Kant und das Problem der Gesetzmäßigkeit der Natur 9783110854091, 9783110121933


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German Pages 335 [340] Year 1991

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Vorwort
Einleitung
1. Kapitel: Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur
1. Kants ‘Hauptzweck’ und die Begründung der Gesetzesthese
1.1. Kants Zielsetzung in der KrV
1.2. Zum Beweisanspruch der transzendentalen Deduktion
1.2.1. Kant und der Skeptiker
1.2.2. Das synthetische Verfahren der KrV
1.2.3. Die Funktion der Einheit der Apperzeption
1.2.4. Folgerungen
2. Übersicht über Kants Argumentation
2.1. Die transzendentale Deduktion
2.1.1. Die Argumentation in der A-Deduktion
2.1.1.1. Aufsteigende Deduktionen
2.1.1.2. Absteigende Deduktionen
2.1.2. Die B-Deduktion
2.2. Die Analogien der Erfahrung
2.2.1. Das Prinzip der Analogien der Erfahrung
2.2.2. Der Beweis der zweiten Analogie der Erfahrung
2. Kapitel: Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese
1. Schwierigkeiten mit der Standardinterpretation
1.1. Das Problem der subjektiven Vorstellungen
1.1.1. Die vielfältige Bedeutung von “objektiv”
1.1.2. Zusammenfassung und Folgerungen
1.1.3. Ein Lösungsvorschlag zum Problem der subjektiven Vorstellungen
1.2. Das Problem der Wahrnehmungsurteile
1.2.1. Varianten von Kants Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen
1.2.2. Das Problem der nicht-objektivierbaren Vorstellungen
1.3. Das Problem des Verhältnisses von Kategorie und Urteilsfunktion
1.4. Das Anschlußproblem
1.5. Das Beweisstrukturproblem in B
2. Reaktionen auf die Problemlage
3. Folgerungen und Vorblick
3. Kapitel: Kants Begründung des Kausalprinzips
1. Das analytische Argument
1.1. Die Unbestimmtheitsthese
1.1.1. Varianten der Unbestimmtheitsthese
1.1.1.1. Das Objekt-Prozeß-Problem
1.1.1.2. Das Wahrnehmungsisomorphieproblem
1.1.1.3. Das Sein-Schein-Problem
1.1.2. Vergleich mit Kants Unbestimmtheitsthese
1.2. Das Objekt-Prozeß-Argument
1.2.1. Die Unbestimmtheitsthese
1.2.2. Der zweite Beweisschritt
1.2.2.1. Die Bestimmtheit der Wahrnehmungsfolge
1.2.3. Der dritte Beweisschritt: ein non-sequitur?
1.2.4. Weitere Einwände gegen das O-P-Argument
1.2.5. Die phänomenalistische Objektkonzeption
1.2.6. Das epistemologische Argument
1.2.7. Das empiristische Modell
1.3. Andere Rekonstruktionen
1.3.1. Das Wahrnehmungsisomorphieargument
1.3.2. Das Sein-Schein-Argument
1.3.3. Ein letzter Versuch
2. Kants Argument
2.1. Kants analytisches Argument
2.1.1. Der Begriff des Erfahrungsobjekts
2.1.2. Das erste analytische Argument
2.2. Der Übergang zum synthetischen Argument
2.3. Das synthetische Argument
4. Kapitel: Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der transzendentalen Deduktion
1. Kants Argumentation in der A-Deduktion
1.1. Die subjektive Deduktion
1.1.1. Die These von der Notwendigkeit der Synthesis
1.1.2. Die Synthesis der Reproduktion
1.1.3. Die Synthesis der Rekognition
1.1.3.1. Die Notwendigkeit einer Synthesis nach Begriffen
1.1.3.2. Die Einführung des Objektbegriffs
1.1.3.3. Der transzendentalphilosophische Objektbegriff
1.2. Selbstbewußtsein und Gesetzmäßigkeit
1.3. Henrichs Rekonstruktion
2. Der erste Teil der B-Deduktion
2.1. Die Suche nach dem Grund der Einheit (§ 15)
2.2. Das Argument in den §§ 16-20
2.2.1. Die Einheit des Selbstbewußtseins
2.2.2. Selbstbewußtsein und Synthesis
2.2.3. Einheit der Apperzeption und objektive Einheit
2.2.4. Objektive Einheit und Urteilseinheit
2.2.5. Urteil und Kategorie
2.2.6. Zusammenfassung und Folgerungen
3. Das Beweisstrukturproblem
4. Gründe für die Neubearbeitung der transzendentalen Deduktion
5. Der zweite Teil der B-Deduktion
5.1. Die Frage nach den Anwendungsbedingungen der Kategorien
5.2. Kants Argument in § 26
6. Skizze einer Rekonstruktion
Schluß
Notiz zur Zitierweise
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Kant und das Problem der Gesetzmäßigkeit der Natur
 9783110854091, 9783110121933

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Bernhard Thöle Kant und das Problem der Gesetzmäßigkeit der Natur

w DE

G

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland

Band 27

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1991

Kant und das Problem der Gesetzmäßigkeit der Natur von

Bernhard Thöle

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1991

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

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Thüle, Bernhard: Kant und das Problem der Gesetzmässigkeit der Natur / Bernhard Thöle. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 27) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1987 ISBN 3-11-012193-X NE: GT

© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, D-1000 Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, D-1000 Berlin 61

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die - wie ich hoffe - hin und wieder verbesserte Fassung meiner Dissertation, mit der ich 1987 an der Freien Universität Berlin promoviert habe. Die seitdem erschienene Literatur habe ich nur da und dort, wo es sich in den Gang der Arbeit einfügen ließ, berücksichtigen können. Gutachter der Arbeit waren Lorenz Krüger und Ernst Tugendhat. Ihnen möchte ich nicht nur für Anregung und Kritik danken, sondern vor allem auch dafür, daß sie die ihnen aufgedrängte Weihnachtslektüre 1986 so verständnisvoll übernommen haben. Bedanken möchte ich mich auch für die tatkräftige, vielfältige Unterstützung, die mir Freunde in den verschiedenen (vermeintlichen und wirklichen) Endphasen haben zukommen lassen: bei Jan Hermelink, Regina Herrmann, Shirin Homann, Ulrike Hoyer, Harald Köhl, Marcus Otto, Gottfried Seebaß, vor allem aber bei Stefan Gosepath, Martina Herrmann und Beate Rössler. Den Herausgebern der "Quellen und Studien zur Philosophie" danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe; Herrn Prof. Wenzel für sein verständnisvolles Entgegenkommen. Zu danken ist auch der Studienstiftung des deutschen Volkes, die die Arbeit an der Dissertation durch ein Promotionsstipendium unterstützt hat. Mein ganz besonderer Dank aber gilt Lorenz Krüger für seine aufgeschlossene und geduldige Förderung über eine lange, schöne Zeit. Berlin, im Dezember 1990

Bernhard Thöle

Inhalt Vorwort

VII

Einleitung

1

1. Kapitel: Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur 1. Kants 'Hauptzweck' und die Begründung der Gesetzesthese 1.1. Kants Zielsetzung in der KrV 1.2. Zum Beweisanspruch der transzendentalen Deduktion 1.2.1. Kant und der Skeptiker 1.2.2. Das synthetische Verfahren der KrV 1.2.3. Die Funktion der Einheit der Apperzeption 1.2.4. Folgerungen 2. Übersicht über Kants Argumentation 2.1. Die transzendentale Deduktion 2.1.1. Die Argumentation in der A-Deduktion 2.1.1.1. Aufsteigende Deduktionen 2.1.1.2. Absteigende Deduktionen 2.1.2. Die B-Deduktion 2.2. Die Analogien der Erfahrung 2.2.1. Das Prinzip der Analogien der Erfahrung 2.2.2. Der Beweis der zweiten Analogie der Erfahrung

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2. Kapitel: 1. 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.3.

9 9 20 24 36 38 38 39 40 41 42 48 49 54 55 59

Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese .. 63 Schwierigkeiten mit der Standardinterpretation 63 Das Problem der subjektiven Vorstellungen 64 Die vielfältige Bedeutung von "objektiv" 69 Zusammenfassung und Folgerungen 82 Ein Lösungsvorschlag zum Problem der subjektiven Vorstellungen 85 Das Problem der Wahmehmungsurteile 90 Varianten von Kants Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs-und Erfahrungsurteilen 91 Das Problem der nicht-objektivierbaren Vorstellungen 95 Das Problem des Verhältnisses von Kategorie und Urteilsfunktion 100

χ

Inhalt

1.4. 1.5. 2. 3. 3. Kapitel: 1. 1.1. 1.1.1. 1.1.1.1. 1.1.1.2. 1.1.1.3. 1.1.2. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.2.1. 1.2.3. 1.2.4. 1.2.5. 1.2.6. 1.2.7. 1.3. 1.3.1. 1.3.2. 1.3.3. 2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.2. 2.3.

Das Anschlußproblem Das Beweisstrukturproblem in Β Reaktionen auf die Problemlage Folgerungen und Vorblick

113 115 119 124

Kants Begründung des Kausalprinzips Das analytische Argument Die Unbestimmtheitsthese Varianten der Unbestimmtheitsthese Das Objekt-Prozeß-Problem Das Wahrnehmungsisomorphieproblem Das Sein-Schein-Problem Vergleich mit Kants Unbestimmtheitsthese Das Objekt-Prozeß-Argument Die Unbestimmtheitsthese Der zweite Beweisschritt Die Bestimmtheit der Wahrnehmungsfolge Der dritte Beweisschritt: ein non-sequitur? Weitere Einwände gegen das O-P-Argument Die phänomenalistische Objektkonzeption Das epistemologische Argument Das empiristische Modell Andere Rekonstruktionen Das Wahrnehmungsisomorphieargument Das Sein-Schein-Argument Ein letzter Versuch Kants Argument Kants analytisches Argument Der Begriff des Erfahrungsobjekts Das erste analytische Argument Der Übergang zum synthetischen Argument Das synthetische Argument

128 130 131 133 135 136 138 139 140 140 150 154 160 162 165 169 176 181 182 188 188 189 191 191 196 201 205

4. Kapitel: Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der transzendentalen Deduktion 1. Kants Argumentation in der A-Deduktion 1.1. Die subjektive Deduktion 1.1.1. Die These von der Notwendigkeit der Synthesis 1.1.2. Die S ynthesis der Reproduktion 1.1.3. Die Synthesis der Rekognition 1.1.3.1. Die Notwendigkeit einer Synthesis nach Begriffen 1.1.3.2. Die Einführung des Objektbegriffs

212 214 214 216 218 220 222 228

Inhalt

1.1.3.3. 1.2. 1.3. 2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6. 3. 4. 5. 5.1. 5.2. 6.

Der transzendentalphilosophische Objektbegriff Selbstbewußtsein und Gesetzmäßigkeit Henrichs Rekonstruktion Der erste Teil der B-Deduktion Die Suche nach dem Grund der Einheit ( § 1 5 ) Das Argument in den §§ 16-20 Die Einheit des Selbstbewußtseins Selbstbewußtsein und Synthesis Einheit der Apperzeption und objektive Einheit Objektive Einheit und Urteilseinheit Urteil und Kategorie Zusammenfassung und Folgerungen Das Beweisstrukturproblem Gründe für die Neubearbeitung der transzendentalen Deduktion Der zweite Teil der Β-Deduktion Die Frage nach den Anwendungsbedingungen der Kategorien Kants Argument in §26 Skizze einer Rekonstruktion

XI

232 235 243 249 249 251 252 255 260 263 264 269 271 273 280 282 285 293

Schluß

299

Notiz zur Zitierweise

310

Literaturverzeichnis

311

Personenregister

320

Sachregister

322

Einleitung In der vorliegenden Untersuchung geht es um die Frage, wie sich Kant die Begründung der Geltung allgemeiner Naturgesetze gedacht hat Das ist keine besonders originelle Fragestellung, und daher wird es nicht unnötig sein, sich darüber zu erklären, wieso der nicht unbeträchtlichen Menge bereits vorliegender Traktate zu diesem Thema ein weiterer hinzugefügt werden soll. Über das Verhältnis zu dem, was man den Forschungsstand nennt, findet sich Näheres im den beiden ersten Kapitel. Ich will hier aus einer anderen Perspektive einige der wichtigeren Gesichtspunkte nennen. Dabei soll auch angesprochen weiden, in welchen Hinsichten sich auf den folgenden Seiten Neues oder Vergessenes finden läßL In der transzendentalen Deduktion teilt Kant seinem Leser mit, daß sich aus der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins "vieles folgern" lasse. Die Folgerungen, die Kant aus diesem "höchsten Punkt [...] alles Verstandesgebrauchs" zu ziehen scheint, sind in der Tat beachtlich: "die Einheit des Bewußtseins [ist] dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand [...] ausmacht" (B 137). "Eben diese transzendentale Einheit der Apperzeption macht [...] aus allen möglichen Erscheinungen [...] einen Zusammenhang [...] nach Gesetzen" (A 108).

Und: "Die Möglichkeit [...], ja sogar die Notwendigkeit dieser Kategorien beruht auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle möglichen Erscheinungen, auf die ursprüngliche Apperzeption haben, in welcher alles notwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewußtseins gemäß sein [...] muß" (A lllf.).

Aus dem "Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption", wonach "alles Mannigfaltige der Anschauung unter Bedingungen der ursprünglichsynthetischen Einheit der Apperzeption" stehen muß (B 136), zieht Kant also allem Anschein nach drei bemerkenswerte Folgerungen, die im Dickicht der transzendentalen Deduktion einen eigentümlichen Zusammenhang eingehen: Die Bedingungen, ohne die ein einheitliches Selbstbewußtsein nicht möglich ist, sollen zugleich garantieren, daß sich unsere Vorstellungen als Vorstellungen einer objektiven Wirklichkeit interpretieren lassen. Ich will diese Behaup-

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Einleitung

tung Kants Objektivitätsthese nennen. Im engen Zusammenhang mit dieser These steht Kants zweite Folgerung: Alle uns gegebenen Vorstellungen sollen aufgrund ihrer Beziehung zur Einheit der Apperzeption unter allgemeinen und notwendigen Gesetzen stehen. Ich nenne sie Kants Gesetzesthese. Die dritte und aus Kants eigener Perspektive wohl wichtigste - Folgerung betrifft die objektive Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe: "Alle sinnlichen Anschauungen stehen unter den Kategorien, als Bedingungen, unter denen allein das Mannigfaltige derselben in ein Bewußtsein zusammenkommen kann" (B 143). Diese Behauptung Kants will ich als Kategorienthese bezeichnen. Die zitierten Bemerkungen Kants bilden nur einen Teil der Belege, die die weitverbreitete Ansicht zu stützen scheinen, daß Kant die erwähnten drei Thesen als direkte Folgerungen aus der notwendigen Einheit des Bewußtseins gewinnen wollte. Deshalb kann es kaum verwundern, daß diese Ansicht zur Standardinterpretation von Kants Argumentation in der transzendentalen Deduktion avancierte. So schreibt etwa Henrich in einer einflußreichen Untersuchung zur transzendentalen Deduktion: "Kants Theorie der Erkenntnis begründet bekanntlich die These, daß wir Objekte der Erfahrung nur erkennen können, wenn wir Begriffe gebrauchen und Grundsätze für allen Erfahrungsgebrauch voraussetzen, die selber nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden können. Diese Theorie behauptet weiterhin, daB sich die Notwendigkeit, die solchen Begriffen innewohnt, aus der Verfassung desjenigen Selbstbewußtseins begründen läßt, das Kant die 'transzendentale Einheit der Apperzeption' nennt." (Henrich (1976) S. 16)

Damit drückt Henrich nur aus, was seit der Kritik an der neukantianischen Kantinterpretation fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist Es liegt daher nahe, sich bei dem Versuch, Kants Begründung der Gesetzesthese nachzugehen, in erster Linie an der transzendentalen Deduktion zu orientieren und sich dabei vor allem an seine Selbstbewußtseinstheorie zu halten. Eben dies führt aber sogleich in eine Reihe von Schwierigkeiten. Eine dieser Schwierigkeiten ergibt sich daraus, daß Kant seine Argumentation auf einem extrem hohen Abstraktionsniveau ansiedelt Bekanntlich verfährt er ja in der transzendentalen Deduktion nicht so, daß er der Reihe nach für jede einzelne seiner zwölf Kategorien den Nachweis zu erbringen versucht, daß sie auf die uns gegebenen Vorstellungen anwendbar ist. Zu der Frage, in welcher Hinsicht die Anwendbarkeit der einzelnen Kategorien objektiv gültige Erfahrungserkenntnis ermöglicht und inwiefern jede einzelne von ihnen für die Möglichkeit von Selbstbewußtsein unentbehrlich ist, erfährt man in der transzendentalen Deduktion so gut wie nichts. Kant meinte für die " d i s k u r s i v e [...] D e u t l i c h k e i t , d u r c h B e g r i f f e , [...] hinreichend gesorgt" zu haben und daher der "nicht so strengen, aber doch billigen Forderung" nach intuitiver

Einleitung

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Deutlichkeit durch Beispiele nicht Genüge leisten zu müssen, da die "eigentlichen Kenner der Wissenschaft diese Erleichterung nicht so nötig haben, ob sie zwar jederzeit angenehm ist" (A XVIIf.). Nach den ersten Reaktionen auf die Veröffentlichung der KrV konnte aber auch Kant die Dunkelheit, die vor allem das Verständnis der transzendentalen Deduktion behinderte, nicht in Abrede stellen (Vgl. Β XXXVIII sowie AAIV S. 476 Anm.) Aber auch die zweite Bearbeitung, in der Kant jenen Mangel beseitigen wollte, hat die Kenner der Wissenschaft bis heute nicht in die Lage versetzt, auf eine so naheliegende Frage wie die folgende etwas Erhellendes zu antworten: Wieso und in welcher Hinsicht ist z.B. die Anwendung der Kausalitätskategorie eine Bedingung der Möglichkeit von Selbstbewußtsein? Auf Fragen wie diese kann man der transzendentalen Deduktion nicht sehr viel mehr entnehmen, als daß Vorstellungen nur dann zur Einheit des Selbstbewußtseins gebracht werden können, wenn sie in Urteilen verbunden werden; und daß die Verbindbaikeit von Vorstellungen in einem Urteil auf irgendeine Weise garantiert, daß diese Vorstellungen unter die (der in dem Urteil verwendeten Urteilsfunktion) entsprechende Kategorie subsumierbar sind. Aber zu der Frage, wieso wir ζ. B. ohne hypothetische Urteile zu fällen, kein Selbstbewußtsein haben können, und wieso (und wie) die Anwendung der (hypothetischen) Urteilsfunktionen die Anwendbarkeit der ihnen entsprechenden Kategorien (also in unserem Fall der Kausalitätskategorie) garantiert, findet sich nicht nur in Kants Deduktion keine befriedigende Antwort; auch die Literatur schweigt sich zu solchen Fragen beharrlich aus. Da Kant selber die Erwartung weckt, daß zu ähnlichen Fragen die auf die Deduktion folgenden Passagen "das mehrere lehren" werden (B 167), liegt es nahe zu versuchen, das Konkretisierungsbedürfnis, das die transzendentale Deduktion erweckt, unter Rückgriff auf das Grundsatzkapitel zu befriedigen; also den Versuch zu unternehmen, das, was Kant in der transzendentalen Deduktion für alle Kategorien en bloc zeigen will, im Spezialfall einer einzelnen Kategorie nachzuvollziehen und auf diese Weise einige der erwähnten Fragen wenigstens ein Stück weit zu beantworten. Es bietet sich an, zu diesem Zweck die Kausalitätskategorie auszuwählen. Denn Kant selber weist darauf hin, daß die Relationskategorien die "vornehmste[n]" unter den Zwölfen (R 5854), und daß die Grundsätze, die ihnen zuzuordnen sind, "die eigentlichen Naturgesetze" sind (Pr. AA. IV S. 307). Unter den drei Analogien der Erfahrung ist es sicherlich die zweite, die zu Recht die größte Aufmerksamkeit gefunden hat. So naheliegend ein solcher Versuch auch sein mag; - in der recht üppigen Literatur zu Kants transzendentaler Analytik findet sich zu diesem Thema nur wenig Brauchbares. Dies ist allerdings nicht so verwunderlich, wie es bedau-

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Einleitung

erlich ist. Denn die Erwartung, im Grundsatzkapitel bereits eine solche Konkretisierung des in der Deduktion in abstracto durchgeführten Arguments vorzufinden, wird enttäuscht. Zwar versieht Kant dort alle drei Analogien mit "ihren genugtuenden Beweisen" (Β XIX), und auch im Grundsatzkapitel treffen wir gelegentlich auf Kants Versicherung, daß "[u]nsere Analogien [...] eigentlich die Natureinheit im Zusammenhange aller Erscheinungen unter gewissen Exponenten darstellen], welche nichts anderes ausdrücken, als das Verhältnis der Zeit [...] zur Einheit der Apperzeption" (A 216/B 263). Aber in den Beweisen selbst spielt die Einheit des Selbstbewußtseins keine Rolle. In den der Begründung des Kausalprinzips gewidmeten Passagen der 2. Analogie wird sie nicht einmal erwähnt. Ähnlich Enttäuschendes ist bezüglich der Frage nach dem Verhältnis von Urteilsfunktionen und Kategorien zu vermerken. Bei näherer Betrachtung stellt man nicht nur fest, daß sich dem Grundsatzkapitel wenig zur Klärung der genannten Fragen entnehmen läßt; - man stößt auch auf eine ganze Reihe neuer Probleme. Denn nicht nur gibt Kant im Grundsatzkapitel wenig Hilfestellung bei dem Versuch, den Gedankengang der Deduktion zu konkretisieren; im Gegenteil: Das Beweisverfahren der Analogien der Erfahrung scheint im Widerspruch zu zentralen Behauptungen zu stehen, die Kant in der Deduktion aufstellt Während nämlich in der transzendentalen Deduktion die Behauptung, daß "alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien" stehe (B 161), eine wichtige Rolle für den Beweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien spielt, will Kant in den Analogien die Geltung der Relationskategorien von Gegenständen der Erfahrung gerade dadurch begründen, daß sie zu den Wahrnehmungen hinzukommen müssen, wenn aus Wahrnehmungen Erfahrung werden soll: "Eine Analogie der Erfahrung wird also nur eine Regel sein, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (nicht wie Wahrnehmung selbst, als empirische Anschauung überhaupt) entspringen soll" (A 180/B 222).

In der folgenden Untersuchung soll es darum gehen, mit Blick auf Kants Begründung der Gesetzesthese, dieses und einige andere damit zusammenhängende Probleme einer Lösung näher zu bringen und damit den Weg für den künftigen Versuch freizuräumen, Kants Deduktionsargument in Anwendung auf den Spezialfall der Kausalitätskategorie zu konkretisieren. Das vielleicht wichtigste Ergebnis dieser Untersuchung ist darin zu sehen, daß die eingangs erwähnte Annahme über die Rolle, die Kants Selbstbewußtseinstheorie im Rahmen des Deduktionsarguments spielt, erheblich modifiziert werden muß. Denn spätestens zur Zeit der Abfassung der B-Deduktion hat Kant den Versuch, die Geltung allgemeiner Naturgesetze als direkte Folgerung aus der Einheit der Apperzeption zu begründen, aufgegeben. Zwar spielt auch

Einleitung

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in der zweiten Auflage die Selbstbewußtseinstheorie eine wichtige Rolle: sowohl für die Begründung der Kategorienthese wie für die Begründung der Objektivitätsthese. Zur Begründung d a Gesetzesthese wird sie aber in der zweiten Auflage nicht mehr in Anspruch genommen. Im ersten Kapitel soll zunächst untersucht werden, wie sich Kants Programm einer Begründung der Gesetzesthese aus seiner Zielsetzung in der KrV im Ganzen ergibt (1.)· Im Anschluß daran gebe ich eine etwas detaillierte Übersicht über die für unsere Fragestellung relevanten Textpartien (2.). Auf dieser Grundlage wird es dann im zweiten Kapitel darum gehen, die mannigfachen Probleme, die Kants Begründung der Gesetzesthese aufwirft, darzustellen. Im den beiden folgenden Kapiteln sollen dann im Blick auf die sich daraus ergebenden Fragen Kants Begründung des Kausalprinzips (drittes Kapitel) und die transzendentale Deduktion (viertes Kapitel) untersucht werden. Im Schluß sollen die Ergebnisse mit Blick auf die im zweiten Kapitel dargestellte Problemlage zusammengestellt werden. Im Laufe der Zeit hat sich der ursprüngliche Optimismus, auf der Grundlage von Kants Überlegungen ein auch unter sachlichen Gesichtspunkten brauchbares Argument zu entwickeln, etwas gedämpft. Sollten sich die Aussichten, mit Kant auch in systematischer Absicht weiterzukommen, als trübe erweisen, so bleibt vielleicht der nicht bloß 'negative Nutzen', einige der Hindemisse, die einem künftigen Verständnis von Kants Theorie entgegenstehen, weggeräumt zu haben. Und dem Versuch, die Hindernisse aufzuheben, "den p o s i t i v e n Nutzen abzusprechen, wäre eben so viel, als sagen, daß Polizei keinen positiven Nutzen schaffe, weil ihr Hauptgeschäft doch nur ist, der Gewalttätigkeit, welche Bürger von Bürgern zu besorgen haben, einen Riegel vorzuschieben, damit ein jeder seine Angelegenheit ruhig und sicher treiben könne" (Β XXV).

1. Kapitel Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur In den 'Prolegomena' bezeichnet Kant die Frage: "Wie ist Natur selbst möglich?" als den "höchste[n] Punkt [...], den transcendental Philosophie nur immer berühren mag und zu welchem sie auch, als ihrer Grenze und Vollendung, geführt werden muß". Diese Frage enthält aber - so fährt Kant fort - "eigentlich zwei Fragen. E r s t l i c h : Wie ist Natur in m a t e r i e l l e r Bedeutung, nämlich der Anschauung nach, als der Inbegriff der Erscheinungen [...und] Z w e i t e n s : Wie ist Natur in f o r m e l l e r Bedeutung als der Inbegriff der Regeln, unter denen alle Erscheinungen stehen müssen, [...] möglich?" (Pr. § 36 AAIV S. 318) In der folgenden Untersuchung geht es um Kants Antwort auf die zweite Teilfrage. In bezug auf diese Frage vertritt Kant drei Thesen. An erster Stelle ist hier die These zu nennen, wonach die Gegenstände unserer Erfahrung eine 'notwendige Gesetzmäßigkeit' aufweisen. Wir wollen dies die Gesetzesthese nennen. Zweitens behauptet Kant, daß die allgemeinen Naturgesetze (wie z.B. das Kausalprinzip) a priori erkennbar und beweisbar sind. Wir wollen dies die Aprioritätsthese nennen. Schließlich meint Kant drittens, daß diese a priori erkennbare Gesetzmäßigkeit der Erfahrungswelt darauf zurückzuführen ist, daß die "oberste Gesetzgebung der Natur in uns selbst, d.i. in unserem Verstände liegen müsse". In Kants prägnanter Formulierung: "[D] e r V e r s t a n d s c h ö p f t s e i n e G e s e t z e (a priori) n i c h t a u s d e r N a t u r , s o n d e r n s c h r e i b t s i e d i e s e r v o r " (Pr. § 36 AA IV S. 319f.).

Wir wollen dies die Gesetzgebungsthese nennen. Diese drei Thesen stehen natürlich nicht beziehungslos nebeneinander. Denn für Kant ist es offensichtlich, daß eine Erkenntnis von allgemeinen Naturgesetzen, wenn sie denn überhaupt möglich sein soll, nur a priori möglich sein kann. Dies ergibt sich für ihn daraus, daß jede solche Gesetzesaussage Notwendigkeit "bei sich führt" (vgl. A 112f.). Solche notwendigen Wahrheiten können aber nur a priori erkannt werden. Denn "Erfahrung lehrt uns zwar, daß etwas so oder so beschaffen sei, aber nicht, daß es nicht anders sein könne. Findet sich also [...] ein Satz, der zugleich mit seiner N o t w e n d i g k e i t

Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

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gedacht wird, so ist er ein Urteil a priori" (B 3). Wenn wir also die Geltung allgemeiner Naturgesetze erkennen können, so muß es sich um eine Erkenntnis a priori handeln.1 Aber nicht nur zwischen den beiden ersten Thesen besteht für Kant ein enger Zusammenhang. Nach seiner Auffassung impliziert die Aprioritätsthese auch die Gesetzgebungsthese. Denn sollte die Gesetzgebungsthese nicht gelten, so "wußte ich nicht, wo wir die synthetischen Sätze einer solchen allgemeinen Natureinheit hernehmen sollten, weil man sie auf solchen Fall von den Gegenständen der Natur selbst entlehnen müßte. Da dieses aber nur empirisch geschehen könnte: so würde daraus keine andere, als bloß zufällige Einheit gezogen werden können, die aber bei weitem an den notwendigen Zusammenhang nicht reicht, den man meint, wenn man Natur nennt" (A 114).

Kant meint also, daß aus der Erkennbarkeit allgemein» Naturgesetze nicht nur ihre Apriorität folgt, sondern auch, daß wir selbst "die Ordnung und Regelmäßigkeit" in die Natur hineinbringen und "sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht [...] ursprünglich hineingelegt" (A 125). Nun war es bereits Kant nicht entgangen, daß diese These "wohl sehr widersinnig und befremdlich" lautet (A 114). In dieser Einschätzung hat Kant mehr Anhänger gefunden, als ihm lieb gewesen sein dürfte. Auf weit weniger Zustimmung konnte er dagegen mit seiner Behauptung rechnen, daß, "[s]o übertrieben, so widersinnig es [...] auch lautet, zu sagen: der Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur, [...] so richtig, und dem Gegenstande [...] angemessen ist gleichwohl eine solche Behauptung" (A 127). Angesichts der Zumutungen, die mit Kants Gesetzgebungsthese verbunden sind, ist es daher kein Wunder, daß gerade diejenigen, die Kants Begründung der Gesetzesthese zu verteidigen suchten, sich bemüht haben, möglichst ohne diese befremdliche Behauptung auszukommen. Ich werde mich im Folgenden dies» Tendenz anschließen und bei der Untersuchung von Kants Argumenten zugunsten der Gesetzesthese soweit wie möglich die mit der Gesetzgebungsthese verbundenen Probleme ausblenden. Denn im Zentrum der folgenden Überlegungen soll die Begründung der Gesetzesthese stehen. Daß Kant der Begründung dieser These eine wichtige Rolle im Rahmen seines Gesamtprogramms zuschreibt, kann kaum bestritten werden. In zwei zentralen Textpartien der KrV wird sie zum Gegenstand ausführlicher Erörterung: In der transzendentalen Deduktion der Kategorien thematisiert Daß wir Erkenntnis a priori von allgemeinen Naturgeietzen haben, folgt unter den oben erwähnten Voraussetzungen natürlich nur, wenn wir von diesen Geietzen Erkenntnis haben. Wenn wir lediglich wissen, daß die Natur unter (irgendwelchen) Gesetzen steht, ohne damit auch schon zu wissen, welches diese Gesetze sind, so folgt daraus allein natürlich nicht, daß wir diese Gesetze a priori erkennen können. Es folgt nur, Kategorien these Die zweite Überlegung beginnt ebenfalls mit der Prämisse von der Möglichkeit einheitlicher Vorstellungen: Einheitliche Vorstellung eines Mannigfaltigen —> begriffliche Einheit —> Objekteinheit -> notwendige, gesetzmäßige Einheit -» Gesetzesthese —> Kategorienthese Die dritte Begründung schließlich besteht aus dem zweiten Teil der zweiten Überlegung: Objekteinheit notwendige, gesetzmäßige Einheit -» (schwache) Gesetzesthese —> (schwache) Kategorienthese Ich übergehe hier die wenig aussichtsreich erscheinende Argumentation (ADjMAD,).

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Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

Während die ersten beiden Aigumente lediglich die Prämisse von der Möglichkeit einheitlicher Vorstellungen in Anspruch nehmen, muß sich die dritte Begründung auf die Möglichkeit objektiver Erfahrungserkenntnis stützen. Es handelt sich hier also nur um eine schwache Deduktion.

2.1.1.2. Absteigende Deduktionen Soviel zu den aufsteigenden Deduktionen. Wie bereits erwähnt, läßt es Kant damit nicht genug sein: Im zweiten Teil der subjektiven Deduktion sowie in der Deduktion von oben und der "Summarischen Vorstellung", mit der Kant die ADeduktion beschließt, präsentiert er auch noch einige Varianten der absteigenden Deduktion, in denen die Einheit der Apperzeption den Ausgangspunkt bildet. Diese Prämisse formuliert Kant in A 116 in folgender Weise: "Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können, bewußt" (A 116; vgl. A 113; A 129).

In knapper Form faßt er sein Argument im zweiten Teil der subjektiven Deduktion zusammen: Die "transzendentale Einheit der Apperzeption macht aber aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen. Denn diese Einheit des BewuBtseins wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch e s ^ dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet. Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d.i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen" (A 108).

Wir haben hier also die folgenden Hauptschritte: (AD]*)

Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in bezug auf alle unsere Vorstellungen bewußt. (Prämisse)

(AD2*)

Dieses Bewußtsein ist nur möglich, wenn wir uns unserer Verbindungshandlungen, durch die wir die uns gegebenen Vorstellungen synthetisieren, bewußt werden können.

(AD3*)

Dieses Bewußtsein von unseren Verbindungshandlungen besteht in dem Bewußtsein der Synthesis der gegebenen Vorstellungen nach Begriffen, d.h. nach Regeln.

50

Vgl. Aran. 47.

Übersicht über Kants Argumentation

(AD4*)

49

Aufgrund der Notwendigkeit der durchgängigen Identität unserer selbst müssen diese Regeln Regeln von notwendigen Verbindungen sein. 51

Also gilt: (AD5*)

Alle unsere Vorstellungen bilden eine notwendige Einheit nach Regeln. (Gesetzesthese)

Und mit: (AD6*)

Die "Einheit [...], die in einem Mannigfaltigen [...] angetroffen werden muß, sofern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht [...], ist nichts anderes, als die notwendige Einheit des Bewußtseins" nach Regeln (A 109)

folgt: (AD7*)

Alle meine Vorstellungen stehen in einer Beziehung auf einen Gegenstand. (Objektivitätsthese)

und mit (AD 4 ) ergibt sich aus (AD5*): (ADg*)

Alle meine Vorstellungen stehen unto- Kategorien. (Kategorienthese)

Ich verzichte an dieser Stelle darauf, die verschiedenen Varianten, die sich von diesem Argument in der Α-Deduktion finden lassen, im einzelnen aufzuführen, sondern gehe gleich zu Kants Argument in der B-Deduktion über.

2.1.2. Die B-Deduktion Die Version der zweiten Auflage hat im Vergleich zur Α-Deduktion deutlich an struktureller Durchsichtigkeit gewonnen. Der entscheidende Fortschritt gegenüber allen Versionen einer transzendentalen Deduktion in der ersten Auflage besteht aber darin, daß Kant unter Rückgriff auf die "genau bestimmte Definition eines U r t h e i l s überhaupt" (AA IV S. 475 Anm.) nun jenen bereits erwähnten, die Einfuhrung des Kategorienbegriffs betreffenden, Mangel zu beheben sucht. In der zweiten Auflage wird der für die Begründung der KaDiese These wird in der zitierten Passage nicht explizit erwähnt. Sie ergibt sich aber aus der Art, wie Kant im dritten Satz auf die "ebenso notwendige Einheit der Synthesis [...] nach Begriffen" schließt. Bs ist allerdings auch möglich, daß Kant die Notwendigluit der Regeln auf die Thesen (AD12) und (AD lt ) gründen will.

50

Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

tegorienthese fundamentale Zusammenhang zur metaphysischen Deduktion (auf dem Weg über die im § 19 herangezogene Urteilstheorie) explizit hergestellt, während in A der Übergang von der Gesetzesthese zur Kategorien these nur ganz unzureichend begründet wurde. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Text der B-Deduktion nur Anlaß zur Freude bietet. Er wirft vielmehr ein S trukturproblem eigener Art auf, das in der Literatur ebenso ausgiebig wie ergebnislos diskutiert wird. Der Text der B-Deduktion läßt sich nämlich in drei Teile zerlegen.52 Im ersten Teil (§§ 15-21) versucht Kant, ausgehend von der "Einheit der Apperzeption" (§ 16), zu zeigen, daß "[a]lle sinnlichen Anschauungen [...] unter den Kategorien" stehen (B 143). Damit scheint aber zumindest das positive Beweisziel der transzendentalen Deduktion (der Nachweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien von den Gegenständen der Erfahrung) erreicht zu sein. Umso mehr muß es verwundern, daß Kant in § 21 feststellt, daß hiermit lediglich "der Anfang einer D e d u k t i o n der reinen Verstandesbegriffe gemacht" sei (B 144) und erst dadurch daß, indem in "der Folge (§ 26) [...] ihre [sc. der Kategorien] Gültigkeit a priori in Ansehung aller Gegenstände unserer Sinne erklärt wird, die Absicht der Deduktion allererst völlig erreicht" werde (B 144f.). Nun haben wir gesehen, daß für Kant die transzendentale Deduktion ohnehin in erster Linie eine Erklärung der objektiven Gültigkeit der Kategorien geben soll. Man könnte daher die zitierte Bemerkung Kants so interpretieren, daß der 2. Teil der B-Deduktion (§ 26) eben diese Erklärungsleistung erbringen soll. Das kann aber nur die halbe Wahrheit sein. In § 26 scheint Kant nämlich gar nicht in erster Linie an der Erklärungsaufgabe interessiert zu sein; statt dessen entwickelt er ein neues Argument für die Kategorienthese - ohne seinem Leser deutlich zu machen, wie sich dieses neue Argument zu den Überlegungen des 1. Teils verhält, die - allem Anschein nach - doch bereits demselben Zweck dienen sollten. Dieser Umstand hat in der Literatur für einige Verwirrung gesagt und wird uns später noch beschäftigen. Hier wollen wir uns mit der Feststellung begnügen, daß Kant die B-Deduktion offenbar in zwei Hauptschritte gegliedert hat (§§ 15-21 einerseits und § 26 andererseits), die beide auf irgendeine Weise mit dem Beweis der Geltung der Kategorienthese zu tun haben. Das besondere Interesse der Interpreten hat der erste Teil gefunden, da hier allem Anschein nach ein klar gegliederter Beweis der objektiven Gültigkeit der Wir werden im Folgenden die §§ 15-21 als den ersten und den § 26 als den zweiten Teil der Β Deduktion bezeichnen. Die dazwischen liegenden §§ 22-25 nenne ich den Zwischenteil.

Übersicht über Kants Argumentation

51

Kategorien vorgetragen wird. Eine Interpretation, die sich an diesem Textteil orientiert wird daher als der beste Kandidat für die Standardinteipretation gelten können. Ich werde mich daher im wesentlichen auf ihn konzentrieren. Der eigentliche Beweis beginnt in § 16 und endet in § 20. Den Auftakt bildet - wie bereits erwähnt - d a s " I c h d e n k e " , das "alle meine Vorstellungen [muß] begleiten k ö n n e n [...] und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist" (B 13 lf.). Die Einheit, die alle meine Vorstellungen dadurch haben, daß sie allesamt diese "notwendige Beziehung auf das: Ich denke" haben, nennt Kant die analytische Einheit der Apperzeption.53 Der erste wichtige Beweisschritt besteht in dem Nachweis, daß "die a n a l y t i s c h e Einheit der Apperzeption [...] nur unter der Voraussetzung irgendeiner s y n t h e t i s c h e n möglich" ist (B 133). Diese synthetische Einheit besteht darin, "daß ich eine [Vorstellung] zu der anderen h i n z u s e t z e und mir der Synthesis derselben bewußt bin" (B 133). Im nächsten wichtigen Schritt (§§ 17/18) identifiziert Kant die synthetische Einheit als objektive Einheit: "Die t r a n s z e n d e n t a l e E i n h e i t der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in ein« Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird. Sie heißt darum o b j e k t i v " (B 139). Der dritte Hauptschritt (§ 19) gibt die "Erklärung" des Urteils, wonach dieses "nichts anderes sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141). Unter Ausnutzung des in der metaphysischen Deduktion erörterten Zusammenhangs zwischen Urteilsfunktionen und Kategorien, wonach letztere "nichts anderes [sind], als eben diese Funktionen zu urteilen, sofern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist" (B 143), schließt Kant (§ 20), daß "[a]lle sinnlichen Anschauungen [...] unter den Kategorien [stehen], als Bedingungen, unter denen allein das Mannigfaltige derselben in ein Bewußtsein zusammenkommen kann" (B 143). Wir wollen die wichtigsten Etappen dieses Arguments der Übersichtlichkeit halber in verkürzter Form zusammenstellen: (BD])

Alle meine Vorstellungen bilden notwendig eine analytische Einheit der Apperzeption.

^ Vgl. Β 133. Leider hat Kant es in der KrV Untertassen, genauer zu sagen, was er mit dem Terminus "analytische Einheit der Apperzeption" meint Ich gehe hier davon aus, daß damit die Eigenschaft aller meiner Vorstellungen, notwendigerweise von demselben "Ich denke"-Bewufitsein begleitet werden zu können, gemeint ist Im gegenwältigen Zusammenhang hängt nichts davon ab, ob dies genau die Bedeutung ist, die Kant im Auge halte. Zur Verwendung des Terminus bei Kant vgl. auch R 3030 (AA XVI S. 622); Metaphysik Mrongovius (AA XXIX S. 888f.).

52

Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

(BD2)

Die analytische Einheit impliziert (die Möglichkeit) eine(r) synthetischein) Einheit.

(BD3)

Die synthetische Einheit ist eine objektive Einheit.

(BD4)

Eine objektive Einheit der Vorstellungen kommt nur durch ihre Verbindung in einem Urteil zustande.

(BDj)

Sind Vorstellungen in einem Urteil verbunden, so sind sie kategorial bestimmbar.54

Also: (BD¿)

Alle meine Vorstellungen sind objektivierbar (können zu einer objektiven Einheit gebracht werden). (Objektivitätsthese)

(BD7)

Alle meine Vorstellungen sind kategorial bestimmbar. {Kategorienthese)

In dieser Skizze fehlt - ebenso wie übrigens im Text der §§ 15-21 - ein expliziter Hinweis auf die Gesetzesthese. Das ist angesichts der oben ausführlich erörterten Zielsetzung, die Kant in der transzendentalen Deduktion verfolgt, nicht verwunderlich, da es ihm primär um die Begründung der Kategorienthese geht. Daß die Gesetzesthese in der Α-Deduktion eine weitaus wichtigere Rolle spielte, ist leicht zu erklären. Denn dort wird die Gesetzesthese für die Begründung der Kategorienthese in Anspruch genommen. Demgegenüber macht die Begründung der Kategorienthese, die Kant im ersten Teil der B-Deduktion vorlegt, keinen Gebrauch von der Begründung der Gesetzesthese. Das bedeutet allerdings nicht, daß Kant in der B-Deduktion gar nicht mehr auf die Gesetzesthese zu sprechen kommt, oder sie gar zurücknimmt. Im Gegenteil: In § 26 beschreibt Kant die Aufgabe des zweiten Teils, mit dem die transzendentale Deduktion "vollendet werden" soll, in folgender Weise: "Jetzt soll die Möglichkeit, durch K a t e g o r i e n die Gegenstände, die nur immer u n s e r e n S i n n e n v o r k o m m e n m ö g e n , [...] den Gesetzen ihrer Verbindung nach, a priori zu erkennen, also der Natur gleichsam das Gesetz vorzuschreiben [...], erklärt werden. Denn ohne diese ihre Tauglichkeit würde nicht erhellen, wie alles, was unseren Sinnen nur vorkommen mag, unter den Gesetzen stehen müsse, die a priori aus dem Verstände allein entspringen" (B 159f.).

Mit dem Hinweis auf diese Stelle will ich nun nicht verschlagen, das oben erwähnte Strukturproblem der B-Deduktion dadurch zu lösen, daß dem ersten Kant scheint im § 20 sogar die stärkere These zu vertreten, wonach sich kategoriale Bestimmtheit und nicht lediglich kategoriale Bestimmbarkeit der im Urteil verbundenen Vonteilungen ergibt

Übersicht über Kants Argumentation

53

Teil die A u f g a b e z u g e w i e s e n wird, die Kategorienthese zu begründen, während im zweiten Teil die Gesetzesthese herzuleiten wäre. D a z u reicht d i e s e P a s s a g e allein sicher nicht hin. A u s ihr läßt sich a b a - e b e n s o w i e aus der folgenden Stelle - entnehmen, daß Kant an d e m e n g e n Zusammenhang z w i s c h e n Kategorienthese und Gesetzesthese auch in der zweiten A u f l a g e festhält: "Kategorien sind Begriffe, welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriffe aller Erscheinungen [...], Gesetze a priori vorschreiben" (B 163). Wir m ü s s e n a l s o auch in der B-Deduktion damit rechnen, daß Kant mit d e m B e w e i s der Kategorienthese (zumindest implizit) auch einen B e w e i s der Gesetzesthese geben will. W e i t weniger klar ist, w i e er sich diese Begründung im einzelnen vorgestellt hat. D i e s e Unklarheiten hängen e n g mit d e m bereits erwähnten, das Verhältnis der beiden Teile der B-Deduktion betreffenden Problem zusammen. D i e s e Frage kann an dieser Stelle noch nicht erörtert werden. Für unsere gegenwärtige Zielsetzung reicht die Feststellung aus, daß Kant g e m ä ß der Standardinterpretation - auch in der zweiten A u f l a g e das Vorliegen eines e n g e n Zusammenhanges z w i s c h e n Gesetzes- und Kategorienthese behaupten will: A u s der Geltung der Kategorien von gegebenen Vorstellungen soll folgen, daß diese unter (kategorialen) Gesetzen stehen: "alle Erscheinungen der Natur [müssen], ihrer Verbindung nach, unter den Kategorien stehen, von welchen die Natur [...], als dem ursprünglichen Grunde ihrer notwendigen Gesetzmäßigkeit [...], abhängt" (B 163). Wir können daher das Argument abschließen: (BDg)

Ohne Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen keine ¡categoriale B e stimmbarkeit 5 5

55

Ich habe in (BDg) die Gesetzmäßigkeit zu einer notwendigen Bedingung der kategorialen Bestimmbarkeit erklärt Eine Reihe der Formulierungen, die Kant selber in diesem Zusammenhang benutzt, lassen sich auch so verstehen, daß die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen nicht eine notwendige Vorbedingung für die Anwendbarkeit der Kategorien ist, sondern daß die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen durch Anwendung der Kategorien erst produziert wird. Die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen wäre dann eine notwendige Folge der kategorialen Bestimmt/uif - nicht eine notwendige Voraussetzung kategorialer Bestimmbarkeit. Die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten, wird letztlich von der Entscheidung der Frage abhängen, ob sich Kants Gesetzesthese unabhängig von der starken Version der GeseXzgebungstheie, wonach wir (bzw. unser Verstand) die Gesetzmäßigkeit der Natur hervorbringen, begründen läßt oder nicht Denn wenn die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen nicht bereits eine Voraussetzung der Anwendbarkeit der Kategorien ist, sondern erst durch Anwendung der Kategorien hervorgebracht wird, führt nichts an der starken Lesart der Gesetzgebungsthese vorbei. Ich gehe hier von der (BDg) entsprechenden Lesart aus, um Kants Argument nicht bereits an dieser Stelle mit all den Problemen zu belasten, die mit der Anerkennung der starken Version der Gesetzgebungsthese verbunden sind. Die im nächsten Abschnitt zu erörternden Probleme entstehen in analoger Weise, wenn man sich für die andere Option entscheidet Es hängt also im gegenwärtigen Zusammenhang nichts Entscheidendes von der getroffenen Wahl ab.

54

Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

Daraus ergibt sich dann mit (BD7): (BD9)

Alle meine Vorstellungen bilden einen gesetzmäßigen Zusammenhang. (Gesetzesthese)

Damit haben wir die für unsere Zwecke wichtigsten Elemente beisammen. In Β ergeben sie folgendes Bild: Selbstbewußtseinseinheit —» synthetische Einheit = objektive Einheit = Urteilseinheit —» kategoriale Einheit —> Gesetzmäßigkeit. Bevor wir die transzendentale Deduktion vorläufig verlassen und uns den Analogien der Erfahrung zuwenden, will ich noch einmal auf das für die Standardinterpretation der transzendentalen Deduktion entscheidende Charakteristikum hinweisen. Wichtig ist, daß sowohl die Kategarienthese wie die Gesetzesthese hier als direkte Implikationen der Einheit des Selbstbewußtseins angesehen werden. Das hat zur Folge, daß von Vorstellungen, die diesen Bedingungen nicht genügen (die also entweder nicht kategorial bestimmbar sind oder sich nicht in einen gesetzmäßigen Zusammenhang mit dem Rest meiner Vorstellungen fügen), kein Selbstbewußtsein möglich ist. Dies ist die Kemthese der Standardinterpretation der transzendentalen Deduktion, aus der sich auch ihre besondere Attraktivität für eine Widerlegung des epistemologischen Skeptikers erklärt.

2.2. Die Analogien der Erfahrung In der transzendentalen Deduktion bleibt der Zusammenhang zwischen Kategorien- und Gesetzesthese noch ganz allgemein. Um Kants Begründung der den einzelnen Kategorien zugeordneten Gesetzesaussagen vorzustellen, wenden wir uns nun dem Grundsatzkapitel zu. Wie bereits angekündigt, beschränke ich mich dabei auf die Analogien der Erfahrung. Bevor Kant sich direkt an die Beweise der drei Analogien der Erfahrung macht, stellt er zunächst das "Prinzip derselben" auf und versieht es (jedenfalls in der zweiten Auflage) mit einem "Beweis" (B 218f.). Ich will mich zunächst an diesem Beweis orientieren (2.2.1.) und dann beschreiben, wie Kant das dort skizzierte allgemeine Beweisverfahren im Fall der 2. Analogie anwendet (2.2.2.).

Obersicht über Kanu Argumentation

55

2.2.1. Das Prinzip der Analogien der Erfahrung In der Version der zweiten Auflage lautet das Prinzip: " E r f a h r u n g ist nur durch die V o r s t e l l u n g einer n o t w e n digen V e r k n ü p f u n g der W a h r n e h m u n g e n möglich"(B218).

Daß damit implizit die Geltung der Gesetzesthese als Bedingung möglicher Erfahrung behauptet werden soll, wird deutlich, wenn man die in dieser Hinsicht klarere Formulierung der ersten Auflage betrachtet. Danach lautet der "allgemeine G r u n d s a t z " der Analogien der Erfahrung: "Alle Erscheinungen stehen, ihrem Dasein nach, a priori unter Regeln der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander in einer Zeit" (A 176f.).

Nicht nur im Blick auf die Gesetzesthese ist die Formulierung in A expliziter. In ihr bringt Kant zusätzlich einen für die Beweise der Analogien entscheidenden Punkt klar zum Ausdruck: Die Analogien sind Regeln, durch die das objektive Zeitverhältnis der Erscheinungen bestimmt wird: "alle empirischen Zeitbestimmungen [müssen] unter Regeln der allgemeinen Zeitbestimmung stehen [...], und die Analogien der Erfahrung [...] müssen dergleichen Regeln sein" (A 177f7B 220; vgl. A 215/B 262).

Die Geltung sowohl der Relationskategorien wie der Analogien von Gegenständen der Erfahrung beruht also darauf, daß ohne sie die Bestimmung des "Daseins des Mannigfaltigen" der Erscheinungen, "wie es objektiv in der Zeit ist" (B 219), nicht möglich wäre. Der Beweis des Prinzips geht aus von einer Begriffsbestimmung der Erfahrung: "Erfahrung ist ein empirisches Erkenntnis, d.i. ein Erkenntnis, das durch Wahrnehmungen ein Objekt bestimmt" (B 218).

Damit ist zugleich der Beweisgrund für die Analogien näher bestimmt 56 Zunächst zieht Kant eine dreifache Folgerung: "Sie [sc. die Erfahrung] ist also [a] eine Synthesis der Wahrnehmungen, die [b] selbst nicht in der Wahrnehmung enthalten ist, sondern [c] die synthetische Einheit des Mannigfaltigen derselben in einem Bewußtsein enthält" (B 218).

(a) und (c) rekapitulieren nur, was wir aus der transzendentalen Deduktion bereits über den Zusammenhang von Objekteinheit und synthetischer Einheit erfahren haben. Man könnte geneigt sein, (b) ebenfalls lediglich als Wiederholung einer These aus der transzendentalen Deduktion anzusehen: Denn be56

Vgl. A 217/B 264; A 783ff./B 81 Iff.; Β 289; Pr. § 25.

56

Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

kanntlich vertritt Kant bereits in § 15 die These, daß "unter allen Vorstellungen die V e r b i n d u n g die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann" (B 130). Und in § 16 heißt es ebenfalls: "Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen, und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden" (B 134).

Trotzdem wäre es verfehlt anzunehmen, daß Kant diese These aus der transzendentalen Deduktion als nicht weiter zu begründende Voraussetzung seines Arguments in den Analogien einfach übernimmt. Sie wird vielmehr - wie wir gleich am Beispiel der 2. Analogie sehen werden - in den Analogie-Beweisen eigens begründet. Und das ist gut so, denn die "Begründung", die Kant für diese These in § 15 gibt, ist kaum mehr als eine trockene Versicherung. Im Rahmen von Kants Argument bildet die Begründung der Behauptung (b), wonach das Wahmehmungsbewußtsein als solches noch kein Bewußtsein einer objektiven synthetischen Einheit ist, den ersten von zwei Hauptschritten. Allerdings begründet Kant diese These nicht in der allgemeinen Form, sondern in einer auf das Problem der objektiven Zeitbestimmung bezogenen Variante: Das Wahmehmungsbewußtsein als solches ist noch kein Bewußtsein des objektiven Zeitverhältnisses der gegebenen Erscheinungen, denn das Mannigfaltige der Wahrnehmungen kommt nur "zufälligerweise zueinander" und wird in der bloßen Wahrnehmung nur vorgestellt, wie es "in der Zeit zusammengestellt wird", nicht aber "wie es objektiv in der Zeit ist" (B 219). Besonders prägnant drückt Kant diesen Sachverhalt im Beweis der 2. Analogie aus: "es bleibt durch die bloße Wahrnehmung das o b j e k t i v e [Zeit-] V e r h ä l t n i s der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt" (B 733t.).

Ich will diese These im folgenden als Unbestimmtheitsthese bezeichnen. Ihrer Begründung dient der erste Beweisschritt. Der zweite Beweisschritt besteht in dem Versuch zu zeigen, daß eine solche "Bestimmung der Existenz der Objekte in der Zeit [...] nur durch a priori verknüpfende Begriffe geschehen" kann (B 219). Diese "a priori verknüpfenden Begriffe" sind natürlich die Kategorien. Der zweite Beweisschritt besteht also in der Begründung der Kategorienthese. Im Rahmen des Beweises des "Prinzips" der Analogien kommt Kant nicht mehr explizit auf die Gesetzesthese zu sprechen. Aber aus den Beweisen der einzelnen Analogien geht klar hervor, daß er sowohl die Geltung der Kategorienthese, wie auch die der Gesetzesthese als eine notwendige Bedingung der Möglichkeit ansieht, die zunächst unbestimmten Wahmehmungsfolgen objek-

Übersicht über Kants Argumentation

57

ϋν zu bestimmen. Der Zusammenhang zwischen Kategorien- und Gesetzesthese ist für Kant so selbstverständlich, daß er etwa in der (für die zweite Auflage neu verfaßten) Beweisskizze zur 2. Analogie unmittelbar aus der Behauptung, daß die gegebenen Erscheinungen durch den "Begriff des V e r h ä l t n i s s e s d e r U r s a c h e u n d W i r k u n g " bestimmt werden müssen, schließt, daß "wir die Folge der Erscheinungen, mithin alle Veränderung d m Gesetze der Kausalität unterwerfen" müssen (B 234). Daß Kant die beiden Thesen nicht gesondert betrachtet, dürfte wohl im wesentlichen darauf zurückzuführen sein, daß er der Ansicht war, daß die Gesetzesthese auf triviale Weise aus der Kategorienthese folgt Denn wenn die Kategorien Begriffe sind, die "eine Notwendigkeit der synthetischen Einheit bei sich" führen (B 234), so scheint in der Tat aus der Geltung dieser Begriffe zu folgen, daß die Gegenstände, von denen sie gelten, in ein«1 notwendigen Verknüpfung stehen. Und was soll das anderes heißen, als daß sie unter Gesetzen stehen? Wir können also davon ausgehen, daß Kant glaubte, mit der Begründung der Kategorienthese auch schon die Geltung der Gesetzesthese bewiesen zu haben. Trotzdem ist es für unsere Zwecke sinnvoll, die beiden Thesen auseinanderzuhalten. Dies ist vor allem deshalb zweckmäßig, weil der Gebrauch, den Kant vom Begriff der Notwendigkeit macht, reichlich schillernd isL Es ist nämlich alles andere als klar, daß Kant mit dem Hinweis, daß die Kategorien Begriffe sind, die Notwendigkeit "bei sich führen', immer auch meint, daß sie Begriffe von notwendigen Beziehungen sind. An einigen Stellen scheint er einem Begriff allein aufgrund seiner Apriorität Notwendigkeit zuzuschreiben; an anderen Stellen nennt er einen Begriff "notwendig", wenn er notwendigerweise auf Gegenstände zutrifft. Und häufig scheint er von einer zur anderen Bedeutung überzugehen, ohne darin ein besonderes Problem zu sehen. Wir werden später noch mehrfach Gelegenheit haben, solche Begriffsverschiebungen zu beobachten. Hier können wir uns mit der Feststellung begnügen, daß der Schluß von der Geltung eines Begriffs, der Notwendigkeit *bei sich führt', auf die Geltung der Gesetzesthese alles andere als trivial ist, wenn mit der Prämisse entweder lediglich gemeint ist, daß Begriffe a priori objektiv gültig sind, oder daß bestimmte Begriffe notwendigerweise objektiv gültig sind. Es wird daher besser sein, die Frage nach der Begründung der Kategorienthese von der Frage nach der Begründung d a Gesetzesthese vorsichtshalber zu unterscheiden. Sollte sich später herausstellen, daß eine der Thesen eine mehr oder weniger triviale Folgerung aus der anderen ist - um so besser. Die Hauptschritte von Kants Beweisverfahren in den 'Analogien der Erfahrung' können wir nun in folgender Weise zusammenfassen:

58

Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

(AEj)

Objektive Erfahrungserkenntnis ist möglich. (Prämisse: Objektivitätsthese)

(AE2)

Objektive Erfahrungserkenntnis ist nur möglich, wenn das objektive Zeitverhältnis der gegebenen Erscheinungen bestimmt wird. (Folgerung aus der Zeitlichkeit unserer Erfahrung)

(AE3)

Aufgrund bloßer Wahrnehmung kann das objektive Zeitverhältnis nicht bestimmt werden. (Erster Hauptschritt' Begründung der Unbestimmtheitsthese)

(AE4)

Die objektive Zeitbestimmung der Erscheinungen ist nur möglich durch Anwendung der Kategorien. (Zweit«' Hauptschritt: Begründung der Kategorienthese)

bzw. alternativ zu, oder als Folgerung aus (AE 4): (AE 5 )

Die objektive Zeitbestimmung der Erscheinungen ist nur dann möglich, wenn die Erscheinungen unter (kategarialen) Gesetzen stehen. (Alternative zum zweiten Hauptschritt: Begründung der Gesetzesthese)

Daraus folgt dann: (AEg)

Diejenigen Vorstellungen, die in objektive Erfahrungserkenntnis eingehen, sind kategorial bestimmbar, (schwache Kategorienthese)

(AE 7 )

Diejenigen Vorstellungen, die in objektive Erfahrungserkenntnis eingehen, stehen unta: kategorialen Gesetzen, (schwache Gesetzesthese)

Die Folgerungen (AEg) und (AE7) sind offensichtlich schwächer als die entsprechenden Folgerungen (BD 7 ) und (BD 9 ), da hier die Geltung von Kategorien- und Gesetzesthese auf eine Teilklasse unserer Vorstellungen (nämlich diejenigen, die in objektive Erfahrungserkenntnis eingehen,) eingeschränkt ist. Dem entspricht, daß das Argument selber insofern schwächer ist, als es von einer relativ starken Prämisse (nämlich der Objektivitätsthese (AEj) 5 7 ) ausgeht Es handelt sich also hier um ein Argument des schwachen Typs. Allerdings ist ebenso klar, daß die Einschränkung in den Folgerungen (AE¿) und (AE7) sich sofort aufheben läßt, wenn wir die uneingeschränkte Objektivitätsthese (BD¿) Im Gegensatz zur starken Objektivitätsthese (BDe) folgt aus (AEj) nicht, daS alle Vorstellungen auf Objekte bezogen werden können, sondern nur, daß dies für einige unserer Vorstellungen gilt

Übersicht über Kants Argumentation

59

aus der transzendentalen Deduktion anstelle vrai (AEj) einsetzen können. Ob dies möglich ist, ist allerdings zweifelhaft Denn zum einen scheint die uneingeschränkte Objektivitätsthese aus der transzendentalen Deduktion nicht gut mit der Unbestimmtheitsthese, die für das Beweisverfahren der Analogien essentiell ist, zusammenzupassen;58 zum anderen suggeriert Kant in den Beweisen der Analogien (im Zusammenhang der Begründung der Kategorien- und Gesetzesthese), daß die kategorialen Gesetze als Kriterien dienen, um zwischen solchen Vorstellungen, die objektivierbar sind, und solchen, für die dies nicht gilt, zu unterscheiden59 Sollte sich dieser Anschein bestätigen, dann kann schwerlich die uneingeschränkte Objektivitätsthese aufrechterhalten werden. Denn wenn alle Vorstellungen objektivierbar sind, wozu brauchen wir dann Kriterien, um zwischen nicht-objektivierbaren und objektivierbaren Vorstellungen zu unterscheiden? Aus der Betrachtung von Kants Oeweis' des Prinzips der Analogien ergibt sich somit zweierlei: 1. Kant setzt in diesem Beweis die Möglichkeit objektiver Erfahrungserkenntnis voraus, so daß dieser Beweis - für sich betrachtet - nur zur Begründung einer schwachen Gesetzes- und Kategorienthese tauglich ist; 2. es ist nicht selbstverständlich, daß diese Einschränkung durch Rückgriff auf die Ergebnisse der transzendentalen Deduktion aufgehoben werden kann. Diese Ergebnisse werden sich bei da* nun abschließend darzustellenden Begründung des Kausalprinzips, die Kant in der zweiten Analogie der Erfahrung gibt, bestätigen.

2.2.2. Der Beweis der zweiten Analogie der Erfahrung Auch hi»- beschränke ich mich auf eine Skizze, um die Hauptpunkte deutlich hervortreten zu lassen. Denn auch für den Text der 2. Analogie gilt, was wir bereits für die Α-Deduktion festgestellt haben: Kant konfrontiert uns mit einer ganzen Reihe von Beweisansätzen, die nicht alle dieselbe Struktur aufweisen. Ich werde mich hier vornehmlich an dem ausführlichsten Beweis (A 191/B 236 - A 194/B 239) orientieren, aber auch auf den "Beweis", den Kant in der zweiten Auflage dem ursprünglichen Text vorangestellt hat (B 232-34), sowie die (letzerem sehr ähnliche) Zusammenfassung, die er A 201Í./B 246f. gibt, Bezug nehmen. In der 2. Analogie geht es um die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn empirische Erkenntnis objektiver Veränderungen möglich sein 38 Vgl. dazu die Diskussion in den folgenden Kapiteln. Vgl z.B. A 193/B 238.

59

60

Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Natur

soll. Kants Beweisziel besteht darin zu zeigen, daß die Geltung des Kausalprinzips zu diesen Bedingungen gehört Es handelt sich also um eine spezielle Form des allgemeinen Problems der objektiven Zeitbestimmung: eben um die Frage, ob eine Folge von Wahrnehmungen verschiedener Zustände als Wahrnehmung einer Veränderung eines Objekts aufgefaßt werden kann. Der erste Schritt besteht in der Begründung einer auf den vorliegenden Fall bezogenen Variante der Unbestimmtheitsthese: Aus dem bloßen Umstand, daß wir nacheinander qualitativ verschiedene Zustände wahrnehmen, können wir nicht folgern, daß es sich um die Wahrnehmung der Veränderung eines Objekts von dem einen zum anderen Zustand handelt. Wenn sich aber von dem Zeitverhältnis der Wahrnehmungen nicht auf das objektive Zeitverhältnis der wahrgenommenen (objektiven) Zustände schließen läßt, dann bleibt "durch die bloße Wahrnehmung das o b j e k t i v e V e r h ä l t n i s der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt" (B 234). Aus der Geltung der Unbestimmtheitsthese ergibt sich für Kant nun die Frage, aufgrund welch»* Bedingungen "ich von der Erscheinung selbst, und nicht bloß von meiner Apprehension, berechtigt sein [kann] zu sagen: daß in jener eine Folge anzutreffen sei" (A 193/B 238). Offenbar ist Kant (an dieser Stelle) der Auffassung, daß es sich hier um ein epistemologisches Problem handelt (vgl. auch A 195/B 240). Die Frage ist nicht: Welche psychologischen Faktoren sind dafür verantwortlich, daß in einigen Fällen eine gegebenen Folge von Wahrnehmungen als Wahrnehmung einer objektiven Folge interpretiert wird. Und es ist auch nicht die 'ontologische' Frage, worin eine objektive Veränderung besteht. Es handelt sich vielmehr um die Frage nach dem Grund der Berechtigung, eine Folge von Wahrnehmungen als Wahrnehmung einer objektiven Folge zu interpretieren. Es geht also um die Gründe, die uns berechtigen, zwischen bloß subjektiven Wahmehmungsfolgen und solchen, die eine objektive Veränderung vorstellen, zu unterscheiden. Es ist daher naheliegend, den nächsten Schritt von Kants Argument als den Versuch anzusehen, ein Kriterium vorzuschlagen, nach dem wir die entsprechende Unterscheidung treffen. Dieses Kriterium soll in der "Bestimmtheit" oder "Unumkehrbarkeit" der Wahrnehmungsfolge bestehen, wonach "ich die Apprehension nicht anders anstellen könne, als gerade in dieser Folge" (A 193/B 238),60 denn: "[n]ur dadurch [sc. daß ich annehme, daß die Apprehension des Mannigfaltigen nach einer Regel folgt] kann ich von der Erscheinung selbst, und nicht bloß von meiner

Diese verbreitete Auffassung von Kants Argument findet sich besonders klar bei Strawson (1966) S. 134

Übersicht über Kants Argumentation

61

Apprehension, berechtigt sein zu sagen: daß in jener eine Folge anzutreffen sei" (A 193/B 238). Und daraus schließt Kant, daß die objektive Bestimmung des Zeitverhältnisses gegebener Erscheinungen nur möglich ist, wenn "im vorhergehenden Zustande etwas vorausgesetzt wird, worauf [...der folgende Zustand] jederzeit, d.i. nach einer Regel, folgt: woraus sich denn ergibt, daB ich erstlich nicht die Reihe umkehren, und das, was geschieht, demjenigen voransetzen kann, worauf es folgt: zweitens daB, wenn der Zustand, der vorhergeht, gesetzt wird, diese bestimmte Begebenheit unausbleiblich und notwendig folge" (A 198/B 243f.). Damit ist Kants Ziel erreicht: Das Vorliegen einer objektiven Veränderung kann nur erkannt werden, wenn vorausgesetzt wird, daß "alle Veränderungen [...] nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung" geschehen (B 232). Wir können also Kants Argument folgendermaßen zusammenfassen: (ZA t )

Empirische Erkenntnis objektiver Veränderungen ist möglich. (Prämisse)

(ZA2)

Auf der Grundlage ein«1 gegebenen Folge von Wahrnehmungen allein sind wir noch nicht berechtigt, auf das Vorliegen einer objektiven Veränderung zu schließen. (Unbestimmtheitsthese)

(ZA 3 )

Das einzige Kriterium, das uns berechtigt, eine Wahrnehmungsfolge als Wahrnehmung einer objektiven Veränderung zu interpretieren, besteht in der Unumkehrbarkeit der wahrgenommenen Zustände. (Kriterium)

(ZA4)

Die Anwendbarkeit des in (ZA 3 ) erwähnten Kriteriums setzt voraus, daß objektive Veränderungen unter dem Kausalprinzip stehen.

Dies ist · wie gesagt - nur eine von einer Reihe verschiedener Lesarten von Kants Argument. Nicht alle Interpreten sehen in der Unumkehrbarkeit unserer Wahrnehmungsfolgen ein Kriterium. Aber die meisten Interpreten gehen doch davon aus, daß Kants Argument zwei Implikationen hat, die sich auch aus dem oben skizzierten Argument ergeben: (ZA5)

Es gibt ein bloß subjektives Wahrnehmungsbewußtsein.

(ZA¿)

Vorstellungen, die objektive Veränderungen repräsentieren, unterscheiden sich dadurch von anderen Verstellungen, daß sie unter Kausalgesetzen stehen.

(ZA5) ergibt sich aus (ZA2). Denn wenn es gar kein subjektives Wahrnehmungsbewußtsein gäbe, entstünde das epistemologische Problem, wie festzu-

62

Die Frage nach der Gesetzmißigkeil der Natur

stellen ist, ob es sich bei einer gegebenen Wahrnehmungsfolge um die Wahrnehmung ein«- objektiven Veränderungen handelt, erst gar nicht. (ZA¿) folgt aus (ZA3) und (ZA4) (und der unproblematisch erscheinenden Zusatzannahme, daß aus der kausalen Abhängigkeit auch die Unumkehrbarkeit folgt). Ich gehe im folgenden davon aus, daß es für die Standardinterpretation der 2. Analogie charakteristisch ist, daß (ZA5) und (ZA¿) entweder direkt in den Beweis des Kausalprinzips eingehen oder sich aus den im Beweis in Anspruch genommenen Behauptungen «geben. Damit können wir unsere Übersicht über Kants Argumente abschließen. Es sollen nun die wichtigsten Probleme dargestellt werden, die mit ihnen verbunden sind.

2. Kapitel Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese Die Darstellung, die wir soeben von den wichtigsten unsere Hauptfrage betreffenden Argumenten der transzendentalen Analytik gegeben haben, beschränkt sich auf die zentralen Beweisschritte. Es fehlt noch viel, um aus diesem Argumentationsgerüst ein einigermaßen plausibles Argument zu machen; sie reicht aber bereits aus, um einige zentrale Schwierigkeiten zu benennen, die behoben werden müssen, wenn überhaupt Aussicht bestehen soll, aus den gegebenen Materialien ein überzeugendes Argument zu entwickeln. Ich beginne mit einer Darstellung von fünf Problemen, die sich für Kants Beweisprogramm stellen (1.). Danach werden einige Reaktionen auf die damit gegebenen Problemlage vorgestellt (2.).

1. Schwierigkeiten mit der Standardinterpretation Ich beginne mit dem Problem der subjektiven Vorstellungen (1.1.). Dieses Problem ergibt sich daraus, daß Kant bei seinem Versuch, in der transzendentalen Deduktion die Objektivität unserer Vorstellungen zu begründen, über sein Ziel hinauszuschießen scheint, da aus seiner Argumentation zu folgen scheint, daß subjektives Bewußtsein unmöglich ist. Daran anschließend (1.2.) soll das Problem der Wahrnehmungsurteile vorgestellt werden, das sich daraus ergibt, daß Kant in den Prolegomena' mit den Wahmehmungsurteilen eine Klasse von Urteilen einführt, die es nach der Urteilstheorie, die er in der transzendentalen Deduktion (§ 19) voraussetzt, gar nicht geben dürfte. Das Problem des Verhältnisses von Urteilsformen und Kategorien (1.3.) beruht darauf, daß Kant für sein Argument in der transzendentalen Deduktion (in B) von einem sehr viel engeren Zusammenhang zwischen Kategorien und Urteilsfunktionen Gebrauch macht, als sowohl der Sache nach, wie auch nach Kants eigener Erklärung des Kategorienbegriffs vertretbar ist. An vierter Stelle folgt das Anschlußproblem (1.4.). Unter dieser Bezeichnung werden einige der Spannungen zur Sprache kommen, die zwischen Kants Argumentation in der transzendentalen Deduktion einerseits und dem Grundsatzkapitel andererseits bestehen. Den Abschluß

64

Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

unserer Problemfolge bildet das bereits erwähnte Beweisstrukturproblem der IiDeduktion (1.5.).

1.1. Das Problem der subjektiven Vorstellungen "Hatte denn der Philosoph von Königsberg keine Träume?" lautet der Titel eines 1975 erschienen Aufsatzes von L. W. Beck.1 Dies ist keine Frage, sondern ein Einwand, den C. I. Lewis gegen Kants Kategorienlehre vorgebracht hat.2 Lewis glaubte, daß Kants Kategoriendeduktion die absurde Konsequenz hat, daß Traumbewußtsein unmöglich ist. Der Verdacht, Kant schließe mit seiner transzendentalen Deduktion die Möglichkeit von (bewußten) Träumen aus, beruht auf ein» einfachen Überlegung. Nach "dem Grundsatze von der Einheit der Apperzeption [...] müssen durchaus alle Erscheinungen so ins Gemüt kommen, oder apprehendiert werden, daß sie zur Einheit der Apperzeption zusammenstimmen, welches, ohne synthetische Einheit in ihrer Verknüpfung, die mithin auch objektiv notwendig ist, unmöglich sein würde" (A 122). Wenn aber nichts "apprehendiert", d.h. ins Bewußtsein aufgenommen werden kann, dine dadurch zu ein» synthetischen Einheit verknüpft zu werden, diese aber ihrerseits (nach (BD3))3 eine objektive Einheit ist, dann sind alle Vorstellungen, sofern ich mir ihr» bewußt bin, objektiv.4 Aber bedeutet das nicht, daß ein Bewußtsein von Vorstellungen, die wie z.B. Träume - keine objektive Gültigkeit haben, unmöglich ist? Das Problem, das Lewis anspricht, »gibt sich also aus d » uneingeschränkten Objektivitätsthese: (S])

Alle Vorstellungen sind, sofern sie ins (Selbst)Bewußtsein aufgenommen werden, objektive Vorstellungen.

Daraus folgt bereits: (S2) 1 2 3 4

Es gibt kein (Selbst)Bewußtsein von subjektiven Vorstellungen.

Beck (1978) S. 38-60. Lewis (1929) S. 220ff. Vgl. oben S. 52. Statt von Vorstellungen zu sagen, sie seien objektiv, spricht Kant in den hier einschlägigen Texten meist davon, daB diese Vorstellungen zu einer objektiven Einheit verbunden sind. Das kann man natürlich nur in bezug auf mehrere Vorstellungen sagen. Ich ziehe daher an dieser Stelle eine Formulierung vor, die auch auf einzelne Vorstellungen beziehbar ist Wenn man die beiden Formulierungen in einen direkten Zusammenhang bringen will, kann mai sagen, daß eine Vorstellung genau dann objektiv ist, wenn es mindestens eine weitere Vorstellung gibt, mit der sie in einer objektiven Einheit steht.

Schwierigkeiten mit der Standardinteipreution

65

Unter der Zusatzannahme: (53)

Träume und Einbildungen sind subjektive Vorstellungen.

folgt: (54)

Es gibt kein (Selbst)Bewußtsein von Träumen und Einbildungen.

