfolgt die Zuordnung nach der Blutgruppenkompatibilität.103 Zugunsten der Dringlichkeit einer 96

Zu den Arten von Abstoßungen vgl. Glp. II. 1. b) bb) (1). Nicht nur das Immunsystem des Empfängers reagiert auf das fremde Organ, sondern auch das Organ auf den Empfängerkörper. In seltenen Fällen kann dies zu einer sog. Graft-VersusHost-Disease (GVHD) führen. Vgl. dazu Guo et al., Graft-versus-host-disease after kidney transplantation, Medicine 2017, 1 ff. 98 Die Blutgruppe A ist mit 45 % die am häufigsten in der deutschen Bevölkerung vorhandene Blutgruppe (weltweit ca. 40 %). Darauf folgt die Blutgruppe 0 mit einer Häufigkeit von 40 % (weltweit ca. 45 %). Die Blutgruppen B und AB gehören mit 10 % (B) bzw. 5 % (AB) zu den seltenen Blutgruppen. Vgl. Amboss/Steigbügel, klinische Datenbank zum Stichwort: „Blutgruppe“. 99 Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank, zum Stichwort: „AB0-Blutgruppenkompatibilität“. 100 Daher auch als „Universalspender“ bezeichnet. Vgl. Galden, Geschichte & Ethik der Verteilungsverfahren von Nierentransplantaten durch Eurotransplant, S. 24; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 218. 101 Vgl. Glp. 2. b) cc). 102 Blutgruppenidentität bedeutet, dass Organspender und Organempfänger derselben Blutgruppe zuzuordnen sind. Dies bedeutet konkret: Spenderblutgruppe A ! Empfängerblutgruppe A, B ! B, AB! AB, 0 ! 0. 103 Blutgruppenkompatibilität bedeutet, dass die Spender und Empfänger zwar verschiedene Blutgruppen haben, diese aber miteinander trotzdem kompatibel sind. Beispielsweise kommen Empfänger der Blutgruppe AB (mangels vorhandener Antikörper) als sog. „Universalempfänger“ für alle Organe jeder Blutgruppe in Betracht. 97

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Transplantation und Wahrung der Chancengleichheit für Empfänger mit äußerst seltener Blutgruppe werden in allen Richtlinien mehrere Ausnahmen des Grundsatzes der Blutgruppengleichheit zugelassen. Diese Ausnahmen gehen zu Lasten der Blutgruppe 0-Empfänger auf der Warteliste, da zugunsten der seltenen Blutgruppen die Organe aus dem Pool der allkompatiblen Blutgruppe 0-Spender entnommen werden.104 Die Intensität der Abweichung von dem Grundsatz der Blutgruppenidentität variiert dabei je nach Patientenkollektiv. Beispielsweise wird bei erwachsenen High-Urgency („HU“) Patienten lediglich die (in der Bundesrepublik statistisch sehr selten vertretene) Blutgruppe B in die Wartegruppe der 0-Empfänger miteinbezogen. HU-Kinderpatienten sowie kombinierte Transplantationen und Leberteiltransplantationen, genießen besonderen Schutz und können daher auch außerhalb ihrer eigenen Blutgruppe nach einfacher AB0-Kompatibilität105 transplantiert werden. Gibt es für eine Leber gar keinen passenden Empfänger, kann diese einem Kind auch entgegen der Barriere der vollständigen Inkompatibilität transplantiert werden.106 Anders als bei der Nierenallokation gibt es für Empfänger über 65 Jahren kein gesondertes Allokationsprogramm.107 Die in der Richtlinie festgelegte Blutgruppenidentität bzw.-kompatiblität ist ausweislich des Vorangegangen als Kriterium der Eignung i. S. d. § 12 Abs. 3 TPG anzusehen.108 Geeignet ist ein Patient dann, wenn minimale Erfolgsaussichten bestehen und eine Organtransplantation wegen des Ausschlusses von Abstoßungsreaktionen (zumindest über einen bestimmten Zeitraum) möglich ist.109 Bei fehlender Kompatibilität wäre eine Transplantation sinnlos, da mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer hyperakuten Abstoßung zu rechnen wäre, die zu einem sofortigen Or104 Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III, 6.1. 105 Spenderblutgruppe 0 ! Empfängerblutgruppe A, B, AB, 0. Die HLA-Kompatibilität wird (anders als bei den Nierentransplantationen) für die Lebertransplantation nur nachrangig berücksichtigt. 106 Gerade im Bereich der Lebendnierentransplantation und der Lebendlebertransplantation können auch bei keiner Übereinstimmung der Blutgruppe erfolgreiche Resultate erzielt werden. In UK ist daher mit Einwilligung des Patienten auch eine Transplantation entgegen der Blutgruppe möglich. 107 Dabei handelt es sich um das sog. Eurotransplant Senior Programm (ESP), (früher auch „Old-for-Old“-Programm genannt, vgl. Bt-Drs. 16/13740, S. 66.). Dabei werden Nieren von Spendern über 65 Jahren ausschließlich Empfängern derselben Altersgruppe angeboten, die sich zusätzlich in der näheren Umgebung des Entnahmeortes (bestmöglich innerhalb desselben „DSO-Organisationsschwerpunktes“) befinden sollen, vgl. Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Nierentransplantation, A. III. 4.10. Zur verfassungsrechtlichen Kritik an dem Programm. Vgl. Sternberg-Lieben, der darin einen Verstoß gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz sieht, Sternberg-Lieben, Sinn und Grenzen (straf-)gesetzlicher Steuerung im Arztrecht am Beispiel der Organ-Allokation, ZIS 130 (134). Ähnlich auch Gutmann, in: Haarhoff, Organversagen – Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 154. A. A. Bader, der eine Differenzierung unter dem Gebot der Chancengleichheit für zulässig hält, vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 280. 108 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 325. 109 Vgl. Glp. II. 2. a) bb).

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ganverlust führen würde. Folglich werden inkompatible Patienten auf der Warteliste von der Zuteilung des bestimmten (inkompatiblen) Organs ausgeschlossen. Diese Regelung stellt also auf die minimalen Erfolgsaussichten einer Organtransplantation im Sinne einer (Mindest-)Eignung des Patienten ab. Ferner dient sie dem verfassungsrechtlich gebotenen Ziel die Eignung des Patienten für die Transplantation zu gewährleisten und dadurch zugleich den potenziellen Empfängerkreis auf geeignete Patienten zu begrenzen.110 bb) Faktoren der „Erfolgsaussicht“ bei der Organvermittlung zur Lebertransplantation Hinsichtlich der Erfolgsaussicht heißt es im allgemeinen Teil der Richtlinie der BÄK für die Wartelistenführung und Organvermittlung bei der Lebertransplantation: „Kriterien des Erfolgs einer Transplantation sind die längerfristig ausreichende Transplantatfunktion und ein damit gesichertes Überleben des Empfängers mit verbesserter Lebensqualität. Die Erfolgsaussichten unterscheiden sich nach Organen, aber auch nach definierten Patientengruppen.“111 Kriterien der Erfolgsaussicht finden sich auch bei der zweiten Selektionsentscheidung auf Ebene der Organvermittlung. (1) „Mailand-Kriterien“ In engem Zusammenhang mit den Kontraindikationen zur Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation stehen Kriterien, die wiederum Kontraindikationen für die Einordnung in eine bestimmte Ausnahmekategorie innerhalb des für die Dringlichkeit maßgeblichen Parameters „MELD-Score“ („Model for endstage Liver Disease“)112 darstellen. Obwohl es sich insoweit primär um die Beurteilung der Dringlichkeit einer Lebertransplantation handelt, basieren die folgenden Kriterien dennoch auf Erwägungen der Erfolgsaussicht. Konkret handelt es sich um eine Regelung für Patienten, die wegen eines HCCs für eine Lebertransplantation gelistet sind. Der MELD-Score kann die tatsächliche Dringlichkeit einer Lebertransplantation für dieses Patientenkollektiv nicht adäquat wiedergeben, sodass ein bestimmter Ausgleichsmechanismus auf sie angewendet wird.113 Dadurch soll verhindert werden, dass Patienten, bei denen eine Lebertransplantation tatsächlich schon (sehr) dringlich ist, nur deswegen niedrig gelistet (und damit von einer Organzuteilung ausgeschlossen) werden, weil der MELD-Score als Dringlichkeits110

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 383. Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. II.1. d). 112 Vgl. sogleich Glp. cc). Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2; vgl. ETManual, Chapter 5, S. 18. 113 Vgl. sogleich Glp. cc) (2) (b). 111

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parameter insoweit untauglich ist. Für den Antrag zur Kategorisierung als Ausnahme (vom regulären MELD-Score) kommen aber ausweislich der Richtlinie zur Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation nur solche HCCs in Betracht, die sich innerhalb der bereits erwähnten „Mailand-Kriterien“ befinden. Danach darf es sich bei dem Tumor entweder nur um eine Läsion größer als 2 cm aber kleiner als 5 cm oder um 2 – 3 Läsionen größer als 1 cm aber kleiner als 3 cm handeln.114 Zudem muss der Tumor gleichzeitig dem T2-Stadium entsprechen.115 Die Selektion der HCC-Patienten anhand dieser Kriterien basiert auf wissenschaftlichen Studienergebnissen, die den Betroffenen, deren Tumor sich innerhalb der MailandKriterien befindet, sehr gute Erfolgsaussichten bei und nach der Lebertransplantation bescheinigen.116 Die derzeitige Richtlinie zur Lebertransplantation enthält dennoch einen Ausnahmetatbestand für HCC-Patienten, deren Tumor sich außerhalb der Mailand-Kriterien befindet. Diese können „in begründeten Ausnahmefällen“ und nach Zustimmung der interdisziplinären Transplantationskonferenz einen gesonderten MELD-Wert zugewiesen bekommen.117 (2) Leberteiltransplantation Ausweislich der Richtlinie zur Lebertransplantation soll bei einer geeigneten Spenderleber die Möglichkeit einer Leberteiltransplantation („Lebersplit“) erwogen werden, um mit nur einem verfügbaren Organ zwei Patienten versorgen zu können.118 Die Leber kann geteilt werden, wenn die Erfolgsaussichten des Patienten (dem ursprünglich die Leber in Gänze zugeteilt worden wäre) nicht unvertretbar beeinträchtigt werden.119 Überwiegend handelt es sich nach der Teilung bei zumindest einem der Leberteile um ein sog. „eingeschränkt vermittelbares“ Organ.120 Der 114

Die Mailand-Kriterien gehen zurück auf: Mazzaferro et al., Liver transplantation for the treatment of small hepatocellular carcinomas in patients with cirrhosis, N Engl J Med. 1996, 693 ff. 115 Vgl. Glp. II. 1. b) bb) (2) (b). 116 Vgl. zu den zahlreichen weiteren SE-Kriterien Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2. 117 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2, Tabelle 3, Nr. 5. 118 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 6. Vgl. dazu auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 266 f. 119 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 6. 120 Die Vermittlungsfa¨ higkeit von Organen wird ausweislich der Richtlinie unter anderem „durch schwerwiegende Erkrankungen in der Vorgeschichte des Spenders oder durch Komplikationen im Verlauf seiner tödlichen Erkrankung oder Schädigung oder durch Komplikationen vor oder bei der Organentnahme eingeschränkt“. Zu schwerwiegenden Erkrankungen gehören für alle Organe u. a.: „Maligne Tumoren in der Anamnese, Drogenabhängigkeit, Virushepatitis, Sepsis mit positiver Blutkultur und Meningitis. Spezifisch für die Lebertrans-

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Großteil solcher Organe kann aber mithilfe des modifizierten oder beschleunigten Vermittlungsverfahrens121 erfolgreich transplantiert werden. Für die Leberteiltransplantation schreibt die Richtlinie entsprechend vor, dass eingeschränkt vermittelbare Lebersplits nach dem modifizierten oder beschleunigten Vermittlungsverfahren zu vermitteln sind. Es handelt sich aber nicht bei allen Lebersplits um eingeschränkt vermittelbare Organe. Entsprechend erfolgt die Organvermittlung des nach einem asymmetrischen Lebersplit (Teilung der Leber in einen linkslateralen und in einen erweiterten rechten Lappen) übrigen Teils nach dem Standardvermittlungsverfahren, während der erste Teil der Leber an den ursprünglichen Empfänger vergeben wird.122 Anders ist dies hingegen, wenn ein Kind als Empfänger eines Leberteils vorgesehen ist. Dann soll der verbleibende Leberteil nach dem sog. modifizierten Vermittlungsverfahren nur solchen Transplantationszentren angeboten werden, die in ihrem ENIS-Zentrumsprofil die Annahme von Leberteilen zugelassen haben. Bei einer primären Zuteilung an einen Erwachsenen und einem symmetrischen Lebersplit (Trennung in einen anatomisch rechten und einen anatomisch linken Leberlappen) soll die Vermittlung des zweiten Leberteils nach dem beschleunigten Verfahren erfolgen. Diese Regelungen dienen der Verhinderung eines Organverlustes und zugleich der Ermöglichung einer erfolgreichen Transplantation qualitativ minderwertiger bzw. eingeschränkt vermittelbarer Organe und damit letztlich dem Kriterium der Erfolgsaussicht. In der Richtlinie werden zugunsten der Erfolgsaussicht ferner Kriterien, die die Bevorzugung von Kindern bei der Allokation von Kinderspenderorganen regeln, festgelegt.123 cc) Faktoren der „Dringlichkeit“ bei der Organvermittlung zur Lebertransplantation Hinsichtlich der Dringlichkeit einer Lebertransplantation heißt es in der Richtlinie: „Der Grad der Dringlichkeit richtet sich nach dem gesundheitlichen Schaden, der durch die Transplantation verhindert werden soll. Patienten, die ohne Transplantation unmittelbar vom Tod bedroht sind, werden bei der Organvermittlung vorrangig berücksichtigt. Bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden wird plantation bestehen weitere die Vermittelbarkeit einschränkende Kriterien wie u. a.: Alter des Spenders > 65 Jahre, Intensivtherapie einschließlich Beatmung des Spenders > 7 Tage, Adipositas des Spenders mit BMI > 30, Fettleber (histologisch gesichert) > 40 %.“. Vgl. Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. II. 3. 2. III. 10. 1. 121 Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 4. b) aa). 122 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 6. 1. Vgl. dazu auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 267. 123 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren erhalten primär Organe von Spendern unter 46 kg. Begründet wird dies mit Kompatibilitätserwägungen hinsichtlich Größe und Gewicht des Spenderorgans. Vgl. Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 4. Vgl. dazu auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 267.

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berücksichtigt, dass ihre Entwicklung ohne Transplantation in besonderer Weise beeinträchtigt oder anhaltend gestört wird.“124 Die Patienten auf der Warteliste zur Lebertransplantation werden in verschiedene Dringlichkeitsstufen (auch „urgency codes“) eingeteilt, die dann die Rangfolge der Patienten auf der Matchliste festlegen. (1) High-Urgency („HU“)-Patienten Patienten, die sich einer akut lebensbedrohlichen Situation gegenübersehen, in der ohne Organtransplantation der Tod innerhalb weniger Tage droht (sog. HighUrgency („HU“)-Patienten), werden bei der Organzuteilung vor allen anderen Patienten vorrangig berücksichtigt. Durch das HU-Verfahren soll eine Begünstigung der Patienten erfolgen, die eine längere Verweildauer125 auf der Warteliste auf Grund ihrer schlechten physischen Verfassung höchstwahrscheinlich nicht überleben würden. Eine Aufnahme in den HU-Status kommt beispielsweise bei einer (innerhalb von 14 Tagen nach der Transplantation erfolgten) Abstoßung und einer dadurch notwendigen Retransplantation oder auch bei einem akuten Leberversagen (acute liver failure (ALF))126 in Betracht.127 Entsprechend kann das betreffende Transplantationszentrum in derartigen Fällen eine Anfrage bei ET zur Kategorisierung als HU-Patient stellen. Um zu verhindern, dass die in der Richtlinie vorgegeben Kriterien durch eigenmächtige Entscheidungen der Transplantationszentren unterlaufen werden, bestehen hinsichtlich des HU-Antrags bei ET einige formale Anforderungen und Verfahrensvorgaben. Stimmt ET dem Antrag zu, wird der betroffene Patient in ENIS durch den ET-Duty-Desk als HU-Patient aufgenommen. Innerhalb des Pools 124 Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. II. 1. e). 125 Augsberg, HU-Allokation – vom Ausnahme- zum Regelfall?, in: Middel/Pühler/Lilie/ Vilmar, Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 163. Bereits seit 1972 existierte bei ET fu¨ r dieses spezielle Patientenkollektiv eine Liste, um ihnen innerhalb ku¨ rzester Zeit ein Spenderorgan vermitteln zu können. Vgl. Galden, Geschichte & Ethik der Verteilungsverfahren von Nierentransplantaten durch Eurotransplant, S. 68. Das HU-Dringlichkeitsprinzip fand sich dann auch in der ersten Richtlinie der BÄK zu Lebertransplantation, die vier unterschiedliche Dringlichkeitsstufen enthielt. Vgl. Dtsch. Ärztebl. 2000, A-396. 126 Das ALF wird (nach eigener Wahl des jeweiligen Transplantationszentrums) entweder mithilfe der sog. King’s-College-Kriterien oder der Clichy-Kriterien festgestellt. Vgl. Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 2. 4 und allgemein zu den King’s-College- und Clichy-Kriterien O’Grady et al., indicators of prognosis in fulminant hepatic failure, Gastroenterology 1989, 439 ff., und Berneau et al., Multivariate analysis of prognostic factors in fulminant hepatitis B, Hepatology 1986, 648 ff. Bestehen Zweifel bei ET, ob ein ALF vorliegt und eine Aufnahme in den HU-Status erfolgen soll, wird ein Auditverfahren durchgeführt, an dem zwei Mitglieder des ET Liver Intestine Advisory Committee (ELIAC) beteiligt werden. 127 Darüber hinaus kommen als weitere Indikationen eine akute Dekompensation bei Morbus Wilson und Budd-Chiari-Syndrom, ein lebensbedrohliches Lebertrauma und ein anhepatischer Zustand als Folge eines akuten Leberversagens mit toxischem Lebersyndrom in Betracht. Vgl. Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 1.

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der HU-Patienten erfolgt keine weitere Rangordnung nach Dringlichkeit. Vielmehr richtet sich die Zuteilung des Lebertransplantats nach der Wartezeit, die für HUPatienten gesondert berechnet wird128 An erster Stelle innerhalb der HU-Gruppe steht entsprechend derjenige Patient mit der längsten Wartezeit. Unterhalb der HUDringlichkeitsstufe aber vor den restlichen Patienten, können darüber hinaus solche Patienten in eine spezifische Dringlichkeitskategorie eingeordnet werden, bei denen eine mit der Lebertransplantation kombinierte Organtransplantation129 mit zwei verschiedenen Nicht-Renalorganen indiziert ist.130 (2) Grundparameter der Dringlichkeit – „MELD-Score“ Für das restliche „normale“ Patientenkollektiv (sog. „elektive“ Patienten) ist einschlägiger Dringlichkeitsparameter für die Durchführung einer Lebertransplantation der sog. „MELD-Score“ („Model for endstage Liver Disease“).131 Der MELDScore entspringt dem United Network for Organsharing („UNOS“), dem US-amerikanischen Äquivalent zu ET, das bereits seit 2002 Lebertransplantate anhand des MELD-Scores allozierte. Angeregt durch Manipulationsvorwürfe132 (lange vor den „Allokationsskandalen“ in Deutschland) gegen das Vorgängersystem auf Basis von Wartezeit und dem sog. „Child-Turcotte-Pugh- Score“ (CPT-Score) wurde am 16. Dezember 2006 das neue MELD-basierte Leberallokationssystem eingeführt.133 Dieser ist in der Lage, den Schweregrad der Lebererkrankung und damit die Dringlichkeit einer Organtransplantation (besser) abzubilden. Der MELD-Score trifft eine Aussage über die 3-Monats-Mortalität des Patienten und die Priorisierung erfolgt entsprechend anhand der Dringlichkeit der Transplantation.134 Der niedrigste Score beträgt dabei 6 (1 %) und der höchste 42 (100 %). Je höher der errechnete Wert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für den Patienten, innerhalb der nächsten drei Monate zu versterben. Bei einem exemplarischen MELD-Score von 30 liegt die 128 Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 1. 129 Approved Combines Organ (ACO) vgl. ET-Manual, Chapter 2, S. 9; ET-Manual Chapter 5, S. 18. 130 Auch für diese Fälle wird von der Vermittlungsstelle ein Auditverfahren durchgeführt. Vgl. Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A III.6.5. 131 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2.; vgl. ET-Manual, Chapter 5, S. 18. 132 Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen – Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 210. 133 Statt vieler: Bahra/Neuhaus, Liver transplantation in the high MELD era: a fair chance for everyone?, Langenbeck’s Archives of Surgery, 2011, 461 ff.; Haverich/Haller, Organtransplantation in Deutschland, Internist 2016, 7 ff.; Schmidt, Dtsch. Ärztebl., 2007, A-2324. Vgl. zum CPT-Score: Pugh et. al., Transsection of the Oesophagus for Bleeding Oesophageal Varices, Britisch Journal of Surgery, 1983, 646 ff. 134 Die Zuteilung der Organe erfolgt demnach wie folgt: 1. ! HU 2. ! Kombinierte Organtransplantation 3. ! Elektiver Patient mit MELD 40. Schmidt, Dtsch. Ärztebl., 2007, A2324.

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Wahrscheinlichkeit, innerhalb von drei Monaten zu versterben, bei 49 %.135 Die Berechnung des MELD-Wertes erfolgt auf Basis eines Logarithmus136 sowie anhand der drei Laborparameter Serumkreatinin, Serumbilirubin und Blutgerinnungszeit (sog. International Normalized Ratio, (INR)). Der INR misst die Blutgerinnungsvorgänge in der Leber anhand eines international festgelegten Durchschnittswerts. Bei Bilirubin und Kreatinin handelt es sich jeweils um Abbauprodukte des Stoffwechsels, wobei ersteres über die Leber ausgeschieden und letzteres über die Niere verstoffwechselt wird. Kann eine erhöhte Anreicherung von Bilirubin in der Leber nachgewiesen werden, spricht dies für eine Funktionseinschränkung der Leber.137 Ist zusätzlich bereits der Kreatininwert des Betroffenen erhöht, handelt es sich um eine schwerwiegende Lebererkrankung, da neben der Leber bereits die Nieren zu versagen beginnen und eine erhöhte Dringlichkeit der Transplantation vorliegt, die durch den MELD-Score abgebildet werden soll. (a) Berechneter MELD-Score (LabMELD) Der soeben beschriebene MELD-Wert wird in der Richtlinie der BÄK auch als berechneter MELD-Score oder sog. labMELD138 bezeichnet. Der labMELD muss von den Transplantationszentren regelmäßig innerhalb regelmäßiger Intervalle rezertifiziert werden.139 Die für den MELD-Score ausschlaggebenden Werte können aber durch die Anwendung bestimmter Behandlungsverfahren beeinflusst werden, da auch vermeintlich objektive Laborparameter von einer gewissen Einflussnahme nicht gefeit sind.140 Durch die Durchführung der optimalen Therapie (beispielweise durch Anwendung einer Leberunterstützungstherapie, sog. Organbridging) sinkt der MELD-Score bei gleichbleibender oder sich sogar erhöhender Dringlichkeit.141 Denn je kränker der Patient ist, desto mehr therapeutische Maßnahmen werden erforderlich, die zumindest kurzfristig den Zustand des Patienten derart verbessern, dass der MELD-Score in einen Bereich abfällt, in dem eine Organzuteilung faktisch ausgeschlossen ist. Geht es dem Patienten wieder „schlecht genug“ für einen ausreichend erhöhten bzw. hohen MELD-Score, wäre es für eine lebensrettende Transplantation oftmals zu spät. Um die Ärzte nicht in die verzweifelte Lage zu 135 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 136 Vgl. die konkrete Formel zur Berechnung des Logarithmus in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 1. 137 Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen – Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 203. 138 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 139 Bei einem MELD Score > 25 läuft der übermittelte Wert nach sieben Tagen aus. Liegt der MELD Score hingegen bei < 10, bedarf es einer erneuten Übermittlung der Werte erst nach 356 Tagen. Vgl. ET-Manual, Chapter 5, S. 14. 140 Ahlert et al., Prioritätsänderung in der Allokation postmortaler Spenden-LebernGrundsätzliche und aktuelle Fragen, S. 5. 141 Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen -Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 211.

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bringen, zwischen optimaler Behandlungsmethode bis zur Transplantation und der Chance auf ein Organ für ihren Patienten wählen zu müssen, werden in der Richtlinie gesonderte Werte vorgeschrieben, die bei Therapien, die den MELD-Score verbessern können, zu Grunde zu legen sind. Wird beispielsweise eine Leberunterstützungstherapie wie MARS,142 Prometheus oder ADVOS143 benutzt, sind die Werte des Patienten vor Beginn der Leberunterstützungstherapie für die Berechnung des MELD-Scores anzusetzen.144 Erhält der Patient eine Nierenersatztherapie ist der maximale Kreatininwert von 4,0 mg/dl zu Grunde zu legen.145 Andersherum kann durch die Nichtvornahme einer Behandlung (bei gleichzeitiger Eintragung der tatsächlich nicht durchgeführten Therapie in ENIS) der MELD-Score weiterhin in richtigem Maße „schlecht“ gehalten werden, um eine Organzuteilung nicht zu gefährden.146 (b) Zugewiesener MELD-Score (matchMELD) Bedingt durch die generelle Problematik um die Vorhersagekraft von Prognoseinstrumenten weist der MELD-Score ferner bei der Abbildung der Dringlichkeit bestimmter Patientenkollektive einige blinde Flecken auf. Durch diese Begrenzung des MELD-Scores auf bestimmte Krankheitsbilder vermag er nicht in allen Fällen zu 100 % zuverlässig zwischen zwei Personen auf der Warteliste den Dringlicheren auszuwählen und die tatsächliche Dringlichkeit valide abzubilden. Dies führte in der Vergangenheit oftmals zu der Situation, dass ein Patient, bei dem eine Lebertransplantation im Verhältnis zu einem anderen Patienten tatsächlich gleich dringlich oder sogar dringlicher war, durch die Anwendung des MELD-Scores bei der Organverteilung benachteiligt wurde.147 Wissenschaftliche Studien kamen zu dem Ergebnis, 142

Bei dem Molecular-Adsorbents-Recirculation-System („MARS“) handelt es sich um ein Verfahren, bei dem eine kontinuierliche renale Dialyse erfolgt, gekoppelt mit einer zusätzlichen Dialysesäule, die insbesondere bestimmte Toxine entfernt. Vgl. dazu Saliba, The Molecular Adsorbent Recirculating System (MARS®) in the intensive care unit: a rescue therapy for patients with hepatic failure, Critical Care, 2006, 118 ff. 143 Advanced Organ Support („ADVOS“) kann zur Behandlung von Nierenversagen und/ oder Leberversagen angewandt werden. 144 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 1. 145 Allerdings wird nicht zwischen chronischer und akuter Dialysepflichtigkeit unterschieden, sodass beide Patientengruppen dieselben Werte erhalten. Vgl. Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 1; Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen- Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 211. 146 Dies hat sich in den Organallokationsskandalen realisiert, indem der MELD-Score teilweise durch tatsächlich nicht durchgeführte Nierenersatztherapien in die gewünschte Richtung gelenkt wurde. 147 Bobbert, Gleichheit und Ungleichheit bei der Lebertransplantation: Stellenwert prognostischer Scores aus ethischer Sicht, Marsiliuskolleg, S. 108; Myers et al., Gender, renal function, and outcomes on the liver transplant waiting list: assessment of revised MELD including estimated glomerular filtration rate, Journal of Hepatology, 2011, 462 ff.

