Das Problem der Erklärung der Kategorien: Eine Untersuchung der formalen Strukturelemente in der "Kritik der reinen Vernunft" 9783110854558, 3110110318, 9783110110319


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VORWORT
0. EINLEITUNG: “VON DEM SYSTEM DER KATEGORIEN” (“PROLEGOMENA” § 39)
1. DAS PROBLEM DER KATEGORIENLEHRE NACH DER NEUEREN KANTINTERPRETATION
2. DIE ERKLÄRUNG DER KATEGORIEN IN DER “KRITIK DER REINEN VERNUNFT”
2.1 Zum Problem der Erklärung überhaupt
2.2 Die Restriktion der Kategorien
2.3 Beschreibung der Kategorientafel
2.4 Der “Leitfaden der Entdeckung” der Kategorien
3. DIE ERKLÄRUNG DER KATEGORIEN ALS SYSTEMATISCHE GRUNDBEGRIFFE
3.1 Die Mehrdimensionalität des Begriffs “Kategorie” im thematischen Bezug
3.2 Die strukturelle Fundierung des Paralogismenkapitels durch den kategorialen Begriff “Substanz”
3.3 Die Strukturierung des “dritten Widerstreits” der reinen Vernunft mit Hilfe der Kategorie “Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)”
4. SCHLUSS: DIE KATEGORIENTAFEL ALS SCHEMA DES SYSTEMS DER REINEN VERNUNFT
LITERATURVERZEICHNIS
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Das Problem der Erklärung der Kategorien: Eine Untersuchung der formalen Strukturelemente in der "Kritik der reinen Vernunft"
 9783110854558, 3110110318, 9783110110319

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Gisela Helene Lorenz Das Problem der Erklärung der Kategorien

w DE

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Kantstudien Ergänzungshefte im Aufrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann herausgegeben von Gerhard Funke und Rudolf Malter

118

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1986

Gisela Helene Lorenz

Das Problem der Erklärung der Kategorien Eine Untersuchung der formalen Strukturelemente in der „Kritik der reinen Vernunft"

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1986

CI Ρ- Kur^titelaujnahme der Deutschen Bibliothek

Lorenz, Gisela Helene: Das Problem der Erklärung der Kategorien : e. Unters, d. formalen Strukturelemente in d. „Kritik der reinen Vernunft" / Gisela Helene Lorenz. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1986. (Kantstudien : Ergänzungshefte ; 118) ISBN 3-11-011031-8 NE: Kantstudien / Ergänzungshefte

©

Copyright 1986 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 - Printed in Germany - Alle Rechte der Übersetzung, des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch vorzugsweise — vorbehalten. Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

PAUL BAIER GEWIDMET

VORWORT

Die Idee zu der hier vorliegenden Promotionsschrift entwickelte sich im Zusammenhang verschiedener Seminare, die Frau Professor Heidemann zwischen 1973 und 1978 an dem Philosophischen Seminar der Universität Bonn durchführte. Dabei wurden die unterschiedlichsten Themen des Kantischen Werkes bearbeitet. Die Frage nach der Kantischen Systematik im ganzen und der ihr zugrunde liegenden Methodik stand dabei stets im Zentrum der Debatten. Dankbar bin ich deshalb für die Anregungen, die von diesen Seminaren ausgingen. Ganz besonders aber fühle ich mich Frau Professor Heidemann zu Dank verpflichtet, die mit aufmerksamem Interesse diese Arbeit betreute.

Ulm, Frühjahr 1985

Gisela Helene Lorenz

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

VII

0. EINLEITUNG: "VON DEM SYSTEM DER KATEGORIEN" ("PROLEGOMENA" S 39)

1

1. DAS PROBLEM DER KATEGORIENLEHRE NACH DER NEUEREN KANTINTERPRETATION

9

2. DIE ERKLÄRUNG DER KATEGORIEN IN DER "KRITIK DER REINEN VERNUNFT" . 4

61

2.1 2.2 2.3 2.4

61 73 80 88

Zum Problem der Erklärung überhaupt Die Restriktion der Kategorien Beschreibung der Kategorientafel Der "Leitfaden der Entdeckung" der Kategorien ....

3. DIE ERKLÄRUNG DER KATEGORIEN ALS SYSTEMATISCHE GRUNDBEGRIFFE Die Mehrdimensionalität des Begriffs "Kategorie" im thematischen Bezug 3.2 Die strukturelle Fundierung des Paralogismenkapitels durch den kategorialen Begriff "Substanz" 3.2.1 Der Inhalt des Hauptstücks "Von den Paralogismen der reinen Vernunft" 3.2.2 Die strukturellen Schwerpunkte des Paralogismenkapitels 3.3 Die Strukturierung des "dritten Widerstreits" der reinen Vernunft mit Hilfe der Kategorie "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)" 3.3.1 Das Thema des "dritten Widerstreits der transzendentalen Ideen"

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3.1

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159 160

χ

Inhaltsverzeichnis

3.3.2 Kausalitätstypen im dritten Widerstreit der reinen Vernunft 3.3.3 Die grundlegende systematische Funktion der Kategorie der "Kausalität und Dependenz" für die Bildung der Ideen der reinen Vernunft überhaupt

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4. SCHLUSS: DIE KATEGORIENTAFEL ALS SCHEMA DES SYSTEMS DER REINEN VERNUNFT

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LITERATURVERZEICHNIS

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0. EINLEITUNG: "VON DEM SYSTEM DER KATEGORIEN" ("PROLEGOMENA" § 39)

Eine Untersuchung der Kantischen Methode des Philosophierens^ kann an verschiedenen Systemteilen seines philosophischen Werkes ansetzen. Die Entscheidung für einen bestimmten Ansatz ist unter anderem abhängig von den wissenschaftstheoretischen

Prin-

zipien, die ein Kantforscher in seine Untersuchung einbringt. Die hier vorliegende Arbeit versucht die Annäherung an Kants Methodik über die formalen Elemente des reinen Verstandes, die reinen Verstandesbegriffe. Dieses Verfahren stützt sich auf Kants Aussagen zu diesen reinen Denkelementen, die als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung deduziert werden können, aber, in das kategoriale System eingebunden, auch systematische Funktion haben. Diese Interpretation ermöglicht das Verständnis des Aufbaus der "Kritik der reinen Vernunft" von Kants Systemlogik her und vermeidet das Beiseitelegen gewisser Teilstücke des Werkes als dazugestückelte Passagen oder Referenz an dem

1 Kant grenzt seine " M e t h o d e des k r i t i s c h e n P h i l o s o p h i r e n e " gegen die Methode der Dogmatiker und die Methode der Skeptiker ab. Mach der von Jäsche herausgegebenen Kantischen "Logik" besteht diese kritische Methode darin, "das Verfahren der Vernunft selbst zu untersuchen, das gesammte menschliche Erkenntnisvermögen zu zergliedern und zu prüfen: wie weit die G r e n z e n desselben wohl gehen mögen."(Bd. IX, S. 32) Dazu gehört auch, die Quellen seiner Behauptungen oder Einwürfe" zu untersuchen "und die Gründe, worauf dieselben beruhen; ein Methode, welche Hoffnung giebt, zur Gewißheit zu gelangen." (Ebd. S 84) Die "Kritik der reinen Vernunft" wird hier nach der von Heidemann besorgten Ausgabe bei Reclam, Stuttgart 1966, mit den Stellenangaben aus der zweiten und ersten Auflage des Werkes zitiert. Die anderen Kantischen Schriften zitiere ich nach der Akademie-Ausgabe. Die Stellenangaben zu den Kantischen Herken stehen in dieser Arbeit im Text, direkt hinter dem Zitat, in Klammern. Für die Akademie-Ausgabe gebe Ich nur die Bandnummera und die Seltenzahl an. Sperrungen in den Zitaten werden als Sperrungen wiedergegeben, Halbfettdruck, Unterstreichungen und Kursivdruck im Original erscheinen als Kursivdruck.

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Einleitung

Zeitgeist verhaftete Relikte. Welche Problemstellungen sich zu diesem Ansatz ergeben, soll einleitend am Beispiel der Kantischen Ausführungen zu seiner Kategorienlehre in den "Prolegomena zu einer jeden Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können", gezeigt werden. Die "Prolegomena" hat Kant zwischen der ersten und zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" veröffentlicht. Abgesehen davon, daß sie als eine Art Interpretation seiner Aussagen in der ersten Auflage der "Kritik" angesehen werden können, enthalten sie Angaben zum Kategoriensystem, die dort fehlen und erst in dem, in der zweiten Auflage neu eingefügten, Paragraphen 11 der "Transzendentalen Elementarlehre" den Erörterungen zur Kategoriensystematik des Paragraphen 10 beigefügt wurden. Es kann also angenommen werden, daB Kants Überlegungen zur Rezeption seiner Aussagen in der ersten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" zu den Erörterungen im Paragraphen 11 der zweiten Ausgabe geführt haben und diese Überlegungen ihren Niederschlag in den vorher konzipierten "Prolegomena" finden. In Paragraph 39 der "Prolegomena", einem Anhang zur Bearbeitung der zweiten transzendentalen Hauptfrage nach der Möglichkeit reiner Naturwissenschaft, behandelt Kant das "System der Kategorien". Dieses Kapitel ist das Bindeglied zu der folgenden Betrachtung der Frage nach der Möglichkeit von Metaphysik überhaupt und ist deshalb typisch für die Stellung der reinen Verstandesbegriffe im Kantischen System, die einerseits Naturwissenschaft, andererseits Metaphysik ermöglichen. Kant erläutert sein Kategoriensystem in diesem Paragraphen, wie auch in der "Kritik der reinen Vernunft" im Paragraphen 10, im Vergleich mit dem Kategoriensystem des Aristoteles, das nach Kant, "weil kein Princip vorhanden war, nach welchem der Verstand völlig ausgemessen und alle Functionen desselben, daraus seine reine Begriffe entspringen, vollzählig und mit Präcision bestimmt werden könnten", nicht als System gelten kann. (Bd. IV, S. 323) Nicht nur der Bezug zu Aristoteles war für die Kantische Fas··· sung der Kategorienlehre grundlegend, auch die Auseinandersetzung mit der Humeschen Philosophie hatte in diesem Zusammenhang

Einleitung

3

große Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit David Hume, der Kant aus dem "dogmatischen Schlummer" geweckt hat, wie Kant im Vorwort der "Prolegomena" berichtet (Bd. IV, S. 260), verweist auch auf die grundlegende Bedeutung der Kategorien für Kants eigene kritische Methode, denn die von Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" und in den "Prolegomena" berichteten Streitpunkte mit Hume beziehen sich alle auf die Frage der Gültigkeit kausaler Gesetzmäßigkeit als transzendentaler Grundregel der Vernunft im weitesten Sinne. So ist schon der erste AnstoB zu einer eigenen kritischen Philosophie für Kant verbunden mit der Frage nach der apriorischen Gültigkeit eines philosophischen Grundbegriffs, dem Kant, eingebunden in das System der Kategorientafel, transzendentalphilosophische Geltung zuspricht. Dem eigenen Kategoriensystem, in Tafelform in Paragraph 10 der "Kritik der reinen Vernunft" und mit modifziertem Text in Paragraph 21 der "Prolegomena" aufgeführt, liegt aber nun, im Vergleich zu dem des Aristoteles, ein Prinzip zugrunde, das Kant, laut "Prolegomena", in der "Verstandeshandlung" findet, "die alle übrige enthält und sich nur durch verschiedene Modificationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit des Denkens überhaupt zu bringen, ... diese Verstandeshandlung bestehe im Urtheilen". (Bd. IV, S. 323) Die konstitutive Funktion der Urteilsformen für die Kategorien des reinen Verstandes kommt in meiner Arbeit im Zusammenhang der Leitfadenfunktion der Urteilsformen noch ausdrücklich zur Sprache. Kant beruft sich in den "Prolegomena" auf die Arbeit der Logiker, die zwar von "Mängeln" befreit werden muBte, aber doch die Aufstellung einer "vollständigen Tafel reiner Verstandesfunctionen, die aber in Ansehung alles Objects unbestimmt waren", ermöglichte. (Bd. IV, S.323 f.) "Diese Functionen zu urtheilen" bezieht Kant nun auf die "Bedingung, Urtheile als objectiv-gültig" zu bestimmen, und es "entspringen" die reinen Verstandesbegriffe. (Vgl. Bd. IV, S. 324) Ob unter dieser "Bedingung" die Formen der Anschauung gemeint sind, bleibt offen, muB aber wohl angenommen werden. Im Zusammenhang der Frage nach der Vollständigkeit der Kantischen Kategorientafel und dem Versuch deren Nachweises durch Klaus

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Einleitung

Reich, wird das Problem im ersten Hauptteil meiner Arbeit noch einmal erörtert. Das "Wesentliche" und einer großen Zahl von Kant-Interpreten Einsichtigste der ganzen Kategoriensystematik ist nun nach Kant die "wahre Bedeutung der reinen Verstandesbegriffe und die Bedingung ihres Gebrauchs", der darin besteht, "daß sie für sich selbst nichts als logische Functionen sind, als solche aber nicht den mindesten Begriff von einem Objecte an sich selbst ausmachen, sondern es bedürfen, daß sinnliche Anschauung zum Grunde liege" (Bd. IV, S. 324) . Die reinen Verstandesbegriffe dienen dazu, den empirischen Urteilen allgemeine Gültigkeit zu verschaffen, oder wie Kant sagt, "vermittelst ihrer Erf a h r u n g s u r t e i l e überhaupt möglich zu machen" (Bd. IV, S. 324) . Diese bedeutende Einsicht belegt Kant in seinem Beweisgang der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" in der "Kritik der reinen Vernunft". Daraus ergibt sich die grundlegende Geltung der Grundsätze des reinen Verstandes für unsere Erfahrungserkenntnis und für alle naturwissenschaftliche Theorie. Diese Erkenntnis ist ein wichtiges Ergebnis der "Kritik der reinen Vernunft", das von den Kantinterpreten auch entsprechend gewürdigt worden ist. Aber diese Erfahrungserkenntnis begründende Funktion ist nur die eine Seite der Untersuchung. Kants philosophisch viel weiter reichende Erkenntnis über die Berechtigung der transzendentalphilosophischen Untersuchungen blieb weitgehend unbeachtet: "Dieses System der Kategorien macht nun alle Behandlung eines jeden Gegenstandes der reinen Vernunft selbst wiederum systematisch und giebt eine ungezweifelte Anweisung oder Leitfaden ab, wie und durch welche Punkte der Untersuchung jede metaphysische Betrachtung, wenn sie vollständig werden soll, müsse geführt werden: denn es erschöpft alle Momente des Verstandes, unter welche jeder andere Begriff gebracht werden muß." (Bd. IV, S. 325) Diese Behauptung Kants wird in der "Transzendentalen Deduktion" der Kategorien nicht bewiesen. Sie steht, ganz ähnlich im Wortlaut zu Beginn des Paragraphen 11 der "Transzendentalen Elementralehre" in der "Kritik der reinen Vernunft", unvermittelt als Behauptung Kants im ungeklärten Feld seiner Aussagen

Einleitung

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über das eigene methodische Verfahren. Jede metaphysische Betrachtung, so auch die kritische aber auch systemfundierende Unternehmung des Neuaufbaus von Philosophie in der "Kritik der reinen Vernunft", folgt nach dieser Aussage Kants der im Kategoriensystem enthaltenen Systemlogik. Dieses System gibt "ungezweifelte Anweisung oder Leitfaden" für die Art und den Ablauf einer metaphysischen Betrachtung. Der Grund liegt darin, daB das System "alle Momente des Verstandes" erschöpft, dem alle Begriffe subsumiert werden können. Die Kategorientafel liefert also ein Strukturmodell für metaphysische Betrachtungen. Da im Gesamtverständnis der "Kritik der reinen Vernunft" so viele Schwierigkeiten auftreten, ein deutliches Zeichen dafür ist das bisherige Fehlen eines durchgängigen Kommentars, liegt es nahe, diese Bemerkung Kants zu seiner Kategorienlehre, als systemfundierend für die "Behandlung eines jeden Gegenstandes der reinen Vernunft", auf seine eigene Arbeit anzuwenden, die "Kritik der reinen Vernunft" also auf die Stellung der Kategorien des reinen Verstandes darin zu untersuchen. In der Vorrede zur zweiten Auflag der "Kritik der reinen Vernunft" findet sich eine Bemerkung Kants, die als Motiv zur Suche nach den systemlogischen Elementen der Kantischen Lehre mit beiträgt. Kant charakterisiert die "Kritik der reinen Vernunft": "Sie ist ein Traktat von der Methode, nicht ein System der Wissenschaft selbst; aber sie verzeichnet gleichwohl den ganzen Umriß derselben, so wohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben." (Β XXII f.) Der SchluB, daB eine solche, als methodisch charakterisierte, Schrift methodische Gesetzmäßigkeiten enthalten muB, liegt nahe. Die Methode im erzielten Ergebnis der Untersuchungen zu sehen, bleibt fragwürdig, wenn sich nicht der ganze Text der "Kritik der reinen Vernunft" damit rechtfertigen läBt. So wurde in weiten Kreisen der Kantinterpretation die "Kritik der reinen Vernunft" als ein Werk betrachtet, das ganz bestimmte Ergebnisse erbrachte, das im Gesamtzusammenhang aber inkonsistenf erschien. Der Grund liegt darin, daB, bis auf wenige Autoren, die Kantische Methode des kritischen Verfahrens gar nicht ins Blickfeld kam oder sie

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Einleitung

darauf reduziert wurde, die philosophischen Ergebnisse auf die erfahrungskonstituierenden Komponenten seiner Lehre zurückzubeziehen. Das ist aber nur eine Seite der Ergebnisse der "Kritik der reinen Vernunft". Kant sagt an der oben angegebenen Stelle im Vorwort zur zweiten Auflage, daß dieser "Traktat von der Methode" gleichwohl den "ganzen Umriß" des Systems von Wissenschaft verzeichne, " so wohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben". Diese Aussage deckt sich in der Intention mit der schon genannten in Paragraph 39 der "Prolegoma". Für meine Untersuchung ergibt sich daraus die These, daß die Kategorien des reinen Verstandes systematische Grundbegriffe für das Kantische Philosophieren, ob kritisch oder systematisch, darstellen und sich diese systemlogische Geltung in der "Kritik der reinen Vernunft" nachweisen läßt. Kants Vergleich des Kategoriensystems mit der Grammatik einer Sprache gibt einen Hinweis auf den für die Untersuchung einzuschlagenden Heg. Es heißt im zweiten Absatz des Paragraphen 39 der "Prolegomena": "Aus dem gemeinen Erkenntnisse die Begriffe heraussuchen, welche gar keine besondere Erfahrung zum Grunde liegen haben und gleichwohl in aller Erfahrungserkenntnis vorkommen, von der sie gleichsam die bloße Form der Verknüpfung ausmachen, setzte kein größeres Nachdenken oder mehr Einsicht voraus, als aus einer Sprache Regeln des wirklichen Gebrauchs der Wörter heraussuchen und so Elemente zu einer Grammatik zusammentragen (in der That sind beide Untersuchungen einander auch sehr nahe verwandt), ohne doch eben Grund angeben zu können, warum eine jede Sprache gerade diese und keine andere formale Beschaffenheit habe, noch weniger aber, daß gerade so viel, nicht mehr oder weniger, solcher formalen Bestimmungen derselben überhaupt angetroffen werden können." (Bd. IV, S. 322 f.) Wenn die Kategorien des reinen Verstandes mit den Elementen einer Grammatik verglichen werden könnnen, so bedeutet das, daß ihr Aufweis als konstitutive oder auch regulative Bestandteile eines philosophischen Werkes darin möglich sein muß, möglicherweise in verschiedenen Funktionen, weil auch eine Grammatik ganz unterschiedliche Strukturregeln enthält.

Einleitung

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Die Erklärung der Kategorien ergäbe sich dann aus der Demonstration der Zusammenhänge der Kantischen Argumentation mit den Kategorien des reinen Verstandes. Dieser Aufweis der Kategorien als systematisch fundierende Bestandteile der "Kritik der reinen Vernunft" wird, weiter unten, in der hier vorliegenden Arbeit versucht. Das Zeil der gesamten Untersuchung ist ein methodisches. Es soll gezeigt werden, daß die Kategorien systemlogische Fundierungsfunktion für die "Kritik der reinen Vernunft" haben. In dieser Absicht ist der erste Hauptteil der Arbeit deskriptiv. Beschrieben werden die wichtigsten Arbeiten zur Kantinterpretation, die die heutige Forschungslage ausmachen, vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis heute, insofern sie sich mit der Kategorienlehre Kants beschäftigen. Dabei soll keine Beurteilung der einzelnen Interpretationsleistungen für das Gesamtwerk abgegeben werden, sondern nur die Stellung des Autors zur Kategorienlehre berücksichtig werden. Dieser Beurteilungsstandpunkt führt zu keiner ausgewogenen Würdigung der behandelten Literatur. Er ist notgedrungen einseitig und muß auf eine Betrachtung der Auswirkungen dieser Kategorieninterpretation auf die gesamte Kantinterpretation des jeweiligen Autor verzichten. Die anfallende Kritik betrifft deshalb auch nur die jeweilige Rezeption der Kategorienlehre und ist keine Beurteilung der gesamten Interpretationsleistung. An diesen Literaturteil schließt sich als weiterer Hauptteil eine Darstellung der Problemsituation zur Frage der Erklärung der Kategorien in der "Kritik der reinen Vernunft" selbst an. Dabei nimmt die Darstellung der Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungserkenntnis, obwohl dies die für jede Untersuchung der Kategorien erste und deutlichste Erklärung der Kategorien ist, die Kant gibt, nur wenig Raum ein, weil dieser Aspekt der Kantischen Kategorienlehre in der Kantliteratur ausführlich gewürdigt wurde. Im nächsten Hauptteil erfolgt der Nachweis der Kategorien als systemstrukturierende Denkgesetze in der "Kritik der reinen Vernunft", am Beispiel des kategorialen Begriffs Substanz und am Beispiel der kategorialen Relation "Kausalität und De-

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Einleitung

pendenz". Zwei Kantische Argumentationsgänge in der "Kritik der reinen Vernunft" werden unter dem Aspekt der Regelsetzung durch einen kategorialen Begriff interpretiert. Dabei wird gezeigt, daß Kategorien für ganz bestimmte Teilstücke der "Kritik der reinen Vernunft" den systemlogischen Leitfaden abgeben. Es handelt sich um eine Art von Kategorialanalyse, die für die "Patalogismen der reinen Vernunft" deren systematische Abhängigkeit von dem Begriff "Substanz" beweist und für den "dritten Widerstreit der transzendentalen Ideen" dessen konstitutionelle Verflechtung mit der Kategorie der "Kausalität und Dependenz". Mit diesem Nachweis bestätigt sich die These dieser Arbeit, daß die Kategorien des reinen Verstandes von Kant als systematisch methodische Begriffe für die kritischen und die metaphysischen Untersuchungen in der "Kritik der reinen Vernunft" gebraucht werden und daß die Untersuchung der Anwendungsregeln dieser reinen Verstandesbegriffe für die Erforschung der Methode des gesamten Kantischen Philosophierens von großer Bedeutung ist.

1. DAS PROBLEM DER KATEGORIENLEHRE NACH DER NEUEREN KANTINTERPRETATION

Die systematische Funktion der Kategorien für Kants transzendentalphilosophische Methode gilt für sein ganzes Werk. Abgesehen von der "Kritik der reinen Vernunft" betont Kant in den "Prolegomena", der "Kritik der praktischen Vernunft" und den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft"* ausdrücklich die systematische Bedeutung der Kategorien und gebraucht die Form ihrer Tafel als "systematische Topik". Wenn diesem Kantischen Verfahren Rechnung getragen wird und die Kategorien als systembildende Faktoren interpretiert werden, fallen Interpretationsschwierigkeiten weg, die sich auf den 2

werklogischen Zusammenhang beziehen. Unter diesem Gesichtsspunkt haben nur wenige Autoren die Kantische Kategorienlehre interpretiert. Dabei muß berücksichtigt werden, daß im Vergleich mit der großen Anzahl von Schriften, die sich mit den verschiedensten Themen des Kantischen Werkes befassen, es speziell zu den Kategorien wenig Literatur gibt. Für die Interpreten, die die Kantische Systematik insgesamt bearbeiten, steht die Kategorienlehre nur am Rande des Interesses. Der Aufbau des Kantischen Systems wird im allgemeinen nicht mit den Kategorien in Zusammenhang gebracht. Um die Notwendigkeit einer neuen Würdigung der Kantischen Kategorienlehre

1 Feter Flaass konstatiert in den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" "ein gewisses kategoriales Durcheinander", was er auf den propädeutischen Charakter der "Kritik der reinen Vernunft" zurückführt, die das ganz ausgeführte System der Prädikabllien nicht enthält. Peter Piaass, Kants Theorie der Naturwissenschaft. Eine Untersuchung zur Vorrede von Kants "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft. Göttingen 1965, S. 68. 2 Solche Probleme werden weiter unten in meiner Arbeit zur Sprache kommen, Im Zusammenhang der strukturierenden Funktion kategorialer Begriffe und der Kategorientafel selbst.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation

zu belegen, sind hier verschiedene, für die Schulphilosophie bedeutende Werke der Kantinterpretation auf ihre Bewertung der Kantischen Kategorienlehre hin untersucht worden. Dabei soll zuerst die größere Gruppe der Kritiker der Kategorienlehre dargestellt werden, dann die kleinere der Befürworter, deren Schriften Voraussetzung sind für die hier vorgetragene Bewertung der Kantischen Kategorienlehre. Was die Typik der interpretierenden Arbeiten angeht, so kann hier unterschieden werden zwischen den Kommentaren und umfassenden systematischen Kantinterpretationen, solchen Werken, die die Kantische Theorie unter historischem Aspekt betrachten, und den Monographien, die ein ganz bestimmtes Problemfeld der Kantinterpretation bearbeiten. Abgesehen davon, daB die Ablehnung oder Zustimmung zur Kantischen Kategorienlehre meist begründet ist in der Stellung des Interpreten zu Kants Philosophie überhaupt, zeigt sich in der Uneinigkeit über die Erklärung der Kategorien das Problem der Erklärung philosophischer Grundbestimmungen. Um der paradoxen Situation zu entgehen, die dadurch entsteht, daß diese Begriffe alles andere, nur nicht sich selbst erklären, hat ein großer Teil der Interpreten die Kategorien als Grundbegriffe der Naturerkenntnis und damit der Naturwissenschaft aufgefaßt. Unter dieser Voraussetzung erklären sie sich von selbst, durch ihre Anwendung in der Empirie. Die viel weiter reichende Behauptung Kants, daß die Kategorientafel eine "systematische Topik" für alle apriorischen Wissenschaften darstelle, wird gewöhnlich entweder still ignoriert oder als Optimismus abgetan. Bei dieser Auffassung erledigt sich demnach das Problem ihrer Erklärung durch den Aufweis in der Erfahrungswirklichkeit. Auch der Rückgriff auf die historischen Wurzeln einzelner Kategorien kann die Frage ihrer Bedeutung in Kants Werk nicht beantworten. Ihre systematische Stellung ist von Kant selbst geschaffen, auch wenn es ähnliche Versuche bei anderen Denkern gegeben hat. Deshalb erklären Hinweise auf das Wissen Kants um andere philosophische Systeme nicht, wie die Kategorien bei Kant aufgefaßt werden müssen. Für das Studium der "Kritik der reinen Vernunft" besteht das

Kategorienlehre und Kantinterpretation

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oft bedauerte Faktum, daß es keinen durchgehenden Kommentar im strengen Sinn des Wortes für die gesamte "Kritik der reinen Ver3 nunft" gibt. In dem umfangreichen Werk von Hans 4 V a i h i n g e r , das allerdings nur die "Vorrede", die Einleitung und die "Transzendentale Ästhetik" der "Kritik der 5 reinen Vernunft" kommentiert , findet sich keine Diskussion der Kategorien. Verschiedene kategoriale Begriffe werden dort, wo sie in Kants Text auftreten, kommentierend berücksichtigt, Vaihinger interpretiert sie jedoch nicht in ihrer methodischen Funktion innerhalb der Kantischen Transzendentalphilosophie. In der Einleitung und im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit der Kantischen Lehre von Raum und Zeit werden zwar verschiedene Kategorien genannt, während der Kommentar zur Vorrede der ersten Auflage dazu keine Aussagen macht®, insgesamt wird ihnen nur eine begründende Funktion innerhalb der Erfahrungskonstitution zugestanden. Die Einleitung zur zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", die in kurzer Form die grundsätzlichen Thesen des Werkes vorstellt, verlangt, dem Kantischen Text zufolge, eine erste Auseinandersetzung mit dem kategorialen Begriff der Ursache. Vaihinger nimmt, im Zusammanhang der Kantischen Ausführungen zur apriorischen Erkenntnis (B 5), Stellung zum Unterschied zwischen dem Grundsatz der Kausalität und dem bloBen Begriff der Ursache. Nach Vaihinger unterscheiden sich Satz und Begriff in modaler Hinsicht. Die Geltung des Satzes betreffe eine "äußere Notwendigkeit", insofern als "alle Geschehnisse überhaupt causaliter bedingt sind", wodurch ein "Anderssein Können" absolut ausgeschlossen ist. Die Notwendigkeit im

3 Paton nennt das Fehlen eines Kommentars einen "scandal to philosophical scholarship and not least to German philosophical scholarship". H. J. Paton, Kant's Metaphysic of Experience, Bd. I. London 1961, S. 15. 4 Hans Vaihinger, Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, 2 Bde., Stuttgart 1881 u. 1892. 5 Vaihinger kommentiert die "Kritik der reinen Vernunft" unter dem Aspekt einer "Theorie der Erfahrung". Vaihinger, a. a. 0. Bd. I, S. 8. 6 Die Vorrede zur zweiten Auflage, die wegen ihrer inhaltlichen Schwierigkeiten am Ende des Kommentars dargestellt werden sollte, hat Vaihinger nicht mehr kommentiert.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation

Begriff der Ursache liegt nach Vaihinger darin, "daß die Verbindung von Α als Ursache und Β als Wirkung eine derartige sei, daß sie mit einem regelmäßigen Zwang erfolge", was Vaihinger 7 als "innere Notwendigkeit" bezeichnet . Die unterschiedliche Interpretation von Satz und Begriff begründet Vaihinger an dieser Stelle nicht. Dem kategorialen Begriff Ursache wird ontologische Bedeutung gegeben, dem Grundsatz erkenntnistheoretische. Diese unterschiedliche Bewertung der Gültigkeit von Grundsatz und zugrunde liegender Kategorie tritt auch in Vaihingers Beurteilung des Verhältnisses von Kant zu Hume in den Vordergrund. Vaihinger wirft Kant Unklarheit vor, weil dieser die Frage nach der Geltung des speziellen Kausalurteils und die Frage nach der Geltung des Grundsatzes der Kausalität und auch die Frage nach der Geltung des empirischen Kausalurteils, ohne zu differenzieo ren, insgesamt, als das Hume'sehe Problem bezeichnet habe. Diese mangelnde Differenzierung führt nach Vaihinger dazu, daß Kant in der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" von den, durch die Kategorie der Kausalität bedingten, speziellen Kausalurteilen "gänzlich unvermittelt" zu dem allgemeinen Naturgesetz der Kausalität übergeht, wodurch der Beweisgang seine Schlüssigkeit verliert. Die Ausführungen Kants in Paragraph eins der "Transzendentalen Ästhetik", über die Wirkung des Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, veranlassen Vaihinger, "wenn es auch manchen 'Kantianern' noch so unbequem sein mag", zu betonen, daß hier der Gegenstand als Ursache der Empfindung in Anspruch ge9 nommen wird. Und so weist Vaihinger auch bei der Betrachtung des ersten Raumarguments auf Schopenhauers Kritik hin, wonach die Möglichkeit der "Localisation" durch das empfindende Subjekt einen "Anstoss" voraussetze und deshalb die "'Denkform' der Causalität" schon hier mit zur Sinnlichkeit hinzutrete.^®

7 Vaihinger, a. a. 0. Bd. I, S. 214. 8 Vgl. Vaihinger, a. a. 0. Bd. I, S. 348 f. Vaihinger bezieht sich hier auf Β 19. 9 Ebd. Bd. II, S. 28. 10 Ebd. S. 164.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

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Die leitende Funktion des Relationsgedankens in Kants Lehre von der Sinnlichkeit betont Vaihinger bei der Kommentierung der "Allgemeinen Anmerkungen zur transzendentalen Ästhetik". Wie es zu verstehen ist, daß Kant dort ganz grundsätzliche theoriebegründende Aussagen mit Hilfe des kategorialen Begriffs Substanz und des Kategorientitels Relation macht, die erst im weiteren Verlauf des Textes der "Kritik der reinen Vernunft" und dann in anderer Funktion von Kant eingeführt werden, zeigt Vaihinger nicht. Er führt die von Verhältnissen bestimmte Form der Sinnlichkeit auf die primäre Geltung der Grundsätze des reinen Verstandes zurück, die die relationale Struktur auch der reinen Formen der Sinnlichkeit vorgeben. Die methodische Reflexion Kants auf das eigene philosophische Vorgehen in der "Kritik der reinen Vernunft" hat er mit Bezug auf die Kategorienlehre nicht berücksichtigt. Während für Vaihinger die Kantische Kategorienlehre nur am Rande in seinen Kommentar einfließt, treten die Kantischen Kategorien für Hermann C o h e n , als konstitutive Elemente der Kantischen Wissenschaftstheorie, mit in das Zentrum der Interpretation. Die eigentliche Leistung Kants besteht für Cohen in der wissenschaftstheoretischen Begründung von Naturwissenschaft. Folglich liegt für ihn die Bedeutung der Kantischen Kategorienlehre in ihrer Begründungsfunktion für die Grundsätze des reinen Verstandes. In seinem kleinen Kommentar

11 "Die Inneren Bestimmungen einer S u b s t a n t i a p h a e n o m e n o n Im Räume sind nichts als Verhältnisse und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen: die Substanz im Räume kennen wir nur durch die Kräfte, die In demselben wirksam sind, entweder andere dahin zu treiben (Anziehung) oder vom Eindringen In ihn abzuhalten (Zurückstoßung und Undurchdringlichkeit); andere Eigenschaften kennen wir nicht, die den Begriff von der Substanz, die im Räume erscheint, und die wir Materie nennen, ausmachen. Ort, Gestalt, Berührung und Bewegung sind lauter äußere Verhältnisse. Wir können deshalb eben auch die empirischen Substanzen, die materiellen Dinge, vollständig analysleren, oder wenigstens zu analysieren hoffen, weil wir es eben nur mit Verhältnissen zu thun haben. Wenn ich von diesen Verhältnissen abstrahlre, bleibt nichts übrig, und ich habe auch nichts weiter zu denken ..." Vaihinger, a. a. 0. Bd. II, S. 474. Er bezieht sich auf Β 66 und vergleicht mit A 265 f. Der Text von Vaihinger 1st ein nur leicht geändertes Zitat aus Β 321/A 265.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation

zur "Kritik der reinen Vernunft"

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tritt die eigenständige

Funktion der Kategorientafel für systematische Wissenschaft 13 überhaupt vollkommen zurück. Unter diesem Aspekt ist es verständlich, daß der Kommentar die reinen Kategorien selbst nur sehr flüchtig berührt. Die "Originalität und Mission Kants" sieht Cohen auch 14 in seinem großen Kant-Buch in der transzendentalen Methode. Deren Gültigkeit erweist sich in der Anwendbarkeit auf die mathematische Naturwissenschaft, bei Kant also auf die Newtonschen P r i n z i p i e n . ^ Die Grundsätze selbst bedürfen durchaus des Rückverweises auf die Grundformen der synthetischen Urteile a priori und damit auf die Kategorien. Aber der Rückverweis*® wird nur insofern gefordert, als in jeder Wissenschaft

irgend-

12 Hermann Cohen, Kommentar zu Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. Leipzig 1907. Cohens Leitsatz dabei 1st "brevltas est virtus". 13 "Auf die Grundsätze muß alles ankommen, und auf sie von vornherein alles abgezielt sein. Denn die bisher erwogenen beiden Arten von 'Formen' (gemeint sind die Formen der reinen Anschauung und des Denkens, Anm. d. Verf.) sind als solche zwar 'Bedingungen' der synthetischen Erkenntnis; vielmehr aber sind sie nicht selbst Bedingungen, sondern nur Elemente und M i t t e l zu solchen." Cohen, Kommentar ..., S. 69. 14 Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 2. Auflage. Berlin 1885, S. 1. 15 "Die transcendentale Apriorität der Formen des Denkens, als der formalen Bedingungen unserer wissenschaftlichen Erfahrung, beruht sonach auf der Apriorität der synthetischen Grundsätze, sofern dieselben die Grundformen der synthetischen Urtheile a priori sind." Cohen, Kants Theorie ..., S. 410 f. 16 "Welche Irrungen mit der Annahme von apriorischen Begriffen sich verbinden können, das zeigt die Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften hinlänglich. Dass Grundbegriffe da seien, muss angenommen werden; welche, darüber wird die fortschreitende Cultur des Geistes wachsende Einsicht bringen. Daher ist die metaphysische Erörterung in ihren Ergebnissen von relativem provisorischem Werthe; nur ihre Aufgabe und Tendenz ist unbedingt nothwendig und hat gesicherte Geltung. Ob wir z. B. mit der Causalität ausreichen, oder noch ein Zweck-Element des Bewusstseins anzunehmen haben, darüber kann die metaphysische Erörterung nicht befinden. Ebensowenig darüber, wie der Grundbegriff der Causalität zu formuliren sei, ob als Satz des Grundes oder so, dass die realen Veränderungen als solche durch denselben bestimmt werden. Ob in dem Stücke Wachs ein Ausgedehntes als Ur-Ding zurückbleibt, oder ein Abstracteres noch, oder aber ein Engeres, das seinerseits erst das Element der Substanz erzeuge - darüber kann sich das metaphysische a priori an und fUr sich nicht ausweisen." Cohen, Kants Theorie ..., S. 77.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

15

welche letzten Gegebenheiten angenommen werden müssen, die allerdings aus sich selbst heraus keines Beweises ihrer Notwendigkeit fähig sind, und deshalb die Kategorien, wie ja auch Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" oft genug betont, erst durch ihre Anwendung auf Erfahrung Sinn bekommen. Die Rechtfertigung der Anzahl und Formulierung der Kategorien kann seiner Meinung nach nur in deren "transscendentaler

Leistungsfä-

higkeit" nachgewiesen werden. 1 ' Selbstverständlich, daß die Ableitung der Tafel der Kategorien aus der Tafel der Formen des Denkens im Urteil, als erst nach der Formulierung der 18 Grundsätze erfolgt, angesehen wird. Cohens Interpretation der Kategorientafel gipfelt in der Feststellung: "Wir haben erkannt, dass die Entdeckung wie die Anordnung der Kategorieen aus dem Gesichtspunkt der Grundsätze erfolgen musste, weil in diesem letztlich Kant die Einheit der Erfahrung gründet; und dass er demzufolge zu den Urtheilsarten zurückging, vielmehr bei ihnen stehen blieb, welche die Aristotelische Logik bereits im Grossen und Ganzen ausgezeichnet hatte. Kategorieen und Urtheile sind nur die Schablonen, die bei aller materiellen Verschiedenheit des Inhalts der Erkenntnisse die durchgängig gemeinsamen Grundzüge derselben kennzeichnen. Der Werth und Grund dieser Erkenntnisse aber liegt nicht In diesen psychologischen Wendungen, sondern in djjj Fassung, welche sich in den Grundsätzen vollzieht." Dieselbe Haltung gegenüber der Kantischen Kategorienlehre nehmen Kuno Fischer, Ernst Cassirer und Karl Vorländer ein. Kuno F i s c h e r

betont in seinem Buch über Kants Leben und

Werk, daß die Lehre von den Kategorien den Ausgangspunkt bil20 det zum Zielpunkt der Lehre von den Grundsätzen. Analog dazu

17 Cohen, Kants Theorie ..., S. 369. 18 "Die Formen des Denkens können nicht wol (siel) schlechthin aus den Arten des Urtheile, die die formale oder allgemeine Logik abthellt, entnommen werden; denn In diesen Urtheilsarten flguriren blosse Denkgebilde, die Urtheile sind analytisch. Wir suchen dagegen die Formen des Denkens als solche des synthetischen Urtheils. Die Einheit des Bewusstseins, deren Mittel das Denken zu sein hat, 1st eine 'synthetische Einheit des Bewusstseins'. Mithin können die Formen dieses synthetischen Denkens nicht aus den Arten des analytischen Denkens genommen werden." Ebd. S. 242. 19 Ebd. S. 267. 20 Kuno Fischer, Immanuel Kant und seine Lehre, Teil I und II, 6. Aufl. Heldelberg 1928. Vgl. S. 422.

16

Kategorienlehre und Kantinterpretation

handelt für ihn die "Analytik" vor allem von der "Möglichkeit 21 der E r f a h r u n g s u r t e i l e " . Jedoch wird in seinen Ausführungen der Auffassung Kants, daß die Kategorientafel eine "systematische Topik" bildet, Rechnung getragen. "Mit der Tafel der Kategorien 1st zugleich eine vollständige Einteilung der logischen Fächer gegeben, wir erkennen den Ort und die Stelle, wohin jeder Begriff gehört, die Gesichtspunkte, unter denen ^des Erkenntnisobjekt betrachtet und erörtert sein will." Die Relationskategorien gelten ihm als bedeutendste Kategoriengruppe überhaupt, weil "durch sie der objektive Zusammenhang der Erscheinungen vorgestellt wird", eine Funktion, die für Fischers Interpretation der Kantischen Konstitution von Erfah23 rungswissenschaft vorrangige Bedeutung hat. In derselben Intention, nämlich der Interpretation der "Kritik der reinen Vernunft" als wissenschaftstheoretische

Grund-

legung von Naturwissenschaft, kritisiert auch Ernst C a s s i r e r

die Kantische Kategorienlehre. Die metaphy-

sische Deduktion der Kategorien ist ihm in ihren einzelnen 24 Schritten nicht einsichtig. Bei der Einteilung der reinen Verstandesbegriffe herrscht seiner Meinung nach "nicht mehr rein und ausschließlich die objektive Notwendigkeit der Sache, sondern eine Entwicklungs- und Darstellungsweise, die sich zuletzt nur dann völlig verstehen und würdigen läBt, wenn man sie auf gewisse persönliche Eigenheiten des Kantischen Geistes zurückführt. Die Freude an dem übersichtlichen architektonischen Aufbau, an dem Parallelismus der systematischen Kunstform, an der einheitlichen Schematlk der Begriffe scheint an der besonderen Ausführung der ^ehre von den Kategorien mehr als billig beteiligt zu sein." Die Kategorien sind ihm die "zweite Grundrichtung der

'Synthe-

sis a priori'", die reinen Begriffe, die die reine Form der

21 22 23 24

Kuno Fischer, a. a. 0., Teil I, S. 419. Ebd. Teil I, S. 425 f. Ebd. Teil I, S. 425 f. "In der Tat ist es einer der wesentlichen Vorwürfe, den man gegen die Gesamtgestaltung der Vernunftkritik von jeher erhoben hat, daß die Tafel, die sie von den reinen Verstandesbegriffen entwirft, der logischen Tafel der Urteile zwar mit großer analytischer Kunst aber mit nicht geringerer Künstlichkeit nachgebildet sei." Ernst Cassirer, Kants Leben und Lehre. Berlin 1918, S. 184. 25 Ebd. S. 183 f.

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26

Erfahrung aufbauen. Und er schließt sich Hermann Cohen an, wenn dieser feststellt, daß die eigentliche Bedeutung der Kategorien erst beim Aufbau der gegenständlichen Erfahrung hervortritt, daß das System der synthetischen Grundsätze "den eigentlichen Prüfstein für die Gültigkeit und Wahrheit des Kate27 goriensystems" bildet. Für Karl V o r l ä n d e r folgt aus seiner Sicht der Bedeutung der "Kritik der reinen Vernunft" als einem Werk, das Fundierungsfunktion für die wissenschaftliche Erfahrung hat, daß auch die Kategorien primär im Hinblick auf die Begründung von Naturwissenschaften von Interesse sind. Daraus zieht er bezogen auf die Kategorienlehre den Schluß: "Die Kategorien 28 erfüllen sich erst mit den Grundsätzen mit Inhalt." Obwohl Friedrich P a u l s e n zu einer Richtung des Neu-Kantianismus zählt, die die Bedeutung der Kantischen Philosophie nicht nur in ihrer Begründungsfunktion für die Naturwissenschaft sieht, findet er kein Interesse an den "Künsteleien" 29 der Kategorientafel. Das ist um so erstaunlicher, als gerade Paulsen den Unterschied zwischen " v e r n u n f t g e m ä s s e m D e n k e n und w i s s e n s c h a f t l i c h e m E r k e n n e n " an anderer Stelle hervorgehoben hat.'"' Diese Unterscheidung hätte zu der Überlegung führen können, daß die Kategorientafel für die kritische Philosophie überhaupt ein grundlegender Faktor ist. Aber Paulsen hält sich an Schopenhauer mit der Auffassung, daß die Kategorien, bis auf die der Kausalität, "blinde Fenster" seien. Die Kategorie der Substanz wird von dieser Verurteilung ausgenommen.^ Die Uberzeugung, daß das menschliche Denken weiter reicht als das wissenschaftliche Er-

26 Vgl. Ernst Casslrer, Kants Leben und Lehre, S. 179. 27 Ebd. S. 187. 28 Karl Vorländer, Immanuel Kant, der Mann und sein Werk, 2. Aufl. Hamburg 1977, S. 277. 29 Friedrich Paulsen, Immanuel Kant. Sein Leben und seine Lehre. Stuttgart 1898. Vgl. S. 169. 30 Friedrich Paulsen, Kants Verhältnis zur Metaphysik, in: Kant-Studien Bd. 4, 1900, S. 413 - 447. Vgl. S. 416. 31 Vgl. Paulsen, Immanuel Kant, S. 169.

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kennen, führt Paulsen nicht dazu, die Kategorien in dieses "Weiterreichen" einzubeziehen. Vielmehr verweist er auf die Ideen, ohne den Zusammenhang zwischen kategorialem Denken und 32

dem Erfassen der Ideen zu untersuchen. Unter historischem Aspekt behandelt Adolf Τ r e η d e l e n b u r g in seiner "Geschichte der Kategorienlehre", eingefügt zwischen die Kategorienlehre des Rationalismus und des Deutschen Idealismus, die Kategorienlehre Kants.^ Der erste Teil des Bandes ist ganz der Aristotelischen Kategorienlehre gewidmet. Trendelenburg stellt dabei die Hypothese auf, daß Aristoteles bei der "Erfindung" der Kategorien "einem grammatischen Leitfaden, der Zergliederung des Satzes folg34

te". Doch scheint Trendelenburg dabei der systematische Zusammenhang zu fehlen und er kritisiert Aristoteles, ähnlich 35

wie Kant es tat. An den Kantischen Kategorien tadelt er deren, aus seiner Sicht nur angemaßte, Notwendigkeit, gerade diese und keine anderen als Grundbegriffe des Verstandes anzusehen. Dabei steht er von vornherein der "Kopernikanischen Wende" des Kantischen Philosophierens skeptisch gegenüber, die er als inhaltlich der Wendung des Kopernikus gerade entgegensetzt kritisiert, denn "die Erfahrung richtet sich nun nach dem denkenden Geiste und beschreibt, von ihm bestimmt, um ihn ihre Bahnen", während sich 3 6 bis dahin die Erfahrung um die "Achse der Dinge" drehte. Er lehnt daher die Kantische These ab, die besagt, daß der Gegenstand der Erfahrung durch den Erfahrenden gesetzt wird. Daher kann er die Erfahrung konstitu-

32 Vgl. Paulsen, Kants Verhältnis zur Metaphysik, S. 416. 33 Adolf Trendelenburg, Historische Beiträge zur Philosophie. 1. Bd. Geschichte der Kategorienlehre. Berlin 1846. Nachdruck Hildesheim, New York 1979. 34 Ebd. S. 13 ff. u. S. 180. 35 "Es fehlt der sich in sich zum nothwendigen Ganzen abschliessende Entwurf der zehn Begriffsgeschlechter, wenn auch der grammatische Leitfaden der Satzzergliederung anerkannt wird, und ebenso fehlt in den einzelnen Kategorien der Entwurf der Arten aus ihrem Wesen. Es sind die Arten entweder nur neben einander aufgezählt oder gar wie in der Relation durch einander gemengt." Ebd. S. 216. 36 Ebd. S. 288.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

ierende Funktion der Kategorien

37

19

nicht akzeptieren:

"Wenn sich auf solche Heise die Erfahrung nach uns richtet so erfahren wir nicht das Ding, wie es an sich 1st, wir suchen die Dinge und finden nur uns. Der Geist, der erkannt zu haben meinte, hatte sich in diesem Siege di^gErkenntnis abgeschnitten. Sein Sieg war eine Niederlage." Seiner Ansicht nach bilden das Subjektive und das Objektive der Erkenntnis eine Beziehung, in der die letzten Notwendigkeiten ebenso für den Geist wie auch für die Dinge Gültigkeit 39 haben. Darin liegt die Notwendigkeit des Erkennens. Jahrzehnte später nimmt Heinz

H e i m s o e t h

eine,

wenn auch kritische, so doch ganz andere Schwerpunkte setzende Position gegenüber den historischen Bezügen des Kantischen Philosophierens ein. Und obwohl er Kant eines gewissen "'Dogmatismus' " zeiht, bezogen auf den "Verstand und seine Wesens40 formen"

, eröffnet er durch die Verbindung der Kantischen Ka-

tegorien mit den grundlegenden philosophischen Begriffen der Renaissance und der Aufklärung eine neue Möglichkeit der Kantinterpretation. Es geht ihm "um das Inhaltliche dieser zwölf Begriffe und um Inhaltsbezüge ihres Ordnungszusammenhangs". Von seiner Sicht aus wird deutlich, wie sehr die Restriktion

37 "Die Innere Verbindung der Sache (...) hat mit dem sich zur Einheit zusammenfassenden Subject nichts zu thun; jene bleibt, sie mag gedacht werden oder nicht; es ist dies in der objectlven Gestalt des Urtheils die stillschweigende Voraussetzung; ... Die synthetische Einheit der Apperception ist die Grunbedlngung für die That des bewussten Denkens; aber nicht fUr die Sache die gedacht und für die Verhältnisse der Sache, die im Urtheil ausgesprochen werden." Trendelenburg, a. a. 0. S. 286 f. 38 Ebd. S. 288. 39 "Heil Einheit des Selbstbewusstseins die Bedingung alles Denkens, alles Urtheilens 1st, so ist dadurch nicht bewiesen, dass nicht In allem Erkennen die Einheit zugleich eine objective Bedeutung habe. Ist die Verbindung zugleich in der Sache gegründet, so entsteht die Aufgabe, diese Einheit der Sache nachzubilden, und das Denken muB sie wieder erzeugen. Es ist nicht bewiesen, dass sich die subjective Einheit des Selbstbewusstseins an die Stelle jener Einheit der Sache setze oder wie sie dies thun könne." Ebd. S. 289. 40 Heinz Heimsoeth, Metaphysik und Kritik bei Chr. A Cruslus. Ein Beitrag zur ontologischen Vorgeschichte der Kritik der reinen Vernunft im 18. Jahrhundert. In: Studien zur Philosophie Immanuel Kants. Metaphysische Ursprünge und ontologische Grundlagen. Köln 1956, S. 125 - 188. Siehe S. IAO. Zuerst erschienen in: Schriften der Königsberger gelehrten Gesellschaft, Heft 3, Berlin 1926.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation

auf den Erfahrungsgebrauch nur die eine Seite ihrer philoso41

phischen Bedeutung darstellt. Daß eine Erklärung der Kategorien nicht nur durch den Hinweis auf ihre Anwendbarkeit bei der gesetzmäßigen Erfassung der Empirie gegeben werden kann, sondern, daß dabei auch die metaphysischen Motive in Kants Denken berücksichtigt werden müssen, die in der "Kritik der reinen Vernunft" immer wieder angesprochen werden, das zeigt Heimsoeth durch den Vergleich der Kategorientitel mit den entsprechenden Begriffen von Descartes, Spinoza, Leibniz, Wolff und Crusius. Wenn sie auch nur auf der Ebene der Erfahrung wirkliche Erkenntnisse liefern können, "bleibt aber doch in ihnen jederzeit die Intentionskraft, Problemata zu denken, insbesondere die unausweichlichen Problemthemen der 'Vernunft' in der Transzen42

dentalen Dialektik" . Von dieser historischen Perspektive aus wird bei Heimsoeth die Originalität und Bedeutung der Kantischen Kategorienlehre innerhalb der Geschichte der philosophischen Grundbegriffe stark relativiert. Denn durch die inhaltliche Vorbestimmtheit seiner reinen Verstandesbegriffe von den Vorgängern her, erscheint Kant als "Systematiker der Metaphysik" nicht im "höchsten Rang", allerdings muß, nach Heimsoeth, der "Problematiker der Metaphysik in ihm nach Gebühr gewürdigt werden". 4 3 Heimsoeth betont denn auch, "daß durchaus nicht diese Begriffe selber 'entdeckt' wurden, sondern nur die Zusammenfügung gewisser Elementarbegriffe der Ratio in eine Vollständig44

keitsanordnung". Wenn er im Zusammenhang der Kantischen Kategorienlehre von Kants "Dogmatismus" spricht, so zielt er dabei auf Kants anfechtbaren Versuch, einfachste Begriffe oder

41 Heinz Heimsoeth, Zur Herkunft und Entwicklung von Kants Kategorientafel. In: Studien zur Philosophie Immanuel Kants II. Methodenbegriff der Erfahrungswissenschaften und Gegensätzlichkelten spekulativer Weltkonzeption. Bonn 1970. Kant-Studien-Ergänzungsheft 100, S. 109 - 132. Siehe S. 109. Zuerst erschienen in: Kant-Studien 54 (1963). 42 Heinz Heimsoeth, Zur Herkunft und Entwicklung ..., S. 113. 43 Heinz Heimsoeth, Metaphysik der Neuzeit. Handbuch der Philosophie. München und Berlin 1929. S. 86. 44 Heimsoeth, Zur Herkunft und Entwicklung ..., S. 110.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

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Wesenheiten "von vornherein als in bestimmter fester Anzahl angebbare und als statisch-isoliert dastehende Momente" aufzu45

fassen.

"Wieso gerade 12 und diese 12, sei nicht ergründbar, 46

lehrte Kant" , und daß die Frage nach dem Grund der Auswahl dieser zwölf offenbleibt, daß sie nicht real definierbar seien, daß nur eine gewisse Zergliederung versucht werden könne und daß Kants "Hertimprobieren in Richtung auf ein vollständiges System der Kategorien" bestimmt war von dem Bestand der durch die Scholastik vermittelten Transzendentalien, versucht 47 Heimsoeth in seinen Schriften zu zeigen. Aber gerade durch die historisch-vergleichende Sicht wird ein wichtiger Aspekt der Kantischen Systemkonzeption zu wenig gewürdigt. Heimsoeth weist zwar verschiedentlich auf den grundlegenden Unterschied zwischen "Denken" und "Erkennen" bei der Anwendung der Kategorien hin. Er zeigt, indem er die Crusianischen Begriffe der "symbolischen" und "anschauenden" Erkenntnis zum Vergleich heranzieht, daß durch diese Doppeldeutigkeit (im positiven Sinne) eine sehr viel weiter gehende Bedeutung besteht, als sie die bloße Begründungsfunktion für Erfahrung beinhaltet. 4 8 Dennoch bemerkt er: "Auch Kants eigentliche Kategorientafel hat vorwiegend statischen Charakter, was allerdings wieder dadurch erklärt wird, daß diese 12 Kategorien ebenso für 'übersinnliches' , für eine zeitfreie Welt, Bedeutung haben sollten, _ wie für den Inbegriff der Gegenstände möglicher Erfahrung."

Das statische Modell wird seiner Meinung nach erst erweitert durch die Prädikabilien, die solche Begriffe wie "Bewegung", "Kraft" usw. mit in das System bringen.Während er in einem der früheren Aufsätze darauf hinweist, daß "die enge Ineinanderarbeit von theoretischer und praktischer Vernunft, wie Kant

45 Heimsoeth, Metaphysik und Kritik ..., S. 140. 46 Heinz Heimsoeth, Zur Geschichte der Kategorienlehre. In: Studien zur Philosophiegeschichte. Ges. Abhandl. Bd. II., Köln 1961. S. 211 - 239. Siehe S. 221. 47 Heimsoeth, Zur Herkunft und Entwicklung .... S. 114. 48 Vgl. Heimsoeth, Metaphysik und Kritik .... S. 142 f. 49 Heimsoeth, Zur Geschichte ..., S. 238. 50 Ebd. S. 238.

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sie übt und plant," zu wenig Beachtung in der Kantinterpretation gefunden habe, und wie die Kategorien im Bereich des Praktischen "ausdrücklich Geltung behalten und unter dem Primat der praktischen Vernunft eine neue, vom rationalistischen Naturalismus losgelöste Anwendung gewinnen sollen, kritisiert er später: "Kant hat dann zwar in der Kritik der praktischen Vernunft noch von 'Kategorien der Freiheit' gesprochen, ja eine Tafel derselben entworfen. Aber zu einem rechten Zusammenhang mit seiner ursprünglichen Kategorienlehre ist es dabei nicht gekommen."

So bleibt die Kategorienlehre für Heimsoeth Zeugnis der Kantischen Abhängigkeit von den geschichtlichen Abläufen, sie liefert aber seiner Meinung nach kein Modell, um das philosophische Denken Kants darin in seiner ganzen Ausfächerung zu spiegeln. Vielmehr weist er auf die Gefahr der Uberforderung der Tafel der Kategorien hin, wenn im Blick auf sie bei Trendelenburg "'Abgeschlossenheit der Deduktion und Symmetrie der Einteilung', Ableitung aus einem 'eigenen Gesetz des Ursprungs'" gefordert wird. Es ist ihm "wie ein Wuchern des Deduktionsverlangens (mit Kants 'Leitfaden'-Suche hatte es be53

gönnen) auf Kosten der Sachforschung". Erst Hegel hat seiner Meinung nach, wiederum bezogen auf das starre Festhalten an einigen wenigen Grundbegriffen, "einen wirklichen Durchbruch vollzogen und für eine unbefangenere Erforschung der ontologischen wie der Erkenntnis-Kategorien54 in ihrer ganzen Fülle und Komplexheit einen Weg eröffnet." Historische Bezüge nimmt auch Friedrich D e l e k a t in seine Interpretation auf. Er versucht zu beweisen, daß die

51 Heinz Heimsoeth, PersönlichkeitsbewuBtsein und Ding an sich in der Kantischen Philosophie. In: Studien zur Philosophie Immanuel Kante. Metaphysische Ursprünge und Ontologische Grundlagen. Gesammelte Abhandlungen Bd. I. S. 227 - 257. Köln 1956. S. 250. Zuerst erschienen in: Kant-Festschrift der Universität Königsberg 1924, S. 41 - 80. 52 Heimsoeth, Zur Geschichte ..., S. 229. f. Zuerst erschienen in: Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk, Göttingen 1952, S. 144 - 172. 53 Vgl. Heimsoeth, Zur Geschichte ..., S. 222. 54 Heimsoeth, Metaphysik und Kritik ..., S. 140.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

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Kategorienlehre Kants "aus einer Auseinandersetzung mit der leibnizisch-wolffsehen Ontologie hervorgegangen" ist: "Diese Auseinandersetzung mit der leibnizlschen Monadologie, die Kant in dem Abschnitt über die ' A m p h l b o l i e d e r R e f l e x i o n s b e g r i f f e ' ( A 2 6 0 - 292; Β 316 - 349) ausführlich wiedergegeben hat, 1st der eigentliche Grund für seine Auswahl und Definition der Kategorien. Ihre Ableitung aus der Urteilstafel erklärt §£ch aus seinem Interesse an der Apriorität der Kategorien."

Für Delekat wird deren "Sinn und Tendenz", wie bei den Neu-Kantianern, erst in der Lehre von den Grundsätzen des reinen Verstandes s i c h t b a r . V o n daher zeigt sich ihm im Schematismuskapitel mit Deutlichkeit, "daß die in der Kategorientafel aufgeführten Kategorien nur formell aus der Urteilstafel abgeleitet, der Sache nach aber von Anfang an im Blick auf das ausgewählt und verstanden sind, was Kant in dem Schematismuskapitel und 57

in den Grundsätzen darüber sagt." Unklar bleibt dabei, wie Delekat seine eigene Interpretation der menschlichen Intelligenz bei Kant, mit seiner einseitig auf Erfahrungskonstitution zielenden Auffassung der Kategorien, in Einklang bringt. Er schreibt: "Unter Intelligenz versteht Kant aber nicht wie Baumgarten die nur der menschlichen Honade eigene Fähigkeit, durch konzentrierte Aufmerksamkeit und methodische Abstraktion das Wesen eines Dinges zu erkennen, sondern das Vermögen, die ungeordneten, wechselnden und wandelbaren Eindrücke,g die der innere Sinn aufnimmt, kategorial zu bestimmen."

Unklar bleibt, ob Delekat in seiner Interpretation der Kantischen Vorstellung von menschlicher Intelligenz diese auf die bloße Bestimmung von Eindrücken einschränkt, oder ob er ihr im Zusammenhang mit den Kategorien doch eine darüber hinausweisende Funktion zugesteht, die er in seinen Ausführungen über die Kategorienlehre aber nicht berücksichtigt. Ausdrückliche Kritik an der Kategorienlehre, so wie sie in

55 Friedrich Delekat, Immanuel Kant. Historisch-Kritische der Hauptschriften. Heidelberg 1963. S. 75. 56 Vgl. Ebd. S. 77. 57 Delekat, a. a. 0. S. 111. 58 Ebd. S. 102.

Interpretation

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der "Transzendentalen Logik" auftritt, übt Gottfried 59

M a r t i n . Zwar verteidigt er Kants erkenntnistheoretische Position®^, doch Kants Stolz auf die Entdeckung der Kategorientafel scheint ihm "nicht immer ganz begreiflich".®* Und über die Korrespondenz der Tafel der Grundsätze mit der Kategorientafel und ihren zwölf Kategorien sagt er: "Glücklicherweise ist das kantische System hier einmal nicht ganz aufgegangen, es gibt nur ein Axiom und eine Antizig^tion, so daß es im ganzen nur acht Grundsätze

Auch Martin zieht den Vergleich mit der Leibnizischen Philosophie und stellt fest, daß Leibniz ebenfalls die Notwendigkeit erkannt hat, daß die "Analyse der zusammengesetzten Begriffe nach endlich vielen Schritten auf unauflösbare Grundbegriffe stoßen" müsse, und diese wären dann "die letzten Elemente, die 63

sich mit den Kategorien decken müssen" . Er hebt hervor, daß Leibniz das System der zusammengesetzten Grundbegriffe immer gefordert habe, aber dieser "hütet sich, dies System wirklich zu geben, jedenfalls es zu publizieren"®^. Gerade weil Kant in der "Transzendentalen Dialektik" gezeigt habe, wie falsch die Vorstellung sei, daß der zusammengesetzten Materie notwendig einfache Teile zugrunde liegen müssen, ist es Martin "kummervoll zu sehen, wie Kant später in der Kritik der praktischen Vernunft, in der Kritik der Urteilskraft, in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften alle Projj^eme in das Prokrustesbett der Kategorien hinein zwängt."

Auch die Deduktion der Kategorien aus den Formen des Denkens im Urteil erscheint Gottfried Martin nicht plausibel, vor allem

59 Gottfried Martin, Immanuel Kant. Ontologie und Wissenschaftstheorie. 4. Aufl., Berlin 1969. 60 "Die kantische These, die wir uns verständlich machen wollen, daB der Verstand die Natur hervorbringt oder die Pflanzen oder die Berge, sie besagt auch nicht, das der Verstand die Sonne hervorbringt oder die Sterne, sie besagt allein, daB der Verstand die mechanische Gesetzmäßigkeit hervorbringt, und zwar nur ihrer Form nach." Ebd. S. 78 f. 61 Ebd. S. 86. 62 Ebd. S. 89. 63 Ebd. S. 94. 64 Ebd. S. 96. 65 Ebd.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

25

weil letztere analytische Urteile enthalten, die Kategorien aber die Grundlage für synthetische Urteile bilden sollen. Daher schließt sich Martin dem Urteil Hegels über die Kategorientafel an, daß nämlich Kant nur eine "empirische Logik" gewonnen habe.®® Den Grund für Kants ungerechtfertigtes Vertrauen in die Kategorientafel sieht Martin in dessen Abhängigkeit vom "Optimismus der Aufklärung".®'' In der Ablehnung der Kategorienlehre schließt er sich an Cohen an, der vor allem die mathematisch-naturwissenschaftliche Bedeutung der Kategorien durch ihre Verbindung mit den Grundsätzen hervorgehoben hat. "Daß vielmehr das System der vier Tafeln primär nicht aus der formalen Logik gewonnen worden ist, hat Cohen klar erkannt und ebenso klar ausgesprochen: 'Newtons Prinzipien aber hat Kant zu seinen synthetischen Grundsätzen ausgearbeitet'."58 Eine jüngere Arbeit, die der Kantischen Kategorienlehre, von der Diskussion der Grundlegung durch Kant her, kritisch gegenübersteht, stammt von Malte

H o s s e n f e l d e r .

Er un-

tersucht die Kantische Lehre von den Elementen der menschlichen Erkenntnis und die Art ihrer Gesetzmäßigkeit. Hossenfelder unterzieht Kants kritische Theorie von Zeit und Raum und die transzendentale Deduktion der Kategorien einer grundsätzlichen Analyse und kommt zu einer völligen Umkehrung der Ergebnisse £ Q

der "Kritik der reinen Vernunft". "Falls unsere Überlegungen zutreffen, würde sich die Tragweite der Kantischen Lehre erweitem. Sie besagen, daß Kants Gesetzmäßigkeitsbeweis ohne die Konstitutlonetheorie konstruiert werden muß und kann, und zwar nicht nur ohne den

66 Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Sämtliche Werke in zwanzig Bänden, Hrsg. Hermann Glockner. Stuttgart 1928 - 1930. Band 5, Wissenschaft der Logik, 2. Teil. Die subjektive Logik oder die Lehre vom Begriff. S. 52. 67 "Wir haben gesehen, daß sowohl Aristoteles wie Leibniz dieses System der Grundbegriffe vor Augen gehabt haben. Beide aber haben die Behauptung, ein vollständiges System der Grundbegriffe geben zu können, sorgfältig vermieden. Kant dagegen sagt immer wieder, die Vernunft könne sich vollständig erkennen. In dieser Aussage, mag sie auch auf die Selbsterkenntnis der Vernunft beschränkt bleiben, steckt der Optimismus der Aufklärung, der schwerlich zu rechtfertigen sein wird." Martin, a. a. 0. S. 104 f. 68 Ebd. S. 103. 69 Malte Hossenfelder, Kants Konstitutionstheorie und die Transzendentale Deduktion. Berlin, New York 1978.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation Ideallsmus der Anschauung, sondern auch ohne die Lehre von der Verstandessynthesls und^gomit ohne die gesamte Vermögenslehre mit Ihrem Dualismus."