Dasselbe Problem läßt sich auch von einer anderen Seite beleuchten. Nach Kants Auffassung besteht die Rolle der Kategorien darin, gegebene Vorstellungen auf ein Objekt zu beziehen (A 80/B 106; A 111; vgl. auch Pr. § 18f.). Wenn aber "alles, was unseren Sinnen nur vorkommen mag" (B 160), unter Kategorien steht, wie ist dann ein bloß subjektives Bewußtsein, wie wir es z.B. im Traum erfahren, möglich? Diese Version des Problems können wir folgendermaßen skizzieren: (55)

Alle uns gegebenen Vorstellungen stehen unter Kategorien.

(Sg)

Vorstellungen, die unter Kategorien stehen, sind objektive Vorstellungen;

woraus nicht nur (S2) folgt, sondern sogar (S7)

Es gibt keine subjektiven Vorstellungen.

Man kann versuchen, dieser unangenehmen Konsequenz mit dem Hinweis darauf zu entrinnen, daß in diesen Überlegungen eine stärkere Prämisse in Anspruch genommen wird, als Kant wirklich veitritt: In § 16 der B-Deduktion sagt Kant ja nicht, daß es gar kein Bewußtsein geben kann, das nicht auch schon synthetische und damit objektive Einheit aufweist; Kant behauptet dort nur, daß es möglich sein muß, alle Vorstellungen zur Einheit des Selbstbewußtseins zu bringen. Diese Einheit des Selbstbewußtseins soll zwar eine objektive Einheit sein; aber daraus folgt nicht, daß es gar keine Vorstellungen geben kann, die nicht auch schon zur Einheit der Apperzeption gebracht sind. Es folgt nur, daß jede Vorstellung zu einer objektiven Einheit gebracht werden kann. Damit ist subjektives Bewußtsein aber nicht ausgeschlossen: unsere Vorstellungen müssen nur objektiviert, nicht aber auch immer schon objektiv sein. Man kann noch einen Schritt weiter gehen. Denn zur Begründung seiner These, daß alle unsere Vorstellungen notwendigerweise zur Einheit der Apperzeption gebracht werden können, beruft sich Kant darauf, daß sie uns andernfalls "gar nichts angingen" (A 119) oder "wenigstens für mich nichts" wären (B 132). Was aber für mich nichts ist, muß deshalb nicht auch nicht existieren5 Vgl. A 111 wo Kant von unserer 'Erkenntnis' (im weiteren Sinn) behauptet, daß sie ohne die Beziehung auf die transzendentale Einheit der Apperzeption "zwar gedankenlose Anschauung, aber niemals Eikeimtnis [im engeren Sinne], also für uns soviel als gar nichts sein" würde.

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

- und es gibt bekanntlich vieles, was mich nichts angeht Zwar geht Kant manchmal so weit, daraus, daß eine Vorstellung "für uns nichts sei", zu schliessen, daß sie auch "überall nichts" sei, da eine Vorstellung "an sich selbst keine objektive Realitât hat und nur im Erkenntnisse existiert" (A 120; vgl. A 117 Anm. und A 127), aber das ist ein ebenso schlechtes Argument6 wie ein anderes, das Kant zum selben Zweck anführt: Danach folgt bereits aus dem Vorstellungsbegriff, daß jede Vorstellung etwas vorstellt7 Da Vorstellungen aber "in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allen8 anderen zu einem Bewußtsein gehören, mithin darin wenigstens müssen verknüpft weiden können" (A 116), muß jede Vorstellung zur objektiven Einheit des Selbstbewußtseins gebracht werden können. Diese beiden Argumente erschleichen ihre Konklusion dadurch, daß sie einen unangemessen starken Vorstellungsbegriff voraussetzen. Es ist daher gut daß Kant sich meist mit der schwächer«! Behauptung begnügt wonach Vorstellungen, die nicht zur Einheit der Apperzeption gebracht werden können, "entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein" würden (B 132). In einem Brief an M. Herz räumt Kant die Möglichkeit von Vorstellungen, die nicht zur Einheit der Apperzeption gebracht werden können, ausdrücklich ein. Von solchen Vorstellungen würde ich "nicht einmal wissen können, daß ich sie habe, folglich würden sie für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts seyn, wobey sie (wenn ich mich in Gedanken zum Thier mache) als Vorstellungen, die nach einem empirischen Gesetze der Association verbunden wären und so auch auf Gefühl und Begehrungsvermögen Einflus haben würden, in mir, meines Daseyns unbewuBt, (gesetzt daB ich auch jeder einzelnen Vorstellung bewußt wäre, aber nicht der Beziehung derselben auf die Einheit der Vorstellung ihres Obiects, vermittels der synthetischen Einheit der Apperception,) immer hin ihr Spiel regelmäßig treiben können, ohne daß ich dadurch im mindesten etwas, auch nicht einmal diesai meinen Zustand, erkennete." (Brief an M. Herz vom 26.5.1789. AA XIS. 52)

Man muß also nicht behaupten, daß alle Vorstellungen, die ich habe, objektivierbar sein müssen. Von solchen nicht-objektivierbaren Vorstellungen könnte ich nur als erkennendes Wesen keinen Gebrauch machen. Sie wären sozusagen epistemisch irrelevant. In der in Klammern hinzugefügten Variation zu unEntweder soll die Behauptung, daB Vorstellungen "nur im Erkenntnisse" existieren, besagen, daß sie nur insofern existieren, als wir Bewußtsein von ihnen haben oder sie soll nur zum Ausdruck bringen, daß Vorstellungen nicht möglich sind ohne ein vorstellendes Subjekt (Vgl. A 127). Im ersten Fall handelte es sich bei Kants 'Argument' um eine petitio principi i; im zweiten Fall um ein non-sequitur. Denn daraus, daß alle Vorstellungen Vorstellungen eines Subjekts sind, folgt nicht ohne weiteres, daß dieses auch (Selbst)Bewußtsein von ihnen haben können muß. "Alle Vorstellungen haben, als Vorstellungen, ihren Gegenstand" (A 108). Im Text steht "allem". Ich übernehme den Korrekturvorschlag von Erdmann.

Schwieligkeiten mit der StandardinteipreUtion

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serem Thema scheint Kant sogar die Möglichkeit zulassen zu wollen, daß solche nicht objektivierbaren Vorstellungen einzeln bewußt sein können. Kants Äußerungen zur möglichen Existenz subjektiver Vorstellung«! schwanken also zwischen den folgenden Möglichkeiten: (1) Vorstellungen, von denen kein Selbstbewußtsein möglich ist, kann es nicht geben. (2) Vorstellungen, von denen kein Selbstbewußtsein möglich ist, müssen prinzipiell unbewußte Vorstellungen sein. (3) Vorstellungen, von denen kein Selbstbewußtsein möglich ist, können nur als einzelne - nie aber in Verbindung mit anderen - bewußt werden. (4) Vorstellungen, von denen kein Selbstbewußtsein möglich ist, sind epistemisch irrelevant Bei all diesen Unklarheiten ist doch immerhin klar, daß Kant jedenfalls die These vertreten will, daß Vorstellungen, von denen Selbstbewußtsein möglich ist, auch objektivierbar sein müssen. Zwar bleibt auch hier ein Interpretationsspielraum, da Kant die Selbstbewußtseinsbedingungen verschieden staile formuliert Von einer Vorstellung Selbstbewußtsein zu haben, kann bedeuten, (unmittelbar) zu wissen, daß man diese V o r s t e l l u n g hat.9 Selbstbewußtsein besteht dann in der Selbstzuschreibung von Vorstellungen. Aber Kant verwendet auch einen anspruchsvolleren Begriff von Selbstbewußtsein, wonach dieses in dem Bewußtsein "der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung all«- Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können" (A 116), besteht. Wir werden später (4. Kap.) sehen, daß für Kant zwischen diesen beiden Behauptungen ein enger Zusammenhang besteht. Das sollte aber nicht dazu verführen zu übersehen, daß es sich um verschiedene Behauptungen handelt Ich will im folgenden - soweit eine entsprechende Differenzierung erforderlich ist - im ersten Fall von Selbstbewußtsein als Selbstzuschreibung, im zweiten Fall von Selbstbewußtsein als Identitätsbewußtsein sprechen. Aufgrund der oben zitierten Passage aus Kants Brief an M. Herz sollte man zumindest mit Es muß sich um ein unmittelbares Wissen von der Vorstellung handeln, um auszuschließen, daß z.B. auch solches Wissen von meinen Vorstellungen als Sdbstzuschieibungsbewußtsein gilt, das ich auf der Basis von Beobachtungen oder Erinnerungen anderer, oder aufgrund der Beobachtung meines Verhaltens, gewonnen habe. Unmittelbare Selbstzuschreibung soil allerdings nicht auf das Bewußtsein von gegenwältigen Vorstellungen eingeschränkt werden. Auch Erinnerungsbewußtsein kann unmittelbar sein. Wichtig ist, daß ich dabei auf meine Vorstellungen "aus der Innenperspektive" Bezug nehme.

68

Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

der Möglichkeit rechnen, daß Selbstbewußtsein im Sinne von distributivo'10 Selbstzuschreibung auch von nicht-objektivierbaren Vorstellungen möglich ist Denn wenn sich zeigen sollte, daß wir unter den oben erwähnten Alternativen die dritte wählen müssen, wonach die Möglichkeit distributiven Bewußtseins mit der Unmöglichkeit von Selbstbewußtsein vereinbar ist, dann liegt es nahe, hier Selbstbewußtsein im Sinn von Identitätsbewußtsein aufzufassen und nicht im Sinn von Selbstzuschreibung. Denn wenn es möglich sein soll, von ein» einzelnen Vorstellung Bewußtsein zu haben, wieso sollte es dann unmöglich sein, von ihr als einzelner Sdfcfbewußtsein zu haben? Dagegen ist klar, daß Selbstbewußtsein als Identitätsbewußtsein nicht möglich ist, solange wir von den einzelnen Vorstellungen nur distributives Bewußtsein haben. Für das Problem der subjektiven Vorstellungen ist es sicherlich nicht unwichtig, welche der hier präsentierten Alternativen man wählt. Wir haben gesehen, daß uns Kants Argumentation nicht zwingt, von allen unseren Vorstellungen zu behaupten, daß sie immer schon objektiv sind. Wir haben weiterhin gesehen, daß Kant nicht einmal eindeutig die These vertritt, daß alle unsere Vorstellungen objektivieròar sein müssen. Differenzierungen dieser Art mögen geeignet sein, das Problem der subjektiven Vorstellungen zu entschärfen; aber sie reichen sicherlich nicht aus, um das Problem vollständig zu beseitigen. Denn selbst wenn wir die schwächstmögliche Lesart wählen, folgt immer noch, daß wir von nicht-objektivierbaren Vorstellungen kein Selbstbewußtsein haben können.11 Die Behauptung aber, daß wir von Träumen und Einbildungen kein Selbstbewußtsein haben können, ist zwar weniger absurd als die, daß es gar keine Träume und Einbildungen geben kann - aber sie ist genauso falsch. Solange wir davon ausgehen müssen, daß Träume und Einbildungen nicht-objektivieibare Vorstellungen sind, hilft

11

(Selbst)bewußtsein ist distributiv, wenn es sich auf eine einzelne Vorstellung isoliert richtet. Ich kann von verschiedenen Vorstellungen (SelbeObewußtsein haben, ohne jemals von ihrer Gesamtheit (Selbst)bewußtsein zu haben. Zur Terminologie vgL R 3030: I c h verbinde [...] A mit dem Bewußtseyn. Dann Β [...]. Drittens die Einheit beyderley distributiven Bewußtseyns in ein collectives, d.i. in den Begrif eines Dinges." (AA XVIS. 623) Es ist zudem zu beachten, daß für Kant der Zusammenhang zwischen Selbstbewußtsein und Objektivierbarkeit nicht schon dadurch hinreichend charakterisiert ist, daß das eine nicht ohne das andere möglich ist. Für Kant besteht hier nämlich ein engerer Zusammenhang: Vorstellungen werden zur Einheit der Apperzeption gebracht, indem sie zu einer objektiven Einheit verbunden werden. Das bedeutet aber, daß nicht nur gilt: (A) Alle Vorstellungen, von denen Selbstbewußtsein möglich ist, sind auch objektivierter. Es gilt auch: (B) Alle Vorstellungen, von denen ich Selbstbewußtsein habe, sind objektiv. Daß Kant (B) und nicht bloß (A) behauptet ergibt sich z.B. aus § 18 der B-Deduktion, wonach die transzendentale Einheit der Apperzeption eine objektive Einheit ist. Vgl. auch A 108: "Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen,!·..] die [...] ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen''; vgl. auch A 105 und Β 138.

Schwierigkeiten mit der Standaidinteipretation

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uns eine der soeben diskutierten abgeschwächten Versionen von Kants Behauptungen auch nicht weiter. Will man das Problem der subjektiven Vorstellungen lösen, so muß ein Begriff von Objektivität gefunden werden, der einerseits geeignet ist, den von Kant intendierten Zusammenhang zwischen Selbstbewußtsein und Objektivität zum Ausdruck zu bringen, ohne andererseits Träume und Einbildungen auszu schließen.12 Lewis hatte in sein«- Kritik unterstellt, daß für Kant die Trennungslinie zwischen objektiven und subjektiven Vorstellungen der Unterscheidung zwischen Realität und Schein entspricht. Objektiv sind dann solche Vorstellungen, die wirklich existierende Objekte repräsentieren, während den subjektiven Vorstellungen nichts Wirkliches korrespondiert Dadurch waren Träume und Einbildungen auf die subjektive Seite gerutscht Es ist aber keineswegs klar, daß Kant diese Bedeutung von "objektiv" im Auge hat, wenn er die Einheit der Apperzeption als objektive Einheit charakterisiert 13 Folglich ist auch nicht klar, daß die Möglichkeit von Träumen und Einbildungen ausgeschlossen ist - selbst wenn wir Kant die uneingeschränkte Objektivitätsthese (BD5) zuschreiben. Andererseits ist aber auch nicht recht klar, welche andere Bedeutung von "objektiv" Kant bei seiner These (BD¿) im Sinn hatte. Wir wollen uns daher im folgenden Abschnitt eine Übersicht über die verschiedenen in Frage kommenden Bedeutungen verschaffen.

1.1.1. Die vielfältige Bedeutung von "objektiv" Was Aristoteles bereits vom Begriff des Seins feststellte, gilt in noch höherem Maße von dem Begriffspaar "subjektiv/objektiv": Es wird in vielerlei Bedeutung ausgesagt Einen besonders markanten Beleg für die Uneinheitlichkeit mit der diese Termini in der Geschichte der Philosophie verwendet wurden,

13

Bs muß natürlich nicht nur von Träumen und Einbildungen gezeigt werden, daß sie mit der Objektiviert»riceitsthese, die Kant in der transzendentalen Deduktion aufstellt, vereinbar sind. Dies muß von allen subjektiven Vorstellungen, von denen Sclbstbewußtsrin möglich ist, gezeigt werden. Denn auch, wenn sich zeigen ließe, daB Kants These über den Zusammenhang zwischen Selbstbewußtsein und Objektivität die Möglichkeit, von Träumen und Einbildungen (Selbst)bewußtsein zu haben, nicht ausschließt, kennte das Problem doch in bezug auf andere Klassen subjektiver Vorstellungen bestehen bleiben. Hier ist in enter Linie an die Vorstellungen der Lust und Unlust zu denken, die nach Kants Meinung in noch höherem Maße subjektiv sind als Träume und Einbildungen. Eine Stelle aus der Α-Deduktion kann sogar als Beleg des Gegenteils herangezogen werden. Doit behauptet Kant nämlich, daß unsere Wahrnehmungen ohne die Einheit des Bewußueins "zu keiner Erfahrung gehören, folglich ohne Objekt, und nichts als ein blinde· Spiel der Vorstellungen, d.i. weniger, als ein Traum sein" würden (A 112).

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Die Problematik von Kanu Begründung der Gesetzesthese

liefert die bekannte Tatsache, daß sich die Bedeutung des Ausdrucks "objektive Realität" von Descartes zu Kant nahezu in ihr Gegenteil verwandelt hat. Aber auch bei Kant selber dient der Gegensatz "subjektiv/objektiv" zur Bezeichnung ganz unterschiedlicher Differenzierungen. Zunächst einmal ist festzustellen, daß diese beiden Charakterisierungen auf ganz Verschiedenartiges bezogen weiden können. In den für unsere Fragestellung einschlägigen Texten verwendet Kant dieses Begriffspaar vor allem, um zwei verschiedene Sorten von VorsXzMxmgsverbindungen (od» Einheiten von Vorstellungsverbindungen) voneinander zu unterscheiden.14 Aber er verwendet es auch zur Unterscheidung verschiedener Arten von Vorstellungen. Ich orientiere mich an einer Verwendungsweise des ersten Typs, da sie im Kontext von Kants Diskussion der Objektivitätsthese in der B-Deduktion eine wichtige Rolle spielt. Nachdem Kant in § 18 die synthetische Einheit der Apperzeption als eine objektive Einheit bestimmt hat, identifiziert er diese im folgenden Paragraphen mit der Einheit verschiedener Vorstellungen in einem Urteil. Es ist daher zum Zwecke der Verständigung über den in (BDg) eingehenden Objektivitätsbegriff naheliegend, von der Frage auszugehen, in welchem Sinn von einem Urteil gesagt werden kann, daß es objektiv ist. Wenn Urteile als objektiv bezeichnet werden, so soll damit meist nichts anderes zum Ausdruck gebracht werden, als daß sie sachangemessen sind. Und das bedeutet bei gewöhnlichen apophantischen Urteilen nichts anderes, als daß sie wahr sind.15 Wir können bei Bewertungen zwischen subjektiven und objektiven Sätzen unterscheiden. In subjektiven Wertungen drücken sich dann die Präferenzen des bewertenden Subjekts aus. Wenn wir also von subjektiven Bewertungen reden, so meinen wir damit gewöhnlich, daß dasjenige, worüber geurteilt wird, gut (wertvoll) für ein bestimmtes Subjekt ist Wir können dann auch sagen, daß die Bewertung richtig für ein Subjekt ist, für ein anderes dagegen nicht. Es ist aber ebenso klar, daß es keinen Sinn macht, in analoger Weise von einem subjektiven Urteil zu reden: Das liegt daran, daß Wahrheit keine subjekt-relative Angelegenheit ist. Wenn wir von einem Urteil sagen, es sei bloß subjektiv, so meinen wir damit folglich auch nicht, daß es nur für den Ur14 15

Vgl. z.B. die §§ 18 und 19 der B-Deduktion. Ich verwende hier den etwas aus der Mode gekommenen Ausdruck "apophantisch", um Urteile, die wahr oder falsch sein können, von solchen Urteilen, die lediglich richtig oder unrichtig sein können, (wie Wert- oder Geschmacksurteile (sofern sie z.B. als blofie Expressionen aufgefalk werden)) zu unterscheiden. Die neuerdings häufig verwendete Charakterisierung "assertorisch" ist ungeeignet, da Kant diesen Ausdruck bekanntlich in einer spezifischeren Bedeutung verwendet. Im folgenden soll unter einem Urteil immer ein apophantisches Urteil verstanden werden.

Schwierigkeiten mit der Standardinterpretation

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teilenden wahr ist, nicht aber für andere; so wie etwas für mich gut sein kann, was für andere schlecht ist. Wir meinen damit entweder, daß das Urteil aufgrund von Vorurteilen oder Wunschdenken zustandegekommen ist, oder schlicht, daß es falsch ist. Wenn Kant aber in § 19 erklärt, das Urteil sei ein "Verhältnis, das o b j e k t i v g ü l t i g ist", so kann er damit schwerlich objektive Gültigkeit im Sinn von Wahrheit gemeint haben. Denn dann wäre jedes Urteil per definitionem wahr, was absurd ist. Wenn er das Urteil als ein Verhältnis, das objektiv gültig ist, bestimmt und es dadurch "von dem Verhältnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjektive Gültigkeit wäre, z.B. nach Gesetzen der Assoziation", unterscheiden will, so liegt es nahe, dies so zu verstehen, daß mit einem Urteil ein Anspruch auf Wahrheit erhoben wird. Ein Urteil kann geradezu als eine solche Veibindung von Vorstellungen definiert werden, mit der ein Wahrheitsanspruch erhoben wird. Kant wirft den "Logikern" seiner Zeit ja vor, daß sie ein Urteil bloß als "die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen" bestimmt haben, ohne angegeben zu haben, "worin dieses V e r h ä l t n i s bestehe" (B 140f). Das Mangelhafte dieser unvollständigen 'Definition' des Urteils erweist sich schon allein daran, daß nicht jede Verbindung von Vorstellungen ein Urteil ist. Auch ein komplexer Begriff ist eine Verbindung von Vorstellungen (nämlich von einfacheren Begriffen). Aber einen komplexen Begriff zu denken, heißt noch nicht, einen Anspruch auf Wahrheit zu erheben. Berücksichtigt man also den mit einem Urteil verbundenen Wahrheitsanspruch, so läßt sich der erwähnte Mangel beheben. Dasselbe gilt für eine zweite Klasse von Vorstellungsverbindungen, die ebenso wie die komplexen Begriffe keine Urteile sind: Vorstellungen, die "nach Gesetzen der Assoziation" zusammenhängen (B 142).16 Auch hier kann von einem Anspruch auf Wahrheit keine Rede sein. Daß Kant selbst den Begriff der objektiven Gültigkeit durch Kontrastierung mit solchen "subjektiven" Verbindungen erläutert, bestätigt die Ver^

Im $ 19 verweist Kant lediglich auf den Gegensatz zwischen bloB "nach Gesetzen der Assoziation" verbundenen Vorstellungen, "worin bloß subjektive Gültigkeit wire" (Β 142), auf der einen Seite, und der objektiv gültigen Urteilseinheit auf der anderen Seile. Auf den Unterschied zwischen komplexen Begriffen und Urteilen kommt Kant aber an anderen Stellen zu sprechen. Für unseren Kontext ist vor allem eine Bemerkung in Kants Brief an J. S. Beck vom 2. Juli 1792 einschlägig: "Der Unterschied zwischen der Veibindung der Vorstellungen in einem Begrif und der in einem Uitheil z.B. der schwarze Mensch und der Mensch i s t schwarz [...] liegt meiner Meynung nach darinn, [...] daB in dem z u s a m m e n g e s e t z t e n Begrif die Einheit des BewuBtseyns, als s u b j e c t i v gegeben, in der Z u s a m m e n s e t z u n g der Begriffe aber [also im Uiteil] die Einheit des BewuBtseyns, als o b j e c t i v gemacht, d i im ersteren der Mensch Mos als schwarz g e d a c h t (problematisch vorgestellt) im zweyten als ein solcher e r k a n n t werden sedie." (AA XI S. 347). Es sei aber bereits hier darauf hingewiesen, daB der letzte Satz von § 19 nicht besonders gut zu der Interpretation von "objektiver Einheit" im Sinnes des Geltungsanspruchs paßt

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthefe

mutung, daß er mit der Kennzeichnung "objektive Einheit" den Geltungsanspruch des Urteils charakterisieren will. Natürlich ist es eines, einen Wahrheitsanspruch zu erheben; ein anderes, diesem Anspruch zu genügen. Wir haben damit also bereits zwei klar voneinander verschiedene Bedeutungen von objektiver Gültigkeit: Ein Urteil hat im »sten Sinn objektive Gültigkeit, wenn es wählst; es hat objektive Gültigkeit im zweiten Sinn, wenn mit ihm ein Wahrheitsanspruch verbunden ist. Kants Urteilsdefinition im § 19 da* B-Deduktion wäre um einiges klarer ausgefallen, wenn er - statt sich des mehrdeutigen Ausdrucks 'objektive Einheit' zu bedienen - das Urteil als ein Verhältnis von Vorstellungen, mit dem ein Anspruch auf objektive Gültigkeit erhoben wird, definiert hätte. Damit haben wir die Bedeutungsvielfalt des Objektivitätsbegriffs aber noch lange nicht vollständig dargestellt. Kant verwendet diesen Begriff nicht allein, um den Geltungsanspruch eines Urteils zu charakterisieren; er dient auch dazu, eine den Inhalt des Urteils betreffende Unterscheidung zu bezeichnen. Ein Urteil ist dann objektiv gültig, wenn es ein Urteil über Objekte ist und nicht nur über meine Vorstellungen. So charakterisiert Kant die objektive Einheit in § 18 der B-Deduktion als "diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird. Sie heißt darum o b j e k t i v " (B 139). Diese Stelle legt eine Deutung von "objektiver Einheit" nahe, die zwar stärker ist als die soeben vorgestellte (den Geltungsanspruch des Urteils betreffende) Lesart, aber gleichwohl noch schwach genug, um Traumbewußtsein zuzulassen. Wenn wir Vorstellungen im Begriff von einem Objekt vereinigen, so denken wir uns diese verschiedenen Vorstellungen als "Bestimmungen" oder Eigenschaften eines Objekts. Wenn ich - um Kants Beispiel aus dem § 19 zu benutzen - einen Körper trage und dabei "einen Druck der Schwere" fühle, und sage: "er, der Körper, ist schwer", so soll dies besagen: "diese beiden Vorstellungen sind im Objekt [...] und nicht bloß in der Wahrnehmung [...] beisammen" (B 142). Ich sage nicht nur, daß ich diese und jene Qualität wahrnehme; sondern ich beziehe verschiedene Wahrnehmungsqualitäten als Eigenschaften auf ein Objekt. Würde ich stattdessen nur sagen: "Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere; aber n i c h t : er, der Körper, ist schwer" (B 142), so beschriebe ich lediglich das Auftreten verschiedener Wahrnehmungen, ohne dem Gegenstand der einen Wahrnehmung auf der Grundlage der anderen Wahrnehmung ein Prädikat zuzuschreiben. Wenn wir von einem Urteil sagen, es sei objektiv, und damit meinen, daß in ihm verschiedene Vorstellungen als Eigenschaften eines Objektes gedacht werden, so haben wir es also mit einer (prima facie) stärkeren als der soeben vorgestellten Lesart

Schwierigkeiten mit der Standudinteipreution

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zu tun: (BDg) besagt dann nämlich nicht nur, daß ich alle meine Vorstellungen in einem Urteil, mit dem ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, verbinden können muß; es wird vielmehr darüber hinaus gefordert, daß ich die Wahmehmungsqualitäten als Eigenschaften17 auf etwas von ihnen Verschiedenes (eben ein Objekt) beziehe.18 Was folgt für die Möglichkeit von Träumen und Einbildungen, wenn man diesen Sinn von objektiver Einheit unterstellt? Klar ist, daß damit jedenfalls nicht alle Träume und Einbildungen für unmöglich erklärt werden. Auch in Träumen weiden Wahrnehmungsqualitäten auf Objekte bezogen. Wir können ebenso von einem schweren Körper träumen, wie wir uns einen solchen einbilden können. Im Unterschied zur normalen Wahrnehmung sind zwar in solchen Fällen die entsprechenden Urteile ("Der Körper ist schwer") gewöhnlich nicht wahr. Gemäß der jetzt zur Diskussion stehenden Deutung wird aber in der in (BD¿) aufgestellten Behauptung, daß alle unsere Vorstellungen objektivierbar sein sollen, gar nicht verlangt, daß die entsprechenden Urteile wahr sein müssen; es wird lediglich gefordert, daß alle unsere Vorstellungen mit anderen im Begriff eines Objekts verbunden werden können, d.h. von jeder Vorstellung soll gelten, daß die in ihr vorgestellte Qualität als Eigenschaft eines Objekts gedacht werden kann. Damit ist aber solange noch keine klare Charakterisierung gewonnen, als nicht klar ist, was ein Objekt ist. Kant verwendet nun aber auch den Begriff eines Objekts in verschiedenen Bedeutungen. In einem sehr weiten Sinn ist alles, dessen man sich bewußt werden kann, ein Objekt: "Nun kann man zwar alles, und sogar jede Vorstellung, sofern man sich ihrer bewußt ist, Objekt nennen; allein was dieses Wort bei Erscheinungen zu bedeuten habe, nicht, insofern sie (als Vorstellungen) Objekte sind, sondern nur ein Objekt bezeichnen, ist von tieferer Untersuchung" (A 189f7B 234f; vgl. A 108f.).

An dieser Stelle grenzt Kant einen weiten von einem engeren, noch erläuterungsbedürftigen Objektbegriff ab. Leider sind die tieferen Untersuchungen, die Kant zu diesem Thema ankündigt, nicht nur tief, sondern auch dunkel. Ich will daher nicht direkt die Frage in Angriff nehmen, wie Kant den engeren Begriff eines Objekts näher bestimmt, sondern zunächst weitgehend unabhängig Das bedarf natürlich weiterer Präzisierung. Denn so wie es dasteht, gilt es nur für kategorische Urteile. Ich drücke mich hier etwas gewunden aus, weil nodi nicht allzuviel darüber präjudiziert werden soll, was genau unter einem Objekt zu verstehen isL Unter anderem aus diesem Grunde habe ich oben nur von einer prima facie stärkeren Lesart gesprochen. Es soll damit die Möglichkeit offen bleiben, daB sich beide Bedeutungen von "objektiv'' als koieferenliell erweisen. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn sich zeigen ließe, daB jedes Urteil, in dem ein Ansprach auf Wahrheit erhoben wird, auch objektiv im zweiten Sinn, also eine Aussage über Objekte, ist.

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzestheie

von Kants Ausführungen einige ohnehin aforderliche Unterscheidungen einführt. Wenn wir die Dinge an sich - die hier ja nicht in Betracht kommen, da es um die Frage geht, was das Wort 'Objekt' "bei Erscheinungen zu bedeuten habe" - außer Acht lassen, können wir das Spektrum möglicher Objektbegriffe durch zwei Extreme abstecken: An einem Ende des Spektrums ist der Begriff eines materiellen Gegenstandes anzusiedeln, dem am anderen Ende der logische Objektbegriff gegenübersteht Dies ist der Begriff von einem bloßen Etwas, das Eigenschaften hat Dieser Begriff fällt mit dem oben von Kant erwähnten weiten Objektbegriff zusammen: Danach ist alles ein Objekt 19 Ich werde im folgenden allerdings von einem etwas engeren Objektbegriff ausgehen, wonach nur konkrete Einzelne (Aggregate eingeschlossen) als Objekte bezeichnet werden. Als Objekte im logischen Sinn gelten dann z.B. gewöhnliche materielle Gegenstände, Personen, Ereignisse, mentale Zustände, Sinnesdaten etc.. Man könnte vermuten, daß uns der logische Objektbegriff nicht zu einem stärkeren Begriff von "objektiver Einheit" führt, als dem zunächst erörterten, wonach ein Urteil genau dann eine objektive Einheit von Vorstellungen bildet wenn mit ihm ein Wahrheitsanspruch erhoben wird. Denn schließlich ist jedes Urteil ein Urteil üb» etwas. Also ist jedes Urteil ein Urteil über ein logisches Objekt folglich fallen die beiden Begriffe von objektiver Einheit zusammen. Das ist zutreffend, wenn wir den jetzt zur Diskussion stehenden Begriff eines objektiven Urteils so interpretieren, daß es sich um ein Urteil über Objekte handelt. Aber Kant wählt an der oben zitierten Stelle eine etwas andere Formulierung: Danach ist eine Vorstellungsverbindung objektiv, wenn die Vorstellungen im Begriff eines Objekts vereinigt werden. Selbst wenn wir hier nur den logischen Objektbegriff unterstellen, fällt diese Charakterisierung nicht mit der den Geltungsanspruch eines Urteils betreffenden zusammen. Denn erstens ist nicht jede Verbindung von Vorstellungen im Begriff eines Objekts ein Urteil, da z.B. komplexe Begriffe keine Urteile sind. Es gibt also "Vereinigungen" von Vorstellungen im Begriff eines Objekts, die keine Urteile sind. Entscheidend ist im gegenwärtigen Zusammenhang aber zweitens, daß auch nicht jedes Urteil, mit dem ein Anspruch auf Wahrheit verbunden wird, eine Vereinigung von Strenggenommen fallen selbst Universalien unter diesen Objektbegriff, da man natürlich auch von diesen Prädikate aussagen kann. Ich will allerdings im folgenden nur konkretes Einzelnes ab Objekt bezeichnen, also weder Universalien noch abstrakte Einzeldinge (wie Zahlen) Objekte nennen. Gewöhnlich benutzt auch Kant den Ausdruck "Objekt" in diesem eingeschränkten Sinn. Manchmal verwendet er allerdings auch den weiten logischen Objektbegriff, wonach alles, dem Prädikate zugesprochen werden können, ein Objekt isL (VgL z. B. R 63S0 und die Diskussion dieser Passage in Henrich (1976) S. 44ff.)

Schwierigkeiten mit der Sundardinterpretation

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Vorstellungen im Begriff eines Objekts ist - selbst dann, wenn man nur den logischen Objektbegriff unterstellt. Um dies einzusehen, muB man nur die folgenden Urteile vergleichen: ( 1 ) Der Körper ist schwer. (2) Wenn ich sehe, daß ich einen Körper trage, fühle ich einen "Druck der Schwere". Ich gehe davon aus, daß es sich in beiden Fällen um Urteile handelt, in denen ein Anspruch auf Wahrheit erhoben wird.20 Aber es macht einen guten Sinn, von Urteilen des ersten Typs zu behaupten und von Urteilen des zweiten Typs zu bestreiten, daß es sich um die Vereinigung von Vorstellungen im Begriff eines Objekts handelt. Dies wird meist deshalb nicht klar genug herausgestellt, weil man sich zur Unterscheidung der Urteile von Typ (1) und (2) an zwei Gesichtspunkten orientiert, die Kant in den 'Prolegomena' zur Erläuterung seiner Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen anspricht Einmal sollen sich Wahrnehmungsurteile dadurch von Eifahrungsurteilen unterscheiden, daß in ihnen ein bloß subjektiver Wahrheitsanspruch erhoben wird (sie "gelten bloß für uns"), während Erfahrungsurteile "für jedermann gültig sein solle[n]" (Pr. § 18 A AIV S. 298). Wir haben bereits gesehen, daß das der Sache nach Unsinn ist, da es keine subjekt-relative Wahrheit gibt. Nach der zweiten Charakterisierung von Kants Unterscheidung haben wir es dann mit einem Erfahrungsurteil zu tun, wenn wir über von uns und unseren Vorstellungen verschiedene Gegenstände urteilen, während wir in einem Wahrnehmungsurteil lediglich etwas über uns und unsere Wahrnehmungen aussagen. Es handelt sich dann nicht um eine Unterscheidung auf der Grundlage verschieden« Arten von Geltungsansprüchen, sondern um eine Unterscheidung hinsichtlich dessen, worüber geurteilt wird. Diese Kennzeichnung bringt aber gerade das Spezifische der von Kant intendierten Unterscheidung nicht zum Ausdruck. Denn wenn wir die oben erwähnten Beispielsätze genauer betrachten, besteht der Unterschied zwischen (1) und (2) nicht lediglich darin, worüber geurteilt wird; es handelt sich auch um einen Unterschied in der Art, wie die Wahrnehmungen auf ihr logisches Man hat behauptet, daB nach Kants Ausführungen im S 19 bestenfalls Sitze vom Typ (1), keinesfalls aber Sätze vom Typ (2) Urteile sind. Ob das so ist, weiden wir später sehen. Wenn Kant dies behauptet haben sollte und dabei den Begriff eines Urteils unterstellt, wonach ein Urteil (deünitionsgemäB) eine Verbindung von Vorstellungen ist, mit der ein Anspruch auf Wahrheit erhoben wird, dann hat er sich offensichtlich geint. Es ist der Sache nach völlig abwegig zu bestreiten, daB mit Aussagen von Typ (2) ein Ansprach auf Wahrheit erhoben wird.

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Die Problematik von Kanu Begründung der Gesetzesthese

Objekt bezogen werden: Handelte es sich nämlich lediglich um einen Unterschied im logischen Objekt, dann entspräche dem Satz (1) nicht (2), sondan: (3) Ich (das wahrnehmende Subjekt) bin schwer. Obwohl solch ein Satz natürlich wahr sein kann, ist klar, daß Kant nicht den Kontrast zwischen (1) und (3) im Auge hatte, als er seine Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen traf. Der wesentliche Unterschied zwischen (3) und (2) besteht darin, daß in (2) nicht die in der Wahrnehmung vorgestellte Qualität, sondern die Wahrnehmung selber (qua mentales Ereignis) dem Subjekt zugeschrieben wird. In Wahrnehmungsurteilen werden verschiedene Wahrnehmungen "in einem Bewußtsein meines Zustandes" verbunden (Pr. § 20 AAIV S. 300), während in Erfahrungsurteilen Vorstellungsinhalte auf Gegenstände bezogen werden. Kant verdunkelt diesen Punkt wieder, wenn er an derselben Stelle die Erfehrungsurteile demgegenüber lediglich dadurch bestimmt, daß in ihnen die Wahrnehmungen "in einem Bewußtsein überhaupt" verbunden werden. Das mag zwar auch richtig sein, ab»- es ist unvollständig und irreführend: Denn Erfahrungsurteile unterscheiden sich eben nicht nur dadurch von Wahrnehmungsurteilen, daß in ihnen die Wahrnehmungen in etwas anderem verbunden werden; sie unterscheiden sich auch dadurch, daß etwas anderes in ihnen verbunden wird: In Erfahrungsurteilen werden die in der Wahrnehmung vorgestellten Qualitäten im Begriff eines Gegenstandes, dem diese Qualitäten als Eigenschaften zugesprochen werden, verbunden, während in einem Wahrnehmungsurteil die Wahrnehmungen selber (als mentale Zustände) einem Objekt (nämlich mir selb») zugeschrieben werden. Ich will diesen Unterschied im folgenden dadurch markieren, daß ich zwischen der Verbindung von Wahrnehmungsge/iä/ten (dem, was in ein» Wahrnehmung vorgestellt wird) und der Verbindung der Wahrnehmungen selber spreche. In Eifahrungsurteilen werden also Wahrnehmungsgehalte im Begriff eines Objekts verbunden, während sich das wahrnehmende Subjekt in Wahrnehmungsurteilen die Wahrnehmungen selber zuschreibt.21 Es liegt nahe, die von Kant in § 18 der B-Deduktion gegebene Charakterisierung der 'objektiven Einheit' als einer Vereinigung verschieden«· Vorstellungen im Begriff eines Objekts so zu verstehen, daß damit die Vereinigung der WahrnehmungsgeAafre als Eigenschaften im Begriff eines Objekts gemeint ist; vereinige ich verschiedene Vorstellungsgehalte im Begriff eines Objekts, so Damit ist aber nur eine notwendige Bedingung für Wahmehmungsurteile genannt. Denn nicht alle Urteile, in denen einem wahrnehmenden Subjekt Wahrnehmungen zugeschrieben werden, sind Wahmehmungsurteile, sondern nur solche, in denen das Subjekt sich selbst diese Wahrnehmungen aus der ¡nnenperspektive unmittelbar zuschreibt.

Schwierigkeiten mit der Standaidinteipnution

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drücke ich damit nicht lediglich eine "Beziehung der Wahrnehmungen] auf ein Subjekt, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes aus" (Pr. § 18 AA IV S. 298). Die Vorstellungen werden also nicht bloß als "in der Wahrnehmung [...] beisammen" sondern als "im Objekt verbunden" vorgestellt, und eben darauf "zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden" (B 141 f.). Wenn wir also Kants Verwendung des Ausdrucks 'objektive Einheit' im erläuterten Sinn verstehen, ist nicht jedes Urteil, mit dem ein Anspruch auf Wahrheit erhoben wird, eine objektive Einheit, in der Vorstellungen im Begriff eines Objekts vereinigt werden. Wir haben damit bereits einen dritten Begriff von objektiver Einheit, demzufolge eine Einheit von Vorstellungen objektiv ist, wenn die in den Vorstellungen vorgestellten Wahmehmungsgehalte als Eigenschaften auf ein Objekt bezogen werden. Wir haben gesehen, daß dieser Begriff einer objektiven Einheit stärker ist als der am Geltungsanspruch des Urteils orientierte Objektivitätsbegriff, obwohl in seiner Definition noch nicht von einem starken (d.h. im Vergleich zum logischen Objektbegriff stärkeren) Objektbegriff Gebrauch gemacht wird. Wir müssen jetzt allerdings versuchen, die Liste möglicher Begriffe von objektiver Einheit dadurch zu vervollständigen, daß wir uns eine Übersicht über die verschiedenen, im Vergleich zum logischen Objektbegriff stärkeren, Objektbegriffe verschaffen. Dem weiten logischen Objektbegriff steht auf der anderen Seite des Spektrums der Begriff eines raum-zeitlichen materiellen Gegenstands gegenüber. Viele Interpreten gehen wie selbstverständlich davon aus, daß Kant mit dem in A 189f./B 234f.22 angesprochenen engeren Objektbegriff den Begriff eines materiellen Gegenstandes vor Augen hat. So sind ζ. B. für Prauss die Objekte im engeren Sinn jene "intersubjektive[n] Objekte, [...] die als 'Gegenstände äußerer Sinne' in den Bereich der Physik fallen" (Prauss (1971) S. 17). Nun ist es sicherlich richtig, daß Kant häufig, wenn er den engeren Objektbegriff verwendet, auf materielle Objekte Bezug nimmt. Es ist aber alles andere als selbstverständlich, daß er diesen engeren Objektbegriff als Begriff eines materiellen Objekts im Raum definiert. Den Stellen, an denen Kant so etwas wie eine Definition seines Objektbegriffs gibt, ist die von Prauss vorgeschlagene Charakterisierung jedenfalls nicht zu entnehmen: " O b j e k t aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung v e r e i n i g t ist" (B 137). 22

Vgl. das ZitttS. 73.

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Die Problematik von Kants Begründung der Geietzesthese

"Dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung dieser notwendigen Regel der Apprehension enthält, ist das Objekt" (A 191/B 236; vgl dazu A 104 und A 1080·

Was Kant mit diesen Erläuterungen zum Objektbegriff zum Ausdruck bringen wollte, und wie sich diese beiden Charakterisierungen zueinander verhalten, können wir an dieser Stelle noch offen lassen. Klar ist jedenfalls, daß sich aus keiner der beiden "Definitionen'' unmittelbar ergibt, daß für Kant der Objektbegriff mit dem Begriff eines materiellem Gegenstandes zusammenfällt. Trotzdem ist es sinnvoll, vom Begriff des materiellen Gegenstandes auszugehen, um eine genauere Übersicht über das Spektrum möglicher Objektbegriffe zu gewinnen. Ich beginne mit einer Auflistung von für materielle Gegenstände charakteristischen Eigenschaften:23 1. Materielle Gegenstände existieren in Raum und Zeit, haben eine bestimmte (ggf. unendliche und gewöhnlich kontinuierliche) Existenzdauer und existieren zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz an einer bestimmten Raumstelle. 2. Sie haben eine bestimmte Menge von Eigenschaften, zu denen sowohl dispositionelle wie kausale Eigenschaften gehören. 3. Sie können im Lauf ihrer Geschichte sowohl ihre räumliche Position (Ortsveränderung) wie ihre Eigenschaften verändern (qualitative Veränderung). Die Ortsveränderung ist gewöhnlich kontinuierlich. 4. Sie haben eine geschlossene Oberfläche. 5. Sie stehen in bestimmten raum-zeitlichen Beziehungen zu allen anderen materiellen Objekten in einem einheitlichen Raum-Zeit-System. 6. Sie stehen miteinander in kausaler Wechselwirkung. 7. Sie können existieren, ohne wahlgenommen zu werden (existentielle Wahrnehmungsunabhängigkeit). 8. Sie können Eigenschaften haben, die nicht wahrgenommen werden (können), und sie können andere Eigenschaften haben, als diejenigen, die sie in der Wahrnehmung zu haben scheinen (qualitative Wahrnehmungsunabhängigkeit). 9. Es ist (gewöhnlich) nicht möglich, sie in einer Wahrnehmung vollständig wahrzunehmen. Insbesondere haben (zumindest die opaken) mate23

Ich orientiere mich dabei an den Ausführungen in Broad (1978) S. 81 u. S. 105f.

Schwierigkeiten mit der StinfUrrtinterpretation

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riellen Gegenstände Teile, die gleichzeitig existieren, aber nicht gleichzeitig (vom selben Subjekt) wahrgenommen werden können. 10. Sie können von verschiedenen Personen gleichzeitig und 11. von derselben Person zu verschiedenen Zeiten (ihrer Existenzdauer) wahrgenommen werden. 13. Letztlich beruht unser Wissen über materielle Gegenstände auf Wahrnehmung. Dies ist eine (hoffentlich) einigermaßen vollständige Liste da' wichtigsten Eigenschaft^ materieller Objekte. Wenn wir nun ausgehend von dieser Liste versuchen wollen, Kants engeren Objektbegriff näher zu bestimmen, müssen wir uns überlegen, von welchen der erwähnten Eigenschaften wir absehen können (oder müssen), um die für Kants Begriff relevanten Eigenschaften übrig zu behalten. Zunächst einmal ist es sinnvoll, von all denjenigen Eigenschaften abzusehen, die bereits explizit auf den raum-zeitlichen Charakter von materiellen Gegenständen bezugnehmen. Denn Kant will ja, wenn er im Rahmen des ersten Teils der B-Deduktion seinen Objektbegriff einführt, von der "Art, wie in der Sinnlichkeit die empirische Anschauung gegeben wird", also von Raum und Zeit, abstrahieren (B 144; vgl. Β 148). Damit entfallen die Bedingungen (1) und (3)-(5). Weiterhin sollte sich nicht schon aus der Begriffsbestimmung eines Objekts die Geltung bestimmt«' Kategorien analytisch ergeben. Also müssen wir auch auf (6) sowie die entsprechende Klausel in (2) verzichten. Zudem ist es sinnvoll, zunächst auf (9) und (12) zu verzichten, da diese Bedingungen recht speziell sind und vielleicht auch nicht wesentlich zum Begriff eines materiellen Gegenstandes gehören. Da Kant in der KrV (anders als in den "Prolegomena') den Objektbegriff unabhängig von der Frage der intersubjektiven Zugänglichkeit abhandelt, sollte auch auf (10) verzichtet werden. Ich schlage daher vor, den engeren Objektbegriff durch die folgenden Eigenschaften zu kennzeichnen: Etwas ist Objekt im engeren Sinn, wenn es (Oj) numerisch identischer Gegenstand numerisch und qualitativ verschiedener (anschaulicher) Vorstellungen sein kann und wenn (O2) unsere Kenntnis von ihm letztlich auf Wahrnehmung beruht Mit anderen Worten: Objekte im engeren Sinn zeichnen sich vor allem dadurch aus, daß sich ihre Identitätsbedingungen von den Identitätsbedingungen der Vorstellungen, in denen sie vorgestellt werden, unterscheiden. Dasselbe

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

Objekt kann Gegenstand (numerisch und qualitativ) verschiedener Vorstellungen sein. Nach dies^ Definition sind z.B. Sinnesdaten keine Objekte im engeren Sinn, da die Bedingungen ihrer numerischen Identität direkt von den Bedingungen der numerischen Identität der Vorstellungen, in denen sie vorgestellt werden, abhängen.24 Dieser durch die Bedingungen (Oj) und (O2) definiate Objektbegriff ist etwas schwächer, als derjenige, der sich aus der Kombination der oben übriggebliebenen Eigenschaften (2), (7), (8), (10) und (13) ergibt. Aber er enthält alles, was an diesen Bedingungen wichtig ist25Andererseits ist offenkundig, daß dieser Objektbegriff stärker ist als der Begriff eines logischen Objekts. Ich will ihn im folgenden als den Begriff eines empirischen Objekts bezeichnen. Sofern die spezifischen Bedingungen unserer Anschauungsformen Raum und Zeit hinzu genommen werden, wobei es im wesentlichen auf die Bedingungen (1), (3) und (5) ankommt, spreche ich von einem raum-zeitlichen Objekt. Kommen darüber hinaus noch die restlichen oben aufgeführten Bedingungen hinzu, spreche ich von einem materiellen Objekt. Wir haben damit eine Reihe von zunehmend spezifizierten Objektbegriffen. Objekte lassen sich aber nicht nur hinsichtlich ihrer Eigenschaften in verschiedene Klassen einteilen. Man kann sie auch hinsichtlich ihrer Existenzweise unterscheiden. So hat man zwischen realen und intentionalen Gegenständen unterschieden: Wenn ich von dem See-Einhorn träume, so muß sich dieses nicht durch seine Eigenschaften von einem wirklich existierenden See-Einhorn unterscheiden. Gewöhnlich stellen wir uns die Gegenstände im Traum sogar als materielle Gegenstände vor. Es ist also nicht möglich, ein Traumobjekt von einem wirklichen Objekt durch die Angabe bestimmter Eigenschaften zu unterscheiden.26 Daher ist es naheliegend, den Unterschied als einen in der Existenzweise zu beschreiben: Das geträumte See-Einhorn hat nur intentionale Existenz, während das wirkliche reale Existenz hat. Wir weiden daher im Folgenden zusätzlich zwischen bloß intentionalen und realen Objekten unterscheiden müssen.27 24

26

27

Jedenfalls wenn man von der gängigen Verwendung des Ausdrucks 'Sümesdatum' ausgeht Es ist sinnvoll, von einem möglichst schwachen Begriff auszugeben, zumal damit die schwachen Deduktionsvarianten, in denen die Objektivitätsthese vorausgesetzt wird, interessanter gemacht weiden. Das gilt ebenso, wie Kants Satz: "Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche" (A 599/B 627). Jeder Gegenstand, der vorgestellt wird, ist per definilionem ein intentioaaler Gegenstand. Ein realer Gegenstand kann, muß aber nicht audi ein intentionaler Gegenstand sein; und natürlich ist nicht jeder vorgestellte Gegenstand ein realer Gegenstand. Solche nicht-realen intentionalen Gegenstände nenne ich bloß-inteniioruU. Es soll nicht verheimlicht werden, daß diese Unterscheidung von Gegenständen verschiedener Existenzweise eine Menge von Problemen mit sich

Schwierigkeiten mit der Standardinterpmation

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Was geschieht, wenn wir diese Unterscheidung auf Urteile übertragen wollen, und von Urteilen über intentionale und Urteilen über reale Objekte sprechen wollen? Betrachten wir dazu die beiden folgenden Fälle: Im ersten Fall habe ich eine Halluzination von einem goldenen Berg und im zweiten Fall nehme ich einen goldenen Berg wahr. In beiden Fällen sage ich: "Da ist ein goldener Berg". Man wird nun gewöhnlich den Unterschied einfach dadurch kennzeichnen, daß man dieses Urteil im ostai Fall für falsch und im zweiten Fall für wahr erklärt. Wieso ist es dann noch erforderlich, zwischen bloß-intentionalen und "realen" Urteilen zu unterscheiden? An dieser Stelle mag der folgende Hinweis genügen: Das Urteil könnte auch einfach deshalb falsch sein, weil weder ein intentionaler noch ein realer goldener Berg vorgestellt wird. Wenn wir zwischen Urteilen über bloß-intentionale und Urteilen üb» reale Objekte unterscheiden, können wir folgende Fälle unterscheiden: 1. Das intentionale Urteil ist wahr (d.h. das Urteil trifft auf einen intentionalen Gegenstand zu). 2. Das intentionale Urteil ist falsch (d.h. es gibt keinen intentionalen Gegenstand, auf den das Urteil zutrifft). 3. Das reale Urteil ist wahr (d.h. es gibt ein reales Objekt, auf das das Urteil zutrifft). 4. Das reale Urteil ist falsch (d.h. es gibt keinen realen Gegenstand, auf den das Urteil zutrifft). Es sind dann die folgenden Kombinationen denkbar (A)

(1) und (3), wenn ich wirklich einen goldenen Berg wahrnehme.

(B)

(1) und (4), wenn ich z.B. eine Halluzination von einem goldenen Bog habe.

(C)

(2) und (3), wenn ich mit geschlossenen Augen vor einem goldenen Berg stehe.

(D)

(2) und (4), wenn kein realer goldener Berg existiert und ich auch keine Vorstellung von einem goldenen Berg habe.

bringt. Wer intentionale Gegenstände nicht mag, kann bis auf weiteres die Unterscheidung als eine Mafie façon de parier betrachten: Irgendwie mufl man den Unterschied scfalieBlidi beschreiben. (Zur Sache vgl. z.B. Mackie (1976) S. 48ff. und Broad (1925) S. 140£f. Broad verwendet den Ausdruck "epistemologica! object").

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Die Problematik von Kanu Begründung der Gesetzesthese

Orientieren wir uns dagegen lediglich an dem Wahiheitswert des Urteils, so können wir nur zwischen zwei Fällen unterscheiden. Daher ist es sinnvoll, auch zwischen Urteilen über intentionale und Urteilen über reale Objekte zu unterscheiden.

1.1.2. Zusammenfassung und Folgerungen Die verschiedenen Objekt- bzw. Objektivitätsbegriffe sollen nun zusammengestellt werden, um zu sehen, was uns das Ganze eingebracht hat. Wir sind von der Frage ausgegangen, in welchem Sinn man von einem Urteil sagen kann, daß es eine objektive Einheit von Vorstellungen darstellt In einem ersten schwachen Sinn ist ein Urteil eine objektive Einheit, weil mit ihm ein Wahrheitsanspruch erhoben wird. In diesem Sinn sind alle Urteile objektive Einheiten; ja wir haben gesehen, daß es einen guten Sinn macht, ein Urteil als eine objektive Einheit ναι Vorstellungen zu definieren und so von anderen Vorstellungsverbindungen (wie komplexen Begriffen oder assoziativen Verbindungen) zu unterscheiden. Wenn wir also in diesem Sinn von einem Urteil sagen, daß es eine objektive Einheit ist, so kontrastinen wir es nicht mit anderen (subjektiven) Urteilen, sondan mit Vorstellungsverbindungen, die gar keine Urteile sind. Das ist anders, wenn wir von einer der anderen Bedeutungen von 'objektiver Einheit' ausgehen. Diesen verschiedenen Begriffen lagen vier Klassifikationsgesichtspunkte zugrunde: Wir können Urteile 1. hinsichtlich ihres Wahrheitswerts in wahre und falsche Urteile einteilen. Bezeichnet man ein Urteil als objektiv gültig, so kann man damit einfach meinen, daß es wahr ist Da dies aber aufgrund der Mehrdeutigkeit des Begriffs der Objektivität irreführend ist werden wir im folgenden in diesem Zusammenhang immer nur von Wahrheit und nicht von Objektivität oder objektiver Gültigkeit sprechen. 2. konnten wir - ausgehend von Kants Unterscheidung zwischen Wahmehmungs- und Erfahrungsurteilen - zwei verschiedene Typen von Urteilen unterscheiden: Auf der einen Seite standen solche Urteile, in denen wir Wahrnehmungsgehalte im Begriff eines Objekts vereinigen, d.h. als Eigenschaften auf ein gemeinsames Objekt beziehen; auf der anderen Seite hatten wir es mit solchen Urteilen zu tun, in denen sich das wahrnehmende Subjekt seine Wahrnehmungen (qua mentale Zustände) zuschreibt. 3. haben wir gesehen, daß wir Urteile hinsichtlich dessen, worüber geurteilt wird, als objektiv charakterisieren können. Ein Urteil ist in diesem Sinn objek-

Schwierigkeiten mit der Sundardinteipreutioa

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tiv, wenn es ein Urteil über Objekte ist. Wir haben gesehen, daß Kant hier einen weiten und einen engen Begriff des Objekts unterscheidet. Unter den vier Objektbegriffen, die wir in diesem Zusammenhang unterschieden haben (logisch, empirisch, raum-zeitlich und materiell), konnten wir die beiden letztgenannten (vorläufig) ausscheiden, da Kant im Rahmen des ersten Teils der IiDeduktion von den Spezifika unserer Anschauungsformen absieht 4. Schließlich haben wir eine Unterscheidung zwischen realen und bloß intentionalen Objekten getroffen. Wir können nun die verschiedenen Urteilstypen in folgendem Schema zusammenstellen. Das Schema ist so angeordnet, daß der Objektivitätsgrad der Urteile von links nach rechts abnimmt.

Urteile = Vorstellungs verbindungen mit Anspruch auf Wahrheit

Vereinigung von Wahrnehmungsgehalten im Begriff eines logischen Objekts (iobjektive Urteile)

im Begriff eines empirischen Objekts (empirische Urteile)

im Begriff eines realen Objekts (reales Urteil)

Beziehung von Wahrnehmungen auf den Wahrnehmungszustand des Subjekts (subjektive Urteile)

im Begriff eines bloß logischen Objekts (logische Urteile)

im Begriff eines bloßintentionalen Objekts (ibloß-intentionales Urteil) ( I

wahr falsch

wahr falsch

wahr falsch

wahr falsch

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzelthese

Welche Alternativen ergeben sich nun auf der Grundlage dieso1 verschiedenen Bedeutungen von 'objektiver Einheit' für die Interpretation von Kants problematisch«- These (BD¿), wonach alle unsere Vorstellungen zu einer objektiven Einheit gebracht werden können müssen? Und was folgt für das Problem der subjektiven Vorstellungen? Relevant sind die folgenden Alternativen: (I)

Es muß möglich sein, jede meiner Vorstellungen mit anderen in einem Urteil, in dem ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, zu verbinden.

(II)

Es muß möglich sein, jede meiner Vorstellungen mit anderen in einem objektiven Urteil zu verbinden.

(III)

Es muß möglich sein, jede mein» Vorstellungen mit anderen in einem empirischen Urteil zu verbinden.28

Ich will die jeweils entsprechenden Bedingungen, in denen zusätzlich verlangt wird, daß die Urteile wahr sein müssen, mit (I*) (II*) und (ΠΙ*) bezeichnen. In Bezug auf (III) müssen wir dann noch zwischen realen und intentionalen Urteilen unterscheiden, womit wir als weitere Varianten (III+) (empirische Urteile über reale Objekte) und (III*+) (wahre empirische Urteile über reale Objekte) erhalten. Auf den ersten Blick scheint lediglich die Lesart (III*4) auf das Problem der subjektiven Vorstellungen zu führen. (I) und (I*) machen keine Schwierigkeiten, da es offenkundig möglich ist, sich Träume und Einbildungen in subjektiven Urteilen zuzuschreiben. (II) scheint ebenfalls keine Schwierigkeiten zu machen, da wir immer von etwas träumen und uns etwas einbilden, wenn wir überhaupt träumen oder Einbildungen haben. Wir können daher auch die Traum- bzw. Einbildungsgehalte im Begriff eines (logischen) Objekts vereinigen und z.B. behaupten, daß wir von einem schwarzen Quadrat geträumt haben. Dasselbe gilt für (ΠΙ); wir träumen nicht nur von etwas, das irgendwelche Eigenschaften hat, sondern stellen uns darunter gewöhnlich sogar materielle Gegenstände (natürlich üblicherweise bloß-intentionale materielle Gegenstände), also allemal empirische Objekte vor. Solange nur gefordert wird, daß wir in der Lage sein müssen, die entsprechenden Vorstellungen im Begriff ei28

Bei all diesen Alternativen gehe ich von einer relativ schwachen Lesart von Kants These (BDfe) aus. Man kann die Behauptung, daB alle unsere Vorstellungen zu einer objektiven Einheit gebracht werden können müssen, Z.B auch so auffassen, daB jede Vorstellung mit jeder anderen zu einer objektiven Einheit verbindbar sein muß. In der oben gewählten Formulierung wird dagegen nur verfangt, daB es zu jeder Vorstellung mindestens eine andere Vorstellung gibt, mit der sie zu einer objektiven Einheit verbindbar sein muß.

Schwierigkeiten mit der Standeidinteipreutioo

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nes empirischen Objekts verbunden zu denken, besteht also auch hier allem Anschein nach kein Problem.29 Nicht ganz so klar ist, ob auch (Π*) mit der Möglichkeit von Träumen und Einbildungen vereinbar isL Das hängt davon ab, welche Wahrheitsbedingungen wir solchen Sätzen zuordnen. Ich gehe hier davon aus, daß ein solcher Satz über Traumobjekte genau dann wahr ist, wenn das Traumobjekt wirklich die ihm zugesprochene Eigenschaft hat 3 0 Da wir bloß-intentionale Objekte ohnehin bereits in unsere Ontologie aufgenommen haben, können wir auch Traum- und Einbildungsobjekte annehmen.31 Wenn ein Satz wie "Das Quadrat, von dem ich gestern träumte, war schwarz" wahr sein kann, ohne daß es ein reales schwarzes Quadrat gibt, steht auch (Π*) der Möglichkeit von Träumen nicht im Weg. Dasselbe gilt wiederum für (ΠΙ*), solange wir die Objekte als intentionale Objekte auffassen. Ernsthafte Probleme entstehen erst, wenn wir fordern, daß es sich bei der objektiven Einheit um wahre Urteile über reale Objekte handelt, also für (III*+). Es stellt sich also die Frage, ob wir Kants These von der notwendigen Objektivierbarkeit unserer Vorstellungen im Sinn von (III*+) verstehen müssen. Ich will dieser Frage anhand einer Diskussion von Lösungsvorschlägen, die zum Problem der subjektiven Vorstellungen gemacht worden sind, nachgehen.

1.1.3. Ein Lösungsvorschlag zum Problem der subjektiven Vorstellungen Geht man von der Lesart aus, wonach Kant unter einer objektiven Einheit lediglich eine Verbindung von Vorstellungen, mit der ein Wahrheitsanspruch Das bedeutet - wie wir gleich sehen werden - nicht, daß (ΙΠ) gar keine Probleme mit sich bringt. Es handelt sich aber nicht um für Träume und Einbildungen spezifische Probleme. 3 ® Ich unterstelle, daB aus der Wahrheit eines Satzes der Art: Ich imaginiere einen roten nmden Fleck', folgt, daB es etwas gibt, das rot und rund ist - eben einen imaginierten Fleck. D u setzt natürlich voraus, daB man von Tnmnobjekten und Einbildungso6/«J&cii reden kann. Man kann versuchen, solche Sätze auch anders zu analysieren. Ich kann hier nur dogmatisch behaupten, daB die mir bekannten Alternativen unplausibel oder unzureichend begründet scheinen. Wenn man etwa vorschlägt, solche Sätze als ineduzibel prepositional aufzufassen, so ist das 1. unplausibel, weil Imaginationen für das imaginierende Subjekt von normalen Wahrnehmungen ununterscheidbar sein können und eine rein proportionale Analyse für normale Wahrnehmungen inadäquat ist; 2. ist es eher der Verzicht auf eine Analyse als eine Alternative zu der oben vorgeschlagenen, da bei einer rein propositionalen Analyse der zu nalysierende Satz wieder in der Wahlheitsbedingung auftaucht Zur Kritik der sog. Adverbialtheorie vgL F. Jackson (1977) v.a.. Chap. HL Zur Begründung verweise ich nur auf die ausgezeichneten Untersuchungen bei Broad (1923) Chap. VII. (1925) Chap. IV und Jackson (1977). Die immer wieder aufgestellte Behauptung. daB die Sinnesdatentheorie definitiv widerlegt sei, gehört zu den neueren Märchen der analytischen Philosophie. Die meisten angeblichen Widerlegungen sind bercili definitiv widerlegt worden, bevor sie in Mode gekommen sind.

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

erhoben wird, versteht, so verwandelt sich Kants These (BD¿) in eine vergleichsweise harmlose Behauptung: Sie besagt dann lediglich, daß alle unsere Vorstellungen so beschaffen sein müssen, daß sie in Urteilen, mit denen ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, verbunden werden können. Diese Behauptung stellt für die Möglichkeit von Träumen und Einbildungen überhaupt kein Problem dar. Denn sie fordert lediglich, daß wir im Prinzip in der Lage sein müssen, über Träume und Einbildungen Urteile mit Wahrheitsanspruch zu fällen. Dies ist der Lösungsvorschlag, den Beck in dem eingangs zitierten Aufsatz macht. Auf den ersten Blick sieht diese Lösung des Problems recht attraktiv aus, da mit ihm das Problem der subjektiven Vorstellungen auf elegante Weise beseitigt wird. Aber nicht nur das. Wenn Beck recht hat, so entfallen zugleich eine ganze Reihe zusätzlicher Schwierigkeiten, die sich für eine plausible Rekonstruktion des Deduktionsarguments stellen. Ein solches Problem ergibt sich aus Kants Identifizierung der Urteilseinheit mit der objektiven Einheit. Kant scheint diese These für so offensichtlich gehalten zu haben, daß er es nicht nötig fand, sie zu begründen. Neben einer Kritik an der gängigen Erklärung, "welche die Logiker von einem Urteile überhaupt geben" (B 140), enthält § 19 nicht viel mehr als eine Erläuterung seines eigenen Vorschlags, wonach "ein Urteil nichts anderes sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141). Nimmt man aber die objektive Einheit als die Einheit verschiedener Vorstellungen im Begriff eines empirischen oder gar eines realen, materiellen Gegenstandes, so ist das alles andere als einleuchtend. Denn in diesem Fall könnte es gar keine Urteile geben, in denen ausschließlich über bloße Vorstellungen Aussagen gemacht werden. Das ist aber keineswegs selbstverständlich, sondan allem Anschein nach falsch. Völlig unsinnig wäre es schließlich, wenn Kant bei seiner Urteilsdefinition gar den starken Objektivitätsbegriff (wonach Objektivität Wahrheit bedeutet) im Auge gehabt hätte. Denn dann wäre jedes Urteil per definitionem ein wahres Urteil. Nimmt man Objektivität aber in dem von Beck vorgeschlagen schwachen Sinn, so entfällt nicht nur jene Absurdität; - es ist auch durchaus plausibel und nicht weiter begründungsbedürftig, ein Urteil als "ein Verhältnis [von Vorstellungen], das o b j e k t i v g ü l t i g ist"(B 142) zu bestimmen. Denn damit ist dann nichts anderes gesagt, als daß mit jedem Urteil ein Anspruch auf Wahrheit erhoben wird. Das ist gewiß unstrittig - und liefert zudem eine gute Definition des Urteilsbegriffs, da auf diese Weise ein Urteil von allen anderen Verbindungen von Vorstellungen abgegrenzt werden kann. Mit Becks Vorschlag wären

Schwierigkeiten mit der Stand«rdinterpreution

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wir also nicht nur das Problem der subjektiven Vorstellungen los; - er läßt auch Kants Urteilsdefinition in einem günstigen Licht erscheinen. Darüber hinaus eignet er sich auch gut, ein notorisches Problem zu lösen, das sich im Rahmen von Kants Begründung der Objektivitätsthese stellt. Wir haben gesehen, daß Kant im dritten Hauptschritt der Deduktion (nach B) die synthetische Einheit der Apperzeption zu einer objektiven Einheit erklärt Das Argument, das Kant zu diesem Zwecke in § 17 präsentiert, ist aber alles andere als überzeugend. Nachdem er ein Objekt als "das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung v e r e i n i g t ist" (B 137), definiert hat, fährt er fort: "Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben"

und schließt daraus: "Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, [...] ausmacht" (B 137).

Selbst wenn man Kant seine Prämisse zugibt, folgt letzteres natürlich keineswegs. Denn mit der Prämisse wird lediglich zugestanden, daß die Einheit des Bewußtseins eine notwendige Bedingung für die Vereinigung von Vorstellungen im Begriff eines Objekts darstellt Kant behauptet aber, daß sie auch eine hinreichende Bedingung der Objekteinheit ist - und er muß dies behaupten, wenn er aus der notwendigen Beziehung, in der alle unsere Vorstellungen zur Einheit der Apperzeption stehen, auf die Geltung der Objektivitäts- und Kategorienthese schließen will.32 Dafür aber gibt er auch nicht die Spur eines Arguments. Das ist natürlich um so fataler, je stärk» der Objektbegriff ist, der dabei im Spiel ist. Mit Becks schwachem Objektbegriff bestehen daher eher Aussichten, diese Lücke im Beweisgang der Deduktion zu schließen. Und es ist auch gar nicht schwer zu sehen, wie man sie stopfen kann: Man muß lediglich zeigen, daß Vorstellungen nur durch Verbindung im Urteil zur Einheit der Apperzeption gebracht werden können. Da es plausibel ist, die Verbindung im Urteil gegeben Becks schwache Lesart - als objektive Einheit aufzufassen, folgt dann, daß die Apperzeptionseinheit eine objektive Einheit ist. Trotz all dieser Vorzüge hat Becks Vorschlag allerdings einen unübersehbaren Nachteil: Die Auflösung der Schwierigkeiten wird mit einer gravierenden Abschwächung von Kants Beweisresultat erkauft Und diese Abschwächung 32

Vgl. oben 1. Kap. Abschnitt 2.1.2.

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

betrifft gerade den für uns besonders wichtigen Punkt: nämlich Kants Begründung der Gesetzesthese. Um zu sehen, wie einschneidend diese Abschwächung ist, muß man sich nur die Fortsetzung von Kants Argument in Erinnerung rufen. Mit Becks schwacher Lesart haben wir gute Aussichten, ausgehend von Kants Selbstbewußtseinsthese sowohl die Objektivitätsthese wie die Behauptung, daß die objektive Einheit nur durch Verbindung der Vorstellungen im Urteil zustandekommt (Urteilsthese), zu begründen. Von d a Urteilsthese glaubt Beck, ohne weiteres zur Kategorienthese übergehen zu können. Denn: 'To judge is to relate representations to one another according to a rule given by a category" (Beck (1978) S. 44).

Aber was folgt daraus? Bestenfalls, daß in die Urteile, durch die wir Vorstellungen zur Einheit der Apperzeption bringen, Kategorien eingehen. Aber wir haben gesehen, daß es eine Folge von Becks Vorschlag ist, daß diese Urteile nicht wahr sein müssen. Solange wir kein unabhängiges Argument dafür haben, daß zumindest einige dies« Urteile wahr sein müssen, haben wir auch keinen Grund, den Kategorien objektive Realität zuzuschreiben, wenn dies bedeuten soll, daß sie auf etwas zutreffen. Die Kategorienthese, die bei Becks Lesart herausspringt, ist also denkbar schwach. Noch schlimmer sieht es für die Begründung der Gesetzesthese aus. Wir haben ja bereits gesehen, daß für Kant die kategorialen Gesetze als Wahrheitsbedingungen für Sätze, in denen Kategorien auf gegebene Vorstellungen angewandt werden, aufzufassen sind. Solange wir über die Wahrheit dieser Sätze nichts wissen, hängt also die Gesetzesthese in der Luft. Daß Becks Vorschlag bestenfalls zu ein« (extrem schwachen) Kategorienthese führt, läßt sich auch noch auf andere Weise zeigen. Bei der Darstellung von Kants Argument in den Analogien zeigte sich bereits, daß Kant die Analogien als Kriterien der "empirischen Wahrheit der Erscheinungen" aufzufassen scheint (A 492/B 521; vgl. A 376; A 201f./B 247; A 225/B 272). Allemal behauptet Kant, daß ich Vorstellungen, die nicht den kategorialen Gesetzen unterliegen, "nur für ein subjektives Spiel meiner Einbildungen [würde] halten müssen, und stellte ich mir darunter doch etwas Objektives vor, sie einen bloßen Traum nennen" müßte (A 201f./B 247). Dagegen sei die "empirische Wahrheit der Erscheinungen genugsam gesichert, und von der Verwandtschaft mit dem Traume hinreichend unterschieden, wenn sie33 nach empirischen Gesetzen in einer Erfahrung richtig und durchgängig zusammenhängen" (A 492/B 520f.). 33

Im Text steht: "beide". Das kann sich aber nur auf Raum und Zeit beziehen, was keinen rechten Sinn macht Aus dem Kentext der Stelle geht im übrigen eindeutig hervor, daß die Erscheinungen gemeint sein müssen.

Schwierigkeiten mit der Standudinteipretation

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Diese Bemerkungen Kants sind aus verschiedenen Gründen interessant. Zum einen stützen sie die Annahme, daß die Analogien (bzw. die unter sie fallenden empirischen Gesetze) in dem Sinne "Bedingungen] der objektiven Gültigkeit unserer empirischen Urteile [...], mithin der empirischen Wahrheit derselben", sind (A 202/B 247), daß sie als Kriterien für die Wahrheit empirischer Urteile üb» reale Objekte anzusehen sind. Fälle ich ein Urteil bloß Uber das 'subjektive Spiel meiner Einbildungen', so verbinde ich damit zwar - wie mit jedem Urteil - einen Anspruch auf Wahrheit; aber selbst wenn ein solches subjektives Urteil wahr ist, folgt nichts über die Geltung irgendwelcher kategorialer Gesetze. Im Gegenteil - eben weil die Gesetze nicht gelten, "würde ich sie nur für ein Spiel meiner Einbildungen halten müssen" (A 201f./B 247). Zum anderen zeigt diese Stelle, daß Kant offenbar einen Unterschied vor Augen hat, der der oben eingeführten Unterscheidung zwischen bloß-intentionalen und realen Urteilen entspricht Vorstellungen, die den kategorialen Gesetzen nicht unterliegen, sind als ein 'subjektives Spiel meiner Einbildungen' anzusehen. Wenn ich sie mir als ein solches subjektives Spiel denke, so beziehe ich damit die Vorstellungen selber (qua mentale Zustände) auf mich. Wir haben es dann mit einem subjektiven Urteil zu tun. Aber wir können uns "darunter doch [auch] etwas Objektives" vorstellen. In diesem Fall müßten wir diese Vorstellung allerdings "einen bloßen Traum nennen" (ebenda). Das "Objektive", was wir uns dabei vorstellen, kann also nur ein bloß-intentionales Objekt sein. Daraus ergibt sich, daß die kategorialen Gesetze Wahrheitsbedingungen für Urteile über reale Objekte sind. Daran zeigt sich nun aber erst vollends, wie schwach das Resultat der transzendentalen Deduktion ausfällt, wenn man Becks Vorschlag folgt Um die Geltung der Analogien der Erfahrung zu begründen, muß nicht nur gezeigt werden, daß einige der Urteile, durch die wir Vorstellungen zur Einheit der Apperzeption bringen, wahr sind; - es muß vielmehr gezeigt werden, daß Urteile über reale Objekte wahr sind. Wird der Objektbegriff in der Deduktion aber in dem von Beck vorgeschlagenen schwachen Sinn aufgefaßt, besteht noch nicht einmal Aussicht zu zeigen, daß wir überhaupt solche Urteile fällen müssen. Denn bereits damit, daß ich alle meine Vorstellungen in subjektiven Urteilen verbinde, wäre Kants These von der notwendigen Objektivierbarkeit unserer Vorstellungen (Becks Lesart unterstellt) Genüge getan; und selbst wenn sich zeigen ließe, daß wir unsere Vorstellungen auch im Begriff eines realen Objekts vereinigt denken können müssen, ist immer noch nichts über die Wahrheit dies» Urteile ausgemacht, also auch nichts üb» die Geltung kategorialer Gesetze. Das Problem der subjektiven Vorstellungen führt somit in ein scheinbar auswegloses Dilemma: Will man die subjektiven Vorstellungen retten, so bleibt

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzes these

man auf ihnen sitzen. Denn entweder faßt man die Einheit der Apperzeption als objektive Einheit im starken Sinn auf, wonach wir alle unsere Vorstellungen in wahren realen Urteilen miteinander verbinden können müssen; dann muß man Vorstellungen, die nicht in diesem Sinn objektivierbar sind (also z.B. Träume und Einbildungen), für unmöglich erklären - das aber ist offenkundig absurd -; oder man nimmt sie in einem schwächeren Sinn; dann taugt die Deduktion nicht als Begründung der Gesetzesthese. Damit zeigt sich, daß nicht nur Becks extrem schwache Lesart zu schwach ist, wenn man in der transzendentalen Deduktion ein haltbares Argument für die Gesetzesthese sucht 34 Jede Lesart, die nicht die Wahrheit realer Urteile zur Folge hat, ist im Rahmen einer starken ¡Deduktion zugunsten der Gesetzesthese zu schwach; die einzige verbleibende Lesart aber hat sich als der Sache nach zu stark erwiesen. Bedeutet das, daß wir davon ausgehen müssen, daß eine starke Deduktion, die von der Selbstbewußtseinseinheit ausgeht, chancenlos ist? Das muß nicht so sein. Ich will aber die Darstellung möglich«- Strategien, die aus dem Dilemma herausführen sollen, noch ein wenig verschieben und zunächst die anderen Probleme, die sich für die Rekonstruktion der starken Deduktion ergeben, beschreiben.