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dass der Kreatininwert eines Patienten teilweise von Muskelmasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht abhängt.148 Entsprechend würden beispielsweise todkranke Frauen auf Grund ihres prinzipiell geringeren Kreatininspiegels durch ihr geringeres Körpergewicht benachteiligt werden und einen MELD-Score aufweisen, der ihr hohes Sterblichkeitsrisiko nicht adäquat abbilden könnte, sodass sie von einer Organzuteilung ausgeschlossen wären. Um diesem Umstand des MELD-Scores, bestimmte Krankheitsbilder nicht adäquat abbilden zu können, entgegenzuwirken, ist in der Richtlinie der BÄK ein zugewiesener MELD-Score oder auch der sog. matchMELD vorgesehen, der die Benachteiligungen durch zusätzliche Bonuspunkte auszugleichen versucht.149 Durch begründeten Antrag des Transplantationszentrums bei ET kann Patienten, bei denen die Dringlichkeit durch den labMELD nicht adäquat ausgedrückt wird, ein matchMELD zugewiesen werden, der durch Berechnung dem analogen labMELD von Patienten mit anderen Lebererkrankungen entsprechen soll.150 Für das Matching durch ET wird zugunsten des Patienten der jeweils höchste Score berücksichtigt.151 Die Erkrankungen, für die ein matchMELD beantragt werden kann, sind nebst den zu erfüllenden Kriterien in der Richtlinie der BÄK festgelegt. (aa) Standard-Exception Die verschiedenen Krankheitsbilder, bei denen eine Abbildung der Dringlichkeit über den labMELD nicht valide ist, werden als „Standardausnahmen“152 oder sog. Standard-Exceptions (SE) bezeichnet und weisen dem betreffenden Patienten einen festen prozentualen Aufschlag auf den labMELD oder einen festgelegten MELDWert zu.153 Ist nach drei Monaten noch keine Transplantation erfolgt, wird der matchMELD erneut um einen bestimmten (je nach spezifischer Erkrankung) Prozentsatz erhöht. Der Patient erhält, sofern der Antrag genehmigt wird, alle drei Monate Zusatzpunkte, die dann summiert im Laufe der Zeit zu einer Erhöhung 148 Myers et al., Gender, renal function, and outcomes on the liver transplant waiting list: assessment of revised MELD including estimated glomerular filtration rate, Journal of Hepatology, 2011, 462 ff. 149 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2. 150 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2. 151 ET-Manual, Chapter 5, S. 12. Nach 90 Tagen erfolgt eine Höherstufung des Patienten, sofern noch keine Transplantation erfolgt ist. Für Kinder unter 16 Jahren gilt ein eigener Score, der sog. pedMELD. 152 Vgl. Tabelle zu den matchMELD-Standardkriterien in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2. 153 Vgl. dazu Freeman et al., Model for end-stage liver disease (MELD) exception guidelines: Results and recommendations from the MELD exception study group and conference (MESSAGE) for the approval of patients who need liver transplantation with diseases not considered by the standard MELD formula, Liver Transplantation, 2006, 128 ff.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

des MELD-Scores führen. Bei Bestätigung der SE gilt diese für einen Zeitraum von 90 Tagen und muss nach Ablauf dieser Periode erneut bestätigt werden. Auch für Patienten mit einem HCC ist in der Richtlinie eine SE vorgesehen.154 Diese Patienten erhalten direkt einen matchMELD mit einer Drei-Monats-Mortalität von 15 %. Nach jeweils drei Monaten erfolgt eine Steigerung um weitere 10 %.155 Wie bereits erwähnt, gilt dies aber nur für diejenigen HCC-Patienten deren Tumor sich innerhalb der Mailand-Kriterien befindet.156 Da die Betroffenen, die sich innerhalb der Mailand-Kriterien bewegen, häufig noch relativ gute Leberfunktionen aufweisen und somit wegen des Organmangels nach dem LabMELD kein Organ erhalten würden, wurde das HCC als SE festgelegt, da die Lebertransplantation auch bei diesen Patienten die einzige kurative Therapieoption darstellt.157 (bb) Non-Standard-Exception Über die Fälle der SE hinaus gibt es derart spezielle Einzelfälle, die auch durch die in den Richtlinien normierten Standardausnahmen nicht ausreichend berücksichtigt werden. In solchen nicht standardisierten Situationen, kann das Transplantationszentrum in einem Antrag an die Vermittlungsstelle begründen, warum der labMELD die Dringlichkeit einer Transplantation bei diesem Patienten und seinem Krankheitsbild nicht adäquat widerspiegelt und die Genehmigung einer sog. Non-Standard-Exception (NSE) beantragen. Von der Vermittlungsstelle wird anschließend ein Auditverfahren158 durchgeführt, um zu klären, ob eine Non-Standard-Exception vorliegt.159 Bei Genehmigung einer NSE erhält der potenzielle Empfänger einen matchMELD mit einer Drei-Monats-Mortalität von 15 %, der ebenfalls alle drei Monate erhöht wird. Die Auditgruppe bei ET kann anhand ihrer Daten zu den Sonderfällen der StäKO Vorschläge zur Festlegung neuer NSEs unterbreiten.

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Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2, Tabelle 3. 155 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 1. 156 Vgl. Glp. II. 2. b) bb) (1). 157 Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen-Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 214. Zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Kriterien vgl. Glp. III. 3. 158 Das ET-Duty-Desk leitet die NSE-Anfrage für die Auswertung an zwei Mitglieder der Auditgruppe (die nicht aus dem antragsstellenden Zentrum stammen dürfen) weiter. Bei Stimmengleichheit entscheidet ein dritter Prüfer über die Genehmigung oder die Ablehnung des NSE-Antrags. Alle Ergebnisse aus NSE-Audits werden an die BÄK bzw. StäKO übermittelt, damit auf dieser Basis neue SEs erarbeitet werden können. Vgl. ET-Manual, Chapter 5, 5. 8. 1. 3; Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2. 159 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 8. 1. 3.

II. Deskription des Richtliniensystems

179

(c) Kritik am MELD-Score und Vorschläge alternativer Prognoseinstrumente Im Bereich der Lebertransplantation wird in jüngster Zeit die primär dringlichkeitsbasierte Organverteilung auf Basis des MELD-Scores zunehmend kritisiert.160 Aus Medizinerkreisen hieß es sogar, man „warte die Patienten zu Tode“.161 Seit Einführung des MELD-Scores hat sich zwar die Wartelistensterblichkeit international nachweislich verringert, im Gegenzug wurden aber auch postoperativ niedrigere Überlebensraten beobachtet. Unter Transplantationsmedizinern verbreitet sich international162 wie national163 die Auffassung, dass Patienten mit dem maximalen MELD-Score von 40 „mit großer Regelmäßigkeit das transplantierte Organ mit ins Grab nehmen“164 würden, sodass eine Organzuteilung bei einem niedrigeren Wert von 30 – 35 wegen der dann wesentlich besseren Überlebenswahrscheinlichkeit medizinisch sinnvoller sei. Einige medizinische Studien weisen tatsächlich auch darauf hin, dass bis zu einem Score von 30, also einer Mortalitätswahrscheinlichkeit von 49 % keine signifikanten Unterschiede bei der Erfolgsaussicht nach der Transplantation bestehen,165 aber ab einem MELD-Wert von 35 (80 %ige Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten drei Monate zu versterben) verminderte Erfolgsaussichten beobachtet werden. Aus diesem Grund wird vermehrt erwogen, ab dem Schwellenwert von 35 gar nicht mehr zu transplantieren, respektive den MELDScore wieder sinken zu lassen.166 Allerdings bestehen widersprüchliche Ergebnisse der experimentellen und klinischen Studien. Mehrere Studien konnten die schlechten Erfolgsaussichten ab einem MELD-Wert ab 35 nicht bestätigen. Darüber hinaus betrug die Ein-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit einem MELD-Wert ab 35 immerhin 73 %.167 In einer weiteren Studie überlebten 68,8 % der Empfänger mit einem MELD-Score über 35, sodass teilweise gar von exzellenten Ergebnissen 160

Es wird daher die Anwendung anderer Scores diskutiert. Wie beispielsweise der sog. sequential organ failure assessment („SOFA“-Score) vgl. Wang et al., SOFA Score Can Effectively Predict the Incidence of Sepsis and 30-Day Mortality in Liver Transplant Patients: A Retrospective Study, Advances in Therapy, 2019, 645 ff. 161 So ausdrücklich: Greif-Higer, Wer bekommt ein Organ? Zuteilungskriterien der Transplantationsmedizin im Streit-Die Perspektive der Patienten, Öffentliche Plenarsitzung des Deutschen Ethikrats, 26. September 2013, S. 9. 162 Dutkowski et al., Challenges to liver transplantation and strategies to improve outcomes. Gastroenterology, 2013, 307 ff. 163 Weismüller et al., Multicentric evaluation of Model for End- Stage Liver Disease-based allocation and survival after liver transplantation in Germany-limitations of the ,sickest first‘concept. Transpl Int, 2011, 91 ff. 164 OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. März 2013 – Ws 49/13 –, juris. 165 Schmidt, Lebertransplantation: Eine faire Chance für jeden, Dtsch. Ärztebl. 2007, A2324. 166 Ahlert et al., Prioritätsänderung in der Allokation postmortaler Spenden-LebernGrundsätzliche und aktuelle Fragen, S. 8. 167 Quante et al., Five-year-experience with high-MELD recipients – Single-centre results and re-evaluation of prognostic models for postoperative survival, Workshop für experimentelle und klinische Lebertransplantation und Hepatologie, Transplantationsmedizin Supplement 2012, 13 f.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

gesprochen wird.168 Demnach korreliert ein hoher MELD-Score nicht zwangsläufig mit einem schlechteren Ergebnis nach der Transplantation.169 Zwar mag mit einem erhöhten MELD-Score eine Kostenerhöhung durch einen höheren Verbrauch von Erythrozytenkonzentraten (Bluttransfusionen) intraoperativ und ansteigender Dialysepflichtigkeit der Patienten nach der Operation in der Intensivmedizin verbunden sein.170 Ein absoluter Ausschluss der Patienten mit einem MELD-Score von 35 von der Organzuteilung erscheint insbesondere vor dem Hintergrund fragwürdig, dass ein erhöhter MELD-Score nach mehreren Studien als Prädikator für das Überleben nach der der Transplantation ausscheidet. Dies verwundert wenig, da der MELD-Score lediglich als Prognoseinstrument zur Vorhersage der Mortalität vor der Lebertransplantation entwickelt wurde. Auch ist offensichtlich, dass Einzelpatienten mit einem MELD-Wert über 30 nicht unbedingt klinisch vergleichbar sind.171 Zudem legen Studien nahe, dass für Patienten mit einem hohen labMELD Score eher ein eingeschränkt vermittelbares172 Organ akzeptiert werden sollte, als eine längere Wartezeit in Kauf zu nehmen.173 Um nicht nur die präoperative, sondern auch die postoperative Erfolgsaussicht miteinbeziehen zu können, ist in den USA mit dem sog. „Survival Outcomes Following Liver Transplant“ (SOFT)-Score ein Instrument entwickelt worden, das neben dem MELD Score insgesamt 18 Spender- und Empfängerspezifische Kriterien mitberücksichtigt. Der SOFT-Score ist darauf angelegt, die ersten drei Monate nach der Transplantation vorherzusagen. Der Score soll den Ärzten ermöglichen, die Wartelistensterblichkeit nach drei Monaten, wie sie durch den MELD-Wert vorhergesagt wird, gegen die 3-monatige Sterblichkeit nach Lebertransplantation, wie sie durch den SOFT-Wert vorhergesagt wird, abzuwägen, um festzustellen, welche Kandidaten für eine Lebertransplantation in Betracht zu ziehen sind.174 Daneben werden weitere Modelle für eine Prognose des Überlebens nach der Transplantation diskutiert, etwa der sog. „Balance of risk score“ („BAR“) oder der in Deutschland

168

Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen-Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 220. Ganten, Gleichheit und Ungleichheit bei der Lebertransplantation, Marsiliuskolleg, S. 124. 170 Neuhaus, Ist die Leberallokation mit dem MELD-Score der richtige Weg?, in: Middel/ Pühler/Lilie/Vilmar, Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, S. 180 f. 171 Weismüller et al., Multicentric evaluation of model for end-stage liver disease-based allocation and survival after liver transplantation in Germany – limitations of the ,sickest first‘concept, 2011, 91 ff. 172 Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 4. b) aa). 173 Rauchfuß et al., Die Wartezeit, nicht der Donor-Risk-Index, ist eine bestimmende Variable fu¨ r das Outcome nach Lebertransplantation bei Patienten mit einem lab-MELD > 35, Workshop für experimentelle und klinische Lebertransplantation und Hepatologie, Transplantationsmedizin Supplement 2012, 12 f. 174 Rana et al., Survival Outcomes Following Liver Transplantation (SOFT) Score: A Novel Method to Predict Patient Survival Following Liver Transplantation, American Journal of Transplantation 2008, 2537 ff. 169

II. Deskription des Richtliniensystems

181

entwickelte „Survival after liver transplantation“ („SALT“) Score.175 Allerdings weisen mehrere Studien daraufhin dass, weder BAR-Score noch SALT-Score irgendeine Vorhersagekraft hinsichtlich der Überlebensdauer aufweisen.176 Zweifelhaft ist darüber hinaus, ob die postoperative Erfolgsaussicht in dem geplanten Maße rechtlich überhaupt auf Ebene der konkreten Organvermittlung berücksichtigt werden darf. Jedenfalls wird die Frage, ob die bereits im Rahmen der Dringlichkeit berücksichtigte Erfolgsaussicht durch die Anwendung der Mailand-Kriterien,177 rechtlich zulässig ist, noch zu beantworten sein. dd) Faktoren der Chancengleichheit Hinsichtlich des ungeschriebenen Organallokationskriteriums der Chancengleichheit178 heißt es in den allgemeinen Grundsätzen für die Vermittlung postmortal gespendeter Organe der Richtlinien der BÄK zur Wartelistenführung und Organvermittlung, dass die Vermittlung insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit erfolgen und „dem Grundsatz der Chancengleichheit entsprechen“ muss. Diesem Prinzip diene insbesondere die gesetzlich vorgeschriebene bundeseinheitliche Warteliste.179 Die BÄK konkretisiert das Kriterium der Chancengleichheit ferner als die Aussicht auf ein Organ unabhängig „insbesondere Wohnort, sozialem Status oder finanzieller Situation“. Ferner sollen „schicksalhafte Nachteile“ einzelner Patienten durch entsprechende Regelungen ausgeglichen werden.180 Eine solche Regelung stellen etwa die spezifischen Regelungen für Träger seltener Blutgruppen (Blutgruppe B) bzw. strukturell benachteiligter Blutgruppen (Blutgruppe 0) im Rahmen der Blutgruppenkompatibilität dar.181 Auch das für alle Organarten festgelegte Kriterium der Wartezeit ist Ausdruck des Grundsatzes der Chancengleichheit, da die Chance eines Patienten auf den Erhalt eines Organs mit

175

Weismüller et al., Prediction of survival after liver transplantation by pre-transplant parameters, Scand J Gastroenterol 2008, 736 ff.; Weismüller et al., Multicentric evaluation of model for end-stage liver disease-based allocation and survival after liver transplantation in Germany – limitations of the ,sickest first‘-concept, 2011, 91 ff. 176 Reichert et al., Value of the preoperative SOFT-score, P-SOFT-score, SALT-score and labMELD-score for the prediction of short-term patient and graft survival of high-risk liver transplant recipients with a pre-transplant labMELD-score +30, Ann Transplant, 2012, 11 ff. 177 Vgl. Glp. II. 2. b) bb) (1). 178 Vgl. Glp. II. 2. a) dd). 179 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. II. 1. c. 180 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. II. 1. f. 181 Vgl. Glp. II. 2. b) aa). So bereits Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 199; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 286.

182

Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

zunehmend abgeleisteter Wartezeit, unabhängig von seinen individuellen Eigenschaften, steigt.182

III. Rechtliche Analyse 1. Gerichtliche Aufarbeitung des Organallokationsskandals Die abschließende Entscheidung und strafprozessuale Aufarbeitung des „Göttinger Transplantationsskandals“183 durch den 5. Strafsenat des BGH im Sommer 2017 hat den Fokus der Wissenschaft abermals auf die Richtlinie der BÄK zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung zur Lebertransplantation nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 5 TPG gelenkt und darüber hinaus bundesweit mediale Aufmerksamkeit erregt. Zusammen mit der vorangegangenen Entscheidung des Landgerichts Göttingen184 stellt sie eine bedeutende Zäsur im Transplantationsrecht dar. Erstmalig seit Existenz der BÄK-Richtlinien hat sich der BGH mit den spezifischen Allokationskriterien in der Leberrichtlinie auseinandergesetzt. Ihrer Tragweite entsprechend sind die Entscheidungen auf große Resonanz gestoßen, wobei insbesondere die strafrechtliche Bewertung des BGH im Vordergrund des Diskurses stand. Die beiden Urteile geben hier den Anlass zu einer erneuten Betrachtung. Für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist die verfassungsrechtliche Bewertung der Gerichte von besonderem Interesse. a) Die aufsehenerregende Entscheidung des LG Göttingen Der Verdacht auf Regelwidrigkeiten im Göttinger Universitätsklinikum und die später von der PÜK dort tatsächlich aufgedeckten Unregelmäßigkeiten riefen die Staatsanwaltschaft auf den Plan, die nach ihren Ermittlungen hinsichtlich des dortigen Lebertransplantationsprogrammes und möglicher Richtlinienverstöße185 am 29. Mai 2013 schließlich Anklage186 gegen den ehemaligen Leiter der Transplantationsmedizin vor dem Landgericht Göttingen erhob. Auf Grund eines Haftbefehls des OLG Braunschweig vom 11. 01. 2013 (7 Gs 45/13) befand sich der beschuldigte Transplantationschirurg wegen bestehender Fluchtgefahr zu diesem Zeitpunkt be-

182 Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 446; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 286. 183 Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 5. b). 184 Die ungekürzte Originalfassung der Entscheidung des LG Göttingen umfasst 598 Seiten. Das Urteil wird daher ausschließlich nach juris zitiert. 185 Gegen die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, in der Fassung vom 18. Dezember 2009. 186 Az.: 405 Js 1933/12.

III. Rechtliche Analyse

183

reits in Untersuchungshaft. Nach Ablehnung der Beschwerde187 des Transplantationsmediziners gegen die Haftanordnung durch das OLG Braunschweig begann schließlich am 19. 8. 2013188 vor der 6. Großen Strafkammer des LG Göttingen die Hauptverhandlung. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wurde dem Beschuldigten insbesondere auf Grund von Manipulationen der Warteliste und Falschangaben zu Patienten gegenüber ET vorgeworfen. Durch die Veranlassungen des Transplantationschirurgen seien „seine“ Patienten im „Dringlichkeitswettbewerb“189 mit anderen Patienten bevorzugt berücksichtigt worden. Mit ihrer Anklage legte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten im Einzelnen konkret zur Last, in seinem Tätigkeitszeitraum vom Oktober 2008 bis Oktober 2011 insgesamt vierzehn Straftaten verwirklicht zu haben. In elf Fällen lautete der Tatvorwurf versuchter Totschlag und in weiteren drei Fällen Körperverletzung mit Todesfolge. aa) „Manipulationsfälle“ Hinsichtlich der Anklagevorwürfe unterteilte das LG Göttingen die insgesamt vierzehn Fälle zunächst in elf sog. „Manipulationsfälle“ und in drei sog. „Indikationsfälle“.190 In den elf Manipulationsfällen wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, durch die Übermittlung (bzw. die Anweisung zur Übermittlung) von unrichtigen Gesundheitsdaten gegenüber ET sowie durch Verstöße gegen die zum Tatzeitpunkt geltende Richtlinie der BÄK zur Lebertransplantation für die verfahrensgegensta¨ ndlichen Patienten eine postmortale Leberspende erhalten und jeweils transplantiert zu haben. Innerhalb der Manipulationsfälle differenzierte das Gericht wiederum zwischen den Richtlinienversto¨ ßen, die bereits die Aufnahme der Patienten auf die Warteliste betrafen (bzw. die Aufnahme erst ermöglichten) und den Falschangaben gegenüber ET, die zu einer Erhöhung des MELD-Wertes und damit zu einer veränderten Rangfolge auf der Match-Liste führten. Nach den Tatsachenfeststellungen des LG Göttingen bewirkte der angeklagte Chirurg in fünf Fällen die Aufnahme von mehreren Patienten auf die Warteliste zur Lebertransplantation, bei denen eine sechsmonatige Alkoholabstinenz nicht oder nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte, was ihm auch bekannt gewesen sei. In einem weiteren Fall habe eine Aufnahme auf die Warteliste stattgefunden, obwohl bei diesem Patienten durch das extrahepatische Tumorwachstum seines HCCs eine „Einschränkung der Aufnahme auf die Warteliste“191 bestanden habe. Die übrigen Fälle betrafen Mel187

Seiner gegen die Haftanordnung gerichteten Beschwerde vom 11. 1. 2013 hat das Amtsgericht nicht entsprochen. Das Landgericht Braunschweig hat die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt und die Beschwerde als unbegründet verworfen. Vgl. LG Braunschweig, 11. Februar 2013, 9 Qs 20/13. 188 OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. März 2013 – Ws 49/13 –, juris. 189 Duttge, Manipulationen in der Transplantationsmedizin und die Frage nach ihrer angemessenen Sanktionierung, ZFL 2017, 130 (130). 190 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 16. 191 Zu den in der Richtlinie geregelten Einschränkungen auf die Warteliste vgl. Glp. II. 1. b) bb) (2) (b).

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

dungen an ET zu tatsächlich nicht durchgeführten Nierenersatztherapien, die durch die damit einhergehende gestiegene Dringlichkeit zu höheren Rangplätzen der jeweiligen Patienten auf der ET-Matchliste führten. Bereits die damals geltende Richtlinie aus dem Jahr 2009 legte bei einer Dialysepflichtigkeit den höchstmöglichen Kreatininwert des Patienten zur Berechnung des labMELD192 auf 4,0 mg/dl fest. Die zuständige Transplantationskoordinatorin habe auf Anweisung des angeklagten Transplantationsmediziners dabei jeweils ein „yes“ bei dem in ENIS vorgesehenem Feld „Renal Replacement Therapy 2x/week“ eingetragen. Bei vier der Manipulationsfälle193 wurde ferner neben der Aufnahme auf die Warteliste durch dieses Vorgehen auch die Dringlichkeit erhöht, sodass beide „Manipulationen“ kombiniert vorlagen. bb) „Indikationsfälle“ Bei den sog. Indikationsfällen sei eine Lebertransplantation vorgenommen worden, obwohl bei diesen drei Patienten jeweils keine medizinische Indikation für eine Lebertransplantation bestanden habe.194 Die Transplantationen seien ohne medizinische Notwendigkeit (in einem Fall bereits bei dem niedrigsten MELD-Wert von 6 % Mortalitätswahrscheinlichkeit in drei Monaten) erfolgt, wobei dem Angeklagten bewusst gewesen sei, dass die Risiken einer Transplantation den möglichen Nutzen überwogen hätten.195 Die Komplikationen infolge der Lebertransplantation hätten ferner in einem Fall zu einer erneuten Listung und Retransplantation des Patienten geführt, blieben angesichts der bereits schweren Schädigung des Patienten allerdings ohne Erfolg. Der Patient verstarb wenig später. cc) Rechtliche Bewertung des LG Göttingen Ergebnis des Göttinger Strafprozesses ist ein monumentales Urteil, das in seiner gekürzten und anonymisierten Fassung noch ganze 471 Seiten umfasst. Der angeklagte Arzt wurde vom LG Göttingen von allen Tatvorwürfen sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Hinsichtlich der drei Indikationsfälle fand ein Freispruch aus tatsächlichen Gründen statt.196 Bei der Prüfung einer Straftat zu Lasten der Organempfänger hat das LG Göttingen ausschließlich auf die vorliegenden (hypothetischen) Einwilligungen der Patienten in die Lebertransplantation abgestellt. Die durch die Transplantation verwirklichte Körperverletzung sei durch die wirksamen Einwilligungen der Patienten gerechtfertigt.197 192 193

113 f. 194 195 196 197

Zum labMELD vgl. Glp. II. 2. b) cc) (2). LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 90 f., 99 f., 103 f., 106 f., LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 125 f. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 128. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 2791. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 191.

III. Rechtliche Analyse

185

Von den insgesamt elf Manipulationsfällen wurde eine Strafbarkeit des Angeklagten vom LG Göttingen in dreien aus tatsächlichen und in den restlichen acht aus rechtlichen Gründen verneint. Bereits seit Bekanntwerden der Organallokationsskandale im Jahr 2012 stellte sich im strafrechtlichen Schrifttum die zentrale und dogmatisch kontroverse Streitfrage, ob Falschangaben gegenüber ET und Verstöße gegen die Richtlinien der BÄK und die damit verbundene Zuweisung eines Organs an einen Patienten, dem es (noch) nicht „zusteht“, strafbares (versuchtes) (Tötungs-) Unrecht darstellen können.198 Nach Ansicht des LG Göttingen (mit Verweis auf die Auffassung von Bülte)199 bezwecke der Schutzzweck der Organzuteilungsregelungen des § 12 Abs. 3 TPG i. V. m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG gerade nicht die Verhinderung des Todes eines bestimmten Patienten.200 Vielmehr sei der allgemeine Schutz menschlichen Lebens sowie die Wahrung der Verteilungsgerechtigkeit als Ausdruck der Menschenwürde bezweckt.201 Ferner folgt die Kammer der u. a. von Bader202 und anderen Vertretern in der Literatur vertretenen Ansicht, es bestehe kein subjektives Recht des Einzelnen auf ein Organ, sondern lediglich ein derivatives Teilhaberecht am Organverteilungssystem mit der Konsequenz, dass ein Straftatbestand, der auf den Individualschutz gerichtet sei, nicht durch die Manipulation von Organzuteilungsentscheidungen verwirklicht werden könne.203 Schließlich sei § 12 Abs. 3 TPG zu unbestimmt, um aus den teilweise widersprüchlichen und nicht abschließend aufgezählten Kriterien der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit eine strafrechtliche Verantwortung begründen zu können. Die erst auf Ebene der Richtlinien der BÄK getroffenen Konkretisierungen genügten nicht dem Grundsatz des 198 Vgl. dazu: Streng-Baunemann, Manipulation der Zuteilungsreihenfolge bei Spenderorganen (in den Jahren 2010 – 2012) als versuchter Totschlag?, in: FS Streng, 2017, S. 767 ff.; Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation der Leberallokation, NStZ 2014, 486 ff.; Bornhauser, Die Strafbarkeit von Listenplatzmanipulationen S. 271 ff.; Haas, Strafbarkeit wegen (versuchten) Totschlags durch Manipulation von Patientendaten im Bereich der Leberallokation?, HRRS 2015, 384 ff.; Verrel, Manipulation von allokationsrelevanten Patientendaten – ein (versuchtes) Tötungsdelikt?, MedR 2014, 464 ff.; Jäger, Der Transplantationsskandal: Moralisch verwerflich, aber straflos?, JA 2017, 873 ff. 199 Bülte, Manipulation der Zuteilungsreihenfolge eines Spenderorgans zur Ermöglichung einer Transplantationsbehandlung, StV 2013, 749, (755). 200 So bereits: Schroth, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulationen bei der Leberallokation, NStZ 2013, 437 (443). 201 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 2051. A. A. Bornhauser, Die Strafbarkeit von Listenplatzmanipulationen, S. 196 f. und Rissing-van Saan, Der sog. „Transplantationsskandal“ – eine strafrechtliche Zwischenbilanz NStZ 2014, 233 (244). Ebenso das OLG Braunschweig (im Haftbeschwerdeverfahren) vgl. OLG Braunschweig 1. Strafsenat, Beschluss vom 20. 3. 2013, Ws 49/13; kritisch zur rechtlichen Bewertung des OLG: Fateh-Moghadam, Anmerkung zu OLG Braunschweig, Beschl. v. 20. 3. 2021 3-Ws 49/13, MedR 2014, 661 (666). 202 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297 aber auch Dannecker/Streng, Rechtliche Mo¨ glichkeiten und Grenzen einer an den Erfolgsaussichten der Transplantation orientierten Organallokation, JZ 2012, 444 (445). 203 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13, – juris, Rn. 44, 66, 1835, 1836, 1837, 1856.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Art. 103 Abs. 2 GG. Ginge man zudem von einer Verfassungswidrigkeit der Regulierung der Organverteilung nach § 12 Abs. 3 TPG aus, und stünde ferner die Verfassungswidrigkeit und die damit einhergehende Unverbindlichkeit der diesen konkretisierenden Richtlinie im Raum, erscheine eine Strafbarkeit durch Manipulationen am verfassungswidrigen System als unangemessen.204 Ausweislich der Urteilsbegründung verneint die Kammer Tötungsunrecht folglich auch deswegen, weil die betreffenden Kriterien zur Einschränkung der Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation verfassungswidrig seien. In der verfassungsrechtlichen Bewertung nimmt die Kammer durch die Normierung eines absoluten Ausschlusstatbestandes für Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose vor Ablauf von sechs Monaten Abstinenzzeit betreffend die Aufnahme auf die Warteliste zur Lebertransplantation einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG an und erklärt die entsprechende Klausel folglich als verfassungswidrig und rechtlich unverbindlich.205 Das Gericht lässt dabei ausdrücklich offen, ob die Richtlinien schon mangels formal korrekter Beleihung als unverbindlich anzusehen sind.206 Die Alkoholklausel sei jedenfalls „unzweifelhaft materiell verfassungswidrig“.207 Es bestehe ein Teilhaberecht des Patienten am Organverteilungssystem, das Bezüge sowohl zu Art. 3 Abs. 1 GG als auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aufweise, sodass Patienten, die eine Lebertransplantation zum Überleben benötigten, ein Recht auf Zugang zur Warteliste nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG hätten.208 Dies sei auch unabhängig davon, ob sie die in der Richtlinie der BÄK normierten Voraussetzungen erfüllten. Bei der Rechtfertigung der zwangsweisen Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG bewirke der Bezug zum Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 GG, wiederum in Verbindung mit Art. 1 GG, dass der Grundsatz der Lebenswertindifferenz zu beachten sei. Zur Entkräftung der medizinischen Argumente209 für eine Alkoholkarenz stützt die sachverständig beratene Kammer die Begründung des Verfassungsverstoßes insbesondere auf die Aussagen mehrerer Transplantationsmediziner. Nach Auffassung der Gutachter sei eine Leberzirrhose irreversibel und bleibe trotz eingehaltener Alkoholabstinenz mit all ihren Risiken bestehen.210 Sie sei nicht rückbildungsfähig und jederzeit könne es zu einer le204 So Schroth, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulationen bei der Leberallokation, NStZ 2013, 437 (443); Schroth/Hofmann, Zurechnungsprobleme bei der Manipulation der Verteilung lebenserhaltender Güter, in: FS Kargl, S. 540. Darüber hinaus sei wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes des Art. 103 Abs. 2 GG der durch das BeitragschG eingeführte (und vom Schrifttum als unzureichend kritisierte) § 19 Abs. 2 TPG nicht anwendbar, vgl. zur Kitik an § 19 Abs. 2 TPG: Schroth, § 19 Abs. 2a TPG – ein missglückter medizinstrafrechtlicher Schnellschuss, MedR 2013, 645 ff. 205 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 1832. So bereits: Höfling, Grundstrukturen des Rechts der Transplantationsmedizin, Medstra 2015, 85 (92). 206 Vgl. viertes Kapitel, Glp. I. 4. b) bb). 207 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 1834. 208 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 1836, 1837. 209 Dazu sogleich vgl. Glp. 2. a). 210 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 1843.