Hossenfelder verlegt die synthetische Kraft des menschlichen Anschauens und Erkennens in die Gegebenheit der Erscheinungen, woraus der Hensch die synthetische Einheit der Gegenstände entnimmt.^ Die Einheit der transzendentalen Apperzeption als "spontane Handlung des Verbindens" ist seiner Ansicht nach 72

nicht analytisch beweisbar. Deshalb will Hossenfelder sie als gegebene Einheit ansehen, die letztlich nur ein Kausalgesetz ausdrücke, die Spontaneität unserer Erkenntnis sei ledig73 lieh "die Analysis einer gegebenen synthetischen Einheit". In diesem Rahmen behalten die Kategorien, allerdings als analytische Einheiten, ihre grundlegende Funktion für das menschliche Erkennen und Aufsuchen wissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten. Jedoch stellt Hossenfelder eine Bedingung: "Die In ihnen gedachte Einheit muß im Mannigfaltigen meiner Vorstellungen, sofern ich mir Ihrer überhau^j: soll bewußt werden können, Immer schon enthalten sein."

Die metaphysische Deduktion der Kategorien aus den Urteilen beurteilt Hossenfelder als grundsätzlich nicht ausreichend, weil die Urteilsformen, seiner Meinung nach, nicht allein dazu beitragen, Gegenstände zu konstituieren, sondern wir "uns aber auch in Fragen und Befehlen unserer selbst und anderer Objekte 75

bewußt werden". Die Beziehung zwischen Urteilen und anderen Satzformen sei von Kant jedoch nicht untersucht worden. Der Begriff der "Urteilseinheit" ist für Hossenfelder "in seiner 76 Zweideutigkeit jedenfalls als Beweisprinzip ungeeignet". Da Hossenfelder Kants transzendental-idealistische Lehre von den menschlichen Anschauungsformen in der "Kritik der reinen

70 Hossenfelder, a. a. 0., S. 7 f. 71 "Dies kann man so auffassen, daß nicht das Mannigfaltige der Anschauung Erscheinung 1st, sondern die Einheit dieses Mannigfaltigen, die wir im Begriff denken." Ebd. S. 93. 72 Ebd. S. 102. 73 Vgl. ebd. S. 115. 74 Ebd. S. 119. 75 Ebd. S. 131. 76 Ebd.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

27

Vernunft" ablehnt, ist ihm die Übereinstimmung von Anschauen und Denken in der Kantischen Erkenntnistheorie unbegreiflich. Deshalb verlangt er nach einem Beweis, "dafi die Anschauungen in Ansehung der Urteilsfunktionen 'an sich selbst, mithin notwendig und allgemeingültig bestimmt sind', ... Denn nur wenn feststünde, dafi die Möglichkeit des Selbstbewußtseins von der Bedingung abhängt, daß das gegebene Mannigfaltige an s i c h s e l b s t eine den Urteilsformen entsprechende Struktur aufweist, können wir gewiß sein, daB es wirklich einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgt, und a priori urteilen, daß in der für uns erfahrbaren Welt stets diese selbe Gesetzmäßigkeit herrschen, es also Immer Substanzen und A k z l d ^ z i e n , Ursachen und Wirkungen, Größen usw. geben muß ·11

Unter solchem Gesichtspunkt kann die Würdigung der Kantischen "Konstitutionstheorie" nicht positiv ausfallen. Hossenfelder macht selbst Vorschläge, wie ein "vollständiger Beweis" der Elemente der Erfahrungserkenntnis hätte aussehen müssen, wobei er von der "durchgängigen synthetischen Einheit aller meiner Vorstellungen" als "Bedingung der Möglichkeit des Selbstbewußt78

seins" ausgeht. Aus dessen "bloßem Begriff" sollten die Formen der Urteile abgeleitet werden. Von daher müßte dann nach Hossenfelder erläutert werden, warum die Gültigkeit dieser Urteilsformen voraussetzt, daß das Mannigfaltige "an sich eine 79 ihnen entsprechende Struktur besitzt." Ob solche Beweisführungen möglich sind, bleibt offen. Nach Hossenfeiders Auffassung vom Verhältnis zwischen Kategorie und Gegenstand spielt allerdings die grundlegende systematisch schöpferische Funktion der Kategorien für die Wissenschaft keine Rolle. Die Auswirkungen, die eine solche Auffassung des menschlichen Denkens auf andere philosophische Bereiche, z. B. den der praktischen Philosophie hat, berücksichtigt Hossenfelder ebenfalls nicht, was zu der Vermutung führt, daß auch für ihn, wie für die weiter oben genannten Autoren, die konstituierenden Begriffe der Kantischen Philosophie nur in bezug auf die naturwissenschaftliche

77 Hossenfelder a. a. 0. S. 156. 78 Ebd. S. 165 f. 79 Ebd. S. 166.

28

Kategorienlehre und Kantinterpretation

Weltinterpretation von Interesse sind und deshalb die Kantische Kategorienlehre, in dem von Kant gegebenen Rahmen, gar nicht erfaßt wird. Die Kantinterpretation im englischen und französischen Sprachbereich hat, abgesehen von wenigen Ausnahmen 8 0 , die Pro81

bleme der Kantischen Kategorienlehre kaum beachtet und zu keiner positiven Beurteilung dieses Teils des Kantischen Systems gefunden. Norman Kemp S m i t h schließt sich in seinem Kommentar zur "Kritik der reinen Vernunft" der "patchwork-theory" von Vaihinger an und betrachtet das Buch als ein Werk, das im Zeitraum von zwölf Jahren in einzelnen Teilen entstand und dann innerhalb ganz kurzer Zeit von Kant zusammengestückelt wurde. Der Vorteil dieser Auffassung liegt darin, daß schwierige oder schwer verständliche Teile des Textes als zu einer anderen Periode gehörig beurteilt werden können und daher die Interpretation einen weiten Spielraum bekommt, allerdings auch der Gefahr der Willkürlichkeit unterliegt. So beginnt denn auch Smith seine Einleitung mit einem für Kant wenig schmeichelhaften Urteil: "Seldom in the history of literature, has a work been more conscientiously and deliberately thought out, or more hastingly thrown together, thaj^the C r i t i q u e of P u r e R e a s o n . "

Smith beurteilt die metaphysische Deduktion der Kategorien als 83 in ihrer Gültigkeit der transzendentalen untergeordnet. In

80 Dazu zählt die Arbeit von Jules Vuillemin, La theorie kantienne des modalites. In: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, Mainz 4. - 8. April 1981, Teil II, Hrsg. Gerhard Funke. Bonn 1982. S. 149 167. 81 Die Arbeit von W. H. Walsh, Reason and experience, Oxford 1947, betrachtet zwar verschiedene kategoriale Begriffe wie "substance" und "cause", aber nicht als Bestandteile kategorialer Systematik, sondern in ihrer davon losgelösten Bedeutung für Kants Erkenntnistheorie. Siehe ebd. Kap. VII. Die neuere Arbeit von Peter F. Strawson, Die Grenzen des Sinnes, Hain 1981, berührt das Kategorienproblem gar nicht. 82 Norman Kemp Smith, Commentary to Kant's 'Critique of pure reason'. 2. Aufl., London 1923. Siehe S. XIX. 83 "The true Critical teaching is that synthetic thinking is alone fundamental, and that only by a regress upon it can judgements be adequately accounted for." Ebd. S. 196.

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der Tafel selbst charakterisiert er die Verbindung von "Allheit" und einzelnem Urteil als "extremely artificial"®^. Die Kategorien der Qualität läßt er beiseite und verweist auf die qualitativen Urteile, bei denen ihm das unendliche Urteil "in a very artificial and somewhat arbitrary manner" begründet er85

scheint . Daß Kant dem kategorischen Urteil die Begriffe Substanz und Attribut beiordnet, beruht nach Smith "to the dominance in his logical teaching of 8 6 the Aristotelian substanceattribute view of predication" . Während er die Verbindung der Kategorie der Gemeinschaft mit dem disjunktiven Urteil gutheißt, scheint ihm die Existenz von besonderen Modalitätskate87 gorien "highly doubtful" . Der Begriff der Möglichkeit sei nicht ursprünglich, der des Daseins identisch mit dem der Realität, die Notwendigkeit sei rückführbar auf den Begriff der 88 Ursache und Wirkung. Den apriorischen Charakter der Kategorien nennt er einen relativen, nicht aboluten, weil Kategorien nur im Hinblick auf die gegebene Mannigfaltigkeit Gültigkeit besitzen und weil sie im menschlichen Denken nur in bezug auf 89 die empirische Welt gelten. Die reine Kategorie und deren Bedeutung für das menschliche Denken und Philosophieren kommt dabei überhaupt nicht zur Sprache. "Kant's Metaphysic of Experience", das große Kant-Buch von H. J. Ρ a t ο η , kommentiert nur die erste Hälfte der "Kritik der reinen Vernunft", einschließlich des Kapitels über "Phaenomena und Noumena". Dabei kommt Paton auf die Kategorien im Zusammenhang ihrer metaphysischen und transzendentalen De-

84 Smith, a. a. 0., S. 196 85 Ebd. S. 192. 86 "... is only possible owing to Kant's neglect of the relational judgement and to the dominance in his logical teaching of the Aristotelian substance-attribute view of predication." Ebd. S. 197. 87 Ebd. S. 198. 88 Ebd. 89 "Their validity is a merely phenomenal validity. They are valid of appearances, but not of things in themselves. The a p r i o r i is thus doubly de f a c t o : first as a condition of brute fact, namely, the actuality of our human consciousness; and secondly as conditioning a consciousness whose knowledge is limited to appearances." Smith, a. a. 0. S. 257 f.

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duktion ausführlich zu sprechen. Paton bemüht sich, die Geschlossenheit und Einheitlichkeit des Kantischen Werkes gegen die "Stückwerktheorie" von Vaihinger und Adickes zu verteidigen. Doch stellt auch er die Begründung und Beweisführung der 90 Kategorientafel in Frage. Er bekennt, bezogen auf die Tafel der Urteile: "With the best will in the world we cannot justify though perhaps we can excuse, Kant's beliefin the necessity and completeness of his list of forms." Paton gesteht den Kantischen Aussagen, bezogen auf die Formen des Denkens, eine gewisse Einsichtigkeit zu. Es fehlt aber seiner Meinung nach eine Begründung, "why thought necessarily articulates itself into just these 'moments' and no others. Kant, it seems to me, has manifestly failed to do this, and I do not know whether it is possible to establish a ne^ssary and limited number of 'moments' in thought as such." Bei der Darstellung der Kategorien als Grundbegriffe für die Erfahrungsgesetzmäßigkeit,

sieht er Kants "einzigen Fehler" in

der Tatsache: "that he takes the table of the forms of judgement, as set forth in his version of Formal Logic, t^give us a complete list of these principles of synthesis."

90 "The crucial question for us is why this ultimate form of all thought should be supposed to differentiate itself, independently of the given matter, into twelve forms of judgement, no more and no less. Was Kant's reason merely the acceptance of a tradition and the analogy of the syllogism, which does differentiate itself a p r i o r i into a definite number of figures?" H. J. Paton, Kant's metaphysic of experience. A commentary on the first half of the Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl., London 1951. Bd. I, S. 207. 91 Ebd. S. 209. 92 Paton, a. a. 0. Bd. I, S. 212 f. T. D. Weldon, der sich in seinem Werk "Kant's 'Critique of pure reason"' (2. Aufl. Oxford 1958) besonders auf Paton und de Vleeschauwer bezieht, sieht Kants Vorstellung, die der Aufstellung der Kategorientafel und der Urteilstafel zugrunde liegt, als eine Art ursprüngliche Regel, die sich mit bestimmten anderen Regeln vergleichen läßt: "It would no doubt be pompous and pedantic to describe knowing how to play bridge or ride a bicycle as 'apprehending by the faculty of productive Imagination the unity of the act of balancing or playing card'. But nevertheless I think that the kind of performance Kant had in mind when he formulated his Table of Categories to underpin his Table of Judgements was of this type. The point is that, quite suddenly, I get the idea or get the hang of it." S. 144 f. 93 Paton, a. a. 0. Bd. I, S. 568.

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Paton gesteht Kant aber zu, daß die metaphysische Deduktion nicht die einzige Begründung der Kategorien in der "Kritik der reinen Vernunft" darstellt und "that we have here only the beginning of the long and complicated argument by which he seeks 94 to establish his conclusions." Auch Η . J . de V l e e s c h a u w e r , der im zweiten Band seines Werkes "La Deduction Transcendentale dans 1'Oeuvre 95 de Kant" eine Art Kommentar zur ersten Hälfte der "Kritik der reinen Vernunft" liefert, kritisiert: "La C r i t i q u e ne fournit guere d'eclaircissement de ces categories, et la maniere de les deduire^ges jugements correspondents η'est pas fixee avec certitude."

Im ersten Band dieses Werkes erörtert de Vleeschauwer die Diskussion der Kantforschung Uber die Entstehung der Kategorientafel und der Urteilstafel und kommt zu dem Schluß, daß die Kategorientafel vor der Urteilstafel entstand, und diese nach 97

deren Muster nachgebildet wurde. Vleeschauwer anerkennt aber die Bedeutung der Kategorienlehre für Kants Philosophieren. In der später erschienenen Schrift "L'Evolution de la pens&e Kantienne" schreibt er im Zusammenhang der Untersuchung über die Entstehungszusammenhänge von Kategorien- und Urteilstafel: "He was the only philosopher in the eighteenth century who understood the tremendous philosophical significance of the problem of the categories. This was generally thou^gt to be merely a survival from an outdated scholasticism."

Vleeschauwer erörtert in dieser Arbeit Kants Leitfadensuche, die ihn, nach Vleeschauwers Ansicht, zur Aufstellung der Ur99 teilstafel führte."

94 Paton, a. a. 0., S. 297. 95 Η. J. de Vleeschauwer, La deduction transcendentale dans 1'oeuvre de Kant. Bd. 1 und 2 Antwerpen, Paris und 'SGravenhagen 1936. Bd. 3 Antwerpen, Paris, 'SGravenhagen 1937. 96 Ebd. Bd. 2, S. 101. 97 Ebd. Bd. 1, S. 217 - 248 98 Η. J. de Vleeschauwer, The development of kantian thought. The history of a doctrine. Translated by A. R. C. Duncan M. A. Toronto, New York 1962. Originally published as: L'evolution de la pensee kantienne. London, Edinburgh, Paris, Melbourne u. a. 1939. S. 76. 99 Siehe Vleeschauwer, La deduction transcendentale, Bd. 1, S. 217 - 248 und The development of kantian thought, S. 7 5 - 8 2 .

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Nach positiven Aussagen über Kants gesamte Konzeption der Kategorienlehre sucht man lange vergebens. In der Gruppe der groBen Kantinterpretationen finden sich solche Stellungnahmen bei Max Hundt und Bruno Bauch, daneben in dem schmalen Kommentar von Felix Grayeff zur "Kritik der reinen Vernunft" und in Heinz Heimsoeths großem Kommentar zur "Transzendentalen Dialektik" und zur "Transzendentalen Methodenlehre", in dem Heimsoeth die Bezüge zwischen den verschiedenen "Tafeln" in der "Kritik der reinen Vernunft" mit aufnimmt. Daneben gibt es auch, aus jüngerer Zeit, Untersuchungen zu einzelnen Problemen aus der "Kritik der reinen Vernunft", die sich positiv mit den Kategorien in der "Kritik der reinen Vernunft" auseinanderset100 zen. In seinem großen Werk "Kant als Metaphysiker" erklärt Max W u η d t Kants Wendung zur kritischen Philosophie, die im allgemeinen um das Jahr 1769 angenommen wird, mit dessen Studium der griechischen Philosophie und dabei vor allem mit dem Studium von Piatos Schriften. Daher charakterisiert er die "Kritik der reinen Vernunft" als ein Werk, das "eine neue B e g r ü n d u n g d e r M e t a p h y s i k " anstrebt.^ 1 Mit der eigentlichen Kategorienlehre setzt er sich in diesem Zusammenhang nicht auseinander, kritisiert aber die 102 Lehre der Neukantianer , die die metaphysische Seite der

100 Eine neuere Arbeit, die die Kategoriensystematik aufnimmt und im Bereich der praktischen Philosophie untersucht, 1st die Schrift von Monika Sänger "Die kategoriale Systematik in den 'Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre'. Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants." Berlin, New York 1982. 101 "Daß dieser wahre Zweck so häufig verkannt wird, hängt wohl mit der systematischen Voreingenommenheit zusammen, mit der die meisten heutigen Philosophen an das kantische Werk herantreten, und die sie in demselben vor allem die Bestätigung eigener Gedanken suchen läßt, statt es nach seinem einfachen geschichtlichen Gehalte aufzufassen." Max Hundt, Kant als Metaphysiker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1924. S. 189. 102 "Wer da meint, daß doch wohl auch fiir Kant alles andere Hissen, das nicht in diesem strengen Sinne Erkenntnis ist, ohne Belang sei, der sollte sich doch überlegen, welches theoretische Vernunftgeschäft denn Kant selber in seiner Kritik treibt. Daß es sich bei diesem philosophischen Hissen von der Erkenntnis, das hier erstrebt wird, nicht um eine Anwendung der Kategorien auf Anschauung handelt, ist klar." Ebd. S. 211.

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Wissenschaftstheorie zu wenig gewürdigt haben. Eine wichtige Funktion nehmen die Kategorien, nach Wundt, bei der Erfassung des Vernunftbegriffs ein. So wie die Kategorien mit Hilfe des transzendentalen Schemas Anwendung im Bereich des sinnlich Gegebenen finden, so benötigt auch der Vernunftbegriff, um theoretisch begründbar zu werden, ein "Symbol", "eine Vorstellung des Gegenstandes nach der Analogie". Dieses Symbol einer Idee nimmt für den Vernunftbegriff die Stelle ein, "die das Schema für den Verstandesbegriff" innehat. "Dabei wird das Verhältnis, in dem die übersinnlichen Gegenstände zum Sinnlichen gedacht werden" nach Wundt "durch die Kategorien bezeichnet, weil sie zur Form des Denkens notwendig gehören. Aber ihre Anwendung ist eben hier nur symbolisch. Die Arbeit Max Wundts wird von Gottfried Martin kritisiert, weil sich Wundt in seiner Untersuchung auf eine von Kant nicht selbst publizierte, unvollendete Schrift stützt: "Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in 104

Deutschland gemacht hat?" Wenn auch Wundt in der Interpretation der Lehre Kants als eines positiven Wissens des Menschen von den Grenzen seiner Erkenntnis zu weit gegangen sein mag, so hat doch sein Werk den AnstoB gegeben zu einer neuen Sicht der eigentlich metaphysischen Leistung Kants, die von der Bedeutung Kants als großem Erkenntnistheoretiker weiter führt zu einer Betrachtung seiner Leistung als philosophischem Erforscher der Grundlagen des Denkens. Bruno B a u c h hebt in seinem Werk die Bedeutung der Kategorien als reine, von der Theorie der Erfahrung unabhängige Verstandesbegriffe hervor. "Die reinen Verstandesbegriffe sind also, weil sie auf logischen Funktionen der Einheit zu ordnen beruhen und darum eben 'rein' sind, nicht bloß Handlungen das Mannigfaltige der Anschauung synthetisch zu ordnen, sondern Gesetze dieser Handlungen, 'Handelnsgesetze' w i | ^ i c h t e sie mit ausgezeichneter Präzision genannt hat."

103 Wundt, a. a. 0. vgl. S. 398. 104 Vgl. Martin, a. a. 0. S. 153. 105 Bruno Bauch, Immanuel Kant. Geschichte der Philosophie Bd. 7, 2. Aufl., Berlin und Leipzig 1921. S. 197.

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Auch das Prinzip der Ableitung der Kategorien aus der Tafel der Urteile deutet Bruno Bauch im Kantischen Sinne. Das Prinzip der Aufdeckung der Kategorien unterscheidet sich vom Aristotelischen Verfahren, was sich in der Kantischen Einsicht äußert: "'Urteile sind Funktionen der Einheit unter unseren V o r s t e l l u n g e n ' . D e r einzige Vorwurf, den Bauch, ähnlich wie später Paton, Kant in diesem Zusammenhang macht, ist, daß sich Kant zu sehr auf die Arbeit der Logiker verlassen habe. Allerdings: "Das Prinzip der Ableitung bleibt davon unberührt: 107

Urteile sind Funktionen, Begriffe beruhen auf Funktionen." Auch die Behauptung Kants, daß seine Kategorientafel vollständig sei, wird bei Bauch als richtig und wichtig charakterisiert. Die Forderung nach disjunktiver Vollständigkeit scheint ihm im enumerativen Sinne nicht erfüllbar, da "Idee im strengen Sinne, auch nach Kant, und gerade und zu allererst nach Kant eine 'unendliche Aufgabe' ist. Damit wäre die Idee des Systems der Kategorien selbst eine unendliche Aufgabe." 108 Unter diesem Aspekt interpretiert Bauch die Vollständigkeitsforderung im 109

Sinne "der funktionalen Wechselbeziehung" Felix G r a y e f f betont in seinem Kommentar die Unbegreiflichkeit der Kategorien und die Unmöglichkeit, sie zu beschreiben. Sie sind ihm "Urformen alles Gegenständlichen", warum es gerade diese und so viele dieser Urformen gibt, ist für den Menschen nicht feststellbar.^® Die Notwendigkeit der Kategorien scheint ihm von daher unbeweisbar. Er betrachtet sie jedoch als "Ausprägungen des zusammenhängenden konstruktiven Denkens" des Menschen.^^ Daher können sie "von Formen des Urteils" deduziert werden, indem die Regeln, die den Ur-

106 107 108 109

Bauch, a. a. 0. S. 196. Ebd. S. 199 Ebd. S. 199 f. Anm. "Das System wäre als im Unendlichen liegend zahlwertig nicht abgeschlossen, aber funktional geschlossen in wechselseitiger Zuordnung seiner Momente." Ebd. 110 Felix Grayeff, Deutung und Darstellung der theoretischen Philosophie Kants. Ein Kommentar zu den grundlegenden Teilen der Kritik der reinen Vernunft. Hamburg 1951. S. 218. 111 Ebd.

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teilen zugrunde liegen, "als Regeln des auf irgend eine reine Mannigfaltigkeit bezogenen Denkens", aufgefaßt werden. Das geschieht dadurch, daß diese für die Urteile geltenden Regeln in 112

Raum und Zeit dargestellt werden. Wenn "die Formen des Urteils als Formen der ursprünglichen synthetischen Zeitbestimmung" neu verstanden werden, "so lassen sich die Ausprägungen des konstruktiven Denkens finden".^^^ Bei diesem Verfahren entsteht allerdings der Eindruck, daß Grayeff nicht die reine, sondern nur die schematisierte Kategorie vor Augen hat, die auch von Kant als apriorische Zeitbestimmung nach Regeln defi. , . 114 niert wird. Heinz Heimsoeths Kommentar zur "Kritik der reinen Vernunft" umfaßt die zweite Abteilung der "Transzendentalen Logik", die "Transzendentale Dialektik" und den daran anschließenden Teil II der "Kritik der reinen Vernunft", die "Transzendentale Methodenlehre" . A n d e r s als in seinen Monographien zu den historischen Bezügen Kantischer Philosophie, kommen Kants kategoriale Begriffe in ihrer Beziehung zur Kantischen Systematik im kommentierenden Text zur Sprache. Daß die Kantischen Kategorien Vorläufer haben in "einer seit Aristoteles nie ganz abgerissenen Tradition", hebt Heimsoeth an dieser, wie auch an anderen Stellen h e r v o r . D i e Behandlung der Kategorien als "reine Verstandesbegriffe" weist jedoch, nach Heimsoeth, im Vergleich zu den Lehren der Vorgänger, auf "eine ganz neue, das Grundverhältnis von Sein und Denken angehende Theorie" . . 117 hin. Im ersten Band des Kommentars behandelt Heimsoeth die Kantische "Ideenlehre" und die "Paralogismen". Dabei verweist er auf die Restriktion der Kategorien für das Gebiet der Erfahrung und auf die dialektischen Fehler, die durch die Anwendung der

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Grayeff, a. a. 0. S. 105. Ebd. S. 106. Vgl. Β 184/A 145. Heinz Heimsoeth, Transzendentale Dialektik. Ein Komnentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Bd. I - IV. Berlin 1966 - 1971. 116 Siehe S. 1 9 - 2 3 dieser Arbelt. 117 Heimsoeth, Kommentar, S. 31.

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Kategorien auf Dinge an sich entstehen. Er nennt es "Einsichts• Illusion'", wenn "Substanz" zur "Seele" wird und "Weltgrund" 118 mit "'Existenz'-Notwendigkeit" gleichgesetzt wird. Das "einfachste Beispiel solchen Mißbrauchs einer Kategorie" sei der "berühmte Leibniz-Wolffische 'Satz vom Grunde'", der auf "'Dinge überhaupt'", wie z. B. auf "Handlungen der Freiheit" angewandt 119 wurde. Obwohl die Kategorien auf den Erfahrungsbereich restringiert sind, sind sie, nach Heimsoeth, ohne Bezug zur Erfahrung doch keine bedeutungslosen Begriffe. Jede dieser "'Formen' möglichen Verstehens" trägt "je ihre bedeutsame Bestimmt120

heit in sich". Die Anwendung auf den noumenalen Bereich geschieht analogisch. Im dritten Band des Kommentars, in dem das "Ideal der reinen Vernunft" kommentiert wird, schreibt Heimsoeth, über den gedachten Gegenstand der "transzendentalen Theologie": "Das so gedachte Etwas können wir aber nicht, als einen lntelllgiblen Gegenstand, 'bestimmen' durch die Kategorien, schon gar nicht durch die der Existenz, welche hier ja auch noch als Notwendigkeit des Daseins zu verstehen wäre! Nur als 'Titel' zu Begriffen können sie j-^dem Analogie- und 'Als-ob'-Denken 'eingeräumt' werden.

Anhand der Kategorien und ihrer Tafel interpretiert Heimsoeth auch die "Topik der rationalen Seelenlehre" (B 402/A 344) und das "System der kosmologischen Ideen" (B 435 ff./A 408 ff.). Bezogen auf die "Topik der rationalen Seelenlehre" führt Heimsoeth aus, daß die "vier Hauptgesichtspunkte", die Kant in der Tafel unterscheidet, nicht künstlich von ihm der Viererordnung gemäß ausgesucht wurden, daß sie vielmehr schon immer in der 122 "Seelenmetaphysik" vorhanden gewesen sind. Ihre Zusammenstellung unternimmt Kant am "'Leitfaden' der Analytik", wobei in dieser Tafel die Kategorie der Substanz an die erste Stelle rückt. Die Einfachheit der Substanz stellt Kant, wie Heimsoeth berichtet, unter den Titel der Qualität, die Identität der

118 119 120 121 122

Heimsoeth, Kommentar, S. 10. Ebd. S. 12. Ebd. S. 100. Ebd. S. 635. Ebd. S. 86.

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Seele gehört zur Kategorie der Einheit. Heimsoeth verweist auf den Bezug zum einzelnen Urteil, wonach die Seele "im Horizont der Metaphysik, um welche es Kant geht, immer als je-Einzelnes zu denken" sei, "als das Einzeln-Eine bei aller 'Vielheit' ih123

rer Zustände". Er fügt hinzu, daß diese Zuordnung von Kategorie der Einheit zu einzelnem Urteil bei Kant nicht immer eingehalten worden sei, ein Sachverhalt der in der interpretierenden Literatur verschiedene Theorien hervorgebracht hat, die in dieser Arbeit im Zusammenhang der Schriften zu einzelnen Problemen der Kategorienlehre zur Erörterung kommen. An vierter Stelle in der "Topik der rationalen Seelenlehre" steht die Kategoriengruppe der Modalität, die, nach Heimsoeth, Kant noch besonders betont, indem "er die Worte 'mögliche' und ' E x i s t e n z ' i n Sperrdruck setzen" ließ.*^ Dadurch daß "'die Kategorie der Substanz'" hier "verwendet" wird "in Richtung auf ein unbedingtes, absolutes Seiendes von Subjektsart, wobei sich dann für dieses Subjekt, welches nie als 'Prädikat' zu denken sein soll, sondern immer nur als ein 'Ding an sich selbst' 126 der Satz ergibt: 'Die Seele existiert(l) als Substanz'" , erschließt sich für Heimsoeth der Fehler der rationalen Seelenlehre. Auch im Bereich der "Kosmologie" bildet die Kategorientafel, wie Heimsoeth zeigt, die Voraussetzung für die Kantische Interpretation der sich widerstreitenden Sätze der Antinomien. 127 Die "Weltbegriffe" sind "erweiterte Kategorien" . So kommt es, daß die "Welt-Idee in vier differente Vernunftprobleme, mit dem Leitfaden der vier Obertitel in der Kategorientafel" aufgeteilt wird. Heimsoeth stellt diese regelsetzende Verbindung zwischen kategorialen Begriffen und Ideen ausführlich dar. Die Kernpunkte der Argumentation sind: "Dem Quantitäts-

123 Heimsoeth, Kommentar, S. 87 f. 124 In der Anmerkung zur vierten Position der "Transzendentalen Topik" (B 402/A 344). 125 Heimsoeth, Kommentar, S. 88. 126 Ebd. S. 87. 127 Ebd. S. 210.

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titel entspricht die Frage nach der Größe der Welt in ihrer 128

Extension". "Dem Qualitätstitel bzw. der ersten darunter stehenden Kategorie: 'Realität' ordnet Kant das kosmologische Problemthema vom Zusammengesetzt-Teilbaren und seinen Bedin129 gungen nach 'innen' zu". "Dem Kategorientitel 'Relation' entspricht eine Dimension des Totalitätsanspruchs unserer Vernunft, die bei der zweiten Kategorie dieser Gruppe mit der Reihenbildung ansetzt." 1 ^ Und "unter dem Modalitätstitel endlich ist es das Gegenglied zum dritten Modus (Notwendigkeit): das 'Zufällige' (oder: Kontingente - nach der Begriffssprache der Tradition), welches sinngemäß in Bedingungsreihen hinein131

führt". Durch diese Zuordnung von Kategorien zu Sätzen der Kosmologie wird nach Heimsoeth deutlich, daß jede Antinomie ihre selbständige Bedeutung hat, die nicht unter die der anderen subsumiert werden darf. Daß in diesem kosmologischen Zusammenhang "Substanz" nicht als Idee auftreten kann, obwohl sie in der rationalen Seelenlehre als solche erscheint, erklärt Heimsoeth mit dem Hinweis auf die zugrunde liegende Vorstellung der "Reihe" bei Kant, die im Kosmologiethema eine zentrale Stellung einnimmt. Die der Substanz zugehörigen 132 Akzidenzien "sind eben unter sich koordiniert, ein Aggregat" , von daher taugen sie im kosmologischen Bereich nicht zur Bildung einer Idee. Im Anhang zum zweiten Band des Kommentars, in dem Heimsoeth "Ergänzendes zu den beiden Abschnitten Uber menschliche Freiheit und Charakter" bespricht, kommt Heimsoeth im Zusammenhang der Frage nach dem menschlichen Charakter noch einmal auf das Problem des "Noumenon" bei Kant zu sprechen. Heimsoeth widerspricht der Auffassung einiger Kantinterpreten, daß die Annahme eines intelligiblen Charakters deshalb die völlige Determination des Menschen bedeute, weil ein solches intelligibles

128 129 130 131 132

Heimsoeth, Kommentar, S. 205. Ebd. S. 207. Ebd. S. 208. Ebd. S. 209. Ebd. S. 209.

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Ding nicht der Handlung und Steuerung unterworfen sein könne. Kant selbst habe diese Auslegung begünstigt, indem er in einer Reflexion niedergelegt habe: '"In der intelligiblen Welt geschieht und verändert sich und da fällt die Regel der Kausalverbindungen weg'."

nichts,

Dagegen erläutert Heimsoeth: "Man vergißt aber Immer zu leicht, daß das Noumenon, alle intelligiblen 'Dinge' (entia), für Kants kritischen Idealismus immer nur Noumenon 'im negativen Verstände' ist, - daß also das Heteron in der Heterogeneitätsspannung zwischen Erscheinung und Dingen an sich nicht darum etwas Statisches (so wenig wie ein 'Dingliches'1) sein muß, well es in Gegenposition zu Veränderungen und Begebenheiten steht!"

Heimsoeth erinnert an eine Stelle in einem Brief Kants an Marcus Herz, vom Februar 1772, in dem dieser sagt: "Die Dinge selbst - wobei Kant offenbar primär gerade an die 'Intelligenzen', denkend-handelnde γ ^ β η denkt, seien 'weder veränderlich noch unveränderlich'!"

Vielleicht liegt in dieser Auffassung der Noumena ein Schlüssel zum Verständnis der Kategorien selbst. Eine der jüngeren, ganz der Kategorienproblematik gewidmeten Arbeiten, ist der Aufsatz von Ingeborg H e i d e m a n n "Uber die methodische Funktion der Kategorientafel. Zum Problem der 'Eigentümlichen Methode einer Transzendentalphiloso136

phie'". Diese Schrift weist den Weg zur systematischen Einbeziehung der Kategorien und ihrer Tafel in die Forschung zu Kants philosophischer Methodik. Heidemann sieht die Kategorientafel als ein Modell, das die Kantische Methodik bestimmt, sowohl was den Ablauf der "Kritik der reinen Vernunft" betrifft, als auch die Behandlung der Probleme in der "Transzendentalen Ästhetik", "Analytik" und "Dialektik". Schon in ihrem Beitrag zum vierten Internationalen Kant-Kongreß, "Die Kategorientafel als systematische Topik", hatte Heidemann ihre

133 134 135 136

Heimsoeth, Kommentar, S. 403. Ebd. S. 403 f. Ebd. S. 404. Erschienen In: "200 Jahre Kritik der reinen Vernunft". Hrsg. Joachim Kopper und Wolfgang Marx. Hildesheim 1981. S. 43 - 78.

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grundsätzliche Auffassung der Kategorientafel, als "dynamisches System" und "Systemmodell zur Bildung apriorischer Systeme", dargelegt. 137 Der damalige Aufweis der Kantischen Erklärungen 138 zur, wie Heidemann sie nennt, "metaphysischen" , weil "grundlegenden" , Tafel in der "Kritik der reinen Vernunft" und von Erklärungsansätzen in früheren und späteren Kantischen Wer139 ken , mündet in die Lösung, die allein übrig bleibt, um die methodische Funktion der Tafel grundsätzlich zu erklären, nämlich sie als methodische Grundlage der "Kritik der reinen Vernunft" selbst anzunehmen und die Wahrheit dieser Annahme an den Folgen ihrer Basisfunktion für die anderen Tafeln in der "Kritik der reinen Vernunft" und anderen Werken zu überprüfen. In dem 1975 erschienenen Aufsatz 140 "Zum System der Kategorien bei Kant und Nicolai Hartmann" verdeutlicht Heidemann den systematischen Charakter der Kategorientafel bei Kant, indem sie das Kantische Philosophieren dem Nicolai Hartmanns gegenüberstellt. Obwohl, wie Heidemann betont, die Vergleichbarkeit der beiden Methoden schwierig wird durch die Hartmannsche Kri141 tik an den Kategorien , zeigt sich, nach Heidemann, ein Moment der Vergleichbarkeit: "Sowohl Kant als auch Hartmann verstehen die Kategorientafel als ein | ^ t e m . Für Kant ist dieses System ... Systemgefüge."

Diese Interpretation bestätigt sich bei der Analyse einzelner

137 Ingeborg Heidemann, Die Kategorientafel als systematische Topik. In: Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses. Mainz 6. - 10. April 1974, Teil III Vorträge, Hrsg. Gerhard Funke. Berlin, New York 1975. S. 55 - 66. Siehe S. 56 f. 138 Ebd. S. 59. 139 Zum Beispiel die Schrift von 1768, "Von dem ersten Unterschied der Gegenden Im Raum". Siehe Heidemann, Die Kategorientafel als systematische Topik, S. 65. 140 Erschienen in: "bewußt sein. Gerhard Funke zu eigen". Hrsg. Alexius J. Bucher, Hermann Drüe, Thomas M. Seebohm. Bonn 1975. S. 28 - 47. 141 Die Kantischen Kategorien sind nach Hartmann zu speziell und zu eng umgrenzt. Siehe Heidemann, Zum System der Kategorien ..., S. 32 f. Vergleiche dazu: Nicolai Hartmann, Der Aufbau der realen Welt. Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. 2. Aufl* Meisenhelm am Glan 1949. S. 228 f. 142 Heidemann, Zum System der Kategorien ..., S. 35.

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Tafeln, da z. B., als Grundmodell für die "Tafel des Ich denke" , "die Tafel der Kategorien kein Schema für die Sinnlichkeit, sondern ein Modell für alle apriorische Systembildung" . . 143 ist. In dem Aufsatz von 1981 nun unterscheidet Heidemann drei methodische Funktionen, die die Kategorientafel der "Kritik der reinen Vernunft" erfüllen kann, nämlich die "prädikative", indem sie Begrifflichkeit zur Verfügung stellt, die "reduktive", bei Beweisführungen, wenn ein gesuchter Begriff auf den grundlegenden reduziert wird, und die "deduktive", indem die gesamte Tafel anderen Tafeln als Denkmodell zugrunde liegt. Die Beweisführung für die Gültigkeit der Kategorientafel selbst bildet ein eigenes Problem, das Heidemann einer möglichen "projektiven Funktion" der Kategorien zuordnet. Diese zeigt sich darin, däB über die Ideen der Vernunft der Verstand, und damit das Kategoriensystem selbst, sein eigenes Vermögen systematisch leitet und lenkt. Der Intention dieser Schrift, nämlich innerhalb der Kantforschung die Bedeutung der Kategorientafel Kants als methodisch leitendes Modell vorzuführen, schließt sich meine Arbeit an. Den Ansatzpunkt für die Untersuchung einzelner, mit der Kategorientafel in Zusammenhang stehender Themen, bildet für verschiedene Autoren, sofern sie nicht die Herkunft einzelner Kategorien aus geschichtlicher Uberlieferung ableiten, Kants "Tafel der Funktionen des Denkens im Urteil". Dabei gelingt es nur wenigen Autoren, sich innerhalb der manchmal widersprüchlich anmutenden Kantischen Aussagen und Reflexionen so gut zurechtzufinden und dadurch zu einer so positiven Würdigung des Kantischen Philosophierens zu gelangen, wie Klaus R e i c h . In der 1932 erschienenen Arbeit "Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel" zeigt Klaus Reich, wie nur mit Hilfe von Aussagen aus der "Kritik der reinen Vernunft", den "Prolegomena", den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft", einigen Briefstellen und Kantischen Reflexionen aus den 80er

143 Heidemann, Zum System der Kategorien ..., S. 38.

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und 90er Jahren ein Beweis der Vollständigkeit der logischen Grundfunktionen des Denkens in gewisser Heise durchführbar ist, und daß Kant nicht aus Unvermögen, sondern wegen des besonderen Planes einer "Kritik der reinen Vernunft", im Gegensatz zu der Ausführung einer Transzendentalphilosophie selbst, 144 auf diesen Beweisgang verzichtet hat. Diese Beweisführung zeichnet Klaus Reich nach, aus der Einsicht heraus, daß der systematische Charakter der Kantischen Logik ohne eine solche Begründung in Zweifel gezogen werden könnte, was auch bei der von Reich dargestellten Kritik an der Kantischen Urteilslehre von so unterschiedlichen Interpreten wie Herbart, Hegel, Tren145 delenburg, Cohen und Paton deutlich wird. Da die "Tafel der logischen Funktionen im Urteil" aber wichtige Leitfadenfunktion für die Kantische Kategorientafel hat und von daher den gesamten Plan einer Transzendentalphilosophie mit begründen hilft, erklärt sich leicht die hervorragende Bedeutung, die der Erarbeitung der zugrunde liegenden philosophischen Argumentation zukommt. Klaus Reich setzt seinen Beweisgang bei der Kantischen Definition des Urteils an, um daraus dann die verschiedenen Urteilsgruppen und deren Momente analytisch zu erarbeiten. Um diese Definition des Urteils aber in ihrer Aussageweite richtig zu erfassen, stellt Reich die nahe beieinander liegenden Bestimmungen von Selbstbewußtsein, analytischer und objektiver Einheit der Apperzeption in ihrer alle Theorie begründenden Bedeutungsweite nebeneinander und kommt so zu einer Einsicht in die Kantische Urteilslehre, die es erlaubt, aus der abstrakten Dürre der Kantischen Urteilsdefinition - Reich zi-

144 Die Zitate stammen aus der 2. Auflage des Werkes, Berlin 1948. Der Terminus "Urteilstafel" wird von Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" nicht gebraucht. Die Tafel, die die logischen Verstandesfunktionen enthält, hat keinen Titel. Dem einfuhrenden Text kann der Titel "Funktionen des Denkens im Urteil" entnommen werden (vgl. Β 95/A 70). Wenn also in dieser Arbelt gelegentlich der Terminus "Urteilstafel" oder "Tafel der Urteile" gebraucht wird, sind das Wechselbegriffe für die "Tafel der Funktionen des Denkens im Urteil". Vgl. ebd., S. 93. Reich verweist auf Β 29. 145 Siehe Reich a. a. 0. S 1.

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tiert aus dem Paragraphen 19 der "Kritik der reinen Vernunft"*^® - alle grundlegenden logischen Operationen des Denkens zu entwickeln. Dabei zeigt er, ausgehend von den modalen Urteilen, wie sich daraus, mit Hilfe des disjunktiven Denkens, relationale Urteilsformen ergeben, die den Anspruch erheben dürfen, " ' z u e r s t Erkenntisse eines Objekts'" zu 147 werden. Im Vergleich dazu sind die logischen Grundverknüpfungen der "heutigen sogenannten mathematischen Logik (...) mittels Bezugnahme auf die Wahrheit oder Falschheit überhaupt der einzelnen Glieder der Verknüpfung definiert". Sie setzen die Wahrheit oder Falschheit dieser Elemente voraus und sind deshalb nur "Begriffe von 'Kopulationen'" und können nicht als "'logische Grundverknüpfungen1" angesehen werden. Die Kritik von späteren Kantinterpreten, und Reich bezieht sich dabei vor allem auf die Marburger Schule, an der Systematik der Urteilsformen, setzte, wie Reich zeigt, ein ganz grundsätzliches Mißverständnis Uber 149 den Charakter eines Urteils in der Kantischen Theorie voraus. Diese grundlegenden Urteilsformen sind bei Kant keine analytischen Sätze. Sie sind Grundformen, die jeder Synthesis und Analysis zugrunde liegen, und nur von daher rechtfertigt sich überhaupt die Idee 150 des Leitfadens für die Kategorien des reinen Verstandes. Was leider bei Reich undeutlich bleibt und am Ende der Schrift für die Begründung des Einzelurteils und des unendlichen Urteils wichtig wird, das ist der Zusammenhang zwischen Kants allgemeiner, reiner Logik und seiner transzendentalen Logik. Reich behandelt die Urteilstafel und deren Vollständigkeitsanspruch als ein Problem aus Kants Lehre von der allgemeinen und reinen Logik, wobei er zeigt, daß die von Jäsche

146 Reich, a. a. 0., S. 39. Unter Urteil wird verstanden: "'die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen'". 147 Ebd. S. 71. Reich zitiert aus den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft", Vorrede Anmerkung, Bd. IV, S. 475. 148 Vgl. Reich a. a. 0. S. 71 und 72. 149 Vgl. ebd. S. 15 f. 150 Vgl. ebd. S. 13 bis 15.

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herausgegebene Kantische Logik fehlerhaft ist und daß die Nachschrift des Grafen Dohna einen besseren Einblick gibt in 151 das von Kant Gelehrte. Die Begründungen des singularen und limitativen Urteils sind, wie Reich erläutert, innerhalb dieses Begriffsapparats nicht zu leisten. Der Anschauungsbezug menschlichen ürteilens müßte für den Beweis der Vollständigkeit, der im Paragraphen 9 innerhalb der "Transzendentalen Logik" aufgestellten Tafel von "der logischen Funktion des Verstandes im Urteil", mitberücksichtigt werden. "Wir müßten also u. a. das Verhältnis von Begriff und Anschauung in ihrer Beziehung auf Erkenntnis überhaupt, das Verhältnis von analytischer und synthetischer Einheit in bloß als Erkenntnis s t ü c k e gegebenen oder genommenen Vorstellungen (repraesentationes ad cognitionem pertinens) erwägen und nach seinen Notwendigkeiten erkennen, um die Notwendigkeit der weiteren qualitativen und quantitativen Urteilsformen Infinitatio und Singularitas einzusehen. Damit träten wir gewiß aus d ^ ^ U m k r e i s der allgemeinen reinen oder formalen Logik heraus."

Da Reich mit dieser Feststellung wahrscheinlich recht hat, bleibt nur die Frage, welche Vollständigkeit welcher Urteilstafel er eigentlich beweist, da es bei Kant nur diese eine sogenannte Urteilstafel im Paragraphen 9 gibt, die offenbar, was ihre Position innerhalb der Lehre von der "Transzendentalen Logik" zeigt, eine transzendentallogische Tafel ist. Die "Logische Tafel der Urtheile" in den "Prolegomena" zeigt keine Textabweichungen (Bd. IV, S. 302). Ob dieser Sprung innerhalb der Begründung wirklich die Unmöglichkeit eines solchen Vollständigkeitsbeweises aufweist, kann hier nicht entschieden werden. Dieser Arbeit von Reich bleibt doch der Ruhm und das Verdienst, als erste Argumentationszusammenhänge aufgedeckt zu haben, die dazu beitragen können, das Kantische Selbstverständnis von der Kategorienlehre, durch die aufgewiesene

151 "Das Ziel unserer Untersuchung soll es nun sein, zu erkennen wie K a n t den Z u s a m m e n h a n g der von ihm in S 9 der Kritik angegebenen 'allgemein und rein' - oder 'formal' - logischen B e d i n g u n g e n der U r t e i l e unter sich i η e i n e m S y s t e m in concreto hat verstanden wissen wollen." Reich a. a. 0. S. 11. 152 Ebd. S. 92.

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grundlegende Verflechtung mit logischen Grundfunktionen, als einer originären philosophischen Methode verstehen und handhaben zu lernen und das für die Interpretation aller Kantischen Schriften. Die Leitfadenfunktion der Urteilstafel, von Kant selbst in der "Analytik der Begriffe" herausgestellt, wirft auch bei grundsätzlicher Ubereinstimmung mit der Kantischen Theorie im Detail Probleme auf. Schon bei der ersten Kategoriengruppe stößt die Parallelisierung der beiden Tafeln auf Schwierigkeiten, weil Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" und in den "Prolegomena" dem allgemeinen Urteil der Kategorie der Einheit, dem Einzelurteil jedoch die Kategorie der Allheit zuordnet. Michael F r e d e und Lorenz K r ü g e r kommen in ihrer Untersuchung "Uber die Zuordnung der Quantitäten des Urteils und der Kategorien der Größe bei Kant"*^ dennoch zu dem Schluß, daß das allgemeine Urteil der Kategorie der Allheit beigeordnet werden müsse und das Einzelurteil der Kategorie der Einheit. Sie erklären die abweichende Anordnung der Urteilsarten aus der Tradition der Logik und der daher stammenden Ableitung des partikulären Urteils aus dem allgemeinen Urteil. Dieses Verfahren habe es Kant unmöglich gemacht, die Urteile in der Reihenfolge einzelnes Urteil, besonderes Urteil und allgemeines Urteil niederzuschreiben, während in der "Tafel der Kategorien" der sachliche Zusammenhang die Anordnung Einheit, Vielheit, Allheit schon immer gefordert habe. Unterstützt wird diese These durch Stellenhinweise auf die Fußnote des Paragraphen 20 der "Prolegomena", auf die Metaphysikreflexion 4700, auf die Metaphysik von Volckmann, die von Schön und die von Dohna-Wundlacken. Diese ordnen der Allheit das allgemeine Urteil, der Vielheit das besondere und der Einheit das einzelne Urteil zu. Daß Kant so vorgehen konnte, liegt nach der Meinung von Frede und Krüger teils daran, daß an diesen

153 Michael Frede und Lorenz Krüger, Uber die Zuordnung der Quantitäten des Urteils und der Kategorien der Größe bei Kant. In: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. Gerold Prauss. Köln 1973. S. 130 - 150.

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Stellen das Schwergewicht der Argumentation auf den Kategorien lag, und die Urteilstafel diesen gemäß gebildet wurde, teils daran, daß Kant seine Meinung über das partikuläre Urteil geändert habe, dessen Ableitung aus dem allgemeinen Urteil nicht mehr für notwendig hielt und deshalb die Reihenfolge der An154 führung den Kategorien gemäß gestalten konnte. Trotz der Argumentation der Autoren bleibt es erstaunlich, daß Kant an den ausschlaggebenden Stellen in der "Kritik der reinen Vernunft" und in den "Prolegomena" die Zuordnung EinzelurteilAllheit und allgemeines Urteil-Einheit aufrecht erhielt, während er sich an anderer Stelle, z. B. beim unendlichen Urteil, nicht gescheut hat, in die Arbeit der Logiker korrigierend einzugreifen. Ein anderer Zugang zur Interpretation der Kategorien der Quantität öffnet sich vom Paragraphen 12 der "Kritik der reinen Vernunft" aus, den Kant in der zweiten Auflage neu hinzugefügt hat, und der eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten "Transzendentalien" der philosophischen Tradition beinhaltet. Kant charakterisiert diese Begriffe im Gegensatz zu den Kategorien als "Regeln der Übereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst" (B 116) und ordnet sie den Kategorien der Quantität zu, allerdings in sehr zusammengeraffter und nicht leicht durchschaubarer Argumentation über das "warum" gerade dieser Zuordnung. Hans L e i s e g a n g hat diesen Para-

154 Frede und Krüger a. a. 0. S. 131 ff. Frede und Krüger verweisen für Volckmann auf Bd. XXVIII, S. 396 - 397, für von Schön auf Bd. XXVIII, S. 480, für Dohna-Hundlacken auf Bd. XXVIII, S. 626 und auf Arnold Kowalewski, Hrsg.; Die philosophischen Hauptvorlesungen Immanuel Kants. Nach den neu aufgefundenen Kollegheften des Grafen Heinrich zu Dohna-Hundlacken. Reprografischer Nachdruck der Ausgabe München 1924. Hildesheim 1965, S. 535. 155 So kritisiert auch Heldemann unter dem Aspekt der Tafel als "systematischer Topik" (B 109/A 82): "Die Kantinterpretation hat mehrfach darauf hingewiesen, daß die Korrespondenz zwischen den Urteilen der Quantität und den Momenten der Position 1 fragwürdig ist: Allgemeine, Besondere, Einzelne - Einheit, Vielheit Allheit. Die Einzelurteile müBten danach der Einheit entsprechen, die allgemeinen der Allheit. Henn diese Korrektur notwendig wäre, würde das Verständnis der Tafel überaus erschwert, im Ganzen nach meiner Meinung unmöglich sein." Heidemann, Die Kategorientafel als systematische Topik, S. 64 f.

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graphen bearbeitet und gezeigt, was diese Transzendentalien für die scholastische Philosophie und deren Erben bedeuteten. Er geht davon aus, daß Kant seine Kategorien anhand dieser allgemeinsten Begriffe entwickelte. Allerdings: "Hie sich nun Kant die Ableitung der Kategorien aus den Begriffen: unum, verum, bonum des näheren geda^ji^ hat, davon können wir uns kein klares Bild machen."

Und auch warum sie Kant ausgerechnet den Kategorien der Quantität zuordnet 158 , wird bei Leisegang nicht diskutiert. Trotz dieses ungelösten Problems muß ihm zugestimmt werden: "Die Grundbegriffe dieser Ontologie für Immer zu entwerten, ist die Aufgabe dieses Abschnittes, und so gehört er wohl 1 , q mit vollem Recht in die Kritik der reinen Vernunft hinein."

Die Kategorien der Qualität haben von Anneliese Μ a i e r unter historischem Aspekt eine ausführliche Betrachtung erfahren. Sie stellt die These auf, daß Kant wahrscheinlich "einen überlieferten Begriff mit einer in der damaligen philosophischen Terminologie bestimmten Bedeutung - ... - durch Annäherung an den korrespondierenden Titel der Urteilstafel als Kategorie 'deduziert'".160 "Realität", als erstes Moment der Qualitätskategorien, grenzt sie ab gegen die "Realität im modalen Sinne", indem sie zu den zwei Begriffen die Gegensätze bildet und so die Schwierigkeit erhellt, Kants Realitätsbegriff zu erfassen. Ihr zufolge bildet den Gegensatz zu "Realität" in der "gegenständlich-logischen Sphäre" die "Negation", es handelt sich um kein "Dasein" sondern um "Sosein". Im

156 Hans Leisegang, über die Behandlung des scholastischen Satzes: "Quodlibet ens est unum, verum, bonum seu perfectum", und seine Bedeutung in Kants Kritik der reinen Vernunft. Kant-Studien Bd. 20, 1915, S. 403 - 421. 157 Ebd. S. 415. 158 Kant bemerkt ausdrücklich: "... daß diese logische Kriterien der Möglichkeit der Erkenntnis überhaupt die drei Kategorien der GröBe, in denen die Einheit in der Erzeugung des Quantum durchgängig gleichartig angenommen werden muB, hier nur in Absicht auf die Verknüpfung auch u n g l e i c h a r t i g e r Erkenntnisstücke in einem Bewußtsein durch die Qualität eines Erkenntnisses als Prinzips verwandeln." Β 115. 159 Leisegang a. a. 0. S. 421. 160 Anneliese Maier, Kants Qualitätskategorien, Kant-Studien Ergänzungsheft 65, 1930. S. 6.

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Gegensatz zu "Realität" in der "funktionell-logischen Sphäre" steht die "Idealität", wobei es sich hier nicht um Synthese des Mannigfaltigen, also um Kategorien handelt, sondern um "funktionelle Formbegriffe", die auf die "objektive Bedeutung der Kategorien" g e h e n . E i n e Modalkategorie der "Realität" schließt sie aus und läßt so das Verhältnis von "Realität" und 162 "Existenz", der zweiten Modalkategorie, offen. Es geht ihr darum zu zeigen, daß und wie sich die Qualitätskategorie "Realität" aus dem ontologischen Schulbegriff der "realitas" entwickelt hat. Da sie aber weniger an den reinen Kategorien, als vielmehr an deren Weiterentwicklung in den Schemata und den Grundsätzen interessiert ist, gelingt es ihr nicht, die Realitätsauffassung innerhalb der "Kritik der reinen Vernunft" als eine Einheit zu sehen. Den Realitätsbegriff im "Transzendentalen Ideal" verweist sie daher in Kants vorkritische Periode. Die reine Kategorie der Realität wird von ihr 164 nur sehr kurz gekennzeichnet als "transzendentale Position" . Daß Kant die Schemata als transzendentale Zeitbestimmungen deutet, kritisiert sie "als ein Stück Psychologismus"^^. Dadurch, daß, nach Kant, das eigentliche Schema der Realität ihre gleichförmige und kontinuierliche Erzeugung in der Zeit sei, wird ihrer Meinung nach die Limitation in die Realitätskategorie einbezogen, und Maier schließt daraus, daß die Realität die Qualitätskategorie schlechthin darstelle. Diese Tatsache sieht sie im Grundsatzkapitel bestätigt, wo nur eine einzige Antizipation der Wahrnehmung auftritt. Dadurch, daß die Antizipationen durch "intensitätskategoriale Formung eines qualitativen Mannigfaltigen"^** entstünden, setzten die Antizipationen ein

161 Maier, a. a. 0., S. 8 f. 162 Existenz wird von Maier offenbar synonym gebraucht für den eigentlichen kategorialen Begriff "Dasein" bei Kant. 163 "Wir können das Lehrstück vom transzendentalen Ideal ganz unabhängig von den Qualitätskategorien und vor ihnen betrachten, es steht völlig neben der Gedankenreihe, die von den Kategorien über den Schematismus zu den Antizipationen führt und gehört tatsächlich noch der Begriffswelt der vorkritischen Zeit an." Ebd. S. 38 f. 164 Ebd. S. 53. 165 Ebd. S. 51. 166 Ebd. S. 62

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a priori gegebenes Quale überhaupt voraus, auf das die Kategorien erst Anwendung fänden. Daraus schließt sie, daß Kant eine reine Apprehensionsform annimmt, die er allerdings nie ausdrücklich einführt.167 "Die Apprehensionform Qualität ist als dritte präsentatlve Form neben Räumlichkeit und Zeitlichkeit In ihrer Apriorität j^g und ihrem nichtbegrifflichen Charakter durchaus nachweisbar."

So ist für Maier die Realität einerseits apriorische Empfin169 dungsform, andererseits die "Kategorie Intensität". Die Diskussion über Kants Absicht, eine Apprehensionsform zusätzlich einzuführen, führt hier zu weit, doch verweist Maier in ihrer Arbeit auf die, dem Kantischen Philosophieren vorausgehende, Diskussion philosophischer Grundbegriffe, die der Kantischen Kategorie der Qualität nahestehen. In dem Abschnitt "Realität und Negation in der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts", geht sie zurück auf die Bestimmungen von Alexander Gottlieb Baumgarten und Georg Friedrich Meier, denen zufolge "Realität" "positive Determination", "bejahendes Prädikat eines möglichen Dinges oder eines in sich widerspruchsfreien Begriffes" ist. 170 Analog dazu bedeutet "Negation" eine "negative Verminderung" . Ob etwas Bejahung oder Verneinung ist, ist nicht aus dem Wortlaut zu entnehmen, sondern es muß "tief in die Sache" hineingeschaut werden. "Unsündigkeit" ist demzufolge eine positive B e s t i m m u n g . V o m logisch-ontologischen Standpunkt aus stehen beide Bestimmungen auf derselben Stufe und heben sich paarweise auf. Da in der Schulphilosophie auch die Existenz zu den Realitäten gehört, wird der ontologische Gottesbeweis, den Kant im "Ideal der reinen Vernunft" kritisiert, einleuchtend. Die Existenz des höchsten Wesens ist absolut notwendig, weil dieses Wesen alle Realitäten enthält und die Existenz dazu gezählt wird. Daß Kant

167 168 169 170 171

Vgl. Ebd. Ebd. Vgl. Ebd.

Maier, a. a. 0., S. 63 f. S. 64. S. 67. ebd. S. 15. S. 16.

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diesen Gottesbeweis ablehnt, weil Dasein für ihn zu den kategorialen Bestimmungen gehört, die nur mit Hilfe sinnlicher Beweiskraft wissenschaftliche Aussagen erlauben, verweist auf die weiter unten in dieser Arbeit erörterte Mehrdimensionalität des Gebrauchs der Kategorien bei Kant. Die Kategorien der Relation haben unter den verschiedenen Kantinterpreten meist Beachtung gefunden, sei es um die Bedeutung des Begriffs Substanz hervorzuheben, wie bei Friedrich P a u l s e n und in jüngerer Zeit Friedrich Κ a u 1 172

bach , oder um die Bedeutung des Begriffs der Kausalität für die mechanische Naturauffassung Kants zu belegen, 173

wie bei Martin . Arbeiten speziell zur Kategorie der Kausalität und Dependenz bei Kant gibt es dagegen wenige. Nur Giorgio Tonelli und Peter Sachta haben in ausdrücklich diesem Thema gewidmeten Beiträgen zur Erhellung der Problematik beigetragen. Heinz Heimsoeth stellte in seiner Schrift "Zum kos174 motheologisehen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie" die Kategorie der Kausalität und Dependenz indirekt in den Mittelpunkt der Interpretation der dritten Antinomie der reinen Vernunft. Er schildert und belegt darin die Doppeldeutigkeit des Kausalitätsbegriffs bei Kant, der einerseits auf Naturverlauf bezogen wird, andererseits aber auch eine Wirksamkeit

172 Paulsen, Immanuel Kant, S. 169. Friedrich Kaulbach, Der Primat der Substanzkategorie in Kants Programm der "transzendentalen Logik". In: Beiträge zur Kritik der reinen Vernunft 1781 - 1981. Hrsg. Ingeborg Heidemann und Wolfgang Ritzel. Festschrift für Gerhard Lehmann zum 80. Geburtstag. Berlin, New York 1981. S. 182 - 199. Kaulbach bemerkt nicht nur die primäre Stellung der ersten Relationskategorie "In der Gesamthandlung des Aufbaus der Gegenständlichkeit" (S. 190) bei Kant, sondern er deutet einen weiteren Schritt an, der auf diese Stellung der Substanz als "objektiver Spiegel der Selbigkeit des Ich-denke" (S. 190) folgen könnte, nämlich "eine vor-kategoriale Substanz" anzunehmen (S. 191). "Als 'substantiell' wäre demgemäß diejenige ursprüngliche 'synthetische Einheit' zu bezeichnen, von der Kant sagt, daß sie 'a priori vor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht' (B 131)." (S. 191). 173 Vgl. Martin a. a. 0. S. 80. 174 In: Studien zur Philosophie Immanuel Kants II. Methodenbegriffe der Erfahrungswissenschaften und Gegensätzlichkeiten spekulativer Weltkonzeption. Kant-Studien Ergänzungsheft 100. Bonn 1970 S. 248 - 270.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation 175 bezeichnet, die aus der noumenalen Sphäre kommt.

Daß Kausa-

lität im praktischen Verstände in der dritten Antinomie thematisch keinen Vorrang besitzt, macht Heimsoeth ebenso deutlich. Gerade darin liegt aber auch die Faszination der Frage nach 176 dem ersten Beweger.

Die Frage nach dem Urwesen beantwortet

Kant mit der Konzeption eines "systema causalitatis", dessen historische Verwurzelung Heimsoeth aufdeckt. Fraglich bleibt immer die Möglichkeit des Hineinwirkens von Noumenalem in die Welt. "Für jedes Erklärungs-'System' dieser Art muB sich aber eben die Frage stellen, welche die der dritten kosmologlschen Antinomie In Ihrem allgemein-'transzendentalen' Grundsinn 1st: welche Welse von Wirksamkeit ('Kausalität'), von Handlung (actio) kann hier, wo Welt Im^^nzen das Erwirkte und Abhängige ist, maßgebend sein?" Praktische Freiheit des "intelligiblen Charakters" ist nach den Erläuterungen zur dritten Antinomie der reinen Vernunft nur in Abhängigkeit von der Annahme der Kausalität eines Urwesens erklärbar. "Indem Kant in unserer Antinomie Beides: die absolut-spontane Wirksamkeit 'des unendlichen Urwesens' und die Freiheit möglicher Entscheidung und Tat seitens vernünftiger Wesen in der Welt - in einem Sinnzusammenhang vor Augen hat, wird ihm die Idee des freiwirkenden Urwesens gleichsam zum Denkmodell für ._„ die Möglichkeit von Freiheitswirkungen 'mitten Im Weltlauf'". Kausalität im Sinne der Analogien der Erfahrung ist auf Erkenntnis der Wirklichkeit bezogen. Doch Heimsoeth macht deutlich,

175 "Wenn es in der letzten der Antinomien um die 'Existenz' - oder 'Daseins '-Art eines solchen ens orlginarium geht, so geht es In der Dritten eben um die Welse seiner Wirksamkeit,' um die besondere Art kauslerenden ('dynamischen') Anfangs, darum also, welche Art von 'Handlung' (Im rein-kategorialen Sinne der actio) hier in Frage kommt, wo alles weitere dann als 'Dependenz' ins Dasein tritt." Heimsoeth, Studien zur Philosophie Immanuel Kants II, S. 250. 176 "Wieso es - sozusagen ontologlech - Uberhaupt möglich sein soll, daß das ens orlginarium nicht nur Welt und Weltwesen Uberhaupt, sondern nun eben auch Freiheitswesen mit einer ihnen zugehörigen 'Imputabilltät' erwirkt, dependente Freiheitssubjekte also ('Kausalität und Dependenz' helBt die reine Kategorie) - das 1st ein metaphysisches Problem, welches als Frage Kant Immer beschäftigt hat." Ebd. S. 264. 177 Heimsoeth, Zum kosmotheologlschen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie, S. 252. 178 Ebd. S. 266.

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daß die Konzeption des "intelligiblen Charakters" die Zugehörigkeit des Menschen zur noumenalen Sphäre bestimmt, als Wesen, "die im Erfahrungsdasein auf Aktionsbestimmungen von an179 derer als zeitlich-kausaler Art Anzeige geben" In einer umfassend historische Bezüge aufdeckenden Schrift, die die ganze Spannweite der philosophischen Schulen des 18. Jahrhunderts berücksichtigt, hat Giorgio Τ ο η e 1 1 i "Die Anfänge von Kants Kritik der Kausalbeziehung und ihre Voraus180 Setzungen im 18. Jahrhundert" dargestellt. Dabei betrachtet er Kants Begriff der Kausalität, nicht die Kategorie der "Kausalität und Dependenz", da diese in den Frühschriften noch nicht genannt wird, als einen philosophischen Zentralbegriff, der in seiner Entstehung auch im Zusammenhang mit Kants Kenntnis der großen philosophischen Vorgänger und ihrer Lehre von der Kausalität gesehen werden muß. Diesen Uberblick verschafft Tonelli, indem er zuerst die Voraussetzungen zu der Kausalitätslehre des 18. Jahrhunderts darstellt. Malebranche, Leibniz, Newton und August Friedrich Müller sind hierbei die wichtigsten Namen, wobei Newton, mit seiner Lehre von der strengen Gültigkeit der "causae secundae" neben der geheimnisvollen Unerkennbarkeit der "causa prima", auf die Nachfolgenden ganz besonders 181 prägend wirkte. Die Gegenposition zu dieser Lehre nehmen, nach Tonelli, Leibniz und Malebranche ein, die ausdrücklich nach Erklärungen der ersten Ursache suchen, wobei zwar die "phänomenalen Kausalbeziehungen" von der "wahren göttlichen Kausalität" streng unterschieden werden, die physische Kausalität jedoch als "metaphysische Notwendigkeit behauptet (als absolute Bedingung der Schöpfung), da sie nur der Ausdruck der Gesetzmäßigkeit des prima göttlichen Handelns ist", in eine gewisse Beziehung zur causa gesetzt wird.182 Diesen Theorien fügen die nachfolgenden Philosophen des 18.

179 Helmsoeth, Zum kosmotheologischen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie, S. 266. 180 Erschienen In: Kant-Studien Bd. 57, 1966, S. 417 - 456. 181 Vgl. Tonelli, Die Anfänge von Kants Kritik ..., S. 420. 182 Vgl. ebd. S. 419.