1.2. Das Problem der Wahrnehmungsurteile Wir können uns aufgrund des soeben Gesagten hier kürzer fassen. Wie bereits erwähnt, unterscheidet Kant in den Prolegomena' zwei Sorten von Urteilen: Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile. Wie immer man diese Unterscheidung interpretiert: in keinem Fall kommt man daran vorbei, daß Kant in den Prolegomena' nur den Erfahrungsurteilen objektive Gültigkeit zuspricht, während er in der KrV (§ 19) das Urteil überhaupt als ein Verhältnis, das objektiv gültig ist, definiert. Dies ist eines der Probleme, die Kants Unterscheidung in den Prolegomena' aufwirft. Es gibt allerdings Gründe für die Annahme, daß es sich dabei um kein besonders gravierendes Problem handelt. Denn wir haben ja gesehen, daß Kant den Objektivitätsbegriff in einer Reihe verschiedener Bedeutungen verwendet. Es ist also zu erwarten, daß sich der scheinbare Widerspruch durch Präzisierung des jeweils verwendeten Begriffs der objektiven Gültigkeit auflösen läßL Die Frage ist nur, in welcher Weise. 34

jedenfalls, wenn man den starken Beweisanspruch aufrechterhalten und die Objektivititsthese nicht als unbewiesene Voraussetzung in Ansprach nehmen will

Schwierigkeiten mit der StandardinteipreUtioa

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1.2.1. Varianten von Kants Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen Es wurde bereits erwähnt, daß Kants Unterscheidung auf zwei unterschiedliche Weisen interpretiert worden ist. Der ersten Interpretation zufolge handelt es sich um eine Unterscheidung hinsichtlich des Geltungsanspruchs: Wahrnehmungsurteile gelten nur für das urteilende Subjekt, während mit Erfahrungsurteilen ein Anspruch auf objektive und intersubjektive Gültigkeit erhoben wird. Nach der zweiten Interpretation dagegen unterscheiden sich Wahrnehmungsurteile von Erfahrungsurteilen durch die Gegenstände, über die geurteilt wird: In Wahmehmungsurteilen ist das logische Objekt das urteilende Subjekt selbst (oder seine mentalen Zustände); in Erfahrungsurteilen urteilen wir dagegen über von uns verschiedene Objekte. Für beide Interpretationen gibt es prima facie Belege in Kants Texten. So sagt Kant von den Wahrnehmungsurteilen, daß sie "bloß für uns, d.i. für unser Subjekt" gelten; "Ich verlange gar nicht, daß [...] jeder andere es ebenso wie ich finden soll". Diese Stellen legen nahe, daß Kant hier an so etwas wie einen subjektiven Geltungsanspruch denkt Von den Erfahrungsurteilen dagegen wird behauptet, daß sie "für jedermann gültig sein solle[n]" und daß "die objektive Gültigkeit des Erfahrungsurteils nichts anderes [bedeutet] als die notwendige Allgemeingültigkeit desselben" (Pr. § 18f. AAIV S. 298f.). Auf der anderen Seite charakterisiert Kant die Unterscheidung in der Weise, daß in Wahrnehmungsurteilen "nur eine Beziehung zweier Empfindungen auf dasselbe Subjekt, nämlich mich selbst" ausgedrückt wird; sie "sollen daher auch nicht vom Objekte gelten". Sie haben "sofern nur subjektive Gültigkeit; es ist bloß Verknüpfung der Wahrnehmungen in meinem Gemütszustande, ohne Beziehung auf den Gegenstand" (Pr. § 19f. AA IV S. 299f.). Erfahrungsurteile dagegen haben "objektive Gültigkeit": Sie drücken "nicht bloß eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subjekt, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes" aus (Pr. § 18 AA IV S. 298). Hier scheint Kant nicht den Geltungsanspruch des Urteils im Auge zu haben, sondern dasjenige, worüber in einem Urteil geurteilt wird: Urteile ich lediglich über meine Vorstellungen, so handelte es sich um ein Wahrnehmungsurteil; urteile ich über (von mir verschiedene) Gegenstände, so hätten wir es mit einem Erfahrungsurteil zu tun. Nun haben wir aber bereits gesehen, daß es in bezug auf Urteile keinen Sinn macht, von subjektiver Geltung zu sprechen: Es macht keinen Sinn zu sagen, daß etwas bloß für mich wahr ist. Es wäre also gut, wenn man Kants Unterscheidung nicht gemäß dem ersten Interpretationsvorschlag verstehen müßte. Und zwar nicht nur deshalb, weil damit Kant eine der Sache nach absurde

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Die Probiemitik von Kant» Begründung der Gc»ctzesthe»c

These zugeschrieben werden miißte; sondern auch deshalb, weil in diesem Fall der oben erwähnte scheinbare Widerspruch sich als ein echter Widerspruch entpuppen würde. Denn was immer Kant in § 19 der B-Deduktion unter objektiver Gültigkeit verstanden haben mag; aufgrund des im vorigen Abschnitt Ausgeführten ist klar, daß er in jedem Fall auch den Wahrheitsanspruch des Urteils dabei vor Augen hatte. Aber man braucht Kant nicht diese unsinnige Position zuzuschreiben. Denn die soeben zitierten Passagen legen eine solche Interpretation zwar nahe; aber sie erzwingen sie nicht: Wenn Kant sagt, daß Wahrnehmungsurteile nur "für uns" gelten, könnte er damit - auf eine zugegebenermaßen etwas unglückliche Weise - lediglich zum Ausdruck bringen wollen, daß es sich eben um Urteile über uns handelt. Er hätte dann besser sagen sollen, daß sie von uns gelten. Und wenn er sagt, daß wir mit einem Wahrnehmungsurteil nicht den Anspruch verbinden, daß "jeder andere es ebenso finden soll", so muß damit nicht gemeint sein, daß wir mit einem Wahrnehmungsurteil nicht den Anspruch auf allgemeine Zustimmung erheben. Er könnte lediglich den unbestreitbaren Sachverhalt im Auge gehabt haben, daß wir mit einem Wahrnehmungsurteil nicht beanspruchen, daß sich alle anderen in demselben Wahrnehmungszustand befinden. Wenn ich sage, daß ich jetzt Zahnschmerzen habe, erhebe ich zwar den Anspruch, daß alle dem in diesem Urteil ausgedrückten Sachverhalt zustimmen; - aber gewöhnlich verlange ich nicht, daß alle anderen auch Zahnschmerzen haben sollen. Wenn wir also bei Wahrnehmungsurteilen nicht fordern, daß es jeder 'ebenso wie ich finden soll', so bedeutet dies, daß wir nicht den Anspruch erheben, daß jeder andere dasselbe wie ich empfinden (oder wahrnehmen) soll. Wenn wir dagegen auf der Grundlage von Wahrnehmungen ein Erfahrungsurteil fällen, verlangen wir nicht nur - wie bei jedem Urteil -, daß uns jeder zustimmen soll, wir verlangen auch, daß jeder "unter denselben Umständen" dieselben (oder zumindest ähnliche) Wahrnehmungen hat (vgl. Pr. § 19 AAIV S. 299). Der Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen bezeichnete dann nicht einen Unterschied im Geltungsanspruch, sondern im Gegenstandsbezug. Aber wir haben bereits angedeutet, daß Kant mit d a Unterscheidung einen spezifischeren Kontrast im Auge gehabt haben mag, d a sich nicht darin erschöpft, daß es sich um Urteile über verschiedene Arten von Gegenständen handelt: In Wahrnehmungsurteilen verbinde ich die Wahrnehmungen selber "in einem Bewußtsein meines Zustandes" (Pr. § 20 AA IV S. 300), während in Erfahrungsurteilen die Wahrnehmungsgehalte im Begriff eines Objekts vereinigt werden. Dadurch geben wir ihnen "eine neue Beziehung, nämlich auf ein Objekt" (Pr. § 18 AA IV S. 298), und das Urteil drückt nicht bloß

Schwierigkeiten mit der Standanünteipreutioa

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eine "Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subjekt, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes" aus (ebenda). Solche Bemerkungen legen daher die Vermutung nahe, daß sich Kants Unterscheidung mit der oben eingeführten Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Urteilen deckt. Ich denke, daß sich die Frage, was genau Kant mit dieser Unterscheidung meinte, nicht definitiv entscheiden läßt Das liegt daran, daß Kant die den Alternativen zugrundeliegenden Unterscheidungen häufig vermengt Es ist daher sinnvoll, auf die von Kant verwendete Terminologie ganz zu verzichten und sich stattdessen der S. 83 zusammengestellten Bezeichnungen zu bedienen. Es gibt dann, soweit ich sehe, drei Möglichkeiten, den oben erwähnten Widerspruch aufzulösen. 1. Man kann die Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen auf die Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Urteilen abbilden. Neben den diese Lesart stützenden bereits zitierten Bemerkungen aus den "Prolegomena' kommen hier als weitere Belege vor allem der § 19 der B-Deduktion selber und eine mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen dem Erscheinen der "Prolegomena' (1783) und der zweiten Auflage der KrV (1787) niedergeschriebene Reflexion in Frage: "das Bewußtseyn der Wahrnehmungen bezieht alle Vorstellung nur auf uns selbst als Modificationen unseres Zustandet·, sie sind alsdenn unter sich Getrennt, und vornehmlich sind sie nicht Erkenntnisse von irgend einem Dinge und beziehen sich auf kein Object Sie sind also noch nicht Erfahrung" (R 5923 AA XVm S. 386; vgl. auch KdU l.Einl. AA XX S. 203f. Anm.).

In Wahrnehmungsurteilen sprechen wir uns die einzelnen Wahrnehmungen ("als Modifikationen unseres Zustandes") zu, ohne ihre Wahrnehmungsgehalte auf ein gemeinsames Objekt zu beziehen; dies geschieht erst in einem Erfahrungsurteil, "indem wir einen Begriff mit einem anderen [...] verknüpfen" und "so etwas von dem Gegenstande, der durch einen gegebenen Begriff bezeichnet worden", denken (ebenda). Legt man diese Lesart zugrunde, so läßt sich der scheinbare Widerspruch zwischen den Prolegomena' und der B-Deduktion dann beheben, wenn man die Urteilsdefinition des § 19 in dem von Beck vorgeschlagenen schwachen Sinn versteht. Dann sind nämlich sowohl Wahmehmungs- wie Erfahrungsurteile Vorstellungsverbindungen, die in dem Sinne objektiv gültig sind, daß mit ihnen ein Wahrheitsanspruch eihoben wird. Aber Wahrnehmungsurteile sind gleichwohl in dem anderen Sinne bloß subjektiv gültig, daß sich das wahrnehmende Subjekt in ihnen die Wahrnehmungen bloß als mentale Zustände zuschreibt 2. Die zweite Möglichkeit besteht darin, die Unterscheidung zwischen Wahmehmungs- und Erfahrungsurteilen mit der Unterscheidung zwischen Ur-

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teilen über bloß-logische Objekte und Urteilen über empirische Objekte zu identifizieren. In diesem Fall könnte man Kants Ausführungen in den Prolegomena' dadurch mit der Urteilsdefinition des § 19 der B-Deduktion in Einklang bringen, daß man die objektive Gültigkeit des Urteils überhaupt entweder im Sinne des Geltungscharakters oder im Sinne des Objektbezugs der Vorstellungsgehalte auf ein logisches Objekt auffaßt. 3. Die dritte Möglichkeit schließlich besteht in der Identifizierung des Unterschieds zwischen Wahmehmungs- und Erfahrungsurteilen mit der Unterscheidung zwischen Urteilen über bloß-intentionale, empirische Objekte einerseits und Urteilen über reale empirische Objekte andererseits. Dann kann die Urteilsdefinition des § 19 zusätzlich sogar in dem Sinn verstanden werden, daß ein Urteil objektiv gültig ist, wenn es ein empirisches Urteil ist. Wie bereits gesagt, glaube ich nicht, daß man definitiv entscheiden kann, welche dieser drei Möglichkeiten Kant im Sinn hatte, als er die "Prolegomena' schrieb. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er die Unterschiede zwischen diesen Möglichkeiten nicht klar vor Augen gehabt. Gleichwohl ist es sinnvoll, sich zu fragen, wie sich die Behauptungen, die Kant im Zusammenhang der Erörterung des Unterschiedes zwischen Wahmehmungs- und Erfahrungsurteilen aufstellt, der Sache nach auf unsere drei Unterscheidungen beziehen lassen. Dabei sind vor allem zwei Behauptungen von Interesse: (Pj)

Alle Erfahrungsurteile "sind zuerst bloße Wahrnehmungsurteile" (Pr. § 18 AA IV S. 298) und es gibt sogar Wahrnehmungsurteile, die "niemals objektiv werden können" (Pr. § 19 AA IV S. 299 Anm.).

(P2)

"Wahrnehmungsurteile [...] bedürfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt" (Pr. § 18 AA IV S. 298).

Diese beiden Behauptungen sind nicht nur deshalb von Interesse, weil sich mit ihrer Hilfe Kants Unterscheidung einen Schritt weiter aufklären läßt, sondern vor allem deshalb, weil sie uns neue Probleme bescheren. (P t ) konfrontiert uns nämlich mit einer neuen Variante des Problems der subjektiven Vorstellungen und (P2) verweist bereits auf das problematische Verhältnis von Urteilsfunktionen und Kategorien. Denn in (P2) behauptet Kant ja, daß es Urteile geben kann (eben die Wahrnehmungsurteile), in denen Vorstellungen zwar mittels der logischen Urteilsfunktionen verbunden sind, aber trotzdem keine Kategorien enthalten. Das ist erstaunlich, da Kant ja, wie wir oben gesehen haben, in der B-Deduktion unmittelbar aus der Behauptung, daß alle unsere Vorstellungen durch Verbindung gemäß den logischen Urteilsfunktionen zur Einheit

Schwierigkeiten mit der St»nrt«rrtinterpretation

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des Selbstbewußtsein gebracht werden können müssen, folgert, daß alle unsere Vorstellungen kategorial bestimmbar sein müssen, weil "die K a t e g o r i e n nichts anderes [sind], als eben diese logischen Funktionen zu urteilen, sofern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist" (B 143). Wie ist es aber dann möglich, daß in Wahmehmungsurteilen Vorstellungen durch logische Urteilsfunktionen verbunden sind, ohne daß dies zur Folge hat, daß sie auch Kategorien 'enthalten? Ich will dieses Problem erst im nächsten Abschnitt (1.3.) weiter verfolgen und zunächst auf das mit (Pj) zusammenhängende Problem eingehen.

1.2.2. Das Problem der nicht-objektivierbaren Vorstellungen Zu diesem Zweck ist es nützlich, an eine Passage zu erinnern, die bereits oben zitiert wurde: "Nun kann man zwar alles, und sogar jede Vorstellung, sofern man sich ihrer bewußt ist, Objekt nomai; allein was dieses Wort bei Erscheinungen zu bedeuten habe, nicht, insofern sie (als Vorstellungen) Objekte sind, sondern nur ein Objekt bezeichnen, ist von tieferer Untersuchung" (A 189fJB 234f.).

Wir haben diese Stelle oben im Zusammenhang der Frage nach Kants Objektbegriff zum Ausgangspunkt genommen. Jetzt wollen wir, ausgehend von dieser Stelle, Kants Vorstellungsbegriff genauer untersuchen. Wenn Kant zwischen der Vorstellung selber und dem Objekt, das durch sie "bezeichnet" wird, unterscheidet, macht er auf eine Eigenschaft von Vorstellungen aufmerksam, die seit Brentano als eines der Merkmale, durch die sich Mentales von Physischem unterscheiden soll, diskutiert wird: ihre Intentionalität. Kant will nämlich an dieser Stelle offenbar darauf hinaus, daß Vorstellungen nicht nur selber etwas sind, sondern sich auch auf etwas beziehen oder etwas "bezeichnen". Die Vorstellungen selber sind "bloße Bestimmung[en] des Gemüts" (A 50/B 74) oder "Modificationen unseres Zustandes" (R 5923; vgl. A 34/B 50, A 197f./ Β 24If.). Aber dasjenige, worauf sie sich beziehen, muß nicht selber wieder eine Vorstellung sein. Ich will solche Vorstellungen, die sich auf etwas beziehen, im folgenden als intentionale Vorstellungen bezeichnen. Mitunter behauptet Kant, daß alle Vorstellungen intentional sind: "Alle Vorstellungen haben, als Vorstellungen, ihren Gegenstand" (A 108).^

Implizit steckt diese Behauptung audi in der A 116 vorgetragenen Überlegung, in der Kant die Behauptung, dafi das Bewußtsein der "durchgängigen Idendtit unserer sclbet" cinc "notwendige Bedingung aller Vorstellungen" sei, damit begründet, dafi "diese [sc. Vonteilungen] nur da-

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Die Problematik von Kant« Begründung der Gesetzesthese

An anderen Stellen dagegen scheint er die Existenz nicht-intentionaler Vorstellungen zulassen zu wollen. So sind z.B die Gefühle der Lust und Unlust nach Kants Meinung "bloß subjektiv" (vgl. A 320/B 376). Und eben darin besteht auch der Grund dafür, daß bestimmte Wahrnehmungsurteile "niemals objektiv werden können", weil sie sich nämlich "bloß aufs Gefühl, welches jedermann als bloß subjektiv erkennt und welches also niemals dem Objekt beigelegt werden darf, beziehen" (Pr. § 19 AAIV S. 299 Anm.). Denn die Gefühle sind "bloß subjektiv, da hingegen alle übrige Empfindung zur Erkenntnis gebraucht werden kann" (KdU 1. Einl. AA XX S. 224; vgl. KdU AA V S. 188f.). Besonders klar charakterisiert Kant die verschiedenen Typen unserer Vorstellungen in der "Metaphysik der Sitten": "Man nennt aber die Fähigkeit, Lust oder Unlust bei einer Vorstellung zu haben, darum G e f ü h l , weil beides das b l o ß S u b j e c t i v e im Verhältnisse unserer Vorstellung und gar keine Beziehung auf ein Object zum möglichen Erkenntnisse desselben (nicht einmal don Erkenntnisse unseres Zustandes) enthalt; da sonst selbst Empfindungen außer der Qualität, die ihnen der Beschaffenheit des Subjects wegen anhängt (z.B. des Rothen, des Süßen u.s.w.), doch auch als Erkenntnißstücke auf ein Object bezogen werden, die Lust oder Unlust aber (am Rothen und Süßen) schlechterdings nichts am Objecte, sondern lediglich Beziehung aufs Subject ausdrückt" (MdS AA VI 21 lf.).

Und in einer Anmerkung fügt er hinzu: Man kann Sinnlichkeit durch das Subjective unserer Vorstellungen überhaupt erklären; denn der Verstand bezieht allererst die Vorstellungen auf ein Object, d.i. er allein d e n k t sich etwas vermittelst derselben. Nun kann aber das Subjective unserer Vorstellung entweder von der Art sein, daß es auch auf ein Object zum Erkenntnis desselben (der Form oder Materie nach, da es im ersteren Falle reine Anschauung, im zweiten Empfindung heißt) bezogen werden kann; in diesem Fall ist die Sinnlichkeit, als Empfänglichkeit der gedachten Vorstellung, der S i n n . Oder das Subjective der Vorstellung kann gar kein E r k e n n t n i ß s t ü c k werden: weil es b 1 o s die Beziehung derselben aufs S u b j e c t und nichts zur Erkenntnis des Objects Brauchbares enthält; und alsdann heißt diese Empfänglichkeit der Vorstellung G e f ü h l " (MdS AA VI 211f. Anm.).

Neben der extremen These, daß Gefühle nicht einmal zur Erkenntnis unseres Zustandes dienen können, können wir dies» Stelle entnehmen, daß Kant 'an ein» Vorstellung' einen subjektiven und einen objektiven Anteil unterscheidet Genauen Er erklärt zunächst einmal alles, was an ein» Vorstellung zur Sinnlichkeit zu rechnen ist, für subjektiv. Einiges davon kann durch den Verstand auf ein Objekt bezogen werden, anderes nicht Wir können Vorstellungen (bzw. Aspekte von Vorstellungen), die auf Objekte bezogen werden durch etwas vorstellen, daß sie mit allem anderen zu einem BewuBtsein gehören" (A 116; vgl. auch AA XIS. 374).

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können, objektivierbare Vorstellungen (bzw. Aspekte) nennen. Nun muß nicht alles, was auf ein Objekt bezogen werden kann, auch bereits auf ein Objekt bezogen sein. Solche objektivierbaren Vorstellungen, die auf ein Objekt bezogen sind, nenne ich objektive Vorstellungen. Was bedeutet das im Einzelfall? Nehmen wir an, wir stehen vor einem gewaltigen Berg, der von der Abendsonne in ein rotes Licht getaucht ist. Uns überkommt eine erhabene Stimmung. Hier sind nun die folgenden Aspekte zu unterscheiden. A) Die Stimmung ist ein bloßes Gefühl und kann nie ein Erkenntnisstück des Berges werden, obgleich sie von seinem Anblick verursacht sein kann. B) An diesem Berg nehmen wir die rote Farbe wahr. Ist diese Rotempfindung ein "mögliches Erkenntnisstück"? Die Beantwortung dieser Frage hängt 1. davon ab, was man üb«- sekundäre Qualitäten denkt, und 2. davon, was man darunter versteht, daß etwas ein mögliches Erkenntnisstück ist Was die erste Frage angeht, müssen wir feststellen, daß Kant sich offenbar nicht recht entscheiden konnte, was er von sekundären Qualitäten halten sollte. Manchmal behauptet er, daß sie wie Gefühle bloß subjektiv sind: "Die Farben sind nicht Beschaffenheiten der Körper, deren Anschauung sie anhängen, sondern auch nur Modifikationen des Sinnes des Gesichts, welches vom Lichte auf gewisse Weise affìziert wird" (A 28).

Auf der anderen Seite heißt es in den Prolegomena': "Daß man unbeschadet der wirklichen Existenz Süßerer Dinge von einer Menge ihrer Prädikate sagen könne: sie gehörten nicht zu diesen Dingen an sich selbst, sondern nur zu ihren Erscheinungen [...], ist etwas, was schon lange vor L o c k e s Zeiten, am meisten aber nach diesen allgemein angenommen und zugestanden ist. Dahin gehören die Wärme, die Farbe, der Geschmack etc." (Pr. § 13 Anm. Π AAIV S. 289).

Oder in einer Vorlesungsnachschrift: "Empfindung, sofern sie auf ein Object bezogen wird, kann ein Erkenntnisstück werden. Empfindung, die blos Bestimmung des Subjects enthält, kann kein Erkenntnisstück werden und heisst Gefühl der Lust und Unlust. Das Rothe ist ein Erkenntnisstück des Weins, aber das Angenehme desselben nicht" (AA XXVIII S. 737).

Aus den beiden ersten Passagen geht klar hervor (was man sich aber ohnehin hätte denken können), daß Farben jedenfalls keine Eigenschaften der Dinge an sich sind. In dem zuerst zitierten Text spricht Kant aber auch den Körpern (also doch wohl den Dingen als Erscheinungen) sekundäre Qualitäten ab, während er sie ihnen in der Passage aus den Prolegomena' ausdrücklich zuspricht. Kants Position ist in dieser Frage also nicht eindeutig. Der Sache nach müssen wir aber sicherlich verschiedene Arten von Empfindungsqualitäten vonein-

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

ander unterscheiden: erstens gibt es Empfindungsqualitäten, von denen es unsinnig wäre, sie auf Objekte zu bezidien. Das gilt klarerweise fur Stimmungen und die meisten Gefühle. Auch wenn ein Gegenstand uns in eine traurige Stimmung versetzt, ist es unsinnig, von dem Gegenstand zu sagen, er sei traurig oder er habe eine Trauerqualität.36 Zweitens gibt es Empfindungsqualitäten, die wir durchaus sinnvoll einem Gegenstand beilegen können, wie z.B. Farbempfindungen. Für Farbempfindungen ist zudem charakteristisch, daß wir sie an etwas wahrnehmen: Sie hängen - wie Kant dies an der oben zitierten Stelle ausdrückt - der Anschauung des Gegenstandes an. Selbst wenn wir sie nicht den wirklich existierenden materiellen Gegenständen zuschreiben wollen, so nehmen wir sie doch an etwas im Räume wahr. Zwischen diesen beiden Klassen von Empfindungen sind drittens solche Empfindungsqualitäten anzusiedeln, die wir zwar nicht an Gegenständen wahrnehmen, die wir ihnen aber gleichwohl zuschreiben können. Dazu gehören z.B. Wärmeempfindungen. Wir können solche Empfindungen sinnvoll auf Gegenstände beziehen und etwa sagen, daß der Stein warm ist Sie unterscheiden sich aber von Empfindungen der zweiten Klasse dadurch, daß wir sie genausogut uns selber zuschreiben können: "mir ist warm", "ich habe ein Wärmegefühl im Finger". Es ist aber unsinnig, in entsprechenden Situationen zu sagen: "mir ist rot" oder gar "ich bin rot" od«* "ich habe ein Rotgefühl im Auge".37 Wir können diese drei Sorten von Empfindungsqualitäten38 in folgender Weise charakterisieren: lXlasse: Gefühle wie Trauer, Freude etc., von denen es unsinnig ist, sie einem von mir verschiedenen Objekt beizulegen. 2Xlasse: Farbempfindungen etc., die wir an etwas wahrnehmen und von denen es unsinnig wäre, wenn wir sie uns selbst oder unseren mentalen Zuständen (in da1 gleichen Hinsicht) zuschrieben. 3Klasse: Empfindungen, wie Wärmeempfindungen, die wir sowohl uns selber wie Gegenständen zuschreiben können, die wir aber nicht an Gegenständen wahrnehmen.39 36

VI 3

Allenfalls in einem abgeleiteten Sinn kann man z.B. von einem traurigen Gesicht oder Blick sprechen.

' Man kann ách darüber streiten, ob Schmelzempfindungen nun in die erste oder dritte Klasse gehören. Dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nach gehören sie sicherlich in die erste Klasse. Daß es aber unter geeigneten Bedingungen durchaus sinnvoll sein kann, sie der dritten Klasse zuzurechnen, kann man z.B. bei Ayer (1963) S. 77 nachlesen. 38 Vgl. die ganz ähnliche Einteilung bei Tetens (1777) S. 406ff (Original 417ff). 39 Man könnte bestreiten, daB wir Wärme nicht an einem Gegenstand wahrnehmen. Es scheint mir aber klar zu sein, daB wir nicht in derselben Weise, wie wir etwa an einer runden Fläche

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Im Gegensatz zu den Elementen der 1. Klasse macht es Sinn, Empfindungsqualitäten, die den beiden letztgenannten Klassen zuzurechnen sind, Gegenständen zuzusprechen. Dies ist der erste und schwächste hier in Frage kommende Begriff von ObjektivierbaikeiL Er entspricht don Sinn von Objektivität, in dem objektive Urteile objektiv sind und sich von subjektiven Urteilen unterscheiden (vgl. S. 83). Man kann abo: unter der Objektivierbarkeit einer Vorstellung auch verstehen, daß die in ihr vorgestellte Qualität dem Gegenstand wirklich zukommt, d.h. daß das entsprechende Urteil wahr ist Und hier ist dann entsprechend den oben (S. 83) getroffenen Unterscheidungen noch zu unterscheiden, ob es sich um ein logisches oder ein empirisches Urteil handelt, und (falls letzteres) um ein intentionales oder ein reales. Ich denke, daß die folgenden Feststellungen ein einigermaßen angemessenes Bild der Sachlage geben. Vorstellungen der ersten Klasse (also Stimmungen und Gefühle der Lust und Unlust) sind nicht-intentionale Vorstellungen und können nicht einmal sinnvoll als Prädikate in objektiven Urteilen dienen.40 Empfindungsqualitäten der zweiten Klasse können dagegen in empirischen Urteilen Objekten zugesprochen werden. Und zumindest für die intentionalen Objekte der Wahrnehmung gilt, daß sie diesen auch wirklich zukommen, da wir sie direkt an ihnen wahrnehmen. Sie können auch in realen Urteilen Objekten zugesprochen werden. Ob solche Urteile wahr sind, hängt davon ab, was man über sekundäre Qualitäten denkt. Diese Frage können wir hier aber offenlassen. Die Vorstellungen der dritten Klasse schließlich können Objekten in empirischen Urteilen zumindest indirekt41 zugesprochen werden. Im Gegensatz zu den Vorstellungen der zweiten Klasse ist es aber nicht zwingend, selbst bloßintentionale Urteile dieser Art als wahr anzusehen.

40

41

die rote Farbe wahrnehmen, an einem ertasteten Gegenstand die Wirme wahrnehmen: Wir haben eine Wärmeempfindung in dem Körperteil, mit dem wir den Gegenstand berühren. Hier 'begleitet' die Wärmeempfindung unsere Wahrnehmung des Gegenstandes. Aber die Farbempfindung begleitet nicht nur unsere Wahrnehmung eines farbigen Objekts. Es ist vielleicht nicht ausgeschlossen, solche Gefühle indirekt auf Objekte zu beziehen. Eine solche indirekte Beziehung könnte z.B. dadurch Zustandekommen, daß man einem Gegenstand die Disposition zuschreibt, Trauer zu verursachen (z.B. einem Musikstück). Li diesem Fall würden sich solche Gefühle dann nicht wesentlich von Gefühlen der zweiten Klasse unterscheiden, wenn man diese - was ja häufig geschieht - ebenfalls nur indirekt den Gegenständen zuschriebe (man schreibt dann den Gegenständen eine Disposition zu, das entsprechende Gefühl unter bestimmten Umständen hervorzurufen). Allerdings unterscheiden sich diese Gefühle dann immer noch von Farbempfindungen, selbst dann, wenn man auch diese den realen Objekten nur indirekt zuschreibt. Denn Farbempfindungen werden in jedem Fall an den intentionalen Wahmehmungsobjekten direkt wahrgenommen. Vgl. die vorangegangene Fußnote.

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Die Problematik voti Kanti Begründung der Gesetzesthese

Damit verschärft sich nun aber das Problem der subjektiven Vorstellungen. Wir haben ja gesehen, daß wir Träumen und Einbildungen einen relativ hohen Objektivitätsgrad zusprechen können: Sie können in wahren, bloß-intentionalen Urteilen objektiviert werden. Dies gilt nun offensichtlich nicht mehr für Vorstellungen der ersten Klasse. Wenn wir also an Kants These, daß alle unsere Vorstellungen objektivierbar sein müssen, festhalten wollen, müssen wir die Objektivierbarkeit in dem von Beck vorgeschlagenen, extrem schwachen, Sinn auffassen. Und damit geraten wir wiederum in das am Ende des letzten Abschnitts (S. 89f.) beschriebene Dilemma. Soviel zu dem Problem, das sich aus (Pj) ergibt. Wir können nun zu dem zweiten Problem, das sich aus Kants Charakterisierung der Wahrnehmungsurteile ergab, übergehen.

1.3. Das Problem des Verhältnisses von Kategorie und Urteilsfunktion Wir haben bereits gesehen, daß Kant in der B-Deduktion die Kategorienthese direkt aus der Urteilsthese herleitet. Er erweckt dort den Eindruck, als sei der Schluß von (U) Alle meine Vorstellungen müssen durch Anwendung der Urteilsfunktionen verbindbar sein auf: (K) Alle meine Vorstellungen müssen kategorial bestimmbar sein trivial. Auf den ersten Blick scheint das auch der Fall zu sein. Denn alles, was man zu brauchen scheint, um dies zu einem gültigen Schluß zu machen, ist die Kategoriendefinition: (KD) Eine Kategorie ist ein Begriff von einem Vorstellungsmannigfaltigen, das durch Anwendung ein«' Urteilsfunktion verbunden ist Aus (KD) folgt, daß, wenn Vorstellungen durch Anwendung von Urteilsfunktionen verbunden werden, die der Urteilsfunktion entsprechende Kategorie auf diese so verbundenen Vorstellungen zutrifft Und daraus folgt, daß Vorstellungen, die durch Anwendung von Urteilsfunktionen verbindfow sind, auch kategorial bestimmbar sein müssen.42 Wenn (KD) eine adäquate Definition des Kategorienbegriffs ist, so ergibt sich sogar, daß Vorstellungen kategorial bestimmt werden, indem sie durch die entsprechende Urteilsfunktion verbunden werden.

Schwierigkeiten mit der Standardinterpretation

101

All dem widerspricht nun aber Kants Behauptung in den "Prolegomena', wonach Wahrnehmungsurteile keines reinen Verstandesbegriffs "bedürfen", obwohl auch sie durch "logische Verknüpfung der Wahrnehmungen" Zustandekommen. Eine weitverbreitete Reaktion auf diesen Widerspruch besteht darin, Kants Ausführungen in den "Prolegomena' als "vom pädagogischen Triebe des Sichverständlichmachens eingegebene" Verzerrung seiner in der KrV allein konsequent dargestellten Theorie zu sehen.43 Unter dem Gesichtspunkt, aus Kants transzendentaler Deduktion ein möglichst starkes Argument zu machen, ist diese Reaktion sicherlich verstandlich. Der Sache nach ist sie aber eher kurios. Denn auf den ersten Blick spricht alles für die Theorie der 'Prolegomena'. Wenn Urteile über bloß subjektive Gefühle (wie alle Urteile) logische Urteilsfunktionen enthalten müssen; diejenigen Urteile, die Kategorien enthalten, aber notwendigerweise objektive (wenn nicht gar empirische) Urteile sind; dann können Urteile über bloß subjektive Gefühle keine Kategorien enthalten. Nun kann kaum bestritten werden, daß eine Reihe von Bemerkungen Kants für die Annahme sprechen, daß er Kategorien und Urteilsfunktionen so eng aneinanderbindet, daß die Anwendung der Urteilsfunktionen unmittelbar die Geltung der entsprechenden Kategorie zur Folge hat. Aber es ist sicherlich unzutreffend, wenn G. Prauss in einer 1971 erschienen Untersuchung zu Kants Erscheinungsbegriff behauptet, daß "spätestens seit der ersten Auflage der Κ r i t i k für Kant feststeht, daß aller logischen Verknüpfung' zur Form des Urteils die Kategorien zugrunde liegen müssen" (Prauss (1971) S. 163 Anm. 15). Dagegen sprechen nicht nur Kants Äußerungen in den Prolegomena';44 auch in der KrV finden sich Stellen, an denen Kant den Zusammenhang zwischen Kategorien und Urteilsfunktionen lockert So hat Kant in der zweiten Auflage der transzendentalen Deduktion die folgende "Erklärung der Kategorien" vorangeschickt:45 "Sie sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n zu Urteilen als b e s t i m m t angesehen wird" (B 128). 43 44

43

So z.B. Ebbinghaus (1910) S. 7 Anm.. Prauss' Behauptung, daß "sich bei Kant kein einziger Beleg" für die These, daß Wahmehmungsuiteile keine Kategorien enthalten, finden lasse (Prauss (1971) S. 143), kann in Anbetracht von Kants Bemerkung, daß Wahrnehmung surteile "keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt" bedürfen (Pr. $ 18 AA IV S. 298), nur überraschen. Sein nachträglicher Versuch, audi diese Äußerung Kants mit seiner Auffassung von Wahmehmungsurteilen zusammenzubringen, ist dann audi reichlich geschraubt (vgl Prauss (1971) S. 163 Anm. IS). Diese Erklärung ist in der ersten Auflage noch nicht enthalten. Ich komme gleich auf eine ähnliche Passage, die sich nur in der ersten Auflage findet, zu sprechen.

102

Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

Und Kant fügt zur Erläuterung hinzu: "So war die Funktion des k a t e g o r i s c h e n Urteils die des Verhältnisses des Subjekts zum Prädikat, z.B. alle Körper sind teilbar. Allein in Ansehung des bloB logischen Gebrauchs des Verstandes blieb es unbestimmt, welcher von beiden Begriffen die Funktion des Subjekts, und welchem die des Prädikates man geben wolle. Denn man kann auch sagen: Einiges Teilbare ist ein Körper. Durch die Kategorie der Substanz aber, wenn ich den Begriff eines Körpers darunter bringe, wird es bestimmt: daß seine empirische Anschauung in der Erfahrung immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat betrachtet werden müsse; und so in allen übrigen Kategorien." (B 128f.)

Aus dieso1 Stelle geht klar hervor, daß aus der Verbindung von Vorstellungen durch Urteilsfunktionen noch nicht folgt, daß das so verbundene "in Ansehung [...] der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n [...] als bestimmt" anzusehen ist, denn in "Ansehung des bloß logischen Gebrauchs des Verstandes blieb es unbestimmt". Damit folgt aber aus der "Erklärung der Kategorien", daß nicht jede Verbindung durch Urteilsfunktionen bereits die kategoriale Bestimmtheit zur Folge hat Dies läßt sich besonders deutlich an Kants Definition der Substanzkategorie illustrieren. Unterstellt man nämlich, daß die Kategorien nichts anderes sind als Begriffe von einem Anschauungsmannigfaltigen, das durch Urteilsfunktionen verbunden wird, so folgt, daß der Begriff der Substanz nichts anderes bedeutet als etwas, das Subjekt in einem kategorischen Urteil sein kann. Der Begriff der Substanz wäre dann bedeutungsgleich mit dem Begriff eines logischen Subjekts. Aber Kant definiert die Kategorie der Substanz nicht in dieser Weise: Substanz ist das, was nur als Subjekt, niemals aber als Prädikat in einem kategorischen Urteil dienen kann (vgl. z.B. Β 149; Β 288; A 241/B 300). Damit orientiert er sich natürlich an einer der beiden klassischen Substanzdefinitionen.46 Dieser Substanzbegriff ist aber offenkundig anspruchsvoller als der eines logischen Subjekts. Es ist also alles andere als klar, daß Kant jenen engen Zusammenhang zwischen Kategorien und Urteilsfunktionen behauptet hat. Im Gegenteil: Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß Kant überhaupt erst im Anschluß an seine Untersuchungen in den Prolegomena' versucht hat, sich ein klareres Bild von diesem Zusammenhang zu machen. Dazu hatte er auch allen Grund. Denn es ist einer der selten bemerkten, aber nichtsdestoweniger gewichtigsten UnterschieNeben diesem aus der kategorischen Urteilsfoim gewonnenen Substanzbegriff spielt in der Tradition ein 'ontologischer' Substanzbegriff eine ebenso wichtige Rolle. Danach ist Substanz dasjenige, was ohne etwas anderes existieren kann. Beide Begriffe gehen letztlich auf Aristoteles zurück (vgL ζ. B. Metaphysik, Δ 8. 1017b).

Schwierigkeiten mit der Sttndardinterpreution

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de zwischen der ersten und zweiten Auflage der KrV, daß Kant erst in der BDeduktion den Versuch unternimmt, die Geltung der Kalegorienthese über den in der metaphysischen Deduktion in Anspruch genommenen Zusammenhang zwischen Urteilsfunktionen und Kategorien zu begründen. In der A-Deduktion spielt dies«1 Zusammenhang erstaunlicherweise überhaupt keine Rolle. 47 Selbst das Wort "Urteil" kommt im Text der Α-Deduktion nur ein einziges Mal (A 126) und dort nur ganz beiläufig vor. 48 Das läßt sich entwicklungsgeschichtlich leicht erklären. Den Zusammenhang zwischen Urteilsfunktionen und Kategorien hat Kant nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit am Beispiel der Substanzkategorie entwickelt Er hat dann diesen Zusammenhang auf die anderen Kategorien übertragen. Auf die der metaphysischen Deduktion zugrundeliegende Idee, daß die Tafel der reinen Verstandesbegriffe deijenigen der logischen Urteilsfunktionen "ganz genau parallel ausfalle" (Pr. § 20 AAIV S. 302), und daß daher die in der Logik bereits fertig vorliegende Urteilstafel als "Leitfaden zur Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe' benutzt werden könne, ist Kant bereits gekommen, bevor er überhaupt auf das Problem einer transzendentalen Deduktion gestoßen i s t 4 9 Bei der Bearbeitung dieses Problems orientierte sich Kant - wie aufgrund der Rolle, die Hume dabei gespielt hat, zu erwarten ist - vor allem an der Kausalitätskategorie. Geht man aber von der Kausalitätskategorie aus, so liegt es nahe, nicht sosehr den Zusammenhang zur Urteilslehre auszunutzen, sondern an eine andere charakteristische Eigenschaft der Kategorien anzuknüpfen: daß sie Begriffe von notwendigen Verbindungen sind. Aus dieser Perspektive ergibt sich ganz natürlich die Idee, die objektive Realität der Kategorien durch den Nachweis zu begründen, daß Erfahrungserkenntnis nur dann möglich ist, wenn Begriffe von notwendigen Verbindungen vorausgesetzt werden. Das ist auch im wesentlichen noch die Beweisidee in der Α-Deduktion. Die Kategorien werden dort ein47

48

49

B. Erdmann sieht darin den "wesentlichsten Mangel" der A-Deduktion (Erdmann (1878a) S. XXXV. Vgl. auch Paten (1936) Bd. Π S. 499. In seiner Schrift über die "Vollständigkeit der Kantischen Uiteilstafel" meint Reich, daß hier lediglich ein terminologischer Unterschied vorliege, da in der ersten Auflage der Regelbegriff die Stelle des Urteilsbegriffs einnehme. (Reich (1948) S 63). Selbst wenn man dem zustimmt (was keineswegs selbstverständlich ist, da Kant in der Α-Deduktion nicht die Urteile, sondern die Begriffe mit den Regeln in einen engen Zusammenhang bringt (A 106)), so indeit das nichts an dem wesentlichen Punkt: Zur Begründung der Geltung der Kategorienthetc bezieht sich Kant nirgends in der Α-Deduktion auf den der mettphysischen Deduktion zugrundeliegenden Zusammenhang zwischen Uiteilsfunktionen und Kategorien. An all den Stellen, an denen Kant in der A-Deduktion explizit auf die Geltung der Kategorienthese schließt (A 111 ; A 119; A 125), weiden diese ohne Angabe von Gründen einfach mit den Erfahrung ermöglichenden Begriffen identifiziert. Vgl. dazu den Brief an Herz vom 21.2. 1772 (AA X S. 130£f.) und die darauf Bezug nehmenden Bemerkungen in Reich (1935).

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Die Problematik von Kants Begründung der Gesetzesthese

fach mit diesen Begriffen von notwendigen Verbindungen identifiziert.50 Erst als Kant in den "Prolegomena' den Versuch unternahm, die Geltung der Kategorien dadurch einsichtig zu machen, daß er sie als notwendige Voraussetzungen für das Zustandekommen objektiv gültiger Urteile herauszustellen versuchte, scheint er bemerkt zu haben, daß er sich bis dahin gar nicht klar gemacht hatte, wie der Zusammenhang zwischen Urteilsfunktionen und Kategorien eigentlich genau beschaffen ist. Für die metaphysische Deduktion genügte ja lediglich der Nachweis, daß ein solcher Zusammenhang besteht.51 Daß Kant dieser Zusammenhang noch unklar war, geht schon daraus hervor, daß er ihn in den Prolegomena' auf andere Weise charakterisiert als in der oben zitierten 'Erklärung' aus der KrV. 52 Zwar hatte Kant bereits in der ersten Auflage der KrV eine der oben zitierten (erst in der zweiten Auflage hinzugefügten) "Erklärung der Kategorien" ähnliche Charakterisierung gegeben:53 "Die reinen Kategorien sind aber nichts anderes, als Vorstellungen der Dinge überhaupt, sofern das Mannigfaltige ihrer Anschauung durch eine oder andere dieser logischen Funktionen gedacht werden muß: [...] Substanz [ist], was, in Beziehung auf die Anschauung, das letzte Subjekt aller anderen Bestimmungen sein muß" (A 245f.).

Auf diese Charakterisierung kommt Kant aber erst am Ende der transzendentalen Analytik zu sprechen - ja er behauptet sogar, daß seine "Absicht, die lediglich auf den synthetischen Gebrauch derselben [sc. der Kategorien] geht, sie nicht nötig mache, und man sich mit unnötigen Unternehmungen keiner Verantwortung aussetzen müsse, deren man überhoben sein kann" (A 241; vgl. A 82/B 108). In der zweiten Auflage findet er es dann aber offenbar doch nötig, der transzendentalen Deduktion "die Erklärung der Kategorien voranzu-

52 53

Natürlich konnte sich Kant in der KrV dabei auf die metaphysische Deduktion berufen, da er meinte, bereits eine vollständige Liste aller reinen Verstandesbegriffe deduziert zu haben. Und daß es sich bei diesen Begriffen von notwendigen Verbindungen um Begriffe a priori handeln muß, ist für Kant eine Selbstverständlichkeit Aber das bestätigt eben die oben aufgestellte Behauptung, daß Kant in der ersten Auflage bestenfalls auf das Ergebnis der metaphysischen Deduktion zurückgreift, nicht aber auf das ihr zugrundeliegende Argument. Das Argument in der metaphysischen Deduktion geht von drei Prämissen aus: 1. Verstandesbegriffe beruhen auf Verstandeshandlungen. 2. Der Verstand ist ein Vermögen begrifflicher Erkenntnis. Daraus schließt Kant, daß, da 3. von Begriffen kein anderer Gebrauch gemacht werden kann, als indem man sie als Prädikate in Urteilen verwendet, 4. alle Verstandeshandlungen auf Urteilsfunktionen zurückzufuhren sind; und daraus 5., daß der Urteilstafel eineindeutig eine Tafel der reinen Verstandesbegriffe entspricht. Dazu ist es nun aber offensichtlich nicht erforderlich. Genaueres über die Art und Weise, in der reine Verstandesbegriffe auf Verstandeshandlungen beruhen, zu wissen. Vgl. die Belege unten S. 106f. Es lassen sich sogar bereits in den Reflexionen der siebziger Jahre Vorformen dieser "Erklärung" der Kategorien finden (vgl. z.B. R 4882).

Schwierigkeiten mit der Standardinterpretation

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schicken" (B 128), und i m Gegensatz zur ersten A u f l a g e bedient sich Kant j a in der B-Deduktion dieser Erklärung, um aus der Urteilsthese d i e Kategorienthese herzuleiten (vgl. den letzten Satz von § 2 0 5 4 ) . Daraus ergibt sich bereits, daß sich Kant in der Α-Deduktion nicht auf e i n e Erklärung d e s Zusammenhangs zwischen Urteilsformen und Kategorien berufen kann. Für das Beweisverfahrens, das er in A einschlägt, ist d i e s auch gar nicht nötig. In der Α-Deduktion geht Kant nämlich s o vor, daß er lediglich z u zeigen versucht, daß irgendwelche

Begriffe vrai notwendigen Verbindungen

notwendigerweise auf d i e Gegenstände der Erfahrung anwendbar sind. Daraus ergibt sich für ihn, daß e s sich um B e g r i f f e a priori handeln muß; und daraus schließt er unter Rückgriff auf den vermeintlichen Vollständigkeitsbeweis in der metaphysischen Deduktion, daß diese B e g r i f f e Kategorien sein m ü s s e n . 3 5 E s ist a l s o durchaus zutreffend, wenn Kant an der o b e n zitierten Stelle sagt, daß die Erklärung der Kategorien für s e i n e Z w e c k e nicht nötig war - jedenfalls war sie nicht nötig im Rahmen des Beweisverfahrens der Α-Deduktion. D a s änderte sich allerdings. In der großen Anmerkung zu den M A d N ( 1 7 8 6 erschienen) verkündet Kant, daß er "jetzt einsehe", daß die A u f l ö s u n g der Frage, " w i e nun Erfahrung vermittelst jener Kategorien und nur allein durch dieselbe[n] möglich sei [...] große Wichtigkeit und [...] eben so große Leichtigkeit [habe], da sie beinahe durch einen einzigen SchluB aus der genau bestimmten Definition eines U r t h e i 1 s überhaupt (einer Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objects werden) verrichtet weiden kann" ( A A I V S. 475 Anm.). D a m i t ist der Schritt v o n der in den 'Prolegomena' vorgetragenen Theorie der Erfahrungsurteile zur Urteilsdefinition des § 19 vorbereitet, w e n n nicht bereits g e t a n . 5 6 Kant kann nun nicht nur der "Dunkelheit" der ersten Bearbeitung 5
wird unterstellt, daß die Wahrnehmungen kausal von den wahrgenommenen Ereignissen abhängen.

162

Kants Begründung des Kausalprinzip*

Ich will - bevor ich auf die beiden Verteidigungsversuche eingehe - einige weitere Einwände gegen Kants Argument vorstellen.

1.2.4. Weitere Einwände gegen das O-P-Argument Einen "höchst wunderlichen und [...] palpabeln Irrtum" in Kants Beweis des Kausalprinzips glaubt Schopenhauer nur "als eine Folge seiner Vertiefung in den apriorischen Theil unserer Erkenntnis [erklären zu können], welche ihn aus den Augen verlieren ließ was sonst Jeder hätte sehn müssen" (Schopenhauer (1970) S. 113): "Kant sagL-[...] Nur durch das Gesetz der Kausalität, welches eine Regel ist, nach der Zustände einander folgen, läßt sich die Objektivität einer Veränderung «kennen. Und das Resultat sein« Behauptung würde seyn, daß wir gar keine Folge in der Zeit als objektiv wahrnehmen, ausgenommen die von Ursache und Wirkung. [...] Ich muß gegen alles Dieses anführen, daß Erscheinungen sehr wohl a u f e i n a n d e r f o l g e n können, ohne a u s e i n a n d e r z u e r f o l g e n . [...] [D]ie Succession von Tag und Nacht wird ohne Zweifel objektiv von uns erkannt, aber gewiß werden sie nicht als Ursache und Wirkung von einander aufgefaßt [...] Kant in seinem Beweise ist in den, dem des H u m e entgegengesetzten Fehler gerathen. Dieser nämlich erklärte alles Erfolgen für bloßes Folgen: Kant hingegen will, daß es kein anderes Folgen gebe, als das Erfolgen" (Schopenhauer (1970) S. 11 Off).

Wunderlich ist, daß dieser nun wirklich auf einem grotesken Mißverständnis beruhende Einwand auch heute noch zu finden ist. Denn gegen all dies, was Schopenhauer da behauptet, müssen wir anführen, daß Kant weder behauptet, daß jede Abfolge von Zuständen eine unmittelbare Ursache hat, noch, daß für je zwei einander folgende Zustände gilt, daß d a frühere die Ursache des späteren ist. Und keine diesa beiden Behauptungen folgt auch aus Kants 'Beweis'. Kant behauptet lediglich, daß jede Veränderung eine Ursache hat. Eine Veränderung ist eine Abfolge zweier entgegengesetzter Zustände A und Β im selben Gegenstand. Kant behauptet lediglich, daß der Übergang von A zu Β kausal verursacht ist, wobei es möglich ist, daß im Zustand A die Ursache enthalten ist Im allgemeinen gilt jedoch, daß das Ursache-Ereignis C (das selber eine Veränderung (C1C2) ist35) nicht ein Teilereignis von A ist. In Kants Beispiel aus den *Prolegomena' ist das Scheinen der Sonne die Ursache dafür, daß der Stein vom Zustand der Kälte in den der Wärme übergeht Durch das entsprechende Kausalgesetz wird also nicht das Zeitverhältnis zwischen Ursacheund Wirkungsereignis bestimmt, sondern das Zeitverhältnis der Zustände, die zusammen das Wirkungsereignis ausmachen. Kant behauptet also in der zweiOder eine Klasse solcher Veränderungen.

Dis analytische Argument

163

ten Analogie lediglich, daß es zu jedem Zustandswechsel eines Gegenstandes eine Ursache gibt Dem widerspricht nun sicherlich Schopenhauers Tag-NachtBeispiel nicht Was die andere Frage angeht, wie sich aufeinander folgende Ereignisse an verschiedenen Gegenständen zueinander verhalten, so folgt dazu aus der zweiten Analogie gar nichts. Damit können wir als Präzisierung von kaus(AB) festhalten: (*) kaus(AB) gilt genau dann, wenn es ein C = (CiCj) gibt, so daß C => (AB) gilt. Gewichtiger als der soeben besprochene Einwand ist ein anderes, ebenfalls von Schopenhauer entdecktes Problem, das sich allerdings nur für die epistemologische Variante von Kants Beweis «gibt: Wie läßt sich Kants Behauptung, daß Objektivität der Succession allein erkannt werde aus der Nothwendigkeit der Folge von Wirkung und Ursache, vereinigen mit jener [...] [A 203/B 249], daß das empirische Kriterium, welcher von zwei Zustanden Ursache und welche Wirkimg sei, bloß die Succession sei? Wer sieht hier nicht den offenbarsten Cirkel?" (Schopenhauer (1970) S. 114f.)

Für die epistemologische Variante von Kants Argument lassen sich ausgehend von dieser Bemakung zwei eng miteinander zusammenhängende Schwierigkeiten darstellen: das Wissensproblem und das Zirkelproblem. Denn aus dem epistemologischen Argument scheint zu folgen, daß wir nur dann in der Lage sind festzustellen, daß für eine gegebene Wahrnehmungsfolge (ab) (ab) = R(AB) gilt, wenn wir nicht nur unterstellen, daß es zu jeder Veränderung (AB) irgendein Kausalgesetz der Form C => (AB) gibt, sondern wenn wir ein entsprechendes Kausalgesetz kennen. Denn wenn wir Kant nicht die völlig unplausible These zuschreiben wollen, daß es gar keine reversiblen Prozesse geben kann (daß also je zwei Zustände A und Β entweder immer in der Reihenfolge (AB) aufeinanderfolgen oder immer in der Reihenfolge (BA)), dann müssen wir (wenn das Kausalprinzip allgemein für Veränderungen gelten soll) unterstellen, daß es sowohl empirische Kausalgesetze der Form C => (AB) wie der Form C* => (BA) gibt. Solange wir lediglich wissen, daß jede Veränderung einem Kausalgesetz unterliegt, können wir in einem gegebenen Fall aus dem Vorliegen von (ab) selbstverständlich noch nicht auf (AB) schließen. Dazu müssen wir 1. ein empirisches Kausalgesetz d a Form C => (AB) kennen und 2. wissen, daß C (und nicht z.B. C*) im gegebenen Fall vorlag. Wir müssen also allem Anschein nach nicht nur die entsprechenden empirischen Kausalgesetze kennen, wenn wir in einem gegebenen Fall in der Lage sein sollen, zu erkennen, daß (ab) = R(AB); wir müssen zusätzlich auch feststellen, daß das entsprechende Ursacheereignis eingetreten ist

164

Kant* Begründung des Kausalprinzips

Es erscheint aber ganz unplausibel, daß wir vom Vorliegen einer bestimmten Veränderung nur wissen können, wenn wir bereits dessen Ursache und das entsprechende empirische Kausalgesetz kennen. Ich will dies das Wissensproblem nennen. Aber damit nicht genug. Müssen wir nicht auch wissen, daB das Ursacheereignis eingetreten ist, bevor die in Frage stehende Veränderung (wenn es denn eine ist) eingetreten ist, wenn wir das oben beschriebene Verfahren zur Lösung des O-P-Problems befolgen? Schon hier liegt also allem Anschein nach ein Zirkelproblem vor. Aber Schopenhauer weist mit Recht darauf hin, daß noch ein weiterer Zirkularitätsverdacht am Platze ist: Denn wie anders sollen wir die empirischen Kausalgesetze erkennen, als auf der Grundlage regulärer Sukzessionen der Ursache-Wirkungs-Ereignisse? Kant seibo1 behauptet ja explizit an der von Schopenhauer angesprochenen Stelle: "Demnach ist die Zeitfolge allerdings das einzige empirische Kriterium der Wirkung, in Beziehung auf die Kausalität der Ursache, die vorhergeht" (A 203/B 249).

Wie können die empirischen Kausalgesetze Kriterien für die Entscheidung üb» die objektive Zeitfolge der Erscheinungen sein, wenn wir diese Gesetze nur auf der Grundlage einer Regularität objektiver Zeitfolgen erkennen können? Neben dem Wissensproblem ergibt sich also auch ein Zirkelproblem. (Wis)

Wenn Kants epistemologisches Argument stimmt, dann können wir nicht feststellen, daß (ab) = R(AB), wenn wir nicht unabhängig davon wissen, i) welches das (AB) entsprechende Kausalgesetz (C =* (AB)) ist, ii) daß das entsprechende Ursacheereignis in der gegebenen Situation eingetreten ist und (iii) daß das Ursacheereignis vor (oder gleichzeitig mit36) dem Übergang von A zu Β eingetreten ist All das ist aber unplausibel, und (iii) scheint das ganze Verfahren zirkulär zu machen.

(Zir)

Wenn Kants epistemologisches Argument stimmt, dann müssen wir empirische Kausalgesetze kennen (wegen (Wis)(ii)), wenn wir erkennen wollen, ob eine objektive Veränderung vorliegt; andererseits müssen wir vom Vorliegen objektiver Veränderungen wissen, um

Diese Einschränkung ist erforderlich, da Kant explizit die Gleichzeitigkeit von Ursache- und Wirkungsereignis zuläBt Das widerspricht nicht der oboi zitierten Bemerkung, wonach die Zeitfolge das empirische Kriterium für das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist (VgL dazu A 202ff./B 247ff.)

D u analytische Argument

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empirische Kausalgesetze erkennen zu können. Also führt Kants "Beweis" in einen Zirkel. Wir müssen nun sehen, ob Kants Argument gegen diese Einwände verteidigt werden kann. Beginnen wir dazu mit den Rekonstruktionen, die sich an der ersten Strategie gegen Strawsons Kritik orientieren.

1.2.5. Die phänomenalistische Objektkonzeption Strawson hatte behauptet, daß Kants Schluß von det(ab) auf kaus(AB) unter anderem deshalb ein plumper Fehlschluß sei, weil Kant ohne weiteres von C =» (ab) zu C =» (AB) übergehe; also von der kaum bestreitbaren Annahme, daß unsere Wahrnehmungen kausal verursacht sind, zu der weit weniger selbstverständlichen (und mithin jedenfalls völlig anderen) Behauptung, daß alle wahrgenommenen Veränderungen kausal verursacht sind. Gegen Strawson behaupten die Vertreter der nun zu untersuchenden Strategie, daß der Übergang von C => (ab) zu C => (AB) für Kant deshalb gerechtfertigt sei, weil die Gegenstände der Erfahrung für Kant bloße Erscheinungen und nicht unabhängig von unseren Wahrnehmungen existierende Dinge an sich sind.37 So schreibt etwa Paton: "Whenever we perceive an objective succession in which event Β follows event A, our perception b must follow our perception a. But since, on Critical principles, the events A and Β are only appearances to us, and are in this case i d e n t i c a l with the perceptions a and b, this means that where our experience is of objective succession, event Β must follow event A" (Paton (1936) Π S. 264). 38

Das liest sich geradezu wie eine direkte Replik auf Strawsons Einwand (obwohl es 30 Jahre vor Strawsons Buch geschrieben wurde). Aber Strawson hatte sicherlich recht, sie »st gar nicht mit einer ausführlichen Widerlegung zu beehren. Denn daß Patons Verteidigung völlig untauglich ist, hatte (bevor sie von Paton vorgeschlagen wurde) bereits Prichard gezeigt: "the assertion that the object of representations consists in the representations themselves related in a certain necessary way [...] is open to two fatal objections. In the first place, a complex of representations is just not an object in the proper sense, i. e. a reality apprehended. It essentially falls on the subject side of the distinction between an apprehension and the reality apprehended. The c o m p l e x i t y of a complex of representations in no way divests it of the character which it lus as a 37 OQ

J0

So z. B.: Beck (1978) S. 151; v. Cleve (1973) S. 84; Posy (1984) S. 36 und Allison (1983) S. 233). Ich habe auch hier die Bezeichnungen für Wahrnehmungen bzw. Ereignisse den eben getroffenen Festlegungen angepaßL

166

Kanu Begründung des Kausalprinäp«

complex of r e p r e s e n t a t i o n s . In the second place, on this view the same terms have to enter at once into two incompatible relations. Representations have to be related successively as our representations or apprehensions - as in fact they are related - and, at the same time, successively or otherwise, as the case may be, as parts of the object apprehended, viz. a reality in nature" (Prichaid (1909) S. 281).

Wenn Patón auf Prichards ersten Einwand mit der Feststellung reagiert, daß Kant eben nicht nur ein transzendental» Idealist, sondern auch ein empirischer Realist sei, und daher meint, eine Vorstellung, als "a content apprehended [...] can surely be both an event in my mental history and an event in the objective world" (Paton (1936) Π S. 266f.), so ist das entweder Unsinn oder eine unglückliche Formulierung dafür, daß wir zwischen einer Vorstellung qua mentalem Ereignis und ihrem Vorstellungsgehalt unterscheiden müssen. Aber dann kann man eben nicht - wie Paton das ja tut - daraus, daß die Vorstellungen qua mentale Ereignisse in ein» notwendigen Ordnung stehen, schließen, daß dies auch für das in ihnen Vorgestellte gilt - auch dann nicht, wenn man Kant darin zustimmt, daß das, was vorgestellt wird, selber in einem gewissen Sinn subjektabhängig (eben Erscheinung) ist. Auf Prichards zweiten - und viel gewichtigeren - Punkt geht Paton »st gar nicht ein. Und es ist auch nicht zu sehen, was er hätte erwidern können: Denn wenn a mit A und b mit Β identisch ist, dann muß auch das Zeitverhältnis zwischen a und b mit dem zwischen A und Β übereinstimmen, und es ist ja gerade dieser Umstand, den Paton in seinem 'Argument' benutzt; wenn er vorsichtigerweise hinzufügt, daß dies nur "in this case" (nämlich der Wahrnehmung objektiv» Veränderungen) gelten soll, so rettet ihn das zwar formal vor Prichards Vorwurf (da nur im Fall der Wahrnehmung koexistierender Zustände die Wahrnehmungsfolge nicht mit der objektiven Zeitrelation übereinstimmen muß39); aber man fragt sich natürlich, wieso "in other cases" die kritischen Prinzipien, auf die Paton soviel W»t legt, plötzlich nicht mehr gelten sollen.40 Und wenn gen»ell gelten soll, daß die Vorstellungen mit den vorgestellten Objekten identisch sind, dann haben wir es nicht nur Prichards Inkonsistenz zu tun; damit würde sich auch Kants Unbestimmtheitsthese als offenkundig falsch erweisen (selbst in d » schwachen Form (U*)).41 Immer vorausgesetzt, (WI) ist erfüllt und es handelt sich nicht um Sinnestäuschungen etc.. Man könnte allerdings, solange man sich auf den Rahmen des ursprünglichen O-P-Problems beschränkt, Prichards zweitem Einwand dadurch entgehen, daß man zwischen den minimal erforderlichen "zeitlichen" Teilen der Zustände und den Gesamtzuständen unterscheidet In diesem Fall gilt ja auch (wie wir S. 137f. gesehen haben) für die Wahrnehmungen koexistierender Zustande, daß die Folge der Wahrnehmungen mit den minimal erforderlichen zeitlichen Teilen der wahrgenommenen Zustände übereinstimmt: d. h. es gilt (ab) Η (Α Β ), aber nicht generell: (ab) (AB) wird dabei als die beste Erklärung für die Regularität der Wahrnehmungen reg(c,(ab)) angesehen. 58 Wie ζ. B. Bede unterstell! (Beck (1978) S. 151f.). 59 vgl. dazu unten Abschn. 2.1.1. und 4. Kap. Absdm. 1.1.3.2. u. 1.1.3.3.

Das analytische Argument

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dentale Deduktion zurückzugreifen. Zwar sollte es sich dabei nur um ein schwaches Beweisprogramm handeln, in dem die Möglichkeit objektiv gültiger Erfahrungserkenntnis vorausgesetzt wird. Wir haben im 1. Kapitel gesehen, daß auch unter dieser Voraussetzung ein Beweis des Kausalprinzips eine lohnende Aufgabe wäre (ob dies nun Hume selbst zufriedengestellt hätte oder nicht). Aber auch ein milder Skeptiker, der an der Möglichkeit objektiver Erfahrungserkenntnis nicht zweifelt, dürfte sich kaum von einem "Beweis' des Kausalprinzips besonders beeindrucken lassen, in dem bereits vorausgesetzt wird, daß nur das als Objekt gelten kann, was unter notwendigen Gesetzen steht. Bevor ich kurz auf die beiden anderen Versionen des analytischen Argumentes, die sich am Wahrnehmungsisomorphieproblem und am Sein-ScheinProblem orientieren, eingehe, will ich die wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Diskussion zusammenfassen: Es hat sich gezeigt, daß sich Kants Unbestimmtheitsthese verteidigen läßt, wenn man sie - wie oben geschehen - modifiziert. Wir haben dann gesehen, daß sich mit det3 eine einigermaßen plausible Formulierung für Kants Bestimmtheitsbedingung angeben läßL Wir haben dann zwischen zwei Versionen des analytischen Argumentes unterschieden: Die erste Version (das 'deduktive Argument'), in dem aus det(ab) auf kaus(AB) geschlossen werden sollte, erwies sich als unhaltbar. Auch die Versuche, die entscheidende Lücke in diesem Argument unto1 Rückgriff auf Kants transzendentalen Idealismus zu füllen, müssen als gescheitert angesehen werden. Demgegenüber ließ sich die zweite Version (das 'epistemologische Argument') gegen eine Reihe von Einwänden verteidigen. Aber auch hi» blieb insofern eine empfindliche Lücke, als Kant keinerlei Begründung für die - im Rahmen des epistemologischen Arguments wesentliche - Annahme gibt, wonach das Unbestimmtheitsproblem allein mittels eines Verfahrens, in dem das allgemeine Kausalprinzip vorausgesetzt wird, gelöst werden kann. Im Gegenteil: wir haben gesehen, daß das soeben im Anschluß an Broad skizzierte Verfahren eine ernstzunehmende Alternative darstellt, die ohne die Unterstellung des allgemeinen Kausalprinzips auskommt.

1.3. Andere Rekonstruktionen Es ist nun zu zeigen, daß auch die beiden anderen Versionen des analytischen Arguments keine überzeugende Begründung der zweiten Analogie der Erfahrung liefern. Diese beiden Versionen orientieren sich an den beiden anderen Varianten der Unbestimmtheitsthese: einmal an der These, daß durch die

182

Kants Begründung des Kausalprinzip«

bloße Wahrnehmung das objektive Verhältnis der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt bleibt, weil wir durch bloße Wahrnehmung nicht feststellen können, ob und wann die Wahmehmungsisomorphiebedingung erfüllt ist; und zum anderen an der These, daß die bloße Wahrnehmung das objektive Verhältnis der Erscheinungen unbestimmt läßt, weil wir durch bloße Wahrnehmung nicht ausschließen können, ob wir Wahrnehmungstäuschungen unterliegen. Ich beginne mit dem Wahrnehmungsisomorphieargument

1.3.1. Das Wahrnehmungsisomorphieargument Ich orientine mich bei der Diskussion dieses Arguments an der Rekonstruktion, die L. W. Beck vorgeschlagen hat. Becks Argument ist allerdings eine Mischform von O-P- und WI-Argument. Er faßt sein Argument in den folgenden 8 Schritten zusammen:60 (BEj)

"That the state A in the object precedes the state Β in the object [...] is a sufficient condition, given perceptual isomorphism [(WI)], for the irreversibility of the sequence of perceptual representations of the states A and B." Kurz: Wenn (WI) und (ab)=R(AB), dann irr(ab).61

(BE2)

"But knowledge of irr(ab) is not a sufficient condition for knowledge that (AB) occurs, and a fortiori not a sufficient condition for knowledge that irr(AB)62 occurs. For: (i) it could be the case that A and Β are coexistent but such as to be always perceived in the order (ab), which is interpreted as irr(ab); or (ii) it could be the case that Β precedes A, if perceptual isomorphism fails."

(BE3)

"In order to know, or to have good reason to believe, that (AB) occurs, given knowledge of irr(ab), I must know or have good reason to believe that*

Ich passe in dem folgenden Zitat Becks Notation den oben getroffenen Festlegungen an. In(ab) soll nach Beck dem entsprechen, was wir oben mit det(ab) bezeichnet haben. Aber Beck scheint (wie (BEji) zeigt) mit in(ab) eine schwächere Behauptung zu verbinden, als die oben von uns diskutierten Versionen von det(ab). Es ist daher sinnvoll, eine ándete Bezeichnung zu wählen. Beck sagt leider nicht, was er genau mit in(AB) meint Ich komme gleich auf die Frage, was er darunter verstehen muß, wenn sein Argument schlüssig sein soll, zurück. Im Augenblick können wir uns mit der vagen Obersetzung von in(AB) als "es ist festgelegt, daB die Zustände A und Β in der Ordnung (AB) auftreten" begnügen.

Du analytiscbe Argument

183

(i)

A and Β are opposite states of a substance [...], in order to rule out [BE21]; and (ii) irr(AB), in order to rule out [BE2ii]." (BE4)

"Knowledge of, or a sufficient reason to believe, [BE31] is sufficient reason to know or justifiably believe that there is an event (a change of states of an object) but not sufficient reason to know or believe that the event is (AB) and not (BA)."

(BE5)

"But I know, or have sufficient reason to believe, that (AB) occurs."

(BE^

"Therefore I know, or have sufficient reason to believe, that irr(AB) occurs."

(BE7)

"irr(AB) is the schema of causation."

(BEg)

"Therefore to know, or have sufficient reason to believe, that (AB) occurs, I must know, or have sufficient reason to believe, that A is, or contains, a causal condition of B" (Beck (1978) S. 148f.).

J. v. Cleve (1984) hat in einer eingehenden kritischen Untersuchung von Becks Argument bereits festgestellt, daß alle Prämissen außer (BE3Ü) und (BE7) überflüssig sind, um (BEg) abzuleiten. Ich habe sie gleichwohl alle zitiert, da sie zur Klärung des entscheidenden Argumentschritts wichtig sind. Wir können den Hauptschritt des Arguments wie folgt zusammenfassen: (BE3Ü)

Wir können nur dann ausschließen, daß eine gegebene Wahrnehmungsfolge (ab) (aufgrund der Verletzung der Bedingung (WI)) eine objektive Folge (BA) repräsentiert, wenn wir wissen (oder gute Gründe für die Meinung haben), daß irr(AB).

(BEy)

irr(AB) ist das Schema der Kausalitätskategorie.

Mit der Zusatzprämisse: (Sch)

Das Schema einer Kategorie ist seine Anwendungsbedingung (d.h. im Fall der Kausalitätskategorie (unter der Voraussetzung, daß (BE7) zutrifft): wenn irr(AB), dann gilt kaus(AB)63)

folgt: (BEg)

Um zu wissen (oder gute Gründe für die Meinung zu haben), daß (ab)=R(AB), muß ich wissen (oder gute Gründe haben), daß kaus(AB).

Ich ersetze hier die von Beck in (BEg) gegebene Charakterisierung, wonach A selber entweder die Ursache von Β ist, oder sie enthält, durch kaus(AB) aus den oben S. 162f. genannten Gründen.

184

Kanu Begründung des Kausalprinzip·

Das Argument ist streng genommen nicht gültig, da lediglich folgt, daß wir, um wissen zu können (oder gute Gründe für die Meinung zu haben), daß (ab)=R(AB), wissen müssen (oder gute Gründe für die Meinung haben müssen), daß irr(AB) und daß, wenn irr(AB) gilt, auch kaus(AB) gilt. 64 Aber es ist klar, daß diese Abschwächung von Becks intendiertem Resultat unerheblich ist, da in jedem Fall folgt, daß es dann gute Gründe für die Meinung gibt, daß kaus(AB) gilt (ob wir von ihnen nun de facto wissen oder nicht), wenn wir gute Gründe für die Meinung haben, daß (ab)=R(AB) der Fall ist. Sehr viel mehr kann man ohnehin von einem epistemologischen Argument nicht erwarten. Die für die Einschätzung des Arguments entscheidende Frage ist natürlich, ob wir die Prämisse (BE 3 ii) akzeptieren können, und dazu müssen wir erst einmal herausfinden, was genau mit irr(AB) gemeint ist Wenn das Argument akzeptabel sein soll, dann muß irr(AB) so interpretiert werden, daß unter dies«' Interpretation die beiden Prämissen (BE3Ü) und (BE7) wahr sind. V. Cleve hat Beck vorgehalten, daß er in den beiden Prämissen verschiedene Interpretationen von irr(AB) unterstellen muß, wenn die Prämissen selber plausibel sein sollen. Um auszuschließen, daß (ab)=R(BA) gilt, reicht es völlig aus, wenn wir wissen, daß immer dann, wenn A und Β gemeinsam auftreten, sie in der Reihenfolge (AB) auftreten. Aber das bedeutet nicht, daß immer, wenn A auftritt, Β folgt. 65 Nun haben wir oben bereits gesehen, daß wir selbst die schwächere Interpretation von irr(AB) nicht akzeptieren können, da unter ihrer Voraussetzung aus W(AB) W(irr(AB)) folgen würde. Und dies würde bedeuten, daß wir nie vom Vorliegen reversibler Prozesse wissen können. Wir haben aber auch gesehen, daß sich diese Schwierigkeit leicht beseitigen läßt, indem wir eine einschränkende Bedingung hinzufügen. Dann können wir die beiden Interpretationen von irr(AB) in folgender Weise charakterisieren: (irr])

irr^AB) ist genau dann der Fall, wenn in der gegebenen Wahrnehmungssituation eine Bedingung C erfüllt ist, derart, daß immer dann, wenn eine zu C ähnliche Bedingung C erfüllt ist und (A und Β ähnliche) Zustände A' und B' gemeinsam auftreten, (Α'Β1) gilt.

(1112)

irr 2 (AB) ist genau dann der Fall, wenn in der gegebenen Wahrnehmungssituation eine Bedingung C erfüllt ist, so daß es immer dann, wenn eine zu C ähnliche Bedingung C »füllt ist, A und Β ähnliche Zustände A' und B' gibt, für die (ΑΈ') gilt.

64 65

Daraus folgt deshalb nicht (BEj), weil im allgemeinen aus W(p) und (p —> q) nicht W(q) folgt. Einen entsprechenden Einwand hat Bennett gegen eine Version des Objekt-Prozeß-Argumen tes vorgebracht. Vgl. Bennett (1966) S. 221.