III. Rechtliche Analyse

187

bensgefährlichen Dekompensation der Leber oder der Bildung eines HCC kommen. Auch das Argument eines etwaigen erhöhten Rückfallrisikos wurde von den Sachverständigen nicht bestätigt. So wiesen ausländische Studien ohne gleichartige Klausel ähnliche Rückfallquoten von 20 – 25 % auf.211 Selbst bei Annahme einer höheren Rückfallquote von 50 % sei ein Transplantatverlust durch erneuten schweren Alkoholkonsum mit ca. 4 % Rückfälligen die Ausnahme. Das LG Göttingen gelangt schließlich zu der Feststellung, dass eine absolute Abstinenzpflicht zumindest für Patienten, die diesen Zeitraum nicht überleben würden, nicht medizinisch begründet sei, zumal die Richtlinie der BÄK keine Ausnahmeregelung für die betreffenden Fälle enthalte.212 Darüber hinaus mangele es auch am Tötungsvorsatz, hinsichtlich der „überholten“ Patienten. Eine Strafbarkeit scheitere an dem voluntativen Element des Vorsatzes und an der mangelnden Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs. Hinsichtlich des erstverdrängten Patienten scheide eine Strafbarkeit mangels voluntativen Vorsatzelementes aus. Der Angeklagte habe darauf vertraut, dass der „erstüberholte“ Patient noch ein Erstangebot erhalten werde. Für die nachfolgend (zweitund drittverdrängten usw.) verdrängten Patienten bestehe auf Grund der Komplexität des Zuteilungsverfahrens bereits keine Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufes, sodass es bereits am kognitiven Vorsatzelement fehle.213 Gegen das Urteil des LG Göttingen legte Staatsanwaltschaft Revision beim BGH ein und beanstandete den Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des achtfachen214 Totschlags. b) Die BGH Entscheidung vom 28. Juni 2017 Mit Urteil vom 28. Juni 2017 bestätigte der BGH den Freispruch des erstinstanzlichen Urteils.215

211

LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 1852. Das Urteil bezieht sich auf die Klausel in ihrer damaligen Form. Zur erfolgten Anpassung der Klausel sogleich vgl. Glp. c). 213 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13,– juris, Rn. 2141 ff. 214 Von den vierzehn Fällen aus dem erstinstanzlichen Verfahren waren beim BGH nur noch die acht der Manipulationsfälle verfahrensgegenständlich, bei denen das LG Göttingen den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen hatte. 215 Auch die Staatsanwaltschaft Leipzig hat im Rahmen des Organallokationsskandals Anklage gegen zwei ehemalige Oberärzte an der Uniklinik Leipzig erhoben. Ihnen wurde gemeinschaftlicher versuchter Totschlag in 31 Fällen vorgeworfen. Das OLG Dresden hat jedoch (nach Freispruch des Chirurgen im Fall Göttingen) den Fall nicht zur Verhandlung angenommen und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 2. Mai 2018 – 2 Ws 137/18 –, juris. 212

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

aa) „Wartelisten- und Manipulationsfälle“ Der BGH nahm eine erneute Unterteilung der vom LG Göttingen bezeichneten Manipulationsfälle in sog. „Wartelistenfälle“ und „Manipulationsfälle“ vor.216 Die Fälle, bei denen eine Aufnahme auf die Warteliste (erste Selektionsentscheidung) zur Lebertransplantation ausweislich der Richtlinie zur Lebertransplantation nicht hätte erfolgen dürfen, ordnet der BGH den zwei Wartelistenfällen zu. Die Manipulationsfälle betrafen hingegen die Patienten, die bereits gelistet waren, aber nur auf Grund einer Falschmeldung an ET ein Organ erhielten (zweite Selektionsentscheidung). bb) Rechtliche Bewertung durch den BGH Der BGH hat sich zunächst insoweit der Auffassung des LG Göttingen angeschlossen, als eine Verletzung der durch oder auf Grund des Transplantationsgesetzes getroffenen Regularien zur Allokation von postmortal gespendeten Lebern kein Tötungs- oder Verletzungsunrecht zu begründen vermöge. Diese Feststellung gelte zumindest für die Wartelistenfälle.217 Den primären strafrechtlichen Diskussionsschwerpunkt bezüglich der mangelnden objektiven Zurechenbarkeit auf Grund des Schutzzweckes der Transplantationsvorschriften, die (wie das LG Göttingen festgestellt hatte) lediglich „Ausdruck eines Gerechtigkeitsprinzips“218 seien und deren Schutzrichtung nicht auf die Verhinderung von Tötungs- und Verletzungsdelikten gerichtet sei, ließ das Gericht unbeantwortet. Auch der zweite Ansatz, der für die Verwirklichung von Tötungs- und Verletzungsunrecht durch die Manipulation einen rechtlich gesicherten Anspruch des übergangenen Patienten auf Zuteilung eines Spenderorgans verlangt und dem das lediglich einen derivativen Teilhabeanspruch219 gewährende TPG nicht genüge, wird vom BGH als ein möglicher Grund für eine fehlende Zurechenbarkeit angeführt, letztlich aber ohne weitergehende Ausführungen ebenfalls offengelassen. Vielmehr misst der BGH der verfassungsrechtlichen Problematik um die „Ausschlussklausel“ die primäre Entscheidungserheblichkeit hinsichtlich der Wartelistenfälle bei. Eine Bestrafung des angeklagten Transplantationschirurgen scheide auf Grund des in Art. 103 Abs. 2 GG garantierten Gesetzlichkeitsprinzips aus.220 Wie 216 BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 27 ff. Rosenau/Lorenz sprechen von Manipulationsfällen im engeren und weiteren Sinne, vgl. Rosenau/Lorenz, Der Schlussakt des „Göttinger Organallokationsskandals“ – Neues, bekanntes und (zu) viel Offenes, JR 2018, 168 (169). 217 BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 30 ff. 218 Formulierung bei: Schroth/Hofmann, Zurechnungsprobleme bei der Manipulation der Verteilung lebenserhaltender Güter, in: FS Kargl, S. 537. 219 Vgl. dazu Glp. 3. b) bb). A. A. Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, Versuchter Totschlag durch Manipulation der Organzuteilung für Transplantationen?, JZ 2018, 32 (33). 220 BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 30. Kritisch dazu Henkel, Zur Reichweite von Art. 103 Abs. 2 GG bei normbezogenen Tatbeständen, HRRS 2018, 273 (277 f.)

III. Rechtliche Analyse

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bereits das erstinstanzliche Gericht vertritt auch der BGH die Ansicht, dass die „in der Tendenz gegenläufigen Kriterien der Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ keine annähernd bestimmten Vorgaben für die Ausgestaltung der Regeln in den Richtlinien der BÄK enthielten und nicht erkennbar sei, welche konkreten Handlungs- oder Unterlassungspflichten damit verbunden seien.221 Damit werde dem strengen Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG sowie Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG nicht genüge getan. So heißt es: „Einen annähernd bestimmten gesetzgeberischen Auftrag für die Normierung eines strikten und mit repressiver Sanktion zu bewehrenden Ausschlusstatbestandes betreffend Alkoholkranke enthält die Regelung nicht.“222 Ein solcher Ausschluss ergebe sich auch nicht aus der Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft durch die BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG. Die Ausschlussklausel entspringe auch keinem „medizinisch-naturwissenschaftlichen Erfahrungssatz,“ der einer postmortalen Lebertransplantation vor Ablauf der sechsmonatigen Karenzfrist entgegenstünde. Eine Auslegung derart, dass der bloß „formale“ Richtlinienverstoß eine strafrechtliche Bewehrung nach sich zöge und so der Totschlagstatbestand als ein durch die „Richtlinienbestimmung ausgefülltes Blankett“ anzusehen sei, verstieße gegen das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG.223 Ferner teilt der BGH ebenfalls die inhaltlichen Bedenken des LG Göttingen gegen die Alkoholkarenzklausel. Weder das potenzielle Rückfallrisiko alkoholkranker Patienten noch eine Verbesserung der Leberfunktion seien medizinische Gründe für einen absoluten Ausschluss derjenigen Patienten von der Aufnahme auf die Warteliste, bei denen keine sechsmonatige Alkoholabstinenz nachgewiesen sei.224 Medizinischen Gründe könnten die Alkoholkarenzklausel in ihrer verfahrensgegenständlichen Form daher nicht begründen. Aus diesem Schluss folge die Konsequenz, „dass die „Karenzklausel“ die auf die Festlegung von „Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft“ zielende Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 TPG überschreite und damit schon aus diesem Grunde nicht strafrechtsbegründend wirken könne.“225 Zumindest für Patienten, die eine solche Abstinenzzeit durch ihren akut lebensbedrohlichen Gesundheitszustand nicht überleben könnten, sei die absolut formulierte Alkoholklausel im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG tiefgreifenden Bedenken ausgesetzt. Dieser Feststellung stehe schließlich das Normverwerfungsmonopol des BVerfG nicht entgegen.226 Da es sich bei der Richtlinie um eine Norm unterhalb eines förmlichen Gesetzes handele, sei das

221

BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 34. BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 34. 223 BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 35. 224 BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 36 ff. 225 BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 39. 226 BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, Rn. 40. Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst in einem Beschluss hervorgehoben, dass die Fachgerichte die Richtlinien der Bundesärztekammer auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüfen können und müssen. Vgl. BVerfG, 1 BvR 2271/14, Rn. 4. 222

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Gericht nicht gehindert die Verfassungswidrigkeit in den Gründen seiner Entscheidung festzustellen. c) Reaktion der Bundesärztekammer Wie soeben dargelegt, hat der BGH die pauschale Alkoholkarenzklausel in der Richtlinie der BÄK zur Wartelistenführung und Organvermittlung bei der Lebertransplantation jedenfalls insoweit für verfassungswidrig erklärt, soweit sie Patienten von der Aufnahme auf die Warteliste ausschließt, die eine sechsmonatige Abstinenzzeit gar nicht überleben würden.227 Als Reaktion darauf erfolgte seitens der BÄK eine teilweise Anpassung der Alkoholkarenzklausel, die nunmehr als Zusatz zur ursprünglichen Version einen Ausnahmetatbestand enthält.228 Entsprechend heißt es in dem Zusatz: „Bestehen in begründeten Ausnahmefällen, die insbesondere vorliegen bei akut dekompensierter229 alkoholischer Lebererkrankung, Notwendigkeit und Erfolgsaussicht für die Transplantation, kann die interdisziplinäre Transplantationskonferenz entscheiden, von der Regel abzuweichen, dass der Patient anamnestisch für mindestens sechs Monate völlige Alkoholabstinenz eingehalten hat. Voraussetzung ist, dass die Sachverständigengruppe gemäß (…) dieser Richtlinie dazu Stellung genommen hat.“ Die Entscheidung in einem solchen Fall soll ausweislich der Begründung die interdisziplinäre Transplantationskonferenz des Transplantationszentrums unter Berücksichtigung medizinischer und psychosozialer Erwägungen treffen. Dafür wird sie verpflichtet, von der Sachverständigengruppe eine gutachterliche Stellungnahme anzufordern.230 Die BÄK begründete die Richtlinienänderung allerdings nicht mit einer Einsicht in die aufgezeigte Problematik, sondern gab als Anlass für die Änderung neu entwickelte „diagnostische und therapeutische Verfahren zur Verbesserung der Patientenbetreuung“ an.231 Der gesamte Inhalt der ursprünglichen Klausel232 wurde ferner beibehalten und der Ausnahmetatbestand der Vorschrift angehängt.

227

BGH, Urteil vom 28. Juni 2017, 5 StR 20/16, S. 17. Dtsch. Ärztebl. 2015, A-13. 229 Unter Dekompensation wird der „nicht mehr ausreichende Ausgleich (Kompensation) einer verminderten (organischen) Funktion oder Leistung und die daraus resultierenden Folgen“ bezeichnet. Eine Dekompensation liegt mithin vor, wenn der Körper nicht mehr in der Lage ist, die Symptome beispielsweise einer Organfehlfunktion auszugleichen bzw. zu kompensieren. Vgl. Pschyrembel online, zum Stichwort: „Dekompensation“. 230 Dtsch. Ärztebl. 2015, A-13. 231 Dtsch. Ärztebl. 2015, A-13; BT-Drs. 18/7269, S. 13. 232 Zur vollständigen Klausel vgl. Glp. I. 228

III. Rechtliche Analyse

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d) Reaktionen der Wissenschaft Das BGH Urteil vom 28. Juni 2017 stellt rund fünf Jahre nach Bekanntwerden der Unstimmigkeiten bei der Allokation postmortal gespendeter Lebern den Abschluss der strafrechtlichen Aufarbeitung dar. Das von medizinischer und juristischer Seite mit Spannung erwartete Urteil, das sich erfreulicherweise erstmalig mit der verfassungsrechtlichen Dimension einer (seit Jahren von der einschlägigen Fachliteratur als verfassungswidrig deklarierten) Klausel beschäftigt, vermochte allerdings nicht alle offenen Fragen zu beantworten. Ob der Rechtsauffassung des BGH zuzustimmen ist, wird in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Insbesondere im strafrechtlichen Schrifttum hat die Entscheidung für Kritik und weitere Kontroversen gesorgt.233 Mögen die teilweise als „mutig“234 und „rechtsdogmatische Revolution oder Missverständnis“235 betitelten, insbesondere vorsatzdogmatischen Erwägungen des Senats auch nicht frei von Bedenken sein,236 erscheint der Freispruch des Göttinger Transplantationschirurgen angesichts der bedeutsamen, verfassungsrechtlichen Kritikpunkte gerechtfertigt. Gleichwohl ist ebendieser Teil der Urteilsbegründung Gegenstand heftiger Kritik. So heißt es „diese verfassungsrechtlichen Erwägungen gehören (…) zu den zweifelhaftesten Passagen des Urteils.237 Die Kritiker monieren insbesondere die durch den BGH nicht ausreichend erfolgte Würdigung der medizinischen Hintergründe respektive die mangelnde Berücksichtigung der medizinischen Begründbarkeit der Alkoholkarenzklausel. Vom BGH seien „medizinisch-wissenschaftlich fragwürdige und teilweise falsche Aussagen getroffen“238 worden. Problematisch sei nach Rosenau ferner der Umstand, dass der BGH die entsprechenden Feststellungen des LG Göttingen übernehme, ohne diese „in ihrer Validität überprüfen zu können“.239 So hätten drei der Sachverständigen im Urteil des Landgerichtes die Abstinenzzeit als 233 So beispielsweise Rissing-van Saan, die die Begründung des BGH für „insgesamt mehr als unbefriedigenden, wenn nicht sogar ärgerlich und teils unzutreffend“ hält. Vgl. Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57, (58). Ähnlich auch: Sternberg-Lieben/ Sternberg-Lieben, Versuchter Totschlag durch Manipulation der Organzuteilung für Transplantationen?, JZ 2018, 32 (38). 234 Kudlich, Manipulationen bei der Organverteilung – Göttinger Leberallokationsskandal, NJW 2017, 3249 (3255). 235 Freispruch im Göttinger Transplantations-Skandal, NStZ 2017, 701 (707) mit Anmerkung Hoven. 236 Dezidierte strafrechtliche Kritik bei Ast, Die Manipulation der Organallokation, HRRS 2017, 500 ff. Zustimmend hingegen: Schroth/Hofmann, Zur gegenwärtigen Diskussion über die Strafbarkeit der Manipulation bei der Organverteilung, StV 2018, 747 ff. 237 Rosenau/Lorenz, Der Schlussakt des „Göttinger Organallokationsskandals“ – Neues, Bekanntes und zu viel Offenes, JR 2018, 168 (176). 238 Otto/Rissing-van Saan, Das BGH-Urteil zum Transplantationsskandal aus medizinischer Sicht, MedR 2018, 543 (543). 239 Rosenau/Lorenz, Der Schlussakt des „Göttinger Organallokationsskandals“ – Neues, Bekanntes und zu viel Offenes, JR 2018, 168 (176).

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bestätigt. Den Kritikern ist zuzugeben, dass das Urteil in jüngster Zeit fast ausschließlich aus juristischer Perspektive behandelt worden ist. Dem medizinischen Hintergrund der Alkoholkarenzklausel sowie sonstiger die Aufnahme auf die Warteliste beschränkenden Klauseln ist wenig bis keine Beachtung geschenkt worden. Entgegen vereinzelnd vertretener Auffassungen hat sich die verfassungsrechtliche Problematik durch die erzwungene Änderung einer der verfassungsrechtlich bedenklichen Klauseln nicht erledigt.240 Mag zwar die Alkoholkarenzklausel in ihrer damaligen Fassung heute nicht mehr existieren, resultiert daraus nicht, dass die gerichtliche Kritik nunmehr gegenstandslos geworden ist, da es nicht um die bloße (damalige) Absolutheit der Regelung, sondern vielmehr um deren medizinische Sinnhaftigkeit generell geht. Im folgenden Abschnitt soll anders als dem BGH zuweilen vorgeworfen wird,241 auch der medizinische Hintergrund der Klauseln bei einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung berücksichtigt und der Schwerpunkt der Betrachtungen auf die medizinische Problematik gelegt werden.

2. Vereinbarkeit der Alkoholkarenzklausel und der Mailand-Kriterien mit einfachem Recht Angesichts der im vorherigen Kapitel festgestellten Verfassungswidrigkeit der in § 16 Abs. 1 TPG zugunsten der BÄK normierten Richtlinienkompetenz, ist die Wirksamkeit der Richtlinien für die nachfolgenden Abschnitte zu unterstellen. Wie bereits dargelegt, soll die Aufnahme auf die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und die Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 TPG anhand von Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, mithin nach medizinisch begründeten Regeln erfolgen.242 Was Stand der Erkenntnisse der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ist, legt die BÄK gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2,5 TPG in ihren Richtlinien fest. Bei Schaffung der Ermächtigungsnorm des § 16 TPG, die auf den unbestimmten Rechtsbegriff des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft verweist, hat sich der Gesetzgeber an einer dem Umwelt- und Technikrecht243 entspringenden Regelungskonzeption orientiert, die eine Anpassung an den fortschreitenden technischen Stand unter Einbeziehung der fachkundigen Gremien ermöglicht.244 Neben der medizinischen Basierung erfordert 240 So aber Rosenau/Lorenz, Der Schlussakt des „Göttinger Organallokationsskandals“ – Neues, Bekanntes und zu viel Offenes, JR 2018, 168 (176). 241 Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57, (59); Otto/Rissingvan Saan, Das BGH-Urteil zum Transplantationsskandal aus medizinischer Sicht, MedR 2018, 543 (545 ff.). 242 Vgl. Glp. II. 1. a) aa) und 2. a) aa). 243 Beispiele finden sich im AtomG oder im BImschG. 244 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 379

III. Rechtliche Analyse

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diese Formulierung ferner, dass die Regelung unter Fachleuten im Sinne einer „erdrückenden Mehrheit“ anerkannt ist bzw. ein wissenschaftlicher Konsens besteht.245 Charakteristisch für den „Stand“ ist, dass er als gesichert gilt, mithin keines wissenschaftlichen Diskurses auf Fachkongressen oder in Fachzeitschriften mehr bedarf und Eingang in die medizinische Ausbildung gefunden hat;246 er mithin etwas „bereits Erreichtes“ darstellt.247 Bei einer „uneindeutigen Studienlage“248 mithin, wenn kein Konsens gebildet werden kann, ist auf die Aussagekraft der dahinterstehenden medizinischen Erkenntnisse und den diesen zu Grunde liegenden Evidenzgrad abzustellen.249 Auch in § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V findet sich ein Verweis auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.“ Für den GBA besteht ausweislich der Rechtsprechung des BSG bei der Feststellung des gesetzlichen Tatbestandes kein Beurteilungsspielraum; die Richtlinien des GBA nach § 92 SGB V unterliegen der formellen und inhaltlichen gerichtlichen Überprüfung, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen selbst als untergesetzliche Normen erlassen hätte.250 Erst bei der Konkretisierung des Gesetzes besteht ein eigener Gestaltungsspielraum des GBA. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich insoweit darauf, „ob der Gemeinsame Bundesausschuss auf der Grundlage der zutreffend ausgewerteten Studienlage und unter Berücksichtigung der betroffenen Interessen vertretbar zu der Entscheidung gelangt ist (…)“.251 Übertragt man diese Rechtsprechung auf die Richtlinientätigkeit der BÄK und gesteht ihr einen Gestaltungsspielraum bei dem Kerngehalt der Sachverständigenentscheidung zu, ergibt sich dennoch eine Pflicht zu einer vollständigen Auswertung der Studienlage. Es ist daher zu prüfen, ob die Alkoholkarenzklausel und die Mailand-Kriterien medizinisch-naturwissenschaftlich begründbar sind und ob sie auf Grund der Studienlage den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft als medizinischen Standard abbilden.

a) Alkoholkarenzklausel als Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft Geht es um den eingeschränkten Zugang alkoholkranker Patienten zur Warteliste zur Lebertransplantation, stellt die Alkoholkarenzklausel nach wie vor die in der medizinischen Fachwelt im höchsten Maß diskutierte Regelung dar. So heißt es denn 245

Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 63. Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 61. 247 Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 61. 248 Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57, (59). 249 So Ertl, Der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse, NZS 2016, 889 (890). 250 BSGE 125, 262 ff. 251 Kluth, Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 146. 246

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

auch von medizinischer Seite, dass es keine klare Begründung für die eine Abstinenzzeit vor Lebertransplantationen gebe, und die erhobenen, veröffentlichten Daten widersprüchlich seien.252 Bereits seit Akzeptanz der alkoholinduzierten Leberzirrhose als Indikation für eine Lebertransplantation auf der Konsensuskonferenz253 wiesen medizinische Studien darauf hin, dass diese Patienten nicht nur erfolgreich254 transplantiert werden können, sondern vielmehr, dass sich die Ergebnisse auch ohne Einhaltung einer Abstinenzzeit nicht signifikant von denen abstinenter Patienten unterschieden.255 Von der BÄK werden aber bis heute zur Entkräftung der anhaltenden Kritik zwei medizinische Thesen vorgebracht, die den beschränkten Zugang dieses Patientenkollektivs zur Warteliste zur Lebertransplantation medizinisch begründen sollen. Zum einen wird die strikte Alkoholkarenz mit der Möglichkeit der Remission der Lebererkrankung und zum anderen mit dem erhöhten Rückfallrisiko solcher Patienten und damit vermeintlich schlechteren „long-term“ Erfolgsaussichten durch fortgesetzten Alkoholabusus nach erfolgter Transplantation begründet.256 Die absolute Alkoholabstinenz über sechs Monate stelle „das effektivste Mittel zur Unterbrechung des Krankheitsprozesses dar.“257 Ferner wird angeführt, dass es sich bei der Alkoholabstinenzklausel nicht um einen „deutschen Sonderweg“258 handele und sich diese Beschränkung auch in zahlreichen anderen Ländern finden lasse. Entsprechend der geltenden Standards in den USA und Europa folge unter dem Blickwinkel des „therapeutischen Gesamtzusammenhangs“ die Sinnhaftigkeit der Alkoholkarenzklausel.259 Ob die Klausel allerdings medizinisch begründbar ist, erscheint indes fraglich. 252

130 ff. 253

Neuberger et al., Transplantation for alcoholic liver disease, Journal of Hepatology, 2002

Vgl. Glp. II. 1. b) bb) (2) (a). Teilweise wird sogar von „exzellenten“ Ergebnissen gesprochen. Vgl. Foster et al., Prediction of Abstinence From Ethanol in Alcoholic Recipients Following Liver Transplantation, Hepatology, 1997, 1496 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf dieses Ergebnis ebenfalls bestätigende Studien. 255 So bereits 1989 Kumar et al.: „Contrary to the logical expectation that abstinence before transplantation would improve outcome, this study does not demonstrate a statistically significant difference between the survival of transplant recipients who abstained from alcohol for at least 6 mo before the transplantation and those who did not.“ Orthotopic Liver Transplantation for Alcoholic Liver Disease, Hepatology 1990, 159 (163). 256 Otto/Rissing-van Saan, Das BGH-Urteil zum Transplantationsskandal aus medizinischer Sicht, MedR 2018, 543 (543); Verrel, Manipulation von allokationsrelevanten Patientendaten – ein (versuchtes) Tötungsdelikt?, MedR 2014, 464 ff.; Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57 (58); Rosenau/Lorenz, Der Schlussakt des „Göttinger Organallokationsskandals“ – Neues, Bekanntes und zu viel Offenes, JR 2018, 168 (176). 257 Dtsch. Ärztebl. 2015, A-13. 258 Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57, (59). 259 Dtsch. Ärztebl. 2015, A-13. 254

III. Rechtliche Analyse

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aa) Regenerationspotenzial der Leber Die BÄK sieht es als „erwiesen“ an, dass die Leber im Stadium der Leberzirrhose noch über eine derartige Remissionsfähigkeit verfüge, dass eine Lebertransplantation bei Wahrung sechsmonatiger Abstinenz vermieden werden könne.260 Bei absoluter Alkoholabstinenz seien Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose in der Lage, eine solche Verbesserung zu erreichen, dass sie „für viele Jahre in guter Lebensqualität leben“ könnten, ohne sich den operativen Risiken einer Transplantation aussetzen und der anschließenden, zwingenden Immunsuppressionstherapie unterwerfen zu müssen. Tatsächlich besitzt die Leber ein enormes Regenerationspotenzial. In besonderem Maße tritt dieser Umstand bei der Leberlebendspende261 zu Tage. Von einer gesunden Leber können 60 bis sogar 80 % reseziert werden. Der verbleibende Teil der Leber kompensiert die Funktion (sog. funktionelle Lebereserve) und hat nach einem Jahr wieder mindestens 75 % ihres Ausgangsvolumens erreicht.262 Die Regenerationsfähigkeit der Leber hängt aber stark von dem jeweiligen Krankheitsbild ab, sodass das Erholungspotenzial bei unterschiedlichen Indikationen variiert. (1) Alkoholbedingte Lebererkrankungen Alkoholmissbrauch bzw. Alkoholabhängigkeit stellt eines der größten gesundheitspolitischen Probleme dar.263 Die Alkoholkrankheit ist eine sehr komplexe Erkrankung, der biologische, psychische und soziale Faktoren zu Grunde liegen (sog. multifaktorielle Genese).264 Die „alcoholic liver disease“ (ALD)265 beschreibt einen Formenkreis von verschiedenen Lebererkrankungen, die mit Alkoholkonsum in 260

Dtsch. Ärztebl. 2015, A-13. Häufig wird dieses Verfahren bei Eltern und ihren Kindern durchgeführt. Bei dem spendenden Elternteil kann die Leber nach der Resektion wieder bis 90 % der Ursprungsgröße erreichen. Zunehmend wird die Leberlebendspende aber auch bei Erwachsenen durchgeführt, wobei auch eine temporäre und dann heterotope Transplantation zur Regeneration der Leber des Patienten möglich ist. Nach Regeneration wird der fremde Leberteil wieder entfernt. Vgl. Müller, Chirurgie, S. 250. 262 Müller, Chirurgie, S. 238. 263 Die WHO führt dazu aus: „The WHO European Region has the highest level of alcohol consumption in the world, in part driven by high consumption in the central and eastern parts of the Region. Consequently, the alcohol attributable disease burden is also high. Approximately 70 % of the adults in the WHO European Region drink alcohol. On average, Europeans consume 10.7 litres of pure alcohol per year“. Vgl. Fact Sheet Alcohol der WHO. 264 So kann der Sohn eines alkoholabhängigen Vaters eine erhöhte Toleranz gegenüber Alkohol aufweisen (keinen „Hangover“ etc.). Dieser Umstand macht Alkohol für diese Personen noch attraktiver. Vgl. Alleman et al., Transplantation for alcoholic liver disease: the wrong arguments, Swiss Med Wkly 2002, 296 ff. 265 Teilweise wird auch der Begriff „alcohol-related liver disease (ARLD)“ verwendet. Vgl. dazu die Homepage des NHS UK. Im Internet brufbar unter: https://www.nhs.uk/conditions/alco hol-related-liver-disease-arld. 261