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Jahrhunderts, so Tonelli, neue Gesichtspunkte hinzu, wobei vor allem Berkley, Hume, von französischer Seite Maupertius und d'Alembert, in Deutschland Mendelssohn und Crusius, eigene originelle Aspekte liefern, und auch gegensätzliche Standpunkte miteinander kombiniert werden. Humes skeptische Haltung verbindet Mendelssohn mit der Leibnizschen Lehre von der grundsätzlichen ErfaBbarkeit der absoluten Kausalität und vereint so "sowohl die empirische Begründung und bloß wahrscheinliche Gültigkeit der phänomenalen Kausalbeziehungen, wie deren Deutung als beständige Begleitung", mit dem "Begriff der metaphysischen 183 Kausalität", dessen "Wesen" aber unbekannt bleibt. Bedeutend für Kants spätere Theorie ist, laut Tonelli, auch die des Crusius, der den Begriff der Kausalität nicht aus der Erfahrung schöpft, sondern "die i n n e r l i c h e E m p f i n d u n g " als die Quelle dieser Idee ansieht. Der Kausalitätsbegriff in Kants frühen Schriften, und damit schließt der Aufsatz Toneiiis, sei nicht von der Humeschen Lehre beeinflußt. Nachdem Kant in seiner Erstlingsschrift versucht habe, "die Anziehungskraft Newtons metaphysisch zu erklären und zu begründen" und damit gescheitert sei, behielt er den metaphysischen Begriff der Kausalität bei und zeigte in der Schrift über die "Negativen Größen", "daß die Beziehung zwischen Grund und Folge nicht auf der Identität beruhe". 185 Auch in Kants "Träumen eines Geistersehers" tritt dieser Be186 griff auf. Tonelli räumt ein, daß der spätere Einfluß Humes auf Kant hinsichtlich der Kausalitätsproblematik eine gewisse Rolle gespielt haben mag. Die "Umwälzung von 1769" geht aber seiner Ansicht nach in ihrer Thematik zu weit über die Kausalitätsfrage hinaus, als daß Humes Einfluß dabei allzu groß eingeschätzt werden dürfe. Die Kausalitätskritik Kants gewinnt, nach Tonelli, nicht in der Gegenstellung zu Hume, sondern erst

183 184 185 186

Vgl. Tonelli, Die Anfänge von Kants Kritik S. 444. Ebd. S. 446. Ebd. S. 450 f. Tonelli zitiert: "'So f e m ... etwas eine Ursache 1st 1 , schreibt Kant, 'so wird durch E t w a s etwas A n d e r e s gesetzt ...'" Bd. II, S. 370. Tonelli, Die Anfänge von Kants Kritik ..., S. 452.

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im Zusammenhang mit den grundsätzlichen Fragen und Lösungen der Kantischen Theorie ihre volle Bedeutung. Als grundlegend für Kants transzendentalen Idealismus beurteilt dagegen Peter S a c h t a die Kantische Lösung des Kausalitätsproblems in seiner Monographie "Die Theorie der 187

Kausalität in Kants Kritik der reinen Vernunft" . Sachta geht in dieser Schrift davon aus, daB der Kantische Begriff der Kausalität aus der vorkritischen Zeit stammt. Die Theorie des transzendentalen Idealismus habe Kant kreiert, um diese Kausalitätskonzeption zu begründen. Damit aber sei Kant gescheitert, weil einerseits sein Kausalitätsbegriff innerhalb der "Kritik der reinen Vernunft" nicht einheitlich sei, andererseits die Theorie des transzendentalen Idealismus keine Beweismöglichkeit für das Gesetz der Kausalität lieferte. Das "Hauptproblem", das zu Beginn der Arbeit von Sachta erörtert wird, ist folglich die Frage, ob das System des transzendentalen Idealismus die Kantische Kausalitätstheorie bedingt, oder ob umgekehrt die letztere "die Genese und 188 die inhaltliche Gestaltung dieses Systems" beeinflußt habe. Die Antwort darauf findet Sachta in seinem, dem Neukantianismus nachempfundenen, Verständnis der Aufgabe des transzendentalen Idealismus. Er solle dazu dienen, das Faktum der Wissenschaft zu klären. Da die Kausalbeziehung aber eine Urteilsart ist, ist die kausale Gesetzmäßigkeit, nach Sachta, kein Teil von Kants wissenschaftlichem System, sondern "auf dem Boden älterer, von denjenigen des transzendentalen Idealismus verschiedener Prinzipien, somit in einer 189 früheren Phase von Kants Denkentwicklung, entstanden." Die metaphysische Deduktion der Kategorien ist demnach, laut Sachta, nur ein nachträglicher Rechtfertigungsversuch von längst anhand der Newtonschen Prinzipien gerechtfertigten Gesetzmäßigkeiten, die gelieferte Herleitung ein "mißlungenes

187 Peter Sachta, Die Theorie der Kausalität in Kants Kritik der reinen Vernunft, Meisenhelm am Glan 1975. 188 Ebd. vgl. S. 3 189 Ebd.

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190

und höchst künstliches Unterfangen". Bei der Kritik der Beziehung zwischen Kategorien und Urteilsformen weist Sachta darauf hin, daß das hypothetische Urteil der Kategorie der Kausalität inhaltlich nicht entspräche, weil die reine Kategorie ein "Bewirken" enthalte, 191 das dem Inhalt des hypothetischen Urteils nicht gleichkomme. Er zeigt auch, daß Kants ursprüngliche Einsicht in die Natur der Kausalitätsform in der "Kritik der reinen Vernunft" zu metaphysischen Gedankengängen führt, so daß im Grundsatzkapitel das Moment des "Wirkens" mit "Substanz" verbunden wird, und "Kausalität", "Handlung", "Kraft" und "Substanz"192 von Kant in einen Begründungszusammenhang gebracht werden. Dennoch kommt Sachta zu dem Schluß, daß mit dem Schematismuskapitel, das offenbar einer anderen Kantischen Denkperiode entstamme, das "Kausalitätsprinzip" durch Kant dem "'Grundsatz der Zeitfolge1" gleichgestellt wer193

de. Nach Kant, so Sachta, soll nicht die alltägliche Welt mit Hilfe philosophischer Erkenntnisse erfaßt werden, sondern ein ideales Weltgebilde der Erfahrungswissenschaft, das Ideal der Newtonschen Physik, in der alle objektive Zeitfolge auch Kausalfolge ist. Kant habe, so Sachta, "das ideale Weltbild der Newtonschen Physik verabsolutiert und auf jegliche 'objek194 tive' Welt übertragen". Diese Gleichstellung von Kausalität und Zeitfolge muß selbstverständlich zu Ungereimtheiten führen, die Sachta auch aufweist, denn "die von Kant gebotene Grundlegung der Kausalität läuft nämlich auf den paradoxen SchluB hinaus, daB, wenn die Kausalität die notwendige und hinreichende Bedingung für die Erfahrung objektiver Zeitfolge ist, offenbar jede objektive Zeltfolge eine Kausalfolge bedeuten und jedes objektive Folgen als kausales Erfolgen verstanden werden muß."

Daß unsere Erfahrungstatsachen der, von Sachta unterstellten, Gleichsetzung von Zeitablauf und Kausalverknüpfung zuwider

190 191 192 193 194 195

Sachta a. a. 0. vgl. S. 72. Ebd. Ebd. S. 37. Ebd. vgl. S. 113. Ebd. S. 116. Ebd. S. 112.

56

Kategorienlehre und

Kantinterpretation

sind, kann Sachta an vielen Beispielen belegen. Er sieht innerhalb der "Kritik der reinen Vernunft" keinen Ausweg aus diesem

196 Dilemma.

Das Moment des "Wirkens", das traditionell und auch

bei Kant dem Begriff der Kausalität zugeordnet wird, fällt bei dieser Interpretation weg, was Sachta als "Konsequenz197 der Einführung des transzendentalen Idealismus" bezeichnet.

Dabei

übersieht er, daß durch seine Einengung der Kantischen Theorie auf bloBe Wissenschaftstheorie

im Sinne der Grundlegung von

Erfahrungswissenschaft die viel weiter reichende Bedeutung der reinen Kategorie der Kausalität und Dependenz

vernachlässigt

wird. Ebenso läßt Sachta unberücksichtigt, daß im Beweis der zweiten Analogie der Erfahrung Kant die Gültigkeit der Kausalrelation mit deren Regelhaftigkeit verknüpft, so daß nicht jede beliebig wahrgenommene Folge eine Kausalbeziehung

repräsen-

198 tieren kann. Die Vernachlässigung der viel weiter reichenden Konzeption der reinen Kategorien bei Kant - nicht nur Oberbegriff für die Grundsätze des reinen Verstandes zu sein, sondern grundlegender Begriff für alles wissenschaftliche Denken - führt zu einer bedauerlichen Verkennung der gesamten Kantischen Theorie vom Denken und Handeln. "Der Begriff des Wirkens hat auf dem Boden des transzendentalen Ideallsmus keine Anwendung, well es keinen Sinn hat zu sagen, daß eine Erscheinung als Vorstellung unseres Bewußtseins auf eine andere Erscheinung als eine ebensolche Vorstellung 196 "Nach der kopernikanlschen Wende wurde die Kategorie der Kausalität als eine Regel konzipiert, durch welche die Erscheinungen Im Sinne der notwendigen Zeitfolge normiert werden, weshalb die Kausalverknüpfungen, die nach Kant zwischen den Veränderungen der Erscheinungswelt stattfinden, nur in dieser Zeltfolge bestehen." Sachta a. a. 0. S. 130. 197 Ebd. S. 131. 198 Vgl. Β 243/A 198 f. Im übrigen weist Kant schon In der Einleitung der "Kritik der reinen Vernunft" darauf hin, daß Zeltablauf und Bewlrkensverhältnis grundsätzlich unterschiedliche Beurteilungsformen darstellen. Bezogen auf den Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Urteilen heißt es da: "Man nehme den Satz: Alles, was geschieht, hat seine Ursache. In dem Begriff von Etwas, das geschieht, denke Ich zwar ein Dasein, vor welchem eine Zeit vorhergeht etc. und daraus lassen sich analytische Urteile ziehen. Aber der Begriff einer Ursache liegt ganz außer jenem Begriffe, und zeigt etwas von dem Was geschieht, Verschiedenes an, ist also in dieser letzteren Vorstellung gar nicht mit enthalten." (B 13/A 9)

Kategorienlehre und Kantinterpretation

57

einwirkt. Aufeinander einwirken können nur real existierende Dinge. So hat der Begriff der Kausalität als Kraftübertragung auf dem Boden des ty^szendentalen Idealismus offensichtlich kein Daseinsrecht."

Daß dagegen gerade die für alles Denken grundlegende reine Kategorie der Kausalität und Dependenz in der praktischen Philosophie Gesetzmäßigkeiten ftlr menschliches Sollen festsetzt, und daß auch innerhalb der theoretischen Philosophie die innovatorische Kraft der menschlichen Vernunft sehr wohl Wirkung zeigt, die Kant auch mit Hilfe der Kategorie der Kausalität und Dependenz beschreibt, bleibt bei Sachta unerwähnt. Er kommt in seiner Arbeit zu rein negativen Resultaten, die in der Einsicht gipfeln, daB Kants transzendentaler Idealismus "keine adäquate Erklärung der im Kausalprinzip ausgedrückten Erkennt„ ,. . . . 2 0 0 nis ermöglicht". Zur dritten Kategorie aus der Gruppe der Relationskategorien, 201

der Kategorie der Wechselwirkung , gibt es verschiedene interpretierende Stellungsnahmen. Adolf Trendelenburg kritisiert, daß die Wechselwirkung als logische Form von der Wechselwirkung real ineinander eingreifender Kräfte so grundsätzlich verschieden sei, daß deren Anführung in der Kategorientafel verfehlt 202

sei. Auch Hans D r i e s c h vertritt die Ansicht, die Kategorie der Gemeinschaft sei in der Kategorientafel am falschen Platz, weil das disjunktive Urteil, wie das hypothetische, Ausdruck einer Folge sei, also keine selbständige Kategorie bilden könne. An dessen Stelle möchte er das "vollständige konjunktive Urteil" einsetzen und damit die Kategorie der "Individualität" bilden. 203 "Individualität" ist für ihn der Gegenbegriff zu "Gemeinschaft". Diese bezeichnet "die Zerfällung des ganzen Umfangs einer Setzung, jene die Zerfällung

199 Sachta a. a. 0. S. 131. 200 Ebd. S. 140. 201 Die Kategorie helBt bei Kant: "Relation der G e m e i n s c h a f t (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden)." Β 106/A 80. 202 Vgl. Trendelenburg a. a. 0. S. 293. 203 Hans Driesch, Die Kategorie "Individualität" im Rahmen der Kategorienlehre Kants. Kant-Studien, Bd. 16, 1911. S. 22 - 53.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation 204

des ganzen Inhalts einer Setzung". Diese Umgestaltung der Kategorientafel bietet nach Meinung von Driesch die Möglichkeit, die Erfassung der Lebensprobleme unter dem Begriff des Organismus kategorial zu leisten. Kant wäre dadurch nicht gezwungen gewesen, den Begriff der "Teleologie" zu gebrauchen, der nach Driesch gar nicht alles erfaßt, "was zur 2 0 5 denkmäBigen Bewältigung der Lebensprobleme gefordert wird". Driesch weist auf einen seit Aristoteles chronischen Problempunkt der Kategorienlehre hin, wenn er fragt: "Harum kommt eben jetzt diese und eben dann jene Kategorie, so zu sagen, zur Anwendung? Liegt das nicht doch am Gegebenheitsstoff in s e i n e m Sosein? Müssen wir also nicht, anstatt zu sagen, dass das Denken der Natur 'ihre Gesetze vorschreibt' besser zugeben, dass eine hinzunehmende Harmonie zwischen Gegebenheitsstoff und Gegebenheitsordner besteht, ^Qg eine Harmonie, welche nur metaphysischer Deutung fähig ist."

Und er verweist auf die "Kritik der Urteilskraft", die eine solche Wendung des Problems andeutet. Das von Driesch aufgeworfene Problem betrifft den Gebrauch der Kategorien bei Kant und führt zu der Frage, ob Kant eine Regel verwendet hat, die die Anwendung der Kategorien auf bestimmte Probleme steuert, eine Regel, die die Entscheidung leistet, welche Kategorie für welche erkenntnistheoretische oder wissenschaftstheoretische Leistung wiederum regelsetzend wäre. Diese Frage muß, auch im Anschluß an meine weiter unten dargestellten Untersuchungen über die strukturell tragende Funktion des kategorialen Begriffs "Substanz" und der Kategorie "Kausalität und Dependenz", offenbleiben. Warum Kant bei bestimmten Problemstellungen ganz bestimmte kategoriale Begriffe gebraucht, ist zwar im Einzelfall stets verständlich und im Gesamtbild der Kategorienlehre als "systematischer Topik" (nach der Heidemannschen Interpretation) als theorietragend interpretierbar, aber der Gebrauch wird von Kant nicht eigentlich begründet. Dagegen zeigt sich, daß bei der Verwendung des ganzen Tafelsystems die Notwendigkeit des metho-

204 Vgl. Hans Driesch, a. a. 0., S. 34 f. 205 Ebd. S. 47 f. 206 Ebd. S. 39.

Kategorienlehre und Kantinterpretation

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dischen Gebrauchs offensichtlich ist, wenn ein Problem, wie z. B. die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele, durch alle vier Tafelpositionen hindurchgeführt und dabei mit Hilfe verschiedener kategorialer Begriffe bestimmt wird. Die Reihenfolge der Positionen kann dabei variieren, wie z. B. die "Topik der rationalen Seelenlehre" mit "Substanz" einsetzt, woraus sich der Ansatzpunkt für Kants Kritik an der rationalen Seelenlehre ergibt. Welche spezielle Kategorie für welches Problem tragend wird, diese Frage hat Kant selbst auf Grund von Kriterien entschieden, die nicht erforscht sind, und die deshalb unbeantwortet bleibt. Damit schließt die Vorstellung der Literatur, die sich im eigentlichen Sinne mit den Kantischen Kategorien befaBt. Einige Arbeiten, deren Ergebnisse für die Problematik sich mit denen der schon vorgeführten Arbeiten decken, fehlen, wie z. B. der Beitrag von Friedrich H u h n , der die Kategorien Kants mit denen des Aristoteles in Zusammenhang bringt und 207

daraus seine eigene Kategorienlehre entwickelt , oder der von R. A. M a l l , der zeigt, daß, trotz der entgegengesetzten Standpunkte auch 208 in bezug auf die Kategorienlehre, Kant von Hume gelernt hat. Es wurde keine Vollständigkeit bei der Erfassung der Stellungnahmen zur Kantischen Kategorienlehre angestrebt. Aber es sollte deutlich werden, daß vielen Kantinterpreten die Erklärung der Kantischen Kategorienlehre schwerfällt. Eine Gesamtkonzeption der Kategorienlehre als systematisches Grundmodell des Kantischen Philosophierens, wie es Heidemann anregt, findet sich so nirgends. Daß die Kategorien als Bestandteile eines Basismodells für Systematisierung bei Kant erklärbar werden, sollen meine Untersuchungen im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen. Neben der Information über die Voraussetzungen für meine Untersuchung von der Kantfor-

207 Friedrich Huhn, die Kategorien bei Aristoteles und bei Kant und ihre Bedeutung für die Erkenntnistheorie. Archiv für Geschichte der Philosophie. Bd. 37, 1926. S. 254 - 269. 208 R. A. Mall, Humes Prinzipien- und Kants Kategoriensystem Kant-Studien, Bd. 62, 1971. S. 319 - 334.

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Kategorienlehre und Kantinterpretation

schung her, sollte dieses Kapitel zeigen, daß eine Neubetrachtung der Kategorienlehre für die Interpretation der Kantischen Werke wichtig ist. Daß die systematische Auswertung der Kategorienlehre auch von den Kantischen Aussagen (über seine Kategorienlehre) her notwendig ist, wird der weitere Verlauf meiner Arbeit darlegen. Diese wendet sich nun der Problemlage der Kategorienlehre im Text der "Kritik der reinen Vernunft" zu.

2.

DIE ERKLÄRUNG DER KATEGORIEN IN DER "KRITIK DER REINEN VERNUNFT"

2.1 Zum Problem der Erklärung Oberhaupt Wenn man Kants Erklärungen der Kategorien des reinen Verstandes in der "Kritik der reinen Vernunft" und die Kantischen Aussagen zu den Möglichkeiten der Festlegung abstrakter philosophischer Begriffe in demselben Werk gegeneinander abwägt, ergibt sich der paradoxe Sachverhalt, daß zwar die Kategorien als grundlegende philosophische Begriffe erklärt werden müssen, diese Erklärung aber nicht eindeutig logisch zu fassen ist. Kant äußert sich zur Frage nach dem Begriff von Erklärung Uberhaupt und vor allem zu der Frage, ob auf dem Gebiet der Philosophie Erklärungen die Präzision von Definitionen erreichen können, im zweiten Hauptteil der "Kritik der reinen Vernunft", in der "Transzendentalen Methodenlehre". In dem Abschnitt: "Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche", präzisiert Kant seinen Sprachgebrauch folgendermaßen: "Die deutsche Sprache hat für die Ausdrücke der Exposition, Explikation, Deklaration und Definition nichts mehr als das eine Wort: Erklärung, und daher müssen wir schon von der Strenge der Forderung, da wir nämlich den philosophischen Erklärungen den Ehrennamen der Definition verweigerten, etwas ablassen und wollen diese ganze Anmerkung darauf einschränken, daß philosophische Definitionen nur als Expositionen gegebener, mathematische aber als Konstruktionen ursprünglich gemachter Begriffe, jene nur analytisch durch Zergliederung (deren Vollständigkeit nicht apodiktisch gewiss ist), diese synthetisch zu Stande gebracht werden, und also den Begriff selbst machen, dagegen die ersten ihn nur erklären." Dieses Zitat verweist auf die Frage nach dem Ursprung der philosophischen

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Erklärung der Kategorien

Begrifflichkeit^ und damit auf die Schwierigkeit, philosophische Sätze zu beweisen. Während die Mathematik ihre Begriffe ursprünglich selbst herstellt (Kant spricht auch von "willkürlicher Synthesis", Β 757/A 729) und sie dadurch definiert, bleibt der Philosophie nur der Weg, die ihr gegebenen Begriffe zu zergliedern. Sie ist also angewiesen auf "Gegebenes" und muß doch begründen, warum sie aus der Vielfalt möglicher Begriffe ganz bestimmte als grundlegende auswählt. Durch deren Zergliederung gelangt sie zu einer noch verworrenen und unvollständigen Exposition der Begriffe, die erst als vollständige Exposition, mit allen ihr zugehörigen Merkmalen, die Klarheitsstufe der Definition erreichen kann. (B 758/A 730) Die Kategorien haben den ganz besonderen systematischen Stellenwert, zu solchen Erklärungen selbst benötigt zu werden. In der Einleitung in die "Kritik der Urteilskraft" erklärt Kant, bezogen auf die Einteilung der "Seelenvermögen", den Begriff der "transzendentalen Definition". "Es ist von Nutzen: zu Begriffen, welche man als empirische Prinzipien braucht, wenn man Ursache hat zu vermuthen, daß sie mit dem reinen Erkenntnisvermögen a priori in Verwandtschaft stehen, dieser Beziehung wegen, eine transszendentale Definition zu versuchen: nämlich durch reine Kategorien, sofern diese allein schon den Unterschied des vorliegenden Begriffs von anderen hinreichend angeben. Man folgt hierin dem Beispiel des Mathematikers, der die empirischen Data seiner Aufgabe unbestimmt läßt und nur ihr Verhältniß in der reinen Synthesis derselben unter die Begriffe der reinen Arithmetik bringt und sich dadurch die Auflösung derselben verallgemeinert." (Bd. V, S. 177 Anm.) Die in der von Jäsche herausgegebenen "Logik" dargestellte allgemeine Logik grenzt dagegen das mathematische Verfahren von anderen systematischen Begriffsklärungen ab. Kant erörtert

1 Der Begriff "Deklaration" tritt in der "Kritik der reinen Vernunft" nur an dieser Stelle und beim Beispiel der "Schiffsuhr" kurz davor auf, kann also im folgenden vernachlässigt werden, ebenso der Begriff "Explikation", der sich in der "Kritik der reinen Vernunft" nur an dieser Stelle findet. Siehe Β 757/A 729.

Zum Problem der Erklärung

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hier zwei Arten von "synthetischer Definition": die "Exposition" und die "Construction". Die "Construction" gilt für die mathematischen Begriffe. Die "Exposition" ist dagegen eine Synthesis, "empirisch, d. h. aus gegebenen Erscheinungen als der Materie derselben, gemachter Begriffe" (Bd. IX, S 102) . In einer Anmerkung wird erläutert, daß empirische Begriffe wie Feuer, Wasser und Luft nicht analytisch zu zergliedern sind, sondern "was zu ihnen gehört", soll, für eine entsprechende Theorie, festgelegt werden. Es handelt sich also um "gemachte Begriffe", deren Synthesis aber nicht willkürlich, sondern empirisch ist. (Bd. IX, S. 141) Im Zusammenhang von "Erörterungen und Beschreibungen" wird die Exposition noch einmal genannt als Erörterung, die, ähnlich wie die Beschreibung, eine Annäherung an eine Definition sein kann: "Die Beschreibung ist die Exposition eines Begriffs, sofern sie nicht präcis ist." (Bd. IX, S 105, S. 143) Da die Kategorien des reinen Verstandes keine empirischen Begriffe sein können, kann die synthetische Definition nach Art von empirischen Begriffen für sie nicht in Frage kommen. Es bleibt folglich nur die Exposition, der aber Prägnanz fehlt. In der "Logik" heißt es dazu: "Nicht alle Begriffe k ö n n e n also, sie d ü r f e n aber auch nicht alle definiert werden." (Bd. IX, S 105, S. 142) Diese Bemerkung wird in der dem Paragraphen folgenden Anmerkung damit erklärt, daß es nicht immer möglich sei "die Analysis vollständig zu machen und da überhaupt eine Zergliederung, ehe sie vollständig wird, erst unvollständig sein muß: so ist auch eine unvollständige Exposition, als Theil einer Definition, eine wahre und brauchbare Darstellung eines Begriffs. Die Definition bleibt immer nur die Idee einer logischen Vollkommenheit, die wir zu erlangen suchen müssen." (Bd. IX, S. 143) Zur Nominal- und Realdefinition heißt es, in der von Jäsche bearbeiteten "Logik", daß die Nominaldefinition das logische Wesen eines Gegenstandes bezeichne. "Sach-Erklärungen" oder "Real-Definitionen" sind solche, "die zur Erkenntnis des Objekts seinen inneren Bestimmungen nach zureichen" (Bd. IX, S 106) . Und bezogen auf abstrakte Grundbegriffe referiert Jäsche: "Logische Nominal-Definitionen gegebener Verstandesbegriffe

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Erklärung der Kategorien

sind von einem Attribut hergenommen, Real-Definitionen hingegen aus dem Wesen, dem ersten Grund der Möglichkeit". (Bd. IX, S. 143 - 144, Anm. § 106) Die stärkere Aussagekraft der Realdefinition im Vergleich zur Nominaldefinition kann auch in der "Kritik der reinen Vernunft", bezogen auf die Kategorien des reinen Verstandes festgestellt werden. Dort bemerkt Kant zur Nominaldefinition der Kategorien im Kapitel "Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena": "Was den Begriff der Gemeinschaft betrifft, so ist leicht zu ermessen: daß, da die reinen Kategorien der Substanz, sowohl als Kausalität, keine das Objekt bestimmende Erklärung zulassen, die wechselseitige Kausalität in der Beziehung der Substanzen auf einander (commercium) eben so wenig derselben fähig sei. Möglichkeit, Dasein und Notwendigkeit hat noch niemand anders als durch offenbare Tautologie erklären können, wenn man ihre Definition lediglich aus dem reinen Verstände schöpfen wollte." (B 302/A 244) Aber auch die Realdefinition ist zur Erklärung von Kategorien problematisch: "DaB dieses (gemeint ist die apriorische Erzeugung reiner Begriffe und ihr Gebrauch in der Erfahrung, Anm. d. Verf.) aber auch der Fall mit allen Kategorien und den daraus gesponnenen Grundsätzen sei, erhellet auch daraus: dafi wir so gar keine einzige derselben real definieren, d. i. die Möglichkeit ihres Objekts verständlich machen können, ohne uns so fort zu Bedingungen der Sinnlichkeit, mithin der Form der Erscheinungen, herabzulassen, als auf welche, als ihre einzige Gegenstände, sie folglich eingeschränkt sein müssen, weil, wenn man diese Bedingung wegnimmt, alle Bedeutung, d. i. Beziehung aufs Objekt, wegfällt, und man durch kein Beispiel sich selbst faßlich machen kann, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein Ding gemeint sei." (B 300/ A 240 f.) Daß die Realdefinition für die Kategorien keine adäquate Erklärungsmöglichkeit liefern kann, hat Kant in der ersten Auflage seiner "Kritik" noch stärker betont und dadurch selbst auf das Problem ihrer Erklärung verwiesen. Da sie ohne Bezug

Zum Problem der Erklärung

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zur Sinnlichkeit keine Objekterkenntnis zustande bringen, sind sie als reine Kategorien "nur so viel Arten, einen Gegenstand zu möglichen Anschauungen zu denken, und ihm nach irgend einer Funktion des Verstandes seine Bedeutung (unter noch erforderlichen Bedingungen) zu geben, d. i. ihn zu d e f i n i e r e n : selbst können sie also nicht definiert werden" (A 245). Daraus ergibt sich, daB die Nominaldefinition Uberhaupt, weil nicht erkenntnisfördernd und bloBe Tautologien hervorbringend, nicht zur Erklärung der Kategorien taugt, die Realdefinition aber andererseits, vom besonderen Charakter der reinen Kategorien her, nicht zur Bestimmung dieser Begriffe beitragen kann. Was übrig bleibt sind die Erklärungen, die Kant selbst zu den Kategorien gegeben hat. Bevor die wichtigsten hier dargestellt werden, soll noch auf eine Bemerkung zur Definition philosophischer Begriffe hingewiesen werden, die Kant dem Paragraphen 12, anläßlich der Kritik an den scholastischen Begriffen "unum, verum, bonum", hinzugefügt hat. Diese Transzendentalien werden als "Regeln der Ubereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst" bezeichnet (B 116), und Kant zeigt, welche Funktion sie als logische Regeln haben: "So ist das Kriterium der Möglichkeit eines Begriffs (nicht des Objekts derselben) die Definition, in der die E i n h e i t des Begriffs, die W a h r heit alles dessen, was zunächst aus ihm abgeleitet werden mag, endlich die V o l l s t ä n d i g k e i t dessen, was aus ihm gezogen worden, zur Herstellung des ganzen Begriffs das Erforderliche desselben ausmacht; ..." (B 115). Kant betont also den hohen Stellenwert einer Definition, indem er sie als das "Kriterium der Möglichkeit eines Begriffs" bezeichnet. Die Definition soll die Einheit eines Begriffs, die Wahrheit seiner Ableitungen und die Vollständigkeit seiner Folgerungen enthalten. Wenn Kant also in der "Kritik der reinen Vernunft" auf die Definition der Kategorien verzichtet, muß er gute Ersatzbestimmungen anbieten, um die Tragfähigkeit seiner Theorie nicht zu gefährden. Daß die logischen Voraussetzungen für eine Definition der Kategorien des reinen Verstandes nicht gegeben sind, haben die oben angegebenen Stellen gezeigt. Kant erweckt jedoch den Ein-

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Erklärung der Kategorien

druck, daß er eine Definition der Kategorien prinzipiell für möglich, wenn auch nicht in der "Kritik der reinen Vernunft" für durchführbar hält. So schreibt Kant im Paragraphen 10, anschließend an die Darstellung der Kategorientafel, sehr zuversichtlich: "Der Definition dieser Kategorien Uberhebe ich mich in dieser Abhandlung geflissentlich, ob ich gleich im Besitz derselben sein möchte. Ich werde diese Begriffe in der Folge bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre, die ich bearbeite, hinreichend ist. In einem System der reinen Vernunft würde man sie mit Recht von mir fordern können: aber hier würden sie nur den Hauptpunkt der Untersuchung aus den Augen bringen, indem sie Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne der wesentlichen Absicht etwas zu entziehen, gar wohl auf eine andere Beschäftigung verweisen kann. Indessen leuchtet doch aus dem wenigen, was ich hiervon angeführt habe, deutlich hervor, daß ein vollständiges Wörterbuch mit allen dazu erforderlichen Erklärungen nicht allein möglich, sondern auch leicht sei zu Stande zu bringen. Die Fächer sind einmal da; es ist nur nötig, sie auszufüllen, und eine systematische Topik, wie die gegenwärtige, läßt nicht leicht die Stelle verfehlen, dahin ein jeder Begriff eigentümlich gehört, und zugleich diejenige leicht bemerken, die noch leer ist." (B 145, ähnlich in den "Prolegomena", Bd. IV, S. 318) In vergleichbarem Sinne sagt Kant in der "Systematischen Vorstellung aller Grundsätze": "Da ich mein kritisches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der synthetischen Erkenntnis a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will, die bloß die Erläuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe angehen, so überlasse ich die umständliche Erörterung derselben einem künftigen System der reinen Vernunft: wiewohl man eine solche Analysis im reichen Maße, auch schon in den bisher bekannten Lehrbüchern dieser Art, antrifft." (B 249/A 204) Auf welche Probleme der Versuch einer solchen Definition stoßen muß, zeigt sich im Paragraphen 21 der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", in dem Kant resümierend auf die Notwendigkeit der Annahme von Gegebenheiten für die

Zum Problem der Erklärung

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Anschauung verweist, deren Art und Heise unbestimmt bleiben muß. Der Paragraph schließt: "Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption a priori zu Stande zu bringen, läßt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine andere Funktionen zu Urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind." (B 145 f., ähnlich in den "Prolegomena", Bd. IV, S. 318) Was für die geforderte begriffliche Deutlichkeit übrig bleibt, sind Erklärungen zu den Kategorien, die diesen Begriffen unterschiedliche Bestimmungen zuordnen. So im Paragraphen 14, dem "Ubergang zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien" : "Vorher will ich nur noch die E r k l ä r u n g der K a t e g o r i e n voranschicken. Sie sind Begriffe von einem Gegenstande Uberhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n zu Urteilen als b e s t i m m t angesehen wird." (B 128 und Bd. IV, S. 302) Diese einzige ausdrücklich "Erklärung" genannte Bemerkung Kants zu den Kategorien betont die Funktion, die die Kategorien bei der Gegenstandserkenntnis haben, und zwar sind sie Bestimmungen für die Anschauung. Diese Bestimmungen orientieren sich an den logischen Funktionen. Die Doppelbeziehung zur Anschauung und zur logischen Funktion wird von Kant auch im Paragraphen 10 in bezug auf die Kategorien hervorgehoben: "Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in e i n e m U r t e i l e Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer A n s c h a u u n g Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt." (B 104 f./A 79) Auf einen anderen funktionellen Aspekt verweist Kant am Ende des Paragraphen 26: "... so sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, und gelten also a priori auch von allen Gegenständen der Erfahrung." (B 161) Ebenso schreibt er in der ersten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", in derselben, die erfahrungsbegründende Funktion der Kategorien betonenden Intention: "Ein Begriff, der diese formale und ob-

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Erklärung der Kategorien

jektive Bedingung der Erfahrung allgemein und zureichend ausdrückt, würde ein reiner Verstandesbegriff heißen." (A 96) Bei solchen funktionellen Bezügen können für die Erklärung der Kategorien bestimmte thematische Schwerpunkte unterschieden werden. Dazu gehört die Betonung der Abhängigkeit der Erkenntnis von dem durch die Anschauung Gegebenen: "Da sie also (als bloß reine Kategorien) nicht von empirischem Gebrauche sein sollen, und von transzendentalem nicht sein können, so sind sie von gar keinem Gebrauche, wenn man sie von aller Sinnlichkeit absondert, d. i. sie können auf gar keinen angeblichen Gegenstand angewandt werden; vielmehr sind sie bloß die reine Form des Verstandesgebrauchs in Ansehung der Gegenstände überhaupt und des Denkens, ohne doch durch sie allein irgend ein Objekt denken oder bestimmen zu können." (B 305/A 248) Daß durch die reinen Kategorien keine Gegenstandserkenntnis im theoretischen Bereich stattfindet, sagt Kant kurz zuvor noch deutlicher: "Durch eine reine Kategorie nun, in welcher von aller Bedingung der sinnlichen Anschauung als der einzigen, die uns möglich ist, abstrahiert wird, wird also kein Objekt bestimmt, sondern nur das Denken eines Objekts überhaupt, nach verschiedenen modis, ausgedrückt." (B 304/A 247) Auch in den "Prolegomena" wird dieser Aspekt hervorgehoben. "Daher haben auch die reine Verstandesbegriffe ganz und gar keine Bedeutung, wenn sie von Gegenständen der Erfahrung abgehen und auf Dinge an sich selbst (noumena) bezogen werden wollen. Sie dienen gleichsam nur, Erscheinungen zu buchstabiren, um sie als Erfahrung lesen zu können ..." (Bd. IV, S. 312) Auf einen anderen Weg der Erklärung führt eine Überlegung Kants in der ersten Fassung der "Kritik der reinen Vernunft", in dem Abschnitt Uber "Phaenomena und Noumena", worin Kant analysiert, warum die reinen Kategorien sich der Erklärung entziehen, obwohl sie die grundlegenden Begriffe der Kantischen Philosophie bilden. "Es hat etwas Befremdliches und so gar Widersinniges an sich, daß ein Begriff sein soll, dem doch eine Bedeutung zukommen muß, der aber keiner Erklärung fähig wäre. Allein hier hat es mit den Kategorien diese besonders Bewandtnis, daß sie nur vermittelst der allgemeinen s i n n -

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l i e h e n B e d i n g u n g eine bestimmte Bedeutung und Beziehung auf irgend einen Gegenstand haben können, diese Bedingung aber aus der reinen Kategorie weggelassen worden, da diese denn nichts, als die logische Funktion enthalten kann, das Mannigfaltige unter einen Begriff zu bringen." (A 244 f.) In den "Prolegomena" gibt Kant diesem paradoxen Sachverhalt deutlich Ausdruck, indem er die Tafel der Kategorien mit der Grammatik einer Sprache vergleicht: "Aus dem gemeinen Erkenntnisse die Begriffe heraussuchen, welche gar keine besondere Erfahrung zum Grunde liegen haben und gleiwohl in aller Erfahrungserkenntniß vorkommen, von der sie gleichsam die bloBe Form der Verknüpfung ausmachen, setzte kein größeres Nachdenken oder mehr Einsicht voraus, als aus einer Sprache Regeln des wirklichen Gebrauchs der Wörter Uberhaupt heraussuchen und so Elemente zu einer Grammatik zusammentragen (in der That sind beide Untersuchungen einander auch sehr nahe verwandt), ohne doch eben Grund angeben zu können, warum eine jede Sprache gerade diese und keine andere formale Beschaffenheit habe, noch weniger aber, daß gerade so viel, nicht mehr noch weniger, solcher formalen Bestimmungen derselben überhaupt angetroffen werden können." (Bd. IV, S. 322 f.) Dieser Vergleich mit der Grammatik erschließt (wie schon in der Einleitung erörtert) die Möglichkeit einer anderen funktionellen Erklärung der Kategorien auf Grund der in ihnen enthaltenen systembildenden Kraft. Zu dieser systematischen Funktion führt auch Kants Charakteristik der Kategorientafel, im Paragraphen 10 der "Kritik der reinen Vernunft", als einer "systematischen Topik" (B 108/ A 82), ebenso die Ausführungen im Paragraphen 11, der damit einsetzt, daß sich über die Tafel der Kategorien "artige Betrachtungen" anstellen lassen, die in Ansehung "der wissenschaftlichen Form aller Vernunfterkenntnis" große Bedeutung haben könnten: "Denn daß diese T a f e l im theoretischen Teile der Philosophie ungemein dienlich, ja unentbehrlich sei, den P l a n zum G a n z e n e i n e r W i s s e n s c h a f t , so fern sie auf Begriffen a priori beruht, vollständig zu entwerfen, und sie mathematisch n a c h

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Erklärung der Kategorien

b e s t i m m t e n P r i n z i p i e n a b z u t e i len; erhellet schon von selbst daraus, daB gedachte Tafel alle Elementarbegriffe des Verstandes vollständig, ja selbst die Form eines Systems derselben im menschlichen Verstände enthält, folglich auf alle M o m e n t e einer vorhabenden spekulativen Wissenschaft, ja so gar ihre O r d n u n g , Anweisung gibt, wie ich denn auch davon anderwärts eine Probe gegeben habe." (B 109) Kant verweist auf dieselbe systematische Funktion auch in den "Prolegomena", wenn er, bezogen auf die Frage nach der Möglichkeit von Naturwissenschaft, die Urteilstafel und die Kategorientafel in einen systembegründenden Zusammenhang stellt: "Denn das Systematische, was zur Form einer Wissenschaft erfordert wird, ist hier vollkommen anzutreffen, weil über die genannte formale Bedingungen aller Urtheile überhaupt, mithin aller Regeln Uberhaupt, die die Logik darbietet, keine mehr möglich sind, und diese ein logisches System, die darauf gegründeten Begriffe aber, welche die Bedingungen a priori zu allen synthetischen und nothwendigen Urtheilen enthalten, eben darum ein transscendentales, endlich die Grundsätze, vermittelst deren alle Erscheinungen unter diese Begriffe subsumiert werden, ein physiologisches, d. i. ein Natursystem ausmachen, welches vor aller empirischen Naturerkenntniß vorhergeht, diese zuerst möglich macht und daher die eigentliche allgemeine und reine Naturwissenschaft genannt werden kann." (Bd. IV, S. 306) Nicht nur mit Bezug auf "Form von Wissenschaft", sondern auch auf einzelne philosophische Prinzipien, hat Kant darauf hingewiesen, wie einfach mit Hilfe der Tafel der Kategorien die Einordnung der Prinzipien in einen systematischen Zusammenhang sei. In der "Kritik der reinen Vernunft", in dem Abschnitt "Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt" heißt es: "Diese vier Sätze (in mundo non datur hiatus, non datur saltus, non datur casus, non datur fatum,) könnten wir leicht, so wie alle Grundsätze transzendentalen Ursprungs, nach ihrer Ordnung, gemäß der Ordnung der Kategorien vorstellig machen, und jedem seine Stelle beweisen, allein der schon geübte Leser wird dieses von selbst tun, oder den Leitfaden

Zum Problem der Erklärung

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dazu leicht entdecken." (B 282/ A 229) In den "Prolegomena" betont Kant ebenso den "Leitfaden", den die Kategorientafel 2

für jede "metaphysische Betrachtung" abgibt. Für den Leser der "Kritik der reinen Vernunft" ist diese Aufgabe trotz die— ser Hinweise kompliziert, weil die Erklärungen, die Kant zu den Kategorien liefert, keinen Aufschluß geben über die Technik ihrer Anwendung. Daher wäre auch der Nachweis, "daB ein vollständiges Wörterbuch mit allen dazu erforderlichen Erklärungen nicht allein möglich, sondern auch leicht sei zu Stande zu bringen" und die philosophischen Begriffe in die von Kant zur Verfügung gestellten "Fächer" passen, mit beträchtlichen Schwierigkeiten belastet. (Vgl. Β 109/A 83) In den, zwischen den beiden Auflagen der "Kritik der reinen Vernunft" erschienenen, "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft", hat Kant die topische Funktion der Kategorientafel vorgeführt, indem er sie zur systematischen Einteilung der naturphilosophischen Thematik benutzt. In einer umfangreichen Anmerkung zur Charakteristik der Tafel der Kategorien als eines "Schemas ... zur Vollständigkeit eines metaphysischen Systems es sei der Natur überhaupt, oder der körperlichen Natur insbesondere" in der Vorrede des Werkes, verweist Kant auf die metaphysische Deduktion und die transzendentale Deduktion der Kategorien. Die Kategorien, hergeleitet als "bloBe Formen der Urtheile ..., so fern sie auf Anschauungen (die bei uns immer sinnlich sind) angewandt werden", gelten hier als "das ganze System der eigentlichen Kritik" basierende Begriffe. (Bd. IV, S. 474 Anm.) Diese Bedeutung aber ist die Voraussetzung für ihre systematische Funktion ih den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft", in denen, durch die Bestimmung des Grundbegriffs der Bewegung durch die vier

2 "Dieses System der Kategorien macht nun alle Behandlung eines jeden Gegenstandes der reinen Vernunft selbst wiederum systematisch und giebt eine ungezweifelte Anweisung oder Leitfaden ab, wie und durch welche Funkte der Untersuchung jede metaphysische Betrachtung, wenn sie vollständig werden soll, müsse geführt werden: denn es erschöpft alle Momente des Verstandes, unter welche jeder andere Begriff gebracht werden muß." (Bd. IV, S. 325)

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Erklärung der Kategorien

Positionen der Kategorientafel, die Aufteilung der gesamten naturphilosophischen Problematik in Phoronomie, Dynamik, Mechanik und Phaenomenologie erfolgt. Die Kategorientafel garantiert damit die systematische Einheit der Theorie. (Bd. IV, S. 476 f.) Für die Erklärung der Kategorien des reinen Verstandes zeigt sich als Ergebnis der oben angeführten Stellen aus der "Kritik der reinen Vernunft" und der von Jäsche bearbeiteten "Logik" zu den verschiedenen Möglichkeiten der Begriffsverdeutlichung, daß zur Erklärung der Kategorien keine Definition von Kant aufgestellt werden kann. Übrig bleiben die notwendigerweise unpräzisen Erklärungen der Kategorien, abhängig vom jeweiligen thematischen Zusammenhang, in dem sie stehen. Diese Eigentümlichkeit der Kategorien führt zu der These, daß ihre umfassende Erklärung im Gebrauch in der gesamten "Kritik der reinen Vernunft" besteht. Gestützt wird diese These durch die Angaben Kants zur systematischen Funktion der Kategorien. Wenn, wie Kant es an diesen Stellen fordert, die Kategorien als systematische Grundregeln für Kants philosophische Theorie und philosophische Kritik interpretiert werden, können "Transzendentale Analytik" und "Transzendentale Dialektik" als konstitutive und kritische Teile einer philosophischen Theorie angesehen werden, die mit Hilfe der Kategorien gebildet ist und deren innere, logische Konsequenz am Leitfaden des Nachvollzugs der Kantischen kategorialen Operationen verständlich wird. Die Erklärung der Kategorien als systematische Elemente Kantischer philosophischer Theorie erschließt sich durch die Analyse des Gebrauchs, den Kant von den Kategorien im gesamten Text der "Kritik der reinen Vernunft" macht. Die im dritten Teil dieser Arbeit folgenden Erörterungen analysieren am Beispiel der ersten und der zweiten Relationskategorie die strukturelle Verbundenheit von Kategorie und philosophischer Thematik. Die anderen, von Kant selbst ausdrücklich gegebenen Erklärungen, stehen im Zusammenhang der Erfahrungskonstitution und in der Beziehung der Kategorien zu den Urteilsformen. Diese Erklärungen und die aus ihnen zu entnehmenden Aufschlüsse Uber Kants Konzeption der Kategorienlehre, sollen zusammen mit einer all-

Restriktion der Kategorien

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gemeinen Beschreibung der Stellung der Kategorientafel in der "Kritik der reinen Vernunft" in den nun folgenden Abschnitten dieser Arbeit dargestellt werden.

2.2 Die Restriktion der Kategorien Ein groBer Teil der Kantischen Aussagen Uber die Kategorien bezieht sich auf ihre Funktion als konstitutive Elemente des Erfahrungsgebrauchs. Der Bezug zur Erfahrungswirklichkeit bietet reichhaltige erklärende Attribute und hat für die Verankerung der Theorie selbst in der Erfahrungskonstitution groBe Bedeutung. Heidemann hat in ihrer Abhandlung über "Die Funktion des Beispiels in der kritischen Philosophie" gezeigt, daß Beispiele bei Kant, im Zusammenhang der Demonstration, "das notwendige Korrelat allgemeiner Begriffe und Sätze" sind und "das Entscheidungskriterium für die Frage, ob ein Gedanke 'leer' ist, ob er Etwas oder Nichts meint, ob ihm objektive Realität zukommt."'' Dieser Sachverhalt gilt nach Heidemanns Interpretation auch für die Kategorien. "Das inhaltliche Verständnis und der Nachweis ihrer Gültigkeit sind daran gebunden, daB Beispiele in bezug auf die äuBere Anschauung und Er4

fahrung vorgelegt werden können." Aus diesem Grund hat der Bezug der Kategorien auf das sinnlich Gegebene für ihre Erklärung besondere Relevanz. Durch Anwendung im Erfahrungsbereich ergibt sich nach Heidemann "eine Begründungsverkettung von der Kategorie bzw. dem Schema bis zum Beispiel", wobei gezeigt wird, "was der ursprüngliche Verstandesbegriff bedeutet und wie er anzuwenden ist".^ Sie erinnert an die Anmerkung in Kants Handexemplar der "Kritik der reinen Vernunft" zur Realdefinition, wo "erklären" ergänzt wird durch "etwas durch ein

3 Ingeborg Heidemann, Die Funktion dee Beispiels in der kritischen Philosophie, in: Kritik und Metaphysik, Festschrift für Heinz Heimsoeth, Hrsg. Friedrich Kaulbach und Joachim Ritter, Berlin 1966. S. 21 - 39. Siehe S. 25. 4 Ebd. 5 Ebd.

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Erklärung der Kategorien

B e i s p i e l b e l e g e n " . ® So wird auf dem Umweg Uber die Anwendung in der Erfahrung eine Realdefinition der einzelnen Kategorien möglich, wie es Kant selbst resümierend im "Ideal der reinen Vernunft" festellt: "Wir haben oben gesehen, daß durch reine V e r s t a n d e s b e g r i f f e , ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit, gar keine Gegenstände können vorgestellet werden, weil die Bedingungen der objektiven Realität derselben fehlen, und nichts, als die bloBe Form des Denkens, in ihnen angetroffen wird. Gleichwohl können sie in concreto dargestellet werden, wenn man sie auf Erscheinungen anwendet ..." (B 595/A 567) Auch der Begriff "Kategorie" selbst wird durch den Bezug zur Erfahrung erläutert. So wie die Schemata und die Grundsätze die Exposition der einzelnen Kategorien, bezogen auf den Erfahrungsbereich, bedeuten, wird diese Art der Exposition für den methodischen Begriff "Kategorie" überhaupt in der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" durchgeführt. Dieses Teilstück der "Kritik der reinen Vernunft" ist durch seine Konstitutionsleistung für die Erfahrungserkenntnis von besonderem Interesse, und Kants Unternehmung, das Kapitel für die zweite Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" vollkommen zu Uberarbeiten, erklärt sich aus den Problemen, die das Mißverständnis dieser Deduktion für den transzendentalen Idealismus mit sich bringt. Ohne das gesamte Kapitel zu kommentieren, sollen hier einige der typischen, auf die Erfahrungskonstitution bezogenen Erklärungen zu den Kategorien vorgestellt werden. Dabei können zwei Argumentationsstufen unterschieden werden, die den Kategorien verschiedene Bedeutungsweite zusprechen. Den Ausgangspunkt bildet die zweite Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", weil sie als die Ausgabe angesehen werden kann, die der Intention Kants zuletzt entsprach. Die erste Auflage wird nur zum Vergleich herangezogen. Eine Diskussion der verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkte desselben Kapitels in den zwei Auflagen ist nicht beabsichtigt.

6 A 242 Aran, und Heidemann, Die Funktion des Beispiels

S. 26.

Restriktion der Kategorien

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Im Abschnitt 2.1 des Kapitels über die Erklärungen der Kategorien in der "Kritik der reinen Vernunft", wurde die einzige von Kant als "Erklärung" bezeichnete Erläuterung zu den Kategorien bereits genannt. Sie steht im Paragraphen 14, dem "Ubergang zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien", und bestimmt die Kategorien als "Begriffe von einem Gegenstande überhaupt", insofern "dessen Anschauung" hinsichtlich "einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n zu Urteilen" bestimmt wird. (B 128) Diese Erklärung betont den Anteil, den die Kategorien bei der Objektivierung einer Anschauung haben, die als Gegenstand bestimmt wird, mit Hilfe der logischen Funktionen. Denselben Zusammenhang akzentuiert der Paragraph 20. Allerdings wird hier die Einheit der Apperzeption mit in den Beweisgang aufgenommen. Danach ist objektiv gültiges Urteilen und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter eine Apperzeption Bringen dieselbe Handlung des Verstandes. (Vgl. dazu auch § 19) Da die Kategorien aber die logischen Funktionen sind, die das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung zur Einheit bringen, "steht auch das Mannigfaltige in einer gegebenen Anschauung notwendig unter Kategorien". (B 143) Diese doppelte Relation, zum Mannigfaltigen der sinnlichen Vorstellung und zu den logischen Funktionen zu Urteilen, bestimmt die objektivierende Tätigkeit der Kategorien. Durch die Kategorie wird das Mannigfaltige einer Anschauung "als zur notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt", weil sie anzeigt, "daß das empirische Bewußtsein eines gegebenen Mannigfaltigen Einer Anschauung eben sowohl unter einem reinen Selbstbewußtsein a priori, wie empirische Anschauung unter einer reinen sinnlichen, die gleichfalls a priori Statt hat, stehe" (B 144) Kant merkt dazu an, der Beweisgrund beruhe "auf der vorgestellten " E i n h e i t der A n s c h a u u n g , dadurch ein Gegenstand gegeben wird, welche jederzeit eine Synthesis des mannigfaltigen zu einer Anschauung Gegebenen in sich schließt, und schon die Beziehung dieses letzteren auf Einheit der Apperzeption enthält". (B 144 Anm.) Erkenntnis von Gegenständen besteht für Kant in der Verbindung von Anschauung

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Erklärung der Kategorien

und logischer Funktion. Da diese Verbindung die Kategorien hervorbringen, sind sie dadurch gleichzeitig eingeschränkt auf diesen objektivierenden Gebrauch. Sie sind angewiesen auf Gegebenes und sind "nur Regeln für einen Verstand, dessen ganzes Vermögen im Denken besteht, d. i. in der Handlung, die Synthesis des Mannigfaltigen, welches ihm anderweitig in der Anschauung gegeben worden, zur Einheit der Apperzeption zu bringen". (B 145) Von daher gibt es auch für Kant keine Möglichkeit, den Kategorien noch weitere Erklärungsgründe zu eröffnen: "Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption a priori zu Stande zu bringen, läßt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine andere Funktionen zu Urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind." (B 145 f.) Die Fähigkeiten des Denkens und Erkennens werden so durch den Erkenntnisbezug auf die Sinnlichkeit scharf voneinander geschieden, gleichzeitig aber wird dadurch auf den doppelten Anwendungsbereich der Kategorien hingewiesen. In der "Transzendentalen Deduktion" werden die Grenzen, die dem Verstand durch die Sinnlichkeit gesetzt werden, betont. Das hat seinen Grund in dem wissenschaftskritischen Charakter des gesamten Werkes, der sich erst in der "Transzendentalen Dialektik" in seiner ganzen Schärfe zeigt. Die "Transzendentale Analytik" bereitet dies nur vor. Es ist in diesem Zusammenhang, daß die Kategorien "leere Begriffe" genannt werden, oder auch "bloße G e d a n k e n f o r m e n " , denen ohne Bezug auf die sinnliche Anschauung keine objektive Realität zukommt. (Vgl. Β 148 und Β 150) Die Bestimmung der Kategorien als Regeln des Verstandes, die erst ein Objekt möglich machen, wird nun in der "Transzendentalen Deduktion" - immer im Bereich der Erfahrungsbegründung erweitert. Während sie bisher den einzelnen Gegenstand ermöglichten, zeigt sie Kant im Paragraphen 26 als Regeln, die die Natur selbst möglich machen, indem sie ihr das Gesetz vorschreiben. Die Synthesis der Apprehension muß den Formen der

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äußeren und inneren Anschauungen entsprechen. Raum und Zeit sind diese Formen, aber gleichzeitig selbst Anschauungen, enthalten also bereits Einheit des Mannigfaltigen a priori. Als Bedingung der Synthesis der Apprehension ist also bereits Einheit in den Anschauungen enthalten. "Diese synthetische Einheit aber kann keine andere sein, als die der Verbindung des Mannigfaltigen einer gegebenen A n s c h a u u n g ü b e r h a u p t in einem ursprünglichen Bewußtsein, den Kategorien gemäß, nur auf unsere s i n n l i c h e A n s c h a u u n g angewandt. Folglich steht alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien, und, da Erfahrung Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen ist, so sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, und gelten also a priori auch von allen Gegenständen der Erfahrung." (B 161)

Diese Bestimmung geht den Schritt von der Kategorie als einem "Begriffe von einem Gegenstand überhaupt" (B 128) zu den Kategorien als Begriffen, "welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriffe aller Erscheinungen (natura materialiter spectata), Gesetze a priori vorschreiben" (B 163). Die erste Erklärung der Kategorien könnte dabei "erkenntnistheoretische Erklärung" genannt werden, während die zweite eine "transzendentale Erklärung" in dem Sinne darstellt, wie es Kant in seinem "Kurzen Begriff dieser Deduktion" meint, wenn er sagt, daß die "Transzendentale Deduktion" die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung sei, wodurch alle mögliche theoretische Erkenntnis a priori überhaupt gewährleistet werde (vgl. Β 168 f.). Durch den Bezug zur theoretischen Erkenntnis überhaupt wird erst die allgemeine und absolute Gültigkeit der Kategorien im Erfahrungsbereich hergestellt. Damit, daß sie die Natur selbst möglich machen, sind die Kategorien reine apriorische Begriffe, die nicht von der Empirie abgeleitet werden können. Auch in der ersten Auflage läßt sich diese Denkbewegung, von der Objektivierung des einzelnen Gegenstandes bis zur Ermöglichung der Naturerscheinungen und ihrer Erfahrung, fest-

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Erklärung der Kategorien

stellen. So wird, zu Beginn der Deduktion in Ά, als Ziel des Beweises der Nachweis verlangt, "daß vermittelst ihrer (der Kategorien, Aran. d. Verf.) allein ein Gegenstand gedacht werden kann" (A 97). Am Ende liegt die Betonung auf Erfahrung überhaupt: "der reine Verstand ist also in den Kategorien das Gesetz der synthetischen Einheit aller Erscheinungen und macht dadurch Erfahrung ihrer Form nach allererst und ursprünglich möglich." (A 128) Aber nicht nur die "Transzendentale Deduktion", sondern auch die folgenden Kapitel der "Analytik der Grundsätze" beziehen sich auf den erfahrungskonstituierenden Gebrauch der Kategorien. In dem Kapitel "Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena" faßt Kant am Ende dieses zweiten Teils der "Transzendentalen Analytik" seine grundlegende philosophische Oberzeugung zusammen: Dem menschlichen Erfahrungsgebrauch und seiner Erkenntnisfähigkeit sind Grenzen gesetzt, die durch die Bedingungen der Sinnlichkeit markiert werden. Auch die Verständlichkeit der Kategorien und der Grundsätze ist daran gebunden, denn wir können keine Kategorie " r e a l definieren, d. i. die Möglichkeit ihres Objekts verständlich machen ..., ohne uns so fort zu Bedingungen der Sinnlichkeit, mithin der Form der Erscheinungen, herabzulassen, als auf welche, als ihre einzige Gegegenstände, sie folglich eingeschränkt sein müssen, weil, wenn man diese Bedingung wegnimmt, alle Bedeutung, d. i. Beziehung aufs Objekt, wegfällt, und man durch kein Beispiel sich selbst faßlich machen kann, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein Ding gemeint sei" (B 300/A 240 f.). Zuvor bei der "Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze" hebt Kant die "Merkwürdigkeit" hervor, "daß wir, um die Möglichkeit der Dinge, zu Folge der Kategorien, zu verstehen, und also die o b j e k t i v e Real i t ä t der letzteren darzutun, nicht bloß Anschauungen, sondern sogar immer ä u ß e r e A n s c h a u u n g e n bedürfen" (B 291) . Dieses Problem der Nicht-Darstellbarkeit der reinen Kategorie durchzieht das ganze Kapitel über "Phaenomena und Noumena": "Mit einem Worte, alle diese Begriffe

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lassen sich durch nichts b e l e g e n , und dadurch ihre r e a l e Möglichkeit dartun, wenn alle sinnliche Anschauung (die einzige, die wir haben,) weggenommen wird, und es bleibt denn nur noch die l o g i s c h e Möglichkeit übrig, d. i. daß der Begriff (Gedanke) möglich sei, wovon aber nicht die Rede ist, sondern ob er sich auf ein Objekt beziehe, und also irgend etwas bedeute." (B 302 Anm.) "Bedeutung" ist also gebunden an die sinnliche Beziehung zum Objekt, und "Bedeutung geben" wird im selben Sinne gebraucht wie "real definieren". Was für die reine Kategorie übrig bleibt, ist nur ein logischer Gebrauch, der im Zusammenhang der Erfahrungserkenntnis in seiner Bedeutung geradezu heruntergespielt wird. "Durch die reine Kategorie nun, in welcher von aller Bedingung der sinnlichen Anschauung, als der einzigen, die uns möglich ist, abstrahiert wird, wird also kein Objekt bestimmt, sondern nur das Denken eines Objekts überhaupt, nach verschiedenen modis, ausgedrückt." (B 304/A 247) Weil zu diesem Denken Anschauung sich hinzugesellen muB, damit Erkenntnis entsteht, können die Kategorien allein nur die logische Möglichkeit eines Begriffs gewährleisten und das reicht zur Erkenntnis nicht aus: "Nun kann aber die Möglichkeit eines Dinges niemals bloB aus dem Nichtwidersprechen eines Begriffs desselben, sondern nur dadurch, daß man diesen durch eine ihm korrespondierende Anschauung belegt, bewiesen werden. Wenn wir also die Kategorien auf Gegenstände, die nicht als Erscheinungen betrachtet werden, anwenden wollten, so müßten wir eine andere Anschauung, als die sinnliche, zum Grunde legen, und als denn wäre der Gegenstand ein Noumenon in p o s i t i v e r B e d e u t u n g . " (B 308) Dieser Begriff eines Noumenon - "eines Dinges, welches gar nicht als Gegenstand der Sinne, sondern als ein Ding an sich selbst, (lediglich durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll" (B 310/A 254) - gilt daher nur in problematischer Hinsicht, als Begriff, der keinen Widerspruch enthält, "dessen objektive Realität aber auf keine Weise erkannt werden kann" (ebd.). Wie Kant allerdings einräumt, erhält unser Verstand durch die Noumena eine negative Erweiterung. "Unser Verstand bekommt nun auf diese Weise eine negative

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Erklärung der Kategorien

Erweiterung, d. i. er wird nicht durch die Sinnlichkeit eingeschränkt, sondern schränkt vielmehr dieselbe ein, dadurch, daß er Dinge an sich selbst (nicht als Erscheinungen betrachtet) Noumena nennt. Aber er setzt sich auch so fort selbst Grenzen, sie durch keine Kategorien zu erkennen, mithin sie nur unter dem Namen eines unbekannten Etwas zu denken." (B 312/A 256). Da der Verstand keine Noumena erkennen kann, ist der "transzendentale Gebrauch" des Verstandes und damit der Kategorien zurückgewiesen. Die "transzendentale Bedeutung" allerdings, wie Kant fein differenziert, kommt den reinen Kategorien, ohne die formalen Bedingungen der Sinnlichkeit, dennoch zu. (B 305/ A 248) Diese "transzendentale Bedeutung" kann keine andere sein, als die, die Kant den Kategorien schon in der "Transzendentalen Deduktion", abgesehen von ihrer erfahrungsbegründenden Funktion, ausdrücklich gelassen hat, nämlich "daß die Kategorien im D e n k e n durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben" (B 160 Anm.). Dieses unbegrenzte Feld im Denken ist sozusagen die noumenale Basis, ohne die das Auftreten der Kategorien in allen Denkbereichen des kritischen Werkes garnicht möglich wäre. Wären die Kategorien nur Grundbestimmungen für die Erfahrungserkenntnis und nicht auch wissenschaftstheoretische Denkregeln, könnten sie nicht im Ordnungszusammenhang ihrer Tafel die ihnen immanente systematische Funktion in allen Themenbereichen des kritischen Werkes zur Geltung bringen.

2.3 Beschreibung der Kategorientafel Für das Verständnis der systematischen Bedeutung der Kategorien und ihrer Tafel ist das Wissen um die Gestalt der Tafel und ihre Stellung in der "Kritik der reinen Vernunft" wichtig. Kant hat die Form der Tafel hoch eingeschätzt und sie an anderer Stelle in der "Kritik der reinen Vernunft" und auch in an-

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deren Werken gebraucht.' Sie ist für ihn Repräsentant einer systematischen Ordnung, die dem Denken überhaupt zukommt. Die Stellung der Tafel, anschließend an die "Transzendentale Ästhetik", im "Ersten Hauptstück" der "Analytik der Begriffe", symbolisiert die Funktion der Kategorien bei der Erfahrungskonstitution, aber auch ihre Bedeutung als grundlegende Begriffe, kraft deren ihre Darstellung der Erörterung über die transzendentale Funktion des Denkens vorgelagert sein muß. Die "Kritik der reinen Vernunft" gliedert sich, abgesehen von Vorrede und Einleitung, in zwei Teile: die "Transzendentale Elementarlehre" und die "Transzendentale Methodenlehre". Die Abschnitte der "Kritik der reinen Vernunft", die bei den Kantinterpreten am meisten Beachtung gefunden haben, sind die "Transzendentale Ästhetik" und die erste Abteilung der "Tranp szendentalen Logik", die Transzendentale Analytik" . Diese Kapitel aus dem ersten Teil der "Transzendentalen Elementarlehre" enthalten, obwohl sie nicht einmal die Hälfte des Textes der "Kritik der reinen Vernunft" ausmachen, deren konstitutive Teile, die auch für die anderen Schriften Kants die transzendentalphilosophische Grundlegung ausmachen. Die Tafel der Kategorien befindet sich im Paragraphen 10, also im "Ersten Hauptstück" der "Analytik der Begriffe". Ihre Darstellung folgt auf die der Tafel der "Funktionen des Denkens im Urteil" im Paragraphen 9, der Kant zum "Leitfaden" für die Aufstellung der Kategorientafel dient. Da die "Analytik der Begriffe" nach Kant keine "Analysis" dieser Begriffe leisten soll, sondern eine " Z e r g l i e d e r u n g des V e r s t a n d e s v e r m ö g e n s s e l b s t " (B 90/ A 65), ist es einsichtig, daß Kant sowohl in der - wie er sie an späterer Stelle nennt (§ 26) - "metaphysischen Deduktion" wie in der "transzendentalen Deduktion" keine detaillierte Begründung der einzelnen kategorialen Positionen liefert. Sie werden in Paragraph 9 nur "metaphysisch" von den logischen

7 Siehe S. 86 f. 8 Hie aus dem Literaturteil hervorgeht gibt es Ausnahmen, wobei vor allem Helmsoeth und Wundt zu nennen sind.