D u analytische Argument

18S

Es ist klar, daß irr^AB) schwächer ist, als irr2(AB), da irr^AB) zuläßt und irr2(AB) ausschließt, daß C* auftritt, ohne daß A' oder B' auftreten; es wird für irr^AB) lediglich verlangt, daß, wenn C gemeinsam mit A' und B' auftritt, (ΑΈ') gilt. Nun ist klar, daß W(irr1(AB)) völlig ausreicht, um auszuschließen, daß (ab)=R(BA) gilt Aber es ist auch klar, daß wir mindestens irr^AB) in Prämisse (BE·/) unterstellen müssen: Denn die Bedingung C soll ja nach (BE7) als die Ursache für die Veränderung (AB) aufgefaßt werden (und nicht nur als ein Hinderungsgrund für (BA)). Beck könnte auf diesen Einwand replizieren, daß dies zwar formal richtig ist, daß wir aber irr^AB) nur feststellen können, wenn wir auch irr^AB) feststellen (können). Ob diese Replik aussichtsreich ist, können wir erst beurteilen, wenn wir wissen, wie wir irr^AB) überhaupt feststellen können. Sobald wir uns aber diese Frage stellen, zeigt sich gleich ein weiteres Problem, das wir ebenfalls bereits im Rahmen der Diskussion (der epistemologischen Variante) des O-P-Argument kennengelernt haben: das Zirkelproblem. Denn wenn wir nicht annehmen wollen, daß wir irrt(AB) a priori wissen,66 dann muß es ein empirisches Verfahren geben, um irr^AB) feststellen zu können.67 Aber wie sollen wir empirisch feststellen, daß immer dann, wenn C, A und Β gemeinsam auftreten, (AB) gilt, wenn wir dies bereits wissen müssen, um feststellen zu können, ob (AB) vorliegt? Ich sehe nicht, wie man diese Frage mit einer anderen Antwort als einem klaren "gar nicht" beantworten soll. Aber dann kann weder irr^AB) noch iir2(AB) das Schema für kaus(AB) sein. Denn nach (SCH) soll ja das Schema eine empirisch erkennbare Anwendungsbedingung für die entsprechende Kategorie sein. Nun weist Beck selbst darauf hin, daß Kants Formulierung des Schemas der Kausalitätskategorie zwar mit (BE7) vereinbar ist, aber auch eine andere Lesart zuläßt. Bei Kant heißt es: "Das Schema der Ursache und der Kausalität eines Dinges überhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der Sukzession des Mannigfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist" (A 144/B 183).

Dies macht die von Beck favorisierte Lesart zwar ziemlich wahrscheinlich; erzwingt sie andererseits aber nicht. Wenig später bemerkt Kant jedoch: "das Schema [...] der Relation [enthalt] das Verhältnis der Wahrnehmungen untereinander [...] nach einer Regel der Zeitbestimmung" (A 145/B 184). 66

Was weder Kant noch Bede behaupten will. Das bedeutet natürlich nicht, daß wir zur Anwendung dieses Verfahrens keine Prinzipien a priori unterstellen dürfen. Es besagt nur, daB wir nidx die Geltung besonderer Naturgesetze dabei voraussetzen dürfen.

186

Kanu Begründung des Kausalprinzip·

Diese Formulierung legt nahe, daß das Schema keine Aussage über die Irreversibilität der objektiven Zustände, sondern über die Irreversibilität der Wahrnehmungen ist 68 Wir können dann (analog zu irr^AB) und irr2(AB)) definieren: (irr3)

irr3(ab) ist genau dann der Fall, wenn in der gegebenen Wahrnehmungssituation eine Bedingung C erfüllt war, derart, daß immer dann, wenn eine zu C ähnliche Bedingung C erfüllt ist und (a und b ähnliche) Wahrnehmungen a' und b' gemeinsam auftreten, (ai)1) gilt

(irr4)

irr4(ab) ist genau dann der Fall, wenn in der gegebenen Wahrnehmungssituation eine Bedingung C erfüllt war, so daß immer dann, wenn eine C ähnliche Bedingung «füllt ist, (al)1) gilt 6 9

Wir haben gesehen, daß eine ähnliche Strategie im Rahmen des O-P-Arguments geeignet ist, das Zirkelproblem aufzulösen. Aber es ist kein Wunder, daß Beck sich dagegen sträubt irrj(AB) bzw. irr2(AB) durch iir3(ab) bzw. irr4(ab) zu ersetzen. Denn wenn wir entweder irr3(ab) oder irr4(ab) in (BE3Ü) einsetzen, folgt offensichtlich, daß eine Verletzung der Wahmehmungsisomorphiebedingung in all den Fällen ausgeschlossen ist, in denen wir auf der Basis einer Wahmehmungsfolge (ab) erkennen können, welche objektive Veränderung ihr korrespondiert.70 Aber dann bricht das ganze Argument in sich zusammen, da es witzlos ist, eine Bedingung als Kriterium für die Entscheidung, welche von zwei Möglichkeiten vorliegt, vorzuschlagen, aus der folgt, daß eine dieser beiden Möglichkeiten gar nicht vorliegen kann. Becks Rekonstruktionsvorschlag ist also mit dem folgenden Dilemma konfrontiert: Entweder er interpretiert irr(AB) im Sinne von irri(AB) oder irr2(AB); dann ist es nicht als empirisches Kriterium brauchbar; oder er wählt Ich kann nicht «kennen, wieso Beck meint, daß die in der zuerst zitierten Passage noch offengelassene Möglichkeit, daB im Schema eine Aussage fiber unsere Wahrnehmungen und nicht über die ihnen korrespondierenden objektiven Zustünde gemacht wird, durch Kants Bemerkung ausgeschlossen sein soll, wonach "die Zeitfolge allerdings das einzige empirische Kriterium der Wirkung, in Beziehung auf die Kausalität der Ursache, die vorhergeht" (A 203/ Β 249), sei Denn diese Bemerkung läfit ganz offen, ob Kant hier über die Zeilfolge der objektiven Zustände oder über die Zeitfolge der Wahrnehmungen redet Wenn irr3(ab) oder irr4(ab) empirisch überprüfbar sein sollen, dann mufi natürlich weiterhin gefordert werden, daB wir durch Wahrnehmung auch das Vorliegen von C und den entsprechenden C , C etc. feststellen kämen. Das bringt uns natürlich in zusätzliche Probleme, von denen ich hier absehe, da die genannten Schwierigkeiten ausreichen, um Becks Argument zu untergraben. Es folgt sogar, daB, wenn wir in der Lage sind festzustellen, daB in einem gegebenen Fall (ab) = R(AB) gilt, es ausgeschlossen ist, daB bei Wahrnehmungen von (der objektiven Veränderung (AB)) ähnlichen Veränderungen (ΑΉ1) jemals eine Verletzung der Wahmehmungsisomorphiebedingung auftreten lutm.

Das analytische Argument

187

irr3(ab) oder irr4(ab), dann entfällt das Problem, zu dessen Lösung das Kriterium vorgeschlagen wurde. Die einzige Möglichkeit, diesem Dilemma zu entgehen, scheint mir die folgende zu sein: Wenn wir die Geltung des allgemeinen Kausalprinzips unterstellen, können wir aus (ab) dann auf (ab)=R(AB) schließen, wenn die folgenden empirisch feststellbaren Bedingungen «füllt sind: 1.

In der gegebenen Situation lag C vor (im günstigsten Fall stellen wir das dadurch fest, daß wir eine Wahrnehmung c hatten, bevor wir die Wahrnehmung b hatten).

2.

In den meisten Fallen, in denen wir feststellen konnten, daß ein C ähnliches C vorlag, traten (a und b ähnliche) Wahrnehmungen a' und b' in der Reihenfolge (aW) auf.

3.

Es gab hinreichend viele Fälle der in (2.) beschrieben Art, um auf dieser Basis einen Induktionsschluß zu rechtfertigen.

4.

In all den Fällen, in denen das Vorliegen eines C ähnlich«! C festgestellt wurde, und (b'a") auftrat, war auch eine Bedingung D «füllt, für die gilt: i) Das Vorliegen von D wurde nie festgestellt, wenn a' und b' in der Reihenfolge (a'b1) auftraten. ii) Immer wenn eine D ähnliche Bedingung D' vorlag, führte dies auch in Fällen, in denen von a und b qualitativ verschiedene Wahrnehmungen vorlagen, zu einer Umkehrung der 'normalen' Reihenfolge. (Die Bedingung D kann dann als die für das Auftreten von Wahrnehm ungsisomorphieverletzungen verantwortliche Bedingung interpretiert werden).

Es ist klar, daß wir dieses Verfahren nicht anwenden können, wenn wir nicht unterstellen, daß Regulan täten unter unseren Vorstellungen Indizien für kausale Abhängigkeiten sind. Ab« das liefert das gewünschte Ergebnis nur dann, wenn gezeigt werden kann, daß das soeben beschriebene Verfahren die einzige Möglichkeit ist, das Wahmehmungsisomorphieproblem zu lösen. Es ist aber leicht zu sehen, daß dies keineswegs der Fall ist Denn dazu genügt es festzustellen, daß immer dann, wenn eine Bedingung D erfüllt ist, sich die 'normale' Reihenfolge der Wahrnehmungsfolgen umkehrt Mit anderen Worten: Es ist völlig ausreichend, daß wir in der Lage sind, die für Wahrnehmungsisomorphieverletzungen verantwortlichen kausalen Faktoren zu identifizieren. Und dazu muß lediglich vorausgesetzt werden, daß das Zustandekommen der Wahrnehmungen kausal durch die objektiven Verhältnisse bestimmt ist, nicht ab«,

188

Kants Begründung de* Kausalprinzipe

daß die wahrgenommenen objektiven Zustände selbst unter Kausalgesetzen stehen. Zudem hatten wir bereits gesehen, daß Verletzungen da Wahrnehmungsisomorphiebedingung ohnehin nur bei räumlich von einander entfernten, oder durch verschiedene Sinne wahrgenommenen Ereignissen auftreten. Da es Kant um Zustandsänderungen desselben Objekts geht, sind Fälle des ersten Typs irrelevant; und Fälle des zweiten Typs können wir dann ausschalten, wenn wir von der Annahme ausgehen, daß es im Prinzip möglich ist, beide Zustände einer Zuständsänderung in derselben Sinnesmodalität wahrzunehmen. Das Wahmehmungsisomorphieargument taugt also nichts.

1.3.2. Das Sein-Schein-Argument Dasselbe gilt aus ganz analogen Gründen vom Sein-Schein-Argument. Denn auch hier reicht es aus, daß wir die für die 'Schein-Situationen' verantwortlichen Bedingungen feststellen können; und es ist nicht zu sehen, wieso wir dazu mehr unterstellen müssen, als daß unsere Vorstellungen (durch subjektive und objektive Faktoren) verursacht sind. Ich erspare mir, im Detail zu zeigen, daß die Gründe für das Scheitern des Sein-Schein-Arguments den oben gegen das Wahmehmungsisomorphieargument vorgebrachten Einwänden ganz analog sind. Es kommt allerdings beim Sein-Schein-Argument noch hinzu, daß hier die Kenntnis der auf den gegebenen Einzelfall zutreffenden empirischen Kausalgesetze allein noch nicht einmal ein hinreichendes Kriterium liefert: Wenn ich träume, daß Wasser in der Wüste bei intensiver Sonneneinstrahlung gefriert, kann ich aus der Kenntnis der empirischen Kausalgesetze schließen, daß irgend etwas nicht stimmt Aber ich kann auch träumen, daß das Wasser verdunstet; und da hilft mir die Kenntnis empirischer Kausalgesetze über Sonnenlicht und seine Auswirkungen auf Wasser natürlich gar nichts zur Entscheidung, ob ich träum(t)e oder nicht Wenn wir ein hinreichendes Kriterium haben wollen, müssen wir nicht nur das für den Einzelfall relevante Kausalgesetz kennen, sondern mindestens so viele empirische Gesetze, wie erforderlich sind, um Kants 2. Postulat des empirischen Denkens anwenden zu können.

1.3.3. Ein letzter Versuch Man könnte auf den soeben gegen die beiden letzten Varianten des analytischen Arguments vorgebrachten Haupteinwand entgegnen, daß wir die Kausalgesetze, die für das Zustandekommen der Wahrnehmungen verantwortlich

Kanu Argument

189

sind, nicht erkennen können, wenn wir nicht bereits andere Kausalgesetze kennen, die für objektive Zustandsveränderungen verantwortlich sind. Es spricht einiges dafür, daß dies dann zutrifft, wenn wir das fundamentalistische Programm der Rechtfertigung unserer Erkenntnisansprüche vertreten.71 Aus der Diskussion des Wahmehmungsisomorphiearguments sollte aber deutlich geworden sein, daß es sich bei dem zur Lösung des WI-ProWems vorgeschlagenen Verfahren um ein explanatorisches Verfahren handelt. Wenn man das fundamentalistische Programm aber ohnehin aufgibt, spricht nichts dagegen, die für Wahrnehmungsisomorphieverletzungen verantwortlichen Bedingungen auf der Basis von entsprechenden Regulantäten der Wahrnehmung zu postulieren. Analoges gilt für das Sein-Schein-Argument. Und es bedürfte zumindest eines zusätzlichen Arguments, wenn man zeigen wollte, daß dies nur möglich ist, wenn auch die objektiven Zustandsveränderungen unter Kausalgesetzen stehen. Aber selbst wenn sich dies zeigen ließe, ist es doch höchst unwahrscheinlich, daß damit das generelle Kausalprinzip bewiesen ist. Denn wir müssen ja nicht die Einzelheiten über den für das Zustandekommen von Wahrnehmungen verantwortlichen Kausalmechanismus wissen: Es reicht, wenn sich Bedingungen ausfindig machen lassen, die als Indizien für das Vorliegen von Wahmehmungsisomorphieverletzungen oder Sinnestäuschungen dienen können.

2. Kants Argument Es ist nun an der Zeit, Kants eigene Ausführungen genauer zu betrachten. Ich habe bereits am Anfang des Kapitels darauf hingewiesen, daß der Text eine ganze Reihe von Beweisansätzen enthält Legt man die zweite Auflage zugrunde,72 so können wir uns im folgenden im wesentlichen auf die ersten 16 Absätze der 2. Analogie beschränken. Die verbleibenden Passagen gehören nicht mehr zum Beweis des Kausalprinzips; in ihnen erörtert Kant vor allem einige Nebenfragen, wie z.B., ob Ursache und Wirkung gleichzeitig auftreten können oder wie sich der Kraftbegriff zur Kausalitätskategorie verhält. Ich schlage vor, den Text in 6 Teile zu gliedern. Mit der Ausnahme des IV. Teils, in dem der Übergang vom analytischen zum synthetischen Beweis vorbereitet wird, geben alle diese Teile einen mehr oder weniger vollständigen Beweis'. Der Text kann dann in folgender Weise zerlegt werden (ich füge zum Vergleich die Einteilungen, die sich bei Paton und Wolff finden, hinzu): 71 72

Vgl. zur Begründung dieser Illese Ayer (1973) v.«. Put V. Der Text der 2. Auflage unterscheidet sidi im wesentlichen von dem der 1. Auflage durch die beiden ersten, neu hinzu gefügten Absätze.

190

Kants Begründung des Kausalprinzips

Paton

Wolff 3 4-6 7-12

I:

1-273

1-2

II:

3-6

III: IV: V: VI:

7-8

3-6 7 - 8 (+9) 10-12 13-15 16

9 10-15 16

13-15 16; 1 - 2

I-III und VI sind Versionen des analytischen Arguments, wobei I und VI einander am meisten ähneln; III wiederholt (in Form eines indirekten Beweises) nur die Hauptpunkte der zuvor gegebenen (ausführlichsten) Präsentation des analytischen Beweises in Π. In IV setzt sich Kant mit einem empiristisch inspirierten Einwand auseinander und leitet damit zur Darstellung des synthetischen Arguments über. Wenn wir also zunächst von den für die zweite Auflage hinzu gefügten beiden ersten Absätzen absehen, haben wir es durchaus mit einem sinnvoll strukturierten Argumentationsverlauf zu tun: Zunächst präsentiert Kant seinen analytischen Beweis (Π), dessen Resultat er durch eine Widerlegung der gegenteiligen Annahme absichert (ΠΙ). In IV macht er sich selbst einen naheliegenden Einwand, der zugleich die Überleitung zum synthetischen Beweis (V) bildet. Im abschliessenden VI. Teil stellt er dann noch einmal die "Momente", auf denen "der Beweisgrund" der 2. Analogie beruht (A 201/ Β 246), zusammen. Wenn sich im Folgenden plausibel machen läßt, daß dies der Argumentationsverlauf von Kants Beweis ist, so ist damit auch gezeigt, daß der eingangs erweckte Eindruck, es handle sich bei da' zweiten Analogie um ein Konglomerat kaum zusammenhängender Einzelbeweise, allzu oberflächlich war. Abschließend sei noch angemerkt, daß Kant sowohl den analytischen (II) wie den synthetischen Beweis (V) mit einer allgemeinen Erörterung zum Objektivitätsproblem einleitet Die Diskussion des analytischen Argumentes wird das Ergebnis unserer bisherigen Betrachtungen im wesentlichen bestätigen: für sich allein reicht es nicht aus, die Geltung des Kausalprinzips zu begründen. Es gibt ab» Gründe für die Annahme, daß Kant selber der Auffassung war, daß das analytische Argument einer zusätzlichen Absicherung bedarf, da es von einem starken Objektbegriff Gebrauch macht. Zu eben diesem Zwecke bemüht Kant seinen synthetischen Beweis, der allerdings wesentlich von Voraussetzungen aus der transzendentalen Deduktion abhängt. 73 Die Zahlen bezeichnen die Absätze des Textes der 2. Auflage.

Kants Argument

191

2.1. Kants analytisches Argument Wir wollen nun "zu unserer Aufgabe fortgehen" (A 191/B 236), indem wir uns Kants ausführlichster Darstellung des analytischen Beweises (Π) zuwenden. Im ersten Absatz dieses Beweises (Abs. 3) gibt Kant die erste detailliertere Erörterung der Frage, was wir unta einem Erfahrungsobjekt zu verstehen haben. Wir haben bereits gesehen, daß dies eine für den analytischen Beweis wichtige Frage ist Kant führt diese Untersuchung mit dem Hinweis auf die Unbestimmtheitsthese ein: Da die "Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung [...] jederzeit sukzessiv" sei (A 189/B 234), stelle sich die Frage, ob die "Teile", deren Vorstellungen aufeinander folgen, "sich auch im Gegenstande folgen", was - wie Kant kurz darauf unta Hinweis auf die sukzessive Apprehension der Teile eines Hauses erläutert - "freilich niemand zugeben wird". Wir haben bereits gesehen, daß Kant zu diesem Zwecke nicht die starke Sukzessivitätsthese unterstellen muß: Es reicht, worn wir in einem gegebenen Fall nicht sicher sein können, ob sukzessiv wahrgenommene "Teile" oder Zustände auch objektiv aufeinander folgen. Da wir es bei der Wahrnehmung einer objektiven Folge aber immer mit einer Sukzession von Wahrnehmungen zu tun haben, aber nicht umgekehrt jede Sukzession von Wahrnehmungen die Wahrnehmung einer objektiven Folge ist, entsteht in jedem Fall einer Sukzession von Wahrnehmungen die Frage, "was dem Mannigfaltigen an den Erscheinungen selbst für eine Verbindung in der Zeit zukomme" (A 190/B 235). Um diese Frage entscheiden zu können, müssen wir natürlich wissen, was das "Wort [Objekt'] bei Erscheinungen zu bedeuten habe". Und der Klärung dieser Frage widmet sich Kant in dem vorliegenden Absatz.

2.1.1. Der Begriff des Erfahrungsobjekts Das erste Ergebnis diesa Klärung ist negativ: Der relevante Begriff eines Objekts kann nicht mit dem logischen Objektbegriff zusammenfallen, da in diesem Falle "alles, und sogar jede Vorstellung" als Objekt gelten müßte; es soll aber gerade um den Begriff eines von den Vorstellungen unterschiedenen Objektes gehen, auf das sich diese Vorstellungen beziehen (oder das sie - wie Kant sagt - "bezeichnen" (A 190/B 235)). Der logische Objektbegriff scheidet damit aus. Aber bei den Erfahrungsobjekten kann es sich auch nicht um die Dinge an sich handeln; denn "wie Dinge an sich selbst (ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns affizieren,) sein mögen, ist gänzlich außer unserer Erkenntnissphäre" (A 190/B 235).

192

Kants Begründung de* Kausalprinzip«

Von diesen beiden negativen Resultaten geht Kant nun unmittelbar zur Präsentation seines positiven Vorschlags zur Beantwortung der Frage, was unter einem Erfahrungsobjekt zu verstehen sei, über. Worin dies«' Vorschlag genau besteht, darüber gehen die Meinungen der Interpreten auseinander. Nicht ohne Grund* Denn zumindest auf den ersten Blick scheint Kant ganz verschiedene Konzeptionen miteinander verbinden zu wollen. Auf der einen Seite scheint er eine Art ontologischen Phänomenalismus vertreten zu wollen, wonach ein Erfahrungsobjekt nichts als "ein Inbegriff von Wahrnehmungen ist (A 191/ Β 236).74 Andere Äußerungen legen dagegen die Vermutung nahe, daß Kant hier eine repräsentationstheoretische Beziehung zwischen Wahrnehmungen und wahrgenommenen Objekten vertreten will, und lediglich eine phänomenalistische Analyse der Verifikationsbedingungen von Urteilen über Objekte geben will. Ich will dies kurz erläutern. In den dem Begriff des Erfahrungsobjekts gewidmeten Passagen A 189ff7 Β 234ff. fragt Kant nicht direkt, was unter dem Begriff eines Gegenstandes zu verstehen ist, sondern legt sich stattdessen die Frage vor: "was verstehe ich also unter der Frage: wie das Mannigfaltige in der Erscheinung selbst [...] verbunden sein möge?" (A 191/B 236). Diese Frage beantwortet Kant mit dem Hinweis darauf, daß, da "wir [...] es doch nur mit unseren Vorstellungen zu tun" haben, die "Erscheinung, im Gegenverhältnis mit den Vorstellungen der Apprehension, nur dadurch als das davon unterschiedene Objekt derselben [...] vorgestellt werden [kann], wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von jeder anderen Apprehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen notwendig macht". Und daran schließt Kant seine Erklärung des Begriffs des Erfahrungsobjekts an: "Dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung dieser notwendigen Regel der Apprehension enthält, ist das Objekt" (A 190f7B 235f.). Diese Bemerkungen zeichnen sich nicht gerade durch besondere Klarheit aus. Kant greift hier aber offenbar auf eine Überlegung aus der transzendentalen Deduktion zurück. Dort hatte er bei dem Versuch, "sich darüber verständlich zu machen, was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine", folgendes bemerkt: "Wir finden aber, daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich führe, da nämlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, daS unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt seien, weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch notwendigerweise in Beziehung Eine solche phänomenalistische Pocition schreibt z.B. Broad Kant zu. (VgL Broad (1978) S. 166; dazu ν. Cleve (1984) und Huper/Meerbote (1984)).

Kants Argument

193

auf diesen untereinander übereinstimmen, d.i. diejenige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht" (A 104f.).

Angewandt auf das in da* zweiten Analogie zur Diskussion stehende Problem der objektiven Zeitbestimmung, bedeutet das: Wenn wir eine gegebene Wahrnehmungsfolge als Wahrnehmung einer objektiven Veränderung auffassen, so denken wir uns die Folge der Wahrnehmungen als durch eine davon verschiedene, objektive Folge bestimmt: Weil die Zustände objektiv aufeinander folgen, müssen wir diese Zustände auch in einer bestimmten Reihenfolge wahrnehmen. Es liegt also hi» nahe, das Verhältnis von Wahrnehmungen und wahrgenommenem Objekt so aufzufassen, daß die Objekte numerisch verschieden von den Wahrnehmungen sind, ja daß sie sogar die Ursachen für das Auftreten der Wahrnehmungen sind.75 Wie anders sollen wir Kants Bemakung, daß das Objekt dasjenige ist, was "dawider" ist, daß die Vorstellungen nicht "aufs Geratewohl" auftreten, verstehen, wenn nicht in dem Sinn, daß das Objekt für das Auftreten der Vorstellungen verantwortlich ist; und wie anders soll man das verstehen als so, daß es kausal für das Auftreten der Vorstellungen verantwortlich ist. Es liegt also die Vermutung nahe, daß Kant das Objekt unserer Vorstellungen als die Ursache der Vorstellungen auffaßL "Diesem transzendentalen Objekt können wir [dann] allen Umfang und Zusammenhang unsero1 möglichen Wahrnehmungen zuschreiben" (A 494/B 522f.). Zwar beeilt sich Kant, darauf hinzuweisen, daß wir dieses Objekt nicht dadurch »kennen können, daß wir unsere Wahrnehmungen mit ihm vergleichen: Die einzige Möglichkeit der objektiven Erkenntnis besteht darin, daß wir dieses Objekt indirekt über den notwendigen Zusammenhang der Wahrnehmungen erkennen können. Daher können wir uns ein von unseren Vorstellungen unterschiedenes Objekt derselben nur dadurch vorstellen, daß wir uns die gegebenen Wahrnehmungen selber als notwendig verbunden vorstellen. Denn wir finden, daß "die B e z i e h u n g a u f e i n e n G e g e n s t a n d unseren Vorstellungen [...] eine neue Beschaffenheit gebe, [insofern, als sie] [...] nichts weit» tue, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen, und sie einer Regel zu unterwerfen" (A 197/B Uli.). Es ist naheliegend, diese Überlegung Kants so zu verstehen, daß er von einem repräsentationstheoretischen Objektbegriff ausgeht: Das Objekt ist das, was kausal für das Auftreten gewisser Wahrnehmungen verantwortlich ist 75

In der Α-Deduktion sagt Kant nirgends explizit, daß das transzendentale Objekt als die Ursache der Vorstellungen anzusehen ist. Aber es gibt eine Reihe anderer Passagen, in denen er das transzendentale Objekt explizit als die Ursache der Erscheinungen bezeichnet (vgl. z.B. A 494/B S22). Häufig spricht er vorsichtiger - aber eben auch undeutlicher · lediglich von dem "Grand der Erscheinungen" (z.B. A 380).

194

Kanu Begründung dei Kauulprinzipt

Aber das Objekt selber können wir nicht erkennen und durch Vergleich der Vorstellungen mit ihm unsere Urteile verifizieren. Da das Objekt kausal für einen notwendigen Zusammenhang unter unseren Vorstellungen verantwortlich ist, können wir Objekte indirekt erkennen, indem wir sie als die Ursachen für unsere Vorstellungen betrachten. Den notwendigen Zusammenhang unter unseren Verstellungen können wir daran erkennen, daß sie unter einer Regel stehen. All das ist z.B. mit dem oben erörterten explanatorischen Verfahren vereinbar: Wenn wir aufgrund von Regularitäten unter unseren Wahrnehmungen Hypothesen über die objektiven Verhältnisse bilden können, so können wir auf der Basis solcher Hypothesen eine gegebene Wahrnehmungsfolge als durch diese objektiven Verhältnisse bestimmt denken. Die Wahrnehmungsfolge (ab) wird dann als kausal bestimmt durch die objektive Folge (AB) angesehen. Aber wenn es auch sehr naheliegt, Kants erste Schritte in der Analyse des Begriffs eines Objekts unserer Vorstellungen nach dem Modell einer kausalen Repräsentationstheorie zu verstehen, so ist doch auch klar, daß diese Theorie mit anderen Bemerkungen Kants unverträglich ist. Fiir Kant ist es nämlich "klar, daß, da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu tun haben, und jenes X, was ihnen korrespondiert (der Gegenstand), weil er etwas von allai unseren Vorstellungen Unterschiedenes sein soll, für uns nichts ist, die Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht, nichts anderes sein könne, als die formale Einheit des BewuBtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen. Alsdann sagen wir wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben" (A 105).

Wenig später identifiziert Kant den "transzendentale[n] Grund der Einheit des Bewußtseins, in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen, mithin auch der Begriffe der Objekte überhaupt" mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption (A 106f.). Und eben darin ist auch der Grund dafür zu sehen, daß Kant in der Passage aus der 2. Analogie, von der wir ausgegangen sind, eine phänomenalistisch anmutende Bestimmung des Objektbegriffs gibt: Denn "sobald ich meine Begriffe von einem Gegenstande bis zur transzendentalen Bedeutung steigere" (A 19Q/B 235f.), stelle ich eben fest, daß das, was wir gewöhnlich für einen von unseren Vorstellungen numerisch verschiedenen Gegenstand halten, in Wirklichkeit "für uns nichts ist" - oder zumindest für uns nichts anderes ist, als ein Inbegriff von Vorstellungen, in denen wir (nach Regeln) synthetische Einheit bewirkt haben. Damit glaubt Kant die Gesetzeskonzeption des Objekts begründet zu haben: Objekte sind nichts anderes als Wahrnehmungsgehalte, die wir notwendigen Gesetzen unterwerfen. Es sollte aber aus dem bisher Ausgeführten klar sein, daß diese Gesetzeskonzeption des Erfahrungsobjekts aus dem, was Kant im Rahmen der zweiten Analogie sagt, nicht begründet werden kann. Denn wir haben gesehen, daß auf

Kmu Argument

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der Grundlage des explanatorischen Verfahrens auch dann eine Erkenntnis von Gegenständen möglich ist, wenn wir Kant zugestehen, daß wir es 'immer nur mit unseren Vorstellungen zu tun haben'. Kant selber geht ja auch zunächst von einer kausalen Repräsentationstheorie des Objekts ausgeht Zwar meint er offenbar, daß diese Theorie sich bei genauerer Betrachtung als unhaltbar erweist, wenn wir unsere Begriffe vom Objekt bis zur transzendentalen Bedeutung steigern. Aber diese transzendentale Bedeutungssteigerung übersteigt die Grenzen dessen, was Kant einem gemäßigten Skeptiker abverlangen kann. Zudem legen die Erörterungen, die Kant der Begründung der Gesetzeskonzeption des Objekts in der Α-Deduktion widmet, den Verdacht nahe, daß dazu wesentlich Gebrauch von der Selbstbewußtseinstheorie gemacht werden muß. Denn allem Anschein nach begründet er in den Passagen aus der A-Deduktion, aus denen wir oben zitiert haben, diese Gesetzeskonzeption in folgender Weise: Wir gehen von unserem 'gewöhnlichen' Begriff eines Objekts aus. Danach ist ein Objekt etwas von unseren Vorstellungen Verschiedenes. Nun stellen wir fest, daß wir uns dieses Objekt als das denken, was dafür verantwortlich ist, daß unsere Vorstellung«! nicht beliebig auftreten, sondan in einem bestimmten Zusammenhang. Wir haben oben gesehen, daß es naheliegt, dies so zu verstehen, daß die Objekte kausal für das Auftreten unserer Wahrnehmungen verantwortlich sind. Soweit der aste Schritt. Nun stellen wir aber weiter fest, daß wir diese für den notwendigen Zusammenhang unserer Vorstellungen verantwortlichen Objekte selber nicht direkt wahrnehmen können, da wir es immer nur mit unseren Vorstellungen zu tun haben. Und daraus schließt Kant, daß der Begriff eines solchen, von unseren Vorstellungen verschiedenen, Objekts strenggenommen "nichts mehr [ist], als das Etwas, davon der Begriff [eines Objekts] eine [...] Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt" (A 106). Der entscheidende nächste Schritt besteht nun in der Feststellung, daß "das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen [ist], d.i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d.i. den Begriff von etwas, darin sie notwendig zusammenhängen" (A 108). Da wir den vermeintlich von unseren Vorstellungen verschiedenen Gegenstand nicht direkt erkennen, sondern bestenfalls postulieren können, uns aber andererseits "a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller [unserer] Vorstellungen [...] bewußt" sind (A 116), so können wir dieses Etwas, das für den notwendigen Zusammenhang unserer Vorstellungen verantwortlich ist und das wir zunächst für einen von uns verschiedenen Gegenstand gehalten haben, mit der Einheit der Apperzeption identifizieren. Denn

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Kanu Begründung des Kausalprinzips

diese macht "aus allen möglichen Erscheinungen [...] einen Zusammenhang allo* dieser Vorstellungen nach Gesetzen" (A 108); und daraus folgert Kant dann, daß der "reine Begriff von diesem transzendentalen Gegenstande [...] nichts anderes, als diejenige Einheit betreffen [kann], die in einem Mannigfaltigen der Erkenntnis angetroffen werden muß, sofern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht", und daß die Beziehung auf einen Gegenstand "nichts anderes [«/], als die notwendige Einheit des Bewußtseins" (A 109). Dies ist ein Beispiel für das, was Strawson 'revisionäre Metaphysik' genannt hat: Kant geht von unserem 'gewöhnlichen' Objektbegriff aus; stellt fest, daß das einzige, was sich an ihm halten läßt, der Begriff ein»* notwendigen Verbindung unserer Vorstellungen ist, und entwickelt dann eine Theorie darüber, worauf diese notwendige Verbindung zurückzuführen ist, deren Ergebnis in einer radikalen Korrektur unserer gewöhnlichen Vorstellungen steht Ich komme auf diese Überlegungen aus der Α-Deduktion im nächsten Kapitel noch genau«* zurück. Aber wenn die soeben gegebene Skizze wenigstens in den Grundzügen Kants Überlegung widerspiegelt, so ist klar, daß diese Begründung wesentlich von der Selbstbewußtseinsanalyse abhängig ist - und zwar in der stärkstmöglichen Form: Für das Argument ist nämlich offenkundig von entscheidender Bedeutung, daß Kants These, daß die "Einheit der Apperzeption [...] aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, einen Zusammenhang [...] nach Gesetzen" macht (A 108), verteidigbar ist. Die Strategie der Analogiker bestand aber gnade in dem Versuch, die Probleme, die diese Behauptung aufwarf, zu umgehen und ohne Rückgriff auf den direkten Zusammenhang zwischen der Einheit des Selbstbewußtseins und der Geltung der Gesetzesthese auszukommen. Es hat sich aber gezeigt, daß, wenn die Gesetzeskonzeption des Objekts überhaupt begründbar sein soll, dies nur unter Rückgriff auf Überlegungen aus der transzendentalen Deduktion, die den Zusammenhang zwischen Selbstbewußtseinstheorie und Gesetzesthese betreffen, möglich ist. Denn die Argumente, die Kant im Rahmen des analytischen Arguments der 2. Analogie zur Begründung der Gesetzeskonzeption präsentiert, reichen nicht aus, um eine kausale Repräsentationstheorie auszuschalten.

2.1.2. Das erste analytische Argument Wir können damit zum eigentlichen Argument übergehen. Was die ersten Schritte angeht, können wir uns kurz fassen, da wir sie im wesentlichen bereits oben untersucht haben. Im 4. Absatz begründet Kant zunächst die Unbestimmt-

Kanu Argument

197

heitsthese durch Verweis auf die Beispiele der Wahrnehmung des dahintreibenden Schiffs einerseits und der sukzessiven Wahrnehmung der Teile des Hauses andererseits. Weiterhin stellt er fest, daß det(ab) im ersten, nicht aber im zweiten Fall gilt, und faßt das Ergebnis wie folgt zusammen: "Diese Regel aber [wonach die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehension bestimmt ist] ist bei der Wahrnehmung von dem, was geschieht, jederzeit anzutreffen, und sie macht die Ordnung der einander folgenden Wahrnehmungen (in der Apprehension dieser Erscheinung) n o t w e n d i g " (A 193/B 238).

Damit ist noch nichts über eine kausale Beziehung der wahrgenommenen Zustände gesagt,76 denn Kant spricht hi«- nur von der Notwendigkeit der Ordnung der Wahrnehmungen (in der Apprehension der Erscheinungen). In diesem Absatz wird also zunächst lediglich behauptet, daß det(ab) gilt, wenn (ab)=R(AB) (und ->det(ab), falls (ab)=R(AgzB)). Nach Strawsons Meinung schließt Kant daraus unmittelbar und unzulässigerweise auf kaus(AB). Leider hat es Strawson versäumt, einen Beleg für diese Behauptung zu geben; - wohl deshalb, weil es einen solchen Beleg nicht gibt. Wie die nun folgenden Absätze (5 und 6) zeigen, ist Kant jedenfalls der Meinung, daß noch einige Zwischenschritte nötig sind, um von: (1) Wenn (ab)=R(AB), dann det(ab) zu: (2) Wenn (ab)=R(AB), dann kaus(AB) übergehen zu können. Das Argument, das Kant zur Begründung dieses Übergangs präsentiert, ist allerdings nicht ganz leicht zu verstehen. Einigermaßen klar ist, daß die folgenden Behauptungen dabei eine wichtige Rolle spielen: (3) Wenn wir berechtigt sein sollen, die subjektive Wahrnehmungsfolge (ab) als Wahrnehmung einer objektiven Veränderung zu interpretieren, so müssen wir die " s u b j e k t i v e F o l g e der Apprehension von der o b j e k t i v e n F o l g e der Erscheinungen ableiten [...], weil jene sonst gänzlich unbestimmt ist" (A 193/B 238). (4) Die objektive Folge "wird [also] in der Ordnung des Mannigfaltigen der Erscheinung bestehen, nach welcher die Apprehension des einen (was geschieht) auf die des anderen (das vorhergeht) n a c h e i n e r R e g e l folgt", (ebenda) 76

Obwohl dies häufig unterstellt wird.

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Kanu Begründung dei Kausalprinzip·

und daher muß (5) "[n]ach einer solchen Regel [...] in dem, was überhaupt vor einer Begebenheit vorhergeht, die Bedingung zu ein«- Regel liegen, nach welcher jederzeit und notwendigerweise diese Begebenheit folgt" (A 193/ Β 238Q. Erst mit (5) ist Kant bei seinem Beweisziel angelangt, da erst hier behauptet wird, daß vor ein» Begebenheit (also einer objektiven Folge) etwas vorhergehen muß, worauf diese Begebenheit notwendigerweise folgt Das Argument ist nun genauer zu betrachten. Beginnen wir gleich mit der These (3). Zumindest auf den ersten Blick ist sie ziemlich verwirrend: Denn wir waren ja von der Frage ausgegangen, wie wir auf der Basis unser» Wahrnehmungen zu ein» Erkenntnis der objektiven Verhältnisse kommen können. Und nun scheint uns Kant eine "Lösung" dieses Problems anzubieten, die bereits voraussetzt, was wir erst herausfinden wollen: Wie anders sollen wir denn die subjektive Folge von der objektiven ableiten, wenn wir nicht bereits wissen, wie die objektive Folge beschaffen ist? Und wozu ist dann eine solche Ableitung noch nötig? Kant beschränkt sich zur Begründung von (3) lediglich auf den Hinweis, daß wir die subjektive Folge nur dann als bestimmt erkennen können (was nichts anderes besagt, als daß wir nur dann feststellen können, daß det(ab) gilt), wenn wir die subjektive Folge (ab) von der objektiven Folge ableiten. Diese Bemerkung ist natürlich 1. selb» begründungsbedürftig und reicht 2. klarerweise nicht hin, das soeben erwähnte Problem zu lösen. Obwohl Kant explizit keine weitergehende Begründung für (3) gibt, können wir dem Duktus des Textes doch entnehmen, daß etwa die folgende Überlegung dahintersteckt Kant hat in (1) festgestellt daß im Fall von (ab)=R(AB) det(ab) gilt, womit er jedenfalls soviel meint daß im Falle einer Wahrnehmung eines objektiv»i Ereignisses die Folge der Wahrnehmungen festgelegt ist Wodurch die Wahrnehmungsfolge festgelegt ist, sagt Kant allerdings nicht Aufgrund d » Bemerkung, daß die objektive Folge "in der Ordnung des Mannigfaltigen bestehen [wird], nach welcher die Apprehension des einen [..] auf die des and»en [...] nach einer Regel folgt" (A 193/B 238), ist all»dings anzunehmen, was d » Sache nach ja auch plausibel ist, daß Kant meint, daß die subjektive Folge eben durch die objektive Folge (kausal) festgelegt ist Wenn wir dies so verstehen, dann läßt sich die »wähnte Schwierigkeit auf der Grundlage dessen, was wir oben (vgl. S. 175) zum epistemologischen Argument ausgeführt haben, auflösen. Wenn wir die Geltung des allgemeinen Kausalprinzips unterstellen und weiterhin annehmen, daß Wahmehmungsiegu-

Kanu Argument

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laritäten der Form reg(c,(ab)) Indizien für das Vorliegen besonderer Kausalgesetze der Form C=>(AB) sind, so können wir in einem gegebenen Fall aus dem Vorliegen von C auf (ΑΉ1) schliessen und die gegebene Wahrnehmungsfolge (ab) als durch (A'B1) bestimmt betrachten.77 Damit ist natürlich (3) noch nicht bewiesen. Denn in (3) wird ja nicht nur behauptet, daß die Ableitung der subjektiven aus der objektiven Folge ein mögliches Verfahren zur Lösung des Unbestimmtheitsproblems ist: Es wird behauptet, daß es das einzige Verfahren ist Nun haben wir aber bereits bei der Diskussion von Broads Alternatiworschlag gesehen, daß diese Behauptung wenn nicht falsch, so jedenfalls unzureichend begründet ist Wir können daher von (3) bis auf weiteres höchstens (3*) akzeptieren: (3*) Ein Verfahren zur Bestimmung des objektiven Gehalts unserer Wahrnehmungsfolgen besteht in dem oben beschriebenen Ableitungsverfahren, wonach wir gegebene Wahrnehmungsfolgen auf der Basis von Kausalgesetzen objektiv interpretieren. Wir müssen nun untersuchen, ob mit dies» Abschwächung Kants Beweis haltbar bleibt. Die nächste der oben aufgelisteten Behauptungen Kants (4) ist doppeldeutig. Es kommen die beiden folgenden Lesarten in Frage: (4a) Die objektive Folge besteht in deijenigen Ordnung der objektiven Zustände, die (kausal) dafür verantwortlich ist daß die Wahrnehmungen dieser Zustände nicht beliebig, sondern einer Regel entsprechend auftreten. (4b) Die objektive Folge besteht in der Folge der Wahrnehmungen, sofern die Abfolge dieser Wahrnehmungen als unter einem notwendigen Gesetz stehend betrachtet wird. (4a) entspricht der repräsentationstheoretischen, (4b) der phänomenalistischen Objektkonzeption. (4a) können wir ohne weiteres akzeptieren, wenn damit daß die Wahrnehmungen einer Regel entsprechend auftreten, lediglich gemeint ist, daß ihre Reihenfolge nicht beliebig, sondern durch die objektive Folge bestimmt ist. Wir haben im Rahmen der Diskussion der phänomenalistischen Objektkonzeption (vgl. oben Abschnitt 1.2.5.) gesehen, daß wir auch (4b) dann akzeptieren können, wenn wir überhaupt eine phänomenalistische Wahmehmungstheo77

Das setzt selbstverständlich vorau«, daß das entsprechende besondere Kausalgesetz empirisch gut bestätigt ist, daß also reg(c,(ab)) an hinreichend vielen Fällen überprüft worden ist.

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Kants Begründung dei Kausalprinzipe

rie akzeptabel finden. Aber man muß sich dabei vor Patons Fehlschluß hüten.78 Wenn man die folgende phänomenalistisehe Analyse des Begriffs einer objektiven Veränderung unterstellt: '(AB)' bedeutet '(ab) ist Fall einer notwendigen Regel', so folgt daraus natürlich nicht: (AB) ist Fall einer notwendigen Regel. Mit anderen Worten: Zur Begründung der Gesetzeskonzeption des Erfahrungsobjekts reicht (4b) nicht aus. Kant scheint (4) eher im Sinne von (4b) als im Sinne von (4a) verstanden zu haben. Denn unmittelbar anschließend an (4) fährt er fort "Nur dadurch kann ich von der Erscheinung selbst, und nicht bloß von meiner Apprehension, berechtigt sein zu sagen: daß in jener eine Folge anzutreffen sei, welches so viel bedeutet, als daß idi die Apprehension nicht anders anstellen könne, als gerade in dieser Folge" (A 193/B 238).

Wie steht es nun mit Kants Folgerung (5)? Um dies entscheiden zu können, müssen wir herausfinden, was Kant genau meint, wenn er sagt, daß die "Apprehension des einen [...] auf die des anderen [...] nach einer Re gel folgt". Es kommen hier zwei mögliche Lesarten in Frage: Entweder denkt Kant bei der Regel an eine Synthesisregel (der Einbildungskraft), nach der das wahrnehmende Subjekt die Wahrnehmungen ins Bewußtsein aufnimmt und reproduziert (vgl. z.B. Β 233 und A 201/B 246); oder Kant denkt an eine Regel der Beurteilung. In der vorliegenden Passage scheint Kant eher an eine solche Beurteilungsregel zu denken, da er behauptet, daß ihr Erfülltsein uns "berechtigt [...] zu sagen: daß in [der Erscheinung selbst] eine Folge anzutreffen sei" (A 193/ Β 238). Wenn wir diese Beurteilungsregel im Sinn des oben beschriebenen Ableitungsverfahrens interpretieren, folgt in der Tat, was Kant folgori will: daß nämlich nach "einer solchen Regel [...] in dem, was überhaupt vor einer Begebenheit überhaupt vorhergeht, die Bedingung zu einer Regel liegen [muß], nach welcher jederzeit und notwendigerweise diese Begebenheit folgt" (A 193/ Β 238f.). Denn in diesem Fall ist die Beurteilungsregel ein empirisches Kausalgesetz, und das Ursacheereignis fungiert dabei als die Bedingung seiner Anwendung auf den gegebenen Fall. Aber wir haben gesehen, daß sich das Unbestimmtheitsproblem auch auf der Grundlage von Broads Verfahren auflösen läßt, und deren Anwendung impliziert nicht die Geltung empirischer Kausalgesetze. Wenn wir (4b) im Sinn der Gesetzeskonzeption des Erfahrungsobjekts interpretieren könnten, so würde daraus allein bereits das gewünschte Resultat 78

Vgl. oben Abechn. 1.2.5.

Kanu Argument

201

folgen. Aber es hat sich gezeigt, daß Kant in seiner oben diskutierten Untersuchung zum Objektbegriff kein überzeugendes Argument für die Gesetzeskonzeption gibt. Wir müssen daher davon ausgehen, daß Kants analytisches Argument in (II) nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt

2.2. Der Übergang zum synthetischen Argument Im 7. Absatz wiederholt Kant lediglich die Hauptpunkte des zuvor ausführlicher dargestellten Arguments in indirekter Form, um dann im 8. Absatz das Ergebnis des analytischen Beweises zusammenzufassen. Da diese beiden Absätze der Sache nach nichts Neues enthalten, können wir sie hier übergehen. Im 9. Absatz geht Kant auf einen naheliegenden Einwand gegen seine Behauptung ein, daß allein unter der Voraussetzung, daß die Folge der Erscheinungen durch eine notwendige Regel bestimmt ist, "Erfahrung von etwas, was geschieht, möglich" sei (A 195/B 240): "Zwar scheint es, als widerspreche dieses allen Bemerkungen, die man jederzeit über den Gang unseres Verstandesgebrauchs gemacht hat, nach welchen wir nur allererst durch die wahrgenommenen und verglichenen übereinstimmenden Folgen vieler Begebenheiten auf vorhergehende Erscheinungen, eine Regel zu entdecken, geleitet worden, der gemäß gewisse Begebenheiten auf gewisse Erscheinungen jederzeit folgen, und dadurch zuerst veranlaßt worden, uns den Begriff von Ursache zu machen. Auf solchen Fuß würde dieser Begriff bloB empirisch sein, und die Regel, die er verschafft, daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, würde ebenso zufällig sein, als die Erfahrung selbst: seine Allgemeinheit und Notwendigkeit waren alsdann nur angedichtet, und hätten keine wahre allgemeine Gültigkeit, weil sie nicht a priori, sondern nur auf Induktion gegründet wären" (A 195Í7B 240f.).

Dies ist natürlich eine Anspielung auf Humes Kausalitätstheorie. Kants Interesse richtet sich dabei aber nicht - wie man zunächst erwarten würde - auf Humes Skepsis in bezug auf das Kausaiprinzip, sondern auf dessen empiristische Erklärung des Begriffs des Kausalverhältnisses: "seine Allgemeinheit und Notwendigkeit wären alsdann nur angedichtet, und hätten keine wahre allgemeine Gültigkeit". Wir haben bereits gesehen, daß Kant in Hume in erster Linie den metaphysischen Skeptiker gesehen hat, der (nach Kants Ansicht) nicht in Frage gestellt hat, "ob der Begriff der Ursache [...] brauchbar und in Ansehung der ganzen Naturerkenntnis unentbehrlich sei, denn dieses hatte Hume niemals in Zweifel gezogen; sondan ob er durch die Vernunft a p r i o r i gedacht werde und auf solche Weise eine ναι der Erfahrung unabhängige innere Wahrheit" habe (Pr. AA IV S. 258f.). Hier bestätigt sich die im ostra Kapitel geäußerte Vermutung, daß Kant auch den Beweis der Geltung des Kausalprinzips im Blick auf Humes Kritik an der Apriorität des Kausalitätsfegrg^ konzipiert

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Kants Begründung des Kausalprináps

Wenn gezeigt werden kann, daß es "hiemit so [geht], wie mit anderen Vorstellungen a priai, [...] die wir darum allein aus der Erfahrung als klare Begriffe herausziehen können, weil wir sie in die Erfahrung gelegt hatten, und diese daher durch jene allererst zustande brachten" (A 196/B 241), dann ist diesem Begriff sein Ursprung a priori gerettet, und er kann auch über die Grenzen der Erfahrung zum " D e n k e n d e s Ü b e r s i n n l i c h e n dienen" (KpV AA V S. 141). Wenn gezeigt ist, daß "eine Rücksicht auf [...das Kausalprinzip], als Bedingung der synthetischen Einheit der Erscheinungen in der Zeit, [...] doch der Grund der Erfahrung selbst [war], und [...] also a priori vor ihr vorher" ging (A 196/B 241), so ist damit auch Humes These, daß "der Begriff einer Ursache selbst lügenhaft und betrügerisch" (KpV AA V 51) ist, der Grund entzogen. Merkwürdigerweise begnügt sich Kant an dieser Stelle aber nicht mit einem Rückverweis auf das analytische Argument, sondern er fährt (10. Absatz) fort: "Es kommt also darauf an, im B e i s p i e l e " zu zeigen, daß wir niemals selbst in der Erfahrung" 0 die Folge [...] dem Objekt beilegen, [...] als wenn eine Regel zum Grunde liegt, die uns nötigt, diese Ordnung der Wahrnehmungen vielmehr als eine andere zu beobachten, ja daß diese Nötigung es eigentlich sei, was die Vorstellung einer Sukzession im Objekt allererst möglich macht." (A 196&B 241 f.)

Damit kündigt Kant nun aber genau das an, was wir bisher vermißt haben: eine Begründung seiner Gesetzeskonzeption des Erfahrungsobjekts am vorliegenden "Beispiel' des Begriffs einer objektiven Veränderung. Man würde die zitierte Passage sicherlich überstrapazieren, wenn man in ihr einen Beleg dafür sehen wollte, daß Kant eine dem oben dargestellten Verfahren Broads entsprechende Alternative zu seinem eigenen Lösungsvorschlag des Unbestimmtheitsproblems vor Augen hatte. Aber es ist doch recht naheliegend, dieser Stelle zu entnehmen, daß Kant gesehen hat, daß sein analytischer Beweis von einer Voraussetzung ausging, die ein skeptischer Empirist wie Hume kaum ohne weiteres akzeptieren würde. Es muß daher gezeigt werden, daß Erfahrungserkenntnis nicht allein auf induktiv verallgemeinerten Regularitäten beruhen kann, sondern daß zur Erfahrungserkenntnis die Notwendigkeit der Verbindung Gemeint ist wohl der in der 2. Analogie zur Diskussion stehende Spezialfall der allgemeinen These, daß "Erfahrung nur durch die Vorstellung der notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich" ist (B 219). Was Kant mit der Wendung "selbst in der Erfahrung" meint, ist nicht recht klar. Ich nehme an, daB er hier die unmittelbare, auf direkter Wahrnehmung beruhende Erfahrung im Gegensatz zu induktiven Schlußfolgerungen über nicht-beobachtete Gegenstände im Auge hat. Hume hatte ja im "Enquiry' die Funktion des Kausalprinzipe vor allem darin gesehen, induktive Schlüsse auf nicht-beobachtete Tatsachen zu begründen. Kant will hier also zeigen, daB wir das Kausalprinzip bereits für die Erfahrungserkenntnis von Gegenständen direkter Beobachtung unterstellen müssen.

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hinzugehört, ja daß diese Notwendigkeit "es eigentlich sei, was die Vorstellung einer Sukzession im Objekt allererst möglich macht" (A 197/B 242). Es ist daher kein Wunder, daB Kant im folgenden 11. Absatz auf die allgemeine Frage nach dem Begriff des Objekts der Erfahrung zurückkommt: "Wie kommen wir nun dazu, daß wir diesen Vorstellungen [die doch nur immer innere Bestimmungen unseres Gemüts in diesem oder jenen Zeitveriiiltnisse sind] ein Objekt setzen, oder über ihre subjektive Realität, als Modifikationen, ihnen nodi, ich weiB nicht, was für eine, objektive beilegen?" (A 197/B 242)

Aber auch diesem Absatz ist der Sache nach wenig Neues zu entnehmen. Kants positive Antwort auf diese Frage besteht wiederum lediglich in der Versicherung: 'Wenn wir untersuchen, was denn die B e z i e h u n g a u f e i n e n G e g e n s t a n d unseren Vorstellungen für eine neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignität sei, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daB sie nichts water tue, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen, und sie einer Regel zu unterwerfen; daß umgekehrt nur dadurch, daß eine gewisse Ordnung in dem Zeitveriiiltnisse unserer Vorstellungen notwendig ist, ihnen objektive Bedeutung erteilt wird." (A 197/B 242f.)

Da Kant hier keine Begründung gibt, ist anzunehmen, daß es sich hier lediglich um eine Ankündigung handelt, mit der die 'im Beispiele' (der Erkenntnis ein»1 objektiven Veränderung) nachzuweisende These noch einmal genauer dargestellt wird. Im nächsten Absatz (12) wird die These dann erneut für den Anwendungsfall der Erkenntnis objektiver Veränderungen präsentiert. Auch hier erfahren wir nichts wesentlich Neues. Kant präsentiert zunächst wieder einmal sein Unbestimmtheitsproblem (osto' Satz). Dann (zweiter Satz) behauptet er, daß es gelöst werden kann, wenn wir die Geltung des Kausalprinzips unterstellen. Soviel können wir auf der Grundlage des bisher Gesagten akzeptieren, denn damit ist ja lediglich behauptet, daß die Geltung des Kausalprinzips (in Verbindung mit den zusätzlich erforderlichen Wahrnehmungen) eine hinreichende Bedingung für die Erkennbarkeit objektiver Veränderungen ist Erst mit den folgenden Sätzen macht Kant zumindest eine Andeutung auf den Beweisgrund, der im synthetischen Argument dann die entscheidende Rolle spielt: 'Wem ich also wahrnehme, daß etwas geschieht, so ist in dieser Vorstellung erstlich enthalten: daß etwas vorhergehe, weil eben in Beziehung auf dieses die Erscheinung ihr Zeitverhältnis bekommt, nämlich, nach einer vorhergehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existieren. Aber ihre bestimmte Zeitstelle in diesem Verhältnisse kann sie nur dadurch bekommen, daß im vorhergehenden Zustande etwas vorausgesetzt wird, worauf es jederzeit, d.i. nach einer Regel, folgt. [...] Dadurch geschieht es: daß eine Ordnung unter unseren Vorstellungen wird, in welcher das Gegenwärtige (so-

204

Kants Begründung des Kausalpriimpe

fem es geworden) auf irgendeinen vorhergehenden Zustand Anweisung gibt, als ein, obzwar noch unbestimmtes Korrelatum dieser Ereignis, die gegebenen ist, welches sich aber auf diese, als seine Folge, bestimmend bezieht, und sie notwendig mit sich in der Zeitreihe verknüpft" (A 198f./B 243f.).

Auf den ersten Blick scheint auch in diesem Absatz nicht mehr als eine Wiederholung des bereits zuvor mehrfach dargestellten analytischen Arguments vorzuliegen. Aber der Text weist mindestens eine Merkwürdigkeit auf: Kant sagt nämlich, daß in der Vorstellung von einer objektiven Veränderung 'erstlich' enthalten ist: "daß etwas vorhergehe, weil eben in Beziehimg auf dieses [Ereignis] die Erscheinung ihre Zeitverhältnis bekommt, nämlich, nach einer vorhergehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existieren" (A 198/B 243).

Zunächst könnte man dies (aufgrund der Ähnlichkeit zu einer entsprechenden Passage im oben diskutierten analytischen Argument (2. Satz von Absatz 4)) so verstehen, daß Kant hier nur sagen will, daß wir eine objektive Veränderung nicht wahrnehmen können, wenn wir nicht mindestens zwei qualitativ verschiedene, aufeinander folgende Wahrnehmungen haben. Es wäre dann (analog zum Argument (Π)) zu erwarten, daß Kant nun behauptet, daß wir das ObjektProzeß-Problem unter Rückgriff auf uns gegebene sukzessive Wahrnehmungen allein nicht lösen können, sondern zu diesem Zweck die Geltung des Kausalprinzips unterstellen müssen. Aber der folgende Satz läßt sich - wenn überhaupt - nur gewaltsam in diesem Sinn verstehen. Hi»- behauptet Kant, daß die Erscheinung deshalb einem Kausalgesetz unterworfen sein müsse, weil sie nur dadurch "ihre bestimmte Zeitstelle in diesem Verhältnisse [...] bekommt". Mit "diesem Verhältnis" kann Kant aber nur das im vorigen Satz angesprochene "Zeitverhältnis [der gegebenen Erscheinung], nämlich nach ein» vorhergehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existieren", meinen. Aber was soll das heißen? Wenn eine Erscheinung bereits zu einer anderen in diesem Zeitverhältnis (nämlich nach ihr zu existieren) steht, - was soll es dann heißen, daß sie darüber hinaus "ihre bestimmte Zeitstelle in diesem Verhältnis" bekommen muß? Der letzte Satz des vorliegenden Absatzes gibt immerhin Anlaß zu einer Vermutung. Denn hier behauptet Kant, daß dadurch, daß ich voraussetze, daß die gegebene Erscheinung auf eine andere nach einer notwendigen Regel folgt, "eine Ordnung unter unseren Vorstellungen wird", in der der vorausgehende Zustand sich auf die gegebene Erscheinung "als seine Folge, bestimmend bezieht, und sie notwendig mit sich in d a Zeitreihe verknüpft" (A 199/B 244). Kant scheint also anzunehmen, daß eine Erscheinung «st dann ihre bestimmte Zeitstelle in einem Folgeverhältnis hat, wenn sie notwendig mit ein» anderen verknüpft ist Nun ist es aber gerade die Behauptung, daß es zu der Vorstellung

Kanu Argument

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einer objektiven Veränderung gehört, daß die Veränderung notwendig mit dem vorausgehenden Zustand verbunden sein muß, deren Begründung immer noch aussteht Bereits im 6. Absatz hatte Kant angedeutet, wieso er meint, daß Erscheinungen nur dann eine bestimmte Zeitstelle zukommt, wenn sie in einer notwendigen Beziehung zueinander stehen: "von einer gegebenen Zeit ist [...] der Fortgang auf die bestimmte folgende notwendig. Daher, weil es doch etwas ist, was folgt, so muß ich es notwendig auf etwas überhaupt beziehen, was vorhergeht, und worauf es nach einer Regel, d.i. notwendigerweise, folgt" (A 194/B 239).

Hier begründet Kant die notwendige Bestimmtheit der Erscheinungen einer objektiven Veränderung dadurch, daß die Aufeinanderfolge der Zeitpunkte selber notwendig sei. Eben diese These ist der entscheidende neue Gesichtspunkt in dem nun zu diskutierenden synthetischen Argument

2.3. Das synthetische Argument Nachdem uns Kant so lange hat warten lassen, geht es plötzlich ganz schnell: Die Hauptpunkte des Arguments sind die folgenden: (1) es ist ein "notwendiges Gesetz unserer Sinnlichkeit [.„], daß die vorige Zeit die folgende notwendig bestimmt". (2) Der Verstand macht "die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt [dadurch] möglich [...], daß er die Zeitordnung auf die Erscheinungen [...] überträgt, indem er jeder derselben als Folge eine, in Ansehung der vorhergehenden Erscheinungen, a priori bestimmte Stelle in der Zeit zuerkennt, ohne welche sie nicht mit der Zeit selbst, die allen ihren Teile a priori ihre Stelle bestimmt übereinkommen würde." (3) "Diese Bestimmung der Stelle kann nun nicht von dem Verhältnis der Erscheinungen gegen die absolute Zeit entlehnt werden, (denn die ist kein Gegenstand der Wahrnehmung,) sondern umgekehrt, die Erscheinungen müssen einander ihre Stellen in der Zeit selbst bestimmen, und dieselbe in der Zeitordnung notwendig machen" (A 199f./B244f.). Mit (1) führt Kant seine neue, für das Argument entscheidende Prämisse ein; in (2) stellt er den Zusammenhang zwischen der Objektbeziehung unserer Vorstellungen und der Forderung, daß sie eine "a priori bestimmte Stelle in der Zeit haben müssen", her; und in (3) schließt er (unter Voraussetzimg der Nicht-

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Kanu Begründung des Kausalprinzips

Wahmehmbarkeit der Zeit), daB die Erscheinungen sich selbst ihre Stellen notwendig bestimmen und folglich unter Kausalgesetzen stehen müssen. Wir müssen nun das synthetische Argument genauer betrachten. Ich zitiere zunächst die wichtigsten Passagen: "Wenn es nun ein notwendiges Gesetz unserer Sinnlichkeit, mithin eine f o r m a l e B e d i n g u n g aller Wahrnehmungen ist: daB die vorige Zeit die folgende notwendig bestimmt (indem ich zur folgenden nicht anders gelangen kann, als durch die vorhergehende); so ist es audi ein unentbehrliches G e s e t z d e r e m p i r i s c h e n V o r s t e l l u n g der Zeitreihe, daB die Erscheinungen der vergangenen Zeit jedes Dasein in der folgenden bestimmen, und daB diese, als Begebenheiten, nicht stattfinden, als sofern jene ihnen ihr Dasein in der Zeit bestimmen, d.i. nach einer Regel festsetzen. Denn n u r a n d e n E r s c h e i n u n g e n k ö n n e n w i r d i e s e K o n t i n u i t ä t im Z u s a m m e n h a n g e d e r Z e i t e n e m p i risch erkennen. Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand, und das erste, was er dazu tut, ist [...] daß er die Vorstellung eines Gegenstandes Uberhaupt möglich macht Dieses geschieht nun dadurch, dafi er die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein überträgt, indem er jeder derselben als Folge eine, in Ansehung der vorhergehenden Erscheinungen, a priori bestimmte Stelle in der Zeit zuerkennt, ohne welche sie nicht mit der Zeit selbst, die allen ihren Teilen a priori ihre Stelle bestimmt, übereinkommen würde. Diese Bestimmung der Stelle kann nun nicht von don Verhältnis der Erscheinungen gegen die absolute Zeit entlehnt werden, (denn die ist kein Gegenstand der Wahrnehmung,) sondern umgekehrt, die Erscheinungen müssen einander ihre Stellen in der Zeit selbst bestimmen, und dieselbe in der Zeitordnung notwendig machen, d.i. dasjenige, was da folgt, oder geschieht, muß nach einer allgemeinen Regel auf das, was im vorigen Zustande enthalten war, folgen, woraus eine Reihe der Erscheinungen wird, die vermittels des Verstandes eben dieselbige Ordnung und stetigen Zusammenhang in der Reihe möglicher Wahrnehmungen hervorbringt, und notwendig macht, als sie in der Form der inneren Anschauung, ( d a Zeit) darin alle Wahrnehmungen ihre Stelle haben müssen,"' a priori angetroffen wird" (A 199f./B 244f).

Auch aus diesem Text gehen leid»* die Einzelheiten des Arguments nicht hinreichend klar hervor. Nach Ewing (1924) und Suchting (1967) hat es eine ganz simple Struktur 'In brief, the argument is to the effect that, as [1.] the precedent parts of time determine the subsequent parts, and [2.] as phenomena must conform to the conditions of time, [3.] précédait must likewise determine subsequent phenomena as regards their place in time, which [4.] involves causality, understood as complete necessary determination" (Ewing (1924) S. 73f.). Ich übernehme hier Erdmaims Korrektur. Im Text steht "müßten". Zur Begründung für diese Korrektur sei auf A 98f. verwiesen: "Unsere Vorstellungen [...] sind [...] zuletzt doch der formalen Bedingung des inneren Sinnes, nftnlich der Zeit unterworfen, als in welcher sie insgesamt geordnet, verknüpft und in Verhältnisse gebracht werden müssen. Dieses ist eine allgemeine Anmerkung, die man bei dem Folgenden durchaus zum Grunde legen muß." Und daran wollen wir uns halten.

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207

Wenn dies Kants Argument ist, dann ist leicht zu sehen, daß es sich um einen Fehlschluß handelt. Kant erläutert seine 1. These, wonach "die vorige Zeit die folgende notwendig bestimmt", indem er darauf hinweist, daß "ich zur folgenden [Zeit] nicht anders gelangen kann, als durch die vorhergehende" (A 199/B 244). Wenn wir die metaphorische Wendung "von einer Zeit zur anderen zu gelangen" präzisieren, besagt diese These nichts anderes als: (A) Es ist notwendig, daß diefrühereZeit der späteren vorhergeht; oder (A1) Es ist notwendig, daß ich die frühere Zeit vor der späteren erlebe. Sehen wir zunächst einmal davon ab, daß dies erschreckend tautologisch klingt und mithin die Gefahr besteht, daß die behauptete Notwendigkeit als eine analytische Notwendigkeit zu verstehen ist; - so folgt aus (A) und: (Β) A existiert zu einer früheren Zeit als Β noch nicht einmal: (C) Es ist notwendig, daß die Zeit, zu der A existiert, da' Zeit, zu der Β existiert, vorausgeht; geschweige das, was Kant folgern will: (D) Es ist notwendig, daß Α Β vorausgeht Daß nicht einmal (C) folgt, ergibt sich daraus, daß "es ist notwendig, daß" ein intensionaler Operator ist Und dies ist ganz unabhängig davon, ob die Notwendigkeit eine analytische Notwendigkeit ist oder nicht. Wenn wir mit Kant davon ausgehen, daß geometrische Sätze notwendige, aber nicht analytische Wahrheiten sind, so ändert das nichts daran, daß der folgende ganz analoge Schluß offensichtlich ungültig ist: (a) Es ist notwendig, daß die Winkelsumme einer dreieckigen Fläche 180 Grad beträgt. (b) Die Grundfläche der kleinen Balkone am philosophischen Institut ist eine dreieckige Fläche. Also (c) Es ist notwendig, daß die Winkelsumme der Grundfläche der kleinen Balkone am philosophischen Institut 180 Grad beträgt Es nützt auch nichts, auf die 2. von Ewing erwähnte Prämisse, wonach die Erscheinungen, die in der Zeit auftreten, mit "der Zeit, die allen ihren Teilen a priori ihre Stelle bestimmt, übereinkommen" müssen (A 200/B 24S), zurückzugreifen. Denn diese Zusatzprämisse führt nur dann zu einem gültigen Argument, wenn sie in folgender Weise zu verstehen ist:

208 (E)

Kants Begründung des Kausalpiinäpe

Wenn für die Zeitabschnitte Zl und Z 2 gilt, daß (wobei Κ eine beliebige, möglicherweise intensionale Relationseigenschaft ist), und A zu Zj und Β zu Z2 existieren, so gilt auch K(AB).

Aber es ist nicht zu sehen, wieso wir (E) akzeptieren sollten. Kants Behauptung, daß andernfalls die Erscheinungen mit der Zeit selbst nicht übereinkommen würden, reicht zur Begründung von (E) sicherlich nicht hin. Betrachtet man Kants Text genauer, so stellt man fest, daß er das ihm von Ewing zugeschriebene Argument offenbar selber unzureichend fand. Denn Kant fügt zur Begründung des Übergangs von (A) und (B) zu (D) hinzu, daß wir " n u r an d e n E r s c h e i n u n g e n [...] d i e s e K o n t i n u i t ä t im Z u s a m m e n h a n g e d e r Z e i t e n e m p i r i s c h e r k e n n e n k ö η η e η " (A 199/Β 244). Es ist nicht so recht klar, was man mit dies«' Behauptung anfangen soll. Wolff ((1963) S.272Í) und Broad ((1926) S. 208ff) haben sie so verstanden, daß Kant hi»- wiederum ein epistemologisches Argument präsentiert, das die folgende Struktur hat: (A)

Es ist notwendig, daß die frühere Zeit der späteren vorhergeht

(B*) Wir wissen, daß (A) gilt (C*) Die Zeit selbst kann nicht wahrgenommen werden. (D*) Also können wir (A) nicht durch Wahrnehmung der Zeit erkennen. (E*) Also können wir (A) nur 'an den Erscheinungen' erkennen (F*) Dies ist nur möglich, wenn "die Erscheinungen der vergangenen Zeit jedes Dasein in der folgenden [notwendig] bestimmen" (A 199/B 244) (G*) Also müssen die Erscheinungen unter Kausalgesetzen stehen. Ab« auch dieses Argument weist eine Lücke auf. Es werden nämlich überhaupt nur zwei Möglichkeiten, wie wir zu dem uns in (B*) zugeschriebenen Wissen gekommen sein mögen, in Betracht gezogen: durch Wahrnehmung der Zeit selbst od« indirekt durch Wahrnehmung der Erscheinungen in der Zeit Aber es fragt sich natürlich, wieso (A) nur durch Wahrnehmung erkennbar sein soll. Da es sich bei (A) um ein "notwendiges Gesetz unserer Sinnlichkeit" handeln soll, ist es viel naheliegender zu vermuten, daß wir (A) a priori «kennen können. Ab« dann ist (E*) falsch. Diese epistemologische Version des synthetisch«! Arguments bringt uns also auch nicht weiter. Aber vielleicht können wir einem Hinweis Strawsons folgend zu einem besseren Verständnis von Kants Argument gelangen: "The fundamental thought of the Analogies is that of the connexion between objectivity of experience and unity of the spatio-temporal framework of experience.

Kants Argument

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To this is added the clear realization that there is no question of pure objective Space-Time itself being an object of perception to which we can directly relate other objects of perception. And from these two thoughts together there follows the general conclusion that the necessary unity of Space-Time must somehow be represented by a system of connexions between our ordinary empirical perceptions. [...] Kant seems at times to think that certain formal properties of the unified space-time frame must have direct correlates in the objects of perception themselves or in the connexion between those objects" (Strawson (1966) S. 147).

Der gegenüber den eben erwähnten Versionen des Arguments neue Gesichtspunkt, auf den Strawson aufmerksam macht, besteht in dem Zusammenhang zwischen Einheitsaspekten von Raum und Zeit einerseits und der Objektivität unserer Erkenntnis andererseits.82 Wenn Kants Argument so zu verstehen ist, daß Erscheinungen nur dann objektiv bestimmt werden können, wenn sie formale Einheitsaspekte von (Raum und) Zeit repräsentieren, würden sich gleich zwei Probleme auf einmal auflösen: Zum einen ließe sich dann eine Beziehung zum analytischen Argument herstellen, und zum anderen könnte verständlich gemacht werden, wieso Kant meint, daß die Erscheinungen die Einheitsaspekte empirisch repräsentieren müssen. Strawson begnügt sich an der zitierten Stelle allerdings mit allzu knappen Hinweisen, und so müssen wir selber zusehen, wie wir daraus ein deutlicher konturiertes Argument machen können. Betrachten wir zu diesem Zweck die folgende Überlegung: (S}) Die objektive Zeit hat gewisse formale Einheitseigenschaften. (S¿) Zu diesen Eigenschaften gehört, daß aufeinander folgende Zeitteile notwendig aufeinander folgen. (5 3 ) Wenn Erscheinungen als objektiv in der Zeit existierend vorgestellt werden sollen, müssen sie geeignet sein, die formalen Einheitseigenschaften zu repräsentieren. (5 4 )

Die Erscheinungen können nur dann die in (S¿) erwähnte Eigenschaft repräsentieren, wenn sie "einander ihre Stellen in der Zeit selbst [notwendig] bestimmen" (A 200/B 245), denn die Zeit selbst ist kein Gegenstand der Wahrnehmung.

(5 5 )

Also müssen diejenigen Erscheinungen, die als objektiv in der Zeit existierend erkannt werden können, unter Kausalgesetzen stehen.

Auch dieses Argument wirft eine Reihe von Fragen auf. Abgesehen von dem bereits angesprochenen Problem, daß die in (S2) erwähnte Notwendigkeit in der Abfolge der Zeitteile sich als eine analytische Trivialität erweisen könnKant sagt ja ausdrücklich, daß der Ventand die Vorstellung eines Gegenstandes dadurch möglich macht, "daß er die Zeitordnung auf die Erscheinungen [...] überträgt" (A 199/B 244f.).

210

Kants Begründung des Kausalprinzips

te, erscheint vor allem die These (S3) begründungsbediirftig. Und auch in bezug auf die Begründung diesa- Behauptung läßt uns Kants Text im Stich, und ich kann auch nicht sehen, wie sich (S3), angewandt auf die in (Sj) erwähnte formale Eigenschaft der Zeit, plausibel machen ließe. Aber das bedeutet nicht, daß die (S3) zugrundeliegende allgemeinere Idee nicht verteidigt werden kann. Ich will versuchen, die dieso* These zugrundeliegende Idee wenigstens im Umriß etwas näher zu erläutern. Da es mir nicht gelungen ist, diese Idee in bezug auf formale Eigenschaften der Zeit plausibel zu machen, wähle ich stattdessen eine Eigenschaft der Raumwahrnehmung. Die Dreidimensionalität des Raumes ist eine formale (und nach Kant a priori erkennbare) Eigenschaft unserer Raumanschauung. Wenn wir etwas als im objektiven Raum existierend vorstellen, so denken wir es uns als ein hinsichtlich der drei Raumdimensionen eindeutig bestimmtes Objekt Nun können wir aber Objekte immer nur aus einer bestimmten Perspektive wahrnehmen, was zur Folge hat, daß wir in einer einzelnen Wahmehmungssituation ein solches Objekt nicht vollständig bestimmen können. Da es a b » im dreidimensionalen Raum existieren soll, müssen wir annehmen, daß es auch hinsichtlich solcher Eigenschaften objektiv bestimmt ist, die wir an ihm nicht wahrnehmen können. Wenn wir nun zwei (äußere) Wahrnehmungen haben, die wir als Wahrnehmungen von Gegenständen im Raum auffassen wollen, so müssen wir annehmen, daß die Teile dieser Gegenstände, die wir direkt wahrnehmen können, in einer eindeutig bestimmten räumlichen Beziehung zueinander stehen. Da wir aber den Raum selbst nicht wahrnehmen können, können wir dieses Verhältnis nicht mit Bezug auf die absolute Raumstelle bestimmen. Eine solche Bestimmung ist nur möglich, wenn wir die in eindeutigen Beziehungen zueinander stehenden Raumteile durch etwas im Raum repräsentieren. Mit anderen Worten: Wir brauchen ein empirisches Bezugssystem. Wir können aber nur dann unter Rückgriff auf das Bezugssystem Raumstellen objektiv lokalisieren, wenn wir z.B. wissen, wie eine Wahrnehmung des Bezugssystems aus einer anderen Perspektive als der gegebenen aussieht. Da wir aber niemals gleichzeitig zwei verschiedene Perspektiven einnehmen können, können wir dies nur dann aufgrund perspektivischer Ableitungen herausfinden, wenn wir entweder annehmen, daß sich die Objekte, die dieses Bezugssystem konstituieren, nicht objektiv verändern, o d » daß wir aufgrund der Kenntnis von empirischen Kausalgesetzen im Prinzip in der Lage sind, solche Änderungen zu »kennen. Ich weiß nicht, ob diese Hinweise ausreichen, um die hinter (S3) steckende Idee einer genaueren Untersuchung würdig zu finden. Wenn man Kants Argumentation in der transzendentalen Analytik rekonstruieren will, kommt man wohl nicht um sie herum.