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Verbindung gebracht werden können. Im deutschen Sprachgebrauch ist der Oberbegriff ALD am ehesten mit alkoholischer Leberkrankheit zu übersetzen.266 Unter die ALD fallen verschiedene, individuelle und scharf voneinander abzugrenzende Krankheitsbilder. Im Einzelnen sind dies: – die alkoholische Fettleber (AFL); – die alkoholische Hepatitis (AH) und – die alkoholtoxische Leberzirrhose.267 Die alkoholische Fettleber, auch Steatosis Hepatitis268 genannt, tritt mit einer Prävalenz von 5 – 10 % in der Bevölkerung Westeuropas auf und ist histologisch durch eine Fetteinlagerung in den Leberzellen (Hepatozyten) gekennzeichnet. Ursächlich für die alkoholische Fettleber ist ein erhöhter Alkoholkonsum, der über die Alkoholtoleranz der Leber hinausgeht. Therapeutisch ist die einzig wirksame Maßnahme die absolute Alkoholkarenz. Bei Einhaltung einer Alkoholabstinenz zeigt sich meist (innerhalb von vier bis sechs Wochen) eine vollständige Rückbildung der veränderten Leberzellen hin zum physiologischen (gesunden) Zustand der Leber.269 Trotz exzellenter Kurzzeitprognose, zeigt sich in Langzeitstudien, dass bei fortgeführtem Alkoholabusus die Entwicklung einer zirrhotischen Leberveränderung wahrscheinlicher ist, als bei Alkoholabusus ohne Fettleber.270 Der Begriff alkoholische Hepatitis wird häufig synonym mit den Begriffen Fettleber- oder Steatohepatitis verwendet. Er bezeichnet eine schwerwiegende entzündliche Reaktion der Fettleber infolge akuten oder chronischen pathologischen Alkoholkonsums, die durch einige sehr charakteristische Veränderungen der Leberzellen unter dem Mikroskop gekennzeichnet ist.271 Nach derzeitigem Stand in Europa und Nordamerika kommen Patienten mit akuter AH für eine Lebertransplantation wegen (vermeintlich) zu geringer Erfolgsaussichten oftmals gar nicht, nur im Rahmen klinischer Studien oder nur nach Einhaltung einer sechsmonatigen 266

Vgl. Seitz, et al., Die Alkoholische Lebererkrankung, Hepatitis&more, 2013, S. 20 ff. Frakes-Vozzo et al., Alcoholic Liver Disease, Hepatology, Cleveland Clinic, 2018, 1 ff.; vgl. zu dieser Einteilung auch die Homepage des NHS unter: https://www.nhs.uk/conditions/al cohol-related-liver-disease-arld. 268 Eine Hepatitis kann insb. durch virale Infektionen (Hepatitisviren A – E) verursacht werden, seltener durch Bakterien, Pilze oder Parasiten. Sie kann aber auch durch toxische Schädigungen (z. B. Alkohol), Autoimmunerkrankungen, Stoffwechselstörungen und physikalische Schädigungen hervorgerufen werden. Vgl. Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zum Stichwort: „Hepatitis“. 269 Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zum Stichwort: „alkoholtoxischer Leberschaden“ unter Klassifikation. 270 Osna et al., Alcoholic Liver Disease: Pathogenesis and Current Management, Alcohol Res. 2017, 147 (149,150); Teli et al., Determinants of progression to cirrhosis or fibrosis in pure alcoholic fatty liver, Lancet, 1995, 987 ff. 271 Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zum Stichwort: „alkoholtoxischer Leberschaden“ unter Klassifikation; Osna et al., Alcoholic Liver Disease: Pathogenesis and Current Management, Alcohol Res. 2017, 147 (150). 267

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Abstinenzzeit, für eine Lebertransplantation in Betracht.272 In der Richtlinie der BÄK zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung bei der Lebertransplantation findet sich keine ausdrückliche Indikation zur Aufnahme auf die Warteliste für Patienten mit AH. Ausweislich des Wortlauts der Alkoholkarenzklausel in der Richtlinie findet diese nur auf Patienten mit alkoholischer Leberzirrhose Anwendung.273 Vor dem Hintergrund, dass Patienten mit AH in anderen Ländern oftmals gar nicht oder nur unter Einhaltung der Sechs-Monats-Regel transplantiert werden und der Fassung der derzeitigen Leberrichtlinie, ist davon auszugehen, dass dieses Patientenkollektiv auch in Deutschland nicht (oder nicht uneingeschränkt) auf die Warteliste aufgenommen wird. Die Leberzirrhose wird als „Zerstörung der Läppchen- und Gefäßstruktur der Leber“ definiert, die mit einer entzündlichen Fibrose einhergeht.274 Die Leberzirrhose stellt die Spätfolge und das Endstadium verschiedener Lebererkrankungen dar, wobei in den industrialisierten Ländern der Alkoholabusus mit circa 55 % die häufigste Ursache für die Leberzirrhose ist. Circa 40 % der Fälle werden durch verschiedene Viruserkrankungen (Hepatitis B, C, D) verursacht und circa 5 % der indizierten Leberzirrhosen haben Autoimmun- oder toxische Lebererkrankungen als Ursache.275 (2) Erholungspotenzial der verschiedenen Lebererkrankungen Während die AFL bei absoluter Alkoholkarenz vollständig reversibel ist, gilt dies nicht für die AH. Bei akutem und fulminantem Verlauf der AH ist trotz Abstinenz keine Erholung zur erwarten.276 Ferner würden die meisten Patienten mit induzierter AH – wenn sie denn überhaupt transplantiert werden – die geforderte Dauer von sechs Monaten gar nicht überleben.277 Denn Patienten mit AH, deren Hepatitis nicht auf eine medikamentöse Therapie anspricht, haben eine sechs-monats-Überlebensrate von 30 %. Die meisten Todesfälle durch eine AH treten dementsprechend bereits innerhalb von zwei Monaten ein. In einer kontrollierten Studie von Mathurin et al. konnte aber gezeigt werden, dass die sechsmonatige Überlebensrate von 272

328 ff. 273

Im et al., Liver transplantation for alcoholic hepatitis, Journal of Hepatology, 2019,

Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 2. 1. 274 Herold, Innere Medizin, S. 547. 275 Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zum Stichwort: „Hepatitis“. 276 Auch Bird et al. äußerten sich (allerdings äußerst vorsichtig) bereits 1990 zu einer Erholungspotenz. Entsprechend heißt es: „A longer period of abstinence in these two patients may have resulted in improvement due to spontaneous resolution of the hepatitis“. Vgl. Bird et al., Liver transplantation in patients with alcoholic cirrhosis: selection criteria and rates of survival and relapse, BMJ, 15, (16). 277 Seitz et al., Alkoholische Hepatitis DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2013, 2041 ff.; Mathurin et al., Early Liver Transplantation for Severe Alcoholic Hepatitis, N Eng Med, 2011, 1790 ff.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

frühzeitig transplantierten Patienten mit AH ohne Einhaltung einer Abstinenzphase mit 77 % signifikant höher lag als die derjenigen Patienten, die erst nach eingehaltener Abstinenzzeit transplantiert wurden. Deren Überlebensrate lag nur bei 23 %.278 Die Leberzirrhose ist als Endstadium verschiedener Lebererkrankungen per definitionem irreversibel.279 Dies wurde auch von acht Sachverständigen im Göttinger Prozess bestätigt, wonach sich zwar die Leberfunktion, nicht aber die Leberzirrhose bessern könne. Vielmehr bleibe diese mit all ihren Risiken (wie beispielsweise der Entwicklung eines HCC) bestehen.280 Tatsächlich könnte sich eine Verbesserung der Leberfunktionen allenfalls durch den nicht von der Zirrhose betroffenen Teil der Leber ergeben. Eine Vorhersage darüber zu treffen, bei welchen Patienten es durch die Abstinenz zu einer Verbesserung dieser bloßen Restleberfunktion kommen könnte, ist darüber hinaus schwer zu prognostizieren. Ferner deuten Untersuchungen darauf hin, dass das beschriebene (Rest-)Regenerationspotenzial bei Patienten mit Leberzirrhose jedenfalls bei Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose generell „unterdrückt“ ist.281 Aus dem Umfeld der BÄK wird hinsichtlich einer etwaigen Erholungsmöglichkeit angeführt: „(…) bei Besserungstendenz sollte hingegen keine Lebertransplantation erfolgen, da mit einem besseren Überleben als nach Transplantation zu rechnen ist. Hierin liegt eine wichtige Begründung für die Sechs-Monatsregel, also in der Möglichkeit einer weitgehenden Restitution der Leberfunktion nach Entzug der Noxe.“282 Zwar ist es richtig, dass wegen der mit einer Lebertransplantation verbundenen postoperativen Risiken und der dauerhaften Medikamenteneinnahme sorgfältig zwischen einer rein medikamentösen Behandlung und der Durchführung einer Lebertransplantation abgewogen werden muss. Es ist allerdings fragwürdig, dass die Autoren für die Begründung der Karenzklausel die bereits erwähnte Studie von Mathurin et al. anführen.283 Denn deren Ergebnisse beruhen (wie bereits dargelegt) auf durchgeführten Lebertransplantationen bei Patienten mit induzierter AH und nicht auf Erkenntnissen von Patienten mit alkoholischer Leberzirrhose. Unter278 Mathurin et al., Early Liver Transplantation for Severe Alcoholic Hepatitis, N Eng Med 2011, 1790 ff. 279 Sarin et al., Acute-on-chronic liver failure: terminology, mechanisms and management, Nature Reviews Gastroenterology & Hepatology, 2016, 131 ff.; Sharma et al., Chronic Liver Disease, Kumar et al., Hepatic Deficiency of Augmenter of Liver Regeneration Exacerbates Alcohol-Induced Liver Injury and Promotes Fibrosis in Mice, StatPearls Publishing, 2020; Amboss/Steigbügel, Klinikdatenbank zum Stichwort: „alkoholtoxischer Leberschaden“ unter Klassifikation. 280 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1843. 281 Horiguchi et al., Liver regeneration is suppressed in alcoholic cirrhosis: Correlation with decreased STAT3 activation, Alcohol 2007, 271 ff. 282 Otto/Rissing-van Saan, Das BGH-Urteil zum Transplantationsskandal aus medizinischer Sicht, MedR 2018, 543 (545). 283 Otto/Rissing-van Saan, Das BGH-Urteil zum Transplantationsskandal aus medizinischer Sicht, MedR 2018, 543 (545).

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stellt man,284 dass auch hierzulande Patienten mit AH auf die Warteliste aufgenommen werden, wäre eine Begründung der Sechs-Monats-Regel durch eine etwaige Erholungspotenz der Leber bei induzierter AH abwegig, da das Erholungspotential der Leber im Rahmen einer AH keineswegs mit dem der zirrhotisch veränderten Leber zu vergleichen ist.285 Wie bereits ausgeführt, ist die Leberzirrhose grundsätzlich ein irreversibler Zustand. Abzugrenzen davon ist die AH, bei der als akutem, fulminanten und entzündlichem Geschehen zwar keine Erholung zu erwarten ist, bei der die Leber aber (im Gegensatz zur alkoholischen Leberzirrhose) zumindest theoretisch (wenn auch unwahrscheinlich) potenziell genesen und alle Organfunktionen wiedererlangen kann (restitutio ad integrum).286 Die von der BÄK zur Begründung der Alkoholkarenzklausel angeführten Studien287 enthalten zudem keine einzige, die eine Erholungspotenz bei einer Leberzirrhose belegt. bb) Rückfallrisiko alkoholkranker Patienten Ferner erscheint es zweifelhaft, ob die vorgeschriebene Pflichtabstinenzzeit von sechs Monaten einen verlässlichen Prädikator für einen möglichen Rückfall darstellt. Schon frühe Studien konnten eine erhöhte Rückfallrate bei Patienten mit alkoholindizierten Lebererkrankungen nicht belegen.288 Mehrere Autoren vertreten aber auch die Auffassung, dass die Nichteinhaltung (bzw. Kürzung) einer sechsmonatigen Abstinenzzeit ein erhöhtes Rückfallrisiko begünstige.289 Andere konnten diese Beobachtungen nicht bestätigen und sahen zwischen der Dauer präoperativer Abstinenz und postoperativem Alkoholkonsum keinen Zusammenhang.290 Da keine Einigkeit hinsichtlich der Rezidivterminologie besteht, ist bei einem Vergleich unterschied284 Ausweislich der Autoren, seien im Rahmen des Organallokationsskandals in Göttingen, Patienten mit AH transplantiert worden. Vgl. Otto/Rissing-van Saan, Das BGH-Urteil zum Transplantationsskandal aus medizinischer Sicht, MedR 2018, 543 (545). Ob dies tatsächlich der Fall war, lässt sich dem Urteil des LG Göttingen jedenfalls nicht entnehmen, das die „alkoholische Hepatitis“ mit keinem Wort erwähnt. 285 Entsprechend heißt es bei Gao et al.: „However, it is difficult to precisely determine liver regeneration in patients because the liver injury that triggers liver regeneration varies significantly between patients.“ Vgl. Gao et al., Combination therapy: New hope for alcoholic hepatitis?, Clin Res Hepatol Gastroenterol. 2015, 7 (8). 286 Gao et al., Combination therapy: New hope for alcoholic hepatitis?, Clin Res Hepatol Gastroenterol. 2015, 7 (8). 287 Dtsch. Ärztebl., 2015, A-1348. Die Literaturangaben befinden sich auf Seite A-17. 288 Kumar et al., Orthotopic Liver Transplantation for Alcoholic Liver Disease, Hepatology 1990, 159 ff.; Starzl, et al., Orthotopic liver transplantation for alcoholic cirrhosis. JAMA 1988, 2542 ff. 289 So beispielsweise Bird et al., Livertransplantation in patients with alcoholic cirrhosis: selection criteria and rates of survival and relapse, BMJ, 1990, 15 ff. 290 So beispielsweise Tang et al., Patterns of alcohol consumption after liver transplantation, Gut 1998, 140 ff.; Gish et al., Long-Term Follow-Up of Patients Diagnosed With Alcohol Dependence or Alcohol Abuse Who Were Evaluated for Liver Transplantation, Liver Transplantation, 2001, 581 ff.

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licher Studien bereits problematisch, was genau unter einem „Rückfall“ überhaupt zu verstehen ist.291 Der überwiegende Teil der wissenschaftlichen Studien wertet bereits einen bloßen „Slip“ oder „any use“ als Rückfall.292 Zudem bleibt unklar, was unter „moderate“ oder „harmful drinking“ zu verstehen ist. Daraus ergibt sich bezüglich der Rückfallraten bei der medizinischen Studienlage ein äußerst heterogenes Bild. Auch variieren die Messmethoden zur Überprüfung eines eventuellen Alkoholkonsums nach der Transplantation von bloßen nachträglichen (aber streng vertraulichen) Interviews bis hin zu Blut- oder Urintests stark, sodass auch insoweit den einzelnen Studien unterschiedliche Aussagekraft beizumessen ist.293 Ferner differenzieren die Studien teilweise nicht zwischen Abstinenzzeit vor Aufnahme auf die Warteliste und auf der Warteliste, sondern sprechen nur von „präoperativer Abstinenz“, sodass nicht festzustellen ist, ob bereits der Zugang zur Warteliste versperrt wird. Aus den genannten Grünen liegen die Rezidivraten der sog. short-term Studien, je nach Transplantationszentrum, Land und den angewandten Messmethoden zwischen 0 – 7 % und 95 %.294 Die überwiegende Anzahl der Studien verneint aber einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Einhaltung einer sechsmonatigen Abstinenzzeit und einem erhöhten Rückfallrisiko.295 Eine der wenigen Metaanalysen, die 54 Studien (davon 50 Studien zur Lebertransplantation) untersucht, kommt zwar zu dem Ergebnis, dass eine sechsmonatige präoperative Alkoholabstinenz eine kleine, aber signifikante Korrelation zu einem Rückfall aufweise.296 Allerdings ist fraglich, wie viel Aussagekraft dieser Analyse auf Grund der benannten terminologischen Unklarheiten und unterschiedlichen Messmethoden zukommt.297 So gehören zu den untersuchten Studien hauptsächlich solche, die jeden „Slip“ als postoperativen Alkoholkonsum werten, sodass diese Metaanalyse auf Grund ihrer Ein291

Tang et al., Patterns of alcohol consumption after liver transplantation, Gut 1998, 140 ff. So beispielsweise Mackie et al., Orthotopic Liver Transplantation for Alcoholic Liver Disease: A Retrospective Analysis of Survival, Recidivism, and Risk Factors Predisposing to Recidivism, Liver Transplantation, 2001, 418 ff., und Gledhill et al., Psychiatric and social outcome following liver transplantation for alcoholic liver disease: A controlled study, J Psychosom Res 1999, 359 ff. 293 Tang et al., Patterns of alcohol consumption after liver transplantation, Gut 1998, 140 ff. 294 Gish et al., Long-Term Follow-Up of Patients Diagnosed With Alcohol Dependence or Alcohol Abuse Who Were Evaluated for Liver Transplantation, Liver Transplantation, 2001, 581 ff.; auch Mackie et al., Orthotopic Liver Transplantation for Alcoholic Liver Disease: A Retrospective Analysis of Survival, Recidivism, and Risk Factors Predisposing to Recidivism, Liver Transplantation, 2001, 418 ff. 295 Neuberger et al., Transplantation for alcoholic liver disease, Journal of Hepatology, 2002 130 ff.; Berlakovich et al., Efficacy of liver transplantation for alcoholic cirrhosis with respect to recidivism and compliance, Transplantation 1994, 565 ff. 296 Dew et al., Meta-Analysis of Risk for Relapse to Substance Use After Transplantation of the Liver or Other Solid Organs, Liver Transpl, 2008, 159 f. 297 Dass die Durchführung einer Metaanalyse auf Grund der variierenden Messmethoden gar nicht möglich sein soll, führen auch McCallum et al. an, vgl. McCallum et al., Liver Transplantation for alcoholic liver disease: a systematic review of psychosocial selection criteria Alcohol & Alcoholism, 2006, 358 ff. 292

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seitigkeit zur Begründung eines signifikanten Zusammenhanges ausscheidet. Die von der BÄK zur Begründung der Alkoholkarenzklausel angeführten Studien298 sind im Hinblick auf ihre Aussagekraft ebenfalls fragwürdig. Von den insgesamt vierzehn benannten Literaturangaben, umfassen zwei der zehn älteren Studien, die eine Korrelation bejahen, bloß ein Patientenkollektiv von 50 – 60 Patienten einzelner Transplantationszentren.299 Eine ebenfalls von der BÄK genannte Untersuchung mit einem größeren Patientenkollektiv von fast vierhundert Patienten und einem beachtlichen „follow-up“300 von fünfzehn Jahren, kommt zwar zu dem Ergebnis, dass ein signifikanter Zusammenhang bestehe, sieht die sechsmonatige Abstinenzfrist dennoch kritisch und stellt klar, dass die Nichteinhaltung dieser nur einen Faktor für einen Rückfall darstellt.301 Die restlichen, von der BÄK angeführten Studien, stehen der Anwendung der Alkoholkarenzklausel überwiegend negativ gegenüber. Die Angabe dieser konträren Studien durch die BÄK, ist im Hinblick auf die Differenzen um die Alkoholkarenzklausel zwar zu begrüßen und trägt zur Transparenz bei. Es bleibt aber festzuhalten, dass es für die Begründung der Alkoholkarenzklausel durch ein vermeintlich erhöhtes Rückfallrisiko an medizinischer Evidenz fehlt. Auch kann durch die Einhaltung der geforderten Abstinenzzeit ein Rückfall nicht sicher ausgeschlossen werden.302 Einige Autoren gehen dementsprechend erst nach fünf Jahren eingehaltener Abstinenz von einem signifikant minimierten Rückfallrisiko aus. Selbst, wenn zu irgendeiner Form von Alkoholkonsum zurückkehrt wird, gibt es wenig Belege dafür, dass dies einen großen Einfluss auf das Überleben von Patienten oder Transplantaten hat. In einer Untersuchung von Neuberger et al. schädigten weniger als 5 % der transplantierten Patienten durch postoperativen Alkoholkonsum das Transplantat.303 Interessant ist auch die Studie von Pageaux et al. in deren teilnehmenden Patientenkollektiv, diejenigen Patienten am längsten überlebten, die nach der Transplantation gelegentlich wieder Alkohol konsumierten.304 Zudem zeigten Weinrieb et al., dass in 6 von 9 kontrollierten Studien mehr „Nicht-Alko-

298

Dtsch. Ärztebl., 2015, A-1348. Die Literaturangaben befinden sich auf Seite A-17. So Burra et al., Long-term medical and psycho-social evaluation of patients undergoing orthotopic liver transplantation for alcoholic liver disease, Transpl Int, 2000, 174 ff. sowie Cuadrado et al., Alcohol recidivism impairs long-term patient survival after orthotopic liver transplantation for alcoholic liver disease, Liver Transpl, 2005, 420 ff. 300 Als follow-up wird die nachtägliche Verifizierung von medizinischen Studien bezeichnet. 301 De Gottardi et al., A simple score for predicting alcohol relapse after liver transplantation: results from 387 patients over 15 years, Arch Intern Med, 2007, 1183 ff. 302 So auch Gutmann, in: Haarhoff, Organversagen-Die Krise der Transplantationsmedizin S. 159. 303 Neuberger et al., Transplantation for alcoholic liver diesease, Journal of hepatology, 2002, 130 ff. 304 Pageaux et al., Alcohol relapse after liver transplantation for alcoholic liver disease: does it matter?, J Hepatol, 2003, 629 ff. 299

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holiker“ als „Alkoholiker“ nach der Transplantation tranken.305 Auch ist zu berücksichtigen, dass ein etwaiges Rückfallrisiko von vielen unterschiedlichen Faktoren wie beispielsweise der Unterstützung im sozialen Umfeld, psychischen Vorerkrankungen oder erfolglosen Entzugsversuchen des Patienten abhängt. Ferner liegt es nahe, dass selbst schwer alkoholkranke Menschen durch den Schock über den Verlust ihres Erstorgans von einem erneuten Alkoholkonsum selbständig Abstand nehmen, was zu einer „natural recovery“ der Alkoholsucht führen kann. Es bleibt daher festzuhalten, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der präoperativen Abstinenzzeit und einem postoperativen Alkoholrückfall nicht festgestellt werden kann.306 Den Studien, die einen signifikanten Zusammenhang bejahen, fehlt es hingegen an der ausreichenden medizinischen Evidenzbasierung. cc) Der neue Ausnahmetatbestand in der Alkoholkarenzklausel Wie bereits erwähnt, ist die Alkoholkarenzklausel nach dem Organallokationsskandal seitens der BÄK geändert worden und enthält nunmehr erstmalig einen Ausnahmetatbestand. Ausweislich der neu geschaffenen Regelung kann in „begründeten Ausnahmefällen“ von der Abstinenzpflicht „abgewichen“ werden. Die Entscheidung, ob ein solcher Fall vorliegt, obliegt der interdisziplinären Transplantationskonferenz.307 Betrachtet man den Ausnahmetatbestand, ist zunächst fraglich, was konkret unter „begründeten Ausnahmefällen“ zu verstehen ist. Die Konkretisierung dieses unbestimmten Begriffes liegt in der Hand der Transplantationskonferenz, wobei die Stellungnahme der Sachverständigengruppe zu berücksichtigen ist.308 Auch die durch § 16 Abs. 2 S. 2 TPG vorgeschriebene Begründung der Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG hilft diesbezüglich nicht weiter. Zwar enthält die Vorschrift ein Regelbeispiel wonach ein begründeter Ausnahmefall insbesondere dann vorliegen kann, wenn bei einem Patienten eine akut dekompensierte Lebererkrankung indiziert ist. Dennoch bleibt beispielsweise unklar, ob dies ausschließlich für Patientenkollektive gilt, deren Erkrankung eine sechsmonatige Abstinenzzeit angesichts ihres Schweregrades generell nicht zulassen würde. Darüber hinaus bleibt offen, ob mit „Abweichung“ nur eine Herabstufung der grundsätzlich geforderten Abstinenzzeit von sechs Monaten um ein, zwei oder drei Monate gemeint ist oder aber auch ein kompletter Abstinenzverzicht in Betracht kommt. Nach dem soeben Dargelegten wird die Alkoholkranzklausel mit schlechteren Langezeitprognosen bzw. geringerer 305 Weinrieb et al., Interpreting the significance of drinking by alcoholdependent liver transplant patients: fostering can- dor is the key to recovery, Liver Transpl 2000, 769 ff. 306 Davon gehen auch die, von der American Association for the Study of Liver Diseases (AASLD) veröffentlichen „practice guidelines for alcoholic liver disease“ aus. Vgl. O’Shea et al., alcoholic liver disease, Hepatology, 2010, 307 (321). 307 Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. I Nr. 5; Dtsch. Ärztebl. 2015, A-13. 308 Tacke et al., Liver Transplantation in Germany, Liver Transplantation, 2016, 1136 ff.

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Erfolgsaussicht begründet, wobei sich diese Begründung aber nicht auf medizinische Erkenntnisse stützen lässt. Daraus folgt, dass Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose grundsätzlich auch dann auf die Warteliste zur Lebertransplantation aufzunehmen sind, wenn sie nicht sechsmonatig alkoholabstinent waren. Dennoch geht auch die Klausel in ihrer derzeitigen Form nebst Ausnahmetatbestand noch von einer grundsätzlich nicht vorhandenen Erfolgsaussicht vor Ablauf einer sechsmonatigen Karenzzeit aus. Der Nachweis dafür, dass im begründeten Ausnahmefall ausnahmsweise doch vom Vorliegen einer Erfolgsaussicht ausgegangen werden kann, obliegt nach dem Ausnahmetatbestand dem Patienten bzw. dessen behandelndem Arzt; eine Widerlegung einer nicht medizinisch begründbaren Klausel dürfte aber nicht möglich sein, sodass von einer „Art Beweislastumkehr zu Lasten alkoholkranker Patienten“ gesprochen werden kann.309 Schwierig erscheint zudem die Einbeziehung der Sachverständigengruppe, denn nach § 10 Abs. 2 TPG ist es Aufgabe der Transplantationszentren, anhand der Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG über die Aufnahme in die Warteliste zu entscheiden, und dies ist nicht an die Voraussetzung einer einzuholenden Stellungnahme einer von der StäKO ernannten Expertengruppe geknüpft; durch die verfahrenssystematische Anbindung der Ausnahmeentscheidung an die Sachverständigengruppe erscheint eine Abweichung von der Stellungnahme – im wahrscheinlichsten Falle eine Aufnahme eines Patienten auf die Warteliste trotz gegenteiliger gutachterlicher Stellungnahme – als besonders rechtfertigungsbedürftig.310 b) Die Mailand-Kriterien als Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft Wie bereits dargelegt, sind die Mailand-Kriterien bei Patienten mit indiziertem HCC nur dann erfüllt, wenn entweder eine Läsion größer als 2 cm aber kleiner als 5 cm oder 2 – 3 Läsionen größer als 1 cm aber kleiner als 3 cm vorliegt und Tumor gleichzeitig dem T2-Stadium zuzuordnen ist.311 Wie bereits erörtert, erfolgt die Verteilung der Lebertransplantate unter den Kandidaten auf der Warteliste anhand der Dringlichkeit, die durch den MELD-Score abgebildet wird. Nach der Leberrichtlinie der BÄK kann für einen Patienten, dessen HCC sich innerhalb der MailandKriterien befindet oder für den der Ausnahmetatbestand312 der Richtlinie greift, ein SE-MELD313 beantragt werden. Für die Beantragung eines SE-MELD muss der 309 Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation von Organzuteilungsentscheidungen in einem fragwürdigen System, Medstra 2018, 3 (5). 310 Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation von Organzuteilungsentscheidungen in einem fragwürdigen System, Medstra 2018, 3 (6). 311 Zum „TNM-Modell“ vgl. Glp. II. 1. b) bb) (2) (b). 312 Vgl. generell zu der Ausahmeregelung Glp. II, 2. b, bb) (1) sowie zur verfassungrechtlichen Würdigung Glp. III. 3. d), bb). 313 Zum MELD-Verfahren vgl. Glp. II. 2. b) cc) (2).

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betreffende Patient daher bereits auf die Warteliste zur Transplantation aufgenommen worden sein, sodass davon auszugehen ist, dass ein Patient dessen HCC sich innerhalb der Mailand-Kriterien befindet, als Transplantationskandidat auf die Warteliste aufgenommen wird. In der Konsequenz bedeutet das für Patienten außerhalb der Mailand-Kriterien den Ausschluss von der Organallokation postmortal gespendeter Lebern, sodass für die Betroffenen bloß eine Leberlebendspende möglich ist. Nach den Vorgaben der Leberrichtlinie erhalten Patienten, die erst durch Therapie (sog. „Downstaging“) die T2 Klassifizierung erreichen, keine SE-Punkte.314 Da wegen des konstanten Transplantatmangels eine Organzuteilung ohne SEPunkte faktisch ausgeschlossen ist, sind die Mailand-Kriterien wie auch die Alkoholkarenzklausel von einschneidender Grundrechtsrelevanz. Ob sie dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, erscheint indes fraglich und ist in der medizinischen Fachwissenschaft umstritten.315 Es mehren sich Stimmen, die die Mailand-Kriterien für zu restriktiv halten, da auch Patienten außerhalb der Kriterien von einer Transplantation profitieren würden. Im Laufe der letzten Jahre wurden folglich unterschiedliche „expanded criteria“ für Patienten, deren Tumor sich außerhalb der MailandKriterien befindet, entwickelt.316 Die bekanntesten erweiterten Kriterien, sind bereits 2001 von der University of California und San Francisco entwickelt worden und auch im Schrifttum auf große Resonanz gestoßen.317 Bei einer einzelnen Läsion mit einer Größe von bis zu 6.5 cm oder bis zu drei Läsionen mit einem Durchmesser von bis zu 4,5 cm lag die 5-Jahresüberlebensrate in dieser Studie bei 75.2 %, während diese bei Patienten innerhalb der Mailand-Kriterien bei 72 % lag. Auch ausweislich anderer Studien überlebten transplantierte Patienten mit HCC außerhalb der Mailand-Kriterien sogar länger als solche, deren Tumor sich noch innerhalb der Kriterien befand.318 Auf Grund dieser Ergebnisse wurden nochmals erweiterte Mailand-Kriterien entwickelt.319 Nach Auswertung 314 Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. III. 6. 2. 2. 2. Tabelle Drei 1. 1. 315 Ähnlich äußerte sich auch einer der medizinischen Sachverständigen im Göttinger Transplantationsprozess. Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1392. 316 Ferreira et al., Liver Transplantation and expanded Milan Criteria. Does it really work?, Arq Gastroenterol, 2012, 189 ff. 317 Yao et al., Liver transplantation for hepatocellular carcinoma: analysis of survival according to intention-to-treat principle and dropout from the waiting list, Liver Transpl, 2002, 873 ff. 318 Vgl. nur: Gondolesi et al., Hepatocellular carcinoma: a prime indication for living donor liver transplantation. J Gastrointest Surg 2002, 102 ff.; Gondolesi et al., Adult living donor liver transplantation for patients with hepatocellular carcinoma extending UNOS priority criteria, Ann Surg, 2004, 142 ff. 319 Takada et al., Living donor liver transplantation for patients with HCC exceeding the Milan criteria: a proposal of expanded criteria, Dig Dis. 2007, 299 ff.; Fan et al., Liver transplantation outcomes in 1,078 hepatocellular carcinoma patients: a multi-center experience in Shanghai, China, J Cancer Res Clin Oncol, 2009, 1403 ff.