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Grundfunktionen des Denkens her erklärt und nicht im einzelnen von ihrer transzendentalphilosophischen Konstitutionsleistung her eingeführt. Die metaphysische Deduktion soll nach Kant die Begründung des "Rechtsanspruchs" (B 116/A 84) der Kategorien leisten, indem sie den "Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens" dartut (B 159). Die transzendentale Deduktion beweist den Rechtsanspruch, indem sie zeigt, "wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können" (B 117/A 85). Die Leitfadenidee von der Entdeckung der reinen Verstandesbegriffe zu Beginn der "Transzendentalen Analytik" erreicht deshalb ihren höchsten Punkt in der Feststellung: "Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann" (B 94/A 69). Diese Herleitung transzendentaler Grundbegriffe aus den logischen Formen wirft die von verschiedenen Kantinterpreten diskutierte Frage auf, ob die in ihrem Zusammenhang analytisch ableitbaren logischen Formen die Grundlage für die Grundbegriffe des syn9 thetischen Denkens sein können. Auch in den "Prolegomena" verweist Kant auf die Leitfadenfunktion der Urteilstafel. Kant spricht in dem Abschnitt von der Beantwortung der Frage: "Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?", in dem die "Logische Tafel der Urtheile", die "Transscendentale Tafel der Verstandesbegriffe" und die "Reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der Naturwissenschaft" vorgestellt werden, von der Parallelität zwischen gegebenen Urteilsformen und reinen Verstandesbegriffen: "Um nun also die Möglichkeit der Erfahrung, so fern sie auf reinen Verstandesbegriffen a priori beruht, darzulegen, müssen wir zuvor das, was zum Urtheilen überhaupt gehört, und die verschiedene Momente des Verstandes in denselben in einer vollständigen Tafel vorstellen; denn die reinen Verstandesbegriffe, die nichts weiter sind als Begriffe von Anschauungen überhaupt,

9 Siehe Abschnitt 2.4 über die "metaphysische Deduktion".

Beschreibung der Kategorientafel

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so fern diese in Ansehung eines oder des andern dieser Momente zu Urtheilen an sich selbst, mithin nothwendig und allgemeingültig bestimmt sind, werden ihnen ganz genau parallel ausfallen." (Bd. IV, S. 302) Die "Logische Tafel der Urtheile" unterscheidet sich nicht von der entsprechenden Tafel in der "Kritik der reinen Vernunft", während die "Transscendentale Tafel der Verstandesbegriffe" charakteristische Abweichungen zeigt. Sie erklären sich dadurch, daß in den "Prolegomena" die Tafel der Verstandesbegriffe die Formulierung der Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit von Naturwissenschaft, also positiver Wissenschaft, ermöglicht, während die Kategorientafel in der "Kritik der reinen Vernunft" als "metaphysische Tafel" HissenschaftsbegrUndung in einem viel weiteren Sinne leistet. Der Ort der Kategorientafel in der "Kritik der reinen Vernunft" liegt zwischen der Darstellung der logischen Tafel der Urteile, die den Leitfaden liefert, und der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. Die Tafel erscheint in gleicher Form und am selben Ort in der ersten und der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft". Die Kategoriengruppen sind numeriert und so angeordnet, daß sich die erste und vierte Gruppe und ebenso die zweite und dritte Gruppe gegenüberstehen. Kant nennt diese Gruppen im Paragraphen 11 "vier Klassen von Verstandesbegriffen". Er merkt an, "daß allerwärts eine gleiche Zahl der Kategorien jeder Klasse, nämlich drei sind, welches eben sowohl zum Nachdenken auffordert, da sonst alle Einteilung a priori durch Begriffe Dichotomie sein muß" (B 110). Carl Ludwig Michelet hat diese Besonderheit in seinem Geschichtswerk hervorgehoben: "Unstreitig bleibt aber der wichtigste Vorzug der Kantischen Tafel vor der Aristotelischen immer ihre trichotomische Eintheilung. Durch die Wiedereinführung dieser seit Proklus vergessenen Form, gewiß das größte und bleibendste Verdienst Kants, hat er den Anstoß zum Aufstellen der wahrhaften Methode der Philosophie im absoluten Idealismus gegeben, welcher, wie wir sehen werden, die Wahr-

10 Heideniann, Die Kategorientafel als systematische Topik, S. 59.

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Erklärung der Kategorien

heit als die Identität zweier einseitigen Richtungen, und als den dritten die zwei ersten versöhnenden Begriff ausspricht."11 Kant merkt zu dieser Dreierordnung in der zweiten Auflage an, "daß die dritte Kategorie allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt" (B 110), daß aber dieser dritte Begriff nicht abgeleitet sei, sondern einen eigenen "Actus des Verstandes" (B 111) erfordere, der sich von denen der ersten und zweiten Kategorie unterscheide. Ebenfalls erst in der zweiten Auflage hat Kant die Bemerkung hinzugefügt, daß die vier Klassen der Kategorien in zwei Abteilungen zerfallen, "deren erstere auf Gegenstände der Anschauung (der reinen sowohl als empirischen), die zweite aber auf die Existenz dieser Gegenstände (entweder in Beziehung auf einander oder auf den Verstand) gerichtet sind. Die erste Klasse würde ich die der m a t h e m a t i s c h e n , die zweite der d y n a m i s c h e n Kategorien nennen. Die erste Klasse hat, wie man sieht, keine Korrelate, die allein in der zweiten Klassen angetroffen werden. Dieser Unterschied 12 muß doch einen Grund in der Natur des Verstandes haben." Dieser dunkle Hinweis auf korrelative Zusammenhänge zielt auf die Tatsache, daß die Momente der Relation "der I η h ä r e η ζ und Subsistenz (substantia et accidens)", "der K a u s a l i t ä t und Dependenz (Ursache und Wirkung)", "der G e m e i n s c h a f t (Hechseiwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden)", genannt werden, und die Momente der Modalität " M ö g l i c h k e i t - Unmöglichkeit", " D a s e i n - Nichtsein", " N o t w e n d i g k e i t - Zufälligkeit" heißen. Bevor Kant diesen Hinweis

11 Carl Ludwig Michelet, Geschichte der letzten Systeme der Philosophie In Deutschland von Kant bis Hegel I, Berlin 1837, Neudruck Hildeshelm 1967, S. 62. 12 Β 110. Die Unterscheidung von mathematischen und dynamischen Kategorien findet eich nicht In der ersten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft". Dort dient das Gegensatzpaar mathematisch-dynamisch nur zur Kennzeichnung der Grundsätze. Erst in der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" hat Kant es zur Charakterisierung der Kategorien mit angeführt.

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auf die "correlate oder opposite" in die zweite Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" aufgenommen hat, erwähnt er sie 13 ausdrücklich schon im Paragraphen 39 der "Prolegomena" . Daß die "Transscendentale Tafel der Verstandesbegriffe" dort der "Natur des Verstandes" nicht Folge leistet, sondern die Momente der Relation hier schlicht "Substanz", "Ursache" und "Gemeinschaft" heißen und die der Modalitat "Möglichkeit", "Dasein" und "Notwendigkeit" (Bd. IV, S. 303) ist ein weiteres Indiz für die funktionelle Verschiedenheit der beiden Tafeln. Die Zweigliedrigkeit der Kategorien der Relation und Modalität erschwert die Beantwortung der Frage, wieviele Kategorien die Tafel enthält: sind es 12, 16 (mit den vier Titeln) oder gar 21, indem die Momente von "Relation" und "Modalität" jeweils doppelt gezählt werden? Was letzteres betrifft, so weist schon die Formulierung in der Kategorientafel darauf hin, daß immer nur drei Kategorien unter einen Titel gehören. Es heißt da: "Tafel der Kategorien ... 3. Der Relation: der I η h ä r e η ζ und Subsistenz (substantia et accidens)" (B 106/A 80 Hervorhebung von mirl). Die erste Position der Relationskategorien meint die Relation selbst, die zwischen den Gliedern Inhärenz und Subsistenz oder spezieller gefaßt zwischen Substanz und Akzidens besteht und so auch bei Kausalität und Dependenz oder Ursache und Wirkung. Bei der dritten Relationskategorie liegt der Schwerpunkt auf der Relation innerhalb der Gemeinschaft, nämlich die "Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden". Zwischen den Doppelbegriffen der Modalkategorien besteht offenbar eine Abhängigkeitsbeziehung, so daß sie jeweils eine Einheit bilden und es daher drei Modalkategorien gibt. Diese Annahme wird dadurch gestützt, daß die

13 "Uber eine vorgelegte Tafel der Kategorien lassen sich allerlei artige Anmerkungen machen, als 1) daß die dritte aus der ersten und zweiten in einen Begriff verbunden entspringe, 2) daß in denen von der GröBe und Qualität blos ein Fortschritt von der Einheit zur Allheit oder von dem Etwas zum Nichts (zu diesem Behuf müssen die Kategorien der Qualität so stehen: Realität, Einschränkung, völlige Negation) fortgehen ohne correlate oder opposlta, dagegen die der Relation und Modalität diese letztere bei sich führen, ..." Bd. IV, S. 325 Anm.

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Erklärung der Kategorien

ersten Begriffe jeweils gesperrt gedruckt sind und in der "Kritik der reinen Vernunft" nie eine "Kategorie der Unmöglichkeit" , des "Nichtseins" und der "Zufälligkeit" auftritt. Als ausdrücklich kategoriale Begriffe führt sie Kant nur als 14 Korrelate in der Tafel selbst an. Ob die vier Gruppentitel zu den Kategorien zu zählen sind, bleibt fraglich. Kant selbst schreibt, daß jede "Klasse" drei Kategorien enthält (B 110), so daß also die Begriffe "Quantität", "Qualität", "Relation", "Modalität" die Klassenbegriffe darstellen, in der Einführung zur Tafel der Urteile werden sie nur "Titel" genannt (B 95/ A 70). Den scholastischen Transzendentalien ordnet Kant im Paragraphen 12 die "Kategorien der Quantität, nämlich der Einheit Vielheit und Allheit" zu, nicht die Kategorie der Quantität selbst. Ebenso spricht Kant in der "Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze" von den "Kategorien der Modalität", die keine Objektsbestimmung leisten, sondern nur ein Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken (B 266/ A 219) . Solche Beispiele belegen, daß die Anzahl der Kategorien 12 beträgt. Die Form der Kategorientafel, für Kant wichtiges Ausdrucksmittel ihres mathematischen Aufbaus, ist von vifelen Kantforschern in dieser systematischen Bedeutung nicht gewürdigt worden. Dabei zeigt sich die topische Bedeutung der "Tafel" daran, daß in der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" das Tafelschema noch fünfmal vorkommt, nämlich bei der Tafel der "Grundsätze des reinen Verstandes" (B 200/A 161), der Tafel der "Einteilung des Begriffs vom Nichts" (B 348/A 292), der "Topik der rationalen Seelenlehre" (B 402/A 344), der Tafel des "Ich denke" (B 419) und der Tafel der "vier kosmologischen Ideen" (B 443/A 415) . In der ersten Fassung der Paralogismenlehre hat Kant eine Tafel über die Selbsterkenntnis der Seele an sich selbst aufgestellt, die in der zweiten Auf-

14 Zur Unterscheidung von der eigentlichen Kategorie, die aus den Doppelbegriffen besteht, wähle ich für die einzelnen modalen Begriffe, ebenso für einzeln auftretende Korrelate aus den Relationskategorien, den Terminus "kategorialer Begriff".

Beschreibung der Kategorientafel

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läge wegfiel (A 404). Auch in anderen Werken hat Kant Tafeln verfaßt. So in den "Prolegomena" (Bd. IV, S. 302 f. und S. 339), in der "Kritik der praktischen Vernunft" (Bd. V, S. 66) und in der "Metaphysik der Sitten" Die Vollständigkeit der Kategorientafel und ihre Bedeutung für die Wissenschaft betont Kant ausdrücklich: "Denn daß diese Tafel im theoretischen Teile der Philosophie ungemein dienlich, ja unentbehrlich sei, den P l a n zum G a n z e n e i n e r W i s s e n s c h a f t , so fern sie auf Begriffen a priori beruht, vollständig zu entwerfen, und sie mathematisch nach b e s t i m m t e n P r i n z i p i e n a b z u t e i l e n ; erhellet schon von selbst daraus, daB gedachte Tafel alle Elementarbegriffe des Verstandes vollständig, ja selbst die Form eines Systems derselben im menschlichen Verstände enthält, folglich auf alle M o m e n t e einer vorhabenden spekulativen Wissenschaft, ja so gar ihre O r d n u n g , Anweisung gibt, wie ich denn auch davon anderwärts eine Probe gegeben habe." (B 109)*® Trotzdem ist diese Behauptung von den wenigsten Kantforschern ernst genommen worden, was nicht Überrascht, denn es wird damit eine erstaunlich weitreichende Bestimmung getroffen. Kant sagt ausdrücklich, daß die Kategorientafel für alle apriorischen Wissenschaften ein Grundmuster, eine Ordnung, entwirft*' und die apriorische 18

Begrifflichkeit mathematisch und auf Prinzipien beruhend, gegeneinander abgrenzt. Die Kategorientafel erbringt diese Leistung deshalb, weil sie vollständig ist und systematisch. Eine solche Behauptung an so früher Stelle im Text des Werkes

15 Bd. VI, S. 240 und S. 398, in abgewandelter Form, aber mit der Viererordnung . 16 Kant bezieht sich auf die "Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft", die er ausdrücklich nach der Ordnung der Kategorientafel angelegt hat. Vgl. dazu die Vorrede zu den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften", Bd. IV, S. 433 ff. 17 Das letzte Kapitel dieser Arbelt greift die Ordnungsfunktion der Kategorientafel für alle Tafeln der "Kritik der reinen Vernunft" noch einmal auf und Interpretiert die Tafeln als aus der Ordnung der Kategorientafel abgeleitet. 18 Die Akademie-Ausgabe ändert "mathematisch" in "systematisch".

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Erklärung der Kategorien

ist deshalb überraschend, weil im Paragraphen 11 nur die Beziehung zur "Tafel der Funktionen des Denkens im Urteil" zugrunde liegt, die transzendentale Deduktion aber noch aussteht. Die Beziehung zu den logischen Grundformen des Denkens ist grundlegend für die Kategorientafel als "systematische Topik". Sie zeigt nämlich im Aufweis der Beziehung zwischen Kategorien und Urteilsformen den Bezug synthetischen Denkens zum "Gegebenen" im Denken des Menschen überhaupt und erarbeitet so die Struktur eines Denkens, das beweisbarer Wahrheit unterworfen ist. Die transzendentale Deduktion der Kategorien kann das nicht leisten, denn sie erklärt die Kategorien als apriorische Begriffe, die die Erfahrung ermöglichen. Es handelt sich also bei ihr um die Ermöglichung der Erfahrungserkenntnis und nicht um die Deduktion der Struktur von menschlichem Hissen überhaupt. Daß erst durch den Nachweis der Kategorien im Feld der Erfahrung die transzendentale Grundlegung geschaffen wird, ändert nichts an der primären Stellung der metaphysischen Deduktion. In welchem Sinne sie eine Erklärung der Kategorien ist, muß die Untersuchung der Beziehungen zwischen Kategorien und Urteilsformen zeigen.

2.4 Der "Leitfaden der Entdeckung" der Kategorien Es ist unter den Kantinterpreten üblich, von der Kantischen "Urteilstafel" und der dazu in Beziehung stehenden Kantischen "Kategorientafel" zu sprechen. Diese beiden Termini benutzt Kant in keiner Schrift. Zwar trägt die "Kategorientafel" bei Kant den Titel "Tafel der Kategorien", so daß eine Umwandlung zu "Kategorientafel" naheliegt, die sogenannte "Urteilstafel" hat jedoch bei Kant keine Uberschrift, und aus dem einleitenden Text kann nur entnommen werden, daß in der Tafel die "Funktion des Denkens" im Urteil unter vier Titel gebracht werden kann, deren jeder drei Momente unter sich enthält. 19 Wenn

19 Β 95/A 70. Die dazu in Parallele stehende Tafel in den "Prolegomena" trägt den Titel "Logische Tafel der Urtheile". Bd. IV, S. 302.

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diese recht umständliche Kennzeichnung beachtet wird, kann aus technischen Gründen weiterhin von der "Urteilstafel" oder "Tafel der Urteile" die Rede sein, wie es auch in dieser Arbeit gehandhabt wird. Es darf aber nicht übersehen werden, daB diese Tafel sich von rein formal-logischen Tafeln abhebt und, wie ihre Umschreibung bei Kant andeutet, fundamentale Denkgesetzlichkeiten aufstellt, die auch in der formalen Logik gelten, hier aber unter anderen Gesichtspunkten als die der bloß mathematischen Logik zusammengestellt sind. Für die Leitfadenfunktion, die die Tafel der Urteile in ihrer Beziehung zur Kategorientafel einnimmt, ist wichtig, daß Kant selbst die Tafel der Urteile als "transzendentale Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen" (B 98/A 72) bezeichnet und an keiner Stelle behauptet, daß seine Urteilstafel der bloß formalen Logik angehöre und analytische Urteile enthalte. Verschiedene Kantinterpreten haben auf dieser fal20

sehen Annahme aufbauend das Kantische Vorgehen kritisiert. Fest steht, daß Kant den Zusammenhang zwischen Urteilen und Kategorien zum Leitfaden der Aufstellung der Kategorientafel gemacht hat: "Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so daß der V e r s t a n d überhaupt als ein V e r m ö g e n zu u r t e i l e n vorgestellt werden kann. Denn er ist nach dem obigen ein Vermögen zu denken. Denken ist das Erkenntnis durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich, als Prädikate möglicher Urteile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande ... Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann. Daß dies aber sich ganz wohl bewerkstelligen lasse, wird der folgende Abschnitt vor Augen stellen." (B 94/A 69) Auch bei der Darstellung der Kategorientafel weist Kant noch einmal ausdrücklich auf die für ihre Einteilung fundierende Bedeutung der Urteile hin. Kant sieht nämlich den bedeutendsten Unterschied zwischen den

20 Vgl. S. 94 f.

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Kategorien des Aristoteles und seinen eigenen in dem "Prinzip", das ihnen zugrunde liegt. Die Kategorien des Aristoteles sind in Ermangelung dieses Prinzips nur "aufgerafft". Dieses Prinzip aber, das die Einteilung der Tafel erst systematisch macht, ist das "Vermögen zu urteilen" (B 106/A 81). Dennoch ist sich die Kantinterpretation nicht darin einig, wie grundlegend die Verbindung von Urteilen und Kategorien für die Aufstellung der beiden Tafeln wirklich war. Giorgio Tonelli nennt das Problem der Entstehung der Kantischen Urteilstafel in Verbindung mit der Entstehung der Katgorientafel "eine der 21 traditionellen Hauptfragen der Kantforschung". Bei der Lösung dieses Problems liegen die verschiedenen Positionen der Forschung weit auseinander. Hermann Cohen, der davon ausgeht, daß die Kategorien im Hinblick auf die Grundsätze eingeführt sind, beurteilt auch die Urteilsformen als bloße "Schablonen" der Grundsätze, deren Vollständigkeit 22 sich erst durch die AnWendung im Erfahrungsbereich zeigt. Klaus Reich dagegen, von ganz anderem systematischem Interesse geleitet, nimmt Kants Behauptung über die Vollständigkeit der Urteilstafel und der Kategorientafel wörtlich und versucht den Vollständigkeitsbe23 weis für die Urteilstafel nachzuvollziehen. Dazwischen liegen verschiedene andere Lösungsversuche, die teils das Prinzip der metaphysischen Deduktion bejahen, aber im einzelnen die Korrespondenz zwischen Urteilen und Kategorien verwerfen, teils die metaphysische Deduktion als nachträgliche Rechtfertigung abtun, jedoch gegenseitige inhaltliche Abhängigkeit von Kategorien und Urteilen im einzelnen zugeben. Zur Klärung von Kants Position dient eine Betrachtung der Urteilstafel selbst. Die "Tafel der Funktionen des Denkens im Urteil" zeigt denselben Aufbau wie die Tafel der Kategorien. Es gibt vier Klassen von Urteilen, die, von eins bis vier

21 Giorgio Tonelli, Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteils-Tafel in der Logik des 18. Jahrhunderts, in: Kritik und Metaphysik, Festschrift für H. Heimsoeth, Berlin 1966. S. 134 - 158. Siehe S. 134. 22 Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, S. 267. 23 Siehe Literaturteil S. 42 ff.

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fortlaufend numeriert, "Quantität", Qualität", "Relation" und "Modalität" betitelt sind. Jede Klasse hat drei Momente. Die logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen, der Quantität nach, heißen: Allgemeine, Besondere, Einzelne; die der Qualität: Bejahende, Verneinende, Unendliche; die der Relation: Kategorische, Hypothetische, Disjunktive; die der Modalität: Problematische, Assertorische, Apodiktische. Die "Logische Tafel der Urtheile" in den "Prolegomena" zeigt keinerlei Abweichungen (Bd. IV, S. 302 f.). Offenbar waren die in der Tafel angeführten Urteile so sehr Allgemeingut der logischen Forschung seiner Zeit, daß es Kant nicht für nötig hielt, alle Urteile besonders zu rechtfertigen. Bei den Urteilen der Quantität nimmt er nur Stellung zum einzelnen Urteil. Er verteidigt dessen Anführung in der Tafel gegen die Logiker, die "mit Recht sagen, daß man beim Gebrauch der Urteile in Vernunftschlüssen die einzelnen Urteile gleich den allgemeinen behandeln könne" (B 96/A 71). Kant vergleicht die Urteile aber nicht dem Umfang der Subjekts-Begriffe nach, sondern das einzelne Urteil mit dem allgemeinen "bloß als Erkenntnis der Größe nach", und da verhalten sie sich wie "Einheit zu Unendlichkeit" . Daher, weil Kant das einzelne Urteil, "als Erkenntnis überhaupt, nach der Größe, die es in Vergleichung mit andern Erkenntnissen hat", betrachtet, verdient es "in einer vollständigen Tafel der Momente des Denkens überhaupt (obzwar freilich nicht in der bloß auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschränkten Logik) eine besondere Stelle" (ebd.). Tonelli hat gezeigt, daß das einzelne Urteil, wie das allgemeine und das besondere, bei den meisten Logikautoren des 18. Jahrhunderts mit zu den grundlegenden Urteilen gezählt wur24 de. Daß Kant trotzdem die Notwendigkeit sah, es eigens zu rechtfertigen, führt Lorenz Krüger zu dem Schluß, daß Kant in seiner Urteilstafel vor allem von Lambert beeinflußt wurde, da dieser in seinem "Neuen Organon" das einzelne Urteil nicht mit zu den Quantitätsurteilen zählt. Kant habe sich daher veranlaßt

24 Tonelli, Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteilstafel, S. 151.

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gesehen, dessen Einftlhrrung ausdrücklich zu rechtfertigen.25 Von den Urteilen der Qualität erörtert Kant nur das unendliche Urteil, das ebenfalls zum logischen Allgemeingut der Zeit zählte, von Kant aber eigens kommentiert wird. Dabei "betrachtet" er "das Urteil auch nach dem Werte oder Inhalt dieser logischen Bejahung vermittelst eines bloß verneinenden Prädikats, und was diese in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn verschafft" (B 97/A 72). Die beiden Urteile "die Seele ist nicht sterblich" und "die Seele ist nichtsterblich" unterscheiden sich darin, daß das zweite Urteil nicht eigentlich verneint, sondern den logischen Umfang des Begriffes "Seele" lediglich einschränkt. "Dadurch aber wird nur die unendliche Sphäre alles Möglichen in so weit beschränkt, daß das Sterbliche davon abgetrennt, und in dem übrigen Umfang ihres Raums die Seele gesetzt wird." (B 97/ A 72) Kant fügt hinzu, daß diese Urteilsart "in der transzendentalen Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen nicht übergangen werden" dürfe, "weil die hierbei ausgeübte Funktion des Verstandes vielleicht in dem Felde seiner reinen Erkenntnis a priori wichtig sein kann." (B 98/A 73) Die Kantinterpreten, die davon ausgehen, daß die Urteilstafel nur im Hinblick auf die Kategorientafel eingerichtet wurde, beziehen hier Argumente für ihre These. Zum kategorischen Urteil merkt Kant an, daß es das Verhältnis zweier Begriffe enthalte, das hypothetische Urteil das Verhältnis zweier Urteile und das disjunktive Urteil "mehrere Urteile im Verhältnis gegen einander" (B 98/A 73). Das hypothetische Urteil fragt dabei nur nach dem Wahrheitswert der Beziehung zweier Urteile: "Ob beide dieser Sätze an sich wahr seien, bleibt hier unausgemacht. Es ist nur die Konsequenz, die durch dieses Urteil gedacht wird." (Ebd.) Das disjunktive Verhältnis von Urteilen besteht nicht in einer "Abfolge, sondern der logischen Entgegensetzung, so fern die Sphäre des

25 Lorenz Krüger, Wollte Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen? In: Kant-Studien Bd. 59, 1968, S. 333 - 356. Siehe S. 351.

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einen die des andern ausschließt, aber doch zugleich der Gemeinschaft, in so fern sie zusammen die Sphäre der eigentlichen Erkenntnis ausfüllen" (B 99/A 73). Als Beispiel eines solchen Urteils führt Kant ein Erkenntnisurteil Uber die Welt an: "Die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Notwendigkeit, oder durch eine äußere Ursache." Die verschiedenen Teilsätze des Urteils schließen sich gegenseitig aus, bilden aber doch gemeinsam die "ganze Sphäre" "des möglichen Erkenntnisses über das Dasein einer Welt überhaupt" (B 99/A 74) . Die Urteile der Modalität grenzt Kant besonders gegen die anderen Urteilsgruppen ab. Sie sollen nichts "zum Inhalte der Urteile" beitragen, "denn außer Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte" (B 100/A 74). Deshalb bestimmen sie nur "den Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken überhaupt" (ebd.). Die problematischen Urteile sind daher solche, "wo man das Bejahen oder Verneinen als bloß m ö g l i c h (beliebig) annimmt. A s s e r t o r i s c h e , da es als w i r k l i c h (wahr) betrachtet wird. A p o d i k t i s c h e , in denen man es als n o t w e n d i g ansieht." (B 100/A 74 f.) Daß diese Tafel der Urteile vollständig ist und daher auch die Vollständigkeit der Kategorientafel gewährleistet, sagt Kant ausdrücklich: "Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab: denn der Verstand ist durch gedachte Funktionen völlig erschöpft, und sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen." (B 105/A 79) Die Beziehungen der beiden Tafeln und ihrer einzelnen Momente erklären sich nur unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Funktionen. Diese Frage betrifft jedoch den Unterschied zwischen Kants allgemeiner und transzendentaler Logik. Kant unterteilt in der Einleitung in die "Transzendentale Logik" die "Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt, d. i. die Logik", in die "Logik des allgemeinen" und "des besonderen Verstandesgebrauchs" (B 76/A 52). Die allgemeine Logik gliedert

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sich dann wiederum in "die reine" und "die angewandte Logik" (B 77/A 52). Diese allgemeine reine Logik hat es mit "lauter Prinzipien a priori zu tun, und ist ein K a n o n des V e r s t a n d e s und der Vernunft, aber nur in Ansehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag sein, welcher er wolle (empirisch oder transzendental)" (B 77/A 53). Die transzendentale Logik dagegen bezeichnet Kant als eine Wissenschaft, "welche den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit" solcher Erkenntnisse bestimmt, die aus einer "Wissenschaft des reinen Verstandes und Vernunfterkenntnisses, dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken," entspringen (B 81/A 57). Die allgemeine Logik hat mit dem Ursprung der Erkenntnis und mit dem Inhalt nichts zu tun. "Die allgemeine Logik abstrahiert, wie mehrmals schon gesagt worden, von allem Inhalt der Erkenntnis, und erwartet, daß ihr anderwärts, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugehet. Dagegen hat die transzendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen, welches die transzendentale Ästhetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt, mithin völlig leer sein würde." (B 102/A 76 f.) Die Handlung der Spontaneität, das Mannigfaltige in eine Einheit zusammenzufassen, "um daraus eine Erkenntnis zu machen", nennt Kant die "Synthesis" (Β 102/A 77), die reine Synthesis wiederum "gibt nun den reinen Verstandesbegriff" (B 104/A 78). Den reinen Verstandesbegriffen liegt eine Synthesis zugrunde, "welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht" (B 104/A 78). Deshalb wird durch die kategoriale Bestimmung "die Einheit in der Synthesis des Mannigfaltigen notwendig" (ebd.). Die Urteilsformen, als zur reinen Logik gehörig, werden traditionell dem analytischen Denken zugerechnet. Kant bestätigt das in dem oben genannten Zitat, wenn er sagt, daß die Verwandlung der Vorstellungen in Begriffe durch die allgemeine Logik "analytisch zugeht" (B 102/A 76). Cohen rechtfertigt die Ablehnung der metaphysischen Deduktion damit, daß

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die Urteile analytisch seien , und Martin und verschiedene andere, darunter N. K. Smith, schließen sich dieser Auffassung an. Die Tatsache, daß die Urteilsformen die Hahrheitswerte des analytischen Denkens bestimmen, beweist allerdings nicht, daß die Urteilsformen selbst analytischen Inhalts sind. Reich hat darauf hingewiesen: "Mag die bloBe allgemeine Logik zureichend zur Erklärung der Möglichkeit analytischer Urteile sein, so kennt sie doch für sich weder den Namen der synthetischen oder der analytischen Urteile und hat zu ihrer Aufgabe weder die Erklärung der Möglichkeit synthetischer noch analytischer Ur27 teile." Der Leitfaden, der die beiden Tafeln miteinander verbindet, hat nach Reich seinen "gedrängtesten Ausdruck" im Paragraphen 10: "Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in e i n e m U r t e i l e Einheit gibt, die gibt auch der bloBen Synthesis verschiedener Vorstellungen in e i n e r A n s c h a u u n g Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann." (B 104 f./ A 79) Das Prinzip der Kantischen Urteilslehre liegt für Klaus Reich nun darin, daß die Einheit verschiedener Vorstellungen in einem Urteil und die Einheit der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung von derselben Funktion 28 erzeugt werden und nicht von formal analogen Funktionen. In dieser Behauptung sieht er das "Merkwürdige" des Leitfadens, und er kritisiert es als eine falsche Annahme, daß die allge-

26 Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, S. 242. 27 Reich, Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel, S. 19. 28 Ebd. S. 14.

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meine Logik nur mit analytischen Sätzen arbeite. Der Zusammenhang zwischen den Kategorien und den Urteilsformen läßt sich auch unter Berücksichtigung des Typs von Erklärung verdeutlichen, der durch den Terminus "metaphysisch" charakterisiert ist. In der "Transzendentalen Ästhetik" erklärt Kant die "metaphysische Erörterung": "Ich verstehe aber unter E r ö r t e r u n g (expositio) die deutliche (wenn gleich nicht ausführliche) Vorstellung dessen, was zu einem Begriffe gehört; m e t a p h y s i s c h aber ist die Erörterung, wenn sie dasjenige enthält, was den Begriff, als a priori g e g e b e n , darstellt." (B 38/A 23) Dazu bemerkt Krüger in seiner Schrift, die sich gegen den Vollständigkeitsbeweis von Reich richtet: "Kant hat offensichtlich Wert darauf gelegt, klar zu machen, daß auch eine revolutionierte Metaphysik in transzendentaler Absicht von der Erörterung eines Gegebenen 29 ausgehen muß." Metaphysische Deduktion wäre danach eine Deduktion, die zeigt, welche Begriffe als "gegeben" anzunehmen sind, vielleicht im Sinne letzter selbstgedachter Prinzipien. Zu Beginn des Paragraphen 13 nennt Kant die Deduktion einen Beweis, "der die Befugnis, oder auch den Rechtsanspruch dartun soll" (B 116/A 84). Nimmt man diese Bestimmungen zusammen, so handelt es sich bei der "metaphysischen Deduktion" um einen Nachweis, der den Rechtsanspruch der Kategorien aus dem Gegebenen herleitet. Daß die Urteilsformen, wie die Kategorien, als gegeben in einem kritischen System angenommen werden müssen, belegt eine Stelle in der ersten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", die betont, daß sowohl Kategorien als auch Urteile nicht definiert werden können: "Daher bedürfen die Kategorien, noch über den reinen Verstandesbegriff, Bestimmungen ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit überhaupt (Schema) und sind ohne diese keine Begriffe, wodurch ein Gegenstand erkannt, und von andern unterschieden würde, sondern nur so viel Arten, einen Gegenstand zu möglichen Anschauungen zu denken, und ihm nach irgend einer Funktion des Verstandes seine Bedeutung (un-

29 Krüger, a. a. 0. S. 340.

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ter noch erforderlichen Bedingungen) zu geben, d. i. ihn zu d e f i n i e r e n : selbst können sie also nicht definiert werden. Die logischen Funktionen der Urteile überhaupt: Einheit und Vielheit, Bejahung und Verneinung, Subjekt und Prädikat können, ohne einen Zirkel zu begehen, nicht definiert werden, weil die Definition doch selbst ein Urteil sein, und also diese Funktionen schon enthalten müßte." (A 245) Die Urteilsformen, wie auch die Kategorien, wären danach letzte Gegebenheiten, die nicht weiter sinnvoll analysiert werden können. Auch die "Prolegomena" sprechen ausdrücklich von einer "gegebenen logischen Function der Urtheile" (Bd. IV, S. 304). Krüger hat die Bedeutung des "Gegebenen" für das gesamte Kantische System betont. "Diese Angewiesenheit des Menschen auf die ihm nicht verfügbaren, sondern gegebenen Bedingungen seiner Erkenntnisbemühungen nicht beachten zu wollen, hieße nicht zuletzt auch der eigentümlichen Aufgabe der Erkenntniskritik den Boden entziehen, auf dem sie alle ihre im engeren Sinne transzendentalen Argumente erst entfalten kann."^" Er verweist auf den Brief Kants an Marcus Herz vom 26.5.1789, in dem Kant schreibt, daß es uns unmöglich sei, zu erklären, "wie aber eine solche sinnliche Anschauung (als Raum und Zeit) Form unserer Sinnlichkeit oder solche Functionen des Verstandes, als deren die Logik aus ihm entwickelt, selbst möglich sey, oder wie es zugehe, daß eine Form mit der Andern zu einem möglichen Erkenntnis zusammenstimme". Zu einer solchen Erklärung benötigten wir "noch eine andere Anschauungsart, als die uns eigen ist und einen anderen Verstand, mit dem wir unseren Verstand vergleichen könnten und deren jeder die Dinge an sich 31 bestimmt darstellete." Krüger wendet sich gegen den Versuch von Reich, die Urteilsformen und ihre Vollständigkeit aus einem "höchsten Punkt" abzuleiten. Kant habe die Einheit des Selbstbewußtseins nur als das oberste Kriterium gelten lassen wollen, für das, was uns als Erkenntnis gelten kann, nicht als

30 Krüger, a. a. 0. S. 354. 31 Bd. XI, S. 51.

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Quell des Hissens aus uns selbst heraus. Daher habe Kant gute Gründe gehabt, eine metaphysische Deduktion vorzulegen und das sei zu beachten, "wenn man z. B. Hegel's Kritik an Kant's 'empirischen' Aufsuchen der Kategorien beurteilen will, oder wenn man Kant eine Deduktion der Urteilsformen abzulisten versucht, 32 die er selbst nicht zufällig nirgends gegeben hat" Die Einsicht, daß sowohl die Kategorien, als auch die Urteilsformen als nicht weiter analysierbare Systembasis der Kantischen Philosophie akzeptiert werden, läßt die Frage nebensächlich erscheinen, ob die Tafel der Urteile, wie es der Text der "Kritik der reinen Vernunft" impliziert, vor der Kategorientafel eingerichtet wurde und für Kant in der Entstehung des Werkes wirklich zum Leitfaden der Auffindung der Kategorien diente oder nicht. In der Kantliteratur ist sie dennoch viel diskutiert worden, und auch die Erklärungen, die Kant zum Einzelurteil und dem unendlichen Urteil gibt, ermöglichen die These, daß die Urteilstafel erst nach der Kätegorientafel und im Hinblick auf deren Erfordernisse aufgestellt wurde. De Vleeschauwer teilt diese Ansicht. Er glaubt, daß Kant durch Leibniz zur Aufstellung einer Kategorientafel angeregt wurde, daß er an dieser um 1772 arbeitete, die Urteilstafel aber erst später entstand, weil Kant nach einem Leitfaden suchte und dabei vielleicht sogar zufällig auf die Idee der Verbindung von Urteilen und Kategorien kam.^ Die Fertigstellung der metaphysischen Deduktion datiert de Vleeschauwer unter Berücksichtigung 34 der Kantischen Vorlesungen über Metaphysik in das Jahr 1778 , die Entdeckung des "Leitfadens" zwischen 1775 und 1778. "La dfecouverte qui, d'aprds la logique interne de la Critique dans ses articulations definitives, devait ouvrir la voie ä 1'organisation de la critique transcendentale de la connaissance objective, a donefetfeun apport

32 Krüger, a. a. 0. S. 356. Krüger verweist auf Hegel, Wissenschaft der Logik III, 1. Abschnitt, 1. Kapitel B, Anm. 33 De Vleeschauwer, La deduction transcendentale .... Bd. I, S. 225. 34 Ebd. S. 230.

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assez tardif, si l'on interroge son histoire."^ Auch Tonelli schließt sich dieser Auffassung a n . ^ Dagegen betont Krüger die Eigenständigkeit der Urteilstafel. Er bestätigt zwar die Tatsache, daß zur Urteilstafel, im Gegensatz zur Kategorientafel, sehr wenig Reflexionen Uberliefert sind. Aber für die Eigenständigkeit spricht, daß auch über die Abhängigkeit der Urteilstafel von der Tafel der Kategorien keine Belege vorhanden seien, Kant im Gegenteil ihre Unabhängigkeit betont. "Der Aufbau der Kritik belehrt ausdrücklich darüber, daß die Selbständigkeit der Ableitung der Urteilstafel und deren Rolle als Leitfaden zu ihren wesent37

liehen Theoremen gehören." Auch das Argument, daß Kant das Einzelurteil und das unendliche Urteil aus transzendentallogischem Interesse eingeführt habe, weist er zurück. Kants Entschuldigung an die Adresse der Logiker, daß er diese beiden Urteile entgegen dem üblichen Schulgebrauch hinzunehme, beweise nur seine Abhängigkeit von Lamberts "Neuem Organon", wo diese beiden Urteile nicht angeführt würden. Von Lambert abgesehen, seien sie aber in der logischen Schultradition durchaus immer wieder vertreten worden. "Wir müssen also schliessen, daß Kant schon in der allgemeinen Logik den Grund dafür zu finden glaubte, unter den Titeln sowohl der Quantität wie auch der Qualität drei verschiedene Momente anzugeben; er sah sie eben als ursprünglich unterschiedene Verstandeshandlungen an. Die Besonderheit seiner Darstellung der allgemeinen Logik ergibt sich daraus, daß das Augenmerk auf der Funktion des Denkens liegt; das Angeheftetsein der Logik an den höchsten Punkt der Apperzeption tritt dabei hervor. Demgegenüber folgt die traditionelle Behandlung der Logik besonderen Zwecken, etwa der Entwicklung allein einer Schlußlehre, bezüglich deren die von Kant hervorgehobenen Unterschiede zwischen gewissen Urteilsformen als bloße "subtilitaet" erscheinen." 3 8

35 36 37 38

De Vleeschauwer, La deduction transcendentale ..., Bd. I, S. 243. Tonelli, Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteilstafel, S. 150. Krüger, a. a. 0. S. 353. Ebd. S. 351

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Kant beansprucht nicht, die Tafel der Urteile unabhängig von der traditionellen Logik aufgestellt zu haben. Er beruft sich sogar ausdrücklich auf die "noch nicht ganz von Hängein freie Arbeit der Logiker", dadurch er "in den Stand gesetzt wurde, eine vollständige Tafel reiner Verstandesfunctionen, die aber in Ansehung alles Objects unbestimmt waren, darzustellen" (Bd. IV, S. 323 f.). Daß Kant von seinen Vorgängern und Zeitgenossen Baumgarten, Wolff, Crusius, Meier, Reimarus, Hollmann und Lambert beeinflußt wurde, haben verschiedene Kantinterpreten gezeigt. Gesichert ist danach, daß die Urteile der Modalität aus dem "Neuen Organon" von Lambert stammen, der dort ebenfalls die Dreiergruppierung anführt, während die anderen Urteile bei den angeführten Autoren meist in Zweiergruppen auf39 treten. Ganz unabhängig davon, ob der Leitfaden der metaphysischen Deduktion das Primäre war und so von den einzelnen Urteilen her die verschiedenen Kategorien aufgestellt wurden, oder ob die einzelnen Kategorien die Urteilstafel anregten, bleibt die Behauptung der engen Verbindung der beiden Tafeln bestehen. In den "Antinomien" spricht Kant von "den vier Funktionen aller Urteile" als dem "logischen Schema" der Kategorien. (B 432/ A 406) Von daher ist es möglich, das Verständnis der Kategorien durch die Konfrontation mit den einzelnen Urteilen zu erleichtern. Das Problem, das sich bei dem Vergleich der Urteile und der Kategorien der Quantität stellt, wurde weiter oben schon genannt. Daß das einzelne Urteil der "Allheit" zugeordnet wird und das allgemeine der "Einheit" scheint paradox. Grayeff hat folgende Lösung versucht: "Das Urteil 'Alle Menschen sind sterblich', das 'Alle Menschen' unter den Begriff 'Sterblich' vereinigt, begründet begriffliche Einheit, während das Urteil 'Cajus ist sterblich' in welchem 'sterblich' sich auf alle Vorstellungen bezieht, die in der Vorstellung des Individuums Cajus enthalten sein mögen, begriffliche Allheit

39 Vgl. de Vleeschauwer, La deduction transcendentale ..., Bd. I, S. 246 248 und Tonelli: L'origine della tavola del giudizi e del probletna della deducione delle categorie in Kant, Edizione di "Filosofia" 1956, S. 9.

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begründet und so die Kategorie der Allheit anzeigt." 40 Danach liefert also das allgemeine Urteil ein Prädikat für alle Einzelnen, und gehört so zur Kategorie der Einheit, das einzelne Urteil aber verbände ein Prädikat mit der Allheit des Einzelnen und gehörte so zur Kategorie der Allheit. N. K. Smith hat dagegen die Zuordnung einzelnes Urteil und Kategorie der Allheit "extremely artificial" genannt^*. Karl Joel gehört zu den Verteidigern der Kantischen Anordnung der Urteilsformen. Allerdings geht er nicht auf die Beziehung zu den Kategorien ein. Er fragt sich, ob "die drei Urteilsformen nicht genau den verschiedenartigen Akten, die Kant als Stadien der Synthesis unterscheidet: der Apprehension in der Anschauung, der Reproduktion in der Einbildung, der Rekognition im Begriff", ent42

sprechen . Von daher wäre die Verbindung zu "Einheit", "Vielheit" und "Allheit" nachzuvollziehen, denn die Apprehension in der Anschauung führt zu sinnlicher Einheit, die Reproduktion in der Einbildungskraft betrifft die Vielheit der Vorstellungen, die Rekognition im Begriff begründet die objektive Bedeutung und allgemeine gesetzliche Geltung des Begriffs. Dadurch wird Allgemeingültigkeit begründet, die auf Allheit verweist. Dagegen könnte argumentiert werden, daß alle Kategorien allgemeingültige Begriffe vorstellen, weil sie alle grundlegend, rein und unabhängig sind. Deshalb könnte so keine spezielle Geltung der Kategorie der Allheit im Vergleich mit den anderen Kategorien begründet werden. Es müBte vielmehr differenziert werden zwischen dem Sinn, den die Kategorien in ihrer Anwendung auf Vorstellungen erhielten, und der Bedeutung, die sie im Vergleich der Kategorien untereinander hätten, so daB das, was die Kategorie Spezifisches im Vorstellungsbereich bewirkt, auf der Meta-Ebene des Vergleichs der Kategorien untereinander kein Unterscheidungsmerkmal lieferte. Die Kategorie der Notwendigkeit zum Beispiel stiftet notwendige Gültigkeit über-

40 Grayeff, a. a. 0. S. 107. 41 Smith, a. a. 0. S. 196. 42 Karl Joe1, Das logische Recht der Kantischen Tafel der Urteile, in: Kant-Studien Bd. 27, 1922, S. 298 - 327. S. 306.

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haupt, dennoch sind alle Kategorien, und nicht nur die eine, nach Kant notwendige Begriffe. Das Problem, das hier auftritt, besteht in der Schwierigkeit einer Untersuchung der reinen Kategorien ohne irgendeinen Anschauungsbezug. Der Vergleich von "Apprehension in der Anschauung", "Reproduktion in der Einbildung" und "Rekognition im Begriff" mit dem einzelnen, dem besonderen und dem allgemeinen Urteil legt nahe, daß "Begriff" und "Allgemeingültigkeit", die auf "Allheit" verweist, zusammengehören. Daß allerdings auch "Einheit", als dem einzelnen Urteil zugrunde liegend und ebenso "Vielheit", die zum besonderen Urteil gehört, allgemeingültige Begriffe sind und von daher von der "Allheit" gar nicht zu unterscheiden wären, demonstriert die schwer handhabbare mehrdimensionale Anwendung der kategorialen Begriffe. Sie haben Basisfunktion für Probleme der Erkenntnistheorie, wie bei Apprehension, Reproduktion und Rekognition, aber auch auf der philosophischen Systemebene bedingen sie sich selbst untereinander und begründen sich gegenseitig. Wenn diese Ebenen miteinander vermischt werden, kommt es zu Ungenauigkeiten, letzten Endes zu leeren Aussagen. Eine sinnvolle inhaltliche Begründung der Dreierteilung ist wohl nur über deren Anwendung auf jeweils genau festgelegte Objektbereiche, im weitesten Sinne des Wortes, möglich. Für die Katgorien der Qualität hat Tonelli, wie schon für die der Quantität, festgestellt, daß sie alle zu Kants Zeit Allgemeingut der logischen Forschung waren. Dennoch mutmaßt er über Kants Motiv: "Wahrscheinlich um der Symmetrie willen (damit unter jedem Titel drei Kategorien stehen) hat er auch die unendlichen Urteile eingeführt (was er in der Kr. d. r. V. be43

sonders zu begründen versucht)." Julius Jacobson, der davon ausgeht, daß die Urteilsformen den Kategorien gemäß ausgesucht wurden, zweifelt ebenfalls am Sinn der Einrichtung einer Kategorie der Limitation: "Wenn irgendeine besser fortgeblieben 44 wäre, so ist es diese." Zum limitativen Urteil schreibt er:

43 Tonelli, Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteilstafel S. 151. 44 Julius Jacobson, Über die Beziehungen zwischen Kategorien und Urteilsformen, Königsberg 1877, S. 119.

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"Es bleibt vollkommen unklar, weshalb das unendliche Urteil in die Reihe der Urteilsformen aufgenommen werden, weshalb der Verstandesbegriff der Limitation im Kampf gegen die Logik und gegen Kants eigenes Prinzip ersonnen werden mußte, wenn man nicht annimmt, daB die Erfüllung der Zwölfzahl das bestimmte 45 Schicksal der Kategorientafel gewesen" ist. Von der Logik her übt Trendelenburg Kritik am limitativen Urteil. Da durch das unendliche Urteil ein Prädikat nur ausgeschlossen wird, "ist eine solche Einschränkung sehr eingeschränkt und eine solche Limitation ist keine eigentliche Begrenzung, inwiefern diese nach mehreren Seiten hin geschehn wird. In d i e s e m Sinne ist jede Negation Limitation und jede Limitation Negation. Jede Verneinung schließt ein Prädicat aus; jede Begrenzung hält Fremdes ab und diese Beziehung wird logisch zur Ver46 neinung." Den meisten Autoren scheint beim unendlichen Urteil dessen Einrichtung, um der Symmetrie mit der Kategorientafel willen, eindeutig zu sein, weil Kant selbst in dem weiter oben schon angeführten Zitat darauf hinweist, daB dieses Urteil im Felde der reinen apriorischen Erkenntnis des Verstandes wichtig sei. (Vgl. Β 9 8/A 73) Auch P. Hauck, der Kants große Leistung als Logiker hervorhebt - "wäre Kant nicht gewesen, und ein anderer so hätte Masse inein diebedeutenformale Logik eingegriffen, wäre in erdemselben der Nachwelt als 47 der Logiker erschienen" " - beurteilt die Auswahl des einschränkenden Urteils für die Tafel in diesem Sinne: "Es ist daher ganz offenbar, dass die Reflexion auf Verhältnisse der Kategorien, ..., in ganz bewusster Weise diese Aufstellung beeinflusst hat."^® Die quantitativen und die qualitativen Urteile führen nach Reich zu einem Problem in der Durchführung des Vollständigkeitsbeweises für die Urteilstafel. Die Formen des quantita-

45 Jacobson, a. a. 0. S. 120. 46 Trendelenburg, a. a. 0. S. 291. 47 P. Hauck, Die Entstehung der Kantischen Urteilstafel, in: Kant-Studien, Bd. 11, 1906, S. 196 - 208. Siehe S. 206. 48 Ebd. S. 201.

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tiven und qualitativen Urteils sind nach Reich nur beweisbar, wenn die Formen der Anschauung mit in die Überlegungen einbezogen werden. Das aber führt nach Reich über die formale Logik hinaus. Kant selbst argumentiert in der "Transzendentalen Ästhetik" deutlich mit kategorialen Begriffen. Schon im Paragraphen zwei, bei der metaphysischen Erörterung des Begriffs vom Raum, hebt Kant ans "Vermittelst des äußeren Sinnes, (einer Eigenschaft unsres Gemüts,) stellen wir uns Gegenstände als außer uns, und diese insgesamt im Räume vor. Darin ist ihre Gestalt, Größe und Verhältnis gegen einander bestimmt, oder bestimmbar." (B 37/A 22) "Gestalt", "Größe" und "Verhältnis" können leicht auf die Kategoriengruppen Qualität, Quantität und Relation bezogen werden, wobei auffällt, daß Qualität zuerst genannt wird. Der wichtige Qualitätsbezug in der Lehre vom Raum wird im dritten Raumargument deutlich, in dem diskursiver Begriff und reine Anschauung gegenübergestellt werden. Der Raum ist reine Anschauung, weil seine Teile "in ihm" gedacht werden müssen. "Er ist wesentlich einig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Räumen überhaupt, beruht lediglich auf Einschränkungen." (B 39/A 25) "Einschränkung" aber, in lateinischer Obersetzung Limitation, ist die dritte Qualitätskategorie. Die Zusammenfassung der drei Urteile "Kategorisch", "Hypothetisch" und "Disjunktiv" unter dem Titel der Relation stellt nach Tonelli eine echte Neuheit in der Geschichte der Logik 49 dar. Dabei ist die Verbindung von kategorischem Urteil und der Kategorie der Inhärenz und Subsistenz einleuchtend. Daß aber Kant dem hypothetischen Urteil eine selbständige Stellung eingeräumt hat, hat vor allem Trendelenburg kritisiert. Seiner Ansicht nach schließt jedes kategorische Urteil eine Hypothese ein und die hypothetischen Urteile lassen sich daher in katego-

49 Tonelli, Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteilstafel S. 151. Vgl. auch Helmsoeth, Zur Herkunft und Entwicklung von Kants Kategorientafel, a. a. 0. S. 122. Helmsoeth betont hier die besondere Stellung des Substanzbegriffs unter dem Titel der Relation in der "Kritik der reinen Vernunft".

"Leitfaden der Entdeckung"

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rische zurückführen. Er gibt das Beispiel: "Wenn ein Dreieck rechtwinklig ist, so ist das Quadrat der Hypothenuse gleich der Summe der Quadrate der beiden Seiten (hypothetisch), und: Das rechtwinklige Dreieck hat die Eigenschaft, daß das Quadrat der Hypothenuse der Summe der Quadrate der beiden Katheten 50 gleich sei (kategorisch)." Dieses Beispiel beweist allerdings nicht, daB die RUckführbarkeit immer gelingt. Hie Joel das Kantische Beispiel aus dem Paragraphen 9 der "Kritik der reinen Vernunft" erläutert, besteht doch ein innerer Unterschied, ob ich sage: "Wenn eine vollkommene Gerechtigkeit da ist, wird der beharrlich Böse bestraft", oder "die vollkommene Gerechtigkeit bestraft den beharrlich Bösen". Der hypothetische Satz stellt "zwischen bloßen Möglichkeiten eine Notwendigkeit" her. Die kategorische Fassung dagegen behauptet eine Wirklichkeit.51 Bei den Kategorien der Relation bemüht sich Kant, die Zuordnung der Kategorie der Gemeinschaft zum disjunktiven Urteil besonders zu klären. Beim disjunktiven Urteil werde die "Sphäre (die Menge alles dessen, was unter ihm enthalten ist) als Ganzes in Teile (die untergeordneten Begriffe) geteilt vorgestellt" (B 112). Diese Teile seien "einander k o o r d i n i e r t , nicht s u b o r d i n i e r t " , so daß sie einander " w e c h s e l s e i t i g , als in einem Agg r e g a t " bestimmen (ebd.). "Nun wird eine ähnliche Verknüpfung in einem G a n z e n der D i n g e gedacht, da nicht eines, als Wirkung, dem andern, als Ursache seines Daseins, u n t e r g e o r d n e t , sondern zugleich und wechselseitig als Ursache in Ansehung der Bestimmung der andern b e i g e o r d n e t wird, (z. B. in einem Körper, dessen Teile einander wechselseitig ziehen, und auch widerstehen,) welches eine ganz andere Art der Verknüpfung ist, als die, so im bloßen Verhältnis der Ursache zur Wirkung (des Grundes zur Folge) angetroffen wird, in welchem die Folge

50 Trendelenburg, a. a. 0. S. 292. 51 Vgl. Joel, a. a. 0. S. 322.

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Erklärung der Kategorien

nicht wechselseitig wiederum den Grund bestimmt, und darum mit diesem (wie der Weltschöpfer mit der Welt) nicht ein Ganzes ausmacht." (Ebd.) Dennoch hat Kant Widerspruch gefunden. Trendelenburg fragt: "Ist aber die Wechselwirkung der logischen Eintheilung, in welcher sich die Glieder streng ausschließen, ohne sich zu berühren, und nur zusammen den Umfang eines höhern allgemeinen Begriffs ausmachen, mit der realen Wechselwirkung 52 der in einander greifenden Kräfte eins?" Der logischen Division stellt er die Definition gegenüber, der bloBen Einteilung die Erklärung. "Es würde eine sehr beschränkte Kategorie der Wechselwirkung geben, wenn der Verstand sie nur nach der Analogie der Eintheilung dächte."5^ Das disjunktive Verhältnis der Glieder des Urteils soll aber nach Kants Bestimmung gar nicht im strengen fomallogischen Sinn verstanden werden. Kant gebraucht zur Erklärung den Begriff eines Aggregats, dessen Teile einander wechselseitig bestimmen (B 112). Jacobson, der sich im übrigen Trendelenburgs Meinung anschließt, hat richtig interpretiert, wenn er kritisch anmerkt, daß die Kategorie der Wechselwirkung mit dem Prinzip des ausgeschlossenen Dritten nichts gemein habe, daß dieses Prinzip aber die Grundlage für das disjunktive Urteil bilde. Daher bleibt ihm keine andere Wahl, als "die Wechselwirkung für Null und nichtig zu erklä54 ren". Kants Position wird durch diese Kritik kaum berührt, da er zumindest in der "Kritik der reinen Vernunft" gar nicht behauptet, daß das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten dem disjunktiven Urteil zugrunde liegt. Die modalen Urteile werden von Kant von den anderen drei Gruppen dadurch unterschieden, daß sie "nichts zum Inhalte des Urteils" beitragen, "sondern nur den Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken überhaupt" betreffen (B 100/A 74). Tonelli zeigt, daß diese Charakterisierung schon vor Kant bestand und von Arnauld oder 'S Gravesande stammt.55 Die drei Urteilsfor-

52 53 54 55

Trendelenburg, a. a. 0. S. 293. Ebd. Jacobson, a. a. 0. S. 123. Tonelli, Die Voraussetzungen zur Kantischen Urtellstafel ..., S. 153 f.

"Leitfaden der Entdeckung"

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men "Problematisch", "Assertorisch" und "Apodiktisch" sind nach Hauck von Lambert übernommen, der die Formeln: " Ί . Α kann Β sein, 2. Α ist B, 3. Α muß Β sein und negiert'", anführt.^® Die Terminologie allerdings hat Kant selbst geprägt. Der Ausdruck "assertorisch" tritt nach Hauck bei ihm zum ersten Mal in logischem Zusammenhang auf. "Das Eigenschaftswort assertorius findet sich sonst nur in der Rechtsspräche, ζ. B. asser57 toriae lites." DaB diese drei Formen unter Berücksichtigung des gesamten menschlichen Denkvermögens von Kant eingführt wurden, beweist die Anmerkung zur Erklärung der drei Urteilsformen "Problematisch", "Assertorisch" und "Apodiktisch": "Gleich als wenn das Denken im ersten Fall eine Funktion des V e r s t a n d e s , im zweiten der U r t e i l s k r a f t , im dritten der V e r n u n f t wäre". Kant schließt die Anmerkung mit den auf den folgenden Text des Werkes verweisenden Worten: "Eine Bemerkung, die erst in der Folge ihre Aufklärung erwartet." (B 100/A 75 Anm.) Nach der Untersuchung der Kantischen Aussagen zu den Formen des Denkens im Urteilen ergibt sich, daß die chronologische Entstehungsabfolge der beiden Tafeln unklar bleibt. Die metaphysische Deduktion zielt jedoch gar nicht auf solche Entstehungsdaten, sondern beweist eine Fundierung der Kategorientafel in grundlegenden Verstandesfunktionen. Diese Grundformen des Denkens können als eine Art von letzten, den Menschen eigentümlichen Bedingungen, anerkannt werden. Die meisten sind doch längst Allgemeingut der Jahrhunderte alten Tradition der Logik. Inwieweit die Denkformen in ihrer veränderten Funktion als Kategorien Erfahrungserkenntnis ermöglichen, wird von Kant erst in der transzendentalen Deduktion vorgeführt. Der Beweis dafür, daß wirklich alle Kategorien und damit auch die entsprechenden Grundformen des Denkens als fundamentale Bestandteile eines philosophischen Systems angesehen werden können, kann mit Hilfe der metaphysischen Deduktion allein nicht

56 Hauck, a . a . 0 . S. 204. 57 Ebd. S. 205.

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Erklärung der Kategorien

geleistet werden. Gerade die sich auf den unterschiedlichen Gebrauch der Kategorien stützende Methode der Kantischen Beweisführung, die die ganze Kritik durchzieht, trägt der Besonderheit solcher letzter Grundbegriffe des Denkens im weitesten Sinne Rechnung und erlaubt von daher eine Untersuchung der Kategorien, die deren Mehrdimensionalität im Gebrauch berücksichtigt. Nicht nur die Beziehung zu den logischen Formen erklärt die Kategorien, auch nicht nur ihre Erfahrung konstituierende Gesetzgebungskraft. Als systematische Grundbegriffe haben sie noch einen weiteren Gebrauch, der in der Strukturierung von Problembereichen innerhalb der philosophischen Fragen besteht. Der Nachweis eines solchen Verfahrens bei Kant erklärt erst die Kategorien als systematische Grundbegriffe ausreichend. Die metaphysische Deduktion, aber auch die transzendentale Deduktion sind nur ein Teil des Erklärungsverfahrens und Beweisführungsverfahrens für die Notwendigkeit der Kategorien und können deshalb allein deren Bedeutung nicht erklären. Der Klärung dieser weitergehenden Bedeutung der Kategorien als Grundbegriffe für die philosophische Auseinandersetzung bei Kant wendet sich der folgende Hauptteil dieser Arbeit nun zu.

3.

DIE ERKLÄRUNG DER KATEGORIEN ALS SYSTEMATISCHE GRUNDBEGRIFFE

3.1 Die Mehrdimensionalität des Begriffs Kategorie im thematischen Bezug Bevor am Beispiel des kategorialen Begriffs "Substanz" und am Beispiel der Kategorie "Kausalität und Dependenz" in dieser Arbeit analysiert wird, wie diese Begriffe als Gesetzmäßigkeiten in Teilen der "Kritik der reinen Vernunft" gestaltend wirken, soll am Begriff "Kategorie" vorgeführt werden, wie dieser philosophische Grundbegriff nicht nur im Bereich der Erfahrung konstitutiv ist, sondern auch für andere Systembereiche gilt und gebraucht wird.^ Dieser Gebrauch kann an den wechselnden Bedeutungsschwerpunkten, die der Begriff in der "Kritik der reinen Vernunft" hat, abgelesen werden. Diese Bedeutungsintentionen sollen an den von Kant gebrauchten Umschreibungen des Begriffs Kategorie demonstriert werden. Es ergibt sich eine Mehrdimensionalität des Begriffs im thematischen Bezug, die beweist, daß der Begriff Kategorie nicht nur auf der Ebene der Erfahrungskonstitution erklärt werden kann. Der Terminus Kategorie ist ein von Kant aus der philoso2

phischen Fachsprache von Aristoteles her übernommener Begriff , der erst durch die Einordnung in das philosophische System bei Kant eine spezifische Bedeutung erhält. In den wechselnden thematischen Bereichen, die Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" argumentierend durchläuft, finden sich umschreibende

1 Für die hier aufgeführten Untersuchungen hatte ich die M ö g l i c h k e i t , die an der Universität Bonn erstellten Stellen-Indices zu Kants g e s a m m e l t e n Werken zu b e n ü t z e n . 2 "Wir wollen diese Begriffe nach dem A r i s t o t e l e s , K a t e g o r i e n nennen ..." (B 105/A 79 f.) V g l . auch B d . IV, S. 323.

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

und den Begriff erweiternde oder spezifizierende Ausdrücke, die die Mehrdimensionalität des Begriffs Kategorie anzeigen. Diese Umschreibungen stehen im Zusammenhang von Teilproblemen innerhalb der "Kritik der reinen Vernunft" und haben daher besondere thematische Intention. Da in den angeführten Fällen stets der Begriff "Kategorie" gemeint ist, kann anhand dieser wechselnden Ausdrücke die Möglichkeit der Erklärung der Kategorien mit Hilfe der Interpretation der, verschiedene Bedeutungsebenen umfassenden, umschreibenden Bestimmungen vorgeführt werden. Dabei stellt sich das Problem, inwiefern diese unterschiedlichen Bestimmungen des Terminus Kategorie als Synonyma, Wechselbegriffe oder Umschreibungen bezeichnet werden dürfen. Kant verwendet das Wort "Umschreibung" laut "Wortindex"^ gar nicht. "Wechselbegriffe" sind nach der von Jäsche herausgegebenen Kantischen "Logik" "Begriffe, die einerlei Sphäre haben" (Bd. IX, S. 98). In Paragraph 19 der "Prolegomena" bezeichnet Kant "objective Gültigkeit" und "nothwendige Allgemeingültigkeit" als Wechselbegriffe "für jedermann" (Bd. IV, S. 298). In der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", im dritten Abschnitt vom "Ubergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft" bestimmt Kant "Freiheit" und "eigene Gesetzgebung des Willens" als "Autonomie, mithin Wechselbegriffe" und erläutert dazu: "davon aber einer eben um deswillen nicht dazu gebraucht werden kann, um den anderen zu erklären und von ihm Grund anzugeben, sondern höchstens nur, um in logischer Absicht verschieden scheinende Vorstellungen von eben demselben Gegenstande auf einen einzigen Begriff (wie verschiedene Brüche gleiches Inhalts auf die kleinsten Ausdrücke) zu bringen." (Bd. IV, S. 450) Diese Bestimmung gilt für manche der vorzustellenden, umschreibenden Formulierungen zu "Kategorie". Weil aber bei den anzuführenden Hinsichten des Begriffs nicht untersucht werden soll, inwieweit sie im

3 Allgemeiner Kantindex zu Kante gesammelten Schriften, bearb. v. Dieter Krallmann und Hans Adolf Martin, Hrsg. Gottfried Martin, Bd. 1, Wortindex zu Bd. 1 - 9 , Berlin 1967.

Mehrdimensionalität des Begriffs

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logischen Sinn Wechselbegriffe genannt werden dürfen, sollen hier die Ausdrücke "Umschreibung", "Ersatzbegriff" und "Austauschbegriff" mit eingesetzt werden. Has den erklärenden Effekt der Hechselbegriffe betrifft, so ist nach dem Zitat aus der "Grundlegung der Metaphysik der Sitten" klar, daß, wenn hier von Ansätzen zur Erklärung der Kategorie gesprochen wird, nicht auf deren "Grund" abgehoben wird, sondern auf die Bestätigung oder Praktikabilität in der Theorie. Die Ersatzbegriffe zu "Kategorie" werden in der Reihenfolge ihres ersten Auftretens im Text der "Kritik der reinen Vernunft" vorgestellt. Die Begriffe, die nur in der ersten und nur in der zweiten Auflage vorkommen, werden gesondert am Ende der Aufzählung angeführt. Die Häufigkeit des Auftretens der Begriffe ist, abgesehen von den Angaben zu "Kategorie" und "Verstandesbegriff", die anhand des "Hortindex" festgestellt 4 werden konnten , nicht mit statistischer Genauigkeit erfaßt. Da die Ersatzbegriffe zum Teil auch in Bedeutungen vorkommen, die nicht die Kategorien meinen, wäre eine Darstellung aller Anführungen dieser Begriffe bei Kant nicht sinnvoll. Als Beispiel kann der Begriff "Verstandeshandlung" gelten. Er wird von Kant als Austauschbegriff zu Kategorie in einer Bedeutungstendenz gebraucht, die auf den aktiven Aspekt der Kategorien abhebt. "Verstandeshandlung" wird aber auch ganz allgemein auf Synthesis bezogen (B 130) oder als Bedingung des Urteilens dargestellt (B 351/A 295 Anm.) Auch am Beispiel des Austauschbegriffs "Elementarbegriff" zeigt es sich, daß nicht im streng logischen Sinn von einem Hechselbegriff zu Kategorie gesprochen werden kann. Er kommt laut "Sachindex"^ in der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" viermal vor

4 Dem "Wortindex zu Kants gesammelten Schriften" zufolge, findet sich "Kategorie" Im Band III der Akademieausgabe (die zweite Auflage der "Kritik der reinen Vernunft") 57mal, "Kategorien" tritt 141mal auf, lmal erscheint "Categorie". Die Anführungen von "Verstandesbegriff", "Verstandesbegriffe", "Verstandesbegriffen" und "Verstandesbegriffs" umfassen insgesamt 112 Stellen. Vgl. a. a. 0. 5 Sachindex zu Kants Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von Gottfried Martin, bearb. von Dieter-Jürgen Löwitsch, Berlin 1967.

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und wird davon dreimal eindeutig auf Kategorie bezogen (B XXIII Anm., Β 89/A 64, Β 109), einmal bezieht er sich auf Raum und Zeit und die Kategorien (B 169). Da es aber hier darum geht, die verschiedenen Gebrauchsaspekte des Begriffs Kategorie im Kantischen System zur Erklärung herbeizuziehen, werden die Stellen zu den Austauschbegriffen gegeben, die bei meiner Untersuchung der "Kritik der reinen Vernunft" in dieser Hinsicht als relevant erschienen. Die zum Zweck der Erklärung des Terminus Kategorie aufgesuchten erklärenden Umschreibungen zu "Kategorie" können nach ihrem Bedeutungsgehalt in sechs Gruppen eingeteilt werden, wovon die ersten drei den methodischen Gebrauch des Begriffs Kategorie für den Strukturaufbau des Werkes "Kritik der reinen Vernunft" wiedergeben, die anderen die Kategorie als einen für das Kantische philosophische System letztbegründenden Begriff umschreiben, hinter den nicht weiter zurückgegangen werden kann. Zur ersten Gruppierung gehören die Ersatzbegriffe, die 1. die Kategorien als Bestandteile des Verstandes auffassen, 2. die Kategorien als Bedingungen der Erfahrung (einzelner Objekte und der Natur insgesamt) interpretieren und 3. die Kategorien in Beziehung zur "Leitfaden-Idee" setzen. Zur anderen Bedeutungstendenz zählen die Ersatzbegriffe, die 4. die Kategorien als Handlungen des Verstandes bestimmen, 5. die Kategorien als grundlegende Begriffe für alle Begrifflichkeit vorführen und 6. die Kategorien als Grundlage des Denkens überhaupt interpretieren. 1. Die Kategorien als Bestandteile des Verstandes Für den systematischen Aufbau der "Kritik der reinen Vernunft" von speziellem Gewicht (auch von der Anzahl der Stellen her), sind der Begriff Kategorie und seine Wechselbegriffe im Hinblick auf die Kategorien als eine Art von Gegebenheiten des Verstandes. Die Austauschbegriffe, die diese Bedeutung tragen, finden sich vor allem in dem großen Analyseteil "Transzendentale Analytik", in dem die apriorische Geltung der Kategorien, im Zusammenhang ihrer Geltung als erfahrungsbegründende Begriffe, unter Berücksichtigung ihrer Natur als reiner Elemente

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des reinen Verstandes, bewiesen wird. Für die Kategorie ergibt sich anhand dieser Austauschbegriffe das Resultat, daß die Kategorie als Gegebenheit des Verstandes im Sinne von Bestandteil des Verstandes erklärt werden kann. Die dazu führenden Ersatzbegriffe sind: "reine Verstandesbegriffe"^; "Elemente der reinen Verstandeserkenntnis" Β 89/A 64; "Begriffe des Verstandes" Β 118/A 85, Β 676/A 648 (bezogen auf die Prädikabilie Kraft), Β 811/A 783; "reine Begriffe a priori" Β 119/A 86, Β 377/A 321, A 95; "Begriffe a priori" Β 126/A 93, A XVI; "reine Begriffe des Verstandes" Β 127/A 94, Β 174/ A 135; "Verstandesbegriff" und "Verstandesbegriffe"7; "reiner Begriff" B267/A 220, A XX, Β 291; "Notion" Β 377/A 320; "Verstandeseinheit" Β 383/A 326; "transzendentaler Begriff" Β 399/ A 341 (Plural), Β 750/A 722; "reine und transzendentale Begriffe" Β 435/A 408; "Begriffe des reinen Verstandes" Β 488/ A 460; "a priori gegebener Begriff" Β 756/A 728; "Elemente des Verstandes" A 98; "nackter Verstandesbegriff" A 401. Alle diese Umschreibungen, durch die Kant an den angegebenen Stellen den Terminus "Kategorie" ersetzt, zeigen ihn in höchp ster Abstraktion, im Kantischen Verständnis , als reinen Begriff, der, weil er eine Gegebenheit des reinen Verstandes ist, für alles Erkennen grundlegend ist. Dabei wird nicht abgehoben

6 Β 88/A 63, Β 91/A 66, Β 92/A 67 (2x), Β 95/A 70, Β 102/A 76 (2x), Β 102/ A 77, Β 104/A 78, Β 105/A 79 (3x), Β 116/A 84, Β 120/A 88, Β 124/A 92, Β 174/A 135, Β 175/A 136 (3x), Β 176/A 137 (2x), Β 177/A 138, Β 178/ A 139, Β 181/A 142 (2x), Β 182/A 143, Β 185/A 145 f., Β 186/A 147, Β 187/A 148, Β 188 f./A 149, Β 199/A 160, Β 224/A 181, Β 234/A 189, Β 368/A 311, Β 383/A 327, Β 443/A 416, Β 444/A 416, Β 469/A 441, Β 488/ A 460, Β 543/A 515, Β 553/A 525, Β 595/A 567, Β 753/A 725; A XVI, A 96, A 112, A 115, A 130, A 245, A 369; Β XXVIII, Β 113, Β 129 (2x), Β 144, Β 146, Β 147, Β 148 (2χ), Β 149, Β 150, Β 159, Β 166, Β 168, Β 288, Β 289, Β 303, Β 306, Β 307. 7 Β 171/Α 132, Β 177/Α 138, Β 178/Α 139, Β 179/Α 140 (2χ), Β 285/Α 232 (2χ), Β 309/Α 253, Β 327/Α 271, Β 342/Α 285, Β 342/ Α 286, Β 345/Α 288, Β 356/Α 299, Β 366/Α 310, Β 367/Α 311, Β 377/Α 320, Β 383/Α 326, Β 392/ Α 335, Β 396/Α 338 (2χ), Β 435/Α 409, Β 514/Α 486 (2χ), Β 517/Α 489, Β 527/Α 499, Β 557/Α 529, Β 558/Α 530, Β 595/Α 567, Β 672/Α 644, Β 764 f./Α 736 f., Β 790/Α 762, Β 882/Α 854; Α 403; Β XXV, Β XXVII, Β 110, Β 151, Β 159, Β 165, Β 257, Β 407, Β 431. 8 Siehe Kants "Anthropologie in pragmatischer Absicht", Bd. VII, S. 131 f., über die Bedeutung von "abstrahieren".