Kœu Argument

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Wenn das oben skizzierte Argument akzeptabel sein sollte, so wäre Kant damit den empiristischen Einwand los: Denn dann wäre gezeigt, daß nur solche Erscheinungen als objektiv in der Zeit existierend vorgestellt werden können, die geeignet sind, notwendige Aspekte von Raum und Zeit zu repräsentieren. Damit hätte Kant seine Gesetzeskonzeption des Objekts direkt begründet Nun ist es gerade diese These, zu deren Begründung Kants Ausführungen zum synthetischen Argument wenig überzeugend sind. Aber das muß uns noch nicht völlig entmutigen, da wir feststellen können, daß Kant auf eben dieses Problem im zweiten Teil der B-Deduktion eingeht Dort soll nämlich gerade gezeigt werden, daß die Einheit von Raum und Zeit "keine andere sein" kann, als die objektive Einheit "in einem ursprünglichen Bewußtsein, den Kategorien gemäß" (B 161; vgl. Β 144f). Und im Rahmen dieser Begründung geht Kant sogar noch einen wichtigen Schritt über das oben skizzierte Argument hinaus, indem er sogar zu zeigen versucht daß es nicht nur eine notwendige Bedingung objektiver Erfahrungserkenntnis ist, daß die notwendige Einheit von Raum und Zeit durch die Objekte d a Erfahrung repräsentiert werden kann; Kant scheint dort sogar anzunehmen, daß - auch ohne die Geltung der Objektivitätsthese vorauszusetzen - gezeigt werden kann, daß die Einheitsaspekte von Raum und Zeit repräsentierbar sein müssen. Sollte ihm das gelingen, so hätten wir es nicht nur mit einer starken Deduktion zu tun (also einem Argument, in dessen Rahmen die Objektivitätsthese selber noch begründet wird); Kant würde auf diese Weise auch das Problem der subjektiven Vorstellungen umgehen, das die Standardinterpretation der transzendentalen Deduktion in so große Schwierigkeiten bringt Denn selbstverständlich müssen nicht alle unsere Vorstellungen geeignet sein, die Einheit von Raum und Zeit zu repräsentieren. Es muß nur (hinreichend viele) solche Vorstellungen geben, so daß ein vollständiges raum-zeitliches Bezugssystem etabliert werden kann. Ob der soeben skizzierten Alternative mehr Aussicht auf Erfolg beschieden ist werden wir allerdings erst beurteilen können, wenn wir die entsprechenden Passagen aus der B-Deduktion genauer untersucht haben werden.

4. Kapitel Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der transzendentalen Deduktion Ohne Rückgriff auf Argumente aus der transzendentalen Deduktion besteht selbst im Rahmen des schwachen Beweisprogramms, das die Analogiker favorisierten, wenig Aussicht auf eine sachlich überzeugende Begründung der Gesetzesthese. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß damit dem Programm der Deduktivisten der Erfolg gesichert ist und eine haltbare Begründung der Gesetzesthese auf der Basis der Argumente, die Kant in der transzendentalen Deduktion entwickelt, durchgeführt werden kann. Ob dies möglich ist und wie eine solche Begründung ggf. aussieht, ist nun zu untersuchen. Im diesem Kapitel werden zwei Ziele verfolgt: Erstens soll gezeigt werden, daß die Strategie der Deduktivisten der Sache nach untauglich ist. Zweitens wird ein Interpretationsvorschlag zur B-Deduktion entwickelt, der in entscheidenden Punkten von der Standardinterpretation abweicht. Für die Standardinterpretation war charakteristisch, daß Kant drei seiner zentralen Thesen als Bedingungen der Möglichkeit von Selbstbewußtsein begründen will: Die Objektivitäts- Kategorien- und Gesetzesthese sollen sich als direkte Folgerungen aus der "notwendigen Einheit der Apperzeption" begründen lassen. Es hat sich bereits gezeigt, daß dieses Beweisprogramm mit gravierenden sachlichen und immanenten Schwierigkeiten belastet ist Dies allein reicht natürlich nicht aus, um zu zeigen, daß Kant nicht gleichwohl eine solche Strategie verfolgt hat. Vielmehr scheint zunächst einmal einiges dafür zu sprechen. Ich nenne nur einige der Stellen, die die Richtigkeit der Standardinterpretation zu belegen scheinen: "Die Einheit der Apperzeption [...] ist der transzendentale Grund der notwendigen Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen in einer Erfahrung" (A 127). "Eben diese transzendentale Einheit der Apperzeption macht aber aus allen möglichen Erscheinungen [...] einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen. [...] Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d.i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen" (A 108; vgl. auch A 107).

Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

213

"Die Möglichkeit aber, ja sogar die Notwendigkeit dieser Kategorien beruht auf der Beziehung, welche [...] alle möglichen Erscheinungen [...] auf die ursprüngliche Apperzeption haben" (A 111). "Nun beruht Erfahrung auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d.i. auf einer Synthesis nach Begriffen vom Gegenstande der Erscheinungen überhaupt, ohne welche sie [...] sich [...] nicht zur transzendentalen und notwendigen Einheit der Apperzeption zusammen schicken würden" (A 156/B 195f.).

Es sollte allerdings zu denken geben, daß all diese Passagen aus der ersten Auflage stammen. Ähnlich klare Äußerungen finden sich nirgends in der IiDeduktion. Trotz Kants Versicherung, daß die Neufassung der transzendentalen Deduktion lediglich in der "Darstellungsart" von der Version der ersten Auflage abweichen soll (Β XXXIV), daß er "in den Sätzen selbst und ihren Beweisgründen [...] nichts zu ändern gefunden habe" (Β XXXVII; vgl. Β XLII)), lassen sich eine Reihe von Indizien finden, die dafür sprechen, daß Kant in der 2. Auflage der Apperzeptionstheorie eine geringere Beweislast aufbürdet, als dies die Standardinterpretation unterstellt. Die Textlage ist aber ziemlich kompliziert und Indizienbeweise haben bekanntlich ihre Probleme. Ich werde daher folgendermaßen vorgehen: Zunächst sollen diejenigen Argumente Kants, die die Standardinterpretation nahelegen, genauer untersucht werden. Ich beginne dabei mit einer Diskussion einiger Argumente aus der ADeduktion, da diese besonders gut geeignet zu sein scheinen, die Standardinterpretation zu stützen.1 Es wird sich dabei zeigen, daß die Selbstbewußtseinstheorie nicht ausreicht, um die weitreichenden Folgerungen, die Kant ihr allem Anschein nach entnehmen will, zu begründen. Im Rahmen dieser Diskussion der Α-Deduktion können wir auch auf Kants Erörterung des Zusammenhangs zwischen der Gesetzeskonzeption des Objekts und der Selbstbewußtseinstheorie näher eingehen, den wir bereits oben (3. Kapitel 2.1.1.) angesprochen haben. Im Anschluß an diese Diskussion soll Henrichs sich locker an der Α-Deduktion orientierender Rekonstruktionsversuch kritisiert werden. Auch dieser wird sich als nicht haltbar erweisen. Im nächsten Abschnitt (2.) soll dann gezeigt werden, daß für die B-Deduktion dasselbe gilt: Auch sie enthält kein sachlich überzeugendes Argument zur Herleitung der Gesetzesthese aus der Einheit der Apperzeption. Allerdings wird sich dabei auch zeigen, daß die Standardinterpretation eine Reihe exegetischer Probleme aufwirft, die eine Alternativinterpretation der B-Deduktion nahelegen, wonach zumindest die Gesetzesthese nicht mehr als Implikation der EinDie Darstellung in der Α-Deduktion ist auch in verschiedenen Hinsichten ausführlicher als die entsprechenden Partien in der 2. Auflage. Für die Einschätzung der sachlichen Tragweite der Selbstbewußtseinstheorie können wir uns daher nicht auf die B-Deduktion beschränken.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

heit des Selbstbewußtseins begründet werden soll (3. Abschnitt). Die Annahme, daß Kant in der B-Deduktion darauf verzichtet hat, die Apperzeptionseinheit als die einzige grundlegende Prämisse in Anspruch zu nehmen, soll anhand einer Diskussion der Gründe plausibel gemacht werden, die Kant dazu geführt haben, von seinem ursprünglichen Beweisprogramm Abstand zu nehmen und in der zweiten Auflage einen anderen Weg einzuschlagen (4. Abschnitt). Abschließend soll dann anhand einer Interpretation des zweiten Teils der BDeduktion eine Alternative zur Standardlesart präsentiert und diskutiert werden (5. und 6. Abschnitt). Indem die Begründung der Gesetzesthese von der Selbstbewußtseinsanalyse entkoppelt wird, wird Kants Programm auch von den Problemen befreit, die im ersten Kapitel dargestellt wurden.

1. Kants Argumentation in der A-Deduktion Wir haben schon im ersten Kapitel gesehen, daß der Text der transzendentalen Deduktion in der ersten Auflage nicht besonders durchsichtig strukturiert ist. Ich will mich im folgenden auf die Diskussion der für unsere Fragestellung zentralen Argumente beschränken. Wie sich bereits gezeigt hat,2 geht Kant nicht in allen seinen 'Deduktionen' in A von der Einheit des Selbstbewußtseins aus. Dies gilt nur für die 'absteigenden' Deduktionen. Trotzdem ist es nicht unwichtig, auch einen Blick auf die 'aufsteigenden' Deduktionen zu werfen: Nicht nur, weil Kant dort am ausführlichsten auf den Objektbegriff eingeht, sondern vor allem deshalb, weil Kant im Zusammenhang dieser Erörterungen die Einheit der Apperzeption allererst einführt. Um deren Rolle auch in den absteigenden Deduktionen richtig verstehen zu können, ist eine ausführlichere Erörterung dieser Zusammenhänge erforderlich. Ich beginne daher mit einer Untersuchung der subjektiven Deduktion (A 98-114).

1.1. Die subjektive Deduktion "Wenn eine jede einzelne Vorstellung der anderen ganz fremd, gleichsam isoliert, und von dieser getrennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknüpfter Vorstellungen ist" (A 97).

2

Vgl. 1. Kap. 2.1.1.

Kants Argumentation in der A-Deduktion

215

Damit ist der für die aufsteigenden Deduktionen entscheidende Gesichtspunkt genannt: Es soll untersucht werden, unter welchen Bedingungen "ein Ganzes" verschiedener Vorstellungen möglich ist 3 Kant will nun zeigen, daß dies nur möglich ist aufgrund "einer dreifachen Synthesis, die notwendigerweise in allem Erkenntnis vorkommt: nämlich, der A p p r e h e n s i o n der Vorstellungen, als Modifikationen des Gemüts in der Anschauung, der R e p r o d u k t i o n derselben in der Einbildung und ihrer R e k o g n i t i o n im Begriffe. Diese geben nun eine Leitung auf drei subjektive Erkenntnisquellen, welche selbst den Verstand und, durch diesen, alle Erfahrung, als ein empirisches Produkt des Verstandes möglich machen" (A 97f.).

Kant verfährt nun im folgenden so, daß er zu zeigen versucht, daß ein Ganzes verschiedener Vorstellungen ohne eine Synthesis der Apprehension nicht möglich ist; dazu aber eine Synthesis der Reproduktion und schließlich eine Synthesis der Rekognition vorauszusetzen ist. Und weiterhin soll gezeigt werden, daß "alle diese Vermögen [...] außer dem empirischen Gebrauche, noch einen transz., der lediglich auf die Form geht, und a priori möglich ist", haben (A 94). Die aufsteigenden Deduktionen gehen von der Voraussetzung aus, daß das Gegebene als solches ein unzusammenhängendes Mannigfaltiges ist, das erst durch eine Synthesis zu einer einheitlichen Vorstellung gemacht werden kann: "Weil aber jede Erscheinung ein Mannigfaltiges enthält, mithin verschiedene Wahrnehmungen im Gemüte an sich zerstreut und einzeln angetroffen werden, so ist eine Verbindung derselben nötig, welche sie in dem Sinne selbst nicht haben können" (A 120).

Im Verlauf des Arguments soll gezeigt werden, (1) daß diese Synthesis nur nach Regeln möglich ist, (2) daß diese Regeln letztlich auf Regeln a priori zurückzuführen sind und (3) daß eine Synthesis nach solchen Regeln nur möglich ist, wenn das Mannigfaltige unter allgemeinen und notwendigen Gesetzen steht. (4) soll sich ergeben, daß durch eine solche kategoriale Synthesis die geExplizit erwähnt Kant diesen Gesichtspunkt in den der Synthesis der Reproduktion und der Synthesis der Rekognition gewidmeten Nummern 2 und 3. Für die Synthesis der Reproduktion vgl. A 102: "Wörde idi aber die vorhergehende[n Vorstellungen...] immer aus den Gedanken verlieren, und sie nicht reproduzieren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde niemals eine ganze Vorstellung [...] entspringen können." Für die Synthesis der Rekognition vgl. A 103: "Ohne das Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein, [...] und das Mannigfaltige derselben würde immer kein Ganzes ausmachen". Im Abschnitt über die Synthesis der Apprehension wird derselbe Gesichtspunkt lediglich anders bezeichnet, indem sich Kant hier des Ausdrucks der Einheit bedient. So etwa A 99: "Damit nun aus diesem Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde [...] so ist erstlich das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung desselben notwendig, welche Handlung ich die S y n t h e s i s d e r A p p r e h e n s i o n nenne".

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SelbstbewuBtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

gebenen Vorstellungen auf Objekte bezogen werden und (5) schließlich werden diese Regeln a priori mit den Kategorien identifiziert. Daraus folgt dann (a) die Gesetzesthese, wonach alle unsere Vorstellungen unter notwendigen Gesetzen stehen müssen; (b) die Objektivitätsthese, derzufolge alle unsere Vorstellungen objektivierbar sein müssen; und (c) die Kategorienthese, wonach alle unsere Vorstellungen kategorial bestimmbar sein müssen.

1.1.1. Die These von der Notwendigkeit der Synthesis Beginnen wir zunächst mit der Frage, wie plausibel die Prämisse über die Notwendigkeit einer Synthesis der gegebenen Vorstellungen ist, von der Kant ausgeht. Schon die Beantwortung dieser Frage wirft eine Reihe von Problemen auf, da nicht klar ist, was Kant genau mit der Behauptung sagen will, daß das gegebene Mannigfaltige als solches "im Gemüte an sich zerstreut" und "jede einzelne Vorstellung der anderen ganz fremd, gleichsam isoliert und von dieser getrennt" sei (A 97). Es lassen sich die folgenden Versionen der Ausgangsthese unterscheiden: (Mj)

Das gegebene Mannigfaltige besteht aus Empfindungen, die nicht einmal in raum-zeitlichen Relationen gegeben sind.

(M2)

Das gegebene Mannigfaltige ist zwar in raum-zeitlichen Relationen gegeben; es bedarf aber einer Synthesis, wenn es als ein solches (raum-zeitlich geordnetes) Mannigfaltiges bewußt gemacht werden soll.

(M3)

Das gegebene Mannigfaltige ist zwar als in raum-zeitlichen Relationen stehend gegeben, es ist aber objektiv unterbestimmt. (So müssen z.B. die Relationen, in denen das Mannigfaltige gegeben ist, nicht den objektiven raumzeitlichen Relationen entsprechen.)

Falls Kant (Mj) vertreten haben sollte, muß man wohl davon ausgehen, daß es sich dabei um eine 1. extrem unplausible Behauptung handelt, für die Kant 2. auch nicht die Spur eines Arguments liefert, und die 3. in Widerspruch zu seiner im Rahmen seiner Gesamttheorie ja nicht ganz unwichtigen These steht, wonach Raum und Zeit die Formen des Gegebenen sind. Obwohl es einige Passagen gibt, in denen Kant (Mj) zu vertreten scheint, ist es daher besser, zu sehen, wie weit man ohne diese These kommt (M2) scheint mir dagegen verteidigbar zu sein. Man kann kein Bewußtsein eines Mannigfaltigen als eines solchen haben, wenn man nicht sowohl ein Be-

Kants Argumentation in der A-Deduktion

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wußtsein der einzelnen Elemente des Mannigfaltigen wie ein Bewußtsein von ihren Beziehungen hat Das ist einfach eine analytische Explikation dessen, was es heißt, ein Mannigfaltiges als solches wahrzunehmen. Nun können wir uns aber vorstellen, daß wir sukzessive ein Bewußtsein der verschiedenen Elemente eines Mannigfaltigen haben, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt ein Bewußtsein von den Beziehungen dieser Elemente zueinander zu haben: Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ich "die vorhergehende [Vorstellung ...] immer aus den Gedanken verlieren [würde,...] indem ich zu den folgenden fortgehe" (A 102). Auf solche Weise "würde niemals eine ganze Vorstellung [...] entspringen können" (A 102). Das bedeutet aber, daß, wenn eine ganze Vorstellung 'entspringen' soll, mehr vorliegen muß, als das bloße Auftreten gegebener Vorstellungen im Bewußtsein. Daraus folgt zwar noch nicht, daß es sich bei diesem zusätzlich erforderlichen Faktor um eine Synthesis handeln muß; aber angesichts der wohl unbezweifelbaren Tatsache, daß wir in der Wahrnehmung eines Mannigfaltigen durch das Gegebene nicht darauf festgelegt sind, welche der einzelnen Elemente des Gegebenen wir mit welchen anderen in Beziehung bringen, ist die Annahme, daß es sich bei dem zusätzlichen Faktor um eine Folge einer 'Verbindungshandlung' handelt, doch recht plausibel. Um nicht mißverstanden zu werden, sei 1. darauf hingewiesen, daß damit nicht behauptet werden soll, daß wir ohne eine Synthesis kein Bewußtsein von komplexen Einheiten haben können. Was behauptet werden soll ist lediglich, daß wir ohne Synthesis kein Bewußtsein von Einheiten als solchen Komplexen haben können. Es mag durchaus so sein, daß wir ohne Synthesisleistungen unmittelbar z.B. ein Haus wahrnehmen können, weil wir ein bestimmtes 'Gestaltmuster' wahrnehmen. 2. soll auch nicht behauptet werden, daß wir in der Art, wie wir das Mannigfaltige verbinden, durch dessen Eigenschaften nicht eingeschränkt sind. Wir können z.B. keinen roten Fleck wahrnehmen, wenn uns nichts rotes gegeben ist, und wir können auch nicht einen roten Fleck links von einem grünen Heck wahrnehmen, wenn er rechts von ihm gegeben ist Aber wir sind gewöhnlich frei darin, welche Elemente eines (über einen längeren Zeitraum gleichzeitig) gegebenen Mannigfaltigen wir in welcher Reihenfolge wahrnehmen und miteinander in Beziehung setzen. In diesem Sinn können wir also Kants Behauptung akzeptieren, daß ohne eine Synthesis keine einheitliche Anschauung zustandekommt. Was nun (M3) betrifft, so ist klar, daß diese Lesart nur dann relevant ist, wenn wir nicht mehr nur von der Frage nach der Möglichkeit eines Ganzen ausgehen, sondern von der Frage nach der Möglichkeit objektiver Erkenntnis. Es ist daher für unsere Fragestellung am sinnvollsten, zunächst einmal zuzusehen, wie weit wir mit (M2) kommen.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

Ein Mannigfaltiges kann also nur dann als ein solches vorgestellt werden, wenn wir von den einzelnen Elementen dieses Mannigfaltigen Bewußtsein haben. Wir können daher auch Kants Behauptung akzeptieren, daß wir das Mannigfaltige zunächst 'durchlaufen' müssen, wenn damit nichts anderes gemeint ist, als daß wir die einzelnen Elemente zunächst für sich zum Bewußtsein bringen müssen. Wenn wir die These von der Synthesis der Apprehension in diesem Sinn verstehen, wirft sie keine Probleme auf. Problematischer dagegen ist das, was Kant über die Synthesis der Reproduktion sagt.

1.1.2. Die Synthesis der Reproduktion Die Notwendigkeit einer 'reproduktiven' Synthesis begründet Kant mit dem Hinweis darauf, daß die Synthesis der Apprehension allein nicht ausreicht, wenn die Vorstellung eines Ganzen verschiedener Elemente Zustandekommen soll: "ich [muß] erstlich notwendig eine dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach der anderen in Gedanken fassen [...]. Würde ich aber die vorhergehende [...] immer aus den Gedanken verlieren, und sie nicht reproduzieren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde niemals eine ganze Vorstellung [...] entspringen können" (A 102).

Obwohl Kant in dem der Rekognition gewidmeten Abschnitt behaupten wird, daß auch die Synthesis der Reproduktion noch keine hinreichende Bedingung für das Zustandekommen einer ganzen Vorstellung ist, so ist doch klar, daß sie allemal eine notwendige Bedingung sein soll. Sie soll sicherstellen, daß ich die früheren Vorstellungen nicht aus den Gedanken verliere, wenn ich zur folgenden übergehe. Nun legt der Terminus 'Reproduktion' nahe, daß Kant glaubt, daß es dazu erforderlich ist, daß ich eine zu der früheren Vorstellung qualitativ ähnliche Vorstellung hervorbringe, wenn ich bei der folgenden angelangt bin. Es ist aber nicht nur nicht einzusehen, wieso eine Reproduktion in diesem Sinn erforderlich ist (da es völlig auszureichen scheint, daß ich die frühere Vorstellung irgendwie 'in Gedanken behalte'4); es ist auch nicht einzuBei Locke hätte Kant nachlesen können, daß beides zu unterscheiden ist: "The next Faculty of the Mind [...] is that which I call R e t e n t i o n , or the keeping of those simple I d e a s , which from Sensation or Reflection it hath received. This is done two ways. First, by keeping the I d e a , which is brought into it, for some time actually in view, which is called C o n t e m p l a t i o n . The other way of Retention is the Power to revive again in our Minds those I d e a s , which after imprinting have disappeared, or have been as it were laid aside out of Sight [...]. This is M e m o r y , which is as it were the Store-house of our I d e a s . " Daß

Kants Argumentation in der A-Deduktion

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sehen, was sie zur Lösung des Problems beitragen soll. Gehen wir davon aus, daß ich eine Folge von Vorstellungen a, b, c,... habe, die ich nacheinander durchlaufen muß. In jedem Augenblick habe ich nur ein Bewußtsein der einzelnen Vorstellungen, also nie ein Bewußtsein des Ganzen. Also muß etwas Weiteres zu der bloßen Folge der Vorstellungen hinzutreten. Es ist aber offenkundig, daß es zur Lösung dieses Problems nicht das geringste beiträgt, wenn ich die vergangenen Vorstellungen (im wörtlichen Sinn) reproduziere. Das führt nur zu einer längeren Folge von Vorstellungen, z.B. a, b, a', c, a", b', c'.... In bezug auf diese Folge stellt sich aber genau dasselbe Problem: Auch hier kann es sein, daß ich, wenn ich z.B. bei a' angelangt bin, b ganz aus den Gedanken verloren habe, und es nützt gar nichts, daß wenig später eine "Reproduktion' von b (nämlich b') auftritt, wenn ich dann a' wieder aus dem Gedächtnis verloren habe. Versteht man also 'Reproduktion' im wörtlichen Sinn, dann handelt es sich bei der Synthesis der Reproduktion nicht nur nicht um eine hinreichende Bedingung; sie ist auch völlig überflüssig. Gleichwohl haben wir bereits gesehen, daß zu dem bloßen Durchlaufen etwas hinzukommen muß, das garantiert, daß wir die früheren Vorstellungen nicht immer wieder vergessen, wenn eine neue auftritt. Wenn wir unter Reproduktion bloß verstehen, daß die frühere Vorstellung irgendwie präsent bleibt, können wir Kants These akzeptieren, daß Reproduktion für das Zustandekommen einheitlicher Vorstellungen erforderlich ist. Es ist auch nicht unplausibel anzunehmen, daß dies voraussetzt, daß es einen 'assoziativen' Zusammenhang zwischen diesen Vorstellungen gibt, derart, daß eine der "Vorstellungen einen Übergang des Gemüts zu der anderen [...] hervorbringt" (A 100). In diesem Sinne können wir dann auch von einer Synthesis der Reproduktion sprechen. Kant gibt sich aber nicht mit der Behauptung, daß eine Synthesis der Reproduktion angenommen werden muß, zufrieden. Er versucht bereits an dieser Stelle, seine Gesetzesthese zu begründen. Denn er meint, daß wir nur dann über solche 'Assoziations-' oder 'Reproduktionsgesetze' verfügen können, wenn die Vorstellungen selber unter gewissen Regeln stehen: Locke die Erinnerung in der zweiten Bedeutung von 'Reproduktion' konzipiert, ergibt sich aus der folgenden Bemeikung: "But our I d e a s being nothing, but actual Perceptions in the Mind, which cease to be any thing, when there is no perception of them, this l a y i n g u p of our I d e a s in the Repository of the Memory, signifies no more but this, that the Mind has a Power, in many cases, to revive Perceptions, which it has once had, with this additional Perception annexed to them, that it has had them before. And in this Sense is it, that our I d e a s are said to be in our Memories, when indeed, they are actually no where, but only there is an ability in the Mind, when it will, to revive them again; and as it were paint them anew on it self' (Locke (1978) Book Π. X. §§ 1 und 2 S. 149f.).

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

"Dieses Gesetz der Reproduktion setzt aber voraus: daß die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen seien, und daß in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine, gewissen Regeln gemäße, Begleitung, oder Folge stattfinde; denn ohne das würde unsere empirische Einbildungskraft niemals etwas ihrem Vermögen Gemäßes zu tun bekommen" (A 100).

Aber dieses Argument ist für Kants Zwecke viel zu schwach. Selbst wenn wir zugestehen, daß (a) ohne Assoziationsregeln keine einheitlichen Vorstellungen Zustandekommen können und (b), daß Assoziationsregeln nicht ausgebildet werden können, wenn es keine Regularitäten in der Wahrnehmung gibt, so folgt doch bestenfalls, daß unsere Wahrnehmungen nicht völlig chaotisch sein dürfen. Es folgt weder, daß alle unsere Vorstellungen unter Gesetzen stehen, noch, daß es sich dabei um eine notwendige Gesetzmäßigkeit handelt Für diese weitergehenden Thesen ist aber im Text der Nr. 2 (A 100-102) kein überzeugendes Argument zu finden.5 Wir können daher davon ausgehen, daß Kant an dieser Stelle noch keine befriedigende Begründung der Gesetzesthese gelingt, zumal die Voraussetzung (b) nicht selbstverständlich ist. Damit können wir uns nun der Synthesis der Rekognition zuwenden.

1.1.3. Die Synthesis der Rekognition Ich will vorab einen Überblick über die Struktur des Arguments geben: Zunächst stellt Kant fest, daß die Synthesis der Apprehension und Reproduktion allein nicht ausreichen, um eine einheitliche Vorstellung hervorzubringen, wenn die jeweils neue Vorstellung nicht als zu den anderen gehörig vorgestellt wird. Dies wiederum sei aber nur möglich, wenn ich ein Bewußtsein der Handlung habe, nach der ich die Vorstellungen verbinde. Ein solches Handlungsbewußtsein sei aber ein Begriff. Damit glaubt Kant gezeigt zu haben, daß eine 'Synthesis der Rekognition im Begriffe* für das Zustandekommen einer einheitlichen Vorstellung erforderlich ist. Dies ist der erste Hauptschritt des Arguments. Dieses Resultat reicht natürlich für Kants Zwecke noch nicht hin. Denn damit ist lediglich gezeigt, daß wir irgendwelche Begriffe anwenden müssen, wenn ein einheitliches Bewußtsein möglich sein soll. Kant will aber zeigen, Kants Hinweis, daß "selbst unsere reinsten Anschauungen a priori keine Erkenntnis verschaffen, außer, sofern sie eine solche Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgängige Synthesis der Reproduktion möglich macht" (101) ist dazu ganz ungeeignet. Denn die These (b) mag man für empirische Vorstellungen einigermaßen plausibel finden; für die Synthesis mathematischer Begriffe (Kants Beispiel ist hier das Ziehen einer Linie) ist sie dagegen extrem unplausibel.

Kants Argumentation in der A-Deduktion

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daß wir Begriffe a priori voraussetzen müssen. Diesem Nachweis dient der zweite Hauptschritt. Kant greift dazu auf eine Analyse des Objektbegriffs zurück. Er versucht hier zu zeigen, daß die Einheit der Vorstellungen im Begriff eines Objekts eine notwendige Einheit ist und daher nicht auf einer Synthesis allein nach empirischen Begriffen beruhen kann, sondern die Anwendung von Begriffen a priori voraussetzt. Damit ist der zweite Hauptschritt abgeschlossen. Ich habe bereits im ersten Kapitel angemerkt, daß nicht recht klar ist, wie die Analyse des Objektbegriffs in Kants Überlegungen eingeht Bisher sind wir ja von der Frage nach der Möglichkeit einer einheitlichen Vorstellung eines Mannigfaltigen ausgegangen. Nun aber scheint Kant diese Frage durch die Frage nach der Möglichkeit einer Erkenntnis von Objekten zu ersetzen und damit eine stärkere Voraussetzung (nämlich die Objektivitätsthese) in Anspruch zu nehmen. Solange Kant nur nach den Bedingungen einer einheitlichen Anschauung fragt, haben wir es mit einer starken Deduktion zu tun. Wenn Kant nun aber die Objektivitätsthese als zusätzliche Voraussetzung in seinen Beweis aufnimmt, gelten die als notwendige Bedingungen einer objektiven Einheit unserer Vorstellungen ermittelten Bedingungen natürlich nur für solche Vorstellungen, von denen feststeht, daß sie objektivieibar sind. Es würde sich also in diesem Fall lediglich um eine schwache Deduktion handeln - jedenfalls dann, wenn der in Anspruch genommene Objektbegriff stärker ist als der eines bloßen Komplexes gegebener Vorstellungen. Eben dies scheint aber der Fall zu sein, denn es soll sich bei dem Gegenstand unserer Vorstellungen gerade um etwas handeln, was diesen Vorstellungen 'korrespondiert' und "mithin auch davon unterschieden" ist (vgl. A 104). Im dritten Hauptschritt des Arguments führt Kant dann die Einheit der Apperzeption in den Beweisgang ein. Auch hier ist nicht recht klar, welche Rolle der Apperzeptionseinheit zugeschrieben werden soll. Zunächst sieht es so aus, als suche Kant lediglich nach einem Erklärungsgrund für die notwendige Einheit, deren Vorliegen er aus der Analyse des Objektbegriffs glaubt hergeleitet zu haben (vgl. die beiden ersten Sätze des 2. Absatzes von A 106). Andererseits kann man die Einführung der Apperzeptionseinheit auch so verstehen, daß mit ihr die zunächst als bloße Voraussetzung in Anspruch genommene Objektivitätsthese (indirekt) begründet wird. Kant stellt nämlich die Behauptung auf, daß die Einheit verschiedener Vorstellungen im Begriff eines Objekts "nichts anderes, als die notwendige Einheit des Bewußtseins" ist (A 109). In diesem Fall wäre die These von der Objeküvierbarkeit aller unserer Vorstellungen eine Folge von deren Zugehörigkeit zu einem (möglichen) Selbstbewußtsein. Damit hätten wir dann wiederum eine starke Deduktion. Wir müssen die einzelnen Schritte nun genauer betrachten.

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Selbstbewußlsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

1.1.3.1. Die Notwendigkeit einer Synthesis nach Begriffen Zunächst zum ersten Schritt: Wieso meint Kant, daß das Durchlaufen und Reproduzieren allein nicht ausreicht, um die Vorstellung eines Ganzen hervorzubringen? Kant versucht, dies am Beispiel des Zählens zu erläutern: "Vergesse ich im Zählen: daß die Einheiten, die mir jetzt vor Sinnen schweben, nach und nach zueinander von mir hinzugetan worden sind, so würde ich die Erzeugung der Menge, durch diese sukzessive Hinzutuung von Einem zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff besteht lediglich in dem Bewußtsein dieser Einheit der Synthesis" (A 103).

Dies sieht auf den ersten Blick so aus, als wiederhole Kant lediglich das, was er eine Seite zuvor zur Begründung der Notwendigkeit einer reproduktiven Synthesis angeführt hat. Das ist aber nicht der Fall. Im Rahmen der Begründung der Notwendigkeit einer Synthesis der Reproduktion hatte Kant lediglich gefordert, daß ich die Einheiten nicht aus den Gedanken verlieren darf; nun wird darüber hinaus gefordert, daß ich von diesen 'reproduzierten' Vorstellungen denke, daß sie von mir zueinander hinzugefügt worden sind. Nach Kants Meinung kommt allein dadurch, daß die frühere Vorstellung im folgenden Vorstellungszustand mit präsent bleibt, noch keine einheitliche Vorstellung eines Mannigfaltigen zustande, weil es sich bei der Vorstellung des Ganzen einer Mannigfaltigkeit um eine Vorstellung handeln soll, in der dieses Ganze als aus den nacheinander durchlaufenen 'Teilen' zusammengesetzt vorgestellt wird. Ich will dies an Kants Beispiel des Zählens erläutern. Solange wir es mit nicht allzu großen diskreten Mengen zu tun haben, können wir die Anzahlbegriffe auf zweierlei Art auffassen: entweder als Namen für Konfigurationen oder als Bezeichnungen für Resultate von Zählhandlungen. Nehmen wir an, John lernt die 'Zahlbegriffe' (sagen wir von 0 - 10) als Namen für Konfigurationen. '4' ist dann ein Name für Konfigurationen, die so ähnlich aussehen wie: oder: • · ·

·

Ludwig dagegen lernt die Zahlbegriffe nach Regeln. Für ihn bezeichnet '4' solche Mengen, die durch Hinzufügung eines Elements zu Mengen, die durch '3' bezeichnet werden, entsteht etc.. Für John verhalten sich 3 und 4 so zueinander wie rot und grün. Es sind einfach verschiedene Namen für unterschiedliche Konfigurationen. Für Ludwig ist das natürlich anders. Für Ludwig ist eine solche Konfiguration von z.B. vier Objekten eine Menge, die sich aus einzel-

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nen Elementen zusammensetzt Ludwig kann aus der Aussage 'Da sind vier Kühe auf der Weide' schließen, daß mehr als drei Kühe auf der Weide sind. Für Ludwig liegt also eine Menge vor, die sich aus Elementen zusammensetzt, weil er die Menge als das Produkt einer Synthesishandlung auffaßt Wenn John dagegen erst eine Kuh, dann zwei usw. wahrnimmt, so handelt es sich jeweils um "eine neue Vorstellung im jetzigen Zustande, die zu dem Aktus, wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehörte, und das Mannigfaltige derselben würde immer kein Ganzes ausmachen" (A 103). 6 Kant würde also im vorliegenden Beispiel behaupten, daß John zwar eine Vorstellung von etwas hat, das faktisch etwas Komplexes ist, aber im Gegensatz zu Ludwig kein Bewußtsein von diesem Komplex als aus verschiedenen Elementen Zusammengesetztem hat. Ludwig dagegen hat deshalb dieses Bewußtsein, weil er - wenn er die vier Kühe zusammen auf der Weide sieht weiß, daß es sich bei dieser Vorstellung um ein Produkt einer Synthesis handelt: Er weiß, daß diese vier Kühe mit jenen, die er nacheinander durchgezählt hat, identisch sind. Was folgt nun aus alledem? Wenn Kant recht hat, ist eine Vorstellung eines Ganzen nur möglich, wenn wir die einzelnen Teile oder Aspekte dieses Ganzen 6

Kant leitet seine Überlegungen zur Synthesis der Rekognition mit dem Satz ein: "Ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein" (A 103). Man kann dies so verstehen, daß wir die reproduzierte Vorstellung mit der Vorstellung, von der sie eine Reproduktion ist, identifizieren sollen. Diese Lesart wird besonders von Kants Bemerkung in A 1 IS nahegelegt, wo es heißt, daß die Apperzeption die Erscheinungen "in dem e m p i r i s c h e n B e w u ß t s e i n der Identität dieser reproduktiven Vorstellungen mit den Erscheinungen, dadurch sie gegeben waren", vorstellt. Aber diese Lesart setzt die wörtliche Lesart der Synthesis der Reproduktion voraus, und es ist (aus ganz analogen Gründen, die uns oben zur Ablehnung dieser Lesart der Synthesis der Reproduktion geführt haben) nicht zu sehen, wieso eine Synthesis der Rekognition in diesem Sinne erforderlich ist, wenn es um das Zustandekommen eines aus Teilen' zusammengesetzten Ganzen gehen soll. Es scheint mir daher sinnvoller, die Synthesis der Rekognition in folgender Weise aufzufassen: Wir gehen von einer zur anderen Vorstellung über. Wenn wir bei der zweiten angelangt sind, halten wir die erste präsent, wenn wir zu der dritten kommen, halten wir die beiden ersten präsent Wenn wir bei der letzten Vorstellung angekommen sind, haben wir alle diese Vorstellungen zusammen vor dem Bewußtsein. Aber all dies muß nicht zur Folge haben, daß wir nun eine Vorstellung eines Ganzen, das sich aus Teilen zusammensetzt, haben: Wir könnten einfach eine komplexe Vorstellung haben, die für uns in gar keiner Beziehung zu den zuvor einzeln betrachteten Teilen' steht. Erst wenn wir die einzelnen Teile als Teile eines Ganzen auffassen und das Ganze als zusammengesetzt aus den Teilen denken, haben wir die Vorstellung eines Ganzen als eines solchen. Das bedeutet aber, daß wir, wenn wir z.B. ein Haus als komplexes Ganzes wahrnehmen wollen, wir das Dach ais Dach des Hauses, das Fundament als Fundament des Hauses etc. wahrnehmen müssen, so daß wir die Vorstellung der Gesamtheit (wenn wir das Bild' des Hauses zusammengesetzt haben) als Produkt einer Verbindung von Teilen eines und desselben 'Ganzen' auffassen können. Das, was als identisch gedacht wird, ist also nicht eine Vorstellung und ihre Reproduktion. Wir denken uns vielmehr die Teile als Teile desselben Ganzen. Auf diese Weise ließe sich auch verständlich machen, wieso Kant dann zum Begriff des Objekts übergeht, als dem, was durch die Vorstellungen vorgestellt wird und was in ihnen identisch ist.

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nach einer Synthesisregel in Beziehung setzen, so daß wir die einzelnen Teile bereits als Aspekte des Ganzen auffassen. Dazu müssen wir annehmen, daß wir über Begriffe verfügen, denn um etwas als etwas auffassen zu können, brauchen wir Begriffe. Wenn wir z.B. ein Haus als etwas Komplexes auffassen wollen, so müssen wir die einzelnen Teile und Aspekte bereits als Teile bzw. Aspekte des Hauses auffassen. Wir müssen dann die Elemente des Mannigfaltigen als Teile oder Aspekte desselben Ganzen auffassen. Dies aber ist nach Kants Meinung nur möglich, wenn wir die Elemente des Mannigfaltigen nach einer Regel synthetisieren. Können wir daraus bereits auf die Gesetzesthese schließen? Wenn ein einheitliches Bewußtsein nicht Zustandekommen kann, wenn es nicht nach einer Regel apprehendiert wird, muß es dann nicht unter Regeln stehen, um apprehendiert werden zu können? Um diese Frage entscheiden zu können, müssen wir klären, was es heißt, etwas nach einer Regel zu apprehendieren. Zunächst ist festzustellen, daß Kant den Begriff der Regel in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet, oder daß er zumindest zwei unterschiedliche Bedeutungen von "Regel' in seinem Regelbegriff verbindet. Mitunter versteht Kant unter einer Regel so etwas wie eine Handlungsanweisung, eine Methode oder ein Schema, nach dem eine Handlung vollzogen wird. In diesem Sinne ist die Rede von Synthesisregeln zu verstehen, sowie Kants Behauptung, daß Begriffe zur Regel dienen (A 106). Auf der anderen Seite verwendet Kant den Begriff der Regel im Sinne von Regularität: Wenn er etwa behauptet, daß die Synthesis der Reproduktion nur möglich ist, wenn "die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen seien" (A 100), so meint er damit, daß "in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine, gewissen Regeln gemäße, Begleitung, oder Folge stattfinde" (A 100; vgl. auch A 113). Um unsere Frage, ob sich aus Kants These, daß ein einheitliches Bewußtsein nur Zustandekommen kann, wenn wir das Mannigfaltige nach Regeln apprehendieren, folgt, daß "in dem Mannigfaltigen [...] eine, gewissen Regeln gemäße, Begleitung, oder Folge stattfinde", beantworten zu können, müssen wir nun etwas genauer den Zusammenhang zwischen regelgeleitetem Handeln (Verbinden) einerseits und der Regularität der Vorstellungen andererseits betrachten. Die folgenden drei Eigenschaften von Regeln (im Sinne von Handlungsregeln) sind hier wichtig: 1. ihr normativer Aspekt, 2. ihr einheitsstiftender Aspekt, und 3. ihr Leitungsaspekt. Wenn wir nach Regeln handeln, so können wir sagen, daß die Handlung richtig oder falsch ist Die Regel dient dabei als Standard für die Richtigkeit oder Falschheit der Handlung. Dies ist ihr normativer Aspekt.

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Sofern wir es mit komplexen Handlungen zu tun haben (also Handlungen, die aus Teilhandlungen bestehen), können wir sagen, daß den einzelnen Teilhandlungen durch die Regel eine Einheit gegeben wird. (In besonderen Fällen legt die Regel sogar dadurch, daß sie eine einzelne Handlung in Zusammenhang mit anderen Handlungen bringt, fest, was diese Handlung ist Ein bestimmter Zug im Schachspiel z.B. erhält (u.a.) dadurch seine Bedeutung, daß in den Spielregeln die Konsequenzen dieses Zugs für den weiteren Spielverlauf festgelegt sind.) Dieser einheitsstiftende Aspekt ist der für Kant entscheidende Aspekt der Regeln. Der dritte Aspekt von regelgeleitetem Handeln besteht darin, daß wir nach Regeln handeln: Regeln dienen nicht nur zur Beurteilung bereits irgendwie vollzogener Handlungen, sondern leiten die Handlungen, indem sie z.B. bei komplexen Handlungen festlegen, in welcher Reihenfolge welche Teilhandlungen auszuführen sind. Wenn wir dies auf das uns hier interessierende Problem der Verbindungshandlungen anwenden, ergibt sich folgendes: Wird ein gegebenes Mannigfaltiges nach einer Regel verbunden, so müssen wir ein Bewußtsein der Regel voraussetzen, da es sonst keinen Sinn macht, zu sagen, daß wir nach dieser Regel verbinden. Dieses Bewußtsein kann zwar, wie Kant ausdrücklich bemerkt, "oft nur schwach sein, so daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Aktus selbst, d.i. unmittelbar mit der Erzeugung der Vorstellung verknüpfen: aber unerachtet dieser Unterschiede muß doch immer ein Bewußtsein angetroffen werden, wenn ihm gleich die hervorstechende Klarheit mangelt" (A 103f.). Ich verstehe diese Bemerkung so, daß wir zwischen explizitem und implizitem Regelbewußtsein unterscheiden können: Haben wir ein explizites Regelbewußtsein, so stellen wir uns die einzelnen Vorstellungen, die wir nacheinander durchlaufen, als Vorstellungen von Teilen oder Aspekten des 'Ganzen' vor, dessen Vorstellung wir durch die Synthesis erzeugen: wir stellen uns die Fassade als Fassade eines Hauses vor; das Dach als Dach des Hauses etc.. Das bedeutet (u.a.), daß wir, indem wir z.B. die Fassade wahrnehmen, weitere Wahrnehmungen (z.B. von der Rückseite, von den Innenräumen etc.) antizipieren. Im Fall des impliziten Regelbewußtseins bestehen diese Antizipationen lediglich darin, daß das Nichtauftreten gewisser Wahrnehmungen Enttäuschung oder Überraschung auslöst. Wenn wir nach einer Regel verbinden, so bedeutet dies also mindestens, daß wir beim Auftreten gewisser Wahrnehmungen gewisse Erwartungen haben, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte richten und andere ausblenden. Wir verbinden die Vorstellungen dann regelgemäß (also richtig), wenn wir beim Auftreten einer gegebenen Teilvorstellung die der Regel ent-

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sprechenden Erwartungen haben, bei den dann folgenden Wahrnehmungen die richtigen Wahrnehmungen ausblenden, etc.. Die Einheit der Vorstellungen kommt dadurch zustande, daß wir nach dieser Regel die einzelnen Wahrnehmungen reproduzieren können und z.B. das Fenster, das wir jetzt als Teil der ganzen Fassade sehen, als dasselbe erkennen, das wir zuvor, ohne die anderen Teile der Fassade zu beachten, betrachtet haben. Wie all dies funktioniert, wissen wir nicht, denn es geschieht nach einer "verborgene[n] Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten" (A 141/B 180f.). Aber daß es geschieht, erkennen wir daran, daß wir einheitliche Vorstellungen zustandebringen. Soviel kann wohl zugestanden werden. Kant scheint aber für das Zustandekommen der Synthesis der Rekognition stärkere Voraussetzungen anzusetzen: "[a]... wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben, [b] Diese aber ist unmöglich, wenn die Anschauung nicht durch eine solche Funktion der Synthesis nach einer Regel hat hervorgebracht werden können, [c] welche die Reproduktion des Mannigfaltigen a priori notwendig und einen Begriff, in welchem dieses sich vereinigt, möglich macht" (A 105).

Wir können Kant [a] und [b] zugestehen, wenn damit bloß gesagt sein soll, daß wir eine Ganzes als ein solches nur dann erkennen können, wenn wir die Vorstellung dieses Ganzen nach einer Regel hervorgebracht haben. Aber wieso glaubt Kant behaupten zu können, daß diese Regel so beschaffen sein muß, daß die Reproduktion des Mannigfaltigen notwendig, ja sogar a priori notwendig ist? Man kann dieser Behauptung einen harmlosen Sinn geben: Daß die Reproduktion notwendig ist, würde dann nur besagen, daß sie durch die Regel festgelegt ist; daß sie a priori notwendig ist, könnte lediglich besagen, daß dies bereits vor dem Vollzug der Verbindungshandlung festgelegt ist, da wir ein (wenn auch vielleicht nur implizites) Bewußtsein der Regel haben müssen, bevor wir verbinden. Es ist aber wichtig zu beachten, daß das, was durch die Regel vor dem Vollzug der Verbindung festgelegt ist, lediglich Erwartungen künftiger Wahrnehmungen sind. Und nach dem Vollzug der Verbindung ist festgelegt, in welcher Weise die faktisch aufgetretenen Vorstellungen reproduziert werden. Dies ist natürlich nur dann der Fall, wenn die erwarteten Wahrnehmungen auch wirklich eingetreten sind. Ob sie eintreten, ist aber ganz kontingent. Wenn ich vor einer Fassade stehe und sie als Fassade eines Hauses 'apprehendiere', so ist damit festgelegt, daß ich erwarte, (unter bestimmten Bedingungen) die Rückseite des Hauses zu sehen. Aber wenn das, was ich für die Fassade eines

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Hauses halte, lediglich eine Kulisse ist, werden meine Erwartungen enttäuscht, und daran ändert natürlich der Umstand, daß ich die 'Fassade' als Fassade eines Hauses (also einer Regel gemäß) aufgefaßt habe, nicht das geringste. Daß Kant mehr folgern will, geht aus der Erläuterung hervor, die er wenig später am Beispiel des Begriffs eines Körpers gibt: "So dient der Begriff vom Körper nach der Einheit des Mannigfaltigen, welches durch ihn gedacht wird, unserer Erkenntnis äußerer Erscheinungen zur Regel. Eine Regel der Anschauungen kann er aber nur dadurch sein: daß er bei gegebenen Erscheinungen die notwendige Reproduktion des Mannigfaltigen derselben, mithin die synthetische Einheit in ihrem Bewußtsein, vorstellt. So macht der Begriff des Körpers, bei der Wahrnehmung von etwas außer uns, die Vorstellung der Ausdehnung, und mit ihr die der Undurchdringlichkeit, der Gestalt usw. notwendig" (A 106).

Insbesondere der letzte Satz legt die Vermutung nahe, daß Kant hier behaupten will, daß, wenn ich etwas 'Äußeres' als Körper wahrnehme, die Wahrnehmung der Undurchdringlichkeit notwendig wird 7 (vgl. auch A 110 und A 112). Diese stärkere These folgt aber sicherlich aus dem bisher Erörterten nicht. Wir können Kant zugestehen, daß 1. jede Erkenntnis eines Ganzen eine Verbindung nach Begriffen voraussetzt; daß 2. diese Begriffe nur dann auf ein gegebenes Mannigfaltiges anwendbar sind, wenn sie als Regeln der Synthesis fungieren. Wenn ich ein Ganzes nur als Produkt einer Handlung auffassen kann, derart, daß ich von Beginn an die Teile oder Aspekte dieses Ganzen als Teile oder Aspekte dieses Ganzen auffasse, so muß ich bei jeder solchen Teilvorstellung bereits den Übergang zu einer anderen Vorstellung antizipieren und die folgende als eine solche auffassen, zu der ich von der vorangegangenen nach einer Regel gelangt bin. Insofern können wir sagen, daß der Begriff "bei gegebenen Erscheinungen die [...] Reproduktion des Mannigfaltigen derselben, mithin die synthetische Einheit in ihrem Bewußtsein, vorstellt" (A 106). Aber das bedeutet eben nur, daß ich, wenn ich gegebene Erscheinungen nach einer bestimmten empirischen Regel synthetisiere, erwarte, daß bestimmte andere Vorstellungen auftreten, und daß ich sie (und nicht irgendwelche andere), wenn sie aufgetreten sind, in der Erinnerung reproduziere. Es ist weder gezeigt worden, daß die Wahrnehmungen nach Regeln reproduzierbar sind, noch, daß wir notwendigerweise bestimmte Begriffe verwenden müssen: Es ist lediglich gezeigt τ Der Satz erzwingt diese Deutung nicht, da er mit der oben erwähnten schwächeren Lesart, wonach nur behauptet wird, daß meine Erwartungen durch den Begriff festgelegt sind, vereinbar ist. Aber die der zitierten Passage unmittelbar folgenden Äußerungen legen doch die stärkere Lesart nahe. Denn Kant geht unmittelbar zu der Frage nadi dem "transzendentalen Grund" dieser Notwendigkeit über. Diesen transzendentalen Grund identifiziert er dann mit der Einheit der Apperzeption, weil sie "aus allen möglichen Erscheinungen [...] einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen" macht (A 108). Ein solcher Grund ist aber wohl nur dann erforderlich, wenn man die starke Lesart zugrunde legt.

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worden, daß wir irgendwelche Begriffe verwenden müssen. Erfüllen sich die Erwartungen, die mit einem Begriff verbunden sind, nicht, so müssen wir eben nach einem anderen Begriff synthetisieren. Wenn wir die Fassade eines Hauses sehen und erwarten, nach Eintritt in das Haus Treppen, Türen und Zimmer zu sehen, aber feststellen müssen, daß es sich lediglich um die Fassade einer Ruine handelt, so müssen wir die dann gegebenen Vorstellungen eben unter dem Begriff einer Ruine synthetisieren. Wir können nun auf unsere Ausgangsfirage nach dem Verhältnis von regelgeleitetem Verbinden einerseits und dem Vorliegen von Regularitäten andererseits zurückkommen. Aus Kants Überlegungen ergibt sich lediglich, daß wir immer dann, wenn wir nach demselben Begriff synthetisieren, dieselben Erwartungen ausbilden, und daß wir, sofern die erwarteten Wahrnehmungen eingetreten sind, diese nach Regeln in der Erinnerung reproduzieren können. Über das Vorliegen von Regularitäten in der Wahrnehmung folgt gar nichts. Man könnte versuchen, Kants weitergehende These in folgender Weise zu verteidigen: Zwar können wir nicht antizipieren, daß die folgenden Wahrnehmungen nach bestimmten empirischen Begriffen synthetisierbar sein müssen; aber sie müssen doch so beschaffen sein, daß sie nach irgendwelchen Begriffen synthetisierbar sind, und dies ist nur möglich, wenn sie unter Gesetzen stehen. Das mag nun zwar so sein - aus Kants Argumenten ergibt es sich aber nicht. Denn wir haben gesehen, daß sich aus der These, daß unsere Vorstellungen nach Begriffen verbindbar sein müssen, nur ergibt, daß wir die Vorstellungen in der Erinnerung nach der entsprechenden Regel reproduzieren können. Eine (inhaltlich bestimmte) Gesetzmäßigkeit der Wahrnehmungen läßt sich so nicht begründen. Damit sind aber die Resourcen der aufsteigenden Deduktion, die lediglich von der Möglichkeit einer einheitlichen Anschauung ausgeht, erschöpft. Wir haben jedoch bereits angekündigt, daß Kant im zweiten Hauptschritt der Rekognitionsanalyse unter Rückgriff auf eine Erörterung des Gegenstandsbegriffs zu zeigen versucht, daß wir nicht nur nach irgendwelchen Regeln, sondern nach Regeln a priori synthetisieren müssen. Wir müssen nun untersuchen, ob sich auf der Basis dieser Überlegungen stärkere Folgerungen ziehen lassen.

1.1.3.2. Die Einführung des Objektbegriffs Ich habe bereits im vorigen Abschnitt Textpassagen herangezogen, die erst auf Kants Erörterung des Gegenstandsbegriffs folgen. Dies geschah, um Kants Regelbegriff zu klären. Dabei hat sich gezeigt, daß aus der These über die Not-

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wendigkeit, Vorstellungen nach Regeln zu verbinden, nicht auf die Regularität unserer Wahrnehmungen geschlossen werden kann. Es könnte aber sein, daß Kant diese Folgerung erst auf der Grundlage der Analyse des Objektbegriffs ziehen wollte. Wir müssen nun untersuchen, ob dies möglich ist. Dazu ist zweierlei zu klären: 1. wieso Kant überhaupt dazu kommt, nun den Begriff eines Gegenstandes in seine Überlegungen einzubringen, und 2., ob sich auf der Grundlage der Analyse des Objektbegriffs die Geltung von notwendigen Synthesisregeln herleiten läßt. Was die erste Frage angeht, so muß man wohl Erdmann zustimmen, daß "die Discussion der Beziehung der Vorstellungen auf ihren Gegenstand [...] formell ganz unmotiviert in den Gang des Beweises" eintritt (Erdmann (1878b) S. 25f.). Kant stellt nur lapidar fest: "Und hier ist es denn notwendig, sich darüber verständlich zu machen, was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine" (A 104).

Wieso dies hier notwendig ist, sagt Kant nicht Man könnte vermuten, daß er es deshalb nicht sagt, weil er es für offensichtlich hielt. Dies wäre dann der Fall, wenn wir davon ausgehen könnten, daß Kant hier einen vergleichsweise schwachen Objektbegriff unterstellt, wonach jeder Komplex von Vorstellungsgehalten, in dem die einzelnen Elemente als Teile oder Aspekte dieses Komplexes vorgestellt werden, bereits als Gegenstand gelten kann. Wenn dies der Fall wäre, dann läge es in der Tat nahe (und wäre vielleicht sogar notwendig), nun eine genauere Analyse dieses Begriffs zu geben. Aber es ist nicht der Fall: Denn Kant weist sogleich auf zwei Eigenschaften von Gegenständen hin, die zeigen, daß es sich hier um einen viel anspruchsvolleren Begriff handelt: Gegenstände sollen von unseren Vorstellungen unterschieden sein (A 104) und sie sollen für unsere Vorstellungen (irgendwie) verantwortlich sein. Kant denkt hier also zumindest an wirklich existierende, von unseren Vorstellungen numerisch und der Art nach verschiedene Objekte, und nicht lediglich an Komplexe von Vorstellungsgehalten. Für die folgenden Überlegungen ist nun die zweite Eigenschaft grundlegend: Der Gegenstand wird als "dasjenige angesehen [...], was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt seien, weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch notwendigerweise in Beziehung auf diesen untereinander übereinstimmen, d.i. diejenige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht" (A 104f.).

Kant will nun zeigen, daß der Begriff des Gegenstandes "nichts mehr [ist], als das Etwas, davon der Begriff eine solche Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt" (A 106), und daraus soll sich dann ergeben, "daß alle Erscheinungen,

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sofern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen Einheit [..] stehen müssen" (A 110). Ob sich dies zeigen läßt, werden wir gleich untersuchen. In bezug auf unsere erste Frage können wir vermuten, daß Kant die Analyse des Objektbegriffs einführt, um aus der (angeblich) notwendigen Einheit objektbezogener Vorstellungen auf die Notwendigkeit von Begriffen a priori schließen zu können. Es ist aber festzuhalten, daß all das, was Kant unter Ausnutzung der Analyse des Objektbegriffs folgert, auch nur für Erscheinungen gilt, "sofern uns dadurch Gegenstände gegeben werden" (A 110). Denn bisher ist noch nicht gezeigt worden, daß es überhaupt solche objektbezogenen Vorstellungen gibt. Selbst wenn Kant zeigen kann, daß wir Begriffe a priori anwenden müssen, wenn eine Erkenntnis von Gegenständen möglich sein soll, folgt also bestenfalls eine bedingte Gesetzesthese: Nur solche Vorstellungen stehen unter Regeln a priori, die Vorstellungen von Gegenständen sind. Wir haben es in diesem Fall also nur mit einer schwachen Deduktion zu tun. Wenden wir uns nun dem Argument selber zu. Wir können Kant zugestehen, daß wir nur dann eine Wahrnehmung als Wahrnehmung eines Gegenstandes auffassen, wenn wir annehmen, daß diese Wahrnehmung nicht beliebig auftritt, sondern durch den Gegenstand bestimmt ist. Und wir können auch zugestehen, daß die Beziehungen zwischen verschiedenen objektbezogenen Vorstellungen von dem Gegenstand abhängig ist. Wenn ich einen Körper wahrnehme, so nehme ich dann, wenn ich ihn trage, wahr, daß er schwer ist Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Wahrnehmungen ist nicht beliebig, sondern durch den Gegenstand bestimmt. Insofern können wir sagen, daß der Zusammenhang verschiedener Wahrnehmungen eines Objekts 'notwendig' ist. Wir hatten aber bereits mehrfach Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß der Begriff einer notwendigen Verbindung verschiedenes bedeuten kann. So können wir z.B. dann von einem notwendigen Zusammenhang verschiedener Vorstellungen sprechen, wenn wir zum Ausdruck bringen wollen, daß die Vorstellungen in einem gesetzmäßigen Zusammenhang stehen. Wir haben im dritten Kapitel gesehen, daß Kant dazu tendiert, die objektive Einheit verschiedener Vorstellungen in diesem Sinne aufzufassen: Danach ist nur das Objekt, was unter allgemeinen und notwendigen Gesetzen steht. Es sollte aber klar sein, daß dies nicht aus dem Sinn von 'notwendiger Einheit' folgt, in welchem wir Kant gerade zugestanden haben, daß die objektive Einheit notwendig ist. Denn offenkundig folgt aus der Tatsache, daß es kein Zufall ist, daß gewisse Wahrnehmungen bei meiner Wahrnehmung eines schweren Körpers zusammen auftreten, nicht, daß es einen direkten gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen diesen Wahrnehmungen gibt: daß das Auftreten einer 'Schwerewahrnehmung' beim Tragen

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dieses schweren Körpers kein Zufall ist, heißt nicht, daß ich immer dann, wenn ich einen Körper trage, ein Gefühl der Schwere habe. Eine notwendige Einheit der Vorstellungen in diesem Sinne liegt also nicht vor. In welchen Sinn dann? Die naheliegende Antwort ist Der Gegenstand ist die Ursache dafür, daß bestimmte Wahrnehmungen auftreten. Die 'notwendige Einheit' dieser Vorstellungen besteht dann in nichts anderem als ihrer kausalen Abhängigkeit von ihrem Gegenstand. Was ergibt sich daraus für die Frage nach der Notwendigkeit von Begriffen a priori, und was folgt bezüglich der Frage nach der Geltung allgemeiner Gesetze? Wenn wir Kant zugeben, daß, "da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu tun haben, [...] jenes X, was ihnen korrespondiert (der Gegenstand), weil er etwas von allen unseren Vorstellungen Unterschiedenes sein soll, für uns nichts ist" (A 105), d.h. nicht selber direkt wahrgenommen werden kann, so müssen wir auch zugestehen, daß der Begriff von diesem Gegenstand nicht empirisch gewonnen werden kann. Es muß sich also um einen Begriff a priori handeln. Der Begriff von einem 'Gegenstande überhaupt' ist also ein reiner, nicht-empirischer Begriff. Aber es ist nicht zu sehen, wieso daraus folgen soll, daß objektbezogene Vorstellungen unter Regeln a priori stehen. Der Begriff des Gegenstandes ist lediglich der Begriff von etwas, das für unsere Vorstellungen verantwortlich ist. Damit ist aber nichts darüber festgelegt, in welcher Weise Vorstellungen beschaffen sein müssen, wenn sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen. Aus der Apriorität des Begriffs eines Gegenstandes überhaupt kann also nicht unmittelbar auf eine Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen geschlossen werden. Man könnte aber versuchen, auf einem indirekten Weg zu solchen Folgerungen zu gelangen, indem man sich fragt, unter welchen Voraussetzungen wir erkennen können, ob und welche Vorstellungen sich auf ein Objekt beziehen. Wären unsere Vorstellungen völlig chaotisch, so ist kaum anzunehmen, daß wir jemals zwischen objektbezogenen und bloß subjektiven Vorstellungen unterscheiden könnten. Auch das im dritten Kapitel diskutierte explanatorische Verfahren mußte gewisse Regularitäten unter unseren Vorstellungen voraussetzen, um überhaupt ein zu erklärendes Phänomen zu haben, zu dessen Erklärung dann die Existenz objektiver Bedingungen postuliert werden kann. Wenn wir davon ausgehen, daß diejenigen Vorstellungen, die Gegenstände repräsentieren, von diesen Gegenständen kausal abhängig sind, so folgt daraus, daß wir zumindest für einige Objekte annehmen müssen, daß sie gewissen Konstanzbedingungen unterliegen. Denn nur wenn sich die Objekte selber nicht

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beliebig verändern, bewirken sie, daß unsere Vorstellungen von ihnen gewisse Regularitäten aufweisen. Wenn wir also auf der Basis unserer Vorstellungen Objekte erkennen wollen, müssen wir davon ausgehen, daß es Objekte gibt, die gewissen Konstanzbedingungen unterliegen. Aber dieses Ergebnis bleibt in zwei Hinsichten hinter Kants Ziel zurück: Zum einen läßt sich daraus nichts Spezifisches über die Art der Regularitäten ausmachen. Sicherlich folgt (wie wir gesehen haben) nichts auch nur annähernd so Starkes wie Kants allgemeines Kausalprinzip. Zum anderen müssen wir nicht annehmen, daß alle Objekte solchen Bedingungen unterliegen. Haben wir nämlich erst einmal (auf der Basis von Regularitäten) in einem beschränkten Bereich gut bestätigte Hypothesen über die Art der kausalen Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von den Gegenständen gebildet, so können wir nun auch solche Objekte erkennen, die nicht den Bedingungen unterliegen, auf deren Basis wir diese Hypothesen gebildet haben. Aus Kants Analyse des Objektbegriffs folgt also weder unmittelbar noch auf dem indirekten Wege einer epistemologischen Überlegung, daß die objektive Einheit unserer Vorstellungen in dem Sinne eine notwendige Einheit ist, wonach die Objekte selber unter notwendigen Gesetzen stehen. Nicht die Objekte selber müssen als unter notwendigen Gesetzen stehend gedacht werden, sondern ihre Vorstellungen müssen als von den Objekten kausal abhängig gedacht werden. Daß ich etwas Rotes wahrnehme, wenn ich den Zinnober betrachte, ist eine (kausale) Folge des kontingenten Sachverhalts, daß der Zinnober rot ist Das Auftreten dieser Rotwahrnehmung ist nicht deshalb beliebig, weil es kontingent ist, daß der Zinnober rot ist Notwendig ist also nicht das Urteil über den Gegenstand ('Der Zinnober ist rot1), sondern nur das Urteil über das Verhältnis der Wahrnehmung zu seinem Gegenstand ("Wenn ich den roten Zinnober wahrnehme, so habe ich eine Rotwahmehmung1). Aus all dem folgt also nicht, daß die Begriffe von Gegenständen Begriffe von notwendigen Verbindungen sind. Aber eben das ist es, was Kant folgern will und auch folgern muß, wenn er die Geltung der Kategorien begründen will. Damit ist aber auch Kants Versuch gescheitert, die Geltung notwendiger Synthesisregeln zu begründen.

1.1.3.3. Der transzendentalphilosophische Objektbegriff Wir haben gesehen, daß aus der Analyse des Gegenstandsbegriffs nicht das folgt, was Kant folgern will. Wenn Kant zeigen will, daß alle unsere (objektivierbaren) Vorstellungen unter Kategorien stehen, so muß er zeigen, daß die

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Objekte selber unter Gesetzen stehen, und nicht nur, daß unsere Wahrnehmungen von den Objekten kausal abhängig sind. Nun haben wir aber bereits im dritten Kapitel darauf hingewiesen, daß die Textlage etwas komplizierter ist, als wir sie oben dargestellt haben. Achtet man nämlich genauer auf Kants Ausführungen, so stellt man fest, daß es keineswegs klar ist, daß Kant sich die Analyse des Gegenstandsbegriffs, die er A 104 vorträgt (und von der wir oben ausgegangen sind), auch wirklich zu eigen macht. Zwei Indizien sprechen vielmehr dafür, daß diese Analyse als vorläufig zu betrachten ist: (a) Kant führt die Analyse des Gegenstandsbegriffs mit den Worten ein, daß es notwendig sei, "sich darüber verständlich zu machen, was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine" (A 104). Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, daß es Kant hier um die Explikation unseres 'gewöhnlichen' Gegenstandsbegriffs geht, der nur den Ausgangspunkt für eine 'philosophische' Untersuchung bildet, (b) Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, daß Kant einige Seiten später auf die Frage nach der Bedeutung des Gegenstandsbegriffs zurückkommt und nun behauptet, daß wir "[n]unmehro [...] unsere Begriffe von einem G e g e n s t a n d e überhaupt richtiger bestimmen können" (A 108). Daß sich aus Kants 'vorläufiger' Analyse des Gegenstandsbegriffs nicht das folgern läßt, was Kant folgern will, muß also nicht bedeuten, daß es sich nicht aus dem 'richtiger' bestimmten Begriff des Gegenstandes folgern läßt Wir wollen nun betrachten, wie Kant von der vorläufigen Explikation des Gegenstandsbegriffes zu seiner 'richtigeren' Bestimmung kommt Nachdem er festgestellt hat, daß Vorstellungen, die sich auf einen Gegenstand beziehen, auch untereinander eine notwendige Einheit bilden, wirft er die Frage auf, worin die Erkenntnis des Vorliegens solcher objektiver Einheiten besteht (A 105). Wie können wir erkennen, ob Vorstellungen, die gemeinsam auftreten, auch objektiv zueinander gehören? Da wir dies nicht durch direkten Vergleich mit dem Gegenstand feststellen können, können wir die objektive Zusammengehörigkeit der Vorstellungen nur an ihrem notwendigen Zusammenhang erkennen. Ob aber ein solcher Zusammenhang vorliegt, ist an den gegebenen Wahrnehmungen selber nicht ablesbar. Da also die objektive Zusammengehörigkeit der Vorstellungen weder durch Vergleich der Vorstellungen mit ihrem Gegenstand noch aus diesen Vorstellungen selber unmittelbar zu entnehmen ist, müssen wir diesen notwendigen Zusammenhang (wenn wir ihn denn überhaupt erkennen können sollen) aus einer Bedingung ableiten, von der wir a priori Kenntnis haben können. Diese Bedingung muß zwei Eigenschaften haben: 1. Ihr Erfülltsein muß a priori erkennbar sein, und es muß sich 2. aus ihr ableiten lassen, daß unsere Vorstellungen einen notwendigen Zusammenhang bilden.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

Damit ist das Stichwort für die Einführung der transzendentalen Einheit der Apperzeption gefallen: "Diese ursprüngliche und transzendentale Bedingung ist nun keine andere, als die t r a n s z e n d e n t a l e A p p e r z e p t i o n "(A 106).

Denn diese Einheit des Bewußtseins geht "vor allen Datis der Anschauungen vorher[...]" (A 107) und macht zudem "aus allen möglichen Erscheinungen [...] einen Zusammenhang [...] nach Gesetzen" (A 108). Damit erfüllt sie die beiden geforderten Bedingungen und so glaubt Kant, "[njunmehro [...] auch unsere Begriffe von einem Gegenstande überhaupt richtiger bestimmen [zu] können" (A 108): Die Beziehung der Vorstellungen auf ihren Gegenstand ist "nichts anderes, als die notwendige Einheit des Bewußtseins" (A 109) und "das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst [ist] zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d.i. nach Regeln, die [...] ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen" (A 108). Die notwendige Einheit objektbezogener Vorstellungen ist also, bei (transzendentalem) Lichte besehen, nichts anderes als die notwendige Einheit, die alle unsere Vorstellungen haben müssen, wenn sie zu einem Selbstbewußtsein gehören sollen. Ich will mich auf die beiden Hauptschritte dieser Überlegung konzentrieren. Der erste wichtige Schritt besteht in der These, daß wir die notwendige Einheit gegenstandsbezogener Vorstellungen nur erkennen können, wenn wir sie auf eine a priori erkennbare Bedingung zurückführen können. Der zweite wichtige Schritt besteht in Kants Behauptung, daß die Einheit der Apperzeption aus allen Erscheinungen einen gesetzmäßigen Zusammenhang macht Zunächst zur ersten Behauptung: "Aller Notwendigkeit liegt jederzeit eine transzendentale Bedingung zum Grunde. Also muß ein transzendentaler Grund der Einheit des Bewußtseins, in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen, mithin auch, der Begriffe der Objekte überhaupt, folglich auch aller Gegenstände der Erfahrung, angetroffen werden, ohne welchen es unmöglich wäre, zu unseren Anschauungen irgendeinen Gegenstand zu denken: denn dieser ist nichts mehr, als das Etwas, davon der Begriff eine solche Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt" (A 106).

Nun hatte Kant bereits festgestellt, daß, "da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu tun haben, und jenes X, was ihnen korrespondiert (der Gegenstand), weil er etwas von allen unsem Vorstellungen Unterschiedenes sein soll, für uns nichts ist, die Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht, nichts anderes sein könne, als die formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen" (A 105).

Dies ist ein Fehlschluß. Denn die Behauptung, daß der Gegenstand für uns nichts ist, besagt nicht mehr, als daß wir ihn nicht direkt wahrnehmen können.

Kants Argumentation in der A-Deduktion

235

Das bedeutet nicht, daß es ihn nicht gibt, und auch nicht, daß er nicht (kausal) für das Auftreten unserer Vorstellungen verantwortlich ist. Ob das der Fall ist, können wir nur nicht direkt erkennen. Aber dies schließt nicht aus, daß wir uns unsere Vorstellungen als Wirkungen eines solchen (nicht direkt wahrnehmbaren) Gegenstandes denken können. Und es schließt auch nicht aus, daß wir nach dem explanatorischen Verfahren die Existenz solcher Gegenstände zur Erklärung von Regularitäten unserer Wahrnehmungen postulieren können. Es ist also keineswegs selbstverständlich, daß wir die "Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht" (A 105), auf eine a priori erkennbare 'transzendentale' Bedingung zurückführen müssen. Wir können daher festhalten, daß Kant in der Α-Deduktion kein zwingendes Argument für die Identifikation von objektiver Einheit und Selbstbewußtseinseinheit präsentiert. Das bedeutet allerdings nicht, daß damit Kants Argument völlig unbrauchbar ist. Wenn ihm der Nachweis gelingt, daß die Einheit des Selbstbewußtseins die beiden oben erwähnten Bedingungen erfüllt, dann ist es nicht unplausibel, die objektive Einheit unserer Vorstellungen auf die Einheit der Apperzeption zurückzuführen. Denn wenn wir a priori erkennen können, daß unsere Vorstellungen einen gesetzmäßigen Zusammenhang bilden müssen, wenn in bezug auf sie ein einheitliches Selbstbewußtsein möglich sein soll, dann kann man annehmen, daß die Einheit, die wir gewöhnlich für eine durch unabhängig von uns existierende Objekte hervorgebrachte Einheit halten, in Wirklichkeit eine Folge der notwendigen Einheit der Apperzeption ist Es ist daher an der Zeit, Kants These über den Zusammenhang zwischen Selbstbewußtsein und der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen näher zu untersuchen. Dazu wenden wir uns nun Kants absteigenden Deduktionen zu.