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von über 39 Studien, die die Auswirkungen der Anwendung von unterschiedlichen erweiterten MailandKriterien zum Gegenstand hatten durch Ferreira et al. lässt sich in deren Untersuchung kein signifikanter Unterschied zwischen Patienten innerhalb der Mailand-Kriterien und solchen, die ein Organ auf Grund erweiterter Kriterien erhalten haben, feststellen.320 Dass die Mailand-Kriterien darüber hinaus nicht mehr als „gold standard“ für die Selektion von HCC-Patienten für die Lebertransplantation gelten, wird auch bei einem Blick auf die aktuelle UK-Policy zur Lebertransplantation deutlich.321 In Großbritannien wird bereits seit längerer Zeit mit einer modifizierten Version der Mailand-Kriterien gearbeitet und unter der Voraussetzung einer Studienteilnahme auch downstaging zugelassen. Auch ET sieht die restriktiven Mailand-Kriterien als überholt an. Von der ELIAC (Eurotransplant Liver Intestine Advisory Committee) wurden hinsichtlich der Selektion von HCC-Patienten zur Lebertransplantation im Jahr 2018 zwei Konsensuskonferenzen mit allen Beteiligten der ET-Mitgliedstaaten initiiert. Dort kam man zu dem Schluss die restriktiven Mailand-Kriterien als „outdated“ anzusehen und dass ein neues Modell erforderlich sei.322 Nach Angaben ET’s soll an diesem Themenbereich weiter gearbeitet werden mit dem Ziel, die HCC SE-MELD-Kriterien auf Basis des neuesten wissenschaftlichen Standes zu überarbeiten.323 c) Zusammenfassung Die Richtlinien gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 5 TPG zur Wartelistenführung und Organvermittlung sind „im Lichte des Urteils dahingehend zu überprüfen, inwieweit die in ihnen getroffenen Festlegungen dem aktuellen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen und hinreichend begründet und evidenzbasiert sind.“324 Diese Verlautbarung ist Bestandteil einer (auf einer nach dem BGH Urteil vom 28. 6. 2017 eigens einberufenen Sondersitzung) gemeinsamen Erklärung der BÄK, der TPG-Auftraggeber, des Bundesministeriums für Gesundheit sowie der obersten Landesgesundheitsbehörden. Wie die vorstehenden Untersuchungen gezeigt haben, bestehen erhebliche Zweifel daran, ob die Akteure diesem Versprechen nachgekommen sind. 320 Ferreira et al., Liver Transplantation and expanded Milan Criteria. Does it really work?, Arq Gastroenterol, 2012, 189 ff. 321 Vgl. dazu UK-Policy POL 195/ 11 der ODT (Organ Donation and Transplantation), Liver Transplantation: Selection Criteria and Recipient Registration, S. 22 322 Eurotransplant Annual Report 2018, S. 58. 323 Eurotransplant Annual Report 2018, S. 58. 324 Gemeinsame Erklärung der Bundesärztekammer, der TPG-Auftraggeber (GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer), des Bundesministeriums für Gesundheit sowie der Obersten Landesgesundheitsbehörden zu Grundsatzfragen der Richtlinien zur Transplantationsmedizin nach dem BGH-Urteil 5 StR 20/16 vom 28. 6. 2017 vom 9. 12. 2017, S. 2.

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Zunächst ist festzuhalten, dass die Alkoholkarenzklausel nicht medizinisch begründbar ist. Das Argument hinsichtlich des Regenerationspotenzials der Leber verfängt nicht. Zwar wäre eine Lebertransplantation bei einer vollständigen Regeneration der Leber nicht „notwendig“ i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG, da der Patient dann überhaupt nicht mehr von einer Lebertransplantation profitieren würde. Selbst, wenn man auch bei der alkoholtoxischen Leberzirrhose – auf die die Alkoholkarenzklausel ausweislich ihres Wortlauts ausschließlich Anwendung finden soll – von einer gewissen Erholungspotenz ausginge, bestünde diese nicht in einem solchen Umfang, dass eine Lebertransplantation gänzlich unsinnig wäre, sodass diesen Patienten dennoch Zugang zur Warteliste gewährt werden müsste. Hinsichtlich des Rückfallargumentes ist auszuführen, dass nach der hiesigen Auslegung des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG ein Ausschluss (bzw. eine Beschränkung) von der Aufnahme auf die Warteliste nur dann medizinisch begründbar wäre, wenn eine vollumfängliche Aussichtslosigkeit der Behandlung, mithin überhaupt kein Erfolg einer Organtransplantation zu erwarten ist.325 Ausweislich der dargelegten Studien ist aber nicht von einem erhöhten Rückfallrisiko von Patienten auszugehen, wenn sie nicht sechs Monate vor der Lebertransplantation abstinent waren. Jedenfalls wäre eine Lebertransplantation selbst bei einem (unterstellten) erhöhten Rückfallrisiko nicht von vorneherein aussichtslos, sodass auch dann diese Patienten auf die Warteliste zur Lebertransplantation aufgenommen werden müssten. Dies würde ebenfalls für eine – dem ausdrücklichen Wortlaut der Alkoholkarenzklausel entgegenstehende – Übertragung der Karenzpflicht auf Patienten mit AH gelten, sollten diese transplantiert werden. Die Alkoholkarenzklausel bildet nicht den aktuellen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ab. Zwar ist es richtig, dass sich „wohl immer ein medizinischer Sachverständiger findet, der geltende Behandlungs- bzw. Verteilungsstandards in Zweifel zieht“.326 Wie bereits dargelegt, gilt ein „Stand“ aber als etwas bereits gesichertes, dass keines wissenschaftlichen Diskurses mehr bedarf.327 Hinsichtlich der Alkoholkarenzklausel besteht aber alles andere als ein wissenschaftlicher Konsens. Die Tatsache, dass in der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG nicht ausdrücklich ein „allgemein anerkannter“ Stand verlangt wird, ändert daran nichts. Dem Merkmal der „allgemeinen Anerkennung“ kommt nämlich keine eigenständige Bedeutung zu, da durch dieses nur nochmals die Bedeutung des Konsenses für den „Stand“ hervorgehoben werden soll.328 Den jüngsten Richtlinien der American Association for the Study of Liver Diseases329, der Eu325 Dannecker/Streng/Ganten, in: Schmitz-Luhn/Bohmeier, Priorisierung in der Medizin, S. 147; Conrads, Rechtliche Grundlagen der Organallokation, S. 130. 326 Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – Eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57 (60). 327 Vgl. Glp. II. 2. 328 So auch Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 62. 329 Leong et al., Evaluation and selection of the patient with alcoholic liver disease for liver transplant, Clin Liver Dis, 2012, 851 ff.

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ropean Association for the Study of the Liver330, UNOS und der French Consensus Conference ist zu entnehmen, dass die Alkoholkarenzklausel weder absolute Regel noch entscheidender Faktor dafür sein sollte, um zu entscheiden, ob ein Patient Zugang zum Organverteilungssystem erhält. So heißt es bei der Consensus Conference in Paris bereits im Jahr 2005: „A duration of 6 months of abstinence before LT (…) should no longer be the definite rule and should not be considered the determining factor for graft access.“331 Consensus-Konferenzen sind für die Erörterung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft heranzuziehen.332 Zwar mag eine Aufhebung der Klausel (noch) nicht wissenschaftlicher Konsens sein, obwohl den aktuellen medizinischen Artikeln und Studien eine eindeutige Tendenz in diese Richtung zu entnehmen ist. Festzuhalten bleibt aber, dass unabhängig davon, welche Anforderungen man an das Merkmal des Konsenses stellt, ein solcher zugunsten einer Alkoholkarenzklausel gerade nicht vorliegt. Und obwohl „die eine oder andere Gegenstimme nicht schadet“, kann von der „erdrückenden Mehrheit“333 nicht die Rede sein. Wie dargelegt, sind die vom BSG entwickelten Maßstäbe zu § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V vorliegend übertragbar,334 sodass bei einer „uneindeutigen Studienlage“335 mithin, wenn kein Konsens gebildet werden kann, auf die Aussagekraft der dahinterstehenden medizinischen Erkenntnisse und den diesen zu Grunde liegenden Evidenzgrad abzustellen ist.336 Die Festlegung einer sechsmonatigen Abstinenzzeit basiert aber nicht auf prospektiv erhobenen Daten, sondern auf historisch gewachsenen Gewohnheiten.337 Diesen Umstand hat auch die BÄK erkannt. In der Begründung zur Änderung der Alkoholklausel heißt es daher, dass „systematische prospektive Evaluationen der vorgeschriebenen Dauer der Karenzzeit“ derzeit nicht vorlägen.338 Im Hinblick auf die Überlegung, auch für Patienten mit AH zukünftig eine Indikation zur Lebertransplantation anzunehmen, die (bedingt durch die Schwere der Erkrankung) eine sechsmonatige Alkoholabstinenz gar nicht überleben würden, wäre eine weitere Anwendung der Abstinenzklausel auch nach Ansicht ihrer

330 European Association for the Study of Liver. EASL clinical practical guidelines: management of alcoholic liver disease, J Hepatol, 2012, 399 ff. 331 Consensus conference: Indications for liver transplantation, January 19 and 20, 2005, Lyon-Palais Des Congress. Text of Recommendations (Long Version). Liver Transpl 2006, 998 (1004). 332 Vgl. Glp. III. 2. 333 Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 63. 334 Vgl. Glp. II. 2. 335 Rissing-van Saan/Verrel, Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, 57, (59). 336 So Ertl, Der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse, NZS 2016, 889 (890). 337 Neuberger et al., Transplantation for alcoholic liver disease, Journal of Hepatology, 2002 130 ff. 338 Vgl. dazu die Begründung der BÄK zur Anpassung der Klausel nach dem Urteil des LG Göttingen Dtsch. Ärztebl. 2015 A-1348 auf Seite A-14.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Befürworter inkonsequent.339 Zudem darf auf Grund einer mangelnden umfassenden Metaanalyse hinsichtlich des Rückfallrisikos und des Erholungspotenzials die erforderliche medizinische Evidenz zur Begründbarkeit der Klausel bezweifelt werden. Die Alkoholkarenzklausel ist nicht „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ und damit gesetzeswidrig. Dies gilt ebenfalls für die Mailand-Kriterien. Vor dem Hintergrund, dass die 5Jahresüberlebensrate ausweislich einschlägiger Studien auch bei Patienten mit einem HCC außerhalb der Mailand-Kriterien bei über 70 % liegt, werden die Mailand-Kriterien in zahlreichen Ländern gar nicht mehr oder nur in erweiterter Form angewandt. Sie sind daher als veraltet anzusehen, sodass sie nicht den aktuellen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft abbilden, wie in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG verlangt.

3. Vereinbarkeit der Alkoholkarenzklausel und der Mailand-Kriterien mit materiellem Verfassungsrecht Darüber hinaus ist fraglich, ob die Alkoholkarenzklausel, die die erste Selektionsebene (Aufnahme auf die Warteliste) betrifft sowie die Anwendung der MailandKriterien als Posteriorisierungskriterium auf der zweiten Selektionsebene (Organvermittlung) im Rahmen der Dringlichkeit mit den durch die Verfassung garantierten Rechten der potenziellen Organempfänger zu vereinbaren ist.340 Wie bereits im vorherigen Kapitel341 festgestellt, ist die BÄK durch die Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG mit Normsetzungskompetenzen beliehen worden. Als Beliehene ist die BÄK durch Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden, sodass diese nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die BÄK und deren Richtlinien für die Organallokation maßgeblich sind.342 Da die Beleihung der BÄK verfassungswidrig und damit unwirksam ist,343 erfolgt die nun anschließende Prüfung der Grundrechtskonformität unabhängig von der Frage der Delegierbarkeit der Normsetzung.

339 Crabb et al., Diagnosis and Treatment of Alcohol-Related Liver Diseases: 2019 Practice Guidance from the American Association for the Study of Liver Diseases, Hepatology 2019, 306 ff. 340 Im strafrechtlichen Schrifttum besteht zumindest insoweit Einigkeit, dass durch die Übermittlung falscher Patientendaten kein Tötungsunrecht begründet wird, wenn durch diese Handlung nur eine mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbarende Benachteiligung des eigenen Patienten verhindert wird. Vgl. Henkel, Zur Reichweite von Art. 103 Abs. 2 GG bei normbezogenen Tatbeständen, HRRS 2018, 273 (279). 341 Vgl. viertes Kapitel, Glp. I. 4. b). 342 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 293. 343 Vgl. viertes Kapitel, Glp. I. 4. b) bb).

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a) Die abwehrrechtliche Komponente des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Der potenzielle Transplantationskandidat begehrt zur Rettung seines Lebens das benötigte Organ. Das Recht auf Leben des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stellt innerhalb der Verfassung einen Höchstwert dar;344 es ist Voraussetzung für die Verwirklichung aller Grundrechte und „vitale Basis“ der Menschenwürde.345 Daraus ergibt sich eine umfassende Schutzpflicht des Staates für Leib und Leben aller Bürger, die auch im Bereich der Transplantationsmedizin gewahrt werden muss.346 Anders als bei der Begrenzung des potenziellen Spenderkreises bei der Lebendspende ist bei der Beschränkung der Aufnahme auf die Warteliste für eine postmortale Organtransplantation nicht die abwehrrechtliche, sondern vielmehr die leistungsrechtliche Dimension des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen.347 Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Begrenzung der in Betracht kommenden Organspender für eine Lebendspende die abwehrrechtliche Dimension des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für berührt gehalten, wenn „staatliche Regelungen dazu führen, dass einem kranken Menschen eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell zugängliche Therapie, mit der Verlängerung des Lebens, mindestens aber eine nicht unwesentliche Minderung des Leidens verbunden ist, versagt bleibt.“348 Weiter führt das Gericht aus, die „mittelbar hervorgerufene Verletzung“ müsse das „Maß einer als sozialadäquat eingestuften Beeinträchtigung übersteigen und bei einer normativen Betrachtung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Schutzguts von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als adäquate Folge der staatlichen Tätigkeit dieser normativ zurechenbar sein, darf also weder aus einer selbständig zu verantwortenden Tätigkeit Dritter resultieren noch auf einer schicksalhaften Fügung beruhen.“349 Bei der Verteilung postmortal gespendeter Organe beruht die letztendliche Nichtzuteilung eines Organs an einen Patienten nicht auf den gesetzlichen Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 TPG, sondern resultiert aus der konstanten Knappheit an verfügbaren Spenderorganen, auf Grund derer eine Verteilungsentscheidung überhaupt erst getroffen werden muss.350 Die Nichtberücksichtigung eines Patienten ist mithin nicht als adäquate Folge der staatlichen Tätigkeit zurechenbar, da der für die postmortale Organtransplantation kennzeichnende Mangel an Spenderorganen (anders als bei der gewollt und durch Gesetz

344 BVerfGE 39, 1 (42); Pitschas, Gesundheitswesen zwischen Staat und Markt, in: Häfner, Gesundheit unser höchstes Gut?, S. 180; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 43 ff. 345 BVerfGE 39, 1 (36,42); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG Kommentar, Art. 2, Rn. 60. 346 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 295. 347 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 64. 348 Vgl. BVerfG NJW 1999, 3399, (3400); Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 63; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 294. 349 BVerfG NJW 1999, 3399, (3400). 350 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 295.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

begrenzten Lebendspende)351 auf einem schicksalhaften Ereignis beruht.352 Während der auf eine Lebendspende angewiesene Patient von der gesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 1 S. 2 TPG freigehalten werden möchte, (um das ihm privat angebotene Organ annehmen zu können) mithin die abwehrrechtliche Dimension des Art. Abs. 2 S. 1 GG einschlägig ist, ist demjenigen, der ein postmortal gespendetes Organ benötigt, nur mit einer Teilhabe am Organverteilungssystem gedient.353 b) Die leistungsrechtliche Komponente des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aa) Originäres Leistungsrecht Zum Überleben benötigt der Patient, der ein postmortal gespendetes Organ benötigt, Zugang zum Verteilungssystem, bedarf also zur Wahrung seiner Grundrechte der Teilhabe am bestehenden Transplantationssystem. Es stellt sich im Hinblick auf die sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergebende Schutzpflicht des Staates die Frage, ob ein bedürftiger Patient die Zuteilung eines passenden Organs verlangen kann, mithin, ob jedem Bedürftigen ein „Anspruch oder Recht auf ein Organ“354 zusteht. Ob aus den Grundrechten originäre Leistungsansprüche des Einzelnen auf konkret zu gewährende Leistungen abgeleitet werden können, ist umstritten und das BVerfG äußerst zurückhaltend was die Bejahung solcher Ansprüche aus der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angeht.355 Darüber hinaus steht ein etwaiges originäres Leistungsrecht unter dem „Vorbehalt des Möglichen“,356 sodass ein solches in jeden Fall dann ausscheidet, wenn die Gewährung der Leistung überhaupt nicht möglich ist, was bei der Organverteilung angesichts des dauerhaften Organmangels der Fall ist.357 Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem 351 Der Betroffene wäre ohne die in § 8 Abs. 1 S. 2 TPG normierte Beschränkung nicht daran gehindert eine ihm „privat“ angebotene Nierenspende anzunehmen. Vgl. Gutmann/ Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, II, S. 64. 352 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 294. 353 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, II, S. 64. 354 Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation von Organzuteilungsentscheidungen in einem fragwürdigen System, medstra 2018, 3 (9); dies., Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation bei der Leberallokation – kritische Anmerkungen zu einem Zwischenbericht – NStZ 2014, 486 (491). 355 So beispielsweise in BVerfGE 77, 170 (170 ff.); Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, II, S. 67; Haas, Strafbarkeit wegen (versuchten) Totschlags durch Manipulation von Patientendaten im Bereich der Leberallokation?, HRRS 2016, S. 390. 356 Bader, Organmangel und Organverteilug, S. 296. Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht ein Teilhaberecht unter dem Vorbehalt des Möglichen „im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann“. Vgl. BVerfGE 33, 303 (332). 357 So die allgemeine Auffassung im Schrifttum. Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 296; Dannecker/Streng, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer an den Erfolgsaussichten der Transplantation orientierten Organallokation, JZ 2012, 444 (491); Schroth/Hofmann, Zurechnungsprobleme bei der Manipulation der Verteilung lebenserhal-

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Einzelnen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung zusteht, da sich aus diesem nicht auch das Recht auf Zuteilung eines Transplantats, im Rahmen dieser Behandlung, ergibt.358 Ein originärer Leistungsanspruch könnte allenfalls insoweit (und außerhalb der Organallokation) bestehen, dass der Gesetzgeber alle Maßnahmen zur Steigerung des Organaufkommens zu ergreifen verpflichtet ist.359 Auch besteht auf Grund der chronischen Unterversorgung mit verfügbaren Spenderorganen kein Anwartschaftsrecht auf ein Organ.360 bb) Derivatives Teilhaberecht Aus den vorgenannten Gründen kommt im Bereich der Organallokation ein derivatives Teilhaberecht der Betroffenen am Organaufkommen in Betracht. Ein derivatives Teilhaberecht bezeichnet ein subjektives Leistungsrecht, das „in seinem Bestand, Inhalt und Umfang vom teilhabebegründenden staatlichen Handeln abhängig ist.“361 Ein derivativer Teilhabeanspruch des Bürgers kommt in Situationen in Betracht, in denen einem anderen Bürger die Leistung gewährt und die Verweigerung der Leistung eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellen würde.362 Der Leistungsanspruch entsteht, da andere bereits eine vergleichbare Leistung erhalten haben und nur durch Gewährung eines Anspruchs des neuen Antragsstellers ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz verhindert wird.363 Derivative Teilhaberechte sind Rechte auf Leistungen aus einem vorhandenen Bestand, dessen Knappheit sie zu Rechten auf gleiche Zuteilung relativiert.364 Sind die tatsächlichen Mittel begrenzt, beschränkt sich nämlich der Anspruch auf ein „Recht auf gleichheitsgerechte Zulassung“365 und einer „Chancenoffenheit“.366 Der Betroffene kann ein solches derivatives Teilhaberecht geltend machen, um eine verfassungsgemäße Verteilung von knappen Ressourcen zu erreichen. Während sich der bereits beschriebene originäre Leistungsanspruch aus den Freiheitsrechten ergibt, ist rechtliche Grundlage für das tender Güter, in: FS Kargl, 523 (533); Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 41. 358 Schroth, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulationen bei der Leberallokation, NStZ 2013, 437 (443) 359 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 67. 360 So aber Verrel, Durch das hohe Maß an „Objektivität, Reliabilität und Transparenz“ und der damit verbundenen Vorhersehbarkeit der Organzuweisung bei dem Leberallokationsverfahren, könne von „mehr oder weniger gefestigten Anwartschaftsrechten“ der Patienten auf der Warteliste ausgegangen werden. Vgl. Verrel, Manipulation von allokationsrelevanten Patientendaten – ein (versuchtes) Tötungsdelikt?, MedR 2014, 464 (467). 361 Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 112, Rn. 11; Klesen, Entscheidung über Menschenleben, S. 228. 362 Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 88. 363 Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 10. 364 Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland § 67, III/1, S. 687. 365 BVerfGE 147, 253 (101). 366 BVerfGE 147, 253 (106).

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derivative Teilhaberecht das allgemeine Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.367 Das Teilhaberecht ergibt sich unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG, soweit es dem „Wenn-Dann-Schema“368 folgt. Denn nur wenn der Staat überhaupt eine Leistung anbietet, dann kann erst ein Anspruch auf gleichheitsgerechten Zugang bestehen. Das BVerfG hat in seiner Numerus-Clausus-Entscheidung festgestellt, dass sich derivative Teilhaberechte insbesondere dann ergeben können, wenn der „Staat (…) ein faktisches Monopol für sich in Anspruch genommen hat, wo (…) die Beteiligung an staatlichen Leistungen zugleich notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung von Grundrechten ist.“369 Aus dem Umstand, dass der Staat (im Hochschulbereich) Leistungen anbiete, ergibt sich „ein Recht jedes hochschulreifen Staatsbürgers, an der damit gebotenen Lebenschance prinzipiell gleichberechtigt beteiligt zu werden“.370 Das Gericht erkannte der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG neben seiner abwehrrechtlichen Komponente eine darüberhinausgehende Wirkung zu und leitete das derivative Teilhaberecht neben Art. 3 Abs. 1 GG auch aus Art. 12 GG ab. Überträgt man die vom BVerfG für den Hochschulbereich entwickelten Maßstäbe auf das Gebiet der Organallokation, liegen diese Voraussetzungen vor.371 Die Zuteilung eines Transplantats an schwerkranke Patienten auf der Warteliste zur Organtransplantation als oftmals einzige Therapiemethode, ist für deren Grundrechtsverwirklichung aus Art. 2 Abs. 1 GG erforderlich; wird Patienten die Beteiligung an der angebotenen Leistung (vorhandenes Organaufkommen) verwehrt, droht ihnen schlimmstenfalls der Tod, sodass Regelungen zur Verteilung von – im wahrsten Sinne des Wortes – „Lebenschancen“, unmittelbar das Recht der Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betreffen.372 Darüber hinaus ist nach § 9 Abs. 2 S. 3 TPG die Übertragung vermittlungspflichtiger Organe (zu denen gem. § 1a Nr. 2 TPG auch die Leber gehört) nur zulässig, wenn das Organ durch die Vermittlungsstelle unter Beachtung der in § 12 Abs. 3 TPG normierten Verteilungskriterien vermittelt wurde. Eine legale Organbeschaffung auf andere Weise ist durch das TPG ausgeschlossen, das Organhandel mit Strafe bewehrt, sodass nicht nur ein faktisches, sondern ein rechtliches Monopol des Staates besteht.373 Etwas anderes ergibt sich auch nicht etwa dadurch, dass es sich 367

Dazu instruktiv: Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDSTRL 1972, S. 21 ff. Nußberger, in: Sachs, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 53. 369 BVerfGE 33, 303, (331 f.). 370 BVerfGE 33, 303, (332 f.); Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 68. 371 So bereits: Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 68; Clement, Rechtsschutz nach dem TPG, S. 126, Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 299. 372 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 68; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 299. 373 BVerfGE 33, 303, (330 ff.); Haas, Strafbarkeit wegen (versuchten) Totschlags durch Manipulation von Patientendaten im Bereich der Leberallokation?, HRRS 2016, S. 391; Bader, Organmangel und Organverteilung S. 299. 368

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bei der Organverteilung nicht um eine „staatliche Aufgabe im engeren Sinne“ handelt und er für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben auf private Organisationen zurückgreift; die nicht-staatlichen Akteure unterliegen den Vorgaben des TPG, sodass deren (konkretisierte) Verteilungskriterien nur dann Verbindlichkeit erlangen, soweit der Erlass – wie bei der BÄK – durch das TPG legitimiert ist.374 Festzuhalten bleibt, dass allen geeigneten375 Patienten ein derivativer Teilhabeanspruch aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art 3 Abs. 1 GG am vorhandenen Organaufkommen zusteht376 mit dem die Allokationskriterien vereinbar sein müssen. Das derivative Teilhaberecht darf aber nicht dahingehend verstanden werden, dass jeder Anspruchsinhaber auch tatsächlich die begehrte Leistung erhält. Denn nicht jede Leistung an den einen löst auch eine Leistung an den anderen aus. Vielmehr ist das Teilhaberecht darauf ausgerichtet, ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zu verhindern.377 In Verteilungssituationen ist eine Gleichbehandlung aller im Sinne einer Chancengleichheit zu fordern.378 Da der Teilhabeanspruch auf die zur Verfügung stehenden Kapazitäten begrenzt ist, kann eine Verteilungsentscheidung verfassungskonform erfolgen, auch wenn nicht jeder Bedürftige ein Organ erhält, da das Teilhaberecht keinen „Leistungserfolg“ garantiert.379

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Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 70. Zur Eignung vgl. Glp. II. 2. a) bb). 376 So die überwiegende Auffassung in der Literatur: Schroth/Hofmann, Organverteilung als normatives Problem, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 22; dies., Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation bei der Leberallokation – kritische Anmerkungen zu einem Zwischenbericht – NStZ 2014, 486 (491 f.); Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 72; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 300; Neuefeind, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, S. 447; Dannecker/Streng/Ganten, in: Schmitz-Luhn/Bohmeier, Priorisierung in der Medizin, S. 147, 153; Gutman, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 132 f. Auch das LG Göttingen hat Patienten, bei denen eine Transplantation erforderlich ist, einen solchen aus dem Grundrecht auf Leben des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. dem Anspruch auf Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleiteten Anspruch auf gleichmäßige Teilhabe an den vorhandenen Kapazitäten zugesprochen. Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1835. 377 Klesen, Entscheidung über Menschenleben, S. 230. 378 Rücker, Die Allokation von Lebenschancen, S. 139. 379 Entsprechend hat das BVerfG in seiner NC-Entscheidung aus dem Jahr 2017 ausgeführt: „Die verfassungsrechtlich gebotene Chancenoffenheit schließt das Risiko des Fehlschlags einer Bewerbung auf einen Studienplatz ein, da bei der Vergabe knapper unteilbarer Güter jedes Auswahlsystem – wie immer es ausgestaltet ist – nur einem Teil der Bewerberinnen und Bewerber reale Aussichten eröffnen kann, auch tatsächlich Erfolg zu haben“. Vgl. BVerfGE 147, 253 (106). Ebenso für den Bereich der Rettungshandlungen: Klesen, Entscheidung über Menschenleben, S. 230. 375

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c) Freiheits- und gleichheitsrechtliche Anforderungen Auf Grund der soeben festgestellten Herleitung des Teilhabeanspruches sowohl aus dem Gleichheitsrecht als auch der Schutzkomponente des Freiheitsrechtes sind qualifizierte Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit der Ausschlusskriterien zur Warteliste zur Lebertransplantation und Posteriorisierungskriterien auf Ebene der Organverteilung zu stellen.380 aa) Rechtfertigungsanforderungen des Art. 3 GG (1) Die Rechtfertigungsmaßstäbe Bei der Intensität der Rechtfertigungsprüfung von (Un-)gleichbehandlungen lassen sich unterschiedliche Strömungen unterscheiden. Nach der klassischen vom BVerfG entwickelten „Willkürformel“ ist für die Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes ausschlaggebend, ob eine gesetzliche Regelung evident unsachlich gleich oder ungleich behandelt.381 Eine (nach der reinen Willkürformel) vorgenommene Überprüfung, überlässt dem Gesetzgeber einen breiten Spielraum, indem nur irgendeine Rechtfertigung für die Differenzierung verlangt wird und die Intensität der verfassungsrechtlichen Kontrolle begrenzt wird. Bei der zweiten Stoßrichtung wird im Rahmen einer (wie auch immer gearteten) Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Zweck der Ungleichbehandlung abgestellt.382 Die traditionelle Anwendung der Willkürformel wurde vom BVerfG im Jahr 1980 durch die sog. „neue Formel“383 um einen solchen strengeren Prüfungsmaßstab ergänzt. Das Gericht wendete die Willkürformel nunmehr nicht mehr an, sondern bejahte eine Verletzung des Gleichheitsgrundrechtes bei Vorliegen einer Ungleichbehandlung zweier Gruppen von Normadressaten, obwohl zwischen beiden „keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten“. Der Spielraum des Gesetzgebers ende dort „wo ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehle“.384 Damit näherte sich die Prüfung der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung an.385

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Vgl. dazu auch: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 304 ff. Das BVerfG bejaht einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dann: „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss.“ Vgl. BVerfGE 1, 14 (52). 382 Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 24. 383 Statt vieler: Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 31. 384 BVerfGE 55, 72 (88 f.); aus der neueren Rechtsprechung vgl. beispielsweise BVerfGE 124, 199 (219 f.). 385 Epping, Grundrechte, Rn. 796. 381

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Im Laufe der Jahre wurde auch dieser Maßstab vom BVerfG erneut durch die „neueste Formel“386 anhand gestufter Maßstäbe derart erweitert, dass sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber ergeben. Diese können „vom bloßen Willkürverbot bis hin zu einer strengen Bindung an die Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen“.387 Der Gesetzgeber unterliege bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen einer strengen Bindung, die sich nochmals verenge, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale denen in Art. 3 Abs. 3 GG aufgezählten „annähern“ und je größer die damit einhergehende Gefahr der Diskriminierung einer Minderheit sei.388 Dies gelte auch für personenbezogene Merkmale, die nicht durch den Betroffenen beeinflussbar, ihm also nicht zugänglich seien. In jüngster Zeit zeichnen sich allerdings vermehrt Tendenzen des BVerfG ab, die entwickelte Stufenlehre wieder aufzugeben. Im Schrifttum auch als „StufenlosFormel“389 oder „gleitende Skala“390 bezeichnet, könnten die unterschiedlichen Grenzen für den Gesetzgeber „stufenlos von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen.“391 „Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach-und Regelungsbereichen bestimmten lassen.“392 Erneut brachte das BVerfG auch in dieser Entscheidung zum Ausdruck, dass eine strengere Bindung des Gesetzgebers insbesondere bei Vorliegen der (schon bei Entwicklung der neuen Formel entwickelten) Anknüpfung des Differenzierungskriteriums an unverfügbare Merkmale des Einzelnen, sowie bei Annäherung an die in Art. 3 Abs. 3 GG normierten Kriterien geboten ist. Zusätzlich stellt das Gericht für eine strengere Bindung auf eine Auswirkung der Ungleichbehandlung auf die Freiheitsgrundrechte ab.393 Obgleich der gebotene Prüfungsmaßstab auf Grund der uneinheitlichen Rechtsprechung des BVerfG mitunter schwierig zu bestimmen ist, ist ein „Mehr“ an verfassungsrechtlicher Strenge vom BVerfG zumindest also bei einer Verbindung des Gleichheitsgrundsatzes mit einem Freiheitsgrundrecht gefordert.394 Die Intensität der Prü386 Diese Bezeichnung hat sich allerdings nicht einheitlich durchgesetzt. Vgl. Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 28. 387 BVerfGE 88, 87 (96 f.). 388 BVerfGE 88, 87 (96 f.); 124, 199 (220); 129, 49 (69). 389 Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 28. 390 Wollenschläger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 99 f. 391 BVerfGE 129, 49 (Ls. 1). 392 BVerfGE 129, 49, (68 f.). 393 BVerfGE 129, 49, (68 f.); BVerfGE 138, 136 (180 f.) 394 BVerfGE 88, 87 (96); 95, 267 (316 f.); 105, 73 (110 f.); Nußberger, in: Sachs, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 32.