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auf eine Entstehung der Kategorien aus dem Denken selbst oder einen anderen Weg ihrer induktiven Gewinnung, sondern nur auf die Zugehörigkeit zum reinen Verstand und die daraus ableitbare apriorische Geltung als reiner Begriff. Als Beispiel mag die Stelle zum Begriff "Notion" dienen (B 377/A 320) , die nicht mehr in der "Transzendentalen Analytik", sondern im "Ersten Abschnitt" "des Ersten Buches der transzendentalen Dialektik" steht, sich aber auf die zuvor getroffenen Festlegungen bezieht. Kant macht hier Angaben zu dem von ihm gewünschten Gebrauch des Begriffs "Idee", den er aus der philosophischen Tradition übernimmt, aber ganz präzise selbst inhaltlich füllt. Dabei unterscheidet er, nachdem er sich mit Piatons Gebrauch von "Idee" auseinandergesetzt hat, rein begriff slogisch zwischen der Gattung "Vorstellung überhaupt", "Perzeption" (Vorstellung mit Bewußtsein) und einer Vorstellung ohne Bewußtsein, die aber in der weiteren Aufgliederung wegfällt, ferner zwischen "objektiver Perzeption" und "Empfindung" und zwischen "Anschauung" und "Begriff". Dazu erläutert er: "Der Begriff ist entweder ein e m p i r i s c h e r oder r e i n e r Begriff, und der reine Begriff, so fern er lediglich im Verstände seinen Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt Notio. Ein Begriff aus Notionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die I d e e , oder der Vernunftbegriff." Diese Bestimmung, noch ganz neutral gegenüber einer Beurteilung der Idee als möglichem Erkenntnisfaktor, liegt der gesamten "Transzendentalen Dialektik" zugrunde und erschließt die spätere Erfassung der transzendentalen Ideen als regulative Begriffe innerhalb des erkenntnistheoretischen Systems, die als Vernunftbegriffe absolut gefaßte Verstandesbegriffe sind. In ähnlicher Argumentationsweise, wenn auch nur auf die Verstandesbegriffe bezogen, wird der Wechselbegriff "Begriff des Verstandes" in der "Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" gebraucht. Die Umschreibung der Kategorien als "Begriffe des Verstandes" im Paragraphen 13 (B 118/A 85) bezieht sich auch auf die Unterscheidung von verschiedenen Begriffsebenen, hier die Begriffe des Raumes und der Zeit als Formen der Sinnlich-

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keit im Unterschied zu den Kategorien als "Begriffe des Verstandes". Kant betont, daß es keine empirische Herleitung dieser Begriffe geben kann, weil sie von Erfahrung unabhängige, reine, systematische Grundregeln vorstellen. Der Ausdruck "transzendentaler Begriff" scheint, statt eine einfache Teilhabe am reinen Verstand auszudrucken, eher auf die erkenntnisgründende Funktion der Kategorien abzuheben. Jedoch zeigt die angegebene Stelle in der "Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauch" (B 750/A 722), daß auch hier bloße begriffliche Differenzierung zwischen mathematischem Begriff und dem Verstand zugehörigen Begriff im Vordergrund steht. Kant unterscheidet den mathematisch konstruierbaren Begriff vom "transzendentalen Begriff einer Realität, Substanz, q Kraft etc." Diese Begriffe sind zwar, bis auf Realität, keine im strengen Sinn ursprünglichen Bestandteile der Kategorientafel, zumindest "Substanz" wird aber von Kant so eingesetzt^®, "Kraft" ist Prädikabilie (S 11). Diese transzendentalen Begriffe führen, wie Kant an dieser Stelle ausführt, zu rein diskursiver synthetischer Vernunfterkenntnis ohne Anschauung, die zwar synthetische Einheit ermöglicht, aber keine Synthesis der Anschauung gibt. Ohne weitere Erklärung werden die genannten transzendentalen Begriffe als dem reinen Verstand zugehörig in die Diskussion gebracht, deren Geltungsbeweis hier nicht mit berücksichtigt werden muß. Noch deutlicher auf Verstandesgegebenheit verweist der Begriff "transzendentaler Begriff" zum Beginn des Hauptstückes "Von den Paralogismen der reinen Vernunft", in dem Kant die Beziehung zum "Ich denke" einführt: "Jetzt kommen wir auf einen Begriff, der oben, in der allgemeinen Liste der transzendentalen Begriffe, nicht verzeichnet worden, und dennoch dazu gezählt werden muß, ohne doch darum jene Tafel im mindesten zu verändern und für mangelhaft zu erklären. Dieses ist der Begriff, oder, wenn man lieber will,

9 Das Komma hinter Realität könnte auch als Doppelpunkt Interpretiert werden. Dann wären Substanz und Kraft der Realität zugeordnete Begriffe, was aber an Ihrer reinen Geltung nichts ändert. 10 Siehe das folgende Kapitel dieser Arbelt.

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das Urteil: Ich d e n k e . " (B 399/A 341) Mit der "allgemeinen Liste der transzendentalen Begriffe" ist die Kategorientafel gemeint, vielleicht auch das in Paragraph 10 angesprochene System aller reinen Begriffe (B 107/A 81), das neben den "ursprünglichen und primitiven Begriffen" auch die "abgeleiteten" und "subalternen" enthält. Bei allen diesen angeführten Beispielen werden die umschriebenen "reinen Kategorien" in einer Beweisführung eingesetzt, die sich auf ihre apirorische Geltung bezieht, diese jedoch nicht im einzelnen beweist, sondern es bei dem Hinweis auf die Zugehörigkeit zum Verstand oder zur Kategorientafel beläßt. So wird der Begriff "Kategorie" in den genannten Umschreibungen in einer Dimension der Zugehörigkeit zum Verstand, als Gegebenheit, gebraucht. Die Transzendentalphilosophie, deren Aufbau auf den Erkenntnisstämmen Anschauung und Denken keinen weiteren Rückverweis auf ontologische Grundbedingung erfordert, verlangt auch keine weitere Begründung des reinen Begriffs . 2. Die Kategorien als Bedingungen der Erfahrung (einzelner Objekte und der Natur insgesamt) Kant bedient sich dieser Art von Ersatzbegriffen für "Kategorie" überwiegend in der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", weil dort die Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung deduziert werden. Da Kant dieses Kapitel in der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" stark verändert hat, gibt es unterschiedliche Formulierungen in den beiden Auflagen. Die Umschreibungen lauten" "Begriffe von Gegenständen überhaupt" Β 126/A 93; "Bedingungen a priori der Möglichkeit von Erfahrung" Β 126/A 94; "Begriffe, die den objektiven Grad der Möglichkeit der Erfahrung abgeben" Β 126/A 94; "die einzigen Begriffe, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen" Β 346/A 290; nur in der ersten Auflage: "Begriff, der diese formale und objektive Bedingung der Erfahrung allgemein und zureichend ausdrückt" A 96; "Begriffe, welche a priori das reine Denken bei jeder Erfahrung enthalten"

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A 96; "Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung" A 111; "reine Erkenntnisse a priori, welche die notwendige Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller möglichen Erscheinungen, enthalten" A 119; "Gründe der Rekognition des Mannigfaltigen, sofern sie bloß die Form einer Erfahrung überhaupt angehen" A 125; formale Erkenntnis aller Gegenstände a priori überhaupt" A 129 f.; "Einheit der Vorstellungen, um einen Gegenstand derselben zu bestimmen" A 399; nur in der zweiten Auflage: "Begriffe a priori von Gegenständen" Β 113; "Begriffe von einem Gegenstande Uberhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird" Β 128; "Bedingungen unter denen allein das Mannigfaltige derselben (sinnliche Anschauung, Anm. d. Verf.) in ein Bewußtsein zusammen kommen kann" Β 143; "Begriff dadurch Uberhaupt ein Gegenstand gedacht wird" Β 146; "das Denken eines Objekts überhaupt durch Verbindung des Mannigfaltigen in einer Apperzeption" Β 158; "Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung" Β 161; "Begriffe welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriff aller Erscheinungen (natura materialiter spectata), Gesetze a priori vorschreiben" Β 163. Beiden Fassungen der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" größtenteils gemeinsam ist der Paragraph 14 vom "Übergang zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien" . Kant erläutert hier die gegenseitige Abhängigkeit der reinen Elemente der Erfahrungserkenntnis in der Erkenntnisbegründung, einerseits reine Form der Sinnlichkeit, ohne die nichts erscheint, andererseits Objektivierung durch den Begriff, ohne den nichts zum Gegenstand wird. In diesem Zusammenhang werden die Kategorien, wie oben genannt, zu Begriffen "von Gegenständen überhaupt" (B 126/A 93) oder "Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung" (B 126/A 94) oder zu Begriffen, "die den objektiven Grad der Möglichkeit der Erfahrung abgeben" (B 126/A 94). Nur in der zweiten Fassung des Kapitels (die zweite Hälfte des Paragraphen steht nicht in der ersten Auflage), gibt Kant eine "Erklärung" der Kategorien als "Begriffe von einem Gegenstand überhaupt, dadurch dessen An-

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schauung in Ansehung einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n zu Urteilen als bestimmt angesehen wird" (B 128) DaB Kant die einzige ausdrückliche Erklärung der Kategorien im Bereich der Erkenntnisbegründung gibt, ist ein eindrucksvolles Beispiel für seine transzendentalphilosophische Methode, die auch reine systematische Elemente von der Tauglichkeit für die Wirklichkeitserkenntnis abhängig macht. Auch die reinen Grundbegriffe erhalten Wahrheit, im Sinne von Belegbarkeit durch Beispiele, erst durch ihren Aufweis als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung, einen anderen Wahrheitsgrund gibt es in der Erkenntnistheorie nicht. Parallelen zu dieser Art von Erläuterung der Kategorie gibt es in der ersten Auflage der "Kritik" vor allem in der "Deduktion der reinen Verstandesbegriffe"^. Eine Umschreibung stammt aus den Überlegungen zur "Tafel der Einteilung des Begriffs vom Nichts" in der "Amphibolie der Reflexionsbegriffe" (B 346/A 210) , eine weitere aus der ersten Fassung des "Paralogismenkapitels" (A 399) . Bei den Vorüberlegungen zur nur in der ersten Auflage aufgestellten Tafel dessen, was die Seele an sich selbst erkennt, beschreibt Kant den Fehler, den die Erkenntnis aus bloBen Begriffen über die Natur der Seele macht Die "Attribute", die das Denken sich selbst beilegt, sind nur "reine Kategorien, wodurch ich niemals einen bestimmten Gegenstand, sondern nur die Einheit der Vorstellungen, um einen Gegenstand derselben zu bestimmen, denke" (A 399) . Für die Themen der "Transzendentalen Dialektik" ist die Unterscheidung der zwei Erkenntnisstämme Sinnlichkeit und Verstand grundlegend, weil die Fehlerfindung bei der Hypostasierung von Begriffen auf der Einsicht beruht, daß reine Begriffe nur im Zusammenhang mit den reinen Formen der Anschauung zu wahrer Erkenntnis führen. 3. Die Kategorien im Bezug auf die Leitfaden-Idee Wie in dem Kapitel über die Beziehung zwischen der Tafel der

11 Siehe Aufzählung S. 116 f.

Mehrdimensionalität des Begriffs

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Urteile und der Kategorientafel schon genannt, dient Kant die Bestimmung der Funktion eines Urteils und die Aufstellung der Urteilsformen in einer Tafel als Leitfaden zur Auffindung der Kategorientafel. In diesem Zusammenhang treten drei Bestimmungen zu "Kategorie" auf, mit denen Kant die besondere inhaltliche Verknüpfung mit den Urteilsformen durch den funktionalen Zusammenhang im Begriff "Kategorie" betont: "Funktionen des 12

Verstandes" Β 94/A 69 ; "Funktionen der Einheit in den Urteilen" Β 94/A 69; "Funktionen zu Urteilen" Β 143. Den ersten Abschnitt des "Transzendentalen Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe"ΐ "Von dem logischen Verstandesgebrauch überhaupt", schließt Kant mit der Bemerkung: "Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann". (B 94/A 69) Aus den "Funktionen der Einheit in den Urteilen" können also die "Funktionen des Verstandes" entwickelt werden. "Funktionen des Verstandes" ist synonym mit "Kategorien". Die "Funktionen der Einheit in den Urteilen" verweisen als erklärende Beschreibung ihrer Bedeutung auf die Kategorien, weil diese den Kern in den Urteilsformen ausmachen, der zur Kategorie führt. Daß dieser Kern in beiden Formen als identisch angesehen werden kann, legt eine Bemerkung Kants in Paragraph 20 der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" nahe. Kant erklärt das Zusammenkommen von sinnlicher Anschauung und Kategorie in einer Erkenntnis mit dem Hinweis, daß das "Mannigfaltige gegebener Vorstellungen" durch die "logische Funktion der Urteile" unter eine "Apperzeption überhaupt gebracht wird". Die Kategorien sind aber nach dem vorhergehenden, "nichts andres, als eben diese Funktionen zu urteilen, so fern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist" (B 143). Bezogen auf transzendentalphilosophische Erkenntnisbegründung

12 "Funktionen des Verstandes" auch Β 122/A 89 und Β 122/A 90, nicht in Beziehung auf Urteilsformen, sondern auf die Gegenstellung der Kategorie zur Anschauung bezogen. Diese Bedeutung gehört in die 4. Gruppe, die die "Kategorien als Handlungen des Verstandes" interpretiert.

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

sind die "Funktionen zu urteilen" mit den reinen Kategorien demnach identisch. Daß diese Urteilsformen nicht zur reinen Logik, sondern zur transzendentalen Logik zu zählen sind, wurde weiter oben schon angemerkt.^ Der Vergleich dieser drei Gruppen Kantischer Ersatzbegriffe für "Kategorie" ergibt, daß die konstruktive Funktion der Kategorien für die "Kritik der reinen Vernunft", erklärt anhand der Interpretation der auftretenden Formulierungen, in einem systematischen Fortschritt gesehen werden kann, der von den relativ bedeutungsleeren allgemeinen Umschreibungen, wie Bestandteile des Verstandes, über die engere Bedeutung als erfahrungsbegründende Begriffe zu den spezielleren Umschreibungen, die sich auf die Leitfadenfunktion der Urteilstafel für die Kategorientafel beziehen, führt. Die Kategorien des reinen Verstandes, die von Kant als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung in Paragraph 10 eingeführt werden, und denen er anschließend in Paragraph 11 eine weitreichende Grundlegungsfunktion für Wissenschaft überhaupt gibt, erklären sich nach der These dieser Arbeit durch die Anwendung als philosophische Grundbegriffe im weitesten Sinne bei Kant. So dienen sie, wie die eben genannten Gruppen von Wechselbegriffen zeigen, dem logischen Zusammenhang der "Kritik der reinen Vernunft". Sie werden, in dieser philosophisch-systematischen Auseinandersetzung mit der Erkenntnistheorie, von Kant auch eingesetzt als Begriffe, die jeder Art von Philosophie zugrunde liegen müssen. Dazu zählen die Wechselbegriffe, die die Kategorien als Handlungen des Verstandes umschreiben. 4. Die Kategorien als Handlungen des Verstandes Diese Austauschbegriffe für Kategorie betonen den aktiven Anteil des Verstandes bei der Erkenntnisleistung. Handlung wird hier also nicht im praktischen Sinne, sondern in einem übertragenen philosophischen Sinn, als Kraft oder Spontaneität, verstanden. Solche Deutungsversuche bleiben aber immer

13 Siehe S. 89.

Mehrdimensionalität des Begriffs

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nur Annäherung an die Kantischen umschreibenden Begriffe, die ihre innere Dynamik sehr gut selbst ausdrücken. Sie lauten: "Reine Begriffe der Synthesis" Β 106/A 80; "Funktionen des Verstandes" Β 122/A 89, Β 122/A 90; "Verstandeshandlungen" Β 383/A 326, Β 692/A 664, Β 130; "Arten der Synthesis des Verstandes a priori" Β 795/A 767; nur in der ersten Auflage: "Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, so fern dasselbe in der Apperzeption Einheit hat" A 401; nur in der zweiten Auflage: "Erkenntnisse a priori von Gegenständen einer Anschauung überhaupt" Β 159; "selbstgedachte erste Prinzipien a priori unserer Erkenntnis" Β 167; "allgemeine Verbindungsbegriffe a priori" Β 308. Die Kategorien als Handlungen des Verstandes zu interpretieren bedeutet, ihnen eine Aktivität, bezogen auf Denken im weitesten Sinne, zuzusprechen, einen Bewegungsanstoß im Denken. Kant, der den Begriff "dynamisch" auch zur Klassifizierung abstrakter Systemteile verwendet (Grundsätze, Ideen und in der Lehre vom Erhabenen), versteht darunter nicht so sehr das bewegende Moment, sondern eher die systematische Einordnung in ein besonderes Relationsgefüge (ungleiche Glieder einer Relation, bezogen auf Dasein). Sicher ist aber, daß die Kategorien bei Kant, der das Denken und Erkennen als Leistungen der Synthesis ansieht und diese Synthesis nicht in die Gegenstände verlegt, von denen sie das Denken entnimmt, sondern als Tätigkeit des Denkens auffaßt, als Handlungselemente eines inneren Vorganges angesehen werden können. So werden sie von Kant auch an einer Stelle im "Anhang zur transzendentalen Dialektik": "Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft", "Verstandeshandlungen" genannt: "Die Verstandeshandlungen aber, ohne Schemate der Sinnlichkeit, sind u n b e s t i m m t ; ebenso ist die V e r n u n f t e i n h e i t auch in Ansehung der Bedingungen unter denen, und des Grades, wie weit, der Verstand seine Begriffe systematisch verbinden soll, an sich selbst u n b e s t i m m t . " (B 692 f./ A 664 f.) Diese Stelle steht in dem komplizierten Problemzusammenhang der Erörterung des Schemas der reinen Vernunft, das, in Analogie zum Schematismus des reinen Verstandes, als

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

eine "Idee des Maximum der Abteilung und der Vereinigung der Verstandeserkenntnis in einem Prinzip" von Kant bestimmt wird (B 693/A 665). Die "Verstandeshandlungen" haben "Schemate der Sinnlichkeit", aber kein Schema in der Anschauung für die "durchgängige systematische Einheit aller Verstandesbegriffe" (ebd.). Dieses Schema der systematischen Einheit gibt die Vernunft mit den Ideen. Daß die Kategorien beim regulativen Gebrauch der Ideen einen solch dynamischen Aspekt erhalten, liegt wohl an der besonderen Abgrenzung von Verstand und Vernunft an dieser Stelle, der erstere auf Erfahrungsbegründung, der zweite auf Systematisierung bezogen. Ebenso ist der Wechselbegriff "Arten der Synthesis des Verstandes a priori" auf die, die Grundsätze bedingende, erkenntnistheoretische Funktion der Kategorien bezogen, wenn Kant in der "Disziplin der reinen Vernunft im polemischen Gebrauch" im Rückblick auf Humes Darstellung des Kausalgesetzes kritisiert, daß er "nicht alle Arten der Synthesis des Verstandes a priori systematisch übersah", sonst wäre er über die Natur des Kausalgesetzes zu anderer Beurteilung gekommen (B 795/A 767). Daß die Kategorien im menschlichen Denken durch ihre Fähigkeit zur Synthesis auch systembegründende Funktion haben, betont Kant mit der Formulierung "selbstgedachte erste Prinzipien a priori unserer Erkenntnis" (B 167) . Diese Prinzipien werden von Kant als Alternativen zu den "aus der Erfahrung geschöpften" Prinzipien gegen einen dritten Weg der präformierten Prinzipien zugrunde gelegt. Das Schwergewicht dieser Bestimmung liegt auf "selbstgedacht", im Text gesperrt gedruckt. Der Paragraph 27 der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", in dem der Begriff steht, legt als Resultat der Deduktion die Fundierung des Denkens in den Kategorien, die Konstruktion von Erkenntnis aber durch das Zusammenkommen von Denken und Anschauen vor. Die Kategorien als apriorische Begriffe haben keinen empirischen Ursprung. Sie sind selbstgedacht in dem Sinn, daß das philosophische Denken als letzten Beweisgrund die eigene Denkfähigkeit annehmen muß, dessen Anwendung auf die Wirklichkeit wiederum vom Denken selbst überprüft wird.

Mehrdimensionalität des Begriffs

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Die synthetische Fähigkeit des Denkens, in der Kategorie ausgedrückt, unterstreicht insbesondere die Umschreibung "Verbindungsbegriffe" für Kategorien (B 308). Die "Lehre von der Sinnlichkeit" und die "Lehre von den Noumenen" stehen nach Kant entgegengesetzt zueinander. Die Kategorien als "Verbindungsbegriffe" können nur in der Beziehung auf die Einheit der Anschauung in Raum und Zeit und auch nur "wegen der bloBen Idealität des Raumes und der Zeit" (ebd.) diese Einheit a priori bestimmen und dadurch transzendentale Gesetzmäßigkeit ermöglichen. Schon die Möglichkeit eines noumenalen Dinges würde eine intellektuelle Anschauung voraussetzen, die "außer unserem Erkenntnisvermögen liegt" (ebd.). Die Handlungsfähigkeit des Verstandes ist an die Bedingungen der zugrunde liegenden Anschauungsformen gebunden. Ohne sie führen scheinbare Erkenntnishandlungen zu sinnleeren Ergebnissen. 5. Die Kategorien als grundlegende Begriffe für alle Begrifflichkeit Die Begriffe, die neben den Formen der Sinnlichkeit die transzendentalphilosophische Gesetzmäßigkeit ausmachen, begründen damit auch die transzendentalphilosophische Begriffsbildung. Kants Bemerkungen über Piatons Begriff der Idee (B 370 ff./A 313 ff.) lassen den Schluß zu, daß Kant sorgfältig sein eigenes philosophisches begriffliches Werkzeug ausge14 wählt hat , das im Sinne der Transzendentalphilosophie nicht nur den abstrakten Bereich philosophischer Begriffsbildung ausmacht, sondern über die Erfahrungskonstitution auch in die Erfahrungserkenntnis selbst hineinwirkt. Insofern wird "Kategorie" von Kant im Hinblick auf ihre Wirkung als letztbegründender Begriff im philosophischen System auch als ein Begriff erklärt, der andere Begriffe bedingt. Die Umschreibungen:

14 In einem Brief an Marcus Herz vom 24. November 1776, in dem sich Kant gegen die Vorwürfe seiner Freunde wegen seiner "Unthätlgkeit" verteidigt, beschreibt Kant seine systematische Beschäftigung mit dem Feld der reinen Vernunft und stellt fest, daß er zu dessen Bearbeitung "ganz eigener technischer Ausdrücke bedarf". (Bd. X, S. 198 f.)

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

"Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkenntnis ausmachen" Β 27/A 13; "Urbegriffe" Β 107/A 81; "Stammbegriffe des reinen Verstandes" Β 107/A 81, Β 111; "ursprüngliche und primitive Begriffe" Β 108/A 82; "Titel zu Begriffen" Β 724/A 696; und nur in der zweiten Auflage: "Elementarbegriffe des Verstandes" Β 109, gehören zu dieser Art von Erklärungen. "Stammbegriff", "Urbegriff" und "Elementarbegriff" stehen im Kontext der Vorstellung der Kategorientafel in Paragraph 10 der "Kritik der reinen Vernunft". Dort werden die Kategorien, als Teile der "systematischen Topik", in der Kategorientafel vorgestellt, und die apriorische reine Geltung dieser Begriffe wird auf ihre systematische Verbundenheit in der Tafel zurückgeführt. Weil die Kategorientafel in ihrer inbegriffenen Formenvielfalt die reinen Abstraktionen der Denkvorgänge enthält, sind die Kategorien Grundlage jeder begrifflichen Synthesis auf der Ebene der reinen und auf der der erfahrungsbezogenen Begriffe. Daß die reine Kategorie eine Art Leerform für alle Begriffe ist, bringt auch die von Kant gebrauchte Umschreibung "Titel zu Begriffen" in dem Kapitel "Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft" zum Ausdruck. Das Verstehen "eines höchsten Wesens" (B 726/A 698) mit Hilfe kategorialer Bestimmungen und die Hypostasierung zu einer Erkenntnis des Unbedingten wird an dieser Stelle als sinnlos kritisiert, weil die Kategorien nur von "empirischem Gebrauche" sind. "Außer diesem Felde sind sie bloß Titel zu Begriffen, die man einräumen, dadurch man aber auch nichts verstehen kann." (B 724/A 696) Nur "nach einer A n a l o g i e " können die kategorialen Begriffe als gedachte systematische Regeln die Verstandeserkenntnis leiten. Die Begrifflichkeit, für das Denken der Analogie nach, kann auf keine anderen Grundbegriffe zurückgreifen, als auf die Kategorien, dieselben Leerformen füllen sich mit anderem Inhalt. 6. Die Kategorien als Grundlage des Denkens überhaupt Denken ist nach Kant eine Leistung der Synthesis. Deren reine Form manifestiert sich in den Kategorien. Diese Denkregeln sind immer auch Sprachregeln. Deshalb ist es schwierig, diese

Mehrdimensionalität des Begriffs

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Gruppierung von der vorhergehenden zu trennen. Die Umschreibung "bloße Gedankenform", zum Beispiel, bezweckt dieselbe Abgrenzung der leeren abstrakten Kategorie gegen die mit Anschauung gefüllte Erfahrungserkenntnis, wie oben, bei der Umschreibung "Titel zu Begriffen" bereits bemerkt wurde. Da aber die Erklärung der Kategorie als Sprachurgrund immer der Vorwurf einer unzulässigen Empirisierung treffen könnte, sollen hier ergänzend die Umschreibungen, die die Kategorie als grundlegendes Denkelement erkennen lassen, besonders vorgestellt werden. Sie lauten: "Momente des Denkens überhaupt" Β 96/A 70; "Prädikamente" Β 107/A 81, Β 108/A 82 (2x); "Funktionen des Denkens" Β 123/A 91; "Gedankenformen" Β 305/A 248; "bloße Gedankenformen" Β 309/A 253, Β 150, Β 288. Der Ausdruck "Momente des Denkens überhaupt" bezieht sich an der angegebenen Stelle (B 96/A 70), direkt bei der Erläuterung zu den quantitativen Urteilen, nicht auf Kategorie, sondern auf die "logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen", also die in der sogenannten Urteilstafel gefaßten Urteilsformen. Heil dabei aber von Kant argumentiert wird, daß das einzelne Urteil mit Rücksicht auf "Erkenntnis überhaupt" in einer solchen Tafel erscheint, ist der Leitfadenbezug zur Kategorientafel mit angesprochen, und der gemeinsame Grund beider Tafeln in der Einheit des Denkens verdient es, die "Momente des Denkens" auch als mögliche Umschreibung von Kategorie zu sehen. Den Begriff "Prädikament" gebraucht Kant bei der Vorstellung der Kategorientafel im Paragraphen 10. Er kann als echter Wechselbegriff zu Kategorie gelten, der keine auf besondere inhaltliche Bestimmung hin schließende Erklärung zuläßt. Daß er hier als zu den "Grundlagen des Denkens" gehörig interpretiert wird, ergibt sich aus dem Umfeld, in dem der Begriff steht. Kant erläutert, daß Aristoteles zehn "Kategorien (Prädikamente)" hatte, dazu fünf "Postprädikamente". Dabei fanden sich bei Aristoteles "modi der Sinnlichkeit", ein "empirischer" Begriff und "abgeleitete" Begriffe (B 107/A 81). Kant betont dagegen die Reinheit und apriorische Geltung seines Kategoriensystems. Reine abgeleitete Begriffe, die sogenannten "Prädikabilien", gehören zum vollständigen System der Transzenden-

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

talphilosophie, die Prädikamente machen allein die begriffliche Seite der reinen Erkenntnis aus, die Grundlagen, die das Denken zur Verfügung stellt. Die Umschreibungen "Funktionen des Denkens" und "Gedankenformen" haben schon von der Formulierung her eine Aussagekraft, die auf die "Denken" begründende Funktion der Kategorien verweist. Beide stehen bei Kant im Zusammenhang der Reflexion über die mögliche Trennung von Anschauung und Denken. Im Paragraphen 13 der "Transzendentalen Elementarlehre", dem ersten Abschnitt der "Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" , unterscheidet Kant die beiden reinen Elemente der Erkenntnis, die Formen der Sinnlichkeit und die Kategorien. Anschauung ist auch ohne begriffliche Bestimmung möglich. Kant beschreibt die Fiktion von Erscheinungen, die nicht unbedingt unserem Denken gemäß sein müßten, so daB wir keinen Ansatzpunkt für eine Synthesis fänden und z. B. nichts "dem Begriff der Ursache und Wirkung entspräche". "Erscheinungen würden nichts destoweniger unserer Anschauung Gegenstände darbieten, denn die Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine Weise." (B 122/A 90 f.) In dem Kapitel über "Phaenomena und Noumena" betont Kant denselben Zusammenhang und die grundsätzliche Unterschiedenheit der beiden Erkenntnisstämme: "Die Kategorien gründen sich ihrem Ursprünge nach nicht auf Sinnlichkeit, wie die A n s c h a u u n g s f o r m e n , Raum und Zeit; scheinen also eine über alle Gegenstände der Sinne erweiterte Anwendung zu verstatten. Allein sie sind ihrerseits wiederum nichts als G e d a n k e n f o r m e n , die bloß das logische Vermögen enthalten, das mannigfaltige in der Anschauung Gegebene in ein Bewußtsein a priori zu vereinigen, und da können sie, wenn man ihnen die uns allein mögliche Anschauung wegnimmt, noch weniger Bedeutung haben, als jene reine sinnliche Formen, durch die doch wenigstens ein Objekt gegeben wird, anstatt daß eine unserm Verstände eigene Verbindungsart des Mannigfaltigen, wenn diejenige Anschauung, darin dieses allein gegeben werden kann, nicht hinzu kommt, gar nichts bedeutet." (B 305) So können Kategorien als Grundlagen des Denkens überhaupt

Mehrdimensionalität des Begriffs

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erklärt werden, wobei berücksichtigt werden muB, daß diese und alle vorhergehenden Umschreibungen nur in einem modifizierten Sinn Erklärungen sind. Eine Erklärung, die zu vollständiger Begriffsdeutlichkeit führen würde, müßte die ganze funktionelle Vielfalt des Terminus "Kategorie" berücksichtigen. Die Interpretation der umschreibenden Erklärungen wirft aber ein Licht auf die inhaltlichen Tendenzen, die die leere Form "Kategorie" im Kantischen System enthält. Solche erklärenden Annäherungen, von den verschiedenen Gebrauchsdimensionen des Begriffs aus, ermöglichen zumindest die Demonstration seiner differenzierten systematischen Position und geben einen Hinweis auf die breite Anwendung der Kategorien im Kantischen Philosophieren. Durch die Analyse dieses Gebrauchs von "Kategorie" und den einzelnen "Kategorien" wird ihre Erklärung als systematische Grundbegriffe möglich. Wie schon zu Beginn des Kapitels angemerkt, wurden zur Untersuchung des Begriffs "Kategorie" bei Kant und für die folgenden Kapitel, zur Untersuchung der Begriffe "Inhärenz", "Subsistenz", "Substanz", "Akzidens", "Kausalität", "Dependenz", "Ursache" und "Wirkung", die unveröffentlichten Stellen-Indices zu Kants gesammelten Schriften herbeigezogen. Sie ermöglichten eine Auswertung aller Anführungen dieser Begriffe in der "Kritik der reinen Vernunft". Ein ursprünglicher Bearbeitungsplan sah eine Klassifizierung dieser Stellen vor, die den vielschichtigen, von mir so genannten mehrdimensionalen, Gebrauch kategorialer Begriffe bei Kant demonstrieren sollte. Dadurch sollte belegbar werden, wie Kant kategoriale Begriffe in allen thematischen Schwerpunkten der "Kritik der reinen Vernunft" gebraucht und sie grundlegend für die Problemstellungen und die Problemlösungen einsetzt. Auf diese Weise wäre von einzelnen kategorialen Begriffen aus demonstriert worden, daß die philosophische Methodik Kants in allen Teilen der "Kritik der reinen Vernunft" auf den Kategorien, als Begriffen, die für alles Denken grundlegend sind, beruht. Die versuchte Systematik erfüllte aber die in sie gestellten Anforderungen nicht, weil innerhalb der systematischen Abteilungen Überschneidungen auftraten, z. B. in den Klassifika-

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

tionsbereichen: "Substanz als reiner kategorialer Begriff" und "Substanz im synthetischen Satz a priori", oder in: "Substanz als Idee" und "Substanz im noumenalen Gebrauch". Außerdem konnte nicht immer eindeutig entschieden werden, ob beim Gebrauch eines kategorialen Begriffs die Kategorie gemeint ist. z. B. "Substanz", oder ein anderer Sinn intendiert wird, z. B. "Materie". Daher bot diese Klassifizierung aller Anführungen der oben genannten kategorialen Begriffe nicht die geeignete Methode für den Nachweis systematischer Bedeutung der Kategorien bei Kant. Dagegen wurde nun im folgenden der Weg gewählt, eine Analyse geschlossener Problemstellungen und Problemlösungen bei Kant, im Hinblick auf den dabei auftretenden Gebrauch bestimmter kategorialer Begriffe, durchzuführen. So entstanden die folgenden Untersuchungen zum Paralogismenkapitel und zum dritten Widerstreit der reinen Vernunft.

3.2 Die strukturelle Fundierung des Paralogismenkapitels durch den kategorialen Begriff "Substanz" Der Kantische Terminus Kategorie läßt, so das Ergebnis des vorangehenden Kapitels, Erklärungen auf verschiedenen thematischen Ebenen zu. Diese Mehrdimensionalität ist Voraussetzung für die folgende Untersuchung von speziellen kategorialen Begriffen in ihrer Funktion als fundierende Gesetzmäßigkeiten innerhalb der "Kritik der reinen Vernunft". Das Phänomen der Mehrdimensionalität beruht auf der von Kant geschaffenen besonderen systematischen Geltung der Kategorientafel als "systematische Topik". Als Grundbestandteile dieser Topik haben auch einzelne Kategorien begriffliche Basisfunktion für die Probleme im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit historischen philosophischen Fragen und dem Neuaufbau einer kritischen Philosohpie. Als Beispiel soll im folgenden für die erste und die zweite Relationskategorie demonstriert werden, wie bestimmte Kategorien für besondere Problembereiche denkleitend sind. Inhaltlich ist die Prägung des Paralogismenkapitels durch

Fundierung des Paralogismenkapitels

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den Begriff "Substanz" offenkundig, weil die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele notwendigerweise auf die Frage nach der, gegenüber allem Akzidentellen, unwandelbaren Substanz führt. Formal läßt sich die grundlegende Bedeutung aus den drei, der gesamten Dialektik zugrunde liegenden, Schlüssen der reinen Vernunft, herleiten, wobei der kategoriale Schluß, der in Parallele zur ersten Relationskategorie gesehen werden kann, auf die Frage nach der Beziehung von Akzidens zu Substanz führt. Das erste Hauptstück des zweiten Buches der "Transzendentalen Dialektik", "Von den Paralogismen der reinen Vernunft", bearbeitet das erste der drei großen philosophischen Themen Mensch, Welt und Gott, nämlich die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele. Wie Kant im ersten Buch der "Transzendentalen Dialektik" anmerkt, liegen den Nachforschungen der Metaphysik drei Ideen zugrunde: " G o t t , F r e i heit und U n s t e r b l i c h k e i t " . Diese Anordnung der Fragestellung entspricht nach Kant einer " s y n t h e t i s c h e n " Ordnung. Die "Kritik der reinen Vernunft" wählt aber "in der Bearbeitung" das analytische Verfahren, um, "indem wir von demjenigen, was uns Erfahrung unmittelbar an die Hand gibt, der S e e l e n l e h r e , zur W e l t l e h r e , und von da bis zur Erkenntnis G o t t e s fortgehen, unseren großen Entwurf zu vollziehen." (B 395 Anm.) Daher steht die Frage nach der Selbsterkenntnis des Menschen, der Beziehung unserer Vorstellungen auf uns selbst, am Anfang der Ideenlehre. Da die Ideen der reinen Vernunft nicht die Erfahrungswirklichkeit bestimmen, sondern nur auf dem Umweg über die Verstandesbegriffe für die Empirie Regeln geben (vgl. Β 392/A 335), steht im Paralogismenkapitel für Kant nur die rationale Psychologie zur Diskussion. Ober die Möglichkeit empirischer Psychologie wird dabei nicht entschieden. Die Auseinandersetzung Kants mit der rationalen Psychologie und der damit verbundene Aufbau einer eigenen systematischen Position, die in der Idee eines, die Verstandeserkenntnis leitenden Vernunftprinzips, beruhend auf dem Relationspaar Inhärenz-Subsistenz, gipfelt, liegt in zwei der Form nach stark

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

voneinander abweichenden Textfassungen vor. Obwohl Kant das Kapitel zum größten Teil für die zweite Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" neu geschrieben hat, finden sich keine inhaltlichen Divergenzen* Die erste Auflage diskutiert die Wi derlegung der einzelnen Paralogismen ausführlicher, wobei interessante Details zur Sprache kommen, wie zum Beispiel die Fassung des Satzes der "Personalität" als Feststellung der Identität von Existenz der Zeit "in Mir, als individueller Einheit" und meiner Existenz "mit numerischer Identität in aller Zeit" (A 362) , oder in der Betrachtung über die "Summe der reinen Seelenlehre" die ausführliche Diskussion über die verkehrte dualistische Vorstellung von der Beziehung MaterieSeele, die Kant als verschiedene Erscheinungsarten aufgefaßt wissen will (A 384 f.), ein Thema, das auch in der zweiten Auflage im "Beschluß" wieder aufgenommen wird. Daß Kant für die zweite Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" das Kapitel zum größten Teil neu geschrieben hat, ist wohl im Zusammenhang seiner Neufassung der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" zu sehen, die es ihm notwendig erscheinen ließ, die Kritik an den Paralogismen zu straffen, weil deren Argumente in der neuen "Transzendentalen Deduktion" schon mit enthalten sind. Ein Vergleich der beiden Fassungen im einzelnen wird hier nicht durchgeführt. Weil die zweite Fassung dem jüngeren Stand der Kantischen Überlegungen entspricht, soll sie hier den Ausgangspunkt bilden und die erste dann mit herbeigezogen werden, wenn wichtige Abweichungen auftreten. Zum Beispiel wird die, zur "Erörterung des transzendentalen und doch natürlichen Scheins" und zur "Rechtfertigung" (A 396) der Anordnung des Kapitels nach der Kategorientafel gehörende Tafel, am Ende der ersten Auflage des Paralogismenkapitels, in der zweiten Auflage von Kant nicht mehr aufgeführt und statt dessen die "Tafel des Ich denke" aufgestellt, wodurch der Text der zweiten Auflage als eine sehr knapp gefaßte Argumentation erscheint, die auf diese, das Verständnis der anderen psychologischen Tafeln erleichternde Darstellung der hypostasierten Selbsterkenntnis, verzichtet. Deshalb muß diese Tafel zur Erklärung der Probleme in der zweiten

Inhalt des Paralogismenkapitels

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Fassung des Kapitels mit berücksichtigt werden. Alle drei Tafeln, die Kant im Zusammenhang seiner Kritik an der rationalen Seelenlehre aufgestellt hat, werden im zweiten Teil dieses Kapitels als strukturelle Schwerpunkte der Seelenlehre interpretiert. Zuerst sollen aber die Aussagen der rationalen Seelenlehre und die Kantische Kritik daran vorgeführt werden. 3.2.1 Der Inhalt des Hauptstücks "Von den Paralogismen der reinen Vernunft" Das Paralogismenkapitel (erstes Hauptstück des zweiten Buches der "Transzendentalen Dialektik") beginnt, in beiden Auflagen, mit dem Problemschwerpunkt der Parallelisierung des "Begriffs" oder wie Kant betont, des "Urteils" "ich d e n k e " mit dem Begriff der "Seele". Das denkende Ich als Gegenstand des inneren Sinnes wird als Seele interpretiert und dieser Gegenstand Seele mit Hilfe abstrakter Prädikate näher bestimmt (vgl. Β 400/A 342). Darin wurzelt der Konflikt mit der Kantischen Lehre von der Selbsterkenntnis des Menschen, die Kant nur auf das "Ich denke" als eine Art von Grundfaktum der Theorie gründen will, denn das "Ich d e n k e , ist also der alleinige Text der rationalen Psychologie, aus welchem sie ihre ganze Weisheit auswickeln soll" (B 401/A 343)» Kant betont im dritten Absatz des Kapitels, daß das "Ich denke", welches leicht als innere Wahrnehmung mißverstanden werden kann, "die bloße Apperzeption: Ich d e n k e " bedeutet, "welche sogar alle transzendentale Begriffe möglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die Ursache etc." (B 401/ A 343) Es handelt sich bei diesem Denken nicht um empirische Erkenntnis, sondern "um Erkenntnis des Empirischen überhaupt" (ebd.). Aus dieser Überlegung der dominierenden Stellung des "Ich denke" in der Erfahrungserkenntnis ergibt sich die erste Tafel der paralogistischen Seelenlehre, die, von der "Kategorie der Substanz" ausgehend, dem Leitfaden der Kategorientafel folgt und so eine "Topik der rationalen Seelenlehre" (B 402/ A 344) ergibt, in der als erste Position der kategoriale Begriff "Substanz" durch Sperrung hervorgehoben ist. In der

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

zweiten Position tritt der Begriff des "Einfachen" dazu, dem Moment der Qualität zugeordnet. Der dritte Punkt betont die "Einheit" der Seele in der Zeit, und die vierte Position hebt den kategorialen Begriff des "Möglichen" in der Beziehung der Seele auf Gegenstände im Raum hervor (ebd.). Aus diesen vier Positionen folgen vier paralogistische Schlüsse, die, aus dem "problematisch genommenen" Satz "Ich denke" auf das "Subjekt desselben" schließen. (B 405/A 347) Anders als in der ersten Auflage des Kapitels, in der die einzelnen Paralogismen als Schlüsse, wenn auch leicht verkürzt, dargestellt werden und darauf eine ausführliche Analyse folgt, stellt Kant in der zweiten Auflage nur sehr knapp die Denkfehler, die sich in der Tafel finden, vor. Beide Texte stimmen darin überein, daß das Ich des Denkens immer Subjekt des Denkens sein muß, daß das Ich nicht als Bestimmung dem Gedanken "inhärieren" kann (A 349) und deshalb kein "Prädikat" des Denkens darstellt (B 407) . Daraus aber auf ein Objekt zu schließen, das eine Bestimmung als Substanz ermöglicht, erfordert Erfahrungsbezug, der aber der "Topik der rationalen Seelenlehre" ausdrücklich nicht zugrunde liegt, weshalb schon in der ersten Position der Tafel falsch geschlossen wird. Auch bei der Kritik des zweiten Paralogismus liegt, in der zweiten Auflage des Textes, der Schwerpunkt der Argumentation auf dem Begriff der Substanz. Daß das "Ich" der Apperzeption ein "Singular" ist, ist ein analytischer Satz. Die Bestimmung dieses Ichs als einfache Substanz aber wäre eine synthetische Festsetzung, die im rein rationalen Bereich nicht begründbar ist. Die erste Auflage des Textes argumentiert sehr viel ausführlicher. Die Position der reinen Seelenlehre, der in diesem Zusammenhang bescheinigt wird, kein bloßes "sophistisches Spiel" zu sein (A 351), argumentiert mit der Einheit des Gedankens, der nicht "einem Zusammengesetzten, als einem solchen, inhärieren" könne, und daher Gedanken nur in "einer Substanz möglich" seien, "die nicht ein Aggregat von vielen, mithin schlechterdings einfach ist" (A 352) . Kant setzt dagegen die Überlegung, daß die Einheit des Gedankens, der aus vielen Vorstellungen besteht, kollektiv sei und sich

Inhalt des Paralogismenkapitels

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"eben sowohl auf die kollektive Einheit der daran mitwirkenden Substanzen beziehen (wie die Bewegung eines Körpers die zusammengesetzte Bewegung aller Teile desselben ist), als auf die absolute Einheit des Subjekts" beziehen könne (A 353). Die Notwendigkeit der Einfachheit der Substanz kann deshalb nicht "nach der Regel der Identität" gefolgert werden (ebd.). Daß der Mensch sich selbst im "Ich denke" als einfach denkt, streitet Kant nicht ab. Diese Einfachheit ist aber eine nur transzendentale Bezeichnung, womit "das Subjekt der Inhärenz durch das dem Gedanken angehängte Ich nur transzendental bezeichnet werde, ohne die mindeste Eigenschaft desselben zu bemerken, oder überhaupt etwas von ihm zu kennen oder zu wissen" (A 354 f.) Diese Einfachheit ist keine "Erkenntnis von der Einfachheit" (A 355) , sondern die Vorstellung eines vollkommen leeren Ichs, eine rein logische Funktion. An diese Argumentation schließt sich, in der ersten Fassung des Kapitels, eine Überlegung an, die in der zweiten Fassung erst ganz am Ende kurz aufgenommen wird (s. Β 427 f.). Das Problem der Erkenntnis der Seele ist nämlich, nach Kant, nicht prinzipiell von dem der Erkenntnis der Materie unterschieden. Die einfache Natur der Seele diente traditionell als Argument für die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Materiellem und Immateriellem und von daher als Beweis für die Unzerstörbarkeit der Menschenseele. Nach Kants Uberzeugung aber sind sowohl Seele als auch Materie dem Menschen nur als Erscheinungen erfahrbar, die eine dem inneren, die andere dem äußeren Sinne. Als Sinnenabhängige sind beide der Vergänglichkeit unterworfen. Ob Materie einen nicht-materiellen Aspekt besitzt, der sich der äußeren Erfahrung verbirgt und der Zeitlichkeit entzieht, können wir nicht entscheiden, weshalb die Hypothese von der Einfachheit der Seele kein Argument für ihre prinzipielle Überlegenheit gegenüber der Materie bietet. (A 358 f.) Als Hypothese jedenfalls ist durchaus denkbar, daß "also der Substanz, der in Ansehung unseres äußeren Sinnes Ausdehnung zukommt, an sich selbst Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit Bewußtsein vorgestellt werden können", wodurch der Ausdruck wegfallen kann, "daß nur Seelen (als be-

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

sondere Arten von Substanzen) denken; es würde vielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen denken, d. i. eben dasselbe, was als äußere Erscheinung, ausgedehnt ist, innerlich (an sich selbst) ein Subjekt sei, was nicht zusammengesetzt, sondern einfach ist und denkt" (A 359 f.). Seele und Materie aber können durch die menschliche Erkenntnisfähigkeit nur insofern unterschieden werden, als die eine als Erscheinung des inneren Sinnes, die andere als eine des äußeren Sinnes bestimmt werden kann, der noumenale Hintergrund beider Phänomene erschließt sich uns nicht durch die Erfahrungserkenntnis. Die dritte Position der Tafel, die die Einheit der Seele in verschiedenen Zeiten in den Vordergrund stellt, entspringt analytisch aus dem "Ich denke", das alles Denken begleitet. Dem liegt, wie die zweite Auflage argumentiert, keine Anschauung zugrunde, so daß auch keine Erkenntnis "der Identität seiner eigenen Substanz, als denkenden Wesens, in allem Hechsei der Zustände" entstehen kann (B 408). Die erste Fassung des Textes argumentiert gründlicher. Die Form der inneren Anschauung und das numerisch identische Selbst müssen als identische Grundlage aller meiner Vorstellungen angenommen werden, was zu der bemerkenswerten Konsequenz führt: "... es ist einerlei, ob ich sage: diese ganze Zeit ist in Mir als individueller Einheit, oder ich bin, mit numerischer Identität, in aller dieser Zeit befindlich" (A 362). Von der äußeren Anschauung her gesehen aber wird diese Identität fraglich. Kant führt in einer Anmerkung (A 363) das Beispiel der elastischen Kugeln an, die aneinander stoßen, um zu zeigen, daß auch die inneren Zustände der Substanz als übertragbar angesehen werden können, und wir daher von der eigenen Bewußtheit der augenblicklichen Identität als innerem Zustand nicht auf die der Seele als einer "beharrlichen Erscheinung" schließen können. (A 364) Der letzte paralogistische Fehlschluß, der auf die bloße Möglichkeit der von mir unterschiedenen Dinge schließt, wird in der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" nur sehr kurz dahingehend verworfen, daß der Mensch nicht wissen könne, ob seine Existenz als reines denkendes Wesen möglich sei und daher die Existenz der äußeren Dinge nicht als zweifelhaft be-

Inhalt des Paralogismenkapitels

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weisbar ist (vgl. Β 409). Die Kritik in der ersten Auflage unterscheidet zwischen transzendentalem und empirischem Idealismus. DaB nämlich die Erscheinungen, da sie nur Uber innere Vorstellungen erschlieBbar sind, Zweifel bezüglich der Existenz von Gegenständen zulassen, kann auch der transzendentale Idealismus nicht ausschließen. Diese Zweifel können aber nur auf transzendentalphilosophischer Ebene sinnvoll formuliert und diskutiert werden. Auf der Ebene der empirischen Wirklichkeit muB der transzendentale Idealist Realist sein, weil die Verleugnung der Realität der Außenwelt, wenn sie auch für uns nur über Vorstellungen erschließbar ist oder nur aus Vorstellungen besteht, für jede Theorie menschlichen Verhaltens und Handelns katastrophale Folgen hätte. Die Theorie des transzendentalen Realismus, die die Gegenposition einnimmt, muß erklären können, wie der Mensch zur Erkenntnis der Wirklichkeit äußerer Gegenstände, als Dingen an sich selbst, kommen kann. Da der Mensch letztlich nur "in sich selbst" empfinden kann, jede Erkenntnis der Außenwelt aber über die innere Empfindung vermittelt wird, bleibt nach Kant als Ausweg nur "die einzige Zuflucht, die uns übrig bleibt, nämlich zu der Idealität aller Erscheinungen, zu ergreifen, welche wir in der transzendentalen Ästhetik unabhängig von diesen Folgen, die wir damals nicht voraussehen konnten, dargetan haben" (A 378 f.). Das " t r a n s z e n d e n t a l e O b j e k t " , das sowohl äußeren als auch inneren Erscheinungen "zum Grunde liegt" (A 380), verbirgt sich dem Menschen und kann deshalb erkenntnistheoretisch nur als problematischer Faktor eingesetzt wer-

15 Dasselbe gilt für ein "transzendentales Subjekt": "Man kann zwar auf die Frage, was ein transzendentaler Gegenstand für eine Beschaffenheit habe, keine Antwort geben, nämlich, w a s er s e i , aber wohl, daB die F r a g e selbst n i c h t s s e i , darum, weil kein Gegenstand derselben gegeben worden. Daher sind alle Fragen der transzendentalen Seelenlehre auch beantwortlich und wirklich beantwortet; denn sie betreffen das transzendentale Subjekt aller Inneren Erscheinungen, welches selbst nicht Erscheinung ist und also nicht als Gegenstand g e g e b e n ist, und worauf keine der Kategorien (auf welche doch eigentlich die Frage gestellt ist) Bedingungen Ihrer Anwendungen antreffen." Β 507/A 479 Anm.

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

Nach Kant steht und fällt mit der Berechtigung der Kritik dieser Paralogismen die ganze "Kritik der reinen Vernunft", weil die Paralogismen mit Hilfe synthetischer Sätze a priori den Beweis für die Erkenntnis von Noumenalem zu erbringen versuchen. Synthetische Sätze a priori können aber nur für die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung sinnvoll, weil überprüfbar aufgestellt werden. Deshalb muß ein solcher Versuch im Bereich der rationalen Seelenlehre scheitern (vgl. Β 410) Der allen vier Tafelpositionen zugrunde liegende, paralogistische Vernunftschluß arbeitet mit begrifflichen Fehlinterpretationen. Der Obersatz setzt ein Subjekt in der Anschauung, der Untersatz hebt jedoch den noumenalen Aspekt heraus, so daß der Schlußsatz über erfahrbare Realität nichts aussagen kann. Als Beispiel einer solchen philosophischen Position, die den Bereich des Denkens mit dem der Anschaubarkeit verwechselt, zieht Kant die Aussagen von Moses Mendelssohn in dessen "Phädon" heran und zeigt mit fast satirischer Schärfe, wie philosophische Spekulation ihr Ziel der Wahrheitsfindung verfehlen kann. Interessant ist Kants "Widerlegung des Mendelssohnschen Beweises der Beharrlichkeit der Seele" vor allem deshalb, weil sich Kant dabei auf den transzendentalen Realismus des Autors einläßt und, mit Hilfe der eigenen transzendentalphilosophischen Grundlegung in der "Transzendentalen Analytik", dessen Wirklichkeitskonstruktion unter Anwendung seines Begriffs der intensiven Größen widerlegt. (B 415 f.) Diese Passage ist in der ersten Fassung des Paralogismenkapitels nicht enthalten. Dort schließt sich an die einzelne Kritik der vier Tafelpositionen eine "Betrachtung über die Summe der reinen Seelenlehre zu Folge dieser Paralogismen" an. Als Konsequenz aus der Untersuchung der paralogistischen Schlüsse ergibt sich, daß ein rein "negativer Nutzen" diesen

16 Der Kern des Kantischen Argumentes tiger synthetischer Sätze a priori in der "Transzendentalen Ästhetik" wleeene notwendige transzendentale mungen aufheben würde.

liegt darin, daß der Nachwels gülln der rationalen Seelenlehre, die und "Transzendentalen Analytik" beFundierung der kategorlalen Bestim-

Inhalt des Paralogismenkapitels

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Überlegungen nicht abgesprochen werden kann, weil die rationale Seelenlehre in ihrer idealistischen Interpretation die "Gefahr des Materialismus" abwendet. (A 382 f.) Dadurch, dafi alle äußere Erscheinung nur als Vorstellung des denkenden Selbst angesehen werden muß, ist auch die Existenz der Materie mit der Existenz des denkenden Wesens verbunden. (Vgl. A 383) Das eigentliche Ziel der klassischen rationalistischen Psychologie aber liegt, laut Kant, in der Beantwortung der drei Fragen: "1) von der Möglichkeit der Gemeinschaft der Seele mit einem organischen Körper, d. i. der Animalität und dem Zustande der Seele im Leben des Menschen, 2) vom Anfange dieser Gemeinschaft, d. i. der Seele in und vor der Geburt des Menschen, 3) dem Ende dieser Gemeinschaft, d. i. der Seele im und nach dem Tode des Menschen (Frage wegen der Unsterblichkeit)." (A 384) Diesen Fragen und ihren Antworten in den paralogistischen Schlüssen liegt, nach Kant, ein grundsätzliches Mißverständnis über unsere Erkenntnismöglichkeit von Materiellem und Seelischem zugrunde. Letzten Endes beruht dieses Mißverständnis auf der dualistischen Vorstellung von der denkenden und der ausgedehnten Substanz, die in gemeinsamem geheimnisvollem Zusammenwirken Leben ausmachen. Uber die Art dieses Zusammenwirkens bestehen nach Kant drei verschiedene Theorien, die des physischen Einflusses, der vorherbestimmten Harmonie und der Übernatürlichen Assistenz (vgl. A 390). Die Probleme, die diese Theorien nicht lösen können, verschwinden aber, wenn, der Kantischen Theorie folgend, die äußere Anschauung nur als eine vorgestellte Relation der denkenden und anschauenden Substanz aufgefaßt wird, "zu Dingen, die für sich bestehen" (A 392). Warum der Mensch aber äußere Anschauung hat und wie sie möglich ist, ist eine unbeantwortbare Frage, "und man kann diese Lücke unseres Wissens niemals ausfüllen, sondern nur dadurch bezeichnen, daß man die äußere Erscheinungen einem transzendentalen Gegenstande zuschreibt, welcher die Ursache dieser Art Vorstellungen ist, den wir aber gar nicht kennen, noch jemals einigen Begriff von ihm bekommen werden." (A 393) Dieses Nichtwissen-Können bezieht sich auch auf die Ursache der inneren Erscheinungen. Auch die Eigen-

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

schaft der Seele entzieht sich unserer Erkenntnis, so daß der Dualismus von Seele und Materie wegfällt und nicht mehr "von der Gemeinschaft der Seele mit anderen bekannten und fremdartigen Substanzen auBer uns" gesprochen werden muß, "sondern bloß von der Verknüpfung der Vorstellungen des inneren Sinnes mit den Modifikationen unserer äußeren Sinnlichkeit" (A 385 f.) In diesem Zusammenhang findet sich eine der seltenen Bemerkungen Kants zur eigenen Methode des philosophischen kritischen Verfahrens. Alle " E i n w ü r f e " gegen eine Theorie teilt er ein in " d o g m a t i s c h e , k r i t i s c h e und s k e p t i s c h e " (A 388) . Die dogmatischen und die skeptischen Verfahren versuchen aus der Beschaffenheit des Gegenstandes der Theorie eine Falsifikation der theoretischen Sätze zu leisten, wobei der Skeptiker "Satz und Gegensatz wechselseitig gegen einander, als Einwürfe von gleicher Erheblichkeit" (ebd.) analysiert, um dadurch "alles Urteil über den Gegenstand gänzlich zu vernichten" (A 389) . Der kritische Einwurf aber richtet sich nur gegen den Beweis. Er "bedarf gar nicht den Gegenstand besser zu kennen, oder sich einer besseren Kenntnis desselben anzumaßen; er zeigt nur, daß die Behauptung grundlos, nicht, daß sie unrichtig sei" (A 388) . Da also das kritische Verfahren keine Kenntnis eines dem Menschen grundsätzlich verborgenen Gegenstandes vorgeben muß, ist es bei der Untersuchung der letzten menschlichen Wissensmöglichkeiten gegenüber den anderen Verfahren im Vorteil. In der zweiten Auflage des Kapitels folgt, auf die Kritik an der Mendelssohnschen Position, die kurze formale Kritik an der Tafel der "Topik der rationalen Seelenlehre", daß nämlich hier "synthetisch" von der Kategorie der Substanz ausgehend verfahren worden sei, wobei sich im Rückwärtsschritt die anderen Positionen ergeben haben, so daß zuletzt eine Existenzbehauptung ohne zureichende Verankerung in der Anschauung entstanden sei. Dagegen stellt Kant nun, mit Hilfe des analytischen Verfahrens, die neue Tafel des "Ich denke", die mit der Modalitätsposition einsetzt und ebenfalls rückwärts die anderen Kategorienpositionen erfaßt. Die Bestimmung der Seele als Substanz fällt dabei weg, von dem "empirischen" Satz aus "Ich

Inhalt des Paralogismenkapitels

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e x i s t i e r e denkend" (420) ist nicht entscheidbar, ob der Mensch als Substanz oder als Akzidens existiert. Es bleibt nur die logische Bezeichnung des "Ich" als Subjekt des Denkens, was Kant zu dem Schluß führt, daß rationale Psychologie, wegen der Unerkennbarkeit ihres Gegenstandes, nicht als Doktrin, sondern nur als Disziplin möglich sei, wobei sie mithilft, einerseits den Materialismus zu überwinden, andererseits den Spiritualismus zu vermeiden. (Vgl. Β 421) Daß der grundlegende Fehler der Paralogismen danach nicht in der falschen Anwendung der formalen Logik liegt, sondern an der fehlerhaften Anwendung der Kategorien, betont Kant ausdrücklich. Die Einheit des Selbstbewußtseins ist nicht anschaulich gegeben. Sie ist nur "Einheit im D e n k e n " (B 422). Das Subjekt des Denkens aber ist kein Erkenntnisgegenstand, denn "das Subjekt der Kategorien kann also dadurch, daß es diese denkt, nicht von sich selbst als einem Objekte der Kategorien einen Begriff bekommen" (ebd.). Diese Unbeweisbarkeit der Weiterexistenz der Seele nach dem Tode bietet, nach Kant, Raum für den menschlichen Glauben, verbunden mit der Hoffnung des Menschen auf Unsterblichkeit, auf Grund solcher Überlegungen, die auch der "gemeinen Menschenvernunft" (B 424) plausibel sind. Die Beobachtung der Natur lehrt die Zweckmäßigkeit des menschlichen Lebens, und der Schluß auf die damit verbundene Zugehörigkeit zu einer vollkommenen, idealen Welt in der Idee, ist zwar auf der Ebene der Erfahrungserkenntnis nicht zulässig, kann aber auf der Ebene der für die Erfahrungserkenntnis leitenden Vernunftschlüsse zugelassen werden, sofern diese Ideen nicht wieder hypostasiert werden und die Erkennbarkeit von Dingen an sich vorgeben. Der "Beschluß der Auflösung des psychologischen Paralogismus" geht noch einmal auf das grundsätzliche erkenntnistheoretische Problem des Verhältnisses von Erscheinung und Ding an sich ein und knüpft dabei an die Betrachtungen aus der ersten Auflage des Kapitels an (vgl. S. 146 - 147). Das Problem der Erklärung der Gemeinschaft der Seele mit dem Körper löst sich mit Hilfe der Kantischen Grundlegung aus der "Transzendentalen Ästhetik". Beide sind nur als Anschauungen erfaßbar, die ei.ie

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

als innere, die andere als äußere. Das Ding an sich, das zugrunde liegt, ist nicht erkennbar. Das Bewußtsein des eigenen Ich, als einfach und identisch zugrunde liegend, ist zwar die Voraussetzung jeder Theorie über menschliche Erkenntnis überhaupt, aber mit den Mitteln einer solchen Theorie nicht erkennbar . Die abschließenden Abschnitte der ersten Fassung des Paralogismenkapitels führen in ihrer Erörterung des "transzendentalen und doch natürlichen Scheins in den Paralogismen der reinen Vernunft" und der daran anschließenden "Rechtfertigung der systematischen und der Tafel der Kategorien parallel laufenden Anordnung derselben" (A 396) zu einer weiteren Tafel, die die Vergeblichkeit demonstriert, mit Hilfe kategorialer Erkenntnis die Unendlichkeit des Leib-Seele-Wesens Mensch zu erklären. Diese Tafel ist ausführlich formuliert und bietet deshalb die Möglichkeit, aus den als falsch erkannten Sätzen auf die Möglichkeit zu schließen, die Kant einer auf transzendentalphilosophischer Basis ruhenden Selbsterkenntnis zugesteht. Die Ausführungen setzen ein mit der Darstellung der dialektischen Schlüsse überhaupt, die, indem sie jeweils die unbedingte Totalität der Synthesis der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten erschließen, drei große Themen haben: "1. Die Synthesis der Bedingungen eines Gedankens überhaupt, 2. Die Synthesis der Bedingungen des empirischen Denkens, 3. Die Synthesis der Bedingungen des reinen Denkens." (A 397) Bei dem hier in Frage stehenden ersten Thema entsteht der "allein in der Form" (A 398) liegende Fehler des Paralogismus dadurch, daß hier "von aller Beziehung des Gedankens auf irgend ein Objekt" abstrahiert wird und deshalb die "Synthesis der Bedingungen eines Gedankens überhaupt (no. 1) gar nicht objektiv, sondern bloß eine Synthesis des Gedankens mit dem Subjekt" ist, so daß hier "fälschlich" die "synthetische Vorstellung eines Objekts" hervorgerufen wird (A 397). Die "Attribute" der Tafel der "Topik der rationalen Seelenlehre" sind deshalb lediglich reine Kategorien, die nur die "Einheit der Vorstellungen, um einen Gegenstand derselben zu bestimmen" bezeichnen (A 399) . Daß der Mensch diesem Fehlschluß verfällt und Eigenbestimmung des

Inhalt des Paralogismenkapitels

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Subjekts mit ObjektbeStimmung verwechselt, hängt mit der zugrunde liegenden Struktur der kategorialen Erkenntnis selbst zusammen. Das Selbstbewußtsein ermöglicht die Kategorien über das "Ich denke", weil die Kategorien die möglichen Formen der transzendentalen Apperzeption sind. Deshalb ist "das Selbstbewußtsein überhaupt die Vorstellung desjenigen, was die Bedingung aller Einheit, und doch selbst unbedingt ist" (A 401). Das Selbstbewußtsein des "denkenden Ich", das als "Substanz" gedacht werden kann, erkennt nicht " s i c h s e l b s t d u r c h die K a t e g o r i e n " , sondern erkennt "die K a t e g o r i e n , und durch sie alle Gegenstände, in der absoluten Einheit der Apperzeption, ... d u r c h sich s e l b s t " (A402). Das so genannte "sophisma figurae dictionis" entsteht· nun, indem "der Obersatz von der Kategorie, in Ansehung ihrer Bedingungen, einen bloß transzendentalen Gebrauch, der Untersatz aber und der Schlußsatz in Ansehung der Seele, die unter diese Bedingung subsumiert worden, von eben der Kategorie einen empirischen Gebrauch macht" (A 402). Danach folgt die ausführliche Darstellung der dialektischen Schlüsse in ihrer Vollständigkeit mit Hilfe der Anordnung der Kategorientafel. Die Apperzeption, wobei offenbleibt, ob damit das reine "Ich denke" oder die gewissermaßen objektivierte Apperzeption des gedachten Gegenstandes "Seele" gemeint ist, wird durch "alle Klassen der Kategorien, aber nur auf diejenige Verstandesbegriffe durchgeführt ..., welche in jeder derselben den übrigen zum Grunde der Einheit in einer möglichen Wahrnehmung liegen" (A 403). Daraus ergeben sich als zugrunde liegende kategoriale Begriffe: "Subsistenz, Realität, Einheit (nicht Vielheit) und Existenz" (ebd.). Sie entsprechen denen der "Topik der rationalen Seelenlehre". Die Positionen der Tafel sind aber ausführlicher formuliert, was in bezug auf die Kategorie der Inhärenz und Subsistenz in der ersten Position wichtig ist, die Kant so formuliert: "Also erkennt die Seele an sich selbst 1. Die u n b e d i n g t e Einheit des Verhältnisses d. i. sich selbst, nicht als inhärierend sondern subsistierend". ( A 403 f.) Die zweite

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

Position bestimmt die Seele als qualitativ einfach, die dritte als Einheit in der Zeit. Die vierte Position der Tafel wird thematisch bestimmt von dem modalen Begriff Dasein, wobei hier, weitergehend als in der "Topik", die Erkenntnis des Daseins der Seele in der Welt postuliert wird. Dabei verdeutlicht sich die Beziehung zu den Grundsätzen des reinen Verstandes, die stets die Erkenntnis der äußeren Erfahrung für die Feststellung der Wirklichkeit eines Gegenstandes erfordern. Weil die Subsistenz der Seele nicht beweisbar ist, bleibt der kritischen Betrachtung nur der Ausweg offen, Seele als aus empirischen Vorstellungen abstrahierbar, zu erschließen, eine Folgerung, die Kant hier nicht ausspricht, die aber unter Berücksichtigung der Kantischen Methodik konsequent erscheint, weil Kant nie spekulativ auf Empirie schließt, sondern immer von der Erfahrungswirklichkeit aus die grundlegenden transzendentalen Bestimmungen erforscht. Kant schließt das Kapitel bezeichnenderweise mit dem Hinweis, daß nicht das "Ich denke", sondern der Satz "Ich bin" den Prädikaten der reinen Seelenlehre zugrunde liegt, der aber als ein immer "einzelner" Satz (B 405) nur den Schein der Geltung für alle denkenden Wesen bei sich führt und daher nicht transzendentalphilosophisch fundierend sein kann. 3.2.2 Die strukturellen Schwerpunkte des Paralogismenkapitels Die Kantische Analyse des Seelenproblems zeigt, daß die Seele nicht als Substanz erkannt werden kann. Kants Kritik an jedem, wie auch immer formulierten, dogmatischen Denken "ohne v o r a n g e h e n d e K r i t i k i h r e s eig e n e n V e r m ö g e n s " (Β XXXV) und sein Verweis auf die Gegebenheitsbedingungen des Erkennens lassen vermuten, daß auch der Versuch, die Bedingungen unseres Denkens zu erfassen, zuletzt auf das empirisch Gegebene zurückgreifen muß. Das Verhältnis von Inhärenz und Subsistenz, das, nach der Kategorientafel, jede relationale Gegenstandserkenntnis strukturiert, liegt auch der Selbsterkenntnis zugrunde. Die theoretische Erforschung der Seele darf sich daher nicht an dem ka-

Schwerpunkte des Paralogismenkapitels

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tegorialen Begriff "Substanz" allein orientieren. Erst die praktische Philosophie, die die Bestimmungsgründe des Handelns untersucht, kann den Menschen als Persönlichkeit auch substan17 tiell bestimmen. Im theoretischen Bereich kann Erkenntnis der Seele nur als Erkenntnis eines, der Erfahrungserkenntnis Inhärierenden, aufgefaßt werden. Das metaphysische System, dessen Grundstruktur die Kategorientafel zeigt, stellt dafür die Relation Inhärenz-Subsistenz zur Verfügung, womit deutlich wird, daß auch auf der Stufe der metaphysischen Reflexion, ohne Beziehung auf das Inhärente, keine Erkenntnis entsteht. Das relationale Gefüge der zugrunde liegenden Kategorien des reinen Verstandes enthält den Schlüssel zur Auflösung der paralogistischen Fehlschlüsse. Deshalb sollen die Tafeln des Paralogismenkapitels als abgeleitete Systeme der Kategorientafel für die Problem der Seelenlehre verstanden werden und als strukturelle Schwerpunkte des Kapitels interpretiert werden, die nicht nur das Problem aufgliedern, sondern gleichzeitig Kants Denkweg im Problembereich der Seelenlehre demonstrieren. Kant entlehnt die strukturelle Basis seiner Untersuchung "Von den Paralogismen der reinen Vernunft" auf zweierlei Weise aus der Kategorienlehre, formal über die Lehre von den Ideen als geschlossenen Begriffen, wofür nach der Kantischen Logik der kategorische, der hypothetische und der disjunktive Vernunftschluß zur Verfügung stehen (B 378/A 322), inhaltlich aus den drei Wissensbereichen, die alle Beziehungen unserer Vorstellungen, die überhaupt möglich sind, umfassen, nämlich: "1) die Beziehung aufs Subjekt, 2) die Beziehung auf Objekte, und zwar entweder als Erscheinungen, oder als Gegenstände des Denkens überhaupt" (B 390 f./A 333 f.), woraus sich "alles Verhältnis der Vorstellungen, davon wir uns entweder einen Begriff, oder Idee machen können," ergibt: "1. das Verhältnis zum Subjekt, 2. zum Mannigfaltigen des Objekts in der Erschei-

17 Damit ist aber kein Unsterblichkeitsbeweis gemeint, sondern die moralphilosophische Begründung des Menschen als Wertsetzendem. Vgl. Bd. V, S. 66, "Tafel der Kategorien der Freiheit In Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen".