1.2. Selbstbewußtsein und Gesetzmäßigkeit Wie bereits erwähnt, haben wir es auch hier mit einer ganzen Reihe verschiedener Beweisversionen zu tun. Ich will mich im folgenden auf die Diskussion von drei Passagen aus der Α-Deduktion beschränken und auch nur die Frage aufwerfen, ob sich aus Kants Behauptungen über die Einheit der Apperzeption Folgerungen über die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen ziehen lassen. Die Frage nach der Haltbarkeit der Prämissen verschiebe ich auf die Diskussion der B-Deduktion. Es soll gezeigt werden, daß sich die weitreichenden Folgerungen, die Kant zieht, selbst dann nicht rechtfertigen lassen, wenn wir die Prämissen über die Einheit der Apperzeption akzeptieren.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

Beginnen wir mit der Deduktion von oben' (A 116ff): (1) "Alle Anschauungen sind für uns nichts, und gehen uns nicht im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können [...]. (2) Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können, bewußt, als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen, (3) (weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allen anderen zu einem Bewußtsein gehören, (4) mithin darin wenigstens müssen verknüpft werden können). (5) Dies Prinzip steht a priori fest, und kann das transzendentale Prinzip der Einheit alles Mannigfaltigen unserer Vorstellungen [...] heißen. (6) Nun ist die Einheit des Mannigfaltigen in einem Subjekt synthetisch: (7) also gibt die reine Apperzeption ein Prinzipium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller möglichen Anschauung an die Hand. (8) Diese synthetische Einheit setzt aber eine Synthesis voraus, oder schließt sie ein, (9) und soll jene a priori notwendig sein, so muß letztere auch eine Synthesis a priori sein." (A 116ff.) Wir wollten Kant (1) und (2) zugestehen. Bevor wir uns der Frage zuwenden, was sich aus (1) und (2) folgern läßt, müssen wir aber zunächst ein etwas klareres Bild davon haben, was mit (2) behauptet werden soll. (2) besteht strenggenommen aus zwei Behauptungen: (2a) Ich weiß a priori, daß ich derselbe in allen möglichen meiner Vorstellungen bin.8 (2b) Die Identität meiner selbst in allen meinen9 Vorstellungen ist eine notwendige Bedingung der Möglichkeit dieser Vorstellungen. Ich gehe davon aus, daß (2a) einigermaßen klar ist 1 0 Das läßt sich von (2b) nicht sagen. Prima facie scheint Kant mit (2b) lediglich zu meinen, daß eine °

Ich formuliere diese These in der 1. Person Singular. Kant wechselt im Satz vom Plural zum Singular. Ich gehe davon aus, daß davon nichts Wesentliches abhängt. In Kants Text steht stau "alle meine" nur "alle". Aber das ist offenkundig eine elliptische Formulierung. Ό Das bedeutet natürlich nicht, daß in bezug auf (2a) keine weiteren Nachfragen erforderlich sind. Natürlich wüßte man ganz geme etwas Näheres darüber, was da in allen meinen Vorstel-

9

Kants Argumentation in der A-Deduktion

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notwendige Bedingung dafür, daß zwei beliebige verschiedene Vorstellungen meine Vorstellungen sind, darin zu sehen ist, daß das Subjekt dieser Vorstellungen identisch ist. Das klingt ziemlich trivial.11 Aber die Begründung, die Kant dann in (3) und (4) gibt, läßt vermuten, daß er mehr als diese Trivialität im Auge hat. Allem Anschein nach meint Kant, daß die Identität des Subjekts in allen seinen Vorstellungen eine notwendige Bedingung dafür ist, daß ihm überhaupt Vorstellungen zugeschrieben werden können, wobei unterstellt wird, daß das Subjekt mehr als eine Vorstellung besitzt Denn wenn wir davon ausgehen, daß wir nur dann von einer Vorstellung reden können, wenn wir von dieser sagen können, daß dadurch etwas vorgestellt wird, so folgt aus (3), daß es keine Vorstellungen geben kann, die nicht mit anderen zu einem Bewußtsein gehören. Das ist eine recht kuriose Überlegung. Prima facie ist die These (3) auch ziemlich unplausibel,12 und Kant gibt nirgends eine Begründung dieser Behauptung. Es kommt hinzu, daß er die 'Zusammengehörigkeit' der Vorstellungen zu einem Bewußtsein, von der in (3) die Rede ist, in einem recht staiken Sinn auffaßt. Andernfalls könnte er sonst kaum auf (4) schließen. Die Lage wird dadurch noch komplizierter, daß Kant nicht genau sagt, worin das "transzendentale Prinzip der Einheit alles Mannigfaltigen unserer Vorstellungen" besteht, von dem in (5) die Rede ist, und das der Fortsetzung des Arguments zugrundegelegt wird. Es kommen nämlich sowohl (2) als auch

11

lungen identisch ist. Ebenso geme würde man näheres darüber erfahren wollen, worin dieses Wissen besteht und worauf es beruht Vor allem wußte man natürlich geme, ob es sich bei (2a) um einen analytischen Satz handelt Es ist allerdings nicht ganz trivial. Generell gilt: Wenn Ρ der Besitzer' von A und Β ist, so gilt 'Der Besitzer von A ist identisch mit dem Besitzer von B', wem jedes Objekt höchstens einen Besitzer hat. Man kann sich darüber streiten, ob die erwähnte Bedingung im Fall von mentalen Zuständen trivial erfüllt ist. Das hängt z.B. davon ab, ob man Telepathie für logisch möglich hält. Aber selbst wenn man die Möglichkeit einräumt, daß derselbe mentale Zustand verschiedenen Subjekten zugeschrieben werden kann, so gilt gleichwohl analytisch: Wenn Ρ der 'Besitzer' von A und Β ist, dann ist ein Besitzer von A identisch mit einem Besitzer von B. Faßt man also (2b) in diesem Sinne auf, so handelt es sich um eine analytische Folgerung aus (2a). Man kann sich natürlich dann immer noch darüber streiten, ob das Modell des Besitzverhältnisses ein angemessenes Modell für die Explikation der Beziehung zwischen dem Subjekt der Bewußtseinszustände und diesen Zuständen ist. Unplausibel ist die These jedenfalls dann, wenn man nicht bereits unterstellt, daß es sich bei dem 'etwas', das durch die Vorstellungen vorgestellt wird, um ein empirisches Objekt handelt. Aber selbst unter dieser - ganz unzulässigen - Verengung des Vorstellungsbegriffs ist (3) alles andere als selbstverständlich. In einer Reihe von Aufsätzen hat Patricia Kitcher eine recht originelle Verteidigung von Kants These gegeben (vgl. v.a. Kitcher (1984)). Sie geht dabei davon aus, daß sich mentale Zustände nur funktional beschreiben lassen. Da in angemessenen funktionalen Beschreibungen aber immer auf andere mentale Zustände Bezug genommen werden muß, läßt sich ein mentaler Zustand isoliert überhaupt nicht beschreiben. Das ist zwar eine originelle Lesart. Ich kann aber nicht erkennen, daß es in Kants Text einen Hinweis darauf gibt, daß er eine funktionalistische Theorie mentaler Zustände antizipiert hätte.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

(4) als Formulierungen dieses Prinzips in Frage.13 Wir können daher die beiden folgenden Lesarten des transzendentalen Prinzips der Einheit alles Mannigfaltigen unterscheiden: (5a) In allen meinen Vorstellungen bin ich das identische Subjekt dieser Vorstellungen. (5b) Ich muß alle meine Vorstellungen in einem Bewußtsein verknüpfen können. Gegen die Identifikation des Prinzips mit (5b) spricht der Duktus des Textes. Denn in dem Satz, in dem Kant das Prinzip zum ersten Mal erwähnt, bezieht er sich offenkundig auf den vorausgehenden Satz. Dort aber findet sich eine (5b) entsprechende Formulierung lediglich in einem durch Einklammerung entwerteten Nebensatz. Für (5b) spricht aber - wie wir gleich sehen werden - 1. die Fortsetzung des Arguments, 2. der Name, den Kant diesem Prinzip gibt, und vor allem 3. die Erläuterung, die er in der Fußnote zum anschließenden Satz gibt. Was ergibt sich, wenn wir Kant auch noch die These (5b) zugestehen? Dann können wir auch (7) akzeptieren, wenn damit nicht mehr gesagt sein soll als: (7a) Aus der Einheit der Apperzeption können wir herleiten, daß wir jede beliebige unserer Vorstellungen mit anderen verbinden können (in diesem Sinne ist die Einheit der Apperzeption ein 'Prinzipium' der synthetischen Einheit). Mit dieser Lesart wird (8) trivial.14 Das eigentliche Problem ist die Begründung von (9). Hier scheint Kant folgendermaßen zu schließen: (a) Die synthetische Einheit ist a priori. (b) Die synthetische Einheit beruht auf einer Synthesis.

14

In der zweiten Auflage hat Kant zwischen der analytischen und der synthetischen Einheit unterschieden. Erstere entspricht ungefähr (2), während letztere ungefähr (4) entspricht Vgl. dazu unten die Bemerkungen zu § 16 der B-Deduktion. Man kann (7) auch in einem stärkeren Sinn auffassen. Danach soll nicht nur behauptet werden, daß sich alle unsere Vorstellungen miteinander verbinden lassen, sondern daß diese Möglichkeit ihrer Verbindung selber bereits darauf zunickzufuhren ist, daß die Vorstellungen durch eine aller Erfahrung vorausliegende Veibuidungshandlung so zusammengefügt worden sind, daß sie nun audi im empirischen Bewußtsein verbindbar sind. Ich will hier nicht all die Argumente wiedelholen, die gegen diese extreme Version von Kants Theorie der transzendentalen Synthesis vorgebracht worden sind (vgl. dazu etwas Bennett (1966) § 30). Es soll auch nicht bestritten werden, daß Kant sich an einigen Stellen in diesem Sinne zu äußern scheint. Es sollte aber klar sein, daß diese extreme Version von (7) durch nichts, was Kant in der zitierten Passage sagt, der Sache nach gedeckt ist.

Kants Argumentation in der A-Deduktion

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(c) Also muß diese Synthesis eine Synthesis a priori sein. Auf der Grundlage von (2) müssen wir annehmen, daß (a) eine verkürzte Formulierung von (ai) Ich weiß a priori, daß alle meine Vorstellungen miteinander (zu einer Einheit) verbindbar sind; ist Daraus folgt ohne weiteres: (Cj) Ich weiß a priori, daß eine Synthesis aller meiner Vorstellungen möglich ist. Wenn wir annehmen, daß (c) nicht mehr besagen soll als (Ci), gibt es kein Problem. Aber es ist offenkundig, daß Kant (c) im Sinne von (C2) Die Synthesis muß eine Synthesis nach Regeln a priori sein; verstanden wissen will. Das ergibt sich eindeutig aus den Folgerungen, die Kant unmittelbar daraus zieht. 15 Und dies muß er natürlich auch behaupten, wenn er die Geltung der Kategorien begründen will. 16 Aber es ist ebenso klar, daß (c2) nicht aus (a) und (b) folgt. Damit klafft aber an einer entscheidenden Stelle des Arguments eine Lücke. Wir müssen nun sehen, ob sich diese Lücke unter Rückgriff auf die anderen Versionen der absteigenden Deduktion schließen läßt. Dazu wenden wir uns jetzt dem Argument zu, das Kant A 108 gibt. Hier soll gezeigt werden, daß die transzendentale Einheit der Apperzeption eine notwendige Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen zur Folge hat. Kant greift dazu auf die oben bereits diskutierten Überlegungen zum Zusammenhang von Einheitsbewußtsein und Handlungsbewußtsein zurück: "[A] Eben diese transzendentale Einheit der Apperzeption macht aber aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen. [B] Denn diese Einheit des Bewußtseins wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet. [C] Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d.i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch 15

"Also bezieht sich die transzendentale Einheit der Apperzeption auf die reine Synthesis der Einbildungskraft [...]. Es kann aber nur die p r o d u k t i v e S y n t h e s i s d e r E i n b i l d u n g s k r a f t a priori stattfinden. [...] D i e E i n h e i t d e r A p p e r z e p t i o n i n B e z i e h u n g a u f d i e [...] t r a n s z e n d e n t a l e S y n t h e s i s der Einbildungskraft [ist] der r e i n e V e r s t a n d . Also sind im Verstand« reine Erkenntnisse a priori [...]. Dieses sind aber die K a t e g o r i e n , d.i. reine Verstandesbegriffe" ( A l l 8f. vgl. auch A 112; A 123; A 124). Vgl. die vorangegangene Fußnote.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d.i. den Begriff von etwas, darin sie notwendig zusammenhängen: denn [D] das Gemüt konnte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es [E] nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft, und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht" (A 108).

Auch hier liegt ein dem oben kritisierten ganz analoger Fehlschluß vor. Kant will (wie sich aus [A] ergibt) zeigen, daß aus der Einheit der Apperzeption folgt, daß "alle möglichen Erscheinungen" in einen gesetzmäßigen (also notwendigen) Zusammenhang gebracht werden können. Die Einheit der Apperzeption ist (wie sich aus [C] ergibt) hier als das Bewußtsein der Identität unserer selbst in allen unseren Vorstellungen aufgefaßt, und Kant behauptet in [C], daß dieses Bewußtsein notwendig sei. Da nun nach [B] diese Einheit der Apperzeption unmöglich sein soll, wenn es nicht möglich ist, die Vorstellungen so zu verbinden, daß ich ein Bewußtsein der 'Identität' der Verbindungshandlung habe, folgert Kant, daß diese Verbindung selber notwendig ist: Denn sie ist eine notwendige Bedingung von etwas, das selber notwendig ist. Eine Synthesis, in der ich mir die Identität der Verbindungshandlung vorstelle, muß aber nach Kants Ausführungen zur Synthesis der Rekognition eine Synthesis nach Regeln sein. Und daraus folgert Kant dann, daß es sich um Regeln handeln muß, die die Erscheinungen "nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen" (A 108). Der Fehler des Arguments beruht auf einer Doppeldeutigkeit der Rede von einer notwendigen Einheit. Damit kann nämlich entweder gemeint sein, daß es notwendigerweise eine Einheit gibt, oder daß eine Einheit selber notwendig ist. Ich will den Unterschied an einem Beispiel illustrieren. Nehmen wir an, es sei aus irgendeinem Grunde notwendig, daß X heiratet. Nehmen wir weiter an, daß X, der Notwendigkeit gehorchend, Y geheiratet hat Dann kann man sagen, daß eine Verbindung, die notwendig war, zustandegekommen ist Aber das bedeutet natürlich nicht, daß es notwendig war, daß X nun gerade Y geheiratet hat. Ein anderes Beispiel: Nehmen wir an, wir haben einen Haufen von Mosaiksteinen und es sei aus irgendeinem Grund notwendig, sie zu einem Mosaik zusammenzusetzen. Das Resultat dieser Zusammensetzung kann man dann als eine 'synthetische Einheit' der Mannigfaltigkeit der einzelnen Steine bezeichnen. Wenn wir nun von dieser Einheit sagen, daß sie notwendig sei, so kann damit lediglich gemeint sein, daß es notwendig war, die Steine zu irgendeinem Mosaik zusammenzusetzen. Und dies ist auch alles, was aus der angenommenen Prämisse folgt. Es könnte aber damit auch gemeint sein, daß die Art der Zusammensetzung selber notwendig ist daß es z.B. notwendig ist, daß dieser rote

Kants Argamentation in der A-Deduktion

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Stein rechts neben diesem grünen Stein liegt Aber es ist klar, daß aus der erwähnten Voraussetzung nicht folgt, daß die Steine in diesem Sinne eine notwendige Einheit bilden. Ebensowenig folgt aus dem Umstand, daß ich alle meine Vorstellungen verbinden können muß, wenn die notwendige Einheit der Apperzeption möglich sein soll, daß auch die Art der Zusammensetzung selber notwendig ist; es folgt nur, daß ich die Vorstellungen notwendigerweise irgendwie zusammensetze. Aber dann folgt nicht, daß die so zusammengesetzten Vorstellungen einen gesetzmäßigen Zusammenhang bilden. Aber eben dies wollte Kant zeigen. Selbst wenn wir also zugestehen, daß es notwendigerweise möglich sein muß, uns der Identität unserer selbst in allen unseren Vorstellungen bewußt zu werden; und weiter zugestehen, daß dazu eine Verbindung dieser Vorstellungen nach Regeln notwendig ist, folgt bestenfalls,17 daß es notwendigerweise möglich ist, unsere Vorstellungen nach Regeln zu verbinden; nicht aber daß es möglich ist, die Vorstellungen nach notwendigen Regeln zu synthetisieren. Man könnte versuchen, Kants Argument durch folgende Überlegung zu verteidigen. Wenn alle unsere Vorstellungen nach Regeln verbindbar sein müssen, so bedeutet dies, daß sie in bestimmten "Formen' verbunden werden müssen. Die Vorstellungen müssen dann aber so beschaffen sein, daß sie sich nach solchen Formen verbinden lassen. Wenn wir nun a priori wissen können, welche Verbindungsformen in Frage kommen, können wir auch etwas über die Bedingungen ausmachen, denen unsere Vorstellungen unterliegen müssen, wenn sie überhaupt verbindbar sind. Wenn wir in unserem Mosaikbeispiel schon nicht sagen können, daß dieser rote Stein notwendigerweise rechts neben diesen grünen Stein gehört, so können wir doch sagen, daß er entweder rechts oder links oder über oder unter diesen Stein gehört. Es ist naheliegend, diese Überlegung mit Blick auf die metaphysische Deduktion zu konkretisieren: Die einzigen uns zur Verfügung stehenden Verbindungsformen sind die Urteilsfunktionen; folglich müssen die gegebenen Erscheinungen so beschaffen sein, daß sie sich nach Urteilsfunktionen verbinden lassen. Aber auch wenn wir Kant noch diese Behauptung aus der metaphysischen Deduktion zugestehen, wäre erst zu zeigen, daß sich daraus irgendwelche einschränkenden Bedingungen herleiten lassen, denen unsere Vorstellungen genügen müssen, wenn sie nach solchen Formen veibindbar sein sollen. Wieso soll es nicht möglich sein, beliebige Vorstellungen mit beliebigen anderen z.B. in 17 1 '

Ich sage 'bestenfalls', da generell aus N(p) und (p—kj) nur q und nicht auch N(q) folgt

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einem kategorischen Urteil zu verbinden? Kant scheint (dine weitere Begründung davon auszugehen, daß eine Verbindung nach Regeln nur dann Zustandekommen kann, wenn die zu verbindenden Elemente bestimmten einschränkenden Bedingungen unterliegen. Mit anderen Worten: Wir können nicht Beliebiges mit Beliebigem verbinden. So heißt es etwa in A 105: "Diese E i n h e i t d e r R e g e l bestimmt nun alles Mannigfaltige, und schränkt es auf Bedingungen ein, welche die Einheit der Apperzeption möglich machen";

oder in A l l l f : "Die Möglichkeit aber, ja sogar die Notwendigkeit dieser Kategorien beruht auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle möglichen Erscheinungen, auf die ursprüngliche Apperzeption haben, in welcher alles notwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewußtseins gemäß sein, d.i. unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen muß, nämlich der Synthesis nach Begriffen, als worin die Apperzeption allein ihre durchgängige und notwendige Identität a priori beweisen kann. So ist der Begriff einer Ursache nichts anderes, als eine Synthesis (dessen, was in der Zeitreihe folgt, mit anderen Erscheinungen,) n a c h B e g r i f f e n , und ohne dergleichen E i n h e i t , die ihre Regel a priori hat, und die Erscheinungen sich unterwirft, würde durchgängige und allgemeine, mithin notwendige Einheit des Bewußtseins, in dem Mannigfaltigen der Wahrnehmungen, nicht angetroffen werden" (A 11 lf.).

Damit sind wir bei der letzten der drei angekündigten Passagen angelangt. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie weitreichend die Folgerungen sind, die Kant aus der Einheit der Apperzeption zu ziehen gedenkt. Die Überlegung ist folgende: Aus der ursprünglichen Einheit der Apperzeption folgt, daß die Erscheinungen unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen müssen. Die diesen allgemeinen Funktionen entsprechenden Begriffe, "die ihre Regel a priori" haben, unterwerfen sich die Erscheinungen so, daß "allgemeine, mithin notwendige Einheit des Bewußtseins, in dem Mannigfaltigen der Wahrnehmungen angetroffen" wird. Aber nichts dergleichen folgt aus den oben diskutierten Argumenten. Aus der Verbindbarkeit der Erscheinungen nach Regeln folgt nicht, daß die Erscheinungen in der Wahrnehmung notwendig reproduzierbar sein müssen. Aus der Notwendigkeit, uns der Identität unserer selbst in allen unseren Vorstellungen bewußt werden zu können, folgt nicht, daß dies nur möglich ist, wenn die Erscheinungen gewissen einschränkenden Bedingungen unterliegen. Die Lage wäre günstiger, wenn Kant hätte zeigen können, daß wir unsere Vorstellungen nach bestimmten Begriffen oder Regeln verbinden müssen, um sie zur Einheit der Apperzeption zu bringen, und dann gezeigt hätte, daß dies nur möglich ist, wenn die Erscheinungen bestimmten einschränkenden Bedingungen unterliegen. Dazu wäre es wohl nötig gewesen, auf die einzelnen Kategorien näher einzugehen und 1. zu zeigen, daß zumindest einige von ihnen not-

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wendig sind, und 2. daß eine Verbindung nach solchen Kategorien nur möglich ist, wenn die Erscheinungen gewissen allgemeinen, einschränkenden Bedingungen genügen. Stattdessen hat Kant in der Α-Deduktion versucht, im allgemeinen zu zeigen, daß wir unsere Vorstellungen nach Begriffen von notwendigen Verbindungen synthetisieren können. Diese Begriffe sollten dann mit den Kategorien identifiziert werden. Dieser Versuch muß als gescheitert angesehen werden, da sich aus Kants Argumenten bestenfalls folgern läßt, daß wir unsere Vorstellungen notwendigerweise verbinden müssen, nicht aber, daß sie nach Begriffen von notwendigen Verbindungen synthetisieibar sein müssen. Dieses Ergebnis soll nun noch durch einen kritischen Blick auf Henrichs Versuch einer Rekonstruktion der Herleitung der Gesetzesthese aus der Einheit der Apperzeption bestätigt werden.

1.3. Henrichs Rekonstruktion Im zweiten Hauptteil seiner Untersuchung 'Identität und Objektivität' stellt sich Henrich die Aufgabe, "Kants Analyse des Selbstbewußtseins so zu entfalten, daß sich aus ihm die Folgerung gewinnen läßt, alles Denken von Objekten stehe notwendig und somit von Beginn an unter der Voraussetzung, daß allgemeine Regeln eine Verbindung aller Objekte untereinander garantieren" (Henrich (1976) S. 53). Henrich versucht dann zu zeigen, daß eine ganze Reihe von Argumenten, die sich in Kants Texten finden, ungeeignet sind, diesen Beweisanspruch einzulösen, um dann ausgehend von der Identität des Selbstbewußtseins eine "erfolgreiche Deduktion" zu rekonstruieren (Henrich (1976) S. 94). Henrich erhebt mit dieser Rekonstruktion nicht den Anspruch, ein Argument zu präsentieren, das sich in eben dieser Form bei Kant selbst findet. Diese Argumentation sei zwar in Kants Text "indiziert", aber nirgends von Kant selbst hinreichend deutlich ausgearbeitet worden. Ihre Rechtfertigung könne sie daher allein daraus ziehen, daß sie "[i]m Gesamtzusammenhang der Theoreme der Kritik [...] unabweisbar, und gegenüber der in Kants Ansicht von der Problemlage dominanten Argumentation [...] den Vorzug größerer Einsichtigkeit" besitzt (Henrich (1976) S. 54f.). Henrich entwickelt daher seinen Deduktionsvorschlag auch in gehörigem Abstand zu Kants Text Ich werde mich nach einer kurzen Darstellung der Argumentation auch ausschließlich auf die Frage der sachlichen Überzeugungskraft des Arguments beschränken. Ich beginne mit einem Überblick über die Hauptschritte des Arguments und bediene mich dabei Henrichs eigener Formulierungen. Es läßt sich in die folgende Schritte zerlegen:

244

Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

(1)

"Das Subjekt [hat] von sich Kenntnis in cartesianischer Gewißheit" (S. 86);

(2)

"in dieser Gewißheit [ist] die Kenntnis von seiner numerischen Identität eingeschlossen" (S. 86);

(3)

"alles, was der Gedanke von numerischer Identität notwendig impliziert, so daß es dessen Bedeutung ausmacht, [ist] in der Kenntnis a priori, die das Subjekt von sich hat, mit bekannt" (S. 86).

(4)

"Nun impliziert die Identität eine Sequenz von Zuständen desselben Subjekts. Nur im Übergang von Zustand zu Zustand kann das Subjekt überhaupt dasselbe sein; nur in Beziehung auf ihn kann es sich als dasselbe erfassen" (S. 86).

Also: (5)

"folgt, daß das Subjekt, aller Erfahrung voraus, eine Kenntnis davon haben muß, was es für es heißt, von Vorstellungszustand zu Vorstellungszustand überzugehen" (S. 86).

(6)

"Nun ist es aber unmöglich, ein Übergehen überhaupt zu denken, ohne zugleich eine Art und Weise zu denken, in der dieses Übergehen erfolgt" (S. 87).

(7)

"Darum muß der Gedanke von der Identität des Subjektes, sofern er ein Gedanke von seiner Identität im Übergang von Zustand zu Zustand ist, zugleich auch der Gedanke von bestimmten W e i s e n des Übergangs sein" (S. 88).

(8)

Diese Weisen des Übergangs "müssen konstant sein, weil sie nur so geeignet sind, das jederzeit mögliche Wissen von der Identität des Subjekts unabhängig von aller Erfahrung und somit in unbedingter Allgemeinheit möglich zu machen" (S. 88).

(9)

"Eine Weise des Übergangs zu definieren heißt die Bedingungen angeben, nach denen ein Zustand durch einen anderen ersetzt wird" (S. 89).

(10)

"Es heißt weiterhin auch zu bestimmen, welche Zustände in Beziehung auf welche Zustände eintreten können" (S. 89).

(11)

"Wissen von den konstanten Bedingungen des Übergangs [kann] als ein Wissen von R e g e l n " interpretiert werden (S. 89).

(12)

"Die Regel für die Abfolge von Vorstellungszuständen ist [...] zugleich eine Regel für den möglichen Auftritt von Vorstellungsinhalten" (Henrich (1976) S. 90).

Kants Argumentation in der A-Deduktion

245

Damit haben wir ein Argument, in dem, ausgehend von einer Prämisse über die Identität des Selbstbewußtseins, gezeigt werden soll, daß unsere Vorstellungen hinsichtlich ihrer Inhalte gewissen allgemeinen (a priori erkennbaren) einschränkenden Bedingungen unterliegen,18 d.h. wir haben es mit einer Begründung einer Gesetzesthese aus der Selbstbewußtseinseinheit zu tun. Es ist nun zu überprüfen, ob dieses Argument wirklich eine "erfolgreiche Deduktion" darstellt, als die es uns von Henrich anempfohlen wird. Bevor man sich einer solchen Prüfung eines Argumentes zuwendet, würde man natürlich zunächst einmal gerne wissen, was mit ihm genau gezeigt werden soll. Aber Henrich gibt (anders als Kant) keine nähere Aufklärung darüber, worin diese Regeln, unter denen unsere Vorstellungen stehen müssen, wenn das Bewußtsein der Identität unserer selbst möglich sein soll, im einzelnen bestehen. Ja, er behauptet später sogar, daß sich "Auskunft darüber, welches die Regeln sind, die den Zusammenhang unserer Synthesis wirklich bestimmen [...], aus selbständigen Prämissen gewinnen" lassen müsse (Henrich (1976) S. 105, vgl. S. 108ff.). Zwar versucht Henrich (S. 108ff), die Identifizierung der für die Identität des Selbstbewußtseins erforderlichen Regeln mit den Urteilsformen plausibel zu machen; er gesteht aber zu, daß die Spezifikation dieser Regeln als Urteilsformen "nicht geradezu bewiesen werden [kann]" (Henrich (1976) S. 109). Wir müssen uns also mit einem Argument für die These, daß es irgendwelche Regeln der Synthesis gibt, die unsere Vorstellungen ihrem Inhalt nach (im oben erläuterten Sinn) einschränkenden Bedingungen unterwerfen, zufriedengeben. Allerdings muß dieses Eingeständnis Henrichs, daß sich die Regeln nicht eindeutig spezifizieren lassen, zwar nicht der Sache nach, wohl aber im Blick auf sein Argument, überraschen. Denn Henrich legt ja besonderen Wert darauf, daß das Subjekt von seiner Identität und allem, was analytisch dazugehört, "cartesianische Kenntnis" haben soll. Denn es soll sich daraus ergeben, daß wir von den "Weisen des Übergangs" ebenfalls "cartesianische Gewißheit" haben. Henrich geht sogar so weit, den Rekurs auf die Gewißheit a priori zum Kriterium für eine erfolgreiche Rekonstruktion der Deduktion zu erklären (Henrich (1976) S. 83f.). Das geschieht nicht ohne Grund: Denn wenn wir nur sicher sein könnten, daß es Regeln geben muß, die die Identität des Subjekts im ' Β Das heißt natürlich nicht, daß wir ein Wissen a priori von den konkreten Inhalten unserer Vorstellungen haben. Wie Kant selbst ist natürlich auch Henrich nicht der Meinung, daß wir von den besonderen Naturgesetzen apriorische Kenntnis haben. Es wird lediglich behauptet, daß die a priori erkennbaren Regeln den Spielraum möglicher Kombinationen von Inhalten einschränken, d.h. solche Regeln legen fest, daß, wem Vorstellungsinhalte einer bestimmten Art auftreten, Vorstellungsinhalte anderer Ait ausgeschlossen sind. Aber sie sagen nichts Bestimmtes darüber aus, welche Vorstellungsinhalte wirklich auftreten.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

Übergang von einer Vorstellung zur anderen garantieren, ist nicht auszuschließen, daß es sich dabei um empirische Regeln handelt. Sind aber die Regeln "in der Kenntnis a priori, die das Subjekt hat, mit bekannt" (Henrich (1976) S. 86), so müssen es Regeln a priori sein. Aber wenn all dies zutrifft, dann stellt sich die Frage, warum sich die Regeln nicht "mit cartesianischer Gewißheit" angeben lassen. Diese simple Überlegung nährt bereits Zweifel an der Tauglichkeit von Henrichs Argument zugunsten der These, daß es Regeln a priori geben muß, denen alle unsere Vorstellungen unterworfen sein müssen, wenn das Bewußtsein der Identität des Subjekts möglich sein soll. Wir haben nun zu sehen, ob sich dieser Zweifel zur - wenn auch vielleicht nicht cartesianischen - Gewißheit der Untauglichkeit des Argumentes verdichten läßt. Die Kernpunkte sind die Thesen (6), (8), (9) und (10). Die These (6) besagte ja, daß das Bewußtsein, das das Subjekt von seiner numerischen Identität besitzt, nur möglich ist, wenn in dieses Bewußtsein der Gedanke von bestimmten Weisen des Übergangs eingeht, während die Thesen (8)-(10) nähere Bestimmungen dieser Weisen des Übergangs, von denen Kenntnis a priori möglich sein soll, geben. Aber bereits die These, daß wir bestimmte Übergangsweisen a priori erkennen müssen, ergibt sich keineswegs zwingend aus Henrichs Argument. Zunächst einmal ist nicht recht klar, worin die in (2) dem Subjekt zugeschriebene "Kenntnis von seiner numerischen Identität" bestehen soll. Wenn es sich lediglich um das Wissen handelt, daß ich derselbe in allen meinen Vorstellungszuständen bin, dann bestünde es nur in dem Wissen eines allgemeinen Satzes (der zudem bloß analytisch zu sein scheint). Es könnte sich aber auch um eine Kenntnis von mir als dem identischen Subjekt verschiedener gegebener Vorstellungszustände handeln.19 Nun ist zu beachten, daß die These (2), wenn man sie in dem ersten, schwächeren Sinne versteht, bestenfalls impliziert, daß wir a priori wissen können, daß wir auf irgendwelche Weisen von einem Bewußtseinszustand zum anderen übergehen. Um diesen Gedanken zu denken, ist es aber nicht erforderlich, die Übergangsweisen zu kennen, d.h. zu wissen, um welche Übergangsweisen es sich dabei handelt. Ich muß lediglich denken, daß es irgendwelche Übergangsweisen gibt, aber ich muß sie nicht (und allemal nicht a priori) kennen. Aus dieser schwächeren Lesart von Prämisse (2) folgt also nicht (6). Ich kann wissen, daß der Morgenstern der Abendstern ist, ohne Kenntnis von ihm zu haben (ohne ihn je gesehen zu haben) und ich kann wissen, daß der Morgenstern der Abendstern ist, ohne von ihm in unterschiedlichen Gegebenheitsweisen (als Morgenstern einerseits und als Abendstern andererseits) zu wissen, daß es sich dabei um dasselbe Objekt handelt

Kants Argumentation in der A-Deduktion

247

Wie steht es mit der stärkeren Lesart von (2)? Zunächst einmal ist es alles andere als klar, worin dieses Wissen in diesem Fall bestehen soll, und erst recht ist nicht wirklich klar, ob in bezug auf dieses Wissen Gewißheit beansprucht werden kann. Wenn ich z.B. von einer Person A, die ich gestern gesehen habe, Kenntnis als derselben habe, die ich heute sehe (d.h. wenn ich sie als dieselbe wiedererkenne), so muß sich dieses Wissen letztlich auf ein Wissen von der Identität dieser Person 'im Übergang' von dem gestrigen zum heutigen Zustand gründen. Und diese Kenntnis von dem Übergehen der Person von dem einen zum anderen Zustand ist letztlich nicht möglich, ohne daß jemand direkte Kenntnis von dem Übergang hat. Aber dieses Wissen kann gar nicht unabhängig von der Erkenntnis des wirklichen Übergehens Zustandekommen. Angewandt auf den Fall der Kenntnis, die das Subjekt von sich selbst hat, hieße das aber, daß die Kenntnis von sich als dem identischen Subjekt verschiedener seiner Zustände bereits den Vollzug und das Bewußtsein des aktuellen Übergangs voraussetzt Und dieses Wissen kann sicherlich nicht a priori dem konkreten Übergang vorausgehen. Eine andere gravierende Schwierigkeit für Henrichs Argument betrifft die Begründung der Thesen (9) und (10). Selbst wenn wir zugestehen, daß aus dem a priori gewissen Bewußtsein von der Identität des Subjekts folgt, daß es über ein Wissen a priori von den Weisen des Übergangs verfügen muß, so folgt daraus noch nicht, daß diese Übergangsweisen die möglichen Vorstellungsin/ia/te eines Subjekts einschränkenden Bedingungen unterwerfen. Wieso sollte es nicht möglich sein, von einem beliebigen Vorstellungsinhalt zu einem anderen beliebigen Vorstellungsinhalt überzugehen? Warum soll die Weise des Übergangs nicht einfach in der zeitlichen Aufeinanderfolge von Vorstellungszuständen bestehen? Diesem Einwand, daß die "Temporalität des Bewußtseins f...] hinreichende Basis für den Gedanken von seinem identischen Subjekt" (Henrich (1976) S. 89) sein könnte, hält Henrich zweierlei entgegen: zum einen, daß die Zeitfolge selber ein Bedingungsverhältnis sei;20 zum anderen müsse man "mit der Kantischen Position [..] rechnen, daß die Zeitfolge keine Implikation des Identitätssinnes des Subjekts ist" (Henrich (1976) S. 89). Keiner dieser beiden Hinweise scheint mir geeignet, das Argument zu retten. Denn selbst wenn man die These von der Zeitfolge als Bedingungsverhältnis zugesteht (was immer damit genau gemeint sein mag), so ist nicht zu sehen, wieso dies dazu führen soll, daß die "Regel für die Abfolge von Vorstellungs20

Diese Ansicht hatte ja - wie wir bei der Diskussion des synthetischen Argumentes im dritten Kapitel gesehen haben - auch Kant vertreten.

248

Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

zuständen [...] zugleich eine Regel für den möglichen Auftritt von Vorstellungsinhalten" sein soll (Henrich (1976) S. 90). Mit seinem zweiten Hinweis scheint mir Henrich dagegen indirekt unseren oben bereits im allgemeinen vorgetragenen Einwand zu bestätigen: Es ist eben möglich, ein Übergehen zu denken, ohne genaueres über die Art und Weise des Übergangs zu wissen. So wie Kant und Henrich in der Lage sind, eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen als Vorstellungen eines identischen Subjekts zu denken, ohne dabei auch schon zu denken, daß diese Vorstellungen in zeitlichen Beziehungen gegeben sind, ebenso kann man auch an Weisen des Übergangs denken, ohne die Regeln zu kennen, die für den Übergang verantwortlich sein mögen.21 Henrichs Argument ist daher ebensowenig wie Kants entsprechende Überlegungen geeignet, die besondere Schwierigkeit, die mit der transzendentalen Deduktion verbunden ist, zu lösen. Diese Schwierigkeit bestand für Kant darin, wie verständlich gemacht werden kann, daß Erscheinungen "den Bedingungen, deren der Verstand zur synthetischen Einheit22 des Denkens bedarf, gemäß sein müssen" (A 90/B 123). Daß Kant hier meint, daß die Vorstellungen ihrem Inhalt nach unter einschränkenden Bedingungen stehen müssen, ergibt sich ganz klar aus der Erläuterung, die er wenige Zeilen zuvor am Beispiel der Kausalitätskategorie gibt: "Ich nehme z.B. den Begriff der Ursache, welcher eine besondere Art der Synthesis bedeutet, da auf etwas A was ganz verschiedenes Β nach einer Regel gesetzt wird. Es ist a priori nicht klar, warum Erscheinungen etwas der gleichen enthalten sollten [...] und es ist daher a priori zweifelhaft, ob ein solcher Begriff nicht etwa gar leer sei und überall unter den Erscheinungen keinen Gegenstand antreffe" (A 90/B 122).

Nun beansprucht Henrich zwar nicht, die Geltung genau der Regeln beweisen zu können, die Kant ableiten wollte. Aber es dürfte doch klar sein, daß der Beweis der Geltung von Regeln des Übergangs, die gar keine einschränkenden Bedingungen für die Vorstellungsinhalte enthalten, kaum als Rekonstruktion von Kants Beweisprogramm gelten kann. Jedenfalls würde eine Deduktion, die lediglich dieses schwache Ergebnis hätte, im Rahmen der uns interessierenden Frage nach der Möglichkeit einer Begründung allgemeiner Naturgesetze jedes Interesse verlieren.

21

22

Zu einer ähnlichen Einschätzung von Henrichs Argument, wenn auch aufgrund einer leicht abweichenden Begründung, gelangt Hinsch (1986) S. 36ff.. Im Text steht "Einsicht". Ich übernehme die Korrektur von v. Leclair.

Der erste Teil der B-Deduktion

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2. Der erste Teil der Β-Deduktion Es hat sich gezeigt, daß auch die Strategie der Deduktivsten gescheitert ist. Kants eigene Argumente, die dieser Strategie zu folgen scheinen, wiesen an entscheidender Stelle eine gravierende Lücke auf; und der Rekonstruktionsversuch von Henrich führt - wenn man von den Schwierigkeiten im Detail einmal absieht - zu viel zu unspezifischen Ergebnissen. Es bleibt noch zu zeigen, daß dasselbe Ergebnis auch für Kants B-Deduktion gilt, wenn man sie gemäß der deduküvistischen Lesart interpretiert. Aus den im ersten Kapitel bereits genannten Gründen ist dazu zunächst der erste Teil der B-Deduktion (§§ 15-20) zu untersuchen.

2.1. Die Suche nach dem Grund der Einheit (§ 15) § 15 bildet eigentlich nur die Überleitung zum eigentlichen Beweisgang, der mit § 16 beginnt. In diesem einleitenden Paragraphen präsentiert uns Kant erneut seine These, daß das Mannigfaltige als solches noch keine Verbindung enthält: "die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt, kann niemals durch Sinne in uns kommen", sie beruht vielmehr auf einer "Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen Benennung S y n t h e s i s belegen" (B 130). Im Gegensatz zu den entsprechenden Passagen aus der A-Deduktion macht Kant hier allerdings gleich klar, daß er dabei an die objektive Verbindung denkt. Denn er will mit diesen Äußerungen "bemerklich [...] machen, daß wir uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen die V e r b i n d u n g die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann" (B 130). Natürlich ist auch diese Bemerkung solange noch nicht eindeutig genug, als wir nicht wissen, was genau unter einer Verbindung 'im Objekt' zu verstehen ist. Immerhin ist aber der weite Spielraum, der der Interpretation der entsprechenden Äußerungen in A offenstand, deutlich eingeschränkt. Diese Behauptung Kants ist dann akzeptabel, wenn wir sie so verstehen, daß damit eine objektive epistemische Unterbestimmtheit der gegebenen Vorstellungen zum Ausdruck gebracht werden soll. Denn wenn wir auf der Basis unserer Vorstellungen eine objektive Wirklichkeit erkennen wollen, müssen wir die einzelnen gegebenen Vorstellungen unter Rückgriff auf andere Vorstellungen interpretieren. Dies ist aber nur möglich, wenn wir sie nach bestimmten 'Interpretationsregeln' aufeinander beziehen. So haben wir im dritten Kapitel

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

am Beispiel der Gestaltprädikate gesehen, daß eine einzelne Wahrnehmung nicht ausreicht, um einem empirischen Objekt im Raum objektive Eigenschaften zuzusprechen. Im zweiten und letzten Absatz analysiert Kant den Begriff der Verbindung genauer: "Aber der Begriff der Verbindung führt außer dem Begriffe des Mannigfaltigen, und der Synthesis desselben, noch den der Einheit desselben bei sich. Verbindung ist Vorstellung der s y n t h e t i s c h e n Einheit des Mannigfaltigen" (B 130f.).

Unmittelbar darauf folgt eine überraschende Behauptung, mit der Kant den Übergang zur Selbstbewußtseinsanalyse des § 16 rechtfertigen will: "Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich" (B 131).

Diese Bemerkung ist aus zwei Gründen merkwürdig: Die Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen, von der nun behauptet wird, daß sie nicht aus der Verbindung entstehen könne, war im vorigen Satz gerade mit der Verbindung identifiziert worden; aber es ist doch kaum anzunehmen, daß Kant uns hier lediglich mitteilen will, daß die Verbindung nicht aus sich selbst entsteht. Andererseits kann Kant aber kaum bestreiten wollen, daß die Einheit aus der Verbindung entsteht. Denn was soll man sich unter einer synthetischen Einheit vorstellen, wenn es sich dabei nicht um eine Einheit handeln soll, die durch Synthesis entsteht? Ich habe in der Kommentarliteratur keine befriedigende Auflösung dieser Schwierigkeit finden können. Eine glatte, aber etwas radikale Lösung wäre dann möglich, wenn wir annehmen könnten, daß es sich hier um ein Versehen handelt: Denn wenn wir statt "Verbindung" "Mannigfaltiges" einsetzen, ergibt sich nicht nur ein ganz klarer Sinn; auch die dialektische Struktur des Satzes würde damit verständlich: Die Verbindung entsteht nicht aus dem Mannigfaltigen, sondern kommt erst dadurch zustande, daß zu dem Mannigfaltigen die Vorstellung der Einheit 'hinzukommt'. Wenn man diese Lesart unterstellt (und ich weiß nicht, wie man den Text sonst verstehen soll), so ergibt sich auch aus den folgenden Ausführungen ein klarer Sinn. Wenn nämlich die Vorstellung der Einheit nicht gegeben ist, so muß ihr Ursprung' in einem anderen Erkenntnisvermögen gesucht werden. Die Frage ist dann: Woher kommen wir zu den Einheitsbegriffen, wenn wir sie nicht dem Gegebenen entnehmen können. Nun sind zwar die Kategorien 'Begriffe der Verbindung'. Da in ihnen aber bereits "Einheit gegebener Begriffe gedacht" wird, "müssen wir diese Einheit [...] noch höher suchen", und da sich "alle Kategorien [...] auf logische Funktionen in Urteilen" gründen, müssen wir

Der erste Teil der B-Deduktion

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diese Einheit "in demjenigen [suchen], was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält" (B 131). Es ist daher zu vermuten, daß es Kant zunächst darum geht, den "Grund [...] der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche" (B 131) aufzusuchen, um daraus die Möglichkeit von Begriffen der synthetischen Einheit zu erklären. Wenn diese Vermutung zutrifft, dann ist zu erwarten, daß sich Kant zunächst mit der Frage befaßt, wie überhaupt reine Begriffe von Gegenständen möglich sind. Es ist also zu zeigen, daß die Kategorien nicht bloße Verbindungsformen, sondern Begriffe von Gegenständen sind. Daß es Kant im folgenden primär um diese Frage geht, wird weiter bestätigt, wenn man die Überschriften der folgenden Paragraphen betrachtet: In § 16 handelt Kant "Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption" und von dem "Grundsatz" dieser synthetischen Einheit der Apperzeption wird in § 17 behauptet, daß er "das oberste Prinzip alles Verstandesgebrauchs" sei. In § 18 legt sich Kant dann die Frage vor "Was objektive Einheit des Selbstbewußtseins sei". Diese wird dann im folgenden § 19 mit der "logischefn] Form aller Urteile" identifiziert. Auf dieser Basis können schließlich die Kategorien - aufgrund ihres Zusammenhangs mit den Urteilsfunktionen - als Begriffe, die solche objektive Einheiten ausdrücken, also als Begriffe von Gegenständen, eingeführt werden. Wenn sich diese Vermutungen über den folgenden Argumentationsverlauf bestätigen sollten, dann sind Zweifel an der Standardinterpretation der B-Deduktion angebracht Denn dann geht es im ersten Teil der B-Deduktion (noch) gar nicht um die Frage, ob den Kategorien wirkliche Gegenstände entsprechen, sondern zunächst allein darum, ob sie überhaupt Begriffe von Gegenständen sind. Wir wollen nun die Argumentation in den §§ 16-20 im einzelnen betrachten.

2.2. Das Argument in den §§ 16 - 20 Kant eröffnet den eigentlichen Beweisgang mit der Behauptung, daß das " I c h d e n k e [...] alle meine Vorstellungen [muß] begleiten k ö n n e n " (B 131); und wenig später heißt es, daß diese "Vorstellung I c h d e n k e [...] in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist" (B 132). Die Einheit, die alle meine Vorstellungen dadurch haben, daß sie allesamt diese "notwendige Beziehung auf das: Ich denke" haben, nennt Kant die analytische Einheit der Apperzeption. Der erste wichtige Beweisschritt besteht in dem Nachweis, daß "die

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

a n a l y t i s c h e Einheit der Apperzeption [...] nur unter der Voraussetzung irgendeiner s y n t h e t i s c h e n möglich" ist (B 133). Diese synthetische Einheit besteht darin, "daß ich eine [Vorstellung] zu der anderen h i η ζ u s e t ζ e und mir der Synthesis derselben bewußt bin" (B 133). Im nächsten wichtigen Schritt (§§ 17/18) identifiziert Kant die synthetische Einheit als objektive Einheit: "Die t r a n s z e n d e n t a l e E i n h e i t der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einem Begriff vom Objekt vereinigt wird. Sie heißt darum o b j e k t i v " (B 139). Daran schließt sich im dritten Hauptschritt (§ 19) die "Erklärung" des Urteils an, wonach dieses "nichts anderes sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141). Unter Ausnutzung des in der metaphysischen Deduktion erörterten Zusammenhangs zwischen Urteilsfunktionen und Kategorien, wonach letztere "nichts anderes [sind], als eben diese Funktionen zu urteilen, sofem das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist" (B 143), schließt Kant (§ 20): "Alle sinnlichen Anschauungen stehen unter den Kategorien, als Bedingungen, unter denen allein das Mannigfaltige derselben in ein Bewußtsein zusammenkommen kann" (B 143). Ich will die wichtigsten Schritte nun kurz erläutern und dabei zeigen, daß sich auf der Basis der Argumente, die Kant in den §§ 16-20 präsentiert, keine überzeugende starke Deduktion entwickeln läßt. 2.2.1. Die Einheit des Selbstbewußtseins "Das: I c h d e n k e , muß alle meine Vorstellungen begleiten k ö n n e n " (B 131). Dies ist die erste wichtige These im eigentlichen Beweisgang der BDeduktion. Aber was genau will Kant damit sagen? Was heißt es, daß das "Ich denke" eine Vorstellung "begleitet"? Kants These wird gewöhnlich in folgender Weise interpretiert: (1)

Von jeder Vorstellung, die ich habe, muß ich wissen können, daß ich sie habe.

Für diese Interpretation spricht z.B. Kants Bemerkung, daß "der Begriff, oder, wenn man lieber will, das Urteil: I c h d e n k e " nur dazu dient, "alles Denken, als zum Bewußtsein gehörig, aufzuführen" (A 341f./B 399f.). Und in einem 1789 verfaßten Brief an Herz merkt Kant an, daß ich von solchen Vorstellungen, die nicht "einmal zu derjenigen Einheit des Bewußtseyns gelangen, die zum Erkenntnis meiner selbst [...] erforderlich ist [,..] nicht einmal [würde] wissen können, daß ich sie habe" (AA XIS. 52).

Der erste Teil der B-Deduktion

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Ich habe bereits im zweiten Kapitel (1.1.) darauf hingewiesen, daß diese Lesart nicht unproblematisch ist Es ist nämlich fraglich, ob Kant wirklich von allen meinen Vorstellungen behaupten kann, daß sie vom 'Ich denke' begleitet werden können müssen. Aber wir müssen zunächst davon ausgehen, daß Kant in § 16 diese starke Behauptung aufstellt Was er allerdings zu ihrer Begründung anführt, scheint die These in dieser starken Form kaum zu rechtfertigen. Die Begründung besteht in nicht mehr als der Feststellung: "sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein" (B 131 f.). Selbst wenn wir Kant diese These schenken, folgt natürlich nicht, daß alle meine Vorstellungen von dem 'Ich denke' begleitbar sein müssen. Es folgt nur, daß diejenigen Vorstellungen, die 'etwas für mich sind', vom 'Ich denke' begleitet werden können. Aber auch dieses schwächere Ergebnis ist nicht unproblematisch. Mit Blick auf Kants Behauptung, daß Tiere kein Selbstbewußtsein haben, bemerkt Bennett: "there seem to be no good reasons for saying that a dog's visual field, say, is 'nothing to' the dog, or in general for saying that where there must be consciousness there is self-consciousness." Aber Bennett fährt fort: "Nevertheless, Kant's insistence upon self-consciousness is well grounded. He hopes to establish a priori truths of the form "Whatever our experience turns out to be like, it must always have such and such features'; his aim is to show of some kinds of experience which are not obviously impossible that they are unobviously impossible. His strategy, then, must be to start with the class of not obviously impossible kinds of experience, i.e. kinds which one can at least p r i m a f a c i e suppose oneself to have, and to thin it out He can ignore from the outset any kind of experience which we cannot envisage ourselves as having because nothing could count as knowing that one's experience was of that kind. Now, the only states of awareness which I can regard as 'possibly mine', in the sense that I could have them and know that I had them, are ones which include an awareness of myself, an ability to have the thought that T h i s i s h o w i t i s w i t h m e n o w . Therefore, although consciousness does not imply self-consciousness, the latter must accompany any conscious states which are to fall within the ambit of Kant's inquiry, for that inquiry excludes states which one could not know oneself to be in and which therefore cannot intelligibly be made a subject for speculation" (Bennett (1966) S. 105). Bennett meint also, daß Kants Behauptung zwar abgeschwächt werden muß, daß dies aber auch ohne Schaden möglich ist. Wir haben bereits im zweiten Kapitel (S. 65ff.) gesehen daß Kant selbst an dieser starken Version seiner These nicht immer festgehalten hat. Die stärkste Abschwächung der Behaup-

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SelbstbewuBtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

tung fanden wir in dem Brief an Herz vom 26. Mai 1789. Dort hatte Kant nur behauptet, daß dann, wenn die "data der Sinne" nicht zur Einheit des Bewußtseins gebracht werden können, "sie für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts seyn, wobey sie (wenn ich mich in Gedanken zum Thier mache) als Vorstellungen, die nach einem empirischen Gesetze der Association verbunden wären und so auch auf Gefühl und Begehrungsvermögen Einflus haben würden, in mir, meines Daseyns unbewust, [...] immer hin ihr Spiel regelmäßig treiben können, ohne daß ich dadurch im mindesten etwas, auch nicht einmal diesen meinen Zustand, erkennete" (AA XI S. 52).

Diese Stelle ist deshalb von Interesse, weil Kant seine Behauptung aus § 16 in Bennetts Sinn zurückzunehmen scheint: Vorstellungen, die nicht zur Einheit des Selbstbewußtseins gebracht werden können, wären deshalb noch nicht unmöglich, sondern würden nur "für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts sein". Anstelle von (1) hätten wir dann: (1*)

Ich muß von all denjenigen Vorstellungen, die für mich als erkennendes Wesen eine Rolle spielen können, wissen können, daß ich sie habe.

(1*) scheint trivial zu sein, da es äquivalent mit der Behauptung ist, daß alle Vorstellungen, von denen ich nicht wissen kann, daß ich sie habe, auch für mich als erkennendes Wesen irrelevant sind. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Es ist sicherlich richtig, daß wir uns um all diejenigen Vorstellungen, von denen wir prinzipiell nichts wissen können, auch nicht kümmern müssen (wie sollten wir auch), wenn es um die Frage geht, ob sich unsere Vorstellungen als Vorstellungen einer objektiven Wirklichkeit interpretieren lassen. Aber es ist nicht ebenso klar, ob deshalb von all unseren epistemisch relevanten Vorstellungen unmittelbares SelbstbewuBtsein möglich sei. Warum sollte es nicht z.B. möglich sein, daß ich mittelbar (ζ. B. aufgrund von Beobachtungen meines Verhaltens oder Messungen meiner Gehirnaktivität) vom Auftreten von Vorstellungen wissen kann, von denen ich (aus welchen Gründen auch immer) prinzipiell kein unmittelbares Bewußtsein haben kann? Wenn wir aber Kants metaphorische Rede vom 'Begleiten' der Ich-denke-Vorstellung im Sinne der Selbstzuschreibung dieser Vorstellung verstehen, dann ist dies sicherlich im Sinne unmittelbarer Selbstzuschreibung zu verstehen. Bennetts Argument weist gerade an dieser Stelle eine Lücke auf, denn er geht einfach davon aus, daß die Menge derjenigen Vorstellungen, von denen ich wissen kann, daß ich sie habe, mit der Menge der Vorstellungen, von denen ich ein unmittelbares SelbstbewuBtsein ("This is how it is with me now") haben kann, zusammenfällt Dies ist aber keineswegs selbstverständlich. So wirft

Der erste Teil der B-Deduktion

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P. Guyer Kant vor, daß seine These, daß alles Bewußtsein (mögliches) Selbstbewußtsein sei, sich daraus herleite, daß er vom Bewußtsein nur aus der Perspektive der ersten Person rede: "the error I am attributing to him can be made obvious by distinguishing between first- and third-person ascriptions of consciousness. It does seem indisputable that whichever of one's own states one can recognize as states of consciousness must also involve self-consciousness, for to recognize one's state as conscious [...] first requires recognizing it as one's own state. But from this it does not follow that one could not have a state of consciousness without being able to ascribe it to oneself [...]. There might be cases [...] in which other persons could truly ascribe consciousness to one without one being able to do so oneself' (Guyer (1980) S. 210).

In derselben Weise kann dann natürlich auch die betroffene Person selber wenngleich nur indirekt - von diesen Bewußtseinszuständen wissen. Guyer hat sicherlich recht, wenn er mentale Zustände zulassen will, von denen wir zwar mittelbar, aber nicht unmittelbar wissen können, daß wir sie haben. Andererseits glaube ich nicht, daß diese Möglichkeit ein ernsthaftes Problem für Kant entstehen läßL Denn Kant kann diese Möglichkeit einräumen, ohne seine These zurückzunehmen, daß die unmittelbare Selbstzuschreibung grundlegend ist. Die mittelbare Zuschreibung von mentalen Zuständen (z.B. aus der Perspektive der dritten Person) kann nämlich letztlich nur auf der Basis von Korrelationen zwischen unmittelbar bewußten Zuständen und ihren äußeren Manifestationen gerechtfertigt werden. Dieses Verfahren setzt aber bereits voraus, daß wir auf der Basis unserer unmittelbar gegebenen Vorstellungen zu einer Erkenntnis einer objektiven Wirklichkeit gekommen sind. Da die mittelbaren Zuschreibungen somit auf objektiven gesetzmäßigen Zusammenhängen beruhen, können sie auch nicht in Konflikt mit dem Bild der objektiven Wirklichkeit geraten, das wir zuvor auf der Basis der unmittelbar gegebenen Vorstellungen entwickelt haben. Kant ist daher berechtigt, die Menge der 'epistemisch relevanten' Vorstellungen mit der Menge der Vorstellungen zu identifizieren, von denen ein unmittelbares Selbstbewußtsein möglich ist. Wir können also Kants erste These in der folgenden abgeschwächten Form akzeptieren: (1**)

Die Menge der epistemisch relevanten Vorstellungen fällt mit der Menge derjenigen Vorstellungen zusammen, von denen wir unmittelbar wissen können, daß wir sie haben.

2.2.2. Selbstbewußtsein und Synthesis Ich übergehe die folgenden Behauptungen Kants über die Spontaneität des Selbstbewußtseins, da sie - soweit ich sehen kann - für das folgende Argument

256

Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

nicht wesentlich sind. Der nächste wichtige Schritt besteht darin, daß Kant nun zeigen will, daß aus seiner These über die Möglichkeit von Selbstbewußtsein folgt, daß die Vorstellungen synthetisierbar sein müssen. Der für die Begründung dieser These entscheidende Zwischenschritt besteht in dem Hinweis auf die 'Einheit' oder 'Identität' des Selbstbewußtseins: "die Vorstellung I c h d e n k e [ist] [...] in allem Bewußtsein ein und dasselbe [...]. Ich nenne auch die Einheit derselben die t r a n s z e n d e n t a l e Einheit des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen. Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt m e i n e Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d.i. als meine Vorstellungen [...] müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen k ö n n e n , weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden. Aus dieser ursprünglichen Verbindung läßt sich vieles folgern. Nämlich diese durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen, enthält eine Synthesis der Vorstellungen, und ist nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich" (B 132f.).

Hier wiederholt Kant seine These von der Möglichkeit des Selbstbewußtseins in der starken Form (1). Aber er scheint noch über (1) hinauszugehen, wenn er nun behauptet, daß alle meine Vorstellungen "in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können" müssen. Selbst aus der im Vergleich zu (1**) stärkeren These (1) folgt nicht, daß wir ein "allgemeines" Selbstbewußtsein von allen unseren Vorstellungen haben können müssen, wenn damit gemeint ist, daß sie in einem Selbstbewußtsein zusammenstehen. Warum sollte es nicht möglich sein, von jeder Vorstellung isoliert zu wissen, daß sie meine ist? Zunächst sieht es so aus, als wolle Kant für die weitergehende Behauptung in folgender Weise argumentieren: (a)

Von allen meinen Vorstellungen muß ich wissen können, daß ich sie habe.

(b)

Die Vorstellung 'ich' bezeichnet in all diesen (möglichen) Selbstzuschreibungen "ein und dasselbe".

(c)

"das empirische [Selbst-]Bewußtsein, [...] ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts" (B 133).

(d)

"Diese Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, daß ich jede [einzelne] Vorstellung mit Bewußtsein begleite, sondern daß ich eine zu der anderen h i n z u s e t z e und mir der Synthesis derselben bewußt bin" (B 133).

Also gilt:

Der erste Teil der B-Deduktion

(e)

257

"diese durchgängige Identität der Apperzeption [...] enthält eine Synthesis der Vorstellungen, und ist nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich" (B 133).

Die Lücke in diesem Argument wird sichtbar, wenn man sich fragt, was denn genau mit der "Beziehung auf die Identität des Subjekts" gemeint ist, von der in (c) und (d) die Rede ist. Nehmen wir dazu an, daß in bezug auf zwei Vorstellungen distributives Selbstbewußtsein23 vorliegt. Dieses äußert sich in den Sätzen: (i) Ich weiß, daß ich V habe (ii) Ich weiß, daß ich V' habe Wir können dann folgende Fälle unterscheiden: (I)

Die beiden Sätze werden von verschiedenen Subjekten geäußert. In diesem Fall bezeichnet das Wort 'ich' in den beiden Sätzen nicht "ein und dasselbe" sondern eben verschiedene Subjekte. In diesem Fall liegt also sicherlich keine "Beziehung auf die Identität des Subjekts" vor.

(Π)

Die beiden Sätze werden von demselben Subjekt geäußert, aber das Subjekt weiß, während es (i) denkt, nichts von (ii), und umgekehrt. In diesem Fall liegt eine "Beziehung auf die Identität des Subjekts" dann vor, wenn damit nur gemeint ist, daß sich das Wort 'ich' in beiden Fällen auf dasselbe Subjekt bezieht Es liegt dagegen keine "Beziehung auf die Identität des Subjekts" vor, wenn damit gemeint ist, daß das Subjekt von dieser Identität seiner selbst in diesen beiden Zuständen weiß.

(III)

Die beiden Sätze werden von demselben Subjekt geäußert, und es gibt einen (weiteren) Zustand desselben Subjekts, in dem es von der Identität seiner selbst in diesen beiden anderen Vorstellungszuständen weiß. In diesem Fall liegt eine "Beziehung auf die Identität des Subjekts" in beiden soeben unterschiedenen Bedeutungen vor.

Wir wollen im folgenden sagen, daß in den Fällen (II) und (III), nicht aber in (I) eine Beziehung auf die Identität des Subjekts im schwachen Sinn vorJch spreche von distributivem Selbstbewußtsein, wenn es sich um ein Selbstbewußtsein handelt, das sich auf eine einzelne Vorstellung isolieit richtet Ein Selbstbewußtsein, das sich auf eine Mehrzahl von Vorstellungen in einem richtet, bezeichne ich als kollektives Selbstbewußtsein. (Vgl. dazu oben S. 68 Anm. 10)

258

SelbstbewuBtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

liegt; im Fall (ΙΠ), nicht aber in (I) und (II) liegt dagegen eine solche Beziehung im starken Sinn vor. Nun folgt aus (a) und (b), daß alle meine Vorstellungen eine Beziehung auf die Identität des Subjekts im schwachen Sinn haben müssen. Wenn wir nun in (c) unter empirischem Selbstbewußtsein distributives Selbstbewußtsein verstehen, dann muß Kant dort die Beziehung auf die Identität im starken Sinn meinen, da (c) andernfalls offensichtlich falsch wäre. Dasselbe gilt dann ebenso offensichtlich für (d). Aber dann folgt aus (a)-(d) nicht (e), wenn damit gemeint ist, daß verschiedene Vorstellungen "nicht insgesamt m e i n e Vorstellungen sein [können], wenn [...] ich [nicht] eine zu der anderen h i n z u s e t z e und mir der Synthesis derselben bewußt bin" (B 132f.). In dem unmittelbar folgenden Satz scheint Kant diese Behauptung auch abzuschwächen. Es wird nun nicht mehr behauptet, daß verschiedene Vorstellungen nicht meine sein können, wenn sie nicht synthetisiert werden können, und auch nicht, daß aus der Möglichkeit von Selbstbewußtsein in bezug auf verschiedene Vorstellungen folgt, daß sie "in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können"; Kant behauptet nun lediglich: "nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen i n e i n e m B e w u ß t s e i n verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die I d e n t i t ä t d e s B e w u ß t s e i n s in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, d.i. die a n a l y t i s c h e Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgendeiner s y n t h e t i s c h e n möglich" (B 133).^4

Diese Behauptung ist um einiges plausibler als die stärkere These, daß aus der Möglichkeit von Selbstbewußtsein in bezug auf verschiedene Vorstellungen folgt, daß sie synthetisierbar sein müssen. Wenn wir Kants These aus dem §15 akzeptieren, wonach die Verbindung eines Mannigfaltigen nicht gegeben sein kann, dann müssen wir auch seine Behauptung akzeptieren, daß ich mir die Identität meiner selbst in verschiedenen meiner Vorstellungen nur dann vorstellen kann, wenn ich sie miteinander verbinde. Denn offenkundig kann ich mir nicht der Identität meiner selbst in verschiedenen Vorstellungen bewußt sein, wenn diese verschiedenen Vorstellungen nicht in einem gemeinsamen Bewußtsein vorliegen. Allerdings ist zu beachten, daß die von uns vorgenommene Abschwächung zur Folge hat, daß Kant nun nicht unmittelbar schließen kann, daß alle meine Vorstellungen verbindbar sein müssen. Nur solche Vorstellungen, in bezug auf die ich mir der Identität meiner selbst bewußt werden kann, müssen verbindbar sein. Um mindestens von allen epistemisch relevanten Vor-

Vgl. A 112, wo Kant sagt, daß die Apperzeption allein in der Synthesis "ihre durchgängige und notwendige Identität a priori beweisen kann."

Der erste Teil der Β-Deduktion

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Stellungen behaupten zu können, daß sie miteinander verbindbar sind, braucht Kant also die folgende Zusatzprämisse: (2)

In bezug auf Vorstellungen, von denen ich unmittelbar wissen kann, daß ich sie habe, muß ich auch in der Lage sein, mir die Identität meiner selbst in diesen Vorstellungen vorzustellen.

(2) besagt mithin nichts anderes, als daß distributives Selbstbewußtsein nur möglich ist, wenn auch kollektives Selbstbewußtsein möglich ist. Man könnte versuchen, (2) mit dem Hinweis auf eine Feststellung, die Hume zu seiner Bündeltheorie des Ich geführt hat, plausibel zu machen: "self or person is not any one impression, but that to which our several impressions and ideas are suppos'd to have a reference. If any impression gives rise to the idea of self, that impression must continue invariably the same, thro' the whole course of our lives; since self is suppose'd to exist after that maimer. But there is no impression constant and invariable [...]. For my part, when I enter most intimately into what I call m y s e 1 f , I always stumble on some particular perception or other [...]. I never can catch m y s e l f at any time without a perception, and never can observe any thing but the perception" (Hume (1965) Treatise I.IV.VI S. 251f.).

Kant hatte Humes Kritik an der Vorstellung vom 'Selbst' über die ausführlichen Zitate in Beatties "Essay1 kennenlernen können. 25 Die Frage, ob Kant in diesem Punkt von Hume direkt beeinflußt worden ist, können wir offenlassen. Klar ist jedenfalls, daß Kant mit Hume in einem wichtigen Punkt übereinstimmt, sich in einem anderen aber von ihm abgrenzt "das Ich ist zwar in allen Gedanken; es ist aber mit dieser Vorstellung nicht die mindeste Anschauung verbunden, die es von anderen Gegenständen der Anschauung unterschiede. Man kann also zwar wahrnehmen, daß diese Vorstellung bei allem Denken immer wiederum vorkommt, nicht aber, daß es eine stehende und bleibende Anschauung sei, worin die Gedanken (als wandelbar) wechselten" (A 350; vgl. auch Β 413).

Wie bereits Hume vor ihm, bestreitet Kant die Existenz einer anschaulichen Vorstellung des Ich. Daraus schließt er, daß das Bewußtsein der Identität meiner selbst in verschiedenen Vorstellungen nicht als Erkenntnis des Vorliegens einer Beziehung dieser Vorstellungen zu einem von ihnen unterschiedenen, unabhängig von ihnen identifizierbaren Dritten (eben einem Ich) gedacht werden kann. Die Einheit, die verschiedene Vorstellungen als Vorstellungen desselben Subjekts haben, kann daher nur in einer unmittelbaren Beziehung zwischen diesen Vorstellungen selber bestehen. Die Vorstellung 'Ich' bezeichnet also keine 25

Zu Kant und Beattie vgl. Wolff (1960). Auch Tetens kommt als Quelle für Kants Hume-Ketmtnis in Frage. Tetens' Erörterung von Humes Theorie des Idi findet sich in Tetens (1777) S. 377ff (Original S. 388ff.), bes. S. 381ff (Original S. 392ff.) sowie S. 498f (Original S. 510f.)

260

Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

von den Vorstellungen selber verschiedene Entität, sondern deren synthetische Einheit. Das heißt aber, daß in distributivem Selbstbewußtsein ein impliziter Bezug auf diejenige synthetische Einheit genommen wird, kraft deren sie Vorstellungen desselben Subjekts sind. Das bedeutet allerdings noch nicht, daß distributives Selbstbewußtsein kollektives SeMvfbewußtsein impliziert. Aber wenn wir davon ausgehen können, daß die synthetische Einheit, kraft deren verschiedene Vorstellungen Vorstellungen desselben Subjektes sind, in einer - wenigstens möglichen - Bewußtseinsbeziehung besteht, dann liegt es doch nahe, diese Einheit auf die (Möglichkeit der) Verbindung in einem Bewußtsein zurückzuführen.26 Wir haben bereits gesehen, daß Kant dazu neigt, die Verbindung der Vorstellungen sogleich als eine Verbindung 'im Objekt' aufzufassen, und wir wissen ja bereits, daß Kant im folgenden darauf aus ist zu zeigen, daß diese synthetische Einheit eine objektive Einheit ist: "Die t r a n s z e n d e n t a l e E i n h e i t der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird" (B 139).

In der bereits zitierten Reflexion 3030 geht dies ganz schnell: "Ich verbinde [...] A mit dem Bewußtseyn. Dann Β [...]. Drittens die Einheit beyderley distributiven Bewußtseyns in ein collectives, d.i. in den Begrif eines Dinges. Also erstlich die Analytische Einheit des Bewußtseyns von A und non A (=B) und dann die synthetische Einheit beyder" (AA XVI S. 623).

Wir müssen überprüfen, ob Kant in der B-Deduktion ein überzeugendes Argument für die These hat, daß die synthetische Einheit eine objektive Einheit ist. Als Zwischenergebnis können wir zunächst festhalten: (3)

Ich kann mir die Identität meiner selbst in verschiedenen meiner Vorstellungen nur vorstellen, wenn ich diese Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann.

2.2.3. Einheit der Apperzeption und objektive Einheit Die Behauptung, daß die synthetische Einheit der Apperzeption eine objektive Einheit ist, versucht Kant in § 17 zu begründen. Die entscheidende Passage lautet: 26

Das bedeutet allerdings nicht, daß jede Vorstellung mit jeder anderen Vorstellung desselben Subjekts in einem (möglichen) Bewußtsein verbindbar sein muß, sondern nur, daß je zwei beliebige Vorstellungen desselben Subjekts durch eine Kette von Vorstellungen verbunden sind, so daß je zwei aufeinanderfolgende Glieder dieser Kette in einem Bewußtseinszustand zusammenstehen können.

Der erste Teil der B-Deduktion

261

" V e r s t a n d ist, allgemein zu reden, das Vermögen der E r k e n n t n i s s e . Diese bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt. [i] O b j e k t aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung v e r e i n i g t ist. [ii] Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben, [iii] Folglich ist die Einheit des BewuBtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit [...] ausmacht" (B 137).

Aus (iii) folgt das gewünschte Ergebnis; aber (iii) folgt nicht aus (i) und (ii). Aus (i) und (ii) ergibt sich lediglich, daß die Einheit des Bewußtseins eine notwendige Bedingung der Vereinigung von Vorstellungen im Begriff eines Objekts ist. Es folgt aber nicht, daß die Vereinigung der Vorstellungen im Begriff eines Objekts in nichts anderem besteht als in der synthetischen Einheit verschiedener Vorstellungen in einem Bewußtsein. Und daher folgt auch nicht, daß jede synthetische Einheit eine objektive Einheit ist, sondern nur, daß jede objektive Einheit eine synthetische Einheit ist. Letzteres ist aber für Kants Zwecke irrelevant. Die Ansicht, daß hier eine Lücke in Kants Beweis vorliegt, scheint sich in der Literatur mehr und mehr durchzusetzen.27 Man kann diese Lücke dann stopfen, wenn man keinen allzu anspruchsvollen Objektbegriff unterstellt So meint z.B. Allison, das Problem lösen zu können, wenn man von dem schwachen Objektbegriff ausgeht, der dem Begriff eines objektiven Urteils (vgl. oben S. 83) entspricht "Since it follows from the apperception principle that [a] the unity of consciousness is impossible apart from the synthetic unity of representations, and since [b] this synthetic unity can only be achieved by uniting these representations under a concept, and since [...] [given the logical conception of an object] [c] any such synthetic unity counts as an object, it also follows that [d] the representation of an object is a necessary condition for the unity of consciousness. But this is equivalent to saying that the unity of consciousness is a sufficient condition for the representation of an object" (Allison (1983) S. 146).

27

Vgl. z.B. Bennett (1966) S. 131f.; Hossenfelder (1978) S. 128f.; Guyer (1981); Allison (1983) S. 145f.. Es gibt aber auch Verteidigungsversuche: Baum z.B. meint, daß Kant folgendermaßen argumentiert: 1. Die Einheit verschiedener Vorstellungen im Begriff eines Objekts ist eine notwendige Einheit 2. "Die einzige für den Verstand a priori bestehende Notwendigkeit ist die, in seinen Handlungen des Verbiiidens des Mannigfaltigen der Vorstellungen unter der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption zu stehen. Also sind [3.] der Gedanke der Bezogenheit der Vorstellungen auf ein Objekt [...] und der Gedanke der notwendigen Unterworfenheit des Verbindens unter die ursprünglich-synthetische Einheit des Selbstbewußtseins derselbe Gedanke" (Baum (1986) S. 107f.). Dieses Argument haben wir bereits in der A-Deduktion kennengelemt. Wir haben dort aber auch gesehen, daß die ente Prämisse von Kant nicht begründet wird. In § 17 der B-Deduktion greift Kant auf diese These auch nicht explizit zurück. Es ist daher zweifelhaft, ob Baums Rekonstruktion dem Text angemessen ist Selbst wenn wir (1.) akzeptieren, nützt uns das nichts, da weder Kant noch Baum ein Argument für (2.) geben.

262

Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

Wenn wir [a] im Sinne von (3) verstehen, können wir das Argument dann akzeptieren, wenn wir eine befriedigende Begründung für [b] haben. Die allerdings fehlt uns noch. Es ist klar, daß [b] nur dann für Allisons Argument brauchbar ist, wenn damit folgendes gemeint ist: (4)

Die Vorstellung der Identität des Bewußtseins in verschiedenen meiner Vorstellungen ist nur dadurch möglich, daß ich die verschiedenen Vorstellungsgehalte in einem Begriff von etwas, dem ich die Vorstellungsgehalte als Eigenschaften zuspreche, verbinde.

Läßt sich (4) auf der Grundlage der soeben in Anschluß an Humes Kritik der Ich-Vorstellung entwickelten Überlegungen verteidigen? Wenn man die Existenz einer 'stehenden und bleibenden1 Anschauung des Ich bestreitet, dann kann das Bewußtsein der Identität meiner selbst in verschiedenen Vorstellungen nicht als Erkenntnis des Vorliegens einer Beziehung dieser Vorstellungen zu einem von ihnen unterschiedenen, unabhängig von ihnen identifizierbaren Dritten gedacht werden. Die Einheit, die verschiedene Vorstellungen als Vorstellungen desselben Subjekts haben, muß dann auf eine unmittelbarecBeziehung zwischen diesen Vorstellungen zurückführbar sein. Nun liegt es nahe, diese unmittelbare Beziehung als eine Verbindung der VorstellungsgeAa/te aufzufassen. Unter Rückgriff auf Kants Überlegungen zur Möglichkeit des Bewußtseins eines Mannigfaltigen als solchem könnten wir dann folgern, daß eine solche Verbindung von Vorstellungsgehalten nur durch eine Verbindung nach Begriffen möglich ist. Und von hier ist es kein allzu weiter Schritt zu der Behauptung, daß die so verbundenen Vorstellungsgehalte einem Objekt als Eigenschaften zugesprochen werden.28 Wer sich von diesen Überlegungen überzeugen läßt, könnte versuchen, noch einen Schritt weiter zu gehen als Allison. Denn wenn wir nicht nur in bezug auf ein Mannigfaltiges einer gegebenen Anschauung, sondern auch in bezug auf numerisch verschiedene Anschauungen in der Lage sind, uns die Identität unserer selbst in diesen Vorstellungen vorzustellen; und wenn dies nur möglich ist, wenn wir die Vorstellungsgehalte dieser Anschauungen im Begriff eines Objekts verbinden; - dann haben wir es mit einer Vereinigung von Vorstellungsgehalten im Begriff eines empirischen Objekts zu tun.29 28

29

Das bedeutet natürlich nicht, daß ich alle meine Vorstellungen als Eigenschaften eines Superobjekts vorstellen muß. Es wird nur verlangt, daß die Vorstellungsgehalte als Eigenschaften von Objekten angesehen werden. Werden verschiedene Vorstellungsgehalte verschiedenen Gegenständen zugesprochen, so ist nur dann eine Vorstellung der Identität meiner selbst in diesen Vorstellungen möglich, wenn diese Objekte als in bestimmten Relationen zueinander stehend vorgestellt werden. Empirische Objekte waren ja gerade definiert als identische Gegenstände numerisch verschiedener Vorstellungen (vgl. oben S. 80ff.).