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fungskontrolle und die Intensität der Ungleichbehandlung stehen damit in einem unmittelbaren Zusammenhang („Je-desto-Formel“).395 (2) Anwendung von Verhältnismäßigkeitskriterien Kern der (dogmatischen) Schwierigkeiten bleibt indes bis heute, was unter den „Verhältnismäßigkeitsanforderungen“ im Gleichheitskontext zu verstehen ist.396 Neben Ansätzen, die eine eins-zu-eins Übertragung der freiheitsgrundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Gleichheitssatz anwenden wollen,397 mehren sich Stimmen, die eine „Entsprechungsprüfung“ fordern, um den Besonderheiten des Gleichheitsbegriffes – durch Abwägung der Beeinträchtigung durch entsprechende sachliche Gründe – Rechnung zu tragen.398 Darin wird auch der überwiegende Ansatz der neueren Rechtsprechung des BVerfG gesehen.399 Auf Grund der teilweise deutlichen und strukturellen Differenzen zur freiheitsrechtlichen Rechtfertigungsprüfung wird eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung von überwiegenden Teilen der Literatur strikt abgelehnt, da diese Zweck-Mittel-Relation und grundsätzlich nur auf das Verhältnis zwischen Bürger und Staat nicht aber auf einen zugleich beschwerten Dritten ausgelegt sei.400 Auch das BVerfG verwendet die klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht, sondern verweist auf eine „Gewichtung nach Verhältnismäßigkeit“.401 Für eine Entsprechungsprüfung ist daher zu fragen, ob die Beeinträchtigung ihrer Schwere nach „durch entsprechende sachliche Gründe aufgewogen“ wird.402 (3) Prüfungsmaßstab für die Alkoholkarenzklausel und das Posteriorisierungskriterium der Mailand-Kriterien Hinsichtlich der Alkoholkarenzklausel und dem Posteriorisierungskriterium der Mailand-Kriterien ist festzuhalten, dass diese einen deutlichen Bezug zum Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aufweisen, der sich auf den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab auswirkt. Zwar verbietet sich die schematische Vorgehensweise, bei betroffenen Freiheitsanforderungen au395

Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 33. Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 27. 397 Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, 1980, 58 (64); Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBl. 1988, 863 (874 f.); Zippelius, Der Gleichheitssatz. Gesetzesgestaltung und Gesetzesanwendung im Leistungsrecht, VVDSTRL 1989, 7, (23 ff.). 398 Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 27. Vgl. dazu auch Wollenschläger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 118. 399 Wollenschläger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3, Rn. 118. 400 Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 35. 401 BVerfGE 101, 275 (290); Wollenschläger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar Art. 3, Rn. 131. 402 Kischel, in: BeckOK, Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 37. 396

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tomatisch auf strengste Rechtfertigungsanforderung zu schließen. Spezifische Ungleichbehandlungen im Rahmen der Organallokation haben aber stets zur Konsequenz, dass Patienten, denen kein Organ zugeteilt wird, in ihrem Recht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG beeinträchtigt werden. Unbestritten ist daher, dass im Rahmen der Organallokation eine strengere Prüfung – anstatt einer bloßen Willkürprüfung– vorzunehmen ist. Muss zwischen prinzipiell Gleichberechtigten (allen geeigneten Patienten) eine Auswahl getroffen werden, ist eine bloße Willkürprüfung nicht ausreichend.403 Mithin unterliegen die Alkoholkarenzklausel und die posteriorisierenden Mailand-Kriterien dem strengsten Prüfungsmaßstab im Sinne einer engen Bindung an „Verhältnismäßigkeitsanforderungen“. bb) Grundsatz der Lebenswertindifferenz Neben der soeben festgestellten strengen Bindung der BÄK an die Verhältnismäßigkeitsanforderungen, könnte sich durch den ebenfalls erörterten freiheitsrechtlichen Bezug der Ausschlussklauseln und damit einhergehenden speziellen Diskriminierungsverboten ein nochmals eingeengter Spielraum der BÄK bei der Normierung von Ausschlusskriterien von der Warteliste zur Lebertransplantation bzw. der Posteriorisierungskriterien im Rahmen der Dringlichkeit ergeben. Durch den freiheitsrechtlichen Bezug des Teilhaberechts wird nicht nur der verschärfte Maßstab zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung angewandt, sondern es ist darüber hinaus auch der Gehalt des betroffenen Grundrechts zu berücksichtigen.404 Hierbei ist besonderes Augenmerk auf den Grundsatz der Lebenswertindifferenz zu legen. Im Strafrecht findet sich im Rahmen des rechtfertigenden Notstands des § 34 StGB der von Literatur und Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der „Unabwägbarkeit von Leben gegen Leben“.405 Danach darf ein Leben bei der Abwägung der betroffenen Interessen gegenüber einem anderen nicht deshalb höher gewertet werden, weil es unter utilitaristischen Gesichtspunkten für die Allgemeinheit sinnvoll erscheint.406 Weder darf ein Leben anhand persönlicher Eigenschaften bewertet werden, noch darf die Dauer des Lebens oder die Qualität berücksichtigt werden.407 403 Dies entspricht im Übrigen auch der überwiegenden Auffassung im Schrifttum. Vgl. Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, S. 125; Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 72 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit, S. 43; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 303. Ähnlich für begrenzte Kapazitäten auch: Riedel, Das Teilhaberecht zur Zulassung an der vertragsärztlichen Versorgung, NZS 2009, 260 (264). 404 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 315. Geht es um die Verteilung knapper Güter, wird der Schwerpunkt der Berücksichtigung regelmäßig auf die Freiheitsrechte gelegt. Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 6. 405 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 337. 406 Sternberg-Lieben, Sinn und Grenzen (straf-)gesetzlicher Steuerung im Arztrecht am Beispiel der Organ-Allokation, ZIS 2018, 130 (131). 407 Sternberg-Lieben spricht von „Eigenschafts- und Dauerbewertungsverbot“. Vgl. Sternberg-Lieben, Sinn und Grenzen (straf-)gesetzlicher Steuerung im Arztrecht am Beispiel der Organ-Allokation, ZIS 2018, 130 (131).

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Auch das „vom Tod gezeichnete, unrettbar verlorene Leben“ darf nicht zur Rettung eines anderen geopfert werden.408 Das Leben ist weder qualitativ nach Gesundheit, Alter oder ähnlichem abstufbar und auch einer Quantifizierung vollends entzogen.409 Das BVerfG äußerte sich zur Gleichwertigkeit allen Lebens bereits in seiner Entscheidung zur Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch.410 „Jedes menschliche Leben (…) ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden.“411 Dieser Grundsatz der „Lebenswertindifferenz“412 bedeutet, dass das Rechtsgut Leben weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht einer Abwägung gegen ein anderes Leben zugänglich ist. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 GG verbieten daher jede unmittelbare oder auch nur mittelbare Differenzierung nach dem Lebenswert des Einzelnen. Das verfassungsrechtliche Differenzierungsverbot verbietet auch die Addition mehrerer Menschenleben, um die sich ergebende Summe dem Einzelnen gegenüber als vorrangig bewerten zu können.413 Dies umfasst ebenso ein Abstellen auf die zu erwartende Dauer oder Qualität seines Lebens.414 Bedarf es in einem Dreiecksverhältnis – wie bei der Organallokation – einer Auswahl zwischen verschiedenen Personen, stellt der Grundsatz der Lebenswertindifferenz dogmatisch ein Differenzierungsverbot dar, das in Konfliktsituationen eine Anknüpfung an Dauer oder Qualität des einzelnen Lebens verbietet.415 cc) Zwischenergebnis Allen Patienten, bei denen eine Organtransplantation indiziert ist, steht ein sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip ergebendes Teilhaberecht an der Organverteilung zu.416 Aus diesem Recht ergeben 408

Lackner/Kühl, StGB, § 34, Rn. 7. Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34, Rn. 23. 410 BVerfGE 39, 1 (59); Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 339. 411 BVerfGE 39, 1 (59); Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 339. 412 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 29 und Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 79 jeweils mit Verweis auf Lübbe, Anfang und Ende des Lebens, in: Akademie der Wissenschaften und Literatur, Abhandlungen der Geistes-und Sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz, 1988, S. 11. 413 Entsprechend führt das BVerfG dazu aus: „Die pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens“. Vgl. BVerfGE 39, 1 (58); Höfling/Augsberg, Luftsicherheit, Grundrechtsregime und Ausnahmezustand, JZ 2005, 1080 (1082). 414 So auch Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 24. 415 Rücker, Die Allokation von Lebenschancen, S. 141; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 316; Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 78 f. 416 Dies entspricht der überwiegenden Auffassung im Schrifttum. Vgl. Glp. III. 3. b) bb). 409

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sich an die unvermeidbaren Ungleichbehandlungen konkrete verfassungsrechtliche Anforderungen. Die Ungleichbehandlung muss auf einem sachlich einleuchtenden Grund basieren. Mit der Entsprechungsklausel ist danach zu fragen, ob die Beeinträchtigung durch entsprechende sachliche Gründe aufgewogen wird. Ferner dürfen die Ausschlussklauseln nicht gegen die Differenzierungsverbote des Art. 3 Abs. 1, 3 GG sowie den Grundsatz der Lebenswertindifferenz verstoßen.417 Eine Verteilungsentscheidung kann verfassungskonform erfolgen, auch wenn nicht jeder Bedürftige ein Organ erhält, da das Teilhaberecht keinen „Leistungserfolg“ garantiert. Zusammengefasst steht dem bedürftigen und geeigneten Patienten ein Recht auf Schutz seines Lebens durch Teilhabe am Organtransplantationssystem auf Basis „lebenswertindifferenter Gleichheitskriterien“ zu.418 d) Anwendung des verfassungsrechtlichen Maßstabes auf die Alkoholkarenzklausel und die Mailand-Kriterien Wie bereits dargelegt, enthält die Richtlinie zur Lebertransplantation verschiedene Kriterien, die unterschiedliche Ebenen der Organallokation betreffen. Während die Alkoholkarenzklausel für Patienten, die keine sechsmonatige Alkoholabstinenz eingehalten haben, bereits auf der ersten Selektionsebene die Aufnahme auf die Warteliste verbietet, betrifft die Anwendung der Mailand-Kriterien die zweite Selektionsebene der Organallokation, namentlich die Organverteilung. Die Patienten, die durch die Anwendung der Mailand-Kriterien benachteiligt werden, befinden sich zwar bereits auf der Warteliste, ihr HCC überschreitet aber die nach den MailandKriterien zulässigen Grenzwerte, sodass ihnen kein SE-MELD419 im Rahmen der Dringlichkeit gewährt wird.

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Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 335. Haas, Strafbarkeit wegen (versuchten) Totschlags durch Manipulation von Patientendaten im Bereich der Leberallokation HRRS 2016, S. 391. Eine vergleichbare Problematik ergibt sich auch im Zusammenhang mit der Verteilung von Impfstoffen. Entsprechend wird auch bei einer Pandemie vom Schrifttum ein derivatives Teilhaberecht aller Bürger hinsichtlich begrenzter Impfstoffkapazitäten angenommen. Ein solches Recht soll den Bürgern ferner auch im Hinblick auf begrenzte Behandlungskapazitäten in den Krankenhäusern zustehen. Vgl. Witte, Recht und Gerechtigkeit im Pandemiefall, S. 131 ff., Engländer/Zimmermann, NJW 2020, 1398 (1402); aktuell stellt sich auf Grund der Corona-Pandemie die Frage, welche Bürger bei der Impfstoffzuteilung vorrangig berücksichtigt werden sollen. Dazu wird derzeit ein Referentenentwurf erarbeitet (Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-COV-2) s. dazu auch die Stellungnahme der BÄK vom 9. 12. 2020 vgl. Stellungnahme der Bundesärztekammer, zu dem Referentenentwurf einer Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronavirusImpfverordnung – CoronaImpfV) des Bundesministeriums für Gesundheit vom 4. 12. 2020). 419 Vgl. Glp. II. 2. b) cc) (2) (b). 418

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aa) Vereinbarkeit der Alkoholkarenzklausel mit dem derivativen Teilhaberecht alkoholkranker Patienten Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose sind, sofern bei ihnen eine Lebertransplantation notwendig ist und eine Erfolgsaussicht in dem herausgearbeiteten Sinne einer grundsätzlichen Eignung besteht,420 grundsätzlich mit Patientenkollektiven anderer Indikationen vergleichbar.421 Für das Vorliegen einer rechtlich relevanten Ungleichbehandlung müsste durch die Alkoholkarenzklausel wesentlich gleiches ungleich oder wesentlich ungleiches gleich422 behandelt werden. Werden an Fälle, die im Wesentlichen vergleichbar sind, unterschiedliche Rechtsfolgen gebunden, liegt eine Ungleichbehandlung vor.423 Durch die Alkoholkarenzklausel als normierte Kontraindikation für die Aufnahme auf die Warteliste werden die Erfolgsaussichten verschiedener Patienten gegeneinander abgewogen.424 Patienten mit anderen Indikationen werden ohne sechsmonatige Abstinenzzeit auf die Warteliste zur Lebertransplantation aufgenommen, sodass an vergleichbare Fälle unterschiedliche Rechtsfolgen gebunden werden. Bei der Alkoholkarenzklausel handelt es sich mithin um ein Differenzierungskriterium, das vergleichbare Personengruppen ungleich behandelt. Für die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung bedarf es, nach dem erarbeiteten Maßstab, eines sachlichen Grundes. Die Beeinträchtigung muss durch entsprechende sachliche Gründe aufgewogen werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Alkoholkarenzklausel als Ausschlusskriterium für die Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation bereits auf erster Selektionsebene den Zugang zum Organ und damit die Teilnahme am Verteilungsverfahren verwehrt und dadurch nochmals intensiver in die Grundrechte der betroffenen Patienten eingreift, als es die tatsächlichen Verteilungskriterien auf der zweiten Selektionsebene tun.425 Als sachliche Gründe für das Differenzierungskriterium führt die BÄK das Regenerationspotenzial der Leber (während der sechsmonatigen Abstinenzzeit) sowie die vermeintlich schlechteren Langzeitprognosen durch das erhöhte Rückfallrisiko nicht abstinenter Patienten nach der Lebertransplantation an. Die Klausel soll daher dem BÄK-spezifischen Verständnis der in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG normierten Erfolgsaussicht Rechnung zu tragen, wonach Kontraindikationen für die Aufnahme auf die Warteliste dann vorliegen, wenn diese „das Risiko bei der Operation erheblich erhöhen oder den längerfristigen Erfolg der Transplantation in Frage stellen“.426 420

Vgl. Glp. II. 2. a) bb). Ähnlich: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 335. 422 Vgl. dazu nur: BVerfGE 98, 365 (385). 423 Statt vieler: Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG Kommentar, Art. 3, Rn. 23. 424 Lauerer/Baier/Alber/Nagel, Berücksichtigung der Erfolgsaussicht bei der Allokation von Spenderlebern, in: Schmitz-Luhn/Bohmeier, Priorisierung in der Medizin, S. 163. 425 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 81. 426 Vgl. Glp. II. 1. b) bb) (1). 421

III. Rechtliche Analyse

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Grund für die Berücksichtigung der Erfolgsaussicht ist wiederum die utilitaristische Erwägung einer optimalen und bestmöglich effektiven Ressourcennutzung.427 Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass sowohl die Annahme, die Leber könne sich auch bei Vorliegen einer alkoholinduzierten Leberzirrhose derart regenerieren, dass eine Transplantation nicht notwendig sei, sowie die eines pauschalen Rückfallrisikos nicht medizinisch begründbar ist und nicht den von § 16 Abs. 1 S. 1 TPG geforderten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft abbildet. Schon aus diesem Grund stellt die Klausel gemessen am Gleichheitssatz keine verfassungsrechtlich zulässige Differenzierung dar. Dennoch soll aufgezeigt werden, dass die Alkoholkarenzklausel auch verfassungswidrig ist. (1) Erhöhtes Rückfallrisiko als sachlicher Grund Hinsichtlich dieses Argumentes ist das Kriterium der Compliance in den Blick zu nehmen. (a) Das Merkmal der Compliance In der Leberrichtlinie der BÄK wird mangelnde Compliance als „unzureichende oder sogar fehlende Mitarbeit“ des Patienten beschrieben. Compliance bedeute ferner die „Bereitschaft und Fähigkeit, an den erforderlichen Vor- und Nachuntersuchungen und -behandlungen oder bei der zwingenden Einnahme der Immunsuppressiva mitzuwirken“.428 Sofern sich die Compliance auf biologische Körperreaktionen als Folge des Patientenverhaltens bezieht, kann insoweit (noch) von einem medizinischen Kriterium gesprochen werden.429 Denn ist die Transplantation wegen bereits im Vorfeld gezeigtem, unzuverlässigen Verhaltens430 des Patienten bereits derart gefährdet, dass eine Organübertragung vollkommen sinnlos wäre, stellt die Compliance eine medizinische Anknüpfung an die von § 10 Abs. 2 TPG erforderten Erfolgsaussichten im Sinne einer grundsätzlichen Eignung431 und damit ein zulässiges Ausschlusskriterium zum Zugang zur Warteliste dar.432 Komplexer gestaltet sich die Rechtfertigung des Kriteriums aber, wenn auf eine zukünftige Kooperationsbereitschaft- und/oder Fähigkeit des Patienten abgestellt wird. Für die Prognose 427 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 48 f.; zustimmend: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 336. 428 In der ersten Richtlinie befindet sich der Begriff der Compliance auch unter „Psychosoziales“. Vgl. Schreiber/Haverich, Richtlinie für die Warteliste und Organvermittlung, Dtsch. Ärztebl. 2000, A-385. 429 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 209; ebenso Holznagel, der das Merkmal der Compliance für vom Wortlaut des TPG gedeckt hält, da es an die medizinische Wissenschaft angebunden werden könne. Ähnlich auch Uhl, Richtlinien der Bundesärztekammer, S. 337. 430 Beispielsweise bei Nichteinnahme von Medikamenten, Nichterscheinen zu Behandlungsterminen etc. 431 Vgl. Glp. II. 2. a) bb). 432 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 209.

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eines zukünftigen organschädigenden Verhaltens ist ausweislich der Richtlinie zur Lebertransplantation der Rat eines Psychologen einzuholen,433 allerdings erscheint eine Vorhersage schwierig. Durch seine Unbestimmtheit eröffnet das Kriterium die Möglichkeit (bewusst oder unbewusst), nicht medizinische Erwägungen bei der Patientenauswahl heranzuziehen. Besonders deutlich hat sich die Gefahr einer „pseudomedizinischen434“ Selektion der Patienten vor einigen Jahren in einem Münchener Transplantationszentrum realisiert. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, wurde eine für eine Nierentransplantation im Transplantationszentrum München Großhadern gelistete Patientin wegen angeblichen Fehlverhaltens ihres Ehemannes (sic) durch Schriftverkehr gegenüber den zuständigen Chirurgen wegen mangelnder Compliance von der Warteliste genommen und ET als nicht transplantabel gemeldet.435 In den Richtlinien sind die Sprachkenntnisse eines Patienten ebenfalls als ein Merkmal der Compliance ausdrücklich aufgeführt. Aufsehen erregte diesbezüglich ein Fall einer ausländischen Patientin, der wegen mangelnder deutscher Sprachkenntnisse eine Aufnahme auf die Warteliste zur Herztransplantation verweigert wurde. Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass die erforderlichen Nachuntersuchungen und Medikamenteneinnahmen mit Hilfe eines Dolmetschers bewältigt werden können, fragwürdig.436 Ferner warten Patienten beispielsweise auf ein Nierentransplantat häufig über Jahre auf der Warteliste und können mit ausreichender Unterstützung zumindest die erforderlichen sprachlichen Grundkenntnisse erwerben, um compliant zu werden. Insbesondere durch die Anknüpfung an ein von Art. 3 Abs. 3 GG ausdrücklich erwähntes, spezielles Diskriminierungsverbot erscheint das Abstellen auf nicht ausreichend vorhandene sprachliche Fähigkeiten auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht bedenklich. Das BVerfG, das sich mit diesem Fall auseinandersetzen musste, hat sich in seiner Entscheidung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik des Compliance-Kriteriums beschäftigt, sondern sich lediglich dahingehend geäußert, dass hinsichtlich des Compliance-Merkmals „schwierige in der Literatur aufgeworfene und in der Rechtsprechung nicht geklärte Fragen“ bestünden.437

433 Richtlinie gema¨ ß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, A. I. 4. 434 Galden, Geschichte & Ethik der Verteilungsverfahren von Nierentransplantaten durch Eurotransplant, S. 24. 435 Gegen dieses Vorgehen legte die Patientin eine Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Bayerischen VGH ein. Die Klage wurde vom VGH allerding mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses der Klägerin als unzulässig abgewiesen, da die Klägerin bereits in einem anderen Transplantationszentrum erfolgreich transplantiert worden war. Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 15. 6. 2015 – 5 ZB 14.1919. Das BVerfG hat die daraufhin eingereichte Verfassungsbeschwerde der Patienten nicht zur Entscheidung angenommen. Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. Juli 2016 – 1 BvR 1705/15 –, juris. 436 So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 382. 437 BVerfG, NJW 2013, 1727, Rn. 13.

III. Rechtliche Analyse

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(b) Die Abstinenzpflicht als Anforderung an die postoperative Compliance In Bezug auf die Alkoholkarenzklausel spielt die Compliance insoweit eine Rolle, als bei einer vermeintlich selbstinduzierten Erkrankung die Vermutung besteht, der Patient könne durch eigenes Verhalten, also insbesondere durch erneuten Alkoholkonsum, das zweite Organ (erneut) beschädigen.438 Die Alkoholkarenzklausel ist damit eine Ausprägung der postoperativen Compliance.439 Wie bereits dargelegt, ist ein Abstellen auf ein erhöhtes Rückfallrisiko dieses Patientenkollektivs nicht medizinisch begründbar. Jedenfalls ist auf der ersten Selektionsebene maßgeblich, ob der Patient überhaupt eine grundsätzliche Eignung für die Transplantation aufweist, sodass etwaige langfristige Schäden, die er sich möglicherweise durch erneuten Alkoholkonsum zufügen wird, außer Betracht zu bleiben haben. Zwar sind durch schweren Alkoholmissbrauch unmittelbare Auswirkungen auf die postoperative Compliance möglich; dies wäre aber anhand des Einzelfalles zu beurteilen, wobei sicherzustellen wäre, dass die für eine Lebertransplantation erforderliche (Mindest)Eignung des Patienten wegen seiner Alkoholabhängigkeit fehlt.440 Dies ist bei der Alkoholkarenzklausel nicht der Fall. In jüngster Zeit weisen zudem Studien darauf hin, dass Patienten mit einer alkoholinduzierten Lebererkrankung selbst bei einem Rückfall441 die Medikamenteneinnahme nicht vernachlässigen und insofern mit Patienten, bei denen die Lebertransplantation nicht alkoholisch induziert ist, hinsichtlich der postoperativen Compliance vergleichbar sind.442 Ferner ist problematisch, dass bei einem Patienten, der bereits sechs Monate alkoholabstinent gewesen ist und dann einen einmaligen Alkoholrückfall erleidet, die sechsmonatige Frist von neuem beginnt.443 Ein solches Vorgehen ist vom eindeutigen Wortlaut der Alkoholkarenzklausel aber nicht gedeckt. (2) Keine Begründung über das Gerechtigkeitskriterium Selbstverursachung Vielfach werden für die Begründung der Alkoholkarenzklausel auch Gerechtigkeitsüberlegungen herangezogen.444 Für die Befürworter solcher Kriterien ist die Selbstverursachung („Self-Infliction“) der Erkrankung, die eine Transplantation erst 438

Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381. So auch: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 248. 440 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381. 441 Zur Begriffsproblematik eines „Rückfalls“ vgl. Glp. II. a) bb). 442 Berlakovich et al., Efficacy of liver transplantation for alcoholic cirrhosis with respect to recidivism and compliance, Transplantation, 1994, 560 ff. 443 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1817. 444 So bereits Bird et al., die davon ausgehen, dass die sechsmonatige Abstinenzperiode zur Akzeptanz von Lebertransplantationen bei alkoholkranken Patienten in der Allgemeinheit beitragen und so zu mehr Einwilligungen der Angehörigen in eine postmortalen Organentnahme führen kann. Vgl. Bird et al., Livertransplantation in patients with alcoholic cirrhosis: selection criteria and rates of survival and relapse, BMJ, 1990, 15 ff.; Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen- Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 207. 439

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

erforderlich macht, also die eigene Verantwortlichkeit für das Krankheitsbild von besonderer Bedeutung.445 „Trank und Transplantation“ sollen – ginge es nach dem allgemeinen gesellschaftlichen Gerechtigkeitsempfinden – einander ausschließen.446 Hat erst das schädliche Verhalten des Patienten seine Erkrankung hervorgerufen, soll dieser bei der Organverteilung zumindest nachrangig berücksichtigt werden dürfen. Die Einhaltung einer sechsmonatigen Abstinenzfrist sei Zeichen des guten Willens der potenziellen Organempfänger.447 Zwar führt die BÄK zur Begründung der Alkoholkarenzklausel keine Gerechtigkeitsüberlegungen an. Dennoch wird über das Merkmal der Compliance der Aspekt des früheren selbstschädigenden Verhaltens zumindest mittelbar miteinbezogen.448 Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass gerechtigkeitstheoretische Aspekte bei der Erstellung der ersten Richtlinie zur Lebertransplantation eine Rolle gespielt haben. So hieß es in der Begründung zu ersten Leberrichtlinie: „Mit der Aufnahme von „Nikotin, Alkohol- oder sonstiger DrogenAbusus“ als derzeitige Kontraindikationen wird aber auch die Verantwortung449 des potenziellen Organempfängers für einen möglichst langfristigen Transplantationserfolg verdeutlicht.“450 Diese vermeidbaren Risikofaktoren seien vor Aufnahme auf die Warteliste abzustellen. Selbst wenn das Trinkverhalten, das möglicherweise zur Leberzirrhose geführt haben könnte, für den Patienten kontrollierbar sein sollte, so ist ihm doch ein Recht auf Unvernunft zuzugestehen, da das persönliche Verhalten auch viele andere Indikationen für eine Lebertransplantation beeinflusst.451 Die Tatsache, dass beispielsweise Patienten mit akutem Leberversagen (ALF)452 nach Ecstasy-Konsum oder in suizidaler Absicht eingenommener Überdosis Paracetamol sowie Patienten mit akuten Hepatitis-B-Virus (HBV) Infektionen aufgrund unvorsichtiger Sexual445

Instruktiv für diese Ansicht: Moss et al., Should alcoholics compete equally for liver transplantation?, JAMA, 1991, 1295 ff.; Atterbury, The alcoholic in the lifeboat. Should drinkers be candidates for liver transplantation. J Clin Gastroenterol 1986, 1 ff. 446 Umfragen ergeben immer wieder, dass es der Bevölkerung an Verständnis für vermeintlich selbstinduzierte Lebertransplantationen bei alkoholkranken Patienten fast gänzlich fehlt. Vgl. beispielsweise Neuberger et al., Assessing priorities for allocation of donor liver grafts: Survey of public and clinicians. BMJ 1998, 172 ff.; Dixon et al., Priority setting: Lessons from Oregon, Lancet 1991, 891 ff. 447 O’Grady, Liver transplantation alcohol related liver disease:(deliberately) stirring a hornet’s nest! Gut 2006, 1529 ff. 448 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 462. 449 Hervorhebung nicht im Original. 450 Schreiber/Haverich, Richtlinie für die Warteliste und Organvermittlung, Dtsch. Ärztebl. 2000, A-385; Lang, in: Höfling, TPG Kommentar, § 10, Rn. 40. 451 Im et al., Liver Transplantation for alcoholic Hepatitis, Journal of Hepatology, 2019, 328 ff. 452 Vgl. Glp. II. 1. b) bb) (2) (c). Zwar ist die Aufnahme dieser Patienten auf die Warteliste an die Voraussetzung des Vorliegens der Kings-College-Kriterien geknüpft, diese sind aber als Eignungskriterien anzusehen, da bei ihrem Nichtvorliegen der Tod des Patienten schon so kurz bevorsteht, dass er angesichts der Risiken einer Lebertransplantation für eine solche nicht (mehr) die erforderliche Eignung aufweist.