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

nung, 3. zu allen Dingen überhaupt." (B 391/A 334) Diese Themen der reinen Vernunft beruhen auf dem Verstandesdenken. Sie entwickeln sich daraus notwendig als bis zum Unbedingten gedachte Beziehungen des Denkens selbst. Die Vernunft besitzt dabei keine eigene Begrifflichkeit, sondern gebraucht die Verstandesbegriffe, wobei sie die jeweils letzte Bedingung des eigenen Denkenkönnens aufsucht. Diese "absolute Totalität der Synthesis auf der S e i t e der B e d i n g u n g e n " steht, nach der schon zitierten Aussage Kants zum "System der transzendentalen Ideen", die die nicht-dialektischen obersten Begriffe der Vernunft betrifft, unter dem kategorialen Gesetz der Relationalität, wobei Kant die Relationskorrelate "der Inhärenz oder der Dependenz oder der Konkurrenz" besonders betont. (B 393/A 336) Aus diesen Stellen im ersten Buch der "Transzendentalen Dialektik" ergibt sich die doppelte kategoriale Fundierung der transzendentalen Ideen, einerseits von den Urteilsformen her über den kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Vernunftschluß, andererseits direkt über die Verhältnisformen, die die Themen der Einheit des Subjekts, der Einheit der Mannigfaltigkeit in der Erscheinung und der Einheit aller Dinge überhaupt vorgeben. Da alles Denken vom Gegebenen ausgehen muß, um nicht dogmatische Irrtümer zu begehen, können die gedachten Bedingungen aller Gegenstände und des Menschen selbst nur als Beziehungsglieder aufgefaßt werden, die für sich keine absolute Geltung beanspruchen können. Die Darstellung der, den historischen Stand der Forschung aufzeigenden Ideenlehre in den theoretischen Themen Mensch, Welt und Gott, sieht aber von den hier grundlegenden Kategorien, nämlich den paarweise geordneten Verhältnisgliedern ab und zeigt die Probleme in ihrer historischen Gestalt. Dabei wird für die Seelenlehre der Begriff der Substanz leitend. Die drei Tafeln, die Kant für die beiden Auflagen des Paralogismenkapitels gestaltet hat und die eine gewisse Art von Gesetzmäßigkeit des Denkens Uber die Seele zum Ausdruck bringen, beinhalten die kategorialen Zusammenhänge, mit denen Kant das Thema erfaßt, zergliedert und seine allein gültige Form festsetzt. Daher sollen die Tafeln im einzelnen analysiert

Schwerpunkte des Paralogismenkapitels

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werden. Die erste Tafel des Paralogismenkapitels, die beiden Auflagen gemeinsam ist, ist die "Topik der rationalen Seelenlehre", eine Bezeichnung, die Kant selbst in dem die Tafel einleitenden Absatz anführt (B 402/A 344). Die, thematisch gesehen, zweite Tafel aus der ersten Auflage des Paralogismenkapitels soll hier "systematische Tafel" heißen, weil Kant bei ihrer Einführung betont, daB sie den "systematischen Zusammenhang" der dialektischen Behauptungen der Seelenlehre zufolge 18

der Kategoriensystematik darstelle (vgl. A 403). Die dritte Tafel, die Kant erst gegen Ende der zweiten Fassung des Kapitels aufstellt, ist die "Tafel des Ich denke", das hier nicht nur alle Positionen begleitet, sondern selbst in der Tafel an oberster Stelle steht. Die Tafeln haben nach Kant folgende Gestalt :

Die "Topik der rationalen Seelenlehre" (B 402/A 344): 1. Die Seele ist S u b s t a n z 2. Ihrer Qualität nach

einfach .

zu

3. Den verschiedenen Zeiten nach in welchen sie da ist, numerisch-identisch, d. 1. E i n h e i t (nicht Vielheit).

4. Im Verhältnisse m ö g l i c h e n Gegenständen im Räume.

18 Die Bezeichnung "systematische Tafel" soll abkürzend stehen für die Bedeutung dieser Tafel als Versuch, eine systematische Aufarbeitung der Positionen der rationalen Seelenlehre zu liefern.

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K a t e g o r i e n als s y s t e m a t i s c h e

Die " s y s t e m a t i s c h e T a f e l "

Grundbegriffe

(A 404)s

1. u n b e d i n g t e E i n h e i t des V e r h ä l t n i s s e s d. i . s i c h s e l b s t , nicht a l s i n h ä r i e r e n d , sondern subsistierend

D i e

3. 20 Die unbedingte Einheit b e i der Vielheit i n der Z e i t , d. i . n i c h t in verschiedenen Zeiten numerisch v e r s c h i e d e n , Eines sondern a l s dasselbe und eben Subjekt

2. 19 Die unbedingte E i n h e i t der Qualität d. i . n i c h t a l s r e a l e s Ganzes, sondern einfach

4. u n b e d i n g t e E i n h e i t des Daseins Im Räume, d. i . nicht a l s das Bewußtsein mehrerer Dinge außer i h r , sondern nur des Daseins ihrer selbst anderer Dinge a b e r , bloß a l s ihrer Vorstellungen. D i e

D i e "Tafel des Ich denke"

I c h a l s

2. S u b j e k t ,

a l s

(B 419) : 1. d e n k e , a l s

3. e i n f a c h e s S u b j e k t ,

4. i d e n t i s c h e s S u b j e k t , in jedem Zustande meines Denkens.

19 Hie b e i P o s i t i o n 1 und 4 im O r i g i n a l g e s p e r r t gedruckt. 20 Siehe Anmerkung 19.

Schwerpunkte des Paralogismenkapitels

147

Die "Topik der rationalen Seelenlehre", mit ihrer Darstellung der historischen Position des dogmatischen Spiritualismus, setzt ein mit dem kategorialen Begriff Substanz. Dieser Begriff ist,im strengen Sinne genommen, keine Kategorie des reinen Verstandes. Nur in der lateinischen Form "substantia", gekoppelt mit "accidens", erscheint der Begriff als Klammerausdruck zum Verhältnis von Inhärenz und Subsistenz. Wenn "Substanz" als Synonym zum lateinischen Ausdruck "substantia" angesehen werden darf, ist also Substanz Korrelat der Erläuterung zu Subsistenz. Als eigentlich erste Position innerhalb der Relationskategorien muß der Begriff "Inhärenz" gelten, Kant hat diese Positionsfragen aber nicht näher erläutert. In Kants "Transscendentaler Tafel der Verstandesbegriffe", der Kategorientafel in den "Prolegomena", heißt die erste Relationskategorie "Substanz" (Bd. IV, S. 303). Daß die "Topik der rationalen Seelenlehre" den ersten Relationsbegriff aus der Tafel der "Prolegomena" wählt, die nach Heidemann als "Tafel 21

der positiven Wissenschaften" zu interpretieren ist, weist bereits auf den erkenntnistheoretischen Irrtum der dogmatischen Seelenlehre hin. Da Kant auch in der "Kritik der reinen 22 Vernunft" den Ausdruck "Kategorie der Substanz" gebraucht , scheint der Einsatz gerechtfertigt zu sein. Daß dabei der relationale Aspekt des Selbstbewußtseins unterschlagen wird, weil eigentlich das ganze Relationspaar mit zur Bestimmung der Seele herangezogen werden mUßte, wird in Kants späterer Kritik an dieser Tafelposition deutlich. Da aber das Thema der rationalen Seelenlehre insgesamt mit dem kategorischen Urteil gekoppelt ist (vgl. Β 379/A 323), ist es von der formalen Seite her einleuchtend, mit Substanz einzusetzen. Die zweite Position der Tafel behauptet, unter dem Gesichtspunkt der Qualität, die Einfachheit der Seele. Der Begriff des "Einfachen" ist keine Kategorie. Auch daher verweist eine Anmerkung zur zweiten Position der "systematischen Tafel" in der

21 Heidemann, Die Kategorientafel als systematische Topik, S. 59. 22 Β 227/A 184, Β 302/A 244, Β 402/A 344, Β 441/A 414, A 245 f., A 349, Β 429.

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

ersten Auflage auf das "folgende Hauptstück", die Antinomienlehre, in dem der Zusammenhang zwischen dem Einfachen und der Kategorie der Realität "gewiesen" werden soll (A 404). Der Hinweis zielt auf Kants Diskussion der zweiten Antinomie der reinen Vernunft, auf den Widerstreit der kosmologischen Theorie von den einfachen Bestandteilen der Substanzen in der Welt und der Theorie der unendlichen Teilbarkeit der Substanzen in der Welt. Diese schwierige und von Kant ausführlich dargestellte Streitfrage ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung. Wichtig ist aber von daher, wie der Zusammenhang zwischen dem Begriff der Realität und dem Einfachen von Kant hergestellt wird. Die Thesis der zweiten Antinomie argumentiert in ihrem Beweis mit der Notwendigkeit einfacher Grundbestandteile der Materie. Jede zusammengesetzte Substanz muB aus einfachen Teilen bestehen, weil jede Zusammensetzung prinzipiell aufhebbar ist und so ohne einfache Grundsubstanz alles Substantielle aufhebbar wäre. Der Beweis der Antithesis setzt dagegen die Verwiesenheit des Menschen auf räumlich Gegebenes. Der Raum, mit der Form der äußeren Anschauung gegeben, faßt aber "ein außerhalb einander befindliches Mannigfaltiges in sich" (B 463/A 435) . Räumliches kann durch diese Verbindung mit Mannigfaltigkeit nicht einfach sein und Substanzen können nicht aus einfachen Teilen bestehen. Die Erkenntnisbemühung der rationalen Seelenlehre zielt auf die Erkenntnis absoluter Realität, und sie erzielt dieses Ergebnis, anders als die Antinomie, die ausdrücklich am Gegebenen der Erscheinung an23 setzt , mit Hilfe eines limitativen Verfahrens. Schon aus der Diskussion des zweiten Widerstreits wird deutlich, daß das Nicht-Materielle einfache Struktur hat, nicht weiter zerstör-

23 Kant nimmt ausdrücklich eine Gegenposition zu Leibniz ein: "Die eigentliche Bedeutung des Hortes M o n a s (nach Leibnizens Gebrauch) sollte wohl nur auf das Einfache gehen, welches u n m i t t e l b a r als einfache Substanz gegeben 1st (z. B. im Selbstbewußtsein) und nicht als Element des Zusammengesetzten, welches man besser den Atomus nennen könnte. Und da ich nur in Ansehung des Zusammengesetzten die einfachen Substanzen, als deren Elemente, beweisen will, so könnte Ich die These der zweiten Antinomie die transzendentale A t o m i s t i k nennen." (B 468/f./A 440 f.)

Schwerpunkte des Paralogismenkapitels

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bar ist und daher absolute Realität besitzt. Die qualitative Bestimmung der Seele in der "Topik der rationalen Seelenlehre" besteht also in der Postulierung einer Realität, die, wie sich in der Kritik zeigt, als nicht-materielle kategorial gar nicht bestimmbar ist. In den an die einzelne Erörterung der Paralogismen anschließenden Absätzen der zweiten Auflage, nennt Kant den Beweis der einfachen Substantialität der Seele den "einzigen Stein des Anstoßes wider unsere ganze Kritik" (B 409). Diese Feststellung weist der qualitativen Bestimmung einen auBerordenltich wichtigen Platz innerhalb der kritischen Beweisführung zu, der über die Thematik der Seelenlehre hinausreicht. Unter der Voraussetzung, daß die Kantische Methode des Philosophierens immer am Gegebenen ansetzt, müßte die erste Bestimmung eines Gegenstandes stets qualitativer Art sein, weil Empfindung die erste Stufe der Objektivierung wäre und Realität als intensive Größe bestimmt wird. Wenn also Einfaches kategorial erfaßt werden könnte - und das würde bedeuten, daß es als Gegebenes gegenüberstehend vorgestellt werden könnte - würden tatsächlich die Thesen der "Transzendentalen Ästhetik" und zumindest 24 teilweise die der "Transzendentalen Analytik" hinfällig. Die Denkbewegung vom ersten Moment der Relationsgruppe zum ersten Moment der Qualitätskategorien führt nun, bezogen auf die Kategorientafel als zugrunde liegendes Strukturmodell, zur ersten Quantitätskategorie, der "Einheit". Die Seele als innere Erscheinung soll in "verschiedenen Zeiten" immer nur eine und dieselbe sein. Die Beziehung zwischen dem allgemeinen Urteil und der Kategorie der Einheit, die Kant bei der metaphysischen Deduktion der Kategorien durch die Anordnung der quantitativen Urteilsformen und den ihnen korrespondierenden Kategorien der Quantität schafft, ist in der Kantliteratur umstritten. 25 Hier, bei der Seelenthematik, ergibt sich ein Ar-

24 Well die Bedingungen der Erfahrungserkenntnis, Raum und Zelt und die synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes, keine Erkenntnis des Einfachen ermöglichen. 25 Vgl. S. 45 f.

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

gument für die Zuordnung, wie sie in der "Kritik der reinen Vernunft" gilt, weil alle Zustände der Seele der einen Substanz zugesprochen werden müssen und sich so die inhaltliche Ubereinstimmung von allgemeinem Urteil und gedachter Einheit • 4. 2 6

zeigt. Nachdem bis dahin der systematische Weg in der Anordnung der "Topik der rationalen Seelenlehre" von der dritten Kategoriengruppe zur zweiten und dann der ersten, nämlich der Quantität (Einheit), zurückschritt, geht der Argumentationsgang der Tafel jetzt zu den Modalkategorien. Die Seele steht danach im Verhältnis "zu m ö g l i c h e n Gegenständen im Räume" (B 420/A 344) . Kants Anmerkung hierzu erläutert, daB nicht die Seele durch das kategoriale Begriffspaar Möglichkeit-Unmöglichkeit bestimmt wird, sondern, als zu der "Kategorie der Existenz" gehörig, dargestellt wird (Anm. Β 402/A 344). Strenggenommen gibt es in der Kantischen Kategorientafel keine Kategorie der Existenz, die Relation Dasein-Nichtsein als zweites Begriffspaar innerhalb der Modalkategorien kann aber abkürzend so gebraucht werden. Von dieser angenommenen Existenz der Seele, schließt die rationale Seelenlehre auf den bloßen Möglichkeitsstatus alles Nicht-Seelischen. Die Erläuterung des Paralogismus in der ersten Auflage des Kapitels spricht von der "zweifelhaften Existenz" der Gegenstände, deren Dasein nur ein geschlossenes sei (A 366) . Die Daseinserkenntnis äußerer Gegenstände, im Vergleich zu der direkten Erfassung des eigenen Seelenlebens, steht also in Frage. Die Argumentation der rationalen Seelenlehre, breit dargelegt in der ersten Auflage, verfährt dabei unkorrekt in der kategorialen Zuordnung, was zur Verschleierung des wirklichen Problemsachverhaltes beiträgt. Die Existenz der Seele wird nämlich der "Möglichkeit" äußerer Wahrnehmungsgegenstände gegenübergestellt. Nach der

26 Vgl. dazu die Diskussion der Bezlehnung zwischen den Urteilen der Quantität und den Kategorien der Quantität S. 100 ff. Solche Überlegungen zur Inhaltlichen Besetzung der von Kant vorgegebenen leeren Formen der Kategorien können Immer nur Versuche sein, um zu einem Verständnis der Handhabbarkeit einer kategorialen Methode zu kommen.

Schwerpunkte des Paralogismenkapitels

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Regelvorgabe der Kategorientafel heißt das zuständige Gegensatzpaar aber "Dasein-Nichtsein". Unter Berücksichtigung dieser Beziehung wäre sichtbar geworden, daß die Erkenntnis der Existenz der Seele auf das "Nichtsein" der Gegenstände führen muß, was vom Erkenntnisstandpunkt aus sinnlose Sätze ergibt. Die Verbindung Existenz - Möglichkeit, so plausibel damit argumentiert werden kann, verschleiert den vorgegebenen transzendentallogischen Zusammenhang. Der transzendentale Idealismus räumt nur den Erscheinungen erfahrbaren Wirklichkeitscharakter ein. Alles andere "ist" nicht im Hinblick auf das "zweite Postulat des empirischen Denkens". Uber die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Dinge an sich wird nicht entschiej 27 den. Derselbe kategorial bestimmte Aufbau liegt auch der zweiten Tafel des Paralogismenkapitels, der "Tafel des systematischen Zusammenhangs" aus der ersten Fassung des Paralogismenkapitels, zugrunde (A 404). Sie ist allerdings ausführlich formuliert und zeigt deshalb die zugrunde liegende kategoriale Systematik deutlicher. Aber sie bleibt auf dem Boden der rationalen Seelenlehre in dem Versuch, den "systematischen Zusammenhang aller dieser dialektischen Behauptungen" zu demonstrieren (A 403). Dabei sind diejenigen Verstandesbegriffe systematisch leitend, die "den übrigen zum Grund der Einheit in einer möglichen Wahrnehmung liegen, folglich: Subsistenz, Realität, Einheit (nicht Vielheit) und Existenz" (A 403). Heidemann hat diese Tafel als Beispiel für Kants Versuch interpretiert, mit Hilfe des vorgegebenen Modells der Kategorientafel die Organisation metaphysischer Thematik zu deduzieren. Dabei ist vor allem das Auftreten des Begriffs Subsistenz unter Nummer eins in der Tafel bemerkenswert. Nach Heidemann ist dieser Begriff Indiz für die Vermittlungsfunktion dieser Tafel zwischen der "Topik der ra2R tionalen Seelenlehre" und der "Tafel des Ich denke". Während, wie oben schon erwähnt (S. 147), die "Topik der rationa-

27 Vgl. dazu die "Widerlegung des Ideallsmus", Β 274 ff. 28 Heidemann, Ober die methodische Funktion der Kategorientafel, S. 68.

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

len Seelenlehre" nur den Klammerbegriff "substantia", als "Substanz", zur Bestimmung der Seele einsetzt und dadurch den relationalen Charakter des Denkens vernachlässigt, arbeitet die zweite Tafel mit den grundlegenden Relationsgliedern Inhärenz und Subsistenz. Damit ist noch nicht die Position der "Tafel des Ich denke" erreicht, aber bereits die Beziehung dazu angeknüpft, indem Subsistenz auf das andere Paarglied Inhärenz verweist, auf das die philosophische Erkenntnis, bei ihrem Versuch die Bedingungen von Relationen selbst zu erkennen, stets zurtickverwiesen wird. Ganz auf dasselbe Erkenntnisziel hin, wie es die "Topik der ratinalen Seelenlehre" vorgibt, sind die zweite und dritte Position der "systematischen Tafel" formuliert, wobei die zweite Position die einfache Qualität der Seele hervorhebt, die dritte Position "Eines und eben dasselbe Subjekt" der " V i e l h e i t j_n der Zeit" gegenüberstellt. Der kategoriale Begriff "Vielheit", die zweite Quantitätskategorie, steht in der "Topik der rationalen Seelenlehre" nur als erläuternder Klammerzusatz, als Gegenbegriff zur Bestimmung der Seele als numerisch-indentischer Einheit. Verwiesen sei hier auf die Anwendungsmöglichkeit dieser Kategorie, wie sie eine Stelle im Kapitel "Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe" zeigt, in der Kant die Kategorie der Vielheit zur Abgrenzung seiner Erkenntnistheorie von der Leibnizschen gebraucht. Diese steht mit ihrem "Satz des N i c h t z u u n t e r s c h e i d e n d e n " , bezogen auf die Erscheinungen als Dinge an sich, im Gegensatz zur Kantischen These von der "Vielheit und numerischen Verschiedenheit" sinnlicher Gegenstände, die "durch den Raum selbst als die Bedingung der äußeren Erscheinung" bereits vorgeprägt wird. (Vgl. Β 320/A 264) "Vielheit" verweist an dieser Stelle auf räumliche Gegebenheit, so daß der Konflikt in der dritten Position der "systematischen Tafel" den Widerstreit zwischen der Erkennbarkeit des reinen Gedachten und des sinnlich Gegebenen aufgreift. Die Abgrenzung der Seele als "Einheit" gegen die "Vielheit in der Zeit", zusammen mit ihrem in der vierten Position behaupteten "Dasein im Räume", zeigt die zu Fehlern führende Inkonsequenz im Ubergang von einer Position zur ande-

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ren. Wenn, wie in der folgenden vierten Position behauptet, das Dasein der Seele im Raum beweisbar wäre, dann müßte konsequenterweise die dritte Position, in der quantitativen Bestimmung, Seele als Vielheit erfassen, was aber der Beweisabsicht der Tafel nicht entspricht. Auch in der dritten Position, beim Vergleich zwischen Vielheit und Einheit, formuliert die "systematische Tafel" im Vergleich zur "Topik" ausführlicher. Ganz besonders gilt das aber für die vierte Position, die das räumliche Dasein der Seele postuliert, während die "Topik der rationalen Seelenlehre" an dieser Stelle nur vom "Verhältnis zu den möglichen Gegenständen im Räume" spricht, die die "systematische Tafel" als "bloße" Vorstellungen der Seele charakterisiert. Wieder wird in der zweiten Tafel korrekt nach der Kategorientafel mit "Dasein" argumentiert, während die "Topik" nur den Begriff "Existenz" anführt. Die zugrunde liegende Beweisabsicht bleibt aber dieselbe, und auch der grundsätzliche Fehler, der schon die erste Tafel bestimmte, wird nicht korrigiert: Die Kategorien werden hierbei "als Bedingungen der Möglichkeit eines denkenden Wesens, die selbst unbedingt sind, vorgestellt" (A 403). Kategorien als reine Begriffe gelten unbedingt, die Anwendung aber bedarf der Schematisierung. Weil die rationale Seelenlehre nach der Erkenntnis eines reinen Gegenstandes strebt, übergeht sie den Schematismus und kommt so zu falschen Sätzen, die, sowohl in der "Topik der rationalen Seelenlehre", als auch in der "systematischen Tafel", die Substantialität der Seele, die einfache Qualität der Seele, die Einheit der Seele und das Dasein der Seele postulieren. Dennoch hat die "systematische Tafel", im Vergleich zur ersten Tafel, die Besonderheit, daß die einzelnen Positionen als Ergebnis seelischer Selbsterkenntnis formuliert werden und daher in jeder Position die "unbedingte Einheit" der jeweiligen Seelenerkenntnis oder Selbstreflexion betont wird, also die unbedingte Einheit des Verhältnisses als subsistierend, die unbedingte Einheit der Qualität als einfache, die unbedingte Einheit eines und desselben Subjekts und die unbedingte Einheit des Daseins im Räume. "Dasein" als modaler Begriff wird

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hier als räumliche Existenz aufgefaßt, was für die kategoriale Erkenntnis, der Kantischen Theorie folgend, zutrifft, für die Erkenntnis noumenaler Gegenstände aber nicht beweisbar ist. Die Formulierungen der Tafel, nicht als Ergebnisse quasi-gegenständlicher Erkenntnis, sondern als Gesetzmäßigkeiten der Selbstreflexion aufgefaßt, führen tatsächlich in die Nähe der kritischen Philosophie, weil dabei, wie dann in der folgenden Tafel der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", die menschliche Erkenntnisfähigkeit zugrunde gelegt wird. Dies mit bedenkend und die Angewiesenheit des Menschen auf Gegebenes für die Erkenntnis berücksichtigend, setzt die dritte Tafel der Paralogismenkapitel, die "Tafel des Ich denke", mit einer anderen Kategoriengruppe ein. Kant nennt sein Vorgehen hier ein "analytisches Verfahren", wobei das "Ich denke" als ein Satz, der schon ein Dasein in sich schließt, als gegeben zum Grunde liegt, mithin die Modalitätskategorien an erster Stelle stehen (vgl. Β 418) . Die bloße Apperzeption "Ich denke" enthält bereits eine Wirklichkeitssetzung (ebd.). Aber, wie in der "Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", in der das "Ich denke", weil es den "Actus" das "Dasein zu bestimmen" ausdrückt, schon Dasein enthält, aber noch keine sinnliche Mannigfaltigkeit, (B 157 Anm.) muß, auf Grund dieser gesetzten Existenz des denkenden Ich in der Selbsterkenntnis, das Problem der Erkenntnis der Seele reduziert werden auf die Herleitung der Bestimmung von Grundbedingungen logischen Denkens. Es handelt sich dabei, nach Heidemann, nicht um das sogenannte "prädikative Verfahren", das einen Erkenntnisbereich mit Hilfe der ihn bedingenden kategorialen Bestimmungen erfaßt, sondern um eine "Grenzbestimmung" der Erkenntnismöglichkeiten mit Hilfe des "regressiv-analytischen Vorge29 hens". Die Modalkategorien, die dieser dritten Tafel ausdrücklich zugrunde liegen, haben, wie Kant im Zusammenhang der "Postulate des empirischen Denkens", bei der "Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze" schreibt, "das Be-

29 Heidemann, Über die methodische Funktion der Kategorientafel, S. 65.

Schwerpunkte des Paralogismenkapitels

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sondere an sich: daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate beigefügt werden, als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken". (B 266/A 219) Bezogen auf die Thematik der reinen Seelenlehre, wird mit der Zugrundelegung der Modalkategorie "Dasein" in dieser Tafel der Versuch gemacht, nur das über die Seele auszusagen, was erkennbar sein kann. Dieses analytische Verfahren, die Suche der zugrunde liegenden Struktur einer selbstbewußten HirklichkeitsgewiBheit, reduziert das Wissen über uns selbst auf bloß logische Folgerungen aus der zugrunde liegenden Wirklichkeit des "Ich denke". Die erste Position der Tafel repräsentiert also eine Modalbestimmung, die schon Existenz in sich faßt, die Modalrelation Dasein-Nichtsein bietet die Grundlage. Das "Ich denke", als Modalaussage verstanden, ist aber immer auch ein relationales Gebilde, das mit Hilfe der Kategorie Inhärenz und Subsistenz erfaßt werden kann, weil das "Ich denke" die Grundstruktur jedes Denkaktes bildet und damit jeder Form von Wirklichkeitserkenntnis zugrunde liegt. Die drei folgenden Positionen der Tafel: "2. als Subjekt, 3. als einfaches Subjekt, 4. als identisches Subjekt, in jedem Zustande meines Denkens", zeigen schon durch den Einsatz des Subjektbegriffs die ständige Betonung der relationalen Grundlage. So können diese vier Analyseergebnisse auch als "Modalaussagen über die Relation des Subjekts zum 'Zustand' seines Denkens" verstanden werden.^0 Mit dem Begriff des Subjekts knüpft Kant an die "Tafel der Funktionen des Denkens im Urteile" an (die zur transzendentalen Logik gezählt werden muß). Das kategorische Urteil, das das Verhältnis "des Prädikats zum Subjekt" enthält (B 98/A 73), nimmt den ersten Platz in der Gruppe der Relationsurteile ein. Ob der kategoriale Begriff Substanz Uber diesen Umweg für die Seele bestimmend werden kann, bleibt in der zweiten Position der "Tafel des Ich denke" unbestimmt. Das kategorische Urteil liegt jedoch hier zumindest zugrunde. Die

30 Heidemann, Uber die methodische Funktion der Kategorientafel, S. 65.

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dritte Position der Tafel greift ebenfalls wieder auf den relationalen Begriff zurück, wobei die Analyse zum Begriff der Einfachheit führt. Dieses Einfache soll aber nicht als Eigenschaftsbestimmung des Subjekts im Sinne eines Subsistierenden aufgefaßt werden, sondern nur Analyseergebnis sein, denn: "Die Apperzeption (das 'Ich denke', Anm. d. V.) ist etwas Reales, und die Einfachheit derselben liegt schon in ihrer Möglichkeit." (B 419) Wie Kant dazu erläuternd anführt, bedürfte die Bestimmung eines Subjekts als einfachen Wesens räumlicher und zeitlicher Erkenntnis. Einfache Elemente des Raumes aber sind keine Körper, sondern nur "Punkte", die "bloß Grenzen, nicht selbst aber etwas, was den Raum als Teil auszumachen dient," repräsentieren (B 419). Und auch die zeitliche Bestimmung eines Gegenstandes als existierend ist auf das Beharrliche im Raum (also auf Körperlichkeit) angewiesen, so daß der Schluß für Kant unvermeidlich wird, daß sowohl der Materialismus als auch der Spiritualismus nicht zureichen, "von der Beschaffenheit unserer Seele" irgend etwas zu erkennen (B 420). Die vierte Aussage in der "Tafel des Ich denke" zeigt noch einmal die relationale Grundstruktur, wenn hier die Identität des Subjekts in jedem "Zustand" des Denkens als abschließende Position gesetzt wird. Gleichzeitig ist der Begriff der "Identität" Indiz für die kategoriale Voraussetzung von "Einheit", hier als Einheit des Ich im Vergleich zu der Vielheit seiner Zustände. Diese Tafel muß als das einzige mögliche wissenschaftliche Ergebnis interpretiert werden, das Kant einer reinen Seelenlehre innerhalb der theoretischen Philosophie zugestehen kann. Die Kategorien der Relation liefern dazu, wie die Analyse der Tafel ergibt, bezogen auf das menschliche Vernunftdenken überhaupt, die zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit. Die Relativität der Erkenntnis in ihrer Verwiesenheit auf Gegebenes und die Relativität der Selbsterkenntnis, die das Ich nur als ein Subsistierendes in Relation zu Inhärentem posutlieren kann und als Idee erkenntnisleitend einsetzt, wobei dessen erkenntnistheoretische Fixierung aber bis auf inhaltsleere logische Ableitungen mißlingt, werden unter der kategorialen Relation

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Inhärenz und Subsistenz erfaßbar. Der relationale Zusammenhang zeigt Kants erkenntnistheoretische Grundposition, daB letztlich nur das Inhärente für die erkennende Vernunft verfügbar ist. Ideen der Vernunft werden mit Hilfe der relationalen reinen Verstandesbegriffe gebildet. Diese sind, jedenfalls in den zwei ersten Positionen, Paarglieder. Die alte dogmatische Philosophie arbeitete, nach Kants kritischer Darstellung, unter Vernachlässigung eines Paargliedes, so daB die Paralogismenlehre sich auf den Begriff der "Substanz" stützte. Nach Kant muB aber die kritische Philosophie ihre Erkenntnisziele an den Begriffen "Inhärenz", "Dependenz" und "Konkurrenz" orientieren."^ Die Erkenntnis der Seele bleibt mit ihren positiven Aussagen auf Inhärentes, nämlich Vorstellungen, verwiesen. Die Erkenntnis der Welt (das Thema der kosmologischen Antinomie) kann immer nur Empirisches, die Abfolge von Ursache und Wirkung, betreffen. Zwar erlaubt die offen gebliebene Möglichkeit transzendentaler Freiheit den Ausblick auf praktische Freiheit und die Gesetze der Moral. Doch die theoretische Philosophie kann keine Ergebnisse Uber die Erkenntnis der Kausalität der Ursache erzielen. Auch die Auflösung der Frage nach dem "transzendentalen Ideal" könnte unter dem Aspekt eines Wechsels der kategorialen Basis interpretiert werden, in einer Abkehr von dem Gefüge der Gemeinschaft, gefaßt in der Idee von der "kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen" (B 610/A 582), zum Hindenken auf das Gefüge einer Vielzahl konkurrierender Naturerscheinungen, die dem gemeinsamen Gesetz des Handelns und Leidens folgen. Die damit zustande gekommene Verschiebung der kategorialen Denkbasis in diesen Bereichen reiner theoretischer Spekulation führt so bei Kant zu einem, im Vergleich zu den Vorgängern, völlig neuen Weltbild, das von der Relativität der Denkbemühungen um die menschliche Existenz geprägt ist.

31 Vgl. Β 393/A 336, auch bei der Erfahrungskonstitution sind diese Begriffe von besonderer Bedeutung: "Die drei dynamischen Verhältnisse, daraus alle übrige entspringen, sind daher das der Inhärenz, der Konsequenz und der Komposition." (B 262/A 215)

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

Das Ergebnis dieses Kapitels kann auf drei Ebenen gesehen werden, parallel zu der Kantischen Zielsetzung bei der Erarbeitung der Probleme der "Transzendentalen Dialektik". Erstens findet hier vordergründig eine Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition statt. Aber nicht umsonst ist Kant gelegentlich, in der Sekundärliteratur, mangelndes Interesse an der Geschichte der Philosophie vorgeworfen worden. Viel wichtiger ist in diesem Hauptstück "Von den Paralogismen der reinen Vernunft" als zweites Ergebnis die Konstruktion eines Teiles des Kantischen transzendentalphilosophischen Systems. Hier in der "Transzendentalen Dialektik", auf dem mühsamen Weg der Widerlegung herrschender philosophischer Theorien, erarbeitet Kant die Funktion und systematische Bedeutung der transzendentalen Ideen, indem er ihre Grenzen in der Anwendung deutlich macht, die Art ihres möglichen Gebrauchs im analogischen Verfahren angibt und auf die Möglichkeit des Intelligiblen für den Menschen als moralischem Wesen verweist. Gleichzeitig aber verfolgt Kant in der "Transzendentalen Dialektik" und ihren einzelnen Themenbereichen als drittes Ziel ein anderes Experi32 ment. Die Kategorientafel, das Modell des menschlichen Denkvermögens, wird hier in ihrer Anwendbarkeit auf die höchsten Denkbereiche überprüft. Die eigentlichen Themen der Metaphysik, die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit (B 394/A 337 33 Anm.) werden mit Hilfe der Kategoriensystematik gegliedert. Es entstehen dabei verschiedene Tafeln, die den einzelnen Abschnitten der Seelenlehre zugrunde liegen, aber auch paarweise Gegensatzglieder von Problemen, die die kosmologische Antinomie

32 Vgl. dazu die Anmerkung in der Vorrede zur zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", Β XVIII Anm. 33 Im Abschnitt "Von dem transzendentalen Ideal" gibt es nur einen Ansatz zur Systematisierung nach dem Muster der Kategorientafel, keine eigene Tafel. Der Gegenstand des Ideals wird als " U r w e s e n (ens originarium), so f e m es keines über sich hat, das h ö c h s t e W e s e n (ens summum), und, so fern alles, als bedingt, unter ihm steht, das W e s e n a l l e r W e s e n (ens entium)" bestimmt. (B 606f. /A 578 f.) Die hypostasierte Idee der "höchsten Realität" erhält die Bestimmungen "einiges, einfaches, allgenugsames, ewiges etc". (Β 608/A 580) Auch diese Bestimmungen erinnern an die Tafelsystematik.

Strukturierung des "dritten Widerstreits"

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und deren Auflösungsmöglichkeiten, wie das folgende Kapitel an einem Beispiel zeigen wird, vorstrukturieren. Hie Kant diese Denkbewegungen im einzelnen durchlief und ob deren Ablauf begründbar ist, läßt sich mit Hilfe einer Analyse der Tafeln allein nicht allgemeinverbindlich zeigen und beweisen. Bei der genauen Analyse des Textes aber zeigt sich deutlich, daß Kant an Hand seiner Kategoriensystematik philosophiert hat, daß er mit ihrer Hilfe die anfallenden Probleme formuliert hat und auch die möglichen Auflösungen mit Hilfe des Systems und seiner Begriffe geleistet werden. Die These, daß die Kategorientafel einen wesentlichen Grundbestandteil der Kantischen Methodik bildet, wird bei dieser Art der Betrachtung der "Kritik der reinen Vernunft" zwingend.

3.3 Die Strukturierung des "dritten Widerstreits" der reinen Vernunft mit Hilfe der Kategorie "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)" Die vorliegende Untersuchung zum Problem der Erklärung der Kategorien des reinen Verstandes zielt auf die Darstellung ihrer Funktion als strukturelle Grundlage bestimmter Teile der "Kritik der reinen Vernunft". Dabei konnte im vorangehenden Kapitel dieser Arbeit gezeigt werden, wie die Katgorie der Inhärenz und Subsistenz in der Paralogismenlehre, als zugrunde liegende Denkregel, das Thema selbst hervorbringt und die strukturellen Schwerpunkte der Untersuchung fundiert. Nun soll, als zweites Beispiel für die methodische Funktion der Kategorien in der kritischen Philosophie, die Bedeutung der Kategorie der "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)" für den "dritten Widerstreit" der reinen Vernunft dargestellt werden. Damit schließt sich der Beweis für die These von der Erklärbarkeit der Kategorien als Grundbegriffe der Kantischen philosophischen Methode. Das Kapitel gliedert sich in eine Inhaltsanalyse des "dritten Widerstreits", immer bezogen auf die leitende Kategorie der "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)", die Darstellung der darin auftretenden Kausalitäts-

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

typen und einen anschließenden Bericht über die Funktion der Kategorie der "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)" für die Bildung der Ideen der reinen Vernunft überhaupt. 3.3.1 Das Thema des "dritten Widerstreits der transzendentalen Ideen" Der "dritte Widerstreit der transzendentalen Ideen" basiert auf der kosmologischen Idee von der "absoluten Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt". (B 443/A 416) "Absolute Vollständigkeit" und "Entstehung" sind im Text der "Tafel der kosmologischen Ideen" durch Sperrung bzw. Fettdruck hervorgehoben. Absolute Vollständigkeit, bezogen auf den Grund von Erscheinungen, ist dabei das Ziel der Beweisführungen der Thesis und der Antithesis. Die Thesis lautet: "Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen notwendig." (B 472/A 444) Dagegen sagt die Antithesis: "Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht nach Gesetzen der Natur." (B 473/A 445) In den beiden Aussagen wird der Begriff "Welt" in unterschiedlicher Hinsicht gebraucht. Der Unterschied, der so bei den vorhergehenden Widersprüchen nicht auftritt, liegt darin, daß die Behauptung der Thesis eine erkenntnistheoretische Aussage ist, Welt also als Gegenstand der Erkenntnis genommen wird, während die der Antithesis eine ontologische ist, die eine Seinsbehauptung setzt. Nur daraus ergibt sich dann für Kant, im Zusammenhang der Beweisführungen und den Anmerkungen dazu, die Konsequenz, nicht beide dialektische Sätze zu verwerfen, sondern sie zum kritischen Weltverständnis in einer Synthese zusammenzufassen. In der "Tafel der kosmologischen Ideen" in den "Prolegomena" heißt die dritte Position, die den dritten Widerstreit enthält: "3. satz Es giebt in der Welt Ursachen durch F r e i h e i t Gegensatz Es ist keine Freiheit, sondern alles ist

Thema des "dritten Widerstreits"

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N a t u r " (Bd. IV, S. 339) . 3 4 Da die der Kategorientafel in der "Kritik der reinen Vernunft" entsprechende "Transscendentale Tafel der Verstandesbegriffe" als zweite Relationskategorie nur "Ursache" enthält, ist es folgerichtig, daß auch der dritte Widerstreit der reinen Vernunft, der dazu in Parallele steht, in den "Prolegomena" nur mit "Ursache" argumentiert. Die Erörterung zu diesem Widerstreit nimmt dann aber den Begriff der "Kausalität" mit auf und zwar bevorzugt im Zusammenhang der Frage nach der Möglichkeit von Freiheit. Als Erscheinung muß "die B e s t i m m u n g der Ursache zum W i r k e n auch entstanden" sein. "Soll dagegen Freiheit eine Eigenschaft gewisser Ursachen der Erscheinungen sein, so muß sie respective auf die letztere als Begebenheiten ein Vermögen sein, sie von s e l b s t (sponte) anzufangen, d. i. ohne daß die Causalität der Ursache selbst anfangen dürfte und daher keines andern, ihren Anfang bestimmenden Grundes benöthigt wäre." (Bd. IV, S. 344) Naturnotwendigkeit fordert "die Bestimmbarkeit jeder Begebenheit der Sinnenwelt nach beständigen Gesetzen, mithin eine Beziehung auf Ursache in der Erscheinung, wobei das Ding an sich selbst, was zum Grunde liegt, und dessen Causalität unbekannt bleibt." (Bd. IV, S. 345) Der Eindruck drängt sich bei solchen Textvergleichen auf, daß Kant die Relation der Kausalität und Dependenz in einem umfassenderen Sinne verstanden wissen will, als die Relation Ursache und Wirkung, weil bei den theoretischen unbestimmbaren Wirkungsweisen wie der des Dinges an sich oder der Kausalität aus Freiheit, von Kant der Begriff Kausalität zur Kennzeichnung der Wirksamkeit bevorzugt wird. Wie auch bei den beiden vorangehenden Widersprüchen, wird von Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" die Bedingungsreihe der Thesis als "zu klein", der Regressus, den die Anti-

34 Es fällt auf, daß im Vergleich zur Formulierung der Antinomie in der "Kritik der reinen Vernunft" der Widerstreit in den "Prolegomena" für beide Positionen ontologische Aussagen setzt. Das steht wohl damit in Zusammenhang, daß die "Prolegomena" auf die Grundlegung von Naturwissenschaft ausgerichtet sind und nicht dieselbe wissenschaftstheoretische Fundierung leisten wie die "Kritik der reinen Vernunft".

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

thesis aufstellt, als "zu groß" für den Begriff der "Synthesis der Weltbegebenheiten" kritisiert. (B 516/A 488) . Diese besondere Dialektik der reinen Vernunft entsteht aus der Zweideutigkeit der "Vernunfteinheit in Ideen", die gleichzeitig Synthesis nach Regeln des Verstandes und absolute Einheit der Vernunft sein will, wie es Kant in der "Antithetik der reinen Vernunft" als unvermeidlichen Widerspruch darstellt. Ist die synthetische Einheit der Idee der "Vernunfteinheit adäquat", so ist sie für den Verstand zu groß, "wenn sie dem Verstände angemessen" ist, so ist sie für die Vernunft zu klein (B 450/ A 422) . Im Vergleich zum ersten und zweiten Widerstreit der reinen Vernunft, wird bei der Interpretation des dritten Widerstreits leicht vernachlässigt, daß die zweite Gruppe der reinen Vernunftschlüsse (1. kategorische, 2. hypothetische und 3. disjunktive, s. Β 379/A 323), auf der die Antinomie beruht, die unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung zum Gegenstand hat. Die Nähe zum praktischen Freiheitsbegriff steht zwar fest. Aber Heimsoeth verweist in seiner Schrift: "Zum kosmotheologischen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie" auf den "Denkweg Kants" zum "theologischen Vernunftgedanken einer Ursache durch Freiheit im Sinne einer 35 'obersten Intelligenz'" . Wenn auch, wie Heimsoeth kritisiert, "von der philosophischen Situation der Gegenwart aus" primär auf den Gegensatz von "Freiheit der menschlichen Existenz" und "Determinismus 3 6 neuzeitlicher Naturphilosophie und Wissenschaftsgesinnung" hin interpretiert wird, statt den Ursprung von Welt selbst zu thematisieren, geht die Fragestellung in den Antinomien doch zuerst von der absoluten Einheit der Erscheinungen aus, wodurch der kosmologische Freiheitsbegriff, im Sinne der Bedingung der Möglichkeit von Erscheinung, sehr in die Nähe eines transzendentalphilosophischen Freiheitsbegriffs rückt.

35 Heimsoeth, Zum kosmotheologischen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie, S. 249. 36 Heimsoeth, a. a. 0. S. 248.

Thema des "dritten Widerstreits

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Im Beweisgang der Thesis wird "Erscheinung" mit dem "was geschieht" und dem "Geschehenen" identifiziert. Der Kern des Beweises liegt darin, daß das Gesetz der Natur eine "hinreichend a priori bestimmte Ursache" für das Geschehene fordert. Diese "hinreichend a priori bestimmte Ursache" ist aber nicht angebbar, wenn "nach dem Gesetz der Natur" jedes Geschehen einen vorigen Zustand voraussetzt, so daß jede "Kausalität der Ursache" auf eine vorhergehende Kausalität verweist (B 474/A 446). Der Beweis der .Antithesis wird, wie auch der der Thesis, auf apagogischem Weg geführt. Diese Art der Beweisführung kritisiert Kant selbst im Absatz der "Transzendentalen Methodenlehre" , "Die Disziplin der reinen Vernunft in Beweisen". Speziell bezogen auf die antinomisehen Sätze, nennt er die apagogische Beweisart dort das "eigentliche Blendwerk, womit die Bewunderer der Gründlichkeit unserer dogmatischen Vernünftler jederzeit hingehalten worden" (B 821/A 793). Die apagogische Beweisart hat zwar den "Vorzug der Evidenz vor den direkten Beweisen" , der Schluß von der Wahrheit ihrer Folgen auf die Wahrheit einer Erkenntnis selbst ist aber "nur alsdenn erlaubt, wenn alle mögliche Folgen daraus wahr sind". Der Mensch besitzt aber nicht die Fähigkeit, alle möglichen Folgen eines Satzes einzusehen. Nur zur Bildung von Hypothesen kann diese Schlußart "mit einer gewissen Nachsicht" zugelassen werden. (Vgl. Β 818/A 790) Diese Bemerkung zum formalen Verfahren der Antithetik der reinen Vernunft beschreibt den Weg, den Kant zur Auflösung der dialektischen Sätze eingeschlagen hat, wobei die Funktion der Ideen als eine Parallele zur Hypothesenbildung in der Naturwissenschaft gesehen werden kann. Der Beweiskern der Antithesis kann folgendermaßen skizziert werden: Wenn Freiheit im transzendentalen Verstände für die Entstehung von Erscheinungen vorausgesetzt wird, so bedeutet das, daß "die Bestimmung dieser Spontaneität zur Hervorbringung einer Reihe" (B 473/A 445) schlechthin anfangen kann. Ein solcher "dynamisch erster Anfang" (ebd.) würde aber seiner eigenen Gesetzmäßigkeit widersprechen, weil dieser Anfang einer Handlung zum vorhergehenden Zustand derselben Ursache in keinem Zusammenhang steht. Jeder Neuanfang von Handlung setzt

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einen Zustand voraus, in dem sich die Ursache in einem noch nicht handelnden Zustand befindet. Kant parallelisiert hier, wie der Gebrauch des Begriffs "Zustand" an der Stelle nahelegt, "Ursache" und "Zustand der Ursache" zu "Substanz" und "Akzidens". Der Zusammenhang zum Akzidentellen wird, wenn die Zustände nicht mehr als kausal verknüpft angesehen werden, abgeschnitten, die Substanz-Ursache schafft einen neuen Zustand aus sich selbst. Handlung, im Verständnis der Antithesis, kann aber immer nur unter dem Kausalgesetz verstanden werden, das, entsprechend den Bestimmungen in der "Transzendentalen Analytik" , die "Zustände" der Objekte bestimmt. (Vgl. ζ. Β. Β 236 f./A 191 f.) Deshalb widersprechen sich "transzendentale Freiheit" und "Kausalgesetz" (B 473 f./A 445 f.) Heimsoeth weist in seinem Kommentar zur "Transzendentalen Dialektik" darauf hin, daB der Kern des Beweises sich auf Aussagen in der "Transzendentalen Analytik" bezieht, die das Kausalgesetz "als allgemein-notwendigen Grundsatz aller möglichen Erfahrung" ausweisen. Deshalb deklassiert sich der hier aufgestellte Vernunftbegriff von Freiheit "als gegenstandsloser Gedanke, als 37 das Nicht eines bloßen ens rationis". Diese Interpretation stützen die Aussagen im zweiten Absatz des Beweises der Antithesis, in dem Natur und transzendentale Freiheit parallelisiert werden zu "Gesetzmäßigkeit" und Gesetzlosigkeit". Das "Blendwerk von Freiheit" reißt den "Leitfaden der Regeln" ab, an dem Naturerkenntnis allein möglich ist (B 475/A 447). Den Beweisführungen im Widerstreit der Vernunft mit sich selbst hat Kant jeweils eine "Anmerkung" beigefügt. Die Anmerkung zur Thesis des dritten Widerstreits stellt fest, daß die Möglichkeit von Naturkausalität grundsätzlich für den menschlichen Verstand genauso unverständlich ist, wie die transzendentale Freiheit selbst, die hier als Vermögen gefaßt wird, "eine Reihe von sukzessiven Dingen oder Zuständen von s e l b s t anzufangen" (B 476/A 448) . Während im Abschnitt

37 Heimsoeth, Transzendentale Dialektik, Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Zweiter Teil, Berlin 1967. S. 243.

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über die "Auflösung der kosmologischen Ideen von der T o t a l i t ä t der A b l e i t u n g der W e l t b e g e b e n h e i t e n aus i h r e n Urs a c h e n " als "merkwürdig" festgestellt wird, daß der praktische Begriff der Freiheit auf der transzendentalen "Idee der Freiheit" gründet (B 561/A 533), ist diese "Merkwürdigkeit" durch Kants grundsätzliches methodisches Rekurrieren auf Erfahrbares, denn auch Freiheit im praktischen Verstände ist 38 Uber Handlung erfahrbare Freiheit, erklärbar. Auch die Anmerkung zur dritten Thesis hebt hervor, daB die kosmologische Idee zuerst die "Begreiflichkeit eines Ursprungs der Welt" selbst meint, so daB grundsätzlich alles nachfolgende Geschehen als den "bloßen Naturgesetzen" (B 476/A 488) unterworfen angesehen werden kann. Es ist aber "erlaubt", nun auch mitten im Verlauf des Geschehens der Welt "verschiedene Reihen, der Kausalität nach, von selbst anfangen zu lassen", wodurch sich praktische Freiheit erweist (B 478/A 450) . Allerdings gilt dafür eine wichtige Unterscheidung: Der Zeit nach kann im "Weltlaufe" kein "absolut erster Anfang der Reihen" (ebd.) möglich sein. Der Kausalität nach aber können neue Reihen entspringen. So deutet Kant hier bereits die spätere Auflösung des Widerspruchs von Freiheit und Naturkausalität an. Daß ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen der Annahme eines "schlechthin ersten Zustandes der Welt" (B 477/ A 449) und einem Vermögen der Freiheit im Lauf der weltlichen Geschehnisse, betont auch die Anmerkung zur Antithesis. Dabei wird in der Argumentation der, wie Kant es nennt: "transzendentalen Physiokratie" (B 477/A 449), die Bestimmung von mathematischem und dynamischem Anfang in der Zeit bedeutsam, weil, entsprechend der empiristischen Argumentation, das Feh-

38 Voraussetzung dafür ist, daß bis zu den Beweggründen der Handlung zurückgegangen wird. Praktische Freiheit gründet in dem intelligiblen Vermögen des Menschen, sich von seiner Vernunft bestimmen zu lassen. Dieses Verursachen von Handlungen durch Vernunft führt dazu, daB der Mensch Handlungen als freie Handlungen interpretieren kann, und das nenne ich hier erfahrbare Freiheit. Vgl. dazu Β 835 f./A 807 f. und Bd. V, S. 99 f.

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len eines mathematisch Ersten in der Zeit auch die Notwendigkeit eines dynamisch Ersten aufhebt. Die Reihe der Veränderungen ist jederzeit, allerdings ist diese Möglichkeit der "unendlichen Abstammung" unbegreiflich, wie aber andere "synthetische Grundbeschaffenheiten", "Grundkräfte" auch (B 477/ A 449) . Das "transzendentale Vermögen der Freiheit" kann als "außerhalb der Welt" bestehend angenommen werden. Innerhalb der Welt aber würde "ein solches Vermögen" der "Substanzen" die Aufhebung von Gesetzmäßigkeiten überhaupt bedeuten, "und das Spiel der Erscheinungen, welches nach der bloßen Natur regelmäßig und gleichförmig sein würde, dadurch verwirret und unzusammenhängend gemacht" (B 479/A 451). 3.3.2 Kausalitätstypen im dritten Widerstreit der reinen Vernunft Grundsätzlich stehen für Kausalbestimmungen nach der Kantischen Kategorienlehre vier Begriffe zur Verfügung: Kausalität, Dependenz, Ursache und Wirkung. Diese vier Begriffe, aus der Kategorientafel des Paragraphen 10 der "Kritik der reinen Vernunft", bilden die zweite Position innerhalb der Relationskategorien und gehören zu der Klasse von Kategorien mit "Korrelaten" (B 110). Diese Besonderheit der Korrelate wird später von Kant nicht mehr ausdrücklich diskutiert. Wie sich aber bei der Interpretation der ersten und zweiten Relationskategorie zeigt, hat sie Bedeutung für das philosophische Denken selbst, das sich der Kategorien bedient (s. S. 192 f.). Bei der Analyse des formalen Aufbaus des dritten Widerstreits der transzendentalen Ideen muß der Zusammenhang zwischen diesen vier Begriffen genau beachtet werden. Der Klammerausdruck "Ursache und Wirkung", der in der Kategorientafel hinter "Dependenz" angeführt ist, muß als Erläuterung zu "Dependenz" angesehen werden. Diese Interpretation ermöglicht es, die grundsätzliche Unterscheidung von Kausalität im intelligiblen Sinne und Naturkausalität (die nur das Dependente betrifft), als schon in der grundlegenden "metaphysischen Tafel" der Kategorien verankert anzusehen, und von daher zur Interpretation der "Tran-

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szendentalen Dialektik" zur Verfügung zu haben. Kausalität und Dependenz wären also die umfassenderen transzendentalphilosophischen Begriffe, Ursache und Wirkung aber theoretische Begriffe, die, bei der Spezifikation des menschlichen Denkens in verschiedenen theoretischen Bereichen, relationale Bestimmungen ermöglichen. Abgesehen davon, daB die kosmologischen Ideen Uberhaupt vom hypothetischen VernunftschluB aus abgeleitet und deshalb der Kategorie der Kausalität und Dependenz insgesamt zugeordnet werden können (was im nächsten Abschnitt des Kapitels erläutert werden soll), ist besonders der dritte Widerstreit der kosmologischen Ideen mit der Kategorie der Kausalität und Dependenz formal und inhaltlich verknüpft. Inhaltlich gesehen handelt es sich, wie oben gezeigt, um die absolute Begründung von Erscheinungen. Formal betrachtet, entsteht der Widerstreit durch die falsche Relationierung (Bestimmung des richtigen De39 pendenzverhältnisses von Erscheinung und Idee ) der kosmologischen Idee von der "absoluten Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung Uberhaupt". Diese kosmologische Idee steht an dritter Position in der "Tafel der kosmologischen Ideen" und bildet zusammen mit der vierten Position, der Idee der "absoluten Vollständigkeit der Abhängigkeit des Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung" (B 443/A 415), die Gruppe der "transzendenten Naturbegriffe", im Gegensatz zu der der "Weltbegriffe", die aus den zwei ersten Positionen der Tafel besteht (B 448/A 420). Die Weltbegriffe führen zum Verständnis der Welt "als Größe", sowohl im Fortschritt der "Zusammensetzung" als auch dem der "Teilung". Die transzendenten Naturbegriffe aber ermöglichen Aussagen, die für das " D a s e i n

39 Als falsche Relationierung wird hier der Anspruch der Idee auf absolute Gültigkeit im theoretischen Bereich interpretiert. Die Idee gilt nur relativ auf das menschliche Erkenntnisvermögen, deshalb wird die dritte kosmologische Idee korrekt mit Hilfe der zweiten Relationskategorie bestimmt. Diese Relation führt aber nie zu einem absoluten Ziel, d. h. die Reihe der Erscheinungen hat kein Ende. Innerhalb des Erscheinungsbereichs kann nur mit Hilfe der ersten oder dritten Relationskategorie eine abgeschlossene Einheit bestimmt werden. Vgl. dazu die Analogien der Erfahrung.

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der Erscheinungen" selbst konstitutiv sein wollen (B 446/A 418 f.) Die Bestimmung des mathematischen und des dynamischen Regressus in der Reihe der Bedingungen eines Bedingten verläuft analog zur Bestimmung der "mathematischen" und der "dynamischen" Grundsätze in der "Transzendentalen Analytik". Dort wird die mathematische Synthesis als diejenige eingeführt, die "Gleichartiges" verbindet und sich daher auf extensive und intensive Größe bezieht, während die dynamische Synthesis notwendige Relationen schafft, indem sie auch "Ungleichartiges" verbindet und dadurch das Dasein des Mannigfaltigen selbst bestimmt (B 200 Anm.). Die erste Idee als "Weltbegriff" bezieht sich, in der Problematik der Totalität der Erscheinungen in der Welt, auf "die zwei ursprünglichen quanta aller unserer Anschauung, Zeit und Raum" (B 438/A 411) . Die Gruppe der Qualitätskategorien wird in der kosmologischen Frage auf das Problem der "Materie" projiziert, wodurch die Frage nach der Existenz des Einfachen entsteht (B 440/A 413) . Für die "Naturbegriffe" stehen solche grundlegenden Anschauungsbezogenheiten nicht zur Verfügung. Da nur die Kategorie der Kausalität "eine Reihe der Ursachen zu einer gegebenen Wirkung darbietet", muß sie die dritte Position einnehmen. (B 441 f./A 414) In der vierten Position führt dieselbe Argumentation auf das Kategorienpaar "Notwendigkeit-Zufälligkeit". (B 441/A 415) Während der Text zur Einführung der "Tafel der kosmologischen Ideen" die transzendenten Naturbegriffe auf die reinen Kategorien allein rückbezieht, treten in der Tafel selbst andere Bestimmungen auf. In der dritten Position ist es der Begriff der "Entstehung", in der vierten Position der Begriff der "Abhängigkeit" und des "Veränderlichen". "Entstehung" und "Veränderung" gehören zu den in Paragraph 10 genannten Prädikabilien des reinen Verstandes. (B 108/A 82) Uberraschen mag, daß "Entstehung", in der kosmologischen Tafel in der dritten Position genannt, im Paragraphen 10 den Kategorien der Modalität als Prädikabilie zugeordnet wird. Der formale Weg, der Kant zu diesen Verschränkungen in den kategorialen Positionen führte, ist unbekannt, inhaltlich gesehen ist der Zusammenhang deutlich. "Entstehung" grundsätzlich betrachtet steht in

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direkter Beziehung zu Kraft und Handlung, den von Kant genannten Prädikabilien der Kategorie der Kausalität und Dependenz (ebd.). Die Prädikamente der Modalität, die an derselben Stelle genannt werden, sind "Entstehen, Vergehen, Veränderung". Es könnte nun davon ausgegangen werden, daß diese Reihenfolge der Anführung keine zufällige ist, so daß "Entstehen" der Kategorie "Möglichkeit-Unmöglichkeit", "Vergehen" der Kategorie "Dasein-Nichtsein" und "Veränderung" dem reinen Verstandesbegriff "Notwendigkeit-Zufälligkeit" beigefügt werden könnten. Die kosmologische Idee der "absoluten Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt", die auf den "Kategorien des realen Verhältnisses unter den Erscheinungen" basiert (B 441/ A 413), davon aber (wegen der Reihenbildung) die Kategorie der Kausalität meint, stünde so von dieser Sicht her unter der Modalitätskategorie "Möglichkeit-Unmöglichkeit". Denkbar wäre auch, daß diese drei Prädikamente, da ihnen bei der Anführung ein "usw." beigegeben ist, alle der Kategorie "Dasein-Nichtsein" zugeordnet sind, wodurch besonders betont würde, daß der dynamische Naturbegriff in der dritten Position dieser Tafel das Dasein der Erscheinungen betrifft. Gleichgültig, welchen Weg man wählt, muß davon ausgegangen werden, daß Kant bereits in der Aufstellung der kosmologischen Tafel, durch die Wahl der darin auftretenden Begriffe, einen Hinweis für die spätere Auflösung der antinomischen Ideen, als nicht absolut gültige, sondern nur relativ auf das menschliche Erkenntnisvermögen, mit Hilfe eines analogen Verfahrens zu gebrauchende, regulative Begriffe gibt. Die vierte Position der Tafel der kosmologischen Ideen hat ihrerseits einen Bezug zur kategorialen Relationengruppe. Der Begriff der "Abhängigkeit" verweist auf Bedingtes, also auf den kategorialen Begriff "Dependenz", und so führt das Prädikament des "Veränderlichen" nicht zur Kategorie der Notwendigkeit, sondern auf den Begriff der Zufälligkeit". Dieser Zusammenhang kann hier nicht weiter verfolgt werden. Doch zeigen

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solche Überlegungen , daß die "Tafel der kosmologischen Ideen", nicht wie die "Topik der rationalen Seelenlehre" in sich einen formalen Fehler birgt und deshalb zu falschen VernunftschlUssen führt, sondern, daß die kosmologische Tafel, im Sinne des Kantischen kritischen Denkens, für die Uber Welt reflektierende menschliche Vernunft notwendige Ideen enthält, die erst in ihrem Bezug auf die Ebene der Erfahrungserkenntnis problematisch werden. Das Verhältnis von "Grund und Folge" bildet als Urteilsform nach Kant den Leitfaden zur Kategorie der Kausalität und Dependenz. (B 98/A 72) "Grund und Folge" werden aber auch im kategorialen Sinn von Kant synonym zum Verhältnis von Ursache und Wirkung gebraucht (vgl. Β 112) . Diese Beziehung ist die Grundlage für Beweisführungen wissenschaftlicher Art überhaupt. Insofern ist die Kausalitätskategorie bei Kant Topos für wissenschaftliches Denken schlechthin. Die Beweisführung für Thesis und Antithesis im dritten Widerstreit verläuft apagogisch, (vgl. S. 163) d. h. daß von den Folgen auf den Grund eines Satzes geschlossen wird. Diese Form des Beweises ist in allen vier Antinomien gleich. Eine besondere Variante erhält dieser logische Schluß, der letztlich auf dem hypothetischen Urteilsverhältnis "des Grundes zur Folge" beruht (B 98/A 72), in der Antinomie dadurch, daß von der Negation der Obersätze her nach einer falschen Folgerung gesucht und dadurch die 41 Wahrheit der jeweiligen Prämisse als erwiesen angesehen wird. In der von

40 Zufälligkeit wird allerdings bei Kant, In der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft", auch nicht-modal zugeordnet: "Daß gleichwohl der Satz: alles Zufällige müsse eine Ursache haben, doch jedermann aus bloßen Begriffen klar einleuchte, 1st nicht zu leugnen; aber alsdenn 1st der Begriff des Zufälligen schon so gefaBt, daß er nicht die Kategorie der Modalität (als etwas dessen Nichtsein s i c h d e n k e n läßt) sondern die der Relation (als etwas das nur als Folge von einem anderen existieren kann) enthält, und da 1st es freilich ein identischer Satz: Was nur als Folge existieren kann, hat seine Ursache." (B 290) 41 Auch der vierte Widerstreit der reinen Vernunft folgert in der Thesis apagogisch, auch wenn es nicht so deutlich ist, wie In der Antithesis. Kant argumentiert zuerst für die-Existenz des Absolutnotwendigen. Dann folgt der Beweis: "Dieses Notwendige aber gehöret selber zur Sinnenwelt. Denn setzet, es sei auBer derselben ..." Β 480/A 452.