Der erste Teil der B-Deduktion

263

Angesichts unserer kritischen Bemerkungen zu Henrichs Rekonstruktionsvorschlag können wir aber diesen letzten Schritt nicht akzeptieren: Es ist nicht einzusehen, wieso es zur Vorstellung der Identität des Bewußtseins nicht ausreichen soll, wenn die verschiedenen Vorstellungsgehalte als in zeitlichen Relationen stehend vorgestellt weiden. Dies ist aber möglich, ohne Vorstellungsgehalte numerisch verschiedener Vorstellungen auf dasselbe Objekt zu beziehen.30

2.2.4. Objektive Einheit und Urteilseinheit Wenn wir Kants These, daß die synthetische Einheit der Apperzeption eine objektive Einheit ist, im Sinne von (4) interpretieren, dann läßt sich auch leicht verständlich machen, wieso Kant in § 19 die objektive Einheit des Bewußtseins mit der Einheit von Vorstellungen im Urteil in einen so engen Zusammenhang bringt Denn es ist klar, daß die objektive Einheit gegebener Vorstellungen, durch die ich mir die Identität meiner selbst in diesen Vorstellungen vorstelle, eine Einheit von Vorstellungen im Urteil sein muß, wenn diese Einheit darin bestehen soll, daß die Vorstellungsgehalte einem Objekt als Eigenschaften zugesprochen werden. Kant scheint nun aber auch das Umgekehrte behaupten zu wollen: daß nämlich jede Urteilseinheit eine objektive Einheit im beschriebenen Sinn ist. Nun haben wir aber im zweiten Kapitel gesehen, daß Kant in den Prolegomena' eine Klasse von Urteilen einführt, die nicht in diesem Sinn objektive Einheiten sind: In Wahrnehmungsurteilen sollen die verschiedenen Vorstellungen als solche in einem Bewußtsein meines Zustandes verbunden werden, ohne daß dabei die WahrnehmungsgeAaitó als Eigenschaften auf ein Objekt bezogen werden. Wenn es solche Urteile gibt, dann kann nicht jedes Urteil die Vorstellung einer objektiven Einheit sein. Fragen wir uns zunächst, ob Kant aufgrund der bisher behandelten Argumente der B-Deduktion solche 'subjektiven' Urteile zulassen kann. Dies ist dann möglich, wenn in solchen Urteilen nicht die Identität des Subjekts dieser Vorstellungen vorgestellt wird. Allem, was wir bisher ausgeführt haben, ist aber nicht zu entnehmen, daß es solche Urteile nicht geben kann. Selbst wenn Kant gezeigt hätte, daß wir in bezug auf alle unsere Vorstellungen fähig sein müssen, uns der Identität unserer selbst in diesen Vorstellungen bewußt zu werden, folgte nicht, daß wir auch immer dann, wenn wir ein Bewußtsein von die30

Vgl. dazu auch Strawson (1959) S. 46f..

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

sen Vorstellungen haben, uns dabei die Identität unserer selbst in diesen Vorstellungen vorstellen müssen. Wenn wir solche 'subjektiven' Vorstellungsverbindungen als Urteile bezeichnen wollen, dann können wir Kants These, daß das Urteil die Art ist, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen, nicht aufrechterhalten. Wir können allerdings daran festhalten, daß die objektive Einheit der Vorstellungen nur durch Verbindung in einem Urteil vorgestellt werden kann. Nur gilt nicht auch umgekehrt, daß jedes Urteil die Vorstellung einer objektiven Einheit ist. Wir können daher festhalten: (5)

Die Verbindung von Vorstellungen im Begriff eines Objekts ist ein Urteil.

2.2.5. Urteil und Kategorie Wenden wir uns nun dem letzten Schritt von Kants Argument zu: dem Übergang von der Urteilsthese zur Kategorienthese. Kant scheint in der B-Deduktion daraus, daß wir Vorstellungen durch Anwendung von Urteilsfunktionen verbinden können müssen, unmittelbar zu folgern, daß diese Vorstellungen unter Kategorien stehen. Es ist klar, daß - sollte diese Folgerung gültig sein dies für Kants Zwecke in der Deduktion außerordentlich günstig wäre. Aber es hatte sich bereits herausgestellt, daß diese Schlußfolgerung keineswegs so selbstverständlich möglich ist Denn wir haben gesehen, daß die These, daß die Verbindung nach Urteilsfunktionen die Geltung der Kategorien impliziert, der Sache nach in Schwierigkeiten führt, wenn man gleichzeitig an Kants These festhalten will, daß unsere Vorstellungen durch Anwendung der Kategorien objektiviert werden; jedenfalls dann, wenn unter der Objektivierung der Vorstellungen durch Anwendung der Kategorien mehr verstanden werden soll, als daß sie in Urteilen, die Anspruch auf objektive Gültigkeit erheben, verbunden werden. Nun hat sich im Rahmen der Untersuchungen zur zweiten Analogie wie zur transzendentalen Deduktion bestätigt, daß Kant den Kategorien eine Objektivierungsleistung zuspricht, die über diesen 'logischen' Objektivitätsbegriff hinausgeht. Dann ist es aber der Sache nach unmöglich, die Geltung der Kategorien als unmittelbare Folge der Verbindung durch Urteilsfunktionen zu begründen - es sei denn, Kant erklärt alle Urteile zu objektiven Urteilen in einem starken Sinn. Nun haben wir aber auch gesehen, daß Kant immer dann, wenn er seinen Kategorienbegriff näher erläutert, den Zusammenhang von Kategorie und Ur-

Der erste Teil der B-Deduktion

265

teilsfunktion weniger direkt vorstellt, als sein Argument in § 20 erwarten läßt. Wenn man z.B. von der Erklärung der Kategorien', die Kant im § 14 gibt, ausgeht, so folgt nicht unmittelbar aus der Verbindung von Vorstellungen durch Urteilsfunktionen, daß die so verbundenen Vorstellungen unter Kategorien stehen. Denn Kant charakterisiert in seiner Erklärung der Kategorien' diese nicht einfach als Begriffe von etwas, das durch Urteilsfunktionen verbunden wird, sondern als Begriffe von etwas, das hinsichtlich der Anwendung der Urteilsfunktionen bestimmt ist. Wir müssen gleich zu klären versuchen, was Kant mit dieser Charakterisierung gemeint haben könnte; klar ist aber, daß die Erläuterung, die Kant für die kategorische Urteilsfunktion gibt, ausschließt, daß die Verbindung in einem kategorischen Urteil als solche bereits zur Folge hat, daß die Vorstellungen "in Ansehung [...] der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n [...] als b e s t i m m t " anzusehen ist (B 128). Denn im bloß logischen Gebrauch soll das Verhältnis von Subjekt und Prädikat ja gerade unbestimmt sein (vgl. oben S. 102). Wenn wir versuchen wollen, die Schwierigkeiten, die das Verhältnis von Urteilsfunktionen und Kategorien betreffen, aufzulösen, ist es zunächst erforderlich, sich klarzumachen, worin die objektivierende Funktion der Kategorien besteht und wie sie mit der Bestimmtheit der logischen Form zusammenhängt Wir müssen von Kants Hinweis ausgehen, daß im bloß logischen Gebrauch unbestimmt bleibt, welcher Begriff an Subjekt- und welcher an Prädikatstelle einzusetzen ist. Solange es nur um die logische Beziehung zwischen den Begriffen geht, können die Funktionen also vertauscht werden. 31 Wenn die Unumkehrbarkeit der logischen Funktion sich aber nicht aus dem logischen Verhältnis der Begriffe ergibt, woraus dann? Es ist naheliegend zu vermuten, daß es sich bei dieser 'Unumkehrbarkeit' der logischen Funktion um eine epistemische Bedingung handelt, die für die Verifizierbarkeit einer bestimmten Klasse von Urteilen gilt. Ich will versuchen, dies am Fall des kategorischen Urteils zu erläutern. Nehmen wir als Beispiel das Urteil: 'Diese Münze ist rund'. Unter welchen Bedingungen können wir solch ein Urteil fällen? Letztlich müssen wir uns dabei auf eine Wahmehmungssituation beziehen, in der wir die Münze und an ihr die runde Gestalt wahrnehmen. In der Wahrnehmungssituation haben wir es im günstigsten Fall (wenn wir die Münze von vorne betrachten) mit einer Wahrnehmung von etwas zu tun, das wie eine Münze aussieht und das rund erscheint. Das allein reicht aber nicht aus, um die Behauptung zu rechtfertigen, daß die Münze rund ist, da es sich auch um eine ovale Münze, die wir schräg 31

Dabei ist natürlich darauf zu achten, daß die Quantität des Urteils entsprechend verändert wird.

266

SelbstbewuBtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

von der Seite betrachten, handeln kann. Wenn wir bloß eine Aussage über die gegebenen Sinnesdaten machen wollen, können wir sagen: 'Das Miinzensinnesdatum ist rund'. Wir können auch sagen: 'Das runde Sinnesdatum ist münzenartig'. Hier können wir also die logische Funktion umkehren. Wenn wir aber das Urteil über das empirische Objekt (eben die Münze) umkehren wollen, müssen wir erst einmal wissen, ob das entsprechende Objekt wirklich rund ist. Denn wenn wir sagen: 'Der runde Gegenstand ist eine Münze', so haben wir den Gegenstand dann nicht identifiziert, wenn es sich z.B. um eine ovale Münze, von der Seite betrachtet, handelt. Generell können wir sagen: Um überhaupt mit einem empirischen Urteil Anspruch auf Objektivität erheben zu können, müssen wir das Objekt, von dem das Urteil handelt, zunächst identifizieren. Solange aber unklar ist, ob das Objekt wirklich die Eigenschaften hat, die es zu haben scheint, können wir es nicht direkt mittels dieser Eigenschaften identifizieren, indem wir es als das Objekt bestimmen, das diese Eigenschaften besitzt. Es bleiben die folgenden Möglichkeiten: (a) wir identifizieren das Objekt ostensiv, (b) wir identifizieren es als dasjenige Objekt, was uns so und so erscheint, oder (c) wir identifizieren es durch eine objektive Eigenschaft, von der wir sicher sein können, daß das Objekt diese Eigenschaft hat Lassen wir die Frage, welche dieser drei Möglichkeiten vorzuziehen ist, einen Augenblick beiseite, und fragen uns, was wir bisher erreicht haben. Zunächst hat sich gezeigt, daß wir ein Objekt nicht direkt durch Erscheinungsprädikate identifizieren können. Aber wir wollen es nicht nur identifizieren, wir wollen ihm auch auf der Basis der Erscheinungsprädikate objektive Eigenschaften zusprechen. Wir haben gesehen, daß wir dem Objekt nicht unmittelbar die an ihm wahrgenommenen Eigenschaften zusprechen können. Wir müssen also nach einer Identifizierungsmethode suchen, die uns in die Lage versetzt festzustellen, ob dem identifizierten Gegenstand eine Wahrnehmungseigenschaft objektiv zukommt oder nicht. Dazu reicht die einzelne gegebene Wahrnehmung nicht aus. Da wir auch nicht a priori wissen können, welche objektiven empirischen Eigenschaften einem Gegenstand zukommen, müssen wir also weitere Wahrnehmungen hinzuziehen. Nun sind natürlich nur solche weiteren Wahrnehmungen unmittelbar relevant, in denen dasselbe Objekt vorgestellt wird. Wir müssen also an irgend etwas feststellen können, ob verschiedene Wahrnehmungen Wahrnehmungen desselben Objekts sind. Wir brauchen also eine "Rekognitionseigenschaft' des Objekts: eine Eigenschaft, durch die das Objekt als dasselbe in verschiedenen Wahrnehmungssituationen identifiziert werden kann. Was immer diese Eigenschaft ist, so ist klar, daß sie epistemisch gegenüber den anderen Eigenschaften ausgezeichnet ist. Sie dient als Bedingung, unter der das Zusprechen von anderen Prädikaten allererst möglich ist

Der erste Teil der B-Deduktion

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Nehmen wir nun an, S sei eine solche Rekognitionseigenschaft, und Ρ sei eine Eigenschaft, deren Zutreffen wir nicht aufgrund einer einzelnen gegebenen Wahrnehmungssituation feststellen können. Dann müssen wir S als diejenige Eigenschaft ansehen, die dazu dient, den gegebenen Gegenstand bezüglich der Eigenschaft Ρ objektiv zu bestimmen (indem durch S andere Wahrnehmungen als Wahrnehmungen desselben Objekts identifiziert werden können, auf deren Grundlage wir entscheiden können, ob Ρ objektiv auf den Gegenstand zutrifft). Nun bestand eine der traditionellen Bestimmungen des Substanzbegriffs darin, daß die Substanz als der Grund der Akzidenzien anzusehen ist. Leibniz hatte bekanntlich eine recht extreme Version dieser Definition vertreten, wonach alle Prädikate im Begriff der individuellen Substanz enthalten sind: "dans toute proposition [...] la notion du prédicat est comprise en quelque façon dans celle du sujet, p r e d i c a t u m i n e s t s u b i e c t o ; o u bien je ne scay ce que c'est que la vérité" (Leibniz (1978) Bd. Π S. 56.). Kant konnte dieser radikalen These natürlich nicht zustimmen. Aber an einem Element der Leibnizschen Wahrheitskonzeption hält er fest: Wenn sich auch nicht alle Eigenschaften einer Substanz aus ihrem Begriff analytisch herleiten lassen, so dient doch der Begriff der Substanz als Bedingung der Zuschreibung von Prädikaten. Während dieses Bedingungsverhälmis bei Leibniz ein logisch-analytisches Verhältnis des Enthaltenseins ist, handelt es sich bei Kant um ein epistemisches Bedingungsverhältnis: Dasjenige ist Substanz, was vorausgesetzt werden muß, wenn es möglich sein soll, dem Gegenstand Prädikate objektiv zuzusprechen. Eine substantielle Bestimmung ist dann eine solche, die es ermöglicht, den Gegenstand in verschiedenen Wahrnehmungssituationen als denselben zu erkennen und aufgrund der verschiedenen, in diesen Wahrnehmungssituationen gegebenen Eigenschaften die objektiven Eigenschaften des Gegenstandes zu bestimmen. 32 Wir können nun sehen, weshalb die beiden ersten oben erwähnten Möglichkeiten, einen in einer bestimmten Wahmehmungssituation gegebenen Gegenstand so zu identifizieren, daß wir ihn aufgrund anderer Wahrnehmungen objektiv bestimmen können, ausscheiden müssen. Die erste Möglichkeit bestand in der ostensiven Identifikation. Wenn ich den Gegenstand als denjenigen identifiziere, den ich jetzt an dieser Stelle meines Gesichtsfeldes wahrnehme, so 32

Man kann anhand von Kants Reflexionen verfolgen, wie sich dieser Begriff der Substanz allmählich entwickelt. Bereits in Reflexionen vom Anfang der siebziger Jahre analysiert Kant das kategorische Uiteil als ein Bedingungsveihältnis: Der Subjektbegriff dient als die Bedingung, das Prädikat objektiv auszusagen, d.h. einem Gegenstand zuzusprechen. Denn durch den Subjektbegriff wird dasjenige 'bezeichnet', das durch den Prädikatbegriff bestimmt wird. Kant hat dann in der Folge dieses logische Verhältnis auf das Problem der empirischen Erkenntnis angewandt (vgl. v.a. R 3920f. und R 4634).

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Selbstbewufitsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

hilft mir dies zur /{¿Identifikation des Gegenstandes natürlich nichts. Denn woher soll ich wissen, daß der Gegenstand, den ich eben an jener Stelle wahrgenommen habe, mit dem Gegenstand identisch ist, den ich jetzt an dieser Stelle wahrnehme? Und noch viel weniger taugt das zweite Verfahren. Wenn ich den Gegenstand als denjenigen identifiziere, der mir jetzt so-und-so zu sein scheint, hilft mir diese Identifikation des Gegenstandes nichts, wenn ich wissen will, ob der jetzt gegebene Gegenstand mit demjenigen Gegenstand identisch ist, der mir eben anders erschien. Was immer die Eigenschaft sein mag, an der ich Gegenstände wiedereikennen kann: Klar ist, daß es sich um eine objektive Eigenschaft handeln muß. Natürlich muß diese objektive Eigenschaft aufgrund der gegebenen Wahrnehmungen feststellbar sein; d.h. wir müssen in der Lage sein, diese Eigenschaften anhand der in der Wahrnehmungssituation direkt feststellbaren Eigenschaften zu erkennen. Wenn sich das, was wir soeben am Beispiel des kategorischen Urteils entwickelt haben, für alle Kategorien verallgemeinern läßt, können wir auch das im ersten Kapitel beschriebene Problem des Verhältnisses von Urteilsfunktionen und Kategorien auflösen. In der Definition der Kategorien, wonach sie Begriffe von Gegenständen sind, dadurch deren Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen bestimmt ist, wird dann eine epistemische Bedingung angesprochen. Wenn zwei Vorstellungen durch eine Urteilsfunktion verbunden werden, so bedeutet die Aussage, daß dabei das logische Verhältnis bestimmt ist, nicht, daß die 'Vertauschung' der Stellen im Urteil aus logischen Gründen ausgeschlossen ist oder zu einem falschen Urteil führen würde. Die formallogisch gültigen Transformationen bleiben natürlich in Geltung. Gemeint ist vielmehr, daß die Vorstellungen in diesem bestimmten Verhältnis verbunden werden müssen, wenn das entsprechende Urteil objektiv verifizierbar sein soll. Damit wird auch verständlich(er), was Kant meint, wenn er z.B. in den Prolegomena' schreibt: "Ich bezog endlich diese Funktionen zu urteilen auf Objekte überhaupt, oder vielmehr auf die Bedingung, Urteile als objektiv-gültig zu bestimmen, und es entsprangen reine Verstandesbegriffe" (Pr. § 39 A A I V S. 324).

Wird eine Vorstellung unter eine Kategorie subsumiert, so wird ihr damit eine bestimmte epistemische Rolle zugeschrieben. Kategorien sind also epistemische Begriffe. Ich weiß nicht, ob sich die oben am Beispiel der Substanzkategorie entwickelte Idee auf alle anderen elf Kategorien übertragen läßt. Wenigstens erscheint für die Relationskategorien die Lage nicht völlig hoffnungslos zu sein. Wenn wir den logischen 'Stellen' der Relationsfunktionen jeweils eine be-

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stimmte epistemische Rolle zuweisen können (so wie wir der Subjektstelle die Rolle der Identifizierung des Urteilsgegenstandes zugeschrieben haben), dann macht Kants These Sinn, daß nicht jede Vorstellung, die formallogisch betrachtet eine solche Stelle einnehmen kann, auch geeignet ist, diese epistemische Rolle zu übernehmen. Nicht jede Vorstellung ist geeignet, in einem empirischen Subjekt-Prädikat-Urteil die Identifizieningsfunktion zu übernehmen, da nicht durch jede gegebene Vorstellung der Gegenstand so identifiziert werden kann, daß er in anderen Wahrnehmungssituationen reidentifiziert werden kann. Wenn wir z.B. die hypothetische Urteilsform so charakterisieren, daß der Vordersatz die Bedingung angibt, unter der der Nachsatz objektiv gültig ist, dann können wir die reine Kategorie des Kausalverhältnisses folgendermaßen bestimmen: X ist eine Ursache, wenn das Urteil, in dem das Vorliegen von X behauptet wird, die Bedingung dafür ist, ein anderes Urteil als objektiv gültig bestimmen zu können. So dient die Feststellung des Vorliegens einer Ursache dazu, objektiv zu bestimmen, ob eine gegebene Wahmehmungsfolge eine entsprechende objektive Folge repräsentiert. Das Urteil 'C liegt vor' dient dann dazu, das Wahmehmungsurteil 'Die Wahrnehmung von Β folgt auf die Wahrnehmung von A' in ein Erfahrungsurteil "Eine Veränderung von A nach Β liegt vor' zu verwandeln. Ich muß es hier bei diesen Andeutungen belassen. Im gegenwärtigen Kontext ist es aber wichtig, darauf hinzuweisen, daß das Objektivierungsproblem, zu dessen Lösung die Kategorien dienen sollen, nur für empirische Urteile 33 auftritt. Denn nur solche Urteile sind durch die einzelnen gegebenen Wahrnehmungen objektiv unterbestimmt. Daher sind die Kategorien auch nur Begriffe, unter die solche Vorstellungen subsumiert werden müssen, die wir als Vorstellungen von empirischen Objekten auffassen. Als Ergebnis unserer Erläuterungen zu Kants Kategoriendefinition können wir also festhalten: (6)

Kategorien sind (epistemische) Begriffe, unter die (empirische) Gegenstände subsumiert werden müssen, wenn objektiv gültige empirische Urteile über diese Gegenstände möglich sein sollen.

2.2.6. Zusammenfassung und Folgerungen Wir müssen nun die wichtigsten Punkte unserer Diskussion von Kants Argument zusammenstellen, um zu sehen, was uns all das eingebracht hat: 33

Also Urteile über Objekte, die Gegenstände numerisch verschiedener Wahrnehmungen sein können (vgl. oben S. 83).

270

Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

(1)

Von allen epistemisch relevanten Vorstellungen muß ich unmittelbar wissen können, daß ich sie habe.

(2)

In bezug auf Vorstellungen, von denen ich unmittelbar wissen kann, daß ich sie habe, muß ich mir die Identität meiner selbst als Subjekt dieser Vorstellungen vorstellen können.

(3)

Ich kann mir die Identität meiner selbst in verschiedenen Vorstellungen nur vorstellen, indem ich diese Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinde.

(4)

Die Vorstellung der Identität des Bewußtseins in verschiedenen meiner Vorstellungen ist nur dadurch möglich, daß ich die verschiedenen Vorstellungsgehalte in einem Begriff von etwas, dem ich die Vorstellungsgehalte als Eigenschaften zuspreche, verbinde.

(5)

Wenn ich Vorstellungsgehalte numerisch verschiedener Vorstellungen im Begriff eines (empirischen) Objekts verbinde, so verbinde ich sie in einem (empirischen) Urteil.

(6)

Kategorien sind Begriffe, unter die empirische Gegenstände subsumiert werden müssen, wenn objektiv gültige empirische Urteile über diese Gegenständen möglich sein sollen. Sie sind also epistemische Begriffe empirischer Objekte.

Also: (7)

Alle epistemisch relevanten Vorstellungen müssen unter Kategorien subsumierbar sein.

Die schwachen Stellen dieses Arguments waren (2), (5) und (6). Das Problem mit (2) besteht darin, daß aus der Möglichkeit distributiven Selbstbewußtseins in bezug auf verschiedene Vorstellungen noch nicht die Möglichkeit kollektiven Selbstbewußtseins folgt. Das Problem mit (5) besteht darin, daß daraus, daß das 'Ich' nicht anschaulich gegeben ist, zwar gefolgert werden kann, daß die Identität des Ich nur durch Verbindung der VorstellungsgeAa/te möglich ist. Aber es ist nicht selbstverständlich, daß dies nur durch eine Verbindung der Vorstellungsgehalte im Begriff eines empirischen Objekts geschehen kann. Es ist denkbar, daß wir die Wahrnehmungsgehalte so verbinden, daß wir sie lediglich als in zeitlichen Verhältnissen zueinander stehend vorstellen. Dazu müssen sie aber nicht auf empirische Objekte bezogen werden. Das Problem mit (6) schließlich besteht darin, daß Kants "Erklärung der Kategorien' nur dann akzeptabel ist, wenn jeder einzelnen Urteilsfunktion eine Bedingung der objektiven Bestimmung empirischer Urteile in ähnlicher Weise zugeordnet werden kann, wie wir dies am Beispiel des kategorischen Urteils erläutert haben.

Das Beweisstrukturproblem

271

All dies sind nicht gerade unwesentliche Schwierigkeiten. Aber selbst wenn man annimmt, daß sie ausgeräumt werden können, bleibt das Resultat von Kants Argument im ersten Teil der B-Deduktion weit hinter den mit der Standardinterpretation verbundenen Erwartungen zurück. Denn aus (1) bis (5) folgt lediglich, daß wir in der Lage sein müssen, unsere Vorstellungen als Vorstellungen eines (empirischen Objekts) zu denken. Und dies hat zur Folge, daß (7) nur besagt, daß wir fähig sein müssen, unsere Vorstellungen als unter Kategorien stehend zu denken. Ebensowenig wie aus (1) bis (5) folgt, daß unseren Vorstellungen wirklich empirische Objekte korrespondieren, folgt aus (7), daß es Gegenstände gibt, die wirklich unter Kategorien stehen. Wenn die Grundsätze aber die Wahrheitsbodingxmg&n kategorialer Urteile sind, dann folgt aus (7) nicht die Geltung der Grundsätze. Deren Geltung aber sollte zufolge der Standardinterpretation als Bedingung der Einheit des Selbstbewußtseins bewiesen werden. Als eine Begründung der Gesetzesthese ist das Argument der § 15-20 also untauglich. Allerdings hat dieses negative Ergebnis auch seine positiven Seiten. Denn damit entfällt nicht nur das Problem der Wahrnehmungsurteile; es entschärft sich auch das Problem der subjektiven Vorstellungen. Es wird ja lediglich verlangt, daß wir uns alle unsere Vorstellungsgehalte als Eigenschaften von empirischen Objekten denken können müssen. Da nicht folgt, daß diese Gedanken auch wahr sind, ist die Möglichkeit von Träumen und Einbildungen nicht ausgeschlossen. Es hat sich sogar gezeigt, daß wir ein bloß subjektives Bewußtsein einer Vorstellungsmannigfaltigkeit haben können, da uns nichts zu der Annahme zwingt, daß in jeder Verbindung von Vorstellungen die Identität des vorstellenden Subjekts vorgestellt wird. Es wird ja nur die Möglichkeit einer solchen Verbindung verlangt.

3. Das Beweisstrukturproblem Kants Argument im ersten Teil der B-Deduktion bleibt somit hinter den Erwartungen, die die Standardinterpretation geweckt hat, zurück. Bestenfalls ergibt sich, daß alle epistemisch relevanten Vorstellungen in empirischen Urteilen verbunden werden können. Im ungünstigeren Fall reicht das Argument nur für den Nachweis, daß solche Vorstellungen in objektiven Urteilen verbindbar sein müssen. In keinem Fall aber hat Kant ein überzeugendes Argument dafür, daß solche Urteile wahr sein müssen. Da die Wahrheitsbedingungen von empirischen Urteilen in der den Grundsätzen entsprechenden Gesetzmäßigkeit gege-

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bener Erscheinungen bestehen,34 so müssen wir feststellen, daß Kants Argument im ersten Teil der B-Deduktion auch nichts zur Begründung der Gesetzesthese beiträgt. Unterstellt man die Richtigkeit der Standardinterpretation, dann muß auch Kants Argument in der B-Deduktion als gescheitert angesehen werden. Aber vielleicht wollte Kant im ersten Teil der B-Deduktion gar nicht mehr zeigen, als daß Kategorien Begriffe von empirischen Objekten sind, und daß wir die Fähigkeit haben, unsere Vorstellungen als Vorstellungen solcher Objekte zu denken? Von der Geltung der Gesetzesthese ist ja im ersten Teil der B-Deduktion auch nirgends explizit die Rede. Erst in § 26 kommt Kant ausdrücklich auf sie zu sprechen: "In der t r a n s z e n d e n t a l e n [Deduktion wurde] [...] die Möglichkeit [...] [der Kategorien] als Erkenntnisse a priori von Gegenständen einer Anschauung überhaupt (§§ 20, 21) dargestellt. Jetzt soll die Möglichkeit, durch K a t e g o r i e n die Gegenstände, die nur immer u n s e r e n S i n n e n v o r k o m m e n m ö g e n , [...] den Gesetzen ihrer Verbindung nach, a priori zu erkennen, also der Natur gleichsam das Gesetz vorzuschreiben und sie sogar möglich zu machen, erklärt werden. Denn ohne diese ihre Tauglichkeit würde nicht erhellen, wie alles, was unseren Sinnen nur vorkommen mag, unter den Gesetzen stehen müsse, die a priori aus dem Verstände allein entspringen" (B 159f.).

Diese Bemerkungen machen es sehr wahrscheinlich, daß Kant die Gesetzesthese erst in § 26 thematisiert. Wenn diese Annahme zutrifft, läßt sich auch das im zweiten Kapitel angesprochene Beweisstrukturproblem lösen, da wir dann den beiden Teilen hinreichend voneinander unterschiedene Beweisaufgaben zuordnen können. Denn das Beweisstrukturproblem ergab sich daraus, daß sich die Folgerung, die Kant aus dem Argument des ersten Teils der B-Deduktion zieht, von dem Ergebnis des 2. Teils gar nicht zu unterscheiden schien. In § 20 formuliert Kant als Resultat des ersten Teils: "Also steht auch das Mannigfaltige in einer gegebenen Anschauung notwendig unter Kategorien" (B 143).

In § 21 behauptet er aber, daß mit diesem Ergebnis erst der "Anfang einer D e d u k t i o n der reinen Verstandesbegriffe gemacht" ist (B 144), und kündigt an, daß "die Absicht der Deduktion allererst [in § 26] völlig erreicht" wird (B 145). Das Ergebnis des dort präsentierten Arguments lautet nun aber: "Folglich [...] sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, und gelten also a priori auch von allen Gegenständen der Erfahrung" (B 161).

34

Vgl. Pr. § 21 AA IV S. 302; AA 20 S. 318 sowie die Ausführungen Kants zu den "Postulateli des empirischen Denkens' A 218ff./B 265ff.).

Gründe für die Neubearbeitung der transzendentalen Deduktion

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Vergleicht man diese beiden Schlußfolgerungen miteinander, so drängt sich die Frage auf, worin eigentlich der Unterschied im Resultat der beiden Beweisschritte bestehen soll. Zwar bestätigt bereits ein oberflächlicher Blick auf die Begründungen, die Kant in § 20 einerseits und in § 26 andererseits für seine Schlußfolgerungen gibt, daß es sich um ganz verschiedenartige Argumente handelt Aber das ändert nichts daran, daß sich die Resultate dieser beiden Argumente recht ähnlich sehen. Wenn Kant jedoch in den beiden Teilen zweimal auf verschiedenen Wegen ungefähr dasselbe zeigen wollte, dann ist schwer zu verstehen, wieso er im ersten Teil erst den Anfang einer Deduktion sieht, mit dem deren 'Absicht' noch nicht völlig erreicht sein soll. Es reicht daher zur Lösung des Beweisstrukturproblems nicht, auf irgendwelche Unterschiede in den beiden Teilen der Deduktion hinzuweisen. Man muß entweder zeigen, daß die Resultate der beiden Beweisschritte (entgegen dem ersten Anschein) wesentlich verschieden sind; oder man muß zeigen, daß die aus Kants Perspektive entscheidende Differenz nicht in den Resultaten des Beweises liegt 35 Ich werde nun zunächst auf zwei Motive hinweisen, die für die Strukturierung der B-Deduktion eine Rolle gespielt haben dürften, und dann einen Vorschlag zur Interpretation des Argumentationsverlaufs der B-Deduktion machen, der in wesentlichen Punkten von der Standardinterpretation abweicht.

4. Gründe für die Neubearbeitung der transzendentalen

Deduktion

Wir können zu diesem Zwecke von einem Hinweis ausgehen, den Kant selbst zur Charakterisierung des Unterschiedes der beiden Beweisschritte gibt. In § 21 begründet Kant seine Behauptung, daß mit dem ersten Teil der Deduktion allererst der "Anfang einer D e d u k t i o n der reinen Verstandesbegriffe gemacht" sei, mit dem Hinweis darauf, daß er, "da die Kategorien u n a b h ä n g i g v o n S i n n l i c h k e i t bloß im Verstände entspringen, noch von der Art, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde, abstrahieren" mußte (B 144). Die Art, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben wird, könne daher erst in "der Folge (§ 26)" Henrich hat in seinem Aufsatz über "Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion" (1973) die erste Möglichkeit gewählt. Sein Vorschlag zur Lösung des Bewedsstrukturproblems ist aber mit dem Argumentverlauf des ersten Teils der B-Deduktion unvereinbar. Vgl. dazu meine Bemerkungen in Thöle (1981) S. 305f. und in Tuschling (1984) S. 54ff. u. S. 69ff. Neuerdings scheint Henrich selbst der zweiten Strategie zuzuneigen. Bisher liegen dazu allerdings nur recht vage Andeutungen vor. Vgl. Henrichs Bemerkungen zum Deduktionsbegriff in Tuschling (1984) S. 85ff..

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(B 144) in den Beweisgang eingebracht werden. Aber wieso glaubte Kant - im Unterschied zu dem Verfahren, das er in der Α-Deduktion verfolgte - zunächst von den Bedingungen der Sinnlichkeit abstrahieren zu müssen? Um dies verstehen zu können, ist es nützlich, die Frage aufzuwerfen, in welcher Hinsicht Kant selber die Fassung der ersten Auflage unzulänglich fand. Und dazu ist ein wenig über die kritischen Reaktionen, denen sich Kant in der Zeit zwischen 1781 und 1787 ausgesetzt sah, mitzuteilen. Die hohen Erwartungen, die Kant mit der Veröffentlichung der 'Kritik der reinen Vernunft' verband, wurden bekanntlich enttäuscht Den spärlichen Reaktionen auf das Werk, von dem er sich eine völlige Umänderung der Denkungsart versprochen hatte, mußte Kant entnehmen, daß es ihm nicht gelungen war, sich besonders verständlich zu machen. Und die Klage über die Dunkelheit der KrV konzentrierte sich auf ihren wichtigsten Teil, "welcher gerade der hellste sein müßte": die transzendentale Deduktion (MAdN AA IV S. 474 Anm.). So kann es nicht überraschen, daß Kant alsbald den Plan faßte, diesem Teil seines Werks für eine neue Auflage eine klarere Darstellung zu geben. Die zweifellos berechtigten Klagen über die Dunkelheit "dieses Nervensaftverzehrende[n] Werk[es]" - so Mendelssohn in einem Brief an Kant vom 10. 4. 1783 (AA X S. 306) - sind aber nicht der alleinige Grund für diese neue Bearbeitung. Kant wurde auch hier und da mit Einwendungen konkreterer Art konfrontiert. Am Dienstag, dem 13. Dezember 1785 veröffentlichte die 'Allgemeine Literatur-Zeitung' eine anonyme Rezension der 'Institutiones Logicae et Metaphysicae' des Johann August Ulrich. Der Rezensent, der von Kant als "bester philosophischer Kopf in unserer Gegend" (AA X S. 133) geschätzte Hofprediger Johann Schultz36, findet den "wichtigsten Vorzug, durch welches sich dieses Lehrbuch auszeichnet, und wodurch es zur Zeit in seiner Art einzig ist", in der "beständige[n] Rücksicht, welche dasselbe auf das in allem Betracht so priifungswürdige K a n t s c h e System nimmt, und die scharfsinnige Art, mit welcher der Hr. Verf. letzteres, so weit es ihn überzeugt hat, in sein eignes System zu verweben sucht" (Schultz (1785) S. 297). Die Rezension handelt daher auch ausschließlich von Problemen des "Kantschen Systems". Es wird berichtet, daß "der Hr. Hofrath der Critik der reinen Vernunft bis zur Lehre von den Kategorieen beynahe völlig bey[stimme], ausser dass ihm [...] die meisterhafte Tafel der Kategorieen unvollständig vorkommt" (Schultz (1785) S. 297); - mit der Grenzbestimmung der reinen Vernunft aber sei er nicht einverstanden. Er sei vielmehr der Meinung, daß 36

Zur Autorschaft von Schultz vgl. die Anmerkungen in der Akademieausgabe zu Brief 253 (AA H ü S 157f.). Vgl. auch AA X S 421.

Gründe für die Neubearbeitung der transzendentalen Deduktion

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"die Categorieen nicht bloss auf Erscheinungen, sondern eben sowohl auf D i n g e an s i c h anwendbar, folglich nicht bloß von i m m a n e n t e m , sondern auch vom transcendentem Gebrauch [seien]. Kant, der letzteres leugnet, prädicire sie gleichwohl selbst an vielen Stellen auch von Dingen an sich.[...] [An dieser Stelle muß der] Recensent [...] gestehen, in manchen von diesen Zweifeln des Herrn Hofraths seine eigenen angetroffen zu haben. [Und obgleich] [d]iese Uebereinstimmung [...] noch keine Präsumtion für ihre Richtigkeit [ist], [...] so ist doch wenigstens gewiss, dass diese Zweifel, die kein Unbefangener so ganz unerheblich finden wird, gerade das Hauptfundament des ganzen Kantschen Lehrgebäudes treffen, und dass also letzteres [...] in Ansehung seines eigentlichen Hauptziels noch lange nicht diejenige apodiktische Ueberzeugung mit sich führt, welche zur Abnöthigung einer u n e i n g e s c h r ä n k t e n Annahme desselben erforderlich ist" (Schultz (1785) S. 298).37 Der Vorwurf ist berechtigt. Denn in der ersten Auflage der KrV erweckt Kant nicht selten den Eindruck, als beruhe die Grenzbestimmung des reinen Vemunftgebrauchs darauf, daß ein die Erfahrungsgrenzen überschreitender, transzendenter Vernunftgebrauch deshalb unmöglich sei, weil die reinen Kategorien strenggenommen gar keine Begriffe von Gegenständen seien, und nur die schematisierten Kategorien 'Sinn und Bedeutung' hätten. So heißt es z.B. im Anhang über die 'Amphibolie der Reflexionsbegriffe': "Wenn wir unter bloß intelligiblen Gegenständen diejenigen Dinge verstehen, die durch reine Kategorien, ohne alles Schema der Sinnlichkeit, gedacht werden, so sind dergleichen unmöglich" (A 286/B 342).

Und in der transzendentalen Dialektik: "selbst die Begriffe von Realität, Substanz, Kausalität, ja sogar der Notwendigkeit im Dasein, verlieren alle Bedeutung, und sind leere Titel zu Begriffen, ohne allen Inhalt, wenn ich mich außer dem Felde der Sinne damit hinauswage" (A 679/B 707). "Denn alle Kategorien [...] haben gar keinen Sinn, wenn sie nicht auf Objekte möglicher Erfahrung, d.i. auf die Sinnenwelt angewandt werden. Außer diesem Felde sind sie bloß Titel zu Begriffen" (A 696/B 724). Wir wissen, daß Kant diese Rezension gelesen und offenbar sehr emst genommen hat Denn anders ist kaum zu erklären, wieso er entgegen seiner Gewohnheit in einer langen Anmerkung zu den 1786 erschienenen 'Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft' ausführlich auf sie eingeht. Eben der Punkt, "in welchefm] der tiefforschende Recensent mit seinem nicht minder prüfenden Verfasser übereinzukommen sich erklärt" (ΛΑ IV S. 474 Anm.), veranlaßt ihn zu einer ausfuhrlichen Auseinandersetzung mit der Rezension. In dieser Anmerkung finden wir nicht nur zum ersten Mal eine Bestimmung des Kategorienbegriffs, die genau mit der 'Erklärung', die Kant in der zweiten Auflage gibt, übereinstimmt - Kant kündigt auch an, daß er "die nächste Gelegenheit ergreifen werde", den Mangel der "Dunkelheit, die diesem Teile der Deduktion [sc. der die Frage: wie nun Erfahrung vermittels jener Kategorien und nur allein durch dieselben möglich sei] [...] anhängt, und die ich nicht in Abrede ziehe" zu "ergänzen". Denn diese "Aufgabe, obgleich auch ohne sie das Gebäude fest steht, hat indessen große Wichtigkeit und, wie ich es jetzt einsehe, eben so große Leichtigkeit, da sie beinahe durch einen einzigen Schluß aus der genau bestimmten Definition des U r t he il s überhaupt [...] verrichtet werden kann" (AA TV S. 475f. Anm.). Es kann also kein Zweifel sein, daß dieser Rezension eine wichtige Rolle für die Neukonzeption der Deduktion zukommt

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Die Liste ließe sich fortsetzen. Kant merkte aber bald, daß er mit solchen Äußerungen weit über sein Ziel hinausgeschossen war. So verwundert es nicht, daß er die erste der zitierten Stellen in seinem Exemplar der ersten Auflage selbst korrigiert hat: Anstelle von "gedacht" fügt er ein: "von uns erkannt" (AA ΧΧΠΙ S. 49).38 Das hat einen guten Grund. Denn jene intelligiblen Gegenstände, die er an dieser Stelle für unmöglich erklärt hatte, nahm er im Rahmen seiner praktischen Philosophie in Anspruch: Zwar hält Kant auch dort an der Unerkennbaikeit der Dinge an sich fest; aber wenn wir uns im praktischen Gebrauch der Vernunft als frei handelnd denken wollen, müssen wir uns als "Glieder in der Verstandeswelt" (GMS AA IV S. 453) zumindest denken können39 und eben dazu müssen wir die reinen Kategorien in problematischen Urteilen auf Dinge an sich anwenden können. Der Hr. Hofrat hatte also zu recht auf eine Unstimmigkeit in Kants Bemerkungen über den transzendenten Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe hingewiesen. Kant kommt ausführlich auf dieses "Rätsel der Kritik, wie man dem übersinnlichen G e b r a u c h e d e r K a t e g o r i e n in der Spekulation objektive R e a l i t ä t a b s p r e c h e n und ihnen doch in Ansehung der Objekte der reinen praktischen Vernunft diese R e a l i t ä t z u g e s t e h e n könne" (KpV AA V S 5), in der ein Jahr nach der zweiten Auflage der KrV publizierten 'Kritik der praktischen Vernunft' zu sprechen: "Aber wie wird es mit der Anwendung dieser Kategorie der Kausalität (und so auch aller übrigen [...]) auf Dinge, die nicht Gegenstände möglicher Erfahrung sind, sondern über dieser ihre Grenze hinaus liegen? Denn ich habe die objektive Realität dieser Begriffe nur in Ansehung der G e g e n s t ä n d e m ö g l i c h e r E r f a h r u n g deduzieren können. Aber ebendieses, daß ich sie auch nur in diesem Falle gerettet habe, daß ich gewiesen habe, es lassen sich dadurch doch Objekte denken, obgleich nicht a priori bestimmen: dieses ist es, was ihnen einen Platz im reinen Verstände gibt, von dem sie auf Objekte überhaupt (sinnliche oder nicht sinnliche) bezogen werden. Wenn etwas noch fehlt, so ist es die Bedingung der A n w e n d u n g dieser Kategorien, und namentlich der der Kausalität, auf Gegenstände, nämlich die Anschauung, welche, wo sie nicht gegeben ist, die Anwendung zum B e h u f d e r t h e o r e t i s c h e n Erkenntnis des Gegenstandes als Noumenon unmöglich macht, die also, wenn es jemand darauf wagt (wie auch in der Kritik der reinen Vernunft geschehen), gänzlich verwehrt wird, indessen daß doch immer die objektive Realität des Begriffs bleibt, auch von Noumenen gebraucht werden kann, aber ohne diesen Begriff theoretisch im mindesten bestimmen und dadurch eine Erkenntnis bewirken zu können. Denn daß dieser Begriff auch in Beziehung auf ein Objekt nichts Unmögliches enthalte, war dadurch bewiesen, daß ihm

38 39

Vgl. auch Kants Nachträge LVm zu A 139 und LXI zu A 147 (AA ΧΧΙΠ S. 27). Kants Deduktion des Sittengesetzes beruht eben darauf, daß wir uns notwendig als "zur Verstandeswelt gehörig ansehen" und insofern unseren Willen "als unter der Idee der Freiheit denken" müssen (GMS AA IV S. 452).

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sein Sitz im reinen Verstände bei aller Anwendung auf Gegenstände der Sinne gesichert war" (KpV AA VS. 54).

Eben in bezug auf diesen Punkt preist Kant dann auch "jene mühsame D e d u k t i o n der Kategorien" als "höchst nötig" und "ersprießlich für Theologie und Moral" (KpV AA V S. 141). Das hätte er von der Version der ersten Auflage schwerlich sagen können. Die zweite Auflage ist aber ganz unter diesem Gesichtspunkt konzipiert: Ausdrücklich meikt er in der B-Deduktion an - nachdem er deren "Resultat" in dem Satz: " F o l g l i c h i s t u n s k e i n e E r k e n n t n i s a priori m ö g l i c h , a l s l e d i g l i c h von Gegens t ä n d e n m ö g l i c h e r E r f a h r u n g " ( B 166),zusammengefaßthat-: "Damit man sich nicht voreiligerweise an den besorglichen nachteiligen Folgen dieses Satzes stoße, will ich nur in Erinnerung bringen, daß die Kategorien im D e n k e n durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben, und ms1 das Erkennen dessen, was wir uns denken, das Bestimmen des Objekts, Anschauung bedürfe, wo, beim Mangel der letzteren, der Gedanke vom Objekte übrigens noch immer seine wahren und nützlichen Folgen auf den V e r n u n f t g e b r a u c h des Subjekts haben kaim, der sich aber, weil er nicht immer auf die Bestimmung des Objekts, mithin aufs Erkenntnis, sondern auch auf die des Subjekts und dessen Wollen gerichtet ist, hier noch nicht vortragen läßt" (B 166 Anm. vgl. KpV AA V S. 141).

Damit haben wir bereits ein erstes mögliches Motiv für die Zweiteilung der B-Deduktion. Wenn in der Deduktion den reinen Verstandesbegriffen durch Sicherung ihres Ursprungs a priori ein "unbegrenztes Feld" offengehalten werden soll, so mußte Kant, da die Kategorien "unabhängig von Sinnlichkeit bloß im Verstände entspringen, [zunächst] noch von der Art, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde, abstrahieren" (B 144). Damit aber war ein Verfahren, wie er es noch in der ersten Auflage verfolgte, ausgeschlossen: Die Kategorien können nun nicht einfach als die die Erfahrungserkenntnis ermöglichenden Regeln a priori eingeführt werden. Es muß von den reinen Kategorien gezeigt werden, daß sie zwar nicht zur theoretischen Erkenntnis der Dinge an sich gebraucht werden können, gleichwohl aber unabhängig von der Anwendung auf unsere Formen der Sinnlichkeit Bedeutung haben. Wenn Überlegungen dieser Art für Kants neues Beweisverfahren bestimmend waren, so läßt sich auch eine Vermutung zu der Frage, inwiefern das Beweisresultat des ersten Schrittes hinter Kants Beweisziel in der Deduktion zurückbleibt, anstellen. In der Deduktion muß dann nämlich mindestens zweierlei gezeigt werden. Erstens muß der Nachweis geführt werden, daß die Kategorien "unabhängig von Sinnlichkeit bloß im Verstände entspringen" (B 144), und dazu muß zu-

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nächst von der Art unserer Anschauungsformen abstrahiert werden. Dieser Nachweis geschieht dadurch, daß gezeigt wird, daß die Kategorien Begriffe a priori von Gegenständen überhaupt sind, indem 1. gezeigt wird, daß wir die Fähigkeit haben, zu allen unseren Vorstellungen Gegenstände zu denken, und 2., daß diese Fähigkeit auf das "Prinzip alles Verstandesgebrauchs" (nämlich die Einheit der Apperzeption) (B 136) zurückzuführen ist. Wir können dann das Beweisziel des ersten Teils so verstehen, daß lediglich behauptet wird, daß wir die Fähigkeit haben, alle unsere Vorstellungen im Begriff eines (empirischen) Objekts zu verbinden, und daß dies nur möglich ist durch Anwendung der Kategorien. Damit aber ist noch nicht ausgeschlossen, daß die Kategorien nicht gleichwohl ganz leere Begriffe sind "und überall unter den Erscheinungen keinen Gegenstand antreffefn]" (A 90/B 122). Solange Kant von den Bedingungen, unter denen uns Gegenstände gegeben werden können, abstrahiert, ist es auch gar nicht möglich, diese weitergehende Frage zu beantworten. Dies geschieht daher auch erst im zweiten Teil der B-Deduktion. Kant hat den Einwand von Ulrich und Schultz zu den "erheblichsten Einwürfe[n] wider die Kritik, die mir bisher vorgekommen sind," gezählt (KpV AA V S. 6). Die Rezension enthält aber noch einen zweiten wichtiger Einwand: Schultz kann "nicht umhin, bey dieser Gelegenheit wenigstens einige Gedanken zu weiterer Untersuchung hinzuzusetzen. K a n t deducirt die objective Realität der Kategorieen [...] daher, weil ohne dieselbe keine E r f a h r u n g möglich wäre. Nun versteht er unter Erfahrung bald blosse W a h r n e h m u n g s u r t h e i l e , [...] bald E r f a h r u n g s u r t h e i l e [...]. Also würde in der erstem Bedeutung des Worts der Sinn seiner Deduction dieser seyn: ohne objective Realität der Kategorieen sind keine W a h r n e h m u n g s u r t h e i l e möglich. In diesem Sinne nimmt er wirklich den Satz an vielen Orten [...]. Allein, wenn ich nichts wahrnehmen kann, ohne meine empirische Vorstellungen erst unter eine objectivgültige Kategorie zu bringen, heist das eben so viel, als: um e m p i r i s c h urtheilen zu können, muss ich erst a p r i o r i und zwar synthetisch urtheilen? z.B. um sagen zu können: wenn die Sonne scheint, so wird der Stein warm, müsste ich erst wissen, dass der Sonnenschein die U r s a c h e von der Wärme des Steins sey. Ausserdem aber würde sich Kant hier selbst widersprechen, da er [...] ausdrücklich sagt: die Wahrnehmungsurtheile bedürfen keiner reinen V e r st ande s b e g r i f f e, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subject. Versteht man dagegen unter der Erfahrung ein E r f a h r u n g s u r t h e i l ; s o würde die Kantsche Deduction diesen Sinn haben: ohne objective Realität der Kategorieen ist kein E r f a h r u n g s u r t h e i l möglich, und dieses scheint ihr wahrer Sinn seyn zu sollen, indem Kant immer darauf dringt, dass, wenn die Kategorieen keine nothwendige Beziehung auf Erscheinungen hätten, alle unsere Wahrnehmungen ein regelloser Haufe seyn würden, aus welchen wir gar kein Erkenntniss zusammen setzen könnten. Allein, wenn uns nicht alles trügt, so sagt der obige Satz nichts weiter als dieses: wenn die Kategorieen keine nothwendige Beziehung auf Erscheinungen, d.i. in ihnen keine o b j e c t i v e G ü l t i g k e i t hätten, so würden wir von letz-

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tern nie a p r i o r i , d.i. allgemein oder o b j e c t i v g t l l t i g urtheilen können [...]. Allein ist dieser Satz nicht, wie schon Hr. Hofrath anmerkt, in der Thai i d e n t i s c h ? Bestand nicht eben das ganze Vorgehen des Hume darin, dass wir nie a p r i o r i sagen könnten: auf A müsse Β n o t h w e n d i g folgen. Und wollte der vortrefliche Kant uns nicht eben erst ü b e r z e u g e n , dass wir zu dergleichen allgemeinen Erfahrungsurtheilen a l l e r d i n g s befugt sind? Man darf indessen noch kein sceptischer Hume seyn, um dieses zu bezweifeln. Gesetzt die Erscheinungen wären in der That ein regelloser Haufe, ein blosses Aggregat von S i m u l t a n e i s und S u c c e s s i v i s , das uns bloss darum regelmässig erschiene, weil ihr Daseyn, den Raum- und Zeitverhältnissen nach, durch den Willen des Schöpfers aufs weiseste dergestalt p r ä s t a b i l i r t , dass auf gewisse Erscheinungen (die ohnehin nichts weiter als Vorstellungen in uns, oder gewisse Modificationen unsers Bewustseyns sind) immerfort gewisse andere aufs ordentlichste folgten, ohne dass zwischen den Erscheinungen selbst die mindeste r e a l e Verknüpfung vorhanden wäre; so wären die Kategorieen der U r s a c h e und G e m e i n s c h a f t auf die Erscheinungen der Natur gar nicht anwendbar, und unser Verstand würde in diesem Falle, anstatt der Natur ihre Gesetze vorzuschreiben, vielmehr ihre bloss scheinbare Gesetzmässigkeit von ihr bloss durch Wahrnehmung a p o s t e r i o r i ablernen. Doch diese Gedanken seyn bloss zur Prüfung hingeworfen" (Schultz (1785) S. 299). 40

Erdmann (1878b S. 110), der als erster auf die Bedeutung dieser Rezension hingewiesen hat, übergeht erstaunlicherweise gerade einen der wichtigsten hier angesprochenen Punkte: den Hinweis auf Kants (scheinbar) widersprüchliche Einstellung zu der Frage, ob auch Wahmehmungsurteilen reine Verstandesbegriffe enthalten müssen. In den Prolegomena' hatte Kant behauptet, daß die Wahmehmungsurteile "keines reinen Verstandesbegriffs" bedürfen (Pr. § 18 AA IV S. 298). Auf diese Äußerung bezieht sich Schultz offenbar, wenn er Kant für den Fall, daß die Kategorien als Bedingungen möglicher Wahrnehmung deduziert werden sollen, einen Selbstwiderspruch vorwirft Nun hatte Kant aber in der Α-Deduktion eben dies behauptet: Die in den Kategorien gedachte "objektive Einheit alles (empirischen) Bewußtseins in einem Bewußtsein (der ursprünglichen Apperzeption) ist [...] die notwendige Bedingung sogar aller möglichen Wahrnehmung" (A 123). Wir können also davon ausgehen, daß Kant mit einem der Hauptprobleme unserer im zweiten Kapitel erstellten Problemliste spätestens 1785 konfrontiert worden ist. Damit hängt ein anderer wichtiger, in der Rezension angesprochener Punkt zusammen: die Frage nach dem Beweisanspruch der transzendentalen Deduktion. Schultz konfrontiert Kant mit einem Dilemma: Entweder er deduziert seine Kategorien als Bedingungen der Wahrnehmung, dann gerät er in Widerspruch zur Theorie der 'Prolegomena'; oder er deduziert sie als Bedin^

Dieser zuletzt angesprochene Punkt hat Kant noch lange beschäftigt. In der B-Deduktion kommt er in § 27 auf ihn zu sprechen. Vgl. aber auch die wichtigen diesbezüglichen Bemerkungen in AA XIS. 41 u. S. 52, sowie AA VID S. 248f..

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gungen möglicher Erfahrungsurteile; dann wird das Resultat trivial, weil dabei ein extrem starker Objektbegriff vorausgesetzt wird.41 Damit ist Kant mit der Frage nach den Prämissen seiner Deduktion konfrontiert: Er muß sich entscheiden, ob er die Kategorien als Bedingungen jeden Bewußtseins oder nur als Bedingungen der objektiven Erfahrungserkenntnis deduzieren will. Angesichts dieser Sachlage ist die Hypothese wohl nicht allzu gewagt, daß Kant damit auch mit dem Problem der subjektiven Vorstellungen konfrontiert wurde. Denn in den 'Prolegomena' hatte er ja ausdrücklich die Möglichkeit nicht-objektivierbarer Vorstellungen zugelassen. Man wird wohl annehmen können, daß Kant versucht hat, diese Punkte im Rahmen der neuen Bearbeitung seiner transzendentalen Deduktion zu berücksichtigen. Wir wenden uns nun dem zweiten Teil der B-Deduktion zu, um zu sehen, ob und in welchem Umfang sich diese Erwartungen bestätigen lassen.

5. Der zweite Teil der B-Deduktion Wir haben gesehen, daß Kant behauptet, daß mit dem ersten Teil das Ziel der Deduktion noch nicht erreicht ist. Darüber hinaus hat sich gezeigt, daß der Beweis, den Kant im ersten Teil vorträgt, der Sache nach hinter den von der Standardinterpretation geweckten Erwartungen zurückbleibt: Es folgt bestenfalls, daß wir uns die Gegenstände unserer Vorstellungen als unter Kategorien stehend denken müssen, wenn wir uns der Identität unserer selbst in diesen Vorstellungen bewußt werden wollen. Es liegt also nahe zu vermuten, daß Kant im ersten Teil auch nur dies zeigen wollte. Und diese Annahme fügt sich auch gut in das Bild ein, das wir eben von der Problemkonstellation gezeichnet haben, mit der Kant zwischen 1781 und 1787 konfrontiert wurde. Es gibt aber darüber hinaus auch direkte Hinweise im Text der B-Deduktion, die unsere Annahme stützen, daß Kant selbst die Unvollständigkeit des ersten Teils darin gesehen hat, daß dort lediglich gezeigt wird, daß wir unsere Vorstellungen durch Subsumtion unter Kategorien in Gedanken auf Objekte beziehen können, ohne daß damit die Wahrheit solcher Urteile bereits feststeht. Da Kant im ersten Teil von den Bedingungen, unter denen uns das Mannigfaltige gegeben wird, noch abstrahiert, ist auch gar nicht zu sehen, wie er etwas über die Wahrheit solcher Urteile sagen könnte. Es ist ja noch nicht einmal klar, worin die Wahrheitsbedingungen solcher Urteile bestehen. Bevor also die Frage erörtert werden kann,

Auch hier stützt sich Schultz offenbar auf die Charakterisierung der Erfahrungsuiteile aus den 'Prolegomena'.

Der zweite Teil der B-Deduktion

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ob es Erscheinungen gibt, die unter Kategorien subsumierbar sind, ist zunächst zu klären, wie die den Kategorien entsprechenden Anschauungen überhaupt beschaffen sein müssen. Nun haben wir bereits darauf hingewiesen, daß in Kants Argument in § 26 die Einheit von Raum und Zeit eine zentrale Rolle spielt. In § 17 gibt Kant einen ersten Hinweis, inwiefern die Einheit von Raum und Zeit wichtig ist: "Der Raum und die Zeit und alle Teile derselben sind A n s c h a u u n g e n [...], [die] viel Vorstellungen als in einer, und deren Bewußtsein, enthalten, [und in denen] die Einheit des Bewußtseins, als s y n t h e t i s c h , aber doch ursprünglich angetroffen wird. Diese Einzelnheit derselben ist wichtig in der Anwendung" (B 136 Aran.).

Nimmt man die Überschriften der §§ 22, 24 und 26 hinzu, so bestätigt sich die Vermutung, daß es in diesen Paragraphen um die "Anwendung" (B 146; vgl. Β 150) der Kategorien auf Gegenstände der Erfahrung, um ihren "Gebrauch zum Erkenntnis" (B 146) der Dinge, um die Erklärung ihres "allgemein möglichen Erfahrungsgebrauchs" (B 159) geht Unmittelbar im Anschluß an § 21, in dem Kant erklärt hatte, daß die Deduktion noch nicht vollendet sei, finden wir die folgende Bemerkung: "Sich einen Gegenstand d e n k e n , und einen Gegenstand erkennen, ist also nicht einerlei. Zum Erkenntnisse gehören nämlich zwei Stücke: erstlich der Begriff, dadurch überhaupt ein Gegenstand gedacht wird (die Kategorie), und zweitens die Anschauung, dadurch er gegeben wird; denn, könnte dem Begriffe eine korrespondierende Anschauung gar nicht gegeben werden, so wäre er ein Gedanke der Form nach, aber ohne allen Gegenstand, und durch ihn gar keine Erkenntnis von irgendeinem Dinge möglich; weil es, soviel ich wüßte, n i c h t s g ä b e , noch geben k ö n n t e , worauf mein Gedanke angewandt werden könne. Nun ist alle uns mögliche Anschauung sinnlich [...], also kann das Denken eines Gegenstandes überhaupt durch einen reinen Verstandesbegriff bei uns nur Erkenntnis werden, sofern dieser auf Gegenstände der Sinne bezogen wird" (B 146).

Das Resultat des ersten Beweisschrittes ist also so zu verstehen, daß wir mit den Kategorien das Vermögen haben, zu all unseren Vorstellungen einen Gegenstand zu denken. Aber es ist damit noch ganz offen, ob solchen Gedanken ein wirklich existierender Gegenstand entspricht. Denn zur Erkenntnis eines Objekts gehört außer dem Begriffe eines Gegenstandes noch eine dem "Begriffe [...] korrespondierende Anschauung" (B 146). Bevor Kant die Frage beantworten kann, ob den Kategorien eine korrespondierende Anschauung gegeben werden kann, muß zunächst untersucht werden, wie Anschauungen, die den Kategorien korrespondieren sollen, beschaffen sein müssen. Es muß also nach der "Bedingung der Α η w e η d u η g der Kategorien" (KpV AA V S. 54) auf gegebene Erscheinungen gefragt werden, d.h. es muß untersucht werden, worin die Wahrheitsbedingungen kategorialer Urteile bestehen.

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

5.1. Die Frage nach den Anwendungsbedingungen der Kategonen Dieser Frage wendet sich Kant folgerichtig auch in dem "Von der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne überhaupt" handelnden § 24 zu: "Die reinen Vexstandesbegriffe beziehen sich durch den bloßen Verstand auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, unbestimmt ob sie die unserige oder irgendeine andere, doch sinnliche, sei, sind aber eben darum bloße G e d a n k e n f o r m e n , wodurch noch kein bestimmter Gegenstand erkannt wird. [...] Weil in uns aber eine gewisse Form der sinnlichen Anschauung a priori zum Grunde liegt, [...] so kann der Verstand, als Spontaneität, den inneren Sinn durch das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen der synthetischen Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen, und so synthetische Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der s i n n l i c h e n A n s c h a u u n g a priori denken, als die Bedingung, unter welcher alle Gegenstände unserer [...] Anschauung notwendigerweise stehen müssen" (B 150).

Die Einzelheiten von Kants Überlegung sind ziemlich undurchsichtig. Immerhin ist soviel klar: In § 24 geht es um die Frage, wie die reinen Verstandesbegriffe auf das sinnlich Gegebene angewandt werden können. In § 22 hatten wir bereits lesen können, daß die Verstandesbegriffe nur dann Erkenntnis liefern, wenn ihnen eine "korrespondierende Anschauung" gegeben werden kann (B 146). Daher stellt sich nun für Kant die Frage, wie es überhaupt möglich ist, daß es so etwas wie ein anschauliches Korrelat zu der "bloß rein intellektual[en]" Synthesis, die in den Kategorien gedacht wird (B 150), geben kann. Kant versucht deshalb zu zeigen, daß es eine der in den Kategorien gedachten intellektualen Synthesis korrespondierende "figürliche Synthesis" (Β 151) gibt, durch die die Einbildungskraft "den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen kann" (B 152). Diese Möglichkeit soll 1. darauf, daß wir über Anschauungsformen a priori verfügen, und 2. auf der Theorie der Selbstaffektion beruhen: Indem der Verstand auf die Verbindung achtet, die er im Urteil denkt, "bestimmt [er] darin jederzeit den inneren Sinn der Verbindung, die er denkt, gemäß, zur inneren Anschauung, die dem Mannigfaltigen in der Synthesis des Verstandes korrespondiert" (B 157 Anm; vgl. Β 154): "Das, was den inneren Sinn bestimmt, ist der Verstand und dessen ursprüngliches Vermögen das Mannigfaltige der Anschauung zu verbinden, d.i. unter eine Apperzeption (als worauf selbst seine Möglichkeit beruht) zu bringen. Weil nun der Verstand in uns Menschen selbst kein Vermögen der Anschauungen ist, [...] so ist seine Synthesis, wenn er für sich allein betrachtet wird, nichts anderes, als die Einheit der Handlung, deren er sich, als einer solchen, auch ohne Sinnlichkeit bewußt ist, durch die er aber selbst die Sinnlichkeit innerlich in Ansehung des Mannigfaltigen, was der Form ihrer Anschauung nach ihm gegeben werden mag, zu bestimmen vermögend ist. Er also übt, unter der Benennung einer t r a n s z e n d e n t a l e n S y n -

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t h e s i s d e r E i n b i l d u n g s k r a f t , diejenige Handlung aufs p a s s i v e Subjekt, dessen V e r m ö g e n er ist, aus, wovon wir mit Recht sagen, daß der innere Sinn dadurch affiziert werde" (B 153f.).

Durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft kann der "Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß" (B 152) bestimmt werden, und diese Bestimmung ist eine "Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung" (B 152). Das ist ein ziemlich abstraktes Argument, und die ihm zugrundeliegende Theorie der Selbstaffektion ist reichlich obskur. Wir können jedoch soviel festhalten, daß Kant offenbar meint, daß wir uns aufgrund der Möglichkeit der Selbstaffektion ein anschauliches Korrelat der in der Kategorie gedachten Verbindung verschaffen können. Dabei handelt es sich um eine Bestimmung des reinen Mannigfaltigen der Zeit. Diese reinen Zeitbestimmungen dienen als Grundlage für die Anwendung der Kategorien (vgl. z.B. A 139f./B 178f. u. A 142/B 181; vgl. auch AA XI S. 316). Diese "erste Anwendung" des Verstandes auf das sinnlich Gegebene (B 152) liefert aber noch keine Erkenntnis: " D i n g e in R a u m und Z e i t werden [...] nur gegeben, sofern sie Wahrnehmungen (mit Empfindung begleitete Vorstellungen) sind, mithin durch empirische Vorstellung. Folglich verschaffen die reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen a priori [...] angewandt werden, nur sofern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können." (B 147)

Die durch die produktive Einbildungskraft hervorgebrachten reinen Zeitbestimmungen stellen nur die formalen Bedingungen vor, unter denen die Kategorien auf das empirisch gegebene Mannigfaltige angewandt werden können. Wie ist nun die 'zweite Anwendung' der Kategorien auf die empirische Anschauung 'vermittelst' der reinen Zeitbestimmungen zu denken? Wenn wir den Ausführungen Kants im Rahmen des synthetischen Arguments in der 2. Analogie folgen, können wir folgende Vermutung anstellen: Das reine anschauliche Korrelat der Kausalitätskategorie besteht in der notwendigen Ordnung der aufeinander folgenden Zeitabschnitte. Die Anwendung der Kategorie auf die gegebenen Erscheinungen "geschieht nun dadurch, daß er [sc. der Verstand] die Zeitordnung auf die Erscheinungen [...] überträgt" (A 199/B 245). Da diese Zeitbestimmung der Erscheinungen aber "nicht von dem Verhältnis der Erscheinungen gegen die absolute Zeit entlehnt werden [kann], [...] müssen [die Erscheinungen] einander ihre Stellen in der Zeit selbst bestimmen" (A 200/ Β 245). Wenn Erscheinungen also so beschaffen sind, daß durch sie diese notwendige Folgeordnung der Zeit repräsentiert werden kann, sind sie unter die Kategorie des Kausalveriiältnisses subsumierbar.

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Diese Theorie über die Anwendung der Kategorien auf die uns gegebenen Erscheinungen ist nicht nur ziemlich obskur, sie gibt auch auf die Frage, welches denn nun die Anwendungsbedingungen der einzelnen Kategorien sind, keine Antwort Wir erfahren lediglich, daß es zu jeder Kategorie ein Korrelat in der reinen Anschauung gibt, und daß es sich dabei um reine Zeitbestimmungen handelt. Zwar finden wir im Schematismuskapitel dann eine Aufzählung der wichtigsten Schemata. Aber auch dort schweigt sich Kant darüber aus, wie er zu der Zuordnung der Schemata zu den Kategorien kommt: "Ohne uns nun bei einer trockenen und langweiligen Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schern aten reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird, aufzuhalten, wollen wir sie lieber nach der Ordnung der Kategorien und in Verknüpfung mit diesen darstellen" (A 142/B 181).

Das ist eine faule Ausrede. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß Kant auch noch nach der Publikation der zweiten Auflage mit der Theorie der Schematisierung der Kategorien nicht klar gekommen ist. 42 So wäre es wohl besser gewesen, wenn er auf seine sonderbare Theorie der Selbstaffektion hier ganz verzichtet und sich stattdessen die Frage vorgelegt hätte, unter welchen Bedingungen es möglich ist, empirische Objekte in Raum und Zeit objektiv zu bestimmen. Die bei einer solchen Untersuchung ermittelten Bedingungen hätte er dann den einzelnen Kategorien zuordnen können. Damit wäre der Nachweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien auch von der problematischen Abhängigkeit von der metaphysischen Deduktion befreit worden. Kants Ausführungen zum Problem der Anwendungsbedingungen der Kategorien sind unter sachlichen Gesichtspunkten betrachtet ziemlich unbefriedigend. Es geht uns aber im gegenwärtigen Zusammenhang nicht in erster Linie um die Frage, wie überzeugend Kants Ausführungen der Sache nach sind. Es kommt vielmehr darauf an zu erkennen, was Kant in der B-Deduktion aus welchen Prämissen herzuleiten beabsichtigt. Daß es Kant in den §§ 24 und 25 aber um die Frage der Anwendungsbedingungen der Kategorien ging, ist trotz der Undurchsichtigkeit der Argumentation deutlich geworden. Wir haben nun eine Reihe von Indizien zusammengetragen, die die Vermutung stützen, daß Kant im ersten Teil der B-Deduktion nur zeigen wollte, daß

Diese Vermutung wird bestätigt durch eine hübsche Passage in Kants Brief an J. S. Beck vom 1. Juli 1794. Nachdem Kant einige ziemlich undurchsichtige Kommentare zum Schematismusproblem gemacht hat, fahrt er fort: "Ich bemerke, indem ich dieses hinschreibe, daß ich mich nicht einmal selbst hinreichend verstehe und werde Ihnen Glück wünschen, wenn sie diese einfache dünne Fäden unseres Erkenntnisvermögens in genugsam hellen Lichte darstellen können." (AA XIS. 515)

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wir unsere Vorstellungen in (problematischen) Urteilen auf Objekte beziehen können, und daß dieses dadurch geschieht, daß die gegebenen Vorstellungen als unter Kategorien stehend gedacht werden; in den §§ 24/25 der B-Deduktion versucht Kant folgerichtig zu zeigen, daß der in der Kategorie gedachten Verbindung ein anschauliches Korrelat entspricht, so daß Erscheinungen dann wirklich unter Kategorien stehen, wenn sie so beschaffen sind, daß durch sie das anschauliche Korrelat der Kategorie repräsentiert werden kann. Zum Beweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien fehlt dann nur noch der Nachweis, daß es wirklich solche Erscheinungen gibt Es ist zu erwarten, daß Kant ebendies in § 26, dem wir uns jetzt zuwenden wollen, versucht nachzuweisen.

5.2. Kants Argument in § 26 Die Kernpunkte des zweiten Beweisschrittes faßt Kant in den folgenden Sätzen zusammen: (1)

Die Synthesis der Apprehension ist "die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung [...], dadurch Wahrnehmung, d.i. empirisches Bewußtsein derselben, (als Erscheinung) möglich wird" (B 160).

(2)

Da Raum und Zeit Formen der Anschauung sind, muß ihnen "die Synthesis der Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung jederzeit gemäß sein, weil sie selbst nur nach dieser Form geschehen kann" (B 160).

(3)

"Aber Raum und Zeit sind nicht bloß als F o r m e n der sinnlichen Anschauung, sondern als A n s c h a u u n g e n selbst (die ein Mannigfaltiges enthalten) also mit der Bestimmung der E i n h e i t dieses Mannigfaltigen in ihnen a priori vorgestellt" (B 160).

(4)

"Also ist selbst schon E i n h e i t d e r S y n t h e s i s des Mannigfaltigen, außer oder in uns, mithin auch eine V e r b i n d u n g , der alles, was im Räume oder der Zeit bestimmt vorgestellt werden soll, gemäß sein muß, a priori als Bedingung der Synthesis aller A p p r e h e n s i o n schon mit (nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben" (B 160f.).

(5)

"Diese synthetische Einheit aber kann keine andere sein, als die der Verbindung des Mannigfaltigen einer gegebenen A n s c h a u u n g überhaupt in einem ursprünglichen Bewußtsein, den Kategorien

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Selbstbewußtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

gemäß, nur auf unsere s i n n l i c h e

Anschauung angewandt"

(B 161).

(6)

"Folglich steht alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien" (B 161);

(7)

"da Erfahrung Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen ist,"

(8)

"so sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, und

(9)

gelten also a priori auch von allen Gegenständen der Erfahrung" (B 161).

Ich habe bereits im zweiten Kapitel darauf hingewiesen, daß Henrichs Vorschlag zur Auflösung des Beweisstrukturproblems eine auf den ersten Blick recht plausible Interpretation dieses Arguments gibt Danach argumentiert Kant in folgender Weise: "Wo immer wir Einheit finden, da ist diese Einheit durch die Kategorien ermöglicht und in Beziehung auf sie determiniert. [Vgl. Schritt (5); Resultat des ersten Teils der B-Deduktion] Nun haben wir aber im Falle unserer Vorstellungen von Raum und Zeit Anschauungen, die Einheit enthalten [Vgl. Schritt (3); Resultat der transzendentalen Ästhetik] und die zugleich a l l e s in sich einschließen, was unseren Sinnen nur vorkommen kann. Denn sie haben ja ihren Grund in den Formen unserer Sinnlichkeit, außerhalb deren uns keine Vorstellungen gegeben werden können. Wir können also sicher sein, daß alles gegebene Mannigfaltige ausnahmslos den Kategorien unterworfen ist" (Henrich (1973) S. 94).

Obwohl die Skizze, die Henrich hier von Kants Argument in § 26 gibt, gut zu Kants Ausführungen zu passen scheint, hatten sich bereits erste Zweifel an ihrer Angemessenheit ergeben. Nach Henrichs Interpretation muß Kant nämlich implizit von einer alles andere als selbstverständlichen Zusatzprämisse Gebrauch machen: daß sich die Einheit von Raum und Zeit auf alles in Raum und Zeit Vorgestellte überträgt.43 Henrichs Rekonstruktion hatte weiterhin die unangenehme Folge, daß die Kategorien bereits als Bedingungen der Wahrnehmung aufgefaßt werden müssen. Und damit ergab sich nicht nur ein Wider-

Wie plausibel diese Voraussetzung ist, kann man wohl erst beurteilen, wenn geklärt ist, was unter der Einheit von Raum und Zeit zu verstehen ist. Allgemein betrachtet ist es sicherlich unzutreffend, daß sich jede Einheitseigenschah von Raum und Zeit auf das in ihnen Vorgestellte automatisch überträgt. So folgt z.B. aus der von Kant in der 2. Analogie in Anspruch genommenen notwendigen Folgeordnung der Zeitabschnitte sicherlich nicht unmittelbar, daß die zu diesen Zeiten auftretenden Ereignisse notwendig unumkehrbar sind. Vgl. oben S. 207.