III. Rechtliche Analyse

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praktiken oder durch „needle sharing“ an Hepatitis-C-Virus (HCV) erkrankten Menschen uneingeschränkter Zugang zur Warteliste gewährt wird, wirft vielmehr die Frage auf, warum Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose anders behandelt werden sollten.453 Ferner gestaltet sich auch die Zurechnung des Patientenverhaltens zur Organschädigung als schwierig, da nicht in jedem Fall mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden kann, dass ein schwerwiegender Alkoholkonsum zu der Leberzirrhose geführt hat, mit der Folge, dass eine Anwendung der Abstinenzklausel auch zulasten in diesem Sinne „falscher“ Patienten möglich ist.454 Auch wird vorgetragen, alkohol- und suchtkranke Menschen seien verpflichtet, sich Hilfe zu suchen; würden sie dies nicht tun und seien dann wegen einer alkoholinduzierter Leberzirrhose auf ein Lebertransplantat angewiesen, sei dies selbstverschuldet im weiteren Sinne.455 Dem ist entgegen zu halten, dass alkoholkranke Menschen von der Gesellschaft häufig unentdeckt bleiben und auch durch das Raster der präventiven Gesundheitsfürsorge fallen. Bei dem Gerechtigkeitskriterium der Selbstverursachung handelt es sich um ein „pädagogisches, aber kein medizinisches Argument“456 mit einem „erzieherischen Ziel“457, das von § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG nicht gedeckt ist. Zur Rechtfertigung der Alkoholkarenzklausel kann daher nicht eine mögliche frühere Verantwortlichkeit der Betroffenen fruchtbar gemacht werden. Die Selbstverursachung hat außer Betracht zu bleiben.458 Auch das im Göttinger Transplantationsprozess von der Staatsanwaltschaft vorgetragene Argument, es könne sich negativ auf die Spendebereitschaft der Bundesbürger auswirken, wenn jeder „von der Theke auf den Tisch“459 transplantiert würde, erweist sich ebenfalls als nicht tragfähig. Das Organaufkommen hängt von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren ab und erweist sich als nur schwerlich prognostizierbar, sodass nicht von einem Rückgang der Organspendebereitschaft ausgegangen werden kann.

453 Marroni et al., Liver transplantation and alcoholic liver disease: History, controversies, and considerations, World J Gastroenterol, 2018, 2785 ff. 454 Das LG Göttingen hat den Angeklagten in zumindest einem der Fälle aus diesem Grund aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 2355, 2417. 455 Moss et al., Should alcoholics compete equally for liver transplantation?, JAMA 1991, 1295 (1269). 456 Schroth, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulationen bei der Leberallokation, NStZ 2013, 437 (444). 457 Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung Organzuteilungsentscheidungen, Medstra, 2018, 3 (10). 458 Dies gilt ebenso für neuere Bestrebungen, postoperatives Rauchen als negatives Allokationskriterium für Patienten mit alkoholtoxischer Leberzirrhose in Erwägung zu ziehen. Vgl. Behrenbeck, Erhöhtes Tumorrisiko durch Nikotinkonsum bei Patienten mit postalkoholischer Leberzirrhose nach Lebertransplantation, S. 37 ff. 459 LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1855.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

(3) Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot der Lebenswertindifferenz Zusätzlich könnte die Klausel in ihrer derzeitigen Form gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz verstoßen. Durch den Ausschluss nicht abstinenter Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose stellt die Vorschrift auf die Erfolgsaussicht einer Lebertransplantation ab. Versteht man das in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG normierte Kriterium der Erfolgsaussicht verfassungskonform im Sinne einer bloßen, grundsätzlichen medizinischen Eignung460 des Patienten zur Transplantation, wird deutlich, dass die Alkoholkarenzklausel über dieses Erfordernis weit hinausgeht. Geeignet in diesem Sinne ist ein Patient nämlich bereits dann, wenn er von der Transplantation überhaupt profitieren würde. Die Alkoholkarenzklausel als Ausprägung des von der BÄK zugrunde gelegten Verständnisses der Erfolgsaussicht i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG nimmt eine utilitaristische Erwägung im Sinne einer Maximierung der Organfunktionsdauer vor und eine dementsprechend unterschiedliche Bewertung des Lebensrechts der verschiedenen Patientenkollektive vor, indem sie Patienten das benötigte Lebertransplantat verweigert, weil andere Patienten mit diesem länger oder besser überleben könnten.461 Dies ist eine unzulässige Anknüpfung an die prognostizierte (Über-)Lebensdauer der Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose. Patienten, die keine Abstinenzzeit von sechs Monaten eingehalten haben sind nach der hiesigen Auslegung der Erfolgsaussicht in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG für eine Transplantation geeignet. Die Alkoholkarenzklausel unterwandert die Funktion der Warteliste als bloßer Indikationsfeststellung462 und bewertet das Leben nicht abstinenter Patienten gegenüber anderen als weniger wertvoll. Die Vorschrift ist daher mit dem Grundprinzip der Gleichwertigkeit allen Lebens nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG nicht zu vereinbaren. (4) Zwischenergebnis Die durch die Alkoholkarenzklausel entstehende Beeinträchtigung der betroffenen Patienten kann nicht durch entsprechende sachliche Gründe aufgewogen werden. Für all jene Patienten, die (noch) keine sechsmonatige Abstinenzzeit nachweisen können, bedeutet die Klausel, dass ihnen selbst dann kein Organ angeboten wird, wenn dieses beispielsweise wegen eines unpassenden Donor- oder Zentrumsprofils463 von mehreren Transplantationszentren abgelehnt worden ist.464 Gerade bei höchst seltenen Blutgruppen ist eine vielfache Ablehnung durch die Transplantationszentren bis zu einem Zeitpunkt, bei dem das Organ nicht mehr

460

Vgl. Glp. II. 2. a) bb). Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 342. 462 Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung II, S. 82. 463 Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 4. b) aa). 464 Meist handelt es sich dabei um sog. eingeschränkt vermittelbare Organe. Vgl. drittes Kapitel, Glp. III. 4. b) aa). 461

III. Rechtliche Analyse

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brauchbar ist, nicht unwahrscheinlich.465 Darüber hinaus würde die Alkoholkarenzklausel sterbenskranken Patienten auch dann die nötige Behandlung verweigern, wenn es tatsächlich irgendwann genügend Organe geben sollte.466 Auch ist fraglich, warum für die Leberlebendspende keine vorherige Abstinenzzeit verlangt wird, da die von der BÄK angeführten medizinischen Begründungen konsequenterweise auch bei der Lebendspende berücksichtigt werden müssten.467 Es sprechen zudem unterschiedliche Studien für die Willkürlichkeit der abzuleistenden Abstinenzzeit, bei denen das postoperative Ergebnis auch bei deutlich verkürzter Abstinenzzeit (von einem bis drei Monaten) mit denen länger abstinenter Patienten vergleichbar war.468 Darüber hinaus ist festzuhalten, dass selbst bei einer (unterstellten) (Teil-)Regeneration der Leber, der MELD-Score durch die Verbesserung der Leberfunktion entsprechend sinken würde, sodass sich die Dringlichkeit verringern und der Patient automatisch niedriger gelistet würde. Der MELD-Score findet allerdings erst bei Patienten auf der Warteliste Anwendung. Selbst bei Annahme einer zwingend (und medizinisch begründeten) erforderlichen Abstinenzzeit sollte sich die notwendige Dauer am jeweiligen Einzelfall orientieren. Wie bereits in der ersten Richtlinie zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung bei der Lebertransplantation aus dem Jahr 1999 sollte ferner eine Regelung enthalten sein, wonach eine Aufnahme auf die Warteliste jedenfalls dann früher erfolgen kann, wenn der Patient eine erfolgreiche Entzugsbehandlung nachgewiesen hat.469 Auch wäre es (je nach Dringlichkeit) zumindest teilweise möglich, diese bereits auf der Warteliste zu verbringen, sodass im besten Fall Warte- und Abstinenzzeit deckungsgleich sind.470 Ist dies im Einzelfall nicht möglich, sollte eine Anrechnung der bereits zwangsweisen abgeleisteten Abstinenz- und damit Wartezeit vor Aufnahme auf die Warteliste auf die noch zusätzlich hinzutretende „echte“ Wartezeit auf der Warteliste stattfinden.471 Da die Klausel aber nach der hiesigen Auffassung nicht dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entspricht ist, ist dem LG Göttingen aus den vorgenannten Gründen zuzustimmen, wenn es die Alkoholklausel für evident verfassungswidrig erklärt mit der Begründung, dass die medizinischen Gründe, die die 465

LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 272. So bereits: Dannecker/Streng, Zur Reformbedürftigkeit des gegenwärtigen Allokationsmodus für postmortal gespendete Lebern, in: Schmitz-Luhn/Bohmeier, Priorisierung in der Medizin, S. 153. 467 Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation von Organzuteilungsentscheidungen in einem fragwürdigen System, medstra 2018, 3 (4). 468 Hajifathalian et al., Ohio solid organ transplantation consortium criteria for liver transplantation in patients with alcoholic liver disease, World J Hepatol, 2016, 1149 ff. 469 In der damaligen Richtlinie hieß es: „Eine frühzeitigere Anmeldung auf der Warteliste kann nur dann erfolgen, wenn der Patient eine erfolgreiche Entzugsbehandlung nachweist und ein entsprechendes fachärztliches Gutachten vorliegt“. Vgl. Dtsch. Ätztebl. 2000, A-396. 470 So auch Varma et al., Liver transplantation for alcoholic liver disease, World Journal of Gastroenterology, 2010, 4377 ff. 471 Ähnlich: De Gottardi et al., A simple Score for Predicting Alcohol Relapse After Liver Transplantation, Arch Intern Med. 2007, 1187 ff. 466

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

BÄK nach wie vor zur Aufrechterhaltung der Klausel anführt, in „keinem auch nur ansatzweise angemessenen Verhältnis“ zu dem nahezu sicheren Tod der Patienten stehen. Die betroffenen Patienten sind daher auch ohne die Einhaltung der Abstinenzzeit auf die Warteliste zur Lebertransplantation aufzunehmen. Dies gilt – obwohl noch keine international anerkannte Indikation zur Lebertransplantation besteht – ebenfalls für Patienten mit AH. bb) Vereinbarkeit der Mailand-Kriterien mit dem derivativen Teilhaberecht der Patienten mit HCC Hinsichtlich der Anwendung der Mailand-Kriterien als Posteriorisierungskriterium im Rahmen der Dringlichkeit gilt ebenfalls, dass diese wegen mangelnder medizinischer Begründbarkeit und als nicht aktueller Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft472 schon aus diesem Grund keine verfassungsrechtlich zulässige Differenzierung darstellen können. Im Rahmen der zweiten Selektionsebene sind Patienten, bei denen eine Lebertransplantation dringlich und eine Erfolgsaussicht im dargelegten Sinne473 besteht, miteinander vergleichbar. Durch die Nichtgewährung des SE-Status wird ein Vergleich der Erfolgsaussichten solcher Patienten, deren HCC sich außerhalb der Mailand-Kriterien befindet, mit solchen, deren Tumor sich noch innerhalb der festgelegten Grenzen befindet, vorgenommen, sodass eine Ungleichbehandlung wesentlicher gleicher Personengruppen vorliegt. Die Ungleichbehandlung ist ferner nicht gerechtfertigt. Wie dargelegt, bescheinigen zahlreiche Studien auch Patienten außerhalb der Mailand-Kriterien sehr gute Erfolgsaussichten, sodass bereits alternative Modelle entwickelt werden.474 Zwar verschlechtern sich die Ergebnisse der Transplantation bei größerer Tumorausdehnung kontinuierlich, liegen aber auch deutlich außerhalb der Mailand-Kriterien mit einer Überlebensrate von 40 % nach fünf Jahren in einem Bereich, der bei anderen Erkrankungen „Begeisterungsstürme hervorrufen“ würde.475 Problematisch ist der Ausschluss dieses Patientenkollektivs insbesondere vor dem Hintergrund, dass die tatsächliche Größe des Tumors nicht in jedem Fall verlässlich festgestellt werden kann, da diese je nach angewandter Messmethode variieren kann. Die Frage, ob die Größe einer Läsion mit 4,9 cm (dann SE-MELD) oder 5,1 cm (dann kein SE-MELD) gemessen wird, ist zufällig und unter anderem auch von der bei der Untersuchung an der bildgebenden Apparatur eingestellten Schichtdicke aber auch von der individuellen Untersuchungshandhabung des Arztes abhängig. Darüber hinaus können auch Atembewegungen des Patienten die Tumorgröße verschieben.

472 473 474 475

Vgl. Glp. III. 2. b). Vgl. Glp. II. 2. a) bb). Vgl. Glp. III. 2. b). Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen -Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 214.

III. Rechtliche Analyse

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Bei der Untersuchung entstehen daher „Unschärfen“.476 Eine Toleranzgrenze für Messfehler (wie etwa bei der Messung des Alkoholkonsums) ist in der Richtlinie nicht vorgesehen.477 Ferner besteht eine Wechselwirkung der Mailand-Kriterien mit der Alkoholkarenzklausel auch schon auf der ersten Selektionsebene (Wartelistenzugang). Wie bereits erwähnt, entsteht ein HCC oftmals auf dem Boden einer alkoholindizierten Leberzirrhose. Während solche Patienten, durch die in der Alkoholkarenzklausel festgelegte Abstinenzpflicht ein halbes Jahr vom Zugang zur Warteliste ausgeschlossen werden, kommt es vor, dass sie ein HCC entwickeln, das sich während der erzwungenen Abstinenzzeit vergrößert. Nach Ablauf der sechs Monate wird ihnen der Zugang zur Warteliste dann wegen Überschreitung der Mailand-Kriterien verwehrt.478 Auch der hinsichtlich der Mailand-Kriterien in der Richtlinie zur Lebertransplantation vorhandene Ausnahmetatbestand vermag keine Verfassungskonformität herzustellen. Versteht man die missverständliche Formulierung der Richtlinie in III.6.2.2.2. in Tabelle Drei Nr. 5 dahingehend, dass auch Patienten außerhalb der Mailand-Kriterien für eine Lebertransplantation gelistet werden können (was aber keinesfalls eindeutig ist),479 ist fraglich, wann ein solcher Fall vorliegt. Wann unter diesen Patienten ferner „begründete Ausnahmefälle“ anzunehmen sind, die für die Gewährung eines NSE-MELD durch die interdisziplinäre Transplantationskonferenz in Betracht zu ziehen wären, ist wie auch bei der neuen Ausnahmeregelung zur Alkoholkarenzklausel, unklar. Ferner verstoßen die Mailand-Kriterien ebenfalls gegen das Prinzip der Lebenswertindifferenz gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG. Denn wie auch die Alkoholkarenzklausel stellen die Mailand-Kriterien eine utilitaristische Erwägung im Sinne einer Maximierung der Organfunktionsdauer dar und stellen auf eine prognostizierte Überlebensdauer ab, was eine unzulässige Anknüpfung an die Dauer des Lebens darstellt.480 Die Mailand-Kriterien sind mit dem derivativen Teilhabeanspruch des Einzelnen nicht vereinbar.481 Dies gilt zum einen, soweit die Mailand-Kriterien im Zusammenspiel mit der Alkoholkarenzklausel bereits die erste Selektionsebene betreffen (können) und zum anderen soweit sie auf der zweiten Selektionsebene den betrof476 So einer der Sachverständigen im Prozess des LG Göttingen, LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 2310. 477 Zu dieser Toleranzgrenze vgl. Glp. II. 1. b) bb) (2) (b). 478 Umgelter, in: Haarhoff, Organversagen -Die Krise der Transplantationsmedizin, S. 228. 479 Dagegen etwa die Sachverständigen im Prozess des Landgerichts Göttingen, die davon ausgehen, dass Patienten mit einem HCC außerhalb der MK schon nicht auf die Warteliste aufgenommen werden dürften, da ihr Tumor sich dann bereits in „einem fortgeschrittenen Stadium“ bösartiger Erkrankungen befände, sodass eine Aufnahme ausweislich der Leberrichtlinie nicht erlaubt sei. Vgl. Glp. II. 1. b) bb) (2) (b). 480 Vgl. Glp. III. 3. d) aa) (3). 481 Einer der Sachverständigen im Göttinger Transplantationsprozess bezeichnete die MK als „relativ willkürlich“. Auf Grund des Organmangels könne man aber eben nicht alle HCCPatienten transplantieren. Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1392.

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

fenen Patienten die Gewährung eines SE-MELD versagen, was angesichts des Organmangels einem Ausschluss von der Organzuteilung gleichkommt. Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ergibt sich nicht aus etwaig schlechteren Erfolgsaussichten für Patienten, dessen HCC-Tumor außerhalb der Mailand-Kriterien liegt. Wie bereits dargelegt, ist das Kriterium der Erfolgsaussicht i. S. d. § 12 Abs. 3 TPG dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass ausschließlich minimale Erfolgsaussichten bei der Organzuteilung berücksichtigt werden dürfen.482 Die Mailand-Kriterien stellen innerhalb des Dringlichkeitskriteriums auf die Erfolgsaussicht einer Lebertransplantation ab, wenn Patienten, deren HCC außerhalb der Grenzwerte liegt, die Einordnung in die SE-MELD-Kategorie verwehrt wird. Die bei einer Beurteilung der Erfolgsaussicht zugrunde zu legenden minimale Erfolgsaussichten weist aber auch dieses Patientenkollektiv auf. Vielmehr deutet der überwiegende Teil der einschlägigen Studien daraufhin, dass diese Patienten mehr als bloß minimale Erfolgsaussichten aufweisen und die 5-Jahresüberlebensrate bei über 70 % liegt. Den betroffenen Patienten ist dementsprechend ein SE-MELD zu gewähren.483

IV. Zusammenfassung Das LG Göttingen und der BGH haben festgestellt, was eigentlich unbestritten sein müsste: Nämlich, dass die Alkoholkarenzklausel gegen das derivative Teilhaberecht der alkoholkranken Patienten am Organaufkommen verstößt und eine Aufnahme auf die Warteliste bei Notwendigkeit einer Lebertransplantation und Geeignetheit der Patienten auch ohne Einhaltung jeglicher Karenzzeit erfolgen muss, soweit die Patienten eine sechsmonatige Karenzzeit nicht überleben würden.484 Dies gilt nach dem bereits Dargelegten auch für das übrige Patientenkollektiv mit alkoholindizierter Leberzirrhose, da die Alkoholkarenzklausel zur Gänze gegen einfaches und höherrangiges Recht verstößt. Die in der Literatur vorsichtig geäußerte Hoffnung, das BMG würde eine solch scharf kritisierte und zweifelhafte Klausel nicht genehmigen, wurde enttäuscht.485 Zwar verfügt die Klausel nun erstmalig über ein Mindestmaß an demokratischer Legitimation. Die inhaltlichen Zweifel bleiben allerdings, angesichts der bereits erörterten Untauglichkeit des Überprüfungsmaßstabs des BMG, bestehen. Durch die teilweise Anpassung der Klausel konnten die verfassungsrechtlichen Defizite nicht beseitigt werden. Eine höchstrichterlich ver482

Vgl. Glp. II. 2. a) bb). LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 2302. 484 Dannecker/Streng, Verschaffung des Wartelistenzugangs für Alkoholiker entgegen den Organallokations-Richtlinien der Bundesärztekammer – (versuchter) Totschlag?, NStZ 2014, 673 (677). 485 So Dannecker/Streng, Verschaffung des Wartelistenzugangs für Alkoholiker entgegen den Organallokations-Richtlinien der Bundesärztekammer – (versuchter) Totschlag?, NStZ 2014, 673 (680). 483

IV. Zusammenfassung

231

fassungswidrig bewertete Klausel dem Grunde nach aufrechtzuerhalten, zeugt von Kühnheit. Länder wie beispielsweise die Schweiz oder auch UK verzichten auf eine solche Klausel, in anderen wie z. B. Kanada wird sie ebenfalls scharf kritisiert und auf ihre Vereinbarkeit mit der dortigen Verfassung überprüft.486 Die BÄK ist folglich gehalten auf die Alkoholkarenzklausel verzichten. Es wäre möglich, anhaltenden Alkoholkonsum unter dem Merkmal der Compliance dahingehend zu überprüfen, ob dieser im Einzelfall eine Kontraindikation zur Lebertransplantation darstellt, nämlich dann, wenn dadurch gar keine nennenswerten Erfolgsaussichten für die Transplantation bestehen.487 Warum neben dem Kriterium der Compliance noch eine eigene Klausel erforderlich sein soll, die alkoholkranke Patienten gegenüber anderen Patienten benachteiligt ist nicht nachvollziehbar.488 Auch in der Richtlinie für die Lungentransplantation findet sich eine Regelung, wonach eine Aufnahme auf die Warteliste erst dann erfolgen soll, wenn der Patient sechs Monate (Nikotin) abstinent gewesen ist. Allerdings unterfallen Patienten dieser Regelung nur, soweit zuvor ein anamnestisch schädlicher Substanzgebrauch bzw. ein Abhängigkeitssyndrom festgestellt worden ist.489 Es sollte auch bei der Lebertransplantation eine jeweils einzelfallbezogene Bewertung stattfinden, für die Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter und Abhängigkeitsspezialisten für die Beurteilung dieser Patienten unerlässlich sind, da eine erzwungene Abstinenz nicht gleich effektiv ist wie eine freiwillige Suchttherapie.490 Die gesammelten Informationen sind dann Grundlage für die Entscheidung der multidisziplinären Transplantationskonferenz um feststellen zu können, ob bei Patienten im Einzelfall eine Lebertransplantation erst nach abgeleisteter Abstinenzzeit erfolgen soll und um einen Therapieplan vor und nach dem Eingriff festzulegen. In der medizinischen Literatur mehren sich Hinweise darauf, dass die Arbeit solcher Teams in Transplantationszentren die Rückfallquote und die Mortalität nach der Transplantation im Vergleich zu Patienten, die zur ambulanten Behandlung überwiesen werden, reduziert.491

486 Vgl. dazu Levinson-King, BBC News vom 27. September 2017:Canada challenge to sixmonth sobriety rule for liver transplants. Im Internet abrufbar unter: https://www.bbc.com/news/ world-us-canada-41407983. 487 Auch von den Befürwortern einer stärkeren Berücksichtigung des Kriteriums der Erfolgsaussicht, wird die Alkoholkarenzklausel für verfassungswidrig gehalten, da sie zu hohe Anforderungen an den Erfolg der Transplantation schon auf Ebene des Zugangs stelle. Vgl. Dannecker/Streng, Zur Reformbedürftigkeit des gegenwärtigen Allokationsmodus für postmortal gespendete Lebern, in: Schmitz-Luhn/Bohmeier, Priorisierung in der Medizin, S. 157. 488 So auch: Schroth/Hofmann, Die strafrechtliche Beurteilung der Manipulation von Organzuteilungsentscheidungen in einem fragwürdigen System, medstra 2018, 3 (6). 489 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lungentransplantation, A. III. 3. 1. 490 Vgl. LG Göttingen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13 –, juris, Rn. 1821. 491 Marroni et al., Liver transplantation and alcoholic liver disease: History, controversies, and considerations, World J Gastroenterol, 2018, 2785 (2793).

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Kap. 5: Die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG

Auch die Mailand-Kriterien sind mit dem derivativen Teilhaberecht der Patienten am Organaufkommen nicht vereinbar, sodass auch für Patienten, die diesen Kriterien nicht entsprechen, durch Gewährung eines SE-MELDS, eine realistische Chance auf einen Organerhalt ermöglicht werden muss.

Sechstes Kapitel

Zusammenfassung und Ergebnis Die Transplantationsmedizin bewegt sich in einem ethisch, kulturell und rechtlich komplexen, spannungsgeladenen Grenzraum. Sie offenbart ein Grundproblem der umfassenden medizinischen Versorgung, nämlich die Tatsache, dass medizinische Ressourcen, Güter und Dienstleistungen sowohl wirtschaftlich als auch tatsächlich begrenzt sein können, mit ihrem ständigen Bedürfnis nach verfügbaren Transplantaten auf besonders dramatische Weise. Es ist daher eine besondere transplantationsmedizinische Problematik, durch die Indikationsstellung die Hoffnung des Patienten auf Lebensrettung zu wecken, diese Hoffnung dann aber nicht erfüllen zu können.1 Dort wo Kapazitäten und Ressourcen begrenzt sind und sich Angebot und Nachfrage diametral gegenüberstehen, muss eine Vergabeentscheidung getroffen werden, die für die nicht ausgewählten Patienten im Regelfall den Tod bedeutet. Regelungen zur Organverteilung, die diesen hochsensiblen und enorm grundrechtsrelevanten Bereich betreffen, sind somit besonders gravierend. Erst nach langem Zögern erließ der Gesetzgeber ein Gesetz zur Regulierung des Transplantationswesens, wobei er an die bereits bestehenden Strukturen anknüpfte und die maßgeblichen Entscheidungskompetenzen an verschiedene nicht-staatliche Institutionen delegierte. Im Hinblick auf die gesetzliche Richtlinienermächtigung der BÄK im Bereich des Organallokationsrechts bleiben als Ergebnisse dieser Untersuchung festzuhalten: Die organspezifischen Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG zur Wartelistenführung und Organvermittlung sind als exekutive Rechtsetzung im Wege einer Beleihung zu qualifizieren. Die Richtlinienermächtigung der BÄK zur Richtliniensetzung nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG ist bereits wegen des Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 GG in formeller Hinsicht zur Gänze verfassungswidrig. Darüber hinaus ist die Richtlinienermächtigung verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber die wesentlichen normativen Fragen der Organallokation in § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG nicht geregelt hat und die Beantwortung dieser der BÄK überlässt. Aus dem Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt in seiner konkreten Ausprägung durch die Wesentlichkeitstheorie resultiert eine materielle Rechtsetzung der BÄK, die über medizinisch basierte Konkretisierungen weit hinausgeht. Der BÄK mangelt es ferner an dem vom BVerfG geforderten hinreichenden Legitimationsniveau für die Richtlinientätigkeit als hoheitlicher Aufgabe. Das Legitimati1 Pichlmayr, Möglichkeiten der Nieren- und Lebertransplantation, in: Nagel/Fuchs, Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 90.