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Jäsche herausgegebenen Kantischen "Logik" wird in dem Absatz über die "Logische Vollkommenheit des Erkenntnisses der Relation nach" (Bd. IX, S. 49), bei der Frage nach den Kriterien logischer Wahrheit, diese besondere Form des apagogischen Schlusses beschrieben. Zur logischen Wahrheit gehören nach dieser Stelle die " i n n e r l i c h e " logische Wahrheit (Bd. IX, S. 51), die den Widerspruch ausschließt, und die Forderung, daß eine Erkenntnis " l o g i s c h geg r ü n d e t sei" (ebd.). Dieses letztere Kriterium der " R a t i o n a b i l i t ä t des Erkentnisses" unterliegt als erstes der Regel, daß aus der Wahrheit der Folgen auf die Wahrheit des Grundes geschlossen werden kann, "aber nur n e g a t i v : wenn Eine falsche Folge aus einer Erkenntniß fließt, so ist die Erkenntniß selbst falsch" (Bd. IX, S. 52). Die zweite Regel lautet, daß eine Erkenntnis wahr ist, wenn alle ihre Folgen wahr sind. "Die erstere Schlußart, nach welcher die Folge nur n e g a t i v und i n d i r e c t zureichendes Kriterium der Wahrheit eines Erkentnisses sein kann, heißt in der Logik die a p a g o g i s c h e (modus tollens)" (ebd.). Daß dieses apagogische Verfahren nicht zu notwendigen philosophischen Sätzen führen kann, erläutert Kant in der "Methodenlehre" der "Kritik der reinen Vernunft". Ein korrekt geführter apagogischer Beweis würde von allen wahren Folgen auf die Wahrheit des Grundes führen. Weil das aber nicht möglich ist und wie Kant sagt, es "über unsere Kräfte geht, alle mögliche Folgen von irgend einem angenommenen Satz einzusehen" (B 818/A 790), schließen die antinomischen Beweise von der Widerlegung einer Folge auf die Widerlegung ihrer Voraussetzung und von daher auf die Falschheit der Gegenthese und die Wahrheit der zu begründenden These. Dieses Verfahren ist formal korrekt, darf jedoch nach Kant in den transzendentalen Versuchen der reinen Vernunft nicht angewandt werden. "Die d r i t t e eigentümliche Regel der reinen Vernunft, wenn sie in Ansehung transzendentaler Beweise einer Disziplin unterworfen wird, ist: daß ihre Beweise niemals a ρ a g ο g i s c h sondern jederzeit o s t e n s i v sein

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müssen." (B 817/A 789) Kant begründet das im Abschnitt von der "Disziplin der reinen Vernunft in Beweisen" damit, daß nur der direkte ("ostensive") Beweis "mit der Uberzeugung von der Wahrheit, zugleich Einsicht in die Quellen derselben verbindet" (ebd.). Der apagogische Beweis liefert keine "Begreiflichkeit der Wahrheit in Ansehung des Zusammenhanges mit den Gründen ihrer Möglichkeit" (ebd.). Systematisch gesehen, kommen in der dritten Antinomie der reinen Vernunft verschiedene Bestimmungsmöglichkeiten der Kategorie der Kausalität und Dependenz zur Anwendung. Rein terminologisch gehören die Aussagen der Thesis, Antithesis und der Beweise und Anmerkungen ganz zum Begriffsfeld von Kausalität und Dependenz. "Kausalität, "Zustand", "Ursache", "Reihe", "Handlung", Begriffe, die von den Ergebnissen der Analysen Kants in der "Transzendentalen Analytik" her gemeinsam in denselben Problembereich gehören, treten wiederholt auf. Der Text der Thesis stellt "Kausalität nach Gesetzen der Natur" der "Kausalität durch Freiheit" gegenüber. Die Antithesis spricht nur von "Gesetzen der Natur". Wenn wie hier "Kausalität", einerseits mit "Gesetzen der Natur", andererseits mit "Freiheit", kombiniert wird, wobei Kausalität nach Gesetzen und Kausalität durch Freiheit verschiedene Bestimmungsmodi ausdrücken, dann wird deutlich, daß der reine Begriff der Kausalität selbst der Anwendung in theoretischer oder praktischer Philosophie neutral gegenüber steht. Als Begriff der grundle42 genden "metaphysischen" Kategorientafel liegt er dem Denken überhaupt zugrunde und kann je nach Gebrauch verschiedene Gehalte annehmen, die allerdings immer die grundlegende Relationalstruktur wiedergeben müssen. Die positiven Wissenschaften, deren Grundlegung die "Prolegomena" leisten, befassen sich nur mit Dependentem, das unter dem Begriffspaar "Ursache und Wirkung" zu erfassen ist. Da es sich aber immer um Grundlegung handelt, und deshalb nach den Bedingungen gefragt wird, führt Kant in der "Transscendentalen Tafel der Verstandesbegriffe"

42 Heidemann, Die Kategorientafel als systematische Topik, S. 59.

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Verstandesbegriffe" nur den Begriff "Ursache" an. Die dritte Antinomie arbeitet dagegen mit dem grundlegenden Relationsbegriff überhaupt. Daß hier Relation selbst thematisch wird, verlangt die Lösung der Frage nach der absoluten Totalität der Erscheinungen in der Welt, die nach verschiedenen Aussagen Kants immer nur als Glieder eines Verhältnisses, nicht als Dinge an sich, erfaßt werden können. In der "Transzendentalen Ästhetik", besonders in der "Allgemeinen Anmerkung" , spricht Kant seine Ansicht über die Relationalität unserer Anschauungen deutlich aus: "... alles, was in unserem Erkenntnis zur Anschauung gehört," enthält "nichts als bloße Verhältnisse ... der örter in einer Anschauung (Ausdehnung), Veränderung der örter (Bewegung), und Gesetze, nach denen diese Veränderung bestimmt wird (bewegende Kräfte)" (B 66 f.). Auch die innere Erscheinung nimmt Kant von dieser Eigentümlichkeit nicht aus: "... die Zeit, in die wir diese Vorstellungen setzen, die selbst dem Bewußtsein derselben in der Erfahrung vorhergeht, und als formale Bedingung der Art, wie wir sie im Gemüte setzen, zum Grunde liegt, enthält schon Verhältnisse des Nacheinander-, des Zugleichseins, und dessen, was mit dem Nacheinandersein zugleich ist (des Beharrlichen)" (B 67). Auch die reine begriffliche Seite der Erkenntnis, die dem Verstand angehört, kann mit Hilfe des Verhältnisbegriffs interpretiert werden. Die transzendentale Einheit der Apperzeption setzt die Relation des "Ich denke" als Einheit und schafft damit die Voraussetzung für die Übereinstimmung der Synthesis der Anschauung und der Synthesis des Denkens als Er43 kenntms eines Objekts. Obwohl der allgemeine Kausalitätsbegriff, der dem dritten Widerstreit der reinen Vernunft zugrunde liegt, auch die

43 Die transzendentale Einheit des SelbstbewuBtselns nennt Kant die "ursprüngliche Verbindung", aus der sich "vieles folgern" läßt (B 132 f.). Die ganze transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe liest sich wie eine Darstellung der vielfältigen Grundlegungsfunktion von relationalen Bestimmungen, well der zentrale Begriff dieser Deduktion der Begriff der "Synthesis", eine Verhältnisstiftung, als Leistung der Spontaneität, meint.

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systematische Grundlage zur Interpretation des praktischen Freiheitsbegriffs enthält (da ja die Tafel der Kategorien der Freiheit in der "Kritik der praktischen Vernunft" als eine Entfaltung der Kausalitätskategorie im praktischen Gebrauch betrachtet werden kann, und Kant davon spricht, "daß in dieser Tafel die Freiheit als eine Art von Causalität" angesehen werden könne, Bd. V, S. 67), steht die Frage nach der Möglichkeit praktischer Freiheit hier nicht im Vordergrund. Heimsoeth hat, bezogen auf die "Kritik der reinen Vernunft", in seiner Schrift über den kosmotheologischen Ursprung der dritten Antinomie gezeigt, daß diese nicht aus dem uns heute so naheliegenden Dualismus von Naturdetermination und Handlungsfreiheit entstanden ist, sondern daß Kant hier transzendentale Freiheit im Sinne des "dynamischen Anfangs" von Welt überhaupt in Frage 44 stellt. Das Problem der moralischen Freiheit ist an dieser Stelle nur ein Folgeproblem. Deshalb müssen die verschiedenen Aspekte des Kausalitätsbegriffs, die in der Thesis und Antithesis, deren Beweisen und Anmerkungen auftreten, unter dem Gesichtspunkt des Widerstreits von Naturkausalität und transzendentaler Freiheit interpretiert werden, wobei sich die Thesis im Gegensatz zur Antithesis wegen der oben (S. 160 f.) angeführten Divergenz von erkenntnistheoretischer und ontologischer Aussage im Verlauf der Argumentation als grundlegender transzendentalphilosophischer Satz erweist. Transzendentale Freiheit erhält dadurch in Vergleich zur Kausalität der Natur eine vollkommen veränderte philosophische Dimension, da Kant sie aus einem allgemeinen philosophischen Begriff in ein erkenntnistheoretisches Prinzip verwandelt. Die Thesis des dritten Widerstreits der reinen Vernunft postuliert beide Kausalitätstypen für die Erklärung der Erscheinungen in der Welt. Dabei kann der "Kausalität nach Gesetzen der Natur" alle die Erfahrungserkenntnis beigeordnet werden, deren Grundlegung Kant bei der "Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze" leistet. Der "Grundsatz der

44 Vgl. Heimsoeth, a. a. 0. S. 248 f.

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Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität" bezieht sich nach einer Aussage sun Ende der Erörterung der ersten Analogie der Erfahrung nur auf Akzidentelles oder den "Zustand" der Dinge, was Kant in einer paradoxen Formulierung so ausdrückt: "Daher ist alles, was sich verändert, b l e i b e n d , und nur sein Z u s t a n d w e c h s e l t " . (B 230/A 187) Natur aber, als "Inbegriff der Erscheinungen", kann für uns Menschen nur als Zustand einer an sich unbekannten Substanz erfaßt werden (B 446/A 418 Anm.). Die Kausalität durch Freiheit, die in der Thesis neben der Naturkausalität zur Erklärung der Erscheinungen postuliert wird, ist eine der praktischen Freiheit des Menschen vorgeordnete Freiheit des ersten Anfangs der Erscheinungen Uberhaupt. Sie wird von Heimsoeth im Zusammenhang mit den Kant "historisch vorgegebenen Weltvorstellungen der Metaphysik" interpre45 tiert. Dabei spielen nach Heimsoeth ftlr Kant die Vorstellungen des Anaxagoras über das kosmologische Anfangsprinzip "Geist"*® und vor allem Piatons Vorstellungen vom "Weltbaumei47 ster" eine wichtige Rolle . Kants Entscheidung für die Vernunftidee, die Welt als Erscheinung "auf die 'Causalität ... eines obersten Verstandes' hinzudenken"*®, ist aber, wie Heimsoeth zeigt, vor allem auf seine Gegenstellung zum Spinozistischen Fatalismus und zum Emanationsdenken der Neuplatoniker zurückzuführen und steht 49 von daher ganz im "universal-kosmologischen" Zusammenhang. Kant gibt selbst in der "Kritik der reinen Vernunft" einen deutlichen Hinweis auf die transzendentalphilosophische Vorrangstellung der transzendentalen Freiheit gegenüber der praktischen, wenn er im Abschnitt "Vom empirischen Gebrauche des regulativen Prinzips" sagt: "Es ist überaus merkwürdig, daB auf diese t r a n s z e n d e n tale Idee der F r e i h e i t sich der praktische

45 Heimsoeth, Zum kosmotheologischen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie, S. 252. 46 Ebd. S. 253. ff. 47 Ebd. S. 251. 48 Ebd. S. 263. 49 Ebd.

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Begriff derselben gründe, und jene in dieser das eigentliche Moment der Schwierigkeiten ausmache, welche die Frage über ihre Möglichkeit von jeher umgeben haben" (B 561/A 533). Die Aussage der Antithesis verlangt dagegen, die Erscheinungen in der Welt nur nach Gesetzen der Natur zu erklären, Freiheit (ohne nähere Erläuterung ihrer Wirkungsart) "ist nicht" (B 473/ A 445) . Die Beweise für Thesis und Antithesis und deren Anmerkungen fügen nun dem Gedanken der Naturkausalität und dem der transzendentalen Freiheit noch weitere Bestimmungen bei. Alles was geschieht, eetzt dem Wortlaut des Beweisganges der Thesis nach einen Zustand voraus, auf den das Geschehene "unausbleiblich nach einer Regel folgt". "Zustand" und "Folge" sind die beiden Glieder der Naturkausalitätsrelation, die in beiden Beweisgängen die Nähe zur Argumentation der Analogien der Erfahrung dokumentieren. Die Trennung von "Substanz" und "Zustand der Substanz" ermöglicht Kant die Lösung des Problems der Erkennbarkeit von Substanz selbst in der ersten Analogie der Erfahrung. Sie kann nur in einem Schluß von ihren Zuständen her als beständige Grundlage der wechselnden Zustände erfaßt werden. Die "Folge von Erscheinungen in der Zeit" ist die Grundlage für die Kausalbestimmungen, die die zweite Analogie der Erfahrung begründet. Dort wird durch den Rückbezug auf die Einheit der Apperzeption die Objektivität der Erscheinungen erklärt. Hier bedeutet die Restriktion auf die Kausalität der Natur eine Einengung der Vernunftidee, die nach einer "fremden Ursache", genannt "Schöpfung", wie Kant schon bei der Darstellung des zweiten Widerstreits vorwegnimmt, sucht (B 251/A 206). In denselben Reflexionsrahmen gehören im Beweisgang der Thesis Formulierungen wie "Gesetz der Natur" (die Kausalität eines Zustandes setzt die Kausalität eines anderen voraus), oder "Lauf der Natur" (bestimmt die Reihenfolge der Erscheinungen) (B 474/A 446). Diesen Bestimmungen entgegengesetzt und endlicher positiver Schluß aus der negativen Prämisse des Beweisgangs der Thesis ist die Bestimmung der Kausalität des Geschehens als "abs o l u t e S p o n t a n e i t ä t der Ursachen" (ebd.).

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Im selben thematischen Zusammenhang steht, bei der Darstellung der negativen Prämisse, der Begriff der "Kausalität der Ursache, durch welche etwas geschieht" (B 472/A 444). Erst in diesem Zusammenhang wird verständlich, wie der Begriff "Kausalität der Ursache" als scheinbar tautologische Verbindung zweier kategorialer Begriffe, die dem Wortlaut der Tafel der Kategorien nach gleich gewichtig sind, verstanden werden kann. Wie schon bemerkt (siehe S. 166) , bezieht sich der Klammerausdruck "Ursache und Wirkung", der in der Kategorientafel der Kategorie der Kausalität und Dependenz angefügt ist, nur auf "Dependenz", stellt also eine Erläuterung zu "Bedingtem" ganz allgemein dar. Die "Kausalität der Ursache" kann dann als diejenige Wirkensrelation aufgefaßt werden, die das Bedingte selbst bewirkt oder zumindest eine solche Bestimmung ermöglicht. Dieser Interpretation entspricht auch die am Ende des Beweises der Thesis von Kant gegebene Erläuterung des Begriffs der "transzendentalen Freiheit", deren Gesetzmäßigkeit für Kant darin besteht, "eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen läuft, von s e l b s t anzufangen" (B 474/A 446) . Die "Kausalität der Ursache" entsteht nach diesem Text selbst durch "transzendentale Freiheit". Kausalität ist in dieser Formulierung eine Zustandsbestimmung der Ursache, wodurch der Begriff Ursache in diesem Zusammenhang in der relationalen Position eines Substantiale gegenüber dem akzidentellen Zustand steht. So interpretiert, bedeutet das Entstehen der Kausalität der Ursache, daß der Zustand der Ursache frei entsteht und somit schöpferisch wird. Es entsteht in diesem Naturkausalitätszusammenhang eine Parallele zur praktischen Freiheit. Der Mensch erkennt sich selbst nur im Akzidentellen, er kann jedoch sein Akzidentelles intellektuell bestimmen. Die Problematik der kosmologischen Freiheit verweist auf die "Kritik der Urteilskraft", die die Untersuchung von Leben unter teleologischen Gesichtspunkt stellt. Auch die Bestimmungen der Antithesis lassen sich unter zwei Gesichtspunkten zusammenfassen: 1. der Versuch, Geschehen unter der auf Erfahrungserkenntnis restringierten Kategorie der Ursache und Wirkung zu erfassen, und 2. der Versuch, die Ein-

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heit der Erfahrung mit Hilfe der Idee der transzendentalen Freiheit, die systematisch der reinen Kategorie der Kausalität und Dependenz korrespondiert, zu interpretieren. Dem Beweisgang der Antithesis nach, wird zuerst die " F r e i h e i t im transzendentalen Verstände, als eine besondere Art von Kausalität" eingeführt, "nach welcher die Begebenheiten der Welt erfolgen könnten, nämlich ein Vermögen, einen Zustand, mithin auch eine Reihe von Folgen desselben, schlechthin anzufangen" (B 473/A 445) . Diese kosmologische Erklärung wird noch vertieft durch einen Zusatz, der auf die Zeitbedingtheit des empirischen Geschehens Bezug nimmt. Es soll nämlich durch diese transzendentale Freiheit nicht nur eine Reihe von Erscheinungen neu anfangen, (was die praktische Freiheit des Menschen ermöglicht), sondern "die Bestimmung dieser Spontaneität selbst zur Hervorbringung der Reihe, d. i. die Kausalität, wird schlechthin anfangen, so daß nichts vorhergeht, wodurch diese geschehende Handlung nach beständigen Gesetzen bestimmt sei" (B 473/A 445) , was nur heißen kann, daß diese Bestimmung der Spontaneität zur Hervorbringung einer Reihe entweder aus einem inneren Prinzip selbst entsteht oder anderer intelligibler Kausalität unterworfen ist. In beiden Fällen zeigt der Begriff des "dynamisch ersten Anfangs der Handlung", daß hier keine Kausalität postuliert wird, die von den grundsätzlichen Erfahrungsbedingungen abhängig ist, sondern eine solche, mit der Dasein Uberhaupt anhebt. Der engere, auf die synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes bezogene Aspekt der Kausalitätskategorie zeigt sich im Beweisverfahren der Antithesis vor allem im positiven Schluß aus der negativen Prämisse, dem zweiten Absatz des Beweises: "Wir haben also nichts als N a t u r , in welcher wir den Zusammenhang und Ordnung der Weltbegebenheiten suchen müssen" (B 475/A 447) . Die Wahl des Personalpronomens "wir" zeigt die Abhängigkeit des Schlusses von den spezifisch menschlichen Konditionen, die Kant für die Seite der empiristischen Argumentation hervorhebt. Natur bedeutet "Gesetzmäßigkeit", diese aber interpretiert Kant weiter unten als "den Leitfaden der Regeln ..., an welchem allein eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung möglich ist"

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(B 475/A 447). Die Anmerkungen zur Thesis und Antithesis kommentieren die Ergebnisse der Beweisführungen. Beide Interpretationen der Frage nach dem absoluten Grund der Erscheinungen betrachtet Kant hier im Zusammenhang mit dem Problem der grundsätzlichen Unerklärbarkeit und Unverständlichkeit sowohl des Wirkens der Natur selbst als auch des Bewirkens einer Kausalität durch Freiheit. Dabei wird in der Anmerkung zur Thesis nur ausdrücklich die "Freiheit des Willens", also praktische Freiheit, berücksichtigt, und Kant betont, daß der Beweis der Thesis nur das "transzendentale" Problem betrachtet habe, daß allerdings daraus die Möglichkeit entstanden sei, auch die Freiheit des Menschen zu erklären. Die transzendentale Fragestellung "ob ein Vermögen angenommen werden müsse, eine Reihe von sukzessiven Dingen oder Zuständen von s e l b s t anzufangen" (B 476/A 448), steht in ihrer Formulierung in engem Zusammenhang mit dem Thema der Analogien der Erfahrung und zeigt die grundsätzliche Bindung der kosmologischen Idee an die transzendental log is che Begründung der Erfahrungswelt, weil die Ideen keiner eigenen Begrifflichkeit entspringen, sondern auf dem Verstandesdenken fußen. Die Wirkungsart transzendentaler Freiheit ist für den Menschen nach der Anmerkung zur Thesis unerklärbar, ebenso bleibt aber auch die Begreiflichkeit der Naturkausalität auf unsere menschlichen Bedingungen eingeschränkt. Wie eine kritische Erklärung dieses scheinbaren Widerstreits aussieht und wie sie dann von Kant auch weiter unten, in der Auflösung der kosmologischen Ideen, gegeben wird, zeigt Kant hier, indem er die Idee der transzendentalen Freiheit und das Kausalitätsgesetz der Natur mit der grundsätzlichen Anschauungsbezogenheit des Erkennens verknüpft. Innerhalb des zeitlichen Ablaufs der Ereignisse ist keine Kausalität aus Freiheit möglich, deshalb gibt es "der Zeit nach" keinen ersten Anfang in der Welt, "doch in Ansehung der Kausalität" kann "ein schlechthin erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen" angenommen werden (B 478/A 450). Diese Annahme einer absoluten Kausalität nennt Kant im letzten Absatz der Anmerkung ein " B e d ü r f n i s der Vernunft" (ebd.). Zu

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dieser Bemerkung gibt es eine Parallelstelle in der "Kritik der praktischen Vernunft", in der Kant im Abschnitt vom "Dasein Gottes, als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft" das "Postulat der Wirklichkeit eines h ö c h s t e n urs p r ü n g l i c h e n G u t s , nämlich der Existenz Gottes", als eine "subjektive" Notwendigkeit, ein "Bedürfnis" bezeichnet (Bd. V, S. 125). "Bedürfnis" wird hier von Kant in Gegensatz zu "Pflicht" gesetzt, weil keine Pflicht besteht "die Existenz eines Dinges anzunehmen" (ebd.). Das hat zur Folge, daß diesem Bedürfnis keine Gesetzmäßigkeiten entspringen, sondern lediglich Postulate. Im Bereich des spekulativen Vernunftgebrauchs führt das " B e d ü r f n i s der reinen Vernunft" nur zu "Hypothesen". (Vgl. Bd. V, S. 142 f.) Beide Kausalitätstypen treten noch einmal im Text der Anmerkung zu der Beweisführung der Antithesis auf. Auch hier geht Kant, wie schon in der Beweisführung selbst, auf die Einheit des Denkens in mathematischen und dynamischen Grundsätzen ein. Auch wenn der ewige Wechsel von Zuständen, ohne Voraussetzung eines ersten Anfangs, für den Menschen unbegreiflich ist (andere Gesetzmäßigkeiten, z. B. die Tatsache von Veränderungen sind es auch), gibt es keine Möglichkeit, den Substanzen in der Welt ein transzendentales Vermögen der Freiheit zuzusprechen, weil dann Naturgesetzmäßigkeit, die in der zeitlichen Abfolge von Ursache und Wirkung besteht, nicht mehr möglich wäre. Nur "außerhalb" der Welt kann "allenfalls" ein "transzendentales Vermögen der Freiheit" angenommen werden, aber die Verifizierung dieser Annahme liegt "außerhalb dem Inbegriffe aller möglichen Anschauungen" und bleibt deshalb "eine kühne Anmaßung" (B 479/A 451). Alle problematischen Bestimmungen finden sich hier noch einmal zusammen: die Substanzen in der Welt (als Ursachen, deren Kausalität entstehen soll), das transzendentale Vermögen der Freiheit (als Kausalität der Ursache, die sich selbst bewirkt) und Naturgesetzmäßigkeit (die in der zeitlichen Abfolge von Ursache und Wirkung als in der Zeit geltende aber nicht immer direkt zeitlich aneinander gebundene, besteht). Transzendentale Freiheit, die die Anschauungsformen von Raum und Zeit übersteigt, bleibt erkenntnis-

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theoretisch problematisch. 3.3.3 Die grundlegende systematische Funktion der Kategorie der "Kausalität und Dependenz" für die Bildung der Ideen der reinen Vernunft überhaupt Die These der vorliegenden Arbeit besagt, daß die Kategorien des reinen Verstandes nicht nur die Bedingungen für die Gesetzmäßigkeit der Erfahrungserkenntnis vorstellen, sondern daß die Kategorientafel von Kant als Grundmodell wissenschaftlichen Denkens überhaupt konzipiert ist. Daraus folgt, daß alle theoretischen Grundbestimmungen in der "Kritik der reinen Vernunft" auf ihre Beziehung zu kategorialen Begriffen untersucht werden können, um Aufschluß darüber zu erhalten, inwiefern Kant sich in seinen theoretischen Grundlegungen auf die Kategorientafel gestützt hat. Die Ideen der reinen Vernunft, die im Zusammenhang der Paralogismenlehre und des dritten Widerstreits der reinen Vernunft, in diesem dritten Kapitel Untersuchungsgegenstand sind, begründet Kant in mehreren Stufen. Zuerst werden sie formal hergeleitet in dem "Ersten Buch" der "Transzendentalen Dialektik": "Von den Begriffen der reinen Vernunft". Dann werden sie inhaltlich bestimmt und diskutiert im "Zweiten Buch" der "Transzendentalen Dialektik": "Von den dialektischen Schlüssen der reinen Vernunft" und als dialektisch kritisiert. Im "Anhang zur transzendentalen Dialektik" wird daran anschließend der regulative Gebrauch der Ideen, als ihr eigenticher Geltungsmodus, erschlossen. Wie der dialektische Gebrauch der Ideen und auf der Kritik dieses Gebrauchs aufbauend ein regulativer Gebrauch der Ideen, unter Zugrundelegung der Kategorien als strukturierenden Grundbegriffen, von Kant dargestellt und analysiert wird, haben die vorangehenden Abschnitte am Beispiel der ersten und der zweiten Relationskategorie, behandelt^®. Nun soll als Abschluß dieser Darstellung der Kategorien, in ihrer systema-

50 Vgl. die Abschnitte 3.2, 3.2.1, 3.2.2, 3.3, 3.3.1, 3.3.2

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tischen Grundlegungsfunktion für einzelne Ideen, untersucht werden, wie Kant die Ideen überhaupt aus dem Denken in kategorialen Formen im weitesten Sinne herleitet. Die drei oberen Erkenntnisvermögen: Verstand, Urteilskraft und Vernunft, ordnet Kant in Paragraph 9 der "Transzendentalen Analytik", bei der Vorstellung und Erläuterung der "Tafel der Urteile", den modalen Urteilsformen "problematisch", "assertorisch" und "apodiktisch" zu, "gleich als wenn das Denken im ersten Fall eine Funktion des V e r s t a n d e s , im zweiten der U r t e i l s k r a f t , im dritten der V e r n u n f t wäre", und er fügt dieser Anmerkung den Satz bei: "eine Bemerkung, die erst in der Folge ihre Aufklärung erwartet" (B 100/A 74 f. Anm.). Auf diesen Zusammenhang geht Kant im weiteren Verlauf der "Kritik der reinen Vernunft" nicht ausdrücklich ein.^ Beim Studium des Werkes wird aber einleuchtend, daB die verschiedenen Abschnitte der "Transzendentalen Logik" jeweils einem der Vermögen zugeordnet werden können. So zeigt die "Analytik der Begriffe", die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt, die "Analytik der Grundsätze" aber die Bedingungen der Erkenntnis von Wirklichkeit. Der Modus der apodiktischen Urteile und damit zusammenhängend die Kategorie "Notwendigkeit-Zufälligkeit" kommt den Betrachtungen der "Transzendentalen Dialektik" zu. Die Notwendigkeit des dialektischen Denkens für die Vernunft, insofern sie deren "Natur" entspringt, hebt Kant zu Beginn des zweiten Buchs der "Transzendentalen Dialektik" hervor (vgl. Β 397/ A 339) . Ebenso aber verweist er auch auf die Notwendigkeit der regulativen Ideen für die Einheit des systematischen Denkens

51 Nur die einleitenden Absätze zur "Analytik der Grundsätze" knüpfen an diesen Gedankengang an (B 169 f./A 130 f.). Kant ordnet dort die oberen Erkenntnisvermögen den Themen der "Transzendentalen Analytik", nämlich den " B e g r i f f e n , U r t e i l e n und S c h l ü s sen" zu. Für eine "transzendentale Logik" gilt eine andere Aufteilung, weil der " t r a n s z e n d e n t a l e G e b r a u c h der V e r n u n f t " in die "transzendentale D i a l e k tik" gehört. Verstand und Urteilskraft "gehören also in ihren analytischen Teil", in den analytischen Teil der transzendentalen Logik.

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zu Beginn des Anhangs der "Transzendentalen Dialektik": "Ich behaupte demnach: die transzendentalen Ideen sind niemals von konstitutivem Gebrauche, so, daS dadurch Begriffe gewisser Gegenstände gegeben würden, und in dem Falle, daB man sie so versteht, sind es bloß vernünftelnde (dialektische) Begriffe. Dagegen aber haben sie einen vortrefflichen und unentbehrlich-notwendigen regulativen Gebrauch, nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien aller seiner Regeln in einen Punkt zusammenlaufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius), d. i. ein Punkt ist, aus welchem die Verstandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz außerhalb von Grenzen möglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen die größte Einheit neben der größten Ausbreitung zu verschaffen." (B 672/A 644) Dieser unentbehrlich-notwendige Gebrauch der reinen Vernunft aber erweist sich im Verlauf der Argumentation als ein relativer weil die Ideen nur relativ, also immer nur bezogen auf Erfahrungserkenntnis, gelten. Diese relative, hypothetische Geltung der Ideen der reinen Vernunft führt zu der These, daß die den Ideen überhaupt als Denkbasis zugrunde liegende kategoriale Struktur die des Zusammenhangs von "Kausalität und Dependenz" ist. Die Kategorie der "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)", die zum hypothetischen Schluß, als Funktion des Denkens im Urteilen (vgl. Β 95/A 70), in Parallele steht, ist die Relationsform, die Bedingungsgefüge bestimmt, weshalb sie als die Grundform wissenschaftlichen Forschens überhaupt interpretiert werden kann, eine Betrachtungsweise, deren Implikationen hier vom Thema abführen. An dieser Stelle soll nur die wissenschaftslogische Herleitung der Ideen aus den kategorialen Formen, als spezieller Fall wissenschaftlicher Theoriebildung, unter dem Aspekt kausaler Verknüpfung, thematisch werden. Dem Erkennen liegt, nach Kant, eine lediglich richtunggebende Funktion der reinen Vernunft zugrunde, wodurch sie den Verstandeshandlungen durch ihre Ideen systematische Einheit schafft. Diese Einheit ist aber keine eigentlich objektive, weil sie sich nicht in der Erfahrung bestätigen läßt, sondern

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nur eine "problematische" (B 674/A 646), obgleich dem menschlichen Denken notwendige. Die Idee der Vernunfteinheit "postuliert demnach vollständige Einheit der Verstandeserkenntnis" (B 673/A 645) , ein "hypothetischer Gebrauch der Vernunft" (B 675/A 645) , den Kant dem "apodiktischen" entgegensetzt, wobei das Allgemeine " a n sich g e w i ß " gegeben ist und durch Subsumtion das Besondere "notwendig bestimmt" wird (B 674/A 646). Der hypothetische Gebrauch der Vernunft in den Ideen ist kein transzendentaler, sondern ein nur logischer, die systematische Vernunfteinheit ist " l o g i s c h e s Prinzip" (B 676/A 648). Diesem muB aber ein transzendentales 52 Prxnzip zugrunde liegen. Als transzendentale Basis der Ideen von Seele, Welt und Gott, die den notwendigen Bezug auf die Ebene des Gegebenen ermöglichen (Kant spricht von "Natur", Β 680/A 652) , können die Prinzipien der Homogenität, Spezifikation und Kontinuität angesehen werden (B 686/A 658), die je nach Gebrauch wechselnd logisch oder transzendental gelten und als "heuristische Grundsätze" nicht eigentlich transzendental, sondern lediglich "asymptotisch" die Erfahrungserkenntnis leiten. (B 691/A 663) Ihre transzendentale Geltung ist nur scheinbar, weil sie als "synthetische Sätze a priori" nur "unbestimmte Gültigkeit haben" (ebd.)53 Daß die Ideen der reinen Vernunft keine eigentliche transzendentale Geltung haben, erläutert Kant, indem er den Ver-

52 "In der Tat 1st auch nicht abzusehen, wie ein logisches Prinzip der Vernunfteinheit der Regeln stattfinden könne, wenn nicht ein transzendentales vorausgesetzt würde, durch welches eine solche systematische Einheit als den Objekten selbst anhängend, a priori als notwendig angenommen wird." Β 678 f./A 649 f. 53 "Was bei diesen Prinzipien merkwürdig 1st, und uns auch allein beschäftigt, 1st dieses: daß sie transzendental zu sein scheinen, und, ob sie gleich bloße Ideen zur Befolgung des empirischen Gebrauchs der Vernunft enthalten, denen der letztere nur gleichsam asymptotisch, d. 1. bloß annähernd folgen kann, ohne sie jemals zu erreichen, sie gleichwohl als synthetische Sätze a priori, objektive, aber unbestimmte Gültigkeit haben, und zur Regel möglicher Erfahrung dienen, auch wirklich in Bearbeitung derselben, als heuristische Grundsätze, mit gutem Glücke gebraucht werden, ohne daß man doch eine transzendentale Deduktion derselben zu Stande bringen kann, welches, wie oben bewiesen worden, in Ansehung der Ideen jederzeit unmöglich ist." Β 691f./A 663 f.

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gleich zu den Grundsätzen des reinen Verstandes zieht, die sowohl als mathematische als auch als dynamische Gesetze für die 54 Erfahrung konstitutiv sind. Den Ideen fehlt der Erfahrungsbezug, weil sie nur in einem Analogon zum Schema der Sinnlichkeit, nämlich mit Hilfe der Idee des " M a x i m u m der Abteilung und Vereinigung der Verstandeserkenntnis in einem Prinzip" (B 693/ A 665) , sich auf Erfahrungswirklichkeit beziehen. Dieses Analogon aber bewirkt, daß die Ideen der Vernunft wenigstens "indirekt" objektive Realität beweisen, weil sie das "Verfahren" anzeigen, "nach welchem der empirische und bestimmte Erfahrungsgebrauch des Verstandes mit sich selbst durchgängig zusammenstimmend werden kann" (B 693/A 665 f.). Die apriorische Geltung der Ideen bleibt unbestritten. Aber dieser muß, um zu einer "wenn auch nur unbestimmten objektiven Gültigkeit" zuzureichen, eine Art von transzendentaler Deduktion, wie sie für die Kategorien des reinen Verstandes durchgeführt wurde, zugrunde liegen (B 698/A 669). Dazu bedarf es einer Art von Schematismus, der die Beziehung zwischen reiner Vernunft und Erfahrungsebene "indirekt" vorstellbar macht. Das Schema ist die Idee selbst, die nur dazu dient, "andere Gegenstände, vermittelst der Beziehung auf diese Idee nach ihrer systematischen Einheit, mithin indirekt uns vorzustellen" (B 698/ A 670) . Ein solcher Schematismus erlaubt den heuristischen "als-ob" Gebrauch der Ideen für die Erfahrungserkenntnis, den Kant auch "relativen" Gebrauch nennt (vgl. Β 740/A 676) und der damit auf die Eingebundenheit des menschlichen Denkens in das Relationsgefüge der Gegebenheiten verweist. Das Relationale der "bloßen Idee" (B 711/A 683) hebt Kant für alle drei grundlegenden Ideen der reinen Vernunft hervor. Die "psychologische Idee" der Einfachheit der Substanz gilt "bloß relativisch" auf den "systematischen Vernunftgebrauch

54 Die dynamischen Grundsätze sind, wohl wegen fehlender "unmittelbarer Evidenz" (B 200/A 160), nur eingeschränkt konstitutiv. Vgl. dazu Β 295 f./A 236 f.

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in Ansehung der Erscheinungen unserer Seele" (B 711/A 683), die kosmologische Idee von der Einheit der Welt kann in ihren Auffächerungen nach der "Tafel der Kategorien" immer nur so auf Erfahrungserkenntnis bezogen werden, "als ob" eine "wirkliche Totalität solcher Reihen" vorliege (B 713/A 685), und die dritte Idee, der reine Vernunftbegriff von Gott, ist ein Begriff, welcher "eine bloß relative Supposition eines Wesens enthält, als der einigen und allgenugsamen Ursache aller kosmologischen Reihen" (B 713/A 685). Dieser Gebrauch der Ideen, der die zugrunde liegende relationale Denkstruktur zum Ausdruck bringt und von Kant durch die Adjektive "problematisch", "hypothetisch", "analogisch" und "relativisch" erläutert wird, wird schon im ersten Buch der "Transzendentalen Dialektik" vorbereitet. Wie immer, wenn die Kategorie der Kausalität in systematischer Funktion zugrunde liegt, ist auch bei der Herleitung der Ideen der reinen Vernunft, die Kant analog zur metaphysischen Deduktion der Kategorien aus den logischen SchluBformen durchführt (B 377 f./A 331 f.), die Vorstellung der "Reihe" grundlegend (vgl. Β 388 f./A 331 f.).^ Das Ordnungsmodell der Reihe wird von Kant, bezogen auf die Ideen der reinen Vernunft, spezifiziert auf die Reihe aller Bedingungen bis hin zum Unbedingten. Die Ideenstruktur beruht also auf Bedingungsreihen. Bedingungsreihen aber gehören begriffslogisch zum Ordnungsbereich der Relationskategorie "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung) ", weil das der Ordnungsbegriff aus der Kategorientafel ist, der das relationale GefUge der Reihe von Bedingung zum Bedingten und umgekehrt enthält. Wenn die Kategorien die grundlegenden Begriffe für theoretische Grundbestimmungen sind, wie Kant in Paragraph 11 feststellt (B 109/A 83), dann

55 Kant gebraucht die Ordnungsvorstellung "Reihe" auch bezogen auf die Zeitfolge (B 50/A 33), zur Unterstützung seiner Darstellung des Bezuges zwischen der Kategorie der Gemeinschaft und dem disjunktiven Urteil (B 112) und für die Reihe der Wahrnehmungen (B 238/A 192 f.). "Reihe" ist also eine Anordnungeregel, die sich nicht nur auf die Ideen bezieht. Im Bereich der Ideen gilt sie aber für alle transzendentale Ideen, nicht nur für die kosmologischen.

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ist die Kategorie "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung) " begriffslogische Voraussetzung für die Ideen der reinen Vernunft.56 In dem Abschnitt "System der kosmologischen Ideen", stellt Kant seine zu den kosmologischen Ideen führenden Überlegungen dar. Alle vier Tafelpositionen werden unter den Gesichtspunkt der Reihenordnung gestellt, einer Reihe von Bedingungen, die einen Fortschritt zum Unbedingten formal gewährleistet. Zur dritten Position schreibt Kant: "Drittens, was die Kategorien des realen Verhältnisses unter den Erscheinungen anlangt, so schickt sich die Kategorie der Substanz mit ihren Akzidentien nicht zu einer transzendentalen Idee; d. i. die Vernunft hat keinen Grund, in Ansehung ihrer, regressiv auf Bedingungen zu gehen. Denn Akzidentien sind (so fern sie einer einigen Substanz inhärieren) einander koordiniert, und machen keine Reihe aus. In Ansehung der Substanz aber sind sie derselben eigentlich nicht subordiniert, sondern die Art zu existieren der Substanz selber." (B 441/A 413 f.) Aus dem kosmologischen Zusammenhang herausgenommen, könnte dieses Zitat als Widerspruch zu den Ergebnissen des Paralogismenabschnitts (zusammen mit den Ergebnissen aus dem "Anhang zur transzendentalen Dialektik") interpretiert werden, weil dort Substanz als Idee, in Relation zur Verstandeserkenntnis, als Leitbild für die Untersuchungen einer empirischen Psychologie theoretische Gültigkeit hat. Der Widerspruch löst sich, wenn beachtet wird, daß im kosmologischen Zusammenhang "des realen Verhältnisses unter den Erscheinungen" zu dem Gefüge von Bedingung zu Bedingtem, das Idee überhaupt ausmacht, noch ein weiteres Bedingungsgefüge "in der Reihe der Erscheinungen" (B 441/A 414) hinzukommt,

56 Im "System der kosmologischen Ideen" argumentiert Kant mit der Übereinstimmung zwischen der Kategorie der Kausalität und Dependenz und der "Synthesis" einer " R e i h e " , "der einander untergeordneten (nicht beigeordneten) Bedingungen zu einem Bedingten". (B 436/A 409 und die folgenden Selten bis Β 442/A 415). Diese Argumentation kann auf die Bildung der Ideen Uberhaupt bezogen werden, well diese Ideen als geschlossene Begriffe eingeführt werden, die eine "Totalität in der Reihe der Prämissen" enthalten. (Vgl. Β 388 f./A 332 ff.)

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so daß die Kategorie der "Kausalität und Dependenz" für die dritte kosmologische Idee der "absoluten Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt" (B 443/A 415) in zweifacher Weise Grundlegung bietet, erstens indem Idee überhaupt als Bedingungsgefüge gedacht wird und zweitens indem diese Idee als ein Bedingungsgefüge realer Verhältnisse in der Reihe der Erscheinungen inhaltlich spezifiziert wird. Substanz als Idee, im Zusammenhang der rationalen Seelenlehre und deren Neuinterpretation durch Kant als lediglich richtungsweisende theoretische Denkposition, wäre parallel dazu eine Idee, die als Bedingungsreihe zum Unbedingten hin der Form "Kausalität und Dependenz" unterstellt wäre, dann aber durch die Relation "Inhärenz und Subsistenz (substantia et accidens)" noch weiter bestimmt wird. Diese zweifache kategoriale Fundierung der Ideen kann an Beispielen in der "Kritik der reinen Vernunft" beobachtet werden. Zur Idee der Substanz schreibt Kant, in der "Endabsicht der natürlichen Dialektik", von dem Verfahren der Vernunft, das sich von der Erkenntnis durch die Kategorien des reinen Verstandes, die über den Schematismus zur sinnlichen Anschauung führt, unterscheidet:" Statt des Erfahrungsbegriffs also (von dem, was die Seele wirklich ist), der uns nicht weit führen kann, nimmt die Vernunft den Begriff der empirischen Einheit alles Denkens, und macht dadurch, daß sie diese Einheit unbedingt und ursprünglich denkt, aus demselben einen Vernunftbegriff (Idee) von einer einfachen Substanz, die an sich selbst unwandelbar (persönlich identisch), mit andern wirklichen Dingen außer ihr in Gemeinschaft stehe; mit einem Worte: von einer einfachen selbständigen Intelligenz." (B 710/ A 682) Die Einheit der Kategorie wird von der Vernunft ins Unbedingte erweitert. Das bedeutet, daß die Vorstellung der Bedingungsreihe zugrunde liegt. Diese Bedingungsreihe wird weiter bestimmt als ein "Prinzip der systematischen Einheit in Erklärung der Erscheinungen der Seele, nämlich: alle Bestimmungen, als in einem einigen Subjekte, alle Kräfte, so viel möglich, als abgeleitet von einer einigen Grundkraft, allen Wechsel, als gehörig zu den Zuständen eines und desselben

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beharrlichen Wesens zu betrachten, und alle E r s c h e i n u n g e n im Räume, als von den Handlungen des Denkens unterschieden vorzustellen." (B 710 f./A 682 f.) In der "Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Ursachen" (B 560/ A 532), erörtert Kant die Möglichkeiten der gemeinsamen Geltung von transzendentaler Freiheit und der Notwendigkeit von Naturabläufen. Die "reine transzendentale Idee" von Freiheit ist "das Vermögen, einen Zustand von s e l b s t anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte" (B 561/A 533). Auch transzendentale Freiheit wird von Kant als eine Kausalität bestimmt, allerdings eine solche, die die "Möglichkeit aller Erfahrung" übersteigt (ebd.), um zur absoluten "Totalität der Bedingungen im Kausalverhältnisse" (ebd.) zu kommen. Die Reihe zur absoluten Totalität der Bedingungen betrifft hier ein Kaüsalverhältnis, nicht wie im ersten Beispiel das Verhältnis von Inhärenz und Subsistenz. Deshalb wird hier bei der Idee transzendentaler Freiheit die Denkform von Kausalität und Dependenz auf zwei Ebenen gebraucht, auf der Ebene der Ideenbildung überhaupt und auf der spezifischen thematischen Ebene von "Spontaneität, die von selbst anheben könne zu handeln, ohne daß eine andere Ursache vorausgeschickt werden dürfe, sie wiederum nach dem Gesetz der Kausalverknüpfung zur Handlung zu bestimmen" (ebd.). Diese "transzendentale Idee der Freiheit" ist eine Kausalvorstellung, eine Art von Kausalität in der "Willkür", die Fähigkeit, "eine Reihe von Begebenheiten g a n z von s e l b s t anzufangen". (B 562/A 534) 57 Die Denkstruktur

57 Der dritte Widerstreit der reinen Vernunft thematisiert die Relation von "Kausalität und Dependenz" in einem spezifizierten Sinn, um die besondere Situation kosmologischer Schöpfung in der Spannung von Natur und Freiheit zu bestimmen. Deshalb ist die zweite Relationskategorie, wenn bis zu den Grundlagen der Ideenlehre selbst zurückgegangen wird, im dritten Widerstreit der reinen Vernunft auf drei thematischen Ebenen bestimmend, nämlich der der transzendentalen Ideen Uberhaupt, der der kosmologischen Ideen und der Ebene des aus der dritten kosmologischen Idee entspringenden Widerstreits der reinen Vernunft.

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Kausalität und Dependenz ist so auf zwei theoretischen Ebenen, der Ebene von Ideenbildung Uberhaupt und der Ebene der spezifizierten Idee kosmologischer Freiheit wirksam. Die verschiedenen Verhältnisformen, in denen die Beziehung "Bedingung-Bedingtes" stehen kann, heifien nach der Tafel der logischen Urteilsformen "Kategorische", Hypothetische" und "Disjunktive" (B 95/A 70). Diese drei Formen führen, wie die Argumentation des ersten Buches der "Transzendentalen Dialektik" deutlich macht, zu drei verschiedenen Vernunftideen. Nur logisch betrachtet, baut sich danach ein VernunftschluB in drei Schritten auf, die Kant in der Einleitung zur "Transzendentalen Dialektik" beschreibt: "In jedem Vernunftschlusse denke ich zuerst eine R e g e l (major) durch den V e r s t a n d . Zweitens s u b s u m i e r e ich ein Erkenntnis unter die Bedingung der Regel (minor) vermittelst der U r t e i l s k r a f t . Endlich b e s t i m m e ich mein Erkenntnis durch das Prädikat der Regel (conclusion), mithin a priori durch die V e r n u n f t . Das Verhältnis also, welches der Obersatz, als die Regel, zwischen einer Erkenntnis und ihrer Bedingung vorstellt, macht die verschiedenen Arten der Vernunftschlüsse aus. Sie sind also gerade dreifach, so wie alle Urteile überhaupt, so fern sie sich in der Art unterscheiden, wie sie das Verhältnis des Erkenntnisses im Verstände ausdrücken, nämlich: k a t e g o r i s c h e oder h y p o t h e t i s c h e oder d i s j u n k t i v e Vernunftschlüsse." (B 361/A 304) Kant unterscheidet zwischen der Reihe von Schlüssen, die zu den Bedingungen aufsteigt, dem "prosyllogismos" und der, die zum Bedingten weiterschreitet, dem "episyllogismos" (B 388/A 331). Die Vernunft beschäftigt sich nur mit der Frage nach den Bedingungen, um zu den Prinzipien des Denkens zu gelangen, wobei sie den Verhältnisbegriffen der Kategorientafel folgend sich "erstlich ein U n b e d i n g t e s der k a t e g o r i s c h e n Synthesis in einem S u b j e k t , zweitens der h y p o t h e t i s c h e n Synthesis der Glieder einer R e i h e , drittens der d i s j u n k t i v e n Synthesis der Teile in einem S y s t e m " vorstellt (B 379/A 323) . Diese Vor-

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Stellungen enthalten ganz grundsätzlich: "1) die Beziehung

aufs Subjekt, 2) die Beziehung auf Objekte, und zwar entweder als Erscheinungen, oder als Gegenstände des Denkens überhaupt" , so daß alles "Verhältnis der Vorstellungen", das der Mensch überhaupt bilden kann, bezogen ist auf "1. das Verhältnis zum Subjekt, 2. zum Mannifaltigen des Objekts in der Erscheinung, 3. zu allen Dingen überhaupt" (B 39 f./A 333 f.). Diese Bestimmungen "laufen am Faden der Kategorien fort". "Denn die reine Vernunft bezieht sich niemals geradezu auf Gegenstände, sondern auf die Verstandesbegriffe von denselben." (B 392/A 335) Die vollständige Darstellung der dialektischen Ideen soll dann nach Kant deutlich machen, wie die Vernunft "durch den synthetischen Gebrauch eben derselben Funktion, deren sie sich zum kategorischen Vernunftschlusse bedient, notwendiger Heise auf den Begriff der absoluten Einheit des d e n k e n d e n S u b j e k t s kommen müsse, wie das logische Verfahren in hypothetischen Ideen die vom Schlechthinunbedingten in e i n e r R e i h e gegebener Bedingungen, endlich die bloBe Form des disjunktiven Vernunftschlusses den höchsten Vernunftbegriff von einem W e s e n a l l e r W e s e n notwendiger Weise nach sich ziehen müsse; ein Gedanke, der beim ersten Anblick äußerst paradox zu sein scheint" (B 392 f./A 335 f.). Es muB also unterschieden werden zwischen dem Vernunftschluß überhaupt, der zur Idee führt, ein syllogistisches Bedingungsgefüge, das nach der hier vertretenen These systematisch dem Grundgefüge von "Kausalität und Dependenz" zugeordnet werden kann und der inhaltlichen Präzisierung dieses Bedingungsverhältnisses durch weitere kategoriale Bestimmungen, wobei grundsätzlich die drei Kategorien der Relation: "Inhärenz und Subsistenz (substantia et accidens)", "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)" und "Gemeinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden)" herbeigezogen werden können, weil es sich immer um relationale Bestimmungen handelt. Daraus entstehen die notwendigen Themen der reinen Vernunft, die durch Mißachtung der erkenntnistheoretischen Grundlegung in der "Transzendentalen Analytik" dialektisch sind, aber doch als regulative Ideen

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theoretische Validität haben. Das erste Buch der "Transzendentalen Dialektik", das die grundlegenden Bestimmungen für die folgende Darlegung der dialektischen Ideen im zweiten Buch trifft, betont, daß die Vernunft in ihrem Schluß auf die Ideen von Seele, Welt und Gott von den Bedingungen der menschlichen Existenz ausgeht und im Rückgriff auf die vollständige Reihe der Bedingungen apriorische Urteile fordert. Das Verhältnis zu anderem Bedingten kann dagegen nur im "potentialen Fortgang" gedacht werden (B 388/A 331). Die Relationsbegriffe aus der Tafel der Kategorien des reinen Verstandes, die das systematische Gefüge für diese Verhältnisse bilden, sind, wie Kant sagt, "Korrelate", was im Vergleich zu der Gruppe der mathematischen Kategorien, die nur aus einem Begriff bestehen, "doch einen Grund in der Natur des Verstandes" haben muß, wie Kant lakonisch feststellt (B 110) . Die Frage der Korrelate wird später nicht wieder aufgenommen, so daß, schon von der Häufigkeit des Auftretens im Text her, sich der Eindruck aufdrängt, daß die Relationskategorien durch die Begriffe Substanz, Ursache und Gemeinschaft, wie sie in der "Transscendentalen Tafel der Verstandesbegriffe" genannt werden, vollständig erfaßt werden. Wie sich bei der Interpretation der Antinomie der reinen Vernunft mit Hilfe der grundlegenden Kategorie von Kausalität und Dependenz zeigt, ist der Unterschied zwischen den Relationsbegriffen der Kategorientafel in der "Kritik der reinen Vernunft" und denen der "Prolegomena", die offenbar spezifizierte Relationsbegriffe sind, zumindest hinsichtlich "Inhärenz-Subsistenz" und "Kausalität-Dependenz" von systematischer Bedeutung. Die schon zitierte Stelle gegen Ende des ersten Buches der "Transzendentalen Dialektik" betont die Bedeutung des korrelativen Gefüges für die reine Vernunft bei ihrer Suche nach der absoluten Totalität der Synthesis auf der Seite der Bedingungen: "Man sieht leicht, daß die reine Vernunft nichts anders zur Absicht habe, als die absolute Totalität der Synthesis auf der S e i t e der B e d i n g u n g e n , (es sei der Inhärenz, oder der Dependenz, oder der Konkurrenz,) und daß sie mit der'absoluten Vollständigkeit von S e i t e n des

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B e d i n g t e n nichts zu schaffen habe. Denn nur allein jener bedarf sie, um die ganze Reihe der Bedingungen vorauszusetzen, und sie dadurch dem Verstände a priori zu geben. Ist aber eine vollständig (und unbedingt) gegebene Bedingung einmal da, so bedarf es nicht mehr eines Vernunftbegriffs in Ansehung der Fortsetzung der Reihe; denn der Verstand tut jeden Schritt abwärts, von der Bedingung zum B e d i n g t e n , von selber. Auf solche Weise dienen die transzendentalen Ideen nur zum A u f s t e i g e n in der Reihe der Bedingungen, bis zum Unbedingten, d. i. zu den Prinzipien." (B 393 f./A 336) Die "Seite der Bedingungen" wird von Kant hier ausdrücklich durch den Klammerausdruck "es sei der Inhärenz oder Dependenz oder Konkurrenz" erläutert. Das erlaubt die Interpretation, daß die Suche nach dem Unbedingten nach Kants Auffassung verwiesen ist auf Ziele, die unter den korrelativen Relationsbegriffen, die auch die Glieder "Inhärenz", "Dependenz" und "Konkurrenz" mit einschließen, zusammengefaßt werden mttssen. Es stehen danach dem kritischen Denken keine selbständigen absoluten Einheiten zur Verfügung, die der systematischen Stellung von "Substanz", "Ursache" und "Gemeinschaft" entsprechen würden, wie es die später als dialektisch entlarvten Ideen im "Paralogismus", der "Antithetik" und in den spekulativen Gottesbeweisen vorgeben, sondern es ist gebunden an eine Relationalstruktur mit korrelativen Gesetzmäßigkeiten, die dazu zwingen, auch im philosophischen Denken die Beziehungen zu beachten, die dem Erkenntnisgegenstand der Theorie mitgegeben sind. Die eigentliche "metaphysische" Tafel des Paragraphen 10 enthält nach Kant alle Formen des reinen Denkens. Die anderen Tafeln entstehen, indem aus dieser Grundtafel unter besonderen Gesichtspunkten eine Auswahl von Grundformen übernommen und wiederum in einer Tafel angeordnet wird. So können die systematischen Grundlagen für verschiedenste theoretische Wissenschaftsbereiche, wie z. B. die Grundsätze des reinen Verstandes oder die kosmologischen Ideen, aus der Kategorientafel abgeleitet werden. Für wissenschaftstheoretische Beweisführungen überhaupt, wie sie die Herleitung des theoretischen Grundbegriffs der Idee selbst erfordert, gilt die metaphysische Tafel

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Kategorien als systematische Grundbegriffe

des Paragraphen 10, die dafür das Ordnungsgesetz "Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)" bereithält. Deshalb kann unter Berücksichtigung der Lösungswege im "Anhang zur transzendentalen Dialektik" gefolgert werden, daß das erste Buch der "Transzendentalen Dialektik" notwendige Bestimmungen nicht nur für die folgende Darstellung der dialektischen Ideen im zweiten Buch enthält, sondern die grundlegenden Festsetzungen für das menschliche Vernunftdenken in Ideen überhaupt trifft, das dann im "Anhang zur transzendentalen Dialektik", in seiner Besonderheit als notwendig regulatives, erschlossen wird. Die formale Grundlegung der Ideen der reinen Vernunft durch die Kategorie der "Kausalität und Dependenz" wird von Kant in der Einleitung zur "Transzendentalen Dialektik" dargestellt. Die Kategorie der "Kausalität und Dependenz" ist über die Bestimmungsfaktoren "Reihe" und "Bedingungsgefüge" logische Voraussetzung für Ideen überhaupt. Die inhaltliche Präzisierung der Ideen geschieht durch "das Allgemeine aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können" (B 390/A 333), was zu den Themen "Psychologie", "Kosmologie" und "Theologie" führt (B 391/ A 334) . "Also gibt die reine Vernunft die Idee zu einer transzendentalen Seelenlehre (psychologia rationalist, zu einer transzendentalen Weltwissenschaft (cosmologia rationalis), endlich noch zu einer rationalen Gotteserkenntnis (Theologie transcendentalis) an die Hand." (B 391 f./A 334 f.) Für diese speziellen Ideen zu den theoretischen Bereichen Seele, Welt, Gott, trifft Kant eine zweite kategoriale Einordnung, die auf der ersten, nämlich den Ideen, als der Strukturformel von "Kausalität und Dependenz" unterworfen, aufbaut. Ideen als kausale Relationen werden weiter bestimmt, von allen drei Relationskategorien, so daB in der ersten Position, der Frage nach der Seele, Inhärenz und Subsistenz, in der zweiten Position, dem Weltthema, "Kausalität und Dependenz" und in der dritten Position, der Frage nach Gott, die Kategorie der Gemeinschaft leitend wird. Die Beispiele von der Idee der Sub-

Bildung der Ideen der reinen Vernunft

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58

stanz und von der Idee transzendentaler Freiheit lassen die Hypothese zu, daB die Kategorien als reine Denkformen auf noch weiteren differenzierbaren theoretischen Ebenen von Kant gebraucht werden, so dafi daraus eine Hierarchie an theoretischen Problemthemen innerhalb der "Kritik der reinen Vernunft" aufgebaut werden könnte, die immer wieder die grundlegenden Denkformen aus der Kategorientafel in spezifizierten Fragekomplexen aufgreift. Auf Grund eines solchen Modells für Theoriebildung Oberhaupt muß die Kantische Aussage über die methodische Funktion der Kategorientafel auch als eine Aussage über die eigene transzendentalphilosophische Methodik interpretiert werden.

58 Vgl. S 188 f.

4. SCHLUSS: DIE KATEGORIENTAFEL ALS SCHEMA DES SYSTEMS DER REINEN VERNUNFT

Die "Kritik der reinen Vernunft" ist ein "Traktat von der Methode" (Β XXII). Sie stellt das Werkzeug bereit, mit dessen Hilfe das System der Transzendentalphilosophie errichtet werden kann. Gleichzeitig aber wird durch die Eigentümlichkeit dieses bereitgestellten Werkzeuges der mögliche Erkenntnisbereich der Transzendentalphilosophie selbst mit bestimmt. Deshalb gibt dieser "Traktat von der Methode" auch "den ganzen Umriß ..., so wohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau" dieser Transzendentalphilosophie. (Β XXII f.) Die Blickrichtung auf das eigentliche philosophische System hin ist in der "Kritik der reinen Vernunft" immer latent, sei es im Bereich der eigentlichen Grundlegung der Elementarlehre, in der "Transzendentalen Xsthetik" und der "Transzendentalen Analytik", sei es in der "Transzendentalen Dialektik" bei dem Unternehmen, mit Hilfe dieser Elemente die eigentlichen metaphysischen Fragen von ihrem historischen Ballast zu befreien, oder sei es in der "Transzendentalen Methodenlehre" , die wenig Aussagen macht Uber den wissenschaftslogischen Weg zur Entwicklung der transzendental-philosophischen Grundlegung, sondern die methodischen Ansprüche an ein System der reinen Vernunft selbst formuliert. Das methodische Verfahren der Transzendentalphilosophie wird in der "Kritik der reinen Vernunft" auf zweifache Weise entwickelt. Erstens werden die Elemente dieser Philosophie hergeleitet und bewiesen, zweitens wird ein Systemmodell aufgestellt und in den Problemfeldern der "Kritik der reinen Vernunft" auf seine Tauglichkeit hin untersucht. Dieses Systemmodell ist die Kategorientafel des reinen Verstandes. Zur Bestätigung dieser These können Bemerkungen Kants zur Systembildung überhaupt aus der "Methodenlehre" herangezogen werden.

Kategorientafel als Schema des Systems

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Im dritten Hauptstück der "Methodenlehre" der "Kritik der reinen Vernunft", in der "Architektonik der reinen Vernunft", stehen zu Beginn fünf Absätze, die als besondere Anleitung für die Entschlüsselung des systematischen Aufbaus der "Kritik der reinen Vernunft" gelten können. Sie erläutern weniger den systematischen Aufbau der Kantischen Metaphysik, sondern geben Anleitung zum Aufbau eines Systems überhaupt. Die "Kritik der reinen Vernunft" ist nur eine Propädeutik zum System der Transzendentalphilosophie selbst. Doch sie legt den Grund für die wesentlichen Teile dieses Systems. Die Trennung zwischen System und Propädeutik ist in der "Philosophie der reinen Vernunft" nicht streng (vgl. Β 869/A 841 und Β XXII f.), deshalb gelten für die "Kritik der reinen Vernunft" keine grundsätzlich anderen Bestimmungen als für das geforderte System. Nach Kants Ausführungen zu Beginn der "Architektonik der reinen Vernunft" unterscheidet sich das System vom bloBen Aggregat durch die ihm zugrunde liegende Idee des Ganzen. (Vgl. Β 860 f./A 832 f.) Diese Idee bestimmt das Thema und die Ordnung des Systems. Deshalb benötigt die Idee "zur Ausführung ein S c h e m a , d . i . eine a priori aus dem Prinzip des Zwecks bestimmte wesentliche Mannigfaltigkeit und Ordnung der Teile" (B 861/A 833). Der Kantischen Philosophie liegt die Idee zugrunde, daß "reine Vernunft eine so vollkommene Einheit" sei, "daB, wenn das Prinzip derselben auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur aufgegeben sind, unzureichend wäre, man dieses immerhin nur wegwerfen könnte, weil es alsdenn auch keiner der übrigen mit völliger Zuverlässigkeit gewachsen sein würde" (A XIII). Diese Idee leitet auch die "Kritik der reinen Vernunft", als systematisches Ganzes. Sie ist die Idee von der menschlichen Vernunft als einer Einheit, die die Begründung von beweisbarem Hissen über eine gegebene Mannigfaltigkeit leistet. Dieses Begründungsvermögen mit Hilfe der Vernunft ermöglicht Wissenschaft. Es ermöglicht gleichzeitig auch die Grenzsetzung zwischen dem Erkennbaren und dem Nicht-Erkennbaren. Das Schema nun einer solchen Idee, das " a r c h i t e k t o n i s c h e Einheit" gründet, muß "architektonisch, um

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Kategorientafel als Schema des Systems

der Verwandtschaft willen und der Ableitung von einem einigen obersten und inneren Zwecke" (Β 861/Ά 833) entspringen. Es muß a priori "den Umriß (monogramma) und die Einteilung des Ganzen in Glieder, der Idee gemäß," enthalten und unterscheidet dieses Ganze "von allen anderen sicher und nach Prinzipien". (Vgl. Β 861 f./Α. 833 f.) Dieses von Kant nicht weiter bezeichnete Schema der reinen Vernunft, das die Ausführung der Idee von der Einheit der Vernunft und der daraus entstehenden Wissenschaft ermöglicht, wird zu Beginn des Paragraphen 11 in der "Transzendentalen Analytik" auf ganz ähnliche Weise beschrieben. Die .Kategorientafel des reinen Verstandes wird dort als eine Tafel erläutert, die jede apriorische Wissenschaft als Ganzes entwirft und nach bestimmten Prinzipien abteilt (vgl. Β 109) . Von daher kann die Kategorientafel als das Schema für die Systematik der reinen Vernunft interpretiert werden. Kant gibt für diese systemstrukturierende Funktion der Kategorientafel in der "Kritik der reinen Vernunft" Beispiele, die hier erörtert werden sollen. Auf seine eigenen Probleme bei der Suche eines solchen Schemas der reinen Vernunft können vielleicht die in der "Architektonik" geschriebenen Bemerkungen zur Ausführung der grundlegenden systematischen Idee hinweisen: "Es ist schlimm, daß nur allererst, nachdem wir lange Zeit, nach Anweisung einer in uns versteckt liegenden Idee, rhapsodistisch viele dahin sich beziehende Erkenntnisse, als Bauzeug, gesammelt, ja gar lange Zeiten hindurch sie technisch zusammengesetzt haben, es uns denn allererst möglich ist, die Idee in hellerem Lichte zu erblicken, und ein Ganzes nach den Zwecken der Vernunft architektonisch zu entwerfen. Die Systeme scheinen, wie Gewürme, durch eine generatio aequivoca, aus dem bloßen Zusammenfluß von aufgesammelten Begriffen, anfangs verstümmelt, mit der Zeit vollständig, gebildet worden zu sein, ob sie gleich alle insgesamt ihr Schema, als den ursprünglichen Keim, in der sich bloß auswickelnden Vernunft hatten, und darum, nicht allein ein jedes für sich nach einer Idee gegliedert, sondern noch dazu alle unter einander in einem System menschlicher Erkenntnis wiederum als Glieder eines Ganzen zweckmäßig vereinigt sind, und eine Architektonik alles

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menschlichen Wissens erlauben, die jetziger Zeit, da schon so viel Stoff gesammelt ist, oder aus Ruinen eingefallener alter Gebäude genommen werden kann, nicht allein möglich, sondern nicht einmal so gar schwer sein würde." (B 862 f./A 834 f.)^ Darauf folgt der Entwurf einer " A r c h i t e k t o n i k aller Erkenntnis aus r e i n e r V e r n u n f t " . Weitere Erörterungen zum Zusammenhang von Schema und Idee fehlen an dieser Stelle. Es gibt keine Angaben Kants dartlber, welcher Weg ihn zur 2

Aufstellung der Kategorientafel führte. Aus Bemerkungen wie denen über den "bloBen Zusammenfluß von aufgesammelten Begriffen" (B 863/A 835), oder Uber die Idee zum System tun die der "Urheber und oft noch seine spätesten Nachfolger ... herumirren" (B 862/A 834), kann aber erschlossen werden, daB es keine gerade "Heeresstraße" (B 884/A 856) war, sondern eine Suche mit vielen Rückschlägen. Beweisen läßt sich die Gültigkeit einer systematischen Idee, deren Schema und der Gültigkeit des Systems selbst erst im Nachhinein über den Nachweis seiner Tragfähigkeit für Wissenschaft oder über seine Ableitbarkeit aus letzten Bedingungen. Das gilt auch für das System der reinen Vernunft und sein Schema, die Kategorientafel. Wie dieses über die logischen Formen der Urteile hergeleitet werden kann

1 Das Zitat bezieht sich wohl auf den von Kant vorgefundenen geschichtlichen Stand der philosophiechen Systematik, kann aber vielleicht auch auf sein eigenes Suchen bezogen werden, das allerdings In einen sicheren Heg mündet: "Der k r i t i s c h e Heg ist allein noch offen. Henn der Leser diesen in meiner Gesellschaft durchzuwandern Gefälligkeit und Geduld gehabt hat, so mag er Jetzt urteilen, ob nicht, wenn es ihm beliebt, das Seinige dazu beizutragen, um diesen FuBsteig zur Heeresstraße zu machen, dasjenige, was viele Jahrhunderte nicht leisten konnten, noch vor Ablauf des gegenwärtigen erreicht werden möge: nämlich die menschliche Vernunft in dem, was ihre HiBbegierde jederzeit, bisher aber vergeblich, beschäftigt hat, zur völligen Befriedigung zu bringen." Β 884/ A 856, Ende der "Kritik der reinen Vernunft". 2 Abgesehen wird hier von den schon erörterten Bemerkungen Kants in den "Prolegomena" über den Unterschied zwischen seinem System und dem des Aristoteles (Bd. IV, S. 323 f.). Kant hat dabei die Ergebnisse seiner Untersuchungen Uber die kategoriale Systematik bereits vorliegen und beschreibt weniger den Heg zur Entstehung der Systematik als vielmehr den wissenschaftstheoretiechen Vorsprung, den sein System gegenüber dem des Aristoteles hat.