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spruch zu Kants Behauptungen im Grundsatzkapitel,44 sondern auch eine Variante des Problems der subjektiven Vorstellungen. Es wäre daher besser, wenn sich das Argument anders verstehen ließe. Nun lag der Grund dieser Schwierigkeit darin, daß Henrich meint, daß alles, was in Raum und Zeit vorgestellt wird, dadurch auch an der (objektiven) Einheit von Raum und Zeit 'teilhat'. Wenn aber alles, was in Raum und Zeit wahrgenommen wird, durch die Synthesis der Apprehension bereits zu einer objektiven Einheit gebracht wird, dann kann es kein subjektives Wahrnehmungsbewußtsein geben. Wir wären dann erneut mit dem Dilemma konfrontiert, die objektive Einheit entweder in einem so schwachen Sinn zu verstehen, daß auch Träume und Einbildungen als objektive Einheiten gelten können, oder Kant die unsinnige Position zuzuschreiben, daß es Träume und Einbildungen gar nicht geben kann. Aus diesem Dilemma kann man nur dann herauskommen, wenn man den Zusammenhang zwischen der Einheit von Raum und Zeit einerseits und der Synthesis der Apprehension andererseits indirekter deuten kann, als dies in Henrichs Interpretation geschieht. Wenn wir den Text des § 26 genauer betrachten, stellen wir fest, daß Kant gar nicht behauptet, daß dem empirischen Mannigfaltige schon dadurch, daß es in Raum und Zeit angeschaut wird, selber Einheit zukommt. Er sagt lediglich, daß "alles, was im Räume oder in der Zeit bestimmt vorgestellt werden soll," der Einheit von Raum und Zeit gemäß sein muß (B 161). Und er sagt weiterhin, daß diese Einheit, die das reine Mannigfaltige von Raum und Zeit besitzt, "mit (nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben" ist (B 161). Diese Formulierungen zeichnen sich nicht gerade durch besondere Klarheit aus. Aber man kann in ihnen vielleicht ein Indiz dafür sehen, daß Kant nicht unmittelbar daraus, daß das empirisch gegebene Mannigfaltige in den einheitlichen Vorstellungen von Raum und Zeit gegeben ist, schließen will, daß es deshalb auch schon an dieser Einheit partizipiert. Das empirisch gegebene Mannigfaltige wird sozusagen auf dem Hintergrund der einheitlichen Vorstellungen von Raum und Zeit gegeben, ohne aber damit bereits selber hinsichtlich dieser Einheit bestimmt zu sein. Die Einheit von Raum und Zeit ist "mit" diesen empirischen Anschauungen gegeben, aber "nicht in" ihnen schon enthalten. Nur diejenigen Wahrnehmungsgehalte, die in Raum und Zeit bestimmt vorgestellt werden sollen, müssen dieser Einheit gemäß sein.45 44 45

Z.B. A 180/B 222; auch R 5221 AA XVDIS. 123. Vgl. oben 2. Kap. 1.4. und 1.5. Dazu paßt auch das zweite Beispiel gut, anhand dessen Kant im § 26 sein Argument illustriert: "Wenn ich [...] das Gefrieren des Wassers wahrnehme, so apprehendiere ich zwei Zustände (der Flüssigkeit und Festigkeit) als solche, die in einer Relation der Zeit gegeneinander stehen. Aber in der Zeit, die ich der Erscheinung als inneren A n s c h a u u n g zum Grunde lege, stelle ich mir notwendig synthetische E i n h e i t des Mannigfaltigen vor, ohne die jene Rela-

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Kant behauptet also nicht, daß jeder Wahrnehmungsgehalt als solcher bereits der Einheit von Raum und Zeit gemäß ist; er behauptet lediglich, daß (a) mit jeder Wahrnehmung auch die Einheit von Raum und Zeit vorgestellt wird und (b) daß diejenigen Wahrnehmungsgehalte, die in bezug auf die Einheit von Raum und Zeit bestimmt werden sollen, dieser Einheit gemäß sein müssen. Da Kant im nächsten Schritt (5) diese Einheit mit der kategorialen Einheit identifiziert, folgt auch nicht, daß alle Wahrnehmungsgehalte als solche bereits unter Kategorien stehen; nur diejenigen Wahrnehmungsgehalte, die in Raum und Zeit bestimmt vorgestellt werden, stehen unter Kategorien.46 Wenn sich all dies bei näherer Erläuterung bestätigen sollte, dann wäre unser Ausgangsproblem gelöst. Aber um welchen Preis? Aus Kants Argument folgt dann nicht mehr die (zu starke) These, daß alle Wahrnehmungsgehalte unter Kategorien stehen, da dies nur noch für solche Wahrnehmungsgehalte, die bezüglich der Einheit von Raum und Zeit bestimmt sind, gelten soll. Aber bedeutet das nicht, daß uns das Argument in § 26 zwar nicht in neue Schwierigkeiten aber auch nicht weiter gebracht hat? Denn wodurch ist garantiert, daß es solche bezüglich der Einheit von Raum und Zeit bestimmten Wahrnehmungsgehalte überhaupt geben muß? Solange wir über keine Begründung für die Existenz solcher Wahrnehmungsgehalte verfügen, springt aus Kants Argument bestenfalls eine schwache Kategorienthese47 heraus. Die Frage, ob dem Argument in § 26 mehr zu entnehmen ist, läßt sich wohl nur entscheiden, wenn geklärt ist, worin die Einheit, die Kant in (3) Raum und Zeit zuspricht, eigentlich bestehen soll. Leider gibt der Text dazu nur spärliche Hinweise. Man ist daher auf Vermutungen angewiesen. Immerhin verweist Kant auf die transzendentale Ästhetik, und dort kommt wohl nur seine Behauptung in Betracht, daß es nur einen Raum und eine Zeit gibt.48 Wenn Kant in § 26 an diese Behauptung denkt, lassen sich die wichtigsten Thesen seines Argumentes vielleicht folgendermaßen erläutern: Die These (3), daß Raum und Zeit als formale Anschauungen Einheit haben, würde dann (u.a.) besagen, daß alle in gegebenen Wahrnehmungssituationen angeschauten Teile von Raum und Zeit als Teile einer allumfassenden Raum-

46

47

48

tion nicht in einer Anschauung b e s t i m m t (in Ansehung der Zeitfolge) gegeben werden könnte" (B 162f.). Aus der 2. Analogie wissen wir aber, daß die bloße Wahrnehmung 'in Ansehung der Zeitfolge' gerade unbestimmt ist. Dem widerspricht auch nicht das Ergebnis, das Kant in (9) foimuliert. Denn dort wird die Geltung der Kategorien von den Gegenständen der Erfahrung behauptet Diese sind aber in bezug auf Raum und Zeit bestimmt. und auch dies selbstverständlich nur dann, wenn sich die in (5) behauptete Identifizierung mit der kategorialen Einheit überzeugend begründen läßt. So verstehen Paton, Ewing und Allison den Hinweis auf die Einheit von Raum und Zeit.

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Zeit anzusehen sind, in der sie ihre bestimmten Stellen haben. Jeder Teilraum (bzw. Zeitabschnitt) muß daher als in einer bestimmten räumlichen (bzw. zeitlichen) Beziehung zu jedem anderen Teilraum (bzw. Zeitabschnitt) stehend betrachtet werden. Die These (4), wonach diese Einheit von Raum und Zeit mit aber nicht in den einzelnen Wahrnehmungssituationen gegeben ist, ließe sich dann in folgender Weise verstehen: Wenn wir einen Teil des Raumes (bzw. der Zeit) wahrnehmen, so stellen wir uns dabei notwendigerweise vor, daß es sich nur um einen Teil eines größeren Raumes handelt. Die Grenzen unseres Gesichtsfeldes sind nicht die Grenzen des Raumes. Wir stellen uns notwendigerweise vor, daß der Raumausschnitt, der uns in der Wahmehmungssituation gegeben ist, sich in bestimmter Weise in einen umfassenden Raum integrieren läßL Das bedeutet natürlich nicht, daß in der gegebenen Wahrnehmung diese bestimmte Beziehung auf den umfassenden Raum bereits vorliegt. Unmittelbar gegeben ist uns nur der Teilraum. Ich muß mir aber den gegebenen Teilraum' notwendigerweise als Teil eines umfassenden Raumes denken, und diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Wahrnehmungssituation selber. Ich kann mir also auch in bezug auf alles, was ich in Raum und Zeit wahrnehme, denken, daß es in einer eindeutig bestimmten raum-zeitlichen Beziehung zu anderem, was ich aktuell nicht wahrnehme, steht; und all das, "was im Räume oder in der Zeit bestimmt vorgestellt werden soll", muß dann auch dieser Einheit "gemäß sein" (B 161), d.h. in eindeutig bestimmten raum-zeitlichen Relationen zu anderen Gegenständen in Raum und Zeit gebracht werden können. These (5) besagt nun, daß dazu eine über die bloße Wahmehmungssynthesis hinausgehende lcategoriale Synthesis erforderlich ist 4 9 Denn wenn die synthetische Einheit, die Raum und Zeit als formale Anschauungen haben, "keine andere sein [kann], als die der Verbindung des Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt in einem ursprünglichen Bewußtsein, den Kategorien gemäß" (B 161), können wir behaupten, daß die Bestimmung der gegebenen Wahrnehmungsgehalte (also ihre Integration in eine umfassende Raum-Zeit) nur durch Anwendung der Kategorien möglich ist.50

Damit würden auch die Schritte (6)-(8) zu einem nichttrivialen Teil des Argumentes. (6) besagte dann, daß die Wahmehmungssynthesis die Wahrnehmungsgehalte so zu Bewußtsein bringt, daß sie bezüglich der Einheit von Raum und Zeit als bestimmbar vorgestellt werden. Mit (7) dagegen würde zum Ausdruck gebracht werden, daß diese Bestimmung erst durch die Verknüpfung der Wahrnehmungen in einer Erfahrung erfolgt Liest man (6) und (7) in dieser Weise, so entfallt der (vermeintliche) Widerspruch zu Kants Behauptung im Grundsat2kapitel. Es ist allerdings zuzugeben, daß dies nicht gerade die glatteste Lesart des Textes (vor allem von Kanu Formulierung von (6)) ist. Wir werden gleich sehen, daß diese Behauptung etwas abgeschwächt werden muß.

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Merkwürdigerweise gibt Kant für seine These (5) aber keine Begründung. Das ist deshalb merkwürdig, weil er in § 21 gerade die Begründung dieser These als die Aufgabe des § 26 bezeichnet hatte.51 Wahrscheinlich glaubte er, (5) aus seiner in den §§ 24/25 entwickelten Theorie der Selbstaffektion herleiten zu können: Wenn nämlich alle Synthesis letztlich eine 'Wirkung' des Verstandes ist (§ 15), andererseits aber der Verstand durch SelbstafFektion in der Lage ist, das reine Mannigfaltige von Raum und Zeit der in den Kategorien gedachten "synthetischen Einheit der Apperzeption gemäß [zu] bestimmen" (B 150), so liegt es nahe, die Einheit von Raum und Zeit eben mit dieser durch 'Anwendung' der Kategorien auf unsere Anschauungsformen gedachten Einheit zu identifizieren. Es wäre natürlich wünschenswert, eine von der obskuren Selbstaffektionstheorie unabhängige Begründung für (5) zu entwickeln. Zu diesem Zweck können wir allerdings nicht auf Henrichs einfache Begründung, wonach das Resultat des ersten Beweisschrittes darin bestehen soll, daß alle Einheit kategoriale Einheit ist, zurückgreifen. Denn bei unserer Diskussion des 1. Teils der B-Deduktion hatte sich ja gezeigt, daß nicht jede Verbindung von Vorstellungen kategorial bestimmt ist. Bei dem Versuch, (5) plausibel zu machen, können wir aber von einem anderen Ergebnis des 1. Teils ausgehen: daß die Kategorien als epistemische Begriffe von empirischen Objekten anzusehen sind (vgl. oben Abschnitt 2.2.5. S. 265ff). Der erste wichtige Punkt von Kants Beweis in § 26 besteht in dem Hinweis auf die Einheit von Raum und Zeit. Diese besteht nach der oben vorgeschlagenen Interpretation darin, daß jeder in einer bestimmten Wahrnehmungssituation gegebene Teilraum' notwendigerweise als Teil eines umfassenden Raumes zu betrachten ist. Wenn verschiedene Teilräume Teile eines umfassenden Raumes sind, so müssen sie in einem eindeutig bestimmten räumlichen Verhältnis zueinander stehen. Ich will dieses Verhältnis der Teilräume zueinander im folgenden als ihr objektives räumliches Verhältnis bezeichnen. Unter welchen Bedingungen kann das objektive räumliche Verhältnis verschiedener Teilräume bestimmt werden? Da der Raum selber kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, kann es nicht unmittelbar durch Wahrnehmung bestimmt werden. Wenn es bestimmt werden soll, kann es folglich nur durch etwas, das im Raum ist, bestimmt werden. Dies ist aber nur möglich, wenn es durch empirische Objekte im Raum bestimmt wird. Denn nur dann, wenn die 51

"In der Folge (§ 26) wird aus der Art, wie in der Sinnlichkeit die empirische Anschauung gegeben wird, gezeigt werden, daß die Einheit derselben keine andere sei, als welche die Kategorie nach dem vorigen § 20 dem Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt vorschreibt" (B 144f.).

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Objekte, durch die wir die Raumstellen identifizieren, selber radentifizierbar sind, läßt sich das objektive räumliche Verhältnis der Teilräume (die in numerisch verschiedenen Wahrnehmungssituationen gegeben sind) bestimmen. Nun sind die Kategorien epistemische Begriffe von empirischen Objekten. Also stehen diejenigen Wahmehmungsgehalte, durch die eine Bestimmung des objektiven räumlichen Verhältnisses der Teilräume möglich ist, unter Kategorien. Es ist aber zu beachten, daß aus der soeben dargestellten Überlegung nicht folgt, daß alles, was im Raum vorgestellt wird, unter Kategorien steht: Es folgt nur, daß die Vorstellungsgehalte, durch die die Einheit von Raum und Zeit bestimmt (repräsentiert) werden kann, sich als Vorstellungen empirischer Objekte interpretieren lassen (und daher unter Kategorien stehen müssen). Selbst dann, wenn wir Kant die weitergehende These zubilligen, daß die Einheit von Raum und Zeit durch gegebene Erscheinungen repräsentiert werden muß, folgt nur, daß es empirische Objekte geben muß, durch die das objektive raumzeitliche Verhältnis bestimmt werden kann, - nicht aber, daß alle gegebenen Erscheinungen dazu geeignet sind. Und das ist gut so. Denn damit ist die Möglichkeit von Sinnestäuschungen wie z.B. Halluzinationen, Nachbildern etc., die keine empirischen Objekte sind, nicht ausgeschlossen. Wir müssen lediglich voraussetzen, daß es unter den gegebenen Wahmehmungsgehalten eine Teilklasse gibt, die so beschaffen ist, daß sich aus den Elementen dieser Teilklasse ein System von empirischen Objekten konstruieren läßt, das als objektives Bezugssystem dienen kann. Das schließt nicht aus, daß wir nicht trotzdem auch subjektive Sinnesdaten (wie z.B. Nachbilder und Halluzinationen) in einem bestimmten Sinn im objektiven Raum lokalisieren können. Schließlich treten sie gewöhnlich an einer (mehr oder weniger genau bestimmten) Stelle unseres Gesichtsfeldes auf, das zugleich auch objektiv lokalisierbare Gegenstände enthalten kann. Daher können wir auch solchen subjektiven Gegenständen (indirekt) eine Position im objektiven Raum zuschreiben. Dabei ist allerdings zweierlei zu beachten: (i) Diese Lokalisierung ist nur relativ. Das Nachbild, das ich jetzt an der Wand erblicke, hat diese Position (und damit seine räumliche Existenz) nur relativ zu mir, da andere Subjekte (normalerweise) nicht an derselben Stelle (ähnliche) Nachbilder wahrnehmen, (ii) Solche Nachbilder können somit zwar in der beschriebenen Weise (durch ihre wahrgenommene räumliche Beziehung zu objektiven Gegenständen) indirekt im objektiven Raum lokalisiert werden; aber sie können nicht selber dazu dienen, die Einheit von Raum und Zeit zu repräsentieren. Denn dazu sind reidentifizierbare empirische Objekte erforderlich. Daher stehen solche subjektiven Gegenstände - trotz ihrer objektiven Lokalisierbarkeit - auch nicht unter Kategorien.

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Damit ist aber das Problem der subjektiven Vorstellungen noch nicht ganz vom Tisch. Wir können zwar subjektive Vorstellungen wie Sinnestäuschungen etc., die wir im objektiven Raum wahrnehmen, zulassen und sogar dort lokalisieren; aber wie steht es mit denjenigen subjektiven Vorstellungen, die nicht in solchen Wahrnehmungsbeziehungen zu objektiven Gegenständen stehen? Die Ausgangsprämisse des skizzierten Arguments besagte ja, daß alle gegebenen •Raumvorstellungen' sich als Teile eines umfassenden objektiven Raumes auffassen lassen müssen. Eben dies ist aber bei Träumen (gewöhnlich) nicht der Fall. Wir müssen daher die Ausgangsvoraussetzung abschwächen. Das ist aber auch ohne Schwierigkeiten möglich. Anstelle der ursprünglichen These: (Ri)

Alle räumlichen Vorstellungen müssen als Vorstellungen von Teilen eines umfassenden Raumes aufgefaßt werden;

können wir uns mit der schwächeren Behauptung zufriedengeben: (R2)

Zu jeder räumlichen Vorstellung muß es einen umfassenden Raum geben, vom dem die gegebene Vorstellung einen Teil vorstellt

(R¿) ist schwächer als (Rj), da (R2) eine Mehrzahl von Räumen zuläßL52 Damit können wir neben dem 'wirklichen' Raum auch 'Traumräume' zulassen. Wenn sich die einzelnen 'Traumerfahrungen' in einen umfassenden 'Traumraum' integrieren lassen, dann muß es auch innerhalb solcher Räume Vorstellungsgehalte geben, durch die die Teilräume zueinander in bestimmte Beziehungen gebracht werden können. Solche Vorstellungsgehalte müssen dann allerdings auch unter Kategorien stehen. Wir müssen also zwischen zwei verschiedenen Typen von subjektiven Vorstellungen unterscheiden: Einerseits haben wir es mit subjektiven Vorstellungen wie Halluzinationen zu tun, deren Wahrnehmungsgehalte wir in einem (durch andere Wahrnehmungsgehalte) objektiv bestimmbaren Raum vorstellen. Hier haben wir es sozusagen mit einer subjektiv/objektiv Unterscheidung innerhalb einer Welt' zu tun. Auf der anderen Seite können wir zwischen subjektiven und objektiven "Welten' unterscheiden. Diese Unterscheidung beruht aber nicht darauf, daß es in der wirklichen Welt Vorstellungsgehalte gibt, die unter Kategorien stehen, während dies für die 'Traumwelt' nicht gilt.53 Die Grundlage Daß die Annahme einer Mehrzahl von Räumen, die selbst nicht wieder in räumlichen Beziehungen zueinander stehen, begrifflich möglich ist, hat Quinton überzeugend nachgewiesen. Vgl. Quinton (1962). Eine Traumwelt' kann daher auch durchaus nach kategoiialen Gesetzen geordnet sein. Nur muß es sich nicht um dieselben empirischen Gesetze handeln, die in der 'wirklichen Welt gelten. Die Annahme solcher geordneter Traumwelten ist übrigens mit Kants Kriterium der Wirklichkeit, das dem Zusammenhang mit "irgendeiner wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung" fordert (A 225/B 272), verträglich, da es sich ja dabei um eine - auf gegebene Wahrnehmungen - relative Bestimmung handelt

Skizze einer Rekonstruktion

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dafür, daß wir Träume für 'subjektiv' erklären, besteht vielmehr 1. darin, daß wir das Auftreten von Träumen auf der Basis von Ereignissen in der (als wirklich unterstellten) Welt kausal erklären können, während dies umgekehrt nicht möglich ist, und 2. darin, daß Träume gewöhnlich in dem Sinne privat sind, daß das, was wir in Träumen 'erfahren', nicht durch Wahrnehmungsberichte anderer bestätigt wird. Daß sich unsere Traumwelten in dieser Weise von der wirklichen Welt unterscheiden, ist kontingent Es ist nicht prinzipiell ausgeschlossen, daß wir ebenso "kohärent' träumen können wie wir wahrnehmen. Wenn wir annehmen, daß unsere Traumwelt' so beschaffen ist, daß wir auf der Basis der in ihr geltenden Gesetze ableiten können, daß wir das, was wir in der (vermeintlich) wirklichen Welt 'wahrnehmen', nur träumen; und wenn wir weiter annehmen, daß uns die uns im Traum begegnenden Personen' mit derselben Verläßlichkeit das bestätigen, was wir im Traum 'wahrnehmen', so gibt es keinen vernünftigen Grund, eine dieser beiden 'Welten* für weniger objektiv als die anderen zu erklären. Hinsichtlich des ontologischen Status besteht daher kein Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit Nach dieser Abschweifung können wir zu den Hauptpunkten des Argumentes zurückkehren.

6. Skizze einer Rekonstruktion

"Was wir im vorigen Abschnitte abgesondert und einzeln vortrugen, wollen wir jetzt vereinigt und im Zusammenhange vorstellen" (A 115): (a) Die Teile von Raum und Zeit stehen zueinander in einem eindeutig bestimmten Verhältnis. (Raum und Zeit haben Einheit) (b) Dieses Verhältnis der Teile von Raum und Zeit kann nur durch Erscheinungen in Raum und Zeit bestimmt werden, da diese Raum-ZeitStellen nicht unmittelbar durch Wahrnehmung reidentifizierbar sind. (c) Dazu muß es Erscheinungen geben, die ein objektives raum-zeitliches Bezugssystem bilden, das die Reidentifikation beliebiger Raum-Zeitstellen gestattet (Das ist nur möglich, wenn es Erscheinungen gibt durch die die Einheit von Raum und Zeit repräsentiert werden kann.) (d) Die Erscheinungen, die ein solches objektives Bezugssystem bilden, müssen empirische Objekte sein. (e) Kategorien sind epistemische Begriffe von empirischen Objekten. (f) Also gibt es Erscheinungen, die unter Kategorien stehen.

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Auch dieses Argument hat eine Lücke, da aus (a) nicht folgt, daß wir in der Lage sind, das (objektive) Verhältnis, in dem die Teile von Raum und Zeit stehen, zu erkennen. Nur wenn wir diese Zusatzannahme unterstellen, folgt (0 aus (a)-(e). Läßt sich diese Zusatzannahme plausibel machen? Wenn wir etwas im Raum wahrnehmen, so nehmen wir es aus einer bestimmten Perspektive wahr. Die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes ist aber gar nicht möglich, wenn ich mir nicht vorstellen kann, denselben Raumteil aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Es muß also im Prinzip möglich sein, denselben (Teil-)Raum aus verschiedenen Perspektiven vorzustellen. Das bedeutet, daß Raumstellen empirische Objekte sind. Wenn ich etwas als empirisches Objekt im Räume denke, muß ich es als an einer bestimmten Raumstelle existierend denken, die ich auch aus einer anderen Perspektive wahrnehmen kann. Die entscheidende Frage ist nun, ob Kant ein Argument für die These hat, daß es solche empirischen Objekte im Raum geben muß. Denn darin bestand ja gerade die Unvollständigkeit des ersten Schrittes der Deduktion, daß wir noch kein Argument für die Existenz solcher Objekte haben. Wenn wir aber davon ausgehen müssen, daß die Raumstellen selber empirische Objekte sind, andererseits aber aufgrund der Nichtwahrnehmbarkeit von Raum und Zeit nicht unmittelbar identifiziert werden können, so müssen wir diese Raumstellen durch Vorstellungsgehalte im Raum identifizieren können. Also brauchen wir Erscheinungen, die ein objektives Bezugssystem definieren. Nun können aber nicht beliebige Erscheinungen diese Funktion erfüllen: Es muß sich um Erscheinungen handeln, die so beschaffen sind, daß sich aus ihren Eigenschaften Raumstellen eindeutig bestimmen lassen. Dann müssen diese Erscheinungen aber als Erscheinungen empirischer Objekte aufgefaßt werden. Denn nur dann, wenn die Objekte, die ein solches objektives Bezugssystem definieren, selber reidentifizierbar sind, können durch sie Raumstellen aus unterschiedlichen Perspektiven identifiziert werden. Wenn dieser Gedankengang überzeugt, muß es empirische Objekte im Raum geben. Damit hätten wir einen ersten wichtigen Fortschritt gegenüber dem Ergebnis des ersten Teils der B-Deduktion gemacht. Das schwächste Glied dieser Überlegung bildet wohl die Behauptung, daß die Vorstellung eines dreidimensionalen Raumes nicht nur voraussetzt, daß ein gegebener Raumausschnitt im Prinzip auch aus einer anderen Perspektive wahrnehmbar sein muß, sondern daß wir darüber hinaus in der Lage sein müssen, Raumstellen aus unterschiedlichen Perspektiven zu (re)identifizieren. Ich überlasse die Entscheidung darüber dem Leser. Was bedeutet das alles nun aber für die Geltung der Gesetzesthese? Um sie zu begründen, muß gezeigt werden, daß die Anwendungsbedingungen der Ka-

Skizze einer Rekonstruktion

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tegorien Gesetze sind. Oder anders ausgedrückt: daß Urteile über empirische Objekte nur verifiziert werden können, wenn diese Objekte unter Gesetzen stehen. Bei der Diskussion des synthetischen Arguments in der 2. Analogie haben wir gesehen, daß Kant meinte, daß die Einheit von Raum und Zeit, von der er in diesem Argument ausgeht, eine notwendige Einheit ist. So sollte es eine wesentliche Eigenschaft der Zeit sein, daß ein früherer Zeitabschnitt den folgenden "notwendig bestimmt" (A 199/B 244). 54 Wenn Raum und Zeit in diesem Sinne eine notwendige Einheit hätten, so ließe sich in der Tat auf die Notwendigkeit der Verbindung derjenigen Wahmehmungsgehalte schließen, durch die Raum und Zeit objektiv bestimmt werden können. Das Problem ist nur, daß Kants These über die notwendige Folgeordnung der Zeit sich als wenig plausibel erwiesen hat. Die oben vorgeschlagene Interpretation der Einheit von Raum und Zeit, die an die transzendentale Ästhetik anknüpft, impliziert aber nicht, daß die Teile von Raum und Zeit in einer notwendigen Beziehung zueinander stehen. Wir müssen daher untersuchen, ob wir die Gesetzesthese nicht begründen können, indem wir näheres über die Bedingungen zu ermitteln versuchen, denen diejenigen Objekte, durch die die Einheit von Raum und Zeit repräsentiert wird, genügen müssen.55 Bisher wissen wir nur, daß die Bezugsobjekte empirische Objekte sein müssen, also Gegenstände, die in numerisch verschiedenen Vorstellungen vorgestellt werden können. Aber offenkundig kann nicht jedes empirische Objekt als Bezugsobjekt dienen. Die ein Bezugssystem definierenden Objekte müssen so beschaffen sein, daß sich aus ihren 'Erscheinungsweisen' herleiten läßt, aus welcher Perspektive sie in einer gegebenen Wahrnehmungssituation betrachtet werden. Dazu müssen wir aber wissen, welche objektiven räumlichen Eigenschaften die Bezugsobjekte haben. Da die objektiven räumlichen Eigenschaften von Gegenständen aber - wie wir im dritten Kapitel gesehen haben - durch die bloße Wahrnehmung unterbestimmt sind, können wir dieses Wissen nicht allein auf Wahrnehmungen zurückführen. Wenn wir z.B. annehmen könnten, daß bestimmte Objekte ihre räumlichen Eigenschaften nicht verändern, könnten wir diese räumlichen Eigenschaften empirisch bestimmen. Auf der Basis dieses Wissens könnten wir dann in einer gegebenen Wahmehmungssituation aus den Erscheinungsweisen des Bezugssystems die wahrgenommenen Raumstellen

55

Vgl. dazu auch die entsprechende Bemerkung in § 26, wo Kant der "synthetische[n] E i n h e i t des Mannigfaltigen", die ich mir notwendig in der Zeit vorstelle, die Kategorie der Ursache zuordnet (B 162f.). Ich bezeichne diese Objekte im folgenden als 'Bezugsobjekte'.

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SelbstbewuBtsein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

bestimmen. Aber woher wissen wir, daß sich die räumlichen Eigenschaften des Bezugssystem nicht verandern? Aufgrund bloßer Wahrnehmung können wir dies nicht feststellen, da die empirische Bestimmung der objektiven räumlichen Eigenschaften empirischer Objekte nur auf der Basis eines Bezugssystems möglich ist. Die empirische Bestimmung der räumlichen Eigenschaften setzt ja bereits ein objektives Bezugssystem voraus. Es ist aber a priori nicht einzusehen, wieso nicht alle Objekte im Raum ihre räumlichen Eigenschaften und Beziehungen zueinander sollten verändern können. Andererseits ist die Bedingung, daß sich die objektiven räumlichen Eigenschaften und Beziehungen der Bezugsobjekte nicht verändern dürfen, auch unnötig stark. Es ist nicht erforderlich, daß wir wissen, daß bestimmte Objekte sich nie verändern. Wir müssen lediglich von einigen Objekten im Prinzip wissen können, welche räumlichen Eigenschaften und Beziehungen sie zu einem beliebigen gegebenen Zeitpunkt aufweisen. Wenn wir nun unterstellen, daß die Veränderungen aller Objekte im Raum unter Kausalgesetzen stehen, dann können wir auf der Basis des im dritten Kapitel skizzierten Verfahrens (vgl. oben S. 172f.) empirisch überprüfbare Kausalhypothesen über Veränderungen der räumlichen Eigenschaften von Objekten entwickeln. Wir können dann Hypothesen über die objektiven räumlichen Eigenschaften, die bestimmte Gegenstände in einem bestimmten Zeitraum haben, empirisch überprüfen. Denn wenn wir wissen, unter welchen Bedingungen Gegenstände ihre räumlichen Beziehungen verändern, können wir dann, wenn solche Bedingungen nicht vorliegen, davon ausgehen, daß diese Gegenstände sich auch nicht verändert haben. In einem Zeitraum, in dem sich die Gegenstände dann nicht verändern, lassen sich die räumlichen Eigenschaften im Prinzip durch Wahrnehmung bestimmen. Haben wir auf diese Weise gut bestätigte Hypothesen über die objektiven räumlichen Eigenschaften bestimmter Objekte, und zugleich gut bestätigte Kausalhypothesen über die objektiven Veränderungen dieser Objekte, so können wir im Prinzip die objektiven räumlichen Eigenschaften dieser Gegenstände zu jedem beliebigen Zeitpunkt bestimmen. Folglich können solche Objekte als Bezugsobjekte dienen. Es soll nicht behauptet werden, daß dies ein wasserdichtes Argument für die Geltung des Kausalprinzips ist Dazu ist es viel zu skizzenhaft. Ich will abschließend wenigstens einige der erläuterungsbedürftigen Punkte ansprechen. 1. Das Argument macht wesentlich Gebrauch von spezifischen Eigenschaften der ÄaHOTvorstellung. Grundlegend ist die Dreidimensionalität des Raumes. Denn aus dieser Eigenschaft ergibt sich der 'perspektivische Charakter' unserer Raumwahrnehmung. Diese Terspektivität' des Raumes spielt an zwei Stellen des Arguments eine wichtige Rolle: Zum einen ergibt sich aus ihr, daß wir uns

Skizze einer Rekonstruktion

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notwendig vorstellen müssen, dieselbe Raumstelle im Prinzip auch aus einer anderen Perspektive vorstellen zu können. Daraus aber ergab sich, daß Raumstellen selber empirische 'Objekte' sind. Zweitens ergibt sich aus der Perspektivität des Raumes die Unbestimmtheitsthese bezüglich der objektiven räumlichen Eigenschaften (sowohl der Gestalteigenschaften wie der räumlichen Beziehungen). Für Kant stand demgegenüber die Zdfeinheit im Vordergrund. Kants staike These über die notwendige Einheit der Zeit erwies sich aber als unhaltbar; und ich kann nicht erkennen, daß sich ein dem oben präsentierten Gedankengang analoges Argument für die Zeit entwickeln läßL 2. Es liegt nahe, gegen das skizzierte Argument folgendes einzuwenden: Die Annahme der Geltung des Kausalprinzips ist mindestens eine ebenso anspruchsvolle Annahme wie die, daß es gewisse Objekte gibt, die sich nie verändern. Es gibt also keinen Grund, die eine Annahme der anderen vorzuziehen.56 Dieser Einwand macht in der Tat auf eine Schwachstelle des Arguments aufmerksam. Denn es ist allenfalls gezeigt worden, daß die Annahme des Kausalprinzips eine hinreichende Bedingung für die Möglichkeit der Identifizierung von Raumstellen ist. Und es ist - soweit ich sehen kann - auch richtig, daß die Annahme der Konstanz bestimmter Objekte ebenfalls eine hinreichende Bedingung darstellt.57 Es soll auch nicht bestritten werden, daß wir de facto bei der Auswahl von Bezugsobjekten von der Konstanzvoraussetzung ausgehen. Andererseits dienen solche Bezugsobjekte gewöhnlich nur vorläufig als Bezugssysteme und werden unter Rückgriff auf Naturgesetze durch geeignetere Bezugssysteme ersetzt. Zudem scheint das Kausalprinzip ein geeigneterer Kandidat für ein Prinzip a priori zu sein als die recht willkürlich erscheinende Annahme, daß irgendwelche Objekte prinzipiell unveränderlich sind. Es ist aber zuzugeben, daß dies kein besonders starkes Argument ist. 3. Es gibt einen grundsätzlicheren Einwand gegen das vorgetragene Argument Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, daß die Wahl von Bezugssystemen eine bloße Konvention ist und daher überhaupt kein Prinzip a priori erforderlich ist. Wer diesen Einwand plausibel findet, muß sich allerdings über die Konsequenzen im klaren sein. Da von der Wahl der Bezugsobjekte die Bestimmung der objektiven räumlichen Eigenschaften der Gegenstände abhängt, folgt, daß der Umstand, daß sich ein Gegenstand objektiv verändert, von der 56

57

Dieser Einwand entspricht dem Hinweis auf das empiristische Modell, mit dem wir im 3. Kapitel Kants epistemologisches Argument konfrontiert haben. Das stimmt nicht ganz. Man muß in diesem Fall natürlich zusätzlich annehmen, daß diese Objekte übeihaupt geeignet sind, ein Bezugssystem zu definieren. Dazu braucht man mindestens drei nicht auf einer Räche liegende unterscheidbare Punkte. Aber das gilt in jedem Fall.

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Selbstbewußüein, Objektivität und Gesetzmäßigkeit in der tr. Deduktion

Wahl der Bezugsobjekte abhängig ist. Wenn man daran festhalten will, daß Gegenstände im Raum eindeutig bestimmte räumliche Eigenschaften haben, ist eine konventionalistische Deutung ausgeschlossen. Man stelle sich (wenn man kann) vor, was passieren würde, wenn man drei beliebige Wolken am Himmel als Bezugssystem wählt. Es ist auch nicht möglich, den Konventionalismus dadurch schmackhafter zu machen, daß man nach dem Einfachheitsprinzip zwischen besseren und schlechteren Konventionen unterscheidet. Denn das Einfachheitsprinzip würde in diesem Fall ja besagen, daß wir solche Objekte als Bezugsobjekte auswählen sollen, die gestatten, möglichst einfache Gesetzesaussagen zu formulieren. Dann aber steckt im Einfachheitsprinzip bereits eine Gesetzesthese. Ich will es mit diesen unzulänglichen Bemerkungen gut sein lassen und komme zum Schluß.

Schluß Abschließend sollen die wichtigsten Ergebnisse im Blick auf das im zweiten Kapitel ausgebreitete Problemfeld zusammengestellt und einige offene oder unerledigt gebliebene Fragen benannt werden. Der Standardinterpretation zufolge versucht Kant die Geltung der Kategorien·, Objektivitäts- und Gesetzesthese dadurch zu begründen, daß ohne ihre Geltung kein Selbstbewußtsein möglich ist. Im zweiten Kapitel wurden eine Reihe von Schwierigkeiten, denen sich die Standardinterpretation ausgesetzt sieht, beschrieben sowie einige der Strategien, diese Schwierigkeiten durch Modifikationen an Kants Beweisprogramm zu umgehen, vorgestellt. Die beiden wichtigsten dieser Strategien sind dann in den folgenden Kapiteln kritisiert worden. Im dritten Kapitel sollte am Beispiel von Kants 'Beweis' des Kausalprinzips gezeigt werden, daß die Strategie der Analogiker, Kants Gesetzesthese ohne Rückgriff auf Prämissen aus der transzendentalen Deduktion zu begründen, mit sachlichen wie exegetischen Problemen zu kämpfen hat. Als verantwortlich für diese Schwierigkeiten erwies sich vor allem der von Kant in der zweiten Analogie vorausgesetzte Objektbegriff, demzufolge Objekte notwendige Einheiten von Vorstellungen sind. Es zeigte sich, daß Kant sich zu dieser Voraussetzung berechtigt sah, da er meinte, in der Α-Deduktion nachgewiesen zu haben, daß unsere Erfahrung notwendigerweise mit Objekten in diesem starken Sinn zu tun hat. Dieser 'Nachweis' beruhte aber wesentlich auf die Apperzeptionstheorie, von der sich die Analogiker gerade freimachen wollten. Im Rahmen ihrer Strategie ist es daher unzulässig, von dieser starken Voraussetzung auszugehen. Unter exegetischen Gesichtspunkten ist die Strategie der Analogiker also als gescheitert zu betrachten. Dies zeigte sich auch daran, daß die Analogiker nicht in der Lage sind, die oben als 'synthetischen' Beweis bezeichneten Passagen in ihre Interpretation zu integrieren. Nicht so eindeutig negativ fiel die sachliche Einschätzung der Erfolgsaussichten der Strategie der Analogiker aus. Im Vergleich zu den anderen diskutierten Varianten von Kants 'Beweis' des Kausalprinzips erwies sich das epistemologische Argument als nicht chancenlos. Zwar zeigten sich auch hier nicht unerhebliche Schwierigkeiten; so mußte offen bleiben, ob das im 3. Kapitel

300

Schlug

Abschn. 1.2.7. im Anschluß an Broad skizzierte empiristische Verfahren nicht als eine dem kantischen Verfahren überlegene Methode der objektiven Zeitbestimmung anzusehen ist. Eine klare Entscheidung in dieser Frage ist aber nur dann möglich, wenn sowohl das epistemologische Argument wie das empiristische Gegenmodell im Detail ausgearbeitet vorliegen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit mußten wir uns mit Andeutungen zufrieden geben. Obwohl die von den Analogikern favorisierte Strategie unter systematischen Gesichtspunkten nicht als völlig aussichtslos abzuweisen war, erschien es dennoch ratsam, erneut den Versuch zu unternehmen, ein angemesseneres Bild der Beziehung zwischen Deduktion und Grundsatzkapitel zu gewinnen. Dies umso mehr, als die Diskussion des synthetischen Arguments vermuten ließ, daß Kant sich hier auf eben solche Einheitsaspekte unserer Anschauungsformen stützt, die auch im zweiten Teil der B-Deduktion eine entscheidende Beweisfunktion übernehmen. Im vierten Kapitel sollte der damit geweckten Frage nachgegangen werden, ob nicht mit einem neuen und besseren Verständnis der B-Deduktion auch Licht in den strukturellen Zusammenhang zwischen Kategoriendeduktion und Grundsatzkapitel gebracht werden kann. Dazu mußte allerdings erst einmal die Standardinterpretation der transzendentalen Deduktion zurückgewiesen werden. Denn die systematischen Schwierigkeiten, Grundsatzkapitel und Deduktion in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen, ergaben sich vor allem aus der Rolle, die dieser Interpretation zufolge der Einheit des Selbstbewußtseins in Kants Argument zukommt. Da sich die Vertreter der Standardinterpretation zu Recht vor allem auf die Α-Deduktion berufen, sollte zunächst gezeigt werden, daß die Argumente, in denen Kant von der Einheit des Selbstbewußtseins ausgehend zu zeigen versucht, daß alle unsere Vorstellungen nach notwendigen Regeln verbindbar sein müssen, der Sache nach zum Scheitern verurteilt sind.1 Die Unzulänglichkeit der Selbstbewußtseinslehre zur Begründung nichttrivialer Folgerungen über die Gesetzmäßigkeit unserer Vorstellungen, bestätigte sich nicht nur an Henrichs, in erster Linie an Überlegungen der ADeduktion orientiertem Rekonstruktionsversuch; auch die Untersuchung des ersten Teils der B-Deduktion führte zu dem Ergebnis, daß die Selbstbewußtseinstheorie nur begrenzt zur Begründung der Kategorien- und Objektivitätsthese herangezogen werden kann, für die Begründung der Gesetzesthese dagegen ganz untauglich ist. Damit war gezeigt, daß auch die Strategie der Es zeigte sich dabei zugleich, daß unsere kritisch gegen die Analogiker gewandte Annahme zutraf, wonach Kants staiker Objektbegriff gerade in Hinblick auf die in ihm (angeblich) gedachte Notwendigkeit von der Apperzeptionstheorie der ersten Auflage abhing.

Schluß

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'Deduktivisten', die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen allein aus der Einheit des Selbstbewußtseins abzuleiten, zum Scheitern verurteilt ist Neben diese Bedenken hinsichtlich der sachlichen Haltbarkeit traten Zweifel an der exegetischen Angemessenheit der Standardinterpretation. Eine Reihe von Indizien deuteten daraufhin, daß Kant in der zweiten Auflage (aus guten Gründen) den Versuch aufgegeben hat, die Gesetzesthese als direkte Folgerung aus der Apperzeptionseinheit zu gewinnen. Damit war der Weg frei für eine Alternative zur Standaidinterpretation, die sich dieser zudem insofern überlegen zeigte, als sie die mit der Standardinterpretation verbundenen Probleme entweder erst gar nicht aufkommen ließ oder doch deutlich entschärfte. Vom Schicksal der eingangs erwähnten Probleme im Falle der Richtigkeit dieser Alternativinterpretation ist nun kurz zu berichten. Ich beginne mit dem Beweisstrukturproblem.

(1) Das Beweisstrukturproblem Legt man die Standardinterpretation zugrunde, so bleibt unverständlich, wieso Kant der Auffassung war, daß im ersten Teil der B-Deduktion erst der Anfang einer transzendentalen Deduktion gemacht ist Denn wenn Kategorien-, Objektivität- und Gesetzesthese bereits aus der Apperzeptionseinheit abgeleitet werden können, ist nicht erkennbar, welche zusätzliche Beweisfunktion dem zweiten Teil der B-Deduktion zukommen soll. Demgegenüber konnten auf der Basis der vorgeschlagenen Alternativinterpretation beiden Teilen der B-Deduktion klar voneinander unterschiedene Aufgaben zugeordnet werden. Im ersten Teil versucht Kant zu zeigen, daß wir in der Lage sind, alle unsere Vorstellungen als Vorstellungen empirischer Objekte zu denken, und daß solche Gedanken nur möglich sind, wenn die Kategorien problematisch auf diese Objekte angewandt werden. Wir haben es also im ersten Teil der B-Deduktion mit (dem Versuch) einer Begründung sowohl einer schwachen Objektivitäts- wie einer schwachen Kategorienthese zu tun.2 Es handelt sich in beiden Fällen um schwache Versionen der entsprechenden Thesen, weil nicht behauptet werden soll, daß solchen Objektgedanken wirkliche Gegenstände entsprechen. Folglich kann auch noch nicht behauptet werden, daß die Kategorien auf wirkliche Erfahrungsgegenstände zutreffen, sondern nur, daß wir uns durch Subsumtion gegebener Vorstellungen unter Kategorien Es hat sich allerdings gezeigt, daß Kants Argument - zumindest was die Begründung der Kategorienthese angeht - insofern eine Lücke aufweist, als sich die Objektivitätsthese nur für logische nicht aber für empirische Objekte begründen ließ.

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SchluS

empirische Objekte 'entwerfen', ohne damit auch schon über die Garantie zu verfügen, daß der Entwurf geglückt ist. Ob solchen Objektgedanken wirkliche Gegenstände in Raum und Zeit entsprechen, hängt davon ab, ob die in der Wahrnehmung gegebenen Anschauungen diesen Gedanken entsprechen. Da dies nach Kants Meinung eben dann der Fall ist, wenn die gegebenen Wahrnehmungen unter kategorialen Gesetzen stehen, ist es gar kein Wunder, daß im ersten Teil der B-Deduktion hinsichtlich der Geltung der Gesetzesthese noch gar nichts ausgemacht ist So lag die Vermutung nahe, daß Kant dieses Defizit im zweiten Teil der BDeduktion beheben will, indem er zu zeigen versucht, daß alle "Gegenstände, die nur immer u n s e r e n S i n n e n v o r k o m m e n m ö g e η,[...] unter den Gesetzen stehen müsse[n], die a priori aus dem Verstände allein entspringen" (B 159f.). Damit ergab sich die Möglichkeit, beiden Teilen der B-Deduktion deutlich unterschiedene Beweisaufgaben zuzuordnen. Bevor ich mich dem zweiten Teil der B-Deduktion zuwende, ist es sinnvoll, die Behandlung des Beweisstrukturproblems zugunsten der beiden mit Kants Urteilstheorie verbundenen Probleme zu unterbrechen.

(2) Zum Verhältnis von Kategorien und Urteilsfunktionen Um zu sehen, ob und in welchem Umfang sich die das Verhältnis von Urteilsfunktionen und Kategorien betreffenden Schwierigkeiten auf der Basis der vorgeschlagenen Interpretation lösen lassen, ist es nützlich, die wichtigsten Schritte des ersten Teils vor Augen zu haben. Das Hauptziel des ersten Teiles besteht in dem Nachweis, daß wir in der Lage sind, alle unsere Vorstellungen als Vorstellungen empirischer Objekte zu denken. Dieser Nachweis besteht in den folgenden Schritten: 1. versucht Kant zu zeigen, daß sich aus der analytischen Einheit der Apperzeption herleiten läßt, daß wir in der Lage sein müssen, alle unsere Vorstellungen zu synthetisieren. Etwas genauer: Weil wir in bezug auf jede unserer Vorstellungen in der Lage sein müssen zu wissen, daß wir sie haben, und von jedem beliebigen Paar unserer Vorstellungen a priori wissen können, daß wir das identische Subjekt dieser Vorstellungen sind, müssen wir nach Kant auch in der Lage sein, uns der Identität unserer selbst in allen diesen Vorstellungen bewußt zu werden.3 Dies ist aber 2. nur möglich, wenn wir die Vorstellungen miteinander verbinden und Auch dieser letzte Schritt ist der Sache nach problematisch, da aus dem (de dicto) Wissen, daß meine Vorstellungen demselben Subjekt zuzusprechen sind, nicht dine weiteres folgt, daß ich von diesen Vorstellungen als Vorstellungen desselben Subjekts (de re) wissen kann.

SchluB

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uns der Handlung des Verbindens bewußt werden können. Da die Vorstellung der Identität unserer selbst aber nicht in der Vorstellung der Beziehung dieser Vorstellungen zu einem unabhängig von ihnen gegebenem Dritten (dem Ich) bestehen kann (da das Ich kein unmittelbar gegebener Gegenstand ist), kann sie 3. nur in der Vorstellung der Einheit der Vorstellungs^eAaife bestehen. Folglich müssen 4. die Vorstellungsgehalte im Begriff eines Objekts verbunden werden. Dazu aber müssen sie in objektiven Urteilen verbunden werden. Wir haben gesehen, daß Kant auch an dieser Stelle einen stärkeren Objektbegriff in Anspruch nimmt, als durch sein Argument gedeckt ist. Denn aus der Verbindbarkeit unserer Vorstellungen im Begriff eines Objekts konnten wir nicht unmittelbar schließen, daß es sich dabei um Begriffe von empirischen Objekten handeln muß. Da sich die Kategorien aber als epistemische Begriffe von solchen empirischen Objekten erwiesen haben, konnte von der Objektivitätsthese nicht zur Kategorienthese übergegangen werden. Wie wir gesehen haben, läßt sich diese Lücke im ersten Teil aber unter Rückgriff auf die Einheit von Raum und Zeit, die Kant im zweiten Teil der Deduktion in die Diskussion einführt, weitgehend schließen. Der uns mit Rücksicht auf das Verhältnis von Urteilsfunktionen und Kategorien hauptsächlich interessierende nächste wichtige Schritt dient der Begründung der Kategorienthese. Kant will zeigen, daß wir unsere Vorstellungen nur dadurch zur objektiven Einheit der Apperzeption bringen können, daß wir sie durch Anwendung der Kategorien auf Objekte beziehen. Für diesen Nachweis spielt der Zusammenhang zwischen Urteilsfunktionen und Kategorien nun eine offenkundig zentrale Rolle. Ebenso offenkundig waren allerdings die damit verbundenen Schwierigkeiten. Selbst wenn man Kant die Urteilsdefinition des § 19 schenkt,4 ist es alles andere als selbstverständlich, daß aus der Verbindung von Vorstellungen durch eine Urteilsfunktion folgt, daß die dieser Urteilsfunktion korrespondierende Kategorie auf die entsprechenden Vorstellungen anwendbar ist. Denn auch die reinen Kategorien sind mehr als nur Begriffe von logischen Verhältnissen. Obwohl Kant an vielen Stellen (wohl in der Absicht, mit einer griffigen Formel den Anmaßungen der transzendenten Metaphysik entgegenzutreten) die reinen Kategorien auf die logischen Funktionen reduziert, ist diese Reduktion weder mit der in § 14 gegebenen 'Erklärung der Kategorien', noch mit der spezifischen Bedeutung der einzelnen Kategorien verträglich. Wir mußten daher versuchen, Kants spärliche und dunkle Hinweise Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Definitionsfrage. Kant will nicht nur festlegen, wie er im Folgenden den Begriff des Urteils verwenden will, sondern er will mit der "genau bestimmten Definition eines Unheils überhaupt" (MAdN AAIV S. 475 Anm.) an die metaphysische Deduktion anknüpfen.

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Schluß

zum Verhältnis von Urteilsfunktionen und Kategorien zu verdeutlichen, wobei insbesondere zu klären war, worin die von Kant in der "Erklärung der Kategorien" (B 128f.) angesprochene Unumkehrbarkeit' bzw. Bestimmtheit' der logischen Funktion bestehen soll. Unter der Voraussetzung, daß die reinen Kategorien als epistemische Begriffe von empirischen Objekten aufzufassen sind, konnten wir aus Kants Bemerkungen zur Kategorientheorie wenigstens im Ansatz Sinn machen. Die Kategorien sind dieser Auffassung zufolge Begriffe von Bedingungen, unter denen es möglich ist, empirische Objekte auf der Basis einzelner Wahrnehmungen zu eikennen. Bei empirischen Objekten handelt es sich um Gegenstände, die in numerisch verschiedenen Vorstellungen vorgestellt werden können. Ihnen entspricht die reine Kategorie der Substanz: Substanz ist etwas, das so beschaffen ist, daß es als dasselbe in verschiedenen Vorstellungen erkannt5 werden kann. Soll etwas als identisches Objekt verschiedener Vorstellungen erkannt werden können, muß es als so beschaffen gedacht werden, daß ihm Vorstellungsgehalte anderer Vorstellungen als Eigenschaften zugesprochen werden können. Eine gegebene Vorstellungsqualität kann aber nur dann einem empirischen Objekt zugeschrieben werden, wenn der Gegenstand so identifiziert werden kann, daß er als derselbe in verschiedenen Vorstellungen, in denen er vorgestellt wird, erkannt werden kann. Der Zusammenhang zu den Urteilsfunktionen konnte nun dadurch hergestellt werden, daß den 'logischen Stellen' in einem Urteil (also z.B. der Subjektoder der Prädikatstelle im kategorischen Urteil) epistemische Funktionen zugewiesen wurden: so können wir dem Subjektterm die Funktion der Identifizierung des empirischen Objekts zuordnen. Auf der Basis dieser Erklärung läßt sich verständlich machen, daß nicht jede Vorstellung die entsprechende Funktion übernehmen kann. Damit ist Kants Rede von der Unumkehrbarkeit der logischen Funktion ein vernünftiger Sinn gegeben. Aus dieser Charakterisierung des Kategorienbegriffs ergab sich, daß die Kategorien als Begriffe aufgefaßt werden müssen, die nur dann auf ein gegebenes Mannigfaltiges angewandt werden können, wenn dieses gewissen einschränkenden Bedingungen unterliegt Welches allerdings diese Bedingungen sind, ist in der reinen Kategorie noch nicht enthalten. Diese Bedingungen sind auch in Abstraktion von unseren Formen der Anschauung gar nicht zu ermitteln. Unsere Bemerkungen zum Kategorienbegriff sind allerdings über eine Skizze nicht hinausgekommen. Zum einen haben wir uns fast ausschließlich am Beispiel der Substanzkategorie orientiert. Die Übertragbarkeit der Idee auf die Insofern handelt es sich dabei um einen epistemischen Begriff.

Schiaß

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anderen Kategorien wäre im einzelnen zu untersuchen.6 Zum anderen wäre zu überprüfen, inwieweit sich die Charakterisierung der epistemischen Funktionen der 'logischen Stellen' eines kategorischen Urteils durch Bemerkungen Kants stützen oder präzisieren lassen.7

(3) Zum Verhältnis von Wahmehmungs- und Erfahrungsurteilen Obwohl also noch einige Fragen offen sind, können wir, ausgehend von unserem Vorschlag zum Verhältnis von Urteilsfunktionen und Kategorien, die beiden Hauptschwierigkeiten, die wir im Hinblick auf Kants in den Prolegomena' eingeführte Unterscheidung zwischen Wahmehmungs- und Erfahrungsurteilen herausgestellt haben, auflösen. Die erste Schwierigkeit ergab sich daraus, daß Kant in den 'Prolegomena' behauptet hatte, daß es mit den Wahrnehmungsurteilen eine Klasse von Urteilen gibt, die keines reinen Verstandesbegriffs "bedürfen', während er in der BDeduktion aus der Verbindung von Vorstellungen in einem Urteil unmittelbar auf die Geltung der Kategorien schließt. Das zweite - damit eng zusammenhängende - Problem resultierte aus dem engen Zusammenhang, den Kant im § 19 der B-Deduktion zwischen Urteilseinheit und objektiver Einheit herstellt Ein Urteil wird dort definiert, als "die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141). Damit aber schien die Möglichkeit von Wahmehmungsurteilen, die lediglich die "Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subjekt" ausdrücken (Pr. § 18 AAIV S. 298), ausgeschlossen. Was nun die erste der beiden Schwierigkeiten betrifft, so können wir dem eben zum Kategorienbegriff Ausgeführten entnehmen, daß es Urteile gibt, die nur logische Funktionen aber keine Kategorien enthalten. Alle Urteile, die nicht von empirischen Objekten handeln, enthalten zwar logische Funktionen (sonst wären sie keine Urteile), 'bedürfen' aber keiner Kategorien, da Kategorien epistemische Begriffe empirischer Objekte sind. Wenn wir die oben S. 83 vorgeEs wäre wohl schon viel gewonnen, wenn die Überlegungen wenigstens aus alle Relationskategorien ausgedehnt werden könnten. So erscheint mir Kants Charakterisierung des Substanzbegriffs als etwas, das nur als Subjekt dienen kann, unnötig stark. Denn wenn wir die logische Struktur kategorischer Urteile so auffassen, daß der Subjektterm jeweils den Gegenstand, von dem eine Eigenschaft piädiziert wird, identifiziert, so können wir sagen, daß der Begriff einer reinen Substanz der Begriff von einem etwas ist, was so gedacht wird, daß es als dasselbe in verschiedenen Wahmehmungssituationen erkannt werden kann. D.h. etwas wird als Substanz gedacht, wenn es durch einen Begriff gedacht wird, der im kategorischen Urteil über dasselbe Subjekt die Funktion des Subjekts übernehmen kann. Diese Bestimmung des Substanzbegriffs ist schwächer als Kants an der traditionellen Substanzdefinition orientierte Bestimmung.

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schlagene Klassifikation verschiedener Urteilstypen zugrunde legen, dann können wir das Ergebnis noch etwas genauer beschreiben: 1. Obwohl Kants schwankende Charakterisierungen der Wahrnehmungsurteile keine definitive Entscheidung zulassen, liegt es doch nahe, die Wahmehmungsurteile mit den subjektiven Urteilen zu identifizieren.8 2. Geht man von dieser Identifizierung aus, dann ergibt sich nicht nur, daß Wahrnehmungsurteile keine Kategorien enthalten, sondern daß es darüber hinaus auch noch weitere Urteilstypen gibt, für die dasselbe gilt nämlich die logischen Urteile.9 Die zweite erwähnte Schwierigkeit, die sich aus Kants Urteilsdefinition in § 19 der B-Deduktion ergab, läßt sich nur dann beheben, wenn der in dieser Definition verwendete Begriff der objektiven Einheit geklärt ist. Da Kant aber die erforderlichen Differenzierungen nicht getroffen hat, ist schwer auszumachen, was genau unter die Urteilsdefinition des § 19 fallen soll. 10 Immerhin läßt sich aber mit einiger Sicherheit sagen, daß für Kant die Wahmehmungsurteile jedenfalls nicht unter die Definition des § 19 fallen. Denn sowohl in § 18 wie in § 19 räumt Kant die Möglichkeit einer subjektiven Bewußtseinseinheit ausdrücklich ein; grenzt sie aber gegen jene objektive Einheit im Urteil ab. Die Kontrastierung am Ende des § 19 entspricht aber dem Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen. Kant verwendet also in § 19 den Urteilsbegriff enger, als dies zulässig ist, wenn jede Verbindung durch Urteilsfunktionen ein Urteil sein soll.11 Bezüglich der beiden Fragen, in denen die B-Deduktion in Widerspruch zu den Prolegomena' steht, ist der Sache nach dem Standpunkt der Prolegomena' der Vorzug zu geben: Es macht Sinn, von Urteilen, die keine Kategorien enthalten, zu sprechen, und es ist nicht nur wenig hilfreich, wenn Kant die Urteilseinheit als objektive Einheit definiert, ohne die erforderlichen Differenzierungen im Begriff des Objekts und der Objektivität vorzunehmen; es ist zudem 8

9

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Subjektive Urteile waren solche Urteile, in denen die Vorstellungen selber (und nicht die in den Vorstellungen vorgestellten Gehalte) unmittelbar auf den Wahrnehmungszustand des jeweiligen Subjekts bezogen werden. Als logische Urteile hatten wir Urteile bezeichnet, in denen Wahmehmungs££/u/te im Begriff eines bloß logischen Objekts vereinigt werden. Von einem bloß logischen Objekt (z.B. einem Sinnesdatum) verlangen wir (im Gegensatz zu empirischen Objekten) nicht, daß es Gegenstand von numerisch verschiedenen Vorstellungen ist Nach K. Reich ist diese objektive Einheit 'in sensu logico' zu verstehen (vgl. Reich (1948) S. 32 und 40ff.). Daher gehört sie nach Reich in die (formale) Logik und nicht in die Transzendentalphilosophie; während z.B. für Stuhlmann-Laeisz der in § 19 definierte "transzendentallogische Begriff des Urteils enger ist als der formallogische", so daß die Wahmehmungsurteile keine Urteile im Sinne des § 19 sind (Stuhlmann-Laeisz (1976) S. 58f.). Auch wenn man sich lange darüber streiten kann, ob der in § 19 erwähnte Satz "Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere" (B 142) ein Urteil ist, so ist doch schlechterdings unbestreitbar, daß wir es mit einer Verbindung gemäß der hypothetischen Urteilsfunktion zu tun haben.

Schluß

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irreführend, da Kant in § 19 einen engeren Urteilsbegriff vor Augen hat, als den einer Verbindung von Vorstellungen durch Urteilsfunktionen. Es ist zu vermuten, daß das Hauptmotiv für die Einführung der Urteilsdefinition des § 19 in beweisstrategischen Gründen zu suchen ist. Sie soll dazu dienen, "durch einen einzigen Schluß" (MAdN AAIV S. 475 Anm.) die Kategorien mit der objektiven Einheit zusammenzubringen. Es hat sich aber gezeigt, daß dies der Sache nach so einfach nicht möglich ist. Damit entfällt auch das Motiv für diese Charakterisierung des Urteils.

(4) Das Problem der subjektiven Vorstellungen Mit Blick auf das Problem der subjektiven Vorstellungen sind die schwachen Resultate des ersten Teils der B-Deduktion nur zu begrüßen. Die Einheit des Bewußtseins hindert uns weder daran zu träumen, noch schließt sie die Möglichkeit bloß-subjektiven Bewußtseins aus. Selbst dann, wenn sich zeigen sollte, daß sich das Argument in der für Kants Absicht erforderlichen Weise verstärken läßt, folgt nur, daß wir in der Lage sein müssen, uns zu beliebigen gegegeben Vorstellungen ein empirisches Objekt zu denken. Das mag in bezug auf die Wo/3-subjektiven Vorstellungen immer noch problematisch erscheinen; es ist aber allemal weit harmloser als die Zumutungen, die mit der Standardinterpretation verbunden sind.12 Mit diesen Vorteilen ist aber ein offensichtlicher Nachteil verbunden. Denn nun ist für die Begründung der Gesetzesthese vom ersten Teil der B-Deduktion nichts zu erhoffen. Wie steht es nun mit den Aussichten, eine solche Begründung im 2. Teil der Deduktion zu finden?

(5) Das Beweisstrukturproblem (2.Teil) und das Anschlußproblem Dazu müssen wir uns die Fortsetzung des Arguments kurz in Erinnerung rufen. Im nächsten Schritt versucht Kant, näheres über die AnwendungsbedinSelbst wenn sich das Argument im angegebenen Sinne verstärken ließe, muß dies nicht dazu führen, daß wir z.B. Lust- und Unlustempfindungen (die nach Kants Ansicht ja gänzlich subjektiv sein sollen, und nicht einmal im Gedanken einem Objekt beigelegt werden können) auf empirische Objekte beziehen müßten (obwohl dies der Sache nach nicht völlig unsinnig sein muß). Man könnte solche bloß subjektiven Empfindungen nämlich - wie dies Kant auch in den Schriften nach 1787 (häufig) tut - nicht als eigenständige Vorstellungen, sondern als Aspekte von Vorstellungen, als etwas "an" oder "bei" einer Vorstellung, auffassen (vgl. Kdll EinL VU. AA V S 188f. und MdS Einl. I. AA VI S. 212f.).

308

Schluß

gungen der Kategorien zu ermitteln. Ich will auf die Einzelheiten dieser Überlegungen nicht noch einmal zu sprechen kommen. Kants diesbezügliche Äußerungen sind extrem obskur und schematisch. Es ist aber auch gar nicht erforderlich zu versuchen, Kants Theorie der Selbstaffektion plausibler zu machen. Denn die 'Schematisierung' der reinen Kategorien läßt sich auch auf einem anderen Wege plausibel machen. Dazu muß man sich lediglich die Frage stellen, unter welchen Bedingungen sich empirische Objekte in Raum und Zeit erkennen lassen. Erst im letzten Schritt kommt Kant zur Begründung der Gesetzesthese. Im Gegensatz zur Standardinterpretation stützt er sich dabei nicht auf die Selbstbewußtseinsanalyse, sondern auf eine Prämisse über die notwendige Einheit von Raum und Zeit. Diejenigen Wahmehmungsgehalte, durch die diese Einheit von Raum und Zeit repräsentiert werden kann, sollen unter Kategorien stehen. Wir haben auch hier feststellen müssen, daß Kant diese Prämisse überzieht Und zwar in zwei Hinsichten: (a) Zum einen findet sich kein schlüssiges Argument für die Notwendigkeit, die Einheit von Raum und Zeit zu repräsentieren; damit bleibt auch die Existenz kategorial bestimmter Vorstellungen unsicher. (b) Zum anderen scheint sich Kant bei dem Versuch, die Gesetzesthese zu begründen, auf eine unangemessen starke Version der These von der Einheit von Raum und Zeit zu stützen.13 Aber die Einheit, die Raum und Zeit als formale Anschauungen haben, kann nicht in dem Sinn als eine notwendige Einheit aufgefaßt werden, daß wir aus der Annahme, daß es Erscheinungen geben muß, durch die Raum- und Zeit-Stellen objektiv identifiziert und zueinander in Beziehung gesetzt werden können, direkt ableiten können, daß diese Erscheinungen selber eine notwendige gesetzmäßige Einheit bilden. Ich habe am Schluß des vierten Kapitels versucht anzudeuten, wie dieser zweite Mangel unter Rückgriff auf Kants Argumentation in der 2. Analogie behoben werden könnte. Da wir das Argument im 2. Teil der B-Deduktion so rekonstruieren konnten, daß nicht bereits die Wahrnehmungssynthesis als kategorial bestimmt angesehen werden muß, entfiel auch das Anschlußproblem. Damit ergab sich die Möglichkeit, zur Begründung der Gesetzesthese auf Überlegungen zurückzugreifen, die sich an dem im dritten Kapitel diskutierten epistemologischen Argument orientieren. Die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen sollte sich als eine Bedingung der Möglichkeit eines objektiven raum-zeitlichen Bezugssystems erweisen. In § 26 stellt Kant nur lapidar fest, daß "Kategorien [...] Begriffe [sind], welche den Erscheinungen [...] Gesetze a priori vorschreiben" (B 163). Im Text der zweiten Auflage findet sich aber bis dahin nicht die Spur eines Argumentes für diese Behauptung.

Schluß

309

Selbst wenn sich dies zeigen läßt, bleibt das Resultat (wegen (a)) hinter den Erwartungen zurück. Aber das bedeutet nicht, daß der Sache nach im zweiten Teil der B-Deduktion kein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem ersten Teil gemacht worden ist Denn wir haben gesehen, daß sich ausgehend von der Einheit der Apperzeption, die die grundlegende Prämisse des ersten Teils der IiDeduktion bildete, nicht einmal der für die Kategorienthese entscheidende Übergang zum Begriff eines empirischen Objekts rechtfertigen ließ. Obwohl es offen bleiben mußte, ob es Kant in § 26 gelingt, die Existenz kategorial bestimmter Erscheinungen nachzuweisen, so zeigte sich doch, daß unter Rückgriff auf die Prämisse von der Einheit der Raumvorstellung gute Aussicht besteht, wenigstens eine schwache (bedingte) Kategorien- und Gesetzesthese zu begründen. Vielleicht ist das ohnehin alles, was vernünftigerweise zu erwarten ist

Notiz zur Zitierweise Es werden die folgende Abkürzungen verwendet De mundi:

De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis KrV: Kritik der reinen Vernunft Pr: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können GMS: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten KpV: Kritik der praktischen Vernunft MAdN: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft KdU: Kritik der Urteilskraft MdS : Metaphysik der Sitten Fortschritte: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? AA: Akademieausgabe KS: Kant-Studien Die KrV zitiere ich nach der von R. Schmidt edierten Ausgabe (Hamburg 1956), wie üblich nach A und B. Prolegomena, GMS, KpV, und KdU werden nach den von K. Vorländer in der Philosophischen Bibliothek' herausgegebenen Ausgaben unter Angabe der Paginierung der Akademieausgabe zitiert. Alle anderen Schriften Kants werden nach der Akademieausgabe von Kants Gesammelten Schriften (Berlin 1910ff.) nach dem Schema (AA Band Seite) zitiert. Im Fall der Nachlaßreflexionen wird die Nummer der jeweiligen Reflexion nach vorangestelltem R angeführt Um den Text nicht unnötig mit Fußnoten zu belasten, werden einfache Textverweise nach dem Schema (Autor (Erscheinungsjahr) Seite) in den Text selbst aufgenommen. Durch Sperrung dargestellte Hervorhebungen in Zitaten stammen vom jeweiligen Autor. Hervorhebungen von mir sind durch Kursivdruck gekennzeichnet.

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Baum 22,117,261 Beattie 27, 259 Beck, L. W. 22,26,64,86ff„ 100,122,135, 143,165,167,180,182ff. Beck, J. S. 71,284 Becker 117 Bennett 22, 26, 122,136,146,155, 157f., 160f. 184,238,253f. 261 Berkeley 167 Brentano 95

Henrich 2,17ff., 22,74,107f., 115,116ff., 213, 243ff., 273,286f„ 290,300 Hera 29,66f„ 103,254 Hinsch 19,22,248 Holzhey 26 Hoppe 8,105,124 Hossenfelder 8,22,108, 261 Hume 8,25ff., 141,162,180f., 201f., 259,262, 279

Broad, C. D. 78, 81, 85,142,144,168f., 176ff.,

Jackson 85

192,199f., 202,208,300 Brouillet 117 Carl 22,27, 30,41, Cassirer 29 Cramer 22 Descartes 70,172 Dryer 22,122,138,143,153,173 Ebbinghaus 22, 101 Erdmann 26,44,66,103,106,206,229,279 Ewing 206ff., 288 Feder 167 Fogelin 26

Hamann 27,28,30 Hatper 143,167,192 Hartenstein 16

Kemp-Smith 26,41,145 Kitcher237 Kuehn 27, 30 Leclair248 Leibniz 29f., 267 Lewis 64,69 Locke 29,218f. Lovejoy 141 Mackie 81,178 Mattey 167 Meerbote 143,192 Mendelssohn 274 Mrongovius 51

Personenregister Newton 147 Norton 26 Novotny 117 Paton 44,103,153,165ff., 189f., 200,288 Paulsen 12 Posy 165,169 Prauss 77,101 Prichard 165f.

321

Stuhhnann-Laeisz 117,306 Suchling 206 Tetens 27.98,105f., 259 Hiöle 117,273 Tonelli 28 Turbayne 167 Tuschimg 17f., 115,117,273 Ulrich 274,278

Quin ton 292 Reich 103, 306 Scheffel 30 Schmitz 30 Schmucker 30 Schöndörffer31 Schopenhauer 144ff., 150, 156f., 162ff. Schultz 274f.,278ff. Strawson 17f., 22,60,138,139f., 151ff., 155ff., 160f., 165,167ff„ 171,175,178, 196f., 208f., 263

Vaihinger 29,41,105 Valentiner 105 Van Cleve 135,165,167,183f., 192 de Vleeschauwer 41, 105 Wagner 117 Walker 167 Walsh 138 Warda 27 Wille 45 Wilson 167 Wolff, R. P. 22,25ff. 120ff. 189f., 208,259

Sachregister Affinität 42 Analogien der Erfahrung 3f., 54ff. zweite A. 59ff., 128ff. Analogiker 120ff., 129,299f. Analytik, transzendentale IS analytischer Beweis in der 2. Analogie 129if., 190tf., 196ff. analytisches Verfahren 22, 36ff. Anschlußproblem 63, 113, 308 Apperzeption vgl. auch SelbstbewuBtsein Einheit der A. 22,38,65ff., 234ff., 252ff. analytische Einheit der A. 51,251f. synthetische Einheit der A. 51,252,256ff. Aprioritätsthese 6 Begriff 45,220,222ff. Bestimmtheit der logischen Funktion lOlff., 108ff„ 265ff„ 304f. Bestimmtheit der Wahmehmungsfolge 133, 151ff., 154ff. Beweisstrukturproblem 64,115ff., 27 lf., 301f., 307f. Bewußtsein und Selbstbewußtsein 253ff. Bezugssystem 210f., 291ff„ 308 Deduktion Begriff einer D. 17f. metaphysische D. 15 transzendentale D. 2, 15f. Beweisanspruch dertr. D 19ff., 279f. Ziel der tr. D. 16ff. negatives Resultat der tr. D. 1 Iff., 33 positives Resultat der tr. D. 12f., 33

schwache D. 20f., 23,221,230 starke D. 23,211,221 Α-Deduktion 41ff., 214ff. absteigende 41, 48f. aufsteigende 41ff. subjektive D. 41,43f., 214ff. objektive D. 41 D. von oben 41 D. von unten 41 B-Deduktion 49ff., 249ff. 1.Teil 249ff. 2.Teil 280ff. Gründe für die Neufassung 273ff. deduktives Argument (in der 2. Analogie) 154, 168 Deduktivsten 120f., 212,249,300f. Denken vs. Erkennen 271,276f., 281 Dreidimensionalität 210, 294,296f. Einheit der Apperzeption 22, 38,65ff., 234ff., 252ff. von Raum und Zeit 117f., 209ff., 281f., 285ff., 308 notwendige E. 240f. objektive E. 260ff. Urteils-Ε. 263ff. Empfindungsqualitäten 97ff. empiristisches Modell 176ff. epistemische Begriffe empirischer Objekte 268f., 290,303ff. epistemologisches Argument (in der 2.Analogie) 154,161,169ff.

323

Sachregister Erfahiungsuiteüe 75f.. 90£f., 278,305«. Erinnerung 218f. explanatorisches Verfahren 178,180,189

Kausalprinzip vgl. Analogien der Erfahrung, 2. Konventionalismus 297f. Kritik der reinen Vernunft Ziel der KrV9ff.

fundamentalistisches Verfahren 178, 189 Ganzes 41ff., 214f. Gefühle 96f. Gegenstandsbegriffe 46 Gesetze Generalisierung von G. 174 Gesetzesthese 2,6,39,43,49.54.58,88,131, 231 f., 271,294ff., 308 und Kategorienthese 18f. 52,105f und SelbstbewuBtsein 235ff. schwache G. 46,58 Gesetzgebungsthese 6,53 Grenzbesdmmung llf.,274 Grundsätze dynamische 45 Grandsatzkapitel 8,16 Ich Bündeltheorie des L 259f. Identitàtsbewußtsein 67,237ff., 257 Intentionalität 95 Kategorien lOOff., 265ff„ 302ff. Anwendung derK. 281ff. Erklärung der K. 104ff., 265ff. als epistemische Begriffe empirischer Objekte 268f., 290, 303ff. mathematische K. 45, 115 praktischer Gebrauch 3 Iff.. 276 und Urteilsfunktionen 63.94f., lOOff., 264ff.,302ff. Ursprung a priori der K. 29,31 Kategorienthese 2.8,38.43.49.58. 88.131 schwache K. 46,58 und Gesetzesthese 18f., 52,105f. Kausalität Humes skeptische Analyse 28

Mannigfaltiges 42,216ff. Mathematik Möglichkeit der M. 14 Metaphysik der Erfahrung 9ff. der Natur 9ff. enger Begriff der M. 10 weiter Begriff der M. 10 transzendente M. 9ff. Minimalzustand 132 Moralphilosophie 31.276 Naturwissenschaft, reine Möglichkeit der r. N. 14f. Notwendigkeit 57,240f. Objekt 72,77ff., 191ff., 228ff. 261ff. empirisches 0.79f., 262 Gesetzeskonzeption d. O. 180,194ff., 202f., 211 intentionales 0 . 8 0 logisches 0.74ff. materielles 0 . 7 4 , 8 0 reales O. 80 räum-zeitliches O. 80 transzendentalphilosophischer O-Begriff 232ff. Objekteinheit 46, 260ff. Objektivität 69ff. und Kategorien 70ff Objektivitätsthese 2,8,19,39,49,58,130 und Gesetzesthese 21f. Objekt-Prozeß-Problem 135f., 140ff. phäncmenalistische Objektkonzeption 165ff., 192ff„ 199f. Raum vgl. Einheit von Raum und Zeit

324

Sachregister

Regel 224ff.

Unbestimmtheitsthese 56,58,113

repräsentationstheoretische Objektkonzeption 192ff.

in der 2. Analogie 59f., 130, 133ff., 139«. Urteil 71,83,86f., 263ff„ 306f. bloB-intentionale 83 empirisches U. 83 kategorisches U. 265ff. objektive U. 83 reales U. 83 subjektive 83

Schema der Kausalitätskategorie 185 Schematismus 282ff. Sein-Schein-Problem 138f., 188 sekundäre Qualitäten 97,147 Selbstaffektion 282ff. Selbstbewußtsein 252ff. distributives S. 68,257,259 kollektives S. 68,257f. und Synthesis 255ff. Selbstzuschreibung 67 Skeptiker 17,23ff. epistemologischer S. 24ff. metaphysischer S. 25, 27ff., 201f. Standardinterpretation 2,40,272,299ff. subjektive Vorstellungen 63ff., 97f, 291ff. Problem der s. V. 63ff., 100,291ff., 307, Substanz 102f., 267ff., 304 Suk zessivitäts these 134f. Synthesis 216ff.,249ff. a priori 239 der Apprehension 42,218 der Rekognition 42, 45,220ff. der Reproduktion 42, 218ff. figürliche 282 synthetischer Beweis in der 2. Analogie 129,190,205ff. synthetisches Verfahren 22f., 36ff. Träume 64, 188 292f. Übergang 244

Urteilseinheit 263f. Urteilsfunktionen lOOff. und Kategorien 63.94f., lOOff., 264ff., 302ff. Uiteilsthese 88 Vorstellung 237 Wahiheitsanspruch 71 Wahmehmungsgehalt 76 Wahmehmungsisomorphie 137,158f. Wahmehmungsisomoiphieproblem 136ff., 182«. Wahrnehmung suiteile 75f., 90ff., 278f., 305ff. Problem der W. 63,90ff., 278f., 305ff. Widerlegung des Idealismus 122f. Wissensproblem 163f., 171ff. Zählen 222f. Zeit vgl. Einheit von Raum und Zeit Zeitbestimmung 55,282ff. Zeitordnung notwendige 205ff. Zeitordnungsthese 130 Zirkelproblem 163ff„ 171ff.

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