234

Kap. 6: Zusammenfassung und Ergebnis

onsdefizit ist auch nicht durch die Einführung des Genehmigungsvorbehaltes des BMG in § 16 Abs. 3 TPG beseitigt worden. Auf Umsetzungsebene bleibt hinsichtlich der Richtlinie zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung bei der Lebertransplantation festzuhalten, dass die Alkoholkarenzklausel, die alkoholkranken Patienten auf der ersten Selektionsebene ohne eine sechsmonatige Abstinenzzeit den Zugang zur Warteliste versperrt, die gesetzliche Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG überschreitet. Die Normierung einer Abstinenzpflicht lässt sich ausweislich der aktuellen Studienlage nicht ausreichend medizinisch-wissenschaftlich begründen, sodass die Klausel nicht dem von § 16 TPG geforderten „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ entspricht. Selbiges gilt auf der zweiten Selektionsebene im Rahmen der Organvermittlung auch für die Mailand-Kriterien. Diese werden angesichts der Erkenntnisse neuerer medizinischer Studien von zahlreichen Ländern entsprechend nicht mehr angewandt, was eine Einordnung als medizinischen Erkenntnisstand ausschließt. Die Alkoholkarenzklausel und die Mailand-Kriterien verstoßen darüber hinaus auch gegen materielles Verfassungsrecht, da ihre Anwendung mit dem derivativen Teilhaberecht der Patienten nicht vereinbar ist. Eine Verfassungskonformität der Alkoholkarenzklausel und der Mailand-Kriterien vermag auch ihre nachträgliche Genehmigung durch das BMG nicht zu herzustellen. Vielmehr muss der freihändige Umgang der Genehmigungsbehörde mit derartigen Klauseln trotz der anhaltenden Kritik „Unbehagen auslösen“.2 De lege ferenda ist der Gesetzgeber zunächst gehalten die maßgeblichen Allokationskriterien und die Gewichtung der Kriterien der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit in § 12 Abs. 3 TPG selbst festzulegen. Das demokratische Legitimationsdefizit könnte dann durch die Umwandlung der derzeitigen Richtlinientätigkeit der BÄK in eine rein beratende Tätigkeit und die Normierung einer Rechtsverordnungsermächtigung des BMG für den Bereich der Organallokation beseitigt werden. Eine Rechtsverordnungsermächtigung wäre auch in Kombination mit einer fakultativen und ergänzenden Richtlinienkompetenz der BÄK denkbar, wobei eine staatliche Aufsichtsmöglichkeit sicherzustellen wäre. Auf Ebene der derzeitigen Richtlinie zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung bei der Lebertransplantation ist zu kritisieren, dass die BÄK die durch den BGH als verfassungswidrig erklärte Alkoholkarenzklausel dem Grunde nach aufrechterhält. Aus diesem Grund ist die BÄK gehalten, die Alkoholkarenzklausel zu streichen und den Aspekt einer nachgewiesenen und schwerwiegenden Alkoholsucht nur noch insoweit für die Aufnahme auf die Warteliste miteinzubeziehen, als diese im Hinblick auf die Compliance des Patienten eine Organtransplantation ausschließen würde. Die Mailand-Kriterien sind auf Grund ihrer Gesetzes- und Verfassungswidrigkeit ebenfalls aus der Richtlinie zur Aufnahme auf die Warteliste und Organvermittlung zur Lebertransplantation ersatzlos zu entfernen. Zweifellos ist zwar auf einem Gebiet wie dem der Organallokation materielle 2

So bereits an anderer Stelle Rixen, in: Höfling, TPG Kommentar, § 25, Rn. 10.

Kap. 6: Zusammenfassung und Ergebnis

235

vollumfängliche justitia distributiva3 nicht zu erreichen. Dennoch ist der Verzicht auf die Klauseln ein notwendiger Schritt im Hinblick auf die Wahrung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte der schwerkranken, potenziellen Organempfänger.

3

Giesen, Ethische und rechtliche Probleme am Ende des Lebens, JZ 1990, 929 (932).

Dokumentenverzeichnis Aktueller Transplantationskodex, http://www.d-t-g-online.de/index.php/ueber-uns/transplantati onskodex (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) BBC News vom 27. September 2017: Canada challenge to six-month sobriety rule for liver transplants, https://www.bbc.com/news/world-us-canada-41407983 (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) ¨ berwachungskommission gem. § 11 Abs. 3. S. 4 TPG und der Bericht 2012/2013 der U Pru¨ fungskommission gem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG, S. 24, 29, https://www.bundesaerztekam mer.de/fileadmin/user_upload/downloads/2013-09-04_Bericht_PK_UK_2012-2013_1.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) ¨ berwachungskommission gem. § 11 Abs. 3. S. 4 TPG und der Bericht 2013/2014 der U Pru¨ fungskommission gem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG S. 20, https://www.bundesaerztekammer.de/ fileadmin/user_upload/downloads/TPG_Bericht_PK_UeK_30092014.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) Bericht der Ärzte Zeitung „Vetternwirtschaft? Gutachten entlastet DSO nur teilweise“ vom 29. 3. 2012, https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/organspende/article/809369/ vetternwirtschaft-gutachten-entlastet-dso-nur-teilweise.html (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) Beschlussprotokoll des 115. Deutschen Ärztetages zur Novellierung des Transplantationsgesetzes (TPG) S. 70 f, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/down loads/115DAETBeschlussprotokollfinal20120702LZ.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Clinical practice guidelines we can trust. National Academies Press, Washington, DC, https:// www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/International/IOM_CPG_lang_2011.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Council of Europe, Organ shortage. Current status and strategies for improvement of organ donation – A European consensus document, VI, https://www.edqm.eu/medias/fichiers/Or gan_shortagecurrent_status_and_strategies_for_improvement_of_organ_donation_A_Euro pean_consensus_document.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) DSO Jahresbericht 2019, S. 58, https://www.dso.de/SiteCollectionDocuments/Pressemeldun gen%20PDFs%20und%20Anhänge/Pressemitteilung%20DSO-Jahresbericht%202019. pdf#search=jahresbericht%202019 (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) DSO Jahresbericht 2020, S. 10 ff, https://www.dso.de/SiteCollectionDocuments/DSO-Jahresbe richt%202020.pdf (zuletzt aufgerufen am 21. 9. 2021) ENIS System User Manual, https://www.immungenetik.de/index.php/vorstand/docman/oeffent lich/dgi-empfehlungen/722-enis-system-user-manual-enis-manual-v5-0/file (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021)

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Erweiterte und aktualisierte Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Regierungsentwurf für ein Gewebegesetz (BT-Drs. 16/3146) anlässlich der Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 7. März 2007, https://www.bundesaerztekammer. de/fileadmin/user_upload/downloads/ZRegStell20070124.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) ET-Manual Chapter 1: Introduction, http://www.eurotransplant.org/wp-content/uploads/2020/ 01/H1-Introduction.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 2: The Recipient, https://www.eurotransplant.org/wp-content/uploads/202 0/12/H2-The-Recipient-November-19-2020.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 3: Allocation general, https://www.eurotransplant.org/wp-content/uplo ads/2020/09/H3-Allocation-v2020.2-September-2020.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 4: Kidney (ETKAS and ESP), https://www.eurotransplant.org/wp-content/ uploads/2020/01/H4-Kidney-2020.3-November-2020.pdf (zuletzt aufgerufen am 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 5: ET Liver Allocation System (ELAS), https://www.eurotransplant.org/ wp-content/uploads/2020/01/H5-ELAS-MELD-Dec-2020.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 6: ET Thoracic Allocation System (EThAS), http://www.eurotransplant. org/wp-content/uploads/2020/01/H6-EThAS.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 7: ET Pancreas Allocation System (EPAS), https://www.eurotransplant. org/wp-content/uploads/2020/01/H7-EPAS-v-2020.4-November-2020.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 8: ET Intestine Allocation System (EIAS), http://www.eurotransplant.org/ wp-content/uploads/2020/01/H8-EIAS.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 9: The Donor, http://www.eurotransplant.org/wp-content/uploads/2020/01/ H9-The-Donor-Februar-2020.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) ET-Manual Chapter 10: Histocompatibility Testing, http://www.eurotransplant.org/wp-content/ uploads/2020/01/H10-Histocompatibility-v4.6.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) Eurotransplant Annual Report 2018, https://www.eurotransplant.org/cms/mediaobject.php? file=ET_Jaarverslag_20186.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Eurotransplant Überblick und Timelune, https://www.eurotransplant.org/about-eurotransplant/ history-and-timeline (zuletzt aufgerufen am: 4. 1. 2021) Fact Sheet Alcohol der WHO, http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0007/343744/201 7-Alcohol-Fact-Sheet-FINAL.pdf?ua=1 (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Greif-Higer, Wolfgang, Wer bekommt ein Organ? Zuteilungskriterien der Transplantationsmedizin im Streit – Die Perspektive der Patienten, Öffentliche Plenarsitzung des Deutschen Ethikrats, 26. September 2013, https://www.ethikrat.org/fileadmin/PDF-Dateien/Veranstal tungen/plenarsitzung-26-09-2013-greif-higer.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Gutmann, Thomas, Rechtswissenschaftliches Gutachten zu dem „Kommissionsbericht der ¨ berwachungskommission“ gema¨ ß § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 TPG vom Pru¨ fungs- und der U 28. 8. 2013 u¨ ber das Lebertransplantationsprogramm des Universita¨ tsklinikums Mu¨ nster, 2013, https://www.jura.uni-muenster.de/de/institute/lehrstuhl-fuer-buergerliches-recht-rechts

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philosophie-und-medizinrecht/forschung/wissenschaftliche-gutachten-auswahl/zum-pruefbe richt-ltx-ukm-muenster-2013/ (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Höfling, Wolfram, Rechtsgutachtliche Stellungnahme zu einigen Aspekten (der Prüfung) des Lebertransplantationsprogramms des Universitätsklinikums Essen, Februar 2017, https:// www.ukessen.de/fileadmin/Hauptklinik/PDF/Rechtsgutachtliche_Stellungnahme_Prof._Höf ling.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Jahresbericht der Überwachungskommission gem. § 11 Abs. 3 S. 4 TPG und Pru¨ fungskommission gem. § 12 Abs. 5 S. 4 TPG, Tätigkeitsbericht 2017/2018, https://www.bundesaerzte kammer.de/presse/pressemitteilungen/news-detail/jahresbericht-20172018-der-pruefungs kommission-und-derueberwachungskommission-zur-pruefung-der-herz/ (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) Kingreen, Thorsten, Wer bekommt ein Organ? Zuteilungskriterien der Transplantationsmedizin im Streit, Öffentliche Plenarsitzung des deutschen Ethikrates vom 26. 9. 2013, https://www. ethikrat.org/fileadmin/PDFDateien/Veranstaltungen/plenarsitzung-26-09-2013-simultanmit schrift.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Kluth, Winfried, Verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses. Erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, https://www.bundesgesundheits ministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Berichte/Gutachten_Prof._ Kluth_zur_Legitimation_G-BA.PDF (zuletzt aufgerufen am 10. 1. 2021) Koordinierungsstellenvertrag nach § 11 Absatz 2 des Transplantationsgesetzes zur Beauftragung einer Koordinierungsstelle (Koordinierungsstellenvertrag), https://www.gkvspitzenver band.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/krankenhaeuser/transplantation/2015_ 09_23_Koordinierungsstellenvertrag_inkl_A1-7_BAnz_vom_18022016.pdf (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Kumar, Sudhir/Wang, Jiang/Rani, Richa/Gandhi, Chandrashekhar R., Hepatic Deficiency of Augmenter of Liver Regeneration Exacerbates Alcohol-Induced Liver Injury and Promotes Fibrosis in Mice, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26808690/ (zuletzt aufgerufen am 13. 1. 2021) Liste der Ausführungsgesetze der Länder zum TPG, https://www.dso.de/dso/über-die-dso/recht licher-rahmen/landesausführungsgesetze (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021 Liste der bundesweiten Entnahmekrankenhäuser nach § 9a TPG, https://www.dso.de/SiteCollec tionDocuments/Liste%20Entnahmekrankenhäuser_2020.pdf#search=entnahmekrankenh% C3%A4user (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) ¨ 1997 in (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte MBO-A der Fassung der Beschlüsse des 121. Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt, http://www.bun desaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MBO/MBO-AE.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) National Institutes of Health Consensus Development Conference Statement: liver transplantation–June 20 – 23, 1983, Hepatology 1984, https://aasldpubs.onlinelibrary.wiley.com/ doi/10.1002/hep.1840040725 (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) NHS: Overview, alcohol-related liver disease, https://www.nhs.uk/conditions/alcohol-relatedliver-disease-arld/ (zuletzt aufgerufen am: 24. 9. 2021)

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Positionspapier der gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der ständigen Impf-kommission, des deutschen Ethikrates und der nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/ge meinsames-positionspapier-stiko-der-leopoldina-impfstoffpriorisierung.pdf (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, https://www.pschyrembel.de/ (zuletzt aufgerufen am 26. 1. 2021) Rainer Woratschka im Tagesspiegel vom 25. 5. 2012: Bundestag beschließt Reform der Organspende, https://www.tagesspiegel.de/politik/entscheidungsloesung-bundestag-beschliesstreform-der-organspende/6674124.html (zuletzt aufgerufen am: 6. 1. 2021) Richtlinie der Bundesa¨ rztekammer zur Durchfu¨ hrung der substitutionsgestu¨ tzten Behandlung Opioidabha¨ ngiger, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/ pdf-Ordner/RL/Substitution.pdf (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie der Bundesa¨ rztekammer zur Qualita¨ tssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdfOrdner/QS/Rili_BAEK_Qualitaetssicherg_laboratoriumsmedUntersuchungen_2019.pdf DOI: 10.3238/arztebl.2019.rili_baek_QS_Labor20192312 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und die Organvermittlung zur Pankreastransplantation und kombinierten Pankreas-Nierentransplantation, http://www.bundesaerztekammer.de/fi leadmin/user_upload/ downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOrgaWlOvPankreasTx20200714.pdf. DOI: 10.3238/arztebl.2020.rili_baek_OrgaWlOvPankreasTx20200714 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Herz- und Herz-Lungen-Transplantation, https://www.bundesaerztekammer.de/ fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOrgaWlOvHerzTx20191210.pdf DOI:10.3238/arztebl.2019.rili_baek_OrgaWlOvHerzTx20191210 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lungentransplantation, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_up load/downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOrgaWlOvLungeTx-ab20171107.pdf DOI:10.3238/arzte bl.2017.rili_baek_OrgaWlOvLungeTx20171020 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_up load/downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOrgaWlOvLeberTx20190924.pdf DOI: 10.3238/arzte bl.2019.rili_baek_OrgaWlOvLeberTx20190924 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG fu¨ r die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgu¨ ltigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Vierte Fortschreibung. Im Internet abrufbar unter: https://www. bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/irrev.Hirnfunktionsausfall.pdf DOI:10.3238/arztebl.2015.rl_hirnfunktionsausfall_01 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) ¨ bertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der asRichtlinie zur Entnahme und U sistierten Reproduktion, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/down

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loads/pdf-Ordner/RL/Ass-Reproduktion_Richtlinie.pdf DOI: 10.3238/arztebl.2018.Rili_ass Reproduktion_2018 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021). Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie), Gesamtnovelle 2017, https://www.bundesaerztekammer. de/aerzte/medizin-ethik/wissenschaftlicher-beirat/veroeffentlichungen/haemotherapietransfu sionsmedizin/richtlinie/ (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie zur Gewinnung von Spenderhornha¨ uten und zum Fu¨ hren einer Augenhornhautbank, Erste Fortschreibung, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/down loads/pdf-Ordner/RL/Rili-Hornhaut.pdf DOI 10.3238/arztebl.2018.rl_augenhornhautbank_02 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie zur Herstellung und Anwendung von hämatopoetischen Stammzellzubereitungen, https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/medizin-ethik/wissenschaftlicher-beirat/veroef fentlichungen/haemotherapietransfusionsmedizin/haematopoetischen-stammzellzubereitung/ (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinie zur medizinischen Beurteilung von Organspendern und zur Konservierung von Spenderorganen gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 a) und b) TPG, https://www.bundesaerztekammer.de/ richtlinien/richtlinien/transplantationsmedizin/empfaengerschutz-medizinische-beurteilung/ DOI:10.3238/arztebl.2015.rili_baek_OrgaEmpfaengerschutzMedBeurt20150424 (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinien gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und die Organvermittlung zur Nierentransplantation, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/ user_upload/downloads/Niere_0912013.pdf (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Richtlinien gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG fu¨ r die Wartelistenfu¨ hrung und Organvermittlung zur Du¨ nndarmtransplantation im Internet abrufbar unter: https://www.bundesaerzte kammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Duenndarm_09122013.pdf (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Satzung der Bundesärztekammer, Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammern, in der vom 117. Deutschen Ärztetag 2014 beschlossenen Fassung, https://www.bundesaerztekam mer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Bundesaerztekammer_Satzung_2014.pdf (zuletzt aufgerufen am: 4. 1. 2021) Satzung der Deutschen Stiftung Organtransplantation, https://www.dso.de/SiteCollectionDocu ments/DSO-Satzung%20genehmigt%2022.7.2020.pdf (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik, 2. Wahlperiode 1953, BT-Drs. II/1313, Begründung zu § 368 o, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/013/0201313.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Sharma, A./Nagalli, S., Chronic Liver Disease, https://europepmc.org/article/med/32119484 (zuletzt aufgerufen am 13. 1. 2021) SPIEGEL „Vorwürfe gegen Stiftung überschatten Konsens“ vom 22. 3. 2012, https://www.spie gel.de/wissenschaft/medizin/organspenden-reform-vorwuerfe-gegen-stiftung-ueberschattenkonsens-a-823090.html (zuletzt abgerufen am: 5. 1. 2021) Spitzengespräch zu den Manipulationsvorwu¨ rfen in den Transplantationszentren der Universitätsmedizin Göttingen und des Universitätsklinikums Regensburg Kontrolle verstärken, Transparenz schaffen, Vertrauen gewinnen, Berlin 27. August 2012, https://www.bundesaerz

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tekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Massnahmenkatalog_Transplantationsmedi zin_27082012.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Referentenentwurf einer Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronavirusImpfverordnung – CoronaImpfV) des Bundesministeriums für Gesundheit vom 4. 12. 2020), https:// www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Orner/Stellungnahmen/ Coronavirus_Impfverordnung_RefE_SN_BAEK_09122020_final.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. 1. 2021) Stellungnahme des Nationalen Ethikrats vom 24. April 2007, https://www.ethikrat.org/filead min/Publikationen/Stellungnahmen/Archiv/Stellungnahme_Organmangel.pdf (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021) U.S. District Court for the Eastern District of Michigan – 681 F. Supp. 1232 (E.D. Mich. 1986) November 12, 1986, https://law.justia.com/cases/federal/district-courts/FSupp/681/1232/1 800515/ (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) UK-Policy POL 195/ 11, Liver Transplantation: Selection Criteria and Recipient Registration, https://www.odt.nhs.uk/transplantation/tools-policies-and-guidance/policies-and-guidance/ (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Umfrage BZgA „Einstellung, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevo¨ lkerung zur Organ- und Gewebespende“ vom Oktober 2010, https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studi en/organ-gewebespende_repbefragung_bevoelkerung_2010-78d9013f1fb235595afa14 bc99c960b0.pdf (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Verfahrensanweisungen der DSO, https://www.dso.de/organspende/fachinformationen/organ spendeprozess/verfahrensanweisungen (zuletzt aufgerufen am: 5. 1. 2021) Vertrag mit der Vermittlungsstelle – Stiftung Eurotransplant International Foundation (ET), https://www.transplantationinformaton.de/gesetze_organspende_transplantation/vertraege/ vertrag_vermittlungsstelle.html (zuletzt aufgerufen am 4. 1. 2021)

Literaturverzeichnis Ahlert, Marlies/Granigg, Wolfgang/Greif-Higer, Gertrud/Kliemt, Hartmut/Otto, Gerd, Priorita¨ tsa¨ nderungen in der Allokation postmortaler Spenden-Lebern – Grundsätzliche und aktuelle Fragen, Priorisierung in der Medizin, Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung 2008, S. 1 – 21 (zitiert: Ahlert et al.) Alleman, P./Burckhardt, B./Dufourb, J.-F., Transplantation for alcoholic liver disease: the wrong arguments, Swiss Medical Weekly 2002, S. 296 – 297 (zitiert: Alleman et al.) Angstwurm, Heinz, Der Einfluß der modernen Diagnostik auf die Definition des Todeszeitpunkts – aus neurologischer Sicht, MedR 1994, S. 467 – 469 Atterbury, C. E., The alcoholic in the lifeboat. Should drinkers be candidates for liver transplantation? Journal of Clinical Gastroenterology 1986, S. 1 – 4 von Auer, Friedger, Das Gewebegesetz – Hintergründe und Konsequenzen, Transfusion Medicine and Hemotherapy 2008, S. 407 – 413 Augsberg, Steffen, Die Bundesärztekammer im System der Transplantationsmedizin, in: Wolfram Höfling (Hrsg.), Die Regulierung der Transplantationsmedizin in Deutschland, Tübingen 2008, S. 45 – 59 Augsberg, Steffen, HU- Allokation – vom Ausnahme- zum Regelfall?, in: Claus-Dieter Middel/ Wiebke Pühler/Hans Lilie/Karsten Vilmar (Hrsg.), Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts (Bestandsaufnahme und Bewertung), Köln 2010, S. 163 – 179 Augsberg, Steffen, Kooperative Wissensgenerierung im Gesundheitsrecht, Zum Umgang der Sozialgerichte mit Evidenzbasierter Medizin, GesR 2012, S. 595 – 601 Augsberg, Steffen, Gesetzliche Regelungen zur Organ- und Gewebespende, Rechtstatsa¨ chliches Gutachten auf Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit, Gießen 2013 (zitiert: Augsberg, rechtstatsächliches Gutachten) Augsberg, Steffen/Dabrock, Peter, Widersprüchlich und keine Lösung, Gastbeitrag in der FAZ vom 15. 10. 2019 Axer, Peter, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, Tübingen 2000, zugl. Habil. Bonn 1999 Bachmann, Gregor, Private Ordnung: Grundlagen ziviler Regelsetzung, Tübingen 2006, zugl.: Habil. Berlin 2004 Bachmann, Klaus-Dieter/Heerklotz, Brigitte, 1947/1997: Bundesärztekammer im Wandel- Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 1997, S. A 582 – 588 Backherms, Johannes, Das DIN, Deutsches Institut für Normung e. V., als Beliehener: zugl. ein Beitrag zur Theorie der Beleihung, Köln Berlin Bonn München, 1978 (zitiert: Backherms, Das DIN e. V. Institut für Normung als Beliehener)

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Sachwortverzeichnis Alkoholische Fettleber 196 Alkoholische Hepatitis 196 ff. Alkoholische Leberzirrhose 152 f., 160, 186, 195 ff., 206, 220 f., 224 ff. 229 f. Allokation – Definition 30 Alkoholabusus als Kontraindikation 159, 193 f. Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren 34 f., 44 Beschleunigtes Vermittlungsverfahren 74, 172 Blutgruppenkompatibilität 27, 167 f., 181 Bundesärztekammer (BÄK) – Beleihung 115 ff., 120 ff., 148, 186, 208, 233 – Grundrechtsbindung 113 – Historische Entwicklung 34 f. – Ständige Kommission Organtransplantation 34 f., 58, 79, 81, 85, 135, 142 f, 143, 145, 147 f., 160, 163, 178, 203 Chancengleichheit 132, 137, 154, 167, 169, 181, 213 Compliance 110, 126, 158, 161, 221 ff., 231, 234 Demokratieprinzip 25, 95, 118, 132, 135, 143 Demokratische Legitimation – der funktionalen Selbstverwaltung 134 – Personell-organisatorisch 135 f. – Sachlich-inhaltlich 137 f. Derivatives Teilhaberecht 185 f., 211 f., 217 f., 220, 228, 230, 232, 234 Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) – Aufgaben 32 f., 69 f. – Historische Entwicklung 32 ff., 143 – Kontrolle 76 f.

– Verfahrensanweisungen 71, 78, 86 ff., 91 Deutsche Transplantationsgesellschaft 34, 88 Deutscher Ethikrat 131 Diskriminierungsverbote 132, 217, 222, 226 Dringlichkeit 75, 85, 88, 90, 124, 126, 128, 144, 153, 164 ff., 170, 172 ff., 181, 183 f., 203, 208, 217, 219, 227 f., 230, 234 Dynamischer Grundrechtsschutz 126, 128 f. Eignung 169 f., 120 f., 220 ff., 226 Empfehlungen 43, 98 Enge Widerspruchslösung 39, 48, 50 – Definition 39 – Kritik 49 Enge Zustimmungslösung 39 f., 51 – Definition 39 f. – Kritik 50 Entscheidungslösung 54, 63 ff. – Definition 64 Erfolgsaussicht 51 ff., 55, 57 f., 75, 84 f., 88 ff., 124, 126, 131 f., 144, 152 f., 155, 157, 164 ff., 169 ff., 179 ff., 185, 189 f., 194, 196, 203, 220 f., 226, 228, 230 f., 234 Erweiterte Widerspruchslösung 39 Erweiterte Zustimmungslösung 39, 49 f., 61, 63 f. Eurotransplant – Aufgaben 72 ff. – Eurotransplant Manual 75, 90 – Historische Entwicklung 31 f. – Kontrolle 76 ff. – Vertragliche Bindung 90 Genehmigungsvorbehalt 111, 138 ff., 147 ff., 234 Gewebegesetz 54, 82, 95, 104 f., 108 f. Geweberichtlinie 104, 108 Gleichheitssatz 211, 215 f., 221

266

Sachwortverzeichnis

Hepatozellula¨ res Karzinom (HCC) 152 f., 161 f., 170 f., 178, 183, 187, 198, 203 ff., 21, 228 ff. High-Urgency 173 ff. Hirntod 37 ff., 46 ff., 51, 55 ff., 59 ff., 66 f., 70, 95 Hirntodkonzept 37 ff., 46 ff., 51, 55, 60 f. HIV als Kontraindikation 105, 159 HLA-Kompatibilität 27 f., 31, 89, 164 Immunsuppression 28, 195 49 f. Informationslösung 49 f. Kombinierte Organtransplantation 169, 174 Koordinierungsstelle, siehe Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation 32 Lebendspende 66, 195, 20, 209, 227 Lebenswertindifferenz 155, 186, 217 ff., 226, 229 Leberallokation – Allokationssystem 153 ff., 163 ff. – Kontraindikationen 157 ff., 162 Leberteiltransplantation 151, 169, 171 f. Leitlinien 98 ff. Lokaler Selbstbehalt 33, 76 Mailand-Kriterien 143, 161 f., 170 f., 178 f., 181, 192 ff., 203 ff., 216 ff. 228 ff. Manipulationsskandal, siehe Organallokationsskandal Meldepflicht der Krankenhäuser 66 f. MELD-Score – LabMELD 175, 177 ff., 180, 184 – matchMELD 176 ff. Menschenwürde 185, 209 Modifiziertes Vermittlungsverfahren 172 Nicht transplantabel (NT) 74, 152, 222 Nikotinabusus als Kontraindikation 224, 231 Non-ET-Residents 90 Non-Standard-Exception 178

Notwendigkeit 51, 57, 84 f., 124, 152 ff., 162, 184, 189 f. 230 Numerus-Clausus-Urteil 124 f., 212 Organentnahme – Rechtfertigung 39, 61 f., 65 – Rechtswidrige 36 – Voraussetzungen 37 ff., 59 ff., Organspendeausweis 62 f. Organspendebereitschaft 57, 225 Organallokationsskandal 138, 140, 149 f., 156, 160, 174, 182, 185, 202 Organverteilung, siehe Allokation Originäres Leistungsrecht 102, 209 ff. Parlamentsvorbehalt 122 ff., 148, 233 Prüfungs- und Überwachungskommission 74 ff., 87 f., 111, 138 Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit 25, 41, 216 Regeln der medizinischen Wissenschaft 153, 155,163,192 Regulierte Selbstregulierung 56, 93 Retransplantation 173, 184 Richtlinien der Bundesärztekammer zur Warteliste und Organverteilung – Allgemeines 58 – Rechtsnatur 97 ff. – Verbindlichkeit 100 – Verfassungsmäßigkeit der Richtlinienkompetenz 119 ff. Selbstverwaltung 34, 82, 91, 100, 102, 110, 134, 139, 143, 148 Standard-Exception 177 f. Sozialstaatsprinzip 218 Sprache als Kontraindikation 158 Totensorgerecht 40 Transplantationsbeauftragte 68 Transplantationsgesetz (TPG) – Entstehungsgeschichte 30 ff., 41 ff. – Notwendigkeit staatlicher Regulierung 35 ff. Transplantationskodex 43, 47, 50 ff. Transplantationsmedizin 23 f., 26 ff., 35, 37 f., 40, 43 ff., 54 f., 57 ff., 79, 83, 94 f.,

Sachwortverzeichnis 98, 123, 143, 159, 179, 182 ff., 186, 209, 233 Transplantationsregister 27, 138 Transplantationszentren – Aufgaben 68 f. – Historische Entwicklung 31 ff., 43 f., 53 f. Vermittlung, siehe Allokation Vermittlungsstelle, siehe Eurotransplant Warteliste – Annahme, Aufnahme und Verbleib 23 ff., 30, 33, 54, 57, 79, 83 ff., 88 f., 91, 93, 96, 110, 118, 122, 124, 126, 131, 137, 148,

267

150 ff., 160 ff., 170, 173, 182 ff., 186, 188 ff., 192, 197, 200, 203, 206, 208 f., 219 f., 222, 224, 227, 230 f., 234 – Besetzung 83 ff., 91 – Einheitliche 32, 76, 167, 181 Wartezeit 73, 126, 128, 131 f., 161, 174, 180 ff., 227 Wesentlichkeitslehre 122 ff. Widerspruchslösung, siehe enge Widerspruchslösung oder erweiterte Widerspruchslösung Zustimmungslösung, siehe enge Zustimmungslösung oder erweiterte Zustimmungslösung