200

Kategorientafel als Schema des Systems

und wie es als Erfahrungskonstituens Wissenschaft ermöglicht, vmrden oben^ dargestellt. Wie auch einzelne Kategorien thematisch und systematisch in philosophischen Problemfeldern leitend sein können, wurde im dritten Teil dieser Arbeit nachgewiesen. Dabei zeigte sich aber auch, daß systematische Notwendigkeit über die einzelnen Kategorien, als Bestimmungsgrund eines ganzen Problemkomplexes, nicht erreicht werden kann, sondern daß die ganze Tafel, als strukturelle Grundlage einer Fragestellung, erst Problemlösung, Wahrheitsfindung und Notwendigkeitsbeweis liefert. Deshalb sollen zum Abschluß die Beispiele aus der "Kritik der reinen Vernunft" vorgeführt werden, in denen die systemtragende Leistung der Kategorientafel von Kant klar herausgestellt wird. Das sind die Tafeln in der "Kritik der reinen Vernunft", die zum Teil ausdrücklich, zum Teil implizit mit Hilfe der Kategorientafel als systematischem 4

Leitfaden gebildet wurden. Ein System ist nach Kant ein Ganzes "nach notwendigen Gesetzen", im Gegensatz zum zufällig zusammengesetzten Aggregat (s. Β 673/A 645) . Deshalb zeigt sich die systematische Notwendigkeit einer Problemlösung nicht in einzelnen Beweisführungen unter der Leitung einer einzelnen Kategorie, sondern erst in der umfassenden Darstellung des Problems unter allen möglichen theoretischen Aspekten, also in der Durchführung durch die ganze Kategorientafel. Als Darstellungen solcher Problemabhandlungen durch alle Kategorienpositionen hindurch können alle Tafeln, die in der "Kritik der reinen Vernunft" auftreten, interpretiert werden. Es sind, beide Auflagen des Werkes berücksichtigt, acht Tafeln. Diese Tafeln sind Darstellungen des systematischen Lösungswegs unterschiedlicher Probleme, die bei der Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit von Metaphysik auftreten. Die Positionen dieser Tafeln sind dabei die Punkte, an denen die Beweisführungen ansetzen. Die "Kritik der reinen

3 Vgl. Abschnitt 2.4 und 2.2. 4 Auf die Einbeziehung der häufig auftretenden Tafeln In Kants "Opus postumum" wurde hier, wegen der damit verbundenen Problemausweitung, verzichtet.

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Vernunft" muß selbst, weil sie die Bedingungen zu einem System der Transzendentalphilosophie enthält, als ein systematisches Ganzes angesehen werden. Dieses konstituiert sich mit Hilfe seiner systematischen Teile, die wiederum, wie die Tafeln beweisen, mit Hilfe der Kategorientafel strukturiert sind. Es handelt sich also um ein Systemgefüge aus von einander abhängigen Teilen, die sich gegenseitig bedingen. Die leitende Tafel ist stets die "Tafel der Kategorien" aus dem Paragraphen 10 der "Transzendentalen Analytik". Sie ist im Vergleich zur "Transscendentalen Tafel der Verstandesbegriffe" in den "Prolegomena" begrifflich differenzierter. Sie kann wegen der Subtilität der korrelativen Zusammenhänge in der dritten und vierten Kategoriengruppierung in weiterem HaBe Grundlegung leisten, als die in Parallele dazu stehende "Transscendentale Tafel der Verstandesbegriffe" (vgl. Bd. IV, S. 303), die deshalb hier nicht in die Interpretation mit einbezogen wird. Die erste Tafel in der "Kritik der reinen Vernunft" ist die "Tafel von der Funktion des Denkens im Urteilen". Dieser Titel steht so nicht bei Kant, sondern ist dem einleitenden Text zu der Tafel entnommen. Die dazu in Parallele stehende Tafel in den "Prolegomena" führt den Titel: "Logische Tafel der Urtheile" (Bd. IV, S. 302). Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen diesen Urteilsfunktionen und den Kategorien wurde weiter oben^ bereits erörtert, auch die Schwierigkeit der gegenseitigen Ableitbarkeit. Die Frage nach der Genesis der beiden Tafeln konnte keine eindeutige Antwort über die Entstehungsabhängigkeiten und von daher ableitbarer systematischer Priorität der einen oder anderen Tafel ergeben. Der Vergleich mit Kants Logik-Vorlesungen zeigt, daß sich Kants Lehre von den Urteilen, wie bei Jäsche dargestellt, ganz nach der Vorgabe der kategorialen Ordnung in der Kategorientafel richtet, also die Urteilsarten nach Quantität, Qualität, Relation und Modalität unterschieden und abgehandelt werden. (S. Bd. IX, S. 101 -

5 Vgl. Abschnitt 2.4, Der "Leitfaden der Entdeckung" der Kategorien, S. 88 - 108.

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Kategorientafel als Schema des Systems

109) In der ausführlichen Einleitung zu der Bearbeitung der Logik-Vorlesungen referiert Jäsche Kants Lehre über "Besondre logische Vollkommenheiten des Erkenntnisses" unter Zuhilfenahme der kategorialen Systematik, aber in einer von der Kategorientafel abweichenden Reihenfolge der kategorialen Gruppen, nämlich der Quantität, Relation, Qualität und Modalität nach (s. Bd. IX, S. 40 - 81). Der thematische Fortschritt von der Größe der Erkenntnis über ihre Wahrheit, zur Klarheit und als letztes zur Gewißheit, entwickelt sich demnach entsprechend dem besonderen Charakter der "logischen Vollkommenheit des Erkenntnisses" . Eine ausdrückliche Begründung dieses Verfahrens ist aber bei Jäsche nicht vermerkt. Die "Tafel von der Funktion des Denkens im Urteilen" gehört zur "Transzendentalen Logik". Sie ist keine rein logische Tafel, "unangesehen der Objecte als der Materie des Denkens" (Bd. IX, S. 13). Bei der Erläuterung seiner Auswahl bezüglich der Urteile der Quantität und der Qualität hat Kant auf diesen Umstand besonders aufmerksam gemacht. (Vgl. Β 96 f./A 71) Deshalb gehört diese Tafel zu einer Art allgemeiner angewandten Logik, die die Aufgabe hat, die metaphysische Deduktion der Kategorientafel zu ermöglichen.® Unter diesem Aspekt ist es selbstverständlich, daß die Vorlage der Kategorientafel genau eingehalten ist. Die "Tafel von der Funktion des Denkens im Urteilen" hat die systematische Aufgabe, die Parallele zwischen rein logischen Formen und den auf Objektkonstituierung überhaupt bezogenen Kategorien des reinen Verstandes, darzustellen. "In der met a p h y s i s c h e n D e d u k t i o n wurde der Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens dargetan ..." (B 159) Die "Tafel von der Funktion des Denkens im Urteilen" unterscheidet sich von den folgenden

6 "Angewandte Logik" ist hier nicht im Sinne der Unterscheidung von Β 77 f./A 52 f. gemeint, sondern im Sinne einer Logik, die die Möglichkeit von Anwendung Uberhaupt regelt, dazu aber keine empirischen Bedingungen der Erfahrung mit aufnimmt.

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Tafeln in der "Kritik der reinen Vernunft". Sie hat keinen thematischen Gegenstand, der aus der Reflexion des Menschen über Seele, Welt und Gott entsteht, wie die Tafeln aus der "Transzendentalen Dialektik", und sie enthält nicht, wie die "Tafel der Grundsätze", Prinzipien erfahrungswissenschaftlichen Denkens. Sie bezieht sich nur auf die Kategorientafel selbst, die sie mit begründet, und sie beansprucht für sich selbst keine Grundlegungsfunktion einer eigenen Wissenschaft. Kant hat nicht die Absicht, damit eine neue reine Logik anzuregen. Auch die anderen Tafeln leisten Mitbegründung für die Kategorientafel, aber von der transzendentalphilosophischen Seite her, indem sie beweisen, wie die Kategorien auf allen Ebenen der kritischen Philosophie als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung zu verstehen sind. Mit Hilfe der "Tafel von der Funktion des Denkens im Urteilen" begründet Kant die Kategorientafel nicht transzendentalphilosophisch, sondern nur logisch, gewissermaßen von außen her, auch wenn diese reine logische Tafel schon für die Bedürfnisse der Transzendentalphilosophie eingerichtet ist. Für die systematische Einheit der "Kritik der reinen Vernunft" ist der Aufweis der Beweisbarkeit der Kategorien Uber reine logische Formen, der sich in der "Tafel von der Funktion des Denkens im Urteilen" demonstriert, unerläßlich, um die Kategorien nicht nur transzendentalphilosophisch über ihre Leistungsfähigkeit in der Erfahrungserkenntnis zu beweisen, sondern auch als letzte Denkgesetze, als formale Ausprägungen der synthetischen Einheit der Apperzeption, abzusichern. Das systematische Gefüge erhält dadurch "das bloß logische Kriterium der Wahrheit, nämlich die Übereinstimmung einer Erkenntnis" (in diesem Fall: der Kategorien und ihrer Tafel als konstitutive Elemente der Verstandeserkenntnis, Anm. d. Verf.) "mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft", wie Kant in der Einleitung zur "Transzendentalen Logik" anführt und "zwar die conditio sine qua non, mithin die negative Bedingung aller Wahrheit ...". (B 84/A 60 f.) Auf die Tafel von den logischen Formen im Urteilen folgt in der "Kritik der reinen Vernunft" die "Tafel der Kategorien"

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(B 106/A 80). Auf sie folgt die "Tafel der Grundsätze". Für die Schemata der reinen Verstandesbegriffe hat Kant keine Tafel aufgestellt, verwendet deren Systematik aber: "Ohne uns nun bei einer trockenen und langweiligen Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schematen reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird, aufzuhalten, wollen wir sie lieber nach der Ordnung der Kategorien und in Verknüpfung mit diesen darstellen." (B 181/A 142) Diese Aufstellung nach der Ordnung der Kategorientafel ergibt: ein "Schema der Größe", ein "Schema einer Realität", ein "Schema der Substanz", ein "Schema der Ursache und der Kausalität", ein "Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung)", ein "Schema der Möglichkeit", ein "Schema der Wirklichkeit" und ein "Schema der Notwendigkeit". (Vgl. Β 182/A 142 ff.) Offenbar führen nur ganz bestimmte kategoriale Begriffe zu einem Schema, wenn nicht angenommen wird, daß Kant nur einzelne Schemata aufzählt und erwartet, daß der Leser selbst zu Ende kombiniert. Die Auswahl wird bei Kant im Zusammenhang ihrer Bedeutung als " Z e i t b e s t i m m u n g e n a priori nach Regeln" (B 184/A 145) erläutert. Die Schemata gehen "nach der Ordnung der Kategorien, auf die Z e i t r e i h e , den Z e i t i n h a l t , die Z e i t o r d n u n g , endlich den Z e i t i n b e g r i f f in Ansehung aller möglichen Gegenstände." (Ebd.) Daß nicht alle kategorialen Begriffe schematisiert werden, steht wohl damit in Zusammenhang, daß im "Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" die "transzendentale Urteilskraft nur nach den allgemeinen Bedingungen erwogen" wird, "unter denen sie allein die reinen Verstandesbegriffe zu synthetischen Urteilen zu brauchen befugt ist", und es erst der "Analytik 7 der Grundsätze" gelingt, "die Urteile, die der Verstand ...

7 Kant stellt genau genommen nur drei Grundsätze auf, nämlich die "Analogien der Erfahrung", weil die mathematischen Grundsätze nur "als Principlum" der eigentlichen mathematischen Grundsätze gelten. Diese werden nicht mit aufgestellt, sind aber auch "reine Grundsätze a priori". (Vgl. Β 198 f./A 159 f.) Auch die "Postulate des empirischen Denkens" werden nicht ausdrücklich "Grundsätze" genannt. (Vgl. Β 265/A 218)

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wirklich a priori zu Stande bringt, in systematischer Verbindung darzustellen, wozu uns ohne Zweifel unsere Tafel der Kategorien die natürliche und sichere Leitung geben muß". (B 187/A 148) Auch die "Kritik der Urteilskraft", die den transzendentalen Schematismus und die Grundsätze der bestimmenden Urteilskraft nicht berücksichtigt (vgl. Bd. V, S. 179 f.), gibt keine Auskunft über die besondere Zuordnung zwischen Kategorien und Schemata. Die "Analytik der ästhetischen Urteilskraft" teilt Kant in vier Abschnitte, die sich an der Kategorientafel orientieren: "1. Moment des Geschmacksurtheils der Qualität nach", "2. Moment des Geschmacksurtheils, nämlich seiner Quantität nach", "3. Moment der Geschmacksurtheile nach der Relation der Zwecke, welche in ihnen in Betrachtung gezogen wird", "4. Moment des Geschmacksurtheils nach der Modalität des Wohlgefallens an dem Gegenstande". (Vgl. Bd. V, S. VII - VIII, Inhaltsübersicht des Bandes) Dabei fällt die Umstellung von Qualität und Quantität in der Folgeordnung der kategorialen Begriffe auf, die Kant in einer Anmerkung zum Titel des ersten Moments der "Analytik der ästhetischen Urteilskraft" erklärt: "Die Momente, worauf diese Urtheilskraft in ihrer Reflexion Acht hat, habe ich nach Anleitung der logischen Functionen zu urtheilen aufgesucht (denn im Geschmacksurtheile ist immer noch eine Beziehung auf den Verstand enthalten). Die der Qualität habe ich zuerst in Betrachtung gezogen, weil das ästhetische Urtheil über das Schöne auf diese zuerst Rücksicht nimmt." (Bd. V, S. 203 Anm.) Kant erleichtert das Verständnis dieser kategorialen Disposition nicht dadurch, daß er sie auf die "logischen Functionen zu urtheilen" zurückbezieht und nicht auf die Kategorientafel selbst. Er betont jedoch die Beziehung des Geschmacksurteils auf den Verstand, so daß wohl kaum eine nur logische Begründung der Zusammenstellung dieser Momente des Geschmacksurteils beabsichtigt ist. In der "Kritik der reinen Vernunft" kommt das Tafelsystem erst im "System aller Grundsätze des reinen Verstandes" wieder zum Tragen. Die "Tafel der Grundsätze" enthält nur vier Titel, die die Prinzipien der eigentlichen Grundsätze sind. Diese Ta-

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206

fei einleitend schreibt Kant: "Die Tafel der Kategorien gibt uns die ganz natürliche Anweisung zur Tafel der Grundsätze, weil diese doch nichts anders, als Regeln des objektiven Gebrauchs der ersteren sind. Alle Grundsätze des reinen Verstandes sind demnach: 1. Axiomen

der A n s c h a u u n g

2.

3. Analogien

Antizipationen

der W a h r n e h m u n g

der E r f a h r u n g

.

4. Postulate

des e m p i r i s c h e n D e n k e n s überhaupt."II

(B 200/A 161) Diese "Tafel der Grundsätze" ist eine vollständige Darstellung der Prinzipien, die den Grundsätzen des reinen Verstandes im strengen Sinne die einzigen gültigen synthetischen Sätze a priori, die in der "Kritik der reinen Vernunft" zugelassen werden - zugrunde liegen. Die Tafel bildet selbst ein System. Sie beruht auf der Idee der Einheit der menschlichen Erfahrungsbedingungen, auf der Grundlage der reinen Anschauungsformen und der reinen Kategorien. Die Tafel beansprucht Vollständigkeit, denn aus ihr entspringen alle reinen Grundsätze des reinen Verstandes. Die Kategorientafel liegt als ihr Muster zugrunde. Aus der ausführlichen Vorstellung der Prinzipien und Grundsätze im folgenden Text der "Kritik der reinen Vernunft" läßt sich entnehmen, daß die Anordnung der Positionen denen der Kategorientafel entspricht, also in der ersten Position die Gruppe der Quantitätskategorien maßgebend ist, in der zweiten Position die der Qualitätskategorien, in der dritten Position die der Relationskategorien und in der vierten Position die der Hodalitätskategorien. Diese Erfassung aller vier kategorialen Gruppen sichert von der Form her die Vollständigkeit des darauf aufbauenden "Systems von Grundsätzen" (B 200/A 161) . Die

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Tragfähigkeit dieses Systems für die transzendentalphilosophische Erfahrungserkenntnis zeigt sich erst im Zusammenhang aller Beweisschritte für die einzelnen Prinzipien und Grundsätze, im späteren Schritt dann in der Aufstellung von physikalischen Gesetzmäßigkeiten mit Hilfe der Grundlegung dieses Systems, wie es in den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" geschieht. Hier liegt das Kriterium der Wahrheit für das System. Seine transzendentalphilosophische Notwendigkeit erweist sich aber durch seine systematische Form, die auf der Kategorientafel beruht. Durch Anpassung der Grundsätze an die Momente der Quantität, Qualität, Relation und Modalität zeigt Kant, daB, von der Gesetzgebung des Denkens her, alle möglichen Aspekte der Erfahrungskonstitution erfaßt sind. Dabei unterscheidet Kant zwischen den Grundsätzen, die "bloB auf die A n s c h a u ung" und denen, die "auf das D a s e i n einer Erscheinung" gehen, und teilt sie in die Klasse der mathematischen und der dynamischen Grundsätze. Die ersten haben "unmittelbare Evidenz", weil sie auf Anschauung allein abheben, die zweiten aber "auf das D a s e i n einer Erscheinung überhaupt" gehen und deshalb "zwar auch den Charakter einer Notwendigkeit a priori, aber nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirekt" haben. (Vgl. Β 198 f./A 159 f.) Weil die dynamischen Grundsätze das Dasein von Erscheinungen regeln, beziehen sie andere Elemente in ihre erfahrungskonstituierenden Gesetzmäßigkeiten ein als die, nur die objektive Anschauung selbst konstituierenden mathematischen Grundsätze. Aus diesem Grund stellt Kant bei den mathematischen Grundsätzen die Beweisführung ihrer beiden Prinzipien dar, bei den dynamischen Grundsätzen aber stellt er alle Grundsätze den Anordnungen der Kategoriengruppe der Relation und Modalität folgend vor. Die Grundsätze des reinen Verstandes sind nicht nur Uber das strukturgebende Gesetz der Kategorientafel und dessen Gültigkeit für die Tafel der Grundsätze mit den Kategorien des reinen Verstandes verbunden, sondern jeder synthetische Grundsatz a priori wird mit Hilfe kategorialer Begriffe gebildet. Die

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besondere wissenschaftstheoretische Bedeutung der "Transzendentalen Analytik" liegt gerade darin, daß hier Kant einen Weg gefunden hat, apriorische synthetische Sätze aufzustellen. Sie sind a priori gültig, obwohl sie nicht analytisch sind, weil sie die Grundlegung für Erfahrungserkenntnis leisten. Sie legen die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung fest. Diese Bedingungen bestehen aber aus den reinen Formen der Anschauung und den reinen Bedingungen des Denkens. So schreibt Kant am Ende des zweiten Abschnitts des "Systems aller Grundsätze des reinen Verstandes", "Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile": "Auf solche Weise sind synthetische Urteile a priori möglich, wenn wir die formalen Bedingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft, und die notwendige Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption, auf ein mögliches Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen, und sagen: die Bedingungen der M ö g l i c h k e i t der E r f a h r u n g überhaupt sind zugleich Bedingungen der M ö g l i c h k e i t der G e g e n s t ä n d e der E r f a h r u n g , und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori." (B 197/A 158) Die notwendige Einheit der transzendentalen Apperzeption, das "Ich denke", ist Grundbedingung aller Kategorien, die als Auffächerungen des "Ich denke" im reinen Objektsbezug interpretiert werden können. Welche Grundform des Objektsbezugs für die Grundsätze des reinen Verstandes gilt, wird den Grundsätzen von der Kategorientafel vorgegeben. Wie bei den Schemata der reinen Verstandesbegriffe auch, ist es bei den Grundsätzen eine für Interpretationen offene Frage, welche kategorialen Begriffe Kant für die Grundsätze der Erfahrungskonstitution zugrunde gelegt hat. Die Prinzipien der mathematischen Grundsätze werden in erster Position von dem kategorialen Begriff der Größe, spezifiziert als "extensive Größe" (B 202/A 162) geleitet, in der zweiten Tafelposition ist es der Begriff des Realen, spezifiziert als "intensive Größe" (B 207/A 166) . Die eigentümliche Aufeinanderverwiesenheit dieser beiden Prinzipien beschreibt Kant am Ende der Beweisführung für die "Antizipationen der Wahrnehmung": "Es ist

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merkwürdig, daß wir an Größen überhaupt a priori nur eine einzige Q u a l i t ä t , nämlich die Kontinuität, an aller Qualität aber (dem Realen der Erscheinungen) nichts weiter a priori, als die intensive Q u a n t i t ä t derselben, nämlich daß sie einen Grad haben, erkennen können, alles übrige bleibt der Erfahrung überlassen." (B 218/A 176) Das Prinzip der Analogien der Erfahrung betont dagegen die "notwendige Verknüpfung der Wahrnehmungen" (B 218) und nimmt damit den Begriff der Relation auf, der für jede Erfahrungserkenntnis leitend ist, weil hier die notwendige Beziehung zwischen Subjekt und Erkenntnisobjekt und die notwendige Strukturierung der gegebenen Mannigfaltigkeit, mit Hilfe relationaler Begriffe, geleistet wird. Die Analogien der Erfahrung sind die Grundsätze, die die eigentliche objektivierende Begriffsbestimmung für die Erfahrungserkenntnis regeln und die engste Beziehung zwischen Kategorie und Objekt zum Ausdruck bringen. Stellvertretend für die "Axiome der Anschauung" und die "Antizipationen der Wahrnehmung" diskutiert Kant nur deren Prinzipien, weil die daraus entspringenden Grundsätze selbst "aus reinen Anschauungen (obgleich vermittelst des Verstandes) gezogen sind" (B 199/ A 159), und Kant sie "doch nicht dem reinen Verstand eigentümlich beimessen möchte" (B 198/A 159). Die "Postulate des empirischen Denkens" dagegen leisten keine Objektsbestimmung im eigentlichen Sinn, sondern bestimmen, entsprechend der Vorgabe durch die zugrunde liegenden Kategorien der Modalität, die Beziehung des Objekts "zum Verstände und dessen empirischen Gebrauche, zur empirischen Urteilskraft, und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung)" (B 266/A 219). Das erste Postulat begründet die Möglichkeit von Erfahrung, das zweite die Wirklichkeit, das dritte die Notwendigkeit von Erfahrung. Die diesen Begriffen in der Kategorientafel zugeordneten Korrelate "Unmöglichkeit", "Nichtsein" und "Zufälligkeit" treten in diesen Grundsätzen und auch in ihren Beweisgängen nicht auf. Die Postulate sind nicht "objektivsynthetisch", sondern "nur subjektiv, d. i. sie fügen zu dem Begriffe eines Dinges, (Realen,) von dem sie sonst nichts sagen, die Erkenntniskraft hinzu, worin er entspringt und seinen Sitz hat, ...".

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Kategorientafel als Schema des Systems

(B 286/A 234) 8 So bleibt für die "Analogien der Erfahrung" die Aufgabe, die eigentliche Erkenntnisrelation zu bestimmen. Sie lösen dieses Problem in der ersten Analogie mit Hilfe des kategorialen Begriffs "Substanz", in der zweiten Analogie mit dem der "Kausalität" und der "Ursache und Wirkung", in der dritten Analogie mit Hilfe der kategorialen Begriffe der "Gemeinschaft",

"Wech-

selwirkung" und auch "Substanz". Es bleibt spekulativ nun eine Begründung für die Auswahl gerade dieser Kategorien als grundsatzverbindlichen zu suchen. Wenn, zum Beispiel, die erste "Analogie der Erfahrung" den in der Gruppe der Relationskategorien an erster Stelle stehenden Begriff der "Inhärenz" statt den der "Substanz", als "Bedingung" aller Verhältnisse

(vgl. Β

230/A 187) , in den Vordergrund gestellt hätte, könnte eine darauf aufbauende Naturwissenschaft zu anderen Gesetzmäßigkeiten kommen, die dann aber für unsere Erfahrungserkenntnis nicht dieselbe notwendige Begründungsfunktion hätten. Die Betonung des Statischen in der ersten "Analogie der Erfahrung" als Grundbedingung objektiver Welterkenntnis gibt dieser transzendentalphilosophischen Grundlegung ihren eigenen Charakter und 9 so mit allen anderen eingesetzten kategorialen Begriffen auch.

8 Die "Erläuterung" zu den "Postulaten des empirischen Denkens überhaupt" ordnet die kategorialen Begriffe eindeutig zu: "Eben um deswillen sind auch die Grundsätze der Modalität nichts weiter, als Erklärungen der Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in ihrem empirischen Gebrauche, und hiermit zugleich Restriktionen aller Kategorien auf den bloß empirischen Gebrauch, ohne den transzendentalen zuzulassen und zu erlauben." Β 266/A 219. 9 Der kategoriale Begriff "Substanz" in der ersten Analogie der Erfahrung bezeichnet das, was bei allem Wechsel der Erscheinung beharrt, bestinmt also ein statisches Element der Erfahrungserkenntnis. Die ja von der Kategorientafel her eigentliche vorgegebene Relationskategorie "der I n h ä r e n z und Subsistenz (substantia et accidens)" hat eine komplexere Bedingungestruktur, die von dem kategorialen Begriff "Substanz" allein nicht wiedergegeben wird. So bedeutet die Beschränkung der naturwissenschaftlichen Fundierung im Bereich der ersten Relationskategorie auf den Begriff der Substanz eine gewisse Vereinfachung des relationalen Gefüges, das dann erst in der zweiten Analogie erweitert wird zu einem eigentlichen dynamischen Verhältnis. Kant nimmt im "Beweis" der ersten Analogie der Erfahrung Stellung, geht aber nicht weiter auf die "Mißdeutungen" beim Gebrauch der Begriffe "Inhärenz" und "Subsistenz" ein. Siehe Β 299 f./A 186 f.

Kategorientafel als Schema des Systems

211

Die notwendige Wahrheit dieser Grundsätze des reinen Verstandes kann so für Kant auf zwei Hegen bewiesen werden, einmal indem ihre Systematik nach dem Vorbild der Kategorientafel gebildet werden kann und einmal dadurch, daß für die Bildung von Grundsätzen kategoriale Begriffe zur Verfügung stehen, die zusammen mit den reinen Anschauungsformen, in Verbindung mit den Schemata, synthetische Sätze a priori ermöglichen. Die "Tafel der Einteilung des Begriffs von Nichts", die auf die "Tafel der Grundsätze" folgende Tafel in der "Kritik der reinen Vernunft", steht vom Thema her nicht im Zentrum der Kantischen Überlegungen zur Konstitution transzendentalphilosophischer Erkenntnistheorie. Aber sie liefert ein gutes Beispiel dafür, daB die Kategorientafel, als eine Art metaphysisches Modell, alle Probleme auf der Ebene dieser Philosophie zu ordnen hilft. Sie steht in der "Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe", ganz am Ende, eher beiläufig: "Ehe wir die transzendentale Analytik verlassen, müssen wir noch etwas hinzufügen, was, obgleich an sich von nicht sonderlicher Erheblichkeit, dennoch zur Vollständigkeit des Systems erforderlich scheinen dürfte." (B 346/A 290) Zwischen dieser Bemerkung und der "Systematischen Vorstellung der Grundsätze" steht das "dritte Hauptstück", "Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände in Phaenomena und Noumena", das keine Tafelsystematik enthält. In dem Anhang dazu "Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen", stellt Kant Paare von Reflexionsbegriffen auf, wohl in Anlehnung an die Kategoriensystematik in vier Gruppen geordnet. Aber Kant gibt keine Tafel der Reflexionsbegriffe.Die "Tafel dieser Einteilung des Begriffs von Nichts" ist nur eine Art Anmerkung zu dem in diesem "dritten Hauptstück" der "Analytik der Grundsätze" erörterten Problem einer Unterscheidung des Wirklichen vom

10 In den "Prolegomena" schreibt Kant von den Reflexionsbegriffen, daB er sie "gleichfalls nach dem Leitfaden der Kategorien in eine Tafel gebracht" habe (Bd. IV, S. 326). Kants Absicht, die Begriffe systematisch mit Hilfe des Tafelschemas zu ordnen, ist von da her verbürgt.

212

Kategorientafel als Schema des Systems

Nicht-Wirklichen und vom Sinnlosen. Die Überlegungen zu dieser Unterscheidung bestätigen die Konstitution der Erfahrungswirklichkeit mit Hilfe der Grundsätze des reinen Verstandes unter ontologischem Aspekt. Die "Tafel der Einteilung des Begriffs von Nichts" und die sie begleitenden Überlegungen Kants gehen weiter zurück als die Grundsätze des reinen Verstandes, auf den inhaltsärmsten Begriff der Erkenntnistheorie, nämlich den "Begriff von einem Gegenstande überhaupt (problematisch genommen, und unausgemacht, ob er Etwas oder Nichts sei)" (B 346/A 290). Diese Untersuchung verläuft "nach der Ordnung und Anweisung der Kategorien" weil sie "die einzigen Begriffe sind, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen" (ebd.). Während Kants Interpretation der vier, von der Kategorientafel vorgegebenen Positionen, zum Teil noch das "Etwas" mit einbezieht, stellt die Tafel selbst nur die vier Grundpositionen für eine vollständige Erfassung des Begriffs von "Nichts" dar, "denn die dieser gleichlaufende Einteilung des Etwas folgt von selber", wie Kant optimistisch in einem Klammerausdruck beifügt (B 348/ A 291) . Die die Tafel interpretierenden Kantischen Argumente sind sehr knapp und ergeben nur Sinn auf Grund der vorausgegangenen Diskussion in der "Transzendentalen Xsthetik" und "Transzendentalen Analytik". Die erste Position der Tafel erfaßt das Nichts als "ens rationis", "ein Begriff ohne Gegenstand, wie die Noumena", entgegengesetzt "den Begriffen von Allem, Vielem und Einem". (B 347/A 290) Damit ist der Begriff vom Nichts der Kategorie der Quantität nach bestimmt. Die zweite Position, das "nihil privativum" ist der "Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kälte" (B 347/A 291) und steht als Negation in Gegenstellung zur Realität. Der Begriff "Limitation" tritt nicht auf. Die dritte Position, das "ens imaginarium", meint den Begriff des Nichts als "bloß formale Bedingung" der Anschauung, "wie der reine Raum, und die reine Zeit", die "ohne Substanz" keine Gegenstände sind. (B 347/A 291) Hier wird nur der Begriff der Substanz angesprochen, der in den "Analogien der Erfahrung" die schon genannte relationsbedingende Funktion überhaupt innehat.

Kategorientafel als Schema des Systems

213

Die vierte Position, das "nihil negativum" beruht auf dem kategorialen Begriff des "Unmöglichen", Korrelat der ersten Modalkategorie "Möglichkeit-Unmöglichkeit". Als Beispiel nennt Kant "die geradlinige Figur von zwei Seiten" (B 348/A 219). Sie ist "der Möglichkeit entgegengesetzt ..., indem der Begriff sogar sich selbst aufhebt" (B 348/A 292). Dazu in Opposition steht "das Gedankending" (ebd.) aus der ersten Position "Beide sind aber leere Begriffe", während Position zwei und drei "leere Data zu Begriffen" sind. (B 349/A 292) Diese Auswahl an leitenden kategorialen Begriffen für die Bestimmung einer Lehre vom Begriff des Nichts läßt erkennen, daß, abgesehen von der quantitativen Position, die sich gegen alle drei Quantitätskagegorien wendet, in der "Tafel der Einteilung des Begriffs vom Nichts" jeweils Gegenbegriffe zum ersten kategorialen Begriff einer Kategoriengruppierung die Positionen mit konstituieren, wie die "Negation", "die bloße Form der Anschauung, ohne Substanz" und "das Unmögliche". (Vgl. Β 347 f./ A 291) Für eine mögliche "Tafel der Einteilung des Begriffs von Etwas", als des Begriffs eines Gegenstandes Uberhaupt, bedeutet das, daß die Kategorien "Realität", "Inhärenz und Subsistenz" und "Möglichkeit" den Positionen dieser Tafel zugrunde liegen müßten. Diese Kategorien würden die Regeln liefern, die den Begriff eines Gegenstandes überhaupt vollständig bestimmen. Die Vollständigkeit einer solchen Betrachtung des Begriffs vom Nichts oder des Begriffs von Etwas, von der systematischen Form her, ist durch das Durchlaufen aller vier Positionen der Kategorientafel gesichert. Für die drei großen Fragen der Metaphysik nach "Gott, Freiheit und Unsterblichkeit" (B 395/A 337 Anm.), deren mögliche Beantwortung in der "Transzendentalen Dialektik" kritisch erörtert wird, ergeben sich in der ersten und zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" zusammengenommen vier Tafeln. Drei Tafeln gehören zur Frage nach der Unsterblichkeit, zwei davon treten nur jeweils in der ersten und in der zweiten Auflage auf. Die kosmologische Frage führt zu einer "Tafel kosmologischer Ideen". Für die Frage nach der Erkennbarkeit der Existenz Gottes hat Kant keine Tafel aufgestellt, aber es las-

214

Kategorientafel als Schema des Systems

sen sich doch Ansätze dazu e r k e n n e n * K a n t selbst begründet das Fehlen einer eigenen Tafel über die Idee eines höchsten Wesens in der "Kritik der reinen Vernunft" nicht. Die "Transzendentale Dialektik" behandelt mit diesen Fragen die Themen der Vernunft im engeren Sinne. Sie faßt damit die Vernunft nicht als philosophisches Grundvermögen, sondern als den Teil des Denkens, der Ideen entwickelt. Die der Vernunft eigentümliche Erkenntnisform ist der Schluß: "In jedem Vernunftschlusse denke ich zuerst eine R e g e l (major) durch den V e r s t a n d . Zweitens s u b s u m i e r e ich ein Erkenntnis unter die Bedingung der Regel (minor) vermittelst der U r t e i l s k r a f t . Endliche bes t i m m e ich mein Erkenntnis durch das Prädikat der Regel (conclusio), mithin a priori durch die V e r n u n f t ." (B 360 f./A 304) Deshalb gibt es von der Logik her gesehen drei Vernunftschlüsse, "wie sie das Verhältnis des Erkenntnisses im Verstände ausdrücken, nämlich: k a t e g o r i s c h e oder h y p o t h e t i s c h e oder d i s j u n k t i v e Vernunftschlüsse" (B 361/A 304). Diese Form der Vernunftschlüsse, angewandt "auf die synthetische Einheit der Anschauungen, nach Maßgebung der Kategorien", ist der "Ursprung besonderer Begriffe a priori ... welche wir reine Vernunftbegriffe, oder t r a n s z e n d e n t a l e I d e e n nennen können, und die den Verstandesgebrauch im Ganzen der gesamten Erfahrung nach Prinzipien bestimmen werden". (B 378/A 321) Entsprechend den "Arten des Verhältnisses ... die der Verstand vermittelst der Kategorien sich vorstellt, so vielerlei reine Vernunftbegriffe wird es auch geben und es wird also erstlich ein Unb e d i n g t e s der k a t e g o r i s c h e n Synthesis in einem S u b j e k t , zweitens der h y p o t h e t i s c h e n Synthesis der Glieder einer R e i h e , drittens der d i s j u n k t i v e n Synthesis der Teile

11 Vgl. S. 158 Anmerkung, der gedachte Gegenstand des transzendentalen Ideals wird dreifach bestimmt, die hypostasierte Idee der "höchsten Realität" wird vierfach bestimmt.

Kategorientafel als Schema des Systems

215

in einem S y s t e m zu suchen sein".(B 379/A 323) So entstehen die transzendentalen Ideen mit Hilfe der kategorialen Verhältnisformen. Die Schlußformen führen zu den Relationsbegriffen. Die Beziehung zwischen logischer SchluBform und transzendentalphilosophischer Denkregel beurteilt Kant als eine "natürliche Beziehung" (B 390/A 333), auch "Verwandtschaft" (B 395/A 337). Die transzendentalen Ideen von der absoluten " E i n h e i t des d e n k e n d e n S u b j e k t s " , der absoluten " E i n h e i t der R e i h e der B e d i n g u n g e n der E r s c h e i n u n g " und der absoluten " E i n h e i t der Bed i n g u n g a l l e r G e g e n s t ä n d e des D e n k e n s überhaupt" (B 391/A 334) haben durch diesen Rückgriff auf relationale Formen unter sich einen "Zusammenhang und Einheit", so daß Kant von einem "natürlichen Fortschritt" sprechen kann, der "dem logischen Fortgange der Vernunft von den Prämissen zum Schlußsatz ähnlich scheint". (B 394 f./A 337) In dieser Einheit der transzendentalen Ideen besteht auch die Idee, die ihrem System zugrunde liegt. Sie ergibt sich aus der vollständigen Erfassung aller möglichen Erkenntnisrelationen durch diese Ideen, die durch die Fundierung der Kategorientafel ermöglicht wird. Die diesen Ideen zugehörigen "modi der reinen Vernunftbegriffe" (B 382/A 335) werden in dem zweiten Buch der "Transzendentalen Dialektik", in dessen drei "Hauptstücken", "Von den Paralogismen der reinen Vernunft", "Die Antinomie der reinen Vernunft" und "Das Ideal der reinen Vernunft", teilweise in Tafeln geordnet, "vollständig dargelegt". "Sie laufen am Faden der Kategorien fort. Denn die Vernunft bezieht sich niemals geradezu auf Gegenstände, sondern auf die Verstandesbegriffe von denselben." (B 392/A 335) Kant beginnt, weil die "Kritik der reinen Vernunft" als die Vorstufe zu einer eigentlichen systematischen Vorstellung der Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit angesehen werden kann und deshalb "analytisch" verfährt, mit der "Seelenlehre". (Vgl. Anm. Β 395) Die "Topik der rationalen Seelenlehre", die Tafel, die die Quintessenz der Lehre der rationalen Psycholo-

216

Kategorientafel als Schema des Systems

gie zusammenstellt, steht in der ersten und zweiten Fassung des Kapitels gleich hinter den einführenden Bemerkungen über die zentrale Stellung des "Ich denke" als Grundlage einer Wissenschaft von der Seele. Die rationale Psychologie muß aus dem "Ich d e n k e ... ihre ganze Weisheit auswickeln". (B 401/A 343) Kant leitet die Tafel mit einer Rückerinnerung an die Leitfaden-Funktion der Kategorientafel ein: "Wir werden aber hier bloB dem Leitfaden der Kategorien zu folgen haben, nur, da hier zuerst ein Ding, Ich, als denkend Wesen, gegeben worden, so werden wir zwar die obige Ordnung der Kategorien unter einander, wie sie in der Tafel vorgestellet ist, nicht verändern, aber doch hier von der Kategorie der Substanz anfangen, dadurch ein Ding an sich selbst vorgestellet wird, und so ihrer Reihe rückwärts nachgehen." (B 402/A 344) Die Tafel wurde, wie auch die anderen Tafeln, die sich im Zusammenhang der rationalen Seelenlehre für Kant ergeben, schon im letzten Kapitel unter dem Aspekt des kategorialen Begriffs der "Substanz", als leitendem Begriff für die Seelenlehre, vorgestellt Hier soll nun die besondere systematische Form der Tafel, die sich von der Kategorientafel herleitet, herausgestellt werden. Die Kategorientafel wurde zu Beginn dieses Kapitels interpretiert als das Schema zur Idee der Einheit der Vernunft in ihrem wissenschaftlichen Verfahren. Damit Vernunftwissenschaft kein Aggregat, sondern ein System ausmacht, ist architektonische Einheit notwendig, die "nur zu Folge einer Idee entspringt (wo die Vernunft die Zwecke a priori aufgibt, und nicht empirisch erwartet)". (B 861/A 833) Das Vorbild dieser architektonischen Ordnung ist die Kategorientafel, und so gebraucht Kant die Tafelordnung mit ihren vorgegebenen Gruppierungen, um wissenschaftliche Probleme systematisch zu ordnen. Mit Hilfe dieser systematischen Ordnung gelingt ihm auch Fehlerfindung im wissenschaftlichen Denken. Ein Beispiel dafür ist die "Topik der rationalen Seelenlehre", die erste Tafel zum Thema der rationalen Psychologie. Die Tafel setzt ein mit der Position der Seele als Substanz, darauf folgt als zweite Position deren einfache Qualität, als dritte Position ihre Einheit, nicht Vielheit, in der Zeit und als vierte Position

Kategorientafel als Schema des Systems

217

ihre Beziehung zu möglichen Gegenständen im Raum. (Vgl. Β 402/A 344) "Hierauf beziehen sich nun vier Paralogismen einer transzendentalen Seelenlehre, welche fälschlich für eine Wissenschaft der reinen Vernunft, von der Natur unseres denkenden Wesens, gehalten wird". (B 403/A 345) Diese Paralogismen entstehen, indem von dem subjektiven Empfinden einer persönlichen Einheit zum allgemeinen Urteil der Erkenntnis der menschlichen Seele übergegangen wird. Der Fehler dieses Verfahrens liegt darin, daß vom Denken des "Ich denke" her keine Verstandeserkenntnis über die Seele als Substanz möglich ist. Zwar könnte von der Erkenntnis der Seele als Substanz auf deren Einfachheit und Unzerstörbarkeit geschlossen werden, aber der Mensch erkennt sich selbst, wegen der Anschauungsgebundenheit seiner Erkenntnis, nicht als substantiell einfach. Ebensowenig ist die Einheit des Subjekts erschlieBbar, weil das wirkliche Subjekt in seinen Zuständen wechselt und nur diese der Erfahrungserkenntnis zugänglich sind. Auch das letzte Argument der Tafel, die problematische Beziehung zu den Gegenständen, widerspricht den transzendentalphilosophischen Erfahrungsbedingungen. Gegenstände müssen als real vorausgesetzt werden, weil es außerhalb der Erkenntnismöglichkeiten liegt zu wissen, "ob dieses Bewußtsein meiner selbst ohne Dinge außer mir, dadurch mir Vorstellungen gegeben werden, gar möglich sei, und ich also bloß als denkend Wesen (ohne Mensch zu sein) existieren könne" (B 409). Wenn Kant so die Kategorientafel als Ordnungsvorbild für die "Topik der rationalen Seelenlehre" gebraucht, ist die Tafel gleichzeitig kritisches Kriterium einer fehlerhaften Theorie. Dadurch daß die Tafel mit dem kategorialen Begriff "Substanz" in der ersten Position einsetzt, wird durchschaubar, wie eine rationale Seelenlehre nach transzendentalphilosophischen Erkenntnismaßstäben fehlschlägt. In der ersten Fassung des Paralogismenkapitels beschließt Kant seine Kritik an der rationalen Seelenlehre mit einer Tafel, die er nicht in die zweite Fassung des Kapitels mit aufgenommen hat, einer Tafel der Selbsterkenntnis der Seele, die hier sogenannte "systematische Tafel". Sie ist das Gegenstück zur "Topik der rationalen Seelenlehre" und stellt dar, was.

218

Kategorientafel als Schema des Systems

auf der Grundlage kategorialer Bestimmung, über die Seele positiv ausgesagt werden darf. Die aus der Kategorientafel übernommenen Positionen sind dieselben, wie in der "Topik der rationalen Seelenlehre". Die Tafel setzt ein mit der ersten Relationskategorie. Sie betont das Verhältnis des Inhärierenden zum Subsistierenden, wodurch die Bedingtheit der menschlichen Selbsterkenntnis durch das Inhärierende zum Ausdruck kommt. Die Erkenntnis der Seele ist angewiesen auf die Erkenntnis der Zustände der Seele. In der zweiten Tafelposition wird die qualitative Einheit der Seele, "nicht als reales Ganze, sondern einfach", bestimmt (A 404). Dadurch wird die Behauptung vermieden, daß die einfache Seele erkennbar sei. Die dritte Position besagt die numerische Einheit desselben Subjekts "bei der V i e l h e i t in der Zeit" (ebd.). Die vierte Position bestimmt "die u n b e d i n g t e E i n h e i t des Daseins im Räume" und das nur in der Vorstellung erfahrbare Dasein anderer Dinge (ebd.). Als vorgegebene kategoriale Begriffe führt Kant "Subsistenz, Realität, Einheit (nicht Vielheit) und Existenz" an. (A 403) Sie werden von der- Vernunft vorgestellt "als Bedingungen der Möglichkeit eines denkenden Wesens, die selbst unbedingt sind" (ebd.). Die "Apperzeption" führt dabei "durch alle Klassen der Kategorien, aber nur auf diejenige Verstandesbegriffe ... welche in jeder derselben den übrigen zum Grund der Einheit in einer möglichen Wahrnehmung liegen". (A 403) Dadurch wird die Anschauungsbedingtheit der Erkenntnis mit berücksichtigt. Die Kategorientafel garantiert für den architektonischen Aufbau und systematischen Zusammenhang der Teile dieser vernünftelnden Seelenlehre, deren Grundzüge dadurch vollständig bestimmt werden. Als Mangel dieser Theorie bleibt aber, "daß die einzelne Vorstellung, Ich bin, sie insgesamt regiert", die als eine "einzelne" Erfahrung sich anmaßt, "wie ein allgemeiner Satz, der für alle denkende Wesen gelte", aufzutreten und eine Wissenschaft zu begründen, die die Erfahrungsgrenzen überschreitet. (Vgl. A 405) Die Idee, die der "Topik der rationalen Seelenlehre" und der "systematischen Tafel" zugrunde liegt, ist die Einheit des Subjekts der Erkenntnis. Diese Idee führt nicht automatisch,

Kategorientafel als Schema des Systems

219

sondern nur Uber die fehlerhafte Absolutsetzung kategorialer Begriffe, zu paralogistischen Schlüssen. Kant verweist auf einen kritischen Weg, der zwar keine positive Erkenntnis der Seele verspricht, aber dafür die einzige Möglichkeit rationaler Wissenschaft von der Seele andeutet. Diese Untersuchung führt Kant nur für die zweite Fassung des Paralogismenkapitels durch und stellt die Ergebnisse in der "Tafel des Ich denke" zusammen. Der "synthetische" Weg "von der Kategorie der Relation, mit dem Satze: alle denkende Wesen sind, als solche, Substanzen, rückwärts ... bis sich der Zirkel schließt", führt zum Idealismus. (B 415 f.) Dagegen empfiehlt Kant in der "Tafel des Ich denke" "das a n a l y t i s c h e Verfahren, da das Ich denke, als ein Satz, der schon ein Dasein in sich schließt, als gegeben, mithin die Modalität, zum Grunde liegt, und zergliedern ihn, um seinen Inhalt, ob und wie nämlich dieses Ich im Raum oder der Zeit bloß dadurch sein Dasein bestimmt, zu erkennen, so würden die Sätze der rationalen Seelenlehre nicht vom Begriffe eines denkenden Wesens überhaupt, sondern von einer Wirklichkeit anfangen, und aus der Art, wie diese gedacht wird, nachdem alles, was dabei empirisch ist, abgesondert worden, das was einem denkenden Wesen überhaupt zukommt gefolgert werden, wie die folgende Tafel zeigt. 1. Ich d e n k e , 2. als S u b j e k t , 3. als e i n f a c h e s S u b j e k t , 4. als i d e n t i s c h e s S u b j e k t in jedem Zustande meines Denkens." (B 418 f.)12 Der Einsatz der Tafel mit der Modalität und das von dort aus ansetzende Rückwärtsschreiten im Kreis der kategorialen Posi-

12 Siehe die Tafel auf S. 146. Kant nimmt ausdrücklich "das Ich denke, als ein Satz" zur Basis seiner Tafel. Dieser Satz wird unter bestimmten Aspekten analysiert. Die Reduzierung von Substanz auf Subjekt ist ein Rückzug von einer ontologlschen Position auf eine logische Position, im Zusammenhang der Tafel wird sie zu einer transzendentallogischen Position. Gleichzeitig 1st ein Subjekt auch ein Element der Grammatik. Insofern kann das Verfahren, das Kant an anderer Stelle ja auch mit der Grammatik einer Sprache in Zusammenhang bringt (Bd. IV, S. 323), auch als eine Art von Sprachanalyse interpretiert werden.

220

Kategorientafel als Schema des Systems

tionen ergibt eine Tafel, die sich nicht ontologisch festlegt auf Daseinsbestimmungen substantieller Art. Sie kommt mit dem bloß logischen Begriff des Subjekts aus, unbestimmt "ob ich nur als Subjekt und nicht auch als Prädikat eines andern existieren und gedacht werden könne". (B 419) Die Erkenntnis der absoluten Einheit des Subjekts als einer

Gegenstandserkenntnis

ist damit gescheitert, übrig bleibt die empirische Position des "Ich denke" als "ich

e x i s t i e r e

denkend", ein

empirischer Satz, der "die Bestimmbarkeit meines Daseins bloß in Ansehung meiner Vorstellung in der Zeit" enthält.

(B 420)

Von ihm aus gesehen, bleibt im analytischen Rückschritt nur die Position des

" S u b j e k t s "

als dritte Position ein

und als vierte Position ein j e k t ,

,

statt der Substanz,

" e i n f a c h e s

S u b j e k t "

" i d e n t i s c h e s

in jedem Zustande meines Denkens".

S u b -

(Vgl. Β 419)

Mit dieser Tafel reduziert Kant die rationale Wissenschaft von der Natur der Seele auf Sprachanalyse. Das wirkliche Subjekt ist nur erfaßbar über seine empirische Wirklichkeit. Der Er13 kenntnis der Seele

bleibt nur die Analyse des Denkens selbst

und der Sprache, in der es sich äußert als seine empirische Manifestation. Die rationale Psychologie wird so, nach dem

13 Schon im Paragraphen 25 bereitet Kant dieses Ergebnis vor, bei der Diskussion um die Selbstgewißheit: "Das Bewußtsein seiner selbst ist also noch lange nicht ein Erkenntnis seiner selbst, unerachtet aller Kategorien, welche das Denken eines O b j e k t s U b e r h a u p t durch Verbindung des Mannigfaltigen in einer Apperzeption ausmachen." (B 158) Die Daseinsgewißheit wird von den kritischen Einschränkungen der rationalen Seelenlehre aber nicht berührt: "Das, Ich denke, drückt den Actus aus, mein Dasein zu bestimmen. Das Dasein ist dadurch also schon gegeben, aber die Art, wie ich es bestimmen, d. i. das Mannigfaltige, zu demselben gehörige, in mir setzen solle, ist dadurch noch nicht gegeben. Dazu gehört Selbstanschauung, die eine a priori gegebene Form, d. i. die Zeit, zum Grunde liegen hat, welche sinnlich und zur Rezeptivität des Bestimmbaren gehörig ist. Habe ich nun nicht noch eine andere Selbstanschauung, die das B e s t i m m e n d e in mir, dessen Spontaneität ich mir nur bewußt bin, eben so vor dem Actus des B e s t i m m e n s gibt, wie die Zeit das Bestimmbare, so kann ich mein Dasein, als eines selbsttätigen Wesens, nicht bestimmen, sondern ich stelle mir nur die Spontaneität meines Denkens, d. i. des Bestimmens, vor, und mein Dasein bleibt immer nur sinnlich, d. i. als das Dasein einer Erscheinung, bestimmbar. Doch macht diese Spontaneität, daß ich mich I n t e l l i g e n z nenne." (B 157 Anm.)

Kategorientafel als Schema des Systems

221

Maßstab der Kategorientafel als Leitfaden fUr die sich in den Tafeln darstellenden Probleme, als reine Wissenschaft fragwürdig. Die Unterschiede zwischen diesen drei Tafeln der rationalen Seelenlehre können im Rückgriff auf den zugrunde liegenden kategorialen Vernunftschluß verdeutlicht werden. Er "ging auf die unbedingte Einheit der s u b j e k t i v e n Bedingungen aller Vorstellungen überhaupt (des Subjekts oder der Seele) , in Korrespondenz mit den kategorischen Vernunftschlüssen, deren Obersatz, als Prinzip, die Beziehung eines Prädikats auf ein S u b j e k t aussagt". (B 432 f./A 406) Die "Topik der rationalen Seelenlehre" setzt dieses Subjekt als Substanz, die "systematische Tafel" dagegen nimmt das Verhältnis Inhärenz und Subsistenz auf und setzt damit die Seele als das Verhältnisglied zum empirisch Erkennbaren, die dritte Tafel, die "Tafel des Ich denke", reduziert die Erkenntnis auf den empirischen Satz des "Ich denke" und die daraus analysierbaren relationalen, qualitativen und quantitativen Bestimmungen. Alle drei Tafeln erreichen das vorgegebene Ziel der rationalen Psychologie nicht, weshalb diese Wissenschaft nach Kants "Kritik der reinen Vernunft" nur noch in regulativer Funktion zum Bereich der theoretischen Philosophie gehört. Die auf dem hypothetischen Vernunftschluß beruhende " z w e i t e Art des dialektischen Arguments", das "die unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung zu ihrem Inhalte" hat (B 433/A 406), kommt, weil diese Idee äußere Erscheinungen betrifft, zu anderen Ergebnissen, die sich in der "Tafel der kosmologischen Ideen" ankündigen. Diese Tafel enthält die Ideen über die "absolute Totalität in der Synthesis der Erscheinungen", die sogenannten " W e l t b e g r i f f e " . (B 434/A 407) Kant entwickelt diese Ideen Uber "die z w e i t e Art des dialektischen Arguments ... also, nach der Analogie mit hypothetischen Vernunftschlüssen, die unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung zu ihrem Inhalte machen". (B 433/A 406) Dieser hypothetische Vernunftschluß wird, um ein "System der kosmologischen Ideen" aufzustellen, durch die Position der Katego-

Kategorientafel als Schema des Systems

222

rientafel geführt, denn "die transzendentalen Ideen" sind "eigentlich nichts, als bis zum Unbedingten erweiterte Kategorien und jene werden sich in eine Tafel bringen lassen, die nach den Titeln der letzteren angeordnet ist". (B 436/A 409) Auf Grund der besonderen hypothetischen Form des zweiten dialektischen Arguments, sind nicht alle Kategorien zur Fundierung eines solchen Vernunftschlusses geeignet, "sondern nur diejenige, in welchen die Synthesis eine R e i h e ausmacht, und zwar der einander untergeordneten (nicht beigeordneten) Bedingungen zu einem Bedingten". (B 436/A 409) Diese Vorstellung der Synthesis einer Reihe von Bedingungen der Erscheinungen, also der "regressiven Synthesis" (Β 438/A 411), wird nun durch die entsprechenden kategorialen Formen geführt, und mit deren Hilfe werden die Ideen der Totalität der Bedingungen von Erscheinungen aufgestellt und in folgende Tafel gebracht: D i e

a b s o l u t e

1.

V o l l s t ä n d i g k e i t der

Zusammensetzung

des gegebenen Ganzen a l l e r Erscheinungen.

2.

3.

Die a b s o l u t e V o l l s t ä n d i g k e i t

Die a b s o l u t e V o l l s t ä n d i g k e i t

d e r Teilung

der

eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung. Die

a b s o l u t e

Entstehung

einer Erscheinung überhaupt.

4.

d e r Abhängigkeit

V o l l s t ä n d i g k e i t des

Daseins

des Veränderlichen in der Erscheinung.

(B 443/A 415) Die "Tafel der kosmologischen Ideen" enthält als Idee in der ersten Position "Die a b s o l u t e V o l l s t ä n d i g k e i t der Zusammensetzung des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen". Diese Idee entwickelt Kant über "die zwei ursprünglichen quanta aller unserer Anschauung, Zeit und Raum" (B 438/A 411) . In beiden Anschauungsformen sind Reihenbildungen möglich, auf Grund der Mannigfaltigkeit von Zeiteinheiten

Kategorientafel als Schema des Systems

223

und Raumeinheiten. Der Schwerpunkt der kategorialen Bestimmung liegt, neben der Vorgabe quantitativer Betrachtung, auf der Vielheit, die die quantitativen Zusammensetzungen in sich enthalten. Die zweite kosmologische Idee betrifft "Die a b s o lute V o l l s t ä n d i g k e i t der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung" (B 443/A 415). Kant entwickelt diese Idee über die "Realität im Räume, d. i. die M a t e r i e " , deren "innere Bedingungen" eine "regressive Synthesis" ermöglichen, die auf "das Einfache" und damit "zum Unbedingten" führt. (Vgl. Β 440/A 413) Die kategoriale Bestimmung, die dabei zugrunde liegt, ist nicht eindeutig bestimmt. Die Überlegung geht aus von dem Begriff "Realität" und führt zum Begriff des "Einfachen", das "Nichts" ist, das, "was nicht mehr Materie ist". (Vgl. ebd.) Es sind so alle drei Qualitätskategorien angesprochen: Realität, Negation und Limitation ("was nicht mehr Materie ist"). Die dritte kosmologische Idee bestimmt "Die a b s o l u t e V o l l s t ä n d i g keit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt" (B 443/ A 416). Sie gründet auf den "Kategorien des realen Verhältnisses unter den Erscheinungen" (B 441/A 413). Die Kategorie der Inhärenz und Subsistenz und die der Gemeinschaft bieten keine formale Grundlage für die Bestimmung der "Reihe der Erscheinungen", "denn Akzidentien sind (so fern sie einer einigen Substanz inhärieren) einander koordiniert, und machen keine Reihe aus". (Vgl. Β 441/A 414) Die Gemeinschaft aber bietet nur "Aggregate ..., und keinen Exponenten einer Reihe". (Vgl. ebd.) Daher "bleibt also nur die Kategorie der K a u s a l i t ä t übrig, welche eine Reihe der Ursachen zu einer gegebenen Wirkung darbietet, in welcher man von der letzteren, als dem Bedingten zu jenen, als Bedingungen, aufsteigen und der Vernunftfrage antworten kann". (B 441 f./A 414) Die vierte kosmologische Idee schließt auf "Die a b s o l u t e V o l l s t ä n d i g k e i t

der Abhängigkeit

des

Daseins

des Veränderlichen in der Erscheinung" (B 443/A 415) . Diese Idee beschließt den Durchgang durch das System der Kategorientafel. Die kategorialen "Begriffe des Möglichen, Wirklichen und Notwendigen" werden durchlaufen und auf die Möglichkeit

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der Reihenbildung hin überprüft. Dabei ergibt sich: Diese kategorialen Begriffe "führen auf keine Reihe, auBer nur, so fern das Z u f ä l l i g e im Dasein jederzeit als bedingt angesehen werden muß, und nach der Regel des Verstandes auf eine Bedingung weiset, darunter es notwendig ist ..." (B 442/ A 415) Die "Zufälligkeit" ist Korrelat zur dritten Modalkategorie "Notwendigkeit". (S. Β 106/A 80) Die so entstandene "Tafel der kosmologischen Ideen" wird von Kant aufgeteilt in eine Gruppe von Ideen als "Weltbegriffen", "in engerer Bedeutung" (B 447 f./A 420), wozu die erste und zweite Idee gehören, und in eine Gruppe von "transzendenten Naturbegriffen", die die dritte und vierte Idee enthält. (Vgl. Β 448/A 420) Diese Unterscheidung steht in Parallele zur Klassifizierung der Grundsätze des reinen Verstandes in mathematische und in dynamische Grundsätze, die das Dasein der Erscheinungen bestimmen. Die Kategorie der Kausalität und der kategoriale Korrelatbegriff Zufälligkeit bieten die Grundlage für die Bestimmung des Bedingungsverhältnisses von Erscheinungen. (Vgl. Β 441 f./A 414 f.) Die mathematischen Ideen, "die Weltbegriffe im engeren Sinne", sind nicht auf Anschauung gerichtet, so wie die mathematischen Grundsätze sich auf Anschauung beziehen, sondern sie schließen auf die Totalität einer Synthesis, die über die "Zusammensetzung" oder "Teilung" des Ganzen der Erscheinung bestimmt (vgl. Β 446/A 418) , oder nicht bestimmt werden kann, wenn das "mathematische Ganze" nicht zugrunde gelegt werden kann. Für die erste Idee von der Zusammensetzung der Erscheinungen wird die kategoriale Gruppe Quantität insgesamt als regelsetzend herangezogen, für die zweite Position, der Teilung der Erscheinung, die ganze Gruppe der Qualitätskategorien. Dieses Verfahren erinnert an Kants Methode bei der Darstellung des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes. Dort sind die mathematischen Grundsätze nur mit je einem Prinzip vertreten, das sich auf Quantität und Qualität überhaupt bezieht, während die drei "Analogien der Erfahrung" auf jeweils einer Relationskategorie und die drei "Postulate des empirischen Denkens" auf jeweils einer Modalkategorie aufbauen. Diese Parallele,

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die von Kant aber nicht kommentiert wird, ergibt sich aus dem gemeinsamen Bezug der synthetischen Grundsätze des Verstandes und der kosmologischen Ideen zum Erfahrbaren. Dem Bezug zur Erfahrungswirklichkeit verdanken die kosmologischen Ideen ihre Gültigkeit für das System der reinen Vernunft. Als transzendente Vernunftbegriffe werden sie zwar, weil sie zu Antinomien führen, kritisiert, aber sie bleiben notwendige Leitvorstellungen für wissenschaftliches Denken, das die Ideen nicht als Erkenntnisobjekte zu bestimmen sucht, sondern sie als Leitbilder betrachtet, die die kosmologische Forschung begleiten. Sie sind nicht " k o n s t i t u t i ves Prinzip der Vernunft" sondern " r e g u l a t i 14 ν e s Prinzip der Vernunft" (B 537/A 509) . Die Fundierungsfunktion der Kategorientafel für die "Tafel der kosmologischen Ideen" hat Kant klar herausgestellt und auch den Zusammenhang zwischen den Ideen und den kategorialen Positionen beschrieben. Nicht in allen Fällen ist entscheidbar, ob eine bestimmte Kategorie zur Idee führt oder ob Kant eine ganze Kategoriengruppe als Fundierung ansieht. Immer aber liegen Kategorien zugrunde. Die Vernunft ist es, die "die Kategorie zur transzendentalen Idee macht, um der empirischen Synthesis, durch die Fortsetzung derselben bis zum Unbedingten, (welches niemals in der Erfahrung, sondern nur in der Idee angetroffen wird,) absolute Vollständigkeit zu geben" (B 436/A 409). Daher sind "die transzendentalen Ideen eigentlich nichts, als bis zum Unbedingten erweiterte Kategorien" (ebd.). Sie lassen sich

14 Obwohl der erste und zweite Widerstreit der reinen Vernunft, "als auf beiderseitige falsche Voraussetzungen gebauet, a b g e w i e s e n worden" (B 557/A 529), gilt doch für alle vier kosmologische Ideen: "Da durch den kosmologischen Grundsatz der Totalität keine Maximum der Reihe von Bedingungen in einer Sinnenwelt, als einem Dinge an sich selbst, g e g e b e n wird, sondern bloß im Regressus derselben a u f g e g e b e n werden kann; so behält der gedachte Grundsatz der reinen Vernunft, in seiner dergestalt berichtigten Bedeutung, annoch seine gute Gültigkeit, zwar nicht als A x i o m , die Totalität im Objekt als wirklich zu denken, sondern als ein P r o b l e m für den Verstand, also für das Subjekt, um, der Vollständigkeit in der Idee gemäß, den Regressus in der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten anzustellen und fortzusetzen." (B 536/A 508)

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"in eine Tafel bringen" (ebd.), die Auswahl der grundlegenden Kategorienformen geschieht nach dem Gesichtspunkt einer möglichen Grundlegung zur Reihenbildung. Ob aber der Reihenbildung unter quantitativem Aspekt die Kategorie der Einheit oder Vielheit oder Allheit entspricht, oder unter qualitativer Betrachtung die Kategorie der Realität, Negation oder Limitation, wird nicht entschieden. Die Entscheidung ist auch nicht gefordert, weil für das System der kosmologischen Ideen nur die Notwendigkeit besteht zu zeigen, daß das Systemmodell der Kategorientafel insgesamt fUr eine Tafel kosmologischer Ideen regelsetzend ist. Dadurch daB die Kategorientafel als Schema eines Systems insgesamt zugrunde gelegt wird, können Problembereiche wie die Kosmologie, die rationale Psychologie, die Frage nach dem allerleersten abstraktesten Begriff eines Gegenstandes, die reinen synthetischen Sätze a priori und die reine Logik auf vollständige Art in ihren Grundlinien erfaßt werden. Inwiefern dabei bestimmte kategoriale Begriffe strukturelle Grundlegung anbieten, ist nicht immer zu entscheiden und ist abhängig von der materialen Mannigfaltigkeit eines Problembereichs und der Art der theoretischen Fragestellung. Kant gibt nur ganz wenige Anweisungen dazu. Seine eigene philosophische Methode aber grUndet auf dem Kategoriensystem, und jeder Versuch, Kants wissenschaftstheoretisches Konzept ftlr eine kritische Philosophie zu erkennen, muß auf die Kategorientafel als Modell für a priorische Systematik überhaupt zurückgreifen.

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KANTSTUDIEN-ERGÄNZUNGSHEFTE PETER SCHULTHESS

Relation und Funktion Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur theoretischen Philosophie Kants Groß-Oktav. XII, 399 Seiten. 1981. Ganzleinen DM 8 4 , ISBN 3110084392 (Band 113) MONIKA SÄNGER

Die kategoriale Systematik in den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants Groß-Oktav. XII, 259 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 7 2 , ISBN 311008883 5 (Band 114) CARL BRAUN

Kritische Theorie versus Kritizismus Zur Kant-Kritik Theodor W. Adornos Groß-Oktav. XII, 311 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 8 8 , ISBN 3110095416 (Band 115) SVEND ANDERSEN

Ideal und Singularität Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie Groß-Oktav. XII, 278 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 7 2 , ISBN 3110096498 (Band 116) GÜNTER ZÖLLER

Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant Zur systematischen Bedeutung der Termini „objektive Realität" und „objektive Gültigkeit" in der „Kritik der reinen Vernunft" Groß-Oktav. XII, 322 Seiten. 1984. Ganzleinen DM 9 2 , ISBN 3110098113 (Band 117)

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